Lagebild Verfassungsschutz 2015 Ministerium für Inneres und Sport INHALTSVERZEICHNIS Vorwort Innenminister Klaus Bouillon .................................................................4 I. Der Verfassungsschutz im Saarland ...............................................6 1. Gesetzliche Grundlage ..........................................................................................6 2. Beobachtungsaufgaben des Verfassungsschutzes .....................................6 3. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes......................... 7 4. Kontrolle des Verfassungsschutzes..................................................................8 5. Aufbauorganisation des LFV Saarland .............................................................9 II. Beobachtungsbereich Rechtsextremismus 2015 .................... 10 1. Allgemeines...........................................................................................................10 1.1 Ideologie.................................................................................................................10 1.2 Entwicklung, Tendenzen ...................................................................................11 1.3 Personenpotential ......................................................................................13 1.4 Politisch motivierte Kriminalität mit rechtsextremistischem Hintergrund ..............................................................14 2. Einzelaspekte 2.1 Organisierter Rechtsextremismus ..................................................................16 2.1.1 Rechtsextremistische Parteien ........................................................................16 2.1.1.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ..............................16 2.1.1.2 Partei "Die Rechte"...............................................................................................23 2.1.2 Sonstige Zusammenschlüsse und Projekte ................................................24 2.1.2.1 "Der Stahlhelm e.V." -Landesverband Saar (Stahlhelm) .........................24 2.1.2.2 "Aktion Schwarze Kreuze" ................................................................................24 2.2 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und gewaltorientierte Rechtsextremisten, insbesondere Skinhead-/Kameradschafts-Szene ................................................................25 2.2.1 Skinhead-Subkultur / "Hammerskins" (HS) ................................................25 2.2.2 Kameradschaften ................................................................................................26 2.2.2.1 "Kameradschaft 13. Januar" .............................................................................26 2.2.2.2 "Kameradschaft Sturmdivision Saar" ............................................................27 2.3 Rechtsextremistische Musikszene und Veranstaltungen im Saarland ..........................................................................28 2.4 Nutzung neuer Medien - Saarländische Rechtsextremisten online .....28 III. Beobachtungsbereich Linksextremismus 2015 ........................29 1. Allgemeines...........................................................................................................29 1.1 Ideologie.................................................................................................................29 1.2 Entwicklung / Tendenzen .................................................................................30 1.3 Personenpotential ...............................................................................................30 1.4 Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) .........................................................31 2. Einzelaspekte ........................................................................................................32 2.1 Organisierter Linksextremismus .....................................................................32 2 2.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ......................................................33 2.1.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)...........................34 2.2. Gewaltorientierter Linksextremismus ...........................................................34 2.2.1 Autonome Szene .................................................................................................34 2.2.2 Antiimperialistische Szene ...............................................................................44 IV. Beobachtungsbereich Ausländerextremismus (Ohne Islamismus/Islamistischer Terrorismus) ................... 46 1. Allgemeines...........................................................................................................46 1.1 Ideologie.................................................................................................................46 1.2 Entwicklung / Tendenzen .................................................................................47 1.3 Personenpotential ...............................................................................................47 1.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) .........................................................48 2. Einzelaspekte ........................................................................................................49 2.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ...................................................................49 2.1.1 Allgemeine Lage, Entwicklung .........................................................................49 2.1.2 Struktur ..................................................................................................................53 2.1.3 Veranstaltungen / Aktivitäten der saarländischen Anhängerschaft.....54 2.2 "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) .....................................................57 V. Islamismus / islamistischer Terrorismus ................................ 59 1. Allgemeines...........................................................................................................59 1.1 Ideologie.................................................................................................................59 1.2 Entwicklung / Tendenzen .................................................................................60 1.3 Personenpotential ...............................................................................................62 2. Einzelaspekte ........................................................................................................63 2.1 Islamistischer Terrorismus ...............................................................................63 2.2 Islamismus im Saarland....................................................................................64 VI. Spionage-/ Sabotageabwehr, Wirtschaftsschutz 2015 ... 66 VII. Organisierte Kriminalität ....................................................... 70 3 Klaus Bouillon Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Terroranschläge in Paris und Brüssel haben uns erneut gezeigt, dass die Gefahr terroristischer islamistischer Bedrohungen auch in Europa gegenwärtig ist. Der religiöse Fanatismus des sog. "Islamischen Staates" und anderer islamistischer Gruppen hat auch zum Ziel, terroristisches Gedankengut und in der Folge auch Anschlags-Szenarien nach Europa zu tragen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass terroristische Gefahren auch von fanatisierten Einzeltätern oder Kleingruppen ausgehen können; eine Tatsache, die die Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen stellt. Ebenso muss das Augenmerk darauf gelegt werden, ob jihadistische Kämpfer möglicherweise mit dem Flüchtlingsstrom einreisen wollen. Obwohl Deutschland nach wie vor zu den sichersten Ländern der Welt zählt, erfordert die Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine ständige Wachsamkeit der mit der Sicherheit unseres Landes zuständigen Behörden. Das Saarländische Landesamt für Verfassungschutz übernimmt hier im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags eine wichtige Aufgabe zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit. Im Saarland ist eine Zunahme rechtsextremistisch motivierter, ausländerfeindlicher Straftaten zu verzeichnen. Die rechtsextremistische Szene hat auch die Flüchtlingsproblematik zum Anlass genommen, mit einer Vielzahl von demonstrativen Aktionen ihre Parolen zu verbreiten, was auch zu verstärkten Gegenreaktionen nicht zuletzt aus dem linksextremistischen politischen Spektrum geführt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz fokussiert seine Beobachtungsaufgaben auf all diese Bereiche und nimmt damit seine Funktion als Frühwarnsystem der Demokratie durch Erkennen extremistischer Gefahren wahr. 4 Das jetzt vorliegende Lagebild Verfassungschutz für das Jahr 2015 schafft Transparenz über die Arbeit des saarländischen Verfassungsschutzes und dokumentiert eindrucksvoll die umfangreichen Recherchen und Erkenntnisse der Behörde. Abschließend bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des saarländischen Landesamtes für Verfassungschutz für die geleistete gute Arbeit im Dienste unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Klaus Bouillon Minister für Inneres und Sport 5 I. Der Verfassungsschutz im Saarland 1. Gesetzliche Grundlage Die wichtigste gesetzliche Handlungsgrundlage für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ist das Saarländische Verfassungsschutzgesetz (SVerfSchG). Eingriffe in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger unterliegen den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts sowie der Verhältnismäßigkeit und sind gerichtlich nachprüfbar. 2. Aufgaben 2.1 Beobachtungsaufgaben Die zentralen Aufgaben des LfV sind im SS 3 Abs. 1 SVerfSchG zusammengefasst. Hiernach beobachtet das LfV * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, * Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Die Beobachtung durch das LfV erfolgt durch gezielte planmäßige Sammlung und Auswertung von Informationen. Die Auswertungsergebnisse werden dem Ministerium für Inneres und Sport regelmäßig und umfassend übermittelt, um die Landesregierung in die Lage zu versetzen, Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne von Absatz 1 zutreffend beurteilen zu können und entsprechende Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Darüber hinaus dient die Übermittlung auch der Aufklärung der Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2.2 Mitwirkungsaufgaben Neben den beschriebenen Beobachtungsaufgaben hat der Verfassungsschutz noch sogenannte Mitwirkungsaufgaben. So wirkt das LfV auf Er- 6 suchen der zuständigen öffentlichen Stellen nach SS 4 SVerfSchG ferner mit bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen sowie bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen, die im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftig sind. Die Befugnisse des LfV im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen sind im "Saarländischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz" geregelt. Zu den weiteren Aufgaben des LfV zählt u. a. die Beantwortung von Anfragen der zuständigen Stellen im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 7 Luftsicherheitsgesetz und nach SS 12 b Atomgesetz, im Rahmen des Visumverfahrens und bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen nach SS 73 Aufenthaltsgesetz sowie im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens. 3. Arbeitsweise Die Informationsgewinnung des LfV erfolgt sowohl in offener wie auch in verdeckter Form. Bei der offenen Beschaffung von Informationen werden aus offen zugänglichen Quellen, die in der Regel auch jedem Bürger zur Verfügung stehen (Printmedien wie z. B. Zeitungen, Zeitschriften, Plakate, Flugblätter etc. sowie elektronische Medien wie z.B. Internet, Rundfunk, Fernsehen etc.) Informationen erhoben. Darüber hinaus darf das LfV auch Informationen mit nachrichtendienstlichen Mittel verdeckt erheben. Hierzu zählen die in SS 8 SVerfSchG aufgeführten Mittel wie z. B. das Führen verdeckt eingesetzter Personen, die planmäßige Observation, Bildund Tonaufzeichnungen sowie nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Der Verfassungsschutz trägt als wichtige Säule der deutschen Sicherheitsarchitektur mit dazu bei, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten. Deshalb arbeitet das LfV im Verfassungsschutzverbund mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz sowie den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz eng und vertrauensvoll zusammen. Das LfV hat keine polizeilichen Befugnisse und ist auch gegenüber polizeilichen Einrichtungen nicht weisungsbefugt. Es darf auch nicht die Polizei im Rahmen der Amtshilfe ersuchen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Dies schließt jedoch einen kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus. Das oben beschriebene Trennungsgebot beinhaltet kein Zusammenarbeitsverbot. Gerade vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit festgestellten Defizite im Austausch von Informationen zwischen Nachrichtendiensten, Polizei und Justiz wurden verschiedene Zusammenarbeitsforen eingerichtet, die sich bis heute bewährt haben. Hierzu zählt insbesondere das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin, das der Aufklärung und Abwehr des islamistisch motivierten Terrorismus dient. Das GTAZ hat maßgeblich zu einem verbesserten Informationsfluss zwischen den beteiligten Behörden beige- 7 tragen. Um dies auch auf andere Phänomenbereiche zu übertragen, wurde das "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) gegründet, das seinen Standort mittlerweile in Köln hat. Schwerpunkt der dortigen Zusammenarbeit ist die Bekämpfung des Rechts-, Links und des sonstigen Ausländerextremismus, der nicht islamistisch motiviert ist, sowie die Spionageabwehr. Auch im Saarland wird im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten ein enger Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden praktiziert. So arbeitet das LfV im Wege des Informationsaustausches eng und vertrauensvoll mit dem Landespolizeipräsidium zusammen. 4. Kontrolle Der Verfassungsschutz ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden. Sein Verwaltungshandeln ist wie bei allen anderen Behörden gerichtlich nachprüfbar. Über die innerbehördlichen Kontrollmechanismen (z. B. behördlicher Datenschutzbeauftragter, Geheimschutzbeauftragter) und die Dienstund Fachaufsicht durch das saarländische Ministerium für Inneres und Sport hinaus wird die Tätigkeit des LfV fortlaufend überwacht durch * den Landtagsausschuss für Fragen des Verfassungsschutzes, gleichzeitig auch Kontrollgremium des Landtages nach G 10, * die G10-Kommission des Landtages, bei Anordnungen zur Telekommunikationsüberwachung, * richterliche Kontrolle bei Maßnahmen im Schutzbereich des Art. 13 GG, * die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, * den Rechnungshof des Saarlandes. Das LfV ist darüber hinaus auf Antrag verpflichtet, anfragenden Bürgerinnen und Bürgern Auskunft zu den zu ihrer Person gespeicherten Daten zu geben (SS 21 SVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn ein in Absatz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich genannter Verweigerungsgrund vorliegt. In einem solchen Ausnahmefall werden die Anfragenden darauf hingewiesen, dass sie die Richtigkeit der Speicherungen durch die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit überprüfen lassen können. Selbstverständlich unterliegen Maßnahmen des LfV, hinsichtlich derer Betroffene geltend machen, in ihren Rechten verletzt zu sein, auch der gerichtlichen Kontrolle. 