Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016 Die Würde des Menschen ist unantastbar wehrhafte Demokratie zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, der Verfassungsschutz ist wichtiger Partner einer wehrhaften Demokratie - weil Staat, Politik und freiheitliche Gesellschaft sich nur gegen etwas wehren können, das sie auch kennen. Aus gutem Grund beobachtet das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) diejenigen extremistischen Gruppierungen, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage stellen und bekämpfen wollen. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden unser verlässliches FrühMarkus Ulbig warnsystem in Bezug auf alle Formen von ExtreSächsischer Staatsminister des Innern mismus. Der vorliegende Bericht fasst die Ergebnisse zusammen, die das LfV im Jahr 2016 hinsichtlich der extremistischen Gruppierungen und Entwicklungen zusammengetragen und ausgewertet hat. Enthalten sind dabei sowohl regionale Lagebilder zum Rechtsund Linksextremismus als auch Beiträge zu den Phänomenbereichen Islamismus und Ausländerextremismus. Besonders hervorzuheben sind zwei Kapitel, die sich phänomenübergreifend den Feindbildkonstruktionen von Extremisten sowie der Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet widmen. Von großer Bedeutung ist und bleibt aber an erster Stelle weiterhin die Beobachtung des Rechtsextremismus. Ein juristischer Meilenstein war dahingehend das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbotsverfahren gegen die NPD vom 17. Januar 2017. Obwohl das Gericht dem Verbotsantrag des Bundesrates nicht entsprochen hat, wurde festgestellt: an der Verfassungsfeindlichkeit bestehe kein Zweifel. Dieses Urteil passt damit zum nach wie vor wachsenden Bedeutungsverlust der Partei. Sie hat seit dem Höchststand im Jahr 1998 70 % ihrer Anhängerschaft verloren. Die Aktivitäten einiger Kreisverbände kamen vollständig zum Erliegen. Demgegenüber hat sich das Personenpotenzial der neonationalsozialistischen Szene nach den Verlusten der Vorjahre allerdings vor dem Hintergrund der Asylthematik wieder deutlich erhöht. 2016 wurden daher die IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND - Regionalgruppe Sachsen sowie die reIchsBürger uND selBstverwalter zu Beobachtungsobjekten sowie der Vorjahresbeitrag zu den Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte fortgesetzt. Da der Verfassungsschutz alle Phänomenbereiche gleichermaßen im Blick hat, blieb natürlich auch die linksextremistische Szene im Fokus der Behörde. Und auch wenn die Anzahl linksextremistischer Straftaten zuletzt gesunken ist, erreichte ihre Anhängerzahl im Jahr 2016 einen Höchststand, da sie durch eine erfolgreiche Bündnispolitik vielfach Personen aus dem bürgerlichen Protestmilieu einbinden konnte. Die Gewaltbereitschaft der Szene ist nach wie vor hoch. Durch anonym-verdeckte Aktionen kam es 3 häufig zu hohen Sachschäden. Anschlagsziele waren vor allem der politische Gegner sowie Institutionen des demokratischen Rechtsstaates. Solche Anschläge sind Angriffe auf unsere Demokratie und unsere Gesellschaft. Ihnen muss und wird mit der gebotenen Härte des Rechtsstaats entgegen getreten werden. Die verübten Straftaten werden strafrechtlich konsequent verfolgt. Das islamistische Personenpotenzial schließlich bewegte sich im Freistaat trotz eines Anstiegs weiterhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Der Verfassungsschutz richtet sein Augenmerk dabei verstärkt auf islamische Gemeinden, Vereine und Gruppierungen, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von islamistischen Organisationen für deren Zwecke missbraucht werden. Es gilt aber auch, die Migrationsströme verstärkt in den Blick zu nehmen. Rückkehrende Islamisten stellen eine besondere Risikogruppe dar. Eine gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist und bleibt deshalb unerlässlich. Insgesamt belegt der vorliegende Bericht: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres LfV leisten für den Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung einen wertvollen Beitrag. Ihre Expertise und ihre gesammelten Erkenntnisse sind ein entscheidender Baustein im Fundament unserer Demokratie. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich! Markus Ulbig Sächsischer Staatsminister des Innern 4 Inhaltsverzeichnis I. Einführung - Extremistische Bestrebungen im Freistaat Sachsen 8 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 10 1. IM FOKUS: Hassobjekte - Feindbildkonstruktionen von Extremisten 10 2. Rechtsextremismus 31 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 31 2.2 Personenpotenzial 33 2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 37 2.4 Rechtsextremistische Parteien 51 2.4.1 NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD) 51 2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) 68 2.4.3 DIe rechte, Landesverband Sachsen 77 2.4.4 Der DrItte weg (III. weg) 82 2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 88 2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 104 2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten 108 2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte 109 2.9 Rechtsextremistische Vertriebsszene 123 2.10 Relevante Publikationen 130 2.11 IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND - Regionalgruppe Sachsen 132 2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 136 2.12.1 Landkreis Bautzen 136 2.12.2 Chemnitz (Stadt) 142 2.12.3 Dresden (Stadt) 147 2.12.4 Erzgebirgskreis 154 2.12.5 Landkreis Görlitz 159 2.12.6 Landkreis Leipzig 163 2.12.7 Leipzig (Stadt) 167 2.12.8 Landkreis Meißen 173 2.12.9 Landkreis Mittelsachsen 176 2.12.10 Landkreis Nordsachsen 181 2.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 184 2.12.12 Vogtlandkreis 188 2.12.13 Landkreis Zwickau 193 5 2.13 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 197 2.14 Ausblick 201 3. Linksextremismus 205 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 205 3.2 Personenpotenzial 205 3.3 autoNome 209 3.3.1 autoNome in Leipzig 224 3.3.2 autoNome in Dresden 240 3.3.3 autoNome außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 250 3.4 Anarchistische Gruppierungen 257 3.5 revolutIoN (revo) 265 3.6 rote hIlfe e. v. (rh) 270 3.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen 275 3.8 Wege linksextremistischer Agitation 277 3.9 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 281 3.10 Ausblick 285 4. Islamismus 287 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 287 4.2 Personenpotenzial 288 4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen 288 4.4 Jihadistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen 296 4.5 Ausblick 298 5. Ausländerextremismus 301 5.1 Zielsetzungen 301 5.2 Personenpotenzial 302 5.3 arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk) 303 5.4 Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund 311 5.5 Ausblick 311 6. ReichsbüRgeR und selbstveRwalteR 313 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet 315 6 III. Spionage in Politik und Wirtschaft 323 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten 323 2. Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden 324 2.1 Akteure und Aufklärungsschwerpunkte 324 2.1.1 Russische Föderation 324 2.1.2 Volksrepublik China 325 2.1.3 Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Staaten 326 2.1.4 Westliche Staaten 327 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 328 2.2.1 Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen 328 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen 328 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen 331 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft 332 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 335 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 335 1.1 Sicherheitsüberprüfungen 335 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen 336 2. Materieller Geheimschutz 337 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagensoder Ausschlussgründen 337 V. Verfassungsschutz Sachsen 339 1. Struktur 339 2. Gesetzliche Grundlagen 340 2.1 Verfassungsschutz als Frühwarnsystem 340 2.2 Kontrolle 343 3. Arbeitsweise 344 4. Öffentlichkeitsarbeit 345 VI. Anhang 348 Register 348 Glossar 362 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachen 374 Abkürzungsverzeichnis 378 Gesetze 382 7 I. Einführung - Extremistische Bestrebungen im Freistaat Sachsen Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017 die drei unverzichtbaren Grundprinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates abermals unmissverständlich festgeschrieben. Diese beinhalten neben dem Demokratieprinzip, der Rechtsstaatlichkeit mit der Bindung der öffentlichen Gewalt an das Recht und der Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte, vor allem die Garantie der Menschenwürde und damit die Wahrung der personalen Individualität, Identität und Integrität sowie der elementaren Rechtsgleichheit jedes Menschen.1 Auch im Jahr 2016 haben Extremisten in Sachsen versucht, diese Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekämpfen. Sie taten dies zum Teil, in dem sie Straftaten planten oder begingen. Beispiele für gewalttätigen Extremismus sind die vielen Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte durch Rechtsextremisten, die Angriffe auf staatliche Einrichtungen durch Linksextremisten oder der verhinderte Terroranschlag des islamistischen Attentäters AL-BAKR. Extremisten sehen sich dabei in einer Rolle als Vollstrecker eines angeblich existierenden übergeordneten Willens, sei es in Form einer "Bürgerwehr", einer "Schariapolizei" oder einer militanten "Antifa", die ihren Aktionen eine Scheinlegitimität verleihen soll. Dabei lehnen sie mit dem Gewaltmonopol des Staates einen elementaren Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Sächsische Extremisten versuchten auch im Jahr 2016, der Demokratie durch Verächtlichmachung ihrer Institutionen oder Repräsentanten erheblich zu schaden und dadurch Zuspruch und Anhänger für ihre Ideologien zu gewinnen. Dies geschah im Rahmen von Demonstrationen, Konzerten, Infoständen und vor allem im Internet. Konsequenz wäre das Ende eines offenen demokratischen Prozesses. Über das größte Personenpotential verfügt in Sachsen weiterhin der Rechtsextremismus, auch wenn seine Anhängerzahlen im Jahr 2016 stagnierten. Linksextremisten und Islamisten konnten dagegen ihr Personenpotential deutlich erhöhen, erreichten aber dennoch zusammen weniger als die Hälfte der Mitgliederzahlen des Rechtsextremismus. Mit den reIchsBürgerN uND selBstverwalterN wird seit Dezember 2016 eine sehr heterogene Bestrebung bundesweit beobachtet. Ihr Gefahrenpotential reicht von schweren Straftaten, wie den tödlichen oder lebensgefährlichen Schüssen auf Polizeibeamte in Bayern und Sachsen-Anhalt, bis zur Verängstigung und Belästigung von Behördenmitarbeitern. 1 vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, Rdnr. 538 ff. 8 EINFÜHRUNG - ExTREMISTISCHE B E S T R E B U N G E N I M F R E I S TA AT S A C H S E N Im vorliegenden Verfassungsschutzbericht werden die aktuellen Entwicklungen extremistischer Bestrebungen - Rechtsund Linksextremismus, Islamismus, Ausländerextremismus und reIchsBürger uND selBstverwalter - im Freistaat Sachsen im Hinblick auf verfassungsfeindliche Zielsetzungen, Personenpotenzial, Strukturen und Aktivitäten betrachtet. Darüber hinaus nehmen die Beiträge "IM FOKUS: Hassobjekte - Feindbildkonstruktionen von Extremisten" und "Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet" eine phänomenübergreifende Perspektive ein. Zum einen werden die Funktionen von Feindbildern für Extremisten beschrieben und aufgezeigt, wie diese sich durch politische und gesellschaftliche Entwicklungen verändern. Zum anderen werden die Strategien und Kanäle von Extremisten in den digitalen Medien beleuchtet. Wie und auf welchen Plattformen kommunizieren, mobilisieren und vernetzen sie sich? Diese Überblicksbeiträge heben die Gemeinsamkeiten in den Extremismusformen hervor, zeigen aber auch die Differenziertheit und Spezifika auf. Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Dienst", sondern ein Informationsdienstleister für die Öffentlichkeit. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes. Der Bericht stellt einen wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. 9 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 1. IM FOKUS: Hassobjekte - Feindbildkonstruktionen von Extremisten Einleitung "Linkes Gezeter - neun Millimeter" "Bullen sind Schweine" "Das Blut der Ungläubigen ist halal für Euch" Wie diese Zitate zeigen, gehörten auch im Jahr 2016 Beleidigungen, Herabwürdigungen und sogar Gewaltaufrufe gegen die jeweiligen Gegner zum Instrumentarium aller extremistischen Bestrebungen, die auch in Sachsen aktiv sind. Die hierbei ersichtlichen Feindbilder speisen sich aus starken Vorurteilen gegenüber bestimmten Personen oder Gruppen, die gegenüber eigenen, als überlegen empfundenen Überzeugungen in Stellung gebracht werden. Sie helfen, in einer als verwirrend empfundenen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit mit diffusen Gefühlen der Aggression und Bedrohung umzugehen und stiften Zusammengehörigkeit, in dem Wir-Gefühle ("wir gegen die") angesprochen werden. Mehrdeutige oder differenzierte Sichtweisen stehen dem Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für unübersichtliche Entwicklungen entgegen. Verstärkend wirkt ein wachsendes Misstrauen gegenüber den Medien. In den "Echokammern" des Internets wird vor allem die eigene Realität bestätigt. Davon abweichende Positionen können so ausgeblendet werden. Das Bewusstsein und Handeln wird damit von einer Einteilung der Welt in richtig und falsch, in Freunde und Feinde, bestimmt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Anziehungskraft eines ausgeprägten Schwarz-weiß-Denkens für extremistische Gruppierungen. Feindbilder werden gebraucht, um sich selbst nach innen zu stärken. Sie bekräftigen die eigene Position, die als wahr oder einzig richtig angesehen wird. Sie werden genutzt, um neue Mitglieder zu werben oder um nach außen Handlungsfähigkeit herzustellen. Mit Feindbildern reagieren Extremisten auf politische oder gesellschaftliche Entwicklungen; diese können sich wandeln, zuspitzen oder abschwächen. Mit deren Aufbau und Stabilisierung geht oft ein abnehmendes Einfühlungsvermögen einher. Der Feind wird nicht mehr als Individuum oder gar als Mensch verstanden, sondern als anonymer entmenschlichter Gegner. Vorstellungen von einer Schädigung bis hin zur Vernichtung des Gegners finden in der Dehumanisierung des Feindes ihren Nährboden. Die Merkmale von Feindbildern können sowohl für rechtsextremistische, wie auch für linksextremistische und islamistische Bestrebungen, Gültigkeit beanspruchen. Trotz aller Ähnlichkeiten gibt es jedoch auch gravierende Unterschiede. Zunächst werden daher rechtsextremistische, linksextremistische und islamistische Feindbildkonstruktionen näher beschrieben. Welche Feindbilder gibt es, wie werden diese dargestellt und welche Funktion besitzen sie? Anschließend werden Veränderungen von Feindbildern in 10 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N den jeweiligen Extremismusbereichen geschildert, um Abhängigkeiten vom politischen Tagesgeschehen oder von strategischen Überlegungen offenzulegen. Schlussendlich sollen grundlegende Gemeinsamkeiten und Unterschiede benannt werden, die das Erscheinungsbild von Feindbildern bestimmen. Feindbilder der verschiedenen Extremismusbereiche Rechtsextremismus Die Feindschaft von Rechtsextremisten richtet sich zum einen gegen verschiedenste Menschengruppen, die sie ideologisch ablehnen oder als "minderwertig" betrachten, und zum anderen gegen den demokratischen Rechtsstaat, der die Grundrechte dieser Menschen gegen die Agitation und die gewalttätigen Angriffe der Rechtsextremisten schützt. Im Folgenden sollen schlaglichtartig die Hauptkomplexe rechtsextremistischer Feindbilder dargestellt werden. Das "System" und die "Gesellschaft" Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist für Rechtsextremisten seit jeher eine der Wurzeln für die "Fehlentwicklung" der modernen Gesellschaften. Zu dieser von Rechtsextremisten als "System" diffamierten Ordnung gehören nicht nur die Vertreter der demokratischen Parteien, der Verfassungsorgane oder der Verwaltung, sondern auch die Angehörigen der Polizeiund Ordnungsbehörden sowie alle Vertreter des demokratischen Rechtsstaates inklusive die gewählten Vertreter der demokratischen Institutionen. Eine Strategie, die vor allem von Stefan HARTUNG, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge, angewandt wurde, ist die gezielte Kampagne gegen die Bürgermeister kleinerer Ortschaften. In der ersten Hälfte des Jahres 2016 wurden dazu Kundgebungen im Rahmen von kommunalen Gremiensitzungen anberaumt und so versucht, Bürgermeistern die eigene politische Linie aufzuzwingen. Bürgermeister wurden dazu auch als Person diffamiert. So hieß es etwa mit Bezug zum Bürgermeister von GrünhainBeierfeld (Erzgebirgskreis), Herrn Rudler, am 1. Februar 2016, man müsse das "Rudler rumreißen".2 Die neonationalsozialistische Szene im Raum Freital formulierte noch direkter und rief durch Aufschriften an Gebäuden dazu auf, dass man den Oberbürgermeister von Freital "töten" müsse. Die Diffamierung der Bundeskanzlerin als "Kriegskanzlerin", an deren Händen Blut klebe und ähnliches, ist dabei unter Rechtsextremisten längst die Regel. Der Nationalfeiertag am 3. Oktober wurde in der neonationalsozialistischen Szene als "Tag der Lügen und des Verrat am deutschen Volk"3 verunglimpft. Selbstredend haben sich Rechtsextremisten an den Pöbeleien gegenüber verschiedensten Amtsund Mandatsträgern am Tag der Deutschen Einheit beteiligt. Insbesondere der militante Rechtsextremismus der NeoNatIoNalsozIalIsteN und der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene geht darüber hinaus. Hier wirft man dem "System" nicht nur Verrat vor, sondern sieht sich mit diesem - als zu bekämpfende feindliche Macht - im Kriegszustand. 2 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 3 Facebook-Profil freIe aktIvIsteN DresDeN (Stand: 28. September 2016, Schreibweise wie im Original) 11 In der Folge hat sich auch das Verhältnis zur Polizei gewandelt. So gehört diese mittlerweile zum rechtsextremistischen Feindbild "System". Hier zeigen sich Parallelen zum Linksextremismus. Bereits im Jahr 2015 war eine starke Zunahme der politisch motivierten Gewalt von RechtsextQuelle: Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN remisten insbesondere auch gegen Polizeibeam(Stand: 8. September 2016) te festzustellen.4 In 2016 gab es einen leichten Rückgang der Straftaten, die Fallzahlen liegen jedoch noch weit über dem Niveau vorangegangener Jahre.5 Neben solchen direkten Konfrontationslinien haben Rechtsextremisten der Bundesrepublik Deutschland und damit der Geltung des Grundgesetzes auch allgemein immer wieder jede Legitimität abgesprochen. Die "BRD", die von Rechtsextremisten immer wieder von "Deutschland" unterschieden wird, galt und gilt bei Rechtsextremisten als "Verwaltungskonstrukt der Siegermächte".6 "Deutschland ist nun mal nicht die BRD" wird dabei oft als Standardphrase verwendet.7 Rechtsextremisten bezeichnen die aktuelle Gesellschaft mit Bezug zum "Dritten Reich" als verkommen und "degeneriert". Mit der Abbildung "70 Jahre Degeneration - DanQuelle: Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person ke Amerika!" lässt sich illustrieren, dass die Ab(Stand 4. Oktober 2016), Gesicht wurde unkenntlich gemacht lehnung der Demokratie und des Grundgesetzes von Rechtsextremisten nicht auf der Ablehnung einiger Prinzipien beruht, sondern dass dahinter grundlegende weltanschauliche Differenzen stehen. Die Voraussetzung jedweder Demokratie - die Wahrung der Menschenrechte, eine Offenheit für verschiedene Orientierungen und Überzeugungen, der Verzicht auf die Vorgabe einer übergeordneten politischen Ideologie bei der Organisation des Gemeinwesens, etc. - wird von Rechtsextremisten zugunsten einer die Rechte des Einzelnen verneinenden und auf kollektive Einheit ausgerichteten Weltanschauung abgelehnt.8 Auch die Ablehnung von Gleichstellungsmaßnahmen, die u. a. mit Bezug zu sexualpädagogischen Maßnahmen an Schulen als "Degradierung der deutschen Kultur" diffamiert werden, gehört zu diesem 4 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 287 5 siehe Abschnitt II.2.13 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" 6 Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN (Stand: 18. April 2016) 7 Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN (Stand: 28. März 2016) 8 Am Rande wird auch deutlich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als Verkörperung dieser Ideale ebenfalls zu den Feindbildern von Rechtsextremisten gehören. 12 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Feindbild.9 Angebote zur Förderung der Akzeptanz von sexueller Vielfalt werden von Rechtsextremisten oft als "Rassenschande-Propaganda" angesehen.10 Asylbewerber, nicht-deutsche Staatsangehörige und Muslime Als ein zentrales Mittel der "Vernichtung" der Deutschen haben Rechtsextremisten vor allem in den letzten Jahren Flüchtlinge und Asylbewerber ausgemacht. So lautete die Gleichung der NPD-Jugendorganisation JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) sachseN: "Asylflut = Volkstod!".11 Dies wurde noch durch die Aussage auf einem Transparent beim Stadtfest in Pirna im Juni 2016 gesteigert: "Migration ist Völkermord".12 Bei der Diffamierung von Flüchtlingen und Asylbewerbern werden ganz unterschiedliche Feindbilder miteinander verbunden. So hieß es etwa auf einem Transparent zur Demonstration der JN am 1. Mai: "Grenzen dicht! Migranten sind die Armee des Kapitals". Hierbei wurde die rassistisch motivierte Ablehnung von Flüchtlingen und Zuwanderern mit einer möglichst anschlussfähigen Kapitalismuskritik verbunden. Auf Plakaten zum Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich die Ablehnung des "Systems". Die NPD formulierte: "Wir glauben an unsere Jugend - CDU / SPD / LINKE / GRÜNE an Einwanderung". Dass es auch im parteigebundenen Rechtsextremismus nicht nur bei solchen abstrakten Gegenüberstellungen blieb, zeigte eine weitere Wahlkampfaktion: Die JN in Mecklenburg-Vorpommern verteilten Knüppel mit beigefügten Zetteln an Bürger. Auf diesen wurde dazu aufgerufen, dass bei Bedrohung durch "kriminelle Ausländer" entweder die Polizei gerufen oder direkt zur "Notwehr" gegriffen werden solle. Deshalb sei das "Handwerkszeug" - mehrere Knüppel - gleich mitgeliefert worden. Da Extremismus die Ablehnung jeglicher Differenzierungen zugunsten klarer Feindbilder bedingt, werden Flüchtlinge und Asylbewerber unterschiedslos für die islamistischen Terroranschläge verantwortlich gemacht. Plakative Aktionen, wie das Zeichnen symbolischer Leichenumrisse samt roter Flüssigkeit auf den Boden öffentlicher Orte versehen mit Slogans wie "Migration tötet", erzeugen oder verstärken Angst und Ablehnung in der Bevölkerung. Quelle: Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 17. August 2016) Quelle: Facebook-Profil JN mIttelsachseN (Stand: 18. August 2016) 9 Facebook-Profil Dresdner Selbstbestimmung (Stand: 15. April 2016) 10 Facebook-Profil Dresdner Selbstbestimmung (Stand: 7. März 2016) 11 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 4. Januar 2016) 12 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 19. Januar 2016) 13 Auch hier wird umgehend die Schuld bei politischen Gegnern und dem politischen System gesehen. Nach dem Amoklauf von München am 22. Juli hieß es "Die etablierten Zuwanderungsparteien tragen die moralische Mitschuld an den von Ausländern ermordeten Deutschen".13 Das Motto einer Veranstaltung der Partei Der DrItte weg am 26. Juli in Plauen lautete: "Multikulti tötet - Ausländerterror stoppen!"14 Der Bezug zum "Dritten Reich" wird immer wieder hergestellt: "Eine Division für München, eine Division in Schwarz! 15 Lange genug haben wir zugesehen wie unser Vaterland verschmutzt wird mit dem Unrat der tag für Tag über unsere Grenzen einmarschiert. Wir kriegen euch alle!" 16 Die vermittelten Botschaften gegen Muslime von parteigebundenen Rechtsextremismus werden eher subtiler und hintergründiger formuliert, um Vorurteile auch bei nicht extremistischen Bürgern zu schüren. Ähnlich wie bereits in der Zeit von 1933 bis 1945 gegen Juden und ihre religiösen Schächtungsvorschriften gehetzt wurde, nutzen Rechtsextremisten auch heute noch Themen wie den Tierschutz, um gegen missliebige Minderheiten vorzugehen: "Tierschutz geht uns alle an" oder "Stoppt den Verkauf von Halal-Fleisch". 17 18 Juden Vor allem in der neonationalsozialistischen Szene wird nach wie vor auch der hergebrachte Antisemitismus mit seinem Hauptfeindbild, dem "wohlhabenden Juden", bedient. Die Leugnung des Holocausts ist und bleibt hier ein zentrales Element. So hieß es etwa: "In Palästina gibt's ein Land, Israel wird es genannt! Für Mord und Raub ist es bekannt, kleine Kinder werden dort verbrannt! Habt ihr den wahren Feind erkannt, so nehmt die Waffen in die Hand! Die beste Lösung sei genannt.... vernichtet dieses Land!" 19 Zurückhaltender zeigt sich die Negation bzw. Verharmlosung des Quelle: Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 8. September 2016) Holocausts im parteigebundenen Rechtsextremismus. So titelten die JN sachseN am 8. September 2016 auf Facebook mit einem Bild vom Holocaust-Mahnmal in Berlin und der Titelzeile "Staatsreligion?". 13 Facebook-Profil NPD sachseN (Stand: 24. Juli 2016) 14 www.der-dritte-weg.info (Stand: 29. Juli 2016) 15 Soll metaphorisch für die Uniformierung der SS stehen 16 Facebook-Profil ag saxoNIa (Stand: 26. Juli 2016, Schreibweise wie im Original) 17 Halal-Fleisch wird durch Schächten erzeugt. 18 Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN (Stand: 20. April 2016) 19 Facebook-Profil ag saxoNIa 3.0 (Stand: 12. September 2016, Schreibweise wie im Original) 14 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Zudem wurde auf einer Veranstaltung der JN sachseN zum 1. Mai auch ein Transparent mit der Aufschrift "Zinsknechtschaft brechen" mitgeführt.20 Dieses verweist auf die alte antisemitische Propagandaphrase der jüdischen Herrschaft über die internationalen Finanzmärkte. "Politiker, die ihr Volk in den Landtagen und in Berlin verraten haben und das für Kapitalismus, Multikultur, USA und Israel", seien für die derzeitigen politischen Probleme Deutschlands verantwortlich. Dies bringt den antisemitischen Hintergrund rechtsextremistischer Kritik auf den Punkt.21 Seit einigen Jahren gibt es jedoch Rechtsextremisten, die dieses Feindbild nicht mehr teilen, sondern sogar explizit ablehnen. Dies wird z. B. bei der IDeNtItäreN BeweguNg sichtbar. Sie bedient sich zwar nach wie vor, teilweise sehr aggressiv, anderer Feindbilder, weist jedoch die üblichen antisemitischen Positionen - vor dem Hintergrund der ihrer Meinung nach ausschließlich von muslimischen Einwanderern ausgehenden Gefahr - ausdrücklich zurück. Dies gilt ebenfalls für die oft an antisemitische Positionen angehängten Verschwörungstheorien.22 Politische Gegner Der politische Gegner, d. h. insbesondere gegen den Rechtsextremismus aktiv vorgehende Personen, ist für Rechtsextremisten, abgesehen von dem "System", der Feind an sich. Deshalb werden in der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern massive Beleidigungen und höchste Gewaltbereitschaft sichtbar. Allgemein bekannt sind die vor allem von gewaltbereiten Rechtsextremisten verwendeten Slogans: "Good night left side" oder auch "Linkes Gezeter - Neun Millimeter". Die Auseinandersetzung beginnt bereits auf der ideologischen Ebene und setzt sich bis hin zur tätlichen Konfrontation fort. Im Februar 2016 verwendeten die JN sachseN ein Zitat von Ernst Jünger23: "Wo der Liberalismus seine äußersten Grenzen erreicht, schließt er den Mördern die Tür auf. Das ist Gesetz!"24 Dies stand im Bezug zu den Anschlägen in Bayern im Juli 2016. Im selben Zusammenhang wurde getitelt: "Wer links wählt ist Mittäter".25 Die Diffamierung von politisch links zu verortenden Parteien im Bundestag als "Sozialfaschisten" illustriert deutlich, dass die Ausfälle gegen die Antifa nur die Spitze einer grundlegenden Feindschaft gegen Quelle: Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN politisch Andersdenkende sind. (Stand: 3. Mai 2016) 20 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 4. April 2016) 21 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 26. April 2016) 22 vgl. hierzu den Vlog - 32 "Jüdische Weltverschwörung" des YouTube-Kanals Identitarian View vom 5. Januar 2015, in dem der Vorsitzende der IDeNtItäreN BeweguNg Österreichs solche Verschwörungstheorien ablehnt. 23 Er war einer der Vordenker der "konservativen Revolution" der Weimarer Zeit, auf den sich im Nationalsozialismus bezogen wurde. 24 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 21. Februar 2016) Dieses Zitat wurde als Plakat mit dem Symbol des "Hauses Montag" aus Pirna verbreitet. siehe Abschnitt II.2.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 25 Facebook-Profil JN sachseN (Stand: 25. Juli 2016) 15 Die Konfrontation zeigt sich vor allem bei der sog. Antifa. Sie war und ist der Hauptfeind vieler Rechtsextremisten und wird als eine Art "linke Übermacht" skizziert, die mit allen Mitteln bekämpft werden müsse. So ist etwa von "Brandstiftern" oder "widerliche(r)m Menschenschlag" die Rede.26 Zu diesem Feindbild gehört bereits das allgemeine Engagement gegen Rechtsextremismus. So wurden Teilnehmer an gegen Rechtsextremismus gerichteten Demonstrationen während der Ereignisse in Bautzen als "linke[r] Abschaum" bezeichnet.27 Es geht bei dem Kampf gegen den politischen Gegner nicht um das Erringen besserer Lösungen. Vielmehr strebt man mit diesen Feindbilder an, den Gegner endgültig zu besiegen. Linksextremismus Ideologische Feinde Das Selbstbild linksextremistischer Gruppen und Personen basiert auf einer fundamentalen Ablehnung herrschender Zustände: Linksextremismus definiert sich zuallererst als Anti- * Faschismus, * Rassismus, * Kapitalismus, * Nationalismus, * Sexismus, * Repression und * Militarismus. Damit entwickelt sich das Selbstbild insbesondere in Abgrenzung zum politischen Gegner und zu den Feindbildern Rechtsextremismus, kapitalistische Wirtschaftsordnung, Patriarchat, Staat und Nation. So erklärt die linksextremistische Gruppe PRISMA aus Leipzig ihr Selbstverständnis: "Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv gegen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus insgesamt kämpft, (...), die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung und Diskriminierung orientiert." 28 Aus der Perspektive linksextremistischer Gruppen begründen "kapitalistische Produktionsund Eigentumsverhältnisse" die politischen Herrschaftsverhältnisse, die ihrerseits ursächlich für einen "rassistischen Konsens der Mehrheitsgesellschaft" seien. Das zu bekämpfende Zusammenspiel von "kapitalistischer Gesellschaft", "repressivem Staat" und "rechtem Mob" werde insbesondere durch die staatliche Asylpolitik und das Erstarken der Partei Alternative für Deutschland (AfD) verdeutlicht, die einen Rassismus der Mitte vertrete. Nirgendwo funktioniere dieses Zusammenspiel demnach besser als im Freistaat Sachsen, in dem ein "rassistischer Normalzustand" herrsche. Besonders Dresden gilt als Symbol und Ausgangspunkt der Restauration eines "neuen deutschen Nationalismus". 26 Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN (Stand: 30. April 2016) 27 Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN (Stand: 8. September 2016) 28 PRISMA: zit. aus: IL Zwischenstandspapier, prisma.blogsport.de/prisma (Stand: 30. September 2016) 16 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Sachsen oder der Begriff "Kaltland"29 stehen demnach für die Bündelung all dessen, was beseitigt werden müsse: "Alltagsrassismus, gezielte (Neo-)Nazi Angriffe, staatliche Repression, Forderungen nach immer mehr Abschottung, rechter Rollback und 27 Jahre CDU-Regierung... das ist Sachsen." 30 Feindbilder entwickeln ihre Anziehungskraft Transparent zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden, Bildausschnitt, Quelle: 3oct.net/ (Stand: 29. September 2016) durch eine klare Freund-Feind-Setzung und die Möglichkeit, Gewaltanwendung rechtfertigen zu können. Der politische Gegner wird nicht als legitime Kraft im demokratischen Miteinander betrachtet, sondern soll als (dämonisierter) Feind geschwächt und beseitigt werden. Im Gegensatz zu "Neonazis" hätten nach Ansicht eines Kommentators auf Facebook "Linksradikale" allerdings "ein Gewissen und Moral". In scharfer Abgrenzung zum "menschenverachtende(n) Niveau der Rechten", denen es gleichgültig sei, wer Gewalt erfahre und in welcher Intensität, würde demnach genau differenziert, wann und warum Gewaltanwendung legitim sei.31 Die "strukturelle Gewalt" des Staates und "der rassistische Konsens der Gesellschaft" zwängen nach der Logik linksextremistischen Denkens jedoch zu Widerstand und Gegengewalt, um Missstände "ursächlich" bekämpfen zu können: "Dass Politiker_innen von CDU, SPD, Grüne und Linke den Nazis aus Gründen von Image bis hin zu intensiver Sympathie immer noch sichere Rückzugsorte für Faschismus, Rassismus und Nationalismus lassen, zeigt einmal mehr: Antifaschismus ist und bleibt Handarbeit." 32 Der Handarbeitskurs an der Volkshochschule Sucksen: Antifaschismus bleibt Handarbeit, Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 31. Januar 2016) 29 kaltland.blogsport.eu (Stand: 17. November 2016) 30 [DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016) 31 Black Corner: Hausbesuch in Leipzig - Ein Kommentar, https://www.facebook.com/notes/black-corner/ (Stand: 14. November 2016) 32 Der Handarbeitskurs an der Volkshochschule Sucksen: Sachsen läd ein zur Kommentierung winterlicher Nazischeisze, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 31. Januar 2016, Schreibweise wie im Original) 17 In den Aufrufen zur Störung der zentralen Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2016 in Dresden ging es folglich auch darum, die Feierlichkeiten zum "Desaster" zu machen und "sächsische Verhältnisse" anzugreifen. Um mit dem Aufruf möglichst viele Gruppen zu aktivieren, wurde auf die große Bandbreite der vertretenen Feindbilder hingewiesen: "Fest steht es ist für alle was dabei, ob fieser sächsischer Bulle, vermeintliche Politprominenz, Nazischläger*in, besorgter Bürger oder AfD-Mitglied." 33 Benennung und Vermittlung von Feindbildern Auffällig ist die oftmals abstrakte Benennung von Feindbildern. Mit dem "repressiven (Überwachungs-)Staat", einem "alltäglichen Rassismus" oder der "mörderischen Grenzpolitik" Europas werden häufig strukturelle Probleme einer Gesellschaft thematisiert. Aus der Sicht von Autonomer Zusammenschluss Dresden: [DD] Antifa Action! Linksextremisten werden Menschen in unserer Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen!, Quelle: https:// linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016) Gesellschaft ungleich behandelt, ausgeschlossen und unterdrückt. Vermeintlich "rechte", "rassistische" oder "repressive" Strukturen werden jedoch nicht nur als "unerträgliche Zustände" abgelehnt, sondern ihnen wird über das "Outing" von Personen ein konkretes Gesicht gegeben. Die gezielte Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen bezieht sich aber vorrangig auf Funktionsträger staatlicher und ökonomischer Institutionen und auf mutmaßliche Angehörige rechtspopulisti#Verpisst euch: (K)ein Ende der Gewaltdebatte - Für euch nur scher oder rechtsextremistischer Gruppen. Eine Tränen und Pisse!, Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 24. November 2016) Herabsetzung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sozialen Stellung oder sexueller Präferenzen wird hingegen vehement abgelehnt. Sprachlich wird das Selbstbild zudem über die Betonung einer "widerständigen" Lebenshaltung zwischen Militanz, Revolution und Selbstorganisation markiert. Aus der selbst zugeschriebenen Opferposition heraus müsse man sich gegen Prozesse "staatlicher Repression", "sozialer Verdrängung" und "Ausgrenzung" verteidigen. 33 [DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016, Schreibweise wie im Original) 18 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Dafür brauche es "kollektive solidarische Strukturen". So äußerten sich Leipziger autoNome im Kontext der Errichtung eines Aktionscamps "Soziale Kampfbaustelle" im August 2016: "Wir sind überrascht wie sehr die Stadt und die Polizei Leute dämonisiert, die sich treffen, über ihre Probleme austauschen und sich unterstützen und den Stadtteil selbst gestalten wollen. Selbstorganisation von Bewohner*innen des Viertels und Solidarität mit Betroffenen von Ausgrenzung, Verdrängung und Unterdrückung wird kriminalisiert und öffentlich dazu aufgerufen, sich von diesem Prozess des Widerstandes abzugrenzen." 34 Nicht zuletzt in derartigen Auseinandersetzungen zeigten sich aus der Perspektive linksextremistischer Gruppen immer wieder "sächsische Verhältnisse". Vehement wurde behauptet, dass es eine systematische Verfolgung linker Positionen bei gleichzeitiger Tolerierung oder sogar Beförderung "rechtspopulistischer" und "reaktionärer" Bewegungen gebe. So eile die Polizei in Sachsen herbei, wenn "Linke ein leerstehendes Haus besetzen", während notorischer "Fachkräftemangel und systematische Überforderung" herrschten, wenn der "rechte Mob" tobe.35 Besonders in konfrontativen Situationen zeigte sich eine ausgeprägte verbale Aggressivität, die auf eine Dehumanisierung des Feindes zielte. Beispielhaft dafür stand die Verwendung von Metaphern wie "Bullen" oder "Schweine" für Polizisten. Soziale Kampfbaustelle, (Mobi-) Material / Propaganda stuff, Quelle: aufbauen.blogsport.eu/das-camp/mobi-material Der Polizist wird damit nicht mehr als Individuum (Stand: 25. November 2016) betrachtet, sondern als anonymer Teil einer feindlichen Staatsmacht, die bekämpft werden müsse. Mit einem Aufruf reagierten Linksextremisten auf den Sprengstoffanschlag auf eine Dresdener Moschee unmittelbar vor den Einheitsfeierlichkeiten zum 3. Oktober 2016 in Dresden und verschärften den Ton: "So suhlen sich die Menschenjäger*innen der Bundeswehr und die Schweine auf der 'Blaulichtmeile'". (...) Lasst euch von der massiven Präsenz von Schweinen nicht beeindrucken, gemeinsam und entschlossen können wir diesen erfolgreich entgegentreten." 36 Diese Verunglimpfung ist insofern bemerkenswert, als das Jahr 2016 insgesamt von einer bündnispolitischen Ausrichtung der Szene geprägt war. Es wurde Wert auf vielfältige Kooperationen mit linken und bürgerlichen Akteuren gelegt, um eigene Interessen und Themen breiter anschlussfähig zu machen und den Repressionsdruck nicht weiter zu erhöhen. Daher wurde in Bekennerschreiben oder anderen Wortmeldungen meist weniger konfrontativ und abwertend kommuniziert. 34 beobachter*in: Soziale Kampfbaustelle in Leipzig am 16.08., https://linksunten.indymedia.org (Stand: 16. August 2016, Schreibweise wie im Original) 35 PRISMA: Social Center for all besetzt und geduldet - Jetzt Druck machen!, prisma.blogsport.de/ (Stand: 5. März 2016) 36 [DD]: Antifa Action! Einheitsfeierlichkeiten zum Desaster machen, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. September 2016) 19 Aktionsformen Selbsternannte "Feinde" werden durch verschiedene Aktionsformen benannt und bekämpft. Sie werden auf Demonstrationen möglichst in Hörund Sichtweite attackiert und über "Outing"-Aktionen37 in ihrem persönlichen Umfeld angegriffen. Zum Zwecke der Schwächung und Zerstörung von Strukturen des politischen Gegners werden mit hohem Aufwand Daten von Personen recherchiert, die als "Nazis" oder Rechtspopulisten betrachtet werden. Gewonnene Erkenntnisse werden anschließend online veröffentlicht oder mit Flyer-Aktionen und Aufzügen im unmittelbaren Umfeld dieser Personen bekannt gemacht. Beispielhaft dafür steht das umfangreiche "Outing" von 14 Personen Anfang November 2016, die auf dem Chemnitzer Sonnenberg für die Errichtung eines "Nazi-Kiezes" verantwortlich gemacht wurden. Im Internet38 wurden Wohnadressen, Lebenswege, Arbeitgeber und Aktivitäten von Personen publiziert, denen die Linksextremisten einen Bezug zur rechtsextremistischen Gruppierung rechtes PleNum nachsagten.39 Ziel war eine Schwächung des erklärten Feindes, denn aus ihrer Sicht "müssen (Nazis) mit allen Mitteln" und "auf allen Ebenen" bekämpft werden. Dies schließt auch klandestine Aktionen40 ein, d. h. Aktivitäten gegen vermeintliche Gegner, die teils hohe Sachschäden nach sich ziehen und in Bekennerschreiben als notwendige "Interventionen", Schaffung "antifaschistischer Schutzräume" oder "Abwehr staatlicher Repression" gerechtfertigt werden. So wurden am 22. Juni 2016 in Leipzig sechs Fahrzeuge einer Immobilienfirma in Brand gesetzt. In einem auf linksunten.indymedia veröffentlichten Bekennerschreiben wurde diese Aktion als Solidaritätsbekundung für die von der Räumung des Berliner Szeneobjektes "Rigaer 94" Betroffenen beschrieben: "Doch manchmal, ja selten passiert es das wir uns Freiräume schaffen, in denen wir mal nicht dem ganzen Scheiß, den ihr Gesellschaft nennt ausgeliefert sind. Und ihr verjagt uns aus diesen Räumen, unseren Räumen, unserer Rigaer94. Und nun ist es Nacht und wir stehen auf der Straße...". 41 Auch Fahrzeuge der Polizei gerieten im Zusammenhang mit der Räumung des Berliner Szeneobjektes in den Fokus Leipziger Linksextremisten. So wurden am 16. Dezember 2016 die hinteren Reifen eines Polizeifahrzeuges, das in unmittelbarer Nähe zum Polizeiposten in der Leipziger Wiedebachpassage abgestellt worden war, in Brand gesetzt. Im Bekennerschreiben berief man sich auf "antifaschistische Selbsthilfe" und drohte: "Euer Gewaltmonopol soll uns wehrlos machen, doch wir ermächtigen uns selbst und schlagen zurück. Jedes einzelne Mal. Und diese Karre war nicht die letzte, die brennen wird." 42 Islamismus Im Bereich des Islamismus soll das Thema "Feindbilder" anhand der zurzeit aktivsten und bekanntesten islamistisch-jihadistischen Terrororganisation, dem sog. IslamIscheN staat (IS) skizziert werden. Wie die Anschläge in Würzburg und Ansbach im Juli 2016 sowie der verhinderte Anschlag des am 10. Oktober 2016 in Leipzig festgenommenen Jaber AL-BAKR und der Anschlag in Berlin am 19. Dezember 2016 zeigten, 37 siehe Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 38 siehe Abschnitt 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet 39 siehe Abschnitt II.3.3.3 autoNome außerhalb von Leipzig und Dresden 40 siehe Glossar 41 [LE] Rigaer94!, Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 24. Juni 2016, Schreibweise wie im Original) 42 [LE] Bullenkarre ausgebrannt - Free Thunfisch, Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 16. Dezember 2016) 20 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N steht Deutschland im Fokus des internationalen Jihadismus und des IS. Im Gegensatz zu Rechtsund Linksextremisten propagiert und verbreitet der IS seine Feindbilder hauptsächlich mittels digitaler Medien. Über offizielle IS-Medienstellen, wie z. B. dem international ausgerichteten al-Hayat Media Center, dem Radiosender Al-Bayan oder der IS-nahen Nachrichtenagentur A'maq News Agency, werden mehrsprachige Videound Audiobotschaften, Fotoreihen und Texte sowie z. T. professionell gestaltete Onlinemagazine erstellt. Diese werden durch Unterstützer und Sympathisanten vor allem über soziale Netzwerke weiterverbreitet. Zwei bekannte Magazine des IS sind DABIQ und RUMIYAH. Sie werden in verschiedenen Sprachen produziert und richten sich gezielt an eine weltweite Leserschaft außerhalb der islamischen Welt.43 In ihren Ausgaben thematisieren sie als "Sprachrohre des IS" u. a. die erklärten Feinde der Terrororganisation. Schiiten und Apostaten Ein Kapitel der 13. Ausgabe des DABIQ (2016) widmete sich z. B. den Schiiten44. Der IS bezeichnete die Schiiten in dieser, wie auch in anderen Ausgaben, als Ra-fidah - "Ablehner". Diese abwertende Bezeichnung wurde bereits von sunnitischen Rechtsgelehrten im Mittelalter für die Schiiten verwendet und beinhaltete den Vorwurf, dass diese u. a. die von den Sunniten als ehrwürdig erachteten Prophetengefährten ablehnen. Dies wird als Beleidigung und Entehrung des Islams aufgefasst. Der IS unterstellt verschwörungstheoretisch, die Ra-fidah habe das Ziel, den wahren Islam aus der islamischen Gemeinschaft (Umma) heraus zu zerstören. Dies erfolge zum einen durch die Verbreitung von schiitischen "Irrlehren", wie z. B. der Ablehnung der Prophetengefährten und des sunnitischen Kalifats zugunsten der schiitischen Imame. Zum anderen wirft der IS den Schiiten vor, sich im Verlauf ihrer gesamten Geschichte mit den Feinden des Islams - d. h. Christen, Juden und Heiden - verbündet zu haben, um gegen den Islam und die Muslime zu kooperieren. Aufgrund dieser Vorwürfe erklärt der IS die Schiiten unter Benutzung des Takfir (Exkommunizierung) zu Murtaddiyin, d. h. zu Glaubensabtrünnigen. Es wird hierbei keine Unterscheidung zwischen den schiitischen religiösen bzw. politischen Führern und dem schiitischen "Volk" gemacht. Für den IS und seine Anhänger steht fest: "Die Ra-fidah sind Muschrik Apostaten, welche überall getötet werden sollen, wo sie angetroffen werden. Dies, bis kein Ra-fid mehr auf dem Angesicht der Erde wandelt." 45 Religiöses Ereignis von Schiiten; Quelle: DABIQ, 13. Ausgabe, S. 45; 2016; Übersetzung: "Die religiösen Anlässe der Ra-fidi sind Festlichkeiten des Kufr und der Häresie." Hinweis: Gesichter wurden unkenntlich gemacht. 43 siehe Abschnitt 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet 44 Der gesamte Abschnitt basiert auf der englischen DABIQ-Ausgabe Nr. 13, S. 32 - 45, 2016. 45 DABIQ-Ausgabe Nr. 13, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt 21 Neben den Schiiten gibt es auch Sunniten, die vom IS als Feinde betrachtet und durch eine Takfir zu Apostaten und Ungläubigen erklärt werden. In der 13. Ausgabe des DABIQ wird zur Ermordung saudi-arabischer Imame aufgerufen, da diese sich offiziell gegen das Jihad-Verständnis des IS gestellt hätten und damit Glaubensabtrünnige seien.46 In der 14. Ausgabe des DABIQ zählte der IS unter dem Titel "Tötet die Imame des Kufr im Westen!" verschiedene prominente Imame und muslimische Gelehrte in Europa, Australien und USA auf. Nach dem Islamund Schariaverständnis des IS haben sich diese Personen aufgrund ihrer religiösen oder politischen Positionierungen der Apostasie schuldig gemacht und seien daher mit dem Tod zu bestrafen. U. a. wird auch der bekannte salafistische Prediger Pierre VOGEL aufgeführt, ein Vorkämpfer der salafistischen Szene in Deutschland. 47 Quelle: DABIQ, 13. Ausgabe, S. 6; 2016; Übersetzung: "Tötet die Imame des Kufr" Der IS beschränkt sich mit der Praxis des Takfir nicht nur auf Personen. In derselben DABIQ-Ausgabe wird auch die gesamte islamistische muslImBruDerschaft48 mit ihren verschiedenen Zweigen und Filialen als "Apostaten-Bruderschaft" diffamiert. Die Begründungen hierfür wiederholen sich: Abweichung vom wahren Islam durch die Verbreitung von Irrlehren und Zusammenarbeit mit den Feinden des Islam, d. h. dem "Westen" und den Schiiten.49 In den Augen des IS sind diese "abgefallenen" sunnitischen Muslime und hier besonders die Rechtsgelehrten noch verkommener und schuldiger als die "natürlichen Ungläubigen". So sei diesen "Apostaten" der Koran und Quelle: DABIQ, 14. Ausgabe, S.16; 2016; Übersetzung: "Die Apostaten Bilal Philips und Pierre Vogel" die wahre Sunna bekannt, folglich müssten sich über ihren Zustand des Unglaubens (Kufr) im Klaren sein.50 46 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 7, 2016 47 siehe Abschnitt II.4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und in Sachsen 48 siehe Abschnitt II.4.5 Islamismus - Ausblick 49 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 28 - 43, 2016 50 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 7, 2016 22 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N "Der Westen" Ein weiterer Feind, der in sämtlichen Ausgaben von DABIQ propagiert wird, sind "der Westen" oder auch die "Kreuzfahrer". Mit der Bezeichnung "Kreuzfahrer" bzw. "Kreuzfahrerarmeen" werden zumeist Länder tituliert, die der IS mit Krieg gegen Muslime in Verbindung bringt, wie z. B. Japan, Neuseeland oder die Philippinen51. Unter dem Begriff "Westen" versteht diese Terrororganisation vor allem die Kultur und Länder Europas, Nordamerikas und Australiens. "Westen" und "christlich" wird in den Magazinen dabei oft synonym verwendet. In der 15. englischen Ausgabe des DABIQ, die unter dem Titel "BREAK THE CROSS", d. h. "Zerbrecht das Kreuz" erschien, wurden in Quelle: DABIQ, 15. Ausgabe, 2016; Titelseite; Übersetzung: "Zerbrich das Kreuz" einem mehrseitigen Artikel unter der Überschrift, die übersetzt "Warum wir euch hassen & warum wir euch bekämpfen" lautete, theologische sowie politische Argumente aufgeführt, um den Hass und den Kampf gegen die "heidnischen Christen" zu legitimieren. Hauptvorwürfe waren u. a. die christliche Lehre der Trinität (Dreifaltigkeit) und dadurch die Leugnung der Einheit Gottes sowie die Verbreitung verschiedenster "dekadenter" und "atheistischer" Lehren, wie z. B. den Säkularismus, die dem Schariaverständnis des IS widersprächen. Die militärischen Interventionen in muslimischen Ländern wurden nur als sekundärer Grund aufgeführt. Es fällt auf, dass der Begriff "Christen" nicht differenziert betrachtet wird. Auch Atheisten werden zu den Christen gezählt.52 Im Gegensatz zu den zu Apostaten erklärten Muslimen, haben die Christen, die als Kuffar asliyyin (in etwa "ursprüngliche Ungläubige") und "Volk des Buches" bezeichnet werden, die Möglichkeit, durch Konversion einen temporären Waffenstillstand zu erreichen. Alternativ könnten sie auch durch Unterwerfung und Zahlung der Kopfsteuer (Jizya) dem Tod entgehen. Juden Dieselben Optionen hätten auch die Juden als "Volk des Buches". Dennoch werden sie als Erzfeinde des Islams und der Muslime wahrgenommen. Gemäß der antisemitischen Sichtweise des IS haben Juden das Ziel, den Islam und die Muslime zu zerstören. Zu diesem Zweck würden sie sich aller erdenklichen Mittel bedienen. Eines dieser sei z. B. die gezielte Gründung der Rafidah, d. h. des schiitischen Islams.53 Die erfolgte Aufzählung der Feindbilder des IS ist bei weitem nicht vollständig. Betrachtet man die offiziellen IS-Medien, so lässt sich feststellen, dass eigentlich jeder Mensch, der nicht das Islamverständnis des IS vollumfänglich unterstützt bzw. diesem akkurat folgt, als Feind gesehen wird. In der extremen schwarzweißen Sicht des IS gibt es nur den wahren Islam und den zu bekämpfenden Unglauben (Kufr). 51 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 26, 2016 52 vgl. DABIQ, Ausgabe 11, S. 30 - 33, 2016 53 vgl. DABIQ, Ausgabe 13, S. 33, 2016 23 Sprachliche Mittel und deren Zweck Durch das Zitieren von Koransuren, Prophetenüberlieferungen und Meinungen bzw. Aussagen einschlägiger, mittelalterlicher und neuzeitlicher islamischer Gelehrter wird der eigene religiöse Wahrheitsanspruch auch in Bezug auf die Darstellung der Feinde legitimiert. Die Autoren bedienen sich darum auch in den englischen Texten der bekannten arabischen, islamisch-religiösen Termini und Namen (z. B. Murrtad 54, Kafir asli 55; halal 56, Dhimma 57, Akhirah 58). Dies soll die tiefe Frömmigkeit und Gelehrsamkeit der Autoren bzw. des IS untermauern. Die Bezeichnungen der Feinde mit mittelalterlichen, religiös und geschichtlich negativ behafteten Namen, wie z. B. Rafidah, Crusader (Kreuzfahrer), Rumiyya (Rom), werden gezielt benutzt, um die aktuellen Konflikte in einem seit der Gründung des Islams bestehenden Kampf zwischen Islam und den "Ungläubigen" einzubetten und damit zu rechtfertigen. Die Verwendung dieser Benennungen in Verbindung mit abwertenden Adjektiven, wie z. B. filthy (dreckig) oder sly (hinterhältig), drücken zusätzlich die tiefe Verachtung gegenüber den Gegnern aus. Bei der Leserschaft sollen hierdurch negative Emotionen und Assoziationen geschürt werden. Gleichzeitig sollen es diese Rhetorik und Propaganda dem IS ermöglichen, sich als Beschützer des Islams, der Prophetengefährten und der Sunniten im Allgemeinen zu stilisieren und damit wieder neue Anhänger zu gewinnen. Wandel von Feindbildkonstruktionen Rechtsextremismus Besonders in den letzten Jahren ist vor dem Hintergrund der zeitweise stark an Bedeutung gewinnenden Asylthematik ein signifikanter Wandel in der Feindbildausrichtung von Rechtsextremisten erfolgt. Die Ankunft zahlreicher Asylbewerber vor allem seit Mitte 2015 hat Rechtsextremisten darin bestätigt, dass ein "großer Austausch", mithin eine "gezielte Vermischung der Deutschen", durch ethnisch andere Menschen vollzogen werden solle. In der Vorstellungswelt von Rechtsextremisten wird aktuell von hintergründigen politischen Kräften ein geheimer Vernichtungsfeldzug gegen die Deutschen als biologische Rasse geführt. Die aus Sicht von Rechtsextremisten wünschenswerte rassisch reine Gesellschaft soll so nach und nach gezielt abgeschafft werden. Schlagwörter sind hier die rechtsextremistischen Verschwörungstheorien vom "Hooton"oder "Kalergi"-Plan.59 Durch diese Deutung der aktuellen Geschehnisse erfolgt die Anpassung nationalsozialistischer Vorstellungen an die heutige Zeit. Rechtsextremisten befinden sich in einer behaupteten Verteidigungshaltung gegen eine imaginierte existenzielle Bedrohung, aus der sie die Berechtigung für verbale Diffamierung, aber auch physische Gewaltanwendung gegen ihre Feinde ableiten. 54 arab. für "Glaubensabtrünniger, Apostat" 55 arab. für "natürlicher Ungläubiger" (d. h. Person die im Unglauben geboren wurden) 56 arab. für "erlaubt"/ "zulässig" (im Kontakt des islamischen Rechts) 57 Institution des islamischen Rechts, die den juristischen Status nichtmuslimischer "Schutzbefohlener" Nichtmuslime regelt, die im Herrschaftsgebiet des Islam leben. 58 arab. für "Jenseits" 59 Bei beiden "Plänen" handelt es sich um nach Politikern des 20. Jh. Benannte Verschwörungstheorien, wonach diese Politiker einen konkreten Plan entwickelt hätten, wie man das deutsche Volk biologisch "schwächen" könne. Diese Pläne seien bereits nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt worden bzw. würden immer noch, z. B. durch die aktuelle Asylthematik, umgesetzt. 24 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Die rechtsextremistische Szene versucht, ihre Feindbilder allgemein diskursfähig zu machen. Dies lässt sich etwa in den Redebeiträgen von Rechtsextremisten auf asylkritischen und -feindlichen60 Veranstaltungen feststellen. So nahmen etwa in den Ausführungen des Rechtsextremisten Simon RICHTER asylkritische und -feindliche Überlegungen zur Rolle jüdischer Bankiers und ihrer Machenschaften immer wieder breiten Raum ein.61 Ein ähnlicher, durch vordergründige Finanzkritik verbrämter Antisemitismus ist auch in den Antikapitalismuskampagnen der JN zu finden. Dadurch erscheinen die althergebrachten Teile der Quelle: Facebook-Profil NatIoNale froNt BautzeN rechtsextremistischen Szene einerseits als sich re(Stand: 16. Juni 2016) aktiv wandelnd. Andererseits bewahren sie, getarnt hinter allgemeinpolitischen Diskursen, ihre alten Feindbilder und versuchen, diese "durchzuschleusen", bis sich wieder eine bessere Gelegenheit für deren offene Vermittlung ergibt. Lediglich die Entwicklungsprozesse der IDeNtItäreN BeweguNg und anderer vor allem aus Richtung der Islamkritik kommender rechtsextremistischer Gruppierungen scheinen einen echten Wandel der Feindbilder anzuzeigen. Dort wird Antisemitismus abgelehnt und auch als Abgrenzung zur traditionellen rechtsextremistischen Szene eingesetzt. Allerdings wird dennoch keine Abkehr von einer grundsätzlich menschenfeindlichen Grundhaltung vollzogen. Stattdessen wird auch in diesen Bereichen immer noch davon ausgegangen, dass sich die Konflikte mit verschiedenen Gruppen von Menschen durch die Verweigerung von deren Grundrechten regeln ließen. Das neue Ziel dieser feindseligen Haltung ist nicht mehr "der Jude", sondern "der Muslim" (und nicht etwa nur "der Islamist"). Im Neonationalsozialismus und in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene ist der Wandel der Feindbilder durch eine Schwerpunktverschiebung weg von der direkten Konfrontation mit Asylbewerbern hin zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner feststellbar. Migranten werden zwar vor dem Hintergrund der rassistischen Weltanschauung von Rechtsextremisten weiterhin als Feindbild gesehen und attackiert, allerdings sehen selbst Rechtsextremisten in der Asylthematik ein Mittel, um in erster Linie das Feindbild "System" anzugreifen. Dazu wollen sie eine aktive Strategie der "Raumnahme"62 umsetzen. Schließlich gibt es auch bei Rechtsextremisten den Versuch, Feindbilder des politischen Gegners im eigenen Sinne umzudefinieren. So wird versucht, dem Vorwurf ein Anhänger des historischen Nationalsozialismus zu sein, dadurch zu begegnen, dass man diesen als politische Diffamierung gegen alle 60 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylkritisch" und "asylfeindlich" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrags von 2015 61 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 118 62 siehe etwa die laufenden "Nazikiez"-Kampagnen; Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 25 Deutschen auslegt. So hieß es bei der NPD sachseN: "Sie reden von Nazis und meinen uns Deutsche". 63 Rechtsextremisten setzten vor dem Hintergrund der Asylthematik die Bemühungen um einen Schulterschluss mit nicht extremistischen Kreisen in der Gesellschaft weiter fort. Ihr Mittel ist die Postulierung einer gemeinsamen Opferrolle von sämtlichen Kritikern der aktuellen Asylund Flüchtlingspolitik. Linksextremismus Feindbilder der linksextremistischen Szene sind stark von aktuellen politischen Entwicklungen und strategischen Überlegungen geprägt. Dies lässt sich beispielhaft an der wachsenden Bedeutung der Asylthematik seit 2015 erkennen, die nach Ansicht der linksextremistischen Szene sowohl einen "strukturellen Rassismus" staatlicher Institutionen als auch einen "rassistischen Konsens" der Bevölkerung offengelegt hat. So hätten "reaktionäre" Zusammenhänge in dieser politischen Situation einen Aufschwung erfahren, der das emanzipative Projekt einer vielfältigen und selbstbestimmten Gesellschaft massiv bedrohe. Im Gleichklang damit haben sich auch Feindbilder der linksextremistischen Szene verändert und erweitert. Zu den Trägern eines reaktionären Aufschwunges gehören nach Ansicht linksextremistischer Gruppen nicht nur "Neonazis, SchweigemärschlerInnen, GIDA-BefürworterInnen, VerschwörungstheoretikerInnen", sondern auch Mitglieder bürgerlicher Parteien. Diese seien mitverantwortlich für das europäische Grenzsicherungssystem oder für eine deutsche Austeritätspolitik, die südeuropäische Staaten "ausbluten" lasse. In der Folge war es durchaus umstritten, wie die vorhandenen Kräfte eingesetzt werden sollten: Würde man vor allem aktionistisch gegen rechtsextremistische Übergriffe kämpfen? Blockierte man eher die Aufzüge der verschiedenen "GIDAs" im Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft? Auch fragte man sich, ob die "sächsischen Verhältnisse" eines gesellschaftlichen Rechtsrucks im Zentrum stehen sollten. Angesichts des ungünstigen Kräfteverhältnisses und wegen gemeinsamer Feindbilder hat sich die taktisch-bündnispolitische Strategie der linksextremistischen Szene verstärkt. Komitee gegen Grenzen: [LE] Fight Dublin IV, [Leipzig] Social Center for all in der Platostraße besetzt ++ Quelle: https://linksunten.indymedia.org Jetzt Druck machen, Quelle: https://de.squat.net (Stand: 24. November 2016) (Stand: 5. März 2016) 63 vgl. Facebook NPD sachseN (Stand: 31. Juli 2016) 26 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N Grundsätzlich wurde das Themenfeld Asylpolitik als geeignet betrachtet, um den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus mit vielfältigen Aktionsfeldern und Gruppierungen zu verknüpfen. So sieht sich die Initiative zur Gründung eines "Social Center for all" in Leipzig als eine Bewegung, die Antirassismus mit Gentrifizierungsprozessen verbinde und offen für die Beteiligung unterschiedlicher Akteure sei. Unter Beteiligung von Linksextremisten kam es zur zeitweiligen Besetzung eines Objektes vom 5. bis zum 7. März in Leipzig durch ein Bündnis verschiedener Gruppen. Aus Sicht der Besetzer sollten Asylbewerber einerseits menschenwürdig untergebracht und andererseits dem staatlichen Asylsystem entzogen werden. Menschen mit und ohne Papiere dürften demnach nicht länger getrennt werden und "Frauen, Homosexuellen, Trans*menschen" sowie Kindern sollte ein sicherer Ort der Entfaltung geboten werden. "Solidarisches Miteinander" begründete sich auch in diesem Fall in der Frontstellung gegenüber staatlicher Asylpolitik und "Behördenwillkür" sowie "rechten Brandstifter*innen".64 Bündnispolitisches Handeln von extremistischen und nicht extremistischen Gruppen ließ sich auch in den Themenfeldern Umweltschutz und Anti-Kapitalismus feststellen. Bei den Aktionskampagnen "Ende Gelände" oder gegen die Freihandelsabkommen "CETA" und "TTIP" gab es zahlreiche Überschneidungen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Ablehnung des Zusammenhangs von Kapitalismus, Freihandel, Klimawandel und Kohle. Im Jahr 2016 wurden jedoch auch Gewissheiten auf die Probe gestellt. So forderten u. a. die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht 2015/16 dazu heraus, feministische Positionen sowie das eigene Verhältnis zum politischen Islam zu hinterfragen. Der eingeübte Schulterschluss mit Migranten kollidierte mit dem Anspruch, gegen patriarchale Machtstrukturen zu kämpfen. Für viele Linksextremisten stellt sich die Frage, wie man solidarisch mit Asylbewerbern überwiegend muslimischen Glaubens sein und dennoch sexistische Übergriffe oder das Erstarken religiös befeuerter Konflikte problematisieren könne. "Es ist bizarr, aber wenig verwunderlich, dass Pegida, AfD, Antifeminist*innen und allerlei Personen, die sich noch nie für Frauen*rechte interessiert haben, nun plötzlich als Beschützer*innen von "deutschen, weißen Frauen" auftreten. Die Körper der angegriffenen Frauen* werden instrumentalisiert, um eine rassistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete und insbesondere muslimische Migranten zu betreiben." 65 Das etablierte Feindbild des "weiße(n) Mehrheitssexismus" wurde hier noch mit dem Verweis auf eine rassistische Instrumentalisierung feministischer Kämpfe durch "reaktionäre" Kräfte begründet. Doch zeigte sich im Jahresverlauf, dass diese Betrachtungsweise der komplexen Problematik nicht gerecht wurde. So musste sich zum Beispiel das Plenum des Leipziger "Conne Island" Anfang Oktober fragen, wie man mit geflüchteten jungen Männern umgeht, die sich nicht an die gemeinsam verabredeten Regeln der Feierkultur hielten und weibliche Besucher belästigt hätten.66 Trotz der Angst vor Rassismusvorwürfen hielt man eine Diskussion innerhalb der Linken für unumgänglich und wollte die Deutungshoheit nicht länger den Rechtspopulisten überlassen. Der Islam sei nach Auffassung der Redaktion von "outside the box"67 schließlich keine "Rasse", sondern eine Religion und "Religionen müssen kritisiert 64 Social Center for all! Leipzig: Die Häuser denen, die sie brauchen! socialcenter-leipzig.de/aufruf/deutsch (Stand: 24. November 2016) 65 PRISMA: Gemeinsam kämpfen! Feministisch! Antirassistisch! Solidarisch!, prisma.blogsport.de (Stand: 16. Februar 2016) 66 Conne Island: Ein Schritt vor, zwei zurück, https://www.conne-island.de (Stand: 7. Oktober 2016) 67 Redaktion outside the box: Was soll das? Gegen den Kurzschluss zwischen Islamkritik und Rassismus, outside-mag.de/papers/64 (Stand: Dezember 2015). "outside the box" ist eine 2008 in Leipzig gegründete Zeitschrift, die vorzugsweise Artikel zur feministischen Gesellschaftskritik veröffentlicht. 27 werden können, zumal dann, wenn es sich um eine derart wirkmächtige politische Kraft handelt". Die Reaktionen auf das veröffentlichte Positionspapier des "Conne Island" waren entsprechend gespalten und reichten von Anerkennung bis hin zu dem Vorwurf, in dieser Situation auch auf die Hilfe der Polizei zurückgegriffen zu haben. So äußerte sich ein anonymer Kommentator auf linksunten.indymedia: "Wie kommt mensche auf die Idee die Bullen zu rufen? Erst verteidigt ihr das Viertel gegen Bullen und jetzt ruft ihr die selber? Geht's noch? Und dann auch noch für Flüchtlinge, da muss ich meinen Vorschreiber recht geben, ihr seid Mitschuld an einer möglichen Abschiebung." 68 Islamismus am Beispiel des IslamIschen staates Wie bereits aufgezeigt, erklärt der IslamIsche staat (IS) jeden Menschen zu einem "Ungläubigen", der nicht seinem Islamverständnis folgt. Je nach religiöser Einordnung, z. B. als Murtadd (Glaubensabtrünniger) oder Kafir asli 69, bzw. dem politischen Verhältnis zum IS, hat dies schwerwiegende Folgen. Auf dem Gebiet des IS reichen diese von Versklavung über die Zahlung von Kopfsteuer bis zu Hinrichtungen. Alle "Ungläubigen", d. h. nicht dem Islamverständnis des IS folgende Menschen, die sich im "Haus des Unglaubens" (Dar al-kufr) aufhalten würden (d. h. in keinem Bundverhältnis zum IS stehen), dürften, wenn erforderlich, z. B. durch Terroranschläge, getötet werden. Dies gelte auch für die Frauen und Kinder der "Ungläubigen", wobei eine Versklavung hier - falls möglich - vorzuziehen sei.70 Dieser aktuell propagierte und umgesetzte Umgang mit Feinden wurde bereits bei den Vorgängerorganisationen des IS, wie z. B. der al-QaIDa IN mesoPotamIeN (aQm) durchgeführt. So kam es etwa schon 2006 zu einem Konflikt zwischen der damaligen al-QaIDa Führung und der vom Jordanier Abu Musab AZ-ZARQAWI geführten Filiale AQM. Diese fokussierte im Irak ihre Terroranschläge aber auch Hinrichtungen gezielt auf die "nahen Feinde", d. h. auf Schiiten und z. B. auch auf mit diesen verbündete Sunniten. Ziel war die Entfesselung eines Religionskriegs. Die Mutterorganisation hingegen bevorzugte und befürwortete Angriffe auf US-Ziele. Das grausame Vorgehen gegenüber Schiiten und sunnitischen "Apostaten" des AQM bzw. der Nachfolgeorganisationen, wie ISIS, war einer der vielen Gründe, warum der al-QaIDa-Führer ZAWIHIRI im Februar 2014 öffentlich der - damals noch als ISIS bezeichneten - Organisation unter Abu Bakr AL-BAGHDADI den Treueeid auf al-QaIDa aufkündigte.71 Durch militärische Erfolge kam es in den Jahren 2014 bis 2016 zu einer raschen, territorialen Ausdehnung des im Juni 2014 ausgerufenen IslamIscheN staates und damit auch zeitlich wie räumlich zu der entsprechenden operativen Umsetzung ihrer Ideologie. Waren vor Gründung des Kalifats vor allem Schiiten im Irak direkt von Terror und Gewalt erfasst, so waren nun auch kurdische Gruppierungen, Jesiden, irakische Christen, sunnitische "Abtrünnige" auch in Syrien und verstärkt auch der "Westen" bzw. die "Kreuzfahrer" betroffen. In den eroberten Gebieten wurde soweit möglich das Scharia-Verständnis des IS implementiert. Für gefangengenommene "Apostaten" bedeutete dies die Todesstrafe, für Frauen und Kinder von Jesiden z. B. die Versklavung. Im Gebiet außerhalb des Machtbereichs des "Kalifats" ist die Tötung von "Ungläubigen" zumindest geduldet oder sogar explizit erlaubt. 68 Anonym: @ Liebe Leute, Kommentar zu: Conne Island: [LE] Ein Schritt vor, zwei zurück, https://linksunten.indymedia.org (Stand: 11. Oktober 2016, Schreibweise wie im Original) 69 arab. für "natürlicher Ungläubige" (d. h. Person die im Unglauben geboren wurden) 70 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 35, 2016 71 https://www.brookings.edu/testimonies/comparing-al-qaeda-and-isis-different-goals-different-targets/ (Stand: 28. November 2016) 28 HASSOBJEKTE - FEINDBIL D K O N S T R U K T I O N E N V O N E x T R E M I S T E N In der ersten Ausgabe von RUMIYAH lautete eine Überschrift "Das Blut des Kafirs ist halal für dich, darum vergieße es". Der IS macht zusammenfassend mit dem folgenden Zitat seine menschenverachtende Ideologie deutlich: "Muslime die sich gegenwärtig im Dar al-Kufr aufhalten, müssen daran erinnert werden, dass das Blut der Ungläubigen halal ist und ihre Tötung eine Form der Verehrung Allahs (...). Die schließt Quelle: RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 34, 2016; Übersetzung: "Das Blut des Kafirs ist halal für dich, darum vergieße es." den Geschäftsmann ein, der in einem Taxi zur Arbeit fährt, junge Erwachsene (...) die sich im Park sportlich betätigen sowie den alten Mann, der in einer Schlange steht um ein Sandwich zu kaufen. Sogar das Blut des Kafir - Blumenhändlers auf der Straße darf halal vergossen werden (...). Alle Kuffar, die nicht unter einem Dhimma-Vertrag stehen, sind legitime Ziele." 72 Fazit und Ausblick Insbesondere das Bild des vom IS willkürlich ausgewählten Blumenhändlers steht exemplarisch für das Trennende und das Gemeinsame in den Feindbildern von Extremisten. Zum einen zeigt sich hier als verbindendes Element die absolute Schrankenlosigkeit extremistischer Feindbilder. Allen Extremismen sind letztlich Grundhaltungen eigen, die sich im Zweifel gegen jeden richten, der nicht in ihr Weltbild passt. Auch vor schweren Quelle: RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 37, 2016; Übersetzung: "...sogar das Blut des fröhlichen Gewaltstraftaten wird nicht zurückgeschreckt. Kreuzfahrer-Bürgers, der Blumen an Passanten verkauft". Dass der Blumenhändler Enver Simsek durch den Hinweis: Gesicht unkenntlich gemacht. NSU ermordet wurde, nur weil er einen Migrationshintergrund hatte, und dass der IS nun seinerseits Blumenhändler als ernstzunehmende Feinde auserkoren hat, macht das Absurde und Erschreckende extremistischer Feindbilder deutlich. Allen extremistischen Phänomenbereichen ist eine zunehmende Ausdehnung der Feindbilder gemeinsam. Während Rechtsund Linksextremisten sich zur Asylthematik positionieren mussten, richteten sie den Blick auf immer größere Zusammenhänge. Ging es zunächst nur konkret um Migranten, zielen Rechtsextremisten inzwischen wieder vor allem auf das "System" als solches. Auch Linksextremisten nutzen die Asylpolitik, um gegen den "repressiven" Staat, einen "nationalistischen Konsens" und "rassistische" Strukturen in der Gesellschaft zu polemisieren. Nicht nur der "Nazi" wird als Feind betrachtet. Vielmehr sei generell ein "Rechtsruck" erfolgt. Daher müssten breitere Teile der Bevölkerung und des politischen Systems bekämpft werden. Ganz ähnlich sieht sich auch der IS von übermächtigen Gegnern in einem messianischen globalen Krieg konfrontiert. 72 vgl. RUMIYAH, Ausgabe 1, S. 36, 2016 29 Unterschiede gibt es vor allem im strategischen Vorgehen bei der Bekämpfung der jeweiligen Feinde. Rechtsextremisten orientieren sich eher an der konkreten Konfrontation mit ihren Feinden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um Asylbewerber oder politische Gegner handelt. Linksextremisten richten ihr Vorgehen mit Blick auf die jeweiligen Machtverhältnisse aus. Sie verfolgen daher oft eine doppelte Strategie: Einerseits wird bürgerliches Engagement gegen Rechtsextremismus genutzt und man bringt sich in entsprechende Bündnisse ein. Andererseits wird mit Gewalt die direkte Konfrontation mit einzelnen Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Gruppierungen gesucht. Der IS hingegen hat vor allem den Umfang der zu bekämpfenden Feinde vor dem Hintergrund seiner territorialen Expansion ausgeweitet. Entsprechend seiner extremistischen Grundhaltung war die entstandene Verantwortlichkeit für zahlreiche Menschengruppen, die er zu seinen Feinden zählt, wiederum kein Anlass, die Umsetzung der eigenen Ideologie der Realität anzupassen. Stattdessen wurden immer grausamere Mittel zur Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung angewandt. Dies erfasste schließlich auch Gruppen und Personen, die von ihrer Grundhaltung als Verbündete des IS betrachtet werden können, wie z. B. andere aktive jihadistische Terrorgruppen. Mit solchen Zielkonflikten sind jedoch auch Rechtsund Linksextremismus konfrontiert. Bei Linksextremisten kollidieren etwa - wie bereits dargestellt - eigene Ansichten und Wertvorstellungen mit jenen von Migranten. Rechtsextremisten hingegen gelingt es zwar, ihre Feindbilder auch in nicht extremistische Diskurse einzubringen, sie schaffen es aber kaum, den im neonationalsozialistischen und im subkulturell geprägten Spektrum vorhandenen Wunsch nach direkter Konfrontation in eine politisch langfristige und erfolgversprechende Strategie umzumünzen. Die weitere Entwicklung ist hier vom konkreten Ereignisverlauf abhängig. Weitere islamistische Anschläge in Deutschland dürften vor allem die muslimfeindlichen Agitationen und Aktivitäten von Rechtsextremisten erhöhen. Ebenso sind zunehmende Konfrontationsspiralen zwischen Rechtsund Linksextremisten vor dem Hintergrund der asylbezogenen Aktivitäten beider Szenen zu erwarten. Dies dürfte mit einer Verschärfung des Feindbildes des politischen Gegners einhergehen. Im Rechtsextremismus werden vermutlich parteigebundene bzw. dogmatische Akteure vor allem das Feindbild "System" weiterhin pflegen und das politische Tagesgeschehen in diesem Sinne deuten. Im Linksextremismus werden dies vor allem autonome und postautonome Gruppen aktiv vorantreiben. Dies wiederum wird der militanten rechtsund linksextremistischen Szene als Rechtfertigung für konkrete Angriffe dienen. Im Islamismus wird die Entwicklung des IS den weiteren Umgang mit den Feindbildern bestimmen. Bei voranschreitendem militärischem Niedergang werden vermutlich wieder eher die "Kreuzfahrer" und der "Westen" als Ziele in den Vordergrund treten, während das Verhältnis zu anderen Muslimen an Bedeutung verlieren wird. Ähnlich wie der Antisemitismus im Rechtsextremismus werden allerdings auch diese Feindbilder des IS mit dem Verlust an Aktualität nicht aufgegeben, sondern lediglich zurückgestellt werden. Diese aggressive menschenverachtende Grundhaltung aller Extremisten bringt letztlich eine bemerkenswerte Stabilität der Feindbilder unabhängig von der konkreten Ausrichtung mit sich. Sie variieren je nach den konkreten Verhältnissen lediglich in Bezug auf ihre Ausgestaltung, Schwerpunktsetzung und Umsetzungsstrategie. Es ist diese Grundhaltung, die dazu führt, dass Extremisten stets Feinde bekämpfen wollen. 30 RECHTSExTREMISMUS 2. Rechtsextremismus 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auch wenn es innerhalb des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht selten sogar im Widerspruch zueinander stehen, stimmen Rechtsextremisten in folgenden Themenfeldern grundsätzlich überein: Rassisch definierte "Volksgemeinschaft" als Souverän zu Lasten der Freiheitsrechte des Einzelnen Der Staat soll organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen "Volksgemeinschaft" sein. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volkes soll dabei von staatlichen Führern verkörpert und in reale Politik umgesetzt werden ("Völkischer Kollektivismus"). In einem durch den homogenen "Volkswillen" legitimierten Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition, fehlen. Fremdenfeindlichkeit, auch in Form von Rassismus und Antisemitismus Nach der Vorstellung von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" und vor einer "Völkervermischung" bewahrt werden. Es wird befürchtet, dass die "Rasse" des deutschen Volkes infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut" untergehen würde. Die pauschale Ausgrenzung von Menschen, die nicht diesem völkischen "Ideal" entsprechen, widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, welcher in unserer Verfassung garantiert ist. Die Würde des Menschen, die bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen eigen ist, wäre von der biologisch-genetisch definierten Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft abhängig. Antisemitismus ist ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Strömungen. Er tritt in unterschiedlichen Varianten religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung auf. Häufig werden dabei antisemitische Stereotype, wie die Behauptung einer "jüdischen Weltverschwörung" oder einer angeblich jüdisch dominierten Weltwirtschaft, verbreitet. Diese Ausprägung des Antisemitismus wird vor allem vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 stärker hervorgehoben. Rechtsextremisten suchen dadurch Anschluss, insbesondere an israelkritische Positionen, im Rahmen des Nahostkonfliktes. In der jüngsten Vergangenheit haben sich Rechtsextremisten auch anderer ausgrenzender Argumentationslinien bedient. So sprachen sie Muslimen auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit Rechte ab, die in den Freiheitsund Gleichheitsversprechen der Verfassung verbürgt sind. Zur Tarnung ihrer rassistischen Argumentationsweise wird diese nach außen hin als Ablehnung der fremden "Kultur" und nicht etwa der konkreten Menschen dargestellt. 31 Revisionismus und Holocaustleugnung Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auch wird versucht, den Holocaust und andere Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Handlungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, zu relativieren. Die Leugnung des an den europäischen Juden begangenen Völkermords erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus ist die Rede, wenn Rechtsextremisten die Anerkennung der deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege ablehnen oder sogar weitere Gebiete - entgegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland seit 1918 beziehungsweise seit 1945 eingegangen ist - für Deutschland beanspruchen. Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen. Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus Durch ihre Äußerungen zeigen Rechtsextremisten häufig - zumindest mittelbar - eine wohlwollende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Vermeintlich positiv zu bewertende Handlungen der historischen Nationalsozialisten werden überbetont oder beschönigt. Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime werden diffamiert. Auch glorifizieren Rechtsextremisten nationalsozialistische Funktionsträger aus jener Zeit, z. B. Rudolf Heß, den ehemaligen Stellvertreter Adolf Hitlers. Darüber hinaus lehnen sie sich zum Teil eng an Sprache und Programmatik dieser Zeit an. Verächtlichmachen von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu einer Verunglimpfung des demokratischen Verfassungsstaats und seiner Repräsentanten. Deutsche Politiker werden dabei als per se unfähige und korrupte Handlanger ausländischer, insbesondere US-amerikanischer Interessen, diffamiert. Rechtsextremisten streben auf diese Weise an, sich als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes darzustellen und den politischen Gegner als Verräter zu diskreditieren. Rechtsextremistischer Antiamerikanismus In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA in besonderem Maße ein Feindbild. Der "amerikanische Schmelztiegel", der viele Volksgruppen in einer Nation umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zum Konzept einer homogenen "rassisch" definierten Volksgemeinschaft, die das Zusammenleben in einem Staat prägen soll. 32 RECHTSExTREMISMUS 2.2 Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotential in Sachsen stagniert im Vergleich zum vergangenen Jahr auf weiterhin hohem Niveau. So gehörten den Personenzusammenschlüssen auch im Jahr 2016 etwa 2.700 aktive Rechtsextremisten an. Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen 2016: ca. 2.700 2015: ca. 2.700 (bundesweit 2015: 22.600)73 2800 2750 2700 2700 2700 2700 2670 2650 2600 2600 2550 2500 2500 2500 2500 2450 2400 2350 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Ursächlich hierfür sind Entwicklungen in den verschiedenen Spektren der rechtsextremistischen Szene: Zum einen hat sich der Niedergang der nationaldemokRatischen PaRtei deutschlands (nPd) weiter fortgesetzt. Hier kam es zum vollständigen Erliegen der Aktivitäten einiger Kreisverbände. So stellten teilweise auch bisher aktive Mitglieder ihre politischen Tätigkeiten für die NPD ein. Die NPD-Führung vermochte im Jahr 2016 keine politischen Akzente mehr zu setzen. Kaum aktive Strukturen und innerparteiliche Differenzen bewirkten einen massiven Mitgliederrückgang. Das Mitgliederpotenzial wird gegen Ende 2016 auf ca. 420 Mitglieder geschätzt. Dies entspricht einem Verlust von fast einem Drittel der Mitglieder. Eine ähnliche Entwicklung war auch bei den Jungen nationaldemokRaten (Jn), der Jugendorganisation der NPD, zu verzeichnen. Dort ging das Personenpotenzial von 110 im Jahr 2015 auf 85 Personen im Berichtsjahr zurück. Obwohl die JN in den vergangenen Jahren wesentliche, vor allem aktionsorientierte Teile der neonationalsozialistischen Szene aufnehmen konnten, hat sich daraus keine langfristige Dynamik entwickelt. Stattdessen sind Teile dieses Personenkreises mittlerweile wieder auf der Suche nach neuen politisch-extremistischen Organisationsformen, welche ihrer neonationalsozialistischen Haltung eher entsprechen und ihrem Bedürfnis nach politischer Aktivität entgegenkommen. 73 Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften. 33 Die Mitgliederzahl der Partei deR dRitte weg erhöhte sich um 20 auf nunmehr 60 Mitglieder. Bislang hatte die Partei pseudo-elitäre Anforderungen für eine Mitgliederaufnahme aufgestellt. Des Weiteren sind im Umfeld der Partei zahlreiche "Fördermitglieder" und sonstige Interessenten und Sympathisanten aus dem parteiungebundenen Spektrum zu berücksichtigen. Die Mitgliederzahl der Partei die Rechte hingegen stagniert in Sachsen bei 30 Personen. Nach den Verlusten der vergangenen zwei Jahre hat sich das Personenpotenzial in der neonationalsozialistischen Szene von 340 auf 520 Personen wieder deutlich erhöht. Zu diesem deutlichen Anstieg führten das erwähnte Umfeld der Partei Der DrItte weg sowie eine wieder deutlich zunehmende Eigendynamik der Szene: Zwar hatten sich die bestehenden neonationalsozialistischen Strukturen in den vergangenen Jahren überwiegend aufgelöst, woraufhin die NeoNatIoNalsozIalIsteN in den subkulturell geprägten und parteigebundenen Rechtsextremismus abwanderten. Nachdem sich jedoch im Berichtsjahr neue neonationalsozialistische Strukturen gebildet hatten, wurden bereits bekannte Rechtsextremisten oft wieder im Sinne dieser Ideologie aktiv. Aufgrund von Radikalisierungsprozessen an der Grenze zwischen asylkritischen und asylfeindlichen Protestbewegungen74 sind einige Organisationen mit eindeutigen rechtsextremistischen Bezügen entstanden, die ebenfalls der neonationalsozialistischen Szene zuzurechnen sind. Mit der abnehmenden Bedeutung der Asylthematik ging die Anzahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten zurück. Zwar war hier ein Zuwachs von ehemals parteigebundenen Rechtsextremisten zu verzeichnen. Der Rückgang der Anhänger ist jedoch insbesondere auf die sinkende Tendenz bei den politisch motivierten Straftaten zurückzuführen. Weiterhin gab es auch keinen Aufschwung in anderen Bereichen der subkulturell geprägten Szene, wie etwa der Vertriebsund Konzertszene. Insgesamt stagnierte die Anhängerzahl mit leicht abnehmender Tendenz bei 1.550 Personen (2015: 1.600 Personen). Im Berichtsjahr wurde auch die identitäRe bewegung, die mit mehreren Ortsgruppen in Sachsen vertreten ist, zu einem Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Sie ist sowohl hinsichtlich ihres Personenpotenzials als auch in ihrer ideologischen Ausrichtung nicht den herkömmlichen rechtsextremistischen Strukturen zuzuordnen. Sie ist Ausdruck von Wandlungsprozessen im Rechtsextremismus. Aufgrund der Neuausrichtung von Feindbildern und der Modernisierung von Aktionsformen kristallisieren sich neue dem Rechtsextremismus zuzuordnenden Gruppierungen heraus.75 Das gewaltorientierte rechtsextremistische Personenpotenzial76 im Freistaat Sachsen wird für das Jahr 2016 auf ca. 1.250 Personen beziffert (2015: 1.300 Personen). Es liegt im Vergleich zum Vorjahr etwas niedriger, verbleibt aber weiterhin auf hohem Niveau. Die Großstädte stellen weiterhin regionale Schwerpunkte des rechtsextremistischen Personenpotenzials dar. Jedoch hat sich eine Ausdifferenzierung ergeben: Während das Personenpotenzial im Berichtsjahr 74 Zur Abgrenzung siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhangmit der Asylthematik 75 siehe Abschnitt II.2.11 IDeNtItäre BeweguNg 76 Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischer Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft vorliegen. 34 RECHTSExTREMISMUS im Großraum Leipzig gesunken ist, war vor allem in Chemnitz eine Zunahme zu verzeichnen. Dresden hingegen verharrte auf hohem Niveau, strahlte dabei auch auf den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aus und führte dort zu einem Anstieg des Personenpotenzials. Die Aktivitäten der Partei Der DrItte weg haben insbesondere im Vogtland zu einem Anstieg des dortigen Personenpotenzials geführt. Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten im Verhältnis 1:10.000 Einwohnern 35 Rechtsextremistische neonationalsozialisten Subkulturell Sonstige Parteien geprägte rechtsextremistische Rechtsextremisten Gruppierungen 2016: ca. 565 2016: ca. 520 2016: ca. 1550 2016: 60 2015: ca. 780 2015: ca. 340 2015: ca. 1600 NatIoNalDemokratIsche IDeNtItäre BeweguNg ParteI DeutschlaNDs (Ortsgruppen (NPD) in Sachsen) 2016: ca. 420 2016: ca. 40 2015: ca. 600 JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) 2016: 8577 2015: 11078 DIe rechte (Landesverband Sachsen) 2016: ca. 30 2015: ca. 30 Der DrItte weg, "Stützpunkte Vogtland und Mittelland" 2016: ca. 6079 2015: ca. 40 77 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt) 78 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD (geschätzt) 79 Diese Zahl umfasst lediglich die Mitglieder der Partei DER DRITTE WEG. Die Partei verfügt jedoch darüber hinaus über ein großes Sympathisantenumfeld aus dem parteiungebundenen Rechtsextremismus. 36 RECHTSExTREMISMUS 2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 Zahlenmäßiger Überblick und allgemeine Lage Nach dem die Asylbewerberzahlen - nach einer Hochphase im Herbst 2015 - wieder gesunken waren, nahm die Bedeutung der Asylthematik auch für die rechtsextremistischen Akteure im Berichtsjahr wieder ab. Sie passten daraufhin ihre Strategien entsprechend an: Anmerkung zur Begriffsverwendung: Zur Abgrenzung von extremistischen und nicht extremistischen Veranstaltungen und Aktivitäten mit Asylbezug werden in diesem Bericht die folgenden Begriffe verwendet: - Asylkritisch bezeichnet eine nicht extremistische, asylbezogene Veranstaltung oder sonstige Aktivität. Eine Veranstaltung bleibt auch dann asylkritisch, wenn Rechtsextremisten daran teilnehmen, aber weder die Organisation noch der Gesamtcharakter der Veranstaltung als rechtsextremistisch einzuschätzen sind. - Asylbezogene Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen In diesen Bericht fließen zur Asylthematik nur Veranstaltungen ein, bei denen es Bezüge zu rechtsextremistischen Bestrebungen gibt. Hierbei werden auch asylkritische Veranstaltungen statistisch erfasst, sofern diese erkennbare und relevante rechtsextremistische Bezüge aufweisen. Dabei handelt es sich um solche Veranstaltungen, die zwar nicht von Rechtsextremisten organisiert oder bestimmt wurden, auf denen Rechtsextremisten jedoch in relevantem Maße in Erscheinung traten. Dies kann etwa durch einen rechtsextremistischen Redner oder auch eine Mitwirkung von einzelnen Rechtsextremisten an der Durchführung der Veranstaltung geschehen sein. - Asylfeindlich sind hingegen Veranstaltungen oder Aktivitäten mit Asylbezug, die direkt oder indirekt, ausschließlich oder mit überwiegender Beteiligung von Rechtsextremisten durchgeführt werden. 37 Asylkritische Veranstaltungen lbe e zog rec rkenn ene hts ba Ver ext ren ans rem un tal isti d re tung sch lev en en ant mi Be en t züg Asylfeindliche Asy en Veranstaltungen Entwicklung der asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016 18 16 14 12 10 8 6 Anzahl der Veranstaltungen 4 2 0 Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 Mai 16 Jun 16 Jul 16 Aug 16 Sept 16 Okt 16 Nov 16 Dez 16 Die Anzahl der asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen ging im Laufe des Jahres 2016 kontinuierlich zurück. Wurden im Januar noch 17 Veranstaltungen registriert, war es im Dezember lediglich eine. Selbst das Geschehen um die erfolgten oder verhinderten islamistischen Anschläge trug nicht zu einer Änderung bei. 38 RECHTSExTREMISMUS Entwicklung der Teilnehmerzahlen bei asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016 7000 6000 5000 4000 3000 Veranstaltungsteilnehmer 2000 1000 0 Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 Mai 16 Jun 16 Jul 16 Aug 16 Sept 16 Okt 16 Nov 16 Dez 16 Die Teilnehmerzahlen entwickelten sich im Wesentlichen analog zu den Veranstaltungszahlen. Eine Ausnahme bildet der Oktober, in dem einmalig eine PEGIDA-Veranstaltung mit rechtsextremistischen Bezügen stattfand, an der 5.000 Personen teilnahmen.80 Entwicklung der Teilnehmerzahlen bei asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen in Sachsen im Jahr 2016 18 8000 16 7000 14 6000 12 5000 10 4000 8 6 3000 4 2000 2 1000 0 0 Bautzen Chemnitz Dresden Erzgebirgskreis Görlitz Leipzig (Stadt) Lkr. Leipzig Meißen Mittelsachsen Nordsachsen Sächs. Schweiz-Osterzgeb. Vogtlandkreis Zwickau Anzahl der Veranstaltungen Teilnehmer 80 PEGIDA Dresden stellt derzeit kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen dar, da in der Gesamtschau keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen. 39 Regionale Schwerpunkte der asylbezogenen Aktivitäten bildeten im Jahr 2016 insbesondere die Landkreise Bautzen, Zwickau, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie die Stadt Chemnitz. Vor allem die Landkreise Zwickau, Chemnitz und Erzgebirgskreis verzeichneten hohe Teilnehmerzahlen aufgrund der dort Anfang des Jahres durchgeführten sog. "Sternmärsche"81. Die wenigsten asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen fanden im Landkreis Leipzig statt. Parallel zum Demonstrationsgeschehen hat sich auch das Straftatenaufkommen entwickelt. Den 784 fremdenfeindlichen Straftaten im Jahr 2015 stehen 692 Delikte im Jahr 2016 gegenüber. Trotz der Abnahme der Fallzahlen liegen diese weit über dem Niveau der vergangenen Jahre (2011 bis 2013: 100 bis 150; 2014: 235 fremdenfeindliche Straftaten). Asylbezogene Straftaten machen nach wie vor einen wesentlichen Teil der politisch motivierten Kriminalität "rechts" aus. So lassen sich rund 33 % aller Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund einer fremdenfeindlichen Motivation zuordnen. Bei den Gewaltstraftaten ist der Anteil asylbezogener Delikte noch höher und nahm im Jahr 2016 sogar noch zu. Er betrug ca. 68 % (2014: 60 %).82 Rechtsextremistische Akteure und ihre Strategien zur Asylthematik Aufgrund der Asylthematik sind in den letzten Jahren Personenkreise ins Blickfeld geraten, die bis dahin noch nicht mit politisch motivierten Straftaten oder extremistischen Bestrebungen in Erscheinung getreten waren. Vielmehr hat sich gezeigt, dass asylfeindliche, politisch motivierte Straftaten ein ganz eigener Weg sind, auch ohne feste organisatorische Anbindung rechtsextremistische Aktivitäten zu entfalten.83 Daher kann die vorliegende Betrachtung der Strategien rechtsextremistischer Akteure nur einen Ausschnitt des gesamten relevanten Personenpotenzials beleuchten. Ein großer Anteil reagierte eher impulsiv und aus Anlass konkreter Ereignisse im Nahumfeld. Diese Personen wurden daher als Straftäter der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zugeordnet. Des Weiteren haben sich Wandlungsprozesse im asylbezogenen Veranstaltungsund Straftatengeschehen vollzogen. So lassen sich beim Vergleich der Ereignisse im August 2015 in Heidenau und in Bautzen Mitte September 2016 deutliche Unterschiede hinsichtlich der konfliktauslösenden Ursachen und der Reaktion der rechtsextremistischen Akteure erkennen: In Heidenau entzündeten sich die Ereignisse an der Frage der Unterbringung der Asylbewerber an sich. Demgegenüber ging es in Bautzen um das konkrete Verhalten von Asylbewerbern vor Ort sowie die gegenseitigen Reaktionen zwischen ihnen und der sie umgebenden Gesellschaft. In Heidenau nutzte mit der NPD ein parteigebundener rechtsextremistischer Akteur eine vorhandene Stimmungslage erfolgreich für seine Veranstaltungen, während in Bautzen vor allem die wiedererstarkte neonationalsozialistische Szene handelte. Diese trieb durch ihre Aktivitäten die Eskalation voran und provozierte über Wochen viele kleine, aber konstante Konfliktlagen. 81 siehe Abschnitt II.2.4 NPD - Akteure und Strategien 82 Für eine genauere Analyse des Straftatenaufkommens im Jahr 2016 siehe Abschnitt II.2.13 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" 83 siehe hierzu auch sueddeutsche.de/politik/fremdenfeindlichkeit-gewalt-gegen-fluechtlinge-alarmiert-bka (Stand: 23. Januar 2017) 40 RECHTSExTREMISMUS Die Gewalt in Heidenau geschah demgegenüber eher ungerichtet und vor allem gegen Polizeikräfte. In Bautzen hingegen wurde gezielt die Konfrontation mit Asylbewerbern und politischen Gegnern gesucht. Die NPD trat in Heidenau als vorgeblicher Anwalt des "Volkszorns" auf. Die NeoNatIoNalsozIalIsteN in Bautzen stellten direkt von der Straße konkrete Forderungen an die lokalen Verantwortungsträger. Später fungierte der Kreisvorsitzende der NPD in Bautzen als Sprachrohr und Verhandlungspartner für die lokalen Behörden. Im Ergebnis wurde in Bautzen zum einen zielgerichteter vorgegangen und hinsichtlich der Gewaltanwendung strategischer agiert. Zum anderen ist mit der wiedererstarkten neonationalsozialistischen Szene ein neuer sehr entschlossener Akteur auf dem Handlungsfeld erschienen, der auch in Zukunft bei asylbezogenen Konflikten die ungerichteten, impulsiven Aktionen der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zu lenken versuchen wird. Darüber hinaus wirkte in Bautzen eine ganz eigene Gemengelage verschiedener Faktoren, z. B. Straftaten bzw. aggressives Verhalten, sinkende Hemmschwelle durch starken Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln und latente Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten. Diese Voraussetzungen sind auch in anderen Regionen gegeben bzw. können dort sehr schnell entstehen und von der rechtsextremistischen Szene in ihrem Sinne instrumentalisiert werden. Das erfolgreiche Ausnutzen solcher örtlichen Problemlagen könnte der rechtsextremistischen Szene in Zukunft weiter Auftrieb und Motivation verschaffen. Die neonationalsozialistische Szene griff die Asylthematik zwar aktiv auf, um ihre eigene politische Agenda umzusetzen. Im Vordergrund standen für sie jedoch die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die Propagierung ihrer demokratiefeindlichen Ansichten in breite Bevölkerungskreise hinein. NeoNatIoNalsozIalIsteN haben daher kein Interesse an endlosen Demonstrationszyklen. Sie sind eher daran interessiert, eine aufgeheizte Gesamtlage, wie in Bautzen, für die Stärkung ihres politischen Gewichts und die Delegitimierung der demokratisch gewählten, lokalen Verantwortungsträger zu nutzen. Hauptziel bleibt nach wie vor die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Andere NeoNatIoNalsozIalIsteN versuchten, ihre Agenda mit Gewalt umzusetzen. Grund dafür ist, dass die Migrationsbewegungen der letzten Jahre als existenzielle Bedrohung des von ihnen rassistisch definierten biologischen Bestandes des deutschen Volkes angesehen werden. Dementsprechend halten sie ein deutlich erhöhtes Ausmaß an Gewalt für legitim. Dies zeigte sich bei dem durch den Generalbundesanwalt im April 2016 eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen die sog. "Gruppe Freital"84 Der dort beschuldigte Personenkreis steht symptomatisch für diesen Teil der neonationalsozialistischen Szene. Die Bestrebungen des Bündnisses weIsser raBe und des Vereins thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.85 im Jahr 2016 standen für das auf Kooperation und Vernetzung ausgerichtete Segment der neonationalsozialistischen Szene. Dabei fand eine Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene, wie auch mit nicht extremistischen Akteuren, statt. Diese wird auch ohne die Asylthematik in Zukunft zu einem dynamischeren Agieren der neonationalsozialistischen wie auch der rechtsextremistischen Szene führen. Um eine Zusammenarbeit mit Nichtextremisten zu erreichen, verzichteten diese Neonationalsozialisten auf konfrontative Gewalthandlungen und waren um ideologische Weichzeichnung bemüht. 84 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN sowie II.2.12.11 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 85 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen 41 So wurden rechtsextremistische Ideologiefragmente anschlussfähig gemacht und in nicht extremistische Diskurse eingeführt. Der weIsse raBe etwa tarnte seine Agitation als Ringen um die "Souveränität" Deutschlands und das Hinwirken auf eine erfolgreiche "Vergangenheitsbewältigung". Dahinter verbargen sich jedoch althergebrachte rechtsextremistische Thesen von einem vermeintlich besetzten Deutschland, das mittels "Schuldkult" von einer antisemitisch konnotierten, von den USA aus gelenkten Finanzindustrie "geknechtet" werde. Auch an diesen ideologischen Positionen erkennt man, wie Rechtsextremisten die Asylthematik für ihre eigentlichen Ziele instrumentalisieren. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene fiel im Jahr 2016 durch ein hohes Aufkommen asylfeindlicher Gewaltstraftaten auf. Diese wurden im Wesentlichen spontan begangen.86 Dass selbst bei eher politisch strategisch ausgerichteten Akteuren des parteigebundenen Rechtsextremismus die Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylbewerber kein Tabuthema ist, demonstrierten die Jungen nationaldemokRaten (Jn). Sächsische Angehörige der JN beteiligten sich in Mecklenburg-Vorpommern bei Wahlkampfaktionen, bei denen Knüppel zur Selbsthilfe gegen kriminelle Asylbewerber an Mitbürger verteilt wurden.87 Die JN betteten das Asylthema in eine antisemitisch untersetzte Antikapitalismuskampagne ein und skandierten zum 1. Mai den Ruf "Migranten sind die Armee des Kapitals".88 Es zeigte sich, dass die stark neonationalsozialistisch geprägten sächsischen JN, wie auch die neonationalsozialistische Szene insgesamt, das Thema "Asyl" für ihre rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Ideologie instrumentalisierten. Auch eine programmatische Äußerung der JN Mittelsachsen Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 2. Oktober 2016) weist in diese Richtung. Es wurden Forderungen, wie die Erhaltung der "Einmaligkeit" des deutschen Volkes, die Abschaffung des "Zins-Kapitalismus" als "Wurzel" aller Probleme und die Förderung der deutschen Familie gegen eine "multikulturelle Ideologie", formuliert.89 Besonders nach den islamistischen Anschlägen im Juli 201690 nutzten die JN die Asylthematik für eigene Veranstaltungen und Propagandaaktionen. Jedoch fanden sie kaum Resonanz. Die Propagandaaktionen bestanden hauptsächlich aus Zeichnungen von Leichenumrissen und dem Vergießen von roter Flüssigkeit an verschiedenen Orten in Sachsen. Diese waren mit unterschiedlichen propagandistischen Slogans versehen, die der Regierung und dem politischen Gegner eine Mitschuld an den Anschlägen zuschrieben. 86 siehe Abschnitt II.2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten 87 siehe Abschnitt 1. IM FOKUS: Hassobjekte - Feindbildkonstruktionen von Extremisten 88 siehe Abschnitt II.2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN 89 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 10. September 2016) 90 siehe Abschnitt II.4.4 Jihadismus 42 RECHTSExTREMISMUS Auch die nationaldemokRatische PaRtei deutschlands (nPd) beschränkte sich im Hinblick auf die Asylthematik im Jahr 2016 zunächst auf ein - jedoch zunehmend kraftloseres - asylfeindliches Veranstaltungsgeschehen. Diesbezügliche Aktivitäten der NPD fanden nur noch in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Meißen und Erzgebirgskreis sowie in der Stadt Dresden statt. Anteil der NPD-Veranstaltungen an allen asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen im Jahr 2016 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Veranstaltungen gesamt Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 Mai 16 Jun 16 Jul 16 Aug 16 Sept 16 Okt 16 Nov 16 Dez 16 NPD/JN-Veranstaltungen Der Anteil der NPD-Veranstaltungen an allen asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen nahm im Laufe des Jahres fortlaufend ab und lag im Durchschnitt bei rund 26 %. Seit Juli 2016 wurden keine NPD-Veranstaltungen zu diesem Themenfeld mehr registriert. Jedoch wurden Aktivitäten der Kampagne "Freigeist"91 im Erzgebirgskreis weitergeführt. Die Verbindung zur NPD wurde dabei bewusst nicht offengelegt, um die Zusammenarbeit mit anderen, auch nicht extremistischen, asylkritischen Initiativen weiter zu fördern. Hauptakteur hierbei war der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge Stefan HARTUNG. Die bis April 2016 im Raum Zwickau-Chemnitz-Erzgebirge durchgeführten "Sternmärsche" waren eine weitere Bühne für die NPD. Sie fanden am 30. Januar in Zwickau, am 19. März in Chemnitz und schließlich am 9. April in Aue (Erzgebirgskreis) mit teilweise bis zu 3.000 Teilnehmern statt. Dabei wirkte eine Vielzahl an größtenteils nicht extremistischen Einzelinitiativen aus mehreren Regionen Sachsens mit, wobei extremistische Kampagnen, wie "Freigeist", oder extremistische Gruppierungen, wie die IDeNtItäre BeweguNg, aktiv integriert wurden. So meldete Stefan HARTUNG, als Kopf von "Freigeist" und NPD-Kreisverbandsvorsitzender im Erzgebirge, den letzten "Sternmarsch" in Aue selbst an und trat als Hauptorganisator auf. Damit kam eine Entwicklung zum Abschluss, die einen zunehmenden Einfluss von Rechtsextremisten auf die "Sternmärsche" seit deren Beginn im Spätherbst 2015 91 Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V. 43 aufzeigt. Die "Sternmärsche" waren damit auch Ausdruck einer zunehmenden Erosion der Abgrenzung zwischen rechtsextremistischen und nicht extremistischen Initiativen zum Thema Asyl.92 Beim letzten "Sternmarsch" in Aue brach die Teilnehmerzahl schließlich deutlich ein (600 Personen), was nicht zuletzt auch auf die im Vorfeld offensiv erfolgte Diskussion über die Anteile von Rechtsextremisten zurückzuführen war. Nach den "Sternmärschen" kamen die asylbezogenen Versammlungen der NPD zum Erliegen. Dennoch nutzte die Partei die Asylthematik im kommunalen Geschehen, um lokale Amtsträger unter Druck zu setzen sowie Misstrauen und Neiddebatten gegenüber Asylbewerbern zu schüren. Auf dem Höhepunkt der Asylthematik im Winter 2015/16 wurde die allgemeine Mobilisierungsbereitschaft für asylbezogene Themen wiederholt genutzt, um die Tagung kommunaler Gremien sowie Sprechstunden mit kommunalen Amtsträgern mittels asylfeindlicher Versammlungen zu beeinflussen. Dies erfolgte in den Monaten Januar und Februar 2016 in Bad Schlema, in Grünhain-Beierfeld und in Schwarzenberg (Erzgebirgskreis). Es beteiligten sich bis zu 200 Personen93. Außerdem wurden die lokalen Amtsträger in Facebook-Posts und Bannern persönlich angegangen. So wurden die Antworten des Bürgermeisters von Bad Schlema in der Bürgerversammlung am 26. Januar 2016 zum Thema Asyl durch HARTUNG im Internet als Video verbreitet. Der Bürgermeister erhielt in der Folgezeit eine Vielzahl von "Hassmails".94 Nach dem Abklingen der Anti-Asyldemonstrationen führte die NPD im weiteren Jahresverlauf vor allem bei der Festlegung kommunaler Gebühren Quelle: www.facebook.com/freigeist2015 immer wieder die Asylthematik als Vergleichs(Stand: 20. Dezember 2016) maßstab an. So wurden geplante Anhebungen der Sätze für Kindertageseinrichtungen mit dem Verweis auf die Aufwendungen für Asylbewerber verhindert. Dies geschah in der zweiten Jahreshälfte etwa in Bad Schlema durch Stefan HARTUNG95, aber auch in Riesa durch Jürgen GANSEL96. Die islamistischen Anschläge im Juli in Ansbach und Würzburg und der vereitelte Anschlag im Oktober 2016 nahm die NPD zum Anlass, ihre seit jeher vorgetragenen Forderungen, wie "Asylflut stoppen", zu erneuern und Verschwörungstheorien zu verbreiten. So wurde die Hilfe von Asylbewerbern bei der Verhaftung des Terrorverdächtigen AL-BAKR vom Oktober 2016 als "staatliches Drehbuch"97 zum Schutz der Willkommenskultur diffamiert. 92 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 183 93 so etwa am 1. Februar 2016 in Grünhain-Beierfeld 94 siehe Abschnitt II.2.12.4 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Erzgebirgskreis 95 vgl. Jürgen Freitag: NPD-Antrag im Rat - alle gegen den Bürgermeister, Freie Presse, 6. Oktober 2016 96 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 28. September 2016) 97 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 11. Oktober 2016) 44 RECHTSExTREMISMUS Die Partei deR dRitte weg98 schlug gleichfalls aktiv Kapital aus der Asylthematik. Die Expansion der parteieigenen Strukturen im Raum "Mittelsachsen/Erzgebirge", die bereits 2015 begonnen hatte, wurde mittels der Asyldebatte vorangetrieben. Dabei wurde nicht nur auf "Leitfäden"99 mit rechtlichen Ratschlägen zur Verhinderung von Asylbewerber-Aufnahmeeinrichtungen sowie Flugblattverteilaktionen oder regelmäßige asylfeindliche Veranstaltungen gesetzt. Verstärkt wurde darüber hinaus auch die Kooperation mit bürgerlichen Initiativen außerhalb der Partei, so "Nationale Streife" in Plauen am 13. Oktober 2016 Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 27. Oktober 2016) etwa die Zusammenarbeit mit einer Veranstaltungsreihe "Regional statt Global" im Vogtland in der zweiten Jahreshälfte 2016. Mehrere Anhänger der Partei Der DrItte weg traten auch als Redner bei anderen asylbezogenen Veranstaltungen auf, die von nicht extremistischen Initiativen organisiert worden waren. Eine neue Erscheinung bei der asylbezogenen Agitation der Partei war die Durchführung sog. "Nationaler Streifen" ab Oktober 2016, z. B. in Bautzen, Plauen oder Chemnitz. Dabei liefen mehrere Anhänger einheitlich gekleidet durch diese Städte und posteten im Nachgang entsprechende Bilder auf ihrer Homepage. Ihr erklärtes Ziel war es, die Bürger vor "kriminellen Ausländern" zu schützen. Durch derartige Aktionen wurde nicht nur Vorurteilen zur Kriminalität von Ausländern Vorschub geleistet. Auch sollte den Sicherheitsbehörden so ein Versagen beim Schutz der Bevölkerung attestiert werden. Ein anderes Bild bot die Partei die Rechte. Diese trat unter eigenem Namen kaum zur Asylthematik in Erscheinung. Entsprechende Veranstaltungen, wie in den Jahren zuvor in Bautzen oder in Westsachsen, waren zum Ende des Frühjahres 2016 nicht mehr festzustellen. Die Bedeutung der Partei für die asylbezogene Ereignislage war vor allem auf die vielfältigen Aktivitäten ihres Mitgliedes Alexander KURTH zurückzuführen. Er trat im Berichtsjahr nicht nur Quelle: www.facebook.com/wirliebensachsen (Stand: 12. Juli 2016) bei asylfeindlichen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene auf, sondern ab Mitte 2016 auch unter dem Label "Wir lieben Sachsen / THÜGIDA"100, das für einen Großteil der asylbezogenen Veranstaltungen mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen in ganz Sachsen verantwortlich war. 98 Alternativschreibweise: Der III. weg 99 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 21 100 Zur Kampagne "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA" bzw. zum Verein thügIDa & WIr lIeBeN sachseN e. v.; siehe Abschnitt II.2.4.2 DIe rechte sowie II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 45 Die Resonanz auf diese Veranstaltungen war vor dem Hintergrund der nachlassenden Bedeutung der Asylthematik zuletzt jedoch sehr gering. Bei "Wir lieben Sachsen / THÜGIDA" handelt sich um einen Ableger der rechtsextremistischen thügIDaBewegung um David KÖCKERT (NPD-Stadtrat in Greiz, Thüringen). Sächsischer Hauptaktivist ist Alexander KURTH, der bei "Wir lieben Sachsen / THÜGIDA"-Veranstaltungen zusammen mit David KÖCKERT regelmäßig als Hauptredner auftrat. Dieses Agieren hat durch das Zusammenwirken mit thüringischen und bayerischen Rechtsextremisten an Bedeutung gewonnen. Zuletzt wurden auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern eingebunden. Im November 2016 konstituierte sich die Kampagne als Verein thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v. mit Sitz in Thüringen. Dieser Verein dürfte auch ohne den Hintergrund der Asylthematik in Zukunft eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der länderübergreifenden Vernetzung von Rechtsextremisten haben. Weiterhin wird verdeutlicht, wie sehr das Agieren gegen die Asylthematik Personen verschiedenster rechtsextremistischer Szenen untereinander vernetzte. Die Partei DIe rechte beschränkte sich jedoch nicht nur auf Demonstrationen gegen die Asylthematik. Insbesondere die Exekutivmaßnahmen gegen die "Bamberger Mischszene", eine Gruppe von Rechtsextremisten, die im Verdacht steht, sich mit Pyrotechnik und ähnlichem ausgestattet und u. a. Anschläge gegen Asylbewerbereinrichtungen geplant zu haben, wiesen auch Bezüge zu Mitgliedern und Funktionären der Partei DIe rechte in Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 21. April 2016) Bayern auf. Die identitäRe bewegung (IB) hatte mit der Kampagne "Der Große Austausch"101 bereits im Jahr 2015 eine Verschärfung ihrer asylkritischen Positionen hin zur offen formulierten Asylund Systemfeindschaft vollzogen. Der Zuzug von Migranten wird als Bedrohung des deutschen Volkes angesehen. Da Amtsträger und Behörden ebenfalls zu den "Förderern" der Migrationsbewegungen nach Deutschland und damit zu den "Austauschern" der Bevölkerung gerechnet werden, richtete sich die Agitation auch gegen das demokratische Regierungssystem. Im Laufe des Jahres 2016 entwickelten sich die Aktionen der IB weiter. Man beschränkte sich nicht mehr auf Propagandaaktionen, wie das Hissen von Plakaten, Transparenten und Fahnen für diverse YouTubeClips. So mauerte die IB-Ortsgruppe im Erzgebirge am 21. März die Eingangstür der Stadtverwaltung von Grünhain-Beierfeld mit Gasbetonsteinen zu. Am 21. April wurden in Bad Schlema (Erzgebirgskreis) tierische Exkremente vor den Türen des Rathauses hinterlassen und darin verschiedene Propagandaschilder mit Aufschriften, wie "Wer Multikulti sät, wird Scheiße ernten", aufgestellt. Am 29. September wurde schließlich die Zufahrt zu einer Asylbewerber-Aufnahmeeinrichtung mit einem Baumstamm blockiert. Zudem wurde mit Blaulichtleuchten und Plakaten eine vermeintliche Überlastung lokaler Rettungskräfte wegen Einsätzen mit Bezug zu Asylbewerbern angeprangert. 101 siehe dazu Abschnitt II.2.11 IDeNtItäre BeweguNg 46 RECHTSExTREMISMUS Bei einer Banneraktion am 21. Oktober 2016 am Bürgerhaus in Aue (Erzgebirgskreis) wurde die Leiterin einer im Rahmen eines Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus geförderten örtlichen Initiative von Aktivisten der IB mittels eines Plakats namentlich diffamiert. Dies zeigt, dass der Aktionsradius der IB nicht nur die Propagierung rechtsextremistischer Ideologie, sondern auch die Diffamierung des Engagements gegen Rechtsextremismus bzw. für die Integration von Asylbewerbern umfasst. Von Sachbeschädigungen abgesehen verzichtete die IB im Berichtsjahr bewusst auf Gewaltanwendungen. Dennoch spielen Kampfsportübungen bei den Aktivitäten der IB eine wichtige Rolle. Auch hier rüstete man sich für erwartete Auseinandersetzungen infolge der durch die Asylthematik hervorgerufenen politischen und sozialen Umwälzungen. Ihre eigentliche Bedeutung sieht die IB in ihrer Rolle als subversive Jugendbewegung. Als solche kann sie zum einen Personen integrieren, die herkömmliche rechtsextremistische Strukturen ablehnen. Die IB weist eine andere personelle Zusammensetzung als letztere auf und ist auch ideologisch anders ausgerichtet. So teilt sie zwar rechtsextremistische Positionen, wie Demokratiefeindlichkeit und ein rassistisches Menschenbild, distanziert sich jedoch klar von anderen Ideologieelementen - wie dem Antisemitismus. Aus diesen Gründen eröffnen sich ihr im Gegensatz zu den bisherigen Akteuren viel weiter gehende Kooperationsmöglichkeiten mit nicht extremistischen asylkritischen Initiativen. Internet Rechtsextremisten nutzten das Internet für asylfeindliche Kommentare und Äußerungen. So stellte die Partei Der DrItte weg eine Karte aller zentralen und dezentralen Asylbewerberunterkünfte auf ihre Homepage.102 Das Internet war auch im Jahr 2016 ein bevorzugter Raum für den Ausdruck volksverhetzender, rassistischer, allgemein fremdenfeindlicher und ähnlicher Kommentare durch Einzelpersonen. Diese fielen dabei mit gewaltverherrlichenden und rechtsextremistischen Äußerungen auf, die auch die Verharmlosung des "Dritten Reiches" und seiner Verbrechen umfassten. So hieß es etwa: "Also mir fallen da spontan noch leerstehende Asylheime ein ... Auschwitz, Dachau, Buchenwald, Meiderneck, Belsen ..." .103 Oder: "ne ne eine Kugel reicht für die oder Gaskammer???" 104 Häufig wurde auch mit Bildern gearbeitet. Ein sächsischer User postete ein Bild, auf dem ein deutscher Soldat im Zweiten Weltkrieg zu sehen war, der mit der Pistole Menschen aus nächster Nähe erschoss. Am oberen Bildrand stand dazu das Wort "Asylantrag" und darunter "Abgelehnt!". 105 102 siehe hierzu "Internetatlas 2016" des LfV Sachsen, abrufbar unter www.verfassungsschutz.sachsen.de 103 www.asylterror.com (Stand: 18. Februar 2016, Schreibweise wie im Original) 104 Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person (Stand: 5. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 105 Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person (Stand: 12. März 2016) 47 Neben der Einleitung von Strafverfahren wurde auch ein bundesweiter Einsatztag gegen Hasspostings durchgeführt. Dabei durchsuchten Polizeibeamte am 13. Juli 2016 in 14 Bundesländern Wohnräume von rund 60 Beschuldigten106. Darunter waren auch acht Personen aus Sachsen (sechs Personen aus Ostsachsen sowie je eine Person aus dem Vogtland und aus Chemnitz). Die konzertierte Aktion wurde vom Bundeskriminalamt (BKA) koordiniert und richtete sich hauptsächlich gegen Einträge in der geheimen Facebook-Gruppe Großdeutschland. Dort wurden zwischen Juli und November 2015 Einträge verbreitet, bei denen der Verdacht von Straftaten nach SS 86a (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und SS 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches (StGB) bestand. Verhältnis von Rechtsextremisten zu den GIDA-Bewegungen Grundsätzlich bieten sowohl Intention als auch Rhetorik von PEGIDA ideologische Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten: So offenbaren ressentimentbeladene Redebeiträge oder Sprechchöre auf PEGIDA-Kundgebungen mitunter nicht nur fremdenund islamfeindliche Tendenzen. Sie zeigen bei einem Teil der Sympathisanten auch eine grundlegende Politikverdrossenheit und ein Misstrauen bis hin zur Feindschaft gegenüber etablierten Parteien und Politikern ("Volksverräter"), Journalisten und Medien ("Lügenpresse") sowie gegenüber Flüchtlingen ("Rapefugees"). Dementsprechend nehmen regelmäßig Rechtsextremisten an PEGIDA-Veranstaltungen teil. Die Verfassungsschutzbehörden analysieren daher sorgfältig, ob und inwieweit es hinsichtlich PEGIDA Dresden wie auch hinsichtlich der sehr heterogenen und bundesweiten GIDA-Protestbewegung Steuerungsoder Einflussnahmeversuche durch nationale und internationale Rechtsextremisten gibt. PEGIDA Dresden stellt derzeit kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder des Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen dar, da in der Gesamtschau noch keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen. Die GIDA-Bewegung in Sachsen konzentrierte sich im Jahr 2016 auf die drei großen Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz. Dabei war im Laufe des Jahres immer wieder eine Teilnahme von IB-Aktivisten an den PEGIDA-Veranstaltungen festzustellen. So bot PEGIDA Dresden Martin SELLNER von der IDeNtItäreN BeweguNg Österreich am 16. Oktober 2016 eine Bühne. Auch beim Leipziger PEGIDA-Ableger LEGIDA kam es wiederholt zur offenen Kooperation mit bekannten Rechtsextremisten: Am 11. Januar 2016 traten der Frontmann Hannes OSTENDORF und der Gitarrist der als rechtsextremistisch eingestuften Band kategorIe c im Rahmen der LEGIDA-Demonstration auf. Diese spielten zwei Lieder, darunter den Titel "Hooligans gegen Salafisten", der von der Band anlässlich der HoGeSa-Demonstration am 26. Oktober 2014 in Köln geschrieben worden war.107 Seitens der LEGIDAVerantwortlichen erfolgte im Nachgang keinerlei Distanzierung vom Auftritt der rechtsextremistischen Band kategorIe c. 106 www.bka.de/nn_233148/SharedDocs/Downloads/DE/Presse/Pressemitteilungen/pm 160713_Hatespeech.html (Stand: 5. Januar 2017) 107 Die Band k ategorIe c stammt aus Bremen und wurde Anfang des Jahres 2015 vom Bremer Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Sie ist bundesweit aktiv und rekrutiert sich aus der Bremer Hooligan-Szene. Das Titellied "Hooligans gegen Salafisten" diffamiert den Islam und seine Anhänger in menschenverachtender Weise. Siehe dazu den Verfassungsschutzbericht 2014 des LfV Bremen (S. 33f.). 48 RECHTSExTREMISMUS Am 1. Februar 2016 äußerte sich der aus Berlin stammende und unter einem Pseudonym auftretende Redner "Sebastiano Graziani" im Rahmen seines Redebeitrages auf einer LEGIDA-Veranstaltung: "Diese veraltete Staatsform braucht keiner mehr. Weg mit dem Drecks-Gangster-Pack". Auch die nach dem Wechsel an der LEGIDA-Führungsspitze im März 2016 in Erscheinung getretenen Akteure und Redner zeigten sich heterogen, sie reichten von unbekannten Personen bis hin zu überregional aktiven NeoNatIoNalsozIalIsteN. So trat z. B. bei der LEGIDA-Veranstaltung am 4. April 2016 mit Simon RICHTER ein ehemaliger NPD-Stadtrat und bekannter Neonationalsozialist aus Radeberg (Landkreis Bautzen) als Redner auf. RICHTER agierte in der Vergangenheit als organisatorisches Bindeglied verschiedener asylfeindlicher Bürgerinitiativen in Ostsachsen und trat regelmäßig selbst als Redner bei diversen asylbezogenen Veranstaltungen auf. Im Anschluss an den üblichen "Spaziergang" vereinigte sich der LEGIDA-Demonstrationszug mit der parallel stattfindenden rechtsextremistischen Veranstaltung "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA". Es folgte eine gemeinsame Abschlusskundgebung. Im Nachgang kam es seitens LEGIDA zu keinerlei Distanzierung von dieser Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten. Aufgrund des Bekanntheitsgrades einzelner Akteure kann davon ausgegangen werden, dass die Veranstalter die aktive und prominente Mitwirkung von Rechtsextremisten an den LEGIDAAufzügen bewusst in Kauf nahmen. Der dritte noch aktive sächsische PEGIDA-Ableger, PEGIDA Chemnitz-Erzgebirge, trat im Berichtsjahr unter diesem Namen nicht mehr auf. PEGIDA Chemnitz und Westsachsen hatte seit Anfang 2016 asylkritische Veranstaltungen in Chemnitz organisiert. Dabei kam es zur Teilnahme einzelner Rechtsextremisten, jedoch nicht zu deren Einbindung in prominenter Rolle bei der Durchführung der Veranstaltung. Aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2016 in Dresden warb PEGIDA Chemnitz und Westsachsen allerdings auch für eine Teilnahme an einer asylbezogenen Veranstaltung mit erkennbaren rechtsextremistischen Bezügen in Dresden, bei der wiederum Hannes OSTENDORF (von der rechtsextremistischen Band kategorIe c) auftrat. Die Veranstaltungen der GIDA-Bewegungen wurden somit im Jahr 2016 wiederholt als Bühne und Aktionsplattform von Rechtsextremisten genutzt. Eine dauerhafte und strukturelle Zusammenarbeit zwischen GIDA-Gruppierungen und Rechtsextremisten erfolgte jedoch trotz vereinzelten punktuellen Zusammenwirkens im Rahmen konkreter Veranstaltungen nicht. Fazit und Ausblick Die Asylthematik blieb trotz des Nachlassens der Einreisezahlen auch im Jahr 2016 ein bedeutendes Aktionsfeld von Rechtsextremisten. Zum einen konnte sich die Szene auf diesem Feld zwecks gemeinsamer Aktionen einigen, zum anderen waren so weiterhin Anknüpfungspunkte zu nicht extremistischen Initiativen und Gruppierungen gegeben. Die Erosion der Abgrenzung zwischen rechtsextremistischen und nicht extremistischen Initiativen war im Berichtsjahr in Einzelfällen weiterhin beobachtbar, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie noch im Vorjahr. Dies lag auch am stark nachlassenden Veranstaltungsgeschehen. Allerdings führte die Thematisierung der aktiven Beteiligung von Rechtsextremisten an entsprechenden Veranstaltungen im Einzelfall auch zu verminderten Teilnehmerzahlen. Im weiteren Jahresverlauf waren Rechtsextremisten bei ihren asylbezogenen Aktivitäten zunehmend unter sich. 49 Dies hatte auch mit der Themenverschiebung der Aktivitäten des rechtsextremistischen, wie auch des Rechtsextremisten gegenüber kooperationsbereiten Personenpotenzials, zu tun. Für viele vormals mit der Asylthematik befasste Initiativen lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten bald auf Kritik an der aktuellen Bundesregierung bzw. an dem deutschen Regierungssystem im Allgemeinen. Dies zeigte sich etwa bei den "Merkel muss weg"-Demonstrationen in Berlin, an denen regelmäßig Rechtsextremisten aus Sachsen teilnahmen. Insofern ist die Zusammenarbeit unter neuer Themensetzung fortgesetzt worden. Hinzu kommt, dass diverse nicht extremistische Initiativen, die in der Vergangenheit mit Rechtsextremisten kooperierten, im Laufe der Zeit ihrerseits Teil von rechtsextremistischen Bestrebungen wurden. Im Ergebnis hat sich die rechtsextremistische Szene infolge der Asylthematik in einigen Regionen neues Personenpotenzial erschließen können. Dieses Personenpotenzial wird auch in Zukunft aus Anlass asylbezogener Konflikte aktiv sein und dort versuchen, über die Asylthematik die Legitimität der derzeitigen Amtsund Mandatsträger, wie auch die freiheitliche demokratische Grundordnung, in Frage zu stellen. Jedoch ist diesbezüglich künftig nur noch mit einer verhaltenen Resonanz zu rechnen. Unabhängig davon besteht in konkreten Lagen vor Ort jedoch ein bleibendes Konfliktpotenzial, das bei günstigen Voraussetzungen - wie im Herbst in Bautzen - sehr schnell Eskalationsspiralen mit breiter Beteiligung auch nicht extremistischer Personen in Gang setzen kann. Hauptantriebsmoment hierfür dürfte weniger die Ankunft und Unterbringung von Asylbewerbern an sich, sondern eher die konkrete Gestaltung des Zusammenlebens, wie auch der Integration, sein. Verschärft werden diese potenziellen Konfliktlagen durch die fortdauernde islamistische Bedrohungslage. Erfolgte wie auch verhinderte Anschläge werden für die rechtsextremistische Szene immer wieder Anlass sein, Misstrauen und Angst vor Muslimen sowie vor Migranten insgesamt zu schüren. Diese Gefahrenlage wird von einzelnen Rechtsextremisten stets auf Neue als Rechtfertigung eigener Gewaltstraftaten gegen Flüchtlinge, Asylbewerber und Deutsche mit Migrationshintergrund herangezogen werden. Die nach wie vor anhaltenden hasserfüllten Äußerungen vor allem im Internet und in den sozialen Medien legen hiervon Zeugnis ab. Die Asylthematik wird damit im Jahr 2017 eines der wesentlichen Themenfelder der rechtsextremistischen Szene bleiben. Vor dem Hintergrund des nachlassenden unmittelbaren Zuzugs wird der Schwerpunkt der Aktivitäten jedoch weniger auf asylbezogenen Demonstrationen, sondern auf entsprechender Internetpropaganda und dem lokal begrenzten Agieren örtlicher Gruppierungen bei konkreten Anlässen vor Ort liegen. Hierbei wird die rechtsextremistische Szene versuchen, Eskalationsspiralen mit Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie mit dem politischen Gegner zu initiieren. Das Ziel ist, ihre eigene politische Bedeutung zu steigern und sich als vermeintlicher Fürsprecher breiter Bevölkerungsschichten darzustellen. Daneben ist vor dem Hintergrund der islamistischen Gefahrenlagen auch weiterhin mit Radikalisierungsprozessen bis hin zu schweren Straftaten zu rechnen. 