8 5. Aufbauorganisation des LfV Saarland Direktor Sicherheits-angelegenheiten, IT-Sicherheit, des LfV Spionage- / Sabotageund Wirtschftsschutz, G10-Stelle Behördlicher DatenschutzPoliferation beauftragter Abteilung Z Abteilung I Abteilung II Zentralabteilung Auswertung Beschaffung Referat 1: Grundsatz und Beschaffung Personal Referat 1: Auswertung dt. Linksextremismus, sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern, Referat 2: Einbürgerungen, Verwaltung Aufenthaltsangelegenheiten Nachrichten Haushalt und und Scientologydienstliche InformationsOrganisation Internetaufklätechnik rung Referat 2: Auswertung dt. RechtextreOrganisierte mismus Kriminalität Referat 3: Auswertung Islamismus / Islamistischer Terrorismus ND-Technik Tarnmittel 9 II. RECHTSEXTREMISMUS 1. Allgemeines 1.1 Ideologie Der Rechtsextremismus in Deutschland ist ein äußerst heterogenes Gebilde. Dies gilt zunächst mit Blick auf die organisatorische Ebene, die ein breit gefächertes Spektrum aus Parteien, Vereinen, Kameradschaften, informellen Personenzusammenschlüssen, Subkulturen, Verlagen, Medien und Einzelaktivisten aufweist, die rechtsextremistisches Gedankengut vertreten. Diese Zersplitterung steht zu einem großen Teil für die weltanschauliche Vielgestaltigkeit der Szene, deren Gliederungen teils sehr unterschiedlichen Strömungen mit uneinheitlichen Ideologiefragmenten zuzurechnen sind. Gleichwohl sind mehrere Themenfelder auszumachen, bei denen Rechtsextremisten im Grundsatz übereinstimmen. Einige dieser Fixpunkte können auch als Triebfeder und Katalysatoren für die im vergangenen Jahr festzustellende menschenverachtende Agitation von Rechtsextremisten im Zusammenhang mit den in der Bundesrepublik Deutschland Schutz suchenden Asylbewerbern und Flüchtlingen herangezogen werden. Ausgangspunkt ist dabei der bei Rechtsextremisten vorherrschende Gedanke, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimme den "Wert" eines Menschen. Andere Werte und Interessen, damit auch die Rechte des Einzelnen, sind dem untergeordnet. Eine Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit und eine gegen die Menschenwürde und den Gleichheitssatz des Grundgesetztes verstoßende Fremdenfeindlichkeit - gegebenenfalls auch in der "modernen" Ausformung Islamfeindlichkeit - sind daher bei allen Rechtsextremisten festzustellen. Zusätzliches Klammerelement kann das autoritäre Staatsverständnis sein, nach dem der Staat und das nach der Vorstellung der Rechtsextremisten ethnisch homogene Volk als "natürliche Ordnung" eine Einheit bilden. Tatsächlich lässt diese Ideologie der "Volksgemeinschaft" den wesentlichen Kontrollelementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keinen Raum und negiert die generelle Gleichheit der Menschen bzw. wertet diese als höheroder minderwertig. Weitere wichtige Bindeglieder zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen sind insbesondere die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen sowie die aggressive Agitation gegen die parlamentarische Demokratie und deren Repräsentanten. 10 1.2 Entwicklung / Tendenzen 2015 zeigten Rechtsextremisten im Saarland ein deutlich anderes Auftreten im öffentlichen Raum als in den Vorjahren. Nie zuvor war die Szene außerhalb von Wahlkampfzeiten sowohl auf der Straße als auch im Internet so aktiv und kreativ. Ursache hierfür war die politisch wie medial dominierende Flüchtlingsproblematik. Diese Thematik bot zwar eine gemeinsame Basis für das rechtsextremistische Agitieren, offensichtlich ließ die Heterogenität auch der saarländischen Szene aber ein gemeinsamens Strategiekonzept für ein geschlossenes Vorgehen aller rechtsextremistischer Organisationen/ Personen nicht zu. Auch die szeneintern aufkeimende Hoffnung, gesellschaftspolitisch anknüpfen und eine nachhaltige Akzeptanz aus dem Kreis der "besorgten Bürgerinnen und Bürger" erfahren zu können, erfüllte sich nicht. Schon im Frühjahr war der Themenkomplex "Asyl und Flüchtlinge" zunehmend in das Aktionsspektrum der rechtsextremistischen Szene gerückt. Vor allem die NPD sah sich veranlasst, ihre diesbezüglichen Positionen wie beispielsweise "Kein Asyl für Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan!" und "Deutschland ist kein Einwanderungsland!" zu verbreiten und die "konsequente Abschiebung von Asylbetrügern und Sozialtouristen" zu fordern. Wie schon in den Vorjahren blieb die Saar-NPD mit rund 90 Mitgliedern die personenstärkste und aktivste Organisation der rechtsextremistischen Szene des Saarlandes. Erstmals erkennbar wurden allerdings Bemühungen der lagerinternen Konkurrenzpartei "Die Rechte", hier Fuß zu fassen. Querelen bei den Nationaldemokraten dürften die Entwicklung begünstigt haben, setzte sich doch in diesem Stadium die Anhängerschaft der Partei "Die Rechte" für das Saarland neben ehemaligen Aktivisten der regionalen Kameradschaftsszene vornehmlich aus Ex-Kadern und Mitläufern der NPD zusammen. Nachdem zum Jahresbeginn der NPD-Bundesvorsitzende Frank F. in seiner via Internet verbreiteten Neujahrsbotschaft 2015 dazu aufgefordert hatte, gegen die "gleichgeschaltete Politikund Medienkaste" sowie "gehirngewaschene Gutbürger" zu opponieren, die Wut auf die Straße zu tragen und sich an stattfindenden Protesten und Demonstrationen zu beteiligen, versuchte auch die Saar-NPD, sich als "Stimme der unterdrückten Mehrheit sowie der Opfer einer linken Meinungsdiktatur" zu positionieren; mit den Themen Islam, Asyl/Flüchtlinge und EU-Bürokratie/Euro sowie anti-amerikanischen Tönen suchte sie die Öffentlichkeit. Dies geschah zum einen unter eigener Flagge, zum anderen im Mantel der Gruppierung "Saarländer gegen Salafisten" (SageSa), um so Berührungsängste der Bevölkerung gegenüber der Partei abbauen und das eigene Wirkungspotenzial steigern zu können. Dieses taktische Manöver, mit einer vermeintlich parteipolitisch neutralen und 11 an den Interessen der einheimischen Bevölkerung orientierten Gruppierung Vorbehalte gegenüber der NPD umgehen zu können, misslang allerdings. Tatsächlich wurde der NPD-Hintergrund früh enttarnt, und es kam in der Folge zu Protestaktionen des bürgerlichen Lagers und der linksextremistischen autonomen "Antifa-Szene" bei entsprechenden SageSa-Auftritten. Zudem gelang es SageSa nicht, kontinuierlich spektrumsund organisationsübergreifend für die eigenen Aktionen zu mobilisieren. So blieb es bei der sporadischen Beteiligung einiger weniger Kameradschaftsangehöriger sowie Hooligans/Ultras der Fußballszene an den Veranstaltungen mit maximal bis zu 100 Teilnehmern. Neben der Flüchtlingsproblematik nutzte vor allem die NPD auch andere Punkte der öffentlichen Diskussion in ihrem Sinne und griff verstärkt "weiche" Themen auf, um mit ihren plakativen Antworten und Forderungen möglichst gesellschaftspolitische Akzeptanz zu erreichen. Beispielhaft erwähnt seien die Themen: * Umgang mit rechtskräftig verurteilten Sexualstraftätern ("Wir verabscheuen Pädophile und Du?"), * Prostitution/Straßenstrich ("Je schöner das Wetter, je weniger bekleidet sind die rumänischen Liebesdienerinnen"), * Tierschutz ("Ein Tier ist kein Gegenstand-Wir fordern: Tierquäler härter bestrafen"), * Drogen ("Weg mit dem Crystal-Dreck") und * NSA ("Schluss mit der US-Spionage"). Andere Bereiche der rechtsextremistischen Szene des Saarlandes, allen voran die "Hammerskins" (HS) und Kameradschaften, agierten mehr im Verborgenen. Politisch-strategische Ausrichtungen waren bei ihnen nicht erkennbar. Auch wurden keine Kampagnen initiiert, obwohl Themen wie Globalisierung, Banken-/Griechenlandkrise und Islamisierung/Flüchtlinge aus rechtsextremistischer Sicht geradezu dazu einluden. Parallel zur Diskussion um die Flüchtlings-/Asylproblematik stiegen die Fallzahlen der "politisch motivierten Kriminalität" (PMK) in neue Höhen. Gleichwohl ist diese spezielle Entwicklung nur bedingt geeignet für eine (Neu-) Bewertung der bis dahin umrissenen rechtsextremistischen Szene. So entstammen die festgestellten Täter nur in wenigen Fällen dem bekannten gefestigten Personenpotenzial des regionalen rechtsextremistischen Spektrums. Beispielsweise hatten 84 % der Tatverdächtigen keinen verfassungsschutzrelevanten Vorlauf. Hinweise auf eine Steuerung oder Koordinierung dieser Straftaten durch Angehörige der hiesigen rechtsextremistischen Szene fielen ebenfalls nicht an. Trotz gestiegener Gewaltdelikte war auch keine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei den bekannten Angehörigen 12 der hiesigen rechtsextremistischen Szene zu verzeichnen. So hatten die im Rahmen der Ermittlungen zu den neun fremdenfeindlichen Gewalttaten bekannt gewordenen Tatverdächtigen alle keine verfassungsschutzrelevanten Vorläufe. Diese Feststellung konnte schon in den Vorjahren bei den bekannt gewordenen PMK-Tatverdächtigen getroffen werden. 1.3 Personenpotenzial Die Zahl der erkannten Rechtsextremisten im Saarland ist mit insgesamt 290 Personen im Vergleich zum Vorjahr (280) leicht angestiegen. Davon werden nach wie vor 40 Personen als gewaltorientiert eingestuft, bei rund 20 Personen ist eine neonazistische Ausrichtung zu erkennen (2014: 25). Entwicklung des rechtsextremistischen Personenpotenzials innerhalb der letzten fünf Jahre: 13 1.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit rechtsextremistischem Hintergrund Die Gesamtzahl der bekannt gewordenen rechtsextremistisch motivierten Straftaten erreichte mit 226 ein historisches Hoch und überstieg die Marke des Vorjahres (168) um rund 34,5 %. Propagandadelikte und Volksverhetzungen machten - wie seit Jahren festzustellen - mit rund 86 % (Vorjahr: 90 %) den überwiegend Anteil dieser Straftaten aus. Die Zahl der darin enthaltenen rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg von zwei auf dreizehn. Hierbei handelte es sich um zwölf situativ bedingte Körperverletzungsdelikte und ein Brandstiftungsdelikt. Davon hatten sieben eine fremdenfeindliche Ausrichtung. Mit Blick auf die asyl-/flüchtlingsfeindliche Agitation der rechtsextremistischen Szene ist festzuhalten, dass von den 64 fremdenfeindlichen Straftaten im Saarland zwölf (darunter vier Gewaltdelikte) direkte objektbzw. personenbezogene Bezüge zu Flüchtlingsunterkünften hatten. Siebzehn weitere fremdenfeindliche Straftaten (darunter ein Gewaltdelikt) betrafen das Thema Flüchtlinge indirekt. Entwicklung der Straftatenzahlen innerhalb der letzten fünf Jahre: 14 Die Verteilung nach Zielrichtung der Straftaten ergibt folgendes Bild: Straftaten nach Zielrichtungen: Im Sachzusammenhang ist zu ergänzen: - Die umfangreichen Aufklärungsarbeiten von Gerichten, Parlamenten und Sicherheitsbehörden zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) und seinen Aktivitäten erbrachten bisher keine Hinweise auf eine Einbindung hier ansässiger Rechtsextremisten. - Auch die erneuten Recherchen im Zuge der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Mordes anlässlich des Sprengstoffanschlages auf dem Oktoberfest in München am 26. September 1980 erbrachten bisher keine Hinweise auf eine Einbindung hier ansässiger Rechtsextremisten. 15 2. Einzelaspekte 2.1 Organisierter Rechtsextremismus 2.1.1 Rechtsextremistische Parteien 2.1.1.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Struktur/Organisation Nach einer Eigendarstellung verfügt die Saar-NPD über die drei Kreisverbände Saarbrücken, Saar-West und Saarpfalz sowie über vier Ortsverbände in den Saarbrücker Stadtteilen Burbach, Malstatt-St. Johann und Schafbrücke sowie in Völklingen. Der beschränkte Umfang der jeweils erkennbarer Aktivitäten und der ebenso überschaubare Kreis der tatsächlich aktiven Mitglieder lassen aber an der Arbeitsfähigkeit auf allen Strukturebenen zweifeln. Nach außen deutlich erkennbare Alleingänge und Störmanöver maßgeblicher Parteikader sprechen zudem nicht für einen inneren Zusammenhalt insbesondere auf der Führungsebene des Landesverbandes. So trat der ein und derselbe Personenkreis sowohl unter dem Label NPD als auch mit neuen Namenskreationen auf (z. B. "Bündnis Saar") oder betätigte sich beim Aufbau von Regionalstrukturen der lagerinternen Konkurrenzpartei "Die Rechte". An der Besetzung der bei der letzten Wahl durch die NPD erzielten fünf Mandate in saarländischen Kommunalparlamenten (Regionalversammlung Saarbrücken, Stadträte Saarbrücken und Völklingen, Bezirksrat Saarbrücken-West und Ortsrat Völklingen) änderte sich nichts, nachdem Mitte März der NPD-Bundesvorsitzende F. sein Stadtratsmandat in Völklingen niedergelegt hatte. Für ihn rückte ein Mitglied nach, das auch das einzige NPDMandat im Ortsrat Völklingen inne hat. Angesichts fehlender eigener Aktivitäten vor Ort bzw. mangels Hinweisen auf eine personelle Ausgestaltung ist darüber hinaus weiter davon auszugehen, dass die NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) 2015 nicht über Organisationsstrukturen im Saarland verfügte. Einem existierenden Facebook-Profil fehlte die Kontinuität bei der Pflege. Mitgliederpflege/-schulung Auch 2015 lud die Saar-NPD zur Teilnahme an ihren traditionellen Terminen Neujahrsempfang, politischer Aschermittwoch und Weihnachtsfeier 16 ein. So fanden sich rund 50 Personen zum Neujahrsempfang am 31. Januar im Festsaal des Saarbrücker Schlosses ein. Gast war der ehemalige NPDParteivorsitzende und NPD-Europaabgeordnete Udo V. (Berlin). In einem mit Bildern unterlegten Artikel berichtete das NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" in seiner März-Ausgabe von einem "gelungenen Neujahrsempfang im Saarbrücker Schloß". Der "politische Aschermittwoch" fand am 18. Februar in Saarbrücken-Schafbrücke (Festhalle) statt. Gastredner vor rund 70 Besuchern war der NPD-Bundesorganisationsleiter und Vorsitzende des Berliner NPD-Landesverbandes. Für das musikalische Rahmenprogramm sorgte die Berliner Szeneband "A3stus". Gast der Weihnachtsfeier am 19. Dezember in einem Hotel in Saarbrücken-Fechingen war der Revisionist und Ex-NPD-Parteivorsitzende Günter D. (Weinheim). Hieran beteiligten sich bis zu 60 Personen, darunter auch mehrere Kinder. Am 6. März referierte der Pressesprecher des NPD-Landesverbandes Berlin im Rahmen einer Rechtsschulung zum Thema "Verhalten vor Polizei und Justiz" in einer Gaststätte in Saarbrücken-Burbach. Weitere nennenswerte regionalpolitische Aktivitäten Nicht zuletzt auf Grund der SageSa-Aktionen war bei der Saar-NPD im vergangenen Jahr eine deutliche Dynamik der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten - außerhalb von Wahlkampfzeiten - zu verzeichnen. Im Frühjahr intensivierten die Nationaldemokraten die öffentlichen Auftritte der von NPD-Kadern maßgeblich gesteuerten SageSa. Es begann mit der Anmeldung wöchentlicher Montagsdemonstrationen für den Zeitraum 19. Januar bis 28. Dezember 2015 in Saarbrücken. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben allerdings nicht. Stattdessen beteiligten sich SageSa/NPD-Aktivisten zunächst am 19. Januar an dem Saarbrücker Aufzug des PEGIDAAblegers Saargida (kein Beobachtungsobjekt des LfV Saarland). Die von Saargida bereits angemeldeten 26. Januar und 2. Februar wurden abgesagt und schließlich alle weiteren Termine gecancelt. Mit einem "Abendspaziergang" am 2. März in Sulzbach, an dem sich rund 60 Personen beteiligten, startete SageSa neu. Deklariert wurde die Aktion als Protest gegen eine als "Anlaufstelle für Salafisten" bezeichnete örtliche Moschee. Mitgeführte Transparente trugen die Aufschriften: "Saarländer gegen Salafisten", "Der Islam gehört zum Saarland, wie der Schwenker zum Veganer" und "Heute tolerant - Morgen fremd im eigenen Land". 17 Datum Ort: Teilnehmerzahl | 23.03.2015 Neunkirchen 30 | 30.03.2015 Völklingen 50 13.04.2015] Saarbrücken-Burbach. so 20.04.2015| Saarbrucken-Burbach 70 27 04.2015] Saarbrücken-Malstatt 40 04.05.2015 Saarbrücken-Burbach/Malstatt so | 11.05.2015 Puttlingen 30 18.05.2015| Lebach 50 01.06.2015| Saarbrücken-Dudweiler 25 06.07 2015| Bous 20 | 5.10.2015 Saarbrücken-Dudweiler 40 | 19 10.2015 Saarbrücken-Dudweler bs zu 100 | 23.10.2015 Saarbrucken so 09 11.2015| Sulzbach 50 16.11.2015| Saarbrücken 70 21.11.2015| Saarbrücken-Burbach 15 Datum [ort: Teilnehmerzahl 09.03.2015| Saarbrücken-St Johann 15 | 26.04.2015 Saarbrücken-Dudweler & 15.06.2015| Saarbrücken-Brebach 15 19.06.2015| Saarbrücken-Altenkessel 13 29.06.2015 Merzigt 11 13.07.2015| Saarbrucken 25 20.07.2015| Homburg 9 20.07 2015| Saarbrücken 20 03.08.2015| Saarbrucken 15 10.08.2015| Neunkirchen 10 17 08.2015| Saarbrücken-Malstatt 15 31.08.2015| Saarlous 10 06.09.2015| Bous 3 06.09.2015 Völklingen 2 07 09.2015 Saarlouns 10 12.09.2015 Völklingen | E 14.09.2015| Lebach 5 16.09.2015] Neunkirchen 12 21.09.2015| Saarbrücken-Burbach 10 | 28.09.2015 Völklingen-Wehrden 14 | 08.10.2015 Saarbrücken-Klarenthal E 16.10.2015 Namborn 4 18.11.2015| Homburg 5 07 12.2015| Saarbrücken(vor Europa-Galenie) 15 13 12.2045| Saarbrücken(vor Europa-Galenie) & 28.12.2015| Saarbrücken-Burbach 3 Angemeldete bzw. geplante und von SageSa abgesagte bzw. nicht durchgeführte Aktionen (vgl. nachfolgende Tabelle) Des Weiteren war man bemüht, mit rein geselligen Veranstaltungen auch den inneren Zusammenhalt zu festigen. Dies geschah u. a. mit Grillfeiern am 6. April am Burbacher Weiher (80 Personen, darunter 30 Kinder), am 1. Mai am Schwarzenbergturm in St. Johann (50 Personen) und am 25. Mai wieder am Burbacher Weiher (15 Personen). Mit Erreichen einer gewissen Kontinuität im aktionistischen Bereich legte SageSa dann bei der eigenen organisatorischen Infrastruktur nach und gründete am 14. Mai in Heusweiler den gleichnamigen Verein. Als dessen Sprecher wurde u. a. ein ehemaliger NPD-Funktionär aus Völklingen benannt. In einer via Facebook verbreiteten Presseerklärung verlautete ergänzend, die Eintragung ins Vereinsregister stehe bevor; sie wurde jedoch nicht realisiert. Stagnierende bis abnehmende Teilnehmerzahlen und das Ausbleiben der erhofften Resonanz in der Bevölkerung führten zu Beginn der zweiten Jahreshälfte zu einem lagerinternen Bedeutungsverlust. Kurz sah es aus, als steuere SageSa dem Ende entgegen. Doch mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen kam SageSa zurück und war bestrebt, provokativer zu agieren, um öffentlich wahrgenommen zu werden. So wurden u. a. das traditionelle Schülerferienfest des "Saarländischen Rundfunks" (SR) am 24. Juli und das Wohnumfeld eines Saarbrücker Pfarrers, der seit Jahren Proteste gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene initiiert, für propagandistische Auftritte genutzt. Parallel dazu wurde versucht, mit Auftritten von "Szenegrößen" Zugkraft zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund dürften für die weitere Entwicklung von SageSa Rahmenbedingungen wie steigende 20 Flüchtlingszahlen oder islamitisch-terroristische Aktivitäten in Deutschland mitentscheidend sein. Parallel zu den voran geschilderten "verdeckten" Aktivitäten trat die SaarNPD nur mit wenigen eigenen Aktionen öffentlich in Erscheinung. Hierzu gehörten drei Mahnwachen unter dem Motto "Genug ist genug - Schluss mit dem Asylbetrug" am 11. April auf dem Burbacher Markt sowie am 31. Juli und 17. August auf dem Neunkircher Stummplatz mit Teilnehmerzahlen zwischen drei und fünfzehn. Ergänzend betrieben die saarländischen Nationaldemokraten im abgelaufenen Jahr fünf Informationsstände in den Saarbrücker Stadtteilen Burbach (27. Juni, 02. Oktober und 17. Dezember), Dudweiler und Malstatt (22. August), bei denen auch themenbezogene Flugblätter der Berliner Parteizentrale verteilt wurden. Hieran beteiligten sich zwischen drei und sieben Aktivisten. Am 23. September stellte Saar-NPD-Chef Peter M. im Rahmen einer Pressekonferenz im Saarbrücker Schloss, an der allerdings keine Vertreter öffentlicher Medien teilnahmen, eine "Saarbrücker Erklärung" unter dem Motto "Deutschland ist kein Einwanderungsland" vor. Mit diesem Gegenentwurf zur sogenannten "Lebacher Erklärung", die beim ersten Integrationsgipfel des Saarlandes verfasst worden war und ein Zeichen für Offenheit gegenüber Flüchtlingen und gegen Fremdenfeindlichkeit setzen soll, will M. die NPD-Botschaften der Bevölkerung näher bringen. Erste Kontingente der nach Parteiangaben in einer Erstauflage von 10.000 Exemplaren gedruckten Erklärung wurden am 4. Oktober im Rahmen einer Hauswurfaktion in Saarbrücken-St. Johann verteilt. Darüber hinaus wurde das Pamphlet im Verlauf des SageSa-Abendspaziergangs am 5. Oktober in Saarbrücken-Dudweiler verlesen. In der von M. als Mitglied des Stadtrates Saarbrücken unterzeichneten Erklärung wird u. a. ein "gezielter Missbrauch" des Asylrechts durch "multikulturelle Extremisten" angeprangert. Ursächlich für die "gigantischen Flüchtlingsströme" seien die "schmutzigen Kriege der USA". Mit der Behauptung, die "einwanderungseuphorischen Politiker" blendeten offensichtlich die Sorgen und Nöte der Bürger aus, warben die Nationaldemokraten um Unterstützungsunterschriften für ihren Forderungskatalog, der folgende acht Punkte umfasst: - "Schluss mit dem massenhaften Asylbetrug!", - "Unverzügliche Abschiebung abgelehnter Asylbewerber!", - "Strafbarkeit der Beihilfe zum Asylbetrug!", - "Schluss mit der ungehinderten Einwanderung in unser Land!", - "Nachhaltige Sicherung unserer Grenzen!", - "Austritt aus der EU, wenn die Außengrenzen nicht gesichert werden!", - "Deutsches Geld zuerst für deutsche Aufgaben!" und - Sofortiger Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan und der Türkei!". 21 Mitte November gedachte die NPD am Ehrenmal im Saarbrücker "DeutschFranzösischen Garten" (DFG) der deutschen Gefallenen des Krieges von 1870/71 und hinterließ ein Blumenbukett. Über die eigenen Aktionen hinaus beteiligten sich NPD-/SageSa-Aktivisten auch an von Drittorganisationen getragenen Veranstaltungen in Saarbrücken wie einem von Abtreibungsgegnern initiierten "Marsch für das Leben" am 1. Oktober und einer zuwanderungskritischen Demonstration am 4. November in der Nähe des Landtages. Das Ereignis vom 1. Oktober wurde anschließend bebildert auf der SageSa-Website aufbereitet; bei der Demo am 4. November führten NPD-/SageSa-Aktivisten u.a. ein Transparent mit, das sie auch bei den eigenen Veranstaltungen nutzten. Beteiligung an überregionalen Aktivitäten Wie in den Vorjahren verzichtete die rechtsextremistische Szene in Deutschland auf eine gemeinsame, spektrenübergreifende 1. Mai-Großdemonstration. Stattdessen fanden mehrere dezentrale kleinere Veranstaltungen statt, die ausschließlich von rechtsextremistischen Parteien organisiert wurden. Einige wenige Anhänger und Sympathisanten der Saar-NPD gehörten zu den rund 140 Teilnehmern einer vom Landesverband Rheinland-Pfalz organisierten Demo unter dem Motto "Asylbetrug macht uns arm!" in Worms. Sie führten u. a. ein Transparent mit der Aufschrift "JN Saar - Jedem Volk sein Land - Nicht jedem Volk ein Stück Deutschland" mit; als Redner traten u. a. der NPD-Parteivorsitzende und ein Beisitzer im saarländischen NPD-Vorstand auf. Anlässlich des G7-Gipfels in Elmau hatten saarländische NPD-Aktivisten unter dem Deckmantel der Gruppierung "Das Kreuz bleibt" zwei Mahnwachen für den 7. und 8. Juni in Mittenwald angemeldet, die letztlich aber nicht realisiert wurden. Somit entpuppte sich das Ganze mehr als Effekthascherei denn als ernstgemeinter Kritikbeitrag zum Gipfeltreffen. An der Sommersonnwendfeier des NPD-Kreisverbandes Westpfalz am 20. Juni in Niedersimten bei Pirmasens nahmen auch mehrere saarländische Nationaldemokraten teil. Am 11. Juli fanden in Kaiserslautern und am 1. August zeitversetzt in Pirmasens und Zweibrücken Mahnwachen zu den Themen "Abzug aller US-Truppen aus Europa!", "Raus aus NATO und EU!" und "Freiheit für Horst Mahler! - Kriegsgefangener der US-Kolonie BRD" statt. An den Gemeinschaftsaktionen der Kameradschaft "Nationaler Widerstand Zweibrücken" und der "Europäischen Aktion" (EA) beteiligten sich jeweils bis zu 20 Per22 sonen, darunter stets der Beisitzer im saarländischen NPD-Landesvorstand und SageSa-Aktivist W.. Unter dem Motto "Köln 2.0 - friedlich und gewaltfrei gegen islamischen Extremismus" hatte die HoGeSa-Bewegung (kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden) zu einer Kundgebung am 25. Oktober in KölnDeutz eingeladen, an der zeitweise bis zu 1.700 Personen, darunter auch etwa 25 saarländische Rechtsextremisten, teilnahmen. In der rechtsextremistischen Szene des Saarlandes hatten vor allem die Vorsitzende des NPDOrtsverbandes Saarbrücken-Burbach S. und der SageSa Aktivist W. für eine Teilnahme mobilisiert. Hauptredner waren der stellvertretende Vorsitzende der rechtsextremistischen "Bürgerbewegung pro NRW", ein HoGeSa-Gründungsmitglied sowie die Organisatorin der rechtsextremistisch dominierten Düsseldorfer und Kölner Demonstrationen "gegen die Islamisierung des Abendlandes" (DÜGIDA bzw. KÖGIDA) Das musikalische Rahmenprogramm gestalteten die bekannten rechtsextremistischen Szenebands "Kategorie C" (Bremen) und "A3STUS" (Berlin). An Gegenveranstaltungen beteiligten sich nach Polizeiangaben insgesamt bis zu 18.000 Personen, darunter etwa 700 gewaltbereite Linksextremisten. Am Rande der Kundgebung sowie bei den Anund Abreisen kam es verschiedentlich zu massiven Zusammenstößen von HoGeSa-Teilnehmern mit gewaltbereiten Linksextremisten, die überwiegend von linksextremistischer Seite ausgingen. An einem von den Gruppierungen "Pfälzer gegen Salafisten" (PfageSa) und "Patriotische Europäer sagen Nein" (PEsN) organisierten asylfeindlichen "Spaziergang" am 31. Oktober in Kaiserslautern beteiligten sich rund 150 Personen. In einem kurzen Redebeitrag überbrachte ein SageSa-Vertreter Grüße seiner Gruppierung und bedankte sich für die Unterstützung durch rheinland-pfälzische Kameraden in den vergangenen Monaten. 2.1.1.2 Partei "Die Rechte" Mit einer Aktion zum sogenannten "Heldengedenken" am 15. November am Ehrenmal in Dillingen trat erstmals eine kleine Personengruppe öffentlich für die Partei im Saarland in Erscheinung. Die Gruppe führte u. a. zwei schwarz-weiß-rote Fahnen, ein Plakat mit der Aufschrift "Die Rechte" sowie ein Transparent "Wir gedenken der Opfer des IS-Terrors von Paris" mit und legte einen Kranz nieder. Gegenüber Einsatzkräften der Polizei gab sich eine Person als verantwortlich zu erkennen, die sich in der Vergangenheit bereits in mehreren rechtsextremistischen Gruppierungen engagiert hatte, so auch in der Kameradschaft "Sturmdivision Saar" und der Saar-NPD, wo sie im Dezember 2013 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt worden war. 23 Daneben wurden virtuelle Aktivitäten erkennbar. Am 25. November 2015 konnte die Internetseite "Die Rechte Landesverband Südwest" festgestellt werden, auf der hauptsächlich die Asylund Flüchtlingsproblematik thematisiert wurde. Zwar unterblieb eine Erläuterung zur örtlichen Zuständigkeit des Verbands, jedoch war jeweils ein Link zu den Regionen "Hessen", "Rheinland-Pfalz" und "Saarland" eingerichtet. Die beiden zuerst genannten Verlinkungen führten zu Unterverzeichnissen der Internetseite, auf denen hauptsächlich Pressemeldungen mit den entsprechenden regionalen Bezügen veröffentlicht wurden. Der Link "Region Saarland" hingegen verwies auf eine separate Internetseite mit der Überschrift "DIE RECHTE", "WIR sind wie IHR - Saarländer. Gemeinsam für das Saarland." Auf dieser Seite wurde u. a. ein Artikel zu der geplanten Teilnahme an der saarländischen Landtagswahl 2017 sowie Berichte zu Mahnwachen der Partei am 14. November 2015 vor der Europa Galerie in Saarbrücken und am 15. November 2015 am Ehrenmal in Dillingen veröffentlicht. 2.1.2 Sonstige Zusammenschlüsse und Projekte 2.1.2.1 "Der Stahlhelm e. V."-Landesverband Saar (Stahlhelm) Die bundesweite Verbandsschrift "Stahlhelm-Nachrichten" vermeldete in ihrer Ersatzausgabe II vom März 2015, der "Dienstbetrieb des Landesverbandes Saar musste aufgrund von Abgängen und dem Heimgang des Landesführers vorläufig eingestellt werden". Die verbliebenen wenigen Einzelaktivisten beteiligten sich in der Folge an den Aktivitäten des Landesverbandes Pfalz. 2.1.2.2 "Aktion Schwarze Kreuze" Wie schon 2014 fand am 13. Juli im Gedenken an die angeblich mehrere tausend deutsche Opfer von Ausländergewalt deutschlandweit die rechtsextremistische "Aktion Schwarze Kreuze" statt. Dem Aufruf entsprechend sollten schwarze Kreuze möglichst an Ortseingängen und öffentlichen Plätzen aufgestellt und die Aktion im Nachgang mit Fotos via Internet publiziert werden. Die über den Facebook-Account eines rechtsextremistischen Berliner Musikers (Bandprojekt "A3stus", das das musikalische Rahmenprogramm des "politischen Aschermittwoch" der Saar-NPD am 18. Februar in Saarbrücken-Schafbrücke bestritt) beworbene Aktion fand offensichtlich dieses Jahr erstmals auch Widerhall im Saarland. So wurden entsprechende Kreuze an den Ortseingängen von Ottweiler-Fürth und St. Wendel-Osterbrücken festgestellt. 24 2.2 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und gewaltorientierte Rechtsextremisten, insbesondere Skinhead-/Kameradschafts-Szene 2.2.1 Skinhead-Subkultur /"Hammerskins" (HS) Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind ideologisch/politisch eher mäßig interessiert. Ihre Einbindung in die rechtsextremistische Szene basiert in der Hauptsache auf der Teilnahme an identitätsstiftenden rechtsextremistischen Konzerten. Diese zumeist äußerst konspirativ organisierten Events üben noch immer eine gewisse Faszination aus. Im allgemeinen Straßenbild hingegen sind Skinheads bedeutend weniger anzutreffen als in früheren Jahren - auch ein Indiz für ihre stark abgeklungene Bedeutung. Die weltweit agierenden "Hammerskins" verstehen sich als "Eliteorganisation" und propagieren die Überlegenheit der weißen Rasse. In Deutschland liegt der regionale Schwerpunkt der HS-Aktivitäten seit Jahren im südwestlichen Teil der Bundesrepublik, wo mit dem "Chapter Westwall" und seiner Unterstützergruppe "Crew38-Westwall" auch das größte der insgesamt elf deutschen Chapter der "Hammerskins"-Nation besteht. Die Zahl 38 steht für die Buchstaben C und H und verweist auf das Logo der "Hammerskins", die gekreuzten Zimmermannshämmer - "crossed Hammers". Das "Chapter Westwall", finanziell gut situiert und personell eng verwoben mit der saarländischen "Kameradschaft 13. Januar", agitiert, um staatlichen Überwachungsmaßnahmen und Outings des politischen Gegners entgegenzuwirken, sehr konspirativ. Die Arbeitsschwerpunkte lagen auch im vergangenen Jahr auf der Produktion und dem Vertrieb rechtsextremistischer Musik sowie der Organisation und Durchführung entsprechender Konzertveranstaltungen. Erneut zeigten sich die "Hammerskins" mehr eventorientiert als politisch agierend. Beispielhaft für diese Ausrichtung war ein Sommerfest mit Live-Musik am 13. Juni im grenznahen französischen VolmunsterEschwiller, wo vor rund 120 Personen die saarländische Formation "Wolfsfront" sowie die Bands "Feindbild Deutsch" (Baden-Württemberg), "Nahkampf" (Bremen) und "Treueorden" (Thüringen) auftraten. Etwa zehn Angehörige der saarländischen HS-Szene beteiligten sich am 2. Oktober an der Beerdigung eines langjährigen Szenemitglieds in Karlsruhe, zu der rund 200 Szeneangehörige angereist waren. 25 2.2.2 Kameradschaften Eine Kameradschaft definiert sich über die vier Mindestkriterien - abgegrenzter Aktivistenstamm, - lediglich lokale bis regionale Ausdehnung, - zumindest rudimentäre Struktur und - Bereitschaft zu einer gemeinsamen politischen Arbeit auf der Basis einer rechtsextremistischen Grundorientierung. 2015 waren - abhängig von der jeweiligen lokalen Führungsfigur - Aktivitäten von zwei saarländischen Kameradschaften, erkennbar. 2.2.2.1 "Kameradschaft 13. Januar" Die konspirativ arbeitende "Kameradschaft 13. Januar" trat im vergangenen Jahr nicht durch öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung, die einen Einblick in ihre konkrete inhaltliche Ausrichtung sowie ihre regionalspezifischen politischen Zielsetzungen geben könnten. Die erkennbaren Aktivitäten der Gruppe beschränkten sich auf gemeinsame Partys sowie die Besuche und die Durchführung von Musikveranstaltungen. Zunächst wurde 2015 die Reihe der Szeneveranstaltungen mit Events am 24. Januar ("Thirteen Party"), 27. Februar ("Black, White and Red Party"), und am 07. März ("Two Years Hate Bar Party") fortgesetzt. Diese Veranstaltungen fanden alle noch im damaligen "Clubheim" in einer Sulzbacher Immobilie statt, die die Kameradschaft käuflich erwerben wollte. Nachdem entsprechende Bemühungen nicht zum Ziel geführt hatten, konnte man erst Mitte des Jahres als Nachfolgeobjekt eine ehemalige Gaststätte in Dillingen erwerben. Die "Eröffnungsfeier" fand am 15. August statt und stand unter dem Motto "III. Strike Grand Re-opening". Weitere Events in der neuen Immobilie waren u.a. - am 26. September eine Memorial-Party in Erinnerung an den Kopf der Rechtsrock-Band "Screwdriver" Ian Stuart DONALDSON (ISD), - am 10. Oktober ein "Oktoberfest", - am 16. Oktober, 04. und 11. Dezember "Open House-Partys", - am 30. Oktober ein "Irish Pub" und - am 12. Dezember eine "Yule Party". 26 2.2.2.2 "Kameradschaft Sturmdivision Saar" Wie in den Vorjahren erinnerten Aktivisten der Kameradschaften "Nationaler Widerstand Zweibrücken" (NWZ) und "Sturmdivision Saar", der rund zehn Personen zugerechnet werden, unter dem Motto "Fahrt der Erinnerung" an die Bombardierung deutscher Städte durch alliierte Bomber im Zweiten Weltkrieg. Die zeitversetzten Kurzkundgebungen fanden dieses Mal am 7. März in Zweibrücken, Blieskastel und Homburg statt. Während es in Zweibrücken zu kurzzeitigen verbalen Provokationen zwischen Angehörigen des rechtsextremistischenund linksextremistischen Lagers kam, verlief das Veranstaltungsgeschehen auf saarländischer Seite trotz Protestaktionen des bürgerlichen Lagers unspektakulär und störungsfrei. Am 11. April wurde die Aktion unter dem Motto "Fahrt der Erinnerung 2.0" wiederholt. An beiden Terminen war eine mäßige Beteiligung des rechtsextremistischen Lagers zu verzeichnen. An einem von der Kameradschaft "Sturmdivision Saar" am 28. März in der Völklinger Innenstadt durchgeführten Marsch unter dem Motto "Tradition und Kultur schützen" beteiligten sich 12 Personen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sie führten schwarz-weiß-rote Fahnen und ein Transparent mit der Aufschrift "Kameradschaft Zweibrücken - Widerstand lässt sich nicht verbieten!" mit. Der knapp einstündige Aufzug der rechtsextremistischen Kameradschaft verlief trotz einer Gegenveranstaltung friedlich. Auch an der Sommersonnwendfeier des NWZ am 20. Juni im rheinlandpfälzischen Walshausen beteiligten sich einige saarländische Kameradschaftsaktivisten. Die "Feuer-Zeremonie" gestaltete ein in der Szene als "Druide Burgos" bekannter Aktivist, der auch mehrfach an SageSa-Veranstaltungen im Saarland teilnahm. Am 3. Oktober nahmen Angehörige der Kameradschaft an einem vom NWZ organisierten "Wikingerfest" mit Livemusik teil. Den musikalischen Beitrag der rein geselligen Veranstaltung bestritt die baden-württembergische Band "Kommando 192". Am 15. November begingen Angehörige der Sturmdivision und des NWZ ihr traditionelles Heldengedenken mit Kranzniederlegungen in Zweibrücken, Niederauerbach und Wadgassen-Werbeln. An einer "Julfeier" des NWZ am 19. Dezember in einer Homburger Gaststätte nahmen auch einige wenige Sturmdivision-Aktivisten teil. 27 2.3 Rechtsextremistische Musikszene und Veranstaltungen im Saarland Zur Vermeidung von Exekutivmaßnahmen und Protesten werden rechtsextremistische Musikveranstaltungen und Events in der Regel nicht offen beworben bzw. die potenziellen Teilnehmer konspirativ an die jeweiligen Veranstaltungsstätten herangeführt. Ende Mai zählte die saarländische Szeneband "Wolfsfront" zu den 18 Formationen, die auf dem Solidaritäts-Sampler "Tag der deutschen Zukunft 2015" (TDDZ) vertreten waren. Der zur Unterstützung der Kampagne zum "7. Tag der deutschen Zukunft" am 6. Juni im brandenburgischen Neuruppin erschienene Tonträger wurde über den rechtsextremistischen Szeneverlag PC Records (Chemnitz/SN) vermarktet. Mit Entscheidung vom 9. Dezember 2015 hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) den Sampler mit zwanzig überwiegend deutschsprachigen Liedern in Teil B der Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen. Ausschlaggebend für die Indizierung der CD war im Rahmen einer Gesamtwürdigung u. a. der Titel neun "Fight against ZOG" der Band "Wolfsfront", auf dem sich nach Wertung der BPjM besonders drastische antisemitische Aussagen wiederfinden. Liveauftritte der Band "Wolfsfront" waren am 13. Juni im französischen Volmunster-Eschwiller, am 29. August im unterfränkischen Roden-Ansbach/Landkreis Main-Spessart/BY und am 12. September in Combressous-les Cotes bei Verdun/F. zu verzeichnen. 