50 RECHTSExTREMISMUS 2.4 Rechtsextremistische Parteien 2.4.1 natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) Extremismusbereich: Rechtsextremismus Gründung: 1964 Sitz: Berlin Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 420 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 600 Mitglieder 2015 bundesweit: ca. 5.200 Vorsitz Bund: Frank FRANZ Vorsitz Freistaat Sachsen: Jens BAUR Teil-, Nebenorganisationen: JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) rINg NatIoNaler fraueN (RNF) kommuNalPolItIsche vereINIguNg (KPV) Publikation: DEUTSCHE STIMME Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Die 1964 gegründete NPD ist aus der ehemaligen Deutschen Reichspartei hervorgegangen. Die NPDJugendorganisation JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) wurde 1969 gegründet. Nachdem Mitglieder der NPD aus den alten Bundesländern im Jahr 1989 noch vor dem Mauerfall erste Kontakte in die DDR geknüpft und bei Leipziger Montagsdemonstrationen Flugblätter verteilt hatten, gründeten Anhänger am 24. März 1990 in der Messestadt einen Vorläufer der sächsischen NPD unter der Bezeichnung mIttelDeutsche NatIoNalDemokrateN (MND). Am 2. September 1990 gründeten die Mitglieder der MND den sächsischen Landesverband der NPD. In Erfurt (Thüringen) fand am 7. Oktober 1990 ein Vereinigungsparteitag statt, auf dem sich die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR neu gegründeten NPD-Strukturen mit den Landesverbänden der alten Bundesländer zu einer Gesamtpartei zusammenschlossen. Strukturentwicklung und Mitgliederzahlen der NPD im Freistaat Sachsen unterlagen seit der Gründung erheblichen Schwankungen. Hatte die NPD anfangs noch über 400 Mitglieder, die in rund 16 Kreisverbänden (bei damals noch über 40 Landkreisen) organisiert waren, sank die Mitgliederzahl bis 1994 auf unter 100 Personen. Erst nach einer im Jahr 1995 erfolgten organisatorischen Straffung auf sieben Kreisverbände und durch intensive Werbung im Rahmen von sog. "Freundeskreisveranstaltungen" stieg die Anzahl der Mitglieder wieder an. Hierzu trug auch eine strategische Orientierung auf öffentliche Aktivitäten, wie z. B. Großdemonstrationen, bei. Den Zenit dieser Entwicklung überschritt der sächsische NPD-Landesverband im Jahr 1998 mit ca. 1.400 Mitgliedern und 20 Kreisverbänden. Trotz der Gründung zweier weiterer Kreisverbände im Jahr 1999 sank die Mitgliederzahl stark auf schließlich ca. 1.000 Personen. 51 Erst nach dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag im Jahr 2004 erholte sich der Mitgliederbestand wieder etwas. Die Mitgliederzahl stagnierte jedoch danach und sank in den letzten Jahren kontinuierlich. Nach dem verpassten Einzug in den Sächsischen Landtag im Jahr 2014 und Austritten im Rahmen einer hiermit verbundenen Parteikrise verfügte die NPD in Sachsen Ende 2014 nur noch über 610 Mitglieder. Das gesteigerte Engagement der sächsischen NPD im Zusammenhang mit Protesten gegen die Asylpolitik im Jahr 2015 führte nicht wie gehofft zu einer Trendwende. Die NPDFührung vermochte im Jahr 2016 keine politischen Akzente mehr zu setzen. Kaum aktive Strukturen und innerparteiliche Differenzen bewirkten einen massiven Mitgliederrückgang. Das Mitgliederpotenzial wird gegen Ende 2016 auf ca. 420 Mitglieder geschätzt. Davon dürften etwa 100 Personen zum aktiven Kern zählen. Seit dem Jahr 2008 verfügt die NPD - nach einer Reduzierung der Anzahl der Kreisverbände entsprechend der damaligen Kreisgebietsreform - über 13 Kreisverbände. Der andauernde Mitgliederschwund führte im Jahr 2015 erstmals zu einer strukturellen Änderung. Der Kreisverband Leipzig schloss sich mit dem Kreisverband Landkreis Leipzig zusammen. Ebenso fusionierten die Kreisverbände Chemnitz und Mittelsachsen. Die NPD verfügt somit nur noch über elf Kreisverbände und vereinzelte Ortsgruppen. Mitgliederzahl und Anzahl der Kreisverbände der NPD im Freistaat Sachsen 900 850 850 800 800 800 760 700 700 670 610 600 600 500 Mitglieder 420 400 Anzahl der Kreisverbände 300 200 100 20 13 13 13 13 13 13 13 12 11 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 52 RECHTSExTREMISMUS NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen Einzelne Mitglieder der NPD sind im Freistaat Sachsen darüber hinaus in der NPD-Frauenorganisation rINg NatIoNaler fraueN (RNF) sowie in der kommuNalPolItIscheN vereINIguNg (KPV) organisiert. Der RNF war im Freistaat Sachsen im Jahr 2016 eine weitgehend inaktive Struktur ohne politische Bedeutung. Die Internetseite des Landesverbandes ist nicht mehr erreichbar und der letzte Eintrag im Facebook-Auftritt dieser Struktur stammt aus dem Monat Juli 2016. Die KPV ist eine bundesweit agierende Organisation mit der Aufgabe, kommunale Mandatsträger der NPD zu schulen. Aktivitäten des NPD-nahen vereINs BIlDuNgswerk für heImat uND NatIoNale IDeNtItät waren im Berichtsjahr nicht feststellbar. Die Homepage des Vereins ist nicht mehr erreichbar. Die Deutsche stImme verlagsgesellschaft mBh mit Sitz in Riesa (Landkreis Meißen) hat nach finanziellen Problemen in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Im Jahr 2015 übergaben die Betreiber des Verlages den Warenversand an einen NPD-Funktionär in Thüringen. Auch der Buchversand wurde ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Herausgabe des NPD-Organs DEUTSCHE STIMME. Nach Angaben des Landesvorstandes steht die Halle nach Auslagerung des Versandes nun leer. Ein 108 kleiner Teil werde von einem neuen Medienprojekt mit der Bezeichnung "DS-TV" genutzt. Nachdem ein Antrag des Landesvorstandes auf Erhebung eines Sonderbeitrages zur Erhaltung des Standortes auf dem Landesparteitag im März 2015 scheiterte, bat der Vorstand die Mitglieder um eine freiwillige Abgabe, da das Objekt sonst verkauft werden müsse. 108 Unter dem Label "DS-TV" produziert die NPD seit Frühjahr 2015 regelmäßig Reportagen und Propagandavideos und stellt diese im Internet ein. Dazu wurde im Verlagsgebäude ein Aufnahmestudio eingerichtet. 53 Offenbar versuchen die Betreiber, die Finanzierung des Objektes mit Veranstaltungen abzusichern. Während eines "Sommerfestes" am 22. August 2015 weihten die Rechtsextremisten einen Teil des Gebäudetraktes als "Haus Wieland" ein, welcher als Veranstaltungssaal mit Schlafplätzen als "nationales Begegnungszentrum" für Seminare, Schulungen und andere Veranstaltungen genutzt werden soll. Ideologie/ Politische Zielsetzung Am 17. Januar 2017 erging das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem vom Bundesrat beantragten Verbot der NPD109. Im Ergebnis wurde die Partei nicht verboten. Das Gericht stellte fest, dass sich die Partei zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen bekenne und planvoll auf deren Erreichung hinarbeite. Es fehle jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen ließen. Das Bundesverfassungsgericht ließ jedoch keinen Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der Partei. So verletze der von ihr vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person negiere und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führe, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" in ihrem Sinne angehörten. Das Politikkonzept der NPD sei auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Ausländern, Migranten, religiösen und sonstigen Minderheiten) gerichtet. Auch missachte die NPD das Demokratieprinzip. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat im Sinne der NPD sei für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Dieses Konzept widerspreche dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Außerdem trete die NPD für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am Prinzip der "Volksgemeinschaft" orientierten Nationalstaat ein. Die Partei weise schließlich auch eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. In diesem Urteil wurden die ideologischen Standpunkte der NPD vom Bundesverfassungsgericht ausführlich erörtert und als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet bewertet. Nachfolgend werden einige Ideologiefragmente der Partei wiedergegeben: Schaffung einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft Die NPD strebt die Schaffung einer "neuen Ordnung" in Form einer "Volksgemeinschaft" an. "Die NPD bekennt sich zur Volksgemeinschaft und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Volksgemeinschaft ist die Voraussetzung für die Solidargemeinschaft und damit für den sozialen Staat, der auch im Grundgesetz gefordert wird. Das nationale Selbstbestimmungsrecht wiederum ist die Voraussetzung 110 für einen demokratischen Staat." 109 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 110 Holger APFEL am 11. Juli 2008, Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 4/115, S. 9453 54 RECHTSExTREMISMUS Diese Volksgemeinschaft sieht die Partei als "Schutzund Solidargemeinschaft". Nur in ihr gebe es Sicherheit, Teilhabe und Zusammengehörigkeit: "Entscheidend ist die glaubwürdige Positionierung der NPD als Schutzmacht der 'kleinen Leute'. Dieser potentiell nationalrevolutionären Mehrheit im Volk muß klar werden, dass die Volksgemeinschaft in der Globalisierungsära die einzig denkbare Schutzund Solidargemeinschaft ist; nur sie verbürgt durch 111 emotional unterfütterte Zusammengehörigkeitsgefühle soziale Teilhabe und Sicherheit." Die rassistisch definierte Volksgemeinschaft ist das Kernelement der Weltanschauung der NPD. Aus ihr leitet sich ein völkisches Menschenbild in Gestalt des Vorrangs der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum ab. Nur wenn ein Mensch nach diesem Verständnis Bestandteil der "Volksgemeinschaft" ist, wird ihm seine Freiheit garantiert. Dies allerdings nur insoweit, als er der Gemeinschaft nützt. "Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit; diese endet dort, wo die Gemeinschaft 112 Schaden nimmt." "An allen Stellen, an denen Einzelinteressen mit Gemeinschaftsinteressen kollidieren, haben diese zu113 gunsten des Erhaltes der Gemeinschaft zurückzutreten." Hier zeigt sich eine Parallele zum Programm der NSDAP, wonach gemäß Punkt 10 die "Tätigkeit des einzelnen [...] nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen [darf], sondern [...] im Rahmen des 114 Gesamten zum Nutzen aller erfolgen [müsse]." Die NPD verwendet den Begriff "Volksgemeinschaft" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Die historischen Nationalsozialisten definierten sie als "die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischem Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassenund Standesgegensätze wesensfremd sind". Die NPD versteht diese Volksgemeinschaft als eine annähernd "ethnisch homogene" Gruppe von Menschen, die aufgrund "gemein115 samer Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksal, etc." entstehe. "Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. [...] Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind. [...] Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung 116 eines Passes ja nicht zu Deutschen. Diese Ausführungen in den Argumentationshilfen zeigen dass die NPD den Begriff der Volksgemeinschaft im Sinne der rassistischen und ausgrenzenden nationalsozialistischen Ideologie interpretiert. 111 Jürgen GANSEL, "Weckruf an die 'kleinen Leute' im Volk", www.npd-sachsen.de (Stand: 3. Februar 2011) 112 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 113 Wahlprogramm der NPD zur Bundestagswahl 2002, S. 77 114 Programm der NSDAP vom 13. April 1920, Schreibweise wie im Original 115 www.npd-sachsen.de, Beitrag "National-revolutionäre Gesundheitspolitik" (Stand: 11. September 2003, Schreibweise wie im Original) 116 Broschüre WORTGEWANDT, Argumente für Mandatsund Funktionsträger, 2012, S. 18 f., Schreibweise wie im Original 55 Deutlich ist ein Bezug auf das Programm der NSDAP zu erkennen, wo es im Punkt 4 hieß: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist ..." Rassistische fremdenfeindliche Ideologie Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Wert eines Menschen nach der Zugehörigkeit zu einer Ethnie bzw. Rasse. Hieraus resultieren eine rassistisch gefärbte Fremdenfeindlichkeit und der übersteigerte Nationalismus der Partei. Die Rechtsextremisten grenzen die in ihren Augen "Nicht-Deutschen" nicht nur aus, sondern sie diffamieren sie als minderwertige "Sozialschmarotzer" und stellen sich selbst als Elite dar. "Die Grundlagen unserer ethnischen Exklusivität, unseres geistig-kulturellen Erbes, aber auch unserer wissenschaftlich-technischen und damit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind in Gefahr [...] Die Leistungsgesellschaft braucht Leistungsträger. Leistungsträger finden sich aber vermehrt in den zentraleuropäischen Völkern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. Begabungen und Intelligenz sind nun einmal ungleich verteilt - und das deutsche Volk ist eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere Begabungen haben wir uns auch nicht zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es keine Zuwanderung 117 von Dummen und Primitiven in unser Land geben [...]." "So geht deutsche Intelligenz zunehmend ins Ausland, während ausländische Dummheit mit sozialschmarotzerischen Neigungen ungebremst ins Land kommt. Die deutsche Volkssubstanz wird neben der Auswanderung guter Köpfe durch den andauernden Geburtenboykott der vielen beruflich 'Gestrandeten' 118 geschwächt." Der Fremde - und in den Augen der NPD Nicht-Deutsche - wird pauschal als kriminell, dumm und angetrieben von einer "schmarotzerischen" Neigung dargestellt. Seine Aufnahme in die "Volksgemeinschaft" gefährdete den Bestand der "deutschen Volkssubstanz". Nach den Vorstellungen der Rechtsextremisten seien "Nur ethnisch geschlossene Gesellschaftskörper mit geringem Ausländeranteil [...] solidarund belastungsfähig [...]". 119 Die im Jahr 2015 einsetzende verstärkte Zuwanderung von Asylbewerbern deutet die NPD in verschwörungstheoretischen Überlegungen als Durchführung eines Planes zur Vernichtung des Deutschen Volkes. Der NPD-Funktionär Arne SCHIMMER bezeichnete diesen Vorgang in einer Rede als "schleichenden Staatsstreich". Durch den "massenhaften Asylmißbrauch" habe sich "ein Schlupfloch für illegale Zuwanderung größQuelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 17. Oktober 2016) ten Ausmaßes geöffnet". So werde "am Ende die 117 www.npd-fraktion-sachsen.de (Stand: 8. Mai 2012) 118 www.npd-sachsen.de, Artikel "Der Globalisierungstod des Bürgertums" (Stand: 2. Januar 2007) 119 Broschüre Argumente für Mandatsund Funktionsträger, 2006, S. 7 56 RECHTSExTREMISMUS Quelle: www.facebook.com/npd.sso (Stand: 28. Juli 2016) Zusammensetzung des Staatsvolks geändert (...), ohne daß die Deutschen in einer Volksabstimmung vorher darüber befragt worden seien." 120 Ein NPD-Mitglied aus Schleswig-Holstein unterstellte Ausländern sogar sinngemäß, deren eigene Erbanlagen - mit Duldung der Politik - beim deutschen Volk aufbessern zu wollen: "Erinnern wir uns, wie die 'Hamburger Morgenpost' dem Herrn Rechtsanwalt Rieger in großer Aufmachung vorwarf, Arier züchten zu wollen. Das will man verhindern. Aber was geschieht zur Zeit? Ein noch deutsches Volk wird von Negriden, Asiaten und Orientalen unterwandert und als Rohstoff für eine Veränderung der eigenen Erbanlagen genutzt, Und das mit Duldung solcher politisch tätigen 121 Vertreter!" Die damalige Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation rINg NatIoNaler fraueN (RNF) sieht in der Rolle der Frau eine Bewahrerin "des rassischen Erbes": "Die Frau sieht ihre Selbstverwirklichung darin, Schicksalsgefährtin des Mannes, Hüterin des Heimes, der Sitte und der Kultur und Bewahrerin des rassischen Erbes zu sein. Das darf man heute ja da schon wieder nicht sagen mit dem rassischen Erbe, weil ja Multi-Kulti heute propagiert wird, aber deswegen 122 ist es für uns ganz besonders wichtig, unser Blut rein zu halten." Den zentralen Aussagen des Grundgesetzes zu Menschenwürde und Gleichheitsrechten setzt die Partei mit ihrem Verlangen nach "Reinhaltung der Rasse" zum Schutze der "deutschen Volkssubstanz" rassistisch geprägte Forderungen entgegen, die wiederum eine Anlehnung an die Zeit des Nationalsozialismus erkennen lassen. 120 www.npd-sachsen.de (Stand: 17. August 2015, Schreibweise wie im Original) 121 Schleswig-Holstein-Stimme, Ausgabe Mai-Juni 2008, Seite 14, Schreibweise wie im Original 122 Videobeitrag auf der www.volksfrontmedien.org 57 Menschenwürde und Ausschluss von Grundrechten Zwar bekennt sich die Partei in ihrem Parteiprogramm formal zur Menschenwürde und zur Gleichheit vor dem Gesetz, allerdings konterkariert sie diese Aussage mit Forderungen zur unterschiedlichen Behandlung von Deutschen und Nichtdeutschen, indem sie die Wahrung der Menschenwürde nur auf die eigene Ethnie beschränkt: 123 "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft." "... das 'Begrüßungsgeld' für Neugeborene, das 'Müttergehalt' und das von der NPD geforderte Familien124 darlehen haben ausschließlich deutsche Familien zu fördern." "Der Staat hat jedem Deutschen zu ermöglichen, durch Arbeit seinen und den Lebensunterhalt seiner 125 Familie aus eigener Kraft bestreiten zu können." 126 "Eigentum an deutschem Grund und Boden kann nur von Deutschen erworben werden." "Ausländer sind aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten 127 Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen." Diese Forderungen verdeutlichen, dass die NPD Menschen, welche nicht in ihrem Sinne Bestandteil der rassistisch definierten Volksgemeinschaft sind, systematisch einen niedrigeren Rechtsstatus zuordnet und ihnen Grundrechte verweigern will. Wer nach der Definition der NPD nicht Bestandteil der Volksgemeinschaft ist, wird als "Fremdkörper" betrachtet. Diese Menschen will die NPD ausgrenzen, benachteiligen und ausschließen. Sie sind in den Augen der Rechtsextremisten minderwertig und sollen Deutschland verlassen. Vor diesem ideologischen Hintergrund sind besonders die ausländerund islamfeindlichen Kampagnen der NPD zu sehen. Islamfeindlichkeit als Türöffner für Fremdenfeindlichkeit Bereits im Jahr 2010 gab es strategische Überlegungen der NPD, wonach die sog. "Moslemfrage" propagandistisch als Türöffner für die Vermittlung ihrer ausländerfeindlichen Positionen genutzt werden solle: "Die nationale Opposition ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. Die populäre Moslemkritik kann so 128 zum Türöffner für die viel weitergehende Ausländerkritik der nationalen Opposition werden." Seit einigen Jahren - infolge der verstärkten Entwicklung des weltweiten islamistischen Terrors - baut die NPD deshalb bewusst das Feindbild Islam auf, um ihre fremdenfeindlichen Argumentationen in das sicherheitsempfindliche Bewusstsein der Bevölkerung zu tragen und Ängste zu schüren. Dabei setzt die NPD Muslime und Islamisten gleich, wenn sie behauptet, dass die Islamisten das wahre Gesicht des Islams zeigten. 123 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 124 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 7 125 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8 126 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 9 127 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 11 128 www.kompakt-nachrichten.de (Stand: 14. Oktober 2010) 58 RECHTSExTREMISMUS "Islamisten sind dabei nicht etwa nur als besonders extreme Vertreter ihres Glaubens anzusehen, sondern sie verkörpern den Islam vielmehr in seiner unverfälschten Form, mit der die Mehrzahl der in Deutschland 129 lebenden Muslime gänzlich oder zumindest in weiten Teilen konform geht." "Für die sächsische NPD steht außer Frage, daß Zuwanderungskritik heutzutage immer auch Islamisierungskritik sein muß, ist doch gerade die Zuwanderung aus islamischen Ländern besonders konfliktbeladen. Muslime stellen nicht nur quantitativ die Hauptgruppe der Überfremder dar, sondern sie sind aufgrund ihres - mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft unvereinbaren - religiösen und kulturellen 130 Hintergrundes auch die mit Abstand problematischsten." Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 9. Oktober 2016) Streben nach Abschaffung der parlamentarischen Demokratie Die NPD positioniert sich offen als Feind der parlamentarischen Demokratie. Sie will den Staat weder reformieren, noch an seiner Gestaltung im Rahmen des parlamentarischen Prozesses mitwirken. Die gegenwärtige demokratische Gesellschaft soll vielmehr abgeschafft werden. Deshalb greift die Partei den Staat in diffamierender Art und Weise an und bringt so ihren Willen zur Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck. "Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozialen, demokratischen und nationalen Volksstaat schaffen 131 und stellt dieses Ideal der etablierten 'Demokratie-Karikatur' namens BRD entgegen." 129 ebd. 130 www.npd-sachsen.de (Stand: 12. August 2013, Schreibweise wie im Original) 131 Broschüre "Heimat bewahren. Freiheit erkämpfen", S. 15 59 "In der Tat wollen wir das liberalkapitalistische System der BRD überwinden und die Fehler dieser repräsen132 tativen Demokratie beseitigen [...]." Der einstmals maßgebliche Parteiideologe Jürgen GANSEL verdeutlichte in einem Artikel, dass die Partei kein Interesse an der Mitgestaltung des demokratischen Willensbildungsprozesses hat, sondern daran arbeiten will, eine den "Parteienpluralismus erstickende Gegenmacht" aufzubauen: "Das alles ist systemimmanenter Volksbetrug! Hier hilft kein bloßer Politikerwechsel, weil durch den Austausch eines Volksbetrügers durch einen anderen nichts gewonnen ist, sondern nur ein radikaler, also an die Wurzel des Übels gehender Politikwechsel. [...] So wie das System von unten nach oben fault, muss die NPD von unten nach oben politische Gegenmacht aufbauen. In den Städten, Gemeinden und Landkreisen haben wir uns als Stachel im Fleisch der Volksbetrüger und als Schutzmacht der 'kleinen Leute' unseres 133 Volkes festzusetzen - parlamentarisch wie außerparlamentarisch." Ablehnung des Mehrparteienprinzips - Parlamentarismus ist nur Mittel zum Zweck Anstelle der repräsentativen Demokratie strebt die Partei einen Staat mit plebiszitärem Präsidialsystem an, in dem es kein demokratisches Mehrparteiensystem mehr geben soll: "Demokratie heißt Volksherrschaft, während Liberalismus die Herrschaft von Parteien und Interessengruppen meint, deren Bühne und Exekutionsorgan volksabgehobene Parlamente sind. Im Liberalismus reißen sich Parteien und Interessengruppen den Staat unter den Nagel und machen ihn zum Schacherund Kompromißobjekt. [...] Wir wollen das gemeinwohlschädigende Parteienregime eindämmen und ein neues Gemeinwesen mit einem volksgewählten Präsidenten und Volksabstimmungen in allen Lebensfragen der Nation schaffen. Ein solches plebiszitäres Präsidialsystem würde die deutsche Politik aus dem 134 Würgegriff der Blockparteien und der eigensüchtigen Interessengruppen befreien." Der so angestrebte Staat trägt autoritäre Züge und steht im Kontrast zum pluralistischen Weltbild des Grundgesetzes. Auch im Parteiprogramm verdeutlichte die NPD ihre ablehnende Haltung zum Mehrparteiensystem: "Zentrale Eckpunkte einer politischen Neuordnung sind: die Festschreibung einklagbarer sozialer Grundrechte und der Grundpflichten, die Direktwahl des mit mehr Machtbefugnissen ausgestatteten Präsidenten der Deutschen durch das Volk und die Stärkung der Gesetzgebung durch Volksentscheide auf allen Ebenen. Dadurch wird die gemeinwohlschädigende Dominanz der Parteien zurückgedrängt und das Volk 135 in seinen Rechten gestärkt." Historischer Nationalsozialismus als Ideal der NPD In seinem Urteil zu dem vom Bundesrat beantragten Verbot der NPD führte das Bundesverfassungsgericht weiter aus: Bei der NPD "liegt eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vor. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen [...]. Hinzu kommen das 132 damaliger NPD-Parteivorsitzender VOIGT in der DEUTSCHEN STIMME, April 2011, S. 16 133 Artikel "Die Systemkrise beginnt im kommunalen Unterbau", Internetseite der NPD (Stand: 24. Februar 2010) 134 Broschüre WORTGEWANDT Argumente für Mandatsund Funktionsträger, 2012, S. 51 135 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 8 60 RECHTSExTREMISMUS Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile [...] mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren [...]. Ungeachtet struktureller Unterschiede zwischen [der NPD] und der NSDAP ergibt sich hieraus eine Bestätigung der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch [die NPD] [...]".136 Die NPD empfahl ihren Funktionsträgern zwar, "sich mit dem Hinweis auf Gegenwartsaufgaben" nicht auf die Themenkomplexe Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozialismus "festnageln" zu lassen. Jedoch zeigen die beschriebenen Parallelen zwischen der NPD und der NSDAP-Programmatik sowie die positive Bezugnahme auf die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945, dass sich die Partei am "Dritten Reich" orientiert. "Nur weil es etwas schon im Dritten Reich gab, muß es nicht automatisch schlecht sein. Wir sind keine Partei, die etwas nur deshalb ablehnt, weil es das auch schon zwischen 1933 und 1945 gegeben hat, z. B. echt fortschrittliche Gesetze auf dem Gebiet der Sozialund Familienpolitik, des Tierund des Naturschutzes [...]. Die Forderung' Gemeinnutz geht vor Eigennutz' ist doch nicht falsch, nur weil sie von 137 Nationalsozialisten erhoben wurde." Die erwähnte "Forderung" ist im Programm der NSDAP zu finden. Offensichtlich hat diese Partei für die NPD nicht nur in Bezug auf ihre Ideologie, sondern auch in strategisch-taktischen Fragen eine Vorbildfunktion. Dies untermauerte der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende Karl RICHTER in einem Thesenpapier zur künftigen Positionierung der NPD: "Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Auftreten und Methoden eine ultramoderne Massenpartei, 138 die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. Dort müssen wir auch hin!" Nach dem Vorbild des historischen Nationalsozialismus strebt die NPD die Wiederherstellung des deut139 schen Reiches als "Schutzund Trutzbündnis des Deutschen Volkes" an. "Die Hauptaufgabe der deutschen Nationaldemokratie besteht deshalb in der Wiederherstellung der 140 vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches." Das von der NPD angestrebte "Reich" orientiert sich deutlich am "Dritten Reich". Die Partei versucht dabei, Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus zu verharmlosen bzw. zu rechtfertigen. So leugnet sie die Schuld der Nationalsozialisten am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe 141 "auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militärischen Bedrohung gegen das Reich" gedient. Hinsichtlich des millionenfachen Massenmordes an den europäischen Juden spricht die NPD 142 in ihrem Zentralorgan verharmlosend von "Fehlentwicklungen" im "Dritten Reich" . 136 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 137 WORTGEWANDT Argumente für Mandatsund Funktionsträger, 2012, S. 53 138 Thesenpapier "Raus aus dem Vergangenheitsghetto - Gegenwart gestalten" von Karl RICHTER, Juni 2011 139 www.npd.de, Meldung über den "Präsidiumsbeschluß zur V-Mann-Hysterie - Jetzt erst recht!" (Stand: 17. Juli 2002) 140 Europawahlprogramm der NPD 2003, S. 6 141 DEUTSCHE STIMME, Artikel "Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt?", August 2003, S. 20 142 DEUTSCHE STIMME, Artikel "Die BRD feiert die Niederlage Deutschlands" von Jürgen GANSEL, Juli 2004, S. 4 61 Aktivitäten Die Aktivitäten des sächsischen NPD-Landesverbandes erreichten im Jahr 2016 einen Tiefpunkt. Die Partei musste durch das Ausscheiden der NPD aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einen weiteren Verlust ihrer politischen Bedeutung hinnehmen, sah sich mit dem laufenden Verbotsverfahren konfrontiert, verlor weiter an Mitgliedern und verfügte in Sachsen kaum noch über aktive Strukturen. Im ersten Halbjahr 2016 waren noch Ansätze sichtbar, wie die Beteiligung des Landesverbandes am Protestgeschehen im Freistaat Sachsen - allerdings in deutlich geringerem Ausmaß als im Vergleich zum Vorjahr. Im zweiten Halbjahr kam auch dies zum Erliegen. Insgesamt wurden 24 Demonstrationen und Kundgebungen bekannt, welche die Partei organisierte bzw. an welchen sie aktiv mitwirkte. Die NPD-Strukturen - mit Ausnahme der Kreisverbände Dresden, Meißen und Sächsische Schweiz - schienen in Agonie zu verfallen. Im Erzgebirgskreis agierte der Kreisvorsitzende zumeist außerhalb seiner Partei. Parteiinterne Konflikte zwischen dem Landesvorstand und den Kreisverbänden sowie Austritte von Mitgliedern drangen an die Öffentlichkeit und vermittelten das Bild einer desolaten Situation im sächsischen Landesverband. Der ehemals aktive und mitgliederstarke Kreisverband Leipzig zerfiel nach diesen Konflikten. Erst im November wurde ein neuer Vorstand gewählt. Auch der Kreisverband Bautzen musste nach Austritt seines Vorsitzenden im November 2016 einen neuen Kreisvorstand wählen. Nach Scheitern des Wiedereinzugs in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verfügt die NPD nun bundesweit nur noch über Mandatsträger auf kommunaler Ebene. Jedoch sinkt auch die kommunale Präsenz der NPD durch die Austritte von Mandatsträgern. Gegen Ende des Jahres und in Vorbereitung auf kommende Wahlen beschlossen Funktionsträger der Partei ein verstärktes soziales Image zu verschaffen. Man wolle sich als "Anwalt der kleinen Leute" sowie als "Dienstleister in verschiedenen Bereichen der praktischen Lebensführung" präsentieren. Parallel dazu beabsichtige man aber auch, "Bürgerinitiativen" zu unterstützen und die Vernetzung "nonkonformer patriotischer Kräfte" 143 zur NPD voranzutreiben. Konflikte und Erosionen an der Basis Am 19. März 2016 führte der sächsische NPD-Landesverband einen Landesparteitag durch. Auf dieser Veranstaltung wählten die Delegierten Jens BAUR zum Landesvorsitzenden. Dieser Schritt war notwendig geworden, nachdem sein Vorgänger im Sommer 2015 zurücktreten und die Partei zunächst kommissarisch von BAUR geführt werden musste. Der neue Vorsitzende sah sich nach dem Parteitag Anfeindungen aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Der Kreisverband Leipzig erklärte nach dem Landesparteitag, dass das Ergebnis der Veranstaltung "augenscheinlich ungültig" sei. Der Landesvorstand habe vor der Veranstaltung über den Kreisverband Leipzig "unbegründet" den organisatorischen Notstand verhängt, "abdelegierte Mitglieder" seien für nicht stimmberechtigt erklärt worden und einen vorgeschlagenen Kandidaten habe man ignoriert.144 Diese Vorwürfe wies der Landesvorstand zurück. Der Vorstand habe die Ordnungsmaßnahme gegen die NPD-Struktur wegen finanzieller Probleme verhängt.145 In einer umfangreichen Entgegnung verlautbarte der Leipziger Kreisvorstand: 143 www.npd-sachsen.de (Stand: 18. November 2016) 144 www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 23. März 2016, Schreibweise wie im Original) 145 www.npd-sachsen.de (Stand: 24. März 2016) 62 RECHTSExTREMISMUS "Da sämtliche Mitglieder des Kreisverbandes die Lügen, Intrigen und Märchen des Jens Baur mitbekommen haben und die erfundenen Inhalte seiner Pressemitteilung das Fass zum überlaufen brachten, schrieben am heutigen Tag ALLE aktiven Mitglieder Ihre Kündigung, was ein schmerzhafter Verlust im zweistelligen Bereich bedeutet."146 Damit brach die politische Arbeit des ehemals mitgliederstarken und aktiven Kreisverbandes Leipzig ein. Die sächsische NPD, welche zu diesem Zeitpunkt eigenen Angaben zufolge nur noch über rund 500 Mitglieder verfügt haben soll, musste weitere Verluste hinnehmen. Ein erster Versuch, diese inaktive NPD-Struktur wieder zu beleben, scheiterte im Oktober 2016 an wegen mangelhafter Beteiligung an der einberufenen Versammlung. Erst im November 2016 präsentierte der Landesverband eine fünfköpfige Führungsriege des Kreisverbandes Leipzig. Auch der im Jahr 2016 kaum aktive Kreisverband Bautzen, der nach Austritten im Vorjahr nur noch aus wenigen Mitgliedern bestanden hatte, musste im November 2016 einen Vorstand wählen, denn der ehemalige Vorsitzende des Kreisverbandes stand für dieses Amt nicht mehr zur Verfügung und verließ die Partei. Quelle: www.facebook.com/WirfuerLpz (Stand: 20. Oktober 2016) Öffentliche Veranstaltungen Im Unterschied zum Jahr 2015 drosselte die sächsische NPD ihre Beteiligung am Demonstrationsgeschehen gegen die Politik der Bundesregierung insbesondere in der zweiten Jahreshälfte. Im Wesentlichen fanden derartige Aktivitäten der NPD in den Landkreisen Sächsische Schweiz, Meißen und Erzgebirge sowie in der Stadt Dresden statt. Im Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge agierten Vertreter der NPD besonders in Sebnitz. Bei Demonstrationen des Demokratischen Aufbruchs Sächsische Schweiz (DASS)147 traten sie als Redner auf, verbreiteten dabei auch ihre fremdenfeindliche Programmatik und wirkten organisatorisch mit. Nach dem Ausscheiden eines maßgeblichen Vertreters aus den Organisationsteams dieser Gruppe waren jedoch seit Juni 2016 keine Aktivitäten mehr feststellbar. Darüber hinaus war das öffentliche Engagement der NPD im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge stark rückläufig. Lediglich je eine Demonstration fand in Klingenberg und in Dippoldiswalde statt. In Heidenau führten NPDund JN-Aktivisten eine "Straßentheateraktion" durch. Der Kreisverband Dresden organisierte einige Demonstrationen und führte Infostände durch. Ein von der Partei organisierter Aufzug im Februar 2016 in Dresden-Gorbitz mit ca. 120 Teilnehmern richtete sich gegen die Asylpolitik. 146 www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 23. März 2016, Schreibweise wie im Original) 147 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen 63 Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 7. April 2016) Als im Juni 2016 in Dresden die sog. "Bilderberg-Konferenz"148 stattfand, organisierte die NPD eine Kundgebung unter dem Motto "Volksherrschaft durchsetzen - 'Bilderberg' - Macht brechen - Heimlichtuerei beenden!" mit ca. 80 Teilnehmern. Wie im Vorjahr organisierte die NPD auch im Jahr 2016 anlässlich des Jahrestages des Volksaufstandes in Dresden am 17. Juni einen Aufzug. An der Veranstaltung "Damals wie heute: Ein Volk sprengt seine Ketten" beteiligten sich jedoch lediglich etwa 35 Personen. Auch im Landkreis Meißen war die Partei im ersten Halbjahr 2016 vereinzelt noch am Demonstrationsgeschehen beteiligt. Die vier Aufzüge in ZeitQuelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 9. Juni 2016) hain, Gröditz, Moritzburg und Riesa richteten sich gegen die Asylpolitik. An der größten Demonstration im Januar 2016 in Zeithain beteiligten sich rund 200 Personen. Das Objekt des Verlages der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME in Riesa nutzten die Rechtsextremisten für öffentliche und interne Veranstaltungen. Im Juni 2016 organisierte der Landesverband ein sog. "Sommerfest" mit Redeund Musikbeiträgen. Der rechtsextremistische Liedermacher "FreilichFrei" trat auf. Etwa 150 Parteimitgliederbzw. Anhänger besuchten die Veranstaltung. Die Aktivitäten der NPD im Erzgebirgskreis prägte besonders der Kreisvorsitzende Stefan HARTUNG. Allerdings war dabei erkennbar, dass ein Bezug zur Partei bewusst vermieden wurde. Unter dem Label "Freigeist"149 organisierten HARTUNG bzw. seine Anhänger Demonstrationen bzw. Kundgebungen in Bad Schlema, Grünhain-Beierfeld, Schwarzenberg und Aue. Dabei versuchten die Organisatoren, hinsichtlich der Asylthematik Druck auf Lokalpolitiker auszuüben. Nach der Kundgebung in Bad Schlema beteiligten sich rund 30 Personen aus dieser "Freigeist" - Versammlung an einer Bürgerfragestunde zum Thema "Asyl" im Rathaus. Die gleiche Aktion planten die Aktivisten in Grünhain-Beierfeld. Auf der Facebook148 Die NPD agitiert gegen die "Bilderberg-Konferenz" im Kontext ihrer antisemitischen Weltverschwörungstheorien. Die "Bilderberg-Konferenz" ist eine Zusammenkunft von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, bei der Gedanken über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen ausgetauscht werden. 149 Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V. 64 RECHTSExTREMISMUS Seite des NPD-Landesverbandes Sachsen hieß es: "Nach dem erfolgreichen und die Politiker entlarvenden Auftakt in Bad Schlema setzen wir unsere Veranstaltungsreihe [...] vor dem Rathaus in Grünhain-Beierfeld fort. Dort werden wir [...] zuerst eine kurze Kundgebung abhalten und danach gemeinsam den Politikern auf die Finger schauen, unbequeme Fragen stellen und auf die Umsetzung unserer Interessen pochen." 150 Quelle: www.facebook.com/NPD-Erzgebirge (Stand: 11 April 2016) Der Bürgermeister ließ angesichts dieser Situation 25 Personen zur Versammlung zu, welche um den Tagesordnungspunkt Asyl gekürzt wurde. HARTUNG zeigte sich darüber hinaus in der Region bestrebt, verschiedene regionale "Bürgerinitiativen" zusammenzuführen. Der von HARTUNG angemeldete Aufzug in Aue wurde z. B. als "Sternmarsch" am 9. April verschiedener Gruppierungen deklariert151. Mit ca. 600 Teilnehmern war es die größte von diesem NPD-Funktionär angemeldete Veranstaltung im Jahr 2016. Strategische Neuausrichtung Am 17. November 2016 trafen sich sächsische NPD-Funktionäre zusammen mit dem Parteivorsitzenden Frank FRANZ in Riesa, um auf einer Klausurtagung über die künftige strategische Ausrichtung der NPD in Sachsen zu beraten. Anknüpfend an die von FRANZ geforderte "stärke[re] Betonung der sozialen Frage" wolle die Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 18. November 2016) NPD: * "Dienstleister in verschiedenen Bereichen der praktischen Lebensführung" sein; * "breiten Schichten des deutschen Volkes, insbesondere der vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschicht, solidarisch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen"; * "auch in puncto 'innere Sicherheit' [...] den Bürgern künftig verstärkt als Ansprechpartner dienen"; * "als Dienstleister für Bürgerinitiativen engagieren, etwa wenn es um die Vorbereitung und Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen geht"; die "angestrebte parteiübergreifende Vernetzung nonkonformer patriotischer Kräfte, [...] mit ihren Bildungsund Schulungs-Angeboten vorantreiben"; * sich im Unterschied zur "eher wirtschaftsliberal auftretenden AfD [...] sehr viel stärker als Anwalt des kleinen Mannes" sehen. 150 Auszug aus www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 1. Februar 2016) 151 siehe Abschnitt 2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 65 Ein wesentlicher Bestandteil der künftigen Öffentlichkeitsarbeit solle unter dem Motto "Deutsche helfen Deutschen" laufen. Der Charakter der NPD als "regional und lokal verwurzelte sozi ale Heimatpartei bzw. als Kümmererpartei im Sinne einer Strategie der kommunalen und sozialen Graswurzelarbeit" müsse deutlicher betont werden. Auch die "kommunalpolitische Arbeit sowohl inals auch außerhalb der Kreistage, Stadtund Gemeinderäte [müsse] stärker an Bedeutung gewinnen", da die kommunalen Mandatsträger das "Pfund" vor Ort seien, mit welchem die NPD "wuchern kann". Diesen Personenkreis wolle der Landesvorstand besser vernetzen und praxisorientiert schulen. Die genannten strategischen Punkte umrahmten die Rechtsextremisten mit der Feststellung, dass es "in einer BRD [...], in der sich breite Bevölkerungsschichten zunehmend als Verlierer der Globalisierung und der Masseneinwanderung fühlen", für "eine dezidiert soziale und heimattreue politische Kraft, die ihr Engagement nicht nur auf Theorie und Wahlprogramme beschränkt", auch künftig noch breiten Raum geben werde. Die ersten Ergebnisse dieser Tagung verdeutlichten, dass verstärkt auf ein soziales Image als Kümmerer, Dienstleister und Anwalt des "kleinen Mannes" gesetzt wird. Auf diese Weise soll der rechtsextremistische Charakter der Partei verschleiert werden. Selbst die fremdenfeindliche Position zur Asylpolitik, welche diese Organisation bisher als ihr Alleinstellungsmerkmal betrachtet hat, findet sich kaum in den strategischen Aussagen wieder. Allerdings zeigen sich in zwei Leitanträgen, welche auf dem Parteitag im November 2016 verabschiedet wurden, wieder typisch fremdenfeindliche und pauschalisierende Positionen. Der Leitantrag "'Nein zu Kinderehen - Nein zur importierten Barbarei' fordert die Politik dazu auf, den millionenfachen Zustrom von Asylanten aus Nordafrika und dem Nahen Osten als die eigentliche Ursache für den Import von Familienstrukturen zu erkennen, die dem deutschen Familienverständnis völlig fremd sind." Im zweiten Leitantrag "Willkommenskultur für unsere Kinder!" fordert die Partei "eine drastische Kostensenkung bei jungen Scheinflüchtlingen, um die Kostenspirale für deutsche Eltern zu stoppen." Quelle: www.facebook.com/npd.meissen In diesem Zusammenhang verwies ein Partei(Stand: 27. November 2016) funktionär auf "die immensen Kosten für sog. 'Unbegleitete Minderjährige Asylsuchende' ('UMA's'), bei denen es sich häufig um 'scheinminderjährige Scheinsyrer' handele." 152 Aus Sicht der NPD haben nicht extremistische Parteien, wie die AfD, Themenfelder und Positionen der NPD übernommen und damit wesentlich mehr politische Bedeutung erlangt. Nun versuchen die Rechtsextremisten, durch ein vordergründig sozial engagiertes Auftreten auf kommunalpolitischer Ebene bei potenziellen Wählern zu punkten. Dies soll für den Wähler zum entscheidenden Unterschied zu ebenfalls die Asylthematik akzentuierenden Wahlalternativen sein. 152 www.npd-sachsen.de (Stand: 30. November 2016) 66 RECHTSExTREMISMUS Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 27. November 2016) (Stand: 30 November 2016) Etappenziel Bundestagswahl Am 26. November 2016 versammelten sich die Delegierten zu einem Landesparteitag im Erzgebirge, bei dem sie die Kandidaten für die Landesliste zur Bundestagswahl 2016 wählten. Die sieben Personen umfassende Liste führte der Landesvorsitzende Jens BAUR, gefolgt von seinem Stellvertreter Arne SCHIMMER an. Die Delegierten verabschiedeten zudem noch die Leitanträge "Nein zu Kinderehen - Nein zur importierten Barbarei" sowie "Willkommenskultur für unsere Kinder!". Mit einer Beteiligung an der Bundestagswahl und dem damit verbundenen Wahlkampf - in dem sich die Rechtsextremisten voraussichtlich als soziale Kraft präsentieren werden - erhofft sich die Partei offenbar eine bessere Ausgangslage für die Landtagswahl 2019 in Sachsen. Zusammenfassung und Ausblick Die Entwicklung des sächsischen NPD-Landesverbandes war im Jahr 2016 gekennzeichnet von innerparteilichen Auseinandersetzungen, Substanzverlusten und einem Rückzug aus dem öffentlichen politischen Raum. Nur einzelne Strukturen waren noch in der Lage, eine Außenwirkung zu entfalten. Es gelang der Partei nicht, aus dem Protestgeschehen im Freistaat Sachsen Nutzen zu ziehen. Nachdem die NPD nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch im letzten Landesparlament ihren Fraktionsstatus einbüßte, verfügt sie nur noch über kommunale Mandatsträger, deren Zahl durch Austritte immer geringer wird. In dieser Situation und in Vorbereitung auf kommende Wahlen versuchen die Rechtsextremisten sich ein Profil als "sozial engagierter Dienstleister" zu geben. Damit hoffen sie auf Zuspruch aus dem bürgerlichen Spektrum. Zweifelhaft ist, ob die Rechtsextremisten mit diesem weichgezeichneten Profil ihre Substanzschwäche wieder ausgleichen können. Die Akzeptanz der Partei im eigenen Lager dürfte sich damit nicht erhöhen, auch wenn es im Zuge der versuchten "Neuausrichtung" der Partei nicht zu Relativierungen oder einem Aufgeben der extremistischen ideologischen Standpunkte der Partei kam. Die NPD hält vielmehr nach wie vor an ihrem rechtsextremistischen Programm fest und strebt die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. 67 2.4.2 Junge natIonaldemokraten (JN) Extremismusbereich: Rechtsextremismus Gründung: 1969 Sitz: Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 85 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 110 Mitglieder 2015 bundesweit: ca. 350 Vorsitz Bund: Sebastian RICHTER Vorsitz Freistaat Sachsen: Paul RZEHACZEK Publikationen: DER AKTIVIST PLATZHIRSCH Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Die JN, die Jugendorganisation der NatIoNalDemokratIscheN ParteI DeutschlaNDs (NPD), verstehen sich laut Satzung ihrer Mutterpartei als deren "integraler Bestandteil". Sie bezeichnen sich selbst als "Kaderorganisation einer nationalistischen Partei". Die JN gliedern sich in den Bundesverband, in Landesverbände und in einigen Bundesländern in regional und lokal agierende sog. Stützpunkte. Den "Stützpunkten" gehören in der Regel fünf bis zwanzig Mitglieder an. Erste Aktivitäten der JN im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 1995 festgestellt. 1997 gründete sich in Dresden der erste sächsische JN-"Stützpunkt". Im darauffolgenden Jahr entstand neben weiteren "Stützpunkten" in Kamenz und Bischofswerda (jeweils Landkreis Bautzen) erstmals ein sächsischer JN-Landesverband, welcher jedoch bereits 1999 nach Zerwürfnissen mit dem Bundesvorstand wieder aufgelöst wurde. Die anschließenden Versuche, einen neuen Landesverband zu gründen, blieben zunächst erfolglos. Die vereinzelten "Stützpunkte" in den Regionen Zittau (Landkreis Görlitz) und Sächsische Schweiz waren kaum aktiv. Ab 2004 waren abermals Bemühungen zu beobachten, JN-Strukturen aufzubauen. Im Mai 2005 wurde in Sachsen erneut ein JN-Landesverband gegründet. In den folgenden Jahren entstanden mehrere "Stützpunkte", deren Aktivitäten unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Während von einigen über einen längeren Zeitraum hinweg Aktivitäten ausgingen, waren andere "Stützpunkte" kaum aktiv oder wurden offenbar wieder aufgelöst. Ende 2012 haben die JN in Sachsen erneut damit begonnen, ihre Strukturen auszubauen. In Dresden, Geithain (Landkreis Leipzig) und Werdau (Landkreis Zwickau) gründeten Rechtsextremisten neue "Stützpunkte". In der ersten Jahreshälfte 2013 kamen weitere in Limbach-Oberfrohna (Landkreis Zwickau) und in Mittelsachsen hinzu. Der "Stützpunkt Mittelsachsen" rekrutierte ehemalige Mitglieder der neonationalsozialistischen Gruppierung NatIoNale sozIalIsteN DöBelN, welche im Februar 2013 durch den sächsischen Staatsminister des Innern verboten worden war. 68 RECHTSExTREMISMUS Im Jahr 2014 bildeten sich JN-Strukturen in Ostsachsen und Borna (Landkreis Leipzig). Nachdem die NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (NSC) im März 2014 verboten worden waren, wechselten auch hier einige 153 ehemalige Mitglieder unter das Dach der JN, um so auch unter den Schutz des Parteienprivilegs zu fallen. In der Folge war auch eine Annäherung der freIeN kräfte DresDeN an JN-Strukturen erkennbar. Mit dem Eintritt des führenden Dresdner Neonationalsozialisten Maik MÜLLER und einiger seiner Anhänger in die JN nahm die Überschneidung von JN mit der neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sachsen weiter zu. Im Jahr 2015 waren die JN mit 13 "Stützpunkten" in fast allen sächsischen Landkreisen und in den drei kreisfreien Städten vertreten. Ausnahmen bildeten lediglich der Erzgebirgskreis sowie der Vogtlandkreis. Aufgrund ihrer mehrjährigen engen Verbindung zur rechtsextremistischen Szene in Bayern hatten sich führende NeoNatIoNalsozIalIsteN im Vogtlandkreis bereits 2014 der Partei Der DrItte weg 154 angeschlossen. Das Jahr 2016 war für die JN im Freistaat Sachsen mit einem deutlichem Strukturrückgang verbunden. Der JN-"Stützpunkt" Leipzig löste sich aufgrund der Konflikte zwischen dem NPD-Landesverband und dem NPD-Kreisverband Leipzig Stadt und Land im April 2016 auf.155 Die "Stützpunkte" Muldental, Zwickau, Limbach-Oberfrohna und Ostsachsen stellten im Laufe des Jahres 2016 ebenfalls ihre Aktivitäten ein. Damit verfügen die JN lediglich in Nordund Mittelsachsen sowie in Borna, Chemnitz, Dresden, Geithain und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge noch über aktive "Stützpunkte". "Stützpunkte" der JN im Freistaat Sachsen 153 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 154 siehe Abschnitt II.2.4.4 Der DrItte weg 155 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen Leipzig (Stadt) 69 Nach der Wahl von Paul RZEHACZEK zum Landesvorsitzenden der JN Sachsen im Oktober 2012 hatte sich die NPD-Jugendorganisation deutlich für neonationalsozialistische Strukturen geöffnet. Dadurch konnten die JN seit 2013 einen erheblichen Mitgliederzuwachs von über 50 % verbuchen. So steigerte sich ihr Mitgliederpotenzial in den Jahren 2014 und 2015 auf 110 Personen. Aufgrund des Rückganges an aktiven Strukturen in einigen Regionen sank das Mitgliederpotenzial im Jahr 2016 auf ca. 85 Personen. Mitglieder der JN im Freistaat Sachsen 120 110 110 90 85 80 70 70 50 50 50 50 40 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Die Geschäftsstelle der JN Sachsen befindet sich weiterhin in der Markersdorfer Str. 40 in Chemnitz, wo auch am 2. April 2016 ihr diesjähriger Landeskongress durchgeführt wurde. Personelle Veränderungen im Vorstand erfolgten nicht. Ideologie/ Politische Zielsetzung Das Ziel der Jugendorganisation der NPD ist die Errichtung einer "nationalistischen Volksgemeinschaft". Gemeint ist eine "rassisch" definierte Gesinnungsgemeinschaft basierend auf dem Gedanken der "Volksgemeinschaft" des Nationalsozialismus. Die JN bekennen sich zum "deutsch156 europäischen Abstammungsprinzip" . Die Zugehörigkeit zu einem Volk ist demnach nicht vom rechtlichen Status der Staatsbürgerschaft, sonQuelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 4. April 2016) dern von der ethnisch-biologischen Abstammung abhängig. 156 Aus "Unsere Grundsätze", Internetseite der JN, www.aktion-widerstand.de/ziele-der-jn (Stand: 10. Juni 2014) 70 RECHTSExTREMISMUS Die zentrale Stellung des nationalsozialistischen Konzepts der "Volksgemeinschaft" spiegelt auch folgender Facebook-Eintrag bei den JN Mittelsachsen wider: "Ein Volk ist eine organisch gewachsene Gemeinschaft gleichen BLUTES, gleicher GESCHICHTE, mit gleichem LEBENSRAUM/BODEN und gleicher KULTUR. Sollte eines dieser Merkmale zerstört werden, kann das Volk langfristig nicht mehr bestehen. Momentan versuchen die BRD-Demokraten, unser Volk auf allen vier Ebenen, also alle vier Merkmale, zu zersetzen. * BLUT: Zersetzung durch massenhafte Zuwanderung. * BODEN: Verkauf von Grundstücken an Nicht-Deutsche und der völkerrechtswidrige Gebietsverlust nach den beiden Weltkriegen. * GESCHICHTE: Verfälschung deutscher Geschichte und damit einhergehenden Büßertum. 157 * KULTUR: Entartung der deutschen Sprache. Amerikanisierung in allen Lebensbereichen." Dass die von den JN angestrebte Volksgemeinschaft auf einer ethnisch-biologisch homogenen Ordnung basieren soll, zeigt auch ein Eintrag auf dem Facebook-Profil der JN Sachsen vom 11. Oktober 2016: "Durch die Gleichmachung in der Welt werden keine Unterschiede, welche durch Naturgesetzmäßigkeiten gegeben sind, akzeptiert. (...) Geschlechtliche sowie ethnische Verfälschung von Tatsachen werden bereits im Kindesalter gelehrt und somit als Selbstverständlichkeiten verkauft. (...) Die genetische Herkunft wird in den Hintergrund gestellt und eine Staatsangehörigkeit symbolisiert die Zugehörigkeit zu einem Land. (...) Wir sind genau an dem Punkt zwischen Bewusstsein und Vernichtung. Im Krieg zwischen Willkür und Recht, im Krieg zwischen Gold und Blut und Boden. Durch die massenhafte Einwanderung und Vermischung des deutschen Volkes mit anderen Völkern wird der große Volksaustausch durchgeführt, Deutschland ist vogelfrei für jeden. (...) Der Begriff "Rasse" wird mit Fremdenfeindlichkeit verknüpft und wird dadurch eindeutig verfälscht. Das genetische Erbe eines jeden Volkes ist eine Rassentatsache, kein Rassentabu. Es entspricht einfach den Gesetzen der Natur und der Schöpfung. Die Rückeroberung beginnt mit der Enttabuisierung von Begriffen wie Rasse. Demzufolge ist der Rassenhumanismus, der die mentale und geistige Regeneration der Rassen fordert, gekoppelt mit dem Ethnosozialismus, der die Blutsbrüderschaft der Völker Europas darstellt, das Mittel zum Erfolg, um den bevorstehenden Volkstod abzuwenden." 158 Dementsprechend argumentieren die JN bei ihren Aktionen im Freistaat Sachsen mit Slogans wie "Migration ist Völkermord! Widerstand an jedem Ort!"159, "Überfremdung tötet", "Islam tötet" und "Migration tötet"160. Die Bundesführung der JN brachte es bereits im Dezember 2015 in einem Artikel auf ihrer Homepage auf einen Nenner: "Das Bekenntnis zu den großen natürlichen Gemeinschaften Rasse, Volk und Familie sei Richtschnur für unser politisches Handeln." 161 157 www.facebook.com/mittelsachenjn (Stand: 25. Dezember 2014, Schreibweise wie im Original) 158 www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 11. Oktober 2016) 159 Eilenburg, 19. April 2016 kurzzeitige "Besetzung" eines Wohnblockes durch JN-Akteure 160 Döbeln, Anfang August 2016 Veröffentlichung der JN Mittelsachsen 161 www.aktion-widerstand.de (Stand: 3. Dezember 2015) 71 JN-Bundesverband Beim JN-Bundeskongress am 13. Dezember 2014 in Thüringen wurde Sebastian RICHTER zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Der in Hoyerswerda (Sachsen) geborene und in Mecklenburg-Vorpommern wohnhafte RICHTER war zuvor Beisitzer im JN-Bundesvorstand. In der Folge verlegten die JN ihre Bundesgeschäftsstelle von Riesa (Sachsen) nach Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern). Neuer Bundesorganisationsleiter wurde der sächsische JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK. JN als "Kaderschmiede" Der neue Vorsitzende wollte - das zeigten die Aktivitäten und Veröffentlichungen des neuen Bundesvorstandes - das Selbstverständnis der JN als "Kaderschmiede" stärken und die ideologischen Positionen festigen. Die JN betonten: "Wissen, erkennen und begreifen heißt verstehen. Die Grundlagen des politischen Handelns stehen auf dem Fundament der Erkenntnis zur Notwendigkeit einer Veränderung der allgegenwärtigen Zustände. Jegliche Form unkontrollierten Aktivismus, deren Motivation und Methode nicht im Einklang mit unserem großen Ziel stattfindet, ist verschwendeter Aktivismus. [...] Das Ausstatten mit geistigem Rüstzeug ist die Voraussetzung organisatorischen Handelns. Die JN-Schulungsabteilung ist seit Frühjahr 2011 der Nationale Bildungskreis (NBK), der die geistige, vorpolitische Raumnahme in Form der Schaffung eines 162 allgemeinen nationalen Gedankens begleitet." Leitsatz der JN ist dabei der Slogan "Führen durch Vorbild". Mit ihren erklärten Vorbildern - insbesondere der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL und dem bereits verstorbenen ebenfalls verurteilten NS-Kriegsverbrecher Erich PRIEBKE - verdeutlichen die JN einmal mehr ihren ideologischen Hintergrund. Im Freistaat Sachsen veranstalteten die JN lediglich im ersten Halbjahr 2016 vereinzelte Schulungen zu den Themen "IT-Sicherheit", "Wirtschaft" und "biologische Grundlagen". Quellen: www.facebook.com/JNSachsen Quelle: www.facebook.com/JNDeutschland (Stand: 29. Mai 2016) (abgerufen am: 11. Oktober 2016) 162 www.facebook.com/junge.nationalisten?fref=ts (Stand: 19. Juni 2015) 72 RECHTSExTREMISMUS JN-Kampagnen und ausgewählte weitere Aktivitäten Der Rückgang aktiver Strukturen hatte auch auf das Aktionsniveau der JN spürbare Auswirkungen. Im Jahr 2015 organisierten die JN bzw. einzelne ihrer Mitglieder noch 20 Versammlungen im Freistaat Sachsen. Im Jahr 2016 sank die Anzahl deutlich auf nur noch zwölf Versammlungen. Dabei wurden einige dieser Demonstrationen oder Kundgebungen, wie bereits im Vorjahr, nicht mehr unter dem Label 163 JN, sondern unter Kampagnenbezeichnungen oder durch Einzelpersonen angemeldet. Das zurückgegangene Aktionsniveau machte sich auch bei der Fortsetzung der bereits in den Vorjahren begonnenen Kampagnen bemerkbar. Weder brachten sich die JN in gewohntem Umfang in die "Aktionswoche 13. Februar" ein, noch erreichte die fortgesetzte Antikapitalismus-Kampagne oder die zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH und deren Verteilung größere mediale Aufmerksamkeit. "Aktionswoche 13. Februar" Die JN waren im Jahr 2015 für die Mehrzahl der Aktivitäten außerhalb Dresdens verantwortlich. Hierbei bildeten die zeitgleich am 13. Februar 2015 überregional durchgeführten Mahnwachen den Schwerpunkt. Die öffentlichkeitswirksame Berichterstattung zu den einzelnen Aktivitäten erfolgte parallel durch das Dresdner "Aktionsbündnis gegen das Vergessen" und die JN im Internet. Im Jahr 2016 kam es durch die JN im Zusammenhang mit der "Aktionswoche 13. Februar" lediglich zu Plakatierungen und Flyerverteilungen in Leipzig, Borna und Eilenburg. Auch die Berichterstattung in den Profilen der JN in den sozialen Medien war deutlich zurückhaltender als im Vorjahr. Kampagne "vergissmeinnicht" - "Trauermarsch" am 6. März 2016 in Chemnitz Dafür meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK für den 6. März 2016 im Namen der JN Sachsen einen Aufzug in Chemnitz unter dem Motto "vergissmeinnicht" an. Bis zum Verbot der NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (NSC) am 28. März 2014 wurde dieser alljährlich von der INteresseNgemeINschaft (Ig) chemNItz164 organisiert. Im Jahr 2015 fand erstmals kein "Trauermarsch" statt. An der Versammlung der JN am 6. März 2016 beteiligten sich 130 überwiegend sächsische Rechtsextremisten. Im sozialen Netzwerk Facebook richteten die JN zudem eine eigene Kampagnenseite ein. Dort veröffentlichten die JuNgeN NatIoNalDemokrateN Fotos von Aufkleberund Plakataktionen im Rahmen der Kampagne. Weiterhin posteten insbesondere die JN Sachsen, die JN Mittelsachsen und die JN Borna auf ihren Facebook-Profilen unterstützende Plakataktionen. Quelle: www.facebook.com/JN Chemnitz (Stand: 29. Februar 2016) 163 Die Demonstrationen "Merkel muss weg" am 5. Februar 2016 in Delitzsch und am 13. März 2016 in Eilenburg unter dem Motto: "Schluss mit dem Asylchaos! Eilenburg-Ost darf nicht zum Asylghetto verkommen!" meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK als Einzelperson für Initiativen mit dem Namen "Unser Delitzsch" bzw. "Unser Eilenburg" an. Weitere Anmeldungen erfolgten durch Einzelpersonen in Borna und Eilenburg. 164 Die Ig chemNItz war den NSC zuzuordnen und daher von der Verbotsverfügung gegen die NSC umfasst. 73 Antikapitalismus-Kampagne der JN wird fortgesetzt Im Rahmen ihrer Antikapitalismus-Kampagne bedienen die JN ein weiteres Merkmal ihr "Volksgemeinschaftskonzept". Kapitalismus ist für sie ein wesentlicher Teil der angeblich drohenden "Amerikanisierung in allen Lebensbereichen". Dabei versuchen sie, antisemitische Stereotype zu transportieren. Am 1. Mai 2016 setzten die JN ihre 2015 begonnene Kampagne mit Kundgebungen in Döbeln und Grimma sowie einer Demonstration in Wurzen fort. Quelle: https://twitter.com/UnserGeithain (Stand: 1. März 2016) An der Infotisch-Kundgebung in Döbeln beteiligten sich 32 Personen. Als Redner kamen der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK und das JN-Landesvorstandsmitglied Jan HÄNTZSCHEL zum Einsatz. Als stellvertretender Versammlungsleiter fungierte zudem mit Stefan TRAUTMANN, ein weiteres Mitglied des JN-Landesvorstandes. Die Versammlungsteilnehmer begaben sich im Anschluss zur zweiten Infotisch-Kundgebung in Grimma. Die Kundgebung auf dem Grimmaer Markt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Nach der Weiterreise nach Wurzen wurde die Versammlung dort mit dann 105 Teilnehmern eröffnet. Als Redner traten neben Paul RZEHACZEK auch der Landesvorsitzende der NPD Sachsen Jens BAUR, der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Arne SCHIMMER, der stellvertretende NPD-Vorsitzende Ronny ZASOWK aus Brandenburg sowie Jan HÄNTZSCHEL auf. Alle Redner hätten verdeutlicht, "dass der Nationalstaat immer noch der beste Schutz gegen eine totale Herrschaft des Kapitals" sei.165 Bereits im Vorfeld des 1. Mai 2016 war deutlich geworden, dass die Demonstration des NatIoNaleN uND sozIaleN aktIoNsBüNDNIsses 1. maI in Plauen eine deutlich höhere Teilnehmerzahl als die NPD/JN in Wurzen mobilisieren können würde. Das Mobilisierungspotential der rechtsextremistischen Szene wurde zudem durch eine weitere Demonstration der rechtsextremistischen Partei DIe rechte in Erfurt (TH) gesplittet. Die Teilnehmerzahl dürfte die Erwartungen der JN sowie ihrer Mutterpartei kaum erfüllt haben. Laut Anmeldung hatten die JN mit etwa 200 Teilnehmern gerechnet. In der Vergangenheit hatten die JN mit überregionalen Demonstrationen, wie z. B. am 4. Oktober 2014 in Döbeln, noch mehr als 200 Teilnehmer anziehen können. Am 1. Mai 2016 gelang es den JN gemeinsam mit der NPD nicht, selbst viele ihrer eigenen Mitglieder zur Teilnahme zu motivieren. 165 www.npd-sachsen.de/migranten-sind-die-armee-des-kapitals/ (Stand: 2. Mai 2015) 74 RECHTSExTREMISMUS Zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH - öffentliches Interesse gering Mitte April kündigten die JN die zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH und damit verbunden weitere Verteilaktionen an. Die Verteilung der Erstausgabe an sächsischen Schulen im Juli 2014 hatte zu Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Chemnitz wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs gemäß SS 123 StGB geführt. Im Zuge der Ermittlungen wurden am 25. März 2015 die Landesgeschäftsstelle der JN sowie mehrere Wohnungen durchsucht und zahlreiche Computer, Laptops, Mobiltelefone und Speichermedien beschlagnahmt. Gegen den stellvertretenden Landesvorsitzenden Stefan TRAUTMANN verhängte das Amtsgericht Döbeln eine Geldstrafe. Das Verfahren gegen den JN-Landesvorsitzenden Paul RZEHACZEK stellte das Amtsgericht Döbeln mit Beschluss vom 29. Dezember 2016 mit der Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 800 EUR vorläufig ein. Die Verteilung der zweiten Ausgabe der Schülerzeitschrift erfolgte vom 1. bis 3. Juni 2016 an und in verschiedenen Bildungseinrichtungen in Sachsen. Betroffen waren Einrichtungen in Döbeln, Roßwein, Chemnitz, Pirna, Heidenau, Dresden und Leipzig. Aufgrund der Erfahrungen aus dem Jahr 2014 und der erfolgten Vorabinformation über die Sächsische Bildungsagentur reagierten die Verantwortlichen umgehend und entfernten die ausgelegten Ausgaben. Durch die JN wurden die Aktionen erneut in den sozialen Medien dokumentiert. Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 15. April 2016) Ein mit 2014 vergleichbares Medienecho konnten die JN jedoch nicht erreichen. Anti-Asyl-Agitation der JN Die steigende Zuwanderung und die damit verbundene Unterbringung von Asylsuchenden in sächsischen Gemeinden bildete in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2015 das vorherrschende Thema der JN. Zentraler Inhalt des o. a. "Konzeptes der Volksgemeinschaft" ist die "Blut und Boden"-Ideologie. Innerhalb ihres Konzeptes wird die aktuelle Zuwanderung als "Zersetzung des rassisch definierten Volkskörpers" diffamiert. Durch die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris sahen sich die JN in ihrer grundsätzlichen Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung bestätigt. Ihre Warnungen vor einer angeblich "anhaltenden Überfremdung" verbanden die JN daher im Jahr 2016 mit einer zunehmenden Islamfeindlichkeit. In unmittelbarer Nähe zum Heidenauer Stadtfest führten Mitglieder der JN und des NPD-KV Sächsische Schweiz/Osterzgebirge am 28. Mai 2016 eine Versammlung in Form eines Straßentheaterstückes unter dem Motto "Islamismus stoppen, Augen öffnen" durch. Eigenen Angaben zufolge wollten sie mit dem inszenierten terroristischen Anschlag "ein deutliches Zeichen gegen die anhaltende Überfremdung und Islamisierung" setzen. 75 Am Rande des Pirnaer Stadtfestes folgte am 18. Juni 2016 eine Banneraktion unter dem Motto "Migration ist Völkermord". Im Anschluss bekannte sich der JN-"Stützpunkt" Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Internet zu der Aktion.166 Die Aktionen der NPD bzw. der JN im Umfeld der öffentlichen Veranstaltungen zeigten, dass Rechtsextremisten nach wie vor an ihrer Wortergreifungsstrategie festhalten und öffentliche Veranstaltungen in ihrem Sinne "zu besetzen" versuchen. Die zunehmend in Parolen und in den Veröffentlichungen in den sozialen Medien festzustellende Islamfeindlichkeit wurde nach dem Nachlassen der Bedeutung der Asylthematik offenbar nunmehr genutzt, um im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie gegen Zuwanderung zu agitieren. Auf diesem Wege gegen Zuwanderung zu polemisieren, ist kein neues Muster. Eine ähnliche Darbietung, wie am 28. Mai 2016, erfolgte durch die NPD-Jugendorganisation bereits am 30. September 2014 in Leipzig.167 Ausblick Aufgrund der internen Konflikte der NPD bemühten sich die JN im Freistaat Sachsen zunächst, Kontinuität und Handlungsfähigkeit zu wahren. Nach dem sehr schwachen Wahlergebnis bei den Landtagswahlen im September 2016 in Mecklenburg-Vorpommern - sächsische JN-Mitglieder hatten in Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampfhilfe geleistet - waren jedoch die Aktivitäten der JN Sachsen schließlich stark zurückgegangen. Es ist zu erwarten, dass sich die Stagnation der JN auch im Jahr 2017 fortsetzt. Derzeit fehlen der JN in vielen Regionen geeignete Führungspersonen, die eigene Aktionen initiieren bzw. neue Interessenten an die Jugendorganisation binden könnten, zumal es mit der Partei Der DrItte weg eine Organisation gibt, die ebenfalls um neonationalsozialistische Mitglieder wirbt. Insofern ist eine personelle Stärkung wie auch eine Zunahme der Aktivitäten nicht zu erwarten. Mit zunehmender Inaktivität der JN besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich viele der Personen, die sich in den vergangenen Jahren aus der neonationalsozialistischen Szene kommend den JN zugewandt hatten, nun abermals umund rückorientieren. In der Folge würde auch ein weiterer struktureller Rückbau einsetzen und die Bedeutung der JN für die rechtsextremistische Szene weiter abnehmen. Bis zu der am 17. Januar 2017 verkündeten Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren agierte die JN abwartend. Eine Reaktion, die neue Aktivitäten erwarten ließe, blieb durch die sächsischen JN bisher aus. 166 siehe Abschnitt II.2.12.11 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge" 167 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, S.137 76 RECHTSExTREMISMUS 2.4.3 dIe rechte, Landesverband Sachsen Extremismusbereich: Rechtsextremismus Gründung: 26. Oktober 2013 Neugründung 1. August 2015 Sitz: Leipzig Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 30 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 30 Mitglieder 2015 bundesweit: 650 Vorsitz Bund: Christian WORCH Vorsitz Freistaat Sachsen: Alexander KURTH168 / Uli-Carsten BAYER169 Teil-, Nebenorganisationen: - Publikation: keine Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Am 26. Oktober 2013 wurde der sächsische Landesverband der Partei DIe rechte gegründet. Der etwa zehn Personen umfassende Landesverband war in der Folgezeit allerdings weder in der Lage, handlungsfähige Strukturen im Freistaat aufzubauen, noch wahrnehmbare Aktivitäten zu entfalten. Auf ihrem FacebookProfil verkündeten die Rechtsextremisten am 18. März 2014 aufgrund von "Meinungsverschiedenheiten" schließlich die offizielle Auflösung des Landesverbandes: "Ohne Mitglieder besteht auch kein Landesver170 band." Die Internetseite des Verbandes und das Facebook-Profil wurden offline gestellt. Am 20. November 2014 wurde jedoch auf einer Facebook-Seite die Reaktivierung des sächsischen Landesverbandes bekanntgegeben. Sie stand in engem Zusammenhang mit der innerparteilichen Krise der sächsischen NPD. Diese hatte mit dem Rücktritt des damaligen stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Maik SCHEFFLER Ende Oktober 2014 und dem damit verbundenen Rückzug anderer sächsischer NPD-Funktionäre und weiterer Mitglieder aus der Partei ihren deutlichen Ausdruck gefunden. Die tatsächliche Neugründung des sächsischen Landesverbandes erfolgte erst am 1. August 2015 in Hagenwerder (Landkreis Görlitz). Der ehemalige NPD-Funktionär Alexander KURTH wurde zum Landesvorsitzenden gewählt. Unterhalb des Landesverbandes gründete die Partei im Jahr 2015 in der Region Bautzen den Kreisverband Ostsachsen. Im Jahr 2016 erfolgte die Gründung des Kreisverbandes Westsachsen. Bislang konnte die Partei ein nur geringes Mitgliederpotenzial vornehmlich aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene ansprechen. Vereinzelt fanden auch ehemalige NPD-Mitglieder dort ihre neue politische Heimat. Ein zahlenmäßig relevanter Zulauf aus dem Spektrum der NeoNatIoNalsozIalIsteN konnte dagegen nicht festgestellt werden. Der etwa 30 Personen umfassende Mitgliederbestand wurde 2016 nicht erweitert. 168 bis Dezember 2016 169 seit Dezember 2016 170 www.facebook.de/rechtesachsen (Stand: 22. März 2014) 77 Ideologie/ Politische Zielsetzung Das Parteiprogramm ist weitgehend von der rechtsextremistischen DeutscheN volksuNIoN (DVU), welche im Jahr 2011 in der NPD aufgegangen war, übernommen worden. Äußerungen des sächsischen Landesverbandes aus dem letzten Jahr lassen demgegenüber auf eine aggressive neonationalsozialistische Orientierung schließen. Antisemitismus Insbesondere der ausgeprägte Antisemitismus zeigt deutlich den Bezug der Partei DIe rechte (Landesverband Sachsen) zum Nationalsozialismus. Im Vorgriff auf den Auftritt des für seine israelfreundlichen Positionen bekannten Geert WILDERS171 postete die Partei in Facebook mit Verweis auf den Redner den Slogan "Wir wollen keine 172 Zionistenschweine" . In einem Eintrag zu einem Artikel über den Beschuss Israels durch eine ISnahe Gruppe kommentierte die Partei "Ohne eine grundlegende Lösung der Zionistenfrage wird es 173 keinen Frieden im Nahen Osten geben" . Quelle: www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 13. April 2015) Der der Partei innewohnende Antisemitismus trat auch im Zusammenhang mit einer Bewertung der asylkritischen GIDA-Bewegungen zutage. In dem Zusammenhang kommentierte sie Ende März 2015 wie 174 folgt : "Ein großes Problem der verschiedenen Gidas ist, daß man zwar einige Probleme richtig erkannt hat, es sich aber bei diesen Problemen nur um Nebenkriegsschauplätze handelt." Dazu zähle auch die Tatsache, dass "der Hauptfeind alle[r] freien Völker" nicht in Moscheen zu finden sei, sondern "andere Gebetshäuser" bevorzuge. Abschaffung der Demokratie Das Ziel der Partei ist nicht der Meinungsstreit innerhalb der Verfassungsordnung, sondern die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Offen verkündeten die Rechtsextremisten über 175 das Internet, dass sie für den "Sturz dieses Schandregimes, welches keinerlei Existenzberechtigung hat" , "auf der Straße" stünden. 171 Bei Geert WILDERS handelt es sich um einen rechtsgerichteten, niederländischen Politiker und Vorsitzenden der "Partij voor Vrijheid" (PVV). 172 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 13. April 2015) 173 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 5. Oktober 2015) 174 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 31. März 2015, Schreibweise wie im Original) 175 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 30. Januar 2015) 78 RECHTSExTREMISMUS In einem Aufruf vom 17. September 2015 hieß es unter der Überschrift "Wacht auf": "Es ist längst überfällig das wir gemeinsam ein System entsorgen, welches die Interessen des eigenen Volkes verrät und verkauft. Wir als die Partei DIE RECHTE sind nicht angetreten um ein paar Reformen zu erzielen, denn dieses System ist nicht reformierbar. Wir sind angetreten, weil dieser menschenfeindliche 176 Staat entsorgt gehört." Demokratische Politiker werden in den Statements der Partei verunglimpft. Die Rechtsextremisten schrecken dabei nicht davor zurück, deren Tod zu fordern. Als der Bundespräsident Joachim Gauck in einer Rede Verständnis für Flüchtlinge forderte, veröffentlichte die Partei auf ihrer Facebook-Seite folgenden Eintrag: "Vom Bundesgauckler der Bunten Republik Deutschland sind wir ja bereits einiges gewohnt. [...] Volksverrätern wie Gauck sollte man endlich die Medizin zuteil werden lassen, die sie verdient haben. Wir erinnern in dieser Hinsicht an ein altes deutsches Freiheitslied: Es wird geschehen, es wird geschehen, die 177 Zeit ist nicht mehr fern, da werden all die hohen Herrn gehangen an die Laternen." In einem anderen Beitrag fordert ein Nutzer "gauck und konsorten" auf, "offen für eine 9mm kugel zu sein weil die wird kommen wegen landes-volks und hochverrat". Daraufhin wurde auf dem FacebookProfil DIe rechte sachseN entgegnet: "Zu kurz und schmerzlos. Für Hochverräter gab es in alten Zeiten 178 immer den obligatorischen Strick um den Hals." Im Oktober 2015 forderte die Partei auf Facebook eine "Revolution nach 89er-Vorbild" und die Einrichtung eines "Volksgerichtshofes". Wieder wird hier die enge Anlehnung an die Zeit des "Dritten Reiches" deutlich. Nach Vorstellungen der Rechtsextremisten soll dieser "Volksgerichtshof" genauso verfahren wie in jener Zeit: "Es wird Zeit, dass so schnell wie möglich eine Revolution nach 89er-Vorbild dieser Diktatur ein Ende setzt, bevor die Deutschen als Minderheit im eigenen Land keine mehrheitsfähige, deutsche Regierung überhaupt mehr wählen können. Ein neu eingerichteter Volksgerichtshof muss dann so schnell wie möglich die gerechten Urteile über die Volksund Landesverräter aus der Merkelschen Volkstodjunta verhän179 gen! Seht ihr schon die Stricke im Winde schwingen?" Im Januar 2015 forderte der spätere sächsische Landesvorsitzende Alexander KURTH auf seinem Facebook-Profil: "Klärt Eure Freunde und Nachbarn über die Zustände auf und bringt sie mit zu den Montagsdemonstrationen in Eurer Stadt. Ein Zitat sagt: 'Die Revolution ist das Notwehrrecht eines Volkes, welches in seinen Grundrechten eingeschränkt wird!' Machen wir gemeinsam von diesem Notwehrrecht gebrauch und 180 holen uns unser Land zurück!" 176 www.rechte-sachsen.com (Stand: 17. September 2015, Schreibweise wie im Original) 177 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 22. Juni 2015, Schreibweise wie im Original) 178 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 22. Juni 2015, Schreibweise wie im Original) 179 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 12. Oktober 2015) 180 www.facebook.com/pages/Alexander-Kurth/1564933707071270?fref=ts (Stand: 13. Januar 2015, Schreibweise wie im Original) 79 Im Aufruf für eine Demonstration am 14. März 2015 in Bautzen forderte der sächsische Landesverband der Partei DIe rechte: "Jene kapitalistisch versifften Volksfeinde, die die Interessen des eigenen Volkes mit Füßen treten und als willfähige Handlanger einiger Auserwählter agieren. Wenn uns Land und Volk noch eine Zukunft haben soll, dann müssen wir endlich gemeinsam von den Knien zum Angriff übergehen. Kein lamentieren am Stammtisch, kein Protest der alle paar Jahre auf dem Stimmzettel kundgetan wird und kein warten auf faule Reformen bringen Veränderung. Der berechtigte Volkszorn muß auf die Straße getragen werden! Kein Dialog und keine Kompromisse mit diesem System! Am 14.3.2015 gemeinsam für Familie, Volk und 181 Vaterland!" Aktivitäten Der sächsische Landesverband der Partei DIe rechte zeigte im Jahr 2016 im Freistaat Sachsen kaum Aktivitäten. Die Partei selbst nahm im Unterschied zum Vorjahr nur in Einzelfällen am asylfeindlichen Protestgeschehen im Freistaat Sachsen teil. Eine von der Partei für den 5. März 2016 in Görlitz zunächst angemeldete Demonstration unter dem Motto "Gegen den Verrat an deutschen Interessen" meldeten die Veranstalter aus "organisatorischen Gründen" wieder ab. Am 3. September 2016 etwa beteiligten sich Vertreter der Partei an einer von freIeN kräfteN organisierten Demonstration in Löbau. Während der Landesvorsitzende Alexander KURTH für DIe rechte auftrat, sprach der Vorsitzende des Kreisverbandes Ostsachsen der Partei als Vertreter der freIeN kräfte mIttel/ostsachseN. Einzige strukturelle Entwicklung im Jahr 2016 war die Gründung des Kreisverbandes Westsachsen. In Oelsnitz (Vogtlandkreis) fand am 2. April 2016 eine Informationsveranstaltung der Partei statt, an der auch Vertreter der Partei Der DrItte weg teilnahmen. Im Verlauf der Veranstaltung gründeten anwesende Parteimitglieder den Kreisverband Westsachsen. Zum Vorsitzenden wurde ein ehemaliger NPD-Stadtratskandidat aus Chemnitz gewählt. Seither wurden vom Kreisverband keine eigenen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen bekannt. Der im Mai 2016 als "Vernetzungsbeauftragter" in den Bundesvorstand der Partei gewählte Alexander KURTH war für den Landesverband im Jahr 2016 kaum aktiv, sondern konzentrierte sich auf Aktivitäten außerhalb der Partei. Regelmäßig trat er bei Kundgebungen und Demonstration außerhalb Sachsens als Redner auf. Unter dem Label "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA" war er zusammen mit anderen Rechtsextremisten bestrebt, existierende asylkritische Personenzusammenschlüsse regional zu unterstützen und zu vernetzen. Er führte in Sachsen mehrfach eigene Kundgebungen durch. Am 19. Oktober 2016 teilten die Rechtsextremisten mit, dass sie den Verein thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v. mit Sitz in Greiz (TH) gegründet hätten. Vorsitzender wurde der Greizer NPD-Stadtrat David KÖCKERT. Alexander KURTH sowie den rechtsextremistischen Liedermacher Frank RENNICKE wählten die Gründungsmitglieder zu Stellvertretern. 181 www.facebook.com/events/396163947227658/ (Stand: 13. März 2015, Schreibweise wie im Original) 80 RECHTSExTREMISMUS Quelle: www.facebook.com/wirliebensachsen (Stand: 13. Oktober 2016) Fazit und Ausblick Der sächsische Landesverband der Partei DIe rechte besitzt innerhalb der rechtsextremistischen Szene des Freistaates kaum Bedeutung. Den Rechtsextremisten gelang weder eine maßgebliche Ausweitung ihrer Struktur, noch erlangte sie im politischen Geschehen im Jahr 2016 eine prägende Rolle. Geschuldet ist diese Entwicklung dem Agieren der sächsischen Parteiführung. So waren dem bisherigen Parteivorsitzenden offensichtlich seine außerparteilichen Aktivitäten wichtiger als die Parteiarbeit. In anderen Bundesländern, wie in Nordrhein-Westfalen, hat die Partei innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums eine deutlich wichtigere Rolle. Eine wesentliche Änderung dieses Zustandes zeichnet sich nicht ab. Es ist zu erwarten, dass Quelle: www.dasvolkzumwiderstand.de/2016/10/19/liebelandsleute (Stand: 1. November 2016) diese rechtsextremistische Organisation im Freistaat Sachsen auch in absehbarer Zeit nur eine unbedeutende Rolle einnehmen wird. 81 2.4.4 der drItte Weg (III. Weg) Extremismusbereich: Rechtsextremismus Gründung: September 2013 Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 60 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 40 Mitglieder 2016 bundesweit: ca. 300 Mitglieder 2015 bundesweit: ca. 200 Vorsitz Bund: Klaus ARMSTROFF "Stützpunktleiter Vogtland": Rico DÖHLER "Stützpunktleiter Mittelland/Erzgebirge": Maik ARNOLD Teil-, Nebenorganisationen: "Gebietsverband Mitte" "Stützpunkt Vogtland" "Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge" "Stützpunkt Mittelland" Publikation: DER III. WEG (Rundbrief) Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Die Partei Der DrItte weg (III. weg) wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Parteivorsitzender ist Klaus ARMSTROFF, ein in Rheinland-Pfalz aktiver Rechtsextremist und langjähriger NPD-Funktionär. ARMSTROFF nahm an der Landtagswahl am 13. März 2016 in RheinlandPfalz teil. Das Wahlergebnis von 0,1 Prozent wird von der Partei als Erfolg wahrgenommen. Der eigentliche Wahlantritt war entscheidend. Parteimitglieder aus Sachsen traten als Unterstützer des Wahlkampfes auf. Gemäß ihrer Satzung verfolgt die Partei das Ziel, bundesweit "Gebietsverbände" ("Süd, West, Nord und Mitte") aufzubauen. Der erste "Gebietsverband Mitte" wurde am 9. Januar 2016 in Berlin gegründet. Die "Gebietsverbände Süd und West" gründeten sich am 4. Juni 2016 bzw. am 19. November 2016. Unterhalb der Gebietsverbände existieren sog. lokale Stützpunkte. Die Partei befindet sich weiterhin im Stadium des Aufbaues, bislang wurden 21 (Ende 2015: 19) sog. "Stützpunkte" in Deutschland gegründet. Im Freistaat Sachsen ist es der Kleinstpartei bereits gelungen, von den bundesweit gegründeten 21 "Stützpunkten" drei zum Teil länderübergreifende "Stützpunkte" mit sächsischen Mitgliedern zu etablieren. In diese Strukturen konnten zahlreiche ehemals führende NeoNatIoNalsozIalIsteN integriert werden. Im Januar 2014 bildete sich der bayerische Ableger der Partei Der DrItte weg unter dem "Stützpunktleiter" Tony GENTSCH, einem Führungskader des verbotenen bayerischen Kameradschaftsnetzwerkes freIes Netz süD (FNS). Innerhalb des FNS führte er die freIeN NatIoNalIsteN hof an, die unter seiner Führung in den "Stützpunkt Hof/Saale" der Partei Der DrItte weg überführt wurden. 82 RECHTSExTREMISMUS Im April 2014 schlossen sich Mitglieder der neonationalsozialistischen revolutIoNäreN NatIoNaleN JugeND (RNJ) Vogtland der Partei an. Es wurde der bayerisch-sächsische "Stützpunkt Hochfranken/Vogtland"182 der Partei gegründet. Diese länderübergreifende Struktur resultierte aus der langjährigen engen Vernetzung der neonationalsozialistischen Szene in Nordbayern und der RNJ im sächsischen Vogtland. Dass sich NeoNatIoNalsozIalIsteN in der Form einer Partei organisiert haben, ist vor allem taktisch motiviert. Sowohl das FNS als auch Mitglieder der RNJ unterlagen in den vergangenen Jahren staatlichen Exekutivmaßnahmen. Mitgliedsgruppierungen des FNS wurden im Juli 2013 im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Fortführung der im Jahr 2004 verbotenen fräNkIscheN aktIoNsfroNt durchsucht. Im Juli 2014 wurde das FNS als Dachorganisation vom Bayerischen Innenminister verboten. Unmittelbar nach dem Verbot des FNS verzog Tony GENTSCH vom Freistaat Bayern nach Plauen (Vogtlandkreis). Mit dem Zuzug dieser seit Jahren aktiven neonationalsozialistischen Führungsperson nach Sachsen verlagerte sich der Schwerpunkt der Parteiaktivitäten des "Stützpunktes Hochfranken/Vogtland" von Bayern nach Sachsen. Im Februar 2015 wurde im Vogtlandkreis der "Stützpunkt Vogtland" gegründet. Zu dieser Zeit teilte sich der "Stützpunkt Hochfranken/Vogtland" in die "Stützpunkte Hochfranken und Vogtland". Seit Oktober 2014 ist Rico DÖHLER Nachfolger von Tony GENTSCH in der Funktion des "Stützpunktleiters". Der "Stützpunkt Vogtland" umfasst regional länderübergreifend die Grenzgebiete von Bayern, Thüringen und Sachsen. Im April 2015 wurde der länderübergreifende "Stützpunkt Mittelland" gegründet, der die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland umfasst.183 Einen weiteren "Stützpunkt "Mittelsachsen/Erzgebirge" gründeten Rechtsextremisten am 5. Dezember 2015 in Chemnitz. Nach eigenen Angaben vereint dieser "Stützpunkt" als Aktionsraum die Gebiete "Mittelsachsen und das Erzgebirge" sowie die Regionen um die Städte Zwickau und Chemnitz.184 Ideologie/ Politische Zielsetzung Ideologisch orientiert sich die Partei dabei am Nationalsozialismus. Die Forderung nach "Schaffung eines Deutschen Sozialismus" legt eine Verbindung zur völkisch-nationalistischen Weltanschauung des 25-Punkte Programms der NSDAP nahe. Beide Parteiprogramme eint eine biologische Sicht auf den Volksbegriff, der bei der NSDAP im Punkt 4 ihres Programmes Ausdruck fand. Dort hieß es, dass nur derjenige "Volksgenosse" sein kann, der "deutschen Blutes" ist. Entsprechend fordert die Partei Der DrItte weg in Punkt 7 ihres Programms "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und in Punkt 4 die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Vorgebliches Ziel der Partei ist die "Schaffung eines Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus, wie gleichmacherischem Kommunismus". 185 182 Der "Stützpunkt Hochfranken" ist heute Teil des "Stützpunktes Oberfranken". 183 www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. April 2015) 184 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. Dezember 2015) 185 www.der-dritte-weg.info (Stand: 11. Juni 2014) 83 Parteiprogramm; Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 27. April 2014) Auch in der Symbolik wird die beabsichtigte Nähe zum Nationalsozialismus deutlich. Schwert und Hammer wurden bereits als Symbol in der Hitlerjugend, aber auch in der NSDAP genutzt. Es soll die Verbundenheit der Soldaten und der Arbeiter im Kampf für den "Sozialismus" nationalsozialistischer Prägung verdeutlichen. Das Symbol des Zahnrads war unter den Nationalsozialisten Symbol der durch die NSDAP-Organisation "Deutsche Arbeitsfront". Es wird seit Jahren auch im Bereich der neonationalsozialistischen Kameradschaften genutzt. Die Partei bezeichnet sich selbst als "national", "revolutionär" und "sozialistisch". Sie nimmt dabei in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. So trugen die Demonstrationsteilnehmer der Partei Der DrItte weg am 1. Mai 2016 in Plauen - einheitliche rote T-Shirts mit der Aufschrift "Arbeiter der Stirn - der Faust - gegen System und Kapital heraus" (siehe Bild). Dieser Bezug verweist auf die Zeit des historischen Nationalsozialismus: "Der Arbeiter der Stirn und Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 6. Mai 2016) der Faust (...) gehören zusammen, und aus diesen beiden muß sich ein neuer Mensch herauskristallisieren - der Mensch des kommenden Deutschen Reiches." 186 186 In: Adolf Hitler spricht. Ein Lexikon des Nationalsozialismus, Berlin/New York 2000, S. 41 ff. 84 RECHTSExTREMISMUS Aktivitäten Die Partei führte im Jahr 2016 eine Vielzahl von Veranstaltungen durch. Ziel war die Erhöhung des Bekanntheitsgrades und so die Gewinnung neuer Mitglieder. In den letzten Monaten des Berichtsjahres war ein rückläufiger Trend der Aktivitäten gegen die Asylpolitik bzw. gegen einzelne Asylunterkünfte festzustellen. Ursache waren die bundesweit stark rückläufigen Asylbewerberzahlen. Über die durchgeführten Aktionen wurde regelmäßig in den Online-Präsenzen der Partei berichtet. Konzentrierten sich die Aktivitäten der Partei im Vorjahr noch auf die Länder Rheinland-Pfalz und Bayern, baute die Partei im Berichtsjahr die Aktivitäten in Sachsen weiter aus. Bei den folgenden überregionalen Aktivitäten der Partei III. weg waren sächsische Kader maßgeblich an der Organisation und Durchführung beteiligt: Die Partei gab auf ihrer Homepage bekannt, dass am 9. Januar 2016 in Berlin der "Gebietsverband Mitte" gegründet wurde. Dieser umfasst die Bundesländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin. Mit der Etablierung dieses "Gebietsverbandes" wurde eine neue Strukturebene geschaffen. Als "Gebietsleiter Mitte" wurde Matthias FISCHER (Führungsperson des "Stützpunktes Uckermark"), als sein Stellvertreter Tony GENTSCH (Führungsperson des "Stützpunktes Vogtland") gewählt. Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 14. Januar 2016) Bei der Gründungsveranstaltung ging Tony GENTSCH in seiner Rede auf die für 2016 geplante 1. MaiDemonstration in Plauen (Vogtlandkreis) ein. Erstmals wollten sich alle acht "Stützpunkte"187, die dem "Gebietsverband Mitte" angehören, an der Mobilisierung beteiligen und geschlossen am 1. Mai unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen - Für einen Deutschen Sozialismus" in Plauen "ihre berechtigten Forderungen auf die Straße tragen."188 Danach suchten die sächsischen Aktivisten der Partei Der DrItte weg verstärkt die länderübergreifende Kooperation. Die Demonstration des NatIoNaleN sozIaleN aktIoNsBüNDNIs 1. maI in Plauen bot hierfür die Gelegenheit. Veranstalter der Demonstration war das sog. NatIoNale uND sozIale aktIoNsBüNDNIs 1. maI189. Allerdings wurde die Veranstaltung von Protagonisten der Partei Der DrItte weg dominiert. Das zeigte sich u. a. darin, dass die Veranstaltung vom Bundesparteivorsitzenden Klaus ARMSTROFF angemeldet worden war und der Leiter des "Stützpunktes Vogtland" Rico DÖHLER als Versammlungsleiter fungierte. Auch viele der mitgeführten Fahnen verwiesen auf die Partei. Zudem übernahmen sächsische Parteimitglieder die Organisation und Koordinierung der Demonstration.190 Nach der Gründung des "Gebietsverbandes Mitte" der Partei im Januar 2016 fand bei der parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene eine Vielzahl sog. "Parteivorstellungen" statt, so in Crimmitschau, Dresden, Weißwasser, Zwickau und Bautzen. 187 "Stützpunkte Vogtland, Mittelsachsen/Erzgebirge, Mittelland, Thüringer Wald/Ost, Berlin, Potdam/Mittelmark, Uckermark, Mittelmark/Havel" 188 www.der-dritte-weg.info (Stand: 14. Januar 2016) 189 Dieses war bereits 2014 Organisator der 1. Mai-Demonstration in Plauen gewesen. 190 siehe Abschnitt II.2.12.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Vogtlandkreis 85 Sächsische Mitglieder der Partei beteiligten sich im Jahr 2016 außerdem bundesweit an weiteren rechtsextremistischen Veranstaltungen, so an der Demonstration am 13. Februar in Alzey und Worms (Rheinland-Pfalz) unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" oder am 15. Oktober in Fürth (Bayern) unter dem Motto "Asylflut stoppen". Ebenfalls mit Asylbezug wurden ab Oktober 2016 in verschiedenen Städten Sachsens durch die Partei sog. "Nationale Streifen" durchgeführt.191 Parteitag III. weg am 2.10.2016 Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. Oktober 2016) Der "Dritte Gesamtparteitag"192 der Partei fand am 2. Oktober 2016 in Thüringen mit ca. 200 Teilnehmern statt. Der "Stützpunktleiter Vogtland" Rico DÖHLER saß in seiner Funktion als Bundesvorstandsmitglied193 im Gremium. Tony GENTSCH, als stellvertretender Vorsitzender des "Gebietsverbandes Mitte", berichtete u. a. über die 1. MaiDemonstration in Plauen. Der rechtsextremistische Musiker Michael REGENER (bekannt als "Lunikoff" und Ex-Sänger der verbotenen rechtsextremistischen Band laNDser)194 stellte sein eigens für die Partei komponiertes Lied mit dem Titel "Der III. weg marschiert" vor. Jedes Jahr finden aus Anlass des Volkstrauertages Aktionen von Rechtsextremisten statt. Der Veranstaltung in Wunsiedel (Bayern) - eine zentrale jährliche Veranstaltung der Rechtsextremisten in Bayern und in Sachsen - kommt dabei eine hohe Bedeutung für die Parteimitglieder zu. Parteitag III. weg am 2. Oktober 2016; Tony GENTSCH, Michael REGENER, Matthias FISCHER (v. l. n. r.); In Wunsiedel war früher Rudolf HEß begraben, Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. Oktober 2016) der von Rechtsextremisten in revisionistischer Absicht als "Friedensflieger" und angebliches Mordopfer einer Verschwörung verehrt wird.195 191 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 192 Eigenbezeichnung; www.der-dritte-weg.info (Stand: 10. Oktober 2016) 193 Parteiunterlagen "Bundeswahlleiter" (Stand: 26. November 2015) 194 siehe Abschnitt II.2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte 195 Rudolf HEß spielt in der rechtsextremistischen Ideologie eine wichtige Rolle, da er von Rechtsextremisten mit seinem Flug nach Großbritannien im Mai 1941 als "Kronzeuge" für den angeblichen Friedenswillen Deutschlands unter Führung der Nationalsozialisten bemüht wird. Sein durch Selbstmord herbeigeführter Tod im Kriegsverbrechergefängnis von BerlinSpandau 1987 wird von Rechtsextremisten angezweifelt. Stattdessen wird ein Mord durch verschiedene Kräfte, z. B. die Alliierten, behauptet. HEß' Grab in Wunsiedel wurde 2011 aufgelöst. 86 RECHTSExTREMISMUS Die Demonstration fand am 12. November 2016 in Wunsiedel (Bayern) statt. Der "Stützpunkt Vogtland" spielte bei der Organisation eine wichtige Rolle. Auf der parteieigenen Internetseite warb die Partei frühzeitig mit nachfolgendem Flyer für die Teilnahme an dieser Veranstaltung. Anmelder und Versammlungsleiter der DemonsQuelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 2. November 2016) tration unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" war Rico DÖHLER. Als sein Stellvertreter fungierte Tony GENTSCH. Wie schon im Vorjahr nahmen ca. 240 Personen teil. Als Redner traten u. a. Rico DÖHLER, Matthias FISCHER196, Walter STROHMEIER197, Thomas WULFF 198 und Klaus ARMSTROFF 199 auf. Sie verherrlichten mit ihren Auftritten den langjährigen Stellvertreter von Adolf HITLER. Die Partei Der DrItte weg versucht so bewusst geschichtsrevisionistische Anknüpfungspunkte zum "Dritten Reich" herzustellen.200 Ausblick Im Freistaat Sachsen gingen zum Jahresende 2016 bereits zahlreiche Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene auf die Partei Der DrItte weg zurück. Die Aktivitäten dienten - neben dem strukturellen Ausbau - der gesteigerten Medienpräsenz und der Werbung für die Partei. Es ist zu erwarten, dass sie auch weiterhin eine Vielzahl öffentlicher Aktionen durchführen wird. Die Aktivitäten der Partei konzentrieren sich auf Demonstration in Wunsiedel am 12. November 2016, Quelle: LfV Sachsen, Gesichter unkenntlich gemacht herkömmliche rechtsextremistische Themenbereiche wie u. a. den "Volkstod stoppen!", "Kampf dem Kapitalismus!", "Freiheit für alle Nationalisten!", "Antifabanden zerschlagen!", "Deutschland ist größer als die BRD!". Dabei wird die Kleinstpartei auch weiterhin als Auffangbecken für NeoNatIoNalsozIalIsteN dienen. Die Partei wird versuchen, ihren Strukturausbau auch im Jahr 2017 weiter voranzutreiben. Ziel der durchgeführten "Parteivorstellungen" ist der flächendeckende Aufbau neuer "Stützpunkte" in Sachsen. Die Mitgliederzahl in Sachsen könnte sich hierdurch weiter erhöhen. Die ablehnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Januar 2017 zum NPD-Verbot wird die Partei Der DrItte weg bestärken, sich weiterhin als Partei zu organisieren. Eine regelmäßige Teilnahme an Wahlen auf Bundesund Landesebene wird deshalb im strategischen Interesse der Partei liegen. 196 "Gebietsverbandsleiter Mitte" 197 "Stützpunktleiter" Ostbayern 198 langjähriger aktiver Rechtsextremist aus Hamburg 199 Parteivorsitzender 200 siehe Abschnitte Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - II.2.12.6 Landkreis Leipzig, II.2.12.9 Landkreis Mittelsachsen und II.2.12.12 Vogtlandkreis 87 Es ist zu erwarten, dass insbesondere die Akteure der Partei im Vogtland weiterhin auch außerhalb Sachsens eine große Rolle bei den kommenden Parteiaktionen spielen werden. Die Funktionäre Tony GENTSCH und Rico DÖHLER sind auch überregional maßgebliche Kader beim weiteren Aufbau der Partei. Rico DÖHLER ist auch Beisitzer im Bundesvorstand der Partei201. Wahrscheinlich ist, dass die Bedeutung der Partei im Freistaat Sachsen weiter steigen wird. Dies dürfte sie in Zukunft zu einem der bestimmenden Einflussgrößen der rechtsextremistischen Szene machen. 2.5 NeoNatioNalsozialisteN Ideologie und Gewaltbereitschaft der Szene Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen ist der Wunsch nach der Wiedererrichtung des sog. "Dritten Reiches" bzw. der Errichtung einer vergleichbaren politischen Ordnung. Dabei beziehen sich NeoNatIoNalsozIalIsteN in unterschiedlicher Ausprägung auf bestimmte ideologische Elemente, wie einen übersteigerten Nationalismus, Antisemitismus, Antipluralismus, Sozialdarwinismus und Rassismus, als Teil einer völkischen Ideologie, die einen ethnisch homogenen Staat anstrebt und jeglichen Pluralismus als existenzbedrohend verachtet. NeoNatIoNalsozIalIsteN unterscheiden sich vom Potenzial der subkulturell geprägten Rechtsextremisten durch ihren Organisationsgrad, ihr strategisches Vorgehen sowie das Bestreben, ihre Ideologie kontinuierlich zu verbreiten. Im Vordergrund stehen politische Aktivitäten sowie die Organisation von rechtsextremistischen Veranstaltungen oder Propagandaaktionen, aber auch die interne ideologische Schulung der eigenen Mitglieder. NeoNatIoNalsozIalIsteN sind grundsätzlich gewaltbereit, wägen jedoch Art und Ausmaß der Gewaltanwendung mit Blick auf ihre langfristigen Ziele (Bündnisse mit Nichtextremisten) ab. NeoNatIoNalsozIalIsteN gehen in ihrer verschwörungstheoretischen Grundannahme von der Existenz eines "großen Planes" zur Ausrottung des deutschen Volkes aus. Diese Grundüberzeugung manifestiert sich immer wieder in den sog. "Volkstod-Kampagnen". NeoNatIoNalsozIalIsteN definieren das deutsche Volk auf rassistischer Grundlage als biologisch höherwertige "Rassegemeinschaft", die es mit allen Mitteln zu retten gelte. Dem deutschen Volk gehöre hiernach an, wer zur sog. "arischen Rasse" zähle. Der Begriff "Volkstod", wie auch der oft verwendete Begriff der "Volksgemeinschaft", ist mit einem biologistischen Weltbild verbunden, das fremde Kulturen und damit auch Menschen mit Migrationshintergrund als minderwertig darstellt und von der Teilhabe an demokratischen Rechten ausschließt. NeoNatIoNalsozIalIsteN verfügen über ein elitäres Selbstverständnis. Dies leiten sie aus ihrem rassistischen Selbstverständnis als "höherwertige" Deutsche und den Bezug auf das "Dritte Reich" ab, dessen politisch-militärischem Hierarchieverständnis ("Führerprinzip") sie sich anschließen. In diesem Zusammenhang grenzen sie sich auch von neurechten, nicht extremistischen Bewegungen ab. Dazu hieß es lapidar: "Patriot ist der der zu feige ist, sich zum Nationalen Sozialismus zu bekennen." 202 201 siehe dazu Satzung der Partei Der DrItte weg (Stand: 26. November 2015) 202 www.facebook.com/nationalefrontbautzen (Stand: 29. April 2016) 88 RECHTSExTREMISMUS Dies und ihr rassistisches Weltbild erklären die hohe Bedeutung der Asylthematik für NeoNatIoNalsozIalIsteN. Die Aufnahme von vielen - von ihnen als rassisch minderwertig angesehenen - Menschen in Deutschland bedeutet für sie ein "Angriff" auf das von ihnen rassisch definierte deutsche Volk. Staatliche Institutionen, die dies verantworten, stellen für NeoNatIoNalsozIalIsteN damit ein Feindbild dar. Insbesondere die Migrationsbewegungen bis Ende 2015 und die islamistischen Anschläge in Europa und Deutschland im Jahr 2016 erzeugten unter NeoNatIoNalsozIalIsteN das Gefühl einer "existenziellen" Bedrohung. Szeneangehörige positionierten sich daher wiederholt in diffamierender Weise gegen Flüchtlinge und Asylbewerber. Die Anwendung von Gewalt wurde dabei als legitim betrachtet. So hieß es nach den Anschlägen in Bayern im Juli 2016 unter Verwendung eines Zitats von Kaiser Wilhelm II. zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf der der neonationalsozialistischen Szene in Dresden zuzurechnenden Seite ag saxoNIa: "So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Nun zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland!" 203 Aus Anlass des Amoklaufes in München am 22. Juli 2016 wurde auf derselben Facebook-Seite folgende Drohung veröffentlicht: "Eine Division für München, eine Division in Schwarz 204! Lange genug haben wir zugesehen wie unser Vaterland verschmutzt wird mit dem Unrat der tag für Tag über unsere Grenzen einmarschiert. Wir kriegen euch alle!" 205 Anlässlich des Anschlags in Ansbach (Bayern) am 24. Juli kam auch der den NeoNatIoNalsozIalIsteN eigene Hass gegen den politischen Gegner zum Ausdruck. Eine Fotocollage von Demonstranten mit der Aufschrift "Ansbach ist bunt" wurde wie folgt kommentiert: "Warum sind diese bunten Vögel nicht in die Luft geflogen?" Ihr Verhältnis zur Gewalt, zur Asylthematik und zum politischen Gegner machen des Weiteren folgende Veröffentlichungen auf Facebook deutlich: Quelle: www.facebook/nationalefrontbautzen (Stand: 30. September 2016) 203 Facebook-Profil ag saxoNIa (Stand: 26. Juli 2016) 204 Metapher für die SS 205 Schreibweise wie im Original 89 Die ideologische Grundhaltung der NeoNatIoNalsozIalIsteN ist gewaltverherrlichend. Die von ihnen verfolgten Ziele lassen sich aus ihrer Sicht in letzter Konsequenz nur mit Gewalt umsetzen. Durch ihre sozialdarwinistische Grundüberzeugung, den Kampf um die Auslese der Besten, wird Gewalt auch nicht als notwendiges Übel, sondern als in sich gutes und der eigenen Überzeugung entsprechendes Mittel angesehen. Der Ton ist stets Quelle: www.facebook.com/Kopfsteinpflaster1 gewaltorientiert: (Stand: 25. Januar 2016) Lediglich strategische Überlegungen, vor allem angestrebte Bündnisse mit Nichtextremisten, lassen NeoNatIoNalsozIalIsteN zumindest vorübergehend zurückhaltender agieren. Vor allem die in der neonationalsozialistischen Ideologie angelegte Verachtung für politische Gegner macht diese für sie zu einem Ziel erster Wahl. NeoNatIoNalsozIalIsteN sehen sich als eine "Elite", die sich derzeit im Status einer verfolgten Minderheit befinde und daraus "Notwehrrechte" für sich ableiten dürfe. Es besteht daher häufig eine starke Affinität zu Waffen und Sprengstoffen. Bei polizeilichen Hausdurchsuchungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen NeoNatIoNalsozIalIsteN, z. B. in Dresden, wurden immer wieder Waffen gefunden. In zahlreichen Einträgen in den sozialen Medien wird auch "der Kampf" als wesentlicher Bestandteil des Wirkens der neonationalsozialistischen Szene glorifiziert. Entsprechend populär ist der Kampfsport in der neonationalsozialistischen Szene. NeoNatIoNalsozIalIsteN trainieren diesen Sport und beteiligen sich sowohl als Zuschauer als auch als Sportler an Kampfsportturnieren. "Die Geburt, mit der das Leben beginnt, und der Tod, der es endet, sind Kampf, wie auch das Leben, dass zwischen ihnen liegt, nur ein einziges Ringen des Menschen mit sich und der Umwelt ist. Diesen Kampf führt der Mensch nicht für sich alleine, sondern auch für seine Familie, seine Sippe und sein Volk, um diese zu schützen und zu erhalten. Für den nordischen Mann wird der Kampf so zur Pflicht und zur Ehre." 206 Vor diesem Hintergrund haben Schwäche und Behinderung in der angestrebten "Volksgemeinschaft" keinen Platz. Vielmehr spielen die Förderung und Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine tragende Rolle für das Ideal des politischen Soldaten nach dem Vorbild der Waffen-SS. NeoNatIoNalsozIalIsteN vertreten überdies häufig revisionistische Ansichten und versuchen, durch eine Umdeutung der Geschichte die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren oder gänzlich zu leugnen. So glorifizieren sie mit dem alljährlichen "Heldengedenken" verstorbene Nationalsozialisten. Auch im Krieg getötete deutsche Soldaten werden ideologisch instrumentalisiert; der Zweite Weltkrieg wird dabei zum Verteidigungskrieg umgedeutet. Es werden ferner "Trauermärsche" organisiert. Dabei werden - unter Ausblendung der Rolle Deutschlands - westliche Demokratien, vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wegen der Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg verunglimpft. Herausragende Anlässe hierfür sind der 13. Februar in Dresden und der 5. März in Chemnitz. 206 "Leben heißt auch kämpfen!", www.pinselstriche.org (Stand: 20. August 2012, Schreibweise wie im Original) 90 RECHTSExTREMISMUS Allgemeine Entwicklung und Personenpotenzial Die neonationalsozialistische Szene im Freistaat Sachsen befindet sich seit einigen Jahren im Umbruch: Der Bedarf nach struktureller und strategischer Neuausrichtung - gepaart mit den sich im Zuge der Asylthematik ergebenden neuen Möglichkeiten - führte im Jahr 2016 zu zwei sich gegenseitig verstärkenden Trends: Zum einen erfolgte eine "Rückbesinnung" auf Kerninhalte der neonationalsozialistischen Szene, zum anderen kam es zu einer sichtbaren Dynamik hinsichtlich neuer Netzwerke und Strukturen. Bedingt durch Vereinsverbote wurden zahlreiche neonationalsozialistische Strukturen aufgelöst. Die Verbote betrafen in Sachsen im Jahr 2013 die NatIoNaleN sozIalIsteN DöBelN (NsD) und im Jahr 2014 die NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (Nsc). Damit war auch die Strategie der NeoNatIoNalsozIalIsteN gescheitert, sich möglichen Verbotsmaßnahmen zu entziehen, indem man vorgab, lediglich eine "Kampagne" organisiert zu haben207. Andere neonationalsozialistische Strukturen wurden vor dem Hintergrund dieser Verbote inaktiv oder gaben sich eine andere strukturelle Anbindung. Bis 2014 waren etwa die NatIoNaleN sozIalIsteN hoyerswerDa (Nshoy) infolge diverser Exekutivmaßnahmen faktisch nicht mehr existent. Die freIeN kräfte DresDeN (fkD) wandelten sich dagegen im Jahr 2014 in den JN-"Stützpunkt" Dresden um. Diese Entwicklung konnte auch in anderen Regionen des Freistaates Sachsen festgestellt werden. Führungskräfte der neonationalsozialistischen Szene wechselten bis Ende 2014 zur NPD-Jugendorganisation JuNge NatIoNalDemokrateN (JN). Hintergrund dieser "Wanderbewegung" war die Suche nach rechtlichen Schutzmöglichkeiten vor neuerlichen Vereinsverboten. Die durch das "Parteienprivileg"208 besonders geschützten Strukturen der JN erschienen daher als besonders attraktiv. Andere Teile der Szene strebten diesen Schutz bei den Parteien DIe rechte und Der DrItte weg an. Wieder andere der nun "freigesetzten" ehemaligen Mitglieder neonationalsozialistischer Strukturen verzichteten ganz auf eine neue organisatorische Anbindung und fielen zunächst in die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene zurück. Dies führte dort im Jahr 2015 zu einem deutlichen Anstieg des Personenpotenzials. Durch diesen Wechsel manifestierte sich auch die strategische Planlosigkeit, die die neonationalsozialistische Szene seit 2014 prägte. Dieser Zustand widersprach jedoch dem Bedürfnis, sich zumindest regional weiterhin als eigene Gruppe erkennen zu geben. Daher wurden auf Veranstaltungen bald wieder T-Shirts mit regional zuordenbaren Aufschriften, wie "Division Bautzen", "Division Dresden" oder ähnlichem, getragen. Diese Situation erfuhr eine grundlegende Veränderung durch die im Herbst 2015 zunehmende Bedeutung der Asylthematik. Diese setzte innerhalb der neonationalsozialistischen Szene im Wesentlichen zwei Entwicklungen in Gang: Zunächst förderten die zahlreichen asylbezogenen Veranstaltungen neue Kennverhältnisse unter Rechtsextremisten verschiedener Richtungen und förderten damit eine entsprechende Vernetzung. Außerdem änderte das rege Veranstaltungsgeschehen die Selbstwahrnehmung der Szene. Diese war zuvor von dem Gefühl bestimmt gewesen, staatlichen Exekutivmaßnahmen ausgesetzt und gesellschaftlich marginalisiert worden zu sein. 207 Eine erste Reaktion einiger neonationalsozialistischer Strukturen auf den sich nach dem Bekanntwerden des NSU gesteigerten Repressionsdruck war die formelle Aufgabe von Strukturen zugunsten von Kampagnen. Dabei handelte es sich oft nur um Umbenennungen, mit denen suggeriert werden sollte, dass diese beständigen Strukturen nur zeitlich begrenzt bestehen würden. Die NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz traten so etwa als Kampagne "Raus in die Zukunft" in Erscheinung. 208 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 91 Die Asylthematik vermittelte NeoNatIoNalsozIalIsteN den Eindruck, sie seien Teil einer Mehrheitsbewegung. Die zahlreichen nicht extremistischen Veranstaltungen mit Asylbezug führten sie nicht zuletzt auch auf ihr propagandistisches Wirken zurück. Außerdem nahmen sie die auf den Veranstaltungen ausgedrückten Sorgen und Befürchtungen nicht extremistischer Bürger als Bestätigung für die Richtigkeit ihrer ideologischen Überzeugungen. Gemäß ihrem Selbstverständnis als revolutionäre Elite stützte dieses Veranstaltungsgeschehen NeoNatIoNalsozIalIsteN in ihrer Überzeugung, es sei jetzt an ihnen, hier die "richtige" Richtung vorzugeben. So nahm die neonationalsozialistische Szene die Gelegenheit wahr, die Zusammenarbeit mit nicht extremistischen Kreisen der Bevölkerung zu suchen, ihre eigene Ideologie zu verbreiten und sich als Ansprechpartner für die Durchführung von asylbezogenen Veranstaltungen anzubieten. NeoNatIoNalsozIalIsteN traten daher besonders 2014 und 2015 immer wieder als Redner und Mitorganisatoren bei asylkritischen Veranstaltungen auf. Die Asylthematik erhöhte das Bedürfnis der Szene nach einer strategischen wie strukturellen Neuaufstellung nochmals. Der neonationalsozialistischen Ideologie entsprechend wurden die Migrationsbewegungen der letzten Jahre als weiteres "Volkstod"-Szenario gesehen. Die Szene nahm sich als Bewahrer des rassistisch definierten biologischen Bestandes der deutschen Bevölkerung wahr und war zum Handeln entschlossen. Dieser Effekt wurde gesteigert durch eine seit 2015 verstärkte Politisierung der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene in Richtung Neonationalsozialismus. Im Ergebnis ergaben sich so zu Beginn des Jahres 2016 für die neonationalsozialistische Szene wieder vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Diese trafen auf eine handlungsbereite Szene mit gesteigertem Selbstbewusstsein und dem Wunsch, sich wieder neu aufzustellen. Das Jahr 2016 war daher auch ein Wendepunkt nach einer längeren strategischen Planlosigkeit und strukturellen Zerfaserung der Szene. In der Folge kam es im Jahr 2016 zu einem signifikanten Anstieg des Personenpotenzials. Das neonationalsozialistische Personenpotenzial steigerte sich auf 520 Anhänger (2015: 340). Dies entspricht einem Anstieg um 52 %. Anzahl der neonatIonalsozIalIsten im Freistaat Sachsen 1200 950 970 1000 1000 980 1000 910 860 800 720 600 550 520 400 340 200 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 92 RECHTSExTREMISMUS Neonationalsozialistische Strukturen sowie sonstige rechtsextremistische Strukturen, die neonationalsozialistisches Personenpotenzial binden Bei diesen Anhängerzahlen ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass sich ein wesentlicher Teil der Szene, vor allem die Führungspersonen, nach wie vor im parteigebundenen Bereich des Rechtsextremismus, vor allem bei den JN und der Partei Der DrItte weg befindet. Insbesondere letztere besitzt für sächsische NeoNatIoNalsozIalIsteN eine hohe Attraktivität. Dies führte im Berichtsjahr dazu, dass sich im weiteren Umfeld dieser Partei eine nicht unerhebliche Personenanzahl bewegte, die ohne formalen Mitgliederstatus faktisch der neonationalsozialistischen Szene zuzurechnen war. Verstärkte Aktivitäten Die oben angeführte "Rückbesinnung" bedeutet, dass die neonationalsozialistische Szene in 2016 wieder ihre ureigenen ideologischen Kernbestände bediente und in den Vordergrund stellte. Durch die rückläufige Bedeutung der Asylthematik wurden des Weiteren wieder mehr Kapazitäten für andere szenebezogene Aktivitäten frei. Dies wurde gleich zu Jahresbeginn am 11. Januar 2016 sichtbar, als es unter Beteiligung von ca. 250 Personen zu schweren Ausschreitungen im Leipziger Stadtteil Connewitz kam209. Darunter befanden sich zahlreiche NeoNatIoNalsozIalIsteN, die aus verschiedenen Regionen des Freistaates Sachsen stammten und z. T. lange nicht mehr aktiv gewesen waren. Trotz fehlender Kameradschaftsstrukturen konnte mittels Kommunikation in sozialen Netzwerken eine starke Mobilisierung erreicht werden. Nicht die Asylthematik stand bei diesen Aktionen im Vordergrund, sondern das Agieren gegen den politischen Gegner. Damit wurde deutlich, dass es trotz der vorherigen Umbrüche nach wie vor ein sehr großes neonationalsozialistisches Personenpotenzial gab, das nunmehr gemäß seinen Überzeugungen die Konfrontation suchte. Dieses Personenpotenzial benötigte nicht un209 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Leipzig (Stadt) 93 bedingt im Hintergrund wirkende Kameradschaftsstrukturen. Über die sozialen Netzwerke und InstantMessaging-Dienste miteinander verbundene Protagonisten der Szene genügten, um einen hohen und zeitnahen Mobilisierungseffekt zu erreichen. Außerdem richtete sich dieses Ereignis nicht mehr primär auf die Asylthematik, sondern gänzlich gegen den politischen Gegner. Die Feindbestimmung insbesondere unter NeoNatIoNalsozIalIsteN hatte sich somit schon zu Beginn des Jahres weiterentwickelt. Auch bei den Veranstaltungen zum 13. Februar 2016210 fokussierten sich NeoNatIoNalsozIalIsteN auf ihre eigenen Themen. Dort stieg die Teilnehmerzahl an der Hauptveranstaltung am 12. Februar erstmals seit 2009 wieder an (auf 650 Personen; 2015: 500 Personen). Dies ist der "Rückbesinnung" der rechtsextremistischen Szene, aber auch der Neubildung neonationalsozialistischer Strukturen in Dresden geschuldet. Dasselbe Zusammenspiel aus neuen Strukturen und verstärkter Dynamik hinsichtlich des Personenpotenzials war zum 1. Mai in Plauen (Vogtlandkreis) erkennbar.211 Anlässlich einer durch die Partei Der DrItte weg jährlich veranstalteten Demonstration trat ein "Schwarzer Block" von etwa 200 Personen der neonationalsozialistischen Szene aus Sachsen und anderen Bundesländern unter der Bezeichnung aNtIkaPItalIstIsches kollektIv (akk) in Erscheinung. Kennzeichnend für das Auftreten dieses "Schwarzen Blockes" waren die von der linksextremistischen autonomen Szene kopierte Vermummung sowie die Suche nach Konfrontation mit dem politischen Gegner, aber auch mit Polizeikräften. Ebenso wie am 11. Januar in Leipzig zeigte sich auch hier, dass ein dreistelliges besonders gewaltbereites Personenpotenzial durch lockere Vernetzung vor allem über soziale Netzwerke und Instant-Messaging-Dienste sehr schnell mobilisierbar und koordinierbar ist. Diese Entwicklung setzte sich im weiteren Jahresverlauf fort und konnte z. B. an den Ereignissen in Chemnitz im Zusammenhang mit den Aktivitäten des sog. rechteN PleNums und der Gruppierung koPfsteINPflaster212 beobachtet werden. Die hier aktiven NeoNatIoNalsozIalIsteN versuchten, im Mai mittels einer "Demoschulung" ähnlich dem Agieren des AKK am 1. Mai 2016 durch Einübung von konfrontativen Verhaltensweisen bei DemonstratioQuelle: LfV Sachsen (Stand: 1. Mai 2016) nen die Voraussetzungen für künftige "Schwarze Blöcke" von Rechtsextremisten zu schaffen. Eine für den 25. Juni 2016 geplante "Kiezschulung" fiel zwar aus. Das Thema dieser Schulung befand sich jedoch längst in der praktischen Umsetzung. Dies bezeugten u. a. die zahlreich hinterlassenen "Nazikiez"-Aufschriften sowohl in Chemnitz auch in anderen Teilen des Freistaates Sachsen. Neben den direkten Konfrontationen mit dem politischen Gegner und den Polizeikräften stellten diese "Raumnahmekampagnen" von Rechtsextremisten eine der Hauptentwicklungen in der zweiten Jahreshälfte 2016 dar. Immer häufiger tauchten im Freistaat Sachsen entsprechende Schmierereien auf. Diese kennzeichneten die betroffenen Gebiete als "Nazikiez" oder "NS-Zone". Dieses Agieren entspricht früheren Bestrebungen nach der Schaffung sog. "National befreiter Zonen". 210 siehe Abschnitt II.2.12.3 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Dresden (Stadt) 211 siehe Abschnitt II.2.4.4 Der DrItte weg (III. weg ) sowie II.2.12.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Vogtlandkreis 212 siehe Abschnitt II.2.12.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Chemnitz (Stadt) 94 RECHTSExTREMISMUS Quelle: Facebook-Profil rechtes PleNum (Stand: 28. Mai 2016) Mit diesen Propagandaaktionen kam nicht nur eine neue Stufe in der Qualität der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zum Ausdruck, sondern es zeigte sich auch ein deutlich gesteigertes Selbstbewusstsein. Vor dem Hintergrund, dass NeoNatIoNalsozIalIsteN nach wie vor bestrebt sind, strategische KooperaQuelle: www.facebook.com/kopfsteinpflaster1 tionsmöglichkeiten mit anderen, auch nicht extre(Stand: 10. April 2016) mistischen Kräften zu nutzen, ist der unverhohlene Umgang mit NS-Bezügen bemerkenswert. Ein solches, scheinbar widersprüchliches Vorgehen von Teilen der neonationalsozialistischen Szene könnte Ausdruck von Differenzen dieser Szene sein. Allerdings haben die Ereignisse in Bautzen im September 2016213 gezeigt, dass Kooperationsund Konfrontationswille dennoch zusammengehen können. Vor dem Hintergrund der wiedergefundenen Selbstsicherheit und Entschlossenheit der Szene wird auch der Kooperationswille neu definiert und mit selbstgesetzten Bedingungen versehen. Die Ereignisse in Bautzen waren jedoch auch noch in anderer Hinsicht ein wichtiges Ereignis für die neonationalsozialistische Szene im Freistaat Sachsen im Jahr 2016. Zunächst konnte die Szene hier wieder asylbezogene Konfrontationen für ihre eigenen Aktivitäten nutzen. Anders als üblich gelang Quelle: Facebook-Profil "StreamBZ" (Stand: 7. September 2016) es ihr hier jedoch, auch als "Taktgeber" aufzutreten. 213 siehe Abschnitt II.2.12.1 Regionale BeschreibungLandkreis Bautzen 95 Aus der neonationalsozialistischen Szene wurde vor allem über die den freIeN kräfteN Im laNDkreIs BautzeN zuzuordnende Facebook-Seite "StreamBZ" lenkend in die Aktivitäten gegen Asylbewerber, den politischen Gegner und gegen die lokalen Amtsund Mandatsträger eingegriffen. Gleichzeitig versuchte sich die neonationalsozialistische Szene als Ansprechpartner für die lokalen Amtsund Mandatsträger zu profilieren. So wurden am 16. September über Facebook "Demopausen" verkündet, um "Bautzens Politikern die Möglichkeit [zu] geben, Taten folgen zu lassen". Angehörige der lokalen neonationalsozialistischen Szene, die lokale Gesprächsforen zur Asylthematik nutzten, machten gleichzeitig aus ihrer Gesinnung als "nationale Sozialisten" keinen Hehl. Ergänzend war auch in Bautzen wieder eine Orientierung weg von der Asylthematik hin zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu beobachten. Waren etwa im September noch verschiedenste Rechtsextremisten an lokalen asylbezogenen Aktivitäten beteiligt, so richtete sich eine am 7. Oktober durchgeführte Versammlung in Bautzen vor allem gegen "Linksfaschismus", mithin den politischen Gegner. Der verstärkte Wunsch nach Wiedergewinnung der Eigenständigkeit der neonationalsozialistischen Szene manifestierte sich schließlich auch aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in Dresden214. Trotz diverser Veranstaltungsanmeldungen und Aktivitäten von asylkritischen215 Bewegungen wurde durch einen Angehörigen der Dresdner neonationalsozialistischen Szene unter dem Motto: "Dresden macht sich gerade" auch eine eigene Veranstaltung angemeldet. Der Mobilisierungserfolg für diese Veranstaltung war mit 80 Teilnehmern jedoch vergleichsweise schwach. Hinzu kam, dass sich an den anderen asylkritischen Veranstaltungen ebenfalls verschiedene Rechtsextremisten als Mitorganisatoren, Redner und Ordner beteiligten. Angehörige der neonationalsozialistischen Szene nahmen daher auch bei diesen und anderen Veranstaltungen teil und dokumentierten damit, dass die Asylthematik als Ausgangspunkt für die Bekämpfung des demokratischen "Systems" von Rechtsextremisten und insbesondere von NeoNatIoNalsozIalIsteN nach wie vor intensiv genutzt wird. Dies war auch bei den übrigen Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in 2016 immer wieder zu beobachten. So wurde das Asylthema zur Agitation insbesondere gegen die Demokratie und gegen Asylbewerber sowie deren Unterstützer genutzt. Dies galt insbesondere nach den durchgeführten bzw. vereitelten islamistischen Anschlägen in der zweiten Jahreshälfte.216 Dabei trat immer wieder eine hohe Gewaltbereitschaft zutage. Insbesondere die sog. "Gruppe Freital" steht im Verdacht, diese Bereitschaft auch in die Tat umgesetzt zu haben.217 Neben den beiden bisher dargestellten Hauptlinien (Asylthematik und Kampf gegen den politischen Gegner) war die neonationalsozialistische Szene in Sachsen verstärkt um ideologische Festigung und Stärkung des inneren Zusammenhalts bemüht. So waren im Jahr 2016 zunehmende Aktivitäten hin214 siehe Abschnitt II.2.12.3 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Dresden (Stadt) 215 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht: siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 216 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015" 217 siehe Abschnitt II.2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten 96 RECHTSExTREMISMUS sichtlich Veranstaltungen, wie "Zeitzeugenvorträge"218, "Heldengedenken"219 oder auch Sonnenwendfeiern, feststellbar. Auch dies sind Indikatoren für die erhöhte Aktionsbereitschaft der neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sachsen. Diese ist darüber hinaus bundesweit sehr gut vernetzt. Dies wurde im Berichtsjahr durch die Teilnahme an bundesweiten Veranstaltungen, wie dem "Tag der Deutschen Zukunft" am 8. Juni in Dortmund, dokumentiert. Die engen Verbindungen, z. B. zur neonationalsozialistischen Szene in Dortmund (NW), zeigten sich auch in den zahlreichen Aktivitäten zugunsten des nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten und Mitglieds des Bundesvorstandes der Partei DIe rechte, Christoph DREWER. Hier führten NeoNatIoNalsozIalIsteN in Sachsen, so in Chemnitz, unter dem Motto "Freiheit für Buddel" eigene Propagandaaktionen durch. Neue Netzwerke Hinter der bisher dargestellten Ereignisdynamik steht als wesentlicher Motor die Bildung neuer neonationalsozialistischer Netzwerke und Strukturen in verschiedenen Regionen des Freistaates Sachsen. Wesentlicher Antrieb war die fortgesetzte Netzwerkbildung vor dem Hintergrund der Asylthematik. Im Berichtsjahr entstand jedoch zusätzlich eine sich wechselseitig beeinflussende Beziehung aus Veranstaltungsdynamik und Netzwerkbildung. Bereits im Jahr 2015 haben sich mit den freIeN kräfteN hoyerswerDa, der freIeN kameraDschaft DresDeN bzw. den freIeN aktIvIsteN DresDeN wieder Reaktivierungen und Neubildungen neonationalsozialistischer Strukturen vollzogen.220 Dieser Trend setzte sich im Jahr 2016 noch einmal fort, differenzierte sich dabei aber aus. So gingen die Aktivitäten nicht nur von festen Strukturen aus, sondern auch von strukturähnlichen Bekanntschaftsnetzwerken, die durch die sozialen Netzwerke und Instant-Messaging-Dienste gestützt wurden. Die sozialen Medien verfestigten meistens lose bestehende Szenebekanntschaften und verliehen diesen Mobilisierungsfähigkeit und Schlagkraft. In diese Kategorie gehört etwa die Mobilisierung zum 11. Januar 2016, aber auch das antikaPitalistische kollektiv (akk). Das AKK besteht als bundesweites Phänomen etwa seit dem Jahr 2015 und hat seine Schwerpunkte bisher im Berliner und im süddeutschen Raum. In Sachsen haben einzelne NeoNatIoNalsozIalIsteN bei den Aktivitäten des AKK zum 1. Mai in Plauen teilgenommen. Eigene Strukturen existieren in Sachsen derzeit nicht. Beim AKK handelt es sich trotz eines eigenen Labels nicht um eine feste Organisation, sondern um den Versuch, Angehörige verschiedener rechtsextremistischer Organisationen zusammenzuführen und für entsprechende Veranstaltungen in einem Aktionspotenzial zu konzentrieren. Entsprechend Quelle: www.facebook.com/antikapkollektiv gibt es auch keine strenge Unterteilung in Mitglie(Stand: 19. Dezember 2016) 218 "Zeitzeugenvorträge" bestehen im Wesentlichen aus einer Veranstaltung mit einem ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht oder damaliger nationalsozialistischer Organisationen, wie der SS und der SA. In der neonationalsozialistischen Szene werden regelmäßig Veranstaltungen mit solchen "Zeitzeugen" durchgeführt. Bei den "Zeitzeugen" handelt es sich meist um Personen, die ihre Erinnerungen entsprechend der rechtsextremistischen Sicht auf das sog. Dritte Reich darstellen. Daher haben diese Veranstaltungen einen propagandistischen Wert, sind aber auch wichtig für die ideologische Selbstvergewisserung der Szene. 219 Zur Bedeutung von "Heldengedenk"-Aktionen siehe den Unterabschnitt Ideologie, Strategien und Gewaltbereitschaft der Szene. 220 Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 117 und 127 97 der und Nichtmitglieder. Es handelt sich um ein bestimmtes Personenpotenzial, das sich auf den Veranstaltungen unter der Bezeichnung AKK trifft und gemeinsam handelt. Das AKK kann dabei mit seinem von der linksextremistischen Szene übernommenen Habitus auf das schon vor ein paar Jahren beobachtete Phänomen der autoNomeN NatIoNalIsteN zurückgreifen. Die Dynamik des AKK im Jahr 2016 kam vor allem durch zwei Motivlagen zustande: Zunächst bediente das AKK ein in der neonationalsozialistischen Szene sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach aktiver Konfrontation. Die auf dem 1. Mai in Plauen mitgeführten Transparente verkündeten selbstbewusst: "Wir sind die Revolte". In diesem Sinne suchte der geschlossen vermummte "Schwarze Block" des AKK offensiv die Konfrontation mit Teilnehmern der Gegendemonstrationen, aber auch mit den eingesetzten Polizeibeamten. Ein weiteres wichtiges Element ist die bewusste antikapitalistische Orientierung des AKK. Diese geht auf die Bestrebungen des linken Flügels der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) unter den Brüdern STRASSER von der Gründung der NSDAP bis zum "Röhm-Putsch" 1934 zurück. Das Antikapitalismusverständnis des AKK umfasst dementsprechend vor allem eine starke antisemitische Zielrichtung, die althergebrachte Chiffren bedient, wie die angebliche Herrschaft einer jüdisch dominierten, die Welt geheim lenkenden Finanzoligarchie (der "Ostküste"). Die verfügbaren programmatischen Äußerungen sprachen im Sommer 2016 darüber hinaus vom Ziel eines "völkischen Sozialismus"221. Zur aktuellen politischen Ordnung hieß es: "Dieses System ist nicht reformierbar". Außerdem fanden sich antiimperialistische und antiamerikanische Elemente. Unter dieser antikapitalistischen Grundorientierung lassen sich aktuell sehr viele Erscheinungsformen der rechtsextremistischen Szene zusammenführen, da z. B. auch die JN oder die Partei Der DrItte weg "Antikapitalismuskampagnen" durchführten. Im Ergebnis sind weite Teile der rechtsextremistischen Szene an die entsprechenden Schlagwörter und Parolen gewöhnt und können, wie zum 1. Mai 2016, zu einer gemeinsamen Veranstaltung mobilisiert werden. Dass die Vernetzung verschiedener Teile der rechtsextremistischen Szene im Zweifel nicht einmal eines gemeinsamen Labels, wie des AKK, bedarf, veranschaulichten die asylbezogenen Ereignisse in Bautzen ab September 2016. Dort kooperierten NeoNatIoNalsozIalIsteN unterschiedlicher Herkunft miteinander. Dabei traten sie weniger als feste Gruppen, sondern vor allem mit Internetauftritten in den sozialen Medien in Erscheinung. Insbesondere den freIeN kräfteN Im laNDkreIs BautzeN, die den "StreamBZ"-Präsenzen zuzuordnen sind, gelang es dadurch, szeneintern die rechtsextremistischen Aktivitäten anzuleiten. Mit dieser Vernetzung präsentierte sich die neonationalsozialistische Szene im Landkreis Bautzen als aktionswilliges und -fähiges Personenpotenzial, ohne dass hierzu eine feste Organisationsstruktur erforderlich gewesen wäre. Etwas anders gelagert waren demgegenüber die Aktivitäten des sog. Rechten Plenums bzw. der sog. balaclava222-küche, die vor allem in der ersten Jahreshälfte 2016 mit Aktivitäten in Sachsen auffielen. Hier ging es weniger um neue Arten der Vernetzung, sondern um überregionale Kennverhältnisse, die schließlich zur Bildung einer regionalen Gruppierung führten. Schwerpunkt dieser Aktivitäten war der Chemnitzer Raum. Beim rechteN PleNum bzw. bei der Balaclava-küche handelt es sich um einen 221 vgl. hier und im Folgenden: www.antikap.org (Stand:11. Juli 2016) 222 Eine Balaclava ist eine aus dem Krimkrieg stammende Sturmhaube, die von den Angehörigen der Balaclava-küche in ihren Videos getragen werden. 98 RECHTSExTREMISMUS neonationalsozialistischen Personenkreis, der zu großen Teilen in beiden Gruppierungen aktiv ist. Der Schwerpunkt dieser Gruppierungen lag in der Vergangenheit vor allem in Niedersachsen. Besonders die Balaclava-küche war durch das von ihr medial mit YouTube-Videos vermarktete "Nipster"223-Phänomen in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit. Quelle: www.facebook.com/Rechtes-Plenum-965953683500337/?fref=ts (Stand: 9. Mai 2016) Anfang 2016 wurde bekannt, dass dieser Personenkreis einen Teil seiner Aktivitäten nach Chemnitz verlagert hatte und dort mit lokalem Personenpotenzial zusammenarbeitete. Die Aktivitäten, die dort unter dem Label rechtes PleNum verfolgt wurden, zielten, ähnlich wie beim AKK, auf eine Stärkung der szeneeigenen Militanz. Nachdem eine für den 25. Juni 2016 angesetzte "Kiezschulung" ausgefallen war, wurden in Sachsen keine Aktivitäten unter dem Label rechtes PleNum oder Balaclava-küche mehr bekannt. Gleichwohl blieben die beteiligten Personen bei ihren eigenen Gruppierungen weiterhin in der rechtsextremistischen Szene aktiv. Die sächsischen Teile dieses Personenpotenzials ließen sich fortan im Wesentlichen der Gruppierung koPfsteINPflaster224 zuordnen. Bei der Gruppierung koPfsteinPflasteR handelt es sich um einen vor allem im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg beheimateten Personenzusammenschluss, der zunächst zum Jahresbeginn 2016 im Internet und dann insbesondere mit den bereits erwähnten "Nazikiez"-Aufschriften in Erscheinung trat. Mit seinen bundesweiten Bezügen belegt auch dieser Personenzusammenschluss die gute Vernetzung sächsischer NeoNatIoNalsozIalIsteN. Auch die Äußerungen von koPfsteINPflaster sind beispielQuelle: www.facebook.com/Kopfsteinpflaster1 haft und zeigen ein elitäres Selbstverständnis als (Stand: 17. April 2016) 223 "Nipster" ist ein Kunstwort aus "Nazi" und "Hipster". Im Wesentlichen verbirgt sich dahinter der Versuch von Rechtsextremisten, Phänomene von bisher eher in politisch links zu verortenden Jugendkulturen, wie "Straight Edge" (Kultur einer kritischen Grundhaltung gegenüber Drogen und wahllosem Geschlechtsverkehr unter Jugendlichen), oder den Veganismus auch im Rechtsextremismus zu verankern, um so auch für diese Jugendkulturen anschlussfähig zu sein. 224 siehe Abschnitt II.2.12.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Chemnitz (Stadt) 99 neonationalsozialistische Bewegung. Darüber hinaus hatten sie den Kampf gegen den politischen Gegner und die Vertreibung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zum Ziel. Anfang November 2016 wurden auf einem linksextremistischen Internetportal mehrere Personen öffentlich als "Rechtsextremisten" "geoutet", die angeblich dem rechteN PleNum angehörten. Im zeitlichen Zusammenhang dazu kam es zu mehreren Sachbeschädigungen, die Ausdruck der Auseinandersetzung zwischen den politischen Gegnern waren. Eine weitere Kategorie in Bezug auf Vernetzungsbestrebungen und Strukturbildungen ergab sich für die neonationalsozialistische Szene durch die Rückkehr von ehemaligen Führungspersonen, die einst in den Bereich des parteigebundenen Rechtsextremismus gewechselt waren. Hier ist insbesondere die zunächst als lockere VeranstalQuelle: www.facebook.com/wirliebensachsen tungsreihe und ab November 2016 von einem (Stand: 14. Dezember 2016) länderübergreifenden Verein getragene Kampagne "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA"225 anzuführen. Zum ersten Mal wurde die Bezeichnung "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA" bei der Anmeldung einer schließlich in einem Aufzug der Partei DIe rechte aufgegangenen Veranstaltung am 12. Dezember 2015 in Leipzig verwandt. Später tauchte das Label erst wieder bei einer weiteren Veranstaltung in Leipzig am 4. April 2016 auf. Seitdem wurden zahlreiche Veranstaltungen in verschiedenen Regionen Sachsens durchgeführt. Zentraler AnQuelle: www.facebook.com/wirliebensachsen laufpunkt dieser Demonstrationen war ein "Info(Stand: 13. Oktober 2016) mobil", das bei allen Veranstaltungen als Bühne genutzt wurde und durch zahlreiche Ortschaften in Sachsen "tourte". Hauptakteur aus Sachsen war der zuvor schon in der Partei DIe rechte aktive Alexander KURTH aus Leipzig. KURTH selbst entstammt der neonationalsozialistischen Szene Leipzigs und führte, zusammen mit David KÖCKERT, dem NPD-Stadtrat von Greiz (Thüringen), bei seinen Veranstaltungen verschiedenste Akteure der rechtsextremistischen Szene zusammen. Hierbei sind besonders die Veranstaltungen am 7. Oktober 2016 in Bautzen und am 8. Oktober 2016 in Dresden hervorzuheben. Dabei war u. a. der Berliner Patrick KILLAT, bekannt als Sänger der rechtsextremistischen Band a3stus, oder der für die rechtsextremistische Bürgerinitiative ausläNDerstoPP (BIa) im Münchener Stadtrat aktive Karl RICHTER beteiligt. 225 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 100 RECHTSExTREMISMUS Der am 18. November 2016 gegründete Verein thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.226 mit Sitz in Greiz (Thüringen) kann daher als überregionaler, neonationalsozialistischer Personenzusammenschluss gesehen werden, der das Potenzial hat, NeoNatIoNalsozIalIsteN aus Parteistrukturen wieder für szeneeigene Aktivitäten zu gewinnen. Die aufgetretenen Akteure verdeutlichen, dass unter diesem Label die Vernetzung zwischen den Quelle: www.facebook.com/wirliebensachsen verschiedensten Bereichen der rechtsextremisti(Stand: 14. Dezember 2016) schen Szene weiterhin vorangetrieben wird. Ebenfalls in diese Kategorie fällt deR weisse Rabe. Auch hier sollen rechtsextremistische Akteure unterschiedlichster Herkunft thematisch zusammengeführt werden. Ähnlich wie beim AKK wollen die Akteure keineswegs die vorhandenen Strukturen auflösen oder ersetzen. Stattdessen streben sie mit "Stammtischen", also regelmäßigen formlosen Treffen, eine Basis für gemeinsame Zielsetzungen und gemeinsames Handeln an. Anders als beim AKK zielen die Aktivitäten des weIsseN raBeN jedoch nicht auf Straßenmilitanz, sondern auf die Schaffung politischer Handlungsmacht durch die Verbindung möglichst vieler verschiedener politischer Akteure. So kommentierte die Facebook-Seite des weIsseN raBeN einen der ersten Stammtische in Leipzig mit den Worten: "So konnten wir auch am gestrigen Abend Gäste aus verschiedenen politischen Organisationen begrüßen. AfD, Friedensaktivisten, Die Rechte, Linke, NPD, SPD, verschiedene Bürgerinitiativen, Freie Aktivisten und viele weitere Aufgewachte. Aufgewachte die sich darüber einig sind, daß das Gegeneinander zu einem Miteinander werden muß. Zu einem Miteinander im Kampf gegen die BRD-Unrechtsdiktatur. (...)" 227 In diesem Sinne wird die freiheitliche demokratische Grundordnung vom weIsseN raBeN als abzuschaffendes "System" dargestellt, dem "Widerstand" entgegenzusetzen sei. Ergänzend wird unter Anleihen bei den reIchsBürgerN uND selBstverwalterN228 die Auffassung vertreten, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat. Dazu werden auch antisemitische Stereotype, wie die angebliche Herrschaft eines "Kartells" aus der Wallstreet, verwendet. An Veranstaltungen des weIsseN raBeN in Dresden und Leipzig nahmen wiederholt auch Protagonisten der rechtsextremistischen Parteien DIe rechte und Der DrItte weg teil. An einer der Veranstaltungen beteiligte sich auch der bereits erwähnte Münchener Rechtsextremist Karl RICHTER. Hauptakteur des weIsseN raBeN ist der Leipziger Silvio RÖSLER. Dieser hatte etwa bis zum Jahreswechsel ähnliche Bestrebungen bei der offeNsIve für DeutschlaND verfolgt, widmete sich aber etwa seit Dezember 2015 verstärkt dem weIsseN raBeN. Im Jahr 2016 kam es nur vereinzelt zu eigenen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, so eine Banneraktion aus Anlass einer internationalen Konferenz in Dresden am 18. Mai 2016. Ansonsten blieb es bei internen Veranstaltungen, z. B. den erwähnten Stammtischveranstaltungen oder Teilnahmen an den Veranstaltungen anderer Organisationen. 226 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen 227 www.facebook.com/Stammtisch-Weißer-Rabe (Stand: 15.3.2016, Schreibweise wie im Original) 228 siehe Abschnitt 6. reIchsBürger uND selBstverwalter 101 Quelle: facebook.com/WirfuerLpz (Stand: 16. Dezember 2016) Vom Organisationstyp ähnlich wie thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v., allerdings mit anderen Nuancen, stellt sich die Gruppierung wiR füR leiPzig229 dar. Hinter dieser Gruppierung, die erstmalig bei einer Veranstaltung am 4. April 2016 in Leipzig auftrat, steht der ehemalige NPD-Kreisverbandsvorsitzende Enrico BÖHM. Er hatte sich im April 2016 nach bereits länger anhaltenden Konflikten mit dem NPDLandesvorstand überworfen. In der Folge traten aktive Mitglieder dieser NPD-Struktur im Großraum Leipzig aus der Partei aus, und BÖHM reorganisierte sie in wIr für leIPzIg. Seither ist die Gruppierung nicht mit größeren Veranstaltungen in Erscheinung getreten, hat aber immer wieder kleinere Aktionen, wie z. B. "Heldengedenken", durchgeführt. Sie kann insofern als Modell dafür gelten, wie sich im parteigebundenen Rechtsextremismus engagierende Personen mit neonationalsozialistischer Ausrichtung bei auftretenden internen Differenzen sehr zügig wieder in eigenen neonationalsozialistischen Strukturen sammeln. Diesen Weg beschritt auch die im Jahr 2016 erstmals öffentlich in Erscheinung getretene Gruppierung freIe kräfte mItte/ostsachseN (fkmo). Sie existierte als Internetpräsenz schon länger, machte jedoch erstmalig mit einer Veranstaltung unter dem Motto "Nation statt Integration" am 3. September 2016 in Löbau (Landkreis Görlitz) im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Bei dem hinter dieser Gruppierung stehenden Personenpotenzial handelt es sich um NeoNatIoNalsozIalIsteN, die bisher in anderen rechtsextremistischen Strukturen aktiv waren. Neben den Entwicklungen zur stärkeren Vernetzung und Strukturierung der neonationalsozialistischen Szene gibt es jedoch auch gegenläufige Tendenzen. So hat sich die einstmals im westsächsischen Bereich zu einer gewissen Bedeutung gelangte weIsse wölfe terrorcrew (wwt) schon vor ihrem Verbot am 16. März 2016 durch den Verlust neonationalsozialistischer Führungskader in Sachsen zur subkulturell geprägten Gruppierung entwickelt. Gleichfalls ist die bis zum Jahresende 2015 aktiv gewesene Gruppierung legIoN 84 aus Limbach-Oberfrohna 2016 nicht mehr mit eigenen Veranstaltungen in Erscheinung getreten. 229 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Leipzig (Stadt) 102 RECHTSExTREMISMUS gefangenenhIlfe (gh) Nach dem Verbot der "Hilfsorganisation für nationale und politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) im Jahr 2011 trat ab dem Folgejahr die gefaNgeNeNhIlfe (gh) als Organisation für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen unter dem Motto "Gemeinschaft statt Isolation" die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist. Postfach und Bankverbindung der Organisation sind ebenfalls in Schweden angesiedelt, um staatlichen Maßnahmen in Deutschland zu entgehen. Erklärtes Ziel des Vereins ist neben der finanziellen Unterstützung Inhaftierter und ihrer Familien, die von der Organisation als "Opfer staatlicher Willkür" bezeichnet werden, die "Wiedereingliederung der ehemaligen Häftlinge in unsere Gemeinschaft". Die GH veranstaltet deutschlandweit Informationsveranstaltungen und ist mit Informationsständen bei szeneinternen (Groß-)Veranstaltungen präsent, um die Organisation und die verschiedenen Möglichkeiten der Betreuung bzw. Unterstützung Inhaftierter vorzustellen und den Aufbau regionaler Strukturen zu fördern. Darüber hinaus vermittelt die GH Rechtsanwälte und unterstützt die inhaftierten Straftäter durch Besuche und Briefkontakte. Die GH nutzt - anders als vormals die HNG - das Internet intensiv als Kommunikationsund Informationsplattform. Auf ihrer Internetseite und ihrem Facebook-Profil veröffentlicht die Organisation regelmäßig Berichte über Solidaritätsaktionen für inhaftierte Rechtsextremisten und informiert über die verschiedenen Möglichkeiten der Gefangenenbetreuung. Unterstützt wird die GH von rechtsextremistischen Liedermachern und Vertrieben. Aus dem Freistaat Sachsen gehört insbesondere der Chemnitzer Liedermacher "Barny" zu den Unterstützern, der im Quelle: www.facebook/GefangenenhilfeFreundeskreis Rahmen seiner Auftritte für die Organisation wirbt. (Stand: 3. Februar 2016) Ausblick Das Jahr 2016 zeigte eine zunehmend von Selbstbewusstsein und Entschlossenheit geprägte neonationalsozialistische Szene, die sich durch eine hohe Reaktionsfähigkeit und Gewaltbereitschaft auszeichnete. Dies wurde ergänzt durch die Bildung neuer eigener Strukturen. Gleichzeitig versuchte die neonationalsozialistische Szene, sich als Ansprechpartner auf Augenhöhe für die lokale Amtsund Mandatsträger zu profilieren. Jedes Entgegenkommen wurde von ihr als großer Erfolg gewertet. 103 Aktuelle Erfolge von NeoNatIoNalsozIalIsteN sind mit der Asylthematik verknüpft. Will die neonationalsozialistische Szene auch über dieses Agitationsfeld hinaus weitere Wirkung entfalten, muss sie neue Themen finden, die in der Gesellschaft anschlussfähig sind. Sie müsste auch das vorhandene Mobilisierungspotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene stärker in ihre eigenen Veranstaltungen einbinden. Dazu bräuchte es flächendeckend eines weiteren Ausbaus der Strukturen sowie eines zugkräftigen Führungspersonals. Beides ist bisher nur in Ansätzen erkennbar, so dass sich die derzeitige Dynamik im Jahr 2017 vermutlich nicht bruchlos fortsetzen wird. Dennoch ist mit zunehmenden Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in allen Regionen zu rechnen. Die Szene will derzeit aktiv Räume besetzen und den politischen Gegner bekämpfen. Dies wird auch im Jahr 2017 zu Gewaltund Konfrontationsbereitschaft führen. 2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Die Szene der subkulturell geprägten Rechtsextremisten umfasst Personen, die überwiegend nicht einer festen Struktur zuzuordnen sind. Sie verfügen über ein von Fremdenhass und Rassismus geprägtes Weltbild, entfalten aber keine selbständigen politischen Aktivitäten, wie etwa Demonstrationen. Der Großteil der subkulturell geprägten Rechtsextremisten zeichnet sich durch eine erhöhte Gewaltbereitschaft aus und ist für einen erheblichen Teil der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten verantwortlich. Die Gewalttaten werden in der Regel impulsiv und in Reaktion auf konkrete Ereignisse begangen. Beispiele für solche Situationen sind das Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern oder Personen, die dem Feindbild der rechtsextremistischen Szene entsprechen. Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene stagnierte im Jahr 2016 bei ca. 1.550 Personen (2015: ca. 1.600). Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Freistaat Sachsen 1800 1600 1550 1600 1400 1200 1000 890 850 850 850 800 800 600 400 200 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 104 RECHTSExTREMISMUS Für den deutlichen Anstieg im Jahr 2015 waren vor allem die Politisierung der Szene vor dem Hintergrund der Asylthematik und die Auflösung neonationalsozialistischer Strukturen entscheidend. Nunmehr stabilisierte sich das Personenpotenzial auf diesem hohen Niveau, war aber dennoch von starker Fluktuation geprägt. Die Schwächen der Strukturbildungsfähigkeit der subkulturell geprägten Szene lassen sich beispielhaft an der Szene in Dresden darstellen: So fand ein Teil des dortigen Personenpotenzials Eingang in die unter der Bezeichnung freIe kameraDschaft DresDeN oder freIe aktIvIsteN DresDeN agierenden neonationalsozialistischen Strukturen in Dresden. Ein anderer Teil hingegen war nicht in der Lage sich zu organisieren und verblieb damit auf dem für diese Szene typischen impulsgesteuerten Aktionsniveau. Auch die sächsischen Angehörigen der am 16. März 2016 vom Bundesminister des Inneren verbotenen weIsse wölfe terrorcrew (wwt) zeigten letztlich ihr Unvermögen, eine stabile Struktur zu bilden. Rechtsextremisten aus der Region Zwickau und Vogtland waren in den Jahren 2014 und 2015 in einer eigenen Sektion der bundesweit agierenden wwt aktiv gewesen. Bei den WWT handelte es sich um eine rechtsextremistische Gruppierung mit bundesweiter Vernetzung und überregionalem Aktionsradius. Dieser Personenzusammenschluss trat mit hoher Gewaltbereitschaft und mit Propagandaaktivitäten hervor. Insbesondere Ermittlungen der bayerischen Polizeibehörden in Bamberg im Jahr 2015 zu von Mitgliedern der Partei DIe rechte, rechtsextremistischen Hooligans und Angehörigen der WWT geplanten gezielten Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte belegen das große Maß an Gewaltbereitschaft, das dieser Gruppierung innewohnte. Bis Ende 2015 ließen die Aktivitäten dieser Struktur in Sachsen jedoch wieder deutlich nach. Die noch verbliebenen Angehörigen sind der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zuzurechnen. Gleichzeitig hat das Jahr 2016 erneut gezeigt, dass sich die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene weiterhin verändert. Dies veranschaulichten die Ereignisse vom 11. Januar in Leipzig, wo es zu Konfrontationen zwischen rechtsund linksextremistischen Personen kam. Ca. 250 Personen, darunter ein hoher Anteil an Subkulturellen, führten eine Versammlung im Leipziger Stadtteil Connewitz durch. Dabei kam es zu Sachbeschädigungen. Personen wurden polizeilich festgesetzt; zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs wurden eingeleitet. Ohne eine feste Organisation gelang es der rechtsextremistischen Szene über die sozialen Medien, überregional eine hohe Teilnehmerzahl zu mobilisieren. Eine fortgeschrittene szeneinterne Vernetzung ermöglicht dabei die schnelle Verfügbarkeit einer großen Zahl gewaltbereiter Teilnehmer, ohne dass hierfür feste Gruppenstrukturen erforderlich sind. Hier zeigte sich eine deutliche Verschiebung des Schwerpunkts der Auseinandersetzungen von der Asylthematik hin zur planvollen Konfrontation Quelle: Bilddatenbank Internet (Stand: 21. Januar 2016) mit dem politischen Gegner, die das gesamte Berichtsjahr prägte. 105 Auch fielen subkulturell geprägte Rechtsextremisten immer wieder mit spontanen, oft impulsiven Propagandaund Gewaltaktivitäten auf. Im Übrigen ist die Szene dennoch vor allem auf sich selbst bezogen. Eigene Impulse gehen von ihr kaum aus. Jedoch stellt sie ein wichtiges Mobilisierungspotenzial für die übrigen Teile der rechtsextremistischen Szene dar, indem sie sowohl personell wie auch durch Straftaten die eher strategisch ausgerichteten Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene und des parteigebundenen Rechtsextremismus begleitet und unterstützt. Entsprechend waren Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene auch im Jahr 2016 etwa neben den Auseinandersetzungen zum 11. Januar in Leipzig an verschiedenen kleineren Veranstaltungen, aber auch z. B. bei den Ereignissen ab Mitte September in der Stadt Bautzen230, beteiligt. Die übrigen Aktivitäten der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene außerhalb des Straftatenund Demonstrationsgeschehens blieben erlebnisorientiert. So waren diese Veranstaltungen - zumeist bei erheblichem Alkoholkonsum - von Freizeitund Sportaktivitäten, etwa in Form von "Wettkämpfen", geprägt. Hinzu kommen szeneeigene Wanderungen, Lagerfeuerund Musikveranstaltungen, z. B. der alljährliche "Muldentaler Kameradschaftslauf" im Landkreis Leipzig im September oder auch die Teilnahme am "Deutschen Sportund Familienfest" im September im Landkreis Görlitz231. Feste Strukturen über Kennverhältnisse und Treffgemeinschaften hinaus sind in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene selten. Bei den bestehenden Strukturen liegen meist schon neonationalsozialistische Tendenzen vor. Ein in diesem Zusammenhang zu beobachtender Trend ist die Bildung rockerähnlicher Gruppierungen. Dabei handelt es sich faktisch um subkulturell geprägte rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse, die den Aufbau und äußeren Anschein "Outlaw Motorcycle Gangs" (OMCG) imitieren. Dies zeigte sich vor allem in der Annahme von Bezeichnungen wie "President" für den Anführer oder auch "Member" für die Mitglieder. Ein weiteres Merkmal ist das Tragen von rockerähnlichen Kutten mit aufgenähten Gruppenlogos ("Patches"). Örtliche Gruppierungen werden als "Chapter" bezeichnet. Dieser "Rockerhabitus" erfreute sich vermutlich auch wegen der bekannten Gewaltaffinität von OMCGs bei subkulturell geprägten Rechtsextremisten einer wachsenden Beliebtheit. In diese Kategorie ist auch das Chapter der BrIgaDe 8 in Weißwasser (Landkreis Görlitz) einzuordnen. Die BrIgaDe 8 ist ein bundesweiter subkulturell geprägter Personenzusammenschluss mit neonationalsozialistischen Tendenzen. Die Aktivitäten konzentrierten sich im Berichtsjahr im Landkreis Görlitz. Veranstaltungen haben zumeist internen Charakter und bestehen aus regelmäßigen Zusammenkünften mit oftmals rechtsextremistischer musikalischer Begleitung. Hier zeigten sich die Auswirkungen der bis 2016 sehr intensiv zu beobachtenden Politisierungsprozesse in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene. Im Sinne der verstärkten Vernetzung nahmen Mitglieder der BrIgaDe 8 auch an anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen in Sachsen teil und traten dabei als schnell mobilisierbares Personenpotenzial in Erscheinung. Ähnlich verhält es sich mit der aryaN BrotherhooD eastsIDe (aBe) in Bautzen, die bislang nur mit internen Veranstaltungen in Erscheinung getreten war. Sie konnte im Berichtsjahr jedoch auch als mobilisierungsfähiges Personenpotenzial für rechtsextremistische Veranstaltungen festgestellt werden. Mitglie230 siehe Abschnitt II.2.12.1 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Bautzen 231 siehe Abschnitt II.2.12.5 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Görlitz 106 RECHTSExTREMISMUS der der ABE zeigten während der Ereignisse in Bautzen im September öffentliche Präsenz. Daneben existiert noch der NatIoNale JugeNDBlock mit einem eigenen Objekt in Zittau. In Sachsen nur rudimentär präsent sind die sog. hammerskINs. Diese sind zwar bundesweit ein bedeutender rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, welcher Konspiration, ein elitäres Selbstverständnis mit offener Gewaltbereitschaft links: Quelle: https://www.facebook.com/pages/A-Brotherhoodverbindet. Den hammerskINs gehören in Sachsen Eastside, (Stand: 8. Dezember 2015) rechts: Quelle: blog.zeit.de "Rechtsrock, Hammerskins und der jedoch nur Einzelpersonen an. NSU" (Stand: 15. Juli 2016) Jenseits dieser Strukturen besteht ein wichtiger Teil der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene aus den Initiatoren und Besuchern rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. Die Bereitschaft zur selbständigen politisch-strategischen Arbeit besteht hier nur in Ausnahmefällen. Diese Konzertund Vertriebsszene hat eine hohe sachsenund auch bundesweite Bedeutung. Sie umfasst die zahlreichen sächsischen rechtsextremistischen Musikgruppen und Liedermacher sowie die aktiven Vertriebe. Der Freistaat Sachsen verfügte hier mit Pc-recorDs und bis zu dessen Wegzug Ende 2016 auch mit oPos-recorDs über zwei der bundesweit bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe. Die Bedeutung des ebenfalls in Sachsen ansässigen froNt recorDs hat demgegenüber nachgelassen. Es handelt sich bei diesen Vertrieben um weitverzweigte Unternehmen, die teilweise international agierten. Mit dem erwirtschafteten Geld wurden u. a. Immobilien gekauft bzw. gemietet und Aktivitäten der gesamten rechtsextremistischen Szene des Freistaates finanziell unterstützt.232 Es ist zu erwarten, dass sich die weitere Entwicklung des Personenpotenzials der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene weiterhin zweigleisig gestalten wird. Zum einen werden aus dieser Szene auch in Zukunft vereinzelt weitere neonationalsozialistische Personenzusammenschlüsse entstehen. Allerdings hat diese Tendenz bereits stark nachgelassen. Dasselbe gilt auch für die Bildung eigener subkulturell geprägter rechtsextremistischer Gruppierungen. Zwar bestehen noch diverse Personennetzwerke, die das Potenzial hätten, sich wieder in neuen Strukturen zu verfestigen, allerdings fehlt mit dem Nachlassen der Bedeutung der Asylthematik hier vorerst eine wichtige Triebfeder. Hinzu kommt die gewachsene Bedeutung sozialer Medien, die die Bildung herkömmlicher Gruppen teilweise überflüssig machen, da man sich auch auf Grundlage digitaler Strukturen jederzeit zu Aktivitäten verabreden kann. Sollte sich das Straftatenaufkommen wie bisher weiter rückläufig gestalten und nicht, wie bei der Musikszene, neue Dynamiken entstehen, ist in Zukunft vorerst mit einem sich verringernden Personenpotenzial zu rechnen. Dieses wird jedoch gewaltbereit und schnell mobilisierbar bleiben.233 232 siehe Abschnitt II.2.9 Rechtsextremistische Vertriebsszene 233 siehe Abschnitt II.2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte 107 2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten Der Generalbundesanwalt führte zwei Verfahren nach SS 129 a des Strafgesetzbuches mit Bezügen nach Sachsen.234 In dem Verfahren gegen die olDschool socIety235 vor dem Oberlandesgericht München, wurden die Angeklagten, darunter auch zwei Personen aus Sachsen, am 15. März 2017 zu Haftstrafen verurteilt236. Daneben wurde im November 2016 Anklage zum Oberlandesgericht Dresden gegen die "Gruppe Freital" erhoben. Gegen mehrere Angeklagte erfolgten bereits im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 Exekutivmaßnahmen der Polizei. Sie werden u. a. des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit nicht zugelassenen pyrotechnischen Erzeugnissen am 1. November 2015 an einer dezentralen Asylunterkunft in Freital verdächtigt. Im April 2016 übernahm der Generalbundesanwalt (GBA) das Verfahren. Unter den Tatverdächtigen sind einzelne bereits bekannte Rechtsextremisten. Der überwiegende Teil der Verdächtigen war bisher jedoch nicht im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Bestrebungen aufgetreten. Dies bestätigt das generelle Bild, wonach zahlreiche im Zusammenhang mit asylfeindlichen Straftaten in Erscheinung getretene Personen vorher nicht anderweitig mit politisch motivierten Straftaten oder anderen extremistischen Aktivitäten bekannt geworden sind. Die Möglichkeit der Entstehung von rechtsterroristischen Bestrebungen muss im Einzelfall auch in Zukunft einkalkuliert werden. Teile des militanten Rechtsextremismus könnten versuchen, ihre Ziele mit strategischer Gewalt umzusetzen. Die Migrationsbewegungen der letzten Jahre wurden von ihnen als existenzielle Bedrohung des von ihnen rassistisch definierten biologischen Bestandes des deutschen Volkes angesehen. Entsprechend sind sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch der empfundenen "Notwendigkeit" der Gewaltanwendung kaum Grenzen vorhanden. Schon seit mehreren Jahren kursieren Bürgerkriegsszenarien in der rechtsextremistischen Szene, in denen dazu aufgerufen wird, Gruppen zu bilden, Waffen zu beschaffen und Vorräte anzulegen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es bei günstigen Voraussetzungen von Personenpotenzial, Tatbegehungsund Beschaffungsmöglichkeiten auch in Zukunft zu entsprechenden Strukturbildungen kommen könnte. 234 Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung 235 Die OSS hatte sich Mitte des Jahres 2014 zunächst als virtuelle rechtsextremistische Gruppe im Internet bundesweit und auch unter Beteiligung sächsischer Rechtsextremisten aus dem Landkreis Leipzig gegründet; siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 146f. 236 Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. 108 RECHTSExTREMISMUS 2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte Die rechtsextremistische Musikszene hat ihre Aktivitäten im Freistaat Sachsen weiter ausgebaut. Die Zahl der Bands bzw. Bandprojekte, die Tonträger produzierten und sich an Konzertveranstaltungen in Sachsen, im Bundesgebiet oder im Ausland beteiligten, erhöhte sich. Demgegenüber nahm die Anzahl der durchgeführten Konzerte im Vergleich zum Vorjahr leicht ab. Die rechtsextremistische Musikszene nimmt weiterhin einen hohen Stellenwert im Rechtsextremismus in Sachsen ein.237 Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher Im Jahr 2016 gab es im Freistaat Sachsen insgesamt 30 sächsische Musikgruppen und Bandprojekte (2015: 22) sowie drei Liedermacher (2015: vier), welche bei Musikveranstaltungen inund außerhalb von Sachsen auftraten und eigene Tonträger publizierten. Damit wurden die Höchststände von 2009 und 2011 wieder erreicht. Die Bands gaben zehn Alben bzw. Split-CDs (2015: zwölf) heraus und beteiligten sich an drei Samplern (2015: fünf) sowie an einem Album. Zu den aktiven rechtsextremistischen Musikgruppen zählten im Jahr 2016 u. a. verBoteN (Erzgebirgskreis) sowie üBerzeuguNgstäter vogtlaND. Beide gaben im Jahr 2015 Tonträger heraus, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurden. Der von verBoteN herausgegebene Tonträger "Deutsches Herz" enthielt einen Titel, der bereits für eine frühere Indizierungsentscheidung relevant gewesen war. In einem anderen Titel diskriminierte die Band Menschen mit homosexueller Orientierung. Die im Jahr 2015 produzierte CD "Epoche der Angst" der Band übeRzeugungstäteR vogtlaND enthält Texte, welche zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen. So wurde in einem Lied der Nationalsozialismus verherrlicht oder verharmlost sowie gegen Angehörige des jüdischen Glaubens gehetzt: "In der Vergangenheit, da machte sich hier eine Sippe breit. Sie unterwanderten und betrogen und das weltweit. Heucheln, jammern, untergraben steckt tief in ihrem Blut. [...] Und es begann der Krieg den Verhassten, seit dem Mittelalter setzt man ihn fort. 1000 Jahre lügen nicht, die Rache der Unterdrückten in Tat und Wort. Krieg den Verhassten, so mancher Schlag hat hart gesessen, Hass, Hass."238 In einem anderen Lied wurde ganz offen zur Teilnahme an Massenschlägereien aufgerufen: "Schlagt euch die Köpfe ein, schlagt euch. Schlagt euch die Köpfe ein, schlagt euch. [...] keine Gnade, oi oi oi. [...] Der Spaß an Massenhauereien lässt manchen Nasenbruch verzeihen. [...] Schlagt euch die Köpfe ein, schlagt euch.". 239 237 siehe Abschnitte II.2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen mit jeweiliger Darstellung der Musikund Konzertszene in den Landkreisen 238 Auszug aus dem Titel "Krieg der Verhassten" enthalten im Album "Epoche der Angst" 239 Auszug aus dem Titel "Schlagt euch die Köpfe ein!" enthalten im Album "Epoche der Angst" 109 Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte sowie Liedermacher im Freistaat Sachsen Die Bands bzw. Bandprojekte Pro PatrIa, heIlIger krIeg, eNtroPIe und der Liedermacher "Rommel" können nicht konkret regional zugeordnet werden. Bei den BaNDs stahlfroNt, treueschwur, moshPIt und kIllumINatI handelt es sich um Bands, deren Mitglieder aus mehreren Bundesländern, darunter auch aus Sachsen, stammen. Anzahl der rechtsextremistischen Bands bzw. Bandprojekte im Freistaat Sachsen 40 30 29 30 29 30 30 22 22 19 19 20 16 10 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 110 RECHTSExTREMISMUS Bands bzw. Bandprojekte in der Einzelübersicht 240 blitzkRieg Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz aktiv seit: 2000 Veröffentlichungen in 2016: Im Internet wird die Split-CD "Radikahl & Stromschlag & Blitzkrieg" als Download angeboten. Enthalten sind u. a. bekannte Songs der Band Bemerkungen: Live-Auftritt bei "Rock für Identität" am 7. Mai 2016 in Hildburghausen blutzeugen Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2011 Veröffentlichungen in 2016: keine bRainwash Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2001 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" Split CD "Day of Victory", erschienen bei Pc-recorDs Bemerkungen: Live-Auftritte 2016 in Deutschland und im europäischen Ausland (z. B. in Griechenland) endless stRuggle Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2001 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Auftritt bei einem Konzert in Juni 2016 in Ostsachsen 240 Musikgruppen mit offen verwertbaren Erkenntnissen betreffend Aktivitäten im Jahr 2016 111 entRoPie Typ: Bandprojekt Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen / Brandenburg aktiv seit: 2016 Veröffentlichungen in 2016: Album "MMxVI", erschienen bei oPos-recorDs (2016) heiligeR kRieg Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen, ursprünglich Baden-Württemberg aktiv seit: 2000, seit 2014 in Sachsen Veröffentlichungen in 2016: Album "Treue um Treue", erschienen bei oPos-recorDs Doppel CD: "Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft", erschienen bei olDschool recorDs heiliges Reich Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Raum Chemnitz / Flöha aktiv seit: 2013 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt am 6. Februar 2016 in Staupitz hoPe foR the weak Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2005 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt bei einem Konzert in Griechenland 112 RECHTSExTREMISMUS killuminati Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen / Thüringen / Baden-Württemberg aktiv seit: 2014 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2016 leichenzug Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Wilkau-Haßlau (Landkreis Zwickau) aktiv seit: 2004 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte in Finnland moshPit Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Thüringen / Sachsen aktiv seit: 2001 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt bei einem Konzert in Polen neubeginn Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Raum Torgau aktiv seit: 2001 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt bei einem Konzert im Juli 2016 PaRanoid Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirge (Schneeberg) aktiv seit: 2009 Veröffentlichungen in 2016: Split-CD "Stereotyp / Paranoid", erschienen bei oPos-recorDs Sampler "Tag der deutschen Zukunft 2016", erschienen bei Pc-recorDs CD "MMxVI", im Rahmen des Band Projektes eNtroPIe, erschienen bei oPos-recorDs 113 PionieR Typ: Bandprojekt Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz aktiv seit: ca. 2009 Veröffentlichungen in 2016: Sampler "Tag der deutschen Zukunft 2016", erschienen bei Pc-recorDs PRo PatRia Typ: Bandprojekt Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen aktiv seit: 2013 Veröffentlichungen in 2016: Album "Revolution", erschienen bei oPos-recorD Bemerkungen: keine Rac'n'Roll-teufel Typ: Bandprojekt Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Landkreis Zwickau aktiv seit: ca. 2009 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am Album "Ein Quantum Prost", erschienen bei Pc-recorDs Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" Beteiligung am Album "Revolution" des Bandprojektes Pro PatrIa sachsenblut Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Freiberg aktiv seit: 2010 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt 2016, Teilnahme am "Thüringentag" in Sömmerda 114 RECHTSExTREMISMUS sachsonia Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 1999 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa am 6. Februar 2016 in Staupitz selbststelleR Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Riesa aktiv seit: 2000 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" Bemerkungen: Live-Auftritt 2016 sista batalJen Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirge aktiv seit: mindestens seit 2014 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa am 25. Juni 2016 in Ostsachsen stahlfRont Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen / Thüringen aktiv seit: 2013 Veröffentlichungen in 2016: Album "Wiederkehr der Ahnen", erschienen bei Hammerbund Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa am 8. Oktober 2016 beim "Neuschwabenlandkonzert" 115 stahlweRk Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Freital aktiv seit: 2012 Veröffentlichungen in 2016: Album "Pakt mit Tod und Teufel", erschienen bei oPos-recorDs steReotyP Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Mohorn aktiv seit: 2013 Veröffentlichungen in 2016: Split-CD "Stereotyp / Paranoid", erschienen bei oPos-recorDs thematik 25 Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2008 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa am 16. April 2016 in Staupitz tReueschwuR Typ: Bandprojekt Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen/ Bayern aktiv seit: 2015 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" übeRzeugungstäteR vogtland Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Vogtland aktiv seit: 2010 Veröffentlichungen in 2016: Sampler "4 gewinnt", erschienen bei reBel recorDs Beteiligung am Album "Ein Quantum Prost", erschienen bei Pc-recorDs 116 RECHTSExTREMISMUS veRboten Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirgskreis aktiv seit: 2011 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am CD-Sampler "Back to the Basement" Album "Humankapital", erschienen bei oPos-recorDs Beteiligung am Album "Ein Quantum Prost", erschienen bei Pc-recorDs Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa am 2. Mai 2016 in Staupitz sowie im August 2016 in Polen volksnah 2.0 Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2012 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt bei einem Konzert im November 2016 u. a. zusammen mit thematIk 25 white Resistance Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Erzgebirgskreis, Landkreis Zwickau aktiv seit: 2000 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: angekündigt war ein Auftritt für ein Konzert im November in Ostsachsen w.u.t. (white united teRRoR) Typ: Band Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Großdubrau aktiv seit: 2009 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritt am 15. August 2016 in Staupitz 117 Liedermacher in der Einzelübersicht "Barny" Typ: Liedermacher Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz aktiv seit: 2005 Veröffentlichungen in 2016: Beteiligung am Album "Ein Quantum Prost", erschienen bei Pc-recorDs Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, z. B. zusammen mit dem Liedermacher "Rommel" in Niedersachsen und Sachsen, Auftritt mit der Band verBoteN in Polen "FreilichFrei" Typ: Liedermacher Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Zwickau aktiv seit: 2014 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, etwa zum NPD-Sommerfest am 25. Juni 2016 in Riesa "Rommel" Typ: Liedermacher Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Sachsen aktiv seit: 2011 Veröffentlichungen in 2016: keine Bemerkungen: Live-Auftritte 2016, z. B. zusammen mit dem Liedermacher "Barny" in Niedersachsen und Sachsen 118 RECHTSExTREMISMUS Leichter Rückgang der rechtsextremistischen Konzerte in Sachsen Die Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte im Freistaat Sachsen ist im Jahr 2016 wieder etwas gesunken (2015: 17) und stagniert seit 2013 weitgehend. Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen 50 45 42 43 42 41 40 36 35 30 26 25 20 17 15 14 14 15 10 5 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Die durchschnittliche Teilnehmerzahl lag im Jahr 2016 bei annähernd 230 Personen. Diese ist insbesondere zurückzuführen auf die hohe Raumkapazität des Szeneobjektes in Staupitz, in dem der überwiegende Teil der Konzertveranstaltungen in Sachsen durchgeführt wurde. Eine Großveranstaltung mit überdurchschnittlicher Teilnehmerzahl, wie noch im Vorjahr im Neuensalzer Ortsteil Zobes (Vogtlandkreis) mit rund 650 Teilnehmern, wurde im Jahr 2016 im Freistaat Sachsen nicht festgestellt. Durchschnittliche Teilnehmerzahl je Konzert 300 265 250 220 230 210 185 190 200 160 150 150 140 150 100 50 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Für die Durchführung rechtsextremistischer Konzerte spielt das Vorhandensein von Veranstaltungsobjekten eine entscheidende Rolle. Wie bereits in den Vorjahren konzentrierte sich das Veranstaltungsgeschehen auch im Jahr 2016 auf das seit 2008 einschlägig genutzte Objekt in Torgau, Ortsteil Staupitz (Landkreis Nordsachsen). Allein zehn der 14 durchgeführten Konzerte fanden in diesem Szene-Objekt statt. 119 Dort sind aufgrund behördlicher Nutzungsbeschränkungen maximal zehn Veranstaltungen im Kalenderjahr zulässig; diese Obergrenze nutzt die Szene seit Jahren stets aus. Bei den hier agierenden Konzertveranstaltern handelt es sich in der Regel um langjährige Szene-Protagonisten, meist mit Bezügen in die rechtsextremistische Vertriebsszene. Die auftretenden Bands sind weitgehend überregional bekannt. Die bewährte Organisation und der fortbestehende Bedarf an Konzertveranstaltungen spiegelten sich in den Objekt in Torgau OT Staupitz Quelle: LfV Sachsen Teilnehmerzahlen wider, welche sich kontinuierlich im Bereich von 230 Personen bewegen. Die Konzerte in Staupitz bilden somit den "Grundstock" der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen in Sachsen. Die übrigen vier Konzerte wurden konspirativ organisiert und durchgeführt. Sie wiesen eine niedrigere Beteiligung auf, da zeitlich und regional nur begrenzt dafür geworben wurde. Datum Ort Konzertaufgetretene oder besucher (ca.) geplante Musikgruppen 1 30.01.2016 Sachsen selBststeller (SN) 2 06.02.2016 Torgau OT Staupitz 240 sachsoNIa (sN) (Landkreis Nordsachsen), heIlIges reIch (sN) Gasthof Staupitz üBerzeuguNgstäter (mv) sNIPer (fIN) 3 20.02.2016 Torgau OT Staupitz 230 hate for Breakfast (Ita) (Landkreis Nordsachsen), greeN arrows (Ita) Gasthof Staupitz DeathfeuD (BB) eterNal BleeDINg (th) freIcore (mv) 4 26.03.2016 Torgau OT Staupitz 240 eNDstufe (hB) (Landkreis Nordsachsen), kraft Durch froIDe (che) Gasthof Staupitz PuNkfroNt (Be) 5 16.04.2016 Torgau OT Staupitz 230 BroNsoN (Ita) (Landkreis Nordsachsen), froNtalkraft" (BB) Gasthof Staupitz NemesIs (gB) NakeD But armeD (D) Prora (st) thematIk 25 (sN) 120 RECHTSExTREMISMUS Datum Ort Konzertaufgetretene oder besucher (ca.) geplante Musikgruppen 6 15.05.2016 Torgau OT Staupitz 230 aggrokNuckle (Japan) (Landkreis Nordsachsen), uwocaust & helfershelfer (BB) Gasthof Staupitz faustrecht (By) aBtrImo (hh) 7 28.05.2016 Torgau OT Staupitz 230 coNfIDeNt of vIctory (BB) (Landkreis Nordsachsen), P.w.a (Estland) Gasthof Staupitz skalINger (mv) freIcore (mv) 8 25.06.2016 Ostsachsen eNDless struggle (sN) BarrIcaDes (st) sIsta BatalJeN (sN) 9 02.07.2016 Weißwasser froNtfeuer (BB) uNgeBeteNe gäste (mv) NeuBegINN (sN) 10 20.08.2016 Torgau OT Staupitz 230 Ic1 (Bw) (Landkreis Nordsachsen), mIstreat (fIN) Gasthof Staupitz NoN Plus ultra (Nw) w.u.t. (sN) 11 29.10.2016 Torgau OT Staupitz 230 hausmaNNskost (BB) (Landkreis Nordsachsen), froNtalkraft (BB) Gasthof Staupitz üBermeNsch (mv) 12 19.11.2016 Torgau OT Staupitz 200 flak (Nw) (Landkreis Nordsachsen), kraftschlag (st) Gasthof Staupitz thematIk 25 (sN) üBerzeuguNgstäter vogtlaND (sN) 13 26.11.2016 Sachsen verBoteN (sN) whIte resIstaNce (sN) BarrIcaDes (st) 14 17.12.2016 Torgau OT Staupitz 230 PItBullfarm (swe) (Landkreis Nordsachsen), sleIPNIr (Nw) Gasthof Staupitz uwocaust (BB) aBtrImo (hh) 121 Neben diesen Konzertveranstaltungen traten im Berichtsjahr in Sachsen Liedermacher bzw. einzelne Bandmitglieder bei Liederabenden und sonstigen Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen auf. Datum Ort KonzertMusikgruppen (mit Auftritt Besucher (ca.) oder geplantem Auftritt) 1 22.01.2016 Crimmitschau 50 Liedermacher 2 30.01.2016 Riesa 80 Frank RENNICKE 3 11.01.2016 Leipzig Auftritt von kategorIe c bei einer Demonstration 4 27.02.2016 Sachsen "FreilichFrei" 5 02.04.2016 Oelsnitz Frank RENNICKE 6 04.06.2016 Oberlausitz Liedermacher 7 25.06.2016 Riesa 100 "FreilichFrei" 8 06.08.2016 Grimma "Lunikoff" 9 15.10.2016 Ostsachsen "Griffin", "FreilichFrei", "Brenner" 10 21.10.2016 Dresden 40-50 "Fylgien" 11 30.10.2016 Sachsen "Barny" "Rommel" 12 25.11.2016 Dresden 70-80 Liedermacher 13 27.11.2016 Glauchau 25 "Lunikoff" 14 03.12.2016 Riesa 120 "Phil von FLAK" Sänger von a3stus 15 10.12.2016 Chemnitz Liedermacher 122 RECHTSExTREMISMUS Der bekannte Berliner Rechtsextremist Michael REGENER, der unter dem Pseudonym "Lunikoff" auftritt, veranstaltete, wie in den Jahren zuvor, eine Tournee durch verschiedene Bundesländer. REGENER ist eine der bekanntesten Personen der rechtsextremistischen Musikszene in Deutschland. Er war führendes Mitglied der kriminellen Vereinigung laNDser und wurde 2005 vom Kammergericht Berlin verurteilt; das Urteil wurde später vom Bundesgerichtshof bestätigt. Inzwischen tritt er mit der Band DIe luNIkoffverschwöruNg bei rechtsextremistischen Konzerten sowie als Solist bei Liederabenden auf. Am 6. August 2016 organisierten Rechtsextremisten bei Grimma unter dem Motto "Wir sagen danke!!! 3 Jahre Balladentour" eine Musikveranstaltung mit REGENER. Am 27. November 2016 trat "Lunikoff" in Glauchau vor ca. 25 Personen auf. Ein weiterer als "Geburtstagsparty" deklarierter Liederabend, welcher am 28. Dezember 2016 in Schneeberg stattfinden sollte, wurde verhindert. Auch die NPD und ihre Jugendorganisation JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) nutzten rechtsextremistische Musikinterpreten, um potentielle Teilnehmer anzuziehen. Am 3. Dezember 2016 organisierten die JN im Verlag der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME unter dem Motto "Klänge der Freiheit" eine entsprechende Veranstaltung. Dort traten der Sänger der Berliner Band a3stus sowie "Phil von FLAK" vor etwa 120 Teilnehmern auf. Quelle: www.facebook.com/JnSachsen (Stand 4. Oktober 2016) 2.9 Rechtsextremistische Vertriebsszene Zum Jahresende waren elf Firmen der rechtsextremistischen Vertriebsszene im Freistaat Sachsen aktiv (2015: 12). Es waren zwei Neuzugänge sowie drei Schließungen bzw. ein Wegzug von Vertrieben zu verzeichnen. Somit hält der Abwärtstrend der vergangenen Jahre weiter an.241 Mit Pc-recorDs (Chemnitz) befindet sich nur noch ein bundesweit relevantes rechtsextremistisches Vertriebsunternehmen in Sachsen. Dieses Unternehmen verfügt über ein hohes Ansehen in der rechtsextremistischen Szene im Inund Ausland. Sein Umsatz wird auf mehrere hunderttausend Euro jährlich geschätzt. Die Gewinne ermöglichen CD-Cover des Tonträgers "8. Tag der Deutschen Zukunft" den Geschäftsinhabern nicht nur das Bestreiten des Lebensunterhaltes, sondern auch die Finanzierung und Förderung von Szeneaktivitäten. 241 siehe Abschnitte II.2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen mit jeweiliger Darstellung der Vertriebsszene in den Landkreisen 123 Demgegenüber hat froNt recorDs an Bedeutung verloren, die Marktpräsenz sinkt seit Jahren spürbar. Das Sortiment der rechtsextremistischen Vertriebsunternehmen bedient insbesondere den Nachfragebedarf der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene. So werden Textilien mit szenetypischen Aufdrucken, Tonträger rechtsextremistischer Bands bzw. Liedermacher sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. T-Shirt des Textil-Labels "Label33"; Quelle: http://www.label33. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate, angede/T-Shirt-Refugees-not-Welcome (Stand: 10. Oktober 2016) boten. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen242 im Freistaat Sachsen 242 Der Oberbegriff "Vertriebsstrukturen" umfasst den Onlineversandhandel, Läden und Labels. Solche Strukturen können einzeln oder in unterschiedlicher Kombination bestehen. 124 RECHTSExTREMISMUS Gesamtsituation und Aktivitäten Im Freistaat Sachsen war die Anzahl der Unternehmen im Jahr 2016 wieder leicht rückläufig. Ein schwerer Rückschlag für die sächsische rechtsextremistische Vertriebsszene war der Umzug von oPos-recorDs nach Lindenau in Brandenburg, da dieser Vertrieb bundesweit eines der aktivsten Unternehmen ist. Der Inhaber hatte schon im Jahr 2014 versucht, sein Unternehmen nach Brandenburg zu verlagern, was ihm offenbar durch behördlichen Druck nicht gelang. Laut Impressum ist der Umzug seit dem 2. Dezember 2016 vollzogen. Welche Auswirkungen der Umzug für das Unternehmen bzw. die sächsische Vertriebsszene haben wird, ist derzeit nicht absehbar. Es ist zu erwarten, dass der Vertrieb, auch von Brandenburg aus, weiterhin seine sächsische Klientel bedienen und seine Beziehungen zur sächsischen rechtsextremistischen Szene aufrechterhalten wird. Der Onlineversand froNtmusIk hat laut Impressum seit Anfang 2016 seinen Sitz nach Falkenhain (Landkreis Leipzig) verlegt. Dort wird die Muttergesellschaft des rechtsextremistischen Vertriebes froNt recorDs als Eigner angegeben. Das Unternehmen stammt ursprünglich aus Rheinland-Pfalz243. Der Versand hat sein Sortiment überwiegend auf die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene ausgerichtet. Es werden vor allem Tonträger von rechtsextremistischen Musikgruppen, szenetypische Bekleidung und weitere Szeneartikel angeboten. Der Textilvertrieb laBel 33 aus Gröditz (Landkreis Meißen) wurde ebenfalls im Jahr 2016 als rechtsextremistisch eingestuft. Inhaber ist der Besitzer des rechtsextremistischen Verlages lIBergraPhIx. Auch bei diesem Unternehmen wird vorrangig die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene bedient. Der Slogan "Label 33 - Was war, kommt wieder" belegt die neonationalsozialistische Grundhaltung des Betreibers, die sich positiv auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bezieht. Ein bisher als rechtsextremistisch eingestufter Szeneladen aus Pirna (Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge) wurde wegen der Umstellung seines Sortiments aus der Statistik für rechtextremistische Vertriebsunternehmen entfernt. Anfang 2016 ist der rechtsextremistische Szeneladen in Annaberg-Buchholz (Erzgebirgskreis) durch den Inhaber geschlossen worden. Der Vertrieb NatIoNales versaNDhaus aus Gohrisch (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) hat den Online-Versand "Widerstand-Versand" eingestellt. Damit ist die langjährige Expansion des Unternehmens beendet. Aufgrund öffentlichen Drucks (u. a. auch durch den politischen Gegner) und mangels Rentabilität sind im Freistaat Sachsen nur noch zwei "reine" Szeneläden existent - eine Entwicklung, die auch bundesweit festzustellen ist. Der negative Trend in der rechtsextremistischen Vertriebsszene setzte sich fort. In wirtschaftlicher Hinsicht haben die sächsischen Vertriebe im Jahr 2016 eine leicht rückläufige Entwicklung hinnehmen müssen. Kein Unternehmen konnte seine Marktstellung innerhalb oder außerhalb Sachsens verbessern, da es keine Zukäufe bzw. Übernahmen gab. Außerdem führte die jahrelange Rezession dazu, dass die Produktvielfalt in der sächsischen Vertriebsszene mit den eingestellten Firmen proportional schrumpfte. 243 laut den AGB liegt das Widerrufsrecht noch in Ludwigshafen (RP) 125 Anzahl von Neugründungen und Auflösungen der Vertriebe 5 4 4 3 3 3 2 22 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 Neugründungen 0 0 0 0 0 0 Auflösungen 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 In der Grafik wird der anhaltende Abwärtstrend der rechtsextremistischen Vertriebsszene in Sachsen deutlich. Die Zahl der Geschäftsaufgaben liegt weit über jener der Neugründungen. Der Freistaat Sachsen bleibt bundesweit dennoch einer der wichtigen Standorte für die rechtsextremistische Vertriebsszene. Der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen ist auch erheblich von der Akzeptanz in der rechtsextremistischen Szene abhängig. Auch aus diesem Grund wird die Szene von ihnen logistisch und finanziell unterstützt. Im Jahr 2016 wurden erstmals seit Jahren keine eigenen öffentlich wirksamen Aktionen der sächsischen Vertriebsunternehmen bekannt. Man beteiligte sich lediglich an Hilfsprojekten für die rechtsextremistische Szene. So organisierte die rechtsextremistische Musikgruppe gegeNPol eine Solidaritätsaktion für die Flutopfer in Baden-Württemberg. Eine Sonderausgabe von CDs wurde zusammengestellt und über das eigene Facebook-Profil versteigert. Die Gestaltung übernahm Dryve By suIzhyDe kostenlos. FSN.tv - ein Onlineszeneportal - führte eine Versteigerung der DVD-Metallbox von uwocaust & racoNQuIsta zum selben Thema auf seinem Facebook-Profil durch. Pc-recorDs hatte diese zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2016 produzierten drei sächsische Vertriebe Tonträger mit rechtsextremistischer Musik. Die derzeit aktiven sächsischen Labels haben seit ihrer Gründung fast 350 Tonträger zumeist einschlägiger rechtsextremistischer Bands und Liedermacher herausgebracht. Die Auflagenhöhe der Produktionen liegen im Durchschnitt bei mehreren hundert Stück. Zusätzlich wurden Sonderausgaben für Sammler herausgegeben.244 244 siehe Abschnitt II.2.8 Rechtsextremistische Musikszene und Konzerte 126 RECHTSExTREMISMUS Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträger nicht zu gefährden, sind die Produzenten bei den Liedtexten und der CD-Gestaltung bestrebt, nicht gegen strafund jugendschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. So lassen sie Tonträger vor der Veröffentlichung von Rechtsanwälten prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Jedoch entschied der Bundesgerichtshof am 3. April 2008 im Falle eines damals bedeutenden Produzenten rechtsextremistischer Musik, dass von szenenahen Anwälten erstellte "Gefälligkeitsgutachten" keinen Freibrief darstellen und nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützen245. Fast 100 von den drei aktiven sächsischen Produzenten herausgebrachte Tonträger wurden bislang indiziert. Die Indizierung einer CD erfolgt dann, wenn ihr Inhalt oder ihre Gestaltung Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Die Entscheidung hierüber wird von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) getroffen. Eine indizierte CD darf Kindern und Jugendlichen nicht mehr verkauft oder zugänglich gemacht werden. Ebenso gilt ein Werbeverbot. Im Jahr 2016 hat die BPjM elf Tonträger der aktiven sächsischen Labels indiziert, davon waren zwei CDs erst im Jahr 2016 produziert worden. Im Jahr 2016 wurde z. B. die von froNt recorDs produzierte CD mit dem Titel "Viel Feind, viel Ehr" der rechtsextremistischen Band wolfsfroNt (Saarland) indiziert. Die Indizierung erfolgte u. a., da die Texte die nationalsozialistische Ideologie verherrlichen und zum Rassenhass anreizen. Gemäß SS 21 Abs. 2 und 4 des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) können Indizierungen bei der dafür zuständigen BPjM u. a. von Behörden bzw. anderen öffentlichen Stellen beantragt bzw. angeregt werden. Einzelpersonen müssen sich deshalb mit entsprechenden Hinweisen z. B. an Polizeibehörden, Ordnungsämter oder freie Träger der Jugendhilfe wenden, welche dann die BPjM beteiligen können (SS 21 Abs. 4 JuSchG). Im Jahr 2016 geriet ein rechtsextremistischer Vertrieb aus Sachsen in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden: Die Staatsanwaltschaft Leipzig führte im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens am 10. Februar 2016 eine Durchsuchung bei dem Inhaber von froNt recorDs durch. Gegenstand des Verfahrens ist der Verdacht des Verkaufs strafrechtlich relevanter Tonträger. Durch das AG Chemnitz erging am 12. August 2016 der allgemeine Beschlagnahmebeschluss gegen den Tonträger "Epoche der Angst" der rechtsextremistischen Band üBerzeuguNgstäter vogtlaND. Einzelne Titel der CD sollen danach die Tatbestände der Volksverhetzung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten erfüllen. 245 Az.: BGH 3 StR 394/07 127 Ausgewählte rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen dRyve by suizhyde Typ: Gewerbliches Textil-Label mit Online-Versand Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2009, seit 2013 im Freistaat Sachsen Sortiment: Textilien fRont RecoRds Typ: Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Online-Versand, Tonträger-Label, Textildruckerei Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Falkenhain (Landkreis Leipzig) aktiv seit: 2001 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien fRontmusik Typ: Gewerblicher Online-Versand mit Tonträger-Label Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Falkenhain (Landkreis Leipzig) aktiv seit: 2015, seit 2016 im Freistaat Sachsen Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien heRmannsland-veRsand Typ: Gewerblicher Online-Versand Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2015 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien 128 RECHTSExTREMISMUS label 33 Typ: Gewerbliches Textil-Label mit Online-Versand Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Gröditz (Landkreis Meißen) aktiv seit: 2016 Sortiment: Textilien (sowie weitere angegliederte nationales veRsandhaus Unternehmen) Typ: Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Szeneladen und Web-Shops, Tonträger-Label Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Gohrisch (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) aktiv seit: 2009 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Pc-RecoRds Typ: Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Szeneladen, Online-Versand und Tonträger-Label Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Inhaber: Steve GEBURTIG aktiv seit: 2000 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien RePRo-medien Typ: Gewerblicher Online-Versand Extremismusbereich: Rechtsextremismus Sitz bzw. Herkunft: Radeberg (Landkreis Bautzen) Inhaber: Simon RICHTER aktiv seit: 2009 (bis 01/2017) Sortiment: Aufkleber, Plakate, Broschüren und anderes Propagandamaterial 129 2.10 Relevante Publikationen DEUTScHE STIMME Quelle: Publikation DEUTSCHE STIMME, Ausgabe 3/März 2016 Extremismusbereich: Rechtsextremismus Herausgeber/ Verantwortlicher: NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD) Erscheinungsturnus: monatlich Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit Die wichtigste Publikation der NPD ist ihr monatlich erscheinendes Parteiorgan DEUTSCHE STIMME. Durch die Veröffentlichung soll die eigene Anhängerschaft für die Auseinandersetzung mit dem demokratischen Rechtsstaat argumentativ gestärkt werden. Dominierend sind hierbei die NPD-typischen Ideologiefragmente "völkischer Nationalismus und Volksgemeinschaft", "Antipluralismus" und "Antiindividualismus", ein begrifflich aggressiver Antiamerikanismus, die Gegnerschaft zur Europäischen Union und für Rechtsextremisten typische pauschale Schuldzuweisungen an das demokratische "System" und seine Politiker. Breiten Raum nehmen auch wieder fremdendfeindliche Argumentationen der Rechtsextremisten ein. DER AKTIVIST Quelle: Publikation DER AKTIVIST, 25. Jg., Ausgabe 1/2016 Extremismusbereich: Rechtsextremismus Herausgeber/ Verantwortlicher: Bundesvorstand der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) Erscheinungsturnus: unregelmäßig Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit Die Publikation ist das Zentralorgan der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN). Sie dient als Rundbrief für Mitglieder und Interessenten. Mit dem Leitthema der einzigen im Jahr 2016 erschienenen Ausgabe "Neue Siedler? Wenn der 'Nazi' mit dem Trecker kommt" stellten die JN das Thema Ansiedlung von "volkstreuen Aktivisten" in den Mittelpunkt. 130 RECHTSExTREMISMUS PLATZHIRScH Quelle: LfV Sachsen Extremismusbereich: Rechtsextremismus Herausgeber/ Verantwortlicher: JN Sachsen Erscheinungsturnus: unregelmäßig Auflage: unbekannt Verbreitung: überregional Bei der Publikation handelt es sich um eine Schülerzeitschrift der JN Sachsen. Im Jahr 2016 erschien die zweite Ausgabe. Darin versuchen die JN Themen, wie das geplante Handelsabkommen TTIP, Drogen und die sog. "Volksgemeinschaft", jugendgerecht aufzubereiten. Außerdem werden Aggression und Gewaltbereitschaft gegen politisch Andersdenkende in Form eines Comics durch Aufmachung und Darstellung verharmlost. Durch die Verteilung dieser Publikation vor und in Schulen sollen Schüler auf die JN aufmerksam und so für die Jugendorganisation geworben werden. WAFFENBRÜDER Quelle: LfV Sachsen Extremismusbereich: Rechtsextremismus Herausgeber/ Verantwortlicher: subkulturell geprägte Rechtsextremisten Erscheinungsturnus: eine Ausgabe bekannt Auflage: unbekannt Verbreitung: regional und im Internet Bei der Publikation handelt es sich um eine Doppelausgabe zweier verschiedener Fanzines. Herausgeber sind die Macher des rechtsextremistisch eingestuften Fanzine VIVA SAxONIA und des nicht eingestuften Fanzine Feindkontakt. Dieses enthält die Ausgabe 4 von VIVA SAxONIA und die Ausgabe 13 des Fanzines Feindkontakt. Inhaltlich wird vorrangig die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene angesprochen. 131 2.11 ideNtitäre BeweguNg deutschlaNd - Regionalgruppe Sachsen Extremismusbereich: Rechtsextremismus Gründung: Oktober 2012, seit August 2014 eingetragener Verein Sitz: Paderborn (Nordrhein-Westfalen) Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 40 Vorsitz Bund: Nils ALTMIEKS Leiter Regionalgruppe Sachsen: Tony GERBER Kennzeichen: Historie und Struktur Die IDeNtItäre BeweguNg hat ihren Ursprung in Frankreich. Erstmals trat die IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND (IBD) im Oktober 2012 virtuell in Erscheinung, als sie ihre Positionen im Rahmen einer Facebook-Gruppe verbreitete. Indem sie Fremdenund Islamfeindlichkeit sowie systemkritischen Antiliberalismus thematisierte, erzielte die Facebook-Seite in kürzester Zeit eine große Unterstützung, die sich in zahlreichen Beiträgen, Kommentaren und "Gefällt mir"-Angaben (1.600 innerhalb der ersten drei Monate) widerspiegelte. Zeitgleich wurde ein Aufruf zur Bildung lokaler Untergruppen gestartet. Die Gründung dieser Gruppen sollte nach dem Motto "pro-lokal, antiglobal" erfolgen. Quelle: www.facebook.com/IB Sachsen (Stand: 16. April 2016) Seit Mai 2014 ist die IDeNtItäre BeweguNg (IB) ein eingetragener Verein in Deutschland. Vereinsvorsitzender ist der in Bayern wohnende Nils ALTMIEKS. Bundesweit ist die IB in Regionalund Ortsgruppen gegliedert. Im Freistaat Sachsen verfügt sie über Ortsgruppen in Leipzig, Zwickau, Dresden, Bautzen und im Erzgebirgskreis. Ihr Personenpotential wird hier auf etwa 40 Personen geschätzt. Ideologie/ Politische Zielsetzung "Die parlamentarische Demokratie kann demnach keineswegs repräsentativ für den demokratischen Gedanken stehen. Sie stellt maximal ein demokratisches Surrogat dar und hat sich in der Praxis ohnehin zu einer privilegierten Parteienoligarchie entwickelt, die politischen Diskurs und Entscheidungsgewalt lediglich simuliert...".246 246 www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 29. September 2015) 132 RECHTSExTREMISMUS Als Ableger des französischen "bloc identitaire" bzw. "Generation Identitaire" (GI) sieht sich die IDeNtItäre BeweguNg in Deutschland in der Tradition der "Neuen Rechten" und betont ihre Rolle als "metapolitischer und aktivistischer Arm der 'Neuen Rechten'"247. Die Ansichten und Ziele der GI haben Vorbildcharakter für die Gründung der IBD. Nach der Einrichtung ihrer Facebook-Gruppe am 10. Oktober 2012 verbreitete die IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND ein Video der rechtsextremistischen französischen Organisation "Generation Identitaire" (GI), das unter der Überschrift "Identitäre Generation - Die Kriegserklärung" verlinkt war. Quelle: www.facebook.com/IBDeutschland (Stand: 10. Oktober 2012) In dem Video, das in 25 weitere Sprachen übersetzt wurde, waren französisch sprechende Personen zu sehen, die die Botschaft einer "ethnokulturellen Identität" verkünden und zugleich gegen kulturelle Vielfalt, gesellschaftliche Gleichheit und generell gegen Multikulturalismus agitierten und dies als "Kriegserklärung" proklamierten. Auszugsweise fanden sich folgende Aussagen248 in dem Video: "Wir sind die Generation des ethnischen Zusammenbruchs, des totalen Scheiterns, des 'friedlichen Zusammenlebens' und der aufgezwungenen Vermischung." "Wir glauben nicht mehr daran, dass 'Mehmet' jemals unser Freund wird, wir haben aufgehört an ein globales Dorf zu glauben und daran, dass die Menschheit eine Familie ist." "Unser einziges Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität." "Täuscht Euch nicht: Dieser Text ist kein einfaches Manifest: es ist eine Kriegserklärung." Die IBD bezieht sich in ihrer ideologischen Ausrichtung explizit auf den Ethnopluralismus. Dieser Ansatz, der auf die Stichwortgeber der "Neuen Rechten" zurückgeht, wird auch als "Rassismus ohne Rassen" bezeichnet, da er nicht biologistisch argumentiert. Er stellt vielmehr das vermeintlich Fremde anhand von Merkmalen, wie Kultur oder Religion, in den Vordergrund und zieht daraus die Konsequenz einer erforderlichen Trennung von Ethnien und Religionsgemeinschaften. Mit der Forderung einer "Remigration" spricht die Organisation bestimmten Ethnien und Kulturen ihre Daseinsberechtigung in für sie "fremden" Territorien ab. Die sich daraus ergebende Entrechtung von Menschen - aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder kulturellen Wurzeln - ist ein klassisches Merkmal rechtsextremistischer Ideologie. Die im Jahr 2015 von der IB gestartete Kampagne "Der große Austausch", mit der sie euro247 www.identitaere-bewegung.de/idee-tat/ (Stand: 3. Juni 2016) 248 www.facebook.com/IBDeutschland (Stand: 10. Oktober 2012) 133 paweit vor einem vollständigen Austausch der jeweiligen Bevölkerung durch "Fremde" warnte, ähnelte inhaltlich der von anderen rechtsextremistischen Gruppierungen proklamierten "Überfremdung" und der "Volkstod-Kampagne". Der Regionalleiter Tony GERBER veröffentlichte auf seinem YouTube-Kanal "IDENTIT:ÄRA" u. a. eine Video-Reihe "Metapolitik". In deren Rahmen sprach er auch über Demokratie, "Demokratismus" und "Wirkliche Demokratie". Die Ausführungen zu letzterer zeigen die Stoßrichtung der Überlegungen innerhalb der IB auf. So hieß es: "Eine solche Form der Demokratie ist auf keinen Parlamentarismus angewiesen. Sie braucht keinen Parteienstaat...".249 Aktivitäten Viele Aktivitäten der IDeNtItäreN BeweguNg entfalten sich im virtuellen Raum, vor allem über die zahlreichen Websites, Blogs und Profile in sozialen Netzwerken, welche sie zur Verbreitung ihrer Kampagnen und Thesen nutzen. Sie setzen dabei auf eine visuelle Symbolik und betrachten sich als Avantgarde, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung von traditionellen rechtsextremistischen Gruppierungen abheben soll. Deutschlandweit starteten die IDeNtItäreN im Jahr 2015 eine Kampagne unter dem Motto "Der große Austausch". Inhaltlich wird die in islamund fremdenfeindlichen Kreisen völkische Sicht einer vermeintlichen ethnischen Veränderung der europäischen Gesellschaften durch unkontrollierte und massenhafte Zuwanderung verbreitet. "Der große Austausch" ist ein verschwörungstheoretisches Konstrukt, wonach die Regierung gezielt "Masseneinwanderung" zulasse und fördere, um die angestammte deutsche Bevölkerung eine Minderheit in Deutschland werden zu lassen. "Es ist ein wahnwitziges soziales Experiment, für das wir keine Erfahrungswerte haben. (...) Wichtig ist zu verstehen, dass das (...) kein Zufall ist. (Dahinter) steckt einerseits die Kriegund Wirtschaftspolitik der USA, die ausbeuterische Globalisierung, die Armut, Not und globale Ungleichheit erst schafft. (Andererseits) eine vernetzte Clique aus 'no border'Lobbygruppen, die sich am 'Asyl'-System dämlich verdienen, die linke Empörungsund HeuchelIndustrie sowie verräterischer Parteien, die sich mit Ausländern neue Wählerstimmen importieren, führen im Großen Austausch die Wünsche der globalen Konzerne aus. (...)". 250 Zudem wurde befürchtet, dass dieser Prozess mit einer Islamisierung der Bundesrepublik einhergehen werde. Quelle: www.ibladen.de (Stand: 31. August 2016) 249 METAPOLITIK IN UNTER 60 SEKUNDEN, #7 - "Wirkliche Demokratie", www.youtube.com (Stand: 21. August 2015) 250 www.identitaere-generation.info/der-grosse-austausch-definition/ (Stand: 6. Mai 2015, Schreibweise wie im Original) 134 RECHTSExTREMISMUS Quelle: www.ibladen.de (Stand: 31. August 2016)251 Im Freistaat Sachsen unterstützte die IB sachseN bzw. einzelne ihrer Ortsgruppen die Kampagne u. a. mit Flugblattverteilungen und Banneraktionen215. Mit ihren Protestaktionen, wie am 21. März 2016 in Grünhain-Beierfeld und am 21. April in Bad Schlema (jeweils Erzgebirgskreis)252, beabsichtigte die IB eigenen Angaben zufolge, die Verantwortlichen dieses "Austausches" zu benennen. Im Oktober und November 2016 richteten sich Aktionen zudem gegen Personen und Parteien, die durch ihr politisches Engagement in den Fokus der IB gerieten. So veranstalteten Angehörige der IB eine Art Gedenken vor dem Bürgerbüro der Partei Bündnis90/Die Grünen in Schwarzenberg (Erzgebirgskreis). In Berlin besetzten ebenfalls im November Mitglieder der IB den Balkon der Bundesgeschäftsstelle der Partei. Quelle: www.facebook.com/IB Sachsen (Stand: 15. November 2016) Dazu schrieb die IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND: "Solange der Staat nicht in der Lage ist, seine Grenzen und die Bevölkerung zu schützen, werden wir weiterhin mahnende Appelle und aussagekräftige Aktionen gegen seine ideologischen Träger richten". 253 In Berlin fand am 27. August mit der Besetzung des Brandenburger Tores eine weitere Aktion mit einer hohen Medienwirksamkeit für die IB statt. Zwölf Personen gelangten über eine Treppe und mit Hilfe mitgeführter Leitern auf das Brandenburger Tor. Dort befestigten die Demonstranten drei Transparente mit den Aufschriften "Identitäre Bewegung", "Grenzen sichern - sichere Zukunft" und "Grenzen schützen - Leben retten". Quelle: www.facebook.com/identitaere (Stand: 19. November 2016) 251 Die Jahreszahlen 732, 1529, 1571, 1683 stehen für die folgenden historischen Ereignisse: 732 - Die Franken unter Karl Martell besiegen die Araber in der Schlacht von Tours und Poitiers. 1529 - Ende der erfolglosen Belagerung Wiens durch die Osmanen. 1571 - In Rom schließen sich Papst Pius V., Spanien und die Republik Venedig zur "Heiligen Liga" gegen das Osmanische Reich zusammen. In der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 besiegt die Flotte der "Heiligen Liga" die Osmanen. 1683 - Die zweite Belagerung der Stadt Wien durch ein Heer des Osmanischen Reiches endet für dieses ebenfalls mit einer Niederlage. Am 12. September 1683 werden die Osmanen in der Schlacht am Kahleberg geschlagen. 252 siehe Abschnitt II.2.12.4 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Vogtlandkreis 253 www.facebook.com/identitaere (Stand: 19. November 2016) 135 Weiterhin schwenkten sie Fahnen mit den Symbolen der IDeNtItäreN BeweguNg und entzündeten Feuerwerkskörper. Im Umfeld hielten sich etwa 30 weitere Personen auf, die die Aktion lautstark bejubelten. Im Freistaat Sachsen traten Angehörige der IB darüber hinaus bei den "Sternmärschen" im Erzgebirgskreis sowie im Landkreis Zwickau und bei mehreren PEGIDA-Demonstrationen in Dresden mit Transparenten und Fahnen in Erscheinung. Zudem trat mit Martin SELLNER ein führender Vertreter der IB Österreich als Redner bei drei PEGIDA-Versammlungen auf. Des Weiteren versuchte die IB mit Mahnwachen in mehreren sächsischen Orten und mit diversen Banneraktionen oder Flugblattverteilungen auf sich aufmerksam zu machen.254 Sächsische Aktivisten der IB beteiligten sich zudem an Demonstrationen und sonstigen Aktionen der IB in anderen Bundesländern. Ausblick Die IBD hat sich vom Internetphänomen hin zu einer aktionistisch ausgerichteten Organisation mit regelmäßigen aktuellen Auftritten in der Öffentlichkeit gewandelt. Auch künftig ist bundesweit mit Propagandaaktionen der IB im öffentlichen Raum zu rechnen, die sich insbesondere gegen demokratische Parteien richten werden. Von Sachbeschädigungen abgesehen sind Gewaltanwendungen der IB unwahrscheinlich, wobei diese Zurückhaltung abhängig von Gegenaktivitäten gewaltbereiter Linksextremisten sein dürfte.255 Ziel der IB wird darüber hinaus auch die Festigung und der Ausbau ihrer Strukturen im Freistaat Sachsen sein. Dabei knüpft die IB mit ihren Aktionen sowie ihren Auftritten in den sozialen Medien bewusst an die Lebenswelten von jungen Menschen an. Da die IB sich nicht mit den üblichen rechtsextremistischen Slogans und Symbolen inszeniert, ist deren ideologische Ausrichtung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Daher besteht die Gefahr, dass die IB auch Bevölkerungsschichten anspricht, die traditionelle Rechtsextremisten bislang nicht erreichten. 2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 2.12.1 Landkreis Bautzen Im Landkreis Bautzen waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2016, wie im Vorjahr, zwischen 200 und 250 Personen zuzurechnen. Das Personenpotenzial lag damit im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Die neonationalsozialistische Szene im Landkreis Bautzen verfügte über Strukturen in Bautzen, Hoyerswerda und in der Region Radeberg. Die NeoNatIoNalsozIalIsteN im Raum Bautzen führten, wie auch in den letzten Jahren, eine Gedenkveranstaltung in Niederkaina (bei Bautzen) für die an diesem Ort am 22. April 1945 getöteten deutschen 254 siehe Abschnitt II.2.12 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 255 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 136 RECHTSExTREMISMUS Soldaten durch. Diese Veranstaltung ist ein fester Termin im politischen Kalender der neonationalsozialistischen Szene und dient der Glorifizierung der Vergangenheit, aber auch dem Szenezusammenhalt. Der Fackelzug mit ca. 80 Teilnehmern und überregionaler Beteiligung reihte sich in die sog. "Trauermärsche" der rechtsextremistischen Szene ein. Diese stellen - unter Ausblendung der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes - ausschließlich die "alliierten Kriegsund Nachkriegsverbrechen" in den Mittelpunkt ihres Gedenkens. Anlässlich des Volkstrauertages am 13. November 2016 fanden weitere Gedenkveranstaltungen der NeoNatIoNalsozIalIsteN aus dem Raum Bautzen in Göda und auf den Kreckwitzer Höhen bei Bautzen statt. Rechtsextremisten instrumentalisieren den Volkstrauertag im revisionistischen Sinne als "Heldengedenktag".256 Die NeoNatIoNalsozIalIsteN im Raum Hoyerswerda benannten sich 2016 von wIDerstaND hoyerswerDa in NatIQuelle: Facebook-Profil NatIoNaler wIDerstaND hoyerswerDa (Stand: 14. April 2016) oNaler wIDerstaND hoyerswerDa um. Personen, die dieser Gruppierung zugerechnet werden, waren z. B. unter den Teilnehmern einer Demonstration am 14. Mai 2016 in Hoyerswerda mit dem Motto "Für unsere Kinder". Die Veranstaltung wird dem rechtsextremistischen Verein DeutschlaND muss leBeN e. v. zugerechnet. Dieser Verein hat seinen Sitz in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), aber auch in Quelle: Facebook-Profil freIe kräfte mIttel/ostsachseN (Stand: 14. Mai 2016) Hoyerswerda sind Mitglieder aktiv. An der rechtsextremistischen Demonstration in Hoyerswerda nahmen ca. 60 Personen teil. Das Ziel, mit dem gewählten Demonstrationsthema auch nicht extremistische Kreise zu erreichen, wurde verfehlt. In den Redebeiträgen, u. a. von Ricarda RIEFLING (Bundesvorsitzende des rINgs NatIoNaler fraueN, NPD Rheinland-Pfalz) und Uwe MEENEN (NPD Berlin), wurde die angebliche Benachteiligung deutscher Kinder gegenüber Kindern von Asylbewerbern beklagt. Während des Demonstrationszuges wurde eine Vielzahl rechtsextremistischer Parolen skandiert: "Wir wollen keine Asylheime", "Kriminelle Ausländer raus", "Kein deutsches Geld für fremde Interessen" und "Unser Kampf ist frei und national". Im Jahr 2016 trat eine neue Gruppierung der neonationalsozialistischen Szene in den Landkreisen Bautzen und Görlitz in der Öffentlichkeit auf. Die freIeN kräfte mIttel/ostsachseN mobilisierten auf ihrem Facebook-Profil für verschiedene rechtsextremistische Veranstaltungen im Landkreis Bautzen und führten selbst eine Demonstration am 3. September 2016 in Löbau durch.257 Quelle: Facebook-Profil freIe kräfte mIttel/ostsachseN (Stand: 15. April 2016) 256 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 257 siehe Abschnitt II.2.12.5 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Görlitz 137 Im Frühjahr 2016 wurden die im Vorjahr im Landkreis Bautzen zahlreich durchgeführten Demonstrationen gegen die Asylpolitik fortgesetzt. Hier spielte der bekannte NeoNatIoNalsozIalIst Simon RICHTER als Redner eine entscheidende Rolle. Da er nicht nur auf rechtsextremistischen asylfeindlichen Veranstaltungen, sondern auch bei nicht extremistischen asylkritischen258 Kundgebungen auftrat, fungierte er als Bindeglied zwischen den verschiedenen Veranstaltern. Mit seinen regelmäßigen und sich inhaltlich wiederholenden Redeauftritten u. a. in Großröhrsdorf, Haselbachtal und Radeberg verbreitete er seine von rechtsextremistischen und antisemitischen Denkmustern geprägten Inhalte. Im Sommer 2016 gab es auf dem Kornmarkt in Bautzen wiederholt Auseinandersetzungen unter Asylbewerbern und auch zwischen Asylbewerbern und deutschen Staatsangehörigen. Diese Situation spitzte sich im September 2016 zu. Am 9. September 2016 meldete die rechtsextremistische Szene eine Demonstration in Bautzen an. Nachdem im Internet zu Gegenaktivitäten aufgerufen worden war, mobilisierten auch die freIeN kräfte im Landkreis Bautzen für eine Teilnahme an der Demonstration. Sie riefen dazu auf, den "Nazikiez" zu verteidigen.259 Quelle: Facebook-Profil StreamBZ (Stand: 7. September 2016) Nach Beendigung der Demonstration wandten sich die Teilnehmer der Gegenversammlung zu und es begannen gegenseitige Provokationen. Darunter waren z. B. Mitglieder der rechtsextremistischen rockerähnlichen Gruppierung a ryaN BrotherhooD e astsIDe aus Bautzen, die sich durch das Tragen von Kutten mit der Aufschrift "ABE 125" zu erkennen gaben. 260 Quelle: picture-alliance/dpa-grafik, Bildausschnitt (Stand: 10. September 2016) 258 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 259 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 260 Zur Bedeutung von Gruppierungen wie der ABE siehe Abschnitt II.2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 138 RECHTSExTREMISMUS Von Anhängern der Gegenveranstaltung wurden Flaschen in Richtung der Polizeibeamten und der Teilnehmer der rechtsextremistischen Veranstaltung geworfen. Die Stimmung heizte sich zunehmend auf. Des Weiteren kam es auch an den Folgetagen in der Innenstadt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern. Die Ereignisse von Bautzen zeigten, dass die Konflikte mit Bezug zur Asylthematik eine eigene Dynamik entwickeln und zu einer Eskalation führen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn verschiedene Faktoren (z. B. Straftaten bzw. aggressives Verhalten, sinkende Hemmschwelle durch starken Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln, latente Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten und ggf. fremdenfeindliche bis rechtsextremistische Einstellungen) aufeinandertreffen.261 Sich daraus ergebende Konflikte werden mitunter intensiv durch Linksund Rechtsextremisten instrumentalisiert, insbesondere für eine weitere Radikalisierung, eine Aufheizung des gesamtgesellschaftlichen Klimas sowie eine Mobilisierung zu anschließenden Demonstrationen. Die Vorfälle in Bautzen stellten insofern einen Kristallisationspunkt dar, an dem die rechtsextremistische Szene allgemeine Empörung für sich nutzen konnte, um im Windschatten der Ereignisse auch mit Gewalt gegen Asylbewerber vorzugehen und regionale Protestveranstaltungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Geschehnisse wie in Bautzen können auch in anderen Regionen auftreten, indem durch die Verbreitung in sozialen Netzwerken eine erhebliche Öffentlichkeit erreicht und eine eigene Dynamik entwickelt werden kann, die eine Eskalation befürchten lässt. Sie sind auch Folge des Wiedererstarkens der neonationalsozialistischen Szene, die mit ihrer neugewonnenen Stärke in der Lage war, das Ereignisgeschehen wesentlich zu beeinflussen und teilweise sogar zu lenken.262 natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Der NPD-Kreisverband im Landkreis Bautzen wurde nach Austritten von Mitgliedern im Jahr 2015 deutlich geschwächt. Einer Pressemeldung zufolge äußerte der damalige Kreisvorsitzende, dass diese NPD263 Struktur nur noch aus drei Personen bestehe. Man sei "eigentlich gar nicht mehr arbeitsfähig" . Auch die NPD-Kreistagsfraktion musste nach Austritten von drei der fünf Kreisräte aufgelöst werden. Der Kreisverband war im Berichtsjahr kaum aktiv. Nur einzelne Mitglieder dieser Struktur traten im Jahr 2016 bei Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen in Erscheinung. An der bereits oben genannten Kundgebung am 9. September 2016 in Bautzen beteiligten sich auch Mitglieder der NPD mit einem Transparent (Aufschrift: "Asylbetrug macht uns arm"). Der NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR hielt auf der Veranstaltung eine Rede. Im November 2016 fand im Kreisverband ein Personalwechsel statt. Einen Ersatz für den bisherigen Kreisvorsitzenden Jürgen KÖTZING fanden die Rechtsextremisten in Marco WRUCK, welcher bereits im fremdenfeindlichen Protestgeschehen von Bautzen aktiv gewesen war. Auch hat er bereits zuvor als Interviewpartner zur Situation in Bautzen für das NPD-Medienprojekt "DS-TV" zur Verfügung gestanden. Seit April 2014 besteht in den Landkreisen Bautzen und Görlitz ein "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) Ostsachsen. Von diesem gingen jedoch im Jahr 2016 keine öffentlichen Aktivitäten aus. 261 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 262 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 263 Sächsische Zeitung vom 13. April 2015 139 dIe rechte Mit dem Kreisverband Ostsachsen verfügt die Partei DIe rechte über eine Struktur im Landkreis Bautzen. Der Kreisverband Ostsachsen (anfangs auf Facebook als Kreisverband Bautzen bezeichnet) wurde am 24. April 2015 gegründet. Er zeigte sich im Berichtsjahr kaum aktiv und musste auch Substanzverluste hinnehmen. Im März 2016 wurde im Zusammenhang mit einer Vorstandswahl bekannt, dass die ehemalige Kreisvorsitzende Daniela STAMM die Partei verlassen hatte. Damit verlor diese Struktur ihr einziges Stadtratsmandat.264 IdentItäre BeWegung Die Ortsgruppe Bautzen ist die jüngste und bislang am wenigsten öffentlich in Erscheinung getretene Ortsgruppe der IDeNtItäreN BeweguNg im Freistaat Sachsen. Die Gründung der Bautzener Ortsgruppe Ende März 2016 wurde von Dresdner Anhängern der IB unterstützt. Sie veranstaltete lediglich am 20. Juni 2016 ein Sonnenwendfeuer an der Talsperre Bautzen sowie im Juli 2016 ein Zeltlager in Tschechien. Besonders wichtig sei ihnen gewesen, mit "der Tschechischen Jugend in Kontakt" zu treten. Diese habe "reges Interesse an der europaweit aktiven Identitären Bewegung"265 gezeigt. Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 23. März 2016) Partei der drItte Weg Im Landkreis Bautzen existiert kein "Stützpunkt" der Partei Der DrItte weg. Jedoch wurden im Jahr 2016 mehrfach Flyer der Partei in Bautzen verteilt. Mit dem Ziel, den Strukturausbau im Jahr 2016 noch weiter voranzutreiben, fand am 3. September 2016 in Bautzen eine sog. "Parteivorstellung" statt. Auch die Partei Der DrItte weg versuchte, von den bereits erwähnten Ereignissen in Bautzen im September 2016 zu profitieren und kündigte im Internet ein verstärktes Engagement in Bautzen an. Im Oktober 2016 veröffentlichte die Partei auf ihrem Facebook-Profil eine Meldung, wonach Parteiangehörige in Bautzen auf "Nationaler Streife"266 gewesen sind. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Bautzen eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. 264 siehe Abschnitt II.2.12.5 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Landkreis Görlitz 265 www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 13. Juli 2016) 266 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 140 RECHTSExTREMISMUS Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene fiel im Landkreis Bautzen hauptsächlich durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Am 30. Januar kam es in der Stadt Bautzen zu einem Angriff einer größeren Personengruppe (30 bis 40 Personen) auf eine Gruppe von ca. vier Asylbewerbern. In der Folge wurden zwei Asylbewerber geschlagen. Ähnliches geschah am 12. April, ebenfalls in Bautzen. Hier wurde der Geschädigte von drei Tätern festgehalten, die versuchten, ihn mit einer Bierflasche auf den Kopf zu schlagen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Bautzen 157 165 174 11 8 14 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen aber auch als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen267 Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Der Landkreis Bautzen ist kein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene, jedoch war dort die in den Jahren 2009 bis 2012 agierende rechtsextremistische Musikband w.u.t. (whIte uNIteD terror) im Berichtsjahr wieder aktiv. Die Band trat am 25. Juli 2016 im Szeneobjekt in Staupitz bei einem Konzert mit 230 Teilnehmern auf. Quelle: www.facebook.com/WUT (Stand: 23. August 2016) rePro-medIen Radeberg Von September 2009 bis Januar 2017 war in Radeberg der rechtsextremistische Vertrieb rePro-meDIeN ansässig. Der Name "Repro" steht dabei für "Revolutionäre Propaganda". Der Versand richtet sich an die neonationalsozialistische Szene. Dementsprechend wurden Aufkleber, Plakate und Broschüren sowie Propagandamaterialien angeboten, die szenetypisch ausländerfeindliche, antiisraelische und antiamerikanische Aussagen treffen. Betreiber von rePro-meDIeN war der Neonationalsozialist Simon RICHTER. 267 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 141 2.12.2 Chemnitz (Stadt) In der Stadt Chemnitz gehörten im Jahr 2016 der aktiven rechtsextremistischen Szene zwischen 200 und 250 Personen an. Im Vergleich zum Vorjahr ist das rechtsextremistische Personenpotenzial somit angestiegen und liegt im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Im Nachgang zum Verbot der NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (Nsc) zu Beginn des Jahres 2014 benötigte die rechtsextremistische Szene in Chemnitz zunächst Zeit für eine Neuorientierung. Da es sich bei den NSC um eine gefestigte, neonationalsozialistisch ausgerichtete Organisation handelte, war damit zu rechnen, dass die Mitglieder der Gruppierung ihrer Gesinnung auch künftig folgen. Das Verbot der NSC bewirkte hier jedoch offensichtlich eine Zersplitterung der Gruppierung. Der überwiegende Teil hat sich zunächst der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene268 angeschlossen. Andere Mitglieder setzten ihr Engagement bei den JuNgeN NatIoNalDemokrateN fort oder schlossen sich der rechtsextremistischen Partei Der DrItte weg an, deren "Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge" 2015 gegründet worden war und seitdem von Maik ARNOLD, einem ehemaligen Führungsmitglied der NSC, geleitet wird. NeoNatIoNalsozIalIsteN versuchten im Jahr 2016 weiterhin die Asylthematik für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Sie beteiligten sich als Anmelder oder Redner an Demonstrationen zur Asylproblematik in Chemnitz. So meldete ein ehemaliges Mitglied der NSC einen der Teilaufzüge des 1. Chemnitzer "Sternmarsches" am 19. März 2016 an. Diese Anlässe wurden von der neonationalsozialistischen Szene gezielt genutzt, um ihre eigene Ideologie zu verbreiten und sich als Ansprechpartner für die Durchführung von asylbezogenen Veranstaltungen anzubieten. Die Resonanz flachte jedoch mit dem Rückgang der Migrationszahlen ab. Neben der "etablierten" rechtsextremistischen Szene trat zu Beginn des Jahres ein neuer Akteur in Gestalt des überregional agierenden rechtsextremistischen Netzwerkes rechtes PleNum269 in Erscheinung. Dieses führte mit Unterstützung der regionalen Gruppierung koPfsteINPflaster, einer sowohl eng mit der rechtsextremistischen Fußballfanszene in Chemnitz verflochtenen als auch überregional mit Rechtsextremisten in Nordrhein-Westfalen verbundenen Gruppierung, am 28. Mai 2016 eine sog. "Demoschulung" durch. Im Nachgang wurde vom rechteN PleNum auf Facebook und YouTube ein Video veröffentlicht, auf dem über 30 vermummte Personen zu sehen sind, die in einem steinbruchartigen Gelände u. a. das Durchbrechen von Polizeiketten übten. Dieser Zielgruppe trug auch die Gestaltung des Videos durch Schnitt und Untermalung mit aggressiver Musik Rechnung. Dabei fanden sowohl offen rechtsextremistische Inhalte als auch angedeutete positive Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus Verwendung. Die Anwendung von Gewalt gegen den politischen Gegner wurde offen befürwortet. 268 siehe dazu Abschnitt II.2.6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 269 Der Schwerpunkt des rechteN PleNums liegt außerhalb Sachsens. 142 RECHTSExTREMISMUS Quelle: www.facebook.com/Rechtes Plenum (Stand: 28. Mai 2016) Schon im Vorlauf zur o. g. "Demoschulung" wurde vom rechteN PleNum auch für den Folgemonat ein weiteres Schulungswochenende zum Thema "Kieze" am 25. Juni 2016 beworben, welches letztlich jedoch nicht durchgeführt wurde. Im Theorieteil sollte es Vorträge zu den Themen "Hausdurchsuchungen" sowie "Sinn und Zweck von Kiezen" geben. Der Praxisteil sah einen "StraßenkunstWorkshop" vor. Seitdem sind keine weiteren eigenen Veranstaltungen der Gruppierung koPfsteINPflaster oder des rechteN PleNums im Raum Chemnitz bekannt geworden. Quelle: www.facebook.com/Rechtes Plenum (Stand: 22. Mai 2016) Hinter dem Begriff "Kieze" steht ein rechtsextremistischer Revieranspruch. In den als "Kiez" definierten Straßen soll - in Anlehnung an das frühere Konzept der "national befreiten Zonen" - kein Raum für den politischen Gegner oder Personen mit Migrationshintergrund und anderen Minderheiten sein. Zur Durchsetzung des Hegemonieanspruches wird Gewalt befürwortet. Seit dem Frühjahr 2016 tauchten in Chemnitz, besonders im Stadtteil Sonnenberg, zunehmend Graffiti-Aufschriften, wie "NS-Jetzt" und "NaziKiez", auf. Insbesondere letztere wurden den PerQuelle: www.facebook.com/Kopfsteinpflaster (Stand: 17. April 2016) sonen dieser Gruppierung zugerechnet. Anfang November 2016 hat das Internetportal linksunten.indymedia.org270 verschiedene Personen öffentlich als Rechtsextremisten geoutet. Danach kam es zu mehreren Sachbeschädigungen bei Einrichtungen des politischen Gegners. 270 siehe Abschnitt 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet 143 natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Der NPD-Kreisverband Chemnitz ist kaum aktiv und hat für die Strukturen der NPD in Sachsen keine Bedeutung. Öffentliche Aktivitäten, wie Kundgebungen und Demonstrationen, wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Eine der früheren Hauptprotagonistinnen der NPD in Chemnitz, die Stadträtin Kathrin KÖHLER, trat jedoch als Rednerin bei Veranstaltungen unter dem Label "Wir lieben Sachsen/ THÜGIDA" auf. Die seit Mitte 2014 bestehende Struktur der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) Chemnitz entwickelte im Vergleich zu anderen "Stützpunkten" der NPD-Jugendorganisation kaum eigene öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Das Objekt der JN in Chemnitz ist der ehemalige Szenetreff der NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz (Nsc) in der Markersdorfer Straße 40. Es fungiert seit Anfang 2015 gleichfalls als offizielle Geschäftsstelle der JN Sachsen. Die Räumlichkeiten wurden für verschiedene Veranstaltungen genutzt. Dabei ist festzustellen, dass Veranstaltungen in der Öffentlichkeit eher von der JN Sachsen initiiert wurden. So wurden z. B. der JN-Landeskongress am 2. April 2016 und ein Vortragsabend mit dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs zum Thema: "Unbeugsam bis zum Sieg" im Objekt durchgeführt. Aktivitäten der JN Chemnitz im Kreis der JN-Mitglieder und Sympathisanten fanden auch im Jahr 2016 regelmäßig statt. Ziel der Zusammenkünfte scheint dabei vordergründig die Vermittlung nationalsozialistischer Ideologien und die Pflege der internen Kameradschaft zu sein. Bis zu ihrem Verbot am 28. März 2014 organsierten die NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz alljährlich unter der Alternativbezeichnung INteresseNgemeINschaft (Ig) chemNItz271 Aktivitäten von Rechtsextremisten anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Chemnitz im Zweiten Weltkrieg. Nachdem im Jahr 2015 nur eine unbedeutende Gedenkaktion des NPD-Kreisverbandes Chemnitz stattgefunden hatte, meldete der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK für den 6. März 2016 im Namen der JN Sachsen in Chemnitz einen Aufzug unter dem Motto "vergissmeinnicht" an. Im Vorfeld wurde die Veranstaltung durch die namensgebende Kampagne "vergissmeinnicht" u. a. im Rahmen einer Kampagnenseite der JN Chemnitz auf Facebook beworben. Quelle: www.facebook.com/JN Mittelsachsen (Stand: 8. März 2016) 271 Die Ig chemNItz war den NSC zuzuordnen und daher von der Verbotsverfügung gegen die NSC umfasst. 144 RECHTSExTREMISMUS An der durch den JN Landesverband in Zusammenarbeit mit den JN Chemnitz organisierten Versammlung beteiligten sich 130 Rechtsextremisten. Die Teilnehmer des Aufzuges kamen überwiegend aus Sachsen, vereinzelt nahmen auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern teil. U. a. beteiligte sich eine Abordnung der Partei DIe rechte aus Hamm (Nordrhein-Westfalen). Hier revanchierte man sich offensichtlich für eine Beteiligung der JN Sachsen an der von der Partei DIe rechte am 3. Oktober 2015 in Hamm organisierten Demonstration "Wir sind das Volk". Sowohl die Organisation als auch die Absicherung der Demonstration wurden überregional bewerkstelligt. So stammten die Ordner und Organisatoren aus verschiedenen Landesverbänden der JN bzw. vereinzelt aus dem ehemaligen Umfeld der verbotenen NatIoNaleN sozIalIsteN chemNItz. Unter den Teilnehmern befanden sich ebenfalls mehrere ehemalige Führungspersonen der NSC, welche sich u. a. als "Stützpunktleiter" der Partei Der DrItte weg engagieren. Dieser "Trauermarsch" als fester Termin im politischen Kalender sächsischer Rechtsextremisten wurde durch den sächsischen Landesverband der JN aufrechterhalten. Das Thema der Veranstaltung ist jedoch - im Gegensatz zur Asylthematik - in der Bevölkerung mehrheitlich nicht anschlussfähig. Obwohl Rechtsextremisten aus allen Teilen Sachsens mobilisiert werden konnten, blieb die Veranstaltung mit 130 gegenüber 200 angemeldeten Teilnehmern unter den Erwartungen der Organisatoren. Eine der wenigen eigenen Aktionen mit Bezug zur Asylthematik, welche die JN Chemnitz in der Öffentlichkeit durchführte, war die Verteilung von Trillerpfeifen und Spraydosen mit CS-Gas am 12. Mai im Stadtzentrum von Chemnitz unter dem Motto "Unsere Frauen sind kein Freiwild!". dIe rechte Ein im Jahr 2015 bekannt gewordenes und aktuell nicht mehr existentes Facebook-Profil ließ zunächst auf neue Strukturen der Partei DIe rechte in Chemnitz schließen. Eine Strukturgründung dieser Partei vor Ort fand bisher jedoch nicht statt. Offenbar haben sich Aktivisten aus Chemnitz innerhalb des 2016 gegründeten Kreisverbandes Westsachsen organisiert. Der Vorsitzende dieser Struktur stammt aus Chemnitz. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es in Chemnitz eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren im Berichtsjahr meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Daneben existiert ein starkes Segment dieser Szene, deren Mitglieder sich vor allem an Aktivitäten, wie rechtsextremistischen Konzerten sowie szeneinternen Fußballveranstaltungen, beteiligten. Insbesondere die rechtsextremistische Fußballfangruppierung New socIety (Ns-Boys) aus dem Umfeld des Chemnitzer FC zählte dazu. Bis zum Verbot der NSC hatte es zwischen diesen und den Ns-Boys personelle Überschneidungen sowie gemeinsame Aktivitäten gegeben. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich im Jahr 2016 weiterhin auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional an asylkritischen Veranstaltungen teil. 145 Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene fiel in Chemnitz hauptsächlich durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. So wurde am 1. Januar in Chemnitz ein gehbehinderter Asylbewerber beim Verlassen der Straßenbahn von einer Gruppe von sieben Personen zunächst in rassistischer Weise beschimpft und schließlich mit der Faust ins Gesicht geschlagen sowie mit Reizgas besprüht. Daraufhin schlug einer der Beschuldigten die ebenfalls anwesende 13-jährige Tochter des Asylbewerbers zu Boden und trat diese u. a. ins Gesicht. Beim Eintreffen des Asylbewerbers im Krankenhaus zeigte eine weitere Person, die nicht in Zusammenhang mit den vorherigen Ereignissen stand, den Hitlergruß. Am 27. Februar kam es zu einer Explosion eines Sprengkörpers in der Asylbewerberaufnahmeeinrichtung in Chemnitz-Einsiedel, nur 50 m vom Eingangsbereich entfernt. Zuvor liefen mehrere Personen mit Bengalofackeln den Zaun entlang. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 chemnitz 127 144 242 7 8 15 Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe In der Stadt Chemnitz existieren Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hier sind die Band BlItzkrIeg und PIoNIer sowie der Liedermacher "Barny" ansässig. Im Raum Chemnitz wohnen ferner einzelne Mitglieder der überregionalen Band heIlIges reIch. Die seit rund 15 Jahren aktive Musikgruppe BlItzkrIeg zählt bundesweit zu den bekanntesten und beliebtesten Bands der rechtsextremistischen Szene. Drei eigene Tonträger, eine Split-CD sowie eine Vielzahl von Samplerbeiträgen veröffentlichte die Band bereits. Hinzu kommen viele Live-Auftritte bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. Im Jahr 2016 erschien der CD-Sampler "Back to the Basement". Auch der in Chemnitz wohnhafte Liedermacher "Barny" verfügt über ein vergleichsweise hohes Renommee innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene. Er ist ebenfalls bereits seit etwa zehn Jahren aktiv und veröffentlichte bislang mehrere Tonträger und Samplerbeiträge. Neben seinen Solo-Auftritten wirkte er auch bei rechtsextremistischen Bands und Bandprojekten wie sIsta BatalJeN oder auch aktuell bei der Band verBoteN aus dem Erzgebirgskreis mit. Die Band PIoNIer veröffentlichte im Jahr 2015 unter dem Titel "Rattenfänger" ihre erste eigene CD, produziert von Pc-recorDs. Darüber hinaus wirkte sie bei verschiedenen "Sampler-CD's" - zuletzt beim Sampler zum "Tag der Deutschen Zukunft 2016" - mit. 146 RECHTSExTREMISMUS Pc-recorDs ist einer der bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe in der Bundesrepublik Deutschland. Der Umsatz des Unternehmens beträgt mehrere hunderttausend Euro und verfügt über ein hohes Kundenpotenzial in Deutschland, dem europäischen Ausland sowie in Übersee. Das Unternehmen besteht aus einem Szeneladen, einem Online-Versand und einem Tonträger-Label in Chemnitz. Das Sortiment umfasst Tonträger, Textilien sowie weiteres szenerelevantes Material. Vielfach besteht ein Bezug zur rechtsextremistischen Musikszene. Pc-recorDs trat im Jahr 2016 als Unterstützer von Aktivitäten und Initiativen der rechtsextremistischen Szene auf und bot entsprechendes Material an. Bei dem Label erschienen bisher fast 260 Tonträger, von denen 73 wegen jugendgefährdender Inhalte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurden. In Chemnitz gibt es noch einen weiteren Szeneladen, welcher mit seinem Sortiment die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene bediente. 2.12.3 Dresden (Stadt) In Dresden gehörten im Jahr 2016 etwa 350 bis 400 Personen der rechtsextremistischen Szene an. Damit blieb das Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr konstant und lag im sachsenweiten Vergleich nach wie vor im oberen Bereich. Quelle: Facebook-Profil freIe aktIvIsteN DresDeN (Stand: 18. Mai 2016) neonatIonalsozIalIsten Die neonationalsozialistische Szene bekennt sich auf den ihr zuzuordnenden Facebook-Profilen mit plakativen Veröffentlichungen wie "Nationaler Sozialismus, hier und jetzt" 272 zum Nationalsozialismus. Das Feindbild "Ausländer" wurde zwar mit Postings, bei denen gegen Asylbewerber und die Politik der Bundesregierung agitiert wurde, nach wie vor aufgegriffen, jedoch bei Weitem nicht mehr in dem Maße wie noch im Vorjahr. Vielmehr ist Quelle: Facebook-Profil von einer rechtsextremistischen Person (Stand: 19. Juli 2016) man in der Ausrichtung schwerpunktmäßig zu althergebrachten Feindbildern, wie dem politischen Gegner, zurückgekehrt. Die Agitation gegen "Links" zog sich dabei wie ein roter Faden durch alle relevanten Äußerungen. Quelle: Facebook-Profil ag saxoNIa (Stand: 30. August 2016) 272 Posting auf dem Facebook-Profil ag saxoNIa (Stand: 13. Oktober 2016) 147 Die jährlich größte extremistische Veranstaltung in Dresden stellten erneut die Aktionen anlässlich des 71. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg dar. Die Federführung für die Organisation der sog. "Aktionswoche" war bereits im Sommer 2014 öffentlichkeitswirksam vom aktIoNsBüNDNIs gegeN Das vergesseN (agDv) an die JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) übergeben worden und kam im Februar 2015 das erste Mal zum Tragen.273 Ähnlich wie in den Jahren zuvor fand auch im Berichtsjahr eine Vielzahl von Aktivitäten im Rahmen dieser "Aktionswoche" statt. Zentrales Ereignis war der "Trauermarsch" am 12. Februar 2016 unter dem Motto "Von der Trauer zur Kraft - 10 Jahre ehrenhaftes Gedenken der Opfer des 13. Februar 1945" mit ca. 650 Teilnehmern. Für die Veranstaltung war mit folgendem Flyer bereits seit Ende 2015 geworben worden: Quelle: Facebook-Profil JN Dresden (Stand: 23. November 2015) Erstmals und vergleichsweise frühzeitig wurde auf dem Facebook-Profil der freIeN aktIvIsteN DresDeN (seit Sommer 2015 aktiv), die den neonationalsozialistischen Strukturen in Dresden zugeordnet werden, ein entsprechendes Titelbild des bevorstehenden Ereignisses gepostet: Quelle: Facebook-Profil freIe aktIvIsteN DresDeN (Stand: 6. Januar 2016) Zum ersten Mal beteiligten sich an den Aktivitäten im Februar 2016 auch Angehörige neonationalsozialistischer Strukturen außerhalb des agDv. Sie führten auch eigenständige Aktivitäten durch. Die Organisation und Durchführung von "Aktionswoche" und "Trauermarsch" war, wie auch in den Vorjahren, zunächst von Konspiration geprägt. Andere neonationalsozialistische Strukturen folgten der konspirativen Taktik der "Altkader" des agDv nicht. Am 12. Februar 2016 warben sie - wiederum ohne Verwendung des offiziellen Mottos des agDv ("Aus der Trauer zur Kraft", vgl. obiger Flyer) - für den abendlichen "Trauermarsch" auf dem FacebookProfil der freIeN kameraDschaft DresDeN274. Erstmals zeigten sich diese Strukturen so bestrebt, das agDv einschließlich der mit diesen kooperierenden JN-Strukturen in der Gestaltung der "Aktionswoche" im Raum Dresden zu verdrängen bzw. deren Einfluss zu mindern. Die vormals als freIe kräfte DresDeN aktiven Strukturen sind im Wesentlichen im Dresdner "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) aufgegangen. Zugleich traten Strukturen mit teils subkultureller, teils neonationalsozialistischer Ausrichtung hervor. Diese drängten mit Facebook-Profilen wie freIe kameraDschaft DresDeN, format DresDeN und freIe aktIvIsteN DresDeN an die Öffentlichkeit. Abseits dieser auf Facebook verwendeten Bezeichnungen wurde jedoch regelmäßig auf die Verwendung von Gruppennamen verzichtet. Dieses Personenpotenzial verfügt zudem über Verbindungen in die subkulturell geprägte 273 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 127 274 Dieses Facebook-Profil wird, ebenso wie das Profil der freIeN aktIvIsteN DresDeN, den neonationalsozialistischen Strukturen außerhalb des agDv zugeordnet. 148 RECHTSExTREMISMUS rechtsextremistische und Hooligan-Szene. Die Grenzen verlaufen dabei fließend. Hintergrund war eine zunehmende Politisierung des subkulturellen Milieus, ohne dass dabei dessen prägendes Merkmal, die massive Gewaltbereitschaft, abgelegt wurde. Über die in Dresden im Rahmen der "Aktionswoche" durchgeführten Aktivitäten wurde in gewohnter Weise auf der Internetseite www.gedenkmarsch.de berichtet. Im Vergleich zum Vorjahr wurde lediglich sehr zurückhaltend und mit geteilten Beiträgen auf dem Facebook-Profil der JN Dresden auf das Veranstaltungsgeschehen hingewiesen. Darüber hinaus wurden auf den Facebook-Profilen der freIeN aktIvIsteN DresDeN und der freIeN k ameraDschaft DresDeN über die neonationalsozialistischen Kräfte und deren Aktivitäten und Beteiligung im Rahmen der "Aktionswoche" berichtet. Dies ließ den Schluss zu, dass die neonationalsozialistische Szene außerhalb des agDv wieder erstarkt ist und sich umfassend in die Aktivitäten der "Aktionswoche" einbrachte. Quelle: www.gedenkmarsch.de (Stand: 15. Februar 2016) Quelle: Facebook-Profil ag saxoNIa (Stand: 16. Februar 2016) Aus der Berichterstattung zur "Aktionswoche" ergibt sich, dass diese lediglich außerhalb Dresdens unter der Regie der dortigen JN-"Stützpunkte" stattfanden. Zwar ist es der rechtsextremistischen Szene in Dresden gelungen, ihren Protest anlässlich der Feierlichkeiten zum 3. Oktober 2016 in Dresden aufgrund einer großen medialen Präsenz öffentlichkeitswirksam zu platzieren. Zu nachhaltig wirksamen Aktivitäten kam es jedoch nicht. 149 Die Beteiligung von Rechtsextremisten an den Veranstaltungen von PEGIDA und anderen asylkritischen Initiativen waren erwartet und prognostiziert worden, blieb jedoch im Ergebnis wenig auffällig und ebenfalls ohne nachhaltige Wirkung. Eine kurzfristig aus der Szene selbst angemeldete Demonstration blieb ohne überregionale Mobilisierung. Die Teilnehmer repräsentierten den Kern des lokalen Mobilisierungspotenzials, der kurzfristig und ohne Rücksicht auf mögliche widrige äußere Umstände abrufbar ist. Die Gewaltbereitschaft wurde zwar in Kenntnis der hohen sicherheitsbehördlichen Präsenz erkennbar, kam jedoch nicht in Auseinandersetzungen mit mutmaßlichen politischen Gegnern zum Tragen. Die gewaltbereite Grundeinstellung wurde dennoch in öffentlichkeitswirksamen Facebook-Statements zum AusQuelle: Facebook-Profil freIe aktIvIsteN DresDeN (Stand: 4. Oktober 2016) druck gebracht. Über die Veranstaltung wurde unter Verwendung des dort genutzten Frontbanners "Dresden bleibt grade, der Mob hat Bock" auf einem der vorgenannten Facebook-Profile berichtet. Unmittelbar vor der Mobilisierung wurde auf dem Facebook-Profil der freIeN aktIvIsteN DresDeN ein Bild der Brücke Blaues Wunder, dessen Unterbau von Unbekannten mit "NAZI KIEZ"275 beschmiert worden war, gepostet: "Antifa kann am Montag getrost zu Hause bleiben, denn es ist und bleibt Quelle: Facebook-Profil freIe aktIvIsteN DresDeN (Stand: 1. Oktober 2016) UNSER KIEZ!" Prägend für die neonationalsozialistische Szene in Dresden ist deren Vernetzung. Die Grenzen zum subkulturellen Milieu sind fließend. Dies lässt sich mittlerweile sogar über die dargestellten Aktivitäten im Zusammenhang mit dem 13. Februar hinaus auch in Bezug auf die regionale JN-Struktur feststellen. Vor dem Hintergrund der Vernetzung war im Jahr 2016 die Teilnahme von Angehörigen der neonationalsozialistischen Szene aus Dresden an der Demonstration am 1. Mai 2016 in Plauen von besonderer Bedeutung. Dies zeigte sich durch das Publizieren eines Bildes, das zu diesem Ereignis vielfach auf rechtsextremistischen FacebookProfilen verbreitet wurde und Symbolcharakter Quelle: Facebook-Profil Format Dresden (Stand: 2. Mai 2016) 275 Der Begriff "Nazikiez" wird seit einigen Monaten von Rechtsextremisten in Sachsen propagandistisch genutzt. Dahinter steht ein rechtsextremistischer Revierbesetzungsanspruch, der sich sowohl gegen Asylbewerber, wie auch gegen echte und vermeintliche politische Gegner richtet. Siehe hierzu den Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 150 RECHTSExTREMISMUS für die Gewaltbereitschaft erlangte. Die Veröffentlichung auf dem der Dresdner Szene zuzurechnenden Facebook-Profil Format Dresden ist als Bekenntnis zu deren Vernetzung zu verstehen. Vernetzungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene werden auch durch die Beteiligung von Angehörigen dieser Strukturen in Dresden an einem Landfriedensbruch am 11. Januar 2016 in Leipzig deutlich.276 Davon zeugt auch ein Bericht auf dem Facebook-Profil eines Szeneangehörigen, welcher die fließenden Übergänge zwischen Quelle: Facebook-Profil einer rechtsextremistischen Person (Stand: 2. Dezember 2016) vormals abgrenzbaren Strukturen untermauert. Demnach fand am 21. Oktober 2016 ein Kameradschaftsund Liederabend in Dresden statt, zu dem sich 70 "Nationalisten" trafen. Im Bericht wurde insbesondere auf die bestehenden Verbindungen von "jungen Kameraden" der freIeN kräfte und der JN verwiesen. Auf Exekutivmaßnahmen gegen die freIe k ameraDschaft DresDeN am 30. November 2016 reagierten Szeneangehörige mit dem Posting "FREIHEIT FUER ALLE NATIONALISTEN". natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) In Dresden existiert ein Kreisverband der NatIoNalDemokratIscheN ParteI DeutschlaNDs (NPD). Er zählt zu den noch verbliebenen aktiven NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen. Bis zum Oktober 2016 wurde diese NPD-Struktur vom Vorsitzenden des sächsischen Landesverbandes der NPD, Jens BAUR, geführt. Im Zusammenhang mit einer Neuwahl des Vorstandes beschränkte sich BAUR auf die Funktion des Stellvertreters im Kreisverband. Zumindest im ersten Halbjahr trat die NPD in Dresden mit Informationsständen in Erscheinung und organisierte auch einzelne Demonstrationen bzw. Kundgebungen. Im Vergleich zum Vorjahr war jedoch ein starkes Nachlassen dieser Aktivitäten zu verzeichnen. Mit einer Kundgebung in Dresden-Gorbitz demonstrierte die Partei am 3. Februar 2016 gegen die Asylpolitik und feierte die Teilnahme von ca. 120 Teilnehmern nach dem Ereignis als Erfolg. Als im Juni 2016 in Dresden die "Bilderberg-Konferenz"277 stattfand, organisierte die NPD am 9. Juni 2016 in Dresden eine Kundgebung unter dem Motto "Volksherrschaft durchsetzen - 'Bilderberg'-Macht brechen - Heimlichtuerei beenden!" mit ca. 80 Teilnehmern. Zum Anliegen dieser Veranstaltung äußerte der sächsische NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR: "Die Bilderberger gehören zu einer Macht-Elite [...], die den globalen Angriff auf die Identität der Völker, die Souveränität der Staaten und die Freiheit der Bürger mit organisierte." 278 279 276 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Leipzig (Stadt)" sowie II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 277 Die Bilderberg-Konferenzen sind informelle, private Treffen von einflussreichen Personen aus Wirtschaft, Politik, Militär, Medien, Hochschulen, Hochadel und Geheimdiensten, bei denen Gedanken über aktuelle politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen ausgetauscht werden. 278 npd.de (Stand: 9. Juni 2016) 279 siehe Abschnitt II.2.4.1 NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD) 151 Jährlich organisieren die Rechtsextremisten in Dresden einen Aufzug anlässlich des Jahrestages des Volksaufstandes am 17. Juni, den sie in ihrem Sinne zu instrumentalisieren versuchen. Wie schon im letzten Jahr trat die NPD als Veranstalter in Erscheinung. Bei dieser Veranstaltung zeigte sich jedoch ein Akzeptanzverlust der NPD bei der rechtsextremistischen Szene. Bislang war es bei derartigen historisch bedeutsamen Jahrestagen zu einer szeneübergreifenden Beteiligung gekommen. Diese Geschlossenheit konnte aber bei der Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 17. Juni 2016) diesjährigen Veranstaltung mit nur 35 Teilnehmern im Vergleich zu noch ca. 120 Personen im letzten Jahr nicht vermittelt werden. Zwar ist der JN-"Stützpunkt" Dresden nach wie vor aktiv, blieb jedoch im Berichtsjahr in seinen öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten und Veröffentlichungen unter dem Niveau der jüngeren Vergangenheit. Dies fiel erstmals im Zusammenhang mit den Aktivitäten anlässlich der "Aktionswoche" zum 13. Februar 2016 auf: Die öffentlich wirksamen Aktionen fanden lediglich außerhalb Dresdens in Regie der dortigen JN-"Stützpunkte" statt. IdentItäre BeWegung Die Ortsgruppe Dresden der IDeNtItäreN BeweguNg (IB) ist eine der aktiveren der fünf im Freistaat Sachsen bestehenden Ortsgruppen. Sie trat vor allem durch Flugblattverteilungen und Banneraktionen in Erscheinung. Angehörige der IB beteiligten sich zudem wiederholt an den PEGIDA-Demonstrationen. Am 6. Februar, am 23. Mai und am 16. Oktober 2016 trat zudem ein Vertreter der IB Österreich als Redner bei einer PEGIDA-Veranstaltung in Erscheinung. Quellen: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 16. Oktober 2016) Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es in Dresden eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene in Dresden durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. 152 RECHTSExTREMISMUS Am 23. Januar wurden zwei Ausländer durch drei Personen im Gesicht verletzt. Etwa einen Monat später, am 27. Februar, provozierte eine Gruppe von etwa 20 Personen eine Gruppe aus Deutschen und Ausländern durch das Singen rassistischer Lieder und das Werfen einer Bierflasche. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich am 10. Juli, als drei Asylbewerber in einem Freibad in rassistischer Weise beschimpft und von einem Beschuldigten mit einem abgebrochenen Flaschenhals bedroht wurden. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Dresden 260 407 376 27 56 25 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional an asylkritischen Veranstaltungen teil. Die Grenzen zur neonationalsozialistischen Szene sind, wie oben dargestellt, fließend, so dass für Dresden zunehmend von einer Mischszene ausgegangen werden muss. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Der bisher in Dresden ansässige Vertrieb oPos-recorDs ist im Dezember 2016 nach Brandenburg verzogen. Das Textil-Label Dryve By suIzhyDe und das dazugehörige Design-Studio muDhater haben sich in Dresden etabliert. Das Sortiment des Labels wird über den eigenen Versand im Internet und weitere Vertriebe in Sachsen verkauft. In Dresden sind mit den Bands sachsoNIa, BlutzeugeN, BraINwash, eNDless struggle und hoPe for the weak Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene sehr ausgeprägt. sachsoNIa trat sowohl regional als auch international bei Konzertveranstaltungen auf. Am 6. Februar 2016 spielte diese Musikgruppe zusammen mit anderen rechtsextremistischen Bands im Szene-Objekt in Staupitz. Vom 1. September 2016 bis zum 4. September 2016 fand in Italien eine Konzertveranstaltung unter dem Motto "RETURN TO CAMELOT" statt, an dem sich ca. 1.500 Personen beteiligten und bei der auch sachsoNIa auftrat. Quelle: www.facebook.com/PCRecords (Stand: 14. Juli 2016) 153 eNDless struggle trat am 25. Juni 2016 in Ostsachsen zusammen mit der aus dem Erzgebirgskreis stammenden Band sIsta BatalJeN auf. Die beiden Dresdner Bands BraINwash und hoPe for the weak beteiligten sich außerdem an einem Konzert in Griechenland. Quelle: www.facebook.com/racandrallrecords (Stand: 9. Februar 2016) 2.12.4 Erzgebirgskreis Im Erzgebirgskreis waren der rechtsextremistischen Szene zwischen 200 und 250 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das rechtsextremistische Personenpotenzial somit konstant geblieben und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Im Erzgebirgskreis waren im Jahr 2016, wie auch im Vorjahr, keine festen neonationalsozialistischen Strukturen festzustellen. Die freIeN kräfte im Erzgebirgskreis verzichteten in der Öffentlichkeit auf das Führen von Gruppenbezeichnungen. Auch fanden keine öffentlichen Veranstaltungen statt. Im Berichtsjahr griffen NeoNatIoNalsozIalIsteN im Erzgebirgskreis wie schon im Vorjahr die Themen "Asylbewerber" und "Ausländerkriminalität" auf. In diesem Zusammenhang beteiligten sie sich weiterhin an Demonstrationen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung, z. B. am "Sternmarsch" in Aue unter dem Motto "Tradition statt Invasion", am "Sternmarsch" "Stunde der Patrioten" in Stollberg oder der im Februar ebenfalls in Stollberg durchgeführten Demonstration "Stunde der Patrioten - Zusammenhalt ist Alles!". Anders als in anderen Regionen sind NeoNatIoNalsozIalIsteN im Erzgebirgskreis nicht in einem "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) organisiert. Jedoch stieß die Partei Der DrItte weg im Berichtsjahr zunehmend auf Interesse bei NeoNatIoNalsozIalIsteN. Als Leiter des Ende 2015 in Chemnitz gründeten "Stützpunktes Mittelsachsen/Erzgebirge" fungiert dabei Maik ARNOLD, ein ehemaliges Mitglied der verbotenen Gruppierung NatIoNale sozIalIsteN chemNItz (Nsc).280 Nach eigenen Angaben vereint dieser "Stützpunkt" als Aktionsraum die Gebiete "Mittelsachsen und das Erzgebirge" sowie die Regionen um die Städte Zwickau und Chemnitz.281 280 Die NSC zählten zu den aktivsten neonationalsozialistischen Gruppierungen im Freistaat Sachsen. Sie wurden am 28. März 2014 verboten. 281 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. Dezember 2015) 154 RECHTSExTREMISMUS natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Die NPD ist im Erzgebirgskreis mit einem Kreisverband vertreten, der im Jahr 2007 aus der Fusion der ehemaligen NPD-Kreisverbände Annaberg, Aue-Schwarzenberg, Stollberg und Mittlerer Erzgebirgskreis hervorging. Der Kreisverband selbst war im Berichtsjahr kaum politisch aktiv. Der Kreisvorsitzende Stefan HARTUNG tritt jedoch in der Region seit Jahren politisch mit der Organisation bei Demonstrationen gegen die Asylpolitik im Erzgebirgskreis in Erscheinung. Dabei vermieden die Initiatoren einen NPD-Bezug. HARTUNG initiierte eine Facebook-Gruppe mit der Bezeichnung "Schneeberg wehrt sich" und führte im Winter 2013/14 sog. "Schneeberger Lichtelläufe" durch, an denen sich bis zu 1.800 Personen beteiligten. Um eine vergleichbare Breitenwirkung zu erzielen, versuchte HARTUNG, in der Region Erzgebirge verschiedene Protestgruppen zu vereinen. Am 21. November 2015 fand eine Demonstration in Schneeberg mit ca. 400 Teilnehmern statt. In einer Internetmeldung des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge hieß es zu diesem Ereignis: "Auf der Kundgebung der Freigeist-Demonstration vom 21.11. in Schneeberg: MUT ZUR EINHEIT ALLER PATRIOTEN über Parteigrenzen hinweg ohne Distanzierungsgehabe." 282 Seine Vorgehensweise setzte HARTUNG auch im Jahr 2016 fort. Unter dem Label "Freigeist"283 mobilisierten die Rechtsextremisten im ersten Halbjahr 2016 auf Facebook für Kundgebungen unter Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 19. Februar 2016) dem Motto "Deitsch un frei" in Bad Schlema, Grünhain-Beierfeld und Schwarzenberg. Vor der ersten Veranstaltung in Bad Schlema kündigten die Betreiber der Facebook-Seite "Freigeist" an: "Gemeinsam mit euch Freigeistern wollen wir den Protest verstärkt dorthin tragen, wo sich die politischen Entscheidungsträger (also Bürgermeister, Landräte, Abgeordnete, etc.) zusammenfinden. Wir wollen die Schuldigen der Invasionskrise auch auf kleinster Ebene beim Namen nennen, ihnen mächtig Dampf unterm Hintern machen und Bürgerwillen demonstrieren und Veränderung einfordern." 284 Die Veranstaltungen organisierte HARTUNG unmittelbar vor Gemeinderatssitzungen, in denen es auch um die Asylthematik ging. Teilnehmer der Kundgebung in Bad Schlema nahmen am 26. Januar 2016 an der sich anschließenden Gemeinderatsitzung teil. HARTUNG stellte nach dieser Sitzung, die äußerst kontrovers verlief, ein Video von der Veranstaltung ins Internet. 282 www.facebook.com/pages/NPD-Erzgebirge (Stand: 23. November 2015) 283 Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V. 284 www.facebook.com/freigeist2015 (Stand: 15. Januar 2016, Schreibweise wie im Original) 155 Wohl auch als Folge hiervon sah sich der Bürgermeister von Bad Schlema persönlichen Angriffen in Form von "Hass-Mails" und Anrufen ausgesetzt. Der geschilderte Sachverhalt zeigt deutlich, wie ein NPD-Funktionär mit Kundgebungen vor dem Rathaus eine Bedrohungskulisse aufbaute und diese sogar bis in die Ratssitzung trug. Der größte von HARTUNG im Jahr 2016 im Erzgebirgskreis organisierte Aufzug fand unter dem oft von der NPD verwendeten Motto "Tradition statt Invasion" am 9. April 2016 in Aue statt. An der als "Sternmarsch" deklarierten Veranstaltung beteiligten sich rund 600 Personen, darunter auch Vertreter der IDeNtItäreN BeweguNg. Die Veranstaltung in Aue ist als Fortsetzung einer Reihe von asylkritischen285 "Sternmärschen" zu sehen, die seit November 2015 in der Region Westsachsen stattfanden und von verschiedenen Initiativen organisiert wurden. Mit Stefan HARTUNG trat am 9. April 2016 offiziell ein bekannter Rechtsextremist als Anmelder und Organisator einer solchen Großveranstaltung auf. Dies verdeutlichte eine fortschreitende Erosion der Abgrenzung zwischen der rechtsextremistischen Szene und nicht extremistischen InitiatiQuelle: www.facebook.com/NPD-Erzgebirge (Stand: 11. April 2016) ven im Rahmen der Asylthematik. Allerdings setzten sich solche Demonstrationen im Laufe des Jahres nicht mehr fort. Die Aktivisten um HARTUNG, welche seit Februar 2016 in dem Verein Freigeist e.V.286 engagiert sind, beschränkten sich neben Vereinstreffen überwiegend auf ausländerfeindliche Postings auf ihrer Facebook-Seite. Aktivitäten der JN im Erzgebirgskreis wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. dIe rechte Der im Jahr 2016 neu gegründete Kreisverband Westsachsen der Partei DIe rechte umfasst auch das Gebiet des Erzgebirgskreises.287 IdentItäre BeWegung Nach Eigenangaben der IB ist die Ortsgruppe Erzgebirge eine von derzeit fünf sächsischen Ortsgruppen. Demnach bestehe sie seit Anfang November 2015. Am 8. Januar 2016 fand nach Angaben der IB Sachsen eine Informationsveranstaltung der IB Erzgebirge mit "über 50 Interessenten und Gefährten aus dem Landkreis" statt. Bei der Veranstaltung seien "die Bewegung, verschiedene Aktionsformen sowie die Grundzüge der 'Identitären Idee'" vorgestellt worden. 285 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 286 Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V. 287 siehe Abschnitt II.2.12.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Chemnitz (Stadt) 156 RECHTSExTREMISMUS Mitglieder der IB aus dem Erzgebirge und der IDeNtItäreN BeweguNg Hannover beteiligten sich am 23. Januar 2016 an einem "Sternmarsch" unter dem Motto "Stunde der Patrioten" in Stollberg. An der angemeldeten Veranstaltung in Form eines "Sternmarsches" mit drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung der Initiative "Gemeinsam für Freiheit, Tradition und Heimat" zum Thema "Mut zur Wahrheit" nahmen etwa 1.800 Personen teil. Auch an einem "Sternmarsch" in Aue am 9. April 2016 beteiligten sich Angehörige der IDeNtItäreN Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 25. Januar 2016) BeweguNg. Sie kamen aus dem Erzgebirge, Zwickau und Thüringen, wie auf Facebook berichtet wurde. Darüber hinaus versuchte die IB-Ortsgruppe Erzgebirge, mit der wiederholten Verteilung von Flugblättern, dem Anbringen von Bannern sowie mit zwei gezielten Aktionen gegen die Stadtverwaltungen in Grünhain-Beierfeld und in Bad Schlema auf sich aufmerksam zu machen: Die Rathaustür der Stadtverwaltung Grünhain-Beierfeld wurde am 21. März 2016 mit Gasbetonsteinen mit aufgesprühtem Logo der IB versperrt. Unter dem Titel "Identitärer Protest im Erzgebirge" berichtete die IB Sachsen auf Facebook über eine Aktion, bei der Misthaufen vor der Rathaustür der Gemeinde Bad Schlema abgelegt wurden. Zur Begründung der in der Nacht zum 21. April 2016 erfolgten Aktion hieß es: "Wenn auch etwas satirisch dargestellt, so wissen wir um die Auswirkungen ihres Multikultiwahns und sind nicht länger bereit, diese tatenlos hinzunehmen. Ob Misthaufen oder zugemauerte Türen, die Verantwortlichen werden auch in ihren Wohlfühlzonen nicht an uns vorbei kommen[...]." 