2.4. Nutzung neuer Medien - Saarländische Rechtsextremisten online Rechtsextremisten wissen die Möglichkeiten des Internets gezielt zu nutzen, sei es als Informations-, Propagandaoder Kommunikationsplattform. Soziale Netzwerke können zwar die unmittelbare Ansprache auf der Straße nicht ersetzen, bieten aber unbegrenzte Multiplikationsmöglichkeiten. So betreiben beispielsweise alle saarländischen NPD-Verbände FacebookSeiten. Immer mehr wird das Internet für konspirative Aktivitäten genutzt. Geschlossene Gruppen und verschlüsselte Kommunikation erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. So war auch im vergangenen Jahr festzustellen, dass bei der szeneninternen Kommunikation zunehmend auf zugangsgesicherte und öffentlich nicht einsehbare Internet-Seiten ausgewichen wurde. 28 III. Beobachtungsbereich Linksextremismus 2015 1. Allgemeines 1.1 Ideologie Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle Bestrebungen, die eine Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und stattdessen die Schaffung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems oder einer herrschaftsfreien, anarchistischen Gesellschaft zum Ziel haben. Gemeinsame ideologische Grundlage linksextremistischer Organisationen und Zusammenschlüsse bildet nach wie vor die Ablehnung des "kapitalistischen Systems", das für Kriege, Faschismus, Rassismus, ökologische Katastrophen, weltweite Wirtschaftsund Finanzkrisen sowie "soziales Elend" verantwortlich gemacht wird. Linksextremisten sehen im Kapitalismus die Basis "bürgerlicher Herrschaft". Seine Überwindung ist für sie Voraussetzung für die Errichtung einer neuen gesellschaftlichen und politischen Ordnung in Verbindung mit der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. Daher engagieren sich Linksextremisten in gesellschaftlichen Konfliktfeldern und versuchen dort, im Sinne ihrer grundsätzlichen "Systemkritik" zu intervenieren. Durch den Anschluss an nichtextremistische Protestbewegungen sind sie bestrebt, Bündnispartner für ihre systemüberwindenden Ziele zu gewinnen und gesellschaftliche Protestströmungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Mit dieser Zielrichtung beteiligen sich Angehörige der linksextremistischen Szene beispielsweise vor dem Hintergrund der anhaltenden Flüchtlingsproblematik auch an Solidaritätsveranstaltungen von Initiativen für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, bzw. an demonstrativen Aktionen gegen die staatliche Asylund Flüchtlingspolitik sowie die europäische Außenund Sicherheitspolitik. Gleichzeitig unterstützen sie im Rahmen ihres Kampfes gegen den "gesellschaftlichen Alltagsrassismus" Proteste bürgerlicher Aktionsbündnisse, die sich gegen die fast täglich zu registrierenden fremdenfeindlichen Übergriffe auf Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland durch "Nazis und andere RassistInnen" richten. Linksextremistische Parteien und Organisationen wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) halten nach wie vor an ihrer Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Die Schaffung einer klassenlosen kommunistischen Gesellschafsordnung auf der programmatischen Grundlage des "Marxismus-Leninismus" stellt das utopische Endziel dieser Gruppierungen dar. 29 1.2 Entwicklung/Tendenzen Die Hauptaktivitäten der linksextremistischen Szene im Saarland waren auch im vergangenen Jahr auf den zentralen Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antirepression", "Antirassismus", "Antimilitarismus" und "Antikapitalismus" zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund weltweiter Anschläge von Dschihadisten, der Gräueltaten der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und dem Irak, der Bundeswehreinsätze im Ausland und deutscher Waffenlieferungen in Krisengebiete beteiligte sich die linksextremistische Szene spektrumsübergreifend in Saarbrücken an friedenspolitischen Veranstaltungen der "Antikriegsbewegung". Gleichzeitig unterstützten sie Solidaritätsaktionen des PKK-nahen "Kurdischen Gesellschaftszentrums Saarland e.V." (KGZ) für die "kurdischen KämpferInnen gegen den IS-Terror". 1.3 Personenpotenzial Im Saarland haben sich Strukturen und Erscheinungsbild des organisierten und gewaltorientierten Linksextremismus im vergangenen Jahr gegenüber 2014 kaum verändert. Das Gesamtpotenzial linksextremistischer Gruppierungen und Zusammenschlüsse, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung bieten, hat sich insbesondere durch den permanenten altersbedingten Mitgliederschwund bei der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) geringfügig von 430 auf etwa 400 Personen verringert. Den Hauptanteil stellt mit ca. 320 Mitgliedern/Anhängern das organisierte linksextremistische Parteienspektrum einschließlich seiner Umfeldorganisationen gegenüber rund 80 Personen der gewaltorientierten autonomen und antiimperialistischen Szene. Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials innerhalb der letzten fünf Jahre 30 1.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Saarland hat sich die Gesamtzahl der linksextremistisch motivierten Straftaten, insbesondere die Anzahl der darin enthaltenen Gewalttaten, gegenüber 2014 aufgrund gesteigerter "antifaschistischer" Aktivitäten anlässlich von Veranstaltungen der rechten Szene und insbesondere gegen die seit Anfang 2015 regelmäßig stattfindenden Mahnwachen der NPD-gesteuerten Facebook-Bewegung "Saarländer gegen Salafisten" (SageSa) deutlich erhöht. Dabei war festzustellen, dass sich die Aggression, die von Szeneangehörigen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten als legitim angesehen wird, bei demonstrativen "antifaschistischen" Aktivitäten der autonomen Szene Saar mit einer Ausnahme gegen Polizeibeamte als Vertreter des "staatlichen Repressionsapparates" richtete. Die Bandbreite der linksextremistisch motivierten Straftaten reichte von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz bis hin zu Körperverletzungen. Insgesamt waren 24 Gesetzesverletzungen (2014: 15) mit linksextremistischem Hintergrund zu registrieren, darunter sechs Gewalttaten (2014: drei). 31 Entwicklung der linksextremistisch motivierten Straftaten im Saarland in den letzten fünf Jahren: 2. Einzelaspekte 2.1 Organisierter Linksextremismus Zu den nennenswerten Organisationen dieses linksextremistischen Spektrums im Saarland gehörten auch 2015 die orthodox-kommunistische DKP und die streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtete MLPD. Mitglieder/ Anhänger des vorgenannten Parteienspektrums einschließlich der von ihnen beeinflussten Organisationen beteiligten sich im vergangenen Jahr an aktuellen gesellschafts-, sozialund friedenspolitischen Auseinandersetzungen. Anknüpfungspunkte boten die Bundeswehreinsätze im Ausland, deutsche Waffenlieferungen in Krisenregionen, die Krisenund Sparpolitik der Europäischen Union und Deutschlands, fremdenfeindliche Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sowie regelmäßige Aufmärsche der SageSa-Bewegung. 32 2.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die DKP, die auf Bundesund Länderebene in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken ist, kämpft aufgrund ihrer Überalterung und einer damit verbundenen immer geringeren Mobilisierungsfähigkeit, eines ungebrochenen Mitgliederrückganges und großer Finanzprobleme um ihre Existenz. Darüber hinaus lähmt die Partei ein bereits seit Jahren offen ausgetragener Richtungsstreit zwischen Hardlinern und Reformkräften über programmatische Positionen. Während der orthodoxe Parteiflügel für eine Neubesinnung auf die unverfälschte Lehre des Marxismus-Leninismus mit der Forderung nach einer Führungsrolle der DKP an der Spitze politischer Bewegungen steht, sehen die reformorientierten Parteimitglieder in einer Zusammenarbeit mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen eine Chance, eine "sozialistische" und letztlich eine kommunistische Gesellschaftsordnung in Deutschland zu schaffen. Der innerparteiliche Streit wurde auf dem DKP-Parteitag Mitte November in Frankfurt am Main mit der Wiederwahl des bisherigen Vorsitzenden, der dem orthodoxen Parteiflügel angehört, entschieden. Bei der turnusgemäßen Vorstandsneuwahl scheiterte der zum reformwilligen Lager zählende Vorsitzende der DKP-Saar. Die DKP ist innerhalb des organisierten Linksextremismus im Saarland trotz eines ungebremsten Mitgliederschwundes mit noch etwa 120 Mitgliedern die zahlenmäßig größte Organisation. Aktive Stadtund Ortsgruppen bestehen zumindest noch in Neunkirchen, Püttlingen, St. Ingbert, Sulzbach, Völklingen und Saarbrücken. In kommunalpolitischen Gremien ist die DKP-Saar lediglich noch in der Stadt Püttlingen vertreten, in der die Partei über einen Sitz im Stadtrat verfügt. Gegenüber den Vorjahren waren in 2015 jedoch keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der DKP in Püttlingen zu registrieren. Auch die Herausgabe ihrer Stadtzeitung "pro + kontra", die zuvor kostenlos und in großer Auflage im Stadtgebiet regelmäßig verteilt worden war, wurde offensichtlich im vergangen Jahr eingestellt. 33 2.1.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Die streng maoistisch-stalinistisch orientierte MLPD versteht sich nach wie vor als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland". Ihre grundlegenden Ziele sind laut Parteiprogramm der "revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats", die letztlich zum Aufbau einer "klassenlosen kommunistischen Gesellschaft" führen sollen. Sie ist bundesweit innerhalb der linksextremistischen Szene weitgehend isoliert und ähnlich wie die DKP in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Die MLPD-Saar ist überregional dem Landesverband Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland (RHS) angegliedert, der seinen Sitz in Frankfurt am Main hat. Die MLPD-Saar war auch im Jahr 2015 bemüht, durch Beteiligung an bürgerlichen Protestbewegungen gegen "Faschismus/Antirassismus", "Militarismus", "Kapitalismus" und "Sozialabbau" sowie durch Unterstützung von Solidaritätsaktionen für Flüchtlinge und den Kampf der "kurdischen Selbstverteidigungskräfte" in Syrien und dem Nordirak politisch interessierte Personen an die Partei heranzuführen. Mit dem gleichen Ziel betrieben Genossinnen und Genossen regelmäßig im Saarbrücker Stadtteil Malstatt Informationsstände. Ferner sorgten sie für die Fortführung der Montagsdemonstrationen gegen "Sozialabbau", die im monatlichen Rhythmus in der Fußgängerzone Bahnhofstraße stattfanden. Die MLPD geht davon aus, Proteste gegen die offenbar von vielen Bevölkerungskreisen als einschneidend empfundenen Sozialund Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung als vermeintlich revolutionäres Potenzial für ihre systemüberwindenden Zwecke nutzen zu können. 2.2. Gewaltorientierter Linksextremismus 2.2.1 Autonome Szene Autonome Gruppierungen sind nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen dogmatischen Ideologie geprägt. Sie stellen nicht eine Partei, sondern das Individuum und seine Selbstverwirkli34 chung in den Mittelpunkt. Dieses selbst ermächtigende Politikverständnis äußert sich praktisch besonders im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird. Aus der Einstellung "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" heraus lehnen Autonome das bestehende "System" und folglich das staatliche Gewaltmonopol ab. Die Anwendung von Gewalt stellt für Autonome sowohl ein "Mittel subjektiver Befreiung" als auch ein unverzichtbares Element in der politischen Auseinandersetzung bzw. in ihrem Kampf gegen ein angebliches System von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung dar. Politische Zielsetzung ist demnach die Überwindung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in Richtung einer herrschaftsfreien/libertären Gesellschaft. Trotz grundsätzlicher Organisierungsund Hierarchiefeindlichkeit autonomer Zusammenschlüsse sind Bemühungen festzustellen, durch den Aufbau bundesweiter Strukturen mit Hilfe von Internetplattformen und sozialen Netzwerken die Zersplitterung der Szene zu überwinden. Durch anlassbezogene Kooperationen mit anderen Teilen des linksextremistischen Spektrums wird versucht, die eigene Handlungsfähigkeit und Durchschlagskraft zu erhöhen. In aktuellen gesellschaftsund sozialpolitischen Auseinandersetzungen arbeiten Autonome auch mit bürgerlich-demokratischen Organisationen zusammen bzw. sie versuchen, diese für ihre systemüberwindenden Ziele einzuspannen. Die autonome Szene bildete 2015 die weitaus größte Personengruppe innerhalb des gewaltorientierten linksextremistischen Spektrums. Innerhalb der rund 70 Personen umfassenden gewaltorientierten autonomen Szene Saar war im vergangenen Jahr die Saarbrücker Gruppe "Antifa Saar/Projekt AK" (AK: Analyse und Kritik) aktiv. Sie versteht sich als linker, politischer und unabhängiger Zusammenschluss, der außerparlamentarisch aktiv ist und sich den Kampf gegen Faschismus, Sexismus und Rassismus sowie für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung zum Ziel gesetzt hat. Von führenden Aktivisten dieser "Antifa"-Gruppe wurde Anfang April 2015 ein Arbeitskreis mit der Bezeichnung "... resist! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!" gegründet, um "von staatlicher Repression betroffene Antifaschist*innen und politische Aktivist*innen" solidarisch und finanziell zu unterstützen. Dieser interne Arbeitskreis präsentiert sich auf seiner Homepage (www.resistsb.blogsport.eu) und seinem Facebook-Profil als "kommunistische Gruppe". Unter Kommunismus verstehen die Szeneangehörigen jedoch keine "staatssozialistische und somit antifortschrittliche, sondern eine hierarchiefreie und solidarische Gesellschaftsform, in der Ausbeutungsund Unterdrückungsmechanismen nicht weiter existieren". Sie streben die Überwindung der 35 bestehenden Staatsund Gesellschaftsform in Richtung einer herrschaftsfreien/libertären Ordnung an. Internetveröffentlichungen zufolge hat sich darüber hinaus Anfang Oktober 2015 im nördlichen Saarland eine neue "Antifa"-Gruppe gegründet, um "Naziaktivitäten auch außerhalb größerer Städte sabotieren" zu können. Bei diesem unter der Bezeichnung "Antifa Nord-Westsaar" agierenden Zusammenschluss handelt es sich bislang lediglich um eine "virtuelle" Gruppierung innerhalb der autonomen Szene. Eigenständige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der "Antifa Nord-Westsaar" waren im Jahr 2015 nicht zu verzeichnen. Um gesamtgesellschaftlich gegen das "Wiedererstarken faschistischer Ideologien" wirken zu können, arbeitete die "Antifa Saar/Projekt AK" im vergangenen Jahr mit "antifaschistischen" Kräften aus anderen Teilen des linksextremistischen Spektrums und auch nichtextremistischen Organisationen zusammen. Mit der Öffnung gegenüber anderen ideologischen Strömungen und bürgerlichen Initiativen soll die eigene Handlungsfähigkeit und gleichzeitig das Mobilisierungspotenzial erhöht werden. Die "Antifa Saar/Projekt AK" einschließlich des Arbeitskreises "... resist!" nutzte im vergangenen Jahr insbesondere ihre Internetseite zur offenen Mobilisierung für ihre zahlreichen "politischen Aktivitäten". Darüber hinaus diente ihnen das linksextremistische Internetportal "linksunten indymedia", das als erstes regionales "independent media center" (imc) seit 2009 online ist, als Informations-, Diskussionsund Mobilisierungsplattform. Angehörige der autonomen Szene Saar entwickelten 2015 zahlreiche Aktivitäten auf den zentralen autonomen Themenfeldern "Antifaschismus", "Antirepression" und "Antirassismus". Ferner unterstützten die Szeneangehörigen vor dem Hintergrund der anhaltenden Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika ausschließlich friedlich Veranstaltungen und demonstrative Aktivitäten nichtextremistischer Flüchtlingsinitiativen gegen die staatliche Asylund Abschiebepolitik. Darüber hinaus beteiligten sie sich gelegentlich an Protestaktionen bürgerlicher Bündnisse, die sich gegen die 2015 regelmäßig durchgeführten SageSa-Mahnwachen richteten, insbesondere vor "brisanten Örtlichkeiten" wie beispielsweise dem Flüchtlingslager Lebach. Die Aktivitäten der autonomen Szene Saar zu Beginn des Jahres standen ganz im Zeichen der Terroranschläge am 7. Januar in Frankreich. An einer Solidaritätskundgebung für die Opfer des terroristischen Überfalls auf Mitarbeiter des französischen Satire-Magazins "Charlie Hebdo", zu der die "Antifa Saar/Projekt AK" gemeinsam mit der "Kurdischen Jugend im Saarland" für 36 den 10. Januar vor dem französischen Konsulat in Saarbrücken aufgerufen hatte, beteiligten sich rund 300 Personen, darunter aus dem linksextremistischen Spektrum etwa 30 Angehörige der autonomen "Antifa-Szene" und einzelne Mitglieder/Anhänger kommunistischer Parteien. Aktionsfeld "Antifaschismus" Der "antifaschistische Kampf" zählt nach wie vor zu den traditionellen Aktionsfeldern von linksextremistischen Zusammenschlüssen. Er richtet sich seit jeher nur vordergründig gegen den Rechtsextremismus. Er hat letztlich eine systemüberwindende Stoßrichtung, um den verhassten, als "kapitalistisches System" bezeichneten freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat mit seinen angeblich faschistischen Wurzeln zu beseitigen. Dabei wird die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner vornehmlich auf der Straße gesucht mit der Absicht, durch Massenmilitanz oder in "Kleingruppentaktik" Aufmärsche von Rechtsextremisten zu verhindern oder zumindest räumlich oder zeitlich einzuschränken. Zudem betreiben autonome Gruppierungen "Antifarecherchen", um Strukturen und Logistik rechtsextremistischer Gruppen und Organisationen aufzuklären. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse über Personen, Trefflokale, Schulungseinrichtungen oder "Naziläden" werden in Publikationen oder im Internet zu deren Bloßstellung veröffentlicht bzw. dienen zur Vorbereitung militanter Aktionen. Die Bekämpfung rechtsextremistischer Strukturen und Entwicklungen im Saarland bildete im vergangenen Jahr für die "Antifa Saar/Projekt AK" einen Schwerpunkt ihrer "politischen Arbeit". Auf dem Aktionsfeld "Antifaschismus" waren folgende nennenswerte Aktivitäten im Saarland und überregional zu verzeichnen: 12.01.2015 Beteiligung von etwa 50 Angehörigen der autonomen Szene Saar an Protestund Blockadeaktionen eines bürgerlichen Aktionsbündnisses gegen eine Demonstration der Facebook-Bewegung "Saarland gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Saargida), 37 19.01.2015 "Antifa"-Kundgebung unter dem Motto "Refugees Welcome - Gegen Rassismus und Nationalismus - Für die Emanzipation eines Jeden!" gegen einen "Saargida-Abendspaziergang" in Saarbrücken, 28.01.2015 Interneteinstellung der "Antifa Saar/Projekt AK" mit der Überschrift "NPDStrukturen und Gegenwehr Saar", in der auf einen von ihr im bundesweit vertriebenen "Antifaschistischen Infoblatt" veröffentlichten Regionalbericht über rechtsextremistische Entwicklungen und "antifaschistische" Gegenaktivitäten hingewiesen wurde, 08.02.2015 "Reklamation" einer Verurteilung eines "Neonazis" durch das Amtsgericht Saarbrücken wegen gefährlicher Körperverletzung im Internet als Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit der "Antifa Saar/Projekt AK", 18.02.2015 "Antifa"-Kundgebung unter dem Motto "Immer wieder dieselbe Scheiße! Den politischen Aschermittwoch der NPD zum Desaster machen!" in Saarbrücken-Schafbrücke mit anschließender "Spontandemo" von rund 50 Szeneangehörigen in die Saarbrücker Innenstadt, 02.03.2015 Internetveröffentlichung der "Antifa Saar/Projekt AK" zu angeblichen rassistischen und homophoben Übergriffen von "Neonazis" Anfang 2015 in Saarbrücken und Merzig, 07.03.2015 "Outing" von Teilnehmern an Veranstaltungen der "neonazistischen" Kameradschaftsszene im Saar-Pfalz-Raum auf der Internetplattform "linksunten indymedia", 14.03.2015 Internetbericht der "Antifa Saar/Projekt AK" über den politischen Werdegang des NPD-Bundesvorsitzenden, 14.04.2015 Internetveröffentlichung von "Rechercheergebnissen" zu Veranstaltungen der NPD und zu Aufmärschen der "neonazistischen Kameradschaftsszene" im Monat März sowie zu rechten Protagonisten im Saar-Pfalz-Raum, 38 08.06.2015 Mobilisierungsaufruf von "... resist!" im Internet für eine Teilnahme an Protestund Blockadeaktionen der autonomen "Antifa Frankfurt" gegen eine "rechte islamfeindliche Großdemonstration" am 20. Juni in Frankfurt am Main, 28.06.2015 Spendenaufruf im Internet zur finanziellen Unterstützung eines Anfang Mai vom Amtsgericht Saarbrücken zu einer Bewährungsund Geldstrafe verurteilten "Antifaschisten", 02.08.2015 Darstellung von SageSa als Tarnorganisation der NPD-Saar in einer Veröffentlichung "Rechercheübersicht - Saarländer gegen Salafisten" auf "linksunten indymedia", 03.08.2015 Beteiligung von etwa 20 Szeneangehörigen an Protesten gegen eine SageSa-Mahnwache in der Nähe des als Holocaust-Mahnmal ausgewiesenen Rabbiner-Rülf-Platz in Saarbrücken, 12.08.2015 Verbreitung eines von der "Antifa Saar/Projekt AK" herausgegebenen Readers zu "rechten Lebenswelten und Grauzonen" mit Darstellung von angeblichen Verflechtungen zwischen rechtsextremistischer und vermeintlich unpolitischer Musikszene, 11.10.2015 Veröffentlichung von "Rechercheergebnissen" der autonomen "Antifa Freiburg" auf der Homepage der "Antifa Saar/Projekt AK" zu Strukturen südwestdeutscher Gruppierungen der rechten "Hammerskin-Szene" mit Hinweisen auf das ehemalige "Clubhaus" der saarländischen "Hammerskins" in Saarbrücken-Rußhütte und das Nachfolgeobjekt "Hate Bar" in Sulzbach-Altenwald, 19.10.2015 Verbreitung eines Flugblattes "Nachbar - NPD-Funktionär - Neonazi" am Wohnort eines NPD-Funktionärs und SageSa-Organisators in RheinlandPfalz zwecks Aufklärung seiner Nachbarschaft über dessen "neonazistischen Werdegang", 21.11.2015 Beteiligung von Angehörigen der autonomen Szene Saar an gewalttätigen Ausschreitungen und massiven Übergriffen auf Polizeibeamte bei Protesten 39 unter dem Motto "Block NPD! Den NPD-Bundesparteitag in Weinheim verhindern! Rassismus und völkischem Nationalismus entgegentreten!" gegen den NPD-Bundesparteitag in Weinheim/BW (21./22. November), 02.12.2015 "Outing" eines Riegelsberger NPD-Aktivisten und "Anti-Antifa-Fotografen" im Internet auf "linksunten indymedia", 13.12.2015 Vortragsund Diskussionsveranstaltung der "Antifa Saar/Projekt AK" in Kooperation mit nichtextremistischen Organisationen in Saarbrücken zum Thema "SAARGIDA & SaGeSa Extrem irre - relativ gefährlich" mit über 100 Teilnehmern. Aktionsfeld "Antirepression" Einen weiteren Aktionsschwerpunkt bei ihrem Kampf für eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" bzw. gegen den freiheitlichen Rechtsstaat, der von Autonomen als "imperialistisches, rassistisches und faschistisches System" verunglimpft wird, bildet das Thema "Staatliche Repression". Dabei werfen sie den Sicherheitsbehörden regelmäßig vor, durch Einleitung zahlreicher Ermittlungsverfahren im Nachgang zu Demonstrationen politisch unbequeme Personen und den "antifaschistischen Widerstand" zu kriminalisieren. Das Thema "Antirepression" hat bundesweit innerhalb der linksautonomen Szene an Bedeutung gewonnen und entfaltete in den letzten Jahren eine hohe Mobilisierungswirkung. Maßnahmen des Staates als Garant öffentlicher Sicherheit und Ordnung bei demonstrativen Anlässen auf den verschiedenen linksextremistischen Aktionsfeldern werden von den Szeneangehörigen generell als ungerechte "staatliche Unterdrückung", "Repression" und "Polizeioder Amtswillkür" interpretiert. Auf diese Weise pflegen Autonome bewusst ihr Feindbild einer Polizei, die angeblich jede Form von Straßenprotest mit Gewalt unterdrückt und politisch Andersdenkende schikaniert. Entsprechende Solidaritätskampagnen zu Gunsten von Personen oder Organisationen, die einer vermeintlich "repressiven Maßnahme" ausgesetzt sind, erfahren in der Regel eine breite Unterstützung. Auf diesem Aktionsfeld waren im vergangenen Jahr folgende Aktivitäten der autonomen Szene Saar zu verzeichnen: 09.04.2015 Vortragsveranstaltung der "Antifa Saar/Projekt AK" und des "Offenen Antifa Treffens Saarbrücken" zum Thema "Was tun wenn's brennt?! Tipps und Tricks im Umgang mit den staatlichen Repressionsorganen", 40 06.05.2015 Teilnahme von rund 20 Szeneangehörigen als "solidarische Beobachter" an einer Gerichtsverhandlung gegen einen Gesinnungsgenossen vor dem Amtsgericht Saarbrücken wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz. Der Angeklagte wurde zu einer Haftstrafe von acht Monaten auf drei Jahre zur Bewährung, einer Ableistung von 90 Arbeitsstunden für soziale Zwecke und einer Zahlung von Schmerzensgeld an einen Polizeibeamten in Höhe von 400 Euro verurteilt. 23.05.2015 Veröffentlichung eines "Prozessberichtes" auf der Homepage der "Antifa Saar/Projekt AK", in dem das Urteil gegen ihren Gesinnungsgenossen als "Kriminalisierung antifaschistischen Protests" dargestellt und gleichzeitig eine angebliche Verharmlosung von Polizeigewalt durch die Justiz als "gegenwärtiger Alltag" angeprangert wurde, 03.06.2015 Internetaufruf der "Antifa Saar/Projekt AK" an alle von einem "repressiven Polizeieinsatz" anlässlich eines SageSa-Aufmarsches am 18. Mai in Lebach betroffenen "AntifaschistInnen" zwecks Koordinierung der "Antirepressionsarbeit", 25.10.2015 Unterstützung eines Solidaritätsund Spendenaufrufs für einen Szeneangehörigen aus Frankfurt/M. und früheren Aktivisten innerhalb der autonomen Szene Saar, der bei militanten Aktionen von Linksextremisten am 1. Mai 2015 gegen die "Expo" in Mailand festgenommen worden war und sich am 2. November 2015 vor einem italienischen Gericht verantworten musste, durch die Saarbrücker Gruppe "... resist!" und 15.12.2015 Herausgabe eines "Antirepressionskalenders 2016" durch "... resist!". Aktionsfeld "Antirassismus" Auch der Kampf gegen die staatliche Asylund Abschiebepolitik, die von Linksextremisten als "institutioneller Rassismus" bezeichnet wird, gehört zu den bevorzugten Aktionsfeldern von militanten Autonomen. Im Rahmen seiner "antirassistischen" Aktivitäten gegen das "System Abschiebehaft" unterstützt das autonome Spektrum Forderungen wie beispielsweise "Abschiebegefängnisse abschaffen!", "Keine Abschiebungen in Kriegsgebiete und Folterstaaten!" oder "Keine Ausreisezentren und andere Sammellager!". 41 Dieses Themenfeld hat nicht nur bundesweit, sondern auch im Saarland im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Asylund Flüchtlingsproblematik ebenfalls eine hohe Mobilisierungswirkung im linksextremistischen Spektrum erzeugt. Folgende "antirassistische" Aktivitäten der autonomen Szene Saar waren im vergangenen Jahr zu registrieren: 18.05.2015 Beteiligung von Aktivisten der "Antifa Saar/Projekt AK" an Protesten gegen einen SageSa-Aufmarsch in Lebach, 20.06.2015 Verbreitung eines Flugblattes "FIGHT FORTRESS EUROPE" durch "...resist!" in Saarbrücken, 19.07.2015 Vortragsund Diskussionsveranstaltung in Saarbrücken gegen "Rassismus/ Neonazismus", 11.09.2015 Teilnahme von Angehörigen der "Antifa Saar/Projekt AK" an einem "Gedenkkongress für Opfer neonazistischer und rassistischer Gewalt" vom 11. bis 13. November in einem linken Szenetreffpunkt in Leipzig, 19.09.2015 Beteiligung von Angehörigen der autonomen Szene Saar an einer "Antirassismus-/Antifaschismusdemo" in Saarlouis, 26.09.2015 Internetveröffentlichung der "Antifa Saar/Projekt AK" zum "Versagen der Polizei und anderen staatlichen Behörden" bei der Bekämpfung von Rassismus und der Aufklärung "rassistischer Straftaten" im Saarland, 04.11.2015 Beteiligung einer Gruppe von Szeneangehörigen an einer Protestaktion eines bürgerlichen Aktionsbündnisses in Saarbrücken gegen eine AfDKundgebung und 14.11.2015 Mitveranstalter einer Vortragsund Diskussionsveranstaltung in Saarbrücken mit Vorführung des Films "The Truth lies in Rostock!", der sich mit den "rassistischen deutschen Zuständen" in den frühen 1990er Jahren beschäftigte. 42 Darüber hinaus war die größtenteils pro-israelisch eingestellte autonome Szene Saar Mitveranstalterin einer Vortragsund Diskussionsveranstaltung am 12. März in Saarbrücken über den "arabischen und islamischen Antisemitismus als einer der zentralen Ursachen des Nahostkonflikts". Einem Aufruf des autonomen Arbeitskreises "... resist!" zu einer Protestkundgebung am 1. Oktober in Saarbrücken gegen einen "Marsch für das Leben" waren rund 35 Aktivisten der "Antifa Saar/Projekt AK" gefolgt. Während der Demonstrationszug von "Abtreibungsgegnern" durch die Innenstadt störungsfrei verlief, wurde die Abschlussveranstaltung auf dem St. Johanner Markt von den Szeneangehörigen lautstark mit Parolen, wie "Für die Freiheit, für das Leben, Faschos von der Straße fegen!", "Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!", "BRD Bullenstaat" oder "Es lebe der Kommunismus" gestört. Am 28. August fand auf Initiative von "... resist!" eine "Nachttanzdemo gegen Sexismus und Homophobie" in Saarbrücken und eine Veranstaltungsreihe für "feministische und kommunistische Alternativen zum bestehenden Ausbeutungssystem" statt. Etwa 50 Angehörige der autonomen Szene Saar zogen mit einem Transparent mit der Aufschrift "FEMINISM? HELL, YEAH! LOVE FEMINISM! HATE CAPITALISM!" friedlich durch die Innenstadt. Während der Auftakt-, Zwischenund Abschlusskundgebung wurde in Redebeiträgen auf angebliche Übergriffe von Aktivisten der "neonazistischen" Kameradschaftsszene auf Homosexuelle im Saarland hingewiesen. Ferner wurde die Asylund Flüchtlingsproblematik vor dem Hintergrund fremdenfeindlicher Übergriffe auf Asylsuchende und Brandanschläge auf Flüchtlingsheime thematisiert und ein Vergleich mit entsprechenden Ereignissen in den neunziger Jahren in Solingen, Mölln und Saarlouis angestellt. Den bundesweiten Aufrufen mehrerer gewaltorientierter autonomer Zusammenschlüsse für eine Teilnahme an einer Kundgebung am 2. Oktober sowie an "dezentralen und kreativen Aktionen" am 3. Oktober in Frankfurt am Main gegen die offiziellen Feierlichkeiten zum "25. Jahrestag der Wiedervereinigung" waren auch Angehörige der autonomen Szene Saar gefolgt. Aktivisten von "... resist!" beteiligten sich am Vorabend des 3. Oktober an einer Demonstration unter dem Motto "Grenzen abschaffen - Deutschland überwinden!" mit rund 1.000 Teilnehmern. Obwohl das Thema "Kurdistansolidarität" im vergangenen Jahr keinen Aktionsschwerpunkt der autonomen Szene Saar bildete, beteiligten sich zumindest einzelne Aktivisten in Saarbrücken an Solidaritätsveranstaltungen des PKK-nahen KGZ und der PKK-Jugendgruppe "Ciwanen Azad Saarland" für die "kurdischen Selbstverteidigungskräfte". Gleichzeitig unterstützten sie deren Aktivitäten für eine Aufhebung des PKK-Verbotes in Deutschland. Vor dem Hintergrund der Lageverschärfung Anfang September an der türkisch43 syrischen Grenze durch Militärinterventionen der Türkei gegen die PKK und die entsprechenden PKK-Vergeltungsaktionen sowie durch Angriffe türkischer Nationalisten auf Einrichtungen der pro-kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) warb "... resist!" auf seinem Facebook-Profil für eine solidarische Teilnahme an einer KGZ-Mahnwache am 19. September vor der Europagalerie mit anschließender Demonstration durch die Innenstadt. Bei einer weiteren KGZ-Demonstration in Saarbrücken am 27. November anlässlich eines bundesweiten Aktionstages "Weg mit dem PKK-Verbot! Freiheit für alle kurdischen politischen Gefangenen" mit rund 200 Teilnehmern zeigten Aktivisten von "... resist!" großflächige Transparente mit Aufschriften wie "Weg mit dem PKK-Verbot!" und "Patriarchat, Kapitalismus, Islamismus bekämpfen!". 2.2.2 Antiimperialistische Szene Neben den Autonomen sind dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum im Saarland noch einige wenige Aktivisten aus der ehemaligen Saarbrücker Unterstützerszene der früheren terroristischen "Roten Armee Fraktion" (RAF) zuzurechnen. Sie treten zwar nicht offen gewalttätig oder gewaltbefürwortend auf, lehnen aber ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit grundsätzlich ab. Angehörige dieses kleinen Aktivistenkreises agieren unter der Firmierung "Libertad! Saar" innerhalb der bundesweiten antiimperialistisch ausgerichteten Initiative "Libertad!", die in Frankfurt am Main ansässig ist. Ein Großteil der "Libertad!"-Angehörigen sieht in der Weiterentwicklung eines im Jahr 2005 gegründeten Aktionsbündnisses "Interventionistische Linke" (IL) durch den Aufbau fester Organisationsstrukturen eine Chance, um als "radikale Linke" in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gegen Globalisierung, Krieg, Kapitalismus und "staatliche Repression" wieder "interventionsfähig" zu werden. Die IL plädiert für strategische Bündnisse sowohl mit anderen gewaltorientierten linksextremistischen Bündnissen zur Überwindung des "Systems" als auch mit dem bürgerlichen Spektrum in einzelnen Aktionsfeldern wie etwa gegen Rechtsextremismus. Innerhalb der antiimperialistischen Szene Saar standen 2015 die Themenfelder "Kapitalismus" und Kurdistansolidarität sowie eine solidarische Unterstützung von Protesten saarländischer Flüchtlingsinitiativen gegen die Asylund Flüchtlingspolitik in Deutschland sowie gegen die Außenund Sicherheitspolitik der EU im Vordergrund. 44 Die Saarbrücker Szeneangehörigen zählten zum breiten Unterstützerkreis eines bundesweiten "Blockupy-Bündnisses", das die Planungen für die Durchführung von "antikapitalistischen Aktionstagen" gegen die Feierlichkeiten zur Eröffnung des Neubaus der "Europäischen Zentralbank" (EZB) am 18. März 2015 maßgeblich steuerte. Dieses Bündnis setzte sich aus überwiegend nichtextremistischen Initiativen, Gewerkschaften und demokratischen Organisationen sowie aus gemäßigten Linksextremisten und autonomen Gruppierungen zusammen. Die Beteiligung von linken Gruppen an diesem breit aufgestellten Bündnis verdeutlicht, dass aus dem gesamten linksextremistischen Spektrum heraus versucht wird, die demokratischen Proteste gegen die globale Wirtschaftsund Finanzkrise für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren bzw. eine "antikapitalistische Grundeinstellung" in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Die entsprechenden Vorbereitungen im Saarland für eine Teilnahme an den vorgenannten Protesten gegen die EZB als "das Symbol der kapitalistischen Gesellschaft" wurden von einer regionalen "AG Blockupy" geführt, in der u.a. Angehörige von "Libertad! Saar" mitarbeiteten. Am vorgenannten Aktionstag war es in Frankfurt am Main insbesondere in den frühen Morgenstunden zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen mit beträchtlichen Sachbeschädigungen und teilweise lebensbedrohlichen Angriffen auf Polizeibeamte gekommen. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten des gewaltorientierten autonomen Spektrums und den polizeilichen Einsatzkräften wurden rund 150 Polizeibeamte verletzt, davon zwei schwer. Ferner wurden sieben Polizeifahrzeuge in Brand gesteckt und über 50 weitere beschädigt. Angehörige der antiimperialistischen Szene Saar beteiligten sich im vergangenen Jahr auch regelmäßig friedlich an Solidaritätsveranstaltungen des KGZ für den kurdischen Widerstand in Syrien und im Nordirak gegen die ISTerrororganisation. Eine Aktivistin von "Libertad! Saar" war zudem maßgeblich in eine Spendenkampagne eingebunden, die bereits Ende Oktober 2014 in Berlin vom linksextremistischen Aktionsbündnis IL gemeinsam mit dem der PKK zuzurechnenden Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) angeblich zur Unterstützung des "Aufbaus selbstverwalteter Strukturen in der Region Rojava" gestartet worden war. Die Saarbrücker Szeneangehörige hatte ein entsprechendes Spendenkonto "Initiative Rojava" bei der Sparkasse Saarbrücken eingerichtet. Nach Internetveröffentlichungen unter www. rojava-solidaritaet.net war bereits im November 2014 in Berlin von den Initiatoren ein erster Betrag der Spendeneinnahmen in Höhe von 50.000 Euro an einen Vertreter der "Partei der Demokratischen Union" (PYD) , Zweigorganisation der PKK in Syrien, übergeben worden. Der symbolisch überreichte Scheck war auf die Sparkasse Saarbrücken ausgestellt. Ein weiterer Betrag in gleicher Höhe wurde demnach am 4. April 2015 in Hamburg an den stellvertretenden PYD-Vorsitzenden weitergeleitet. Dieses Spendenkonto wurde 45 jedoch Anfang April 2015 von der Sparkasse Saarbrücken mit der Begründung, dass die Spendengelder möglicherweise auch zum Kauf von Waffen genutzt werden könnten, zum 31. Mai 2015 gekündigt. Unbeeindruckt von medienwirksamen, aber friedlich verlaufenen Protestveranstaltungen am 7. und 15. Mai sowie einer kurzzeitigen Besetzung der Sparkassenzentrale durch Personen kurdischer Herkunft und Angehörige der linksextremistischen Szene Saar hielt die Bank an ihrer Entscheidung fest und löste das Spendenkonto zum 31. Mai 2015 auf. Darüber hinaus fand am 24. September auf Initiative einer hiesigen "Libertad!"-Aktivistin im Saarbrücker Filmhaus eine Informationsveranstaltung unter dem Motto "Demokratie oder religiöser Wahn!" zur Lage der Kurden in der Türkei und in Nordsyrien statt. Als Referent fungierte ein Vertreter der "Libertad!"-Ortsgruppe Frankfurt am Main, der von seinen Erlebnissen auf seiner durchgeführten Rundreise im sogenannten Krisengebiet berichtete. Die gleiche Szeneangehörige trat als Anmelderin einer Solidaritätsdemonstration für Kurdistan in Erscheinung, zu der das PKK-nahe KGZ für den 27. November anlässlich eines bundesweiten Aktionstages "Weg mit dem PKKVerbot! Freiheit für alle kurdischen politischen Gefangenen" aufgerufen hatte. IV. AUSLÄNDEREXTREMISMUS (ohne Islamismus/islamistischer Terrorismus) 1. Allgemeines 1.1 Ideologie Der Ausländerextremismus stellt keine Extremismusform eigener Art dar. Er umfasst vielmehr extremistische Bestrebungen von Migrantenorganisationen, bei denen Gründung und Wirken auf unterschiedlichste Konflikte in den Herkunftsregionen zurückzuführen sind. Bei dem Bemühen, die dortigen Verhältnisse in ihrem Sinne zu verändern, wenden sie friedliche, zum Teil aber auch militante Mittel an. Die Aktivitäten der in der Bundesrepublik - oft auch im Zusammenwirken mit deutschen extremistischen Gruppierungen - agierenden Organisationen zielen in der Hauptsache auf die Unterstützung ihrer Mutterorganisationen ab. Zu beobachten sind dabei vor dem Hintergrund der jeweiligen Entwicklungen in den Ursprungsregionen insbesondere propagandistische, logistische und finanzielle Unterstützungshandlungen. Vor allem aus Akzeptanzgründen bemühen sich die Gruppen grundsätzlich um ein friedliches Erscheinungsbild in Deutschland; vereinzelte, durch besonders emotionalisierende Ereignisse und Entwicklungen ausgelöste gewalttätige Aktionen sind jedoch immer wieder festzustellen. Ideologische Grundausrichtungen findet der Ausländerextremismus im Linksextremismus, Nationalismus und Separatismus. 46 1.2 Entwicklung/Tendenzen Die heterogene Zusammensetzung des Ausländerextremismus spiegelt sich in seiner ganzen Bandbreite auch im Saarland wider. Wie in den Jahren zuvor hatte die Bearbeitung der in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Priorität. Die Beobachtungsergebnisse belegten erneut die Einbindung der regionalen PKK-Strukturen in die streng hierarchisch gegliederte Gesamtorganisation und zeigen auf, welche maßgebliche Bedeutung die politische Entwicklung in der Heimatregion für das Aktivitätenspektrum der hiesigen Anhängerschaft hat. Vor dem Hintergrund der massiven bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kurden und staatlichem Militär in der Türkei war ein besonderes Augenmerk auch darauf zu richten, inwieweit der Konflikt auf das gegenseitige Aktionsverhalten von PKK-Anhängern einerseits und von Vertretern der "Ülkücü"Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) andererseits durchschlägt, nachdem insbesondere ein Verein in Saarbrücken diesem türkischen rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden konnte, dessen Anhänger die türkische Nation in ihren politischen, territorialen und kulturellen Ausprägungen idealisieren. 1.3 Personenpotenzial Insbesondere durch Zuwächse im Bereich des türkischen Rechtsextremismus ("Ülkücü"-Bewegung) war insgesamt ein Anstieg des Mitglieder-/ Anhänger potenzials im Beobachtungsbereich Ausländerextremismus zu verzeichnen, das mit 445 Personen (2014: 400) beziffert werden kann. Unverändert stellt sich die PKK mit etwa 300 Mitgliedern/Anhängern und einem Mobilisierungspotenzial von bis zu 1.000 Personen als die zahlenmäßig größte und auf Grund ihrer Aktivitäten in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommene Einzelgruppierung dar. Entwicklung des ausländerextremistischen Personenpotenzials innerhalb der letzten fünf Jahre: 47 1.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der im Saarland verübten Straftaten mit erwiesenem bzw. zu vermutendem ausländer extremistischen Hintergrund lag mit zwölf Taten (keine Gewalttat) unter der Marke des Vorjahres. Elf Straftaten waren dem Bereich PKK zuzuordnen (Zeigen verbotener Symbole bei Demonstrationen), eine Straftat dem Bereich Islamismus (Bedrohung gem. SS 241 StGB in der LaSt Lebach), für den in dieser Berichtslegung noch keine eigene statistische Ausweisung erfolgt. Entwicklung der Straftatenzahlen innerhalb der letzten fünf Jahre 48 2. Einzelaspekte 2.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 2.1.1 Allgemeine Lage, Entwicklung Der zwischen der PKK und der türkischen Regierung Ende 2012 eingeleitete und in der Folgezeit ins Stocken geratene Friedenskurs fand im vergangenen Jahr ein vorläufiges Ende. Seit Sommer 2015 befindet sich die PKK mit ihren "Volksverteidigungseinheiten" (HPG) wieder in verstärkten Kampfhandlungen mit der türkischen Armee. Auslöser war ein Anschlag des so genannten "Islamischen Staates" (IS) am 20. Juli in der türkischen Stadt Suruc, für den die PKK den türkischen Staat (mit-) verantwortlich machte und als Vergeltung zwei türkische Polizisten tötete. Als Reaktion flog die türkische Luftwaffe erstmals seit 2012 mehrere Bombenangriffe auf Stellungen der PKK in Syrien und im Nordirak. Zudem kam es in der Türkei zu landesweiten Exekutivmaßnahmen gegen PKK-nahe Einrichtungen. Die PKK wiederum griff - mit kurzzeitigen Unterbrechungen bis zu den türkischen Parlamentsneuwahlen vom 1. November - türkische Sicherheitskräfte bzw. staatliche Einrichtungen an. Durch Großeinsätze der türkischen Armee gegen die PKK mit zahlreichen Todesopfern auf beiden Seiten eskalierte der 49 Konflikt bis zum Ende des Jahres weiter. Die Militäroffensive richtete sich auch gegen die Ausrufung der kurdischen "Selbstverwaltung" durch die PKK in den Provinzen im Südosten der Türkei. Präsident ERDOGAN erklärte Ende Dezember, dass die Militäroffensive fortgesetzt und er "die PKK bis zum Ende bekämpfen" werde. In Westeuropa bzw. in Deutschland ist die PKK seit 1999 um ein weitgehend friedliches Erscheinungsbild bemüht. Zentrale Themen der PKKAnhängerschaft in Deutschland waren 2015 die Freilassung Abdullah ÖCALANs aus der türkischen Haft, die Ereignisse im Heimatland insbesondere mit Blick auf die Parlamentswahlen, die Aufhebung des PKK-Verbotes in Deutschland, die Streichung der PKK von der EU-Liste terroristischer Organisationen und die Aufklärung der Morde an drei PKK-Aktivistinnen am 9. Januar 2013 in Paris. Auf die Verschärfung der Situation in den Kampfgebieten reagierten PKK-Jugendliche allerdings auch mit einer Reihe von "Besetzungsaktionen" sowie Sachbeschädigungen an türkischen Einrichtungen. In mehreren deutschen Städten kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und des rechtsextremistischnationalistischen türkischen Spektrums. Hervorzuheben sind folgende Aktivitäten: Anlässlich des zweiten Jahrestages der Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen nahmen am 10. Januar in Paris mehrere Tausend Teilnehmer an der zentralen Großkundgebung (Motto: "Euer Schweigen rührt aus euerer Mitschuld!") teil. Wie bereits im Vorjahr fanden auch über das ganze Jahr themenbezogene Kundgebungen und Mahnwachen in zahlreichen deutschen Städten (u. a. vor französischen Auslandsvertretungen) statt, in denen die Aufklärung der Morde gefordert wurde. Ende Januar feierten PKK-Anhänger bundesweit im Rahmen friedlich verlaufener Spontankundgebungen mit Autokorsos und in Saalveranstaltungen die Befreiung der nordsyrischen Stadt Kobane von Milizen des IS durch kurdische Kämpfer. 50 Am 14. Februar fand in Straßburg die jährliche Großveranstaltung zum Jahrestag der Festnahme Abdullah ÖCALANs (15. Februar 1999) mit insgesamt etwa 8.000 Teilnehmern statt. Etwa 17.000 PKK-Anhänger begingen am 21. März mit einer friedlich verlaufenen Großkundgebung in Bonn das traditionelle kurdische Neujahrsfest NEWROZ. Im Mittelpunkt standen die Angriffe des IS auf die kurdische Bevölkerung in Syrien und im Irak sowie die Verlesung einer Erklärung ÖCALANs, in der dieser den türkischen Staat aufforderte, den Friedensverhandlungen einen gesetzlichen Rahmen zu geben. Ein Organisationsvertreter erklärte in diesem Zusammenhang, dass Deutschland u. a. dafür Sorge tragen müsse, dass die PKK von der "EU-Terrorliste" gestrichen werde, um die Kurdenfrage zu lösen. Am 19. Mai besetzten 20 Personen für knapp zwei Stunden die Zentrale der Sparkasse Saarbrücken, um die Rücknahme der zum Monatsende ausgesprochenen Kündigung des dort geführten Spendenkontos "Solidarität mit Rojava" zu erreichen; die Besetzer forderten auf einem Transparent auch die Aufhebung des PKK-Verbotes. Neben den größtenteils außersaarländischen Teilnehmern der von der PKK-Studentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V." (YXK; Vereinssitz in Köln) initiierten, friedlich verlaufenen Aktion befanden sich ein saarländischer PKK-Jugendaktivist sowie vier Angehörige der linksextremistischen Szene Saar. Anlässlich der türkischen Parlamentswahlen vom 7. Juni führten PKKAnhänger ab März deutschlandweit zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen zugunsten der pro-kurdischen "Partei der demokratischen Völker" (HDP) durch und organisierten Fahrten zur Stimmabgabe (08.31.Mai) zu den überwiegend in den Generalkonsulaten eingerichteten Wahllokalen. In der Folge von Bombenanschlägen am Rande einer Wahlveranstaltung der HDP im südostanatolischen Diyarbakir am 6. Juni kam es in mehreren deutschen Städten zu friedlichen Protesten. Das Wahlergebnis der HDP (13,1% der Stimmen) und den Einzug ins Parlament feierten PKK-Anhänger bundesweit mit Autokorsos bzw. Spontankundgebungen; die islamischkonservative "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP) verlor nach 12 Jahren die absolute Mehrheit. Nach einem Bombenanschlag am 20. Juli auf das Camp einer sozialistischen Jugendorganisation in der türkischen Stadt Suruc fanden bundesweit Protestkundgebungen statt. Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und rechtsextremistischen Türken, so in Berlin und Stuttgart, sowie zu Sachbeschädigungen an türki51 schen Generalkonsulaten (Hannover, Düsseldorf und Nürnberg). Höhepunkt der Proteste war eine störungsfreie Großkundgebung am 8. August in Köln mit 6.000 Teilnehmern. In einem Mobilisierungsaufruf wurden die Bombardements der türkischen Luftwaffe gegen PKK-Stellungen im Nordirak und in der Osttürkei aufs Schärfste verurteilt, der "Festnahmeterror der türkischen Polizei" vor allem gegen Kurden und "linke AktivistInnen" sowie die "Totalisolation" des inhaftierten PKK-Führers ÖCALAN angeprangert. Am 5. September fand in Düsseldorf das "23. Internationale Kurdische Kulturfestival" statt. An der störungsfreien Veranstaltung beteiligten sich ca. 21.000 Personen aus ganz Europa. Tenor zahlreicher Ansprachen war die Forderung nach Frieden und Freiheit, die Aufforderung zu Entschlossenheit und Widerstand und die Freilassung Abdullah ÖCALANs. Höhepunkt der Veranstaltung war der Auftritt des Co-Vorsitzenden der HDP, Selahattin DEMIRTAS, der in seiner Rede die "Kriegspolitik" der Türkei kritisierte und betonte, dass die HDP niemals zurückweichen werde. Während die türkische Regierungspartei versuche, so DEMIRTAS weiter, ihre Wahlniederlage bei den Parlamentswahlen mit Waffen aus der Welt zu schaffen, wünschten sich die Kurden Frieden, seien aber auch bereit, für diese zu kämpfen. Ab Mitte September unterstützten PKK-Anhänger erneut bundesweit den Wahlkampf der HDP für die (nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen erforderlich gewordenen) Parlamentsneuwahlen am 1. November. Neben kleineren lokalen Veranstaltungen fanden fünf große Saalveranstaltungen (u. a. in Frankfurt/M.) mit DEMIRTAS statt. In der Folge eines von der PKK verübten Anschlags in der türkischen Provinz Hakkari Anfang September mit 16 getöteten türkischen Soldaten, des Einmarsches der türkischen Armee in den Nordirak und einer Lageverschärfung in der Grenzstadt Cizre verstärkten PKK-Anhänger im September ihre Protestaktionen im gesamten Bundesgebiet. Andererseits fanden nach diesem Anschlag auch zahlreiche pro-türkische Demonstrationen statt, die überwiegend friedlich verliefen. Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Demonstranten (so in Hannover, Berlin, Stuttgart und Köln). In Saarbrücken störten am 26. September etwa 40 überwiegend jugendliche Kurden eine pro-türkische Demonstration. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern konnten aufgrund des massiven Polizeieinsatzes verhindert werden. Am 10. Oktober kam es in vielen deutschen Städten zu überwiegend friedlichen kurdischen Spontandemonstrationen mit bis zu 5.000 Teilnehmern. Auslöser war ein Sprengstoffanschlag zweier mutmaßlicher IS-Selbstmordattentäter in Ankara inmitten einer pro-kurdischen Friedensdemonstra52 tion, dem über 100 Menschen zum Opfer gefallen waren. Bei Protesten in Karlsruhe, Nürnberg, Stuttgart und Ulm kam es zu Störungen bzw. Provokationen, u. a. durch nationalistische Türken. Die PKK hatte etwa zeitgleich erklärt, sie werde gewaltsame Aktionen gegen den türkischen Staat und dessen Sicherheitskräfte bis zu den Neuwahlen des türkischen Parlaments am 1. November einstellen. Bei den Parlamentswahlen vom November konnte die HDP schließlich 10,75% der Stimmen auf sich vereinigen. Damit hatte sie - wie bei den Wahlen im Juni - die landesweite Sperrklausel von 10% übersprungen und zog mit 59 Sitzen ins Parlament ein. Nennenswerte Reaktionen der PKK-Anhängerschaft in Deutschland auf das Wahlergebnis waren nicht festzustellen. Anlässlich des 22. Jahrestages des PKK-Verbots in Deutschland (22. November 1993) und zum 37. Jahrestag der Gründung der PKK (27. November 1978) fanden bundesweit friedlich verlaufene Demonstrationen und Veranstaltungen statt. An den Demonstrationen, die auch eine Aufhebung des PKK-Verbotes thematisierten, beteiligten sich auch Anhänger türkischer und deutscher linksextremistischer Organisationen. Die intensivierten Angriffe der türkischen Armee auf Stellungen der PKK im Südosten der Türkei sowohl im Vorfeld der Parlamentswahlen vom November als auch danach lösten erneut eine Protestwelle aus. Hauptsächlich ab Mitte Dezember fanden deutschlandweit friedlich verlaufene Aktionen statt. Allerdings reagierten jugendliche PKK-Anhänger aufgrund der aufgeheizten Stimmung verstärkt mit "Besetzungsaktionen" u. a. von Fernsehsendern. Außerdem kam es zu mehreren Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen, so z. B. in Köln und Stuttgart. 