288 Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 21. April 2016) 288 www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 21. April 2016, Schreibweise wie im Original) 157 In Bad Schlema errichteten Rechtsextremisten zudem am 29. September 2016 einen symbolischen Schlagbaum auf der Straße zu einer Asylbewerberunterkunft. Auf einem mitgeführten Plakat forderten sie "Abschiebungen voran treiben, damit Rettungskräfte daheim bleiben". Anlass ihrer Aktion waren die nach Angaben der IB zahlreichen Einsätze von Rettungskräften in der Unterkunft, die die IB als "sinnlose Ressourcenverschwendung" infolge der "Masseneinwanderung" bezeichnete. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Erzgebirgskreis eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene fiel im Erzgebirgskreis hauptsächlich durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Die Gewalttaten richteten sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Am 30. Mai wurden zwei Molotowcocktails in Richtung einer Asylbewerberunterkunft in Aue geworfen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Erzgebirgskreis 143 139 176 3 9 6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig an asylkritischen289 Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Im Erzgebirgskreis bestehen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hier existieren die rechtsextremistischen Musikgruppen verBoteN, whIte resIstaNce, sIsta BatalJeN und ParaNoID. ParaNoID war zusammen mit anderen rechtsextremistischen Musikgruppen an dem 2016 erschienen Sampler "Tag der deutschen Zukunft 2016" beteiligt. Gemeinsam mit der im Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge ansässigen Band stereotyP arbeitete ParaNoID an der im Jahr 2016 erschienen CD STEREOTYP // PARANOID. 289 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 158 RECHTSExTREMISMUS Die Band verBoteN trat bei verschiedenen Konzerten u. a. auch im Ausland auf und produzierte im Jahr 2016 wieder Tonträger. Ihre CD "Deutsches Herz" wurde Ende 2015 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Zu einem im August 2016 in Polen durchgeführten Konzert mit der Gruppe verBoteN war neben Quelle: Cover der CD anderer Bands auch sIsta BatalJeN angekündigt. Diese Band trat im Juni 2016 zudem bei einem Konzert in Ostsachsen auf. Die seit 2000 bekannte Band whIte resIstaNce aus dem Raum Zwickau wurde für ein Konzert im November 2016 in Ostsachsen zusammen mit verBoteN und BarrIcaDes angekündigt. Im Landkreis durchgeführte Musikveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene wurden im Berichtszeitraum nicht bekannt. Ein in Annaberg-Buchholz bislang ansässiger Szeneladen wurde Anfang 2016 geschlossen. Quelle: www.facebook.com/WR-Rockn-Roll-Outlaws Damit existiert kein rechtsextremistischer Vertrieb (Stand: 10. November 2016) mehr im Landkreis. 2.12.5 Landkreis Görlitz Im Landkreis Görlitz gehörten der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 150 und 200 Personen an. Das rechtsextremistische Personenpotenzial bleibt somit konstant und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Wesentliches Aktionsfeld von Rechtsextremisten im Landkreis Görlitz im Jahr 2016 waren, wie im Vorjahr, asylfeindliche290 Proteste. An diesen Veranstaltungen nahmen sowohl neonationalsozialistische als auch subkulturell geprägte Rechtsextremisten teil. In 2016 trat als Veranstalter einer solchen asylfeindlichen Demonstration erstmals die Gruppierung freIe kräfte mIttel/ ostsachseN (fkmo) auf. Quelle: Facebook-Profil freIe kräfte mIttel/ostsachseN (Stand: 15. April 2016) 290 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 159 Die Demonstration unter dem Motto "Nation statt Integration" wurde im Vorfeld umfänglich über die sozialen Netzwerke von Rechtsextremisten beworben. Jedoch nahmen schließlich nur etwa 70 Personen an der Veranstaltung am 3. September 2016 in Löbau teil. Redner waren die Rechtsextremisten Alexander KURTH als Vertreter der Partei DIe rechte, Daniela STAMM (ehemalige Vorsitzende des Kreisverbandes Ostsachsen der Partei DIe rechte, nunmehrige Vertreterin des JuNgsturm Dessau aus Sachsen-Anhalt) sowie Matthias LANGER (Vorsitzender des Kreisverbandes Ostsachsen der Partei DIe rechte), der als Vertreter für die FKMO sprach. Der rechtsextremistische Werdegang der Redner zeigt deutlich den Trend von parteigebundenen Rechtsextremisten mit neonationalsozialistischer Tendenz hin zu eigenen neonationalsozialistischen Strukturen. Quelle: Facebook-Profil FKMO (Stand: 4. September 2016) Neben der Gruppierung FKMO - die ihre Gesinnung auch offen auf ihrem Facebook-Profil mit "frei, sozial, national" zeigte - verfügt die neonationalsozialistische Szene auch über Strukturen ohne eigene Organisationsbezeichnungen, wie im Landkreis Görlitz - Raum Görlitz und Raum Zittau. Wie im Vorjahr traten sie jedoch auch im Jahr 2016 nicht öffentlich mit eigenen Aktivitäten in Erscheinung. Sie beteiligten sich stattdessen an den Gedenkveranstaltungen der NeoNatIoNalsozIalIsteN im Landkreis Bautzen. Bei den Rekrutierungsbemühungen der rechtsextremistischen Szene nehmen sportliche Aktivitäten eine wesentliche Rolle ein. Dabei tritt die rechtsextremistische Zielsetzung zunächst in den Hintergrund. Veranstaltungen dieser Art bieten die Möglichkeit, sich potenziellem Nachwuchs vordergründig unpolitisch und attraktiv zu präsentieren. Dies zeigte sich auch bei dem sog. "Deutschen Sport & Familienfest", welches am 17. September 2016 auf dem Gelände des Niederschlesischen Feriendorfes am Quitzdorfer Stausee stattfand. Bei dem speziell für dieses Ereignis erstellten Facebook-Profil war der Zusammenhang mit Rechtsextremisten vordergründig nicht erQuelle: Facebook-Profil "Ostsächsisches Sportfest" (Stand: 10. August 2016) kennbar. An dem Sportfest sollen laut Veranstalter etwa 140 Personen teilgenommen haben. Unter den Teilnehmern waren Anhänger der unterschiedlichen Spektren der rechtsextremistischen Szene, darunter Mitglieder der BrIgaDe 8 aus Weißwasser. Die Veranstaltung diente damit nicht nur der Festigung des Zusammenhaltes, sondern war durch ihren Schwerpunkt, eine vordergründig unideologische Freizeitgestaltung, geeignet, Kennverhältnisse und damit auch Kooperationsmöglichkeiten zwischen Personen herzustellen, die sich sonst in strukturell wie auch weltanschaulich eher voneinander getrennten Bereichen der rechtsextremistischen Szene verorten. 160 RECHTSExTREMISMUS natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Nach einer Austrittswelle Ende 2014 hat sich die NPD im Landkreis Görlitz zu einer weitgehend bedeutungslosen und kleinen Struktur entwickelt. Im Berichtsjahr war diese kaum aktiv. Im Zusammenhang mit einer Gedenkveranstaltung der Stadt Görlitz zum Jahrestag des Mauerbaus führten einzelne Mitglieder eine Protestveranstaltung durch. Die NPD war auf Kreistagsebene sowie in vereinzelten Stadtund Gemeindeparlamenten mit Mandatsträgern vertreten, verlor aber aufgrund der Austritte mehrere Mandate. Seit April 2014 besteht in den Landkreisen Bautzen und Görlitz ein "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) Ostsachsen. Von diesem gingen jedoch in 2016 keine öffentlichen Aktivitäten aus. dIe rechte Mit dem Kreisverband Ostsachsen verfügt die Partei DIe rechte über eine Struktur im Landkreis Görlitz. Der Kreisverband Ostsachsen (anfangs auf Facebook als Kreisverband Bautzen bezeichnet) wurde am 24. April 2015 gegründet. Die Struktur zeigte sich im Berichtsjahr kaum aktiv und musste auch Substanzverluste hinnehmen. Im März 2016 wurde im Zusammenhang mit einer Vorstandswahl bekannt, dass die ehemalige Kreisvorsitzende Daniela STAMM die Partei verlassen hatte. Damit verlor diese Struktur ihr einziges Stadtratsmandat. Der neu gewählte Vorsitzende des Kreisverbandes, Matthias LANGER, war vor allem außerhalb seiner Partei aktiv. So meldete er im Namen der freIeN kräfte mIttel/ostsachseN für den 3. September 2016 die bereits genannte Kundgebung in Löbau an. Der Kreisverband Ostsachsen der Partei warb um eine Teilnahme an dieser Veranstaltung mit den Worten: "Seid dabei unterstützt am 03.09.2016 die Freien Kräfte Mittel/ Ostsachsen (FKMO) bei ihrer Veranstaltung in Löbau" 291. Auf der Veranstaltung hielt der Landesvorsitzende Alexander KURTH als Vertreter von DIe rechte eine Rede. Auch der Kreisvorsitzende sprach zu den Versammlungsteilnehmern, allerdings als Vertreter der freIeN kräfte mIttel/ostsachseN. Partei der drItte Weg Im Landkreis Görlitz existiert kein "Stützpunkt" der Partei Der DrItte weg, jedoch verteilten 2016 Rechtsextremisten der Partei Flyer in Niesky und in Görlitz. Mit dem Ziel den Strukturausbau im Jahr 2016 noch weiter voranzutreiben, fand im Juni 2016 in der Oberlausitz eine sog. "Parteivorstellung" statt. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben den NeoNatIoNalsozIalIsteN und parteigebundenen Rechtsextremisten existiert im Landkreis Görlitz eine wesentlich aktivere subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Hauptsächlich fiel sie durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die wiederholten Angriffe auf das Asylbewerberheim in Löbau. Am 18. Februar 2016 wurden zwei Molotowcocktails von drei Tätern gegen die Unterkunft geworfen. Durch rechtzeitiges Löschen wurde ein Übergreifen des Feuers verhindert. Einige Monate später, am 13. Mai 2016, hat eine Person an der Eingangstür der Unterkunft ein Porträt Adolf HITLERs angebracht. 291 www.facebook.com/DieRechte-KV-Ostsachsen (Stand: 17. August 2016) 161 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Görlitz 132 119 131 2 0 6 Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt und auch überregional an asylkritischen Veranstaltungen teil. Zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Görlitz zählt u. a. die BrIgaDe 8. Hierbei handelt es sich um eine bundesweit aktive, subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung mit neonationalsozialistischen Bezügen, die in Hierarchie und ihrem Auftreten mit einheitlichen Lederkutten Rockergruppierungen ähnelt. Die BrIgaDe 8 ist bundesweit organisiert und unterhielt im Jahr 2016 in Sachsen ein sog. "Chapter" in Weißwasser. Das "Chapter" Weißwasser, das sich auch "Chapter Ostdeutschland" bzw. "Chapter Eastside" nennt, nutzte für seine regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen eine Quelle: Facebook-Profil "Fredericus Krueger" (Stand: 7. September 2015) ehemalige Gaststätte in Weißwasser. Anlässlich des Volkstrauertages am 13. November 2016 führte die BrIgaDe 8 eine Veranstaltung im revisionistischen Sinne als "Heldengedenkveranstaltung" in Weißwasser durch und veröffentlichte darüber ein Video im Internet. Die rechtsextremistische Szene dokumentierte damit ihre Verherrlichung des Dritten Reiches wie auch ihr unkritisches Verhältnis zur deutschen Vergangenheit. Unter den ca. 40 Teilnehmern waren auch Mitglieder einer weiteren subkulturell ausgerichteten Gruppierung, der rechtsextremistischen schlesIscheN JuNgs NIesky, die, wie auch andere, einen Kranz ablegten. Ebenfalls zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Görlitz zählt der Verein NatIoNaler JugeNDBlock e. v. (NJB). Der NJB existiert seit Dezember 1991. Seine Bedeutung für die regionale Szene hat in den zurückliegenden Jahren allerdings kontinuierlich abgenommen. Bestrebungen, überregional als extremistischer Personenzusammenschluss aufzutreten, waren nicht erkennbar. Gleichwohl bestanden Kontakte zu rechtsextremistischen Strukturen im regionalen Umfeld. Der NJB verfügt seit mehreren Jahren über ein Vereinshaus in Zittau, das für Treffen und Veranstaltungen genutzt wird. 162 RECHTSExTREMISMUS Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Im Landkreis Görlitz existieren keine Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Nur der Liedermacher "Handschu" aus Weißwasser ist seit 2013 hier bekannt. Er wirkte im Jahr 2015 an der Split-CD "Rebellenlieder" des Liedermachers "Oiram" mit. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen sind im Jahr 2016 im Landkreis Görlitz nicht bekannt geworden. 2.12.6 Landkreis Leipzig Im Landkreis Leipzig kam es zu einem Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials. So waren der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 100 und 150 Personen zuzurechnen. Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im unteren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Der bereits im Vorjahr erkennbare rückläufige Trend setzte sich im Berichtsjahr fort. Der neonationalsozialistischen Szene konnten lediglich Einzelpersonen zugerechnet werden. Auch kam es nur vereinzelt zur Durchführung von öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Veranstaltungen. Themenschwerpunkt war erneut die Anti-AsylAgitation. Die bereits im vergangenen Jahr unter dem Motto "Wer immer schweigt, verliert seine Stimme. Unsere Heimat, unser Recht" in Borna durchgeführten rechtsextremistischen Anti-AsylDemonstrationen fanden ihre Fortsetzung. Beteiligten sich am 31. Januar 2016 noch etwa 160 Personen, waren es am 10. April 2016 nur noch Quelle: https://www.facebook.com/Arne.Schimmer (Stand: 11. April 2016) 100 Teilnehmer. Am 21. Mai 2016 kam es in einem Steinbruch in Grimma (OT Roda) zur Durchführung eines sog. "Zeitzeugenvortrages". "Zeitzeugenvorträge" besitzen innerhalb der rechtsextremistischen Szene einen hohen Stellenwert und eine hohe Anziehungskraft. Solche Veranstaltungen dienen auch der Stärkung des Szenezusammenhalts.292 Die erst seit 2015 bestehende Facebook-Seite "Aktionsblock Muldental" ist seit Mitte Mai 2016 nicht mehr existent. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Informationen zu rechtsextremistischen Veranstaltungen und Demonstrationen veröffentlicht. 292 zur Bedeutung von "Zeitzeugenvorträgen" siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 163 natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Aus "organisatorischen und strukturellen Gründen" schlossen sich die Mitglieder der Kreisverbände Leipzig sowie des Landkreises Leipzig am 15. Mai 2015 zu einem "Kreisverband Leipzig Stadt & Land" zusammen.293 Die NPD ist im Landkreis Leipzig inaktiv gewesen. Bei den JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) des Landkreises Leipzig sind wesentliche Teile der neonationalsozialistischen Szene aktiv. Dies strahlte auch auf die JN-Aktivitäten im Berichtsjahr aus, bei denen vor allem Themen der neonationalsozialistischen Szene bedient wurden. Im Fokus der JN im Landkreis Leipzig stand die Demonstration der JN Sachsen mit der NPD am 1. Mai 2016 in Wurzen. Gemeinsam mit den JN-"Stützpunkten" im Landkreis Leipzig wurde die Veranstaltung unter dem Motto "Grenzen dicht! Migranten sind die Armee des Kapitals!" mit einer Beteiligung von insgesamt 105 Personen durchgeführt.294 Verfügten die JN im vergangenen Jahr im Landkreis Leipzig noch über drei "Stützpunkte", waren es im Berichtsjahr nur noch zwei. Als sehr aktiv erwies sich der JN-"Stützpunkt" Borna. Nachdem es in der ersten Jahreshälfte noch verstärkt zu Aktionen der JN Borna gekommen war, ließen diese jedoch in der zweiten Jahreshälfte nach. So beteiligten sich Mitglieder der JN Borna an dem "Trauermarsch" am 12. Februar 2016 anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945. Bereits im Vorfeld dieses Ereignisses führten die JN Borna Verteilsowie Plakatierungsaktionen durch und kommentierten diese u. a. mit den Quelle: https://www.facebook.com/JnSachsen Worten "In ganz Borna kann man es sehen, wir (Stand: 15. Februar 2016) vergessen Dresden nicht!" 295. An dem "Trauermarsch" am 6. März 2016 zum Jahrestag der Bombardierung von Chemnitz im Zweiten Weltkrieg unter dem Motto "vergissmeinnicht" waren die JN Borna auch organisatorisch beteiligt. Diese Aktionen in Dresden und Chemnitz lassen eine sehr gute Vernetzung der JN-Strukturen in Sachsen erkennen. Organisatorisch unterstützte die JN Borna auch die asylfeindlichen296 Demonstrationen am 31. Januar 2016 und 10. April 2016 in Borna. So meldete ein maßgeblicher Akteur der JN Borna die beiden Veranstaltungen an. Ende November 2016 führte die JN Borna eine Aktion durch, welche unter dem Motto "Unser Volk schafft sich ab" stand. Dazu hieß es: 293 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Leipzig (Stadt) 294 siehe Abschnitt II.2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN 295 Facebook-Profil JN Borna (Stand: 10. Februar 2016, Schreibweise wie im Original) 296 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 164 RECHTSExTREMISMUS "Texte wurden genug geschrieben... nun heißt es den Wörtern einen würdigen Rahmen zu geben... Die letzten Jahre haben bewiesen, dass ihr uns nicht kleinkriegen könnt. Nicht mit Gewalt, nicht mit Verfolgung aber erst recht nicht mit Verboten!". Im Nachgang zu dieser Aktion wurde ein Video auf der Facebook-Seite der JN Sachsen veröffentlicht. Mit den Worten: "Denn die Synthese aus Körper und Geist macht uns bereit für die Aufgaben, die uns der Kampf um das Überleben unseres Volkes stellt. Flaniere nicht nur in der Stube über Nationalismus, lebe ihn!", riefen die JN Borna dazu auf, dass man seine Werte nicht nur "im Wort verteiQuelle: https://www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 23. November 2016) digen", sondern auch "körperlich in der Lage" sein solle "diese Werte zu erhalten". 297 Der JN-"Stützpunkt" Geithain ist im Berichtsjahr kaum in Erscheinung getreten. So war das Aktionsniveau sehr gering und beschränkte sich auf die Anti-Asyl-Thematik. Im Fokus standen dabei die beiden rechtsextremistischen Demonstrationen in Borna. Partei der drItte Weg Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender "Stützpunkt Mittelland" der Partei Der DrItte weg. Mitglieder und Unterstützer dieser Partei führten am 29. August 2016 eine Verteilaktion von Flyern in Wurzen durch. Eigenangaben zufolge habe man sich gegen die aktuelle Asylpolitik Quelle: https://www.facebook.com/JnSachsen (Stand: 25. November 2016) wenden wollen. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Leipzig eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen dieser Szeneangehörigen untereinander waren jedoch meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Leipzig durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. 297 Facebook-Profil JN Sachsen (Stand: 25. November 2016, Schreibweise wie im Original) 165 Bereits zu Beginn des Jahres, am 11. Januar 2016, wurde eine künftige Asylbewerberunterkunft in Böhlen mit Stahlkugeln beschossen. 40 Scheiben wurden zerstört. Des Weiteren ereignete sich am 14. Mai 2016 in Borna ein Angriff auf zwei Asylbewerber. Diese wurden von vier Tätern geschlagen und getreten. Einen Monat später, am 3. Juni, wurde ein Asylbewerber von einer Gruppe von vier Personen verletzt. In Neukieritzsch wurden am 12. August zwei Asylbewerber von unter Alkoholeinfluss stehenden Personen mit Bierflaschen beworfen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Leipzig 59 95 97 2 16 7 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig an asylkritischen298 Veranstaltungen teil. Auch die Organisation von szenetypischen Freizeitveranstaltungen - wie z. B. dem sog. "Muldentaler Kameradschaftslauf" - zählte im Berichtsjahr zum Betätigungsfeld der subkulturell orientierten Rechtsextremisten. Bei dem im September 2016 durchgeführten "Muldentaler Kameradschaftslauf" handelte es sich weniger um eine Sportveranstaltung im engeren Sinne als vielmehr um eine Freizeitveranstaltung zur Stärkung des Szenezusammenhalts. Insgesamt nahmen ca. 180 Personen vorwiegend aus der Region Leipzig an der Veranstaltung teil. Durchgeführt wurde diese Veranstaltung abermals in einem Steinbruch in Grimma (Ortsteil Roda). Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Im Landkreis Leipzig waren im Jahr 2016 keine Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene aktiv. froNt recorDs ist einer der wichtigsten rechtsextremistischen Vertriebe im Freistaat Sachsen. Das Unternehmen bietet insbesondere bedruckte Textilien und Tonträger sowie weitere szenetypische Materialien an. Der Vertrieb besteht aus einem Online-Versand und einem Tonträger-Label. Außerdem stehen technische Möglichkeiten zum Textildruck zur Verfügung. Das zugehörige Tonträger-Label brachte bislang über 97 Tonträger einschlägiger rechtsextremistischer Bands und Liedermacher auf den Markt. 25 Produktionen wurden bislang wegen jugendgefährdender Inhalte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. 298 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 166 RECHTSExTREMISMUS Der Online-Versand froNtmusIk hat laut Impressum seit Anfang 2016 seinen Sitz nach Sachsen verlegt. Zudem wird die Muttergesellschaft des rechtsextremistischen Vertriebes froNt recorDs als Eigner angegeben. Das Unternehmen stammt ursprünglich aus Rheinland-Pfalz. Der Versand produzierte mit seinem namensgleichen Tonträger-Label im Berichtsjahr eine CD. 2.12.7 Leipzig (Stadt) In Leipzig wurden der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2016 250 bis 300 Personen zugerechnet. Das Personenpotenzial sank damit im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch lag es im sachsenweiten Vergleich weiterhin im oberen Bereich. neonatIonalsozIalIsten Ein neues Ausmaß der Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten zeigten die Ausschreitungen am 11. Januar 2016 im Leipziger Stadtteil Connewitz. Zeitgleich zu einer Demonstration von LEGIDA in Leipzig zogen ca. 250 Rechtsextremisten und Angehörige des Hooliganspektrums randalierend durch diesen Stadtteil. Sie führten ein Plakat mit der Aufschrift "Leipzig bleibt helle" mit sich, zündeten Feuerwerkskörper, errichteten Barrikaden, begingen umfangreiche Sachbeschädigungen und griffen Polizeibeamte an. Durch die Polizei wurde der überwiegende Teil der Personen festgesetzt und 215 Personen festgenommen. Die Beteiligung von Rechtsextremisten sowohl aus der neonationalsozialistischen als auch aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene bzw. aus dem Parteienspektrum verdeutlichten sowohl die intensive Vernetzung der rechtsextremistischen Szene als auch deren Mobilisierungsfähigkeit.299 Quelle: picture-alliance/dpa-grafik (Stand: 1. Februar 2017) Der überwiegende Teil der festgenommenen Personen stammte dabei aus Sachsen (insgesamt 172 Personen), insbesondere aus Leipzig und den angrenzenden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen bzw. aus Dresden. 299 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 167 Teilnehmer der Ausschreitungen am 11. Januar 2016 im Leipziger Stadtteil Connewitz 29 68 Lkr. Leipzig 29 Lkr. Nordsachsen Lkr. Meißen Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 15 Stadt Chemnitz 2 Stadt Dresden 28 Stadt Leipzig 1 Weitere Personen stammten aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Niedersachsen. Es wurden strafrechtliche Ermittlungen u. a. wegen des Verdachts des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs gem. SS 125a des Strafgesetzbuches (StGB) eingeleitet. Insbesondere ein Eintrag auf dem Facebook-Profil ag saxoNIa deutet auf den fortdauernden schwelenden Konflikt zwischen der rechtsund der linksextremistischen Szene hin. Darin hieß es: NeoNatIoNalsozIalIsteN beteiligten sich im Laufe des Jahres 2016 auch an Versammlungen von LEGIDA. So trat bei der LEGIDA-Veranstaltung am 4. April 2016 mit Simon RICHTER ein ehemaliger NPD-Stadtrat und bekannter Neonationalsozialist aus Radeberg (Landkreis Bautzen) als Redner auf. RICHTER agierte in der VergangenQuelle: www.facebook.com/AGSaxonia (Stand: 18. November 2016) heit als organisatorisches Bindeglied verschiedener asylfeindlicher Bürgerinitiativen in Ostsachsen und trat regelmäßig selbst als Redner bei diversen, auch asylkritischen Veranstaltungen auf. Im Anschluss an den üblichen "Spaziergang" vereinigte sich der LEGIDA-Demonstrationszug mit der parallel stattfindenden rechtsextremistischen Veranstaltung "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA". Es folgte eine gemeinsame Abschlusskundgebung. Der Redeauftritt Simon RICHTERs und die Vereinigung einschließlich gemeinsamer Abschlusskundgebung mit der rechtsextremistischen "Wir lieben Sachsen/ THÜGIDA"-Demonstration dokumentieren den Schulterschluss und die offene Zusammenarbeit von LEGIDA mit Rechtsextremisten.300 300 siehe II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 168 RECHTSExTREMISMUS In der Initiative "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA"301 protestierten zudem aktive NeoNatIoNalsozIalIsteN am 22. Juni 2016 vor dem Leipziger Stadtrat. Sieben Personen zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "Chronik des Versagens", um gegen die aus ihrer Sicht geringe Aufklärungsquote von linken Straftaten in Leipzig zu protestieren. Eine neue neonationalsozialistische Gruppierung wIr für leIPzIg trat im Jahr 2016 in Erscheinung. Hinter dieser steht der ehemalige NPD-Kreisverbandsvorsitzende Enrico BÖHM. Nach dessen Zerwürfnis mit dem NPD-Landesvorstand traten die aktiven Mitglieder des NPD-Kreisverbandes aus der Partei aus, und BÖHM reorganisierte sie als wIr für leIPzIg. Die Gruppierung führte u. a. im Quelle: www.facebook.com/WirfuerLpz (Stand: 25. März 2016) November 2016 eine Aktion zum "Heldengedenken" auf dem Leipziger Südfriedhof durch. natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) und Junge natIonaldemokraten (JN) Der NPD-Kreisverband Leipzig gehörte in der Vergangenheit zu den mitgliederstarken NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen. Am 15. Mai 2015 fusionierten aus "strukturellen und organisatorischen Gründen" die Kreisverbände Leipzig und Landkreis Leipzig zum "Kreisverband Leipzig Stadt & Land". Die Bedeutung des Kreisverbandes Leipzig in der sächsischen NPD war zuvor kontinuierlich zurückgegangen. Im Februar 2016 wurde der Vorsitzende Enrico BÖHM nach Differenzen seines Amtes enthoben. Ursächlich dafür war eine positive Bezugnahme der Leipziger NPD auf Twitter zu den Ausschreitungen von Rechtsextremisten am 11. Januar 2016 und die Weigerung, dem Landesvorstand Zugang zu Twitterund Facebook-Konten dieser NPD-Struktur zu verschaffen. Nachdem wegen des vom Landesverband verhängten organisatorischen Notstands auch keine Delegierten aus Leipzig zum Landesparteitag im März zugelassen worden waren, erklärte die Leipziger NPD, dass "alle aktiven Mitglieder" ihre Mitgliedschaft gekündigt hätten, "was ein schmerzhafter Verlust im zweistelligen Bereich bedeutet." 302 Damit verlor die NPD in Leipzig ihr einziges Stadtratsmandat. Seit diesem Zeitpunkt blieb diese unter Notverwaltung stehende NPD-Struktur inaktiv. Ein erster Versuch, den Kreisverband durch einen neuen Vorstand zu beleben, scheiterte im Oktober 2016 mangels beteiligter Mitglieder. Erst im November 2016 wählten die Rechtsextremisten einen neuen Vorstand; angeblich aus Sicherheitsgründen wurden jedoch die Namen der Enrico BÖHM, Quelle: www.facebook.com Funktionäre nicht veröffentlicht. (Stand: 31. August 2015), Gesichter unkenntlich gemacht 301 siehe II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 302 www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 23. März 2016) 169 Der "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) in Leipzig zählte einst zu den aktiven JN"Stützpunkten" in Sachsen. Die Differenzen innerhalb der NPD wirkten sich jedoch auf den Leipziger "Stützpunkt" aus und führten letztendlich zu dessen Auflösung. Am 5. April 2016 veröffentlichte das Bündnis wIr für leIPzIg folgende Erklärung auf Facebook: Quelle: www.facebook.com/npd.leipzig (Stand: 5. April 2016) Auf dem Facebook-Profil der JN Leipzig wurden bis Juli 2016 zumeist Beiträge von Profilen anderer, noch aktiver "Stützpunkte" übernommen. In der Regel handelte es sich dabei um die Mobilisierung zu Aktivitäten der Jugendorganisation in anderen Regionen. Lediglich im Rahmen der Verteilung der zweiten Ausgabe der JN-eigenen Schülerzeitschrift PLATZHIRSCH wurden die JN nochmals in der Stadt Leipzig aktiv. Am 3. Juni 2016 suchten maskierte Angehörige der JN eine Schule im Stadtteil Connewitz auf. Die Personen führten ein Plakat "JUGEND VON HIER gegen TTIP" mit sich. dIe rechte Bei der Neugründung des sächsischen Landesverbandes am 1. August 2015 wählten die Mitglieder den ehemaligen Leipziger JN-Funktionär Alexander KURTH zum Landesvorsitzenden. Bereits im Februar 2015 hatte die Partei über Facebook die Gründung eines Kreisverbandes in Leipzig angekündigt: "In den nächsten Wochen soll auch in der Messestadt Leipzig die Kreisverbandsgründung vollzogen werden. Hierzu suchen wir noch aktive Mitstreiter. Suchst Du eine Alternative zum BRD-Volksverräterparteienkartell? (...) Dann werde auch Du Mitglied der nationalen und sozialistischen Fundamentalopposition! Kämpfen wir gemeinsam für ein freies, nationales und soziales Leipzig." 303 Eine Gründungsveranstaltung fand jedoch trotz dieser Ankündigung nicht statt. Der Vorsitzende KURTH war im Berichtjahr 2016 überwiegend außerhalb seiner Partei unter dem Label "Wir lieben Sachsen/ THÜGIDA" aktiv. Aktivitäten der Partei DIe rechte wurden 2016 in Leipzig nicht bekannt. 303 www.facebook.com/rechtesachsen (Stand: 25. Februar 2015) 170 RECHTSExTREMISMUS IdentItäre BeWegung (IB) Nach Angaben der IB ist die Ortsgruppe Leipzig eine von fünf im Freistaat Sachsen bestehenden Ortsgruppen. Nachdem die IB bereits seit 2014 über ein eigenes Facebook-Profil für die Region Leipzig verfügt und im August 2015 die Schaffung handlungsfähiger Strukturen in der Messestadt angekündigt hatte, folgten dennoch kaum eigene öffentliche Aktionen. Am 10. Mai 2016 postete die IB Sachsen die Mitteilung über einen Neubeginn für die Leipziger Ortsgruppe. Im entsprechenden Eintrag auf dem Facebook-Profil hieß es: "Seit Wochen arbeiten wir an unserer Wiederkehr. [...] Ethnopluralismus statt Multikulti. [...] Leipzig wird sich verändern, Leipzig muss sich verändern. Wir werden dabei Impulsund Ideengeber sein - die Identitäre Bewegung ist in der Stadt der friedlichen Revolution angekommen." 304 Daraufhin kam es zu verschiedenen kleineren Aktionen in Leipzig. So postete die IB Sachsen am 14. Mai 2016 ein Foto eines Eingangs des Leipziger Rathauses, welches mit dem Banner "Festung Europa 2016" versehen war. Am 28. Mai 2016 folgte eine Banneraktion von "Identitären Gefährten aus Sachsen" beim "100. Deutschen Katholikentag" in Leipzig. An einem Balkon wurde ein Banner mit der Aufschrift: "Reconquista"305 befestigt. Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 10. Mai 2016) Am 9. Juli 2016 warfen Akteure der IB innerhalb des Gebäudekomplexes der Höfe am Brühl zahlreiche Papierschnipsel mit der Aufschrift "Remigration" aus der 2. und 3. Etage. Vor dem Eingang Am Hallischen Tor wurde mit Farbe und Schablone das Wort "Remigration" hinterlassen. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen Sachbeschädigung auf. Am 19. Juli 2016 färbten Personen der IB in Leipzig Eigenangaben zufolge aus Anlass der Anschläge in Nizza und Würzburg den Brunnen am Richard-Wagner-Platz rot: "Damit wird verdeutlicht zu was eine unkontrollierte Masseneinwanderung aus überwiegend islamisch geprägten Ländern führen wird. Wir riskieren unseren inneren Frieden und importieren Gewalt und Terrorismus.", hieß es dazu am 19. Juli 2016 auf der Facebook-Seite der IB Sachsen. Weitere öffentliche Aktivitäten der Leipziger Ortsgruppe wurden nach dem 19. Juli nicht mehr bekannt. Die Ortsgruppe hat sich bislang in der Stadt Leipzig - anders als in Dresden - nicht etabliert. Einzelne Personen aus Leipzig beteiligten sich jedoch an der Blockade der CDU-Parteizentrale am 21. Dezember 2016 in Berlin. 304 www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 10. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 305 Der Begriff "Reconquista" ("Rückeroberung") nimmt Bezug auf die Zurückdrängung des vom 8. bis 13. Jhdt. auf der Iberischen Halbinsel bestehenden muslimischen Machtbereiches. 171 Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es in Leipzig eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten sowie szeneinternen Veranstaltungen und standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen darüber hinaus regelmäßig, vereinzelt auch überregional an asylkritischen306 Veranstaltungen teil. Zur Szene zählen auch Hooligans, z. B von der früheren rechtsextremistischen Gruppierung sceNarIo lok, die im Oktober 2014 ihre Auflösung bekannt gegeben hat. So wurden sechs ehemalige Mitglieder der Gruppe als Tatverdächtige im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen am 11. Januar 2016 im Leipziger Stadtteil Connewitz bekannt. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene in Leipzig durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Neben den bereits geschilderten Ereignissen in Leipzig-Connewitz wurden am 16. August 2016 mehrere Personen körperlich angegriffen. Der Täter bezeichnete diese als "Dreckspunks" und rief "Heil Hitler". Am 21. Januar 2016 wurde ein Asylbewerber durch vier Täter festgehalten und ins Gesicht geschlagen. Kurz darauf, am 29. Januar, wurde in eine künftige Asylbewerberunterkunft eingebrochen und ein Kraftstoffgemisch verteilt; dessen Entzünden gelang jedoch nur zum Teil. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Leipzig (Stadt) 182 224 263 11 18 16 Ein eigenes "Chapter" der BrIgaDe 8 trat im Berichtsjahr in Leipzig nicht mehr in Erscheinung. 306 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II. 2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 172 RECHTSExTREMISMUS Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe In Leipzig bestehen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hierbei handelt es sich um die beiden Bands thematIk 25 sowie volksNah 2.0. Bei volksNah 2.0 handelt es sich offenbar um die Fortsetzung der ab 2014 inaktiv gebliebenen Leipziger Musikgruppe volksNah. Die Facebook-Seite der Band volksNah 2.0 wurde seit Juli 2015 nicht mehr aktualisiert. Die Band thematIk25 trat im April 2016 bei einem Konzert in Staupitz vor etwa 230 Zuschauern auf. Für eine weitere Veranstaltung, die in diesem Szeneobjekt im November 2016 mit ca. 200 Teilnehmern stattfand, war auch diese Band wieder angekündigt. Ein Facebook-Eintrag dieser Band lässt vermuten, dass sie dort zusammen mit volksNah auftrat. Quelle: www.facebook.com/T25 (Stand: 5. Dezember 2016) Als rechtsextremistischer Vertrieb hat sich der hermaNNslaND-versaND in Leipzig etabliert. Sein Sortiment ist ausschließlich auf die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene ausgerichtet. 2.12.8 Landkreis Meißen Im Landkreis Meißen waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2016 zwischen 50 und 100 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Personenpotenzial damit auf niedrigem Niveau konstant geblieben. Der Landkreis Meißen liegt somit im sachsenweiten Vergleich weiterhin im unteren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Im Landkreis Meißen existiert nach wie vor eine neonationalsozialistische Szene, die im Vergleich zu anderen Landkreisen über ein eher unterdurchschnittliches Personenpotenzial verfügt und im Jahr 2016 kaum mit nennenswerten Aktivitäten in Erscheinung trat. natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) und Junge natIonaldemokraten (JN) Der NPD-Kreisverband Meißen zählt zu den wenigen noch aktiven Strukturen der NPD im Freistaat Sachsen. Der Schwerpunkt dieser NPD-Struktur liegt in Meißen sowie in Riesa. Mit dem Objekt des Deutsche stImme verlages in Riesa verfügt die NPD über ein Treffobjekt, welches sich im Eigentum der Partei befindet. Der Kreisverband trat im Jahr 2016 mit Informationsständen und Kundgebungen im Landkreis in Erscheinung und verfügt über Mandatsträger im Kreistag sowie in einzelnen Städten. 173 Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 23. Mai 2016) Im ersten Halbjahr 2016 organisierte die NPD im Landkreis vier Demonstrationen bzw. Kundgebungen mit fremdenfeindlichem Bezug. Diese fanden am 19. Januar in Zeithain mit 200 Teilnehmern, am 17. Februar in Gröditz mit 160 Teilnehmern, am 16. März in Moritzburg mit 60 Teilnehmern und am 29. Juni in Riesa mit 75 Teilnehmern statt. Am 16. März 2016 mobilisierte eine angebliche Initiative "Moritzburg wehrt sich gegen Asyllobbyisten und Flüchtlingschaos" für eine Kundgebung in Moritzburg. Tatsächlich verbarg sich dahinter die NPD. In einem Mobilisierungsaufruf auf dem Facebook-Profil des NPD-Landesverbandes Sachsen hieß es: "Auch das schöne Moritzburg bekommt längst die Folgen von Angela Merkels verantwortungsloser "Willkommenskultur" zu spüren, durch die sich die halbe Welt nach Deutschland eingeladen fühlt. [...] Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben." 307 Quelle: www.ottendorf-demo.de (Stand: 12. Dezember 2016) Diese Vorgehensweise der NPD setzte sich im zweiten Halbjahr 2016 nicht mehr fort. Ein "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) existiert im Landkreis Meißen nicht. 307 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 174 RECHTSExTREMISMUS Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Meißen eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene mit einem eher unterdurchschnittlichen Personenpotenzial. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene in Meißen durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Im Landkreis Meißen kam es in diesem Zusammenhang etwa zum Angriff auf den Wachschutz einer Asylbewerberunterkunft. Dieser wurde am 10. April 2016 in Moritzburg mit Steinen beworfen und dabei am Kopf verletzt. Knapp zwei Monate später, am 5. Juni 2016, attackierten mehrere Jugendliche eine Gruppe ausländischer Minderjähriger auf einem Stadtfest in Coswig. Nach verbalen Provokationen schlugen und traten sie die ausländischen Jugendlichen mit dem Ziel, diese vom Fest zu vertreiben. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Meißen 54 108 92 2 4 3 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und nahmen regelmäßig an asylkritischen308 Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Der Textil-Vertrieb laBel 33 wird seit 2016 als rechtsextremistisches Vertriebsunternehmen geführt. Inhaber ist der Besitzer des rechtsextremistischen Verlages lIBergraPhIx. Dieses Unternehmen bedient mit seinem Sortiment vorrangig die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Mit lIBergraPhIx in Gröditz und NatIoN & wIsseN in Riesa sind zwei weitere Verlage bzw. Vertriebe mit rechtsextremistischen Bezügen im Landkreis Meißen ansässig. Der Verlag der DeutscheN stImme hat seinen Sitz in Riesa. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten hat er an Bedeutung verloren. Die finanziellen Probleme der letzten Jahre führten dazu, dass die Betreiber des Verlages den Warenversand an einen NPD-Funktionär in Thüringen übergaben. Auch der Buchversand wurde ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Herausgabe der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME. 308 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 175 Aus dem Landkreis Meißen stammt die langjährige und überregional bekannte rechtsextremistische Musikband selBststeller aus Riesa. Sie trat im Jahr 2016 vereinzelt bei Konzertveranstaltungen in Sachsen, aber auch außerhalb Sachsens auf. Eine Beteiligung an einem für den 25. Juni 2016 in Ostsachsen angekündigten Konzert sagte die Band ohne Begründung wieder ab. Quelle: www.facebook.com/SelBstStEILeR (Stand: 18. Januar 2015) 2.12.9 Landkreis Mittelsachsen Im Landkreis Mittelsachsen gehörten der rechtsextremistischen Szene, wie in den Vorjahren, 200 bis 250 Personen an. Im sachsenweiten Vergleich liegt das entsprechende Personenpotenzial damit dort im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Der noch im Jahr 2015 die regionale neonationalsozialistische Szene dominierende sog. "Stützpunkt" der JuNgeN NatIoNalDemokrateN Mittelsachsen (JN) trat nur noch mit wenigen Aktionen in Erscheinung. Dagegen entwickelte sich der im Dezember 2015 gegründete "Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge" der Partei Der DrItte weg zu einer aktiven Struktur in der Region mit Anziehungskraft auf Rechtsextremisten mit neonationalsozialistischer Tendenz in der Region. natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) und Junge natIonaldemokraten (JN) Der NPD-Kreisverband Mittelsachsen entstand im März 2008 durch die Fusion der ehemaligen Kreisverbände Döbeln, Mittweida und Freiberg. Im Berichtsjahr zählte er zu den inaktiven NPD-Strukturen des Freistaates Sachsen. Auch im Landkreis Mittelsachsen musste die Partei Mandatsverluste durch Austritte hinnehmen. Von den einstigen drei Kreistagsmandaten verlor sie zwei. Einzelne Aktivitäten waren eher der regionalen JN-Struktur zuzurechnen. Unmittelbar nach dem Verbot der NatIoNaleN sozIalIsteN DöBelN im Februar 2013 wurde der "Stützpunkt" Mittelsachsen der JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) gegründet. Er setzte sich aus einzelnen ehemaligen Mitgliedern der Ns-DöBelN zusammen. Diese brachten ihre neonationalsozialistische Ideologie in die Argumentation und Agitation des neuen JN-"Stützpunktes" ein.309 Einzelne ehemalige Mitglieder der Ns-DöBelN engagierten sich bei den JN, um dort unter dem Mantel des besonderen gesetzlichen Schutzes von Parteien (sog. Parteienprivileg310) vor Verboten geschützt zu sein. Damit gelang es den JN in der Region, Mitglieder einer verbotenen neonationalsozialistischen Struktur bei sich zu integrieren. Der JN-"Stützpunkt" Mittelsachsen zählte auch zu den aktiveren "Stützpunkten" in Sachsen. Dennoch kam es zu einem Rückgang der Mitgliederzahlen und damit zu einhergehenden Auswirkungen auf dessen Aktionsniveau. 309 siehe Abschnitte II.2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) und II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 310 Das Verbot einer Partei unterliegt hohen rechtlichen Hürden. 176 RECHTSExTREMISMUS "Stützpunktleiter" ist seit der Gründung Stefan TRAUTMANN, der aus der verbotenen Gruppierung Ns-DöBelN stammt. TRAUTMANN ist seit Dezember 2013 stellvertretender JN-Landesvorsitzender. Das "Referat Bildung" innerhalb des Landesverbandes wurde im März 2015 von Jan HÄNTZSCHEL übernommen. HÄNTZSCHEL, auch bekannt als Liedermacher "Piattmar", stammt aus dem engen Umfeld des Stefan TRAUTMANN. Quelle: www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 19. Dezember 2016) In ihrem Facebook-Profil äußerten die Mitglieder ihre rechtsextremistischen Vorstellungen: "Wir fordern eine Volksgemeinschaft, eine Großgruppe an Menschen, die an ein gemeinsames Schicksal gebunden sind, die gemeinsame Herkunft, Kultur und Ziele verfolgen, eine Gemeinschaft, in der jeder Volksgenosse mit seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen sich selbst zur Erhaltung und zur Erhaltung eines großen ganzen dient: Dem Volk!" 311 Auf der Basis dieser neonationalsozialistischen Grundgesinnung beteiligten sich die JN-Mittelsachsen im Februar 2016 an der sachsenweiten sog. "Aktionswoche" anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945. Rund um Döbeln fanden Plakatierungen statt, wurden Kerzen aufgestellt und Flyer verteilt. Mitglieder dieses "Stützpunktes" unterstützten außerdem die JN-Kampagne "vergissmeinnicht""Trauermarsch" am 6. März 2016 in Chemnitz. Sie berichteten auf ihrer Facebook-Seite über durchgeführte Plakataktionen in der Region und nahmen an der Demonstration teil. Über diese Aktivitäten hinaus unterstützten die JN Mittelsachsen aktiv die überregionalen Kampagnen der JN in Sachsen: Im Rahmen der Antikapitalismus-Kampagne der JN fand so am 1. Mai 2016 in Döbeln eine Kundgebung statt. Daran beteiligten sich 32 Personen. Als Redner traten der JN-Landesvorsitzende Paul RZEHACZEK und das JN-Landesvorstandsmitglied Jan HÄNTZSCHEL auf. Als stellvertretender Versammlungsleiter fungierte zudem mit Stefan TRAUTMANN ein weiteres Mitglied des JN-Landesvorstandes. 311 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 20. Dezember 2016, Schreibweise wie im Original) 177 Am 1. Juni 2016 fanden auch in Döbeln und Rochlitz in Bildungseinrichtungen Verteilaktionen im Rahmen der "Platzhirschtour 2.0" statt. Die dort ausgelegten Ausgaben wurden umgehend durch die Verantwortlichen entfernt. Verglichen mit der Erstausgabe war das Interesse für die zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift gering. JN-Mitglieder nahmen auch an einer asylkritischen312 Veranstaltung teil. Unter dem Motto "Genug ist genug - Kinder sind unsere Zukunft!" fand am 3. Juni 2016 eine Demonstration mit 47 Teilnehmern in Roßwein statt. Als stellvertretender Versammlungsleiter trat Stefan TRAUTMANN auf. "Stützpunktmitglieder" führten, wie in den Vorjahren, Aktionen zum Volkstrauertag am 13. November 2016 in Döbeln, Mittweida und Penig durch. Daran nahmen jeweils nur wenige Personen teil. Der auf dem Facebook-Profil der JN Mittelsachsen eingestellte Slogan "Die sozialen Probleme in Quelle: www.facebook.com/mittelsachsenjn Deutschland, können wir nur mit Nationalismus (Stand: 19. Dezember 2016) lösen" 313 belegt deren Ziel der Abschaffung der Demokratie. Neben diesen Veranstaltungen fanden FlyerVerteilaktionen in der Region Döbeln statt, mit denen weitere junge Menschen für die Ideologie und eine Mitgliedschaft in der JN und auch für künftige rechtsextremistische Aktionen gewonnen werden sollten. Partei der drItte Weg Am 5. Dezember 2015 wurde der "Stützpunkt MitQuelle: www.facebook.com/mittelsachsenjn telsachsen/Erzgebirge" der Partei Der DrItte weg in (Stand: 20. Dezember 2016) Chemnitz gegründet. An der Veranstaltung sollen 30 Mitglieder und Interessenten teilgenommen haben. "Stützpunktleiter" ist Maik ARNOLD, ein ehemaliges Mitglied der verbotenen Gruppierung NatIoNale sozIalIsteN chemNItz (NSC)314. 312 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 313 www.facebook.com/mittelsachsenjn (Stand: 19. Dezember 2016, Schreibweise wie im Original) 314 Die Gruppierung wurde am 28. März 2014 verboten. 178 RECHTSExTREMISMUS Der "Stützpunkt" war, wie die Partei insgesamt, vor allem im Zusammenhang mit der Asylthematik aktiv. Mitglieder des "Stützpunktes Mittelsachsen/Erzgebirge" nahmen am 8. Januar 2016 an der asylkritischen Demonstration in Hohenstein-Ernstthal (Landkreis Zwickau) teil. Maik ARNOLD sprach über das sog. "offene Mikrofon" zu den Teilnehmern. Weitere Mitglieder der Partei verteilten Flugblätter zur Thematik "Asylflut stoppen". Tony GENTSCH meldete in Oederan (Landkreis Mittelsachsen) namens des "Stützpunktes Mittelsachsen/ Erzgebirge" für den 16. Januar 2016 eine Demonstration unter dem Motto "Asylflut stoppen" an. An der Demonstration nahmen ca. 120 Personen teil. Als Redner traten er und Matthias FISCHER auf. In seiner Rede ging Tony GENTSCH auf "die unfähige Regierung" ein und führte aus, dass "die Zeit reif ist, daß wieder wahre Volksvertreter das Land regieren. Wir wurden lang genug verkohlt - geschrödert - ausgemerkelt und vergaukelt!" 315 Am 19. März 2016 meldete die asylkritische Initiative "Heimat und Tradition in Chemnitz Erzgebirge"316 den 1. Chemnitzer "Sternmarsch" unter dem Motto "Mit Einigkeit zu Recht und Freiheit" an. An der aus fünf Aufzügen bestehenden Demonstration nahmen ca. 1.100 Personen teil, darunter auch einige Mitglieder des "Stützpunktes Mittelsachsen/Erzgebirge" der Partei Der DrItte weg.317 Parteimitglieder nahmen an einer weiteren asylkritischen Demonstration am 14. Mai 2016 durch Frankenberg (Landkreis Mittelsachsen) teil. Hintergrund war eine körperliche Auseinandersetzung zwischen Personen aus Frankenberg und aus Kroatien zum "Männertag" am 5. Mai 2016. In diesem Zusammenhang forderte die Partei auf ihrer Homepage: "Zur Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes sind die Überfremdung Deutschlands und der anhaltende Asylmißbrauch umgehend zu stoppen. (...)" 318. Für den 3. September 2016 meldete Maik ARNOLD als "Stützpunktleiter" eine Kundgebung unter dem Motto "Kein deutsches Blut für fremde Interessen - US Imperialismus stoppen" in Frankenberg an. An der Veranstaltung nahmen ca. 15 Personen teil. Maik ARNOLD und ein weiteres Mitglied hielten Redebeiträge. Informationsmaterial der Partei wurde für interessierte Personen bereitgehalten. Darüber hinaus beteiligten sich Mitglieder an überregionalen Aktivitäten der Partei Der DrItte weg wie der 1. Mai-Demonstration mit ca. 900 Teilnehmern in Plauen.319 Ein weiteres Aktionsfeld waren revisionistische Aktivitäten, die sich hier vor allem in einem "Heldengedenken" manifestierten.320 Bis 2012 fand diese jährlich organisierte Veranstaltung durch die freIeN NatIoNalIsteN freIBerg statt. Mitglieder dieser ehemaligen Gruppierung sind heute aktive Mitglieder in der Partei Der DrItte weg, "Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge". 315 Schreibweise wie im Original 316 Die Initiative "Heimat und Tradition in Chemnitz Erzgebirge" ist kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen. 317 www.der-dritte-weg.info (Stand: 4. April 2016) 318 www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 319 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN und II.2.4.4 Der DrItte weg (III. weg ) 320 Zur Bedeutung von "Heldengedenken" siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 179 Deren Mitglieder gedachten am 7. Oktober 2016 in Freiberg der 172 Einwohner, die an diesem Tag 1944 zu Tode kamen. Es sei die Aufgabe der Parteimitglieder "das Schicksal unserer Ahnen niemals in Vergessenheit geraten zu lassen [...], da [...] in der BRD-Gesellschaft kein Platz für deutsche Männer, Frauen, Kinder und Greise ist." 321 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Mittelsachsen eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Mittelsachsen durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. Mehrere Rechtsextremisten attackierten am 1. Januar 2016 in Leisnig eine Person, die sie als politischen Gegner betrachteten. Sie wurde bewusstlos geschlagen. Im April kam es in Roßwein zu einem ähnlichen Tathergang. Dort griffen mehrere Personen eine Person mit Faustschlägen und Tritten an. Am 8. März wurde in Döbeln der in einem Keller gelagerte Besitz eines Asylbewerbers in einem fünfstöckigen Wohnhaus in Brand gesetzt. Der Asylbewerber wollte kurz darauf dort eine Wohnung beziehen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Mittelsachsen 156 177 172 5 24 10 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen und standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Darüber hinaus nahmen sie regelmäßig, vereinzelt auch an überregionalen asylkritischen Veranstaltungen teil. 321 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. Oktober 2016) 180 RECHTSExTREMISMUS Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Mit den beiden Bands s achseNBlut (Freiberg) und h eIlIges reIch (Raum Chemnitz/Flöha) existieren in Mittelsachsen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Die Band heIlIges reIch trat im Februar 2016 bei einem Konzert in dem ehemaligen Gasthof in Torgau, OT Staupitz (Landkreis Nordsachsen) auf. Auch sachseNBlut zeigte Aktivitäten. Die Band trat am 11. Juni 2016 in Sömmerda (TH) beim "Thüringentag der nationalen Jugend" zusammen mit anderen rechtsextremistischen Musikgruppen auf. Darüber hinaus ist hier der Liedermacher "Piattmar" aktiv. Hierbei handelt es sich um den sächsischen JN-Funktionär Jan HÄNTZSCHEL. Auch stammt ein Mitglied der überregionalen Band kIllumINatI aus der Region. Seit Jahren existieren im Landkreis keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen mehr. 2.12.10 Landkreis Nordsachsen Im Landkreis Nordsachsen kam es zu einem Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials. So waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2016 zwischen 50 und 100 Personen zuzurechnen. Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im unteren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Der bereits im Vorjahr erkennbare rückläufige Trend setzte sich fort. Es traten keine neonationalsozialistischen Strukturen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Darüber hinaus wurden nur vereinzelte rechtsextremistischen Aktionen und Veranstaltungen bekannt. natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Die NPD verfügte im Landkreis Nordsachsen im Berichtsjahr über einen kleinen und wenig aktiven Kreisverband. Die NPD ist in Nordsachsen mit Mandatsträgern im Kreistag sowie in einzelnen Stadtund Gemeinderäten vertreten, verlor allerdings auf beiden Ebenen durch den Austritt eines Mandatsträgers je ein Mandat. Im Berichtsjahr organisierte die NPD zusammen mit den JuNgeN Quelle: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 14. März 2016) NatIoNalDemokrateN (JN) am 13. März 2016 in Eilenburg eine Demonstration. An der Veranstaltung, auf der der NPD-Landesvorsitzende Jens BAUR auftrat, beteiligten sich rund 150 Personen. Darüber hinaus wurde ein Informationsstand in Eilenburg bekannt. 181 Mit dem JN-"Stützpunkt" Nordsachsen verfügten die JN über einen aktiven "Stützpunkt" im Landkreis Nordsachsen. Hauptakteur dieses "Stützpunktes" ist der Landesvorsitzende der JN Sachsen, Paul RZEHACZEK. Das Thema Anti-Asyl stand wiederholt im Mittelpunkt der Aktivitäten der JN Nordsachsen. Auch die von Paul RZEHACZEK angemeldeten Veranstaltungen am 5. Februar 2016 in Delitzsch und am 13. März 2016 in Eilenburg beschäftigten sich mit dieser Thematik. So lautete das Motto in Eilenburg "Schluss mit dem Asylchaos! Eilenburg-Ost darf nicht zum Asylghetto verkommen!". Dasselbe Thema wurde erneut bei einer weiteren Aktion der JN Nordsachsen am 19. April 2016 in Eilenburg aufgegriffen. So besetzten sie ein Haus im Eilenburger Osten. Dabei entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift "UNSER HAUS UNSERE ZUKUNFT UNSER WIDERSTAND EINE JUGEND DIE SICH WEHRT" und entzündeten Fackeln. Quelle: www.facebook.com/jnnordsachsen (Stand: 21. April 2016) Auch an der Demonstration der JN Sachsen gemeinsam mit der NPD am 1. Mai 2016 in Wurzen beteiligten sich die JN Nordsachsen.322 Darüber hinaus betrieben die JN Nordsachsen gemeinsame Freizeitaktivitäten. So führte man im Juni 2016 eine gemeinsame Wanderung durch. Es wurden Lagerfeuer entzündet und "Spiele für Männer abgehalten"323. Solche Veranstaltungen sollen neben der ideologischen Festigung vorrangig dem Gruppenzusammenhalt dienen. Auch der Tod des im Oktober wegen Anschlagsplanungen festgenommenen Islamisten AL-BAKR in der Justizvollzugsanstalt Leipzig führte zu Reaktionen innerhalb der rechtsextremistischen Szene. So meldete ein Akteur der JN Nordsachsen den 6. Spaziergang in Eilenburg am 15. Oktober 2016 erstmalig unter dem Motto "Demo gegen den islamistischen Terror" an. Die JN Nordsachsen verfügt über eine gute Vernetzung mit anderen JN-"Stützpunkten" in Sachsen. So werden Veranstaltungen und Aktionen gemeinsam durchgeführt bzw. unterstützt, wie Quelle: www.facebook.com/jnnordsachsen (Stand: 27. Juni 2016) 322 siehe Abschnitt II.2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN 323 Facebook-Profil JN Nordsachsen (Stand: 27. Juni 2016) 182 RECHTSExTREMISMUS z. B. mit Transparentund Flyerverteilungsaktionen u. a. im Zusammenhang mit dem "Trauermarsch" am 12. Februar 2016 anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945. Auch der NPD Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern wurde von Akteuren der JN Nordsachsen unterstützt. Partei der drItte Weg Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender "Stützpunkt Mittelland" der Partei Der DrItte weg. Dieser umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Eigenangaben zufolge soll es am 11. Juni 2016 zu einer Vorstellung der Partei in Nordsachsen gekommen sein. Dabei sei "... über die Ausrichtung, Organisation und das Auftreten nationalrevolutionären Bewegung informiert ..." 324 worden. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Nordsachsen eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Nordsachsen durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Insbesondere richteten sich die Gewalttaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner. So kam es am 5. Januar 2016 zu einer Manipulation am Fahrzeug einer Angestellten der Stadtverwaltung Krostitz. Auf dem Parkplatz der Stadtverwaltung wurden einige Radmuttern gelöst. Die Fahrzeughalterin war für die Betreuung von Asylbewerbern zuständig. Ebenso gab es persönliche Angriffe: In Rackwitz griffen am 12. Juli 2016 drei Täter eine Person an. Dabei wurden ausländerfeindliche Parolen und "Wir sind Nazi" gerufen. Dem Opfer wurde ein Baseballschläger in den Bauch gestoßen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Nordsachsen 103 118 117 4 5 5 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen i. Ü. als Mobilisierungspotenzial für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig an asylkritischen325 Veranstaltungen teil. 324 www.der-dritte-weg.info (Stand: 1. Juli 2016) 325 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 183 Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Der Landkreis Nordsachsen ist bereits seit einigen Jahren die Schwerpunktregion rechtsextremistischer Musikveranstaltungen im Freistaat Sachsen. Hier verfügte die rechtsextremistische Szene stets über entsprechende Szene-Objekte, die zur Durchführung von Konzerten geeignet waren. So stand in den Jahren 2005 bis 2008 der "Klub der Schildauer Jungs" für Konzertveranstaltungen zur Verfügung. Danach entwickelte sich der vormalige Gasthof Staupitz in Torgau, Ortsteil Staupitz, zum bedeutendsten Konzertobjekt in Sachsen. Auf diesen konzentrierte sich auch im Jahr 2016 wieder das rechtsextremistische Konzertgeschehen im Freistaat Sachsen. Wie in den Vorjahren fanden in dem ehemaligen Gasthof zehn rechtsextremistische Konzerte statt. Aufgrund von behördlichen Beschränkungen darf diese Zahl nicht überschritten werden. Außerhalb dieser Lokalität wurden im Freistaat Sachsen nur vereinzelte rechtsextremistische KonzertveranstalQuelle: LfV Sachsen tungen bekannt. Dies verdeutlicht die Bedeutung dieses Lokals für die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Konzerte im ehemaligen Gasthof Staupitz wurden von langjährigen Protagonisten der rechtsextremistischen Musikszene organisiert. Die auftretenden Bands sind zumeist szenebekannt. Die regelmäßige Organisation der Veranstaltungen, einhergehend mit einer fortbestehenden Nachfrage an Konzerten, hatte konstant hohe Teilnehmerzahlen zur Folge. Die zehn Konzerte des Jahres 2016 in Staupitz wiesen durchschnittlich über 230 Besucher auf. Der Landkreis Nordsachsen stellte hinsichtlich rechtsextremistischer Musikveranstaltungen zwar den sachsenweiten Schwerpunkt dar, dennoch existierten hier kaum Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Die Band NeuBegINN aus dem Raum Torgau zeigte sich im Berichtsjahr wieder aktiv. Sie nahm an einem Konzert im Juli 2016 in Sachsen teil. Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. 2.12.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gehörten zwischen 250 und 300 Personen an. Das rechtsextremistische Personenpotenzial liegt im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich. neonatIonalsozIalIsten Die öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sind im Vergleich zum Vorjahr im Jahresverlauf stark zurückgegangen. Gegen mehrere in Dresden Angeklagte erfolgten bereits im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 Exekutivmaß184 RECHTSExTREMISMUS nahmen der Polizei. Sie werden u. a. des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit nicht zugelassenen pyrotechnischen Erzeugnissen am 1. November 2015 an einer dezentralen Asylunterkunft in Freital beschuldigt. Im April 2016 übernahm der Generalbundesanwalt (GBA) das Verfahren und ermittelt gegen den betreffenden Personenkreis als "Gruppe Freital".326 natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) und Junge natIonaldemokraten (JN) Der NPD-Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gehörte auch im Jahr 2016 zu den wenigen noch aktiven NPD-Strukturen in Sachsen. Bekannt sind die Ortsgruppen Freital, Dippoldiswalde, Heidenau, Reinhardtsdorf-Schöna und Sebnitz/Neustadt. Im Landkreis befindet sich der Schwerpunkt der Partei in Pirna. Dort nutzt die NPD ein als "Haus Montag" bezeichnetes Objekt als Geschäftsstelle sowie als Treffobjekt für Mitgliederversammlungen und Vortragsveranstaltungen. Das Haus ist die zentrale Anlaufstelle der im Landkreis ansässigen Rechtsextremisten. Die NPD ist im Raum Sächsische Schweiz sowohl auf Kreisebene als auch auf Stadtbzw. Gemeinderatsebene kommunalpolitisch aktiv. Der Landkreis ist in dieser Hinsicht für die Partei sehr bedeutsam. Der dortige Kreisverband zählt zu den stärksten und aktivsten NPD-Strukturen. Quelle: LfV Sachsen Quelle: www.facebook.com/hausmontagpirna (Stand: 11. November 2016) Die NPD agitierte im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge auch im Jahr 2016 gegen den Zuzug von Asylbewerbern. In der ersten Jahreshälfte organisierte die Partei am 27. Januar 2016 in Klingenberg und am 6. April 2016 in Dippoldiswalde asylfeindliche327 Protestveranstaltungen, auf denen Parteifunktionäre offen als Teilnehmer, Redner oder Organisatoren in Erscheinung traten. Beteiligten sich in Klingenberg ca. 150 Personen, waren es in Dippoldiswalde lediglich etwa 60. 27. Januar 2016 in Klingenberg, Quelle: www.facebook.com/ npd.sachsen (Stand: 27. Januar 2016) 326 siehe II.2.7 Verfahren wegen des Verdachts rechtsterroristischer Aktivitäten 327 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 185 Quellen: www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 7. April 2016) In Sebnitz waren NPD-Stadträte bis zum Sommer 2016 an der Mitgestaltung von Veranstaltungen des sog. Demokratischen Aufbruchs Sächsische Schweiz (DASS)328 beteiligt. Bei Demonstrationen des DASS traten sie als Redner auf, verbreiteten ihre fremdenfeindliche Programmatik und wirkten organisatorisch mit. In der zweiten Jahreshälfte gingen die Aktivitäten der NPD in der Region jedoch zurück. Asylfeindliche Veranstaltungen fanden nicht mehr statt. Die JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) verfügen über einen sehr aktiven "Stützpunkt" im Landkreis, der im Berichtsjahr eng mit dem NPD-KV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zusammenarbeitete. Quelle: www.facebook.com/JN-Sächsische-SchweizOsterzgebirge (Stand: 19. Juni 2016) Seit dem Frühjahr 2016 beteiligten sich deren Mitglieder regelmäßig an JN-Veranstaltungen in Sachsen (u. a. Demonstration am 1. Mai 2016 in Wurzen). Mit verschiedenen unkonventionellen medienwirksamen Aktionen warnten sie vor einer angeblich "anhaltenden Überfremdung" und brachten somit ihre Fremdenfeindlichkeit und insbesondere ihre Ablehnung muslimischer Zuwanderer zum Ausdruck. In unmittelbarer Nähe zum Heidenauer Stadtfest führten sie gemeinsam mit Mitgliedern des NPDKV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge am 28. Mai 2016 eine Versammlung in Form eines StraßenQuelle: www.facebook.com/JN-Sächsische-SchweizOsterzgebirge (Stand: 31. Mai 2016) theaterstückes unter dem Motto "Islamismus stoppen, Augen öffnen" durch. Eigenen Angaben zufolge wollten sie mit dem inszenierten terroristischen Anschlag "ein deutliches Zeichen gegen die anhaltende Überfremdung und Islamisierung" setzen. 328 kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen 186 RECHTSExTREMISMUS Am Rande des Pirnaer Stadtfestes folgte am 18. Juni 2016 eine Banneraktion unter dem Motto "Migration ist Völkermord". Parallel zum Entrollen des Banners am gegenüberliegenden Elbufer wurde Pyrotechnik entzündet. Im Anschluss bekannte sich der JN-"Stützpunkt" Sächsische SchweizOsterzgebirge im Internet (u. a. via Facebook und Twitter) zu der Aktion. Quelle: www.facebook.com/JN-Sächsische-SchweizOsterzgebirge (Stand: 18. Juni 2016) Im Juli 2016 waren Aktionen im Landkreis festzustellen, die sich in den fortwährenden Anti-AsylKontext einordneten. Ein Video, welches u. a. auf dem Facebook-Profil der JN Sächsisches SchweizOsterzgebirge eingestellt wurde, zeigt Personen mit weißen Masken beim Aufsprühen - mittels Schablone und Sprühkreide - der in arabischer Sprache verfassten Aufforderung "Geht nach Quelle: www.facebook.com/Heidenau-Hört-zu (Stand: 26. August 2016) Hause!". Des Weiteren wurden an verschiedenen öffentlichen Plätzen mit Kreide Leichenumrisse gezeichnet. Es wurden mit roten Flüssigkeiten Blutflecke imitiert; dazu wurden kleine Zettel mit den Worten "Migration tötet" auf dem Boden verteilt. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen im Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf, die sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner richteten. So kam es im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wiederholt zu Angriffen auf Parteibüros der Partei DIE LINKE. So wurde das jeweilige Parteibüro am 26. Januar und 13. März in Freital und am 5. Februar in Dippoldiswalde mit rechtsextremistischen und beleidigenden Parolen beschmiert. Bei einem öffentlichen Fest am 18. Juni in Neustadt wurde eine in Rumänien geborene Person von drei Personen geschlagen und getreten. Die Täter sagten dabei zum Geschädigten: "Das Fest ist nur für Deutsche". Auch kam es mehrfach zu Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte. So wurden am 11. Juli Steine durch die Fenster der zentralen Einrichtung in Freital geworfen. In Pirna wurden am 23. Juli mittels Druckluftgewehr mehrere Stahlkugeln durch das Fenster der Wohnung einer syrisch stämmigen Familie geschossen. 187 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Sächsische 114 281 217 3 37 17 Schweiz-Osterzgebirge Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig an asylkritischen Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge existierten im Berichtsjahr keine ausgeprägten Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. In dieser Region ist nur die aus Freital stammende Band stahlwerk bekannt, welche im Jahr 2016 ihr erstes Album "Im Pakt mit Tod und Teufel" herausgab. Darüber hinaus existiert in Mohorn die Band stereotyP, welche zusammen mit der aus dem Erzgebirge stammenden Band ParaNoID eine Split-CD herausgab. Das NatIoNale versaNDhaus (Gohrisch, Bad Schandau - Szeneladen) ist in dem Landkreis seit vielen Jahren ansässig. Der bisher angegliederte OnlineVersand "Widerstand-Versand" wurde mittlerQuelle: opos-records.com (Stand: 12. Dezember 2016) weile eingestellt. 2.12.12 Vogtlandkreis Im Vogtlandkreis wurden der rechtsextremistischen Szene, wie im Vorjahr, zwischen 100 und 150 Personen zugerechnet. Im sachsenweiten Vergleich liegt das rechtsextremistische Personenpotenzial somit weiter im unteren Bereich. Dennoch entfalteten die Rechtsextremisten in der Region über Jahre ein hohes Aktionsniveau. Entsprechende Aktionen wurden oft vor dem Hintergrund der Asylthematik initiiert. neonatIonalsozIalIsten und Partei der drItte Weg Die neonationalsozialistische Szene wurde bis April 2014 von der ehemaligen revolutIoNäreN NatIoNaleN JugeND (RNJ) Vogtland geprägt. 188 RECHTSExTREMISMUS Im Februar 2015 wurde die Gründung des sog. Stützpunktes Vogtland der Partei Der DrItte weg bekanntgegeben. Die ehemalige Führungsperson der RNJ, Rico DÖHLER aus dem Vogtland, übernahm dessen Leitung, welcher über ca. 40 Mitglieder verfügt (2015: ca. 30). Die Partei erwies sich im Vogtlandkreis als Auffangbecken für die NeoNatIoNalsozIalIsteN. Trotz ihrer geringen Größe initiierte die neonationalsozialistische Szene im Vogtlandkreis - die auch im Jahr 2016 im Wesentlichen von der Partei Der DrItte weg getragen wurde - eine sehr hohe Anzahl extremistischer Aktionen und war überregional vernetzt. Auch durch die Gründung des "Gebietsverbandes Mitte" der Partei haben sich die Verbindungen nach Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg weiter gefestigt. Bereits seit der Gründung des "Stützpunktes Vogtland" lag der Schwerpunkt der Parteiarbeit auf der Anti-Asyl-Agitation. Dies setzte sich auch im Berichtszeitraum fort. Allerdings bedienten einige Aktionen im Jahr 2016 auch neonationalsozialistische Themen wie "Zeitzeugenvorträge"329, "Heldengedenken"330 oder auch rechtsextremistische Tierschutzkampagnen. Mitte Januar berichtete Tony GENTSCH331 bei einem Jahresrückblick über die Aktivitäten des "Stützpunktes Vogtland". So hätten nicht nur über "30 Aktionen" stattgefunden, auch die Mitgliederzahl habe sich nach seinen Aussagen vervierfacht.332 Kurz darauf wurde am 15. Januar 2016 von Rico DÖHLER eine Kundgebung unter dem Motto "Asylflut stoppen" in Plauen angemeldet. An dieser nahmen ca. 50 Personen teil. Als Redner traten er und Tony GENTSCH auf.333 Die Organisation der 1. Mai-Demonstration in Plauen war sachsenweit die größte rechtsextremistische Veranstaltung. Als offizieller Veranstalter trat das "Nationale und soziale Aktionsbündnis 1. Mai" auf. Von Beginn an zeigte sich jedoch die maßgebliche Rolle der rechtsextremistischen Partei Der DrItte weg. Das Motto war: Quelle: www.arbeiterkampftag.info (Stand: 15. März 2016) 329 " Zeitzeugenvorträge" bestehen im Wesentlichen aus einer Veranstaltung mit einem ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht oder damaliger nationalsozialistischer Organisationen wie der SS, der SA, etc. In der neonationalsozialistischen Szene werden regelmäßig Veranstaltungen mit solchen "Zeitzeugen" durchgeführt. Bei den "Zeitzeugen" handelt es sich meist um Personen, die ihre Erinnerungen entsprechend der rechtsextremistischen Sicht auf das III. Reich darstellen. Daher haben diese Veranstaltungen einen propagandistischen Wert, sind aber auch wichtig für die ideologische Selbstvergewisserung der Szene. 330 Zur Bedeutung von sog. "Heldengedenk"-Aktionen siehe Abschnitt II. 2.5. Neonationalsozialisten - Unterabschnitt "Ideologie, Strategien und Gewaltbereitschaft der Szene" 331 Führungsperson des "Stützpunktes Vogtland" und stellvertretender Leiter des "Gebietsverbandes Mitte" der Partei Der DrItte weg 332 www.der-dritte-weg.info (Stand: 1. Februar 2016) 333 www.der-dritte-weg.info (Stand: 21. Januar 2016) 189 Nach Polizeiangaben betrug die Zahl der zu dieser Demonstration angereisten Rechtsextremisten ca. 900 Personen. Darunter befanden sich ca. 200 Mitglieder des aNtIkaPItalIstIscheN kollektIvs (akk)334. Diese traten als geschlossener Block auf, welcher sich aus Mitgliedern aus Berlin, Hessen, Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Baden-Württemberg und vereinzelt auch aus Sachsen zusammensetzte. Die Aufzugsstrecke wurde während der Demonstration mehrfach blockiert, woraufhin die Versammlung aufgelöst wurde. Die Versammlungsteilnehmer versuchten, in geschlossener Formation den Ort in Richtung der Gegendemonstranten zu verlassen. Polizeikräfte versperrten ihnen den Weg und wurden daraufhin durch Flaschenund Steinwürfe angegriffen. Die angereisten Mitglieder des AKK leisteten bei diesem Gewaltausbruch tatkräftige Unterstützung. Die Polizeibeamten setzten u. a. Wasserwerfer ein. Die Durchführung der Demonstration wurde von Rechtsextremisten als Erfolg gesehen: "Mit entschlossenem Handeln erkämpfte sich der Nationale Widerstand die Straße Plauens und ließ sich weder durch linksautonomen Terror noch durch Polizeigewalt stoppen. Nur gemeinsam sind wir stark. Für eine Deutschen Sozialismus!" 335, resümierte die Partei Der DrItte weg im Internet. Weiter hieß es: "Der Kampf gegen das repressive System und den Kapitalismus dahinter geht indes unvermindert weiter, koste es was wolle, der nächste 1. Mai kommt, und auch da werden wir demonstrieren." 336 "Zeitzeugenvortrag" am 20. August 2016, Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 24. August 2016) Der "Stützpunkt Vogtland" der Partei Der DrItte weg führte im Berichtsjahr regelmäßig interne Veranstaltungen für Mitglieder und Interessenten durch. So fand am 20. August 2016 ein "Zeitzeugenvortrag" mit ca. 50 Teilnehmern in Plauen statt. Der Vortragende berichtete aus eigenem Erleben über die Kriegsjahre von 1939 bis 1945, insbesondere vom "Endkampf der Waffen-SS" um Berlin. Er schloss den Vortrag mit den Worten: "Gebt niemals auf und kämpft für eure Heimat und für die Zukunft Deutschlands". 337 Tony GENTSCH beendete diese Veranstaltung laut Eigenbekundung mit den Worten "Wir leben in einer Schicksalszeit, wenn wir die Überfremdung nicht stoppen, dann stirbt unsere Jahrtausende alte Tradition und Kultur, ja dann stirbt Deutschland." 338 334 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 335 www.der-dritte-weg.info (Stand: 3. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 336 www.der-dritte-weg.info (Stand: 6. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 337 www.der-dritte-weg.info (Stand: 24. August 2016) 338 www.der-dritte-weg.info (Stand: 24. August 2016) 190 RECHTSExTREMISMUS Mit verschiedenen kleineren Aktionen versuchte die Partei weiterhin, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und neonationalsozialistische Themen zu bedienen: Für den 24. August 2016 meldete Rico DÖHLER eine Kundgebung unter dem Motto "Kein Applaus für Tierquälerei! - Wildtiere gehören nicht in den Zirkus!" in Plauen an.339 Kundgebung am 24. August 2016 in Plauen, Quelle: www.facebook.com/un.vogtland (Stand: 26. August 2016) Am 11. September 2016 trafen sich Mitglieder der Partei, um an das Schicksal der deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern. An Denkmälern wurden Grabkerzen aufgestellt. Im Rahmen dieser Kampagne fanden in Oelsnitz im August und im September Gedenkaktionen an Denkmälern statt. An diesen wurden CD-Hüllen mit scanbaren QR-Codes ausgelegt. Diese Aktionen stehen im Zusammenhang mit der bundesweiten Kampagne "Deutschland ist größer als die BRD".340 Diese Kampagne diente dem Ziel der Partei, der "[...]friedliche[n] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen"341. Die oben beschriebenen Aktionen sind Ausdruck einer revisionistischen Grundhaltung der Partei Der DrItte weg. Mediales Aufsehen erregten im Oktober die "Nationalen Streifen"342. Diese fanden in verschiedenen Regionen SachInfo-Tisch "Kriminelle Ausländer raus!" am 22. Oktober 2016 Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 1. November 2016) sens, u. a am 13. und am 18. Oktober 2016 in der Innenstadt von Plauen, statt.343 Drei bis fünf Parteimitglieder in mit Parteilogo versehener Kleidung waren an diesen Aktionen beteiligt. Neben Flugblattverteilungen waren sie am 8. Juli und 22. Oktober 2016 mit zwei Informationsständen unter dem Motto "Überfremdung stoppen! - Nein zur Moschee in Plauen!" präsent. Dort wurden über 500 Unterschriften gegen den Bau der Moschee gesammelt. Diese wurden dem Oberbürgermeister von 339 www.facebook.com/un.vogtland (Stand: 25. August 2016) 340 www.der-dritte-weg.info (Stand: 21. September 2016) 341 siehe das Zehn-Punkte-Programm der Partei in Abschnitt II.2.4.4 Der DrItte weg 342 siehe Abschnitt II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 343 www.facebook.com/pages/Der-III-Weg (Stand: 2. Dezember 2016) 191 Tony GENTSCH am 10. November 2016 zum vierten "Plauener Gespräch" in einer öffentlichen Sitzung im Rathaus übergeben.344 Diese Aktionen in Plauen wurden maßgeblich von Protagonisten der Partei organisiert. Als Anmelder wie auch Versammlungsleiter fungierten Rico DÖHLER und sein Stellvertreter Tony GENTSCH. Ziel der öffentlichen Aktionen war es, die Asylthematik fremdenfeindlich und rassistisch zu besetzen, weitere Mitglieder zu gewinnen und als wichtigster rechtsextremistischer Akteur in der Region wahrgenommen zu werden. natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (nPd) und Junge natIonaldemokraten (Jn) Im Vogtlandkreis existiert eine kleine, kaum aktive NPD-Struktur. Im Jahr 2016 wurden lediglich eine Mitgliederversammlung sowie zwei Informationsstände bekannt. Die JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN) verfügen im Vogtlandkreis über keinen "Stützpunkt". Quelle: www.facebook.com/npd.vogtland (Stand: 16. Juni 2016) dIe rechte Einzelne Mitglieder der Partei DIe rechte sind in dem im April 2016 gegründeten Kreisverband Westsachsen organisiert. Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Vogtlandkreis eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Vogtlandkreis durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf, die sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner richteten. So wurde in diesem Zusammenhang Anfang Mai 2016 in Plauen das Parteibüro der Partei DIE LINKE mit der Parole "Linke töten" beschmiert. Bereits zu Jahresanfang, am 30. Januar 2016, schoben mehrere Täter in Oelsnitz verschiedene Müll-Rollcontainer vor das Zugangstor einer Asylbewerberunterkunft und setzten diese in Brand. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Vogtlandkreis 86 101 123 2 4 8 344 www.der-dritte-weg.info (Stand: 21. November 2016) 192 RECHTSExTREMISMUS Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial bspw. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen außerdem regelmäßig an asylkritischen345 Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Seit 2010 existiert im Vogtland die rechtsextremistische Musikband üBerzeuguNgstäter vogtlaND. Anfang 2016 wurde die von dieser Band herausgegebene CD "Epoche der Angst" von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert und ein Verbreitungsverbot erteilt. Darüber hinaus wirkte die Band an der im April 2016 herausgebenden Split-CD "4 gewinnt" mit. Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen mehr. Quelle: www.facebook.com/streetteamhf (Stand: 5. April 2016) 2.12.13 Landkreis Zwickau Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Zwickau wurden, wie im Vorjahr, zwischen 200 und 250 Personen zugerechnet. Im sachsenweiten Vergleich lag das rechtsextremistische Personenpotenzial hier somit im mittleren Bereich. neonatIonalsozIalIsten Die freIeN kräfte im Landkreis Zwickau beschäftigten sich auch im Jahr 2016 schwerpunktmäßig mit dem Thema "Asyl". Allerdings ließ dies im Jahresverlauf spürbar nach. Am 20. Februar 2016 meldeten asylkritische346 Initiativen in Zwickau einen "Sternmarsch" aus fünf Demonstrationszügen an. Daran nahmen auch NeoNatIoNalsozIalIsteN und andere Rechtsextremisten teil. Obwohl dies offen erkennbar war, kam es zu keinen Reaktionen seitens der Veranstalter. Quelle: Facebook-Profil "Freigeist" (Stand: 20. Februar 2016) 345 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 346 Zur Abgrenzung der Begriffe "asylfeindlich" und "asylkritisch" in diesem Bericht siehe Abschnitt II.2.3 Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Asyldebatte - Fortsetzung des Beitrages von 2015 193 An der Abschlusskundgebung auf dem Hauptmarkt nahmen schließlich ca. 3.000 Personen teil, darunter neben Anhängern der Initiative "Freigeist" 347 auch Vertreter des Zwickauer NPD-Kreisverbandes. Im Versammlungsumfeld wurden weiterhin Fahnen der Partei Der DrItte weg festgestellt, was durch die Veranstalter nicht unterbunden wurde. Der Zwickauer "Sternmarsch" war Ausdruck der Zusammenarbeit verschiedener asylbezogener Bürgerinitiativen in den Landkreisen Zwickau, Erzgebirge und der Stadt Chemnitz. In diese Zusammenarbeit wurden auch rechtsextremistische Initiativen wie "Freigeist" eingebunden. Dies machte eine fortschreitende Erosion der Grenzen zwischen der rechtsextremistischen Szene und asylkritischen, aber auch nicht extremistischen Initiativen im Rahmen der Asylthematik sichtbar. Im weiteren Verlauf des Jahres konnten NeoNatIoNalsozIalIsteN das Demonstrationsgeschehen im Landkreis nicht mehr in vergleichbarer Weise beeinflussen. Die Aktionen einzelner Rechtsextremisten fanden keine Resonanz in der Bevölkerung mehr. Die Teilnehmerzahlen lagen im einstelligen Bereich. Im Rahmen der Kampagne "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA" und seit November durch den Verein thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v.348 wurden in der zweiten Jahreshälfte in verschiedenen Regionen Sachsens Kundgebungen abgehalten, so auch im Landkreis Zwickau - in den Städten Werdau, Zwickau, Glauchau und Crimmitschau. In den Redebeiträgen wurde zur aktuellen Asylund Innenpolitik Bezug genommen. Es wurden Flyer mit asylkritischem Inhalt verteilt. Die Resonanz auf die Veranstaltungen war auch hier gering. Die Teilnehmerzahlen lagen durchweg im unteren zweistelligen Bereich. Verschiedene Veranstaltungen - so am 3. Juli 2016 in Crimmitschau - zeigten, dass es den Hauptprotagonisten Alexander KURTH (DIe rechte - Landesverband Sachsen) und David KÖCKERT (NPD Thüringen) teilweise gelungen ist, sich bei einzelnen Initiativen als "Demoredner" zu etablieren. Die beiden Rechtsextremisten versuchten ebenso, mit anderen Bürgerinitiativen in Sachsen in Kooperation zu treten. Am 1. Mai trat der Bundesjustizminister bei einer Gewerkschaftsveranstaltung auf dem Hauptmarkt in Zwickau auf. Dabei kam es zu Unmutsäußerungen durch Veranstaltungsteilnehmer. Die Rednertribüne musste durch die Polizei geschützt werden, ebenso der Rückweg des Ministers zu seinem Fahrzeug. Die Störaktion wurde von der rechtsextremistischen Szene sachsenweit thematisiert, insbesondere in den sozialen Medien bejubelten NeoNatIoNalsozIalIsteN, der NPD-Funktionär Rene DESPANG oder der Landesvorsitzende der IDeNtItäreN BeweguNg Tony GERBER die Aktion. Die im Jahr 2015 unter dem Namen legIoN 84 aufgetretene Szene in Limbach-Oberfrohna war im Berichtsjahr nicht mehr festzustellen. 347 Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt hingegen ist der gleichnamige Verein Freigeist e. V. 348 siehe Abschnitte II.2.4.3 DIe rechte und II.2.3 Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Asylthematik - Fortsetzung des Beitrages von 2015 194 RECHTSExTREMISMUS natIonaldemokratIsche ParteI deutschlands (NPD) und Junge natIonaldemokraten (JN) Die NPD ist im Landkreis Zwickau mit dem Kreisverband Zwickau-Westsachsen vertreten und verfügt über Ortsgruppen in Oberlungwitz und Werdau. Der Kreisverband war im Jahr 2016 kaum wahrnehmbar. Nur die in Abständen aktualisierte eigene Facebook-Seite verwies darauf, dass diese NPD-Struktur noch aktiv war. Im November 2016 legten einige Mitglieder anlässlich des Volkstrauertages auf einem Friedhof in Limbach-Oberfrohna einen Kranz nieder. Aktivitäten der JN im Landkreis Zwickau wurden nicht bekannt. dIe rechte Der im Jahr 2016 neu gegründete Kreisverband Westsachsen der Partei DIe rechte umfasst auch das Gebiet des Landkreises Zwickau. Aktivitäten wurden nicht bekannt. IdentItäre BeWegung (IB) Die Ortsgruppe Zwickau ist eine der aktiveren sächsischen Ortsgruppen der IB. Im Jahr 2016 trat sie im Landkreis vor allem mit der Verteilung von Flugblättern und dem Anbringen von Plakaten und Transparenten in Erscheinung. Mehrere Mitglieder der IB entrollten am 24. Januar 2016 am Johannisbad in Zwickau ein Transparent mit der Aufschrift "UNSER LAND - UNSERE WERTE" und schwenkten IB-Fahnen. Sie nahmen damit Bezug auf Presseberichte, denen nach ihrer Auffassung zu entnehmen war, dass "in den letzten Wochen mehrere Schwimmhallen in Zwickau zum Opfer des Asylwahnsinns" 349 geworden seien. Quelle: www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 24. Januar 2016) Wie im Erzgebirgskreis beteiligten sich zudem Mitglieder der IDeNtItäreN BeweguNg am "Sternmarsch" am 20. Februar 2016 in Zwickau. Etwa 20 Personen bildeten einen eigenen Block innerhalb des Demonstrationszuges. Im Juni unterstützte die IB eine in mehreren Städten durchgeführte "Kunstaktion 'Heimat im Blindflug'". In Zwickau hatten Aktivisten der IB dafür den Denkmal-Statuen von Robert Schumann und Thomas Müntzer die Augen verbunden. Weiter wurden die Figuren mit einem Schild mit der Aufschrift "BLIND IN DEN UNTERGANG?" versehen. Die IB thematisierte u. a. auch die o. g. Aktion gegen den Bundesjustizminister und die Beteiligung ihrer Anhänger am 1. Mai 2016 vor Ort im eigens dafür angefertigten VLOG#19 auf dem YouTube-Kanal Identit:ÄRA von Tony GERBER. Angehörige der Zwickauer Ortsgruppe beteiligten sich zudem auch an Veranstaltungen und Treffen der IB außerhalb Sachsens. Dies zeugte von ihrer Einbindung in bundesweite Strukturen der IB. 349 www.facebook.com/IBSachsen (Stand: 24. Januar 2016) 195 Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene Neben der neonationalsozialistischen Szene gibt es im Landkreis Zwickau eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene fiel im Landkreis Zwickau hauptsächlich durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf, die sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner richteten. Am 13. Februar wurde in Gersdorf ein Asylbewerber von mehreren Personen geschlagen. Am 9. Mai kam es zu einem Handgemenge, als mehrere Täter einen Asylbewerber in Limbach-Oberfrohna körperlich angingen und versuchten, sein Fahrrad mit fremdenfeindlichen Parolen zu bekleben. Einer der schwerwiegendsten Vorfälle war der Versuch eines Brandanschlages auf eine Asylbewerberunterkunft in der Stadt Zwickau am 22. Mai 2016. Dabei wurden mehrere Molotowcocktails in und auf das Gelände der Einrichtung geworfen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 1.710 2.234 2.380 83 201 145 Landkreis Zwickau 137 156 200 4 12 13 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen und standen als Mobilisierungspotenzial z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung. Sie nahmen darüber hinaus regelmäßig an asylkritischen Veranstaltungen teil. Rechtsextremistische Musikszene/ rechtsextremistische Vertriebe Die Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene waren im Berichtsjahr im Landkreis nur unterdurchschnittlich ausgeprägt. Neben dem rechtsextremistischen Liedermacher "FreilichFrei" waren das Bandprojekt rac'N'rollteufel sowie die Bands whIte resIstaNce und leIcheNzug aktiv. rac'N'roll teufel - ein Projekt der sächsischen rechtsextremistischen Band whIte resIstaNce - war im Jahr 2016 an dem Album "Ein Quantum Prost" und an dem Sampler "Back to the basement" beteiligt. whIte resIstaNce soll im November bei einem Konzert in Ostsachsen aufgetreten sein. Album "Ehrbare Menschen in ehrloser Zeit" (erschienen 2012) 196 RECHTSExTREMISMUS Der Liedermacher "FreilichFrei" trat im Jahr 2016 auf zahlreichen Veranstaltungen auf. So nahm er am Sommerfest der NPD am 25. Juni 2016 in Riesa (Landkreis Meißen) teil und trat bei einem Liederabend in Eisenach (TH) am 13. August 2016 auf. In Zwickau ist ein rechtsextremistischer Szeneladen ansässig. 2.13 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 2016 2.380 rechtsextremistische Straftaten registriert (2015: 2.234; 2014: 1.710). Damit stieg die Anzahl auch im vierten Jahr in Folge weiter an. Allerdings verlief der Anstieg verglichen mit dem Vorjahr deutlich moderater (2015: 30,6 %; 2016: 6,5 %). Im Gegensatz hierzu entwickelten sich die rechtsextremistischen Gewaltdelikte rückläufig (2015: 784; 2016: 692 Gewaltdelikte). Dies entspricht einem deutlichen Rückgang um 11,7 %. Auch der Anteil der Gewalttaten an den rechtsextremistischen Straftaten ging von 9 % im Jahr 2015 auf 6 % im Berichtsjahr zurück. Er liegt damit jedoch immer noch über dem Niveau von 2014 (4,8 %). Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 2500 2380 2234 2000 1692 1710 1602 1635 1500 1000 784 692 500 235 201 Straftaten gesamt 145 84 115 54 131 67 146 83 davon Gewalttaten 0 davon fremdenfeindlich 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Die Anzahl der gegen den politischen Gegner gerichteten Gewalttaten ist deutlich zurückgegangen. Nachdem im Jahr 2015 ein überproportional starker Anstieg zu verzeichnen gewesen war (2014: 14; 2015: 56 Fälle), sank die Anzahl im Jahr 2016 auf 19 Fälle. Deren Anteil an den rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten (145 Fälle) fiel damit auf ca. 13 % und erreichte im Vergleich zu den Werten der vergangenen Jahre350 ein deutlich geringeres Niveau. 350 2015: ca. 28 %; 2014: ca. 15 %; 2013: ca. 33 %; 2012: ca. 43 %; 2011: 54 % 197 Dieser Rückgang ist zum einen auf die präventiven Anstrengungen der Sicherheitsbehörden, wie auch der Zivilgesellschaft, zurückzuführen, welche nach den Ereignissen am 11. Januar 2016 in Leipzig und am 1. Mai 2016 in Plauen verstärkt wurden. Zum anderen ging auch die gegen den Staat und seine Einrichtungen gerichtete rechtsextremistische Konfrontationsgewalt zurück (2016: 24; 2015: 56 solcher Gewaltdelikte). Damit fiel deren Anteil an sämtlichen rechtsextremistischen Gewalttaten von 28 % (2015) auf 17 % (2016). Die Anzahl der fremdenfeindlichen Gewaltdelikte hat im Jahr 2016 mit 99 Fällen um rund ein Viertel abgenommen (2015: 121 Fälle). Der Wert liegt aber nach wie vor deutlich über den Zahlen vergangener Jahre351. Der Anteil fremdenfeindlicher Gewaltdelikte an sämtlichen rechtsextremistischen Gewaltdelikten betrug insgesamt ca. 68 % und ist gegenüber 2015 (60 %) nochmals angestiegen. Dies zeigt die Virulenz, die dieses Themenfeld für Rechtsextremisten nach wie vor besitzt. Auch im Vergleich zu früheren Jahren bleibt die Fallzahl auf einem sehr hohen Niveau.352 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 250 201 200 150 145 121 99 100 84 83 67 63 54 45 44 50 36 23 23 22 22 19 Gewalttaten gesamt 14 davon gg. polit. Gegner 0 davon fremdenfeindlich 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Die regionale Verteilung der absoluten Zahlen der rechtsextremistisch motivierten Straftaten glich dem Bild der Vorjahre: An der Spitze liegen die Städte Dresden (376 Fälle), Leipzig (263 Fälle) und Chemnitz (242 Fälle). Dann folgen die Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (217 Fälle), Zwickau (200 Fälle), der Erzgebirgskreis (176 Fälle), der Landkreis Bautzen (174 Fälle) und der Landkreis Mittelsachsen (172 Fälle). Die genannten Landkreise waren auch schon im Vorjahr Schwerpunkte rechtsextremistischer Delinquenz. Neu hinzugekommen ist der Erzgebirgskreis, der in 2015 noch im hinteren Mittelfeld gelegen hatte und im Jahr 2016 eine überdurchschnittlich gestiegene Gesamtzahl aufwies. 351 2014: 63; 2013: 36; 2012: 22 352 2014: 76 %; 2013: ca. 54 %; 2012: 41 %; 2011: 27 % 198 RECHTSExTREMISMUS Überdurchschnittliche Wachstumsraten sind auch in den Städten Chemnitz und Leipzig, im Landkreis Görlitz sowie - auffallend hoch - im Landkreis Zwickau sowie im Vogtlandkreis zu verzeichnen (siehe folgende Grafik). Der Anstieg ist in den auf die verschärften asylbezogenen Auseinandersetzungen in der Region Zwickau-Chemnitz-Erzgebirge zurückzuführen. Im Erzgebirgskreis waren es auch die verschiedenen Aktionen der IDeNtItäreN BeweguNg. Prozentuale Zuoder Abnahme des rechtsextremistischen Straftatenaufkommens nach Landkreisen 600 200 150 100 100 68 57,1 53 50 26,6 28,2 17,4 21,8 5,5 10 2,1 0 0 -7,6 -11,1 -2,8 -0,8 -7,7 -14,8 -33,3 -25 -32,7 -50 -55,4 -56,25 -58,3 -54,1 Straftaten -100 Gewalttaten Lkr. Bautzen Chemnitz Dresden Erzgebirgskreis Lkr. Görlitz Lkr. Leipzig Stadt Leipzig Lkr. Meißen Mittelsachsen Nordsachsen Sächs. Schweiz-Osterzgeb. Vogtlandkreis Lkr. Zwickau Anmerkung: Die hohe Steigerungsrate bei den Gewalttaten im Landkreis Görlitz erklärt sich durch die dort sehr niedrigen absoluten Fallzahlen, die auch bei kleinen Veränderungen zu hohen prozentualen Ausschlägen führen. Betrachtet man die Straftaten im Einzelnen, so ist das rechtsextremistische Straftatenaufkommen im Jahr 2016, wie in den Vorjahren, von einem hohen Anteil an Volksverhetzungsund Propagandadelikten geprägt (70,3 % aller rechtsextremistischen Straftaten). 16,8 % aller Delikte sind dagegen Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. 199 Bezogen auf die Themenfelder der einzelnen Straftaten dominieren die Delikte, die der Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie dienen, gefolgt von asylbezogenen Fällen. Rund 33 % aller Straftaten lassen sich einer fremdenfeindlichen Motivation zuordnen. Die Entwicklung dieser Delikte in Sachsen gestaltet sich regional jedoch sehr unterschiedlich: In sieben Landkreisen sanken die Fallzahlen im Jahr 2016. In den übrigen Regionen kam es nur zu geringen Anstiegen, vereinzelt aber auch zu einer starken Zunahme der Delikte, wie in Chemnitz (+ 58 %) oder Leipzig (+ 41 %). Während die Gründe in Chemnitz im verstärkten Agieren von Rechtsextremisten bei asylbezogenen Aktivitäten lagen, wirkte in Leipzig die Dynamik einer stark politisierten und auf Konfrontation ausgerichteten subkulturellen Szene, die zudem in Chemnitz durch die Bildung neuer neonationalsozialistischer Strukturen ergänzt wurde. Auch die Gewaltstraftaten wurden im Jahr 2016 vom asylbezogenen Straftatenaufkommen dominiert. Fast 70 % aller Straftaten ließen sich auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund zurückführen. Die höchsten Werte haben hier wie auch im letzten Jahr die Stadt Dresden (20,2 %) und der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (17,2 %) zu verzeichnen. Es folgen die Landkreise Zwickau (11,1 %) und Bautzen (10,1 %) sowie die Städte Chemnitz (10,1 %) und Leipzig (9,1 %). Dies zeigt die anhaltend hohe Bedeutung und auch die hohe Mobilisierungskraft, die die Asylthematik für Rechtsextremisten nach wie vor besitzt, wenn auch die Dynamik im Jahr 2016 erstmals seit Jahren wieder nachgelassen hat. In den Gesamtzahlen kam es teilweise und insbesondere bei den Gewaltstraftaten zu deutlichen Rückgängen. Die absoluten Zahlen liegen allerdings auch im Jahr 2016 weit über dem Niveau der Vorjahre. Die regionalen Besonderheiten im Berichtsjahr sind Ausdruck für die nachziehende Dynamik in Regionen, die 2015 noch weniger stark vom asylbezogenen Straftatengeschehen betroffen waren. In den Brennpunkten des Jahres 2015 trat demgegenüber im Jahr 2016 - auch infolge zahlreicher exekutiver und zivilgesellschaftlicher Maßnahmen - eine Lageberuhigung ein. Ein Blick auf die Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen fügt sich in die bisherige Darstellung: Gegenüber 2015 haben sich die Zahlen beinahe halbiert. Eine Ausnahme bildet der Vogtlandkreis, der vor allem nach den Ereignissen zum 1. Mai 2016 in Plauen im Vergleich zu 2015 eine Verfünffachung des Straftatenaufkommens zu verzeichnen hatte. Der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wies dagegen nur noch 7 % des Straftatenaufkommens von 2015 auf. Eine der Gesamtlage entsprechende Entwicklung im Jahr 2016 zeigte auch das rechtsextremistische Straftatengeschehen gegen die Polizei. 200 RECHTSExTREMISMUS Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegen die Polizei 160 138 140 120 114 100 92 80 60 56 51 52 40 36 19 22 20 5 4 4 Straftaten gesamt 0 Gewalttaten gesamt 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Der schon 2015 konstatierte Trend, dass auch die Polizei mittlerweile ein festes Feindbild von Rechtsextremisten ist, hält nach wie vor an und bestätigt sich in der Statistik für 2016. Die Fallzahlen zur Gewalt gegen Polizisten lagen über den Zahlen zur Gewalt gegen den politischen Gegner. Teilweise, wie am 1. Mai 2016 in Plauen durch den "Schwarzen Block" des aNtIkaPItalIstIscheN kollektIvs (akk), waren die eingesetzten Polizeikräfte auch direkt das Ziel rechtsextremistischer Konfrontationsgewalt. Die Anzahl der antisemitischen Straftaten fiel erneut (gegenüber dem Jahr 2015 um 15 %). Schwerpunkt dieser Straftaten war wieder die Stadt Leipzig, in der eine leichte Zunahme zu verzeichnen war. Zuwächse gab es auf niedrigem Niveau auch im Landkreis Meißen und im Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge. Ansonsten dominierten teils deutliche Rückgänge. So halbierte sich in Dresden etwa das Straftatenaufkommen mit Bezug zum Antisemitismus. 2.14 Ausblick Veränderte Rahmenbedingungen und politische Debatten beeinflussten zum Jahresende und darüber hinaus die rechtsextremistischen Zielsetzungen, Strukturen und das Aktionsniveau. Wesentlich war das deutliche Nachlassen der Bedeutung der Asylthematik. Nachdem es im ersten Quartal noch zu zahlreichen asylbezogenen Aktivitäten durch Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen gekommen war, nahmen die diesbezüglichen Aktivitäten bis zur Jahresmitte deutlich ab. Dennoch nahmen Rechtsextremisten auch weiterhin an asylbezogenen Aktivitäten teil bzw. führten diese selber durch. Besonders die islamistischen Anschläge in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte waren erneut Anlass, die eigenen ideologischen Positionen ("Moslemterror") zu vertreten und zu verbreiten. 201 Die Verantwortung für die Anschläge wurden zunehmend Unterstützern von Flüchtlingen und Asylbewerbern sowie asylbefürwortenden politischen Verantwortungsträgern zugeschrieben. Es ist zu erwarten, dass diese inhaltliche Vermischung von Asyl und Terror auch weiterhin die rechtsextremistische Agenda bestimmen wird. Dies bietet der Szene zum einen die Möglichkeit, die Bekämpfung und Diffamierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinter Kritik an der aktuellen Politik zu verbergen. Zum anderen kann so Anschluss an nicht extremistische regierungskritische Initiativen gefunden werden. Beide Ziele werden Rechtsextremisten in Zukunft verstärkt umzusetzen versuchen. Schließlich kann die rechtsextremistische Szene so auch die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner weiter forcieren. Die neonationalsozialistische Szene konnte - nach Jahren der Stagnation - in einzelnen Regionen neue Potenziale erschließen und somit Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Es bildeten sich neue Strukturen. Szeneangehörige beanspruchten regional, etwa in Bautzen, die Wortführerschaft in öffentlichen Auseinandersetzungen. Insbesondere in den Regionen, in denen bisher bereits entsprechende Entwicklungen erfolgt sind, werden sich diese voraussichtlich konsolidieren. Für einen generellen Aufschwung der Szene fehlen jedoch die nötigen Voraussetzungen. Je nach Verfügbarkeit von entsprechendem Führungspersonal, rekrutierbaren Unterstützern und einer für das Agieren der Szene günstigen politischen Ausgangslage, z. B. in Form von anhaltenden Konflikten zwischen Einheimischen und Zuwanderern, ist jedoch auch mit einer Ausweitung auf weitere Regionen zu rechnen. Inhaltlich wird die neonationalsozialistische Szene weiter vor allem die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner suchen. Hier sind insbesondere Konfrontationsund Gewaltspiralen zwischen Rechtsund Linksextremisten möglich. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene wird weiterhin für impulsive Gewaltausbrüche verantwortlich sein, die aus der konkreten Begegnung mit politischen Gegnern oder mit anderen als bekämpfenswert angesehenen Menschen entstehen. Auch sind Neonazifizierungswie auch Radikalisierungsprozesse weiter zu erwarten, auch wenn die diesbezügliche Dynamik bereits deutlich nachgelassen hat. Daneben stehen die Angehörigen dieser Szene als gewaltbereites Mobilisierungspotenzial für rechtsextremistische Aktivitäten zur Verfügung. Die frühzeitige Aufklärung von etwaigen rechtsterroristischen Bestrebungen bleibt eine Herausforderung der Sicherheitsbehörden und erfordert auch die Aufmerksamkeit aller Bürger. Die Entstehungsbedingungen dafür sind günstig. Die alarmistischen und propagandistischen Äußerungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene nach den islamistischen Anschlägen und die hohe Gefahrenlage verdeutlichten, dass die Szene durch die Zuwanderung die Existenz des deutschen Volkes an sich bedroht sieht. Daher kann es auch Ansätze für rechtsterroristische Bestrebungen geben. Die Entwicklung einzelner rechtsextremistischer Strukturen stellt sich sehr unterschiedlich dar: Die nationaldemokRatische PaRtei deutschlands (NPD) führte Anfang des Jahres 2016 noch verschiedene Anti-Asyl-Kampagnen durch, nahm dann aber zunehmend eine passive Haltung ein. Schon zuvor fanden viele Demonstrationen und Initiativen der NPD durch Parteifunktionäre statt, die den offenen Bezug zur Partei vermieden. Nach wie vor hadert die Partei mit den Folgen von internen Machtund verlorenen 202 RECHTSExTREMISMUS Wahlkämpfen. Sie versucht, sich weiterhin - mit bisher nur mit mäßigem Erfolg - inhaltlich wie auch strukturell zu konsolidieren. Diese beiden Linien werden auch in Zukunft die Schwerpunktarbeit der NPD ausmachen. Ihre parteipolitischen Aktivitäten werden vorrangig auf kommunalpolitischer Ebene stattfinden. Dort wird sie mit verschiedenen Initiativen versuchen, sich als "Kümmerer" darzustellen und mittels der Asylthematik Neiddebatten und Vorbehalte gegen Flüchtlinge und Asylbewerber hervorzurufen. Ihre Bedeutung für die rechtsextremistische Szene insgesamt wird weiter abnehmen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren am 17. Januar 2017 - der Antrag des Bundesrats auf ein Verbot der Partei wurde abgelehnt - wird zumindest der harte interne Kern der NPD versuchen, den Zerfall der Partei aufzuhalten. Allerdings dürfte es für diese Führungskräfte angesichts der oben beschriebenen Lage sehr schwer sein, die Partei aus diesem Tal herauszuführen. Ein sofortiger "Ansturm" neuer Mitglieder auf die NPD ist eher nicht zu erwarten. Der Neuaufbau der Partei wird ein lang anhaltender Prozess sein. Auch ist kaum anzunehmen, dass der "Karteileichenanteil" der Partei nach diesem Urteil zu neuem Leben erwacht. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der verbliebene Rest alle Kraft in die Vorbereitung kommender Wahlen stecken wird. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass sich die Partei - nach dem der Verbotsdruck weggefallen ist - hinsichtlich ihrer Ideologie wieder auf alte Muster zurückbesinnen wird und mit deutlich radikaleren Aussagen auftreten wird. Nachdem die Jungen nationaldemokRaten (JN) in den letzten Jahren für die rechtsextremistische Szene an Bedeutung gewonnen haben und Personenpotenzial aus der neonationalsozialistischen Szene rekrutieren konnten, befinden sie sich mittlerweile in der Stagnation. An Personenpotenzial werden sie kaum dazugewinnen. Die bisherigen Kampagnen der JN werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft auf eher geringes Interesse in der rechtsextremistischen Szene treffen. Sollten die nach den Vereinsverboten von 2013 und 2014 in die JN eingetretenen ehemaligen NeoNatIoNalsozIalIsteN günstigere Rahmenbedingungen in einer anderen rechtsextremistischen Struktur vorfinden, ist damit zu rechnen, dass sie die JN nach und nach wieder verlassen. Ebenfalls in der Bedeutungslosigkeit wird die Partei die Rechte verbleiben. Ihr ist es nicht gelungen, weitere Strukturen aufzubauen und neues Personenpotenzial zu rekrutieren. Es wird mühsam für sie sein, ihre bisherige Verfasstheit zu erhalten. Mit eigenen großflächigen Aktivitäten ist nicht zu rechnen. Wesentliche Akteure dieser Partei werden auch eher im Rahmen anderer Kampagnen und Strukturen aktiv werden. Ganz anders stellt sich dies bei der Partei deR dRitte weg dar. Diese war im Jahr 2016 im Aufschwung und wird diesen voraussichtlich auch fortsetzen. Die Gründung weiterer "Stützpunkte" und damit die Aufnahme, Durchführung und Intensivierung von Aktivitäten der Partei ist in allen Regionen des Freistaates Sachsen zu erwarten. Schon bisher bemühte sich die Partei um eine verstärkte öffentliche Präsenz und warb mit Informationsveranstaltungen, Konzerten und anderen Freizeitveranstaltungen um neue Mitglieder. Die Partei wird zunehmend versuchen, sich als relevanter politischer Akteur darzustellen. In der Folge ist auch hier mit einer erhöhten Bereitschaft zur Konfrontation mit dem politischen Gegner zu rechnen. 203 Ebenfalls dynamisch ist nach wie vor die Entwicklung der identitäRen bewegung (IB). Diese verfügt über fünf sehr unterschiedlich aktive "Stützpunkte". Schwerpunkt der Aktivitäten ist bisher vor allem Westsachsen gewesen. Die IB wird mit spektakulären Medienereignissen weiterhin um Mitglieder werben. Außerdem wird sie durch Diffamierung politischer Gegner sowie durch eigene Propagandaaktivitäten auch in Zukunft gezielt darauf hinwirken, ihre eigene Agenda anschlussfähig und auch für nicht extremistische Bürger zugänglich zu machen. Da sich sowohl die personelle Zusammensetzung als auch die innere Verfasstheit der IB von bisherigen rechtsextremistischen Strukturen unterscheiden, könnte sie bei der Umsetzung dieser Ziele Erfolg haben. Mit leicht abnehmender Tendenz zeigte sich im Jahr 2016 die rechtsextremistische Musikszene. Diese pendelte sich auf einem im Vergleich zu früheren Hochphasen niedrigen Niveau ein. Bereits ein größeres Konzert kann hier in Zukunft jedoch auch wieder zu Ausschlägen nach oben führen. Ein möglicher Indikator für eine wieder leicht zunehmende Bedeutung der rechtsextremistischen Musikszene ist zum einen die Zunahme der Bands wie auch die wiedererstarkte neonationalsozialistische Szene und die aufstrebende Partei Der DrItte weg. Von diesen Akteuren ist künftig mit verstärkten Nachfragen nach "musikalischer Begleitung" von Szeneaktivitäten zu rechnen. Ihre Bedeutung wird die rechtsextremistische Musikszene vermutlich weniger in der Veranstaltung einzelner großer Konzerte, sondern vor allem in der Begleitung sonstiger rechtsextremistischer Gemeinschaftsveranstaltungen haben. Die rechtsextremistische Vertriebsszene war Ende 2016 nominal schwächer aufgestellt, da der Vertrieb oPos-recorDs nach Brandenburg verzog. Unabhängig davon wird oPos-recorDs seinen Kunden jedoch auch in Sachsen weiterhin zur Verfügung stehen. Allgemein ist zu erwarten, dass die bisher bedeutenden Vertriebsunternehmen den bestehenden Markt auch weiter bedienen werden. Anzeichen für die Bildung neuer überregional bedeutsamer Vertriebe gibt es derzeit nicht, so dass künftig mit einer Fortsetzung des Status Quo zu rechnen ist. 204 LINKSExTREMISMUS 3. Linksextremismus 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremisten streben die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. An deren Stelle wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Damit treten sie entweder für eine Diktatur ein, die auch mit einer Entrechtung Andersdenkender einhergehen würde oder für eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung. Die von Linksextremisten häufig genannten Werte "Gleichheit", "Freiheit" und "Gerechtigkeit" stellen sich bei genauerem Hinsehen als Synonyme für die Abschaffung demokratischer Errungenschaften (z. B. der Gewaltenteilung), aber auch für die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte dar. Letzteres betrifft z. B. die Beseitigung des Rechts auf Eigentum. Auch wenn das Grundziel - die Abschaffung der Demokratie - alle linksextremistischen Spektren eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellungen zur letztlich angestrebten Ordnung, des dorthin führenden Wegs und der anzuwendenden Mittel erhebliche Differenzen. Linksextremisten greifen gesellschaftliche Proteste und Debatten auf und versuchen, diese für ihre extremistischen Ziele zu instrumentalisieren. Aktionen von Nichtextremisten, an denen sich Linksextremisten beteiligen, laufen daher immer Gefahr außer Kontrolle zu geraten, weil letztere dabei ihre gewaltbereite Strategie umsetzen. Die Anwendung von Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene - vor allem bei den autoNomeN - allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen mit zwei Begründungen legitimiert: Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine "strukturelle" Gewalt auf die Bürger aus. Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, kann aber auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und andere Repräsentanten staatlicher Einrichtungen, sowie demokratische Parteien zum Ziel haben. 3.2 Personenpotenzial Anzahl der Linksextremisten steigt gegenüber dem Vorjahr deutlich an Im Jahr 2016 wurden im Freistaat Sachsen ca. 845 Personen linksextremistischen Bestrebungen zugerechnet. Damit ist diese Zahl gegenüber dem Vorjahr (ca. 780) um ca. 8 % gestiegen und erreichte im Vergleich zu den vergangenen Jahren einen Höchststand. 205 Linksextremisten im Freistaat Sachsen 860 845 840 820 800 780 780 770 760 750 740 730 720 700 680 660 2012 2013 2014 2015 2016 Die autoNomeN stellen mit ca. 425 Personen unverändert die größte Gruppe innerhalb der linksextremistischen Bestrebungen im Freistaat Sachsen dar. Sie konnten ihr Personenpotenzial gegenüber dem Vorjahr (ca. 370) sogar deutlich um ca. 15 % erhöhen. Die Ende 2015 allmählich einsetzende und sich 2016 verstärkende Bündnispolitik von Gruppierungen der postautonomen353 Szene Leipzigs zielte auf eine Mitgliedergewinnung außerhalb der linksextremistischen Klientel ab, die partiell zu deren Einbindung in linksextremistische Strukturen354 führte. Die den aNarchIsteN und den sonstigen linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnende Anhängerschaft veränderte sich nur minimal und lag bei ca. 170 (2015: ca. 160) Personen. Dabei blieb die Mitgliederzahl im Bereich der anarchistischen Gruppierungen mit ca. 45 Personen konstant. Die Gruppierung revolutIoN (revo)355 konnte Mitglieder hinzugewinnen. Bei den Mitgliedern des rote hIlfe e. v. (rh) handelt es sich nach wie vor vielfach um Mehrfachmitgliedschaften. Die rh konnte ihre Mitgliederzahl erneut deutlich ausbauen und erreichte mit ca. 380 Personen (2015: ca. 280) in Sachsen einen weiteren Höchststand. Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkte sich allerdings nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus, da von Mehrfachmitgliedschaften der neu hinzugekommenen Personen ausgegangen wird. Die signifikante Steigerung dürfte mit der hohen Anzahl von demonstrativen Ereignissen mit linksextremistischen Bezügen - insbesondere in Leipzig - im Jahr 2016, aber auch in den Vorjahren, im Zusammenhang stehen. Teilnehmer solcher Aktionen waren häufig von polizeilichen Maßnahmen betroffen und könnten anschließend Kontakt zur RH gesucht haben. Auch bundesweit konnte die RH Mitglieder hinzugewinnen. Die Gesamtmitgliederanzahl der orthodoxen linksextremistischen Parteien und Organisationen lag im Jahr 2016 unverändert bei ca. 250 Personen. 353 siehe Abschnitt II.3.3 autoNome 354 siehe Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 355 siehe Abschnitt II.3.5 revolutIoN 206 LINKSExTREMISMUS Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen (insgesamt: ca. 845 [2015: ca. 780/bundesweit 2015: ca. 26.700]) Orthodoxe Gewaltorientierte anaRchisten und sonstige linksextremistische Parteien Linksextremisten / linksextremistische und Organisationen autonome Gruppierungen 2016: ca. 250 2016: ca. 425 2016: ca. 170 355 2015: ca. 250 2015: ca. 370 2015: ca. 160 356 davon u. a. anaRchisten 2016: ca. 45 2015: ca. 45 Rote hilfe e. v. (Rh) 2016: ca. 380 357 2015: ca. 280 358 Revolution (Revo) 2016: ca. 20 2015: ca. 10 356 ohne Mehrfachmitgliedschaften 357 ohne Mehrfachmitgliedschaften 358 mit Mehrfachmitgliedschaften - Der Anstieg wirkt sich nicht auf die Gesamtzahl der Linksextremisten aus, da von Mehrfachmitgliedschaften der neu hinzugekommenen Personen ausgegangen wird. 359 mit Mehrfachmitgliedschaften 207 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind nach wie vor die weitaus meisten Linksextremisten ansässig. Regionale Verteilung der Linksextremisten im Freistaat Sachsen - absolut Regionale Verteilung der Linksextremisten im Freistaat Sachsen - je 10.000 Einwohner 208 LINKSExTREMISMUS 3.3 autoNome Entstehung und Strukturentwicklung Die Ursprünge der autoNomeN resultieren aus dem Zerfall der 1968er-Protestbewegung und dem allmählichen Niedergang der daraus erwachsenen kommunistischen Splittergruppen. Sie gingen aus einem Teil der politischen Alternativkultur - der militanten Hausbesetzerszene - insbesondere jedoch aus der sog. Sponti-Bewegung hervor. Diese stand für Unabhängigkeit, Selbstorganisation und Spontaneität bei politischen Aktionen. Sie war stark von anarchistischen, hierarchieund organisationsfeindlichen Einstellungen sowie einer Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen Normen geprägt. Der Begriff autoNome setzte sich als Selbstbezeichnung der Szene Anfang der 1980er Jahre durch. Er nimmt Bezug auf die Bewegung der Arbeiterautonomie (Autonomia Operaia), die sich in den 1960er Jahren in den industriellen Zentren Norditaliens gebildet hatte und für militante Auseinandersetzungen sowie Fabrikkämpfe in den 1960er und 1970er Jahren verantwortlich gewesen war. Diese Bewegung hatte den von Gewerkschaften und Parteien unabhängigen antikapitalistischen Kampf der Fabrikarbeiter propagiert, indem sie den autonomen Arbeiter als revolutionäres Objekt in den Mittelpunkt des Konfliktes zwischen Kapital und Arbeit stellte. Eine Leitung oder Organisation durch Parteien oder Gewerkschaften sollte nicht stattfinden. Die Ideen der Autonomia Operaia, der Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung der politischen Ziele, die Ablehnung von festen Organisationsformen und der Kampf für die eigenen Interessen wurden von den autoNomeN als "Politik der ersten Person" auch für andere Aktionsfelder als den Fabrikkampf übernommen. In den 1980er Jahren entstanden in zahlreichen Städten der Bundesrepublik Gruppen, die sich selbst als "autonom" definierten. Sie versuchten mit gewalttätigen Aktionen neue "Freiräume" zu erkämpfen, um dadurch zugleich eine eigene Handlungsfähigkeit in verschiedenen - auch von friedlichen Nichtextremisten - geführten Konflikten (Startbahn-West in Frankfurt am Main [Hessen], Hausbesetzungen etc.) zu etablieren. Um "Freiräume" zu erkämpfen, beteiligten sich autoNome vor allem an zahlreichen Hausbesetzungen als politisches Mittel im Kampf gegen den Staat. Gleichzeitig suchten sie gewalttätig die offene Auseinandersetzung mit dem "staatlichen Gewaltapparat". Strukturell ist die autonome Szene zumeist stark zersplittert und in örtlichen Szenen und Kleingruppen organisiert. Den verschiedenen Versuchen der Bildung einer überregionalen Organisation oder zumindest einer dauerhaften Vernetzung untereinander standen bislang die den autoNomeN eigene Organisationsfeindlichkeit, ihr aktionsorientiertes Vorgehen sowie ideologische Differenzen entgegen. Allerdings zeichnet sich in den letzten Jahren sowohl bundesweit als auch in Sachsen innerhalb der autonomen Szene eine deutliche Tendenz ab. Neben den undogmatischen und militanten Linksextremisten - den "klassischen autoNomeN" - etablieren sich sog. Postautonome. Im Gegensatz zu den "klassischen autoNomeN" präsentieren sie sich moderater. So streben sie eine Zusammenarbeit in überregionalen Bündnissen an, denen auch andere linksextremistische Organisationen, aber auch Nichtextremisten, 209 angehören. Diese Bündnisse sprechen sich für die Beibehaltung militanter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. Ein Beispiel eines solchen bundesweiten postautonomen Netzwerks ist die INterveNtIoNIstIsche lINke, der mit PrIsma leIPzIg eine linksextremistische Gruppierung aus Sachsen angehört. Im Freistaat Sachsen festigte sich 1989/1990 eine autonome Szene. Diese Szene orientierte ihren Kampf zunächst an Themen wie der Stasi-Aufarbeitung und der "Kolonisierung durch das System der Bundesrepublik". Die Agitationsund Aktionsfelder der autoNomeN in den neuen Bundesländern glichen sich seit den 1990er Jahren denen der Altbundesländer an. Zentrale Agitationsthemen von autoNomeN in Ost und West sind der "Antifaschismuskampf" bzw. das Themenfeld "Antirassismus/Asyl". Die thematisierten Aktionsfelder und die sich daraus anschließenden öffentlichen Aktionen, sind von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und aktuellen politischen Debatten abhängig. Vor allem die anhaltende Diskussion über die Asylpolitik veranlasste die sächsische autonome Szene im Jahr 2016 aktiv zu werden. Hauptsächlich wurden "Antirepression", "Antifaschismus" und "Antirassismus/Asyl" thematisiert und in der öffentlichen Agitation miteinander verknüpft. Ein Grund ist, dass die Asylpolitik der Bundesregierung sowie die Aufnahmepraxis in Sachsen als "repressiv" interpretiert wurden. Die autonome Szene dominiert deutlich den Linksextremismus im Freistaat Sachsen. Ihr gehören ca. 425 Personen an, die einen Anteil von ca. 50 % an allen linksextremistischen Bestrebungen in Sachsen ausmachen. Wie die numerische Entwicklung zeigt (siehe Grafik), erhöhte sich der Anteil der autoNomeN im Freistaat gegenüber dem Vorjahr um ca. 15 % und erreichte damit einen neuen Höchststand seit der Jahrtausendwende. Entwicklung der Anzahl autonomer im Freistaat Sachsen 600 425 400 360 370 340 340 200 0 2012 2013 2014 2015 2016 Deutlicher regionaler Schwerpunkt der sächsischen autonomen Szene ist die Stadt Leipzig. Mit ca. 250 Personen (2015: ca. 190) gehören über die Hälfte der sächsischen autoNomeN der Leipziger Szene an, so dass sich dort auch das stärkste gewaltbereite Potenzial konzentriert. Der Zuwachs resultiert aus der verstärkt einsetzenden Bündnispolitik postautonomer Gruppen. Dadurch konnten Sympathisanten außerhalb der eigenen Klientel gewonnen werden, was schließlich zu deren Einbindung in linksextremistische Strukturen führte360. 360 siehe dazu Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 210 LINKSExTREMISMUS Die Dresdner Szene361 ist als zweiter Schwerpunkt sächsischer autoNomer wesentlich kleiner. Sie kann im Gegensatz zur Leipziger Szene keinen personellen Zuwachs vorweisen und verliert weiter an Bedeutung. Die autonome Szene in Chemnitz362 ist nochmals kleiner und weniger strukturiert, aber anlassbezogen vergleichsweise aktiv. Kleinere autonome Szenen finden sich punktuell im Landkreis Mittelsachsen, im Vogtlandkreis sowie im Landkreis Görlitz. Grundlegende Entwicklungstendenzen in der autonomen Szene Im Jahr 2016 haben in Sachsen Prozesse eingesetzt, die auf eine Neuformierung und Neuorientierung hinweisen. Diese sind durch das Bestreben gekennzeichnet, die Zersplitterung der autonomen Szene zu überwinden sowie gesellschaftliche und politische Relevanz zu erringen. Dieser Trend steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung auf Bundesebene, wo dieser Prozess bereits 2014/2015 einsetzte. Gekennzeichnet ist er durch das Bemühen verbindliche regionale und bundesweite Strukturen aufzubauen, um entsprechende Kontakte und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren zu ermöglichen und zu sich so zu vernetzen. Die maßgeblichen Akteure dieses Organisationsansatzes sind das Bündnis (...) ums gaNze! (ug) sowie die INterveNtIoNIstIsche lINke (Il)363. Dieser Trend gewann im Jahr 2016 an Dynamik. Besonders durch die Initiativen der Leipziger Gruppen the future Is uNwrItteN ((...) ums gaNze!-BüNDNIs) und PrIsma (Il) haben Entwicklungen eingesetzt, die strategisch geprägt sind, auf eine längerfristige Umsetzung hinweisen und dem Ziel einer breiten Vernetzung entsprechen. Dies sind: 1. eine Bündnispolitik, die über die linksextremistische Szene hinausgeht und Diese Strategie zielt auf die Schaffung einer breiten Massenbasis ab. Dadurch soll das Kräfteverhältnis zugunsten der Extremisten verändert und deren politische Interessen durchgesetzt werden. Dieses Ziel verfolgt vor allem die Leipziger Gruppe PRISMA. So besteht für einen Akteur dieser Gruppe der Zweck von Bündnissen "(...) in der Verschiebung von politischem Bewusstsein und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen."364 Die Umsetzung dieser Absicht zeigte sich im Jahr 2016 besonders in der Durchführung solcher Kampagnen, wie "Social Center for all" (SC4A) - einem Projekt zum Aufbau eines selbstverwalteten Zentrums für "politische Organisierung, Solidarität und Emanzipation", oder der "Sozialen Kampfbaustelle", im August 2016. Die Mobilisierung für diese Aktionen reichte über die eigene Klientel hinaus, da unmittelbar regionale Themen, wie steigende Mietpreise, fehlender Wohnraum und sozi361 siehe dazu Abschnitt II.3.3.2 autoNome in Dresden 362 siehe dazu Abschnitt II.3.3.3 autoNome außerhalb von Leipzig und Dresden 363 UG ist ein Verbund eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene. Lokal treten die Regionalgruppen autark, in Aktionsbündnissen und Großveranstaltungen unter der Bezeichnung (...) ums gaNze! auf. Die IL ist ein bundesweites Netzwerk, dem auch linksextremistische Gruppierungen angehören. Sie fungiert als Scharnier zu nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie zu nicht extremistischen Gruppen und Initiativen. Die Einstellung zur Gewalt ist daher vor allem taktisch geprägt. 364 http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/gesellschaftstheorie-statt-realty-tv (Stand: 12. Januar 2017) 211 alverträgliche Sanierung von Stadtteilen, Linksextremisten die Möglichkeit bietet, sich in Teilen der Zivilgesellschaft zu verankern365. 2. die Vernetzung, der Aufbau und die Präsenz "antifaschistischer" Strukturen366 im ländlichen Raum. Für diese Strategie stellte der Antifa-Jugendkongress vom 1. bis 3. April 2016 in Chemnitz eine wesentliche Zäsur dar. Mit den Demonstrationen am 1. Mai 2016 in Plauen (Vogtlandkreis), am 6. Juni in Annaberg-Buchholz (Erzgebirgskreis) sowie am 5. November in Zwickau (Landkreis Zwickau) und am 17. Dezember in Plauen gelang es der linksextremistischen Szene erste Teilziele dieser Strategie umzusetzen. Autonome Szenen in Sachsen Selbstverständnis und linksextremistische Ideologie Die autonome Szene ist eine Strömung innerhalb des Linksextremismus, der es an einer Organisation mit klaren Strukturen fehlt. Sie unterscheidet sich deutlich von anderen Gruppierungen, vor allem hinsichtlich ihres Selbstverständnisses, Weltbildes und Organisationsgrades. Zwar gibt es gemeinsame Grundpositionen aller linksextremistischen Strömungen, die eine erklärte Gegnerschaft zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat eint. Darüber hinaus besteht ein grundsätzliches Bekenntnis zu "revolutionärer Gewalt". Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Gruppierungen - etwa zu orthodoxen Kommunisten - lehnen autoNome aber einen zentralistischen Staat sowie Parteien kategorisch ab. Weltanschaulich-politisch verfolgen sie keine dogmatische Linie, sondern 365 siehe dazu ausführlich Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 366 siehe dazu ausführlich Abschnitt II.3.3.3 autoNome außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 212 LINKSExTREMISMUS verstehen sich als Fundamentalopposition und Basisbewegung. Das Weltbild der autoNomeN und deren Weltanschauung resultiert aus ihrem Selbstverständnis, welches vor allem von einer destruktiven AntiHaltung (antistaatlich, antirepressiv, antifaschistisch) geprägt ist. Deshalb haben auch deren Aktionen einen destruktiven Charakter. Jenseits von Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "herrschaftsfreien Verhältnissen" gibt es kein einigendes ideologisches Band unter autoNomeN. autonome wollen eine herrschaftsfreie "antikapitalistische" Gesellschaft Ihrem Selbstverständnis entsprechend orientieren sie sich an anarchistischen Ideologiefragmenten und wenden sich von diesem Ansatz ausgehend gegen jegliche Form von Herrschaft, Organisation und Hierarchie. Demzufolge lehnen sie die Gewaltenteilung ab, in der eine demokratisch legitimierte Mehrheit regiert und Minderheitenrechte geachtet werden. Angestrebt wird somit die Abschaffung der Demokratie. Der Weg dorthin ist jedoch nicht klar definiert. Dabei wird aber Gewaltanwendung als legitim erachtet. autoNome bekämpfen aber auch die von ihnen als "kapitalistisch" bezeichnete Gesellschaftsordnung. Ihnen geht es dabei nicht um eine moderate Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um die Abschaffung unserer Gesellschaftsordnung durch eine soziale Revolution und die Errichtung einer "herrschaftsfreien" Gesellschaft. Rolle der Gewalt Für autoNome ist Gewaltausübung sowohl zur Durchsetzung politischer Ziele als auch als Symbolhandeln zentral. Gewaltbereitschaft ist ein identitätsstiftender und prägender Bestandteil der autonomen Szene. Sie findet Ausdruck in schwersten Straftaten, die in Strategiepapieren und Diskussionen gerechtfertigt und in Symbolik verherrlicht werden. Durch ihre Gewaltgeneigtheit unterscheiden sich die autoNomeN von legalistischen Linksextremisten. autoNome sehen sich zum einen als Opfer sowohl staatlicher Gewalt als auch der des politischen Gegners. Insofern sehen sie ihre eigene Gewaltausübung als legitim an. Zum anderen gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell rechtfertigen. Dabei orientieren sich autoNome am Philosophen und Sozialwissenschaftler Herbert Marcuse, der mit seinen Ideen maßgeblich die 1968er Bewegung beeinflusste. Er sah die Ursachen für Gewalt in den "kapitalistischen Produktionsverhältnissen". Diese seien die Basis für gesellschaftliche Strukturen sowie für Institutionen und Machtverhältnisse, die schließlich eine "strukturelle" Gewalt auf ihre Bürger ausübten. Daraus leiten autoNome ein Naturrecht auf Widerstand ab und rechtfertigen damit den Einsatz von Gewalt. Vor allem in Anlehnung an Marcuses Prinzip der Gegenwehr prägte die autonome Szene den Begriff "Antirepression". Er versteht sich ausschließlich als Reaktion auf vermeintliche Gewalt des Staates, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Aufgrund dieser Orientierung herrscht in der sächsischen autonomen Szene Konsens darüber, Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik anzusehen. Gewalt zeigt sich überwiegend in Form gewalttätiger Proteste aus Demonstrationen heraus sowie in Form klandestiner Aktionen367. Im Schutz der Anonymität 367 siehe Glossar 213 und unter Wahrung eines hohen Konspirationsgrads führen kleine Gruppen Aktionen zum Schaden des politischen Gegners bzw. gegen Einrichtungen des "Repressionsapparates" durch. So positionierten sich im Jahr 2015 Akteure der Leipziger Szene folgendermaßen368: "Natürlich braucht es zur Veränderung der Gesellschaft Militanz (...)