2.1.2 Struktur Im Zuge der 2013 eingeleiteten Neustrukturierung der PKK in Europa hatte sich der europäische Dachverband PKK-naher Vereine von "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) in "Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD-E) umbenannt. Die KCD-E bildet nunmehr die PKK-Europaführung, in die auch die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) als politischer Arm integriert ist. Sie ist weiterhin streng hierarchisch gegliedert. An der Spitze stehen Funktionäre, die in der Regel durch die europäische Leitungsebene der Organisation eingesetzt werden. Die Zuweisung auf die einzelnen Funktionen erfolgt zumeist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die hauptamtlichen Kader der PKK sind ideologisch geschult und leben äußerst konspirativ an häufig wechselnden Orten. 53 Auf oberster Gliederungsebene ist die PKK in Deutschland in vier Sektoren ("SAHAs") für die Bereiche Nord, Mitte, Süd 1 und Süd 2 aufgeteilt. Diesen SAHAs sind 31 Gebiete untergeordnet, die sich wiederum in Teilgebiete gliedern. Das "Gebiet Saarland" mit seinen sieben bis in die Westpfalz und nach Trier reichenden Teilgebieten gehört zum "SAHA Süd 1". Für die organisatorische Umsetzung ihrer Vorgaben bedient sich die PKK überwiegend örtlicher kurdischer Vereine, die den Organisationsanhängern als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Als Dachverband fungiert das "Demokratische kurdische Gesellschaftszentrum Deutschland e.V." (NAVDEM) mit 46 angeschlossenen Kurdenvereinen. Im Saarland ist das "Kurdische Gesellschaftszentrum Saarbrücken e.V." (KGZ) mit Räumlichkeiten in der St. Johanner Str. 66 Mitgliedsverein des NAV-DEM. Aufgabe des KGZ ist es, die durch die Gebietsleitung vermittelten Vorgaben der PKK-Führung organisatorisch umzusetzen. Das bedeutet nicht nur, die in ihrem Einzugsgebiet lebenden Kurden für die Ziele der PKK zu gewinnen, sondern ihnen auch den Rahmen für politische Schulungen zu geben und sie - u.a. über eine Ende Juli eingerichtete Facebook-Seite - für Veranstaltungen bzw. Demonstrationen sowie Spendenkampagnen zu mobilisieren. Die Mobilisierung der PKK-Jugend im Saarland erfolgte seit Anfang Februar durch die PKK-Jugendgruppierung "Ciwanen Azad Saarland", welche zu dem 2013 gegründeten europäischen Dachverband "Ciwanen Azad" gehört. Sowohl die Jugendgruppierung, als auch die im Saarland 2013 gegründete und der YXK zugehörige Studentengruppe kommunizieren über Facebook und sind u. a. mit deutschen linksextremistischen Gruppierungen im Rahmen der "Kurdistansolidarität" vernetzt. Bis zum Ende des Jahres war u. a. die Co-Vorsitzende des KGZ eine der Administratoren dieses geschlossenen Forums, das bis zu diesem Zeitpunkt über ca. 600 Mitglieder verfügte. 2.1.3 Veranstaltungen/Aktivitäten der saarländischen Anhängerschaft Die Aktivitäten der PKK-Anhänger im Saarland orientierten sich wie in den Vorjahren an den Vorgaben der Organisationsführung und waren regionaler als auch überregionaler Art, wozu im vergangenen Jahr auch die Unterstützung der Arbeit des "Mesopotamischen Kulturvereins Kaiserslautern e.V." durch Teilnahme an dortigen Veranstaltungen gehörte. 54 Das Veranstaltungsgeschehen verlief - bis auf die Störaktion bei der v. g. Saarbrücker Demonstration vom 26. September - insgesamt friedlich. Es zeigte sich, dass die PKK-Anhängerschaft bei besonderen Ereignissen auch kurzfristig in hohem Maße handlungsfähig ist. An den KGZ-Veranstaltungen beteiligten sich zudem Personen des türkischen und deutschen linksextremistischen Spektrums. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang: 11.01.2015 Beteiligung von 400 saarländischen Anhängern an der Jahrestagsveranstaltung in Paris, 27.01.2015 Kundgebung des KGZ mit 150 Teilnehmern in Saarbrücken anlässlich der Befreiung der Stadt Kobane/Syrien von IS-Milizen, 14.02.2015 Beteiligung von etwa 600 Anhängern an der Großdemonstration in Straßburg zum 16. Jahrestag der Festnahme ÖCALANs, 21.03.2015 Teilnahme mehrerer hundert Kurden an der NEWROZ-Veranstaltung in Bonn, mehrere Aktivitäten zur Unterstützung der HDP, u. a neben der Organisation von Fahrdiensten zum Wahllokal im Mainzer Konsulat am 06. April/2. Mai mit Veranstaltungen des KGZ mit 300 Teilnehmern bzw. 700 Teilnehmern in Saarbrücken, am 06. Juni durch eine Protestaktion mit 400 Teilnehmern in Saarbrücken i. Z. m. den Diyarbakir-Bombenanschlägen, am 07. Juni mit einer "Wahlparty" mit mehreren hundert Teilnehmern in den Räumlichkeiten der KGZ, einem Autokorso kurdischer Jugendlicher durch Saarbrücken und einem Treffen auf den Saarterrassen zum Wahlerfolg der HDP (ca. 1.000 Personen) sowie am 04. Oktober mit der Beteiligung saarländischer Kurden an einer HDPVeranstaltung in Frankfurt/M., 20.07./ 08.08.2015: Spontankundgebung des KGZ in Saarbrücken mit 300 Teilnehmernanlässlich des Anschlages in Suruc sowie Beteiligung mehrerer hundert Anhänger an der zentralen Großkundgebung in Köln, 55 05.09.2015 Beteiligung von 600 Anhängern am "Internationalen Kurdistan-Festival" in Düsseldorf, 10.09.2015 Protestaktion des KGZ zur politischen Situation in der Türkei mit 400 Anhängern vor der Europagalerie, 14.-19.09.2015 Aktionsreihe mit Informationszelt vor der Europagalerie, 19.09.2015 Aufzug durch die Saarbrücker Innenstadt mit rund 1.000 Teilnehmern, 10.10.2015 Spontanaktion anlässlich des Bombenanschlags in Ankara mit etwa 300 Teilnehmern vor der Europa-Galerie, 12.11.2015 Kundgebung des KGZ mit 200 Teilnehmern vor der Europa-Galerie zur Vorgehensweise des türkischen Staates gegen die kurdische Zivilbevölkerung, 27.11.2015 Demonstration des KGZ mit 200 Personen (Motto: "Weg mit dem PKKVerbot, Freiheit für alle politischen Gefangenen") in Saarbrücken mit Beteiligung von Angehörigen der linksextremistischen Szene Saar, 29.11.2015 Feier des KGZ zum "Jahrestag der PKK-Gründung" in Karlsbrunn mit 500 Teilnehmern, 14./15.12.2015 Spontandemonstrationen i. Z. m. den türkischen Militärangriffen im Saarbrücker Hauptbahnhof und vor der Europagalerie, 16.-20.12.2015: Mahnwachen des KGZ in der Fußgängerzone und 19.12.2015 Kundgebung des KGZ mit mehreren hundert Teilnehmern in Saarbrücken. 56 2.2 "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Die separatistische LTTE verfolgt das Ziel, einen unabhängigen Tamilenstaat "Tamil Eelam" zu errichten, der den überwiegend von Tamilen besiedelten Norden und Osten der Insel Sri Lanka umfasst. Zur Durchsetzung dieses Ziels führte die LTTE von 1983 bis zu ihrer militärischen Zerschlagung 2009 einen erbitterten Bürgerkrieg gegen die von der Bevölkerungsgruppe der Singhalesen getragene Zentralregierung Sri Lankas, dem insgesamt mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Die außerhalb Sri Lankas bestehenden Netzwerke der LTTE blieben weitgehend intakt und setzten ihre Arbeit ohne Anleitung durch eine übergeordnete Instanz fort; von LTTEAnhängern in der Diaspora begangene Gedenkund Feiertage belegen die tiefe Verwurzelung in der militärischen Tradition der LTTE. In Deutschland, wo rund 60.000 Tamilen leben, ist die Organisation mit einer Anhängerschaft von ca. 1000 Personen zwar nicht verboten, wurde aber auf der so genannten "Terrorliste" der Europäischen Union geführt. Die 2014 wegen Formfehlern erfolgte Aufhebung der Listung, seinerzeit von der tamilischen Diaspora als Erfolg und "Freispruch" gewertet, wurde durch Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 21. Dezember mit der erneuten Listung der LTTE korrigiert. Die nach der militärischen Niederlage der LTTE und dem Tod ihres Führers Velupillai PRABHAKARAN erfolgte Spaltung in konkurrierende Gruppen endete im Herbst 2013 mit einer offiziell verkündeten Wiedervereinigung beider Flügel. Die tamilischen Vereine im Bundesgebiet - wie der "Tamilische Kulturverein e.V." in Saarbrücken - dienen als Anlaufstellen der Anhängerschaft und sind primär für das Sammeln von Spendengeldern, die Durchführung von Propagandaaktionen und die Mobilisierung für überregionale Veranstaltungen zuständig. Der Saarbrücker Kulturverein sowie die tamilischen Schulen (so genannte "Thamilalayams") in Saarbrücken, Sulzbach, Dillingen und Homburg bilden die legalen Strukturen der LTTE im Saarland. Insgesamt sind etwa 35 Tamilen der LTTE direkt zuzurechnen, das Mobilisierungspotenzial liegt bei rund 200 Personen. 57 Innerhalb der tamilischen Diaspora im Saarland ist nach wie vor eine Tendenz zu politischer Teilnahmslosigkeit festzustellen. Ursächlich dafür dürfte die Einsicht sein, dass die Errichtung eines souveränen tamilischen Staates in Sri Lanka in naher Zukunft weder mit militärischen noch politischen Mitteln erreicht werden kann. Zu verzeichnen waren daher nur wenige Aktionen im Saarland sowie nur geringe Beteiligungen hiesiger Organisationsanhänger an überregionalen Veranstaltungen. Die vier tamilischen Schulen veranstalteten am 17. Januar ein "PongalFestival" in Sulzbach-Neuweiler mit etwa 200 Teilnehmern; am 16. März beteiligten sich etwa 20 Tamilen an der Abschlussveranstaltung des "Walk for Justice" in Genf, mit dem auf die Menschenrechtsverletzungen an der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka aufmerksam gemacht werden sollte. Etwa 200 Tamilen aus dem südwestdeutschen Raum beteiligten sich am 11. April an einer von der Jugendorganisation "Tamil Youth Organisation Germany" (TYO Germany) organisierten Kulturveranstaltung in Dudweiler. An einer Großdemonstration anlässlich des so genannten "Tamil Genocide Day", am 18. Mai in Düsseldorf, an dem traditionell der tamilischen Opfer des Bürgerkriegs in Sri Lanka gedacht wird, nahmen etwa 15 LTTE-Anhänger aus dem Saarland teil. Am 10. September legten Teilnehmer eines "Radmarathons von London nach Genf", mit dem öffentlichkeitswirksam der Forderung nach einer internationalen Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen im Heimatland Nachdruck verliehen werden sollte, einen Zwischenstopp im Saarland ein. Mit einer Kundgebung am gleichen Tag vor der Saarbrücker Europagalerie machten rund 15 saarländische Anhänger mit themenbezogenen Transparenten, Plakaten und LTTE-Fahnen auf den "Völkermord an Tamilen in Sri Lanka" aufmerksam. Am 27. November, dem Geburtstag ihres 2009 getöteten Führers PRABAKHARAN, nahmen in Dortmund insgesamt ca. 3.500 Anhänger teil, darunter auch rund 30 Tamilen aus dem Saarland. Der so genannte "Heldengedenktag" zur Erinnerung an die im Kampf für einen unabhängigen Tamilen-Staat Gefallenen, wurde von einem umfangreichen Kulturund Musikprogramm umrahmt. 58 V. Islamismus/islamistischer Terrorismus 1. Allgemeines 1.1 Ideologie Der Islamismus ist eine Form des politischen Extremismus, die sich einer religiösen Sprache und religiöser Argumentationsmuster bedient. Ihre Religion bewusst missbrauchend oder aber in einem völlig faschen Verständnis des Glaubens sehen Islamisten den Islam als ein ganzheitliches, allumfassendes Regelwerk an, das die alleinige Basis für die Lösung aller gesellschaftlichen und politischen Fragen bietet. Unter dem Überbegriff Islamismus werden verschiedene Strömungen subsumiert, die von politisch legalistischen Organisationen über unterschiedliche missionarische Bewegungen bis hin zu militanten bzw. terroristischen Strukturen oder Netzwerken reichen. Die Übergänge innerhalb dieses Spektrums sowie innerhalb bestimmter Strömungen sind fließend und bedürfen immer wieder einer Neubestimmung. Innerhalb des Islamismus beobachten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch die Strömung des Salafismus, die aktuell sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene als dynamischste islamistische Bewegung gilt und insbesondere auf jüngere Menschen eine enorme Anziehungskraft entfaltet. Salafisten verstehen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islam, die ihre Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran sowie dem vom Propheten Muhammad und den ersten Muslimen gesetzten Vorbild auszurichten haben. Ziel von Salafisten ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individueller Lebensführung jedes einzelnen Menschen nach "gottgewollten" Grundsätzen. Das Demokratieprinzip wird kategorisch abgelehnt, "weltliche" Gesetzgebung strikt negiert. Mit diesen ideologischen Grundlagen stellt der Salafismus auch eine Gegenkultur mit alternativem Lebensstil und markanten Alleinstellungsmerkmalen (Kleidung und Sprache) dar, dessen Anhänger sich nach außen als eingeschworene Gemeinschaft mit intensivem Zusammengehörigkeitsgefühl abgrenzen. Sowohl diese Abgrenzung als auch ein das tägliche Leben bis ins Detail bestimmendes salafistisches Regelwerk entfalten eine große Anziehungskraft für alle diejenigen, die sich in der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen; gerade ungefestigte, Sinn suchende Jugendliche und Heranwachsende fühlen sich so als Teil einer Elite, als Vorkämpfer des 59 "wahren Islam", der Welt der Ungläubigen moralisch überlegen. Während die Mehrzahl der Salafisten ihre Ziele durch eine langfristige Veränderung der Gesellschaft und Missionierung erreichen will, setzt ein zahlenmäßig deutlich geringerer Teil auf Gewalt und terroristische Akte. 1.2 Entwicklung/Tendenzen Im Fokus der Bearbeitung des Islamismus/islamistischer Terrorismus im Saarland standen im vergangenen Jahr insbesondere die spezifischen Auswirkungen der Syrien/Iraksowie der Flüchtlingsproblematik auf diesen Beobachtungsbereich, konkrete Ansätze terroristischer Aktivitäten, salafistische Erscheinungsformen sowie entsprechende partielle Wechselwirkungen. Die jüngsten terroristischen Anschläge in mehreren europäischen Metropolen machten deutlich, dass Europa - und damit auch die Bundesrepublik Deutschland - mit seinen staatlichen und zivilen Einrichtungen unverändert im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus steht und damit einer fortgesetzten hohen abstrakten Gefährdung unterliegt, die sich jederzeit durch terroristische Taten konkretisieren kann. Auch wenn den deutschen Sicherheitsbehörden derzeit keine belastbaren Hinweise auf konkrete Tatplanungen in Deutschland vorliegen, muss unter Berücksichtung des zumindest quantitativ starken jihadistischen Personenpotenzials sowie der Schwierigkeit, emotionalisierte Spontanund Einzeltäter oder Kleinstgruppen frühzeitig zu erkennen, auch in Deutschland mit der Vorbereitung bzw. Verwirklichung terroristischer Anschläge gerechnet werden. Einen vorläufigen Höhepunkt der bisher in Europa verübten Anschläge mit islamistischem Hintergrund stellten die Terroranschläge von Paris vom 13. November 2015 dar, bei denen mehrere Selbstmordattentäter mit Bezug zum IS verschiedene, über das Pariser Stadtgebiet verteilte Ziele angriffen. Diese strukturierte Anschlagsserie mit dem Einsatz gut ausgerüsteter, in mehreren mobilen Zellen agierender Attentäter sowie die hohen Opferzahlen markierten eine neue Dimension des Terrors in Europa. Zudem machten die Anschläge von Paris erneut deutlich, dass das größte Gefährdungspotenzial neben fanatisierten Einzeltätern und Kleinstgruppen erfahrene Jihadkämpfer, seien es Ersteinreisende oder Rückkehrer aus jihadistischen Ausbildungslagern bzw. Kampfgebieten, darstellen. Derzeit liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu mehr als 800 60 (Stand: Februar 2016) deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien / Irak ausgereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Insgesamt zeichnet sich eine verringerte Ausreisedynamik ab. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/ Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen ist weiblich; der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel der insgesamt gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/ Irak beteiligt haben. Als Ergebnis der kontinuierlichen Ausund Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 70 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner gibt es zu ca. 130 Personen Hinweise, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegt sich im niedrigen dreistelligen Bereich. Im Zusammenhang mit ersteinreisenden Jihadisten aus der syrisch-irakischen Krisenregion ist anzumerken, dass die Sicherheitsbehörden mangels belastbarer Hinweise zunächst davon ausgingen, dass es der IS eher nicht nötig habe, Attentäter über die beschwerlichen Flüchtlingsrouten einzuschleusen, da ihm effektivere Wege zur Verfügung stehen. Diese Einschätzung musste nach den Erkenntnissen zu den Anschlägen in Paris teilweise revidiert werden. Bislang erlangten die Bundessicherheitsbehörden (Stand: Januar 2016) Hinweise zur Einreise bzw. Aktivitäten mutmaßlicher aktiver/ehemaliger Jihadisten (einschl. Unterstützer und Sympathisanten) bzw. zur Einreise von Einzelpersonen mit extremistischer Gesinnung und islamistisch motivierten Kriegsverbrechern in einer Gesamthöhe im unteren dreistelligen Bereich. Der Großteil dieser zumeist unspezifischen Hinweise lässt sich weder eindeutig verifizieren noch falsifizieren und bleibt Gegenstand intensiver sicherheitsbehördlicher Ermittlungen. In Bezug auf Aktivitäten des islamistischen Spektrums im engeren und weiteren Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom war festzustellen, dass 61 in Deutschland ansässige Islamisten mit Hilfsleistungen und -angeboten (u. a. materielle Spenden, Dolmetscherdienste, Seelsorge) an die Bewohner von Flüchtlingsunterkünften herantraten; bisher konnten im Verfassungsschutzverbund (Stand: Januar 2016) Hinweise in einer Gesamthöhe im unteren dreistelligen Bereich zu direkten islamistischen Kontaktaufnahmeversuchen gezählt werden. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass Kontaktaufnahmen zu Flüchtlingen bzw. Hilfskampagnen nicht auf organisationsgebundenen, zentral gesteuerten Strategien basieren, sondern vielmehr auf örtlicher Ebene von Einzelpersonen bzw. Personenzusammenschlüssen vorgenommen wurden. Zudem ergeben sich potenzielle Berührungspunkte zwischen Islamisten und Migranten wiederholt durch die berufliche Beschäftigung von Personen mit Verbindung zum Islamismus als Sicherheitspersonal oder Dolmetscher in Flüchtlingsunterkünften. Erkenntnisse zu islamistischen Radikalisierungsprozessen unter Flüchtlingen im Bundesgebiet liegen bislang nur im Einzelfall vor. 1.3 Personenpotenzial Das Mitglieder-/Anhängerpotenzial der dem Beobachtungsbereich Islamismus/islamistischer Terrorismus zugeordneten Organisationen, Gruppierungen und Einzelaktivisten im Saarland belief sich im abgelaufenen Jahr auf etwa 220 Personen (Vorjahr: 210). Während bei anderen Beobachtungsfeldern des Islamismus leichte Abgänge zu verzeichnen waren, mussten dem Phänomenbereich des Salafismus nach Etablierung der erkannten Anlaufstellen rund 150 Personen zugerechnet werden (Vorjahr: ca. 100). Etwa 10 Personen werden als gewaltorientiert eingeschätzt. Entwicklung des islamistischen Personenpotenzials innerhalb der letzten fünf Jahre: 62 Hinweis: Die signifikante Reduzierung des Gesamtpotenzials in 2014 resulierte aus dem Umstand, dass die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) mit mehr als 200 Anhängern seit Oktober des gleichen Jahres nicht mehr unter Beobachtung steht. 2. Einzelaspekte 2.1 Islamistischer Terrorismus Die Situation in Syrien und im Irak führte seit 2012 zu einem massiven Anstieg islamistisch motivierter Ausreisen in die Krisengebiete mit dem Ziel der Unterstützung des so genannten "Islamischen Staates" (IS) oder eines anderen jihadistischen Netzwerkes. Im Saarland wurden in der Vergangenheit Informationen zu wenigen Einzelpersonen bekannt, die eine Ausreise nach Syrien geplant haben sollen. Bislang konnten allerdings keine Erkenntnisse gewonnen werden, die auf realisierte islamistisch motivierte Reisebewegungen nach Syrien/ Irak hindeuten. Eine im vergangenen Jahr von einem breiten Medienecho beglei63 tete mutmaßlich jihadistisch motivierte Ausreise betraf einen inzwischen 22-jährigen pakistanischen Staatsangehörigen aus Saarbrücken, der im Januar zunächst zu Verwandten in sein Heimatland reiste; wenige Wochen später schloss er sich angeblich einer jihadistischen Gruppe in Afghanistan an. Etwa seit Mitte 2015 häuften sich auch im LfV Saarland Hinweise auf im Zuge des Flüchtlingsstroms eingereiste Personen, die einen jihad-salafistischen Vorlauf haben bzw. Mitglieder einer islamistisch-terroristischen Organisation im Ausland sein sollen. Die zumeist unspezifischen Hinweise wurden hier in enger Abstimmung mit der Polizei bearbeitet. Zur Optimierung, Beschleunigung und Standardisierung der Arbeitsabläufe bei der Bearbeitung von Hinweisen, Verdachtsfällen, Gefährdungsund Ausreisesachverhalten mit Bezug zum Phänomenbereich Islamismus/islamistischer Terrorismus wurde im Herbst vergangenen Jahres eine besondere Arbeitseinheit innerhalb des LfV eingerichtet. Da sich entsprechende Verdachtsfälle / Gefährdungssachverhalte, die oftmals auf frühere Aktivitäten in der syrisch-irakischen Krisenregion abheben, häufig nur sehr schwer eindeutig verifizieren bzw. falsifizieren lassen, sind sie mitunter bis dato Gegenstand intensiver nachrichtendienstlicher Ermittlungen. Nach derzeitiger Bewertung liegen jedoch keine belastbaren Hinweise auf aktuelle Verbindungen einzelner Personen zum IS oder anderen jihadistischen Gruppierungen sowie auf islamistisch-terroristische Aktivitäten im Saarland bzw. von im Saarland ansässigen Personen vor. 2.2 Islamismus im Saarland Das breite Spektrum islamistischer Bestrebungen ist in Teilen auch im Saarland vertreten bzw. in einigen Erscheinungsformen ideologisch oder organisatorisch mit Gruppierungen oder Einzelpersonen aus dem Saarland verbunden. Häufig nicht auf den ersten Blick erkennbar, bestehen solche Verbindungen z. B. zur "Hizb Allah" (HA), zur "Muslimbruderschaft" (MB) und auch zur "Tabligh-i-Jama'at"Bewegung (TJ). Die Anziehungskraft des Salafismus insbesondere auf jüngere Menschen sowie die weiterhin signifikant steigenden Anhängerzahlen entsprechender Gruppierungen in Deutschland zeigten sich im abgelaufenen Jahr auch im Saarland. Obgleich im Berichtszeitraum keine öffentlichkeitswirksamen 64 Veranstaltungen von Salafisten festzustellen waren, konnte dennoch eine deutliche Belebung hiesiger personeller und organisatorischer Strukturen bei salafistischen Erscheinungsformen festgestellt werden. Der hiesigen Klientel von derzeit rund 150 Personen dienten weiterhin insbesondere Vereine in Sulzbach und Merzig als Anlaufstellen; weitere Ansätze waren darüber hinaus auch für die Landeshauptstadt festzustellen. Nach wie vor war die Szene nahezu in Gänze dem politischen Salafismus zuzurechnen. Gewalt bzw. Jihad befürwortende Tendenzen waren lediglich bei Einzelpersonen ansatzweise erkennbar. Angesichts der Entwicklungen in Syrien / Irak und einer stetig steigenden Zahl islamistisch motivierter Ausreisen von Salafisten aus Deutschland und Europa in die dortige Krisenregion stand der Salafismus erneut im besonderen Fokus der Öffentlichkeit. Auch innerhalb der salafistischen Szene im Saarland war der Syrien-Konflikt unverändert Gesprächsthema. Mit den in dortigen Kreisen durchgeführten Spendensammlungen für Syrien (Sachund Geldspenden) wurden vornehmlich karitative Zwecke verfolgt; eine Unterstützung islamistischer Gruppierungen in Syrien kann allerdings im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden. Im abgelaufenen Jahr wurden hiesigem Landesamt wenige Einzelfälle im konkreten Spannungsfeld Islamismus/ Flüchtlinge bekannt. In einem Fall engagierten sich im Spätsommer mehrere Angehörige des hiesigen salafistischen Spektrums im Rahmen humanitärer Hilfsdienste in der Landesaufnahmestelle Lebach; belastbare Erkenntnisse zu einer darüber hinausgehenden gezielten "Dawa-/ Missionierungsarbeit" durch diese Personen lagen nicht vor. Andererseits darf nicht vernachlässigt werden, dass Flüchtlinge in durchaus großer Zahl auch verfassungsschutzrelevante, insbesondere unter salafistischem Einfluss stehende Moscheen im Saarland aufsuchten. Nach den bisherigen Erkenntnissen schien dies sehr häufig aber aus praktischen Erwägungen zu erfolgen. So dürften vornehmlich die Wohnortnähe bzw. die in salafistisch geprägten Moscheen zumeist dominierende arabische Sprache ausschlaggebend sein. Obgleich im Saarland bislang keine Erkenntnisse zu islamistischen Radikalisierungsprozessen unter Flüchtlingen bekannt wurden, wird das entsprechende Spannungsfeld auch weiterhin im besonderen Fokus der hiesigen Beobachtung stehen. 65 VI. Spionage-/ Sabotageabwehr, Wirtschaftsschutz 2015 Die Bundesrepublik ist als eine der führenden Industrienationen und als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie mit Weltmarktführung sowie wegen ihrer politischen Rolle in der EU und NATO ein Zielgebiet für fremde Nachrichtendienste. Ihre offene und pluralistische Gesellschaft erleichtert Nachrichtendiensten fremder Staaten die Informationsbeschaffung. Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland sind derzeit die russische Förderation und die Volksrepublik China. Darüber hinaus sind vornehmlich Länder des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas nachrichtendienstlich in Deutschland aktiv. Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen und halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort sogenannte Legalresidenturen. Darunter versteht man Stützpunkte eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung im Gastland. Die dort angeblich als Diplomaten oder Journalisten tätigen Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst offene oder verdeckte Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Nachrichtendienste in den Heimatländen geführt werden. Daneben führen Nachrichtendienste auch Operationen ohne Beteiligung ihrer Legalresidenturen durch. Fremde Nachrichtendienste handeln nicht allein nach gesetzlichen Aufgabenzuweisungen, sondern werden zudem politisch gesteuert. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele ausländischer Nachrichtendienste umfassen eine breite Palette von der Politik, Wirtschaft und Militär bis zur Wissenschaft und Technik. Nachrichtendienste einiger Staaten (wie Iran, Syrien, China) legen ihren Aufklärungsschwerpunkt auch auf die Ausspähung von hier lebenden Oppositionellen. Um ihr Aufklärungsziel zu erreichen, versuchen diese Nachrichtendienste, ausgewählte Personen aus der Oppositionsbewegung mit dem Ziel einer Verpflichtung zur nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit anzusprechen. Bei Ablehnung wird den betroffenen Personen oder ihren in der Heimat lebenden Angehörigen oftmals mit Repressalien gedroht. Vor dem Hintergrund der Globalisierung der Märkte und neuer weltpolitischer Konstellationen hat die Bedeutung der Wirtschaftsspionage in den 66 letzten Jahren stetig zugenommen. Im Zentrum der Ausforschung durch fremde Nachrichtendienste stehen wegen ihres enormen ökonomischen Potenzials auch Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland. Staaten mit Technologierückstand sind besonders an der Beschaffung von Informationen über Fertigungstechniken und technischem Know-how interessiert, um auf dem Markt mit kostengünstiger gefertigten Nachbauten wettbewerbsfähig zu sein oder die Kosten für eigene Entwicklungen und Lizenzgebühren zu sparen. Technisch und wirtschaftlich hoch entwickelte Staaten interessieren sich mehr für wirtschaftspolitische Strategien, sozialökonomische und politische Trends, Marktund Unternehmensstrategien, komplexe Fertigungstechniken bis hin zu Informationen über Preisgestaltungsmodalitäten und Zusammenschlüssen von Unternehmen. Daher kommt der Sensibilisierung, Information und Aufklärung von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Gefahren der Wirtschaftsspionage eine hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder (sogenannte Risikostaaten wie z.B. Iran und Nordkorea) darum, in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen und die dafür erforderlichen Trägersysteme zu gelangen sowie die hierzu erforderlichen Güter und das entsprechende Know-how zu erwerben (Proliferation). Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägertechnologie sind als Gesamtprodukte auf dem freien Markt nicht erhältlich. Deshalb versuchen die Proliferation betreibenden Staaten systematisch, Kontrollmaßnahmen durch Lieferung von Teilprodukten über Drittländer und durch die Beschaffung von "Dual-use"-Produkten, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind, zu umgehen. Deutschland ist als eine der führenden Industrienationen und als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie ein Zielgebiet für entsprechende Beschaffungsbemühungen dieser Risikostaaten. Deshalb sind in Deutschland seit Jahren intensive und stetig ansteigende Beschaffungsbemühungen zu verzeichnen. Eine besondere Gefahr mit Zielrichtung "Wirtschaftsspionage/Proliferation" stellen die in sehr hoher Zahl festgestellten "Elektronischen Angriffe" auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen dar. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine staatlich gelenkte nachrichtendienstliche Steuerung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Elektronische Angriffe haben sich zu einer wichtigen Methode der Informationsgewinnung für fremde Nachrichtendienste entwickelt und ergänzen als zusätzliche Informationsquelle die bislang eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel. Neben der Informationsgewinnung sind auf diesem Weg 67 verbreitete "Schadprogramme" auch in der Lage, Sabotagefunktionen auszuführen, die gerade beim Einsatz gegen sensible Infrastrukturen erhebliche Auswirkungen haben könnten. Auf Behörden zielende Elektronische Angriffe mit nachrichtendienstlichem Hintergrund waren auch im vergangenen Jahr wieder festzustellen. Fallzahlen belegen die weiterhin hohe Gefährdung für die Informationssicherheit von Bundesbehörden und sonstiger staatlicher Stellen durch solche Angriffe. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Infiltration des ITNetzwerkes des Deutschen Bundestages im Sommer letzten Jahres, die eine Abschaltung des Systems und einen partiellen Neuaufbau erzwang. Nach den bisher vorliegenden Analysen ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl dieser Attacken einen staatlich gelenkten nachrichtendienstlichen Hintergrund besitzt. Die zur Durchführung der Angriffe erforderlichen Infrastrukturen und die sehr hohe Qualität und Zielrichtung deuten auf Parallelen zu früheren Angriffen aus China und Russland hin. Auch ist nach wie vor von einer hohen Dunkelziffer nicht erkannter Elektronischer Angriffe auszugehen. Nicht zuletzt hat die sogenannte "NSA Affäre" klargemacht, dass elektronische Spionageaktivitäten auch von sog. "befreundeten Staaten" ausgehen. Die Aktivitäten "befreundeter Staaten" müssen künftig bei der Spionageabwehr stärker als bisher berücksichtigt werden. Dazu wurden im Verfassungsschutzverbund bereits neue Bearbeitungsansätze konzipiert, die künftig mit einem "360 Grad Blickwinkel" Spionagetätigkeiten aller Staaten erfassen. Neben der Verfolgung einzelner Spionageaktivitäten, die häufig schwer zu erkennen sind, ist die Prävention durch die Sensibilisierung von saarländischen Unternehmen ein wichtiger Aspekt. Gerade kleine und mittelständige Unternehmen verfügen häufig im Hinblick auf Firmensicherheit weder über die notwendigen personellen noch finanziellen Ressourcen. Sie unterschätzen nach den Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden oft die möglichen Risiken für ihr Unternehmen. Diese Fehleinschätzung kann unter Umständen existenzielle Folgen haben. Die Spionageabwehr unterstützt daher saarländische Firmen und Forschungseinrichtungen, bei denen aufgrund von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen bekannt ist, dass sie möglicherweise im Zielspektrum fremder Nachrichtendienste stehen könnten. Durch Sensibilisierung und Beratung werden dabei Vorgehensweisen und potenzielle Gefahren durch Wirtschaftsspionage angesprochen und Schutz68 maßnahmen/Verhaltensregeln bei Geschäftsreisen in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken anhand von Beispielen verdeutlicht. Saarländische Firmen, die geschäftliche Kontakte nach China, in die GUS-Staaten und in den Iran unterhalten, werden über Spionagerisiken und die bekanntgeworden Methoden fremder Nachrichtendienste aufgeklärt. Für diese Sensibilisierungen hat der Verfassungsschutzverbund die Broschüren "Wirtschaftsspionage - Risiko für Ihr Unternehmen" und "Proliferation" sowie Merkblätter mit Sicherheitsund Verhaltensweisen, z.B. bei Geschäftsreisen, erstellt. Diese können über das Saarländische Landesamt für Verfassungsschutz bezogen oder unter www.verfassungsschutz.de heruntergeladen werden. Mitarbeiter der Spionageabwehr stehen für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Nehmen Sie Kontakt über info@lfv.saarland.de auf. 69 VII. Organisierte Kriminalität 2014 Das Landesamt für Verfassungsschutz gewinnt und bewertet sachund personenbezogene Informationen über kriminelle Strukturen. Ziel ist es, ohne den Druck des Legalitätsprinzips Strukturen Organisierter Kriminalität sowie die Täter und Hintermänner zu erkennen. Die Ergebnisse werden an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben. Hierdurch leistet das Landesamt auch einen Beitrag zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität. 70 71 Ministerium für Inneres und Sport Franz-Josef-Röder-Str. 21 66119 Saarbrücken E-Mail: lagebild-verfassungsschutz@ innen.saarland.de www.innen.saarland.de /innen.saarland Ministerium für Inneres und Sport 72