." "Wir glauben, dass gezielte und klandestine Angriffe wie das (technische) Lahmlegen der Ausländerbehörde oder das (massenhafte) Sabotieren wichtiger Infrastrukturen zielführender ist." Diese, im Jahr 2015 formulierte Position, ist nach wie vor für die linksextremistische Szene relevant. So wurden allein im Juni 2016 acht Anschläge gegen Immobilienfirmen sowie die Deutsche Bahn AG verübt. Dies zeigt, dass die Anwendung von Gewalt weiterhin einen hohen Stellenwert für die sächsische autonome Szene besitzt. Gewalttätige Aktionen Die Anwendung von Gewalt steht in engem Zusammenhang mit dem Aktionsniveau und den Aktionsformen. Im Jahr 2016 sank das öffentliche Aktionsniveau der Linksextremisten um ca. 25 % von 182 Aktionen im Jahr 2015 auf 139 im Berichtsjahr. Dies führte zu einem Rückgang gewalttätiger Aktionen im Rahmen des Demonstrationsgeschehens. Allerdings hat der Rückgang des Aktionsniveaus nicht zwingend einen Rückgang der Aktionsund Gewaltbereitschaft zur Folge. Die Aktionen der Linksextremisten waren von einem signifikanten Anstieg klandestiner Aktionen369 - um ca. 76 % von 34 im Jahr 2015 auf 60 im Jahr 2016 - geprägt. Insofern haben sich lediglich die Proportionen zwischen diesen beiden Aktionsformen (öffentliche Aktionen - klandestine Aktionen) verschoben, was zu einer Verlagerung der Gewaltaktionen vom öffentlichen Geschehen in die Anonymität führte und häufig mit einem hohen Sachschaden verbunden war. Für Linksextremisten stellen sie deshalb eine geeignete Aktionsform dar, um dem politischen Gegner erheblich zu schaden. Diese Absicht spiegelt sich auch in den Angriffszielen wider. Die Anschläge richteten sich hauptsächlich gegen den politischen Gegner sowie Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern beauftragt sind. Der Begriff des politischen Gegners wird von linksextremistischen Straftätern sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele begründet. Sie umfassen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind aber auch Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, Einrichtungen demokratischer Parteien und die Polizei. Sie verkörpern für autoNome das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates. Exemplarisch dafür stehen folgende Aktionen: * Ein Brandanschlag auf drei Dienstfahrzeuge der Polizei am 2. Oktober 2016 in Dresden im Rahmen der zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. Der Sachschaden betrug mehrere 10.000 Euro. Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 19. Dezember 2016) 368 https://linksunten.indymedia.org "[LE] Äußerungen zu den Krawallen am 5. Juni" (Stand: 18. Juni 2015) 369 siehe Glossar 214 LINKSExTREMISMUS * Ein Brandanschlag am 6. Dezember 2016 auf drei Fahrzeuge des Ordnungsamtes der Stadt Leipzig. Der Sachschaden beläuft sich auf etwa 50.000 Euro. * Ein Brandanschlag auf drei Fahrzeuge eines Autohauses am 24. August 2016 in Leipzig. Der Gesamtschaden belief sich auf etwa 280.000 Euro. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 50 40 35 30 22 2015 20 2016 15 10 10 7 5 0 Leipzig Dresden andere Regionen Maßgeblich für die Mobilisierung und das Verhalten von gewaltorientierten Linksextremisten ist die Bedeutung des Anlasses, die aufrufenden Gruppierungen und die zur Mobilisierung genutzten Medien. Gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich der linksextremistischen Grundsätze treffen, wie die Beteiligung von Rechtsextremisten an Wahlen oder als Initiatoren von Veranstaltungen sowie die Asyldebatte, können dabei verstärkend auf linksextremistische Strafund Gewalttäter wirken. Auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD), die aus Sicht der autoNomeN als Stichwortgeber und Profiteur eines vermeintlichen gesellschaftlichen Rechtsrucks in den Fokus "antifaschistischer" und "antirassistischer" Aktionen rückte, war im Jahr 2016 davon betroffen. So richteten sich sachsenweit Anschläge gegen Räumlichkeiten oder Fahrzeuge von Mitgliedern der AfD. Der Autor "Brieffreunde" begründete, warum in Leipzig wiederholt Büros, Fahrzeuge und Firmen von AfD-Politikern attackiert worden waren: "Die AfD (...) ist in Deutschland ein Sammelbecken für alle Menschenfeinde: Für konservative Rassist*innen, denen die CDU nicht rechts genug ist, für christliche Fundamentalist*innen und für klassische Neonazis bietet sie ein Plätzchen. Mit ihrem offen ausgesprochenen Nationalismus, Rassismus und Sexismus ist sie Teil eines Rechtsrucks, der gegenwärtig im ganzen Land zu spüren ist." 370 Aktionsfelder der autonomen Die Artikulierung und Vermittlung politischer Positionen in der Öffentlichkeit ist für Linksextremisten von großem Interesse. Deshalb ist die Beteiligung an bzw. Durchführung von Demonstrationen, Aufzügen oder Gegenprotesten für die autonome Szene besonders wichtig. Zwar ist im Jahr 2016 ihr öffentliches Aktivitätsniveau leicht rückläufig - mit 139 öffentlichen Aktionen sank diese Zahl gegenüber dem Vorjahr (182) um ca. 25 %. Allerdings blieb diese weiterhin auf einem hohen Niveau und wies den zweithöchsten Wert der vergangenen Jahre auf. 370 https://linksunten.indymedia.org, "[Le] Vier Anschläge auf AfD" (Stand: 25. August 2016) 215 Demonstrationen/ Aufzüge/ Gegenproteste von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen 250 200 182 150 139 102 100 40 52 50 0 2012 2013 2014 2015 2016 autoNome greifen entsprechend der politischen Lage und des politischen Diskurses Themenfelder auf und positionieren sich dazu in der Öffentlichkeit. Zu den aktuellsten Aktionsfeldern sächsischer autoNomer gehören neben dem "Antifaschismuskampf" Themen wie "Antirassismus/Asyl", "Antirepression", "Antikapitalismus", "Antisexismus" und der Kampf für "Freiräume". Welche der Aktionsfelder in der Öffentlichkeit thematisiert werden und inwieweit autoNome in der Lage sind, in diesen tätig zu werden, hängt von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. So führte bspw. die anhaltende öffentliche Diskussion über die Asylpolitik zu einem kontinuierlich hohen Aktionsniveau der autonomen Szene zu den Themenfeldern "Antirassismus/Asyl". Gleichzeitig ließ sich feststellen, dass im Berichtsjahr die Proteste gegen LEGIDA und PEGIDA durch die festen Termine eher zu "Pflichtveranstaltungen" wurden, so dass sich Teile der autonomen Szene aus den regelmäßigen Gegenprotesten zurückzogen.371 "Die Ermüdungserscheinungen sind überall spürbar und die permanente Repression bei allen Interventionen gegen die rassistischen Mobilisierungen trägt ihr übriges dazu bei, dass viele sich verabschieden oder die Pausen immer länger werden. Was fehlt sind Erfolgserlebnisse und Interventionen, aus denen neue Kraft und Mut gewonnen werden kann."372 Insbesondere mittels aktueller Problemfelder haben Linksextremisten die Möglichkeit, über ihre eigenen Gruppierungen hinaus Akzeptanz zu finden. Exemplarisch dafür steht die Kampagne "Social Center for all" in Leipzig. Diese wurde Ende 2015 durch ein Bündnis verschiedener Gruppen und Projekte, dem auch linksextremistische Gruppierungen angehören, initiiert. Die Frage der Unterbringung und Integration Quelle: 2. Oktober 2016 in Dresden, 3oct.net (Stand: 3. Oktober 2016) von Asylbewerbern wurde mit der Debatte über die 371 www.rassismus-toetet-leipzig.org, "Danke für die Blumen! Mit Asylrechts-Verschärfer*innen gegen Legida & Co.?" (Stand: 21. Oktober 2016) 372 https://inventati.org/leipzig/?p=4312, "Danke für die Blumen! Mit Asylrechts-Verschärfer*innen gegen Legida & Co.?" (Stand: 23. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 216 LINKSExTREMISMUS anhaltende Verdrängung von Menschen aus hochpreisigen Innenstadtbereichen verbunden. Es sollen Freiräume zur staatlichen Asylund Sozialpolitik geschaffen werden, die ein Aktionsfeld für verschiedenste Initiativen bieten. Damit sollen kommunale und staatliche Einrichtungen unter Zugzwang gesetzt werden. Auch interpretieren Linksextremisten nicht nur die Abschiebung, sondern auch die Registrierung von Asylbewerbern als staatliche Repression, der sie mit illegaler Unterbringung begegneten373. Umwelt und Klima Im Jahr 2016 nutzten sächsische Linksextremisten die Themen Umwelt und Klima für sich und beteiligten sich im Mai an der bundesweiten Kampagne "Ende Gelände" in der Lausitz (Brandenburg/Sachsen). Während der Protestaktionen wurden u. a. Schaufelradbagger besetzt und die Infrastruktur eines Braunkohlekraftwerks kurzzeitig gestört. Das Thema Klima rückt zunehmend in den Fokus von Linksextremisten, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nicht extremistische Spektrum bietet. Auch hier lassen sich sowohl inhaltlich, als auch über die Aktionsform des "zivilen Ungehorsams" Brücken zur globalen und zivilgesellschaftlichen Umweltbewegung bauen. Linksextremisten versuchen auch dort, als Bündnispartner wahrgenommen zu werden und die eigenen extremistischen Ziele umzusetzen. "Antifaschismuskampf" autoNome gehen davon aus, dass Faschismus und Kapitalismus in einem kausalen Zusammenhang stehen. Das ökonomische System - also Demokratie und Soziale Marktwirtschaft - bilde demnach die Ursache für den Faschismus als politische Ordnung. Aus Sicht autoNomer bedeutet der Kampf gegen den Faschismus gleichzeitig einen Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Bedeutsam erscheint es Linksextremisten, sich dem demokratischen Rechtsstaat speziell in Sachsen entgegenzustellen, da dieser als Keimzelle eines "neuen deutschen Nationalismus" betrachtet wird. So hieß es in einer Stellungnahme der nicht extremistischen Kampagne "Solidarity without limits": "(...) Sachsen ist bekannt für Angriffe auf Geflüchtete, Brandanschläge und Pegida. Die Landeshauptstadt Dresden ist zum Symbol und Ausgangspunkt der Restauration des neuen deutschen Nationalismus geworden."374 Obwohl es autoNomeN legitim und erforderlich erscheint, Rechtsextremisten auf allen Ebenen und mit allen Mitteln zu bekämpfen, grenzen sie sich von staatlichen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus ab. Deren Unterstützung würde ihrem Kampf gegen das "System" zuwiderlaufen. Aus Sicht des anarchosyndikalistischen allgemeINeN syNDIkats DresDeN (fau-DresDeN) müsse "die radikale Linke" "sich jenseits der etablierten Parteien und dem Rahmen, die der Staat und die etablierte Zivilgesellschaft vorgeben ('Protest in Hörund Sichtweite', Protestkundgebungsbullemie, SPD-Preise und Kooperation mit allem und jedem) konstituieren und reorganisieren. Das Ziel eines radikalen linken Aufbruchs sind nur in zweiter Linie die Köpfe von Legida, OfD, Thügida etcpp., sondern vielmehr staatliche Instan373 siehe Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 374 https://3oct.net/?p=380, SOLIDARITY WITHOUT LIMITS, Pressemitteilung, "PM: Stellungnahme zum 'Plakatgate' und Berichterstattung zur Mobilisierung in Leipzig vom 24. September 2016" (Stand: 18. Oktober 2016) 217 zen, die genau diesen Strukturen Auftrieb verschafft haben, die per Asylrechtsverschärfungen nationalistisch-rassistische Auslese gestärkt und solidarische Grundlagen des Zusammenlebens zerstört haben."375 Über das Themenfeld des "Antifaschismus" ist es den sächsischen autoNomeN in den letzten Jahren gelungen, Akzeptanz in der bürgerlichen Gesellschaft zu finden. Faschismus und Rechtsextremismus werden von der breiten Öffentlichkeit abgelehnt. Dadurch gelingt es autoNomeN teilweise, Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Kräften einzugehen, um gemeinsam mit diesen gegen rechtsextremistische Aktivitäten zu demonstrieren. Mittels dieser Bündnisstrategie wollen sie extremistischen Positionen Normalität verleihen und die Akzeptanz ihrer politischen Ziele fördern. Exemplarisch dafür steht die Entwicklung der Leipziger Szene. Diese schloss sich - auch aus strategischen Erwägungen - verstärkt den Demonstrationen des zivilgesellschaftlichen Lagers an und bot damit weniger Angriffsfläche für vermeintlich "repressive" Maßnahmen staatlicher Institutionen. Das - im Hinblick auf die Umsetzung der Bündnisstrategie für Linksextremisten wichtige - Bündnis "NazifreiDresden stellt sich quer", an dessen Aktionen sich Linksextremisten regelmäßig beteiligten, hat im Vergleich zu 2015 an Organisationsund Integrationskraft eingebüßt.376 "Antirassismus/Asyl" Autonomer "Antirassismus" steht in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit "Antifaschismus". Mit antirassistischen Positionen autoNomer verbindet sich stets auch fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen. Staatlichen Akteuren wird ein "institutioneller Rassismus" unterstellt, der systemimmanent sei, so bei der als "rassistisch" abgelehnten deutschen Asylpolitik. Da diese als "faschistisch" und "repressiv" angesehen wird, verknüpfen autoNome zunehmend die Themenfelder "Antirassismus/ Asyl" sowie "Antirepression" miteinander. Vor allem aufgrund der öffentlichen Debatten über die Asylthematik eröffnet sich für Linksextremisten ein Konsens mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Somit ist erklärlich, dass die Asylpolitik im Jahr 2016 auch für die sächsische linksextremistische Szene ein Thema von herausragender Bedeutung darstellte. Deshalb agierten sächsische autoNome Initiativkreis Antirassismus Leipzig, Demonstrationsaufruf, "Look back to fight forward! - Für ein aktives Gedenken an alle vorrangig in diesem Aktionsfeld; fast 75 % aller öfOpfer rechter Gewalt", Leipzig 22. Oktober 2016 fentlichen Aktionen betrafen dieses Themengebiet. Quelle: initiativkreis.blogsport.de (Stand: 7. Oktober 2016) 375 https://inventati.org/leipzig/?p=4301; Mit Asylrechts-Verschärfer*innen gegen Legida & Co.? (Stand: 7. Mai 2016, Schreibweise wie im Original) 376 https://uradresden.noblogs.org, "Ein paar Gedanken zur Strategiekonferenz von Dresden Nazifrei" (Stand: 5. Februar 2016) 218 LINKSExTREMISMUS Anzahl der öffentlichen Aktionen von Linksextremisten zum Themenfeld "Antirassismus/Asyl" 2016 im Freistaat Sachsen 160 Das Thema "Asyl" bot autoNomeN nicht nur 139 140 Anlass für öffentliche Aktionen. Es ermöglichte 120 ihnen, mit eigenen Positionen den demokrati103 100 schen Rechtsstaat zu delegitimieren und ihn als 80 "rassistisch" oder "faschistisch" zu diffamieren. Vorrangig ging es ihnen um Polemik gegen die 60 Asylpolitik der Bundesregierung oder generell 40 um die Ablehnung des demokratischen Rechts20 staates. Das zeigen exemplarisch folgende Aktio- 0 nen: Gesamt davon "Asyl" * Am 23. April 2016 beteiligten sich in Leipzig etwa 350 Personen, darunter auch autoNome, an einer Demonstration unter dem Motto "Stop Deportation - The right to stay for everybody". Ziel der Demonstration war es, auf die Situation der Asylsuchenden und auf die als "rassistisch" bezeichnete Asylpolitik der Bundesrepublik aufmerksam zu machen. Thematisiert wurde dabei auch die als "Massenabschiebung" bezeichnete Rückführung von Asylsuchenden. * Am 13. Mai 2016 beteiligten sich Linksextremisten, darunter hauptsächlich autoNome, an Protesten gegen eine Buchlesung Thilo Sarazzins in Leipzig. Dass es den Initiatoren und Akteuren nicht nur um die Person Sarrazin und dessen Buch, sondern vielmehr um Polemik gegen demokratische Parteien und den demokratischen Rechtsstaat ging, zeigte der Redebeitrag der linksextremistischen Gruppe tfIu deutlich. So äußerte der Redner: "Wir demonstrieren gegen die neoliberal gewendeten ex-Linken, die als rot-grüne Politiker-innen die kapitalistischen Zwänge in konkrete menschenverachtende Politik umsetzen." Davon ausgehend wurde als Ziel formuliert: "Wir wollen die Überwindung des Nationalstaates, der seit dem Beginn seiner globalen Verbreitung mit Abschottung, Repression und Krieg die Welt in ein Schlachtfeld verwandelt." "Antirepression" bzw. "Kampf um Freiräume" und "Gentrifizierung" Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von autoNomeN, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Er wird als ein legitimes Mittel verstanden, um die herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Das Themenfeld "Antirepression" ist für autoNome untrennbar mit dem Kampf um "Selbstbestimmte Freiräume" verknüpft. In "Freiräumen", wie etwa besetzten Häusern oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind und "selbstverwaltet" werden, wollen sie ihre Vorstellungen von einem "besseren" Leben umsetzen. Dort wird die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche "Freiräume" - wie z. B. der von autoNomeN so verstandene "Freiraum" Leipzig-Connewitz - stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der 219 von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien" Gesellschaft dar. Insofern werten sie dessen Einschränkung stets als einen Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. autoNome beanspruchen eine kulturelle Hegemonie in "ihrem" Viertel, welche häufig in einer Ausgrenzung anderer mündet. Personen, deren Wertvorstellungen nicht mit den ihren übereinstimmen, werden deshalb als "konservativ und reaktionär" abgelehnt. Auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre "Freiräume" richten, reagieren sie regelmäßig umgehend und aggressiv. So werden kommunale Baumaßnahmen mit Bezug zu den "Freiräumen" als Angriff und somit als "staatliche Repression" gewertet. Leipziger Linksextremisten besetzen zunehmend das Themenfeld "Gentrifizierung", um in der Öffentlichkeit zu agieren und sich politisch zu positionieren. Der Begriff beschreibt die soziale Umstrukturierung von Wohngegenden durch Sanierungsmaßnahmen - verbunden mit Mieterhöhungen und Räumungen - wodurch die betroffenen Gebiete häufig ihren Charakter als "Kiez" verlieren. Vor allem in Ballungsräumen und alternativ geprägten Vierteln nutzen Linksextremisten dieses Thema, um die kritische Stimmung in Teilen der Bevölkerung für ihre Zwecke zu nutzen. Allerdings wird deutlich, dass es den Akteuren nicht um den Erhalt oder die Umgestaltung sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen geht, sondern um die Schaffung selbstverwalteter "autonomer Freiräume". So nutzten autoNome geplante Sanierungen in den Leipziger Stadtteilen Plagwitz und Lindenau unter dem Motto "Soziale Kampfbaustelle - abreißen, umgraben, aufbauen" für Aktionen zwischen dem 15. und 22. August 2016. 377 "Soziale Kampfbaustelle" im August 2016 in Leipzig, Quelle: Von der Polizei festgehaltene Rechtsextremisten und Hooligans https://linksunten.indymedia.org (Stand: 24. August 2016) am 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz, Quelle: Antifaschistisches Info Blatt, "Neonazis randalieren in Leipzig Connewitz", https://www.antifainfoblatt.de (Stand: 3. Juli 2016) Nicht selten kämpft die Szene gewalttätig gegen den tatsächlich oder vermeintlich drohenden Verlust solcher "Freiräume" an. Hohes Konfliktpotenzial entsteht zudem bei Aktionen des politischen Gegners in der Nähe oder sogar durch dessen eigene "Freiräume". Die unmittelbare Konfrontation führte so am 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz zu massiven Gewaltausbrüchen zwischen Linksund Rechtsextremisten, als etwa 250 gewaltbereite Rechtsextremisten und Hooligans in Connewitz randalierten.378 377 siehe ausführlich Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 378 www.endstation-rechts.de, "Überraschung oder Krawalle mit Ansage? Hooligan-Randale in Leipzig" (Stand: 12. Januar 2016) 220 LINKSExTREMISMUS "Antikapitalismuskampf"/"Antiglobalisierung" Auch sächsische autoNome besetzten dieses Themenfeld und beteiligten sich an den bundesweiten Großdemonstrationen am 17. September 2016 gegen die Freihandelsabkommen "CETA" und "TTIP", die überwiegend von nicht extremistischen Akteuren organisiert wurden. Die regionale Mobilisierung für Leipzig übernahmen die linksextremistischen Gruppen revolutIoN leIPzIg und PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg (PrIsma-leIPzIg). Die linksextremistischen Teilnehmer nutzten die Demonstration als Plattform, um sich in der Öffentlichkeit zu positionieren. So stellten sie im Demonstrationszug den "Schwarzen Block". Dadurch konnten sie ihre weltanschaulichen Positionen in der Öffentlichkeit artikulieren und skandierten Losungen wie: "Gegen das Konstrukt aus Volk, Nation und Rasse - für uns gibt's nur eins: Klasse gegen Klasse!" und "One Solution - Revolution!". Ein weiteres Agitationsfeld von Linksextremisten bundesweit waren im Berichtsjahr globalisierungskritische Protestaktivitäten. Im Mittelpunkt der Kampagnenarbeit deutscher linksextremistischer Globalisierungskritiker standen vorwiegend die Treffen der Staatsund Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen (G7/G8). Diese wurden als Symbol eines unterstellten globalen Herrschaftsanspruchs und als verantwortlich für "neoliberale Wirtschaftspolitik, Krieg und Militarisierung, Ausbeutung, Armut und Hunger, Umweltzerstörung und Abschottung gegenüber Flüchtenden"379 angesehen. Diese Aussage umfasste damit wesentliche Aktionsund Handlungsfelder linksextremistischer Agitation. Im Jahr 2016 wurden besonders Aufrufe zur Störung des G-20-Gipfeltreffens 2017 in Hamburg festgestellt. Diese richteten sich bundesweit an Linksextremisten und wurden von der sächsischen autonomen Szene in den sozialen Netzwerken geteilt. "Antimilitarismus" autoNome sehen in der Bundeswehr eine Organisation zur Durchsetzung kapitalistischer Interessen im Ausland, die zur Erreichung ihrer Ziele vor Morden nicht zurückschreckt. Dementsprechend wird die Anwendung von zielgerichteter Gewalt gegen diese Institution als legitim angesehen. Am 8. März 2016 kam es in Leipzig zu einer Brandstiftung. Unbekannte Täter setzten mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand. Der Sachschaden belief sich auf etwa 500.000 Euro. Unter der Überschrift "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! - Militärgerät in Leipzig entsorgt!" wurde auf linksunten.indymedia.org ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht. Zu dem Anschlag bekannte sich eine "Autonome Gruppe Joachim Gauck und Ursula von der Quelle:https://linksunten.indymedia.org (Stand: 9. März 2016) Leyen". 379 Aufruf des "Stop G7"-Bündnisses anlässlich des G7-Gipfels am 7. und 8. Juni 2015 auf Schloss Elmau (Bayern) 221 Weitere Aktionsformen autoNome nutzen, um ihre Ideologie und politischen Positionen zu vermitteln, vielfältige Aktionsformen. Neben den bereits beschriebenen gewalttätigen Aktionen zählen hierzu Recherchetätigkeiten, "Outing"Aktivitäten sowie Demonstrationen. Recherchetätigkeit und "Outing"-Aktivitäten Es handelt sich um eine Aktionsform, welche die autonome aNtIfa bereits seit Jahren anwendet und deren Ziel darin besteht, Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, aus ihrem Wohnund Arbeitsumfeld zu verdrängen. Im Jahr 2016 kam es vermehrt zu diesen Aktionen. Oft sind sie die Grundlage für gewalttätige Folgeaktionen. autoNome definieren Begriffe wie Rechtsextremismus oder "Faschismus" nach eigenem Ermessen. Alle Positionen, die nicht ihren Wertvorstellungen entsprechen, werden als "nazistisch" oder reaktionär abgelehnt. Im Zuge dessen werden sowohl tatsächliche Rechtsextremisten, aber auch andere Personen als "Faschisten" oder "Nazis" bezeichnet, wenn sie nicht die Positionen der autoNomeN vertreten. So werden auch Angriffe auf Personen, die nicht in ihr Weltbild passen, legitimiert. Beim "Nazi-Outing" publizieren Mitglieder der Antifa private und personenbezogene Informationen der betroffenen Personen, wie Name, Foto, Adresse, Autokennzeichen, Arbeitgeber oder Account-Daten von sozialen Netzwerken. Die politischen Überzeugungen oder Handlungen jener Personen werden öffentlich publiziert. Dies geschieht entweder mittels Flugblättern, die in der privaten oder beruflichen Umgebung der Betroffenen verteilt werden, oder - mittlerweile sehr ausgeprägt - über die Verbreitung in Internetportalen. Ziel ist, einerseits die als "Nazis" bezeichneten Personen in der Öffentlichkeit bloßzustellen, um diese gesellschaftlich zu ächten und ihre berufliche Laufbahn zu beeinträchtigen. Andererseits legt die autonome Antifa mit ihren Veröffentlichungen die Grundlagen für "antifaschistische Selbsthilfe" - für zielgerichtete Aktionen gegen die betroffenen Personen. Elementare Persönlichkeitsrechte werden diesen bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen, da nach Auffassung autoNomer "Faschismus" keine Meinung, sondern ein Verbrechen, darstellt. Dabei werden Straftaten - auch Gewalttaten - billigend in Kauf genommen. Leipziger autoNome widmeten sich im Jahr 2016 der Recherchetätigkeit und dem "Nazi-Outing", indem sie im Internet Bilder und personenbezogene Daten Betroffener posteten. Sie initiierten zugleich die Kampagne "Rechte Netzwerke zerschlagen!" und beteiligten sich an der in ihrer Gesamtheit nicht extremistischen Kampagne "a monday without you"380. Im Aufruf von "a monday without you" hieß es: "Wir haben nach mehr als einem Jahr PEGIDA/LEGIDA keine Lust mehr, ein Spiel aus rassistischen Aufmärschen und Gegenprotest zu spielen. Der rassistische Mob ist immer eine diffuse Masse von individuellen RassistInnen, die die Gelegenheit und den Mangel an Widerstand ausnutzen. Daher wollen wir ihnen den Schutz der Masse nehmen und sie direkt mit ihren menschenverachtenden Einstellungen und Taten konfrontieren." 381 380 siehe Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 381 https://www.inventati.org/leipzig/?page_id=4222, "a monday without you: Rassismuszone Sorglosland - Nicht mit uns!" (Stand: 21. Oktober 2016) 222 LINKSExTREMISMUS Quelle: https://mondaywithoutyou.noblogs.org Quelle: https://mondaywithoutyou.noblogs.de (Stand: 3. November 2016) (Stand: 6. September 2016) Ziel der Antifa-Kampagne "Rechte Netzwerke zerschlagen!" war z. B. die Kampfsportveranstaltung "Imperium Fighting Championship" in Leipzig. Im Vorfeld der Kampfsportveranstaltung kam es zu teils massiver Gewalt. Diese richtete sich gegen Vorverkaufsstellen in Leipzig, Dresden, Taucha und Borna und sollte rechte Netzwerke bzw. "Bandenstrukturen" in Leipzig offenlegen. Weiterhin wurden Fahrzeuge eines Autohauses in Brand gesetzt und der Inhaber als Sponsor des Sportereignisses bezeichnet, der mit Nazis Geschäfte mache.382 Demonstrationen Bei dieser Aktionsform ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete und teilnehmerstarke Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen unter Beteiligung von Nichtextremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich autoNome in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Zur Begehung von Straftaten kommt es allenfalls im weiteren zeitlichen und räumlichen Umfeld der Demonstrationen, da polizeiliche Maßnahmen gegen die Demonstration vermieden werden sollen. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt und wie groß der Spielraum dafür für Linksextremisten ist, hängt einerseits vom Kräfteverhältnis zur Polizei, andererseits aber auch von der Distanz oder Toleranz des bürgerlichen Spektrums gegenüber der Anwendung von Gewalt ab. Im Gegensatz hierzu entwickeln nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führen. Vor allem solche entsprechen dem Selbstverständnis autoNomer und werden häufig als Reaktion auf "repressive" staatliche Maßnahmen durchgeführt.383 382 https://www.inventati.org/leipzig/?page_id=4403, "Die unpolitische Maske entrissen: Interview mit der Kampagne 'Rechte Netzwerke zerschlagen!'" (Stand: 8. September 2016) 383 siehe Abschnitte II.3.3.1 autoNome in Leipzig und II.3.3.2 autoNome in Dresden 223 3.3.1 autonome in Leipzig Leipzig ist nach wie vor die Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene und auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt. Mit ca. 250 Personen gehört über die Hälfte der sächsischen autoNomeN (in Sachsen gesamt: ca. 425 Personen) der Leipziger Szene an. Im bundesweiten Vergleich ist Leipzig - mit quantitativem und qualitativem Abstand - nach Berlin und Hamburg ein weiterer Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Die Entwicklung der Szene in Leipzig wurde durch vier wesentliche Faktoren geprägt, die in engem Zusammenhang stehen: * Bemühungen der autonomen Szene um Kontakte und Zusammenarbeit mit Akteuren der Zivilgesellschaft und Beteiligung an Bündnisdemonstrationen - eine solche Initiative für eine Bündnispolitik, die über die eigene Klientel hinausreicht, ging vor allem von den Gruppen PRISMA-IL Leipzig und the future Is uNwrItteN aus, * Rückgang von Gewaltaktionen im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen, * deutlicher Anstieg klandestiner Aktionen384 außerhalb und unabhängig vom Demonstrationsgeschehen und * zunehmende Bedeutung des Themenfeldes "Gentrifizierung", welches die Möglichkeit von dauerhaften Bündnissen zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten eröffnet. Öffentliches Aktionsniveau Das öffentliche Aktionsniveau der Leipziger autoNomeN ist um ca. 31 % zum Jahr 2015 zurückgegangen, bewegt sich aber nach wie vor auf einem hohen Niveau. Die Beteiligung autoNomer an 40 Aktionen wies im Vergleich der vergangenen fünf Jahre den zweithöchsten Wert auf. Die hohe Zahl ist auf die große personelle Stärke der Leipziger Szene zurückzuführen. Demonstrationen/ Aufzüge/ Gegenproteste von bzw. mit Beteiligung von autonomen in Leipzig 80 60 58 40 40 36 25 20 9 0 2012 2013 2014 2015 2016 Der Rückgang erklärt sich dadurch, dass die öffentlichen Aktionen der linksextremistischen Szene zum Großteil Gegenproteste waren. Da die Aufzüge der LEGIDA seit Dezember 2015 rückläufig waren, sank dementsprechend auch die Anzahl entsprechender Protestaktionen im Jahr 2016. 384 siehe Glossar 224 LINKSExTREMISMUS Entwicklung, Verlauf und Formen öffentlicher Aktionen Die bündnispolitische Orientierung von Teilen der linksextremistischen Szene hatte Auswirkungen auf den Verlauf der Demonstrationen. Die Bündnispolitik ist ein taktisches Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen und nimmt Einfluss auf die Wahl der Aktionsformen, die für die Umsetzung dieser Absicht geeignet sind. Aktionen gegen Aufzüge der LEGIDA Die Proteste der linksextremistischen Szene gegen Veranstaltungen der LEGIDA waren von einem Strategiewechsel gekennzeichnet. Das "dezentrale Konzept" und "die Kleingruppentaktik"385 des Jahres 2015 spielten bei den Protestaktionen keine Rolle mehr. Stattdessen schlossen sich Linksextremisten wieder Demonstrationen der Zivilgesellschaft an. Dieser Strategiewechsel wirkte sich auf den Verlauf der Gegenproteste aus. So gingen Intensität und Schärfe der Aktionen gegen LEGIDA deutlich zurück. Waren die Proteste gegen LEGIDA vor allem in der ersten Jahreshälfte 2015 noch von massiven Strafund Gewalttaten gegen Demonstranten und Polizisten sowie Brandanschlägen auf Bahnanlagen geprägt, so verliefen diese seit Anfang 2016 nahezu störungsfrei. Hierbei ist auch das Kräfteverhältnis der Demonstrationsteilnehmer zu berücksichtigen: Es beteiligten sich am 7. März 2016 ca. 1.000 Personen an einer Demonstration gegen LEGIDA, davon 50 bis 100 autoNome. Dadurch war der Aktionsradius der linksextremistischen Akteure stark eingeschränkt. Die Proteste fanden in Hörund Sichtweite zu den LEGIDA-Aufzügen statt und beschränkten sich auf verbale Auseinandersetzungen oder Sitzblockaden wie am 2. Mai 2016, die jedoch durch die Einsatzkräfte der Polizei unterbunden wurden. Gezielte Angriffe auf Einzelpersonen der LEGIDA-Bewegung wurden dagegen unvermindert und mit großer Brutalität fortgesetzt. Diese Angriffe erfolgten weitab vom Demonstrationsgeschehen und zum Teil auch außerhalb von Leipzig. Exemplarisch dafür sind folgende Aktionen: * Am 31. März 2016 setzten unbekannte Tatverdächtige in Wurzen (Landkreis Leipzig) das Fahrzeug der Lebensgefährtin des ehemaligen LEGIDA-Chefs in Brand. * Am 4. Juli 2016 überfielen fünf vermummte Personen einen LEGIDA-Ordner an seinem Wohnhaus in Böhlen (Landkreis Leipzig) nach dessen Rückkehr von einer Demonstration. Das Opfer wurde schwer verletzt. 385 Das "dezentrale Konzept" wird zur gewalttätigen Verhinderung bzw. größtmöglichen Behinderung von Aktionen des politischen Gegners angewandt. Ziel dieses Konzeptes ist es, in Kleingruppen Demonstrationen oder Kundgebungen des politischen Gegners anzugreifen bzw. deren Teilnehmer an der Anoder Abreise zu hindern. Die einzelnen Gruppen werden dabei durch eine zentrale Stelle mittels Mobilfunk oder Internet (offene sowie interne Ticker) fortlaufend über die Demonstrationslage und mögliche Angriffsziele informiert und von einem "Infobüro" gesteuert. Die Entscheidung über die Intensität der angewendeten Mittel und die Auswahl des Zieles obliegt dabei den einzelnen Gruppen. Bestandteile des "dezentralen Konzepts" sind zudem die Voraufklärung sowie die Recherche mittels Fahrradkurieren und motorisierter Patrouillen sowie das Abhören des Polizeifunks während der Aktionen. Die für die Umsetzung des "dezentralen Konzeptes" notwendigen Anforderungen an die logistische Struktur und kommunikative Vernetzung werden von der autonomen Szene gerade bei personeller Schwäche nicht immer erfüllt. In diesen Fällen erfolgen Störungen von Veranstaltungen des politischen Gegners nach der "Kleingruppentaktik". Hierbei schließen sich gewaltbereite Linksextremisten zu kleinen Gruppen zusammen, um polizeiliche Kontrollen zu umgehen und einzelne Gegner während der Veranstaltung oder bei ihrer Anund Abreise anzugreifen. Im Unterschied zum "dezentralen Konzept" agieren diese Gruppen weitgehend ohne zentrale Anleitung und Voraufklärung. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen bzw. Gruppenmitgliedern erfolgt mittels Mobilfunk oder Internet. 225 Bei der Anwendung dieser Aktionsform gehen Linksextremisten offenbar davon aus, dass auf die Bündnispartner keine Rücksicht genommen werden müsse, da diese sich von den gezielten Angriffen auf den politischen Gegner aus deren Sicht nicht nennenswert distanziert hatten. Strategiediskussion in der Leipziger Szene Der Strategiewechsel löste eine Debatte in der Leipziger Szene aus. Es bildeten sich in der Folge sowohl ein konfrontativ orientiertes als auch ein bündnispolitisch orientiertes Lager heraus. Positionen des konfrontativen Lagers: 1. Aufgabe der Bündnispolitik und Durchführung eigener Aktionen unabhängig von der Zivilgesellschaft "Die radikale Linke muss sich jenseits der etablierten Parteien und dem Rahmen, die der Staat und die etablierte Zivilgesellschaft vorgeben ('Protest in Hörund Sichtweite', Protestkundgebungsbullemie, SPD-Preise und Kooperation mit allem und jedem) konstituieren und reorganisieren." 386 2. Erweiterung der Protestziele "Das Ziel eines radikalen Aufbruchs sind nur in zweiter Linie die Köpfe von LEGIDA, OfD, Thügida etcpp, sondern vielmehr staatliche Instanzen, die genau diesen Strukturen Auftrieb verschafft haben." 387 3. Neuformierung der autonomen aNtIfa "Es braucht Reorganisation und Kooperation der Kräfte, die bedingungslos gegen Nationalismus, Rassismus und vor allem Politiken der sozialen Exklusion stehen." 388 Positionen des bündnisorientierten Lagers: Die Vertreter dieses Lagers begründeten die Bündnispolitik unverhohlen mit taktischen Notwendigkeiten. Das Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Kräften bei Demonstrationen soll im Wesentlichen zwei Funktionen erfüllen: 1. Schutzfunktion und 2. Werbefunktion. Diese zwei taktischen Funktionen hob ein Diskutant in seiner Argumentation deutlich hervor: "Solche Gegenveranstaltungen haben sich aber in zweierlei Hinsicht als erfolgreich erwiesen: Zum einen boten sie häufig versammlungsrechtlichen Schutz und damit zumeist sichere Ausgangslagen für Gegenproteste (...). Ein breiter Gegenprotest ist eben immer auch ein Ort der einen ersten Zugang für all jene bieten kann, die sich noch nicht in der aktiven Antifaszene eingefunden haben und dennoch interessiert sind." 389 386 https://linksunten.indymedia.org/de/node/178525 (Stand: 7. Mai 2016; Schreibweise wie im Original) 387 ebd., Schreibweise wie im Original 388 ebd., Schreibweise wie im Original 389 ebd., Schreibweise wie im Original 226 LINKSExTREMISMUS Beteiligung von Linksextremisten an Kampagnen und Aktionsbündnissen Kampagnen sind zeitlich begrenzte Aktionen, die ein klar definiertes Ziel besitzen. Dieses soll durch ein geplantes und koordiniertes Zusammenwirken der beteiligten Akteure erreicht werden. Linksextremisten biete sich so die Gelegenheit, Einfluss auf das zivilgesellschaftliche Potenzial auszuüben oder dieses zu dominieren. Aktionen, der in ihrer Gesamtheit nicht extremistischen Kampagne "a monday without you", zeigten auf, wie Linksextremisten deren Mobilisierung und Aktivitäten zunehmend beeinflussten. Die Kampagne richtete sich gegen LEGIDA und "rechte Strukturen" in Leipzig. Im Kampagnenaufruf hieß es: "Diese Realität bekämpfen wir und überlassen den RassistInnen, Nazis und Rechten kein Haus, keine Straße, keinen Kiez". Der Aufruf schloss mit einer oft benannten Forderung, die Linksextremisten erheben: "All ihre Strukturen gehören zerschlagen. (...) Das heißt: Auf allen Ebenen - mit allen Mitteln." Diesem Ziel dienten die Veranstaltungen am 2. Mai 2016 und am 4. Juli 2016, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Am 2. Mai 2016 entschieden sich die linksextremistischen Akteure bewusst dafür, die Demonstration im Stadtteil Gohlis durchzuführen. Laut Aufruf richtete sich ihr Protest nicht nur gegen LEGIDA, sondern gleichzeitig sollte auf die lokale "Naziszene" aufmerksam gemacht werden. Gohlis sei in den vergangenen Jahren vermehrt Aktionsort "rassistischer Bürgerinitiativen, der NPD und der 'Offensive für Deutschland'" gewesen. Einen noch deutlicheren Einfluss von Linksextremisten wurde bei den Protesten am 4. Juli 2016 in Leipzig ersichtlich. So erfolgte die Mobilisierung hauptsächlich auf: * Internetportalen, die auch von Linksextremisten genutzt werden: linksunten.indymedia.org, leftaction und inventati.org/leipzig und * Internetseiten der linksextremistischen Gruppierungen the future Is uNwrItteN (tfIu), PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg und aNtIfa kleIN-ParIs. An der Demonstration nahmen die linksextremistischen Gruppierungen the future Is uNwrItteN und revolutIoN leIPzIg teil. Linksextremisten übten durch Redebeiträge Einfluss auf die Veranstaltung aus, indem sie deren Inhalt bestimmten. So hielt die linksextremistische Gruppe tfIu eine Rede zum Thema "Völkischer Nationalismus und rechter Vormarsch". In dieser spannte die Gruppe den Bogen vom geplanten Einheitsdenkmal, welches eine "Lobrede, auf das Erstarken eines geeinten Nationalbewusstseins" sei und "rassistisches, ausgrenzendes und nationalistisches Verhalten" fördere hin zur Kritik an der Verschärfung der Asylgesetze. Ursächlich verantwortlich für die Verbreitung nationalistischen Gedankengutes in der breiten Gesellschaft sind - tfIu zufolge - die für die Gesetzesverschärfungen verantwortlichen beteiligten Parteien, die mit ihrer Parteipolitik eine nationalistische Praxis legitimierten. Die Aufrufe und der Verlauf der Aktionen zwischen Mai und Juli 2016 zeigten, dass bei der Kampagne zunächst die Information im Vordergrund stand; es sollten bestimmte politische Meinungen zu einem Thema oder Problem verbreitet werden. 227 Dies änderte sich ab dem 1. August 2016. Die Kampagne "a monday without you" wandelte sich zunehmend zu einer Imagekampagne, deren Ziel darin bestand, die öffentliche Meinung über eine Organisation oder Person negativ zu beeinflussen. Vor allem die Änderung der Zielstellung weist auf einen zunehmenden Einfluss von Linksextremisten hin. Denn die Aktionen waren nunmehr eine Form des öffentlichen "Outings", was einer klassischen Aktionsform der autonomen Szene entspricht. Dies zeigte sich exemplarisch am 1. August 2016 bei einer Aktion gegen ein Bekleidungsgeschäft. Ziel war es, auf eine als "rechtsradikal" bezeichnete Bekleidungsmarke hinzuweisen. Außerdem war man, dem Aufruf zufolge, mit dieser Aktion an einem weiteren Ort präsent, an dem "Rassist*innen von LEGIDA ihre ekelhafte Hetze verbreiten". Am Lautsprecherwagen war ein Transparent mit der Aufschrift "Rechte Netzwerke zerschlagen" angebracht und es wurden Schilder u. a. mit Aufschriften wie "Staat, Nation, Kapital = Scheiße" und "Gegen rechten Lifestyle" gezeigt. Die Veröffentlichung und Verbreitung privater und beruflicher Adressund Personendaten dienten dazu, die Anhänger des gegnerischen politischen Lagers bloßzustellen und ein Bedrohungsszenario gegenüber Personen oder Firmen aufzubauen. So wurde am 5. September 2016 in unmittelbarer Nähe der Kanzlei eines Rechtsanwaltes, der LEGIDA und die NPD anwaltlich vertreten hatte, eine Kundgebung abgehalten. Ein Redebeitrag über die Tätigkeiten des Anwaltes endete mit dem Aufruf: "Die Befreiung der Gesellschaft hat die Überwindung reaktionärer Ideologien zur Voraussetzung. Dafür ist es notwendig rechte Infrastruktur aufzudecken und zu zerschlagen! Keine Ruhe für rechte Netzwerker! Nazis aus der Deckung holen!". Das "Outing"390 verdeutlicht, dass es den Akteuren nicht allein um den Protest gegen Inhalte und Ziele der LEGIDA-Demonstration ging, sondern um die öffentliche Bloßstellung einer Person, die der "rechten Szene" zugeordnet wird. Das Ziel solcher Aktionen besteht darin, diese Personen gesellschaftlich zu ächten, einzuschüchtern und ihre berufliche Laufbahn zu beeinträchtigen. Gleichzeitig wird dadurch die Grundlage für die Demonstration am 5. September 2016 in Leipzig Quelle: https://linksunten.indymedia.org; Ausschnitt "antifaschistische Selbsthilfe", also für zielgerich(Stand: 7. September 2016) tete Aktionen, gegen die betroffenen Personen geschaffen. Indem das "Outing" öffentlich in Form von Demonstrationen und Kundgebungen betrieben wird, ist die Wirkung - vor allem auf das unmittelbare private und berufliche Umfeld der Personen - größer, als bei einer Veröffentlichung auf linksextremistischen Internetseiten. 390 siehe Abschnitt II.3.3. autoNome 228 LINKSExTREMISMUS Einen massiven Einfluss übten Linksextremisten auf das Aktionsbündnis "Rechte Netzwerke zerschlagen - Gegen die Imperium Fighting Championship " aus. Im Unterschied zur Kampagne "a monday without you" waren die "Outing"-Aktionen mit Strafund Gewalttaten gekoppelt. Exemplarisch dafür war die Protestaktion am 27. August 2016 gegen eine Veranstaltung des "Imperium Fighting Championship". Der Einfluss der Szene auf das Aktionsbündnis zeigte sich: 1. in der Mobilisierung Tonangebende linksextremistische Gruppen wie aNtIfa kleIN ParIs (akP), the future Is uNwrItteN, sowie die uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa (ura DresDeN) mobilisierten maßgeblich für die Protestaktion am 27. August 2016. Flankiert wurde dies mit Aufrufen auf den Leipziger Internetseiten inventati.org und leftaction. Die Mobilisierung bot auch gewaltorientierten Teilnehmern eine Plattform. 2. im Inhalt des Aufrufes Aus Sicht des Aktionsbündnisses handelte es sich bei dem Ausrichter der Kampfsportveranstaltung nicht um einen unpolitischen Verein, sondern vielmehr um ein "ganzes Neonazi-Netzwerk, welches Kampfsport einerseits erfolgreich vermarktet, andererseits aber diesen auch gezielt außerhalb sportlicher Wettkämpfe anwendet". Außerdem wolle man nicht hinnehmen, dass "Neonazis ein Großevent nur wenige hundert Meter vom Ort der Angriffe im Januar entfernt durchführen". 3. in der Strategie Neben der Demonstration sollten mit der politischen Kampagne bereits im Vorfeld "rechte Netzwerke" aufgedeckt und "ins Fadenkreuz der Kritik" genommen werden. Das politische Ziel war deren "Zerschlagung". 4. durch Strafund Gewalttaten im Zusammenhang mit dieser geplanten Aktion Am 21. Juli 2016 wurden Sachbeschädigungen an Vorverkaufsstellen des "Imperium Fighting Championship" in Leipzig, Dresden, Taucha (Nordsachsen) und Borna (Landkreis Leipzig) festgestellt. Ein sich "161"391 nennender Autor veröffentlichte auf linksunten.indymedia.org ein Tatbekenntnis unter dem Titel "[DD/LE] Imperium VVK-Stellen besucht". Am 24. August 2016 wurden auf dem Außengelände eines Leipziger Autohauses drei Fahrzeuge in Brand gesetzt. Durch die Hitzeeinwirkung wurden mindestens vier weitere Fahrzeuge beschädigt. Der Gesamtschaden belief sich auf etwa 280.000 Euro. Das Tatbekenntnis beinhaltete den als Drohung zu verstehenden "Hinweis an die anderen Sponsoren", dass es sich "eventuell nicht lohnt sich mit Nazis auf Geschäfte einzulassen". 5. im Verlauf der Protestaktion Während der Demonstration zeigte sich, dass zumindest ein Teil der etwa 1.000 Demonstranten konfrontativ ausgerichtet war und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner provozierte. 391 Die Zahlenfolge steht offensichtlich für die Stelle der Buchstaben im Alphabet und damit für die Buchstabenkombination AFA = Antifaschistische Aktion. https://linksunten.indymedia.org/de/node/185663, "[DD/LE] Imperium VVK-Stellen besucht" (Stand: 22. Juli 2016) 229 Als sich etwa 100 Personen zu vermummen begannen, trennte die Polizei die beiden Lager, so dass es bei verbalen Auseinandersetzungen blieb. Bündnisse zum Themenfeld "Gentrifizierung" Das Thema "Gentrifizierung" hat sich zu einem wichtigen Aktionsfeld der Leipziger linksextremistischen Szene entwickelt, mit dem sie sich in der Öffentlichkeit politisch positioniert und entsprechend agiert. Durch die Thematisierung von Mietpreiserhöhungen und Sanierung von Wohnhäusern eignet sich dieses Themenfeld besonders für eine Verankerung der Linksextremisten in der Zivilgesellschaft. Dabei wurde deutlich, dass die Unterstützung dafür über die eigene Klientel hinausreicht. Exemplarisch ist die nicht extremistische Kampagne "Social Center for all", die bereits Ende 2015 einsetzte sowie die Aktion "Soziale Kampfbaustelle" im August 2016. "Social Center for all" 392 Die Kampagne "Social Center for all" wurde Ende 2015 durch ein Bündnis verschiedener Gruppen und Projekte - darunter auch linksextremistische Gruppierungen - initiiert. Dieses Bündnis nimmt die Errichtung eines "Sozialen Zentrums" in der Stadt für sich in Anspruch. Ziel der Kampagne Mit der Bildung von "Social-Centers" soll die Grundlage für ein "selbstbestimmtes Leben" unabhängig und außerhalb des Staates geschaffen werden. In dem Artikel "Welcome to stay heißt Wohnraum für Alle" wurde das perspektivische Ziel, welches - ungeachtet jeglicher legitimer Sicherheitsinteressen des Staates - auf eine unabhängige Selbstverwaltung hinausläuft, formuliert: "Egal auf welchem Weg selbstverwaltete soziale Zentren für Geflüchtete - und allen anderen Bedürftigen! - letztlich zustande kommen: Ihre Durchsetzung ist eine konkrete Möglichkeit, in der aktuellen Situation praktische Solidarität und strategische Orientierung zu verknüpfen. In solchen Zentren lässt sich zumindest in Teilen vorwegnehmen, was langfristig das Ziel sein muss: (...) die Selbstverwaltung dieser Strukturen durch alle Beteiligten (...)." 393 Da hierzu bisher keine kontroversen Positionen geäußert wurden, kann davon ausgegangen werden, dass innerhalb des Bündnisses Konsens herrscht. So äußerte sich einer der Besetzer der ehemaligen Führerscheinstelle am 5. und 6. März 2016 in einem Interview zum Zweck der "Social Centers": "Prinzipiell wollen wir keine Aufgaben des Staates übernehmen. Wir wollen einen Ort des gesammelten Protests, vor allem für Geflüchtete bieten. Und das frei und nicht vom Staat kontrolliert." 394 Ebenso wurde in dem Beitrag "Für ein soziales Zentrum für alle! Die Häuser denen, die sie brauchen!" die Absicht formuliert, die Insassen dieser Häuser staatlicher Kontrolle zu entziehen und illegal aufhältige Asylbewerber darin unterzubringen. 392 Alternativschreibweise "Social Center 4 all" 393 www.interventionistische-linke.org/beitrag/welcome-stay-heisst-wohnraum-fuer-alle (Stand: 30. Dezember 2016, Schreibweise wie im Original) 394 kreuzer-leipzig.de "Interview mit einem Besetzer" (Stand: 7. März 2016) 230 LINKSExTREMISMUS "Für eine langfristige Perspektive und ein solidarisches Miteinander werden wir gemeinsam ein Zentrum für Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen schaffen! Deshalb brauchen wir einen Ort: * den alle Menschen selbst gestalten und über den sie selbst bestimmen können, fernab von jeglicher Verwaltung durch Behörden oder Wachdienste! * an dem Menschen mit und ohne Papiere nicht getrennt werden! (...)" 395 Funktion der "Social Centers" Die "Social Centers" besitzen für Linksextremisten eine wichtige Basisfunktion, da von diesen selbstverwalteten Objekten Widerstand gegen den Rechtsstaat organisiert werden kann. So ist es für die linksextremistische Gruppe PrIsma wichtig, "(...) aus den antifaschistischen Abwehrkämpfen in eine soziale Offensive zu kommen. Ein soziales Zentrum für alle ist mehr als eine schöne Utopie - es ist ein Ort des Widerstandes. Wir haben nun die Chance, diesen zu gestalten." 396 Strategie und Aktionen Die Aktionsform sowie der Verlauf der Aktionen stehen in engem Zusammenhang mit der Strategie. Die wesentliche Grundlage für die mitteloder längerfristige Umsetzung der Zielstellung sehen die Akteure in der "Schaffung einer breiten Massenbasis". Diese Basis soll schließlich das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft zugunsten der Kampagne "Social Center for all" verändern. Die gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen, die von einer Verschärfung der Asyldebatte geprägt sind, sehen sie als eine wichtige Grundlage und günstige Ausgangsposition dafür an. So forderten sie: "Damit diese Perspektive Realität werden kann, müssen wir alle (...) stärker als bisher versuchen, die jetzige, offene Situation zu nutzen, um Druck aufzubauen und Kräfteverhältnisse zu verschieben - damit (...) der Ausgangspunkt für eine andere und solidarische Gesellschaft wird." 397 Für die Mobilisierung und Schaffung einer breiten Massenbasis wurde das Kernziel der Kampagne in der Öffentlichkeit nur sehr zurückhaltend formuliert. Das zeigte sich deutlich in der Position eines Hausbesetzers vom 5./6. März 2016. Er antwortete auf die Frage, ob ein "Social Center for all" ein antikapitalistisches Zentrum werden solle: "Die Dinge können halt nicht voneinander getrennt werden. Aber wir diskutieren bei jedem Workshop, wie wir diesen Ruf umgehen, um in der breiten Gesellschaft anzukommen." 398 395 https:/linksunten.indymedia.org/de/node/162896 (Stand: 21. Dezember 2015) 396 http://prisma.blogsport.de/2016/03/05/social-center-fuer-alle-besetzt-jetzt-druck-machen/ (Stand: 5. März 2016) 397 www.interventionistische-linke.org/beitrag/welcome-stay-heisst-wohnraum-fuer-alle (Stand: 30. Dezember 2016, Schreibweise wie im Original) 398 kreuzer-leipzig.de "Interview mit einem Besetzer" (Stand: 7. März 2016) 231 Aktionsform Aktionsform der Kampagne war die Besetzung von Häusern. Damit wurde nicht in erster Linie das Ziel verfolgt, die besetzten Objekte für ein "Social Center" zu nutzen, sondern es sollte Druck auf die Kommunalpolitik ausgeübt werden und diese so zum Handeln gedrängt werden. Am 5. und 6. März 2016 besetzten so etwa 20 Personen die ehemalige Führerscheinstelle des Ordnungsamtes Leipzig. Die Taktik der Gruppe PrIsma und die Rolle der Hausbesetzungen für die Umsetzung des Kernziels "Bündnispolitik" wurden in der Diskussion zwischen Besetzern und Vertretern der Stadt am 7. März 2016 sichtbar. Der Kompromiss zwischen den Parteien bestand darin, dass die Stadtverwaltung geeignete Räume zur Verfügung stellt und sich die Kampagne in die Rechtsform eines Vereins umwandelt. Diesen Kompromiss begründeten die Besetzer in einem am 13. März 2016 veröffentlichten Positionspapier mit dem "Kräfteverhältnis". So wird Besetzung der ehemaligen Führerscheinstelle in Leipzig Quelle: facebook.com/pages/Prisma-Leipzig eingeschätzt, dass aufgrund der "herrschenden (Stand: 7. März 2016) Machtverhältnisse der "Staat binnen kurzer Zeit eine Besetzung räumen kann."399 Man habe deshalb - so die Autoren weiter - "(...) sich entschlossen, den Kampf um die Öffentlichkeit aufzunehmen, und zu versuchen, dieser zu vermitteln, wie ein Social Center aussehen könnte und welchen Zwecken es dienen soll." Weiterhin schätzten sie ein, dass sich solch eine Einrichtung - aufgrund der aktuellen Kräfteverhältnisse - nicht durch besondere Entschlossenheit oder Militanz erreichen lasse, sondern nur auf Grundlage einer Massenbasis. Schließlich hätten sich die taktischen Mittel an den objektiven Bedingungen zu orientieren. So argumentierten die Verfasser: "Daran haben sich auch die Methoden zu messen. Eine Torte für den Bürgermeister überrascht all jene, die von der radikalen Linken die immer gleichen Gesten und Symbole erwarten, sie macht es schwierig, uns öffentlich dort zu platzieren, wo unsere Gegner_innen uns sehen wollen. Das macht sie zu einem effektvollen Mittel.".400 Insofern verfolgten die Aktivisten eine Politik bzw. Taktik des "fortiter in re, suavita in modo" (stark in der Sache, milde in der Art). Mit solchen Aktionen können Linksextremisten maßgebliche Akzente in der Öffentlichkeit setzen. Da sie in ihrer Agitation das "Recht auf Stadt" sowohl mit leerstehendem Wohnraum und niedrigen Mieten als auch mit der notwendigen Unterbringung von Asylbewerbern verknüpfen, können sie auf ein breiteres Unterstützerfeld hoffen. 399 http://de.indymedia.org/node/8794 (Stand: 14. März 2016) 400 ebd. 232 LINKSExTREMISMUS "Soziale Kampfbaustelle" Geplante Sanierungen in den Leipziger Stadtteilen Plagwitz und Lindenau veranlassten linksextremistische Akteure zu einer Aktionswoche vom 15. bis 22. August 2016 unter dem Motto "Soziale Kampfbaustelle - abreißen, umgraben, aufbauen" aufzurufen. Im Aufruf wurde deutlich, dass es den Initiatoren nicht um den Erhalt oder die Umgestaltung sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen ging, sondern um die Schaffung selbstverwalteter autonomer Freiräume. So forderten die Verfasser: "Das Viertel soll nicht schöner werden, sondern widerstandsfähiger." 401 Mit diesen Freiräumen soll die Grundlage für eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse geschaffen werden. "Kommt vorbei und grabt mit uns die Verhältnisse um, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen."402 Um dies umzusetzen müsse man - so die Autoren - "(...) Wege aus dem Kapitalismus suchen und sie umsetzen. Wir wollen Strukturen schaffen und Verhaltensweisen erlernen, die es uns ermöglichen, widerständig und revolutionär zu handeln. (...) Dafür müssen wir die herrschenden Eigentumsverhältnisse auflösen." 403 Dass die Verfasser in ihrem Aufruf auf die Schaffung von anarchistischen Freiräumen jenseits der Rechtsstaatlichkeit abzielen, zeigte sich in der Feststellung "Wir brauchen keine Vormundschaften, keine Überwacher und Verwalter. Wir wollen keine Herrscher und keine Anführer." 404 Während der Aktionswoche nahmen etwa 50 bis 60 Personen täglich an den Informationsund Diskussionsveranstaltungen teil. Das weist auf ein überdurchschnittliches Interesse sowohl an den im Aufruf formulierten Zielen als auch an der Aktion selbst hin. Die Protagonisten betrachteten das Camp als ihren selbstverwalteten Freiraum, in dem keine behördlichen Regeln zu befolgen seien. Einem Bericht beteiligter Akteure zufolge wurde die Aufforderung des Ordnungsamtes, dass Camp abzubauen und die Veranstaltung ordnungsgemäß anzumelden, mit der Begründung verweigert: "Die Gemeinflächen, die wir nutzen, gehören denen, die hier wohnen - und nicht dem Ordnungsamt." 405 Aus Protest gegen Ordnungsamt und Polizei wurde die Aktion am 15. August 2016 spontan als Kundgebung bis 24 Uhr deklariert. Auch in den darauffolgenden Tagen hielten die Akteure das Areal in Plagwitz besetzt. Insofern stellte die "Soziale Kampfbaustelle" - zumindest für die Zeit zwischen dem 15. und 22. August 2016 - einen selbstverwalteten Freiraum dar, da man gegenüber den Ordnungsbehörden die eigenen Regeln durchsetzte und deren Anordnungen ignorierte. Gewaltaktionen, vor allem klandestine Aktivitäten406 Trotz Rückgangs ihrer öffentlichen Aktionen waren Leipziger Linksextremisten nicht weniger aktionsbereit. Vielmehr setzten sie im Jahr 2016 verstärkt auf klandestine Aktionen, was zu einem signifikanten Anstieg dieser Aktionsform um 59 % (2015: 22; 2016: 35) führte. Taktisch setzten die Akteure auf das Überraschungsmoment und die Anonymität. Dadurch wurde für die Aktivisten das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Insofern hat sich in Leipzig lediglich das Ver401 http://aufbauen.blogsport.eu/das-camp/einladung/ (Stand: 11. November 2016) 402 ebd. 403 ebd. 404 ebd. 405 linksunten.inymedia.org/de/node/188276 (Stand: 25. August 2016) 406 siehe Glossar 233 hältnis zwischen den beiden Aktionsformen (öffentliche Aktionen - klandestine Aktionen) verschoben. Gewaltaktionen wurden nun weniger öffentlich, sondern vermehrt im Schutze der Anonymität begangen. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 50 40 35 30 22 20 2015 15 2016 10 10 7 5 0 Leipzig Dresden andere Regionen Der größere Stellenwert, den klandestine Aktionen für Leipziger Linksextremisten besitzen, zeigte sich aber auch durch eine neue Qualität bei Straftaten gegen den politischen Gegner. So ging einigen Aktionen eine umfangreiche Recherche zu den Anschlagszielen voraus. Entsprechend der weiten Auslegung des Begriffs "politischer Gegner" lassen sich drei große Gruppen definieren, gegen die sich die Aktionen der Linksextremisten richteten: 1. Aktionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten Im Jahr 2016 ging diesen Aktionen eine umfangreiche Recherche voraus, insbesondere bei Resonanzstraftaten auf die Ausschreitungen von Rechtsextremisten und Hooligans am 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz. Rund 250 Personen waren randalierend durch das Szeneviertel gezogen407. Mit dem Angriff wurde die Leipziger autonome Szene schwer getroffen, da sie sich - in dem von ihr so verstandenen "eigenen" Stadtteil - bis dahin unantastbar gefühlt hatte. Im Jahr 2016 begründeten autoNome eine Vielzahl ihrer Aktionen gegen den politischen Gegner mit diesem Angriff. Sie führten folgende klandestine Aktionen gegen Personen durch, denen - offenbar durch Recherchen der autonomen aNtIfa - eine Beteiligung an den Ausschreitungen am 11. Januar 2016 unterstellt wurde: * Am 2. Februar 2016 wurden zwei Fahrzeuge in Brand gesetzt. Einer der beiden Halter war mutmaßlich am 11. Januar 2016 in Connewitz beteiligt. Zu den Taten wurde ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, in dem die Verfasser feststellten: "Die Identifizierung der Täter vom 407 siehe Abschnitt II.2.12.7 Regionale Beschreibung linksextremistischer Bestrebungen - Leipzig (Stadt) 234 LINKSExTREMISMUS 11. Januar dauert weiter an. Entsprechende Maßnahmen werden folgen. Nicht nur die Bullen jagen euch.". 408 * Am 21. Juli 2016 kam es zu Sachbeschädigungen an Vorverkaufsstellen des "Imperium Fighting Championship" in Leipzig, Dresden, Taucha (Nordsachsen) und Borna (Landkreis Leipzig). Ein sich "161"409 nennender Autor veröffentlichte auf linksunten.indymedia.org diesbezüglich ein Tatbekenntnis, indem er auf eine vermutete Beteiligung von Personen aus dem Umfeld des "Imperium Fighting Championship" an den Ausschreitungen am 11. Januar 2016 Bezug nahm. * Am 13. November 2016 schlugen mehrere vermummte Personen in Leipzig zunächst die Tür am Wohnhaus eines Mitgliedes der NPD ein. Anschließend verschafften sich die Täter unter Anwendung massiver Gewalt Zutritt zu dessen Wohnung. Sie zerstörten die Einrichtung und versprühten mittels Feuerlöscher Teerfarbe in der gesamten Wohnung. Der Verlauf der Aktion setzte eine detaillierte Recherche voraus. Die Täter schienen sich sicher gewesen zu sein, dass sich der Rechtsextremist nicht in seiner Wohnung aufhielt, so dass ihnen dessen Tagesablauf offenbar bekannt gewesen sein musste. Das Tatbekenntnis einschließlich des beigefügten Videos der Aktion wurde im Internet veröffentlicht. Auch hier wurde der Bezug zu den Ausschreitungen am 11. Januar 2016 hergestellt. "R. (Name genannt) ist nicht das erste und wird auch nicht das letzte Nazischwein sein, das für faschistische Organisation und Angriffe, wie den am 11.1, zur Rechenschaft gezogen wird." Dieser Aktion ging eine "Outing"-Aktion voraus. Bereits am 10. November 2016 wurde auf einer Internetplattform Fotos und Daten von Personen veröffentlicht, die der rechtsextremistischen Szene angehören sollten ("Outing"), darunter auch Quelle: https://vimeo.com/191374473 (Screenshot), (Stand: 14. November 2016) die des Betroffenen. 2. Aktionen gegen Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates sowie Einrichtungen demokratischer Parteien und die Polizei, die für autoNome das staatliche Gewaltmonopol verkörpern und ihnen als Vertreter des "verhassten" Staates gelten Exemplarisch sind dafür folgende Straftaten zu nennen: * Am 1. Januar 2016 drangen Unbekannte auf das umzäunte Gelände des Hauptzollamtes Dresden (Sitz Leipzig) ein und setzten acht Fahrzeuge in Brand. 408 https://linksunten.indymedia.org/de/node/167748, "[LE] Autos von AfD-Stadtrat und Neonazi angezündet" (Stand: 5. Februar 2016) 409 Die Zahlenfolge steht offensichtlich für die Stelle der Buchstaben im Alphabet und damit für die Buchstabenkombination AFA = Antifaschistische Aktion, https://linksunten.indymedia.org/de/node/185663, "[DD/LE] Imperium VVK-Stellen besucht" (Stand: 22. Juli 2016) 235 * Am 20. Februar 2016 setzten unbekannte Täter mittels Brandbeschleuniger ein Fahrzeug des Ordnungsamtes der Stadt Leipzig in Brand. Einem Selbstbezichtigungsschreiben zufolge richtete sich der Angriff gegen das Ordnungsamt als Institution, die "versucht (...) uns mit allen Brandstiftung am 20. Februar 2016 in Leipzig Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 26. Februar 2016) Mitteln zu erniedrigen, zu verwalten und zu kontrollieren".410 * Am 8. März 2016 wurden mehrere LKW sowie LKW-Anhänger, die auf dem umzäunten Innenhof einer Werkstatt abgestellt waren, in Brand gesetzt. Mehrere brannten völlig aus. Die Mehrzahl der Fahrzeuge waren als Bundeswehr-Fahrzeuge erkennbar. Der Sachschaden belief sich auf etwa 500.000 Euro. Unter der Überschrift "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! - Militärgerät in Leipzig Brandstiftung am 8. März 2016 in Leipzig Quelle: linksunten.indymedia.org (Stand: 9. März 2016) entsorgt"411 wurde auf linksunten.indymedia.org ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht. * Am 17. März 2016 wurden acht Sicherheitsglasscheiben am Verwaltungsgebäude der Neuen Messe zerstört. Es entstand ein Sachschaden von etwa 10.000 Euro. Einem auf linksunten.indymedia.org eingestellten Selbstbezichtigungsschreiben zufolge sei die Aktion eine Reaktion auf eine nicht erfüllte Forderung, die in einem "Offenen Brief an die Leipziger Buchmesse", formuliert worden war. Die Leipziger Buchmesse habe den Publizisten Jürgen Elsässer, Herausgeber des "Compact"-Magazins, nicht ausgeladen. * In der Nacht zum 6. Dezember 2016 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf drei Fahrzeuge des Ordnungsamtes der Stadt Leipzig. Die Fahrzeuge waren auf dem umzäunten Gelände abgestellt; sie brannten vollständig aus. Der Sachschaden belief sich auf etwa 50.000 Euro. * Unbekannte Täter setzten am 16. Dezember 2016 in Leipzig mit brandbeschleunigenden Mitteln die hinteren Reifen eines am Polizeiposten Wiedebachpassage abgestellten Funkstreifenwagens in Brand. 3. Bauund Immobilienfirmen Diese Anschläge sind in engem Zusammenhang mit dem Themenfeld "Gentrifizierung" zu sehen, da diese Firmen mit der Sanierung von Wohnhäusern betraut wurden. 410 https://linksunten.indymedia.org/de/node/170175 "Leipziger Ordnungsamtautos abgefackelt" (Stand: 26. Februar 2016 Schreibweise wie im Original) 411 https://linksunten.indymedia.org/de/node/171855 (Stand: 9. März 2016) 236 LINKSExTREMISMUS * Gewaltbereite Linksextremisten reagierten auf die Mitte Juni 2016 erfolgte Räumung des Szeneobjektes "Rigaer 94" in Berlin mit mehreren klandestinen Aktionen. So erfolgte am 25. Juli 2016 in Leipzig eine Sachbeschädigung an dem Objekt einer Immobilien-Gruppe. Einem auf dem Internetportal linksunten.indymedia.org veröffentlichten Tatbekenntnis zufolge wurden u. a. "Rigaer-freundliche" Parolen hinterlassen. Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 28. Juli 2016) Bekennerschreiben und Positionspapiere zu den Gewaltaktionen Die klandestinen Aktionen wurden von einer Reihe von Bekennerschreiben flankiert. Im Vergleich zum Vorjahr wiesen die aktuellen Statements allerdings in ihrem sprachlichen und inhaltlichen Niveau gravierende Unterschiede auf. Im Jahr 2015 bemühten sich die Autoren - zumindest ansatzweise - um eine politisch/ weltanschauliche Erklärung und Vermittlung der Tat. Aktuell sind diese Schreiben meist nur reine Bekenntnisse ohne weitere Erläuterungen. Zwei Faktoren - die miteinander in Verbindung stehen - kommen als möglicher Erklärungsansatz für diesen Trend in Frage: 1. Die Ziele der Anschläge richteten sich im Jahr 2015 überwiegend gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, wie Justiz und Polizei. 2. Dies löste - wenn auch nur partiell - verhaltene Kritik der Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit aus, so dass diese Aktionen außerhalb der eigenen Klientel erklärungsbedürftig waren. Bei der Anwendung dieser Aktionsform gehen Linksextremisten offenbar davon aus, dass bündnispolitisch keine Rücksicht genommen werden müsse, da eine nennenswerte öffentliche Distanzierung von den gezielten Angriffen auf den politischen Gegner aus deren Sicht ausgeblieben war. Im Jahr 2016 richtete sich eine Vielzahl von Anschlägen gegen den politischen Gegner und gegen Immobilienfirmen, was jedoch kaum öffentlich kritisiert wurde. Ist das Thema "Gentrifizierung" vor allem für Stadtteilund Mietervereinigungen anschlussfähig, so erhalten Linksextremisten beim Thema "Antifaschismus" schon seit Langem eine Akzeptanz in der gesellschaftlichen Mitte. Für eine ausführliche Begründung der gezielten Angriffe auf den politischen Gegner in den Tatbekenntnissen wurde daher kein Anlass gesehen. Einzelne Bekennerschreiben und Positionspapiere lassen Rückschlüsse auf die Ideologie und die Aktionsformen ihrer Verfasser zu. Ein Bekennerschreiben zu einem Brandanschlag auf einen Baucontainer am Lindenauer Hafen, in dem die Autoren Bezug auf die am 22. Juni 2016 erfolgte Räumung des Szeneobjektes "Rigaer 94" in Berlin nahmen, unterstreicht die Gewaltaffinität der Szene. Nachdem die Verfasser argumentierten "wir 237 träumen nicht, das Bestehende zu verändern, uns genügt wenn wir es brennen sehen", bekräftigt ein Kommentator diese Begründung mit der Bemerkung "Politikverständnis der linken Szene auf den Punkt gebracht."412 Die Verfasser des Artikels "[LE] Rigaer 94!" rechtfertigten ihr Handeln damit, dass es Menschen gibt, die sich außerhalb der Gesellschaft stellen, da sie nicht an ihr teilhaben wollen. Aus Sicht der Autoren sind dies "(...) Menschen, die nicht in das Bild einer modernen, luxuriösen Stadt passen." Deshalb - so die Autoren - "passiert es das wir uns Freiräume schaffen, in denen wir mal nicht mit dem ganzen Scheiß, den ihr Gesellschaft nennt ausgeliefert sind." Den Angriff auf Firmen, die mit der Sanierung entsprechender Objekte betraut sind, rechtfertigten die Akteure mit dem Verlust von Freiräumen, den sie für sich beanspruchen. "Und ihr verjagt uns aus diesen Räumen, unseren Räumen (...) Aus Solidarität mit Berlin und als Zeichen gegen die ständige Aufwertung der Städte haben wir in der Nacht vom 22.06. sieben Fahrzeuge der CGGroup in Brandt gesteckt".413 Strukturen der Leipziger autonomen Szene Im Jahr 2016 traten neben dem militanten Kleingruppenspektrum verstärkt bündnisorientierte Strukturen auf. Hierzu gehörten die Gruppen PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg und the future Is uNwrItteN (tfIu). Die Gruppen sind vorwiegend im studentischen Bereich angesiedelt und sind im Vergleich zu Angehörigen des militanten Kleingruppenspektrums deutlich ideologischer geprägt. Beide Gruppen führten im Rahmen der "Kritischen Einführungswochen" (KEW), einem "Alternativprogramm" zu den offiziellen Einführungsveranstaltungen an der Universität Leipzig, eigene Veranstaltungen durch. Ziel dieser Veranstaltungen war letztlich die Gewinnung neuer Mitglieder. PrIsma - InterventIonIstIsche lInke leIPzIg Die Gruppe PrIsma gehört der INterveNtIoNIstIscheN lINkeN (Il) an. Die IL ist ein bundesweites Netzwerk, dem auch linksextremistische Gruppierungen angehören. Sie fungiert als Scharnier zu nicht gewaltorientierten Linksextremisten und in Einzelfällen auch zu nicht extremistischen Gruppen und Initiativen. Die Einstellung zur Gewalt ist bei der IL taktisch geprägt. Gewalt wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Das Ziel der Gruppe PRISMA besteht in einer "(...) radikalen Linken, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates (...) orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, radikale gesellschaftliche Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert." 414 Darüber hinaus stellt die Gruppe auch den demokratischen Rechtsstaat in Frage. In einer Nachbetrachtung zu den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz am 11. Januar 2016 hieß es: 412 https://linksunten.indymedia.org/de/node/183648 "[LE] Grüße an die Rigaer 94Brandangriff am Lindenauer Hafen" (Stand: 30. Juni 2016) 413 https://linksunten.indymedia.org/de/node/183033 "[LE] Rigaer94!", (Stand: 24. Juni 2016, Schreibweise wie im Original) 414 http://prisma.blogsport.de/prisma/ Vorstellung der Gruppe (Stand: 4. November 2016) 238 LINKSExTREMISMUS "Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus - Von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militanten Selbstschutz."415 the future Is unWrItten (tfIu) Die Gruppe the future Is uNwrItteN (tfIu) ist in dem bundesweiten linksextremistischen Bündnis (...) ums gaNze! involviert. Das Bündnis vereint eigenständige autonome Gruppen, um überregional handlungsfähig zu sein. Es mobilisierte maßgeblich zu Protestaktionen gegen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit und beteiligte sich an sog. Krisenprotesten gegen die Politik zur Bewältigung der europäischen Währungsund Wirtschaftskrise. Ideologisch verortet sich das Bündnis selbst als "kommunistisches Bündnis". Auch die Leipziger Mitgliedsgruppe tfIu setzt sich intensiv mit den theoretischen Grundlagen des Kommunismus auseinander. Im November 2016 organisierte ihr Arbeitskreis ak kommuNIsmus dazu in Leipzig eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto "WHERE IS AN ALTERNATIVE? Wege in eine bedürfnisorientierte Ökonomie", bei der das Thema "Grundprinzipien Kommunistischer Produktion und Verteilung" einen Schwerpunkt bildete.416 In ihrer Selbstdarstellung wird ihr ideologischer Anspruch deutlich formuliert: "Für uns bedeutet 'links-sein' kein subkulturelles Lebensgefühl, sondern an sich selbst und die Gesellschaft den politischen Anspruch anzulegen, jene Verhältnisse zu überwinden, in denen der Mensch ein 'erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' (Marx)".417 Neben der Theoriearbeit trat die Gruppe in Leipzig zunehmend bei Veranstaltungen gegen den politischen Gegner auf. So mobilisierte sie unter dem Motto "Für einen linksradikalen Widerstand gegen Rassismus und deutsche Volksgemeinschaft!" zu Protesten gegen die Demonstrationen anlässlich des 1. Jahrestages der LEGIDA-Bewegung am 11. Januar 2016 und rief auf ihrer Internetseite dazu auf, die "LEGIDA-Geburtstagsparty am 11. Januar [zu] crashen!". Anlässlich der Proteste gegen die "Imperium Fighting Championship" am 27. August 2016 in Leipzig wurde deutlich, dass es der Gruppe nicht nur um die "Zerschlagung" vermeintlicher "Rechter Netzwerke", sondern um die Durchsetzung eigener politischer Interessen geht. In einem auf ihrer Internetseite veröffentlichten Redebeitrag führte sie dazu aus: "Wenn wir uns organisieren, vernetzen und Auseinandersetzungen führen, um eine Gesellschaft jenseits von Staat und Kapital zu erkämpfen, ist die Auseinandersetzung mit den reaktionären ScheinAlternativen zu freiem Markt und Staat unerlässlich. Banden mit Machtanspruch wie wir sie in den Dunstkreisen des 'Imperium Fight Team' vorfinden - aber auch nicht-rechte Bandenstrukturen wie zum Beispiel diverse Motorradgangs - sind ebenso Teil des Problems wie Bullen, Ordnungsamt und 415 ebd. (Stand: 20. Januar 2016) 416 www.left-action.de/dates0.shtml (Stand: 5. Oktober 2016) 417 www.unwritten-future.org/index.php/ueber-uns/ (Stand: 5. November 2016) 239 andere autoritäre Strukturen des Staates. Deshalb lasst uns gemeinsam eine emanzipatorische Selbstorganisation jenseits von Arbeitsmarkt und Staat forcieren! Rechte Netzwerke zerschlagen! Für den Kommunismus!"418 3.3.2 autonome in Dresden Das linksextremistische Personenpotenzial stagniert seit 2014 bei etwa 70 Personen. Mit der uNDogmatIscheN raDIkaleN aNtIfa DresDeN (ura DresDeN) existiert - unverändert - nur eine einzige autonome Gruppe, die aktiv in der Öffentlichkeit agierte. Seit 2016 ist diese Gruppe in das linksextremistische bundesweite Bündnis (...) ums gaNze!419 integriert. Dies führte - zumindest partiell - zu einer überregionalen Vernetzung. So war sie in die Organisation eines unter maßgeblicher Beteiligung von Linksextremisten vom 1. bis 3. April 2016 in Chemnitz durchgeführten "Antifaschistischen Jugendkongresses" eingebunden. Allerdings hatte dies rückblickend kaum Auswirkungen auf die Umsetzung der politischen Ziele der Dresdner Szene. Dafür lassen sich im Wesentlichen zwei Ursachen ausmachen: * Im Jahr 2016 sank die Bedeutung des - in seiner Gesamtheit nicht extremistischen - Bündnisses "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" als Organisator öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen auch für Akteure der autonomen Szene. * Die nicht extremistische Gruppierung "NOPE", die in der ersten Hälfte des Jahres noch unter der Bezeichnung "Genervte Einwohner protestieren gegen Intoleranz Dresdner Außenseiter" (GEpIDA) aufgetreten war, initiierte nunmehr die Gegenproteste. Allerdings besitzt NOPE im Vergleich zu dem relativ breit verankerten Bündnis "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" kaum Bündnischarakter und wenig Integrationskraft. Dennoch beteiligten sich Linksextremisten weiterhin regelmäßig an Aktionen nicht extremistischer Initiativen und Gruppierungen, vor allem gegen Versammlungen der PEGIDA. Die Gegenproteste erreichten allerdings nicht mehr das Niveau der Vorjahre. Eigenständige demonstrative Aktionen gingen von Linksextremisten nur selten aus und erzielten wenig Resonanz. Die örtliche autonome Szene allein ist aufgrund ihrer personellen und strukturellen Schwächen auch nur eingeschränkt in der Lage, eigene Aktionen von größerer Relevanz durchzuführen und sich wirksam in der Öffentlichkeit zu artikulieren 418 www.unwritten-future.org/index.php/page/2/; Rede "Zur Kritik rechter BandenStrukturen" (Stand: 5. November 2016; Schreibweise wie im Original) 419 Das Bündnis (...) ums gaNze! bezeichnet sich selbst als "kommunistisches Bündnis" und strebt die Überwindung des "gesellschaftlichen Verhältnisses Kapitalismus" an, ohne dabei klassisch orthodox-kommunistische Positionen einzunehmen. Es geht den Akteuren nicht um Reformen, sondern wortwörtlich "ums Ganze", genauer um eine "revolutionäre(n) Aufhebung des Kapitalismus". Dazu befürworteten sie Militanz und Straßengewalt. In diesem Sinne betreibt das Bündnis linksextremistische Kampagnenarbeit, bei denen es vielfach zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Aktuell wird ...ums gaNze! von Gruppierungen des aktionsorientierten linksextremistischen Spektrums dominiert. Sächsische Bündnisgruppen sind die linksextremistischen Gruppen the future Is uNwrItteN (tfIu ) aus Leipzig und die ura DresDeN, letztere nur mittelbar als Teil der Dresdner f öDeratIoN 'crItIQue'N'act'. 240 LINKSExTREMISMUS Öffentliches Aktionsniveau Demonstrationen/ Aufzüge/ Gegenproteste von bzw. mit Beteiligung von autonomen in Dresden 80 63 60 44 40 35 21 20 18 0 2012 2013 2014 2015 2016 Das öffentliche Aktionsniveau ist seit 2013/2014 dennoch angestiegen. Gründe für diesen Anstieg sind: 1. die seit Oktober 2014 durchgeführten Aktionen gegen PEGIDA, die sich auch weiterhin fortsetzten, und 2. die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsund Asylthematik, die im Sommer 2015 einsetzten und auch 2016 Linksextremisten zu Reaktionen veranlassten. Insofern zeigte die Dresdner Szene eine nochmals gestiegene öffentliche Präsenz, ohne dass deren Personenpotenzial anwuchs. Die erhöhte Zahl der Demonstrationen führte auch nicht zu einer höheren Anzahl der linksextremistischen Teilnehmer. So beteiligten sich in Dresden an Gegenprotesten oft nur wenige autoNome, die zudem nur begrenzte Außenwirkung erzeugen konnten. Die Teilnahme Dresdner und auswärtiger autoNomer blieb in der Regel auf 40 bis 100 Personen beschränkt, womit sie weitgehend der vom Vorjahr entsprach. Somit stagnierte die Anziehungskraft und Mobilisierungsfähigkeit der Dresdener autoNomeN auf dem Niveau des Vorjahres. Die Dresdner Szene verlor weiter an Relevanz gegenüber der nochmals personell verstärkten Szene in Leipzig, und büßte auch deutlich an Reputation sowohl landesals auch bundesweit ein. Die geringe Mobilisierungsfähigkeit, verbunden mit einer schwachen Integrationskraft und einer schwindenden Reputation, sowie die Strategie maßgeblicher Dresdner Akteure, sich vom bürgerlichen Bündnis "Dresden Nazifrei" zu distanzieren, zeigte sich bei öffentlichen Aktionen vor allem bei: * den Protesten gegen PEGIDA und die Partei Alternative für Deutschland (AfD), * den Aktionen anlässlich des 13. Februar und * den Protesten gegen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit vom 1. bis 3. Oktober 2016. 241 Angemeldete öffentliche Aktionen Aktionen gegen Versammlungen der PEGIDA und gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) Dresdner autoNome sehen in PEGIDA einen zentralen Gegner. Die ura DresDeN begreift sie als "Sammelbecken neu-rechter bis faschistischer Bewegungen und ganz normaler Rassist*innen", aber gleichzeitig auch als Ausdruck "der aktuellen kapitalistischen Krise und ihrer autoritären und neoliberalen Verwaltung". "PEGIDA mag ein Aufstand gegen bestimmte regierende Personen sein, sie ist aber keine Auflehnung gegen die Herrschaft. Sie ist eine konformistische Revolte für den kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Normalbetrieb und gegen emanzipatorische Veränderung. PEGIDA ist zutiefst reaktionär."420 Daher beteiligten sich Linksextremisten meist an Protestaktionen der in ihrer Gesamtheit nicht extremistischen Gruppierung GEpIDA/NOPE. Diese Gruppierung hat seit Jahresbeginn nahezu regelmäßig Gegendemonstrationen organisiert, die - da es sich um Gegenproteste handelte - meist konfrontativ geprägt waren. Zudem entsprach der Inhalt ihrer Aufrufe dem Selbstverständnis und den Interessen der Linksextremisten. So wurde bspw. zu "dezentralen Aktionen" aufgerufen oder gefordert: "Lasst uns ihnen mit aller Entschlossenheit den Raum nehmen!". Weiterhin merkte NOPE vielsagend an: "Aktionsformen kennen keine Grenzen". Zu einer Gegendemonstration von NOPE am 13. Juni 2016 wurde ein anonymer Aufruf "[DD] PEGIDA angreifen - Just do it" veröffentlicht. Darin hieß es: "Die Veranstaltung am Montag muss nachhaltig behindert, gestört, angegangen werden! (...) Brecht den Frieden mit dem völkischen Mob, mit Deutschland und mit Dresden! Wir sehen uns auf der Straße! - Just do it!"421 Der Verlauf der Proteste gegen PEGIDA bestätigte das versuchte Umsetzen des in den Aufrufen formulierten Zieles, die PEGIDA-Veranstaltungen zu verhindern oder zu beeinträchtigen. So kam es immer wieder zu Aktionen, die ein polizeiliches Eingreifen erforderlich machten, um die gegnerischen Lager zu trennen. Ebenso wurden besonders im ersten Halbjahr auch vereinzelt szenetypische Strafund Gewalttaten im Umfeld der Proteste verübt. Exemplarisch dafür sind folgende Aktionen: * Am 25. Januar 2016 wurden während einer PEGIDA-Demonstration zehn Fahrzeuge in Brand gesetzt, die überwiegend PEGIDA-Anhängern zuzuordnen waren. * Am 9. Mai 2016 folgten ca. 150 Personen dem Aufruf von GEpIDA/NOPE, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Sie riefen u. a. "Solidarität muss praktisch werden - Feuer und Flam420 http://uradresden.noblogs.org, "Aufruf zur Demonstration 'Solidarity with Refugees - for a better life together am 28. Februar 14 Uhr Theaterplatz" (Stand: 20. Februar 2015) 421 https://linksunten.indymedia.org/de/node/181606 (Stand: 13. Juni 2016) 242 LINKSExTREMISMUS me den Abschiebebehörden!" und "Alerta, alerta Antifascista!". Nachdem etwa 24 Personen versucht hatten, den gegnerischen Aufzug zu blockieren, wurden sie von der Polizei abgedrängt. Daraufhin solidarisierten sich die Aufzugsteilnehmer mit ihnen und stoppten den Aufzug, bis die polizeilichen Maßnahmen endeten. * Am 16. Mai 2016 beteiligten sich 50 Personen, darunter Linksextremisten, am Protest gegen PEGIDA. Sie führten sog. "Knüppelfahnen", Fahnen der aNtIfaschIstIscheN aktIoN und schwarz-rote Anarchistenfahnen mit. Einige waren teils vermummt auf das Dach eines Gaststättengebäudes geklettert und brachten dort ihren Protest unter Verwendung einer "aNtIfa-Fahne" und einer "Knüppelfahne" mit rotem Tuch zum Ausdruck. Die Polizei stellte Knüppel, Fahnen und Vermummungsgegenstände sicher und ermittelte wegen Hausfriedensbruch. * Am 13. Juni 2016 folgten Linksextremisten der Aufforderung von NOPE, an mehreren Veranstaltungen gegen PEGIDA teilzunehmen. Bei einem grundsätzlich störungsfreien Verlauf der Gegenversammlungen kam es dabei im Nachgang zu einer Körperverletzung gegen einen PEGIDATeilnehmer. Das linksextremistische Teilnehmerpotenzial umfasste zumeist um die 40, selten bis zu 100 Personen. Im Demonstrationszusammenhang stehende Blockadeversuche waren eher symbolischer Art und wurden nur von wenigen Personen vorgenommen. Die Teilnehmerzahl zeigt, dass eine lokale Mobilisierung lokaler Akteure unzureichend ist, um die Ziele der Linksextremisten im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen durchzusetzen. Im Gegensatz dazu wurde deutlich, dass eine überregionale Mobilisierung im linksextremistischen Bereich großen Einfluss auf das Teilnehmerpotenzial und den Verlauf einer Aktion ausübte. Ein Beispiel dafür war die Protestaktion am 6. Februar 2016: * Mobilisierung Anlass zu einer überregionalen Mobilisierung war der europaweite Aktionstag des PEGIDA-Bündnisses. Die zentrale Veranstaltung sollte in Dresden stattfinden, weitere im europäischen Ausland. Als provokativ wurde die gewählte Route durch die Äußere Neustadt empfunden. Diesen Stadtteil sehen linksextremistische Gruppierungen als ihr Terrain an. Schwerpunktmäßig mobilisierte das bundesweite, von linksextremistischen Gruppen dominierte (...) ums gaNze!-Bündnis, unter Bezugnahme auf eine zusätzlich angelegte, mehrsprachig gehaltene Mobilisierungsseite "Solidarity without limits" zu einem "Aktionstag gegen die Festung Europa" und dabei zu einer Demonstration "Solidarity without limits". Die linksextremistischen Mitgliedsgruppen the future Is uNwrItteN (tfIu, Leipzig), theorIe.orgaNIsatIoN.PraxIs (toP BerlIN), krItIk & PraxIs (Frankfurt am Main, Hessen), fast forwarD haNNover (Niedersachsen) und autoNome aNtIfa müNcheN (aNtIfa Nt, Bayern) schlossen sich dem an. Aufgrund der bundesweiten Mobilisierung gingen die Veranstalter von einer überregionalen Beteiligung aus. So kündigte das (...) ums gaNze!-Bündnis "gemeinsame Busanreisen" aus Berlin, Leipzig und Frankfurt am Main an. Die Bündnisgruppen tfIu, krItIk & PraxIs aus Frankfurt am Main und fast forwarD haNNover. tfIu beabsichtigten eine gemeinsame Anreise mit der linksextremistischen aNtIfa kleIN-ParIs (Leipzig). 243 Die Aufrufe entsprachen inhaltlich linksextremistischen Positionen und dem Selbstverständnis der autonomen Szene. Insofern zielten sie hauptsächlich auf eine Mobilisierung linksextremistischer Klientel ab. Der Aufruf "Grenzenlose Solidarität - Aktionstag gegen die Festung Europa" am 6. Februar 2016 bestätigt die Annahme. Dieser war durchweg "antirepressiv" ausgerichtet. So positionierte er sich gleichermaßen gegen Versammlungen "rechte(r) Populist*innen, neofaschistische(r) Bewegungen und Parteien an verschiedenen Orten Europas", gegen "globale Herrschaftsund Unterdrückungsformen" sowie gegen eine angebliche "Festung Europa". Die Verfasser kündigten an: "Wenn die rechten und reaktionären Bewegungen versuchen, ihre Politik auf die Straße zu tragen, werden wir ihnen entschlossen entgegentreten". In diesem Sinne appellierten sie: "Globale Herrschaftsund Unterdrückungsformen sind ein Angriff auf uns alle und deshalb müssen wir auch gemeinsam handeln" und forderten: "Festung Europa angreifen!". Ein weiterer Aufruf "DRESDEN ACTION" forderte, den "Antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren, PEGIDA und allen anderen Faschist*innen offensiv entgegentreten!" sowie "PEGIDA crashen - immer wieder!" * Verlauf Die Art der Mobilisierung und die Inhalte der Aufrufe wirkten sich auf den Verlauf der Protestveranstaltungen aus. Insgesamt protestierten etwa 11.000 Personen auf verschiedenen Veranstaltungen gegen die Versammlung der PEGIDA. Linksextremisten, darunter ura DresDeN und tfIu beteiligten sich an der von einer Einzelperson angemeldeten Demonstration "Solidarity without limits - Solidarität kennt keine Grenzen", an der bis zu 1.500 Personen teilnahmen, darunter schätzungsweise 300 bis 400 Linksextremisten. Während des Aufzugs vermummten sich die Demonstranten wiederholt und riefen "Feuer und Flamme den Abschiebebehörden!", "Nie, nie, nie wieder Deutschland!" oder "No nation, no border, fight law and order!". Vereinzelt suchten Demonstrationsteilnehmer die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Im Unterschied zu den lokal organisierten Demonstrationen zeigte sich, dass durch eine überregionale Mobilisierung im linksextremistischen Bereich die Zahl der linksextremistischen Teilnehmer signifikant höher lag. Die Aufrufe entsprachen den ideologischen Präferenzen der autonomen Szene, was schließlich zu einer konfrontativen Ausrichtung der Aktivitäten führte. Nicht zuletzt durch die konsequente räumliche Trennung von den gegnerischen Veranstaltungen waren die Möglichkeiten der Linksextremisten, die PEGIDA-Veranstaltung zu stören, stark eingeschränkt. Im Anschluss an die Gegendemonstration trug eine Gruppe von etwa 100 Personen ihre Gewaltbereitschaft offen aus, indem sie einen Funkstreifenwagen angriff, in Blockadeabsicht Müllbehälter auf die Straße schob und von der Polizei daran gehindert werden musste, PEGIDATeilnehmer zu attackieren. Aktionen im Zusammenhang mit dem 13. Februar Wie bereits in den Jahren zuvor, wurden die Aktivitäten am 12. und 13. Februar 2016 maßgeblich vom Bündnis "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" organisiert. 244 LINKSExTREMISMUS Während das Bündnis "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" erneut nur lokal mobilisierte, gingen von der linksextremistischen Szene im Unterschied zu den Vorjahren kaum Mobilisierungsimpulse aus. Die ura DresDeN informierte lediglich kurz auf ihrem Twitter-Kanal: "Nazis wollen sich schon am 12.02. in Dobritz treffen". Anzahl der gewaltbereiten linksextremistischen Teilnehmer zu den Jahrestagen der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg 4000 3500 3500 3000 2500 2000 1400 1500 1000 800 500 400 150 150 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Verlauf der Aktionen: * 12. Februar 2016 Infolge der Aufrufe des Bündnisses "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" formierten sich nahe der Route der rechtsextremistischen Demonstration etwa 200 Personen, überwiegend Linksextremisten. Nachdem die Personengruppe sich unter Mitführung von Fahnen der aNtIfaschIstIscheN aktIoN in Bewegung gesetzt hatte, stoppte die Polizei den Aufzug, woraufhin eine stationäre Kundgebung angemeldet wurde. In Hörund Sichtweite zu den Rechtsextremisten brachten sie ihren Protest zum Ausdruck, wobei auch folgende Rufe laut wurden: "Nie wieder Deutschland!", "Oma, Opa und HansPeter - Keine Opfer, sondern Täter!" und "No nation, no border - fight law and order!". Das Bündnis hatte über seinen Nachrichtenticker "alle Kleingruppen" zum Endpunkt der gegnerischen Demonstration beordert. Dennoch unternahmen die Protestierenden keine Versuche vorzudringen, sondern entfernten sich in Form einer erneut angemeldeten Demonstration. Die Protestaktion Protest gegen die Neonazi-Demo in Dresden Stadtteil Prohlis am 13. Februar (Quelle: Bilddatenbank Internet) verlief nahezu störungsfrei. 245 * 13. Februar 2016 Am "Mahngang 'Täterspuren'" beteiligten sich 2.000 bis 2.500 Personen, darunter etwa 150 Linksextremisten. Diese befanden sich überwiegend in einem eigenen Block, erkennbar an Fahnen der aNtIfaschIstIscheN aktIoN. Daneben trugen Teilnehmer Fahnen der freIeN arBeIterINNeNuND arBeIteruNIoN - INterNatIoNale arBeIter assozIatIoN (fau-Iaa) und der sozIalIstIscheN DeutscheN arBeIterJugeND (sDaJ) sowie ein Transparent mit der Aufschrift "Opfermythen angreifen Destroy the spirit of Dresden" und einem Symbol der aNtIfaschIstIscheN aktIoN. Vereinzelt wurden Rufe laut wie "Game over, Kraut!". Zuvor hatte eine etwa 60 Personen umfassende Gruppe - nach Angaben des Bündnisses "Nazifrei - Dresden stellt sich quer" - gegen eine Versammlung der AfD auf dem Altmarkt protestiert. Dabei kam es zu Rufen wie "Sauerkraut, Kartoffelbrei, Bomber-Harris (...)" oder "Nie, nie, nie wieder Deutschland!". Die Ereignisse belegen exemplarisch die gewachsene Distanz von Linksextremisten zum Bündnis "Nazifrei - Dresden stellt sich quer". In Ermangelung von Alternativen beteiligten sich zwar auch autoNome an den Protestveranstaltungen des Bündnisses, doch waren ihre Aktionen von nur noch sehr geringer Intensität. Zudem wurde deutlich, dass die ura DresDeN ihre innerhalb der Szene eingenommene Führungsrolle nicht mehr behaupten konnte. Wie im Vorjahr mobilisierten Linksextremisten erneut nur lokal. Eine Resonanz auswärtiger Linksextremisten war nicht feststellbar. Zusammen mit einer zunehmenden Marginalisierung der linksextremistischen Proteste in Dresden rückt der 13. Februar noch weiter aus dem Blickfeld auswärtiger Linksextremisten. Der signifikante Rückgang des linksextremistischen Teilnehmerpotenzials verdeutlicht dies. Proteste gegen die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit vom 1. bis 3. Oktober 2016 Die gegenwärtig bestehende strukturelle und organisatorische Schwäche der linksextremistischen Dresdner Szene wurde besonders bei der Vorbereitung der Proteste gegen die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit vom 1. bis 3. Oktober 2016 sichtbar. Im Zusammenhang mit demonstrativen Aktionen ist sie derzeit kaum zur Planung und Durchführung von Störaktionen in der Lage. Zwar übernahm das bundesweite Bündnis (...) ums gaNze! die überregionale Mobilisierung. Jedoch organisierte das Aktionsbündnis solIDarIty wIthout lImIts - NatIoNalIsmus Ist keINe alterNatIve die von Linksextremisten beworbenen Aktionen. Der zentrale, von solIDarIty wIthout lImIts - NatIoNalIsmus Ist keINe alterNatIve verfasste Aufruf thematisierte - in Anlehnung an kommunistisch determinierte Argumentationsmuster - die soziale Frage und kritisierte Deutschland als angeblichen Gewinner der Wirtschaftskrise in Europa zulasten anderer europäischer Regionen und der "Lohnabhängige(n) und prekäre(r) Klassen". Die "versammelte Gemeinde der neoliberalen Nationalist*innen" tanze "inmitten der Krise der Repräsentativdemokratie, brutaler Verarmung selbst in kapitalistischen Zentren, aggressiver Abschottung an den Grenzen und völkischer Stimmungsmache". Zusätzlich wurde Dresden als "Sinnbild des Rechtsrucks in Deutschland" und als "Symbol und 246 LINKSExTREMISMUS Ausgangspunkt der Restauration des neuen deutschen Nationalismus" bezeichnet. Daraus zogen die Verfasser den Schluss: "Das schreit nach "radikaler Kritik". (...) Let's crash their party!"422. Diesem Anspruch konnten die Organisatoren trotz bundesweiter Mobilisierung nicht gerecht werden. Am 3. Oktober 2016 versuchten Linksextremisten zwar die Feierlichkeiten zu stören und waren dazu in Kleingruppen auf dem Festgelände unterwegs, nennenswerte Aktionen gelangen ihnen jedoch nicht. Die Polizei verhinderte mehrfach das Eindringen von Kleingruppen in den Bereich der "Blaulichtmeile", nachdem dort zuvor etwa 20 Personen die Vertreter der Bundeswehr bedrängt und verbal attackiert hatten. Zuvor hatten sich am Abend des 2. Oktober 2016 anstelle der vom Anmelder erwarteten 1.000 Personen nur etwa 650 an einer weitgehend störungsfrei verlaufenen Demonstration zum Thema "Solidarity without Limits" beteiligt, darunter zahlreiche Linksextremisten. Vereinzelt wurden Flaschen geworfen und Pyrotechnik gezündet. Bei einem Stopp vor dem Dresdner Ordnungsamt warfen Demonstranten einige mit Farbe gefüllte Behältnisse gegen die Fassade. Sie riefen unter anderem "No border, no nation - stop deportation!", "(...) Nieder mit Deutschland - Für den Kommunismus!" oder "Bomber-Harris hilf uns doch - Dresden gibt es immer noch!" und trugen Transparente sowie Fahnen mit teils linksextremistischen Inhalten und Symbolik. Die Dresdner Szene ist kaum in der Lage, Aktionen größerer Relevanz zu planen und zu koordinieren. Dies dürfte auch Auswirkungen auf die Teilnahmebereitschaft auswärtiger Linksextremisten haben. Damit lässt sich auch das vergleichsweise niedrige Aktionsniveau von Linksextremisten bei diesem bundesweit beworbenen Ereignis erklären. Aktionen zur Thematik "Flüchtlinge/Asyl" Das Themenfeld "Flüchtlinge/Asyl" stellte einen weiteren Schwerpunkt linksextremistischer Aktivitäten dar, mit dem sich überwiegend die ura DresDeN befasste. Sie mobilisierte zu Solidaritätsund Protestaktionen in und außerhalb Dresdens oder beteiligte sich an solchen. Am 8. Februar 2016 besuchten u. a. Linksextremisten ein Konzert einer nicht extremistischen Band, die - nach Darstellung der ura DresDeN - ihre "Solidarität mit Geflüchteten und Aktivist*innen" ausdrücken wollte. Dabei griffen etwa 15 Konzertbesucher die Leiterin einer zeitgleich durchgeführten asylkritischen Versammlung verbal und körperlich an, entwendeten eine Fahne und beschädigten ein Transparent. Die ura DresDeN nutzte die Veranstaltung, um sich für eine im anarchistischen Sinn "selbst verwaltete Gesellschaft" auszusprechen. Darin polemisierte sie gegen die Polizei, die u. a. "eine entscheidende Rolle, einerseits als Umsetzerin einer menschenverachtenden Abschottungspolitik und Andererseits als williges Opfer einer sich polarisierenden Gesellschaft"423 spiele. Gleichzeitig beklagte sie: "So gilt hier scheinbar immer noch als Gefahr schlechthin, wer Eigentum, Kapital und Besitzverhältnisse angreift".424 422 https:/3oct.net (Stand: 19. August 2016) 423 Schreibweise wie im Original 424 https://uradresden.noblogs.org/post/2016/02/10/repression-beim-deichkind-konzert-am-montag-08-02-16 (Stand: 11. Februar 2016) 247 Dem stellte sie eine angeblich unzureichende Verfolgung von "rassistischen Übergriffen" entgegen. Damit versuchte die Gruppe linksextremistische Positionen zu relativieren. Mit der Formulierung ihres Ziels ("eine Gesellschaft, die sich selbst reguliert und keine Institutionen wie die der Polizei benötigt") stellte sie die Polizei als Teil der rechtsstaatlichen Exekutive in Frage. Mit der Errichtung einer solchen Gesellschaftsform müsse jetzt begonnen werden. Es wurde konstatiert, "dass wir einen antifaschistischen Selbstschutz organisieren müssen (...)". Zusammenfassend hieß es: "Deshalb den antifaschistischen Selbstschutz organisieren. Emanzipatorische Perspektiven auf allen Ebenen vorantreiben! Solidarisch gegen Bullen, Staat und Kapital!"425 Damit bestätigte die ura DresDeN ihre Rolle als im Berichtsjahr einzige aktive linksextremistische Gruppierung in Dresden. Im Rückblick legte sie nahe, dass bereits jetzt das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaats durch einen "antifaschistischen Selbstschutz" jenseits der Rechtsstaatlichkeit zu ersetzen sei. Die Asylproblematik sowie die fremdenfeindlichen und einwanderungskritischen Reaktionen dienten ihr dabei als Rechtfertigung, die sie zur Relativierung eigener linksextremistischer Aktionen heranzog. Daneben mobilisierte die ura DresDeN auch zu zwei kleineren Solidaritätsaktionen im Juni 2016 in Dresden-Laubegast vor einem als Unterkunft für Asylbewerber genutzten ehemaligen Hotel. Die ura DresDeN wurde auch in anderen sächsischen Orten zur Asylthematik aktiv, so bei Protestversammlungen am 20. Februar 2016 in Clausnitz (Landkreis Mittelsachsen) und am 18. September 2016 in Bautzen426 gegen vorangegangene fremdenfeindliche Proteste im Zusammenhang mit dem Einzug von Asylbewerbern. Sie folgte damit ihren eigenen Absichten "überall dorthin zu mobilisieren, wo ein Ausbruch in Gewalt des rechten Mobs absehbar oder schon geschehen ist"427. Ziel war, die Beteiligten über derartige Aktivitäten als ein "radikalisierender Faktor" in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nicht angemeldete Aktionen Bei den 15 nicht angemeldeten Aktionen im Jahr 2016 handelte es sich überwiegend um Protestaktionen gegen öffentliche Versammlungen politischer Gegner und Solidaritätsaktionen zur Thematik "Flüchtlinge/Asyl". Die linksextremistischen Teilnehmerzahlen entsprachen jenen angemeldeter Veranstaltungen, lagen aber überwiegend noch darunter. Die Anzahl der nicht angemeldeten bzw. vor Ort angemeldeten Demonstrationen erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr. Sie richteten sich störungsfrei gegen vermeintliche "Repression", angebliche Gewalt politischer Gegner, die europäische Asylpolitik sowie gegen sächsische Politiker. Am 14. Januar 2016 brachten etwa 70 teils vermummte Personen ihre Solidarität mit den Betroffenen gewalttätiger Ausschreitungen von Rechtsextremisten und Hooligans am 11. Januar 2016 in LeipzigConnewitz und mit dem Szeneobjekt Rigaer Straße 94 in Berlin zum Ausdruck. Am 14. Februar 2016 folgten etwa 200 Personen einem Aufruf der ura DresDeN zu einem "Stadtteilspaziergang gegen rechte Angriffe und Rassismus" und am 22. April 2016 protestierten etwa 60 Personen gegen die europäische Asylpolitik. 425 ebd. 426 siehe Abschnitt II.3.3.3 autoNome außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 427 Broschüre "Aktionen gegen die Einheitsfeier in Dresden 2. - 3. Oktober 2016", Beitrag "Wasteland United!" der ura DresDeN, Download von https://3oct.net (Stand: 14. Dezember 2016) 248 LINKSExTREMISMUS Klandestine Aktionen Auch für die Dresdner autonome Szene spielt bei klandestinen Aktionen428 die Gewalt eine bestimmende Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Der sachsenweite signifikante Anstieg klandestiner Aktionen von 34 im Jahr 2015 auf 60 im Berichtsjahr zeigte sich auch in Dresden, wenngleich jene in Leipzig sowohl in Anzahl als auch in Intensität sachsenweit herausragend waren. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 50 40 35 30 22 20 2015 15 2016 10 10 7 5 0 Leipzig Dresden andere Regionen Während es im Jahr 2015 in Dresden lediglich einen ideologisch begründeten Brandanschlag auf Fahrzeuge gab, ereigneten sich in diesem Jahr drei solcher Straftaten. * Am 23. Juni 2016 setzten Unbekannte einen PKW der ThyssenKrupp Aufzüge GmbH in Brand. Hierdurch wurde dieser vollständig zerstört und ein daneben geparktes Fahrzeug desselben Unternehmens beschädigt. In einem Tatbekenntnis begründeten die mutmaßlichen Täter ihren Anschlag damit, dass, das Unternehmen Deutschlands größtes Rüstungsunternehmen sei und für die "Rüstungsmacht Deutschland" stehe, welche "Mitverursacher für die Flucht von tausenden Menschen" sei. Darüber hinaus brachten sie ihre Aktionen mit der vorangegangenen Räumung des Berliner Szeneobjektes "Rigaer 94" im Zusammenhang: "Wir hoffen das die Rauchsäule bis Berlin zu sehen war und beteiligen uns an der angekündigten 1 Million Sachschaden für die Angriffe auf unsere Räume."429 * Am 3. November 2016 wurde erneut ein Fahrzeug angezündet, das mit einer Aufschrift desselben Unternehmens gekennzeichnet war. In einem Tatbekenntnis polemisierten die Verfasser in gleicher Weise gegen das Unternehmen und verbanden dies nun mit der Ankündigung von Angriffen gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg. * Am 2. Oktober 2016 setzten Unbekannte drei geparkte Dienstfahrzeuge der Polizei in Brand. Es entstand ein erheblicher Sachschaden. Offensichtlich ist dabei der zeitliche Zusammenhang zu den für den 2. und 3. Oktober angekündigten Protesten gegen die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. 428 siehe Glossar 429 https://linksunten.indymedia.org/de/node/182926 (Stand 24. Juni 2016), Schreibweise wie im Original 249 Weitere Aktionen richteten sich u. a. gegen einen politischen Gegner, eine Bank und ein Büro des Sächsischen Staatsministers des Innern. * Am 5. Februar 2016 schlugen drei unbekannte vermummte Täter mit einem Feuerlöscher die Schaufensterscheibe eines Immobilienbüros ein und sprühten braune Farbe ins Innere. Der Inhaber des Büros soll zuvor als Redner bei PEGIDA aufgetreten sein. In einem Tatbekenntnis wurde er beleidigt und bedroht: "Also tu dir den Gefallen und verpiss dich von hier, bevor wir dich noch persönlich besuchen müssen!". Die Tat entsprach dem Handlungsmuster autoNomer, die durch Gewaltanwendung politische Gegner einschüchtern und materiell schädigen oder vertreiben und damit zu einem Verhalten nach ihren Vorstellungen nötigen wollen. * Am 18. Oktober 2016 beschädigten unbekannte Täter die Eingangstür einer Filiale der Deutschen Bank und versprühten schwarze Farbe im Innenraum. Einem auf der von Linksextremisten genutzten Internetplattform linksunten.indymedia.org erschienenen Tatbekenntnis zufolge, handelte es sich um eine Solidaritätsaktion. Mit dieser sollte auf zwei inhaftierte "Anarchistinnen" aufmerksam gemacht werden. Diese würden beschuldigt, in den Jahren 2013 und 2014 in Aachen (Nordrhein-Westfalen) mehrere Banken ausgeraubt zu haben. Das Tatbekenntnis endet mit dem Aufruf: "Für mehr Banküberfälle, es lebe die Anarchie!". Banken gelten autoNomeN als Inbegriff des verhassten politischen und ökonomischen Systems und auch als geeignetes Objekt, um mit einer Gewalttat Aufmerksamkeit zu erregen. * Am 29. November 2016 warfen unbekannte Täter Steine gegen mehrere Schaufensterscheiben des Bürgerbüros des Sächsischen Staatsministers des Innern. Ein Tatbekenntnis enthielt persönlich beleidigende Äußerungen und bezeichnete die Politik des Ministers als "widerlich, rassistisch und menschenfeindlich". Mit den Worten "Wir werden nicht eher Ruhe geben bis du für die ganzen Menschenleben, welche du zerstört hast, bezahlt hast! Eines Tages wird die Gerechtigkeit und Freiheit siegen. Merke dir, das war erst der Anfang!" wurden weitere Anschläge angedroht. 3.3.3 autonome außerhalb der Städte Leipzig und Dresden In allen Regionen außerhalb der sächsischen Zentren der autonomen Szene, Leipzig und Dresden, existiert ein deutlich geringeres linksextremistisches Personenpotenzial im maximal unteren zweistelligen Bereich. Dementsprechend sind auch die Strukturen sowie das Aktivitätsniveau weit weniger ausgeprägt. Der im Jahr 2015 zu verzeichnende Anstieg der öffentlichen Aktivitäten von Linksextremisten außerhalb der Zentren Leipzig und Dresden setzte sich nicht fort. Mit insgesamt 36 Aktionen halbierte sich die Anzahl gegenüber 2015 (80). Ein Großteil der Aktionen richtete sich im Jahr 2015 noch gegen Veranstaltungen der PEGIDA-Chemnitz/Westerzgebirge. Der Rückgang dieser Veranstaltungen im Jahr 2016 führte schließlich auch zu einer Abnahme der Gegenproteste. Dennoch handelt es sich um das zweithöchste Aktivitätsniveau der letzten fünf Jahre. Die meisten der dortigen Aktionen fanden in Chemnitz statt, so dass sich dieser Ort neben Leipzig und Dresden zu einem weiteren Schwerpunkt des aktionsorientierten Linksextremismus entwickelt hat. 250 LINKSExTREMISMUS Demonstrationen/ Aufzüge/ Gegenproteste von oder mit Beteiligung von Linksextremisten außerhalb von Leipzig und Dresden 100 80 80 60 36 40 31 20 9 6 0 2012 2013 2014 2015 2016 Im Jahr 2016 verdreifachten sich die klandestinen Aktionen430 gegenüber dem Vorjahr (2015: fünf; 2016: 15). Davon wurde fast die Hälfte in Chemnitz durchgeführt (sieben), was die Stadt auch diesbezüglich zu einem weiteren Schwerpunkt hinter Leipzig und Dresden macht. Insofern favorisierten die Akteure dieser Region - dem Gesamttrend in Sachsen entsprechend - verstärkt diese Aktionsform, nutzten das Überraschungsmoment und agierten anonym. Anzahl klandestiner Aktionen außerhalb von Leipzig und Dresden 30 20 15 10 5 0 2015 2016 Vorrangiges Ziel klandestiner Aktionen war der politische Gegner. Darüber hinaus kam es zu zahlreichen weiteren Straftaten mit mutmaßlich linksextremistischem Hintergrund gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD). Exemplarisch dafür sind folgende Aktionen zu nennen: * 16. Januar 2016 in Chemnitz Unbekannte Täter besprühten zum wiederholten Male die Fassade und das Schaufenster des Büros der Partei Alternative für Deutschland. Zu sehen sind die Aufschriften "AFA 091" sowie "HÜTTER" mit einer darunter aufgemalten, am Galgen hängenden Person. Bei dem Namen handelt es sich um den stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD und Mitglied des Sächsischen Landtages, der im Bürgerbüro des Kreisvorstandes der AfD Chemnitz seinerseits ein Bürgerbüro unterhält. 430 siehe Glossar 251 * 15. - 17. März 2016 in Aue (Erzgebirgskreis) Unbekannte Täter versuchten, die Tür zum AfD-Büro aufzuhebeln. Des Weiteren hinterließen sie auf der Scheibe den Slogan "Rassismus tötet". Der Anstieg klandestiner Aktionen zeigt, dass für die Anwendung dieser Aktionsform nicht zwingend ein hohes linksextremistisches Personenpotenzial notwendig ist. Ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad ist hinreichende Voraussetzung für solche Straftaten. Dies trifft offenbar auch für "Outing"-Aktionen431 zu, die zwar zeitintensiv sind, aber von einem kleinen Personenkreis durchgeführt werden können. Linksextremisten waren im November 2016 an einer für Sachsen und den Raum Chemnitz außergewöhnlich umfangreichen Aktion des "Outings" von Rechtsextremisten beteiligt. Sie veröffentlichten im Internet entsprechende Informationen über Personen, die von den Autoren des "Outings" der rechtsextremen Gruppe rechtes PleNum zugeordnet wurden. Zudem wurden Bewohner eines Chemnitzer Stadtteils mittels Flyern (Titel "Vorsicht Neonazi!") auf die Aktivitäten dieser Gruppierung sowie auf in Chemnitz ansässige Personen, denen jeweils die Zugehörigkeit zu diesem Personenzusammenschluss432 unterstellt wurde, hingewiesen. In einer Nachbetrachtung zeigten sich die Verfasser über die Folgen433 der "Outing"-Aktion zufrieden und gaben an, sich "ausschließlich publizistisch mit rechtsextremistischen Strukturen" zu beschäftigen. Andere Aktionsformen, wie die Zerstörung des Pkw, würden zur Kenntnis genommen und "nicht beurteilt". Unmittelbar nach dem "Outing" war ein Pkw eines von der Aktion Betroffenen in Brand gesetzt worden. Region Westsachsen Die Region Westsachsen umfasst die Stadt Chemnitz, den Vogtlandkreis, den Landkreis Zwickau sowie den Erzgebirgskreis. In der Region existieren lediglich kleine, weitgehend unstrukturierte autonome Szenen mit wenigen Personen, die sich weiterhin in den Städten Chemnitz und Plauen konzentrieren. Anders als in Leipzig und Dresden gibt es keine namentlich agierenden autonomen Gruppierungen. Diese Schwäche der örtlichen Szene wurde vor allem bei lokalen Aktionen sichtbar. Sie beschränkten sich auf die Teilnahme an den von Nichtextremisten organisierten Protestdemonstrationen gegen Versammlungen der PEGIDA434 in Chemnitz. Weiterhin konzentrierten sich die Aktivitäten der Linksextremisten regelmäßig auf verbale Proteste in Hörund Sichtweite der jeweiligen Gegenveranstaltung, ohne diese nachhaltig zu stören. Die unzureichende Vernetzung von Linksextremisten in Chemnitz mit denen anderer sächsischer Regionen zeigte sich vor allem im Monat März. Den Protesten gegen eine von Rechtsextremisten bereits früh angekündigte Demonstration435 anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Chemnitz im 2. Weltkrieg blieben Linksextremisten trotz eines Blockadeaufrufes im Internet größtenteils fern. 431 siehe hierzu Abschnitt II.3.3 autoNome 432 siehe hierzu Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 433 https://linksunten.indymedia.org/de/node/196539 (Stand: 14. November 2016) 434 Zwischenzeitlich hat sich die Vereinigung "PEGIDA Chemnitz-Erzgebirge" in die Gruppierung "Freie Patrioten/PEGIDAUnterstützer" und die Vereinigung "Heimat und Tradition Chemnitz-Erzgebirge" aufgespalten. Beide führen jeweils eigene Veranstaltungen durch. 435 Organisator der Demonstration war der Landesverband der rechtsextremistischen JuNgeN NatIoNalDemokrateN (JN). siehe Abschnitt II.2.4.2 JuNge NatIoNalDemokrateN 252 LINKSExTREMISMUS Dieses Gebiet erlangte für Linksextremisten und deren Strategie, welche auf Ausbau, Präsenz und Vernetzung antifaschistischer Strukturen im ländlichen Raum zielt, eine herausragende Bedeutung. Für diese Strategie lassen sich im Wesentlichen folgende Schritte ausmachen: Erläuterung der Strategie und Erörterung der taktischen Umsetzung sowie Aktionen zur Umsetzung der Ziele. Eine wesentliche Zäsur stellte der aNtIfa-Jugendkongress vom 1. bis 3. April 2016 in Chemnitz dar. Dort wurden maßgebliche Schritte zur Umsetzung dieser Ziele erörtert und festgelegt. Der Stellenwert, den die Organisatoren dieser Veranstaltung beimaßen, zeigte sich in einer langfristigen Vorbereitung und Mobilisierung. Linksextremistische Gruppen mobilisierten von Jahresbeginn an öffentlich im Internet zur Teilnahme an der Konferenz. Auf der zugehörigen Internetseite https:// timetoact.org wurde ein Anmeldeportal eingerichtet und Informationen zu Ablauf, Zeitplan und Organisationsstruktur - zusätzlich in englischer Sprache - veröffentlicht. Neben Nichtextremisten waren auch linksextremistische Gruppen in die Organisation des Kongresses eingebunden. Dazu zählen die Leipziger Gruppen PRISMA und the future Is uNwrItteN sowie die Dresdner Gruppe uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa DresDeN (ura). Quelle: https://facebook.com/timetoactjugendkongress (Stand: 2. April 2016) Nahezu jede linksextremistische Gruppierung in Sachsen verwies auf ihrer Internetseite auf den Kongresstermin. Für Auswärtige wurden zudem Übernachtungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt. Unmittelbar vor dem Kongress fanden mehrere überregionale Informationsveranstaltungen statt sowie am 21. März 2016 auch eine Kundgebung in Chemnitz. Das Treffen wurde als Wochenendseminar mit verschiedenen - zum Teil parallel verlaufenden - Workshops im AJZ Chemnitz durchgeführt. Somit stellte diese Lokalität einen wichtigen logistischen Stützpunkt für diese Veranstaltung dar. Die überwiegende Mehrheit der ca. 300 Teilnehmer reiste aus Sachsen an. Auswärtige Teilnehmer kamen vor allem aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Berlin sowie aus Tschechien. 253 Einen zentralen inhaltlichen Kern bildeten Diskussionen über Mobilisierung und Strategien anlässlich der geplanten Demonstration am 1. Mai 2016 in Plauen. Auch das weist auf die Strategie hin, die Präsenz in den ländlichen Regionen Sachsens auszubauen. Darüber hinaus wurden Workshops zu Themen, wie Aktionstraining, Bezugsgruppenarbeit oder Öffentlichkeitsarbeit, angeboten. Erreicht werden sollte eine bessere länderübergreifende Vernetzung von Linksextremisten, aber auch entsprechende Vernetzung ländlicher Gebiete Sachsens, um lokalen personalschwachen linksextremistischen Gruppen zu einer dauerhaften Struktur zu verhelfen. Dem Jugendkongress folgten eine Reihe von Aktionen in Westsachsen, die auf die Umsetzung der Ziele, die auf dieser Veranstaltung formuliert wurden, hindeuten. Darauf weist die zum größten Teil überregionale Mobilisierung hin, die zu einer verhältnismäßig großen Teilnehmerzahl führte. Folgende Demonstrationen führen dies auf: 1. Demonstration am 1. Mai 2016 in Plauen (Vogtlandkreis) Diese Veranstaltung wurde unter dem Motto "Time to act - Nationalismus ist keine Alternative" durch das bundesweite linksextremistische (...) ums gaNze!-Bündnis initiiert und organisiert, so dass mit Anreisen von Gruppen aus jenen Regionen zu rechnen war, die in diesem Bündnis integriert sind. Dazu zählte bspw. auch die aktionsorientierte linksextremistische Gruppe toP BerlIN. An der Demonstration nahmen ca. 1.000 Personen, darunter 700 Linksextremisten, teil. 2. Demonstration am 6. Juni 2016 in Annaberg-Buchholz (Erzgebirgskreis) Die Mobilisierung zu dieser Veranstaltung erfolgte ebenfalls maßgeblich durch linksextremistische Gruppierungen, die in den bundesweiten linksextremistischen Bündnissen INterveNtIoNIstIsche lINke (Il) sowie dem (...) ums gaNze!-Bündnis integriert sind. So gehörten u. a. die Gruppen uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa DresDeN (ura), the future Is uNwrItteN (tfIu leIPzIg) und toP BerlIN zu den Organisatoren, die unter dem Motto "Emanzipation ist viel geiler! Schweigemarsch stoppen!"436 für eine Demonstration gegen den "Schweigemarsch für das Leben" warben. Die überregionale Mobilisierung durch bundesweite linksextremistische Bündnisse führte auch in dieser Region zu einer hohen Beteiligung (400 Demonstranten, darunter ca. 200 Linksextremisten). 3. Demonstration am 5. November 2016 in Zwickau (Landkreis Zwickau) Welchen Stellenwert diese Veranstaltung für die linksextremistische Szene und die Region besaß, zeigte sich auch in diesem Fall in der überregionalen Mobilisierung. Es fanden Mobilisierungsveranstaltungen in Hamburg, Berlin, Rostock, Brandenburg und Leipzig statt. Insbesondere Leipziger Linksextremisten unterstützten die Demonstration logistisch. Sie führten im Vorfeld eine Information-Veranstaltung durch und organisierten die gemeinsame Zuganreise. An der Demonstration unter dem Thema: "5 Jahre NSU-Selbstenttarnung - Aufklärung der Rolle von Justiz und Polizei! Gegen Rassismus" nahmen ca. 450 Personen teil, unter denen sich etwa 200 bis 250 Linksextremisten befanden. 436 eine Demonstration von Abtreibungsgegnern 254 LINKSExTREMISMUS 4. Demonstration am 17. Dezember 2016 in Plauen Zur Teilnahme an der Demonstration mit dem Motto "Den Nazis die Homezone streitig machen - III. Weg zerschlagen!" mobilisierten hauptsächlich Gruppen der autonomen Szene Leipzigs. Die linksextremistischen Gruppen the future Is uNwrItteN (tfIu) und die aNtIfa kleIN-ParIs (akP) reisten gemeinsam an. Zudem folgten Linksextremisten aus Thüringen (aNtIfaschIstIsche gruPPe gotha sowie das aNtIfaschIstIsche JugeNDBüNDNIs saalfelD) dem auf einschlägigen Internetseiten und über Social-MediaKanäle veröffentlichten Aufruf. An der Aktion beteiligten sich ca. 190 Personen, darunter ca. 130 autoNome. Vorbereitung und Mobilisierung der Gegendemonstrationen weisen deutlich auf die Strategie hin, die strukturschwache linksextremistische Szene jenseits der Zentren Leipzig und Dresden zu stärken. Mit diesen - vor allem wegen der überregionalen Mobilisierung - sehr teilnehmerstarken Aktionen hat die aNtIfa im ländlichen Raum deutliche Präsenz gezeigt. Es ist daher auch künftig mit solchen Aktionen in dieser Region zu rechnen. Region Mittelsachsen Zur Region Mittelsachsen gehören der Landkreis Mittelsachsen, der Landkreis Meißen sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Das Aktionsniveau der autonomen Szene im Landkreis Mittelsachsen hat sich weiter verringert. So mobilisierte - auch überregional - die hier ansässige Gruppe aNtIfa rDl (Roßwein-Döbeln-Leisnig) ausschließlich zu Aktivitäten gegen den Aufzug von Rechtsextremisten am 1. Mai 2016 in Plauen (Vogtlandkreis). In dem Aufruf kündigte die Gruppe an, "alles daran zu setzen, die Nazis zu blockieren."437 Auf dem zugehörigen Gruppenbild wurde weiterhin gefordert, "Rechte Strukturen auf[zu]decken und [zu] bekämpfen. Zusammen. Auf allen Ebenen. Mit allen Mitteln." Quelle: nrdlnazifrei.blogsport.com (Stand: 18. November 2016) 437 nrdlnazifrei.blocksport.de (Stand: 18. November 2016) 255 Die asylfeindlichen Ereignisse am 18. Februar 2016 in Clausnitz, einem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle, veranlassten Linksextremisten zu Reaktionen. Auf dem von Linksextremisten genutzten Internetportal linksunten.indymedia.org wurde unter dem Titel "Offener Brief an Clausnitz" über einen Besuch der aNtIfa rDl-Gruppe berichtet. Weiterhin wurde angekündigt: "Falls ihr noch einer einzigen geflüchteten Person Angst macht, wird das Konsequenzen für euch haben". Laut dem Bericht könnte es z. B. zu Sachbeschädigungen kommen, so könnten sich Traktoren selbst entzünden, und "ein Teil unserer weiteren Möglichkeiten könnte die Bevölkerung verunsichern". Linksextremisten beteiligten sich vor Ort auch an einer Kundgebung am 20. Februar 2016 unter dem Motto "Es ist nicht Zeit sich zu schämen, es ist Zeit zu handeln. Refugees überall!", die als Reaktion auf die genannten Vorfälle durchgeführt wurde. Zu dieser Veranstaltung mobilisierten vor allem linksextremistische Gruppen aus Dresden und Leipzig. In den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge waren im Jahr 2016 lediglich Einzelpersonen der linksextremistische Szene zuzurechnen. Im Landkreis Meißen fand nur eine öffentlichkeitswirksame Aktion mit linksextremistischen Bezügen statt. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ging das Aktionsniveau gegenüber 2015 deutlich zurück. Da diese Region im Einflussbereich der Dresdner Szene liegt, wurden die Aktionen von dieser zumeist auch initiiert. So fanden in Freital und Heidenau analog zum Vorjahr mehrere Aktionen im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antirassismus/Asyl" statt. Anders als zum Vorjahr, als mehrere Aktionen mit überregionaler bzw. sogar bundesweiter Mobilisierung und Beteiligung stattfanden, wurden die Aktivitäten im Jahr 2016 lediglich von der sächsischen Szene getragen. Zudem verliefen sie ausnahmslos störungsfrei. Region Ostsachsen Die Region Ostsachsen umfasst die Landkreise Bautzen und Görlitz. Im Landkreis Bautzen existieren bereits seit Jahren keine linksextremistischen Strukturen. Mitte September 2016 kam es in Bautzen zu Auseinandersetzungen zwischen Asylbewerbern und Personen, die teilweise offenbar dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen waren. Dies löste eine bundesweite Resonanz innerhalb der linksextremistischen Szene aus und bestimmte in den Folgemonaten maßgeblich das Handeln der 18. September 2016 Bautzen Quelle: Bilddatenbank Internet (Stand: 19. September 2016) sächsischen autonomen Szene. U. a. fand am 18. September 2016 eine Demonstration statt, an der sich nach kurzfristiger überregionaler Mobilisierung 300 Linksextremisten beteiligten. Weitere Aktivitäten - wenn auch nicht mehr in dieser Größenordnung - folgten in den folgenden Monaten regelmäßig. 256 LINKSExTREMISMUS Im Landkreis Görlitz wies lediglich die aNtIfaschIstIsche aktIoN görlItz mit Veröffentlichungen im Internet sporadisch Präsenz auf. Der linksextremistische autoNomal-versaND in Zittau als auch die aNtIfa lausItz entfalteten keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten. Dies wirkte sich auf das dortige Aktivitätsniveau aus, das analog zum Vorjahr abermals sehr niedrig war. Eine Ausnahme stellte die Beteiligung von auswärtigen Linksextremisten an den Aktivitäten gegen den Klimawandel dar, die auch auf die Landkreise Bautzen und Görlitz ausstrahlten. So beteiligten sich im Mai 2016 auswärtige Linksextremisten an den Aktionstagen der Kampagne "Ende Gelände" in der Lausitz, in deren Rahmen u. a. Schaufelradbagger besetzt und die Infrastruktur eines Braunkohlekraftwerks kurzzeitig gestört wurde. Zwar fanden die Aktionen überwiegend im Land Brandenburg statt. Jedoch kam es auch im Landkreis Bautzen zur Besetzung einer Gleisanlage. Die Aktion wurde durch die Polizei beendet. Ebenso beteiligten sich auswärtige Linksextremisten im Zeitraum März bis Mai 2016 an der Besetzung eines Waldstücks nahe des Tagebaus Nochten (Landkreis Görlitz) durch mehrere Personen eines ProJekts lautoNomIa. Auch diese Besetzung wurde durch die Polizei beendet. Region Nordsachsen In den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen gab es keine aktive linksextremistische Szene. Es fanden keine öffentlichen Aktionen statt. Vereinzelte Aktivitäten in den Vorjahren waren - aufgrund der örtlichen Nähe zu Leipzig - auf dortige linksextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen zurückzuführen. 3.4 Anarchistische Gruppierungen Der Anarchismus ist eine politische Bewegung und Weltanschauung, die in ihrem Kern die Herrschaft von Menschen über Menschen sowie jede Art von Hierarchie als Form der Unterdrückung ablehnt. Das Ziel besteht in der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft im Sinne einer Gesellschaftsordnung ohne Staat, Militär und Justiz. Der Anarchismus besitzt eine lange historische Tradition, deren Wurzeln bis in die frühe europäische Arbeiterbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Im Laufe seiner Geschichte hat er eine Vielzahl von Strömungen hervorgebracht und verschiedene Facetten entwickelt, die bis in die Gegenwart hineinreichen. Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. Dabei sind fließende Übergänge in ähnliche oder verwandte Bewegungen oder Gruppen - wie den autoNomeN - feststellbar. Dennoch weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Merkmale auf, durch die sich entsprechende Gruppen auch deutlich von den autoNomeN unterscheiden. Diese wesentlichen Unterscheidungsmerkmale lassen sich vor allem anhand von Kriterien für die Bereiche Ideologie, Organisation und Strategie herausarbeiten. 257 Ideologie Der Anarchosyndikalismus ist eine Form des Anarchismus, der auf die Übernahme der Produktionsmittel durch arBeIterassozIatIoNeN abzielt. Dies beinhaltet die Idee einer gewerkschaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an dessen Stelle eine Föderation der Syndikate (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Das Syndikat wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes wie auch der Zukunftsgesellschaft erachtet. Diese Form des Anarchismus weist somit eine deutlich andere Qualität auf als jene der autoNomeN. Zwar favorisieren auch autoNome ihrem Selbstverständnis entsprechend eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung, jedoch ist es ihnen bislang nicht gelungen, eine feste theoretische Basis zu entwickeln. Organisation Die anarchosyndikalistischen Gruppen sind in ein föderales Netzwerk integriert. Die örtlichen/regionalen Lokalföderationen (Gesamtheit der Syndikate an einem Ort) bilden die bundesweite freIe arBeIterINNeN - uND arBeIter - uNIoN (fau), welche ihrerseits als deutsche Sektion der INterNatIoNaleN arBeIterINNeN asso438 zIatIoN (Iaa) angeschlossen ist. Auch hier zeigt sich ein Unterschied zur autonomen Szene, die in verschiedene örtliche Strukturen und Kleingruppen zersplittert ist. Den verschiedenen Versuchen der Bildung einer überregionalen Organisation oder zumindest einer dauerhaften Vernetzung untereinander standen stets die den autoNomeN eigene Organisationsfeindlichkeit sowie ideologische Differenzen entgegen. Strategie Das Handeln der Anarchosyndikalisten richtet sich nach strategischen Prinzipien, die Mitte 2015 in einem neuen Grundlagentext der fau formuliert worden sind. Diese "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der freIeN arBeIterINNeNuND arBeIter-uNIoN (fau)" ersetzten die bisherige "Prinzipienerklärung" aus 439 dem Jahr 1990. In der bis Mitte 2015 gültigen Fassung hieß es, sie sind bestrebt, "(...) schrittweise eine neue Welt in der 440 Schale der alten zu entwickeln." Die Frage der Anwendung von Gewalt bei der Umsetzung ihrer Ziele wurde offen gelassen. Dazu hieß es: "In unserem Vorgehen legen wir uns weder auf Gewaltlosigkeit noch auf Gewalt fest! Die Wahl unserer 441 Mittel ergibt sich aus den konkreten Situationen und Zielen!" . Im Gegensatz zur Vorgängerfassung ist die aktuelle "Prinzipienerklärung" gemäßigter abgefasst. Das Ziel wird nach wie vor in der "Überwindung des Kapitalismus" gesehen, da er "auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen". Zwar wird die Rolle der Gewalt für die Um438 https://dresden.fau.org (Stand: 25. Oktober 2016) 439 http://fau.org/texte/; "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der freIeN arBeIterINNeNuND arBeIteruNIoN (fau)", (Stand: 25. Oktober 2016) 440 "Prinzipienerklärung" der freIeN arBeIterINNeNuND arBeIteruNIoN, verfasst 1989/1990, geändert 2003, S.7 441 ebd., S.11 258 LINKSExTREMISMUS setzung dieser Ziele nicht mehr thematisiert. Eine explizite Abgrenzung erfolgt jedoch nicht. Stattdessen wird eher ein reformreicher Weg in Erwägung gezogen. So heißt es: "Politische Reformen lehnen wir nicht ab, wenn sie reale Verbesserungen der Lebenssituation beinhalten oder unsere Rechte stärken und nicht im Widerspruch zu unseren Zielen stehen. Wir lehnen jedoch Reformismus als eine Haltung ab, die nicht versucht, die bestehenden Ausbeutungsund Unterdrückungsver442 hältnisse grundlegend zu ändern, sondern sie stattdessen stabilisiert." Die neue "Prinzipienerklärung" hat vor allem das taktische Ziel der Gewinnung neuer Mitglieder. Erwartet wird, dass die meisten potenziellen Anhänger eher mittels Reformen zur Änderung der Gesellschaft zu gewinnen seien als auf revolutionärem Weg. In Sachsen sind es die anarchosyndikalistischen Kleingruppen FAU Dresden und Leipzig sowie die aNarchosyNDIkalIstIsche JugeND leIPzIg (asJl), die fest in das bundesweite föderale Netzwerk integriert sind. Gemessen an ihrer geringen personellen Stärke sind diese Gruppierungen sehr aktiv. Besonders im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Die ASJL wiederum zeigt eine Nähe zur gewaltbereiten autonomen Szene. fReie aRbeiteRinnenund aRbeiteR-union - inteRnationale aRbeiteRinnen assoziation (fau-iaa) Extremismusbereich: Linksextremismus Gründung: 1977 Sitz: Berlin Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 45 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 45 Teil-, Nebenorganisationen: syNDIkate, Lokalföderationen: allgemeINes syNDIkat DresDeN Der fau, fau leIPzIg, fau sektIoN chemNItz, aNarchosyNDIkalIstIsche JugeND leIPzIg" (ASJL) Publikation: DIREKTE AKTION Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Die FAU-IAA ist die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland und ist in Sachsen spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Sie bezeichnet sich selbst als "Anarchistische Gewerkschaft", die der INterNatIoNaleN arBeIterINNeN assozIatIoN (Iaa) angeschlossen ist. Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge. 442 http://fau.org/texte/; "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der freIeN arBeIterINNeNuND arBeIteruNIoN (fau)" (Stand: 25. Oktober 2016) 259 Seit 2014 stagniert die Mitgliederzahl im Freistaat Sachsen bei ca. 45 Personen, die sich in etwa gleichmäßig auf die Syndikate Leipzig und Dresden verteilen. Der starke Aktionswille, der sich in der Vielzahl eigener Veranstaltungen widerspiegelt, wird von nur wenigen lokalen Akteuren getragen. Die organisatorische Basis der sächsischen Mitglieder bilden örtliche Syndikate (lokale basisdemokratische Gewerkschaften) und Lokalföderationen in den Städten Leipzig und Dresden. Die 2015 aus der fauINItIatIve chemNItz hervorgegangene fau-sektIoN chemNItz konnte erneut nicht die Anforderungen für die Errichtung eines eigenständigen Syndikats erreichen. Mitglieder der FAU im Freistaat Sachsen 50 45 45 45 45 40 40 35 30 25 25 20 15 10 5 0 2012 2013 2014 2015 2016 Ideologie/ Politische Zielsetzung Das Ziel der FAU-IAA ist die Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. In ihrem als "revolutionäre Gewerkschaftszeitung" bezeichneten Periodikum DIREKTE AKTION, die sich nach eigenen Angaben "auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt", heißt es dazu unmissverständlich: "Wir AnArcho-SyndikAliStinnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. [...] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die 443 parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." Mit diesem Selbstverständnis, welches die Anwendung sämtlicher Mittel zur Beseitigung der parlamentarischen Demokratie propagiert, steht die FAU-IAA in klarem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Aktivitäten Wie bereits in den Jahren zuvor traten anarchosyndikalistische Gruppen im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf. Dabei zeigten sich jedoch teils deutliche Unterschiede zwischen den in Dresden, Leipzig und Chemnitz ansässigen FAU-Akteuren nicht nur in Umfang und Intensität, sondern auch in der Wahl der Mittel. 443 Das Zitat erscheint regelmäßig. Quelle: DIREKTE AKTION ANARCHOSYNDIKALISTISCHE ZEITUNG, Ausgabe 233 (Januar/ Februar 2016), S.16 260 LINKSExTREMISMUS Dresden Die nach wie vor aktivste Gruppe ist das allgemeINe syNDIkat DresDeN Der fau-Iaa (fau DresDeN). Insbesondere durch die Verteilung von Flugblättern, die Organisation eigener Demonstrationen und Seminare oder über die Beteiligung an sozialkritischen, nicht extremistischen Protestdemonstrationen versuchte die fau DresDeN, ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Am 1. März 2016 führte die fau DresDeN eine Kundgebung im Rahmen des europäischen Aktionstages "Gegen Grenzen, Ausbeutung und Diktatur in Europa" in Dresden durch. Mit dem Mittel des "Sozialstreiks" sollte demnach ein "Gegengewicht von unten" zur "Unterdrückung und Profitgier aus verkaufter Arbeitskraft" aufgebaut und "wirtschaftliche Tatsachen geschaffen [werden], die nicht überhört werden können."444 Im April führte die fau DresDeN im Rahmen der Kampagne "Solidarität statt Ausgrenzung - Für einen libertären Frühling" zwei Demonstrationen in Dresden durch. Die erste Demonstration stand unter dem Motto: "Workers Memorial Day445 - in Gedenken an die Opfer von Arbeitsunfällen". Dabei thematisierte die Gruppe die durch das "kapitalistische Ausbeutungssystem" hervorgerufenen "Opfer der Lohnarbeit" und solidarisierte sich mit den Streiks gegen die Arbeitsmarktreform in Frankreich.446 Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 2. Mai 2016; Bild bearbeitet) Die zweite Demonstration diente der Solidarität mit einem Dresdner FAU-Mitglied, das sich wegen Landfriedensbruchs vor Gericht verantworten musste. Im Juni unterstützte die fau DresDeN erneut mit einer Demonstration in Dresden die Proteste in Frankreich und rief zu ähnlichen Streiks in Deutschland auf. Gleichzeitig wurde die "immer Quelle: https://twitter.com/fau_dresden (Stand: 16. Juni 2016) 444 Flugblatt des a llgemeINeN syNDIkats DresDeN zum 1. März 2016 445 Der "Workers Memorial Day" wird von Anarchosyndikalisten regelmäßig zum Anlass für eigene Aktivitäten genommen. 446 https://linksunten.indymedia.org/node/177465 (Stand: 2. Mai 2016) 261 stärker grassierende[n] Nazipräsenz im Kiez" thematisiert, die die "geflüchteten Kolleg_innen und selbstverwaltete Strukturen und Läden im Kiez" bedrohen würden.447 Zur besseren Vernetzung von aNarchIsteN veranstaltete die fau DresDeN im August ein mehrtägiges "Wanderseminar im Elbsandsteingebirge". Zugleich rief sie zur Spende für die "Kampagne für ein libertäres Zentrum im Elbsandsteingebirge" auf, mit der ein künftiges "libertäres Gästeund Tagungszentrum" finanziert werden sollte.448 Im Rahmen der "Libertären Tage" beteiligte sich die fau DresDeN am 12. September 2016 mit einem "Libertären Block" an einer Protestveranstaltung gegen PEGIDA. Akteure der FAU hielten verschiedene Redebeiträge. Darin befürworteten sie zwar grundsätzlich antifaschistische Aktionen, die sich gegen all jene richten, "die ein faschistisches oder faschistoides System errichten wollen, oder militant nach neo449 nazistischer und rassistischer Ideologie handeln". Allerdings wird aus anarchistischer Sicht der Staat mit seinen Institutionen als alleiniger Verursacher der seit Jahren "nach rechts drehend(en) [...] gesell450 schaftlichen Situation" herausgestellt. Demnach bestehe die "Logik des Systems" in der Ausbeutung des Menschen durch den kapitalistischen Staat. Durch "größer werdende Zumutungen des kapitalistischen Normalzustandes [...]" würde "autoritäres Denken und Handeln" von Menschen systematisch gefördert. Daher könne es nicht das Ziel sein, "die herrschenden Verhältnisse gegen die autoritären 451 Angriffe zu verteidigen." Als Antwort greift die fau DresDeN Aktionen internationaler anarchistischer Bewegungen in Griechenland, Spanien und in der Ukraine auf, die "Solidarität und Selbstorganisation" bspw. in sog. "Refugee-Squats" (Squats: Hausbesetzungen) umsetzten. Anarchistisches Ziel bleibe eine hierarchiefreie, solidarische und selbstorganisierte Gesellschaft ohne "staatliche und autoritäre Strukturen". Eine Rede endete mit den Aufrufen: "Doch dieses schöne Leben muss erkämpft werden. Fangen wir 452 an! Bis alle frei sind! Der Aufstand ist jetzt!". Themen der FAU sind vorrangig der Arbeitskampf und die Gewerkschaftsarbeit aus linksextremistischer Perspektive, die auch die fau DresDeN aktiv verfolgt. Mit der personell gering besetzten FAU-Sektion BasIsgewerkschaft NahruNg uND gastroNomIe (BNg) ist sie seit Jahren im Dresdner Gastronomiesektor tätig und versucht Arbeitnehmer kleiner Gastro-Betriebe im Arbeitskampf zu unterstützen. Die fau DresDeN stellt mit Streiks, Betriebsbesetzungen und Pressearbeit typische anarchosyndikalistische Druckmittel in Aussicht. Der von ihr erstellte Branchenlohnspiegel dient einerseits als Grundlage für "Lohnverhandlun453 gen", andererseits als "Anreiz für Unternehmer_innen faire Löhne zu zahlen". Teil ihrer Strategie ist die Bildung "gewerkschaftlicher Kollektivbetriebe" mit Gemeinschaftseigentum, deren Branchenstandards durch die fau DresDeN kontrolliert werden. Chemnitz Die fau-sektIoN chemNItz, die organisatorisch dem Syndikat Dresden angehört, zeigte im Jahr 2016 kaum Aktivitäten. Lediglich am 1. Mai 2016 führte sie traditionell eine Versammlung unter dem Motto "kriti447 https://linksunten.indymedia.org/de/node/182133 (Stand: 16. Juni 2016) 448 Für ein libertäres Zentrum im Elbsandsteingebirge", Flyer der FAU, Juni 2016 449 Redebeitrag der FAU am 12. September 2016 in Dresden 450 ebd. 451 ebd. 452 ebd.; Teile des Aufrufes befanden sich auch auf dem Fronttransparent 453 Quelle: https://www.direkteaktion.org/verteilzeitung, Beitrag "Dem Kapitalismus in die Suppe spucken!" (Stand: 25. Oktober 2016) 262 LINKSExTREMISMUS sche 1. Mai-Demo" in Chemnitz durch. In Redebeiträgen wurde die nach Ansicht der FAU "zunehmende Entpolitisierung" des 1. Mai in Chemnitz thematisiert. Mit Aufrufen zu "Streik, Boykott und die Überwindung des Kapitalismus" wurden zudem klassische anarchosyndikalistische Inhalte vermittelt.454 Die Region Chemnitz ist durch ein sehr niedriges linksextremistisches Personenpotenzial geprägt, das nur schwach strukturiert ist. So ergaben sich für die fau chemNItz kaum Anschlussmöglichkeiten. Aber auch andere örtlich ansässige Linksextremisten suchten offenbar nicht die Zusammenarbeit mit der fau chemNItz. Eine nennenswerte strukturelle Entwicklung wird deshalb bis auf weiteres nicht zu erwarten sein. Leipzig Die fau leIPzIg trat im Berichtsjahr kaum in der Öffentlichkeit auf. Statt Demonstrationen organisierte die fau leIPzIg in Eigenregie Konzerte, so am 20. Januar 2016 in Leipzig unter Beteiligung der linksextremistischen Band sozIaler fehltrItt. Im Rahmen der Konzerte betrieben sie Mitgliederwerbung. Die Konzerteinnahmen sollten dabei in der politischen Arbeit der FAU ("Arbeitskampf") Verwendung finden. anarchosyndIkalIstIsche Jugend leIPzIg (asJl) Historie und Strukturentwicklung Eigenen Angaben zufolge gründete sich die ASJL im November 2010. Sie gehört als Ortsverein zu der im Mai 2011 gegründeten Regionalföderation Ost der ASJ. Ab Mitte 2007 entwickelte sich innerhalb der FAU-IAA eine Jugendvertretung, die auf dem FAU-Kongress 2008 eine AG-Jugend konstituierte. Hieraus bildeten sich schließlich regionale ASJ-Gruppen. Die Separierung der ASJL von der fau leIPzIg im Jahr 2010 markierte keine Abgrenzung im inhaltlich-weltanQuelle: Flyer der ASJL schaulichen Sinne, sondern war Folge einer bundesweiten strukturellen Entwicklung. Ideologie/ Politische Zielsetzung Ihrem Selbstverständnis entsprechend ist die ASJL "ein bundesweit organisierter, außerparlamentarischer Jugendverband", der "den Parlamentarismus nicht für das richtige Mittel [hält], um die gesellschaftlichen Bedingungen zu verbessern." Sie strebt eine "Welt ohne Nationen und Staaten [an], in der 455 alle individuell nach ihren Bedürfnissen leben können [...]". Mit der Formulierung, dass "[...] für die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit eine gemeinschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel entscheidend notwendig ist", wird eine Grundforderung des Anarchosyndikalismus bedient. Darüber hinaus grenzte sich die ASJL - zumindest indirekt - deutlich vom Freiheitsbegriff der autoNomeN ab, da aus ihrer Sicht "Freiheit nicht das Ausleben egoistischer Vor456 stellungen auf Kosten Anderer" bedeute. 454 ebd. 455 Selbstdarstellung, Flyer der ASJL, März 2016 456 http://asjl.blogsport.de, Rubrik "Grundsatz" (Stand: 27. Oktober 2016) 263 Außerdem ist sie der Meinung, dass "[...] man über sein Zusammenleben mit anderen Menschen selbst entscheiden kann, ohne durch soziale, 457 politische oder sonstige Hierarchien unterdrückt zu werden." Die Verwirklichung dieses Grundsatzes ist für die ASJL in einer Demokratie nicht umzusetzen. Weiterhin nimmt sie zur Beseitigung jeder staatlichen und nichtstaatlichen Ordnung die Anwendung von Gewalt in Kauf: "Nichts wäre wünschenswerter, als dass dieser Konflikt friedlich ausgetragen werden könnte. Die Lehren aus der Geschichte und das Gebären der aktuell Machthabenden lässt uns diesen Wunsch leider als un458 realistisch erscheinen." Die ASJL lehnt jede Form der Herrschaft als Synonym der Ungleichheit und Unfreiheit ab. Das gilt auch für die von Marxisten angestrebte "Diktatur des Proletariats" nach erfolgreichem Klassenkampf. Unter Klassenkampf versteht die ASJL den "unmittelbaren Kampf gegen das Bestehen von Klassen, als Aus459 druck von Unterdrückung". Dieser sei nur zu verwirklichen, "indem die Bereitschaft aller zur Überwin460 dung des Systems durch Aufklärung und Emanzipation gefördert wird". Damit forciert die ASJL eine anarchistisch geprägte Gesellschaft, welche die Abwesenheit staatlicher Strukturen beinhaltet und die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung diametral entgegengesetzt ist. Aktivitäten Als eigenständige Organisation besaß die ASJL im Jahr 2016 wie die fau leIPzIg eine nur untergeordnete Rolle im linksextremistischen Spektrum von Leipzig. Im Unterschied zur Mutterorganisation fau zeigte sich bei deren Jugendvertretung in Leipzig jedoch eine enge Verzahnung mit der örtlichen autonomen Szene. So rief die ASJL zur Teilnahme an Demonstrationen in Leipzig auf, an denen sich auch autoNome beteiligten. Des Weiteren mobilisierte die ASJL im Internet für die Demonstration "Solidarität mit den 461 Streikenden in Frankreich!" am 14. Juni 2016 in Leipzig. Regelmäßig lud sie zu offenen Plenen und Vortragsveranstaltungen zur Thematik Anarchosyndikalismus ein. 457 ebd. 458 ebd., Schreibweise wie im Original 459 ebd. 460 ebd. 461 http://asjl.blogsport.de (Stand: 15. Juni 2016) 264 LINKSExTREMISMUS 3.5 revolutioN (revo) Revolution (Revo) Extremismusbereich: Linksextremismus Gründung: unbekannt Sitz: Berlin Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 20 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 10 Mitglieder 2015 bundesweit: unbekannt Vorsitz Bund: keine Angabe Teil-, Nebenorganisationen: - Publikation: revolutIoN (unregelmäßig) Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Im Freistaat Sachsen zählen die Gruppen von revolutIoN - wie auch revolutIoNsgruppen in anderen Städten - zu der Jugendorganisation der trotzkistischen Gruppierung gruPPe arBeItermacht (gam). Diese Gruppierung sowie deren Jugendorganisationen sind Bestandteile der überregionalen linksextremistischen Organisation Neue aNtIkaPItalIstIsche orgaNIsatIoN (Nao). Unter dem Titel "The road to revolution" veröffentlichte revolutIoN ihr internationales Programm. Demzufolge ist sie eine "internationale unabhängige Jugendorganisation mit Sektionen in Deutschland, Österreich und den USA, sowie Aktivist_innen in England und Pakistan"462. Im Freistaat Sachsen gehören etwa 20 Personen der Gruppierung an. Regional ist diese Gruppe in Leipzig und Dresden verankert. Die Gruppe revolutIoN leIPzIg trat erstmals am 19. August 2015 mit einem Positionspapier anlässlich eines Anschlages am 6. August 2015 in Leipzig an die Öffentlichkeit (dazu näher unten). Die Gruppe revolutIoN DresDeN trat erstmals am 19. Oktober 2015 in Dresden im Rahmen der Proteste gegen PEGIDA öffentlich auf. Im Jahr 2016 wurden keine nennenswerten Aktionen bekannt. Ideologie/ Politische Zielsetzung Trotzkistische Gruppierungen besitzen zentralistische und hierarchische Strukturen, die durch eine strenge Parteidisziplin geprägt sind. Insofern ist auch das politische Programm, das unter dem Titel "The road to revolution", auf deren Homepage veröffentlicht wurde, für alle revolutIoNsgruppen maßgebend und bindend. 462 www.onesolutionrevolution.de, "The road to revolution", S. 2 (Stand: 25. August 2015) 265 In diesem werden die grundlegenden weltanschaulichen Positionen sowie die Haltung zum demokratischen Rechtsstaat als politisches Ziel formuliert. Politisches Ziel Das politische Ziel von revolutIoN besteht in der "revolutionären Überwindung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem Aufbau einer Rätedemokratie mit anschließender Schaffung einer sozialistischen/ kommunistischen Gesellschaftsordnung. Im internationalen Programm heißt es: "Wir wollen den Kapitalismus durch eine proletarische Revolution überwinden und ihn durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzen, [...]. Was wir brauchen, ist eine globale und demokratische Planwirtschaft, die auf demokratischen Räten der Arbeiterklasse beruht."463 In einer Rätedemokratie wären wesentliche Elemente des demokratischen Rechtsstaates ausgehebelt. Da - nach trotzkistischer Auffassung - in einer Räterepublik alle Entscheidungen durch das Proletariat getroffen werden sollen, läge die Souveränität nicht mehr beim gesamten Staatsvolk, sondern ausschließlich bei der Arbeiterschaft. Dadurch wäre das Mehrparteienprinzip beseitigt. Die "Räte" sind bei allen Entscheidungen an die Basis gebunden und können daher ihr Mandat nicht frei ausüben. Außerdem unterstehen Exekutive, Judikative und Legislative den "Räten". Die "Rätedemokratie" verletzt damit elementare Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung. Positionen zum demokratischen Rechtsstaat Aufgrund der politischen Zielsetzung verfügt revolutIoN über eine ausgesprochen antistaatliche Haltung. Diese zeigt sich in der absoluten Ablehnung des bürgerlichen Rechtsstaates inklusive des staatlichen Gewaltmonopols. Bei dessen angestrebter Abschaffung soll auch das Mittel der Gewalt zum Einsatz kommen. Im internationalen Programm heißt es dazu: "Es gibt keinen parlamentarischen Weg zum Sozialismus. [...] Gewalt wird ein Mittel sein müssen, um die Zentren der kapitalistischen Macht endgültig zu zerbrechen - die Armee, die Polizei und die Geheimdienste." 464 revolutIoN leIPzIg formuliert diesbezüglich wie folgt: "Unsere Gewalt muss somit ins Herz dieses Systems treffen, das Privateigentum an Produktionsmitteln. [...] Unsere Zielsetzung kann somit nur einen Slogan haben: militant, massenhaft, organisiert!".465 Durchsetzung des politischen Ziels Die Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Errichtung von Räten soll mittels militärischer Mittel durchgesetzt werden. Neben "Räten" sollen auch "Arbeitermilizen" eingesetzt und "Verteidigungsstrukturen" aufgebaut werden. Dazu heißt es: 463 ebd. S. 5 464 ebd. S. 26 465 www.onesolutionrevolution.de, Beitrag "Antifaschistischer Widerstand - Notwendig und legitim! Aber wie? Kritik und Perspektiven des Kampfes in Leipzig" (Stand: 25. August 2015) 266 LINKSExTREMISMUS "Ebenso wie Arbeiterräte, werden wir Arbeitermilizen und Verteidigungsstrukturen brauchen, um Polizei und Militär daran zu hindern die Revolution mit Gewalt [zu] überziehen, den Staat zu zerschlagen und die Kapitalisten daran zu hindern, die Macht durch einen Militärputsch zurück zu erlangen.".466 Zur Erreichung ihrer Ziele erachtet revolutIoN die "Diktatur des Proletariats" als notwendig: "[...] die Diktatur des Proletariats bedeutet die Verteidigung der Revolution und ist notwendige Übergangsform zu einer klassenund staatenlosen Gesellschaft.".467 Aktivitäten Den Zielen einer Jugendorganisation entsprechend, ist die Jugendarbeit auch Kern der politischen Arbeit von revolutIoN. Diese zielt auf die Vereinnahmung von Schülern für die eigene Jugendorganisation sowie die Arbeit an Schulen ab. Die Brisanz dieser Jugendarbeit besteht darin, dass der Wunsch nach politischem Engagement junger Menschen ausgenutzt wird. Extremisten sehen in ihnen Potenzial, sie für ihre Parteien und Organisationen zu gewinnen. Diesbezüglich war revolutIoN leIPzIg im Berichtsjahr die aktivste linksextremistische Organisation in Leipzig. Damit versuchte sie, einen wesentlichen strategischen Schritt umzusetzen, der in ihrem politischen Programm verankert ist. So ist es für revolutIoN zentral, die freiheitliche demokratische Grundordnung zunehmend in Frage zu stellen.468 Dabei komme "(...) den Schüler_Innen eine wichtige Rolle zu, da die Schule ein täglicher Ort des Kampfes"469 sei. Dort würden die Schüler "(...) in einem starren Konzept für die bürgerliche Gesellschaft vorbereitet und nicht nur in 'Wissen' sondern auch in der bürgerlichen Ideologie 'erzogen'."470 Hieraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, Einfluss auf die Bildung und das Weltbild von Kindern und Jugendlichen zu nehmen. Innerhalb der Schulen soll dies durch Bildungskomitees geschehen, die sich aus Schülerräten471 und Elternvertretern zusammensetzen, und die über Form und Inhalt der Bildung entscheiden. Dadurch könne - so das Programm der Organisation - "ein Teil der Existenzbasis direkt angegriffen werden - die Entscheidungshoheit über den ideologischen und wissenschaftlichen Inhalt von Bildung. Die Forderung weißt damit über den Kapitalismus hinaus und bildet eine Brücke aus dem Hier und Jetzt in ein sozialistisches System (...)" 472. Ein politisches Programm ist auch eine Anleitung zum praktischen Handeln. Das zeigte sich deutlich beim Sommercamp der revolutIoNsgruppen vom 23. bis 28. August 2016 in der Nähe von Berlin, zu welchem revolutIoN leIPzIg mobilisiert hatte. Zentrale Inhalte dieser Veranstaltung waren Themen, wie "Schule, Bildung Kapitalismus?", "Der Kampf um eine SchülerInnengewerkschaft" oder "Schulkomitee aufbauen". 466 www.onesolutionrevolution.de, "The road to revolution", S. 33 (Stand: 25. August 2015) 467 ebd. S. 27 ff. 468 REVOLUTION, 3. Ausgabe 2016, S. 20 469 ebd., S. 19/20 470 ebd. S. 19 471 Diese Schülerräte entsprechen nicht den bekannten Schülervertretungen, sondern sind im Sinne des Rätesystems zu interpretieren und werden zentral gesteuert. 472 ebd., S. 16, Schreibweise wie im Original 267 Ein weiterer Schritt, das politische Programm umzusetzen, war die Beteiligung an der bundesweiten Aktion "Schulund Unistreik: RASSISMUS STOPPEN - In der Schule. Auf der Straße. Im Parlament.", die am 29. September 2016 stattfand. Der Stellenwert dieser Veranstaltung für revolutIoN leIPzIg zeigte sich in der Mobilisierung und Agitation ausschließlich durch diese Gruppierung. Dazu führten sie Flyer-Aktionen und Mobilisierungskundgebungen vor zahlreichen Leipziger Schulen durch. Unter dem Titel "Was ist eigentlich ein Schulstreik?"473 veröffentlichte die Gruppe ein Positionspapier, worin sie die Ansicht vertrat, dass "Schule, Eltern, Lehrer_innen, Medien, Politiker_innen und Parteien" Schüler vereinnahmen und beeinflussen würden. Mit einem Schulstreik könne man "unseren Forderungen endlich eine Quelle: Flyer Sommercamp, Papierdokument Stimme geben und durch den Boykott des Unterrichts politischen Druck aufbauen". Für die politische Arbeit wolle man dort potenzielle Mitstreiter ansprechen und für "unsere Ideen gewinnen, Aktionen starten und organisieren, wo wir uns und tagtäglich und den Großteil unserer Zeit aufhalten müssen: in den Schulen!". Ziel sei, eine "starke antirassistische Jugendbewegung aufzubauen". Aufgrund des Werbens im Umfeld Leipziger Schulen setzte sich das Teilnehmerpotenzial der Demonstration aus Mitgliedern der Jugendorganisation und Schülern zusammen. Es demonstrierten etwa 50 Schüler unter dem Motto "Aufstehen gegen Rassismus". revolutIoN leIPzIg wertete die Demonstration als Erfolg und kündigte an, ein Perspektivtreffen durchzuführen, bei dem sie den "Aufbau antirassistischer Gruppen an schulen planen und im der Praxis durchführen werden".474 Mit diesem geplanten "Perspektivtreffen" und dem Aufbau "Antirassistischer Gruppen" in Schulen werden weitere Schritte für den strukturellen Ausbau dieser trotzkistischen Organisation eingeleitet. Diese zielen auf die Installierung von zentral gesteuerten "revolutIoN-Schülergruppen" in den Schulen ab. Darüber hinaus beteiligte sich revolutIoN leIPzIg an folgenden Demonstrationen: * Am 4. Juli 2016 nahm sie an der in ihrer Gesamtheit nicht extremistischen Kampagnendemonstration "a monday without you! - Rechte Strukturen offenlegen!" in Leipzig teil. Diese fand im Rahmen der Proteste gegen einen Aufzug von "Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes" (LEGIDA) statt. * Am 17. September 2016 beteiligte sich die Gruppe in Leipzig an einer nicht extremistischen Demonstration unter dem Motto "CETA & TTIP stoppen - Für einen gerechteren Welthandel!". 473 www.onesolutionrevolution.de, Beitrag "Was ist eigentlich ein Schulstreik? (Stand: 27. September 2016) 474 www.facebook.com/RevoLeipzig/ (Stand: 30. September 2016), Schreibweise wie im Original 268 LINKSExTREMISMUS Reaktionen der Gruppe auf die Verhaftung eines ihrer Mitglieder Anlässlich der Verhaftung eines ihrer Mitglieder im Oktober 2016 reagierte die Gruppe mit einem Solidaritätsaufruf. Das Führungsmitglied Patrick S. wurde im September 2016 wegen des Brandanschlages auf ein Polizeifahrzeug und ein Polizeirevier am 6. August 2015 vom Amtsgericht Leipzig zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Im Rahmen dieser Ermittlungen ergaben sich Hinweise auf eine mögliche Täterschaft zu einem weiteren Brandanschlag außerhalb des Freistaates Sachsen. Aufgrund dessen wurde er im Oktober 2016 Quelle: https://linksunten.indymedia.org (Stand: 12. August 2015) in Untersuchungshaft genommen. Unmittelbar nach der Verhaftung wurde am 15. Oktober 2016 auf der Homepage der Gruppierung revolutIoN und am 16. Oktober 2016 auf der Facebook-Seite revolutIoN sachseN unter dem Titel "Gefangennahme unseres Genossen, unseres Freundes Patrick" ein Solidaritätsaufruf veröffentlicht. Die Autoren stellten den Täter als ein Opfer staatlicher Repression dar. Die Formulierung, er sei von der Polizei in die Justizvollzugsanstalt "verschleppt" worden, impliziert eine Auffassung von der Willkürlichkeit staatlichen Handelns. Dabei wird deutlich, dass die Straftaten für die Autoren keine Rolle spielen, sondern nur die daraus resultierenden Konsequenzen thematisiert werden. Der Täter wird zum Opfer stilisiert und die Solidarität mit dem Brandstifter legitimiert. Typischen linksextremistischen Argumentationsmustern folgend, wurde rechtsstaatliches Handeln gegen linksextremistische Aktionen als "Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes" interpretiert. Der Solidaritätsaufruf endet mit: "Für uns heißt das: Kampf dem Rassismus von PEGIDA, AfD, von Staat und Regierungen, Kampf der Repression! Solidarisiert euch mit Pat! Genommen haben sie einen, gemeint sind wir alle!"475 Am 19. Oktober 2016 wurde auf linksunten.indymedia.org476 gefordert, die Gruppe revolutIoN leIPzIg bei der Forderung nach der Freilassung von "Patrick" und ihrem Kampf gegen "Staatliche Angriffe auf ihre Gruppe" zu unterstützen. Zudem gründete sich eine Solidaritätsgruppe. Deren Angaben zufolge flössen die Einnahmen einer produzierten Soli-CD an "Pat und die anderen Genossen/innen".477 Diese Reaktion auf die Inhaftierung sowie die Solidaritätserklärung zeigen, dass für revolutIoN leIPzIg die Anwendung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung als ein legitimes Mittel angesehen wird. Das Handeln des demokratischen Rechtsstaates wird diffamiert und dem Täter eine Opferrolle zugeschrieben. 475 www.onesolutionrevolution.de/allgemein/gefangennahme-unseres-genossen-unseres-freundes-patrick (Stand: 7. Dezember 2016) 476 siehe Abschnitt II.3.8 Wege linksextremistischer Agitation 477 https://linksunten.indymedia.org/node/194100 (Stand: 7. Dezember 2016) 269 3.6 rote hilfe e. v. (rh) Rote hilfe e. v. (Rh) Extremismusbereich: Linksextremismus Gründung: 1975 Sitz: Bundesgeschäftsstelle in Göttingen (Niedersachsen) Mitglieder 2016 in Sachsen: ca. 380478 Mitglieder 2015 in Sachsen: ca. 280479 Mitglieder 2015 bundesweit: ca. 7.000480 Vorsitz Bund: keine Angabe Teil-, Nebenorganisationen: - Publikation: DIE ROTE HILFE (vierteljährlich) Kennzeichen: Historie und Strukturentwicklung Die rote hIlfe war ursprünglich eine von der kommuNIstIscheN ParteI DeutschlaNDs (kPD) im Jahr 1921 gegründete Gefangenenhilfsorganisation. Ihre Aufgabe bestand darin, Geldund Lebensmittelsammlun481 gen "für die Opfer des proletarischen Befreiungskampfes zu organisieren" . Sie war eine der mitgliederstärksten KPD-nahen Massenorganisationen. Nachdem sich Anfang der 1970er Jahre in verschiedenen Städten der Bundesrepublik Deutschland rote-hIlfe-Gruppen gebildet hatten, wurde die rote hIlfe DeutschlaNDs (rhD) unter Bezugnahme auf den gleichnamigen Vorläufer im Jahr 1975 neu gegründet. Seit 1986 ist die Organisation ein eingetragener Verein. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ging der Aufbau erster Strukturen der RH in Sachsen nur sehr schleppend voran. Neu gegründete Ortsgruppen lösten sich häufig bald wieder auf. Dennoch zählt die RH nunmehr zu den mitgliederstärksten linksextremistischen Gruppierungen in Sachsen. Nachdem die Mitgliederzahl bereits im Vorjahr signifikant angestiegen war, konnte die RH ihre Mitgliederzahl im Jahr 2016 weiter deutlich ausbauen und erreichte mit ca. 380 Personen einen neuen Höchststand. Folgende Gründe sind für den erneuten Anstieg verantwortlich: 1. Die markante Zunahme der Mitgliederzahl in Sachsen entspricht der bundesweiten Entwicklung. Diese befindet sich in einem seit mehreren Jahren anhaltenden Wachstumsprozess. Die RH sieht 478 Die Mitgliederzahlen beruhen auf Eigenangaben der RH in: DIE ROTE HILFE, Ausgabe 02/2016, Beilage "Mitgliederrund-brief 02/2016", S. 6 mit Mehrfachmitgliedschaften 479 Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 250 480 Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundes, S. 137 481 ROTE FAHNE, 15. April 1921; "Die Situation in Deutschland und die Gründung der Roten Hilfe" nadir.org/nadir/archiv (Stand: 11. Januar 2017) 270 LINKSExTREMISMUS sich in einem Bericht über die Mitgliederentwicklung optimistisch: "[...] im Jahr 2015 waren über 1000 Neueintritte zu verzeichnen [...]. Derweil hält der Trend noch an, so dass noch im Jahr 2016 mit 482 dem "knacken" der 8000er Marke gerechnet werden kann." 2. Das Jahr 2016 im Freistaat Sachsen war durch ein hohes Niveau öffentlicher Aktionen gekennzeichnet. Die meisten Aktivitäten von Extremisten oder mit extremistischer Beteiligung waren gegen den politischen Gegner gerichtet. In Sachsen zählten vor allem die Proteste gegen LEGIDA und PEGIDA dazu. Das Ziel von Gegenprotesten besteht darin, Demonstrationen des politischen Gegners zu verhindern oder zumindest zu beeinträchtigen. Eine Konfrontation mit der Polizei wird dabei einkalkuliert. Teilnehmer, welche die Auseinandersetzung mit der Polizei oder dem politischen Gegner suchten, dürften daher Kontakte zum rote hIlfe e. v. geknüpft haben. Hinzu kam, dass bei Aufrufen zu Gegenprotesten häufig die Telefonnummer eines "Ermittlungsausschusses" der RH angegeben wurde. 3. Am stärksten wuchs die RH-Ortsgruppe Leipzig, die mit ca. 250 Personen nun fast zwei Drittel aller Mitglieder in Sachsen stellt. Die personelle Konzentration in Leipzig ist aber auch auf das hohe linksextremistische Personenpotenzial der Stadt zurückzuführen. Dabei fördert die von der RH in Aussicht gestellte Unterstützung "politisch Verfolgte(r)" aus dem "linken Spektrum" auch die Organisationsbindung von zu Straftaten bereiten Linksextremisten. Entwicklung der Mitgliederzahlen der RH bundesweit und im Freistaat Sachsen 8000 7000 7000 6500 6000 6000 5000 bundesweit davon SN 4000 3000 2000 1000 380 200 200 280 0 2013 2014 2015 2016 Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkte sich jedoch nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus. Zahlreiche Mitglieder der RH sind zugleich Mitglied in anderen linksextremistischen Bestrebungen. Bundesweit gliederte sich die RH im Jahr 2016 in einen 16 Personen umfassenden Bundesvorstand sowie in selbstständig arbeitende Ortsbzw. Regionalgruppen. Die Bundesdelegiertenversammlung tritt alle zwei Jahre zusammen, entscheidet über grundsätzliche Vereinsangelegenheiten und wählt den 482 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 03/2016, Beilage "Mitgliederrundbrief 03/2016", S. 20 271 Bundesvorstand. Die dabei gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. Die RH finanziert sich größtenteils über Mitglieds-, aber auch aus "Solibeiträgen", durch den Verkauf ihrer vierteljährlich erscheinenden überregionalen linksextremistischen Zeitung DIE ROTE HILFE sowie von Broschüren und Flyern. Dazu zählen bspw. die Flyer "Rote Hilfe Info zu Strafbefehlen" und "Was tun wenn's brennt?!" oder die "Aussageverweigerungsbroschüre". Ferner werden themenspezifische Spendenaktionen, wie die Kampagne "you can't break this movement-Bleiberecht für alle!", durchgeführt. Dem entspricht der Appell: "keine Duldung staatlicher Repression - spendet für den antirassistischen Widerstand". 483 Damit stellt die RH die Unterstützung aller, "unabhängig eines Passes oder einer Herkunft", in Aussicht. Ideologie/ Politische Zielsetzung Die RH ist ein zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und betätigt sich in deren Themenfeld "Antirepression". Sie wird von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung getragen. Sie versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund 484 Solidaritätsorganisation" , die sich im "Kampf gegen die staatliche Repression" und "die politische 485 Justiz" engagiert. Ihr vordergründiges Anliegen ist die finanzielle und politische Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, "die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer 486 politischen Betätigung verfolgt werden" . Diese unterstützt sie im Strafverfahren, mit Geldbeträgen und sichert ihnen Solidarität zu. Bezeichnenderweise unterstützt die RH einen politischen Straftäter nur dann, wenn er auch weiterhin zu seiner Tat steht. Wer hingegen die Tat aufgrund eines milderen Strafmaßes gesteht, wird fallen gelassen. Eine solche Zusammenarbeit mit Behörden des demokratischen Rechtsstaates wertet die RH als Preisgabe der politischen Positionen und als Verrat an der gemeinsamen Sache. So wird das Bestreiten eines Tatvorwurfes vom Bundesvorstand "[...] als Distanzierung von der politischen Aktion bewertet und 487 die beantragte Unterstützung nicht bewilligt." Bereits bei Tätigung von Aussagen der Betroffenen vor 488 Gericht kürzt die rote hIlfe ihren Unterstützungssatz. 489 Unter "Repression" versteht die RH Maßnahmen vor allem von Polizei und Justiz . Besonders in dieser Auffassung zeigen sich für den Linksextremismus typische Positionen. Die RH versteht Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs als Mittel der Machthaber zur Herrschaftssicherung. Deren Handeln sei rein politisch motiviert, willkürlich sowie grundund menschenrechtswidrig. Wie die gewaltbereiten autoNomeN lehnt die RH das staatliche Gewaltmonopol und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung als sog. "strukturelle Gewalt" ab und zielt damit auf eine Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats. 483 Internetseite des rote hIlfe e.v. (Stand: 21. Oktober 2016) 484 Satzung des rote hIlfe e.v., SS 2 Abs. 1, (Stand: September 2014) 485 "Vorwärts und nicht vergessen - 70/20 Jahre rote hIlfe", S. 58 f., Göttingen 1996 486 Satzung des rote hIlfe e.v., SS 2 Abs. 2 Satz 1, (Stand: September 2014) 487 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2015, S. 6 488 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 2/2016, S. 4 489 "Vorwärts und nicht vergessen - 70/20 Jahre rote hIlfe", S. 58 f., Göttingen 1996; "Aussageverweigerung und Verhörmethoden", September 2007, S. 17 f., 45 f. 272 LINKSExTREMISMUS So deutet sie z. B. die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr 490 gelten" würden. Nach ihrer Auffassung dienten diese Gesetze vornehmlich dazu, jegliche "Politische Aktivität[en] gegen die herrschenden Zustände unmöglich zu machen". Die als Repression verstandenen Gesetze seien demnach nicht zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten beschlossen worden, sondern würden durch "die Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt [dazu Quelle: Flyer der RH; www.rote-hilfe.de 491 (Stand: 4. Oktober 2016) benutzt], um Menschen gefügig zu machen" . Das Ziel der RH besteht darin, den inneren Zusammenhalt im Linksextremismus zu stärken und seine Strukturen aktionsfähig zu halten. Dazu betreut sie "politische Häftlinge", um deren Bindung an die linksextremistische Szene während der Haft und darüber hinaus zu erhalten. Aktivitäten Die RH vermittelt den Betroffenen Anwälte und gewährt ihnen Beihilfen zu Prozesskosten. Nach Einzelfallprüfung durch den Bundesvorstand werden nur solche Personen unterstützt, die aufgrund ihres "politischen Handelns" vor Gericht gestellt oder verurteilt werden. Diese müssen dort zudem den "politischen Hintergrund des eigenen Handelns" verteidigen und ihr Aussageverhalten nach den in der linksextremistischen Szene verbreiteten Hinweisen zur Aussageverweigerung richten.492 In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig Rechtsberatungen zu Themen wie "Umgang mit Staatspost, Polizeiübergriffen und anderweitiger Repression" durch. Mit Hinweisen zum Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Inaussichtstellen politischer und materieller Hilfe mindert sie auch die abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die von ihr als besonders spektakulär empfundenen Fälle von "Repression" durch Kampagnen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundgebungen. Zudem vertreibt die RH eine Vielzahl verschiedener Broschüren und Flyer, so zum Thema "Tipps der roteN hIlfe e.v. zum Umgang mit Strafbefehlen". Die RH stellt für konfliktgeneigte Veranstaltungen, wie Demonstrationen des "linken" Spektrums, häufig 493 494 sog. Ermittlungsausschüsse (EA) zur Verfügung . 490 DIE ROTE HILFE, Sonderausgabe zum "18.03.2014 Tag der politischen Gefangenen", Beilage in der Tageszeitung "JUNGE WELT" vom 15. März 2014, S. 1 491 ebd. 492 Broschüre "Aussageverweigerung", Hrsg. rote hIlfe e. v., September 2016 493 Während des Demonstrationsgeschehens und danach telefonisch erreichbare Ansprechpartner, die Personen, die in Konflikt mit der Polizei gerieten, beraten und Anwälte vermitteln. 494 Interview mit einem Mitglied des Bundesvorstandes der RH, Artikel "die rote hIlfe-ein Interview", http://plastic-bomb.eu (Stand: 3. Juli 2014) 273 Leipzig Wie im Vorjahr fanden in Leipzig unter der Bezeichnung "Antirepressionsveranstaltungen" regelmäßig Informationsveranstaltungen, Diskussionsrunden und Filmvorführungen statt. Dazu zählte auch ein durchgeführtes "Verhörtraining" bei dem neben Verhaltenstipps auch rechtliche Hinweise erörtert wurden, die eine strafrechtliche Aufklärung erschweren sollen.495 Um den Solidaritätsgedanken mit "von staatlicher Repression Betroffenen" zu schärfen, lud die Ortsgruppe zu einer "Anti-Knast-Soliparty" ein. Demnach benötige es die Solidarität aller, "[...] um gegen diese institutionelle Form der Isolation [gemeint Haftstrafe als Höhepunkt staatlicher Repression] zu kämpfen und Kontakt mit unseren gefangenen Genoss*innen zu halten, so dass ihnen nicht ihre Stimmen genommen werden können." 496 Die Ortsgruppe Leipzig betreibt gemeinsam mit dem "Ermittlungsausschuss-Leipzig" (EA) eine Internet497 seite, auf der regelmäßig sog. Sprechstunden und Vortragsveranstaltungen ankündigt wurden. Dresden Die Dresdner Ortsgruppe veröffentlichte auf ihrer Internetseite regelmäßig Termine, eigene Materialien und Veranstaltungshinweise.498 Das im Vorjahr in Zusammenarbeit mit dem Bundesvorstand der RH herausgegebene Heft "Zine" wurde nicht weiter aufgelegt.499 Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten fanden im Rahmen der wiederkehrenden Protestdemonstrationen gegen PEGIDA statt, an denen sich auch autoNome beteiligten. Während der Veranstaltungen wurde wiederholt mittels Lautsprecherdurchsage auf Hilfsmöglichkeiten durch die RH, etwa bei Polizeikontrollen oder Ingewahrsamnahmen, hingewiesen. Die szenebekannten Tipps dienten auch der Werbung in eigener Sache. Durch Neueintritte konnte auch die Ortgruppe Dresden einen Mitgliederzuwachs erzielen, der allerdings im Vergleich zu Leipzig nur mäßig ausfiel. Die RH Dresden führte regelmäßig Sprechstunden im "AZ Conni" in Dresden durch, die auch als "rote hIlfe Tresen" bezeichnet wurden. Zudem fanden interne Einzelberatungen sowie Mitgliederversammlungen statt. Die Ortgruppe Dresden war weiterhin auch im Rahmen der Gefangenenbetreuung aktiv. Südwestsachsen Die im Jahr 2015 zu den seit mehreren Jahren fest etablierten RH-Ortsgruppen in Leipzig und Dresden hinzugekommene Regionalgruppe Südwestsachsen mit Sitz in Chemnitz verfügt mit ca. 30 Mitgliedern nur über eine geringe Gruppenstärke. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entwickelte die dritte selbstständig arbeitende Struktur für die Region im Südwesten des Freistaates allerdings nicht. 495 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 03/2016, Beilage "Mitgliederrundbrief 03/2016", S. 35 496 www.antirepression.noblogs.org, (Stand: 24. Oktober 2016) 497 Die Internetseite www.antirepression.noblogs.org bezeichnet sich selbst als Plattform des Leipziger Ermittlungsausschusses (EA) und der Roten Hilfe Leipzig, "der sich mit staatlicher Repression gegen linke Politik" befasst und Betroffene unterstützt. 498 http://rotehilfedresden.noblogs.org (Stand: 24. Oktober 2016) 499 Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 254 274 LINKSExTREMISMUS 3.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen Unter diesem Oberbegriff werden jene Bestrebungen zusammengefasst, die sich zu den Theorien von Marx, Engels und Lenin, der These vom Klassenkampf sowie zur Diktatur des Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulich-politischer Nenner dieser orthodox-kommunistischen Gruppierungen ist die Negierung der Grundlagen und Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates. Ziel ist die Auflösung der Institutionen der parlamentarischen und rechtsstaatlichen Demokratie. Zwar weisen diese Gruppierungen unter allen linksextremistischen Bestrebungen das prägnanteste weltanschauliche und theoretische Fundament auf, welches zudem mit einer deutlichen Programmatik und klar konturierten Zielvorstellungen verbunden ist. Dennoch hat das Personenpotenzial von ca. 250 Personen nur einen marginalen Einfluss auf den Linksextremismus in Sachsen. Zu den orthodoxen Gruppierungen zählen bspw. die kommuNIstIsche Plattform Der ParteI DIe lINke. (kPf), die kommuNIstIsche ParteI DeutschlaNDs (kPD), die Deutsche kommuNIstIsche ParteI (DkP), die marxIstIsch-leNINIstIsche ParteI DeutschlaNDs (mlPD) und das kommuNIstIsche aktIoNsBüNDNIs DresDeN (kaD). Ideologie/ Politische Zielsetzung Die orthodoxen Gruppierungen unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die DkP, die kPD und die KPF - letztere als linksextremistische Strömung innerhalb der Partei DIE LINKE. - bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und lehnen einen reformerischen Ansatz zugunsten eines revolutionären Weges zum Sozialismus ab. So heißt es bspw. im nach wie vor aktuellen Programm der DKP: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht 500 werden." Die geltende Gesellschaftsordnung und die freiheitliche demokratische Grundordnung können nach dieser Sichtweise nur auf revolutionärem Wege beseitigt werden. Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau einer klassenlosen 501 kommunistischen Gesellschaft." Im Unterschied zu anderen orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich kaum noch offen zu Stalin oder Mao Tsetung bekennen, kann bei der MLPD ein deutlich offenes Bekenntnis zu diesen kom500 Programm der DKP, 2006, S. 9 501 Präambel der Organisationspolitischen Grundsätze der MLPD; www.mlpd.de Rubrik Grundsätze/Präambel (Stand: 10. September 2015). 275 munistischen Diktatoren ausgemacht werden. Dies unterstreicht, dass die MLPD im Gegensatz zur DKP oder KPF nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet ist. Diese politische Ausrichtung lässt sich an ihrer ideengeschichtlichen Selbstverortung ablesen. In der Präambel ihrer Grundsatzerklärung heißt es: "Die Lehren von Marx, Engels und Lenin, Stalin und Mao Tsetung bilden die entscheidende Grundlage für den Kampf für den Sozialismus." Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogmatismus und dem exklusiven Anspruch auf den "wahren Sozialismus" stößt die MLPD jedoch - ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus orientierten Gruppierungen DKP und KPF - sogar im orthodox-kommunistischen Spektrum auf geringe Akzeptanz. Sie ist deswegen isoliert und befördert damit dessen weitere Zersplitterung. Aktivitäten Aufgrund ihres geringen Personenpotenzials und ihrer strukturellen Schwächen beschränken sich Aktionen dieser Gruppierungen überwiegend auf interne Treffen und Vortragsveranstaltungen. Sie beteiligen sich aber auch anlassbezogen an Demonstrationen nicht extremistischer Organisationen bzw. unterstützen diese, wie bspw. zum Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden im Februar, zum 1. Mai oder bei Protesten anlässlich des zweiten Jahrestages von PEGIDA am 16. Oktober (Beteiligung der MLPD). Gelegentlich treten orthodoxe linksextremistische Organisationen mit eigenen Kundgebungen oder Infoständen an die Öffentlichkeit. So war bspw. die DKP am 1. Mai 2016 in Leipzig mit einem Infostand präsent. 276 LINKSExTREMISMUS 3.8 Wege linksextremistischer Agitation Für ihre Agitation und Kommunikation nutzen vor allem die autonomen Gruppierungen seit jeher szenetypische Medien. Die Bedeutung von Printmedien ging in den vergangenen Jahren auch in der linksextremistischen Szene zurück. Zwar existieren weiterhin vor allem bundesweite Publikationen mit vergleichsweise hoher Auflagenzahl. Allerdings nahm die Nutzung digitaler Medien deutlich zu. Linksextremistische Publikationen (Auswahl) DIE ROTE FAHNE Herausgeber/ Verantwortlicher: kommuNIstIsche ParteI DeutschlaNDs (kPD), Zentralkomitee Erscheinungsturnus: monatlich Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit DIE ROTE HILFE Herausgeber/ Verantwortlicher: rote hIlfe e. V. (rh), Erscheinungsturnus: alle drei Monate Auflage: 8.050 (Eigenangabe) Verbreitung: bundesweit DIE DIREKTE AKTION ANARcHOSyNDIKALISTIScHE ZEITUNG Herausgeber/ Verantwortlicher: freIe arBeIterINNeNuND arBeIter-uNIoN - INterNatIoNale arBeIterINNeN assozIatIoN (fau-Iaa) Erscheinungsturnus: alle zwei Monate Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit INTERIM Herausgeber/ Verantwortlicher: INTERIM e. V., Berlin Erscheinungsturnus: alle zwei Wochen Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit 277 JUNGE WELT Herausgeber/ Verantwortlicher: lINke Presse verlags-, förDeruNgsuND BeteIlIguNgsgeNosseNschaft JuNge welt e. G. Erscheinungsturnus: werktäglich Auflage: 19.000 (Eigenangabe) Verbreitung: bundesweit MARxISTIScHES FORUM Herausgeber/ Verantwortlicher: marxIstIsches forum (MF) Erscheinungsturnus: unregelmäßig Auflage: 1.000 Verbreitung: bundesweit MITTEILUNGEN DER KOMMUNISTIScHEN PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE Herausgeber/ Verantwortlicher: kommuNIstIsche Plattform Der ParteI DIE LINKE (KPF), Bundeskoordinierungsrat Erscheinungsturnus: monatlich Auflage: ca. 1.700 (Eigenangabe) Verbreitung: bundesweit REVOLUTION Herausgeber/ Verantwortlicher: Jugendorganisation revolutIoN Erscheinungsturnus: unregelmäßig Auflage: unbekannt Verbreitung: bundesweit ROTE FAHNE Herausgeber/ Verantwortlicher: marxIstIsch-leNINIstIsche ParteI DeutschlaNDs (MLPD) Erscheinungsturnus: wöchentlich Auflage: ca. 8.000 Verbreitung: bundesweit 278 LINKSExTREMISMUS UNSERE ZEIT (UZ) Herausgeber/ Verantwortlicher: Deutsche kommuNIstIsche ParteI DIE LINKE (DKP), Parteivorstand Erscheinungsturnus: wöchentlich Auflage: ca. 6.000 Verbreitung: bundesweit Nutzung digitaler Medien (Auswahl) autoNome nutzen das Internet vor allem zur politischen Agitation, um zeitnah Aufrufe, Ereignisberichte und Bildmaterial zu verbreiten und Recherchen über den politischen Gegner zu veröffentlichen. Daneben werden Beiträge und Publikationen archiviert und Chroniken angelegt. Ein weiterer Schwerpunkt autonomer Internetpräsenz stellen Terminkalender mit aktuellen Ankündigungen über regionale und bundesweite Veranstaltungen und andere Aktivitäten dar. Folgende Kommunikationskanäle wurden im Berichtsjahr verwendet: Lokale Internetseiten/-plattformen Die Internetplattform inventati.org/leipzig trägt die Bezeichnung "ANTIFA in Leipzig" und soll laut eigenen Angaben eine Leipziger Plattform für Gruppen und Redaktionen sein, die "gegen Nazis, Rassismus und andere Zumutungen streiten wollen und dabei auf aktuelle Informationen und politische Analysen setzen". Quelle: www.inventati.org/leipzig (Stand: 21. September 2016) 279 Quelle: uradresden.noblogs.org/ (Stand: 21. September 2016) In Dresden nutzte vor allem die uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa (URA) ihre Internetseite regelmäßig für Aufrufe und Statements. Überregionale Internetportale Darüber hinaus nutzen sächsische Linksextremisten die für die bundesweite Szene maßgeblichen Internetportale linksunten.indymedia.org bzw. de.indymedia.org zur Veröffentlichung von Aufrufen, Bekennerschreiben, Bildern und Recherchen für "Outing"-Aktionen. Es existiert auch eine Kommentarfunktion, die szeneinterne Debatten und Konflikte widerspiegelt. Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de (Stand: 21. September 2016) 280 LINKSExTREMISMUS Nutzung von Instant-Messaging und sozialen Netzwerken Neben Internetseiten werden - der allgemeinen Entwicklung folgend - auch verstärkt InstantMessenger genutzt. So ermöglicht der Messenger WhatsApp einen direkten und schnellen Austausch von Nachrichten oder Dateien zwischen einzelnen Personen oder Gruppen per Smartphone. Auch das soziale Netzwerk Facebook und verstärkt auch der Kurznachrichtendienst Twitter werden von vielen Linksextremisten aktiv verwendet. Ein Beispiel hierfür ist das Dresdner autoNomeN zuzurechnende Twitter-Profil @aaction_dd502. Demgegenüber an Bedeutung verloren haben sog. Weblogs503. Parallel zu den offen zugänglichen Kommunikationskanälen, in denen Informationen für jeden Nutzer abrufbar sind, existieren geschlossene Foren, die mit Zugangskriterien verbunden sind. Diese können sowohl anlassbezogen im Vorfeld eines Ereignisses als auch gruppenbezogen nur für Mitglieder einer Gruppe eingerichtet sein. Diese dienen der verschlüsselten Koordination von Gruppen und Aktivitäten. 3.9 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Die Anzahl der linksextremistischen Straftaten im Freistaat Sachsen im Jahr 2016 hat sich zum Vorjahr fast um die Hälfte verringert; die Fallzahl sank um etwa 41 % auf 578 Delikte (2015: 977). Ein noch größerer Rückgang ist bei den Gewaltdelikten zu verzeichnen. Der Wert verringerte sich um etwa 64 % auf 102 Delikte (2015: 283). Damit beträgt der Anteil der Gewalttaten am linksextremistischen Straftatenaufkommen etwa 18 % (2015: ca. 29 %). Sowohl die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten als auch die der darin enthaltenen Gewalttaten liegt damit deutlich unter dem Niveau der vorangegangenen Jahre 2013 bis 2015. Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 1500 977 1000 821 582 578 linksextremistische Straftaten insgesamt 500 396 davon Gewalttaten 283 162 154 82 102 0 2012 2013 2014 2015 2016 502 aaction_dd steht für die Eigenbezeichnung aNtIfacIst actIoN DresDeN (sN) 503 öffentlich einsehbare Tagebuchseiten im Internet 281 Der Rückgang war vor allem in den Schwerpunktregionen der autonomen Szene in Sachsen - Leipzig und Dresden - zu verzeichnen und basiert auf folgenden Faktoren: 1. In Leipzig nahm die Zahl der Demonstrationen des politischen Gegners im Berichtsjahr deutlich ab. Dementsprechend gab es weniger öffentliche Aktionen der linksextremistischen Szene, welche meist einen konfrontativen Charakter aufweisen. 2. Zudem hatte in Leipzig die starke bündnispolitische Orientierung von Teilen der linksextremistischen Szene Auswirkungen auf das Demonstrationsgeschehen und somit auch auf das Straftatenaufkommen. Dieser Strategiewechsel wirkte sich auf den Verlauf der Proteste gegen den politischen Gegner aus. So sanken Intensität und Schärfe dieser Aktionen deutlich, was zu einem starken Rückgang von Strafund Gewalttaten führte. 3. In Dresden war die linksextremistische Szene personell und strukturell geschwächt. Trotz eines hohen linksextremistischen Aktionsniveaus war sie nur noch eingeschränkt in der Lage, eigene Aktionen durchzuführen. Sie beteiligte sich vorrangig an Demonstrationen nicht extremistischer Initiativen. Dies wirkte sich auf den Verlauf der Gegenproteste aus. Im Jahr 2016 sind im Freistaat Sachsen die linksextremistischen Gewalttaten, die sich in konfrontativer Absicht gegen den politischen Gegner ("rechts") richteten, merklich (um ca. 70 %) zurückgegangen. Im Berichtsjahr wurden 62 solcher Straftaten gegenüber 207 im Jahr 2015 festgestellt. Der Anteil dieser Delikte an der Gesamtzahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten betrug im Berichtsjahr etwa 61 % (2015: ca. 73 %). 504 Anzahl der gegen den politischen Gegner ("rechts") gerichteten Gewalttaten 250 207 200 150 104 100 79 62 50 36 0 2012 2013 2014 2015 2016 Wie im Vorjahr wurden auch im Jahr 2016 die meisten der linksextremistisch motivierten Straftaten (einschließlich Gewalttaten) in den Städten Leipzig und Dresden - und somit in den Schwerpunktregionen der autonomen Szene - begangen. Allerdings ist in beiden Städten, dem sachsenweiten Trend folgend, ein deutlicher Rückgang der Strafund Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. 504 Quelle: LKA Sachsen, "Politisch motivierte Kriminalität im Freistaat Sachsen" jeweils für die Jahre 2011 bis 2016. 282 LINKSExTREMISMUS In Leipzig verringerten sich die Straftaten um etwa 53 % auf 207 (2015: 439) und in Dresden um etwa 46 % auf 90 (2015: 168). Damit wurden in diesen beiden Städten im Berichtsjahr etwa 49 % (2015: ca. 62 %) aller Straftaten registriert. Mit deutlichem Abstand folgen die Landkreise Bautzen (51), die Stadt Chemnitz (42) und der Vogtlandkreis mit 35 Vorfällen. Im Hinblick auf die Gewalttaten wird der Rückgang besonders in den Städten Leipzig und Dresden deutlich. In Leipzig verringerten sich die Gewalttaten um etwa 68 % auf 57 (2015: 180) und in Dresden um etwa 74 % auf 18 Taten (2015: 69). In Leipzig und Dresden wurden damit etwa 73 % (2015: ca. 88 %) aller Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund verübt. Straftaten, Aufteilung nach Regionen Leipzig linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 Leipzig (Stadt) 227 439 207 67 180 57 Dresden linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 Dresden (Stadt) 226 168 90 38 69 18 Region Westsachsen linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 chemnitz (Stadt) 35 45 42 5 10 5 Vogtlandkreis 135 15 35 24 3 8 Landkreis Zwickau 15 2 13 1 0 1 Erzgebirgskreis 23 17 28 1 3 1 283 Region Mittelsachsen linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 Landkreis Mittelsachsen 43 31 24 3 3 2 Landkreis Meißen 24 8 11 1 0 1 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 15 43 9 2 9 0 Region Ostsachsen linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 Landkreis Bautzen 31 23 51 5 0 0 Landkreis Görlitz 13 21 27 1 2 2 Region Nordsachsen linksextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 Freistaat Sachsen 821 977 578 154 283 102 Landkreis Leipzig 16 138 19 4 2 5 Landkreis Nordsachsen 18 27 22 2 2 2 284 LINKSExTREMISMUS 3.10 Ausblick Im Jahr 2016 wurden im Freistaat Sachsen ca. 845 Personen linksextremistischen Bestrebungen zugerechnet. Damit ist diese Zahl gegenüber dem Vorjahr (ca. 780 Personen) um ca. 8 % gestiegen und erreichte im Vergleich zu den vergangenen Jahren einen Höchststand. autonome Mit einem Potenzial von 425 Personen stellen die autoNomeN die stärkste Strömung innerhalb des Linksextremismus dar. Dabei zeigten sich erhebliche regionale Unterschiede. Mit ca. 250 Personen gehört mittlerweile über die Hälfte der sächsischen autoNomeN der Leipziger Szene an. Dagegen umfasst die Dresdener Szene lediglich ca. 70 Personen. Perspektivisch werden die autoNomeN weiterhin die personell stärkste Strömung innerhalb des Linksextremismus bleiben. Es ist weiterhin zu erwarten, dass Leipzig die Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene bleiben und noch weiter an Bedeutung zunehmen wird. Ebenso ist mit einer Zunahme klandestiner Aktionen505 vor allem in Leipzig zu rechnen. Darauf weist ein Bekennerschreiben hin, welches nach einem Brandanschlag auf die Agentur für Arbeit in Leipzig zum Jahreswechsel 2016/2017 verfasst wurde. Darin hieß es: "Wir begrüßen es, wenn Menschen die von staatlicher Repression betroffen sind, diese nicht mehr ertragen, sondern zurückschlagen. (...) Wer Menschen drangsaliert, muss damit rechnen, dass es knallt."506 Ebenso wird die Bündnisstrategie Leipziger Linksextremisten fortgesetzt werden. Mit dieser Taktik könnten die Akteure ausreichend Bündnispartner außerhalb der eigenen Klientel gewinnen und so langfristig das weitere Anwachsen der autonomen Szene sichern. Damit wären Linksextremisten verstärkt in der Lage, öffentliche Aktionen und deren Verlauf zu bestimmen oder zu dominieren. Dies ist nicht zuletzt von der Kooperationsbereitschaft der zivilgesellschaftlichen Bündnispartner abhängig. Auch wenn sich Linksextremisten aktuell kompromissbereit zeigen, halten sie nach wie vor an der Umsetzung ihrer politischen Ziele fest. So kann es neben jenen in Connewitz und Plagwitz zur Beanspruchung weiterer "Freiräume" kommen, die nicht nur auf die bekannten Szeneviertel beschränkt bleiben. Auch ist weiterhin damit zu rechnen, dass derartige Freiräume durch die sächsische linksextremistische Szene auch dazu genutzt werden, ihre Haltung zur Asylpolitik zu verdeutlichen. So werden durch die Unterbringung von Migranten in Objekten, die unter Selbstverwaltung von Linksextremisten stehen507, diesen - ungeachtet jeglicher legitimer Sicherheitsinteressen des Staates - ein Asylverfahren und die damit verbundenen Integrationsmaßnahmen, wie Sprachkurse oder Schulbesuch, entzogen. Durch die Präsenz der rechtsextremistischen Partei Der DrItte weg in Plauen werden sich autoNome, jedenfalls in der Region Westsachsen, veranlasst sehen, ihre Aktionen im ländlichen Raum fortzusetzen.508 Inwieweit diese Strategie auch in weiteren Regionen Sachsens verfolgt werden wird, bleibt abzuwarten. 505 siehe Glossar 506 https://linksunten.indymedia.org/de/node/200451 (Stand: 5. Januar 2017) 507 siehe Abschnitt II.3.3.1 autoNome in Leipzig 508 siehe Abschnitt II.3.3 autoNome - Grundlegende Entwicklungen in der autonomen Szene 285 Die Strategie mit "antifaschistischen" Strukturen bzw. Aktionen im ländlichen Raum wird sich zumindest in der Region Westsachsen fortsetzen, da mit der Präsenz der rechtsextremistischen Partei Der DrItte weg in Plauen auch ein für sie hinreichender Anlass dafür gegeben ist. Inwieweit auch andere Regionen wie Ostsachsen einbezogen werden, hängt von vergleichbaren Entwicklungen ab. anarchIsten und sonstige linksextremistische Gruppierungen Die den aNarchIsteN und sonstigen linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnende Anhängerschaft veränderte sich nur minimal und liegt bei ca. 170 (2015: 160) Personen. Dabei blieb die Mitgliederzahl im Bereich der anarchistischen Gruppierungen mit ca. 45 Personen konstant. Wie bereits in den Jahren zuvor besetzten anarchosyndikalistische Gruppen im Freistaat Sachsen Themen, wie Lohnund Tarifpolitik, Arbeitskampf oder Gewerkschaftsarbeit aus linksextremistischer Perspektive und traten mit eigenen Aktionen öffentlich auf. Allerdings dürften sie damit auch weiterhin wenig Erfolg haben, da solche Themenfelder wie Lohnoder Tarifpolitik durch die großen Massengewerkschaften abgedeckt sind. Die trotzkistische Jugendorganisation revolutIoN konnte Mitglieder hinzugewinnen. Im Jahr 2016 war revolutIoN leIPzIg die aktivste linksextremistische Organisation in Leipzig, die offen und massiv Werbung unter Schülern und im unmittelbaren Umfeld von Schulen betrieb. Auch weiterhin ist mit Aktionen zu rechnen, die auf eine Rekrutierung von Schülern in diese trotzkistische Organisation abzielt. Linksextremistische Parteien Das Personenpotenzial bei linksextremistischen Parteien stagnierte bei etwa 250 Personen. Im Vergleich zu den anderen linksextremistischen Strömungen besitzen sie nur marginale Bedeutung. Ihre bisweilen eng am orthodoxen Marxismus orientierte Programmatik ist nicht geeignet, auf Akzeptanz in breiten Kreisen der Bevölkerung oder bei anderen Linksextremisten, wie z. B. autoNomeN, zu stoßen. In diesem Bereich linksextremistischer Bestrebungen sind demzufolge keine personellen Zuwächse zu erwarten. 286 ISLAMISMUS 4. Islamismus 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Der Islamismus stellt kein einheitliches Phänomen dar. Alle Strömungen des Islamismus instrumentalisieren jedoch die Religion des Islam für ihre politischen Zielsetzungen. Islamistische Organisationen verfolgen das Ziel, die westlichen, freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnungen durch ein auf Koran und Scharia (islamisches Rechtsund Wertesystem) basierendes Gesellschaftssystem zu ersetzen. Nach ihren Vorstellungen regelt der Islam alle Lebensbereiche einer Gesellschaft. Insofern entspringe auch alle staatliche Herrschaft nicht dem menschlichen Willen, sondern habe ihren Ursprung einzig in Gottes (Allahs) Willen. Dementsprechend widerspricht eine Trennung von Staat und Religion ihrer Auffassung von einer Staatsund Gesellschaftsordnung und wird als unislamisch verurteilt. Innerhalb des Islamismus gibt es zur Errichtung der angestrebten "islamischen" Herrschaft unterschiedliche Strategien. Dabei sind entweder Organisationen aktiv, die terroristische Taten begehen oder solche, die zwar Gewalttaten befürworten, jedoch aus unterschiedlichen Gründen selber keine Gewalt zur Erreichung ihres Ziels einsetzen, und schließlich Organisationen, die sowohl Terror als auch Gewalteinsatz verurteilen. Letztere setzen u. a. mit politischen Mitteln darauf, die Gesellschaft allmählich mit ihren ideologischen Vorstellungen zu durchdringen. Auch sie bekämpfen die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dazu gehört z. B. neben der Abschaffung der Trennung von Staat und Religion oder der Gleichheitsgrundrechte auch die Abschaffung der Volkssouveränität, des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition. Eine besonders radikale Erscheinungsform des Islamismus stellt der Salafismus dar. Salafisten versuchen, den Islam der ersten drei Generationen nach dem Religionsgründer Mohammed (570 bis 632 n. Chr.), der sog. "rechtschaffenen Altvorderen" (as-salaf as-salih), unverändert und kompromisslos auch als Gesellschaftsordnung der Gegenwart durchzusetzen. Die Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen politischen Salafisten, die - zumindest in Deutschland - Gewalt ablehnen und jihadistischen Salafisten, die jegliche Form von Gewalt befürworten und ausüben. Die Grenzen zwischen beiden sind fließend. In den Kapiteln 4.3 und 4.4 werden diese beiden salafistischen Extremismusformen detailliert dargestellt. Die wichtigsten islamistisch-jihadistischen Terrororganisationen sind der sog. IslamIsche staat, al-QaIDa und ihre Regionalorganisationen, wie die in Syrien agierende al-Nusra-Front. 287 4.2 Personenpotenzial Wie in den Vorjahren bewegt sich das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen auf bundesweit vergleichsweise niedrigem Niveau. Gegenüber dem Vorjahr ergab sich allerdings eine Steigerung von rund 17 % auf ca. 350 Islamisten (2015: 300), wovon ca. 190 Personen dem salafistischen Milieu zugeordnet werden. 509 In den kommenden Jahren dürfte sich dieser auch bundesweit seit Jahren zu beobachtende Trend fortsetzen. Angesichts der anhaltenden Zuwanderungsbewegungen nach Deutschland kam es zu einer Vielzahl von Hinweisen, dass sich unter den Migranten auch Mitglieder terroristischer Organisationen oder Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung befinden.510 Islamistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen 400 350 300 300 davon Salafismus Islamismus insgesamt 210 180 190 190 190 200 170 130 100 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen In den vergangenen Jahren hat sich der Salafismus zur dynamischsten und am schnellsten wachsenden islamistischen Bewegung sowohl in Deutschland als auch in Sachsen entwickelt. Salafisten orientieren sich inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der Werteordnung der islamischen Frühzeit im 7. bis 9. Jh. Auch wenn salafistische Bestrebungen insgesamt verschiedene Ausprägungen aufweisen, verfolgen sie letztlich gleiche Ziele. So streben sie eine Gesellschaftsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna (Überlieferung zum Leben des Propheten Mu509 Zu mehreren der bundesweit aktiven islamistischen Organisationen bzw. Gruppierungen liegen keine gesicherten Anhängerzahlen vor. Daher kann ein Gesamtpersonenpotenzial der Islamisten in Deutschland nicht exakt ausgewiesen werden. Das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird erst seit dem Jahr 2014 gesondert erhoben, so dass für die Jahre zuvor diesbezüglich keine Werte vorliegen. 510 vgl. hierzu weitere Ausführungen in den Abschnitten II.4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen und II.4.4 Jihadistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen 288 ISLAMISMUS hammad) basiert. Die Einführung einer solchen Ordnung wird von ihnen weltweit, auch in westlichen Ländern, angestrebt. Sie unterscheiden sich jedoch in der Wahl ihrer Mittel, um diese zu erreichen.511 Folgende Merkmale sind u. a. für die salafistische Ideologie kennzeichnend: Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat Salafisten lehnen die Demokratie und die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ab. Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung ist nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern der Wille Gottes. Danach ist Gott allein der Souverän, nicht jedoch das Volk. Gesetze, Normen und die Ergebnisse demokratischer Prozesse sind nach salafistischem Verständnis per se illegitim, denn sie gelten als Verletzung der Souveränität Gottes. Parlamentarische Systeme und ihre gewählten Repräsentanten werden folglich abgelehnt. Die gewählten Vertreter des Volkes werden von Salafisten als Götzen (taghut) bezeichnet, die den Platz Gottes als absoluter Herrscher und Gesetzgeber widerrechtlich in Anspruch nähmen. Diejenigen Muslime, die menschengemachte Gesetze anerkennen, stehen nach Auffassung der Salafisten außerhalb Religiös begründete Ablehnung des Demokratieprinzips Quelle: www.tauhid-islam.blogspot.dem des Islam und werden deshalb als Apostaten (Stand: 19. Dezember 2016) (Glaubensabtrünnige) betrachtet. Die Ablehnung der Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess geht in weiten Teilen des salafistischen Milieus so weit, dass viele Salafisten selbst religiös inspirierte Parteien ablehnen. Absoluter Geltungsanspruch der salafistischen Rechtsordnung (Scharia) Als Basis ihrer religiös begründeten rechtlichen, sozialen und politischen Ordnungsund Herrschaftsvorstellungen ziehen Salafisten die Scharia als Ausdruck des göttlichen Willens heran. Nach ihrem Verständnis bezeichnet der Begriff "Scharia" zusammengefasst sämtliche von Koran und Prophetenüberlieferung (Sunna) abgeleiteten religiösen und weltlichen Rechtsvorschriften. Jeder Muslim hat nach salafistischem Verständnis die Normen der Scharia als gottgewollt zu befolgen. Andere politische und rechtliche Modelle werden entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. "Das islamische Gesetz (Schari'a) betrachtet den Herrscher im islamischen Staat als Verantwortlichen für die Durchführung der göttlichen Befehle [...]. So darf kein Mensch, so hoch er sein mag, diesen Regelungen entgegenwirken, oder ein Gesetz erlassen, das gegen sie verstoßen kann." Quelle: "Die Religion der Demokratie" (Salafistischer Buchtitel) 511 siehe Abschnitt II.4.1 Islamismus - Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 289 Muslime, die den Koran nicht als ein "Gesetzbuch" verstünden und durch säkulares Recht ersetzten, machten sich sogar des unzulässigen Götzendienstes (taghut) schuldig. So hieß es auf einer deutschsprachigen salafistischen Internetplattform:512 "(...) Der mit was anderem richtet als der Koran. Das ist taghut [ein Götze]. Der französische Gesetze oder italienische Gesetze oder weltliche Gesetze anstatt den Koran als Gesetzbuch nimmt. Das sind die (...) großen tawaghit [Götzen] überhaupt, und Allah befiehlt uns, (...) sie zu leugnen, zu verabscheuen und zu verachten, damit wir richtige Muslime werden (...)." Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau Die von Salafisten häufig thematisierte Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau widerspricht dem in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes garantierten Grundsatz. Es wird stattdessen von einer gottgegebenen Überordnung des Mannes über die Frau ausgegangen, die mit zwei Argumentationssträngen begründet wird: Zum einen wird diese Ungleichheit mit physischen Unterschieden gerechtfertigt, wodurch der Frau ein bestimmtes als traditionell und ehrenhaft gedeutetes Rollenbild zugewiesen wird. Dieses Rollenbild beschränkt Frauen auf ihre häuslichen Aufgaben; ihre öffentliche Betätigung (wie z. B. ein politisches Engagement) wird abgelehnt. "Frauen in autoritären Positionen wie Führer, Minister, Botschafter und Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft. (...) In der Tat kann sie die meisten der genannten Rollen keinesfalls erfüllen. Die Muslime heutzutage, die versuchen, die Wahl von Frauen zu Führern der muslimischen Länder zu rechtfertigen, sind in klarem Widerspruch zu den Lehren des Islam."513 "Die Rechte des Ehemannes über seine Frau sind unter den größten Rechten, in der Tat sind seine Rechte über sie größer als ihre Rechte über ihn [...]. Eines der Rechte des Ehemannes über seine Frau ist, dass sie nicht aus dem Haus gehen soll, außer mit seiner Erlaubnis."514 Zum anderen leiten Salafisten die Überordnung des Mannes aus Normen des islamischen Rechts ab, die ihnen durch Koran und Prophetenüberlieferung (Sunna) als belegt gilt. Diese Normen sind im "Recht der zwischenmenschlichen Beziehungen" verortet. Die daraus abgeleitete Ungleichbehandlung der Frau erstreckt sich auf alle Rechtsund Lebensbereiche und geht z. B. in erboder familienrechtlichen Angelegenheiten mit erheblichen Benachteiligungen einher. Salafisten verstehen diese Ungleichbehandlung 512 Die Zitate stammen ursprünglich von der Internetseite der seit November 2016 verbotenen salafistischen Vereinigung DIE WAHRE RELIGION. Zitat nach "DWR - Abou Nagy-Taghut", in: Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit salafistischer Bestrebungen, Bundesamt für Verfassungsschutz, 2011, S. 25, Schreibweise wie im Original 513 Abdul Ghaffar Hasan: Die Rechte und Pflichten der Frau im Islam, S.15, www.way-toal-lah.com/dokument/rechteundplichtenderfrau.pdf , Schreibweise wie im Original (Stand: 30. No-vember 2016) 514 Auszug aus "Rechte und Pflichten von Ehemann und Ehefrau", in: Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit salafistischer Bestrebungen, Bundesamt für Verfassungsschutz, 2011, S. 35, Schreibweise wie im Original 290 ISLAMISMUS nicht als lediglich religiöse Werteorientierung. Nach ihrer Auffassung soll sie Bestandteil des ordentlichen staatlichen Rechts sein bzw. werden. Nach salafistischer Auslegung des Korans besitzt der Ehemann gegenüber seiner Ehefrau ein Züchtigungsrecht zur Erziehung und Disziplinierung. Die Forderung nach "Körperstrafen" gegenüber Ehefrauen verstößt gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes. "Obwohl das Schlagen verboten ist, erlaubt es der Islam in eingeschränkten und begrenzten Gelegenheiten (...). Das Schlagen ist (...) als endgültig letztes Stadium der Schulung, Disziplinierung und Erziehung aufgezählt (...). Die Frau darf nur in absoluter Privatsphäre geschlagen werden. (...) Dritte und letzte Stufe: Schlagen ohne zu verletzen, Knochen zu brechen, blaue oder schwarze Flecken auf dem Körper zu hinterlassen und unter allen Umständen vermeiden, ins Gesicht zu treffen."515 Von Frauen wird allgemein ein regelkonformes Auftreten in der Öffentlichkeit erwartet; dies umfasst z. B. die Pflicht zur Vollverschleierung und die Begleitung durch einen männlichen Verwandten. Dabei projizieren Salafisten ihr Rollenverständnis auch auf Nichtmusliminnen. Deren Verhalten in der Öffentlichkeit wird als "schmutzig" und "ungläubig" bezeichnet. Schließlich treten Salafisten auch offen für die Mehrehe in Deutschland ein. Die entgegenstehenden deutschen Gesetze sind für sie in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Quelle: www.facebook.com/islamisches.erwachen (Stand: 29. November 2016) Quelle: Facebook-Profil sächsischer Salafisten (Stand: 16. Dezember 2016) 515 Abdul Rahman Al-Sheha: "Frauen im Schutze des Islam", Schreibweise wie im Original; abgerufen bei www.womeninislam. ws/de/ schlagen_der_frauen.aspx (Stand: 30. November 2016) Das Werk wurde im Jahr 2009 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. 291 Feindbilder Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Salafisten verbreiten aktiv Bilder von muslimischen wie nichtmuslimischen Feinden, die zur Stärkung einer eindeutigen, salafistischen Identität beitragen sollen. Sie bezeichnen Andersdenkende mit diffamierenden Begriffen wie Kuffar ("Ungläubige") und fordern bspw., dass Muslime ausschließlich mit Muslimen verkehren; sämtliche Beziehungen zu "Ungläubigen" sollen unterbunden werden. "Er [der Muslim] sollte sich gaenzlich von den Gewohnheiten und Praktiken der Kuffar trennen und ablehnen, von ihnen beeinflusst zu sein, sowohl in weltlichen als auch in religioesen Angelegenheiten." 516 Salafisten verstehen sich als Opfer in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dazu werden Szenarien von Bedrohungen und Angriffen gegen den Islam und die Muslime gezeichnet, die weltpolitische Ereignisse, wie die Konflikte in Syrien, Irak oder Afghanistan, aber auch eine vermeintliche Diskriminierung in westlichen Ländern, verarbeiten. Diese bilden ein hohes Mobilisierungspotenzial für die Rekrutierung von Anhängern. Juden und Christen Von besonderer Bedeutung für Salafisten ist das Feindbild "Zionisten und Juden", das als religiös legitimierter Antisemitismus und Kampf gegen den Staat Israel hohe Brisanz erfährt. Betont wird die Drohkulisse einer vermeintlichen weltweiten jüdischen Verschwörung und eines israelischen Staatsterrorismus, welche angeblich den Untergang und die Vernichtung der Muslime anstreben. Figuren und Argumentationen aus der islamischen Geschichte, wie das Verhalten des Propheten Mohammeds gegen jüdische Stämme, werden als Präzedenzfälle zur Legitimierung eines konstanten jüdischen Feindbilds herangezogen. Die Rechtfertigung von Gewalt gegen Juden ist als sog. "defensiver Jihad" gegen Israel weit verbreitet und schließt oftmals auch Gewalt gegen Zivilisten und Selbstmordattentate im Rahmen einer asymmetrischen Kriegsführung mit ein. Charakteristisch ist hier die Gleichsetzung von "jüdisch" und "israelisch". Zwischen Israel, das ausnahmslos des "Staatsterrorismus" bezichtigt wird, und Juden wird nicht unterschieden. "Die Juden haben unterschiedliche Wege der Begehung von Verbrechen und Massakern in ihrer schandbefleckten Geschichte. (...) Vielmehr ziehen sie es vor, in ihrem Verrat und in ihren abscheulichen Verbrechen hartnäckig zu sein. (...) Sie haben sich auf der Erde aggressiv verhalten und das Blut zahlreicher unschuldiger Kinder, alter Menschen und armer Frauen vergossen. (...) Die jüdische Hochmütigkeit überschritt alle Grenzen; sie töten Quelle: www.muslimandtheworld/the-top-10-israeli-terrorcompanies-you-need-to-boykott unschuldige Seelen ohne irgendein Gewissen."517 (Stand: 19. Dezember 2016) 516 www.salaf.de, Rubrik Nichtmuslime, Wie man Muslim wird, S. 5, Schreibweise wie im Original (Stand: 30. November 2016) 517 www.home.arcor.de/bisi.f/khutba/khutba_filistin.pdf, S. 4 (Stand: 30. November 2016) 292 ISLAMISMUS Quelle: Facebook-Profil eines Jihadisten (Stand: 19. Dezember 2016) Der Westen im Allgemeinen und die Christen im Besonderen werden als "Kreuzfahrer" verstanden, die die muslimischen Länder besetzen und ausbeuten. Quelle: www.facebook.com/islamisches.erwachen (Stand: 29. November 2016) "Jeder Gläubige sollte feste daran glauben, dass Juden und Christen Kuffar [Ungläubige] und Feinde Allahs (...) und der Mu'minuun [Gläubigen] sind."518 Es wird eingeschätzt, dass diese aktiv vertretene antiwestliche bzw. antisemitische Haltung des salafistischen Islams das friedliche Zusammenleben der Völker gefährdet. Für "ungläubig erklärte" Muslime Die für "ungläubig erklärten" Muslime sind zum einen all jene, die eine vom Salafismus abweichende Interpretation des Islam verfolgen. Zum anderen werden sämtliche Regierungen muslimischer Länder als "unislamisch" und "unmoralisch" deklariert und so zum Feind erklärt. 518 www.salaf.de, Rubrik Manhadsch, "Der Ruf zur Einheit der Religionen", S. 11, Schreibweise wie im Original (Stand: 30. November 2016) 293 Zur Lage in Sachsen Innerhalb des Phänomenbereiches Islamismus gewinnt der Salafismus seit Jahren an Bedeutung. Ihm werden deutschlandweit etwa 9.700 Personen zugeordnet (2015: 8350). Im Freistaat Sachsen liegt das salafistische Personenpotenzial bei ca. 190 Personen (2015: ca. 170).519 Den Schwerpunkt salafistischer Bestrebungen bildete auch im Jahr 2016 die Al-Rahman-Moschee Leipzig. Der Imam dieser Einrichtung, Hassan DABBAGH, ist ein überregional bekannter Vertreter des politischen Salafismus in Deutschland. Die Al-Rahman-Moschee ist die größte Moscheegemeinde in Sachsen. Der Zustrom von Migranten führte zu einem starken Anstieg der Besucherzahlen, wobei es zahlreichen Besuchern schlicht an Alternativen fehlen dürfte, andere Moscheen zum Gebet aufzusuchen. Es besteht die Möglichkeit, dass Migranten durch Hassan DABBAGH salafistisch beeinflusst werden. Zudem können Konflikte mit anderen muslimischen Glaubensrichtungen aufgrund der abwertenden Äußerungen DABBAGHs, zum Beispiel gegenüber Schiiten oder der Ahmadiyya-Gemeinde, die er zu "Ungläubigen" erklärte, entstehen. Salafisten wie Hassan DABBAGH sind bestrebt, ihre Ideologie zu verbreiten und die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Normen zu verändern. DABBAGH nutzt hierzu - neben seiner Tätigkeit als Imam und Prediger - auch soziale Netzwerke und verschiedene Internetportale. So wurden bspw. im August 2016 verschiedene Erklärungen und Äußerungen DABBAGHs auf der Internetplattform YouTube veröffentlicht, welche von dem salafistischen as-suNNa-verlag BerlIN produziert worden sind. 520 Dort stellt DABBAGH Muslime immer wieder als Opfer der westlichen Gesellschaft dar. Es werden ausschließlich die Muslime sunnitischer Prägung als die einzig wahren Muslime verstanden. Mittels eines verschwörungstheoretischen Kommunikationsstils macht er Politik, Medien und die Sicherheitsbehörden für diese Entwicklung verantwortlich. Seiner Meinung nach gibt es einen Plan, (sunnitische) Muslime zu bekämpfen und zu töten. Zur Begründung seiner Ansichten deutet er aktuelle Ereignisse, wie zum Beispiel jihadistische Terroranschläge, verschwörungstheoretisch um. Er sieht darin einen Komplott u. a. westlicher Geheimdienste, um die "Unterdrückung" der Muslime zu rechtfertigen. Aussagen wie diese haben eine desintegrative und radikalisierungsfördernde Wirkung. Gleichzeitig spiegeln sie ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt wider, da sie zum Beispiel von jungen und wenig gefestigten Muslimen auch als Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt verstanden werden können. Erstmalig wurden im Jahr 2016 in Dresden an mehreren "Islam-Infoständen" salafistische, darunter auch indizierte521, Publikationen verteilt. Herausgeber der Bücher und Broschüren ist die salafistisch 519 siehe Abschnitt II.4.2 Islamismus - Personenpotenzial 520 Die Aufnahmen sollen von einem "Islam-Treff" stammen, welcher am 30. Juli 2016 in der Al-Rahman-Moschee stattfand. 521 Von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wurden die Bücher "Botschaft des Islam" und "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam" indiziert. 294 ISLAMISMUS geprägte Gesellschaft coNveyINg IslamIc message socIety (cIms, gesellschaft zur vermIttluNg Der IslamIscheN Botschaft) mit Sitz in Alexandria/ Ägypten. Beispiele salafistischer Broschüren, die im Jahr 2016 an Infoständen in Dresden verteilt wurden Verbot der Vereinigung dIe Wahre relIgIon Im November 2016 hat der Bundesinnenminister die salafistische Vereinigung DIe wahre relIgIoN verboten. Sie richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Vereinigung befürwortete den bewaffneten Jihad und stellte so ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen dar, welche aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollen. Die Vereinigung initiierte auch die Koranverteilungskampagne "LIES". Diese fand im Zeitraum April bis Oktober 2016 sporadisch auch in der Leipziger Innenstadt statt. Quelle: Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 15. November 2016 Quelle: www.facebook.com/diewahrereligion (Stand: 24. Juni 2016). Die Personen wurden unkenntlich gemacht. 295 4.4 Jihadistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen Der Krieg in Syrien und im Irak war im Berichtsjahr der Drehund Angelpunkt für jihadistische Aktivitäten weltweit. Einerseits diente die Region als Kriegsschauplatz für kampfbereite Jihadisten und Ausbildungsort für Terroristen. Andererseits wurde in der jihadistischen Propaganda das vom IS beherrschte Gebiet als "muslimisches Utopia" verklärt. Beide Aspekte wurden gezielt verknüpft und instrumentalisiert, um auch in Deutschland Personen im jihadistischen Milieu zu radikalisieren und für Anschläge zu rekrutieren. Ausreisen Die Zahl der Ausreisenden in die Region war im Jahr 2016 zwar rückläufig, jedoch lässt sich hieraus nicht ableiten, dass Syrien als Ausreiseziel für Jihadisten signifikant an Attraktivität verloren hat. Zum Ende des Berichtsjahres lagen Erkenntnisse zu mehr als 880 Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak reisten, um dort auf Seiten des Islamischen Staates und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Nicht in allen Fällen liegen jedoch Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Etwa ein Drittel dieser Personen befindet sich gegenwärtig wieder in Deutschland. Nur bei bundesweit gut 70 Rückkehrern liegen indes belastbare Erkenntnisse zu einer aktiven Beteiligung an Kämpfen in Syrien oder im Irak oder einer entsprechenden Ausbildung hierfür vor. Zu ca. 140 Personen gibt es Hinweise auf ein Ableben in Syrien oder im Irak. Der überwiegende Teil der insgesamt in diese Region ausgereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Bundesweit ist etwa ein Fünftel der ausgereisten Personen weiblich. In Sachsen sind drei Ausreisefälle bekannt. Davon ist eine Person zwischenzeitlich zurückgekehrt. Ausreisedynamik nach Syrien/Irak 176 293 Rückkehrer Männlich 447 Todesfälle Weiblich Verbliebene 704 < 30 Jahre 140 Für das kommende Berichtsjahr sind weitere Ausreisen zu erwarten. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, etwaige Ausreiseplanungen möglichst frühzeitig aufzuklären, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der bundesweit behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegt sich im niedrigen dreistelligen Bereich. 296 ISLAMISMUS Anschläge Terroristische Organisationen konzentrieren sich zunehmend darauf, ihre Anschläge von autonom - aber gesteuert - agierenden Kleingruppen oder Einzeltätern begehen zu lassen. Vielfach dürfte der Impuls zur Tat - insbesondere bei Einzeltätern - durch jihadistische Propaganda im Internet, z. B. über die Online-Magazine INSPIRE522, DABIQ523 oder RUMIYAH524 - die beiden letzteren erscheinen teilweise auch in deutscher Sprache - erfolgt sein. Dort finden sich neben religiös-ideologischen Rechtfertigungen jihadistischer Taten auch Aufrufe und Anleitungen, um mit einfachsten Mitteln Anschläge zu verüben. Ein derartig verübter Anschlag hat für den Täter den "Vorteil", dass er sein Handeln unter Berufung auf einen vermeintlich religiösen Auftrag (z. B. durch den IS) rechtfertigen kann. Gleichzeitig profitiert auch die Terrororganisation im Nachgang der Tat von der Berichterstattung in den Medien. Terroristische Angriffe dieser Art sind für die Sicherheitsbehörden im Vorfeld nur schwer abzusehen. Die Attentate vom 18. Juli 2016 in einer Regionalbahn bei Würzburg, vom 24. Juli 2016 in Ansbach (beide Orte in Bayern gelegen) und vom 19. Dezember 2016 in Berlin sowie der vereitelte Anschlagsversuch am 8. Oktober 2016 in Chemnitz (Sachsen) fügen sich in dieses Bild ein. Im Oktober 2016 konnten die Sicherheitsbehörden durch die Ermittlung des Jaber AL-BAKR als Terrorverdächtigem einen möglichen Anschlag verhindern. Im Vorfeld der weiteren Ereignisse hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV) Mitte September über mögliche jihadistisch motivierte Anschlagspläne in Deutschland informiert. Hierbei war auf eine zunächst unbekannte Person hingewiesen worden, die möglicherweise in diese Pläne verwickelt sei. Diese konnte im weiteren Verlauf der Ermittlungen als Jaber AL-BAKR identifiziert werden. Am 7. Oktober 2016 wurde der Verdächtige, welcher als Asylbewerber eingereist war, in Chemnitz festgestellt. Kurz darauf verdichteten sich die Hinweise auf die Verübung eines möglichen Anschlags durch ihn. Die zuständige Polizeibehörde leitete sicherheitsbehördliche Maßnahmen ein und koordinierte diese. Am 8. Oktober 2016 entzog sich der Verdächtige Jaber AL-BAKR in Chemnitz einem polizeilichen Zugriff durch Flucht. Bei einer Wohnungsdurchsuchung konnten bereits angefertigter Sprengstoff sowie Chemikalien, die u. a. zur Herstellung von Sprengstoff dienen, sichergestellt werden. Nachdem der geflüchtete AL-BAKR in Leipzig festgenommen werden konnte, wurde am 10. Oktober 2016 gegen ihn Haftbefehl wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erlassen. In der Justizvollzugsanstalt Leipzig nahm er sich am 12. Oktober 2016 das Leben. Der Fakt, dass es nach seinem Suizid kein offizielles Bekennerschreiben aus dem jihadistischen Milieu gab, deutet darauf hin, dass das Scheitern des Anschlags in diesen Kreisen als Versagen gewertet wird. Der am 8. Oktober 2016 festgenommene Syrer Khalil A., dessen Wohnung Jaber AL-BAKR in Chemnitz genutzt hatte, wurde am 20. November 2016 aus der Untersuchungshaft entlassen. Um das Geschehen zu analysieren und zu bewerten sowie konkrete Empfehlungen für die Arbeit der sächsischen Behörden aufzuzeigen, beauftragte die Sächsische Staatsregierung unmittelbar nach den Ereignissen eine externe Expertenkommission mit der Untersuchung der Vorfälle. In ihrem Abschlussbericht vom 24. Januar 2017 hielt diese die gute Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und 522 englischsprachiges Online-Magazin des Terrornetzwerkes al-Q aIDa (frei: "das Erleuchten/die Erleuchtung" (vom Englischen to inspire - inspirieren/beflügeln/erleuchten) 523 monatlich erscheinendes Online-Magazin des IS (benannt nach einer nordsyrischen Ortschaft imGouvernement Aleppo); einzelne Ausgaben wurden übersetzt, u. a. in die französische, russische und deutsche Sprache 524 Online-Magazin des IS, spezialisiert auf multilinguale Veröffentlichungen (arab.: "Rom") 297 des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen fest. Ohne das Zusammenwirken der Behörden auf Bundesund Landesebene hätte eine Anschlagsgefahr bestanden. Wie diese Fälle zeigen, bedienen sich die jihadistisch-terroristischen Organisationen, wie zum Beispiel der Islamische Staat, des aktuellen Migrationsstroms, um (Selbstmord)-Attentäter zur Begehung von Anschlägen auch nach Deutschland zu schleusen. Die erwähnten Fälle stehen im Zusammenhang mit dem globalen islamistischen Jihad gegen den "kreuzzüglerischen" Westen. Die in Chemnitz sichergestellten Sprengstoffe und explosionsverstärkenden Utensilien aus dem vereitelten Anschlag des Jaber AL-BAKR lassen den Schluss auf eine größere und komplexere Dimension der Planung zu. 4.5 Ausblick muslImBruderschaft Seit 2015 ist die Zahl der Muslime in Sachsen gestiegen. Damit wird auch ein erhöhter Bedarf an islamisch-religiösen Einrichtungen einhergehen. Es ist davon auszugehen, dass in diesem Zusammenhang bereits existierende bzw. neu entstehende islamische Gemeinden möglicherweise in das Blickfeld von islamistischen Organisationen geraten können und diese versuchen werden, die entsprechende Einrichtung für ihre Zwecke zu missbrauchen. Eine derartige ideologische Einflussnahme bis hin zur Unterwanderung kann häufig für die Öffentlichkeit völlig unbemerkt vonstattengehen und somit auch für den einzelnen Besucher nicht erkennbar sein. Exemplarisch für eine solche Verschleierungstaktik ist die von Vertretern der islamistischen muslImBruDerschaft (mB) bzw. der IslamIscheN gemeINschaft IN DeutschlaND e.v. (IgD) üblicherweise praktizierte Doppelstrategie. So wird die jeweilige Gemeinde durch MB-Angehörige organisatorisch unterwandert und ideologisch beeinflusst. Dabei werden aus taktischen Gründen offen erkennbare Bezüge zur MB gezielt vermieden. Die muslimbRudeRschaft ist die weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Sie wird von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch kategorisiert. Angestrebt wird die Bildung einer islamischen Gesellschaft sowie die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Zahlreiche islamistische und islamistisch-terroristische Organisationen, z. B. die palästinensische HAMAS, die das Existenzrecht des Staates Israels negiert und diesen aktiv bekämpft, sind aus ihr hervorgegangen. Seit den 1970erJahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Ausgenommen davon sei jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Die islamische gemeinschaft in deutschland e.v. ist die zentrale und wichtigste Organisation von Anhängern der MB in Deutschland und gilt als deren inoffizielle Deutschlandvertretung. Ihr Ziel ist, sich in Deutschland als anerkannter Ansprechpartner für Muslime und für Islamfragen zu etablieren. Bei öffentlichen Auftritten werden Bekenntnisse zur MB und verfassungsfeindliche Äußerungen aus taktischen Gründen vermieden. 298 ISLAMISMUS Die Einbeziehung hochrangiger Akteure aus dem Umfeld der MB bzw. der IGD beim Aufbau neuer Gebetsräume, wie bspw. im Juli/August 2016 in Pirna, stellt einen konkreten Anhaltspunkt für eine Einflussnahme seitens der MB dar. Quelle: Facebook-Profil SBS - Sächsische Begegnungsstätte Pirna (Stand: 6. Oktober 2016) Quelle: Facebook-Profil Marwa Elsherbiny Kulturund Bildungszentrum Dresden (Stand: 16. November 2016); Werbeflyer der "Sächsischen Begegnungsstätte gUG" (SBS), welche insbesondere in Sachsen für die Eröffnung mehrerer neuer Gebetsräume verantwortlich ist. Hinweis: Die Personen wurden unkenntlich gemacht. Neben diesen sich verstärkenden Aktivitäten der muslImBruDerschaft im Freistaat Sachsen ist zu erwarten, dass die seit Jahren zunehmenden salafistischen Bestrebungen weiter an Bedeutung gewinnen.525 525 siehe Abschnitt II.4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen 299 Jihadismus Die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Sachsen werden auch im Jahr 2017 weiterhin von jihadistischen Terrororganisationen als "kreuzzüglerische" Gegner wahrgenommen und damit Ziel von Anschlagsplanungen sein. Die hohe abstrakte Gefährdung wird auch künftig bestehen bleiben. Es besteht aber auch die Möglichkeit für eine Zuspitzung der Gefährdung. Ein Grund hierfür ist die Konkurrenzsituation zwischen dem IslamIscheN staat und al-QaIDa. Letzterer ist es nicht gelungen, propagandistisch wirksame terroristische Operationen gegen westliche Ziele durchzuführen. Jeder "gelungene" Anschlag des sog. IslamIscheN staates erhöht damit den Handlungsdruck auf das al-QaIDa-Netzwerk. Ein weiterer Grund liegt in den militärischen Rückschlägen, die der IS im Berichtsjahr in Syrien und Irak erfuhr. Dies kann zur Folge haben, dass bereits ausgereiste Islamisten vermehrt z. B. die Migrationsströme für eine unerkannte Rückkehr nach Westeuropa nutzen. Grundsätzlich sind zwei Handlungsmuster denkbar: zum einen komplexe Anschläge, wie in Paris am 13. November 2015, bei denen mehrere Täter mit massiver Bewaffnung zeitgleich terroristische Angriffe ausgeführt haben; zum anderen Anschläge islamistisch motivierter Einzeltäter, wie u. a. in Ansbach am 24. Juli 2016, in Würzburg am 18. Juli 2016 und in Berlin am 19. Dezember 2016. Angesichts der anhaltenden Zuwanderungsbewegungen nach Deutschland ist davon auszugehen, dass sich unter den künftig einreisenden Asylbewerbern auch künftig aktive und ehemalige Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen gem. SSSS 129a, 129b StGB (wie dem sog. IslamIscheN staat) sowie Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung befinden. Auch ausgereiste Islamisten können die Migrationsströme für eine unerkannte Rückkehr nach Westeuropa nutzen. Diese 526 stellen wegen der möglichen Kampfausbildung und -erfahrung eine besondere Risikogruppe dar. Neben den möglicherweise als Flüchtling getarnten Islamisten ist in Einzelfällen auch mit einer Radikalisierung von Asylbewerbern zu rechnen, die bis dahin keine Verbindungen zu islamistischen Strukturen hatten. Aber auch Konvertiten und Muslime ohne Asylhintergrund sind im Fokus der islamistischen Rekrutierungsund Radikalisierungsbemühungen. Die Bearbeitung jeglicher Hinweise erfolgt durch das LfV Sachsen in engem Austausch mit den LKA Sachsen, den betroffenen Sicherheitsbehörden bzw. im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Partnern. 526 siehe Ausreisefälle, Abschnitt II.4.3 Salafistische Bestrebungen in Deutschland und Sachsen 300 AUSLÄNDERExTREMISMUS 5. Ausländerextremismus 5.1 Zielsetzungen Die Bestrebungen ausländerextremistischer Organisationen richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Dabei handelt es sich um kein einheitliches Spektrum. Politik, Strategie und Aktionen der nichtislamistischen extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland werden ganz entscheidend von den Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. In Sachsen konnten ausländerextremistische Bestrebungen aus folgenden Bereichen festgestellt werden: islamisch-extremistische (d. h. islamistische - siehe Abschnitt 4.1), linksextremistisch-separatistische und extrem nationalistische. Linksextremistisch-separatistische Ausländerorganisationen streben nach revolutionärer Beseitigung der jeweiligen Staatsordnung in ihren Herkunftsländern die Errichtung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems an. Einige dieser Organisationen verfolgen dabei eine ethnisch motivierte Unabhängigkeit vom bekämpften Staat. Extrem nationalistische Ausländerorganisationen vertreten ein übersteigertes Nationalbewusstsein, das anderen Nationen oder Personen anderer Nationalität die Gleichwertigkeit abspricht. Die Organisationen wollen - häufig gewalttätig - eine radikale Veränderung der politischen Verhältnisse im Heimatland erzielen. Hierdurch wird auch die innere Sicherheit in Deutschland gefährdet, denn es wird von vielen Ausländerextremisten als sicherer Rückzugsraum betrachtet, um hier ihre Ziele durch Agitation, Rekrutierung neuer Anhänger und ideologische Indoktrination zu verfolgen. Von hier aus werden die Heimatorganisationen propagandistisch, vor allem aber auch materiell und finanziell unterstützt. 301 5.2 Personenpotenzial Das ausländerextremistische Personenpotenzial im linksextremistischen Spektrum stieg im Jahr 2016 geringfügig auf ca. 160 Personen (2015: ca. 150) an. Es setzte sich fast ausschließlich aus Mitgliedern und Anhängern der Nachfolgeund Nebenorganisationen der arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk) zusammen. Die ab Mitte 2014 wieder verstärkt zu beobachtenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen dieser Gruppen dauerten auch im Berichtsjahr an. Neben dem Vormarsch des sog. IslamIscheN staates und dessen vermeintlicher Unterstützung durch die türkische Regierung wurden hauptsächlich der gescheiterte Putschversuch in der Türkei vom Juli 2016 und die drastischen Reaktionen der türkischen Regierung thematisiert.527 Das Mobilisierungspotenzial der PKK kann deren Anhängerzahl deutlich überschreiten. Hierzu zählen regelmäßig auch Personen aus dem linksextremistischen Spektrum in Sachsen oder aus benachbarten Bundesländern. National-extremistischen Organisationen wurden in Sachsen lediglich einzelne Personen zugerechnet, die hier bislang jedoch keine Aktivitäten entfalteten. Ausländerextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen 200 190 180 170 160 160 160 160 150 150 150 150 150 150 150 140 120 100 gesamt davon PKK 80 davon Sonstige 60 40 40 20 20 10 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 527 siehe Abschnitt II.5.3 Ausblick 302 AUSLÄNDERExTREMISMUS 5.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) arBeIterParteI kurdIstans (Pkk) Extremismusbereich: Linksextremistischer Ausländerextremismus Gründung: 1978 Sitz: Nordirak/ Kandilgebirge Vorsitz: Abdullah ÖCALAN528 Teil-, Nebenorganisationen: u.a. koorDINatIoN Der kurDIscheN DemokratIscheN gesellschaft IN euroPa (CDK), cIwaNeN azaD Publikation: SERxWEBUN, YENI ÖZGÜR POLITIKA Kennzeichen: 529 529 Historie und Strukturentwicklung in der Türkei Die PKK wurde im Jahr 1978 gegründet. Ziel war die Schaffung eines autonomen Kurdenstaates unter ihrer Führung. Zu den Gründern gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn an die Funktion des Generalsekretärs aus. Seine bis heute unumstrittene Führungsposition setzte er gegen interne Widerstände durch und behielt diese auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung im Jahr 1999. Die PKK entwickelte sich sowohl in der Türkei als auch in Europa zur anhängerstärksten und militantesten Kurdenorganisation. 1984 nahm sie den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Diesen Auseinandersetzungen fielen bislang rund 45.000530 Menschen zum Opfer. Seit dem Jahr 2002 werden die PKK und später auch deren Nachfolgeorganisationen als terroristische Organisationen gelistet. Die PKK bezeichnet sich seit 2007 offiziell als vereINIgte gemeINschafteN kurDIstaNs (kck). Ab Mitte der 1990er Jahre verfolgte die PKK-Führung eine Doppelstrategie. Während sie sich in Westeuropa bemühte, friedlich in Erscheinung zu treten, agierte sie in der Türkei weiterhin auch mit militärischen und terroristischen Mitteln. Die Guerillaeinheiten, die sog. volksverteIDIguNgskräfte (hPg), griffen sowohl türkische Sicherheitskräfte als auch Ziele der Infrastruktur an. Um den HPG ein vermeintlich reguläres militärisches Antlitz zu verleihen und sie vor dem Vorwurf des Terrorismus zu bewahren, wurden die freIheItsfalkeN kurDIstaNs (tak) ins Leben gerufen. Den TAK schlossen sich überwiegend jugendliche Kämpfer der HPG an, die seit 2004 Sprengstoffund Brandanschläge verüben. Im Frühjahr 2013 schien sich eine neue Entwicklung abzuzeichnen, nachdem bekannt geworden war, dass die türkische Regierung Verhandlungen mit Abdullah ÖCALAN geführt hatte. ÖCALAN, der erstmalig als Verhandlungspartner akzeptiert wurde, präsentierte dabei eine eigene "Roadmap". Nach dieser sollten sich in einem ersten Schritt die PKK-Kämpfer aus der Türkei zurückziehen. Das Fernziel sei die Waffenniederlegung und der Gewaltverzicht. Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die Erfüllung 528 Trotz Inhaftierung hat er faktisch die Führung inne. 529 Fahne der Volksverteidigungskräfte (HPG) 530 http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt (Stand: 29. Januar 2016) 303 ihrer Forderungen nach Verankerung politischer und kultureller Rechte für die Kurden in einer neuen Verfassung der Türkei. Der Konflikt mit dem IslamIscheN staat (IS) im Gebiet Westkurdistans (Nordsyrien) hatte auch Einfluss auf die Aktivitäten der PKK. Der syrische Zweig der PKK, die ParteI Der DemokratIscheN uNIoN (PyD), setzte sich mit ihrem im Juli 2012 gegründeten militärischen Arm, den volksverteIDIguNgseINheIteN (yPg), für den Schutz des Gebietes und den Kampf gegen den IS ein. Sie wurde dabei von den HPG unterstützt. Sie agieren in einem politisch fragilen Umfeld, in dem geopolitische Interessen und die Interessen der lokalen Akteure äußerst unübersichtlich und von hoher Dynamik geprägt sind. Quelle: picture-alliance/dpa-Grafik (Stand: 1. Februar 2017) Aktuelle Entwicklung in der Türkei Die Situation in der Türkei wurde im Berichtsjahr stark vom gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 geprägt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoan sah in dem muslimischen Prediger und ehemaligen Weggefährten Fethullah Gülen den Urheber des Putsches. Der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand ermöglichte die Verfolgung und Inhaftierung zehntausender Personen in der Türkei. Hiervon waren nicht zuletzt auch Kurden betroffen. Dies verschärfte den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK zusätzlich. Bereits zu Beginn des Jahres 2016 hatte sich die 2015 begonnene Spirale der Gewalt fortgesetzt. Besonders betroffen von PKK-initiierten Anschlägen waren türkische Polizisten und Militärangehörige, zum Teil aber auch Ziele in Touristengebieten. Wie bereits in den vergangenen Jahren versuchte die PKK auch die Tourismuswirtschaft in der Türkei zu schädigen. Ab Februar 2016 publizierten der kurDIsche DemokratIsche gesellschaftskoNgress IN euroPa (kcD-e), der verBaND Der stuDIereNDeN aus kurDIstaN (yxk) und das DemokratIsche gesellschaftszeNtrum Der kurDINNeN IN DeutschlaND (Nav-Dem) eine gemeinsame Kampagne in Europa. In der Türkei Urlaub zu machen und Geld auszugeben, bedeute den "schmutzigen Krieg von Erdogan" zu finanzieren.531 531 yeNI özgür PolItIka, "Tourismus-Boykott ist eine Angelegenheit der Moral", S. 6 (Stand: 3. März 2016) 304 AUSLÄNDERExTREMISMUS Die der PKK zuzuordnenden freIheItsfalkeN kurDIstaNs (tak) bekannten sich unter anderem zu den Selbstmordanschlägen am 17. Februar 2016 und 13. März 2016 in Ankara "als Racheakte für das grausame Vorgehen der türkischen Armee in der Stadt Cizir/Cizre532."533 Ab Juni 2016 fanden fast monatlich Anschläge der TAK statt. Betroffen war hauptsächlich die Stadt Istanbul, aber auch Adana, ein kurdisches Siedlungsgebiet im Süden der Türkei sowie die Urlaubsregion um Antalya. Die Attentate galten vor allem der Polizei oder Armeeangehörigen. Opfer unter Zivilisten wurden billigend in Kauf genommen. Bei dem Anschlag Quelle: navdem.com/wp-content/uploads/2014/08/ boycotTurkey-160118-de (Stand: 18. Januar 2016) am 10. Dezember 2016, der aus zwei Einzeltaten in Istanbul bestand, kamen mehr als 40 Menschen ums Leben. Im März 2016 schloss die PKK mit verschiedenen linksextremistischen türkischen Organisationen den BuND Der revolutIoNäreN BeweguNg Der völker (hBDh). Dieser Bund richtet sich gegen "Imperialismus, Kapitalismus und gegen jegliche reaktionäre Bewegung". Die revolutionäre Gewalt stehe im Vordergrund, da der Widerstand, auch im Westen534 und in den Metropolen, fortgeführt werden soll.535 Der PKKNachrichtensender meD Nuce tv berichtete am 8. Mai 2016 von einem Anschlag auf die Gendarmeriestation in Giresun-Caldag536, bei dem mehrere Soldaten getötet worden sein sollen. Bekannt habe sich die HBDH. Weitere Anschläge gegen die "faschistische Regierung sowie gegen ihre Einrichtungen" wurden angekündigt. Die "Jugend in der Türkei" wurde zur Teilnahme an den Anschlägen aufgerufen. Auch der Jahrestag der erzwungenen Ausreise des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN aus seinem syrischen Exil am 9. Oktober 1998 ist immer wieder Anlass für "Rache"-Aktionen. So soll sich der Bombenanschlag am 6. Oktober 2016 auf eine Polizeizentrale in Istanbul gegen das "internationale Komplott vom 9. Oktober und gegen die Unterdrückung und Tyrannei, denen das Volk von 'Kurdistan' ausgesetzt sei", gerichtet haben.537 Nach wie vor stehen die seit 2015 forcierten Autonomiebestrebungen der Kurden in ihren Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei im Zentrum des Konflikts. Unter der Überschrift "Sie werden unsere Heimat verlassen" veröffentlichte die PKK-Zeitung yeNI özgür PolItIka am 23. Juni 2016 folgendes Statement eines Mitglieds des Exekutivkomitees der PKK: 532 Liegt in dem Bereich der Autonomiebestrebungen (s. u.) 533 yeNI özgür PolItIka vom 22. Februar und 18. März 2016, S.1 534 Hier dürfte der Westen der Türkei gemeint sein. 535 meD Nuce tv vom 13. März 2016 536 knapp 700 km nordöstlich von Ankara gelegen 537 yeNI özgür PolItIka vom 8. Oktober 2016, S.1 305 "[Es] erklärte, das kurdische Volk werde den Boden, auf dem es mehr als 10.000 Jahre lebe, nicht verlassen, und betonte: "Die kurdische Befreiungsbewegung wird keinen einzigen Schritt zurückgehen. Sie sind die Besatzer und werden unsere Heimat verlassen. Die Kurdenfrage wird so oder so gelöst werden. Der Traum Erdogans von der "einzigen Nation", der auf dem Völkermord basiert, existierte vor 90 Jahren. Jetzt leben wir im 21. Jahrhundert. Die Ungerechtigkeit gegenüber dem kurdischen Volk im Nahen Osten wird ein Ende finden. Wir sind für eine friedliche Lösung des Kurdenproblems, aber wir stellen Bedingungen. Ohne die Einführung der Selbstverwaltung in Kurdistan und die Freilassung Abdullah Öcalans wird man den Krieg nicht stoppen können." Historie und Strukturentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa Aufgrund der Kampfhandlungen in ihren Siedlungsgebieten seit den 1980er Jahren flüchteten hunderttausende Kurden. Ihr Hauptziel war Westeuropa, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Mitglieder und Anhänger der PKK setzten hier den Kampf fort und gründeten 1985 die NatIoNale BefreIuNgsfroNt kurDIstaNs (erNk). Sie verübten terroristische Anschläge auf türkische Einrichtungen und Gewerbe. Ohne Rücksicht auf Leib und Leben griffen sie ebenfalls deutsche Polizisten an. Dies führte im November 1993 zu einem Betätigungsverbot der PKK und der ihr angeschlossenen Nebenorganisationen in der Bundesrepublik. Das Verbot umfasst auch die daraufhin gegründeten Nachfolgeorganisationen der ERNK, nämlich die seit dem Jahr 2000 verbotene kurDIsche DemokratIsche volksuNIoN (yDk) und die seit 2004 verbotene koorDINatIoN Der kurDIscheN DemokratIscheN gesellschaft IN euroPa (cDk). Das Territorium der Bundesrepublik Deutschland ist in neun "Eyalets" (i. S. v. Gebiet) untergliedert. Diese setzen sich wiederum aus "Bölge" (Gebiete/Zonen) zusammen. Aktuell gibt es um die 30 Bölge, die aus mehreren Teilgebieten bestehen. In der Bundesrepublik befindet sich mit ca. 800.000538 Personen die größte Gruppe der kurdischen Diaspora. Weniger als 2 % dieses Personenkreises sind Anhänger der PKK oder ihrer Nachfolgebzw. Nebenorganisationen. Das Mobilisierungspotenzial kann allerdings das Mehrfache betragen. Die streng hierarchisch und territorial gegliederten Organisationsstrukturen sichern der PKK den ideologischen Einfluss und bilden die Grundlage für die erfolgreiche Durchführung jährlicher Spendenkampagnen. Letztere sind eine unverzichtbare Grundlage für die Finanzierung des gesamten Parteiapparates und aller Aktivitäten einschließlich des bewaffneten Kampfes. Westeuropa und die Bundesrepublik Deutschland sind ein wesentliches Rekrutierungsgebiet für den Nachwuchs des Guerillakampfes in den Kurdengebieten. 538 Die Zahl stellt nur einen Schätzwert dar. Es gibt keine offizielle Statistik zu Personen kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie werden gemäß ihrer Staatsangehörigkeit als Türken, Iraner, Iraker oder Syrer geführt. 306 AUSLÄNDERExTREMISMUS Die PKK ist sehr daran interessiert, möglichst alle Kurden in ihre Organisation einzugliedern und hält für sie deshalb eine Vielzahl von zielgruppenorientierten Teilorganisationen, z. B. für Frauen und Jugendliche sowie Berufsoder religiöse Gruppen, bereit. In den jeweiligen westeuropäischen Staaten existieren Föderationen örtlicher kurdischer Vereine, die wiederum in der europäischen Konföderation KCD-E zusammengeschlossen sind. Aufgabe des KCD-E soll der Einsatz für das soziale und kulturelle Wohl der Kurden in Europa sein. Es solle dafür gesorgt werden, dass die Identität der Kurden in der jeweiligen Verfassung der Herkunftsländer Türkei, Iran, Irak und Syrien anerkannt werde. Zu diesem Zweck wolle man in ganz Europa "demokratische Gesellschaftszentren" für Kurden eröffnen. Der KCD-E ist nunmehr die PKK-Europaführung, in die auch die CDK integriert ist.539 Das neue Organisationsmodell soll alle kurdischen Einrichtungen unter einem Dach vereinen. Anlässlich ihres 20. Kongresses gründete im Juni 2014 die föDeratIoN kurDIscher vereINe IN DeutschlaND e. v. (yek-kom)540 das NAV-DEM. NAV-DEM ist der Dachverband für die Vereine und die bedeutendste Organisation der PKK in Deutschland.541 Den Namenswechsel vollzogen danach auch die bisher in der YEK-KOM organisierten örtlichen Vereine. Sie gaben jeweils die "Gründung" des DemokratIscheN kurDIscheN gesellschaftszeNtrums (Dktm)542 bekannt. Quelle: Diverse Veröffentlichungen in der Yeni Özgür Politika 539 Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern 2014, S. 129 540 Bisherige Dachorganisation für Vereine in Deutschland, in denen sich Mitglieder und Anhänger der PKK organisierten 541 Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz "Wie erkenne ich extremistische und geheimdienstliche Aktivitäten?", S.18 (Stand: August 2016) 542 Demokratik Kürt Toplum Merkezi 307 Struktur der PKK 543 544 Basis: Militärischer Arm unterhält Zentrale Führung Nordirak volksverteIDIguNgskräfte Generalversammlung Türkei HPG Präsidium Exekutivrat steuert Verdeckte Ülke-Büro542 unterstützt Politischer Arm Struktur in Schleusungen KcD-E / cDK Deutschland Passfälschungen Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit beeinflusst Offene Vereine Teilorganisationen Medien Struktur in Dachverband YJA (Frauen), meD Nuce tv 543 Deutschland NAV-DEM cIwaNeN azaD (Freie Jugend), und Printmedien und z.T. in YxK (Studenten), YMK (Lehrer), Sachsen YRK (Journalisten), YHK (Juristen), YNK (Schriftsteller), CIK, YEK, KAB (religiöse Gruppen) Historie und aktuelle Situation im Freistaat Sachsen Das Bölge Sachsen wird dem Eyalet Berlin zugerechnet. Es besteht hauptsächlich aus den "Teilgebieten" Leipzig, Dresden und Chemnitz. Darüber hinaus gehören angrenzende Teile umliegender Bundesländer und der Nachbarstaaten Polen und Tschechien dazu. In den Teilgebieten gründeten sich in den 1990er Jahren bis in die ersten Jahre des Folgejahrzehnts Vereine, die dem Dachverband YEK-KOM zuzuordnen waren. Zwischen 2009 und 2015 kam das der PKK zuzurechnende Vereinsleben vollständig zum Erliegen. Die Mitglieder und Sympathisanten beteiligten sich lediglich an PKK-initiierten überregionalen Kampagnen und Großveranstaltungen. Dies dürfte nicht zuletzt auf das konsequente Vorgehen der sächsischen Sicherheitsbehörden zurückzuführen sein. Die Vereinslokale der PKK waren mehrfach von Exekutivmaßnahmen der Polizei betroffen. Am 13. Oktober 2016 sprach das Oberlandesgericht Stuttgart einen Funktionär der PKK wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß SSSS 129a, b StGB schuldig. Er war viele Jahre als Gebietsleiter für die PKK tätig gewesen, davon in den Jahren 2011 bis 2013 in Sachsen. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. 543 Das türkische Wort Ülke bedeutet "Land" (politisch). 544 Abschaltung durch den französischen Satellitenbetreiber EUTELSAT Anfang Oktober 2016 308 AUSLÄNDERExTREMISMUS Den PKK-Strukturen im Freistaat Sachsen sind der DresDNer vereIN Deutsch kurDIscher BegegNuNgeN e. v. und die Gruppe cIwaNeN azaD DresDeN (freIe JugeND DresDeN) zuzurechnen. Die Nähe der Gruppe cIwaNeN azaD DresDeN zur PKK wird dadurch noch betont, dass sie das Symbol der Jugendorganisation der PKK in Westeuropa cIwaNeN azaD545 als Facebook-Profilbild verwendet. Auch der DresDNer vereIN Deutsch kurDIscher BegegNuNgeN e. v. verwendet PKK-Symbolik. Er tritt seit 2016 auf seiner Facebook-Seite unter der Bezeichnung NaveND546 sachseN auf und verwendet das Logo des NAV-DEM. Im gesamten Berichtsjahr führte der Verein interne Veranstaltungen durch und zeigte in Dresden Präsenz. So führte er z. B. am Wochenende 23./24. April 2016 seinen 2. Kongress durch (s. Foto) Monatlich fanden Demonstrationen oder Kundgebungen statt. An Informationsständen präsentierten sie ihr Propagandamaterial. Alle Aktivitäten standen Quelle: Facebook-Profil NaveND sachseN (Stand: 27. April 2016) stets im Zusammenhang mit zumindest deutschlandweiten Aktionen, wie diese z. B. in der PKKZeitung yeNI özgür PolItIka am 26. April 2016 (Seite 1/6) unter der Überschrift "Überwinden des klassischen Vereinsmodells" wiedergegeben wurden. In den meisten Fällen konnten diese Veranstaltungen auf in den PKK-Medien veröffentlichte Aufrufe des NAV-DEM oder auch des KCD-E zurückgeführt werden. Themen waren insbesondere die Situation in der Türkei und die anhaltenden Demonstration am 13. August 2016 (Dresden, Theaterplatz) Haftbedingungen von Abdullah ÖCALAN. Ein weiteres Schwerpunktthema war die Lage in der Türkei und in dem kurdischen Siedlungsgebiet in Nordsyrien. 545 Jugendorganisation der PKK in Westeuropa 546 kurdisches Wort für "Zentrum" 309 Informationsstand am Albertplatz am 2. Juli 2016 Logo des Vereins zum Vergleich: YPG KCK-Fahne Bereits im August 2015 hatte der DresDNer vereIN Deutsch kurDIscher BegegNuNgeN e. v. eine Spendensammlung unter dem Motto "Ein Rettungswagen für Kobane"547 initiiert, die zahlreiche Unterstützer fand. Quelle: www.dresden-hilft-kobane.de (Stand: 15. Juni 2016) Im Frühjahr 2016 rief die Hilfsorganisation kurDIscher roter halBmoND e. v. (HSK), unterstützt vom KCD-E, des Weiteren ein "Geschwisterund Familienprojekt" ins Leben. 548 Ziel dieses Projektes war es, Menschen Hilfe jeglicher Art zukommen zu lassen, die in Gebieten im Südosten der Türkei besonders unter den Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischem Militär litten. Im Juni 2016 habe in Dresden ein Abgeordneter der DemokratIscheN ParteI Der völker (HDP) anlässlich einer Podiumsdiskussion auf die Bedeutung des Projektes hingewiesen. An der Veranstaltung hätten ein Mitglied des NAV-DEM, zwei Vertreter des DemokratIscheN kurDIscheN gesellschaftszeNtrums549 und 100 Zuschauer teilgenommen. Im Anschluss sollen sich 20 Personen als neue Paten verpflichtet haben. 550 547 Die Spendenaktion hatte zum Ziel, einen Rettungswagen für die vom sog. IslamIscheN staat (Is) zeitweise besetzte und umkämpfte Stadt Kobane, die im kurdischen Siedlungsgebiet in Nordsyrien liegt, zu beschaffen. 548 yeNI özgür PolItIka vom 23. April 2016, S. 6 549 Identisch mit dem Dresdner Verein deutsch-kurdischer Begegnungen e. V. 550 yeNI özgür PolItIka vom 6. Juni 2016, S. 6 310 AUSLÄNDERExTREMISMUS 5.4 Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund Die politisch motivierte Kriminalität im Bereich Ausländerextremismus ist seit Jahren im Vergleich zu den anderen Phänomenbereichen äußerst niedrig. Der Anteil der ausländerextremistisch motivierten Fälle betrug im Jahr 2016 weniger als 2 % des Gesamtaufkommens von Straftaten mit politischem Hintergrund. So stellte die Polizei 54 (2015: 32) Straftaten aus diesem Spektrum fest. Gegenüber dem Vorjahr ist damit ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Die Anzahl der Gewalttaten ist mit 14 (2015: sieben) ebenfalls angestiegen. Die seit drei Jahren steigende Tendenz der Straftaten steht im Zusammenhang mit der Eskalation der Lage in der Türkei. Dort wurde der Friedensprozess zwischen der arBeIterParteI kurDIstaNs (PKK) und der türkischen Regierung beendet. Es folgten verschärfte Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Militär. Dies spiegelte sich auch in den Aktivitäten der PKK-Mitglieder und -Anhänger in Deutschland wider. Vornehmlich kam es zu Propagandadelikten. 60 54 50 40 32 Straftaten insgesamt 30 davon Gewalttaten 20 20 14 10 8 7 3 3 2 1 0 1 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 5.5 Ausblick Das ausländerextremistische Personenpotenzial setzt sich in Sachsen nahezu ausschließlich aus Anhängern der Nachfolgeund Nebenorganisationen der arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk) zusammen. Deren Gründungsmitglied, Abdullah ÖCALAN, behielt seinen Status als Führungspersönlichkeit trotz seiner Inhaftierung im Jahr 1999 bei. Es ist davon auszugehen, dass seiner strategischen Vorgabe - dem Streben nach einem eigenen Kurdenstaat auch mit Mitteln der Gewalt - in der Türkei weiterhin gefolgt wird. In Westeuropa war die PKK jedoch bislang bemüht, von sich das Bild einer gewaltfreien Befreiungsbewegung zu vermitteln. Sie versprach sich davon, das ihr anhaftende Stigma einer Terrororganisation zu verlieren und so die Unterstützung demokratischer Kräfte zu gewinnen. Da sie in den letzten Jahren 311 hierbei durchaus beachtliche Erfolge für sich verbuchen konnte, sind auch künftig keine gravierenden Abweichungen im Auftreten der Organisation zu erwarten. Das Bestreben der PKK, in Deutschland gewaltfrei und friedlich aufzutreten, zeigte sich auch in den Reaktionen auf die angebliche Unterstützung des sog. IslamIscheN staats (Is) durch die türkische Regierung, auf die Eskalation zwischen türkischem Militär und der PKK im Südosten der Türkei sowie auf die Verhaftung von Funktionären der kurdisch-türkischen Demokratischen Partei der Völker (hDP), insbesondere im Nachgang zum gescheiterten Putsch im Juli 2016. Im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr verstärkt öffentlichkeitswirksame Aktionen hiesiger PKKMitglieder und -Anhänger festgestellt. Sie brachten ihren Protest vor allem durch Kundgebungen und Demonstrationen zum Ausdruck, die (überwiegend) friedlich verliefen. Zu berücksichtigen ist, dass die Situation Abdullah ÖCALANs von seinen Anhängern weltweit aufmerksam beobachtet wird. Schon vage Anhaltspunkte für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder schlechte Haftbedingungen können heftige Reaktionen, wie z. B. die Besetzung öffentlicher und staatlicher Einrichtungen, auslösen. Nahezu unberechenbar wären die Reaktionen der PKK-Anhängerschaft auf ein mögliches Ableben von Abdullah ÖCALAN. Sollte der türkischen Regierung in diesem Fall auch nur entfernt ein Mitverschulden angelastet werden können, wäre mit massiven gewalttätigen Ausschreitungen in der Türkei und gegen türkische Einrichtungen in ganz Europa zu rechnen. Die Situation wäre vergleichbar mit der Lage rund um die Festnahme Abdullah ÖCALANs im Februar 1999. Dort war es u. a. zu Geiselnahmen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Konsulatsbesetzungen sowie auch zu Blockaden im öffentlichen Raum gekommen. 312 R E I C H S B Ü R G E R U N D S E L B S T V E R WA LT E R 6. reichsBürger uNd selBstverwalter Die heterogene Szene der reIchsBürger uND selBstverwalter setzt sich aus verschiedenen Einzelpersonen sowie Personenzusammenschlüssen zusammen, die aus unterschiedlichen Motiven und Begründungen, u. a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich gar gänzlich als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb bereit, Verstöße gegen diese zu begehen. Diese Verstöße reichen von Ordnungswidrigkeiten über Straftaten, wie Nötigungen, Beleidigungen und Urkundenfälschungen, bis hin zu schwersten Straftaten wie am 25. August 2016 in Reuden (Sachsen-Anhalt) und am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd (Bayern). Bei einer Zwangsräumung in Reuden wurden Einsatzkräfte der Polizei durch den ehemaligen Besitzer des Hauses mit einer Schusswaffe bedroht. Es kam zu einer wechselseitigen Schussabgabe, bei der sowohl Spezialkräfte als auch der Beschuldigte verletzt wurden. Dieser ist Anhänger der Reichsbürgerszene und gab an, auf seinem Grundstück einen Staat mit dem Namen "UR" gegründet zu haben. Bei einem 49-jährigen Reichsbürger in Georgensgmünd sollten dessen sich im legalen Besitz befindliche Waffen wegen Unzuverlässigkeit sichergestellt werden. Er wird beschuldigt, unmittelbar nach Eindringen der Spezialeinheiten der Bayerischen Polizei in seine Wohnung das Feuer auf die Beamten eröffnet zu haben. Es kam zu einem Schusswechsel mit dem Beschuldigten, der eine schusssichere Weste trug. Dabei wurden vier Polizisten verletzt, ein Beamter erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Der Betroffene konnte leicht verletzt festgenommen werden. Die gemeinsame Basis der Szene der reIchsBürger uND selBstverwalter ist die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Gerichten und Behörden. So wird versucht, diese in ihrer Arbeit zu behindern oder es werden deren Mitarbeiter bedroht. Ein zentrales Merkmal dieser Szene ist die Vorstellung, Deutschland würde als eine sog. "BRD GmbH" existieren und weiterhin von den "Alliierten" besetzt sein. Zudem teilen die verschiedenen Gruppierungen die Annahme, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestehe, die Bundesrepublik Deutschland keine Existenzberechtigung habe und demzufolge ihre verfassungsmäßige Ordnung, Organe und Institutionen keine Legitimation besäßen. In Sachsen sind z. B. die exIlregIeruNg Deutsches reIch oder der BuNDesstaat sachseN bekannt. Reichsbürger wenden sich in Sachsen mit "öffentlichen Schreiben", "öffentlichen Bekanntmachungen" oder "Anordnungen" an die Öffentlichkeit sowie gezielt an Dienststellen des Freistaates und der sächsischen Kommunen. Darin behaupten sie gemäß ihrer Überzeugung, dass es die Bundesrepublik Deutschland als Staatsgebilde nicht gebe und die angeschrieben Behörden deshalb nicht zum exekutiven Handeln befugt seien. 313 Allerdings findet die Szene aufgrund ihrer kruden Theorien und ihres speziellen Auftretens kaum positive Resonanz. In weiten Teilen stellen die reIchsBürger ein polizeiund ordnungsrechtliches Problem dar, da sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Anträgen und Beschwerden belasten. Die Szene ist in der Regel auf sich selbst bezogen. Nur in Ausnahmefällen bilden sich stabile Gruppen, die dann wieder eine hohe Spaltungstendenz aufweisen. Neben eher aus persönlichen Notlagen zur Reichsbürgerideologie greifenden Einzelpersonen, gibt es auch über Jahre hinweg aktive Mitglieder der Szene der reIchsBürger uND selBstverwalter. Aktuell werden ihr in Sachsen ca. 600 Personen zugerechnet.551 Die personelle Überschneidung mit den in Sachsen bekannten Rechtsextremisten liegt bei rund fünf %. ReichsbüRgeR und selbstveRalteR 2016: ca. 600 davon Rechtsextremisten 2016: ca. 25 551 Bundesweites eigenständiges Beobachtungsobjekt sind reIchsBürger uND selBstverwalter seit dem 1. Dezember 2016. 314 PROPAGANDA UND AGITAT I O N V O N E x T R E M I S T E N I M I N T E R N E T 7. Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet Extremisten aller Phänomenbereiche nutzen die Möglichkeiten des Internets intensiv für ihre Zwecke. Es dient ihnen zur internen Kommunikation und Vernetzung, ebenso wie zur Propaganda und für die Werbung potenzieller Anhänger. Dabei ist seit Jahren zu beobachten, dass sie - entsprechend dem allgemeinen Trend - immer weniger klassische Homepages oder Online-Foren nutzen. Vielmehr verlagerten sich ihre Internetauftritte auf die Plattformen sozialer Medien. Dabei lag der Schwerpunkt auf Facebook, jedoch wurde man - abhängig von Struktur und Anlass - auch auf weiteren Netzwerken aktiv. So kommt insbesondere dem Kurznachrichtendienst Twitter eine große Bedeutung bei der Bewältigung größerer Szeneereignisse zu, etwa im Zusammenhang mit Demonstrationen bzw. entsprechenden Gegenveranstaltungen. Für die interne Kommunikation nutzen Extremisten zunehmend Messengerdienste wie WhatsApp, Threema oder Telegram. Trotz der vorgenannten Tendenzen waren bei den verschiedenen Extremismusbereichen auch Unterschiede in der Internetnutzung wahrnehmbar, welche nachfolgend erläutert werden: Rechtsextremismus Für Rechtsextremisten ist das Internet ein wesentliches Instrument zur Selbstdarstellung und Propaganda sowie zur Gewinnung neuer Anhänger. Es bietet eine Plattform, um ihre rechtsextremistische und ausländerfeindliche Gesinnung zum Teil offen, aber auch subtil verbrämt zu verbreiten. Im Zusammenhang mit der Asylpolitik verleitet die vermeintliche Anonymität des Netzes Rechtsextremisten zu einer - besonders bezüglich Asylbewerbern, aber auch Politikern - beleidigenden und diffamierenden Agitation in den sozialen Netzwerken. Dort publizierte Beiträge erscheinen dabei für rechtsextremistisch orientierte Nutzer glaubwürdiger als die Berichterstattung in den Medien. Die Zustimmung zu Hetzbeiträgen wird als virtueller Applaus empfunden und führt so noch zu einer Verstärkung der eigenen fremdenfeindlichen Ideologie. Neben den bekannten sozialen Netzwerken, wie Facebook und Twitter sowie dem Videoportal YouTube, nutzt die rechtsextremistische Szene auch verstärkt das Netzwerk VK.com zur virtuellen Vernetzung und Kommunikation. VK.com ist das russische Äquivalent für Facebook und ist in Optik und Funktionsumfang sehr stark an das amerikanische Vorbild angelehnt. VK.com bietet den Nutzern die Möglichkeit, sich untereinander durch private oder Gruppen-Chats auszutauschen, Nachrichten innerhalb der Plattform zu verQuelle: Facebook-Seite der NPD zur Nutzung sozialer Netzwerke senden oder sich in Gruppen mit angeschlos(Stand: 21. November 2015) 315 senen Foren zu organisieren. Rechtsextremisten nutzen dieses soziale Netzwerk, um Löschungen oder Sperrungen bei Facebook zu umgehen. In der Vergangenheit spielten Internetforen, wie Thiazi, Nationale Revolution oder Altermedia Deutschland552, eine wichtige Rolle für den Austausch von Ideologie und Propagandamaterial sowie bei der Intensivierung persönlicher Beziehungen. Nach entsprechenden behördlichen Maßnahmen und der Abschaltung dieser wichtigen Plattformen verlagerten sich die OnlineAktivitäten von Rechtsextremisten zunehmend in Richtung sozialer Netzwerke und MessengerDienste. Insbesondere Instant-Messenger wie WhatsApp bieten die Möglichkeit der Identitätsprüfung des Gegenübers und eine Abschottung Quelle: Facebook-Seite der rechtsextremistischen Band thematIk 25 wirbt für die App Threema (Stand: 14. März 2016) zu szenefremden Kommunikationsteilnehmern. Den leistungsfähigen Messengern kommt bei Mobilisierungsaktivitäten zu Demonstrationen, Musikveranstaltungen oder Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner eine Schlüsselrolle zu, da sie nun die früheren telefonischen Absprachen oder SMS ersetzen. Ein großer Teil der im Internet von Rechtsextremisten entfalteten Propaganda bezieht sich auf die Asylthematik. Rechtsextremistische Gruppierungen verbreiten diese besonders in sozialen Netzwerken, dabei stets bestrebt, Außenstehende als Anhänger zu gewinnen. Nach den Anschlägen islamistischer Terroristen im Juli 2016 in Würzburg und Ansbach und der Festnahme des mutmaßlichen Terroristen AL-BAKR im Oktober 2016 in Leipzig verstärkte sich die Debatte im Internet. So forderte die sächsische NPD auf der Facebook-Seite des Kreisverbandes Leipzig nach dem Amoklauf in München am 22. Juli 2016 einen konsequenten Kurswechsel der deutschen Politik: "Als Täter (...) wurde offenbar ein ethnischer Nicht-Deutscher mit deutschem Paß identifiziert, ein sogenannter "Deutsch-Iraner"! (...) Die etablierten Zuwanderungsparteien tragen die moralische Mitschuld an den von Ausländern ermordeten Deutschen. (...) Nötig ist ein konsequenter Kurswechsel in der Ausländerpolitik: Grenzschließung, Zuwanderungsstopp, Abschiebung bestimmter Ausländergruppen und ein Ende der selbstmörderischen "Willkommenspolitik" für kulturfremde Ausländer! Rettet Deutschland! Rettet Europa!"553 552 Verbot durch den Bundesminister des Innern am 27. Januar 2016; BAnz AT 27. Januar 2016 B1 (Unanfechtbarkeit des Verbots vom 30. März 2016; BAnz AT 8. April 2016 B1) 553 www.facebook.com/NPD-Kreisverband-Leipzig (Stand: 23. Juli 2016) 316 PROPAGANDA UND AGITAT I O N V O N E x T R E M I S T E N I M I N T E R N E T Zur verhinderten Terrortat eines in Chemnitz aktiven Islamisten schrieb die NPD Sachsen bei Facebook554: "Nach dem Auffliegen des syrischen Bombenbauers in Chemnitz, der im letzten Jahr mit Hunderttausenden anderen Muslimen als Pseudo-Flüchtling ins Land kam, ist die NPD-Forderung aktueller denn je: Asylflut stoppen! Islamistischen Terror verhindern!" Die anhaltenden Äußerungen der rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang mit Asyl und Zuwanderung sind Ausdruck der in den Internet-Foren herrschenden aggressiven Stimmungslage. Die Einträge thematisieren Untergangsund Überfremdungsszenarien, in denen der Fortbestand des deutschen Volkes in Gefahr gesehen wird. Als Verantwortliche gebrandmarkt werden Flüchtlinge und Asylbewerber, aber auch die als volksfeindlich diffamierten "System"-Politiker. Darüber hinaus sind die als "Lügenpresse" angefeindeten Medien Ziele der Agitation von Rechtsextremisten. Linksextremismus Internetplattformen und -foren dienen Linksextremisten sowohl als Kommunikationsmittel als auch als offenes Medium zur propagandistischen Beeinflussung. Dabei machen sie sich vielfältige Kommunikationsmittel zunutze. Um anonym zu bleiben, setzen sie etwa verschlüsselte Messenger-Dienste und Cryptotools555 ein. Im Bereich des Linksextremismus erreichen nur wenige eigene Internetseiten eine Bedeutung jenseits ihrer lokalen, regionalen oder ideologischen Zusammenhänge. Um daher ihre Wahrnehmbarkeit und Reichweite zu erhöhen, nutzen Linksextremisten gruppenunabhängige überregionale Internetplattformen wie Indymedia Deutschland oder - verstärkt - linksunten.indymedia. Lokale Kommunikationsplattformen, wie left-action.de oder "Antifa in Leipzig" (inventati.org/leipzig), dienen daneben der Vernetzung im städtischen Umfeld und der breiteren Mobilisierung von Szenemitgliedern. Sie stellen darüber hinaus auch Anlaufpunkte zur Informationssammlung dar. So finden sich Aufrufe zur Meldung rechtsextremistischer Aktivitäten und zur Unterstützung von Recherchen über den politischen Gegner. Grundsätzlich geht es um die Schaffung alternativer, selbstbestimmter Medienangebote, um mit eigenen Themenfeldern und Aktivitäten online präsent zu sein und der etablierten Medienwelt eine eigene Perspektive entgegenzusetzen. Logo von indymedia und linksunten.indymedia "Outing" auf Internetportalen Recherchedatenbanken stellen inzwischen ein umfangreiches, auch personenbezogenes Wissen über den politischen Gegner zur Verfügung. Damit kann das "Outing" im Netz zu einer unmittelbaren Gefährdung von Personen und Objekten führen. 554 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 9. Oktober 2016) 555 Verschlüsselungssoftware 317 Das "Outing" tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten erfolgt dabei häufig auf den bereits genannten linksextremistischen Portalen. Hier werden wiederholt Fotos und Adressen von politischen Gegnern veröffentlicht. Das Ziel solcher Aktionen besteht einerseits in der "Aufklärung" der Gesellschaft über die rechtsextremistische Gesinnung von Personen. Andererseits geht es aber auch um die Verunglimpfung der Betroffenen und ihre Isolation in der Gesellschaft. Ihnen wird nach dem Selbstverständnis der Linksautonomen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Privatsphäre abgesprochen. Diese Art von Antifaschismus hat eine stabilisierende Funktion für die linksextremistische Szene.556 Ein Beispiel für eine solche intensive Recherche ist das entsprechende "Outing" durch eine lokale linksextremistische Gruppe vom 4. November 2016 im Internet, wo Material mit Bezug zur rechtsextremistischen Gruppierung rechtes PleNum veröffentlicht wurde557. Dieser Schritt wurde im einleitenden Text wie folgt begründet: "Sie verüben Gewalttaten, versprühen und kleben massiv Propaganda und wollen sich damit einen Raum schaffen, in dem sie frei von Widerstand und Repression tun können, was sie wollen. Wir wollen das nicht, deshalb haben wir viele Infos zusammengetragen und präsentieren sie hier als umfangreiches Outing. (...)." Zu 14 Personen wurden Adressen und Profilnamen der Accounts in sozialen Netzwerken, ebenso Informationen zum Arbeitgeber sowie Fotos online gestellt. Auch wurden Auflistungen zu Beteiligungen einzelner Personen an Szeneaktivitäten veröffentlicht. Mit derartigen Aktionen meint man, den politischen Gegner demaskieren zu können. Gleichzeitig werden Reaktionen provoziert, die sich durchaus auch in der Realwelt fortsetzen können. Islamismus Jihadisten und Islamisten nutzen die modernen Kommunikationstechnologien ebenfalls zur Verbreitung ihrer Ideologie. Die Propaganda wird zielgruppengerecht und in verschiedenen Sprachen angeboten. Dazu gehören die Veröffentlichung von Videos und Onlinemagazinen, aber auch Bekenntniserklärungen zu Anschlägen. Der sog. IslamIsche staat (IS) nimmt eine führende Rolle bei der jihadistischen Internetpropaganda ein. Wie keine Terrorgruppe zuvor nutzt er soziale Netzwerke, wie Twitter und Facebook sowie das Videoportal YouTube, zu Propaganda, Rekrutierung und Vernetzung. Über eigene Kanäle und Onlinemagazine propagiert der IS seine Botschaften. Bedeutsam ist hierbei die ähnlich wie ein Nachrichtenmagazin gestaltete Online-Publikation DaBIQ. Diese wird seit Sommer 2014 unregelmäßig online als PDF-Datei in mehreren Sprachen herausgegeben, darunter vereinzelte Ausgaben auch auf Deutsch. DaBIQ trägt dazu bei, die Botschaften und die Ideologie des IS weltweit zu verbreiten. Durch die Veröffentlichung von Bildern der Attentäter des Anschlags in Paris vom 13. November 2015 mittels einer Fotomontage mit dem Kommentar "Gerechter Terror - Lasst Paris den Nationen, die bedenken wollen, eine Lehre sein ..." 558 wurden diese glorifiziert. 556 www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/136660/nazi-outing?p=all (Stand: 21. Mai 2012) 557 siehe Abschnitt II.2.5 NeoNatIoNalsozIalIsteN 558 DABIQ, 13. Ausgabe, deutsche Version, S. 55 318 PROPAGANDA UND AGITAT I O N V O N E x T R E M I S T E N I M I N T E R N E T Quelle: Internetseite jihadology.net (Stand: 5. Januar 2016) Seit 2016 erscheint zudem das IS-Propagandamagazin rumIyah (arabisch: Rom) mit bisher fünf erschienenen Ausgaben in verschiedenen Sprachen, darunter auch in Englisch und Deutsch. Hier liegt der Fokus deutlich auf dem Kampf gegen den Westen. Bereits die zweite Ausgabe enthielt Erklärungen zur Ausführung von Messerangriffen für IS-Sympathisanten in der westlichen Welt. In der englischsprachigen November-Ausgabe 2016 wurden von der Terrororganisation IS detailliert Anschlagsszenarien mittels Lastwagen beschrieben. So hieß es u. a., dass ein Fahrzeug eine sichere und einfache Waffe gegen Kuffar ("Ungläubige") sei. In der fünften deutschsprachigen Ausgabe von RUMIYAH, die nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt erschien, verherrlicht ein zweiseitiger Beitrag unter der Überschrift "Grenzenloser Terror" diesen Terrorakt als "neuesten Teil einer Serie von gesegneten Anschlägen". Im Weiteren wird Deutschland als besonders wichtiges Anschlagsziel genannt: "Zweifellos steht Deutschland ganz oben auf der Liste der Kreuzfahrer-Nationen, die sich am von den USA-geführten Kreuzzug gegen den Islamischen Staat und die muslimische Ummah beteiligen. (...) Nehmt euch ein Messer und schlachtet die Kuffar egal wo sie sind oder nehmt euch einen LKW und rast in versammelte Menschenmengen, um so viele wie möglich von ihnen zu töten und zu verkrüppeln."559 Weitere jihadistische Terrororgansationen publizieren eigene Magazine über das Internet. So wird das seit Juli 2010 erscheinende Magazin INSPIRE der al-QaIDa auf Der araBIscheN halBINsel zugerechnet. Von der professionell gestalteten, und auf westliche Leser ausgerichteten Publikation wurden seitdem mehrere 559 RUMIYAH, Ausgabe 5, S. 11, Schreibweise wie im Original 319 Ausgaben herausgegeben (2016: zwei Ausgaben). Ihre Beiträge verbreiteten die Propaganda von Osama BIN LADEN und weiteren führenden Vertretern von al-QaIDa. Terroranschläge gegen westliche Ziele werden darin zum Zwecke des Freiheitskampfes der Muslime für legitim erachtet. Ein Beitrag mit dem Titel "the ultimative mowing machine" (dt.: "Die ultimative Mähmaschine") beschrieb bereits in der im Oktober 2010 erschienenen zweiten Ausgabe, wie man mittels eines Fahrzeuges einen terroristischen Anschlag durchführen und dabei eine möglichst hohe Opferzahl Quelle: Internetseite jihadology.net (Stand: 12. Januar 2017) erreichen könne. Demzufolge solle man einen hoch motorisierten Pickup-Geländewagen mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge steuern und möglichst mit einer Waffe weitere Menschen töten. "Es ist eine Einbahnstraße, Du kämpfst so lange weiter, bis du als Märtyrer stirbst." Im Folgenden hieß es: "Diese Idee könnte in Ländern wie Israel, den USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Frankreich, Deutschland und Dänemark angewendet werden...". Ein vergleichbarer Tathergang fand sowohl beim Terroranschlag in Nizza am 14. Juli 2016 als auch am 19. Dezember 2016 in Berlin statt. 2016 erschien zudem erstmals das Onlinemagazin kyBerNetIQ, das sich als deutschsprachige Publikation an die jihadistische Szene richtet. Inhaltlicher Schwerpunkt ist der sichere Umgang mit Softund Hardware zur Online-Sicherheit. Es werden u. a. die gängigen Verschlüsselungstechniken beschrieben und vor der Überwachung durch Nachrichtendienste gewarnt. kyBerNetIQ konnte bisher keiner der bekannten Terrororganisationen direkt zugeordnet werden. Der IS nutzt für die Verbreitung seiner Propaganda sog. Medienzentren. Je nach Kommunikationsmittel (z. B. Video) wird ein spezifisches Symbol als "Corporate Design" verwendet. Dieses soll nicht nur die Authentizität der Information und Quelle: Internetseite Bayerischer Rundfunk (Stand: 3. Juli 2016) 320 PROPAGANDA UND AGITAT I O N V O N E x T R E M I S T E N I M I N T E R N E T die Verbindung zum IS belegen, sondern auch einen entsprechenden Wiedererkennungswert erzeugen. Zu diesen "offiziellen Medienstellen" gehören Al-Hayat Media Center (speziell für Kommunikation mit nichtarabischen Nutzern), Al-Bayan Radio (auch im Internet abrufbar) und Al-Furqan als offizielle Hauptmedienstelle. Nach den Anschlägen in Würzburg und Ansbach wurde eine Eilmeldung von der dem IS nahestehenden Medienstelle Amaq News Agency verbreitet. Diese nutzt vor allem den Messenger-Dienst Telegram, um derartige aktuelle Meldungen zu versenden. Die Veröffentlichung erfolgte in mehreren Sprachen, darunter auch auf Deutsch. Zudem veröffentlichte diese Medienstelle ein Abschiedsvideo des Attentäters von Würzburg auf arabisch, später auch mit deutschen Untertiteln. Quelle: Meldung des Axtangriffes in Würzburg auf Amaq am 18. Juli 2016 (Foto: memrijttm.org) Ganz im Sinne der islamistischen Propaganda stellte sich der Attentäter als "Soldat des Kalifats" dar. Er bekannte sich zum IS und rechtfertigte seine bevorstehende Tat mit der Tötung unschuldiger Zivilisten durch die westlichen Staaten in muslimischen Ländern. Nach dem Lkw-Anschlag am 19. Dezember 2016 Quelle: Meldung vom Anschlag in Ansbach am 24. Juli 2016 durch Amaq auf Deutsch (Foto: ojihad.wordpress.com) in Berlin veröffentlichte Amaq ein Video, in dem der Attentäter einen Treueeid auf den Is leistete. Insbesondere zu dem Anschlag in Würzburg gab es befürwortende Resonanzen von Islamisten im Internet, darunter Fotomontagen auf verschiedenen Telegram-Kanälen und Posts bei Twitter und Facebook.560 So hieß es unter dem Twitter-Hashtag "#Angriff_Würzburg" (Übersetzung aus dem Arabischen) unter anderem: "In euren Häusern und auf euren Straßen werden wir euch töten. Es wird keinen Zufluchtsort geben, ihr Kreuzanbeter." Bei Facebook schrieb ein Nutzer: "Wir haben leider keine Kampfflugzeuge, aber eine Axt tut es auch #Würzburg." 560 www.verfassungsschutz.de/aktuelles/schlaglicht/schlaglicht-2016-08-reaktionen-auf-den-anschlag-von-wuerzburg (Stand: 4. August 2016) 321 Über den Messenger-Dienst Telegram wurden auch Fotomontagen verbreitet. Darunter befand sich ein Bild, auf dem das brennende Bundeskanzleramt, ein Panzer und ein bewaffneter Kämpfer zu sehen waren. Darüber stand: "DEUTSCHLAND IST EIN SCHLACHTFELD". Die aufgeführten Reaktionen im Internet, die den Täter und den Anschlag glorifizierten, sollten die Propagandawirkung des Is verstärken. Quelle: www.verfassungsschutz.de/aktuelles/schlaglicht/ schlaglicht-2016-08-reaktionen-auf-den-anschlag-vonwuerzburg (Stand: 4. August 2016) 322 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT III. Spionage in Politik und Wirtschaft 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten gegnerischer Nachrichtendienste im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben im Jahr 2016 eine bedeutende Rolle gespielt und in der Öffentlichkeit zum Teil erhebliche Aufmerksamkeit erregt. Von zentraler Bedeutung war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also die nachrichtendienstlich organisierte Beschaffung von Informationen. Die spionagerelevanten Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichtendienste sind vielfältig und betreffen unter anderem das politische Geschehen (Politikspionage) oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspionage). Ein Spezialfall der Wirtschaftsspionage ist die Proliferation, die neben der Aufklärung der Technologie auch die vollständige oder teilweise Beschaffung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen mit deren Trägersystemen umfasst. Die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsund Innovationskraft Deutschlands begründen nach wie vor ein intensives Aufklärungsinteresse fremder Nachrichtendienste. Auch der Freistaat Sachsen mit den hier ansässigen innovativen Unternehmen und Forschungszentren bildet ein Ziel der Wirtschaftsspionage. Die aufgrund von Spionage eintretenden Schäden sind immens. Sie können sich im Bereich der Wirtschaft durch empfindliche Forschungsund/oder Auftragsverluste äußern. Vertreter der deutschen Wirtschaft gehen mittlerweile von einem durch Wirtschaftsspionage verursachten jährlichen Schaden in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro und - wegen einer hohen Dunkelziffer an Spionageaktivitäten - einem Schadenspotenzial von etwa 100 Milliarden Euro aus. Das kann auf Dauer spürbare Auswirkungen auf Staat und Wirtschaft haben. Ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft sind aber eine wesentliche Grundlage für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageaktivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Mögliche Adressaten von Politikspionage sind in erster Linie Staat und Verwaltung sowie Mandatsträger politischer Parteien. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewegungen aus dem Ausland, die in Deutschland leben, von den Maßnahmen des Nachrichtendienstes des jeweiligen Herkunftslandes betroffen sein. Adressaten der Wirtschaftsspionage sind vor allem Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Staat und Verwaltung können ebenfalls betroffen sein, soweit durch finanzielle Förderung entsprechende Verbindungen zu Unternehmen und Einrichtungen bestehen. Grundsätzlich gilt, dass kein Informationsträger "zu klein" ist, um nicht doch Adressat einer Spionagemaßnahme werden zu können. Neben Spionageaktivitäten hat die von fremden Nachrichtendiensten gesteuerte Beeinflussung der öffentlichen Meinung weiterhin Bedeutung.561 561 siehe dazu Abschnitt 2.2.3 323 2. Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden 2.1 Akteure und Aufklärungsschwerpunkte In Deutschland sind zahlreiche ausländische Nachrichtendienste mit ganz unterschiedlichen Aufklärungsschwerpunkten aktiv. Nachrichtendienste hoch entwickelter Staaten wollen durch Spionage vor allem im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb weiter Schritt halten oder sogar Wettbewerbsvorteile erzielen. Nachrichtendienste von Krisenländern geht es in politischer Hinsicht um die Aufklärung und Unterwanderung von Oppositionellen ihrer Länder, die in Deutschland leben. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entwickeln die Nachrichtendienste dieser Länder proliferationsrelevante Aktivitäten. Als Hauptakteure im Freistaat Sachsen gelten weiterhin die Nachrichtendienste Russlands und Chinas. Daneben stehen arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Nachrichtendienste im Verdacht Spionageaktivitäten zu entfalten. Gleiches gilt für den Einsatz westlicher Nachrichtendienste. 2.1.1 Russische Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation waren auch im Jahr 2016 von hoher Bedeutung für die russische Staatsführung. Die Bemühungen zur nachrichtendienstlichen Aufklärung im Inund Ausland erstrecken sich sowohl auf gesellschaftliche und politische als auch auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen. Dabei können sie verstärkt auf ehemalige Mitarbeiter der Nachrichtendienste zurückgreifen, die mittlerweile in der russischen Wirtschaft und in verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft engagiert sind. Dadurch verschwimmt die Grenze zwischen zivilen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Inund Ausland. Gleichzeitig beginnen die Maßnahmen des russischen Gesetzgebers zur besseren Überwachung des Internetverkehrs mit dem Westen zu greifen. Bereits im Jahr 2015 in Kraft getretene Restriktionen sehen vor, dass personenbezogene Daten russischer Staatsbürger im Internetverkehr nur noch auf russischen Servern gespeichert und verarbeitet werden dürfen. Das gilt selbst dann, wenn diese Personen Kunden oder Angestellte ausländischer Unternehmen sind, unabhängig davon, ob diese Unternehmen einen Standort in Russland haben oder nicht. Auf dieser Grundlage hat Russland im November 2016 das US-amerikanische Karrierenetzwerk LinkedIn auf seinem Hoheitsgebiet vorläufig gesperrt, weil die Daten von mehr als fünf Millionen russischen Nutzern auf Servern im Ausland gespeichert waren562. Zugleich hat sich der Druck auf Ausländer und Nichtregierungsorganisationen in Russland verstärkt. So müssen sich mit ausländischem Geld volloder teilfinanzierte Nichtregierungsorganisationen seit einiger Zeit als "Ausländische Agenten" registrieren lassen. Dies erschwerte bestehende Kooperationen oder führte sogar zu deren Beendigung. 562 SPIEGEL ONLINE "Russland blockiert LinkedIn", www.spiegel.de/karriere/linkedin-wird-in-russland-gesperrt-a-1121723.html (Stand: 17. November 2016) 324 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT Insbesondere der russische zivile Auslandsnachrichtendienst563, der militärische Auslandsnachrichtendienst564 und der Inlandsnachrichtendienst565 entwickelten gegen deutsche und damit auch sächsische Sicherheitsinteressen Aktivitäten. Die Spionage ging mit einer weiterhin sehr offensiven russischen Außenpolitik einher, die sich in der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, der Aufrechterhaltung des Ukraine-Konfliktes und dem immer stärkeren militärischen Eingreifen in den Syrien-Konflikt besonders deutlich manifestierte. Da die internationale Staatengemeinschaft weiterhin Druck sowohl auf die russische Politik als auch auf die russische Wirtschaft ausübte, hielt die russische Seite weiterhin an dem Versuch nachrichtendienstlicher Entlastungsmaßnahmen fest. Dafür boten die russischen Nachrichtendienste ein breites Spektrum an Aktivitäten auf. Für die politische Aufklärung von Interesse waren die deutsche Haltung zu Fragen der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Finanzund Energiepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in der NATO. Ansatzpunkte für dahingehende Aufklärungsmaßnahmen sind politische Mandatsträger, Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereine mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. In wirtschaftlicher Hinsicht ging es darum, die angeschlagene russische Wirtschaft mit neuem Know-how zu versorgen. Augenscheinliches Ziel ist es, die Politik der russischen Staatsführung zu rechtfertigen und den Westen für die angespannte politische Situation in Osteuropa und dem Nahen Osten verantwortlich zu machen. Dabei erhöhte man auch den Druck auf in Russland tätige Ausländer und Nichtregierungsorganisationen. Vor diesem Hintergrund bildet der Freistaat Sachsen als Bestandteil der deutschen Politiklandschaft und als innovativer und leistungsstarker Forschungsund Wirtschaftsstandort in Deutschland ein lukratives Ziel russischer Nachrichtendienste. 2.1.2 Volksrepublik China Die Volksrepublik China hat im Jahr 2016 die Aktivitäten ihrer Nachrichtendienste wieder in erheblichem Maße vorangetrieben. Die chinesische Parteiund Staatsführung nutzte ihre Geheimdienste gezielt zur Informationsgewinnung in den Bereichen Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft. Ziel war es, strategische Vorteile zu gewinnen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Dafür erhielten die chinesischen Nachrichtendienste eine starke Personalausstattung und umfangreiche Befugnisse. Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen werden durch das Ministerium für Staatssicherheit566, das als Inund Auslandsdienst strukturiert ist, organisiert. Angehörige sind an den amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Legalresidenturen) präsent und oft als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Auch der militärische Nachrichtendienst567 und das 563 S luzhbaVneshneiPazvedkiRossiiskoiFederatsii(SVR)/Sluschba Wneschnei Raswedki Rossijskoj Federazii (SWR); Übersetzung: Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation. 564 G lavnoerazvedyvatel'noeupravlenieGeneral'nogoshtabaVS(GRU)/Glawnoje Raswedywtelnoje Uprawlenije Generalnowo Staba WS (GRU); Übersetzung: Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 565 F ederal'naiaCluzhbaBezopasnostiRossiiskoiFederatsii(FCB)/Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj Federazii (FSB); Übersetzung: Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 566 Ministry of State Security (MSS) 567 Military Intelligence Department (MID) 325 Ministerium für öffentliche Sicherheit568 als Leitungsebene der Polizei waren mit Aufklärungsmaßnahmen gegen Deutschland aktiv. Auch im Berichtsjahr standen innovative deutsche Unternehmen und Hochschuleinrichtungen mit entwickelten Spitzentechnologien im Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste. Das machte auch den Freistaat Sachsen für sie interessant. Das gilt umso mehr, als die chinesische Wirtschaft weiter an Vitalität verloren hat und vor der zunehmenden Herausforderung steht, die von der Parteiund Staatsführung gesetzten ambitionierten Ziele zu erreichen. Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit chinesischer Nachrichtendienste war das Ausspähen und die Unterwanderung von in Deutschland lebenden oppositionellen Kräften, die von der chinesischen Regierung zu den sog. füNf gIfteN569 gezählt werden. Verstärkte innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten in einigen Provinzen werden in chinesischen Sicherheitskreisen als wachsende Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahrgenommen. Da sich im Freistaat Sachsen Angehörige der chinesischen Opposition aufhalten, ist davon auszugehen, dass der Freistaat auch aus diesem Grunde ein lohnendes Ziel der chinesischen Nachrichtendienste ist. 2.1.3 Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Staaten Arabische, nordafrikanische und weitere asiatische Nachrichtendienste führten im Berichtsjahr in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit bilden auch die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor ein Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste, insbesondere dann, wenn sie sich oppositionell betätigt haben. Syrische Nachrichtendienste haben ein starkes Interesse an Erkenntnissen über den Verbleib bekannter Oppositioneller und über deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden. Als Agenten kommen vor allem seit längerem in Deutschland lebende Landsleute zum Einsatz. Vergleichbare Aktivitäten zeigten zunehmend auch die Nachrichtendienste aus Indien und Iran. So klagte die Bundesanwaltschaft im September 2016 einen Mitarbeiter einer zentralen Ausländerbehörde wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und der Verletzung von Dienstgeheimnissen in 45 Fällen an. Der Angeschuldigte war hinreichend verdächtig, für einen indischen Nachrichtendienst in Deutschland lebende Inder ausgeforscht zu haben. Dafür soll er seinen Auftraggebern dienstlich erlangte Informationen über oppositionelle und extremistische sIkhs570 übermittelt haben. Bereits im März 2016 wurden zwei iranische Staatsangehörige wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt. Diese sollen 568 Ministry of Public Security (MPS) 569 Unter der diffamierenden Bezeichnung füNf gIfte werden von der Kommunistischen Partei Chinas Mitglieder der Vereinigung der Uiguren, Anhänger einer Eigenständigkeit Tibets, Praktizierende der Falun Gong-Bewegung, Anhänger einer Eigenstaatlichkeit Taiwans und Angehörige der Demokratiebewegung zusammengefasst. 570 Anhänger einer in Indien gegründeten Religionsgemeinschaft, weltweit bekannt als Sikhismus 326 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT Angehörige der militanten iranischen Oppositionsbewegung volksmoDJaheDIN IraN-orgaNIsatIoN (MEK) und des NatIoNaleN wIDerstaNDsrates IraN (NWRI) gegen Bezahlung ausgeforscht und die Informationen an einen iranischen Nachrichtendienst weitergegeben haben. Im Juli 2016 ließ die Bundesanwaltschaft einen pakistanischen Staatsangehörigen aus demselben Grund festnehmen. Der Beschuldigte soll Verbindungen zu einer iranischen geheimdienstlichen Einheit gehabt haben. In deren Auftrag soll er unter anderem den ehemaligen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dessen Umfeld ausgespäht haben. Nordkorea und Pakistan stehen im Verdacht ähnlicher Handlungen. 2.1.4 Westliche Staaten Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erstreckt sich auch auf nachrichtendienstliche Aktivitäten westlicher Staaten gegen Deutschland. Die fortwährenden Veröffentlichungen interner Dokumente haben das breite Spektrum von Spionageaktivitäten amerikanischer Nachrichtendienste und anderer westlicher Dienste verdeutlicht. Aus den Snowden-Enthüllungen folgt der Verdacht, westliche Dienste nutzten ihre technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, um weltweit Kommunikationsdaten abzuschöpfen. In diesem Bereich sollen vor allem US-amerikanische und britische Auslandsnachrichtendienste571 in enger Zusammenarbeit ihre Möglichkeiten gegen Deutschland einsetzen. Unabhängig davon kommt es weiterhin zu "klassischen" Spionageaktivitäten westlicher Nachrichtendienste. Im März 2016 verurteilte das Oberlandesgericht München einen ehemaligen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes zu acht Jahren Haft wegen Landesverrats, Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall und der Verletzung von Dienstgeheimnissen. Der frühere BND-Mitarbeiter war Anfang 2008 mit dem US-amerikanischen Nachrichtendienst Central Intelligence Agency (CIA) in Kontakt gekommen und hatte sich zu einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit bereit erklärt. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit hat er der CIA bis 2014 zahlreiche dienstliche Dokumente und interne Informationen über die Aufklärungstätigkeit und die Organisation des BND zugespielt und hierfür mindestens 80.000 Euro erhalten. Der Verfassungsschutz geht in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages jedem Anfangsverdacht von Spionageaktivitäten auch westlicher Dienste nach. 571 Das sind insbesondere die US-amerikanische National Security Agency (NSA; Übersetzung: Nationale Sicherheitsbehörde) und die britische Government Communications Headquarters (GCHQ; Übersetzung: Regierungskommunikationszentrale), die beide im Bereich der technischen Aufklärung aktiv sind. 327 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 2.2.1 Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen Ausländische Nachrichtendienste können einen großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen zugänglichen Quellen gewinnen. Sie ergeben sich bspw. bei dem Besuch öffentlicher Tagungen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, ebenso wie bei der Lektüre von Werbebroschüren oder Tageszeitungen sowie aus Radio und Fernsehen. Selbst brisante Informationen sind oft ohne weiteres und legal zugänglich, etwa über Fachzeitschriften und -bücher, über Bachelor-, Masteroder Diplomarbeiten oder auch über Dissertationsoder Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt erweitert die rasante technische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung das Spektrum frei zugänglicher Informationen in einem stetig wachsenden Ausmaß. Das reguläre Informationsangebot der digitalen Medien bietet fremden Nachrichtendiensten zahlreiche Informationen, die als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Spionageaktivitäten von erheblicher Bedeutung sein können. 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen Daneben gehört die konspirative Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen zu den Zielen ausländischer Nachrichtendienste. Die konspirative Informationsbeschaffung erfolgt über den Einsatz menschlicher Quellen, durch technische Mittel oder durch eine Kombination beider Möglichkeiten. Einsatz menschlicher Quellen Als menschliche Quelle kommt in Betracht, wer aktuell oder künftig über nachrichtendienstlich relevante Informationen verfügen oder solche Informationen gewinnen kann. Der möglichen Bandbreite sind keine Grenzen gesetzt. Sie reicht vom einflussreichen Politiker oder Wirtschaftslenker über den Wissenschaftler, den Großund Kleinunternehmer, den leitenden Beamten und den Offizier bis hin zu einfachen Angestellten, Studenten und Praktikanten. Keine Position ist zu unbedeutend, um Ziel der Ausspähung zu sein. Die Gewinnung menschlicher Quellen kann unter anderem durch den Aufbau von langjährigen persönlichen Kontakten oder durch die unmittelbare Einschleusung von Quellen in relevante Bereiche geschehen. Der in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit prominent gewordene Fall "Anschlag"572, der in Deutschland zu einem der bedeutendsten Strafverfahren in Spionagesachen führte, belegt das nach wie vor eindrucksvoll. Nicht in jedem Fall betreiben Nachrichtendienste einen solchen Aufwand. Auch kleiner angelegte Spionageaktionen können Wirkung entfalten. So treten etwa Mitarbeiter russischer und chinesischer Nachrichtendienste als Diplomaten, Journalisten oder als Mitglieder von Wirtschaftsdelegationen auf, die 572 Der Fall zeigt eine übliche Vorgehensweise russischer Nachrichtendienste. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ein unter dem Namen Andreas und Heidrun ANSCHLAG auftretendes Agentenpaar unter anderem zu mehrjährigen Haftstrafen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland in einem besonders schweren Fall. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR in Deutschland tätig waren (OLG Stuttgart vom 2. Juli 2013, Az. 4b-3StE 5/12). 328 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT mögliche Informanten auf Tagungen, Fachmessen oder diplomatischen Empfängen zunächst in scheinbar unverfängliche Gespräche verwickeln. Meist chinesische Nachrichtendienste bedienen sich dabei ihrer Landsleute, die im jeweiligen Ausland als Wissenschaftler, Studenten oder Praktikanten leben und in ihren Arbeitsbereichen über ein erhebliches Wissenspotenzial verfügen. Zunehmend werden auch politische oder wissenschaftliche Denkfabriken in die nachrichtendienstliche Informationsgewinnung eingebunden. Vor allem China verfügt über eine Vielzahl solcher Einrichtungen und fördert sie gezielt. Weltweit verfügen gegenwärtig nur die USA über noch zahlreichere Denkfabriken als China.573 Über regulär anmutende Kooperationen mit deutschen Stiftungen fördern nachrichtendienstlich gesteuerte Denkfabriken vordergründig das Ansehen ihres Heimatlandes, während sie im Hintergrund der nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung dienen. Auf diesem Wege lassen sich besonders einfach und unauffällig Kontakte zu interessanten Zielpersonen knüpfen, sensible Informationen sammeln und nachrichtendienstliche Maßnahmen tarnen. Wann immer die Agenten fremder Nachrichtendienste mit potenziellen Informanten Kontakt aufnehmen, greifen sie zurück auf die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beeinflussung, um Informationen zu erhalten. Dabei werden oft menschliche Eigenschaften, wie Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Habgier, Autoritätshörigkeit, Geltungssucht, Unsicherheit oder Bequemlichkeit ausgenutzt, um so Zugang zu sensiblen Daten zu erhalten (sog. "Social Engineering"). Auf eine solche Vorgehensweise deutet auch der bereits im Abschnitt "Westliche Dienste" erwähnte Spionagefall hin, in dem der US-amerikanische Nachrichtendienst CIA einen Spion beim BND installierte. Die erlangten Informationen werden auf unterschiedlichste Art und Weise weitergegeben. Nur exemplarisch sei auf die sog. Legalresidenturen der Nachrichtendienste in Deutschland verwiesen. Solche Legalresidenturen sind regelmäßig in Botschaften und Konsulaten angesiedelt, wo Mitarbeiter von Nachrichtendiensten als reguläre Mitarbeiter auftreten. Einsatz technischer Mittel, Elektronische Angriffe Die Informationsbeschaffung durch den Einsatz technischer Mittel, insbesondere über moderne Kommunikationsmedien, hat weiter an Bedeutung gewonnen. Das gilt umso mehr, als auch nicht öffentlich zugängliche Informationen im neuen digitalen Zeitalter oft leicht und ohne größere Risiken erreichbar sind. Fremde Nachrichtendienste nutzten diese Möglichkeiten und hörten Kommunikationsverbindungen über Internetknoten und Server im Ausland ab. Darauf weisen Erkenntnisse über Abhörpraktiken der US-amerikanischen NSA und des britischen GCHQ hin. In dieselbe Richtung deutet die Entwicklung in Russland, wo die Nachrichtendienste immer mehr Möglichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung des Internetverkehrs erhalten, etwa durch Zugriffsmöglichkeiten auf IPund E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Daten aus sozialen Netzwerken oder durch datenschutzrechtliche Restriktionen im Internet. Neben Abhörmaßnahmen sind Elektronische Angriffe, also gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen, ein probates und wichtiges Mittel der Informationsgewinnung und -beeinträchtigung geworden. Die Möglichkeiten reichen vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten (z. B. von Kundenlisten 573 James G. McGann, 2015 Global Go To Think Tank Index Report, In: University of Pennsylvania (Hrsg.), TTCSP Global Go To Think Tank Index Reports - Paper 10, 2016, S. 31 329 oder Strategiepapieren) über den Missbrauch von Identitäten bis hin zur Übernahme und Sabotage von Produktionsund Steuerungseinrichtungen. Derartige technische Maßnahmen können schnell erfolgen, sie sind kostengünstig und weitgehend risikoarm, auch wenn eine Identifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Im Rahmen solcher Cyberangriffe werden klassische Trojaner-E-Mails574, Wasserloch-Angriffe575 mit Drive-By-Infektionen576 und vieles mehr eingesetzt. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". Das Sächsische Verwaltungsnetz ist seit 2012 nachweislich Ziel zahlreicher Cyberangriffe,577 die auch einen nachrichtendienstlichen Hintergrund haben können und Anlass zu größter Wachsamkeit geben. Auch wenn vergleichbare Erhebungen zu Elektronischen Angriffen außerhalb der Verwaltung in Sachsen noch fehlen, besteht Grund zu der Annahme, dass Wirtschaft und Wissenschaft in einem vergleichbaren Ausmaß betroffen sind. Chinesische Nachrichtendienste stehen im Verdacht, einen großen Teil solcher Maßnahmen mit einem möglichen nachrichtendienstlichen Bezug zu Deutschland initiiert zu haben. Diese Angriffe richteten sich sowohl gegen staatliche Einrichtungen als auch gegen Wirtschaftsunternehmen aus den Bereichen Rüstung, Satellitentechnik, Maschinenund Anlagenbau sowie Chemieund Pharmaindustrie. Daneben gelten auch russische Nachrichtendienste als Initiatoren solcher Handlungen. Bekannte und mittlerweile auch berüchtigte Angriffskampagnen wie Sandworm, Snake und Sofacy werden Russland zugeschrieben. Sie sind hochkomplex und mit großer Professionalität geführt, dass sie über Jahre verborgen bleiben können. Die Schadsoftware Snake soll bereits seit 2005 aktiv sein, wurde aber erst 2012 erkannt. Seither haben die Angreifer einzelne technische Komponenten mehrfach geändert, so dass sie die Kampagne in abgewandelter Form auch 2016 noch einsetzen konnten. Eine neue Qualität von Cyberspionage überschreitet sogar die Schwelle zur Sabotage. Der Anfang 2015 mutmaßlich von russischen Nachrichtendiensten initiierte Elektronische Angriff auf den Deutschen Bundestag belegt diese Einschätzung. In diesem Zusammenhang zeigt sich deutlich, dass sich ein Elektronischer Angriff keineswegs in einer einmaligen punktuellen Maßnahme erschöpfen muss, sondern zu einer länger andauernden, komplexen und herausfordernden Bedrohung heranwachsen kann, die mit großem Aufwand betrieben wird (sog. "Advanced Persistent Threat" [APT]). Besondere Brisanz erhalten Elektronische Angriffe letztendlich dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Betroffenen und trotz der Benutzung aktueller Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft über längere Zeit unbemerkt bleiben können. 574 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 575 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacks) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 576 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schadsoftware manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive-By-Infektionen sollen in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg für Schadsoftware abgelöst haben. 577 siehe dazu exemplarisch für den Berichtszeitraum 2014/2015, Quelle: Karl Otto Feger, Jahresbericht des Beauftragten für die Informationssicherheit des Landes 2014/2015, In: Sächsisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.), Informationsund Cybersicherheit in Sachsen, 2016, S. 6 ff. und 10 f. 330 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen Fremde Nachrichtendienste haben im Jahr 2016 neben der Beschaffung von Informationen erneut versucht, gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Deutschland zu beeinflussen. Das Portfolio der eingesetzten Mittel ist weiterhin vielfältig und reicht von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft bis hin zu regelrechten Propagandaoffensiven und dem damit verbundenen Versuch der Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Der aus dem Kalten Krieg bekannte Einsatz von Einflussagenten dient zum einen der Desinformation der Bevölkerung in den Heimatländern. Dafür geben diese Personen bevorzugt in Presse und Rundfunk, aber auch durch elektronische Rundschreiben Erklärungen ab, mit dem Ziel, die Politik ihrer Heimatländer zu unterstützen. Die Bevölkerung soll annehmen, dass "Experten" im Ausland die eigene Regierungspolitik befürworten. Der Einsatz von Einflussagenten kann sich zum anderen auch auf relevante Entwicklungen in Deutschland richten. Der zielgerichtete Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft erfolgen im Regelfall sehr langfristig. Die Zielpersonen müssen im Zeitpunkt der Anbahnung noch nicht die vom fremden Nachrichtendienst erhofften Kontakte, Beziehungen und Einflussmöglichkeiten haben. Oft genügt es, dass dafür in Zukunft eine hinreichende Aussicht besteht. Erst zu diesem Zeitpunkt kommen dann die eigentlich beabsichtigen Maßnahmen zum Tragen. Die versuchte Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen kommt bei nunmehr in Deutschland lebenden ehemaligen Staatsbürgern aus dem Herkunftsland des jeweiligen Nachrichtendienstes in Betracht. Bundesweite Demonstrationen ehemaliger russischer Aussiedler nach bspw. der angeblichen Vergewaltigung eines russlanddeutschen Mädchens in Deutschland legen solche Versuche der Instrumentalisierung nahe. 331 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft Eine effektive Prävention ist die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten gegnerischer Nachrichtendienste. Sowohl Staat und Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, sich und ihre Umgebung bereits im Vorfeld von Spionageaktivitäten hinreichend zu schützen. Prävention heißt vor diesem Hintergrund, sich in Bezug auf Angriffsmethoden und -ziele fremder Nachrichtendienste zu sensibilisieren, die eigenen Einrichtungen und deren Umgebung auf spionagerelevante Schwachstellen systematisch zu analysieren, passgenaue Abwehrlösungen zu entwickeln, die Entwicklungen auf dem "Spionagemarkt" fortlaufend zu beobachten und Verdachtsfällen nachzugehen. Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderungen bietet das LfV Sachsen allen sächsischen Behörden, Verbänden, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine Sicherheitspartnerschaft an. Das LfV Sachsen geht aktiv auf potenziell gefährdete Institutionen zu. Bestandteil einer Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineangebote578 und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse von deren Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Entwicklung individueller Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Die Gewährleistung einer vertraulichen Behandlung ist dabei selbstverständlich. Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die weiteren 15 Landesbehörden für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei und viele andere Sicherheitsbehörden. Unabhängig davon engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit der Sächsischen Polizei und dem Sächsischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft in dem Präventionsangebot "Sicheres Unternehmen", einem ebenfalls kostenlosen Beratungsangebot zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit von Unternehmen. Unternehmen mit geheimhaltungsbedürftigen Aufträgen betreut das LfV Sachsen außerdem mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA).579 Außerdem hat der Verfassungsschutzverbund gemeinsam mit anderen Behörden und Wirtschaftsverbänden im Frühjahr 2016 die "Initiative Wirtschaftsschutz" ins Leben gerufen. Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft in einem umfassenden Schutzkonzept noch besser vor Spionageaktivitä578 siehe u. a. http://www.verfassungschutz.sachsen.de 579 siehe Abschnitt IV. Geheimund Sabotageschutz 332 SPIONAGE IN POLITIK UND WIRTSCHAFT ten zu bewahren. Ein eigens geschaffenes Internetportal bietet unter der Adresse www.wirtschaftsschutz.info erste Informationen und Einschätzungen zu aktuellen Fragen der Unternehmenssicherheit und ermöglicht eine schnelle Kontaktaufnahme mit den Sicherheitsbehörden. Der Wirtschaftsschutz des LfV Sachsen hat unter der Telefonnummer 0351/8585-5333 eine Hotline für alle Fragen des Wirtschaftsschutzes eingerichtet. Im Jahr 2016 konnte das LfV Sachsen durch Presseund Rundfunkauftritte, Vorträge und Individualberatungen eine erhebliche Zahl an Interessenten und Multiplikatoren unmittelbar erreichen. AuAusgewählte Kooperationen des LfV Sachsen auf dem Gebiet des Wirtschaftsschutzes ßerdem wurden ausgewählte Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in anlassbezogenen Rundschreiben mehrfach über aktuelle elektronische Angriffskampagnen unterrichtet. Dabei wurden konkrete Handreichungen zu Abwehrmaßnahmen geliefert. Wichtiger Bestandteil der öffentlichen Aktivitäten war der gemeinsame Wirtschaftsschutztag des LfV Sachsen und der Sächsischen Industrieund Handelskammern am 21. September 2016 unter dem Titel "Vorsicht Spione". Zahlreiche Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung informierten sich in den repräsentativen Räumlichkeiten der Sächsischen Aufbaubank über die Spionageabwehr in Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei ging es sowohl um die aktuelle Spionagelage als auch um den Einsatz menschlicher Quellen und technischer Hilfsmittel, insbesondere Elektronischer Angriffe. Darüber hinaus waren mögliche Abwehrmaßnahmen und lehrreiche Beispiele aus der Praxis ein Thema der Tagung. Die Teilnehmer nutzten die Gelegenheit zum regen Gedankenaustausch untereinander und mit den Vortragenden.580 Die vielfältigen Präventionsmaßnahmen zeigten Wirkung. Auch im Jahr 2016 gab es mehrfach Hinweise auf mögliche spionagerelevante Sachverhalte, denen das LfV Sachsen nachging. Darüber hinaus konnte es zahlreiche potenzielle Adressaten auf die Möglichkeit von Elektronischen Angriffen hinweisen und sie so beim Schließen von Sicherheitslücken unterstützen. Kontakt zur Spionageabwehr des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen: 580 siehe Abschnitt V. Verfassungsschutz Sachsen 333 Verfassungsschutz gegen Wirtschaftsspionage Publikationen der Verfassungsschutzbehörden Landesamt für Verfassungsschutz Neuländer Str. 60, 01129 Dresden Telefon: 0351/8585-0 Fax: 0351/8585-500 Bereich Wirtschaftsschutz: Telefon: 0351/8585-5333 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.smi.sachsen.de 334 GEHEIMUND SABOTA G E S C H U T Z , M I T W I R K U N G S A U F G A B E N IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben Allgemein Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen aus Verschlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschlusssache ist unabhängig von der Form, in der die geheimhaltungsbedürftige Information vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen reicht vom gesprochenen Wort über Schriftstücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Datenträgern und technischen Einrichtungen. Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bearbeitung wird als sicherheitsempfindliche Tätigkeit bezeichnet. Der Zugang zu Verschlusssachen und der Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, müssen sich vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung wird ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Nach der gesetzlichen Regelung (SS 5 Abs. 1 SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste oder 335 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein Sicherheitsrisiko in diesem Sinne kann auch aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte in Bezug auf andere Personen, insbesondere Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten, vorliegen. Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse - z. B. Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alkoholgenuss, Hinweise auf Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung - bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. Zuständig für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch für Personen in Wirtschaftsunternehmen, die im Rahmen von staatlichen Aufträgen sächsischer Behörden mit Verschlusssachen umgehen, werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schriftlicher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt im Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung mit. Es überprüft die Personen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuübenden sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 bis Ü 3). 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrichtungen. In der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Feststellung lebenswichtiger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsische Sicherheits-Überprüfungsfeststellungsverordnung) vom 22. September 2010 (SächsGVBl. 2010 Nr. 12, S. 271) werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt. Personen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt werden, üben nach dem SächsSÜG eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aus und müssen sich daher einer einfachen Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. 336 GEHEIMUND SABOTA G E S C H U T Z , M I T W I R K U N G S A U F G A B E N 2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen und gewährleistet die Einhaltung der Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung. Dazu zählen bspw. die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen sowie Regelungen zu Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein Geheimnisverrat bekannt, ist das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen zu beteiligen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen berät und unterstützt die Behörden des Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen Geheimschutzes, damit Verschlusssachen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt werden können. Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag sächsischer Landesbehörden tätig sind und dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt die Landesdirektion Sachsen als zuständige Stelle mit dem Landesamt für Verfassungsschutz als mitwirkende Behörde ein Geheimschutzverfahren durch. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen werden, um die Kenntnisnahme von Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhindern. Im Rahmen dieser Geheimschutzbetreuung berät das Landesamt für Verfassungsschutz die Unternehmen. 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagensoder Ausschlussgründen Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen und ob diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt werden dürfen. Im Einzelnen unterstützte das LfV Sachsen die Behörden im Jahr 2016 bei folgenden Überprüfungen: * Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für Personen, die im sicherheitsempfindlichen Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen 5.840 Anfragen * Beteiligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vor der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln 22.307 Anfragen 337 * Beteiligung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bei Einbürgerungen 2.077 Anfragen * Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe - Sprengstoffgesetz (SprengG) für Personen, die gewerbsmäßig, selbstständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung oder eines landoder forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen wollen oder den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreiben wollen 448 Anfragen * Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren Atomgesetz (AtG) für Personen, die beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 70 Anfragen * Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz (WaffG) für Personen, die Umgang mit Waffen oder Munition haben 21 Anfragen * Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Verordnung über das Bewachungsgewerbe - Bewachungsverordnung (BewachV) für Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von denen im Falle eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann, beauftragt werden sollen 4.681 Anfragen Im Jahr 2016 wurden insgesamt 35.444 solcher Mitwirkungsanfragen überprüft. Damit wurden 7.630 Anfragen mehr als im Vorjahr bearbeitet. Dies lag im Wesentlichen an dem signifikanten Anstieg von 41 % bei den Anfragen von Beteiligungen nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Fallzahlen bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Bewachungsverordnung waren bereits in den letzten Jahren stark angestiegen. Auch im Jahr 2016 setzte sich dieser Trend weiter fort. Die Zahl der Anträge stieg um 30 % an. 338 VERFASSUNGSSCHUTZ SACHSEN V. Verfassungsschutz Sachsen 1. Struktur In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Inlandsnachrichtendienste sowohl auf Bundesebene (Bundesamt für Verfassungsschutz) als auch auf Ebene der Länder (Landesverfassungsschutzbehörden). Die Behörden arbeiten jeweils selbständig, sind jedoch gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen mit Sitz in Dresden gehört dem Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) an. Seine Organisation stellt sich wie folgt dar: Stabsstelle Präsident Innenrevision Martin Döring Gordian Meyer-Plath Projektgruppe Projektgruppe Abteilung 3 Abteilung 1 Abteilung 2 elektronische Gewaltbereiter Beschaffung, Vorgangsbearbeitung Zentralabteilung Islamismus Auswertung Observation Referat 31 Referat 11 VP-Führung Referat 20 Organisation, EDV, Politischer Internetauswertung G 10-Stelle Extremismus und Terrorismus Referat 32 Referat 21 Referat 12 Forschung und Auswertung Werbung, operative Personal, Haushalt Rechtsextremismus, Internetbeobachtung, -terrorismus Spionageabwehr Referat 33 Referat 13 Referat 22 Observation, Recht, Geheimschutz, Auswertung Tarnmittel, Mitwirkung, Linksextremismus, ND-Technik, G 10-Aufsicht -terrorismus Ermittlungen Referat 23 Referat 14 Auswertung Organisation, Islamismus, Innerer Dienst Ausländerextremismus, -terrorismus 339 2. Gesetzliche Grundlagen 2.1 Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Unser Grundgesetz (GG) bekennt sich zu einer wehrhaften Demokratie. Die notwendige Handhabe hierfür findet sich in Art. 21 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 GG: Parteien können vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Aufgaben und Befugnisse Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Erkenntnisse zum politischen Extremismus sowie zu Terrorismus und Spionage schon weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu gewinnen. Zu diesem Zweck beobachtet er extremistische, d. h. verfassungsfeindliche Bestrebungen, die gezielt versuchen, die grundlegenden Prinzipien unserer Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Ziel der Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist es, rechtzeitig auf Gefahren hinzuweisen, die dem freiheitlichen Rechtsstaat - insbesondere durch Extremisten, Terroristen oder Spione - drohen. Zu diesem Zweck erstellt er Lagebilder und Analysen, die es den Regierungen von Bund und Ländern ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere Sicherheit einzuleiten. Dem Verfassungsschutz stehen selbst keine polizeilichen Befugnisse zu. Jedoch übermittelt er unter bestimmten Voraussetzungen seine Erkenntnisse an Polizei und Staatsanwaltschaft, um deren Vollzugsmaßnahmen zu unterstützen. Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes ergeben sich aus dem "Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen" (SächsVSG)581. Dem LfV Sachsen obliegt danach die Sammlung und Auswertung von Informationen über * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 581 Das SächsVSG ist abrufbar unter www.verfassungsschutz.sachsen.de. 340 VERFASSUNGSSCHUTZ SACHSEN * Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, * fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Auch der Wirtschaftsschutz zählt zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Er umfasst staatliche Maßnahmen, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss dienen. Daneben nimmt das LfV Sachsen auch sog. Mitwirkungsaufgaben wahr. Es ist u. a. beteiligt an: Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, der Durchführung von technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen Ebenso wirkt das LfV Sachsen auf Ersuchen mit bei: der Überprüfung von Personen, die sich um die Einstellung im öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, Überprüfungen, soweit diese gesetzlich vorgesehen sind, z. B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Atomgesetz, dem Sprengstoffgesetz und dem Luftsicherheitsgesetz, sowie der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Bewachungsverordnung. Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz sammelt einen erheblichen Teil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. So werden u. a. Parteiprogramme, Satzungen, Publikationen, Flugblätter und Internetseiten oder auch Reden von Funktionären ausgewertet. Fremde Nachrichtendienste, Extremisten und Terroristen arbeiten jedoch häufig sehr konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Dementsprechend ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermächtigt, auch sog. nachrichtendienstliche Mittel bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Dabei ist er jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen u. a.: der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), Informanten und Gewährspersonen, d. h. von Personen, die für den Verfassungsschutz Informationen aus verfassungsfeindlichen Organisationen beschaffen oder ihm z. B. logistische Hilfe leisten, ohne ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz zu erkennen zu geben, 341 die Observation, d. h. das verdeckte Beobachten von Personen und Objekten, die Anwendung technischer Hilfsmittel, wie Bildund Tonaufzeichnungen, die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen die Tätigkeit des Verfassungsschutzes verborgen werden soll, wie z. B. Tarnkennzeichen, die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs sowie die Wohnraumüberwachung. Die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs ist ein bedeutender Eingriff in das grundrechtlich geschützte Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz [GG] und Art. 27 Abs. 1 Sächsische Verfassung [SächsVerf]). Diese Maßnahme ist deshalb in einem besonderen Gesetz geregelt, dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Ge582 setz - G 10) . Demnach dürfen u. a. der Telekommunikationsverkehr abgehört und aufgezeichnet sowie Briefe geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass bestimmte schwere Straftaten geplant oder begangen werden bzw. wurden, z. B. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Betätigung in einer terroristischen Vereinigung, Hoch-/ Landesverrat oder geheimdienstliche Agententätigkeit. Der Präsident des LfV Sachsen muss einen entsprechenden Antrag beim Staatsministerium des Innern stellen. Wenn die vom Sächsischen Landtag gewählte G 10-Kommission Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen bestätigt hat, wird sie vom Staatsminister des Innern angeordnet. Das SächsVSG lässt in besonderen Fällen auch eine Überwachung von Wohnraum zu. Die engen Voraussetzungen hierfür sind im SS 5a SächsVSG geregelt. Danach dürfen technische Mittel zur Informationsgewinnung in Wohnräumen nur dann verdeckt eingesetzt werden, wenn die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach dem Artikel 10-Gesetz vorliegen. Außerdem muss der verdeckte Einsatz zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sachoder Vermögenswerte erforderlich sein. Voraussetzung ist schließlich, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Flankierend sind besondere Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (Intimsphäre) und von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Geistliche, Strafverteidiger) zu treffen. Ebenso wurden zum Schutz der aus einer Wohnraumüberwachung gewonnenen Daten besonders restriktive Vorschriften zu deren Löschung und Übermittlung in das SächsVSG eingefügt. Über die Anordnung einer Wohnraumüberwachung entscheidet auf Antrag des LfV Sachsen eine besondere Kammer des Landgerichtes. Zusätzlich ist die Parlamentarische Kontrollkommission des Sächsischen Landtages (PKK) über angeordnete Wohnraumüberwachungen zu unterrichten. Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizei sind getrennt voneinander organisiert und mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 der Sächsischen Verfassung 582 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. 342 VERFASSUNGSSCHUTZ SACHSEN wie auch im SS 1 Absatz 4 des SächsVSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde angegliedert werden darf. Zudem gibt es keinen unbeschränkten Informationsaustausch untereinander. Auch stehen dem Verfassungsschutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei eingeräumt sind, nicht zu. Er darf also weder Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen, vernehmen noch Wohnungen durchsuchen oder Gegenstände beschlagnahmen. Er ist auch nicht befugt, Verbote oder Auflagen aussprechen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr lediglich reine Beobachtungsbefugnisse. Unabhängig davon sind Verfassungsschutz und Polizei - neben anderen Sicherheitsbehörden und Justiz - gefordert, die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland zu schützen und die innere Sicherheit zu gewährleisten. Dies erfordert eine enge und bestmögliche Zusammenarbeit auf Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelungen. Dabei steht das Trennungsgebot einer engen informationellen und frühzeitigen Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz nicht entgegen. 2.2 Kontrolle Das Staatsministerium des Innern kontrolliert als Fachaufsichtsbehörde die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbehörde wacht es zudem über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb. Darüber hinaus finden Kontrollen statt durch: die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Sie kontrolliert die Tätigkeit des LfV Sachsen. Auch die Wahrnehmung der Aufsicht der Staatsregierung über das LfV Sachsen unterliegt der Kontrolle der PKK. die Kommission nach SS 3 SächsAG G 10 (G 10-Kommission) des Sächsischen Landtages Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10), d. h. Maßnahmen der Brief-, Postund Telekommunikationsüberwachung. den Sächsischen Datenschutzbeauftragten Er kontrolliert die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Er prüft, ob das LfV Sachsen personenbezogene Daten rechtmäßig erhebt, verarbeitet oder übermittelt. Jeder Bürger kann sich an den Datenschutzbeauftragten wenden, wenn er der Ansicht ist, das LfV Sachsen habe ihn bei der Erhebung und Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in seinen Rechten verletzt. den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haushaltsmittel des LfV Sachsen. 343 die Gerichte Jeder Bürger hat das Recht, gegen Maßnahmen des LfV Sachsen bei Gericht zu klagen, wenn er geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Außerdem prüft ein Gericht bereits im Vorfeld die Zulässigkeit von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen. die Öffentlichkeit Durch die Medienberichterstattung wird die Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erfährt damit auch deren Kontrolle. interne Prüfungen Im LfV Sachsen finden auch interne Kontrollen statt, so z. B. durch die Innenrevision, den behördlichen Datenschutzbeauftragten, den G 10-Aufsichtsbeamten sowie den behördlichen Beauftragten für den Haushalt. 3. Arbeitsweise Die Informationen, die der Verfassungsschutz aufgrund seines gesetzlichen Auftrages sammelt, werden analysiert, d. h. sie werden gesichtet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse sind Grundlage für die Berichterstattung des LfV Sachsen gegenüber: dem Staatsministerium des Innern, anderen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), der die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bundeswehr wahrnimmt, und dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizei), Behörden, die die Informationen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung benötigen (z. B. für Versammlungsverbote), der Öffentlichkeit. Dementsprechend werden die Informationen des Verfassungsschutzes vor allem benötigt zur Einschätzung der Sicherheitslage, zur Verhinderung bzw. Verfolgung von durch Extremisten, Terroristen und Spione begangenen Straftaten, zur Information der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Aktivitäten, zur Vorbereitung von Vereinsoder Parteiverboten. 344 VERFASSUNGSSCHUTZ SACHSEN 4. Öffentlichkeitsarbeit Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Dienst", sondern ein Informationsdienstleister für die Öffentlichkeit. Er stellt interessierten Bürgern, Medien oder Wissenschaftlern Analysen und Erkenntnisse zu extremistischen Bestrebungen zur Verfügung. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes. Sie stellt einen wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Die breite Öffentlichkeitsarbeit des LfV Sachsen umfasst deshalb vielfältige Maßnahmen, die für die Bedarfsträger kostenfrei sind. Dazu zählen: die Durchführung von Vortragsund Diskussionsveranstaltungen In Vorträgen und öffentlichen Diskussionsrunden informiert das LfV Sachsen - auch in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen, wie z. B. der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung - über politischen Extremismus allgemein und besonders über dessen Erscheinungsformen im Freistaat Sachsen sowie über die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes. Solche Veranstaltungen werden vor allem an Schulen, Einrichtungen der politischen Bildung, der Verwaltung, der Justiz und der Bundeswehr durchgeführt. Darüber hinaus werden zum Schutz von Forschung und Wirtschaft vor Spionage durch fremde Nachrichtendienste Firmen, Verbände und Forschungseinrichtungen in Vorträgen über die Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation informiert und es werden entsprechende Handlungsempfehlungen gegeben. Einen Schwerpunkt in diesem Jahr bildeten die Vortragstätigkeiten im Phänomenbereich Islamismus. Dabei wurden die Unterschiede zwischen der Religion Islam und der extremistischen Ausrichtung Islamismus deutlich gemacht. Auch wurden mögliche Verhaltensauffälligkeiten, die die Radikalisierung einzelner Personen aufzeigen können, geschildert. Die Kommunikationsstrategien zur Agitation durch Islamisten wurden präsentiert und diskutiert. die Information kommunaler Verantwortungsträger In Beratungsgesprächen informiert das LfV Sachsen kommunale Entscheidungsträger über regionale extremistische Bestrebungen und Aktivitäten, damit Gegenstrategien entwickelt werden können. das "Forum starke Demokratie" Ziel des organisatorisch beim LfV angesiedelten Forums ist die Unterstützung vor allem örtlicher staatlicher und kommunaler Entscheidungsträger bei der Bekämpfung des Extremismus. Sie sollen in die Lage versetzt werden, extremistische Bestrebungen frühzeitig und möglichst sicher zu erkennen und die rechtlich und tatsächlich möglichen und gebotenen Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Zudem will das Forum die engere Zusammenarbeit von staatlichen bzw. kommunalen und nichtstaatlichen Trägern der Extremismusprävention fördern. 345 Fachtagungen In Kooperation mit der Sächsischen Industrieund Handelskammer fand am 21. September 2016 der erste gemeinsame Wirtschaftsschutztag zum Thema "Spionageabwehr in Wirtschaft und Wissenschaft" in Dresden statt. Im Mittelpunkt dieser Tagung stand die Aufklärung über Spionageangriffe durch Mensch und Elektronik. Experten aus Politik, Sicherheitsbehörden und aus dem Wirtschaftssektor erläuterten Beispiele aus der Praxis und zeigten mögliche Abwehrmaßnahmen auf. Zur Thematik gewaltbereite islamistisch-extremistische Asylbewerber und Flüchtlinge fanden Sicherheitskonferenzen in Dresden, Chemnitz und Leipzig statt. Es nahmen Experten des Landesamts für Verfassungsschutz, des Landeskriminalamts und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge teil. Diese Sicherheitskonferenzen ermöglichten eine intensivere Vernetzung der zuständigen Einrichtungen und Behörden, um ein präventives Handeln und die Eigenverantwortung aller Beteiligten zu stärken. die Herausgabe von Broschüren Die präventive Aufklärung der Öffentlichkeit über den Extremismus erfolgt auch durch die Herausgabe entsprechender Publikationen, die teilweise in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden anderer Länder erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie können als Broschüre bestellt oder im Internet heruntergeladen werden. In diesem Jahr wurden u. a. die 2. Auflage der Broschüre über rechtsextremistische Symbole, Kennzeichen und Organisationen ("Augen auf! Sehen - Erkennen - Handeln"), eine Handreichung zum Thema "Reichsbürger", eine Kurzinformation für in der Flüchtlingsarbeit Beschäftigte ("Islamistische Radikalisierung unter Flüchtlingen erkennen") sowie der Internetatlas 2016 herausgegeben. die Internetpräsentation Das Web-Angebot des LfV Sachsen unter der Adresse http://www.verfassungsschutz.sachsen.de beinhaltet Informationen über die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sowie Mitteilungen zu aktuellen Sachverhalten aus den jeweiligen Beobachtungsfeldern. Querverweise ermöglichen die Verbindung zu Homepages anderer Verfassungsschutzbehörden. Außerdem können vom LfV Sachsen herausgegebene Broschüren heruntergeladen oder online bestellt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, per E-Mail Kontakt mit dem LfV Sachsen aufzunehmen (verfassungsschutz@lfv.smi. sachsen.de). die Pressearbeit Die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen erfolgt zudem über die Medien. 346 VERFASSUNGSSCHUTZ SACHSEN die Ausstellung "In guter Verfassung"583 Die gemeinsam mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung erarbeitete interaktive Wanderausstellung richtet sich insbesondere an Jugendliche und an Lehrpersonal. Sie beantwortet u. a. folgende Fragen: Was bedeutet eigentlich freiheitliche demokratische Grundordnung? Was macht unsere Demokratie konkret aus? Welche grundlegenden Elemente beinhaltet sie und wie schützt sie sich gegenüber denjenigen, die sie beseitigen wollen? Die Ausstellung bietet Lehrenden die Möglichkeit, Gemeinschaftskunde oder Politikunterricht erlebnisorientiert außerhalb von Klassenoder Seminarräumen stattfinden zu lassen. 583 Die Inhalte der Ausstellung können auf der Internetseite http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/igv.html abgerufen werden. 347 VI. Anhang Register A a3stus (Band) ........................................................................................................................................................... 120, 12, 123 Abtrimo ........................................................................................................................................................................................ 121 ag saxoNIa ................................................................................................................................................... 14, 89,147,149,168 Ahmadiyya-Gemeinde ........................................................................................................................................................... 294 AJZ Chemnitz ............................................................................................................................................................................ 253 aktIoNsBüNDNIs gegeN Das vergesseN (agDv) ................................................................................................................. 73, 148 "Aktionswoche" ........................................................................................................................ 73, 148, 149, 152, 177, 233 AL-BAGHDADI, Abu Bakr ........................................................................................................................................................ 28 AL-BAKR, Jaber ....................................................................................................................... 8, 20, 44, 182, 297, 298, 316 Al-Bayan (Radiosender des IS) ................................................................................................................................... 21, 321 AL-HAYAT Media Center (Medienstelle des IS) .................................................................................................... 21, 321 al-Nusra-Front ......................................................................................................................................................................... 287 Al-Rahman-Moschee .................................................................................................................................................. 294, 375 al-QaIDa .................................................................................................................... 28, 287, 297, 300, 319, 320, 366, 375 Alexandria (Ägypten) ............................................................................................................................................................. 295 allgemeINes syNDIkat DresDeN Der fau .................................................................................................................................. 259 Alternative für Deutschland (AfD) .............................................................................................. 16, 215, 241, 342, 251 ALTMIEKS, Nils .......................................................................................................................................................................... 132 A'maq News Agency (Nachrichtenagentur des IS) ...................................................................................................... 21 Anarchismus ................................................................................................................................................................... 257, 258 aNarchIsteN .......................................................................................................................................... 206, 207, 243, 262, 286 Anarchosyndikalisten ................................................................................................................................................... 258, 261 aNarchosyNDIkalIstIsche JugeND leIPzIg (asJl) ........................................................................................................... 259, 263 Annaberg-Buchholz (Erzgebirgskreis) .............................................................................................. 125, 159, 212, 254 Ansbach (Bayern) ................................................................................................................ 20, 44, 89, 297, 300, 316, 321 aNtIfa kleIN-ParIs (akP) ...................................................................................................................................... 227, 243, 255 aNtIfa rDl (Roßwein-Döbeln-Leisnig) .................................................................................................................. 255, 256 aNtIfa lausItz ............................................................................................................................................................................... 257 aNtIfaschIstIsche aktIoN .............................................................................................................................. 229, 235, 257, 262 aNtIfaschIstIsche aktIoN görlItz ............................................................................................................................................... 257 aNtIfaschIstIsche gruPPe gotha ................................................................................................................................................ 255 aNtIfaschIstIsches JugeNDBüNDNIs saalfelD ............................................................................................................................. 255 "Antifaschistischer Jugendkongress" .............................................................................................................................. 240 348 ANHANG aNtIkaPItalIstIsches kollektIv (akk) ........................................................................................................................................... 94 APFEL, Holger .............................................................................................................................................................................. 54 Apostaten ..................................................................................................................................................... 21, 22, 23, 28, 289 arBeIterassozIatIoNeN .................................................................................................................................................................. 258 arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk) ........................................................................................................................... 302, 303, 311 ARMSTROFF, Klaus ..................................................................................................................................................... 82, 85, 87 ARNOLD, Maik ..................................................................................................................................... 82, 142, 154, 178, 179 aryaN BrotherhooD eastsIDe ..................................................................................................................................................... 106 as-suNNa-verlag BerlIN ........................................................................................................................................................... 294 Aue-Schwarzenberg (Erzgebirgskreis) ............................................................................................................................ 155 ausläNDerstoPP (BIa) .................................................................................................................................................................. 100 autoNomal-versaND ................................................................................................................................................................... 257 autoNome ............................................................................................................... 190, 205, 206, 207, 209-228, 233-235, 238, 241-259, 272-274, 285-286 autoNome aNtIfa müNcheN (aNtIfa Nt, Bayern) ...................................................................................................................... 243 autoNome NatIoNalIsteN ............................................................................................................................................................... 98 "Autonomia Operaia" ............................................................................................................................................................. 209 AZ-ZARQAWI, Abu Musab .................................................................................................................................................... 28 B Bad Schandau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ............................................................................ 188 Bad Schlema (Erzbirgskreis) ............................................................................................. 44, 46, 64, 65, 135, 155-158 Baden-Württemberg ......................................................................................................................... 82, 112, 113, 126, 190 "Barny" (Liedermacher) ........................................................................................................................... 103, 118, 122, 146 BarrIcaDes (Band) ............................................................................................................................................................ 121, 159 Balaclava-küche .................................................................................................................................................................... 98-99 BAUR, Jens ....................................................................................................................... 51, 62-63, 67, 74, 139, 151, 181 Bautzen (Landkreis Bautzen) ............................... 68, 95, 98, 106, 129, 136-141, 160, 168, 198, 256-257, 284 BAYER, Uli-Carsten ................................................................................................................................................................... 77 Bayern .................................................................... 8, 15, 46, 69, 83, 85-89, 116, 132, 189-190, 243, 253, 297, 313 Berlin ........................................................................................................ 14, 15, 20, 49-51, 82-87, 135, 137, 168, 171, ............................................................................................................ 189-190, 224, 237-238, 243, 248-149, 253-254, ............................................................................................................... 259, 265, 267, 277, 294, 297, 300, 308, 320-321 Bildungswerk für Heimat und Nationale Identität e.V. ............................................................................................. 53 Bischofswerda (Landkreis Bautzen) ................................................................................................................................... 68 BlItzkrIeg (Band) ............................................................................................................................................................... 111, 146 BlutzeugeN (Band) ............................................................................................................................................................. 111, 153 Borna (Landkreis Leipzig) ............................................................................................. 69, 73, 163-166, 223, 229, 235 BÖHM, Enrico .................................................................................................................................................................. 102, 169 BraINwash (Band) ................................................................................................................................................... 111, 153-154 Brandenburg .................................................................... 74, 85, 112, 125, 135, 153, 189-190, 204, 217, 254, 257 "Brenner" (Liedermacher) ..................................................................................................................................................... 122 BrIgaDe 8 ....................................................................................................................................................... 106, 160, 162, 172 349 BuND Der revolutIoNäreN BeweguNg Der völker (hBDh) ................................................................................................... 305 BuNDesstaat sachseN ................................................................................................................................................................... 313 Bürgerwehr ftl/360 ................................................................................................................................................................. 374 c Chemnitz ............................................................. 20, 35, 39-40, 43, 45, 48-49, 52, 69-70, 73, 75, 80, 83, 90-91, ................................................................................................. 94, 97, 103, 111, 114, 118, 122, 123, 127, 129, 142-147, .................................................................................................... 154, 156, 164, 168, 177-181, 194, 198-200, 211-212, .......................................................................................... 240, 250-253, 259-263, 274, 283, 297-298, 308, 317, 346 China ....................................................................................................................................................................... 324-326, 329 cIwaNeN azaD .......................................................................................................................................................... 303, 308-309 Connewitz (Stadtteil in Leipzig) ................................................ 93, 105, 167-172, 219-220, 234, 238, 248, 285 coNveyINg IslamIc message socIety (cIms, gesellschaft zur vermIttluNg Der IslamIscheN Botschaft) ..................................................................................... 295 Crimmitschau (Landkreis Zwickau) ................................................................................................................ 85, 122, 194 D DA DIREKTE AKTION ANARCHOSYNDIKALISTISCHE ZEITUNG .................................................................... 260, 277 DABBAGH, Hassan .................................................................................................................................................................. 294 DABIQ (Online-Magazin des IS) ................................................................................................................ 21-23, 297, 318 Delitzsch (Landkreis Nordsachsen) ........................................................................................................................... 73, 182 Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz (DASS) ................................................................................... 63, 186 DemokratIsches gesellschaftszeNtrum Der kurDINNeN IN DeutschlaND (Nav-Dem) ................................. 304, 307-310 DER AKTIVIST ..................................................................................................................................................................... 68, 130 Der DrItte weg (III. weg) ................................................... 69, 76, 80, 82-88, 91-94, 98, 101, 140, 142, 145, 154, ......................................................................................... 161, 165, 176, 178-180, 183, 188-194, 203-204, 285-286 Deutsche kommuNIstIsche ParteI (DkP) ....................................................................................................................... 275, 279 DEUTSCHE STIMME ..................................................................................................... 51, 53, 61, 64, 123, 130, 173, 175 Deutsche stImme-verlagsgesellschaft mBh .............................................................................................................................. 53 Deutsche volksuNIoN (Dvu) ........................................................................................................................................................ 78 "Deutsches Sport & Familienfest" ........................................................................................................................... 106, 160 DeutschlaND muss leBeN e. v. .................................................................................................................................................... 137 DESPANG, Rene ........................................................................................................................................................................ 194 "Die Lunikoff-Verschwörung" ............................................................................................................................................. 123 DIe rechte ...................................................................................................... 34, 36, 45-46, 74, 77-81, 91, 97, 100, 105, 140, 145, 156, 160-161, 170, 192-195, 203 DIE ROTE FAHNE ...................................................................................................................................................................... 277 DIE ROTE HILFE .............................................................................................................................................................. 270-274 DIe wahre relIgIoN (verboten) ..................................................................................................................................... 290, 295 Dippoldiswalde (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ......................................................... 63, 185, 187 DIREKTE AKTION .................................................................................................................................................. 259, 260, 277 "Division Bautzen" ..................................................................................................................................................................... 91 "Division Dresden" ..................................................................................................................................................................... 91 350 ANHANG Döbeln (Landkreis Mittelsachsen) ........................................................................... 68, 71, 74-75, 91, 176-180, 255 DÖHLER, Rico ........................................................................................................................................ 82-88, 189, 191-192 Dresden ............................................................................................... 16, 18, 19, 35, 39, 43, 48-49, 62-64, 68-69, 73, ............................................................................................................................ 75, 85, 89-91, 96-97, 105, 108, 122, 132, .............................................................................................................. 147-153, 177, 184, 199, 208, 214, 217, 223, 229, .............................................................................................................. 235, 240-249, 261-262, 274, 283, 294, 308-309 DresDNer vereIN Deutsch kurDIscher BegegNuNgeN e.v. ............................................................................................. 309-310 DREWER, Christoph .................................................................................................................................................................. 97 Dryve By suIzhyDe ................................................................................................................................................... 126, 128, 153 "DS-TV" ............................................................................................................................................................................... 53, 139 E Eilenburg (Landkreis Nordsachsen) ......................................................................................................... 71, 73, 181-182 Einsiedel ...................................................................................................................................................................................... 146 eNDless struggle (Band) ............................................................................................................................. 111, 121, 153-154 eNtroPIe (Bandprojekt) .......................................................................................................................................... 110, 112-113 "Ermittlungsausschuss-Leipzig" (EA) ............................................................................................................................... 274 Erzgebirge .............................................................................................. 11, 43, 45-46, 49, 63, 65, 67, 82-85, 113, 115, .................................................................................................................................. 154-157, 176, 178-179, 194, 199, 252 Erzgebirgskreis ............................................................... 11, 39, 40, 43, 44-47, 63-69, 109, 117, 125, 132, 135-136, 146, 154-158, 195, 198-199, 212, 252, 254, 283 exIlregIeruNg Deutsches reIch .................................................................................................................................................. 313 F fau DresDeN ................................................................................................................................................. 217, 259, 261-262 fau leIPzIg .............................................................................................................................................................. 259, 263-264 FAU-Sektion BasIsgewerkschaft NahruNg uND gastroNomIe (BNg) ............................................................................. 262 fau-sektIoN chemNItz .................................................................................................................................................... 260, 262 fast forwarD haNNover (Niedersachsen) ........................................................................................................................... 343 Feindbild .............................................................................................. 11-23, 25-30, 32, 34, 58, 89, 104, 147, 201, 292 FISCHER, Matthias .................................................................................................................................................. 85-87, 179 Flöha (Landkreis Mittelsachsen) .............................................................................................................................. 112, 181 Format Dresden ................................................................................................................................................... 148, 150-151 föDeratIoN kurDIscher vereINe IN DeutschlaND e. v. (yek-kom) ...................................................................................... 307 Frankenberg (Landkreis Mittelsachsen) .......................................................................................................................... 179 Frankreich .................................................................................................................................................... 261, 264, 320, 332 fräNkIsche aktIoNsfroNt (verboten) ......................................................................................................................................... 83 FRANZ, Frank ........................................................................................................................................................................ 51, 65 Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) ..................................................................................................... 114, 176, 180-181 freIe aktIvIsteN DresDeN ....................................................................................................................... 11, 105, 147-148, 150 freIe arBeIterINNeN - uND arBeIter - uNIoN (fau) .............................................................................................................. 258 freIe kameraDschaft DresDeN ................................................................................................................................ 105, 148, 151 freIe kräfte DresDeN (FKD) ....................................................................................................................................................... 148 351 freIe kräfte hoyerswerDa ............................................................................................................................................................ 97 freIe kräfte Im laNDkreIs BautzeN ............................................................................................................................. 96, 98, 138 freIe kräfte mIttel/ostsachseN (fkmo) .................................................................................................... 80, 137, 159, 161 freIe NatIoNalIsteN hof ......................................................................................................................................................... 82, 83 freIe NatIoNalIsteN freIBerg ....................................................................................................................................................... 179 freIes Netz süD (FNS/ verboten) ............................................................................................................................................. 82 Freigeist e. V. (Anm.: Die Kampagne/Initiative "Freigeist" ist ein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen; kein Beobachtungsobjekt ist hingegen der gleichnamige Verein Freigeist e. V.) ........................................................... 43, 64, 155-156, 194 freIheItsfalkeN kurDIstaNs (tak) ................................................................................................................................... 303, 305 "FreilichFrei" (Liedermacher) ......................................................................................................... 64, 118, 122, 196-197 Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ...................... 11, 41, 96, 108, 116, 185, 187-188, 256 froNtmusIk ................................................................................................................................................................. 125,128, 167 froNt recorDs ..................................................................................................................................... 107, 124-128, 166-167 füNf gIfte ...................................................................................................................................................................................... 326 "Fylgien" (Liedermacher) ....................................................................................................................................................... 122 G GANSEL, Jürgen .................................................................................................................................................... 44, 55, 60-61 GEBURTIG, Steve ...................................................................................................................................................................... 129 gefaNgeNeNhIlfe (gh) ................................................................................................................................................................ 103 Georgensgmünd (Bayern) .................................................................................................................................................... 313 GENTSCH, Tony ........................................................................................................... 82-83, 85-88, 179, 189-190, 192 GERBER, Tony ............................................................................................................................................. 132, 134, 194-195 Glauchau (Landkreis Zwickau) ...................................................................................................................... 122-123, 194 Gohrisch (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) .................................................................. 125, 129, 188 Görlitz (Landkreis Görlitz) ............................................................................ 39, 68, 77, 80, 102, 106, 137, 139-140, 159-163, 199, 211, 256-257, 284 Gotha (Thüringen) ................................................................................................................................................................... 255 Göttingen (Niedersachsen) ........................................................................................................................................ 270, 272 Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) ....................................................................................................................... 137 Greiz (Thüringen) ............................................................................................................................................ 46, 80, 100-101 "Griffin" (Liedermacher) ........................................................................................................................................................ 122 Grimma (Landkreis Leipzig) .......................................................................................................... 74, 122-123, 163, 166 gruPPe arBeItermacht (gam) ................................................................................................................................................... 265 "Gruppe Freital" ............................................................................................................................................... 41, 96, 108, 185 Großröhrsdorf (Landkreis Bautzen) ................................................................................................................................. 138 Gröditz (Landkreis Meißen) .......................................................................................................... 64, 125, 129, 174-175 Grünhain-Beierfeld ....................................................................................................... 11, 44, 46, 64-65, 135, 155, 157 352 ANHANG H Hagenwerder (Ortsteil von Görlitz) .................................................................................................................................... 77 Hamburg ....................................................................................................................................... 57, 87, 221, 224, 249, 254 hammerskINs ................................................................................................................................................................................ 107 "Handschu" (Liedermacher) ................................................................................................................................................. 163 HÄNTZSCHEL, Jan .................................................................................................................................................. 74, 177, 181 HARTUNG, Stefan .................................................................................................................... 11, 43-44, 64-65, 155-156 Haselbachtal (Landkreis Bautzen) ..................................................................................................................................... 138 "Haus Montag" ......................................................................................................................................................................... 185 "Haus Wieland" ........................................................................................................................................................................... 54 HAVERBECK-WETZEL, Ursula ................................................................................................................................................ 72 Heidelberg (Baden-Württemberg) ...................................................................................................................................... 82 Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ................................... 40-41, 63, 75, 185-187, 256 heIlIger krIeg (Band) ........................................................................................................................................................ 110, 112 heIlIges reIch (Band) ................................................................................................................................... 112, 120, 146, 181 hermaNNslaND-versaND .................................................................................................................................................. 128, 173 HEß, Rudolf ........................................................................................................................................................................... 32, 86 Hessen ..................................................................................................................................................................... 190, 209, 243 hIlfsorgaNIsatIoN für NatIoNale gefaNgeNe uND DereN aNgehörIge e.v. (hNg/ verboten) ............................................. 103 HITLER, Adolf ............................................................................................................................................ 32, 84, 87, 161, 172 hoPe for the weak (Band) .................................................................................................................................... 112, 153-154 Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) ................................................................................................... 72, 91, 97, 136-137 I IDeNtItäre BeweguNg (IB) ......................................................... 34, 36, 43, 46, 132-133, 135, 140, 152, 156, 171, 195 INteresseNgemeINschaft (Ig) chemNItz .............................................................................................................................. 73, 144 INterNatIoNale arBeIterINNeN assozIatIoN (Iaa) .......................................................................................................... 259, 277 INSPIRE (Online-Magazin des IS) ............................................................................................................................ 297, 319 INTERIM ....................................................................................................................................................................................... 277 INterIm e.v. .................................................................................................................................................................................... 277 INterveNtIoNIstIsche lINke (Il) .............................................................................. 210-211, 221, 227, 230-231, 238, 254 inventati.org/leipzig ................................................................................................... 216, 218, 222-223, 227, 279, 317 Irak ................................................................................................................................................. 28, 292, 295-296, 300, 307 Iran ................................................................................................................................................................. 307, 316, 326-327 IslamIsche gemeINschaft IN DeutschlaND e.v. (IgD) .............................................................................................................. 298 IslamIscher staat (Is) ..................................................................... 20, 28, 289, 296, 298, 300, 302, 304, 310, 312, 319 Israel ........................................................................................................................................... 14, 15, 31, 78, 292, 298, 320 J Jihadismus ................................................................................................................................................................... 21, 42, 299 JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) .......................................................... 13, 36, 42, 51, 68, 91, 123, 139, 144, 151, 155, ................................................................................................................. 161, 164, 169, 173, 176, 181-185, 192, 195, 252 JUNGE WELT ................................................................................................................................................................... 273, 278 353 K Kamenz (Landkreis Bautzen) ................................................................................................................................................. 68 Kampagne "a monday without you" ................................................................................................ 222, 227-229, 268 Kampagne "Deutschland ist größer als die BRD" ............................................................................................... 87, 191 Kampagne "Der große Austausch" ................................................................................................................. 46, 133-134 Kampagne "Freigeist" ....................................................................................................... 43-44, 64, 155-156, 193-194 Kampagne "LIES!" .................................................................................................................................................................... 295 Kampagne "Social Center for all" (SC4A) .................................................................. 19, 26-27, 211, 216, 230-231 Kampagne "vergissmeinnicht" ............................................................................................................... 73, 144, 164, 177 Kampagne "Wir lieben Sachsen/THÜGIDA" .................................................... 45, 49, 80, 100, 144, 168-170, 194 Kampagne "you can't break this movement - Bleiberecht für alle!" ................................................................... 272 kategorIe c (Band) ..................................................................................................................................................... 48-49, 122 KILLAT, Patrick ........................................................................................................................................................................... 100 kIllumINatI (Band) ................................................................................................................................................... 110, 113, 181 Klandestine Aktion ............................................................................................................................ 20, 214, 233-234, 249 Kobane (Syrien) ........................................................................................................................................................................ 310 kommuNalPolItIsche vereINIguNg (KPV) .................................................................................................................................... 53 kommuNIstIscheN ParteI DeutschlaNDs (kPD) ........................................................................................................................ 270 kommuNIstIsche Plattform Der ParteI DIe lINke (kPf) .......................................................................................... 275, 278 kommuNIstIsches aktIoNsBüNDNIs DresDeN (kaD) ................................................................................................................. 275 koorDINatIoN Der kurDIscheN DemokratIscheN gesellschaft IN euroPa (cDk) ....................................................... 303, 306 koPfsteINPflaster ................................................................................................................................. 90, 94-95, 99, 142-143 KÖCKERT, David ............................................................................................................................................... 46, 80, 100, 194 KÖHLER, Kathrin ....................................................................................................................................................................... 144 KÖTZING, Jürgen ...................................................................................................................................................................... 139 KREBS, Dr. Pierre ...................................................................................................................................................................... 144 krItIk & PraxIs (Frankfurt am Main, Hessen) .................................................................................................................. 243 kurDIsche DemokratIsche volksuNIoN (yDk) .......................................................................................................................... 306 kurDIscher DemokratIscher gesellschaftskoNgress IN DeutschlaND (Nav-Dem) ............................................... 307-310 kurDIscher DemokratIscher gesellschaftskoNgress IN euroPa (kcD-e) ....................................................... 304, 307-310 kurDIscher roter halBmoND e. v. (hsk) ................................................................................................................................ 310 KURTH, Alexander ...................................................................................... 45, 46, 77, 79-80, 100, 160-161, 170, 194 L laBel 33 .................................................................................................................................................................... 125, 129, 175 Landkreis Bautzen ................................................. 49, 68, 98, 106, 129, 136-141, 160, 168, 198, 256-257, 284 Landkreis Görlitz ............................................................. 68, 77, 102, 106, 137, 140, 159-163, 199, 211, 257, 284 Landkreis Leipzig ................................................................................................. 40, 52, 68-69, 87, 106, 108, 125, 128, ............................................................................................................................................. 163-166, 169, 225, 229, 235, 284 Landkreis Meißen ............................................................................. 53, 64, 125, 129, 173-176, 201, 255-256, 284 Landkreis Mittelsachsen ......................................................................... 87, 176, 179-180, 198, 211, 248, 255, 284 Landkreis Nordsachsen ........................................................................................................................... 119-121, 181-184 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ............................... 15, 35, 41, 63, 69, 125, 129, 184-188, 200 354 ANHANG Landkreis Zwickau ....................................................................................... 39, 68, 113-114, 117, 136, 179, 193-196, ................................................................................................................................................................. 199, 212, 252, 254, 283 laNDser (Band) .................................................................................................................................................................... 86, 123 LANGER, Matthias ........................................................................................................................................................ 160-161 Left-action ........................................................................................................................................................................ 239, 317 Legalresidentur .............................................................................................................................................................. 325, 329 LEGIDA ......................................................................................... 48, 49, 167-168, 216-218, 222-228, 239, 268, 271 leIcheNzug (Band) ............................................................................................................................................................ 113, 196 Leipzig ................................................................................. 16, 19, 20, 27, 35, 39, 48, 51-52, 62-63, 68-69, 73, 75, ............................................................................................................ 77, 83, 93-94, 100, 102, 105-106, 122, 132, 151, ................................................................................................... 164, 167-172, 198-201, 206, 208, 210-223, 224-239, .................................................................................................... 248-249, 260, 263, 265, 274, 283, 294-295, 297, 308 Leisnig (Landkreis Mittelsachsen) .......................................................................................................................... 180, 255 lIBergraPhIx ...................................................................................................................................................................... 125, 175 Limbach-Oberfrohna (Landkreis Zwickau) ................................................................................ 68-69, 102, 194-196 linksunten.indymedia.org ............................................................................. 17-20, 26, 28, 143, 214-215, 220-221, ........................................................................................................................................... 226-231, 235-238, 242, 249-250, ............................................................................................................................................. 252, 256, 261-262, 269, 280, 285 Löbau (Landkreis Görlitz) ................................................................................................................ 80, 102, 137, 160-161 "Lunikoff" (Liedermacher) .................................................................................................................................. 86, 122-123 Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) ..................................................................................................................... 68, 72 M MARxISTISCHES FORUM ...................................................................................................................................................... 278 marxIstIsch-leNINIstIsche ParteI DeutschlaNDs (mlPD) ........................................................................................... 275, 278 Mecklenburg-Vorpommern ............................................................................... 13, 42, 62, 676-68, 72, 76, 137, 183 meD Nuce tv ..................................................................................................................................................................... 305, 308 MEENEN, Uwe ........................................................................................................................................................................... 137 Meißen (Landkreis Meißen) ................................................................. 39, 43, 53, 62-64, 125, 129, 168, 173-176, ....................................................................................................................................................... 197, 199, 201, 255-256, 284 Merseburg (Sachsen-Anhalt) ...................................................................................................................................... 83, 183 Ministry of State Security (MSS) ....................................................................................................................................... 325 Mititary Intelligence Department (MID) ........................................................................................................................ 325 MITTEILUNGEN DER KOMMUNISTISCHEN PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE ............................................. 278 Mittweida (Landkreis Mittelsachsen) ................................................................................................................... 176, 178 Mohorn (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ............................................................................... 116, 188 Moritzburg (Landkreis Meißen) ....................................................................................................................... 64, 174-175 moshPIt (BaND) ................................................................................................................................................................... 110, 113 muDhater ...................................................................................................................................................................................... 153 "Muldentaler Kameradschaftslauf" ........................................................................................................................ 106, 166 muslImBruDerschaft (mB) ....................................................................................................................................... 22, 298-299 MÜLLER, Maik ............................................................................................................................................................................. 69 München (Bayern) .................................................................................................. 14, 89, 100-101, 108, 243, 316, 327 355 N NatIoN & wIsseN .......................................................................................................................................................................... 175 NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD) ................................... 36, 43, 51, 130, 139, 144, 151, 155, 161, 164, 169, 173, 176, 181, 185, 192, 195, 202 NatIoNale BefreIuNgsfroNt kurDIstaNs (erNk) ..................................................................................................................... 306 NatIoNale froNt BautzeN ....................................................................................................................................... 12, 14-16, 25 NatIoNale sozIalIsteN chemNItz (Nsc) ......................................................................................................................... 154, 178 NatIoNale sozIalIsteN DöBelN (Ns-DöBelN) .............................................................................................................................. 68 NatIoNale sozIalIsteN hoyerswerDa (Nshoy) ........................................................................................................................... 91 "Nationale Streife" ............................................................................................................................................................. 45, 86 NatIoNaler JugeNDBlock e.v. (NJB) .......................................................................................................................................... 162 NatIoNaler wIDerstaND hoyerswerDa ...................................................................................................................................... 137 NatIoNaler wIDerstaNDsrat IraN (NwrI) ............................................................................................................................... 327 NatIoNales uND sozIales aktIoNsBüNDNIs 1. maI ............................................................................................................. 85, 189 NatIoNales versaNDhaus ................................................................................................................................................. 125, 129 NaveND sachseN ........................................................................................................................................................................... 309 NeoNatIoNalsozIalIsteN .......................................................................... 11, 25, 34, 36, 41, 45, 49, 69, 77, 82-83, 87-99, ......................................................................................................................... 101-104, 136-142, 147, 150-154, 159-163, .......................................................................................................................................... 167-169, 173, 176, 179, 181, 184, ........................................................................................................................................... 188-190, 193-194, 203, 252, 318 NeuBegINN (Band) ......................................................................................................................................... 113, 121, 171, 184 Neue aNtIkaPItalIstIsche orgaNIsatIoN (Nao) ........................................................................................................................... 265 Neuensalz (Vogtlandkreis) ................................................................................................................................................... 119 Neustadt (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ............................................................................ 185, 187 New socIety (Ns-Boys) .............................................................................................................................................................. 145 Niederkaina (Ortsteil von Bautzen) .................................................................................................................................. 136 Niesky (Landkreis Görlitz) .......................................................................................................................................... 161-162 "Nipster" ........................................................................................................................................................................................ 99 Nochten (Landkreis Görlitz) ................................................................................................................................................ 257 Nordkorea ................................................................................................................................................................................... 327 Nordrhein-Westfalen ....................................................................................................................... 81, 132, 142, 145, 250 NSDAP ....................................................................................................................................................... 55, 56, 61, 83-84, 98 O ÖCALAN, Abdullah ................................................................................................................ 303, 305-306, 309, 311-312 Oederan (Landkreis Mittelsachsen) .................................................................................................................................. 179 Oelsnitz (Vogtlandkreis) ............................................................................................................................ 80, 122, 191-192 offeNsIve für DeutschlaND (OfD) ................................................................................................................................... 101, 227 "Oiram" (Liedermacher) ......................................................................................................................................................... 163 OLDSCHOOL RECORDS .......................................................................................................................................................... 112 olDschool socIety (OSS) ............................................................................................................................................................ 108 oPos-recorDs .............................................................................................. 107, 112-113, 116-117, 125, 153, 188, 204 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen ........................................................................ 207, 275 356 ANHANG OSTENDORF, Hannes ........................................................................................................................................................ 48-49 Österreich ............................................................................................................................................... 15, 48, 136, 152, 265 "Outing" ................................................................................................. 18, 20, 222, 228-229, 235, 252, 280, 317-318 P ParaNoID (Band) ........................................................................................................................................... 113, 116, 158, 188 Paris (Frankreich) ........................................................................................................... 75, 227, 229, 243, 255, 300, 318 ParteI Der DemokratIscheN uNIoN (PyD) ................................................................................................................................ 304 Pc-recorDs .................................................................................. 107, 111, 113-114, 116-118, 123, 126, 129, 146-147 PEGIDA ......................................................................................................... 27, 39, 48-49, 136, 150, 152, 216-217, 222, 240-244, 250, 252, 262, 265, 269, 271, 274, 276 Penig (Landkreis Mittelsachsen) ........................................................................................................................................ 178 "Phil von FLAK" (Sänger von a3stus) ..................................................................................................................... 122-123 "Piattmar" (Liedermacher) .......................................................................................................................................... 177, 181 Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) .................................. 13, 15, 75-76, 125, 185, 187, 299 PIoNIer (Band) ................................................................................................................................................................... 114, 146 Plagwitz (Stadtteil von Leipzig) ...................................................................................................................... 220,233, 285 PLATZHIRSCH ................................................................................................................................. 68, 73, 75, 131, 170, 178 "Platzhirschtour 2.0" .............................................................................................................................................................. 178 Plauen (Vogtlandkreis) ................................................................. 14, 45, 74, 83-86, 94, 97-98, 150, 179, 189-192, 198, 200-201, 212, 252, 254-255, 285-286 Polen .................................................................................................................................... 61, 113, 117-118, 159, 305, 308 PRIEBKE, Erich ............................................................................................................................................................................. 72 PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg (PrIsma) ................................................................................. 221, 227, 238 Pro PatrIa (Bandprojekt) ............................................................................................................................................... 110, 114 ProJekt lautoNomIa .................................................................................................................................................................... 257 R rac'N'rollteufel (Bandprojekt) ............................................................................................................................................. 196 Radeberg (Landkreis Bautzen) ............................................................................................ 49, 129, 136, 138, 141, 168 Rätedemokratie ........................................................................................................................................................................ 266 rechtes PleNum ....................................................................................................................... 20, 95, 99, 142-143, 252, 318 REGENER, Michael .......................................................................................................................................................... 86, 123 reIchsBürger uND selBstverwalter ................................................................................................................................. 313-314 Reinhardtsdorf-Schöna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ......................................................... 185 RENNICKE, Frank .............................................................................................................................................................. 80, 122 rePro-meDIeN .................................................................................................................................................................... 129, 141 Reuden (Sachsen-Anhalt) .................................................................................................................................................... 313 revolutIoNäre NatIoNale JugeND (RNJ) ................................................................................................................. 83, 188-189 revolutIoN ....................................................................................................... 15, 18, 79, 114, 171, 206-207, 213, 221, ............................................................................................................................................. 227, 265-269, 275, 278, 286, 316 revolutIoN leIPzIg (revo leIPzIg) ............................................................................................ 221, 227, 265, 267-269, 286 revolutIoN sachseN ..................................................................................................................................................................... 269 357 Rheinland-Pfalz ............................................................................................................................ 82, 85-86, 125, 137, 167 RICHTER, Karl .......................................................................................................................................................... 61, 100-101 RICHTER, Sebastian ............................................................................................................................................................. 68,72 RICHTER, Simon ......................................................................................................................... 25, 49, 129, 138, 141, 168 RIEFLING, Ricarda .................................................................................................................................................................... 137 Riesa (Landkreis Meißen) ................................................................. 44, 53, 64-65, 72, 115, 118, 122, 173-176, 197 "Rigaer 94" ..................................................................................................................................................... 20, 237-238, 249 rINg NatIoNaler fraueN .............................................................................................................................................. 53, 57, 137 Roda, Ortsteil von Grimma (Landkreis Leipzig) ................................................................................................ 163, 166 "Rommel" (Liedermacher) ................................................................................................................................. 110, 118, 122 RÖSLER, Silvio ........................................................................................................................................................................... 101 Rostock ........................................................................................................................................................................................ 254 ROTE FAHNE .......................................................................................................................................................... 270, 277-278 rote hIlfe DeutschlaNDs (rhD) ............................................................................................................................................... 270 rote hIlfe e.v. (rh) ........................................................................................................................... 206-207, 270-273, 277 RUMIYAH (Online-Magazin des IS) .......................................................................................... 21, 23, 28-29, 297, 319 Russische Föderation, Russland ........................................................................................................................................ 324 RZEHACZEK, Paul .................................................................................................................. 68, 70, 72-75, 144, 177, 182 S Saalfeld (Thüringen) ............................................................................................................................................................... 255 Sachsen-Anhalt ......................................................................................................... 8, 85, 160, 168, 189-190, 253, 313 sachseNBlut (Band) .......................................................................................................................................................... 114, 181 sachsoNIa (Band) .................................................................................................................................................... 115, 120, 153 Salafismus ................................................................................................................................................... 287-288, 293-294 sceNarIo lok ................................................................................................................................................................................. 172 Scharia .................................................................................................................................................................... 287, 289, 298 SCHEFFLER, Maik ....................................................................................................................................................................... 77 SCHIMMER, Arne .............................................................................................................................................. 56, 67, 74, 163 schlesIsche JuNgs NIesky ............................................................................................................................................................ 162 Schleswig-Holstein ................................................................................................................................................................... 57 Schneeberg (Erzgebirgskreis) .......................................................................................................................... 113, 123, 155 Schwarzenberg (Erzgebirgskreis) ............................................................................................................ 44, 64, 135, 155 Schweden ................................................................................................................................................................................... 103 "Sebastiano Graziani" .............................................................................................................................................................. 49 Sebnitz (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ........................................................................ 63, 185-186 selBststeller (Band) ............................................................................................................................................... 115, 120, 176 SELLNER, Martin .............................................................................................................................................................. 48, 136 SERxWEBUN .............................................................................................................................................................................. 303 Sicherheitsüberprüfung ................................................................................................................................... 335-336, 341 sIkhs ............................................................................................................................................................................................... 326 sIsta BatalJeN (Bandprojekt) ................................................................................................. 115, 121, 146, 154, 158-159 "Social Engineering" .................................................................................................................................................... 329-330 358 ANHANG solIDarIty wIthout lImIts - NatIoNalIsmus Ist keINe alterNatIve ........................................................................................... 246 Sonnenberg (Stadtteil in Chemnitz) ................................................................................................................. 20, 99, 143 sozIaler fehltrItt ......................................................................................................................................................................... 263 "Soziale Kampfbaustelle" .......................................................................................................................... 19, 220, 230, 233 Spionage ............................................................................................................................................ 323-325, 340-341, 345 stahlfroNt (Band) ............................................................................................................................................................. 110, 115 stahlwerk (Band) .............................................................................................................................................................. 116, 188 STAMM, Daniela .................................................................................................................................................. 140, 160-161 Staupitz, Ortsteil von Torgau (Landkreis Nordsachsen) ....... 112, 115-117, 119-121, 141, 153, 173, 181, 184 stereotyP (Band) ................................................................................................................... 31, 74, 101, 113, 116, 158, 188 Stollberg (Erzgebirgskreis) .............................................................................................................................. 154-155, 157 StreamBZ ............................................................................................................................................................. 95-96, 98, 138 STROHMEIER, Walter ................................................................................................................................................................ 87 subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene ......................... 42, 91, 105, 125, 131, 140-141, 145-147, .................................................................................................................................................... 152, 158, 161, 165, 172-173, ..................................................................................................................................... 175, 180, 183-184, 187, 192, 196, 202 Syrien ....................................................................................................................... 28, 287, 292, 295-296, 300, 307, 325 T Taucha (Landkreis Nordsachsen) .................................................................................................................. 223, 229, 235 theorIe.orgaNIsatIoN.PraxIs (toP BerlIN) ............................................................................................................................... 243 the future Is uNwrItteN (tfIu) .................................................................... 211, 224, 227, 229, 238-240, 243, 253-255 thematIk 25 ............................................................................................................................... 116-117, 120-121, 173, 316 thügIDa & wIr lIeBeN sachseN e. v. ............................................................................................................................ 46, 102 Thüringen ................................................................................................. 46, 51, 53, 72, 83, 85-86, 100-101, 113, 115, ................................................................................................................................... 157, 168, 175, 189-190, 194, 253, 255 Torgau (Landkreis Nordsachsen) ............................................................................................... 113, 119-121, 181, 184 TRAUTMANN, Stefan .................................................................................................................................... 74-75, 177-178 treueschwur (Bandprojekt) ........................................................................................................................................... 110, 116 Tschechien ............................................................................................................................................................. 140, 253, 308 Türkei ................................................................................................................................................................................. 302-312 U üBerzeuguNgstäter vogtlaND (Band) .............................................................................................. 109, 116, 121, 127, 193 (...) ums gaNze!-BüNDNIs ....................................................................................................................................... 211, 243, 254 uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa (ura DresDeN) .................................................................................... 229, 253-254, 280 Unsere Zeit (UZ) ....................................................................................................................................................................... 279 Ukraine .............................................................................................................................................................................. 262, 325 USA .................................................................................................................. 15, 22, 32, 42, 90, 134, 265, 319-320, 329 359 V verBaND Der stuDIereNDeN aus kurDIstaN (yxk) ................................................................................................................... 304 verBoteN (Band) .............................................................................................................. 109, 117-118, 121, 146, 158-159 vereIN BIlDuNgswerk für heImat uND NatIoNale IDeNtItät e. v. ............................................................................................. 53 vereINIgte gemeINschafteN kurDIstaNs (kck) ......................................................................................................................... 303 VIVA SAxONIA ........................................................................................................................................................................... 131 VOGEL, Pierre ............................................................................................................................................................................... 22 Vogtland ................................................................................................................. 35, 36, 39, 45, 48, 82-83, 85-88, 105, 109, 116, 121, 127, 188-193, 199 Vogtlandkreis ......................................................................................... 39, 69, 80, 83, 85, 87, 94, 119, 135, 188-192, 199-200, 211-212, 252-255, 283 VOIGT, Udo ................................................................................................................................................................................... 60 volksmoDJaheDIN IraN-orgaNIsatIoN (mek) ........................................................................................................................... 327 volksNah 2.0 ...................................................................................................................................................................... 117, 173 volksverteIDIguNgseINheIteN (yPg) ........................................................................................................................................... 304 volksverteIDIguNgskräfte (hPg) .................................................................................................................................... 303, 308 W Weidenthal (Rheinland-Pfalz) .............................................................................................................................................. 82 Weimar (Thüringen) .................................................................................................................................................................. 15 weIsse wölfe terrorcrew (wwt) ................................................................................................................................ 102, 105 weIsser raBe ................................................................................................................................................................................ 101 Weißwasser (Landkreis Bautzen) ....................................................................................... 85, 106, 121, 160, 162-163 Werdau (Landkreis Zwickau) ............................................................................................................................ 68, 194-195 Wien (Österreich) ..................................................................................................................................................................... 135 wIDerstaND hoyerswerDa ........................................................................................................................................................... 137 WILDERS, Geert .......................................................................................................................................................................... 78 wIr für leIPzIg ......................................................................................................................................................... 102, 169-170 Wirtschaftsschutz .................................................................................................................................... 332-334, 341, 346 whIte resIstaNce (Band) ................................................................................................................... 117, 121, 158-159, 196 WORCH, Christian ..................................................................................................................................................................... 77 WORTGEWANDT .......................................................................................................................................................... 55, 60-61 WRUCK, Marco ......................................................................................................................................................................... 139 WULFF, Thomas .......................................................................................................................................................................... 87 Wunsiedel (Bayern) ........................................................................................................................................................... 86-87 Wurzen (Landkreis Leipzig) ................................................................................................. 74, 164-165, 182, 186, 225 Würzburg (Bayern) ........................................................................................................... 20, 44, 171, 297, 300, 316, 321 w.u.t. (whIte uNIteD terror) .................................................................................................................... 117, 121, 141 y YENI ÖZGÜR POLITIKA ............................................................................................................................. 303, 305, 307, 309 360 ANHANG Z ZASOWK, Ronny ......................................................................................................................................................................... 74 Zeithain (Landkreis Meißen) ........................................................................................................................................ 64, 174 Zittau (Landkreis Görlitz) ................................................................................................................ 68, 107, 160, 162, 257 Zobes, Ortsteil von Neuensalz (Vogtlandkreis) ............................................................................................................ 119 Zwickau (Landkreis Zwickau) .......................................................... 39-40, 43, 68-69, 83, 85, 105, 113-118, 132, ....................................................................................................... 136, 154, 157, 159, 179, 193-200, 212, 252, 254, 283 361 Glossar der Verfassungsschutzbehörden Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - aus Sorge vor einem neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus. Sie stehen oft positiv zu den USA als Schutzmacht Israels. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifa, autonome Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von Autonomen. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen Faschisten und Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche "Nazis" richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Antifaschismus Der Begriff "Antifaschismus" wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. 362 ANHANG Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Dabei handelt es sich um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte Arbeiterpartei Kurdistans. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. autonome Kennzeichnend für die Bewegung der autoNomeN, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von autoNomeN grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. autoNome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die sog. Massenmilitanz. Dies sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. autonome nationalisten Mit den autoNomeN NatIoNalIsteN trat in den letzten Jahren eine weitere Strömung innerhalb des deutschen Neonationalsozialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Angehörige der autoNomeN NatIoNalIsteN traten oft mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf, dies insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen, wo sie sich bisweilen vermummt zu so genannten "Schwarzen Blöcken" zusammenschlossen. Zudem übernahmen sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsubkulturen und traten ähnlich gekleidet auf wie militante Linksextremisten (autoNome). 363 Innerhalb der Neonazi-Szene waren autoNome NatIoNalIsteN vor allem wegen ihres öffentlichen Erscheinungsbildes und ihrer Gewaltbereitschaft umstritten. In jüngerer Vergangenheit ist ein öffentlichkeitswirksames Auftreten von autoNomeN NatIoNalIsteN im Freistaat Sachsen nicht mehr zu beobachten. Bestrebungen, extremistische Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Extremismus / Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche 364 ANHANG Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet in der Regel subkulturelle Publikationen. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Einzelpersonen und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Das Medium verlor mit der Verlagerung der Kommunikation in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, diese Publikationen haben jedoch eher traditionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie der Information breiter Szenekreise dienen. fReie nationalisten / fReie kRäfte Das Konzept der freIeN NatIoNalIsteN (bzw. freIe kräfte) wurde Mitte der 1990er Jahre von NeoNatIoNalsozIalIsteN als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonationalsozialistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der freIeN NatIoNalIsteN sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. So existieren in Sachsen nur noch vereinzelt organisierte und eine Struktur aufweisende freIe kräfte. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, 365 der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft, die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ wurde im November 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus /-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus-terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicherheitsbehörden gebündelt und ein möglichst lückenloser Informationsfluss gewährleitet werden. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder das Internet hinsichtlich islamistischer und islamistisch-terroristischer Inhalte. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes (GG), insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nichtmuslime unterworfen werden. 366 ANHANG Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und / oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen al-QaIDa-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen / islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sog. großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (so genannter kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf / "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. 367 Kameradschaften, rechtsextremistische (im Freistaat Sachsen) Bei Kameradschaften handelt sich um Gruppierungen, die einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung aufweisen, eine zumindest rudimentäre Struktur besitzen und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonationalsozialistischen Grundorientierung haben. Die Kameradschaften sind im Wesentlichen von zwei Formen bestimmt: Subkulturell geprägte Kameradschaften Diese besitzen keine festen Führungsstrukturen und sind von Spontaneität und Aktionismus geprägt. Dementsprechend beschränken sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf den regionalen Bereich und oft auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten. Neonationalsozialistische Kameradschaften Diese weisen klar erkennbare Führungsstrukturen auf und sind stark politisch ausgerichtet. In ihren weltanschaulichen Grundpositionen werden zunehmend antikapitalistische Elemente sichtbar. Gefordert werden ein Nationaler Sozialismus und die Volksgemeinschaft. Darüber hinaus bestehen auch kameradschaftsähnliche Strukturen, die in Sachsen u. a. unter wechselnden Bezeichnungen wie Freie Kräfte, Nationale Sozialisten etc. in Erscheinung treten. Dabei verwenden sie oft einen auf einen Ort oder eine Region hinweisenden Namenszusatz. Klandestine Aktionen Diese Aktionsform findet unabhängig vom Demonstrationsgeschehen Anwendung. Es handelt sich um Aktionen, bei denen es zum Einsatz von Gewalt kommt bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte des politischen Gegners bzw. Einrichtungen des "Repressionsapparates" handelt. Taktisch setzt man dabei auf das Überraschungsmoment und die Anonymität der Akteure. Dadurch wird für die Aktivisten das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Es soll hierdurch politische Aufmerksamkeit erreicht und politischer Einfluss ausgeübt werden. Daher werden die Aktionen in der Regel auch durch Bekennerschreiben flankiert. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, 368 ANHANG Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, a utoNome, aNarchIsteN und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Mujahid Als Mujahidin (Plural für: "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. aufgrund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. muslimbRudeRschaft Die muslimbRudeRschaft ist die weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Sie wird von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch kategorisiert. Angestrebt wird die Bildung einer islamischen Gesellschaft sowie die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Zahlreiche islamistische und islamistischterroristische Organisationen, z. B. die palästinensische HAMAS, die das Existenzrecht des Staates Israels negiert und diesen aktiv bekämpft, sind aus ihr hervorgegangen. Seit den 1970er-Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Ausgenommen davon sei jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Neonationalsozialismus / "Neonazismus" Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Nationalismus und Rassismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung wesentlicher Elemente demokratischer Gewaltenteilung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind bei Neonationalsozialisten der stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der NeoNatIoNalsozIalIsteN. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sog. klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. 369 Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Phänomenbereichen zugeordnet: Politisch motivierte Kriminalität - rechts, Politisch motivierte Kriminalität - links, Politisch motivierte Ausländerkriminalität, Sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). siehe auch: autoNome NatIoNalIsteN, Fanzine, Kameradschaften, freIe NatIoNalIsteN / freIe kräfte, Neonationalsozialismus / Neonazismus, Skinheads Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus ist die rechtsextremistisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die durch Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Strategien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern oder das Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Salafismus Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr zum Vorbild der "lauteren Vorfahren" (as-Salaf as-salih) und damit zu einem fiktiven "Urislam" an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpretation sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als handlungsweisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem "wahren islamischen Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. 370 ANHANG Viele der dabei vertretenen Ansichten kollidieren mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Skinheads, rechtsextremistische Rechtsextremistische Skinheads sind heute nur noch marginal Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland. Ihr Anteil und ihre Bedeutung sind im Vergleich zu den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt (s. auch Subkulturelle Rechtsextremisten). Das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Skinheads entspricht heute nicht mehr dem eines typischen Skinheads in den 1980er und 1990er Jahren. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Subkulturelle Rechtsextremisten Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten subkulturell geprägten Rechtsextremisten nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Sie stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene zeichnet sich größtenteils durch eine erhöhte Gewaltbereitschaft aus, die maßgeblich zu den rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten beiträgt. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Subkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die subkulturell geprägte rechtsextremistische Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte spielen eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene mit einer szeneinternen Bedeutung sind BlooD & hoNour und die hammerskINs, beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem BlooD & hoNour, dessen deutscher Zweig, die BlooD & hoNour-DIvIsIoN Deutschland, im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. 371 Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungsfeindlichkeit ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der "Verfassungswidrigkeit" (siehe unten). Verfassungsschutzbehörden Das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 7. November 1950 nach. Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrittweise Behörden für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, andere wiesen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer Abteilung ihres Innenministeriums/-senats zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst besei372 ANHANG tigen wollen. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, forderte das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, * die eine Durchsetzung der von einer Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen, so z. B. die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen oder die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen, oder * für ein deutliches Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage beinhaltet die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 373 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen Rechtsextremismus aktIoNsBüNDNIs gegeN Das vergesseN (AgdV) aryaN BrotherhooD eastsIDe (ABE) BIlDuNgswerk für heImat uND NatIoNale IDeNtItät e. v. (s. NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs) BlItzkrIeg (Band) BlutzeugeN (Band) BraINwash (Band) BrIgaDe 8 weIsswasser Bürgerwehr ftl/360 Der DrItte weg (III. weg) Dryve By suIzhyDe (Vertrieb) eNDless struggle (Band) eNtroPIe (Band) freIe aktIvIsteN DresDeN freIe kameraDschaft DresDeN freIe kräfte DresDeN (FKD) freIe kräfte hoyerswerDa freIe kräfte mIttel/ostsachseN (FKMO) froNt recorDs (Vertrieb) froNtmusIk (Vertrieb) gefaNgeNeNhIlfe (GH) hammerskINs heIlIger krIeg (Band) heIlIges reIch (Band) hermaNNslaND-versaND (Vertrieb) hIlfsorgaNIsatIoN für NatIoNale uND PolItIsche gefaNgeNe uND DereN aNgehörIge e.v. (HNG, verboten seit 21. September 2011) hoPe for the weak (Band) IDeNtItäre BeweguNg (IB) bzw. IDeNtItäre BeweguNg DeutschlaND (IBD) INteresseNgemeINschaft (IG) Chemnitz (verboten, s. NatIoNale sozIalIsteN chemNItz) JuNge NatIoNalDemokrateN (JN) kIllumINatI (Band) kommuNalPolItIsche vereINIguNg (KPV, s. NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs) koPfsteINPflaster laBel 33 (Vertrieb) legIoN 84 leIcheNzug (Band) lIBergraPhIx (Verlag) 374 ANHANG moshPIt (Band) muDhater (s. Dryve By suIzhyDe) NatIoN & wIsseN (Verlag) NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs (NPD) NatIoNale sozIalIsteN chemNItz (NSC, verboten seit 28. März.2014) NatIoNale sozIalIsteN DöBelN (NSD, verboten seit 18.Februar 2013) NatIoNaler JugeNDBlock e.v. (NJB) NatIoNaler wIDerstaND hoyerswerDa NatIoNales uND sozIales aktIoNsBüNDNIs 1. maI (s. Der DrItte weg) NatIoNales versaNDhaus (Vertrieb) NeuBegINN (Band) olDschool socIety (OSS) oPos-recorDs (bis 12/16 Dresden, seitdem BB) ParaNoID (Band) Pc-recorDs (Vertrieb) PIoNIer (Band) Pro PatrIa (Band) rac'N'roll teufel (Band) DIe rechte rePro-meDIeN (Vertrieb) revolutIoNäre NatIoNale JugeND (RNJ, Vogtland) rINg NatIoNaler fraueN (RNF, s. NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs) sachseNBlut (Band) sachsoNIa (Band) sceNarIo lok (aufgelöst) schlesIsche JuNgs NIesky selBststeller (Band) sIsta BatalJeN (Band) stahlfroNt (Band) stahlwerk (Band) stereotyP (Band) thematIk 25 (Band) treueschwur (Band) üBerzeuguNgstäter vogtlaND (Band) verBoteN (Band) volksNah 2.0 (Band) Der weIsse raBe weIsse wölfe terrorcrew (WWT, verboten seit 16. März 2016) whIte resIstaNce (Band) wIDerstaND hoyerswerDa wIDerstaND-versaND (Vertrieb) wIr für leIPzIg w.u.t. ("WHITE UNITED TERROR", Band) 375 Linksextremismus aNtIfaschIstIsche aktIoNsgruPPe DresDeN (AFA Dresden) aNtIfa kleIN-ParIs (AKP) aNtIfa PlaueN allgemeINes syNDIkat DresDeN Der fau-Iaa (FAU Dresden/Teilorganisation der FAU-IAA) aNarchIsteN aNarchosyNDIkalIstIsche JugeND leIPzIg (ASJL) aNtIfa lausItz aNtIfa rossweIN-DöBelN-leIsNIg (aNtIfa rDl) aNtIfaschIstIsche aktIoN görlItz (AFA Görlitz) autoNomal-versaND autoNome Deutsche kommuNIstIsche ParteI (DKP) fau-leIPzIg (Teilorganisation der FAU-IAA) fau-sektIoN chemNItz (Teilorganisation der FAU-IAA) freIe arBeIterINNeNuND arBeIter-uNIoN - INterNatIoNale arBeIter assozIatIoN (FAU-IAA) INterveNtIoNIstIsche lINke (IL) kamPagNe 129eV kommuNIstIsche ParteI DeutschlaNDs (KPD-Ost) kommuNIstIsche Plattform Der ParteI DIE LINKE (KPF) kommuNIstIsches aktIoNsBüNDNIs DresDeN (KAD) marxIstIsches forum (MF) marxIstIsch-leNINIstIsche ParteI DeutschlaNDs (MLPD) Neue aNtIkaPItalIstIsche orgaNIsatIoN (Nao) New kIDs aNtIfa leIPzIg PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg (PRISMA) revolutIoN (Revo) mit Regionalgruppen in Leipzig und Dresden rote hIlfe e.V. (RH) sozIaler fehltrItt (Band) the future Is uNwrItteN (tfIu) (...) ums gaNze!-BüNDNIs uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa DresDeN (URA Dresden) Islamismus/islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus, insbesondere al-QaIDa (AQ) und IslamIscher staat (IS) Salafistische Bestrebungen, insbesondere IslamIsche gemeINDe IN sachseN - al-rahmaN-moschee e. v. in Leipzig (IGS-AM) muslImBruDerschaft (MB) mit ihrer deutschen Vertretung IslamIsche gemeINschaft IN DeutschlaND e.v. (IGD) 376 ANHANG Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) arBeIterParteI kurDIstaNs (Pkk) BuND Der revolutIoNäreN BeweguNg Der völker (hBDh) cIwaNeN azaD (ca) cIwaNeN azaD DresDeN DemokratIsches kurDIsches gesellschaftszeNtrum (Dktm) DresDNer vereIN Deutsch kurDIscher BegegNuNgeN e. v. föDeratIoN kurDIscher vereINe IN DeutschlaND e. v. (yek-kom) freIheItsfalkeN kurDIstaNs (tak) koorDINatIoN Der kurDIscheN DemokratIscheN gesellschaft IN euroPa (cDk) DemokratIsches gesellschaftszeNtrum Der kurDINNeN IN DeutschlaND (Nav-Dem) kurDIscher DemokratIscher gesellschaftskoNgress IN euroPa (kcD-e) kurDIsche DemokratIsche volksuNIoN (yDk) NatIoNale BefreIuNgsfroNt kurDIstaNs (erNk) ParteI Der DemokratIscheN uNIoN (PyD) vereINIgte gemeINschafteN kurDIstaNs (kck) volksverteIDIguNgseINheIteN (yPg) volksverteIDIguNgskräfte (hPg) Darüber hinaus werden die Massenorganisationen des cDK erwähnt (s. Strukturkasten zu PKK-Beitrag): yJa (Frauen) yxk (Studenten) ymk (Lehrer) yrk (Journalisten) yhk (Juristen) yNk (Schriftsteller) cIk, yek, kaB (religiöse Gruppen). 377 Abkürzungsverzeichnis A agDv aktIoNsBüNDNIs gegeN Das vergesseN akk aNtIkaPItalIstIsches kollektIv akP aNtIfa kleIN-ParIs aNtIfa rDl aNtIfa rossweIN-DöBelN-leIsNIg asJl aNarchosyNDIkalIstIsche JugeND leIPzIg B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BIa ausläNDerstoPP BND Bundesnachrichtendienst BNg FAU-Sektion BasIsgewerkschaft NahruNg uND gastroNomIe BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik c ca cIwaN azaD cDk koorDINatIoN Der kurDIscheN DemokratIscheN gesellschaft IN euroPa CIA Central Intelligence Agency cIms coNveyINg IslamIc message socIety D DASS Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz DkP Deutsche kommuNIstIsche ParteI Dktm DemokratIsches kurDIsches gesellschaftszeNtrum Dvu Deutsche volksuNIoN E ERNK NatIoNale BefreIuNgsfroNt kurDIstaNs F FAU-IAA freIe arBeIterINNeNuND arBeIter-uNIoN - INterNatIoNale arBeIter assozIatIoN fkD freIe kräfte DresDeN fkmo freIe kräfte mIttel/ ostsachseN fNs freIes Netz süD FSB Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj Federazii G gam gruPPe arBeItermacht GCHQ Government Communications Headquarters gh gefaNgeNeNhIlfe 378 ANHANG H hBDh BuND Der revolutIoNäreN BeweguNg Der völker HNG hIlfsorgaNIsatIoN für NatIoNale gefaNgeNe uND DereN aNgehörIge e.v. HPG volksverteIDIguNgskräfte HSK kurDIscher roter halBmoND e. v. I IB IDeNtItäre BeweguNg Ig INteresseNgemeINschaft chemNItz IgD IslamIsche gemeINschaft IN DeutschlaND e.v. IL INterveNtIoNIstIsche lINke IS IslamIscher staat J JN JuNge NatIoNalDemokrateN K kaD kommuNIstIsches aktIoNsBüNDNIs DresDeN kcD-e kurDIscher DemokratIscher gesellschaftskoNgress IN euroPa kck vereINIgte gemeINschafteN kurDIstaNs koN-kurD koNföDeratIoN Der kurDIscheN vereINe IN euroPa kPD kommuNIstIsche ParteI DeutschlaNDs kPf kommuNIstIsche Plattform Der ParteI DIe lINke kPv kommuNalPolItIsche vereINIguNg L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MAD Militärischer Abschirmdienst mB muslImBruDerschaft mek volksmoDJaheDIN IraN-orgaNIsatIoN MF marxIstIsches forum MID Military Intelligence Department MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MND mIttelDeutsche NatIoNalDemokrateN MSS Ministry of State Security 379 N Nao Neue aNtIkaPItalIstIsche orgaNIsatIoN Nav-Dem kurDIscher DemokratIscher gesellschaftskoNgress IN DeutschlaND, DemokratIsches gesellschaftszeNtrum Der kurDINNeN IN DeutschlaND NJB NatIoNaler JugeNDBlock e. v. NPD NatIoNalDemokratIsche ParteI DeutschlaNDs Ns-Boys New socIety Nsc NatIoNale sozIalIsteN chemNItz Ns-DöBelN NatIoNale sozIalIsteN DöBelN Nshoy NatIoNale sozIalIsteN hoyerswerDa NwrI NatIoNaler wIDerstaNDsrat IraN O OfD offeNsIve für DeutschlaND OSS olDschool socIety P PKK arBeIterParteI kurDIstaNs Pkk ParlameNtarIsche koNtrollkommIssIoN PMK Politisch motivierte Kriminalität PrIsma PrIsma - INterveNtIoNIstIsche lINke leIPzIg (PrIsma) PYD ParteI Der DemokratIscheN uNIoN R revo leIPzIg revolutIoN leIPzIg RH rote hIlfe e.v. rhD rote hIlfe DeutschlaND rNf rINg NatIoNaler fraueN rNJ revolutIoNäre NatIoNale JugeND vogtlaND S SC4A "Social Center for all" SWR Sluschba Wneschnei Raswedki Rossijskoj Federazii T TAK freIheItsfalkeN kurDIstaNs TddZ tag Der DeutscheN zukuNft tfIu the future Is uNwrItteN toP BerlIN theorIe.orgaNIsatIoN.PraxIs yPg volksverteIDIguNgseINheIteN 380 ANHANG U URA Dresden uNDogmatIsche raDIkale aNtIfa DresDeN UZ UNSERE ZEIT W WWT weIsse wölfe terrorcrew y YDK kurDIsche DemokratIsche volksuNIoN yek-kom föDeratIoN kurDIscher vereINe IN DeutschlaND e. v. yPg volksverteIDIguNgseINheIteN yxk verBaND Der stuDIereNDeN aus kurDIstaN 381 Gesetze Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen (Sächsisches Verfassungsschutzgesetz - SächsVSG) Vom 16. Oktober 1992 Rechtsbereinigt mit Stand vom 31. Dezember 2013 Inhaltsübersicht Erster Abschnitt: Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation, Zuständigkeit SS2 Aufgaben SS3 Begriffsbestimmungen SS4 Allgemeine Befugnisse SS5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel SS 5a Besondere Befugnisse Zweiter Abschnitt: Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten SS 7a Löschung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten SS8 Errichtungsanordnung SS9 Auskunft an Betroffene Dritter Abschnitt: Übermittlungsvorschriften SS 10 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen SS 11 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 11a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 11b Weitere Informationsübermittlungen durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 12 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 12a Übermittlung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten SS 13 Übermittlungsverbote SS 14 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 15 Unterrichtung der Öffentlichkeit 382 ANHANG Vierter Abschnitt: Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung von Grundrechten SS 16 Parlamentarische Kontrollkommission SS 17 Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission SS 18 Einschränkung von Grundrechten Fünfter Abschnitt: Schlussbestimmung SS 19 Inkrafttreten Der Sächsische Landtag hat am 17. September 1992 das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation, Zuständigkeit (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem Staatsministerium des Innern. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist zuständig für 1. die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 und 2. die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern und dem Bund in Angelegenheiten der Nummer 1. (3) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Freistaat Sachsen nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz und Polizeibehörden oder Polizeidienststellen dürfen einander nicht angegliedert werden. SS2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 383 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 3a. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, 4. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Sammlung und Auswertung von Informationen nach Satz 1 setzen im Einzelfall voraus, dass für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Satz 1 Nrn. 1 bis 4 tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. auf Ersuchen der Einstellungsbehörden bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, 5. auf Ersuchen der für Einbürgerung zuständigen Behörden bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Einbürgerungsbewerbern sowie 6. bei Überprüfungen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist. Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Satz 1 erfolgt in der Weise, dass es eigenes Wissen oder bereits vorhandenes Wissen der für die Überprüfung zuständigen Behörde oder sonstiger öffentlicher Stellen auswertet. Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach den Nummern 1 und 2 sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 (SächsGVBl. S. 44), in der jeweils geltenden Fassung, geregelt. (3) Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Absatz 2 setzt voraus, dass Betroffene und andere in die Überprüfung einbezogene Personen über Zweck und Verfahren der Überprüfung einschließlich der Verarbeitung der erhobenen Daten durch die beteiligten Dienststellen unterrichtet werden. Darüber hinaus ist im Falle der Einbeziehung anderer Personen in die Überprüfung deren Einwilligung und im Falle weitergehender Ermittlungen die Einwilligung von Betroffenen erforderlich. Die Sätze 1 und 2 gelten nur, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. 384 ANHANG (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet das Staatsministerium des Innern über seine Tätigkeit. SS3 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretungen in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 385 SS4 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit keine besonderen Regelungen getroffen sind, nach den Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Datenschutzgesetz - SächsDSG) vom 25. August 2003 (SächsGVBl. S. 330), in der jeweils geltenden Fassung. (2) Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Betroffene sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 2 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber anderen Behörden und Dienststellen stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu. Es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, insbesondere unter Beachtung des SS 4 Abs. 4, Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen (nachrichtendienstliche Mittel) anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des Innern und der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten und sonstige Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung von Mitarbeitern, Einrichtungen, Gegenständen und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 386 ANHANG Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Auskünfte nach SSSS 11 oder 11a gewonnen werden kann. Die Anwendung eines nachrichtendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn der Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (3) Wird der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen oder zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder der Einsatz eines Verfassungsschutzbediensteten, der unter einer ihm verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität ermittelt, zur Erfüllung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 länger als 72 Stunden dauern, ist dies unverzüglich der Parlamentarischen Kontrollkommission anzuzeigen. (4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239, 241), in der jeweils geltenden Fassung, bleibt unberührt. (5) aufgehoben (11) aufgehoben (12) Nachrichtendienstliche Mittel, die sich gezielt gegen einen Abgeordneten des Sächsischen Landtages richten, dürfen nur angewandt werden, wenn sie zuvor vom Präsidenten des Landtages genehmigt worden sind. SS 5a Besondere Befugnisse (1) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes und des Artikels 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen> ist nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Abs. 1 und SS 3 Abs. 1 G 10 vorliegen und der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sachoder Vermögenswerte erforderlich ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (2) Die Maßnahme darf sich nur gegen den Betroffenen richten und nur in Wohnungen des Betroffenen durchgeführt werden. In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme nur zulässig, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sich der Betroffene dort aufhält und die Maßnahme in Wohnungen des Betroffenen allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts führen würde. 387 (3) Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räume und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Gespräche oder Handlungen in Betriebsoder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. (4) Die Maßnahme ist unverzüglich abzubrechen, wenn sich während der Überwachung erste Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Im Zweifel ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über den Abbruch der Maßnahme und eine Löschung der bisher erhobenen Daten herbeizuführen. Das anordnende Gericht ist über den Verlauf und die Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so hat das Gericht den Abbruch der Maßnahme unverzüglich anzuordnen, sofern das Landesamt für Verfassungsschutz die Maßnahme nicht bereits abgebrochen hat. (5) Erkenntnisse über Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, dürfen nicht verwertet werden. Soweit ein Verwertungsverbot in Betracht kommt, hat das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen. (6) Die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhobenen Daten sind dergestalt zu kennzeichnen, dass jederzeit erkennbar bleibt, aus welchen Eingriffen sie stammen. Sie dürfen durch das Landesamt für Verfassungsschutz zu keinen anderen Zwecken als der Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten, auf die Absatz 1 Anwendung findet, weiter verarbeitet werden. Eine Übermittlung darf nur unter den Voraussetzungen von SS 12a erfolgen. (7) In den Fällen des SS 53 StPO ist eine Maßnahme nach Absatz 1 unzulässig. Ergibt sich während oder nach der Durchführung einer Maßnahme nach Absatz 1, dass ein Fall des SS 53 StPO vorliegt, gelten Absatz 4 Satz 1, Absatz 5 Satz 1 und SS 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 entsprechend. In den Fällen der SSSS 52 und 53a StPO dürfen aus einer Maßnahme nach Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur verwendet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts steht. (8) Auf Antrag des Landesamtes für Verfassungsschutz trifft die in SS 74a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat, die Entscheidung über die Anordnung der Maßnahme nach Absatz 1. Die Maßnahme ist auf höchstens drei Monate zu befristen und kann um jeweils nicht mehr als drei Monate verlängert werden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 315-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4c des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I S. 2809, 2819), in der jeweils geltenden Fassung, entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ergeht ohne vorherige Anhörung des Betroffenen und bedarf zu ihrer Wirksamkeit nicht der Bekanntmachung 388 ANHANG an ihn. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch den Vorsitzenden getroffen werden. Dessen Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von der Kammer bestätigt wird. (9) In der schriftlichen Anordnung sind anzugeben: 1. soweit bekannt, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet, 2. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, aufgrund derer die Maßnahme nach Absatz 1 angeordnet wird, 3. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume, 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, 5. die Erwartungen an die zu erhebenden Informationen. In der Begründung der Anordnung oder Verlängerung sind deren Voraussetzungen und die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte darzulegen. Insbesondere sind anzugeben: 1. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, 2. die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, 3. die tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des Absatzes 3 Satz 1. (10) Die Betroffenen sind von den nach Absatz 1 durchgeführten Maßnahmen zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, im Fall des Absatzes 11 ohne Gefährdung der für den Verfassungsschutz tätigen Person, geschehen kann. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt für Verfassungsschutz. Sind Daten aus Maßnahmen nach Absatz 1 an Dritte übermittelt worden, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. Betroffene im Sinne des Satzes 1 sind: 1. Betroffene, gegen die sich die Maßnahme nach SS 5a richtet, 2. Inhaber und Bewohner der Wohnung, in der die Maßnahmen durchgeführt worden sind, 3. sonstige überwachte Personen. Eine Unterrichtung von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen oder die Identität von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden könnte. Erfolgt die Benachrichtigung nicht binnen sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der gerichtlichen Zustimmung. Die gerichtliche Entscheidung ist vorbehaltlich einer anderen gerichtlichen Anordnung jeweils nach einem Jahr erneut einzuholen. (11) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf den verdeckten Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 ausschließlich zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Person anordnen. Eine weitere Verarbeitung der hierbei erhobenen Daten, insbesondere eine Übermittlung nach SS 12a, ist nur zulässig, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach Maßgabe von Satz 1 und Absatz 1 zuvor gerichtlich festgestellt worden ist; bei 389 Gefahr im Verzug ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. In diesen Fällen gelten die Absätze 5 bis 7 und 10 entsprechend. (12) Auch nach Erledigung einer in den Absätzen 1 und 11 genannten Maßnahme können Betroffene binnen vier Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs beantragen. Über den Antrag entscheidet das Gericht, das über die Anordnung der Maßnahme entschieden hat. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Zweiter Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 2 tätig werden wird. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 2 dürfen vorbehaltlich des Satzes 2 in automatisierten Dateien nur Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. Zur Erledigung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 2 Nr. 4 und 5 dürfen in automatisierten Dateien nur Daten solcher Personen erfasst werden, über die bereits Erkenntnisse nach SS 2 Abs. 1 vorliegen. Bei der Speicherung in Dateien muss erkennbar sein, welcher der in SS 2 Abs. 1 und 2 genannten Personengruppe Betroffene zuzuordnen sind. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. (4) Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nicht gespeichert werden. Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 Nr. 1 angefallen sind. Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit der Speicherung in Dateien zu überprüfen und spätestens fünf Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 Nr. 1 über ein Verhalten nach Eintritt der Volljährigkeit angefallen sind. 390 ANHANG SS7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Akten oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten ist dies zu vermerken. Wird die Richtigkeit der Daten von Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Belange der Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen übermittelt werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens 10 Jahre, über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 3 und 3a spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Vertreter stellt fest, dass die weitere Speicherung zur Aufgabenerfüllung oder aus den in Absatz 2 Satz 2 genannten Gründen erforderlich ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die nicht in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten gemäß Absatz 2 zu löschen. Die Löschung ist zu dokumentieren. Die Daten sind zu sperren, wenn die Löschung wegen der besonderen Art der Speicherung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. (5) Für die Archivierung gelten die Vorschriften des Archivgesetzes für den Freistaat Sachsen vom 17. Mai 1993 (SächsGVBl. S. 449), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 1999 (SächsGVBl. S. 398), in der jeweils geltenden Fassung. SS 7a Löschung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Daten, die durch eine Maßnahme nach SS 5a erhoben wurden, unverzüglich zu löschen, 1. wenn Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst wurden, 2. wenn die Daten für die in SS 5a Abs. 6 Satz 2 genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind; soweit die Daten für eine gerichtliche Überprüfung nach SS 5a Abs. 12 von Bedeutung sein können, ist die Löschung der Daten zurückzustellen, sie sind zu sperren und dürfen nur zu diesem Zweck verwendet werden. 391 Im Falle von Satz 1 Nr. 2 hat die Prüfung der Erforderlichkeit der Datenspeicherung unverzüglich nach ihrer Erhebung und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten zu erfolgen. Die Erhebung und Löschung der Daten ist zu dokumentieren. (2) Im Falle der Datenübermittlung nach SS 12a prüft der Empfänger unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die Daten für die Zwecke, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind, noch erforderlich sind. Sind die Daten für die bestimmten Zwecke nicht mehr erforderlich, gilt Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 entsprechend. Die Löschung ist zu dokumentieren. Der Empfänger unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich über die erfolgte Löschung. SS8 Errichtungsanordnung (1) Für jede beim Landesamt für Verfassungsschutz zur Erfüllung seiner in SS 2 genannten Aufgaben einzurichtende automatisierte Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet werden, sind in einer Errichtungsanordnung festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. Protokollierung. Die Zugangsberechtigung nach Satz 1 Nr. 5 ist auf Personen zu beschränken, die die Daten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz benötigen. Die Errichtungsanordnung bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des Innern. (2) Vor Erlass und vor wesentlichen Änderungen der Errichtungsanordnung ist der Sächsische Datenschutzbeauftragte zu hören. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Erforderlichkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. SS9 Auskunft an Betroffene (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt Betroffenen über die zu ihrer Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (1a) Auskunft aus Akten, die nicht zur Person des Betroffenen geführt werden, wird erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht, die das Auffinden der Akten ermöglichen und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten In392 ANHANG formationsinteresse steht. Satz 1 findet auf personenbezogene Daten in nicht-automatisierten Dateien, die nicht zur Übermittlung an Dritte bestimmt sind, entsprechende Anwendung. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe für die Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, sind Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Sächsischen Datenschutzbeauftragten wenden können. Dem Datenschutzbeauftragten ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten an Betroffene dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 10 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden und Gerichte des Freistaates Sachsen, die Gemeinden, Landkreise und sonstigen der Aufsicht des Freistaates Sachsen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationen zur Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Nr. 2 oder zur Beobachtung von Bestrebungen erforderlich sind, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 3a genannten Schutzgüter gerichtet sind. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeidienststellen übermitteln darüber hinaus von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 393 SS 11 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 10 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder Abs. 2 erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten anderer öffentlicher Stellen und amtliche Register unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 und vorbehaltlich der in SS 13 getroffenen Regelung einsehen, soweit dies zur Erfüllung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 oder zum Schutz von Mitarbeitern und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen Gefahren für Leib und Leben erforderlich ist und die sonstige Übermittlung von Informationen aus den Akten oder den Registern den Zweck der Maßnahmen gefährden oder das Persönlichkeitsrecht von Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme nach Satz 1 hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen. Die Nachweise sind fünf Jahre gesondert aufzubewahren und gegen ungerechtfertigten Zugriff zu sichern und anschließend zu vernichten. (3) Die Übermittlung personenbezogener Daten und sonstige Informationen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 G 10 genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 3 G 10 entsprechende Anwendung. SS 11a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Ein Ersuchen des Landesamtes für Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die dort genannten Schutzgüter vorliegen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 G 10 bei Personen und Unternehmen, 394 ANHANG die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die dort genannten Schutzgüter vorliegen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 G 10 bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummern oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genommenen Telekommunikationsund Teledienst-Dienste, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (6) Auskünfte nach den Absätzen 2 bis 5 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Falle seiner Verhinderung durch seinen Vertreter, schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Staatsminister des Innern, im Falle seiner Verhinderung sein Vertreter. (7) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen (SächsAG G 10) vom 16. Oktober 1992 (SächsGVBl. S. 464), geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. August 2003 (SächsGVBl. S. 313, 317), über die gemäß Absatz 6 beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug darf das Staatsministerium des Innern den Vollzug der Entscheidung bereits vor Unterrichtung der Kommission anordnen. In diesen Fällen ist die Unterrichtung innerhalb von zehn Tagen nachzuholen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit der Einholung von Auskünften. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder für nicht notwendig erklärt, hat das Staatsministerium des Innern unverzüglich aufzuheben. (8) SS 2 Abs. 2 SächsAG G 10 ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten erstreckt. 395 (9) Für die Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten ist SS 4 G 10 entsprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht mitgeteilt werden. Für die Mitteilungen an Betroffene findet SS 12 Abs. 1 und 3 G 10 entsprechende Anwendung. (10) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission (SS 16) und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes in Abständen von höchstens sechs Monaten über die nach den Absätzen 2 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. SS 11b Weitere Informationsübermittlungen durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz im Einzelfall erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154, 3200) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, erhobenen Daten verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 1 TKG). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Abs. 1 Satz 2 TKG), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der geschützten Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 3 TKG). Für Auskunftsverlangen nach Satz 1 und Absatz 1 Satz 2 gilt SS 11a Abs. 6 Satz 1 und 2 sowie Abs. 7 bis 9 Satz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass über den Antrag das Staatsministerium des Innern entscheidet. (3) Die betroffene Person ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 Satz 1 durch das Landesamt für Verfassungsschutz von der Beauskunftung zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Wurden personenbezogene Daten an eine andere Stelle übermittelt, erfolgt die Benachrichtigung im Benehmen mit dieser. Die Benachrichtigung unterbleibt, sofern einer der Hinderungsgründe in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beauskunftung nicht ausgeschlossen werden kann, er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, und die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. Die Benachrichtigung unterbleibt auch, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 4 oder Satz 5 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. 396 ANHANG (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat der Diensteanbieter die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Der Diensteanbieter erhält für Auskünfte nach den Absätzen 1 und 2 eine Entschädigung, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungsund -entschädigungsgesetz - JVEG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586, 2681), in der jeweils geltenden Fassung, bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Abs. 1 und 4 JVEG finden entsprechende Anwendung. SS 12 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Behörden sowie andere öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigen. Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. Empfänger dürfen die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen die ihm bekannt gewordenen personenbezogenen Daten zu übermitteln, wenn im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung nach SS 2 zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur Verhinderung oder Verfolgung folgender Straftaten erforderlich ist: 1. von Staatsschutzdelikten nach SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie von Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, der Motive der Täter oder deren Verbindungen zu einer Organisation zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, und 2. von Straftaten, die gegen das Leben oder in erheblichem Maße gegen die körperliche Unversehrtheit oder gegen Sachund Vermögenswerte von erheblicher Bedeutung gerichtet sind. Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an andere als öffentliche Stellen nicht übermitteln, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeit für eine fremde Macht oder zur Gewährleistung der Sicherheit einer 397 lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung nach SS 1 Abs. 4 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3322, 3329), in der jeweils geltenden Fassung, oder nach SS 1 Abs. 3 Nr. 4 SächsSÜG in der jeweils geltenden Fassung erforderlich ist und der Staatsminister des Innern oder sein Vertreter zugestimmt hat. Die Zustimmung kann auch für eine Mehrzahl gleichartiger, sachlich zusammenhängender Fälle vorweg erteilt werden. Sie ist nicht erforderlich für den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung aktenkundig zu machen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. Er ist verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen Auskunft über die vorgenommene Verwendung zu geben. Der Empfänger ist auf die Verpflichtungen nach den Sätzen 5 und 6 hinzuweisen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, Belange der Länder oder überwiegende schutzwürdige Interessen von Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Empfänger sind darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie übermittelt wurden, und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Der Empfänger prüft, ob die übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 12a Übermittlung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 5a erhobene personenbezogene Daten den in SS 12 genannten Behörden nur zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für herausragende Sachoder Vermögenswerte übermitteln. Für personenbezogene Daten nach SS 5a Abs. 7 Satz 2 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass es sich um Gegenstände von bedeutendem Wert, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, um Gegenstände von kulturell herausragendem Wert oder um die in SS 305 StGB genannten Bauwerke handeln muss. (2) Zur Verfolgung von Straftaten darf das Landesamt für Verfassungsschutz unter den Voraussetzungen des SS 5a erhobene personenbezogene Daten den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen nur übermitteln, soweit die Voraus398 ANHANG setzungen des SS 100c StPO vorliegen und für die Straftat eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe angedroht wird. (3) Die Übermittlung nach den Absätzen 1 und 2 ist nur zulässig, soweit 1. sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist, 2. nach eigenen Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ausgeschlossen werden kann, dass der Empfänger die Daten für andere Zwecke nutzt, 3. die bisherige Kennzeichnung der Daten aufrechterhalten bleibt, 4. sichergestellt ist, dass der Empfänger SS 7a Abs. 2 entsprechend anwendet, und 5. die Übermittlung an ausländische Behörden nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz erfolgt. SS 13 Übermittlungsverbote (1) Die Übermittlung von Informationen nach den SSSS 10, 11, 12 und 12a unterbleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen oder überwiegende Belange der Strafverfolgung dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen. Die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 14 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unverzüglich, ob die ihm nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat es die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. (2) Erweisen sich personenbezogene Daten, nachdem sie durch das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt worden sind, als unrichtig oder unvollständig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. 399 SS 15 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Staatsministerium des Innern und das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn dies für die Unterrichtung erforderlich ist und die Informationsinteressen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung von Grundrechten SS 16 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Sächsische Staatsregierung unterliegt hinsichtlich der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das Landesamt für Verfassungsschutz und hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission des Sächsischen Landtages. Die Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder müssen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Parlamentarische Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie tritt mindestens zweimal jährlich zusammen. Die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission kann von mindestens zwei Mitgliedern verlangt werden. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte kann, soweit personenbezogene Daten Gegenstand der Beratung sind, beteiligt werden; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. Satz 1 gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn die Mehrheit der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt hat. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Staatsregierung, endet auch seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für ein ausgeschiedenes Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch nach Ablauf der Wahlperiode des Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. 400 ANHANG SS 17 Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung. Hierzu gehört auch die Unterrichtung über die nach SS 5 Abs. 3 und SS 5a Abs. 1 und 10 angeordneten Maßnahmen und die nach SS 5a Abs. 9 getroffenen Entscheidungen. Ebenso umfasst die Unterrichtung auch das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer sowie das Herstellen des Benehmens für das Tätigwerden des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach SS 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202, 3217), in der jeweils geltenden Fassung. Auf Verlangen der Parlamentarischen Kontrollkommission berichtet das Staatsministerium des Innern zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission hat das Recht auf Erteilung von Auskünften. Der Staatsminister des Innern kann einem Kontrollbegehren widersprechen, wenn es im Einzelfall die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz oder den notwendigen Schutz des Nachrichtenzugangs gefährden würde; er hat dies zu begründen. Entfallen die Gründe für Satz 2, so ist die Auskunftserteilung unverzüglich nachzuholen. (3) Die Unterrichtung umfasst nicht Angelegenheiten, über die das Staatsministerium des Innern die Kommission nach Artikel 10 des Grundgesetzes zu unterrichten hat. SS 18 Einschränkung von Grundrechten Durch dieses Gesetz können im Rahmen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Sachsen das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel 27 der Verfassung des Freistaates Sachsen), das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes, Artikel 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, Artikel 33 der Verfassung des Freistaates Sachsen) eingeschränkt werden. Fünfter Abschnitt Schlussbestimmung SS 19 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden. Dresden, den 16. Oktober 1992 401 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) Vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. November 2015 (BGBl I S. 1938) Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen SS1 Gegenstand des Gesetzes (1) Es sind 1. die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages, 2. der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 2 des BND-Gesetzes auch zu den in SS 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 8 und SS 8 Abs. 1 Satz 1 bestimmten Zwecken berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, in den Fällen der Nummer 1 auch die dem Briefoder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen. (2) Soweit Maßnahmen nach Absatz 1 von Behörden des Bundes durchgeführt werden, unterliegen sie der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10-Kommission). SS2 Pflichten der Anbieter von Postund Telekommunikationsdiensten (1) Wer geschäftsmäßig Postdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt, hat der berechtigten Stelle auf Anordnung Auskunft über die näheren Umstände des Postverkehrs zu erteilen und Sendungen, die ihm zum Einsammeln, Weiterleiten oder Ausliefern anvertraut sind, auszuhändigen. Der nach Satz 1 Verpflichtete hat der berechtigten Stelle auf Verlangen die zur Vorbereitung einer Anordnung erforderlichen Auskünfte zu Postfächern zu erteilen, ohne dass es hierzu einer gesonderten Anordnung bedarf. Wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt, hat der berechtigten Stelle auf Anordnung Auskunft über die näheren Umstände der nach Wirksamwerden der Anordnung durchgeführten Telekommunikation zu erteilen, Sendungen, die ihm zur Übermittlung auf dem Telekommunikationsweg anvertraut sind, auszuhändigen sowie die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu ermöglichen. SS 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, SS 4a des MAD-Gesetzes und SS 2a des BND-Gesetzes bleiben unberührt. Ob und in welchem Umfang der nach Satz 3 Verpflichtete Vorkehrungen für die technische und organisatorische Umsetzung der Überwachungsmaßnahme zu treffen hat, bestimmt sich nach SS 110 des Telekommunikationsgesetzes und der dazu erlassenen Rechtsverordnung. 402 ANHANG (2) Der nach Absatz 1 Satz 1 oder 3 Verpflichtete hat vor Durchführung einer beabsichtigten Beschränkungsmaßnahme unverzüglich die Personen, die mit der Durchführung der Maßnahme betraut werden sollen, 1. auszuwählen, 2. einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen zu lassen und 3. über Mitteilungsverbote nach SS 17 sowie die Strafbarkeit eines Verstoßes nach SS 18 zu belehren; die Belehrung ist aktenkundig zu machen. Mit der Durchführung einer Beschränkungsmaßnahme dürfen nur Personen betraut werden, die nach Maßgabe des Satzes 1 überprüft und belehrt worden sind. Nach Zustimmung des Bundesministeriums des Innern, bei Beschränkungsmaßnahmen einer Landesbehörde des zuständigen Landesministeriums, kann der Behördenleiter der berechtigten Stelle oder dessen Stellvertreter die nach Absatz 1 Satz 1 oder 3 Verpflichteten schriftlich auffordern, die Beschränkungsmaßnahme bereits vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung durchzuführen. Der nach Absatz 1 Satz 1 oder 3 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass die Geheimschutzmaßnahmen nach den Abschnitten 1.1 bis 1.4, 1.6, 2.1 und 2.3 bis 2.5 der Anlage 7 zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen vom 29. April 1994 (GMBl S. 674) getroffen werden. (3) Die Sicherheitsüberprüfung nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 ist entsprechend dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz durchzuführen. Für Beschränkungsmaßnahmen einer Landesbehörde gilt dies nicht, soweit Rechtsvorschriften des Landes vergleichbare Bestimmungen enthalten; in diesem Fall sind die Rechtsvorschriften des Landes entsprechend anzuwenden. Zuständig ist bei Beschränkungsmaßnahmen von Bundesbehörden das Bundesministerium des Innern; im Übrigen sind die nach Landesrecht bestimmten Behörden zuständig. Soll mit der Durchführung einer Beschränkungsmaßnahme eine Person betraut werden, für die innerhalb der letzten fünf Jahre bereits eine gleichoder höherwertige Sicherheitsüberprüfung nach Bundesoder Landesrecht durchgeführt worden ist, soll von einer erneuten Sicherheitsüberprüfung abgesehen werden. Abschnitt 2 Beschränkungen in Einzelfällen SS3 Voraussetzungen (1) Beschränkungen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1 dürfen unter den dort bezeichneten Voraussetzungen angeordnet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand 1. Straftaten des Friedensverrats oder des Hochverrats (SSSS 80 bis 83 des Strafgesetzbuches), 2. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (SSSS 84 bis 86, 87 bis 89b, 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbuches, SS 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes), 3. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (SSSS 94 bis 96, 97a bis 100a des Strafgesetzbuches), 4. Straftaten gegen die Landesverteidigung (SSSS 109e bis 109g des Strafgesetzbuches), 403 5. Straftaten gegen die Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages (SSSS 87, 89, 94 bis 96, 98 bis 100, 109e bis 109g des Strafgesetzbuches in Verbindung mit SS 1 des NATO-Truppen-Schutzgesetzes), 6. Straftaten nach a) den SSSS 129a bis 130 des Strafgesetzbuches sowie b) den SSSS 211, 212, 239a, 239b, 306 bis 306c, 308 Abs. 1 bis 3, SS 315 Abs. 3, SS 316b Abs. 3 und SS 316c Abs. 1 und 3 des Strafgesetzbuches, soweit diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten, 7. Straftaten nach SS 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes oder 8. Straftaten nach den SSSS 202a, 202b und 303a, 303b des Strafgesetzbuches, soweit sich die Straftat gegen die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere gegen sicherheitsempfindliche Stellen von lebenswichtigen Einrichtungen richtet, plant, begeht oder begangen hat. Gleiches gilt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. (1a) Beschränkungen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1 dürfen unter den dort bezeichneten Voraussetzungen für den Bundesnachrichtendienst auch für Telekommunikationsanschlüsse, die sich an Bord deutscher Schiffe außerhalb deutscher Hoheitsgewässer befinden, angeordnet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass jemand eine der in SS 23a Abs. 1 und 3 des Zollfahndungsdienstgesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. (2) Die Anordnung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Verdächtigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Verdächtige ihren Anschluss benutzt. Maßnahmen, die sich auf Sendungen beziehen, sind nur hinsichtlich solcher Sendungen zulässig, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie von dem, gegen den sich die Anordnung richtet, herrühren oder für ihn bestimmt sind. Abgeordnetenpost von Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Parlamente der Länder darf nicht in eine Maßnahme einbezogen werden, die sich gegen einen Dritten richtet. SS 3a Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung Beschränkungen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1 sind unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst würden. Soweit im Rahmen von Beschränkungen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1 neben einer automatischen Aufzeichnung eine unmittelbare Kenntnisnahme erfolgt, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Bestehen insoweit Zweifel, 404 ANHANG darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich einem bestimmten Mitglied der G10-Kommission oder seinem Stellvertreter zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung. Die Entscheidung des Mitglieds der Kommission, dass eine Verwertung erfolgen darf, ist unverzüglich durch die Kommission zu bestätigen. Ist die Maßnahme nach Satz 2 unterbrochen worden, so darf sie für den Fall, dass sie nicht nach Satz 1 unzulässig ist, fortgeführt werden. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Beschränkung nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1 erlangt worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt. SS 3b Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen (1) Maßnahmen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 1, die sich gegen eine in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Person richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, sind unzulässig. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumentieren. Die Sätze 2 bis 3 gelten entsprechend, wenn durch eine Maßnahme, die sich nicht gegen eine in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Person richtet, von einer dort genannten Person Erkenntnisse erlangt werden, über die sie das Zeugnis verweigern dürfte. (2) Soweit durch eine Beschränkung eine in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 der Strafprozessordnung genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter Würdigung des öffentlichen Interesses an den von dieser Person wahrgenommenen Aufgaben und des Interesses an der Geheimhaltung der dieser Person anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Soweit hiernach geboten, ist die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, soweit die in SS 53a der Strafprozessordnung Genannten das Zeugnis verweigern dürften. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, sofern die zeugnisverweigerungsberechtigte Person Verdächtiger im Sinne des SS 3 Abs. 2 Satz 2 ist oder tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass sie dessen in SS 3 Abs. 1 bezeichnete Bestrebungen durch Entgegennahme oder Weitergabe von Mitteilungen bewusst unterstützt. 405 SS4 Prüf-, Kennzeichnungsund Löschungspflichten, Übermittlungen, Zweckbindung (1) Die erhebende Stelle prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die erhobenen personenbezogenen Daten im Rahmen ihrer Aufgaben allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten für die in SS 1 Abs. 1 Nr. 1 bestimmten Zwecke erforderlich sind. Soweit die Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für eine Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind sie unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. Die Löschung der Daten unterbleibt, soweit die Daten für eine Mitteilung nach SS 12 Abs. 1 oder für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme von Bedeutung sein können. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; sie dürfen nur zu diesen Zwecken verwendet werden. (2) Die verbleibenden Daten sind zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung ist die Kennzeichnung durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. Die Daten dürfen nur zu den in SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und den in Absatz 4 genannten Zwecken verwendet werden. (3) Der Behördenleiter oder sein Stellvertreter kann anordnen, dass bei der Übermittlung auf die Kennzeichnung verzichtet wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung einer Beschränkungsmaßnahme nicht zu gefährden, und die G 10-Kommission oder, soweit es sich um die Übermittlung durch eine Landesbehörde handelt, die nach Landesrecht zuständige Stelle zugestimmt hat. Bei Gefahr im Verzuge kann die Anordnung bereits vor der Zustimmung getroffen werden. Wird die Zustimmung versagt, ist die Kennzeichnung durch den Übermittlungsempfänger unverzüglich nachzuholen; die übermittelnde Behörde hat ihn hiervon zu unterrichten. (4) Die Daten dürfen nur übermittelt werden 1. zur Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten, wenn a) tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 und 1a genannten Straftaten plant oder begeht, b) bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine sonstige in SS 7 Abs. 4 Satz 1 genannte Straftat plant oder begeht, 2. zur Verfolgung von Straftaten, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine in Nummer 1 bezeichnete Straftat begeht oder begangen hat, oder 3. zur Vorbereitung und Durchführung eines Verfahrens nach Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes oder einer Maßnahme nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 des Vereinsgesetzes, soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich sind. (5) Sind mit personenbezogenen Daten, die übermittelt werden dürfen, weitere Daten des Betroffenen oder eines Dritten in Akten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, ist die Übermittlung auch dieser Daten zulässig; eine Verwendung dieser Daten 406 ANHANG ist unzulässig. Über die Übermittlung entscheidet ein Bediensteter der übermittelnden Stelle, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Übermittlung ist zu protokollieren. (6) Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für die Zwecke verwenden, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind. Er prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die übermittelten Daten für diese Zwecke erforderlich sind. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Empfänger unterrichtet die übermittelnde Stelle unverzüglich über die erfolgte Löschung. Abschnitt 3 Strategische Beschränkungen SS5 Voraussetzungen (1) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes dürfen Beschränkungen nach SS 1 für internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, angeordnet werden. Die jeweiligen Telekommunikationsbeziehungen werden von dem nach SS 10 Abs. 1 zuständigen Bundesministerium mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bestimmt. Beschränkungen nach Satz 1 sind nur zulässig zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr 1. eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland, 2. der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland, 3. der internationalen Verbreitung von Kriegswaffen im Sinne des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen sowie des unerlaubten Außenwirtschaftsverkehrs mit Waren, Datenverarbeitungsprogrammen und Technologien in Fällen von erheblicher Bedeutung, 4. der unbefugten gewerbsoder bandenmäßig organisierten Verbringung von Betäubungsmitteln in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland, 5. der Beeinträchtigung der Geldwertstabilität im Euro-Währungsraum durch im Ausland begangene Geldfälschungen, 6. der international organisierten Geldwäsche in Fällen von erheblicher Bedeutung, 7. des gewerbsoder bandenmäßig organisierten Einschleusens von ausländischen Personen in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland a) bei unmittelbarem Bezug zu den Gefahrenbereichen nach Nr. 1 bis 3 oder b) in Fällen, in denen eine erhebliche Anzahl geschleuster Personen betroffen ist, insbesondere wenn durch die Art der Schleusung von einer Gefahr für ihr Leib oder Leben auszugehen ist, oder c) in Fällen von unmittelbarer oder mittelbarer Unterstützung oder Duldung durch ausländische öffentliche Stellen oder 8. des internationalen kriminellen, terroristischen oder staatlichen Angriffs mittels Schadprogrammen oder vergleichbaren schädlich wirkenden informationstechnischen Mitteln auf die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit von IT-Systemen in Fällen von erheblicher Bedeu407 tung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen. In den Fällen von Satz 3 Nr. 1 dürfen Beschränkungen auch für Postverkehrsbeziehungen angeordnet werden; Satz 2 gilt entsprechend. (2) Bei Beschränkungen von Telekommunikationsbeziehungen darf der Bundesnachrichtendienst nur Suchbegriffe verwenden, die zur Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet sind. Es dürfen keine Suchbegriffe verwendet werden, die 1. Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen, oder 2. den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen. Dies gilt nicht für Telekommunikationsanschlüsse im Ausland, sofern ausgeschlossen werden kann, dass Anschlüsse, deren Inhaber oder regelmäßige Nutzer deutsche Staatsangehörige sind, gezielt erfasst werden. Die Durchführung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 5a Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung Durch Beschränkungen nach SS 1 Abs. 1 Nr. 2 dürfen keine Kommunikationsinhalte aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden. Sind durch eine Beschränkung nach SS 1 Abs. 1 Nr. 2 Kommunikationsinhalte aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst worden, dürfen diese nicht verwertet werden. Sie sind unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. SS 3a Satz 2 bis 7 gilt entsprechend. Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zum Zwecke der Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich sind, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt. SS6 Prüf-, Kennzeichnungsund Löschungspflichten, Zweckbindung (1) Der Bundesnachrichtendienst prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die erhobenen personenbezogenen Daten im Rahmen seiner Aufgaben allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten für die in SS 5 Abs. 1 Satz 3 bestimmten Zwecke erforderlich sind. Soweit die Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für eine Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind sie unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres zu löschen, das dem Jahr der Protokollierung folgt. Außer in den Fällen der erstmaligen Prüfung nach Satz 1 unterbleibt die Löschung, soweit die Daten für eine Mitteilung nach SS 12 Abs. 2 oder für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme von Bedeutung sein können. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; sie dürfen nur zu diesen Zwecken verwendet werden. 408 ANHANG (2) Die verbleibenden Daten sind zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung ist die Kennzeichnung durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. Die Daten dürfen nur zu den in SS 5 Abs. 1 Satz 3 genannten Zwecken und für Übermittlungen nach SS 7 Abs. 1 bis 4a und SS 7a verwendet werden. (3) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes dürfen zur Prüfung der Relevanz erfasster Telekommunikationsverkehre auf Anordnung des nach SS 10 Abs. 1 zuständigen Bundesministeriums die erhobenen Daten in einem automatisierten Verfahren mit bereits vorliegenden Rufnummern oder anderen Kennungen bestimmter Telekommunikationsanschlüsse abgeglichen werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie in einem Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich stehen, für den die Überwachungsmaßnahme angeordnet wurde. Zu diesem Abgleich darf der Bundesnachrichtendienst auch Rufnummern oder andere Kennungen bestimmter Telekommunikationsanschlüsse im Inland verwenden. Die zu diesem Abgleich genutzten Daten dürfen nicht als Suchbegriffe im Sinne des SS 5 Abs. 2 Satz 1 verwendet werden. Der Abgleich und die Gründe für die Verwendung der für den Abgleich genutzten Daten sind zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu vernichten. SS7 Übermittlungen durch den Bundesnachrichtendienst (1) Durch Beschränkungen nach SS 5 erhobene personenbezogene Daten dürfen nach SS 12 des BNDGesetzes zur Unterrichtung über die in SS 5 Abs. 1 Satz 3 genannten Gefahren übermittelt werden. (2) Durch Beschränkungen nach SS 5 erhobene personenbezogene Daten dürfen an die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie an den Militärischen Abschirmdienst übermittelt werden, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten erforderlich sind zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, 2. bestimmte Tatsachen den Verdacht sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine fremde Macht begründen oder 3. im Falle des SS 5 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 Nummer 8 tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Angriffe von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Absatz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ausgehen. (3) Durch Beschränkungen nach SS 5 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 Nr. 3 erhobene personenbezogene Daten dürfen an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Kenntnis dieser Daten erforderlich ist 1. zur Aufklärung von Teilnehmern am Außenwirtschaftsverkehr über Umstände, die für die Einhaltung von Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs von Bedeutung sind, oder 409 2. im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung einer ausfuhrrechtlichen Genehmigung oder zur Unterrichtung von Teilnehmern am Außenwirtschaftsverkehr, soweit hierdurch eine Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Gütern begründet wird. (4) Durch Beschränkungen nach SS 5 erhobene personenbezogene Daten dürfen zur Verhinderung von Straftaten an die mit polizeilichen Aufgaben betrauten Behörden übermittelt werden, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand a) Straftaten nach den SSSS 89a, 89b, 89c Absatz 1 bis 4 oder SS 129a, auch in Verbindung mit SS 129b Abs. 1, sowie den SSSS 146, 151 bis 152a oder SS 261 des Strafgesetzbuches, b) vorsätzliche Straftaten nach den SSSS 17 und 18 des Außenwirtschaftsgesetzes, SSSS 19 bis 21 oder SS 22a Abs. 1 Nr. 4, 5 und 7 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder c) Straftaten nach SS 29a Abs. 1 Nr. 2, SS 30 Abs. 1 Nr. 1, 4 oder SS 30a des Betäubungsmittelgesetzes plant oder begeht oder 2. bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine der in SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 7, Satz 2 oder Absatz 1a dieses Gesetzes oder eine sonstige der in SS 100a Absatz 2 der Strafprozessordnung genannten Straftaten plant oder begeht. (4a) Durch Beschränkungen nach SS 5 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 Nummer 8 erhobene personenbezogene Daten dürfen an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten erforderlich sind zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Informationstechnik des Bundes oder zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Sicherheitsrisiken auch für andere Stellen und Dritte. (5) Die Übermittlung ist nur zulässig, soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist. Sind mit personenbezogenen Daten, die übermittelt werden dürfen, weitere Daten des Betroffenen oder eines Dritten in Akten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, ist die Übermittlung auch dieser Daten zulässig; eine Verwendung dieser Daten ist unzulässig. Über die Übermittlung entscheidet ein Bediensteter des Bundesnachrichtendienstes, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Übermittlung ist zu protokollieren. (6) Der Empfänger darf die Daten nur für die Zwecke verwenden, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind. Er prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die übermittelten Daten für diese Zwecke erforderlich sind. SS 4 Abs. 6 Satz 4 und SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 gelten entsprechend. SS 7a Übermittlungen durch den Bundesnachrichtendienst an ausländische öffentliche Stellen (1) Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach SS 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 7 und 8 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit 1. die Übermittlung zur Wahrung außenoder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist, 410 ANHANG 2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und 3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist. Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes. (2) Der Bundesnachrichtendienst darf unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 durch Beschränkungen nach SS 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 7 und 8 erhobene personenbezogene Daten ferner im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit dies zur Erfüllung der in deren Zuständigkeit liegenden Aufgaben erforderlich ist. (3) Über die Übermittlung entscheidet ein Bediensteter des Bundesnachrichtendienstes, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Übermittlung ist zu protokollieren. Der Bundesnachrichtendienst führt einen Nachweis über den Zweck, die Veranlassung, die Aktenfundstelle und die Empfänger der Übermittlungen nach Absatz 1 und 2. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (4) Der Empfänger ist zu verpflichten, 1. die übermittelten Daten nur zu dem Zweck zu verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden, 2. eine angebrachte Kennzeichnung beizubehalten und 3. dem Bundesnachrichtendienst auf Ersuchen Auskunft über die Verwendung zu erteilen. (5) Das zuständige Bundesministerium unterrichtet monatlich die G10-Kommission über Übermittlungen nach Absatz 1 und 2. (6) Das Parlamentarische Kontrollgremium ist in Abständen von höchstens sechs Monaten über die vorgenommenen Übermittlungen nach Absatz 1 und 2 zu unterrichten. SS8 Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland (1) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes dürfen Beschränkungen nach SS 1 für internationale Telekommunikationsbeziehungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Satz 1 angeordnet werden, wenn dies erforderlich ist, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland rechtzeitig zu erkennen oder ihr zu begegnen und dadurch Belange der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar in besonderer Weise berührt sind. (2) Die jeweiligen Telekommunikationsbeziehungen werden von dem nach SS 10 Abs. 1 zuständigen Bundesministerium mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bestimmt. Die Zustimmung 411 bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder. Die Bestimmung tritt spätestens nach zwei Monaten außer Kraft. Eine erneute Bestimmung ist zulässig, soweit ihre Voraussetzungen fortbestehen. (3) Die Anordnung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der Bundesnachrichtendienst darf nur Suchbegriffe verwenden, die zur Erlangung von Informationen über die in der Anordnung bezeichnete Gefahr bestimmt und geeignet sind. SS 5 Abs. 2 Satz 2 bis 6 gilt entsprechend. Ist die Überwachungsmaßnahme erforderlich, um einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für Leib oder Leben einer Person zu begegnen, dürfen die Suchbegriffe auch Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung der Rufnummer oder einer anderen Kennung des Telekommunikationsanschlusses dieser Person im Ausland führen. (4) Der Bundesnachrichtendienst prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die erhobenen personenbezogenen Daten im Rahmen seiner Aufgaben allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten zu dem in Absatz 1 bestimmten Zweck erforderlich sind. Soweit die Daten für diesen Zweck nicht erforderlich sind, sind sie unverzüglich unter Aufsicht eines Bediensteten, der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. SS 6 Abs. 1 Satz 4 und 5, Abs. 2 Satz 1 und 2 gilt entsprechend. Die Daten dürfen nur zu den in den Absätzen 1, 5 und 6 genannten Zwecken verwendet werden. (5) Die erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nach SS 12 des BND-Gesetzes zur Unterrichtung über die in Absatz 1 genannte Gefahr übermittelt werden. (6) Die erhobenen personenbezogenen Daten dürfen zur Verhinderung von Straftaten an die zuständigen Behörden übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass jemand eine Straftat plant oder begeht, die geeignet ist, zu der Entstehung oder Aufrechterhaltung der in Absatz 1 bezeichneten Gefahr beizutragen. Die Daten dürfen zur Verfolgung von Straftaten an die zuständigen Behörden übermittelt werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine in Satz 1 bezeichnete Straftat begeht oder begangen hat. SS 7 Abs. 5 und 6 sowie SS 7a Abs. 1 und 3 bis 6 gelten entsprechend. Abschnitt 4 Verfahren SS9 Antrag (1) Beschränkungsmaßnahmen nach diesem Gesetz dürfen nur auf Antrag angeordnet werden. (2) Antragsberechtigt sind im Rahmen ihres Geschäftsbereichs 1. das Bundesamt für Verfassungsschutz, 2. die Verfassungsschutzbehörden der Länder, 3. der Militärische Abschirmdienst und 4. der Bundesnachrichtendienst durch den Behördenleiter oder seinen Stellvertreter. 412 ANHANG (3) Der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Er muss alle für die Anordnung erforderlichen Angaben enthalten. In den Fällen der SSSS 3 und 8 hat der Antragsteller darzulegen, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. SS 10 Anordnung (1) Zuständig für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen ist bei Anträgen der Verfassungsschutzbehörden der Länder die zuständige oberste Landesbehörde, im Übrigen das Bundesministerium des Innern. (2) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr sind der Grund der Anordnung und die zur Überwachung berechtigte Stelle anzugeben sowie Art, Umfang und Dauer der Beschränkungsmaßnahme zu bestimmen. (3) In den Fällen des SS 3 muss die Anordnung denjenigen bezeichnen, gegen den sich die Beschränkungsmaßnahme richtet. Bei einer Überwachung der Telekommunikation ist auch die Rufnummer oder eine andere Kennung des Telekommunikationsanschlusses oder die Kennung des Endgerätes, wenn diese allein diesem Endgerät zuzuordnen ist, anzugeben. (4) In den Fällen der SSSS 5 und 8 sind die Suchbegriffe in der Anordnung zu benennen. Ferner sind das Gebiet, über das Informationen gesammelt werden sollen, und die Übertragungswege, die der Beschränkung unterliegen, zu bezeichnen. Weiterhin ist festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des SS 5 darf dieser Anteil höchstens 20 vom Hundert betragen. (5) In den Fällen der SSSS 3 und 5 ist die Anordnung auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (6) Die Anordnung ist dem nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 Verpflichteten insoweit mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtungen zu ermöglichen. Die Mitteilung entfällt, wenn die Anordnung ohne seine Mitwirkung ausgeführt werden kann. (7) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet die jeweilige Landesbehörde für Verfassungsschutz über die in deren Bereich getroffenen Beschränkungsanordnungen. Die Landesbehörden für Verfassungsschutz teilen dem Bundesamt für Verfassungsschutz die in ihrem Bereich getroffenen Beschränkungsanordnungen mit. SS 11 Durchführung (1) Die aus der Anordnung sich ergebenden Beschränkungsmaßnahmen sind unter Verantwortung der Behörde, auf deren Antrag die Anordnung ergangen ist, und unter Aufsicht eines Bediensteten vorzunehmen, der die Befähigung zum Richteramt hat. 413 (2) Die Maßnahmen sind unverzüglich zu beenden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind oder die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vorliegen. Die Beendigung ist der Stelle, die die Anordnung getroffen hat, und dem nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 Verpflichteten, dem die Anordnung mitgeteilt worden ist, anzuzeigen. Die Anzeige an den Verpflichteten entfällt, wenn die Anordnung ohne seine Mitwirkung ausgeführt wurde. (3) Postsendungen, die zur Öffnung und Einsichtnahme ausgehändigt worden sind, sind dem Postverkehr unverzüglich wieder zuzuführen. Telegramme dürfen dem Postverkehr nicht entzogen werden. Der zur Einsichtnahme berechtigten Stelle ist eine Abschrift des Telegramms zu übergeben. SS 12 Mitteilungen an Betroffene (1) Beschränkungsmaßnahmen nach SS 3 sind dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurückgestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der Zustimmung der G10-Kommission. Die G10-Kommission bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn die G10-Kommission einstimmig festgestellt hat, dass 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für Beschränkungsmaßnahmen nach den SSSS 5 und 8, sofern die personenbezogenen Daten nicht unverzüglich gelöscht wurden. Die Frist von fünf Jahren beginnt mit der Erhebung der personenbezogenen Daten. (3) Die Mitteilung obliegt der Behörde, auf deren Antrag die Anordnung ergangen ist. Wurden personenbezogene Daten übermittelt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. SS 13 Rechtsweg Gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen nach den SSSS 3 und 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und ihren Vollzug ist der Rechtsweg vor der Mitteilung an den Betroffenen nicht zulässig. 414 ANHANG Abschnitt 5 Kontrolle SS 14 Parlamentarisches Kontrollgremium (1) Das nach SS 10 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständige Bundesministerium unterrichtet in Abständen von höchstens sechs Monaten das Parlamentarische Kontrollgremium über die Durchführung dieses Gesetzes. Das Gremium erstattet dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über Durchführung sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach den SSSS 3, 5, 7a und 8; dabei sind die Grundsätze des SS 10 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (2) Bei Gefahr im Verzug kann das zuständige Bundesministerium die Bestimmungen nach den SSSS 5 und 8 vorläufig treffen und das Parlamentarische Kontrollgremium durch seinen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter vorläufig zustimmen. Die Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist unverzüglich einzuholen. Die Bestimmung tritt außer Kraft, wenn die vorläufige Zustimmung nicht binnen drei Tagen und die Zustimmung nicht binnen zwei Wochen erfolgt. SS 15 G 10-Kommission (1) Die G 10-Kommission besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen muss, und drei Beisitzern sowie vier stellvertretenden Mitgliedern, die an den Sitzungen mit Redeund Fragerecht teilnehmen können. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die Mitglieder der G 10-Kommission sind in ihrer Amtsführung unabhängig und Weisungen nicht unterworfen. Sie nehmen ein öffentliches Ehrenamt wahr und werden von dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach Anhörung der Bundesregierung für die Dauer einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages mit der Maßgabe bestellt, dass ihre Amtszeit erst mit der Neubestimmung der Mitglieder der Kommission, spätestens jedoch drei Monate nach Ablauf der Wahlperiode endet. (2) Die Beratungen der G 10-Kommission sind geheim. Die Mitglieder der Kommission sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Kommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission. (3) Der G 10-Kommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen; sie ist im Einzelplan des Deutschen Bundestages gesondert auszuweisen. Der Kommission sind Mitarbeiter mit technischem Sachverstand zur Verfügung zu stellen. (4) Die G 10-Kommission tritt mindestens einmal im Monat zusammen. Sie gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bedarf. Vor der Zustimmung ist die Bundesregierung zu hören. (5) Die G 10-Kommission entscheidet von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Die Kontrollbefugnis der Kommission erstreckt sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach diesem Gesetz erlangten 415 personenbezogenen Daten durch Nachrichtendienste des Bundes einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene. Der Kommission und ihren Mitarbeitern ist dabei insbesondere 1. Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen, 2. Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Beschränkungsmaßnahme stehen, und 3. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. Die Kommission kann dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. (6) Das zuständige Bundesministerium unterrichtet monatlich die G 10-Kommission über die von ihm angeordneten Beschränkungsmaßnahmen vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann es den Vollzug der Beschränkungsmaßnahmen auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Anordnungen, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das zuständige Bundesministerium unverzüglich aufzuheben. In den Fällen des SS 8 tritt die Anordnung außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter bestätigt wird. Die Bestätigung der Kommission ist unverzüglich nachzuholen. (7) Das zuständige Bundesministerium unterrichtet monatlich die G 10-Kommission über Mitteilungen von Bundesbehörden nach SS 12 Abs. 1 und 2 oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen. Hält die Kommission eine Mitteilung für geboten, ist diese unverzüglich vorzunehmen. SS 12 Abs. 3 Satz 2 bleibt unberührt, soweit das Benehmen einer Landesbehörde erforderlich ist. SS 16 Parlamentarische Kontrolle in den Ländern Durch den Landesgesetzgeber wird die parlamentarische Kontrolle der nach SS 10 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständigen obersten Landesbehörden und die Überprüfung der von ihnen angeordneten Beschränkungsmaßnahmen geregelt. Personenbezogene Daten dürfen nur dann an Landesbehörden übermittelt werden, wenn die Kontrolle ihrer Verarbeitung und Nutzung durch den Landesgesetzgeber geregelt ist. Abschnitt 6 Strafund Bußgeldvorschriften SS 17 Mitteilungsverbote (1) Wird die Telekommunikation nach diesem Gesetz oder nach den SSSS 100a, 100b der Strafprozessordnung überwacht, darf diese Tatsache von Personen, die Telekommunikationsdienste erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. (2) Wird die Aushändigung von Sendungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 angeordnet, darf diese Tatsache 416 ANHANG von Personen, die zur Aushändigung verpflichtet oder mit der Sendungsübermittlung betraut sind oder hieran mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. (3) Erfolgt ein Auskunftsersuchen oder eine Auskunftserteilung nach SS 2 Abs. 1, darf diese Tatsache oder der Inhalt des Ersuchens oder der erteilten Auskunft von Personen, die zur Beantwortung verpflichtet oder mit der Beantwortung betraut sind oder hieran mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. SS 18 Straftaten Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen SS 17 eine Mitteilung macht. SS 19 Ordnungswidrigkeiten (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. einer vollziehbaren Anordnung nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 oder 3 zuwiderhandelt, 2. entgegen SS 2 Abs. 2 Satz 2 eine Person betraut oder 3. entgegen SS 2 Abs. 2 Satz 3 nicht sicherstellt, dass eine Geheimschutzmaßnahme getroffen wird. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzehntausend Euro geahndet werden. (3) Bußgeldbehörde im Sinne des SS 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die nach SS 10 Abs. 1 zuständige Stelle. Abschnitt 7 Schlussvorschriften SS 20 Entschädigung Die nach SS 1 Abs. 1 berechtigten Stellen haben für die Leistungen nach SS 2 Abs. 1 eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes bemisst. In den Fällen der SSSS 5 und 8 ist eine Entschädigung zu vereinbaren, deren Höhe sich an den nachgewiesenen tatsächlichen Kosten orientiert. SS 21 Einschränkung von Grundrechten Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch dieses Gesetz eingeschränkt. 417 Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Redaktionsschluss: 25. April 2017 Satz und Druck: Lausitzer Druckhaus GmbH Auflage: 2.500 Stück Bezug: Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden beim: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60, 01129 Dresden Telefon: +49 351 85850 Telefax: +49 351 8585500 E-Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Verteilerhinweis: Diese Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung Würde des Men im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. nantastbar Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken wehrhafte Demokratie oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zur Verwendung bei der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, Schutz der freiheitlichen dem rundordnung dass dies als Parteinahme des Herausgebers zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, diese Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. Copyright Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszügen und der fotomechanischen Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten.