VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 1 Verfassungsschutzbericht 2024 4 VERFASSUNGSSCHUTZ BERICHT 2024 ISSN 0948-8723 5 VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, mehr denn je brauchen wir einen leistungsfähigen Verfassungsschutz, der Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung frühzeitig erkennt und die Urheber dieser Gefahren genau im Blick behält. Denn unser Modell einer liberalen Demokratie und unsere offene Gesellschaft sind gefährdet und das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit unseres parlamentarischdemokratischen Systems hat gelitten. Dasselbe gilt für das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in unseMichael Ebling Minister des Innern und für Sport rem Land. Für Extremisten sind das optimale Bedingungen. Ihre Narrative verfangen und schwächen unsere Demokratie. Unsere wehrhafte Demokratie und der Verfassungsschutz als eine ihrer wesentlichen Säulen stellen sich dem entgegen. Wir können die Feinde unserer Demokratie klar benennen. Die größte Bedrohung geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Keinem anderen Extremismusbereich ordnet der Verfassungsschutz bundesweit so viele Personen zu wie dem Rechtsextremismus. In Rheinland-Pfalz umfasst nur das Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" mehr Personen; die allermeisten von ihnen sind aber - im Gegensatz zum Rechtsextremismus - an keine Organisation gebunden. Bei der politisch motivierten Kriminalität sind die meisten Straftaten und auch die darin enthaltenen Gewalttaten "rechts" motiviert. Rechtsextremistische Ideologieelemente wie Fremdenund Minderheitenfeindlichkeit, Chauvinismus und Demokratiefeindschaft sind in hohem Maße anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft. Dies zeigt sich anhand der aktuell die gesellschaftliche und politische Debatte dominierenden Themen, Migration, innere Sicherheit, Krieg und Frieden. 6 Vorwort Die "Alternative für Deutschland" (AfD) steht besonders im Fokus. Sie vertritt ein Volksverständnis, das nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist, indem sie die Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage stellt. Damit grenzt sie bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund deren Abstammung aus, so Menschen mit Migrationshintergrund, was eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung darstellt. Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz wird weiter seinen Beitrag gegen Rechtsextremismus leisten. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus sind aber auch Politik und Zivilgesellschaft gefordert. Das Ende der "Fassfabrik", eines rechtsextremistischen Veranstaltungsund Vernetzungsortes in Hachenburg im Westerwald, Ende des vergangenen Jahres zeigte, dass sich konsequentes Handeln im Einsatz gegen den Rechtsextremismus auszahlt. Eine zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes bleibt es, Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen und entsprechende Erkenntnisse der Polizei zu übermitteln, wenn sich schwere Strafoder gar Gewalttaten abzeichnen. Dies gilt insbesondere für den Rechtsextremismus und den Islamismus. Mit Sorge stellen die Sicherheitsbehörden fest, dass immer jüngere Personen extremistische Bestrebungen verfolgen. Manche von ihnen sind noch minderjährig, einige keine 16 Jahre alt. Der Bericht widmet diesem Thema einen eigenen Brennpunktartikel. Jugendliche und junge Erwachsene zeigen in sozialen Netzwerken ein zunehmendes Interesse für jihadistisches Propagandamaterial. Der Gazakrieg und die militärischen Operationen Israels im Nahen Osten, die sich an den Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 anschlossen, sorgen hier für eine anhaltend hohe Emotionalisierung. Im rechtsextremistischen Spektrum zeigen junge Menschen als Angehörige der Attentäterfanszene, einer rechtsterroristisch orientierten Online-Subkultur, auf Social-Media-Plattformen eine teils schon kultische Verehrung der Täter. Neben bekannten Plattformen wie TikTok oder Instagram nutzen Extremisten zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen auch kleinere, nicht kommerzielle Plattformen, die einen anonymen oder verschlüsselten Austausch erlauben. 7 Wenngleich sich der Rechtsextremismus und der Islamismus einmal mehr als die gefahrvollsten Phänomenbereiche erwiesen haben, verfolgt der Verfassungsschutz auch die Entwicklungen der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" mit ungebrochener Aufmerksamkeit, was nicht zuletzt aufgrund der hohen Waffenaffinität innerhalb der Szene notwendig ist. Staatliche Maßnahmen müssen regelmäßig mit Unterstützung von polizeilichen Spezialeinheiten vollzogen werden. Ziel des Verfassungsschutzes bleibt deshalb die konsequente Entwaffnung der Szene. Zum Aufgabenspektrum der Behörde zählt ebenso die Beobachtung von Bestrebungen im auslandsbezogenen Extremismus, im Linksextremismus und im Bereich der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates". Zur Bedrohung im Innern kommen Gefahren von außen. So müssen wir auch in Rheinland-Pfalz von einer illegitimen Einflussnahme fremder Staaten ausgehen. Diese zielen darauf ab, Einfluss auf die öffentliche Debatte und die politische Willensbildung zu nehmen. Desinformationskampagnen und cybergestützte Operationen gehen insbesondere von Russland und von China aus. Auch politische Entscheidungsträger sowie Parteien stehen dabei im Fokus. Nicht nur im digitalen Raum verschärft sich die Bedrohungslage. In Deutschland und Rheinland-Pfalz haben sich Ende des vergangenen und am Anfang dieses Jahres verdächtige Drohnenüberflüge im Umfeld militärischer Liegenschaften, aber auch bei Firmen und Fabrikationsstätten gehäuft. Das unerlaubte Überfliegen von Industrieoder Militäranlagen können ausländische Akteure zur gezielten Ausspähung dieser Einrichtungen nutzen. Möglicherweise bereiten sie damit Sabotageakte vor oder wollen dies als Machtdemonstration verstanden wissen. Solche hybriden Angriffe gegen Deutschland nehmen zu und werden professioneller. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Russland diese und weitere Angriffe 8 Vorwort gegen Deutschland und seine Verbündeten in naher Zukunft einstellen wird. Ebenso wird China weiterhin versuchen seinen geopolitischen Einflussbereich mit Cyberangriffen, Spionage und Abhöraktionen auszubauen und einen möglichst hohen Wissenstransfer durch ebensolche Maßnahmen zu ermöglichen. Neben der Beobachtung und Auswertung extremistischer und sicherheitsgefährdender Bestrebungen hat sich die Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit zu einer Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes entwickelt. Dies wurde zuletzt im Zuge der Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes im November 2024 nochmals hervorgehoben. Der Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit so umfassend wie möglich und leistet damit einen Beitrag, Extremismus und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen vorzubeugen. Die 2008 beim rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz eingerichtete Präventionsagentur gegen Extremismus bietet insbesondere Vortragsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler an. 2024 fanden allein über Rechtsextremismus 23 Veranstaltungen und mehr als 30 zum Thema Antisemitismus statt. Der Verfassungsschutz wird weiterhin seinen Beitrag zum Schutz unserer demokratischen Ordnung leisten. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren engagierten Einsatz zum Erhalt unserer Demokratie und wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine informative Lektüre des Verfassungsschutzberichtes 2024. Michael Ebling Minister des Innern und für Sport 9 INHALTSVERZEICHNIS A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 15 1. Grundlagen und Aufgaben 16 1.1 Auftrag, Aufgaben und Methoden 16 1.2 Kontrolle des Verfassungsschutzes 19 2. Strukturdaten 20 3. Verfassungsschutzbericht 21 4. In eigener Sache: Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz - Bedrohungen begegnen 22 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 29 1. Leitmotiv "Prävention durch Information" 30 2. Extremismus-Prävention in Rheinland-Pfalz 32 2.1 Präventionsagentur gegen Extremismus 33 2.2 Kommunale Kriminalprävention 35 2.3 Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz 36 2.4 Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz 39 2.5 Meldeund Dokumentationsstelle für menschenfeindliche Vorfälle in Rheinland-Pfalz 40 2.6 Bündnis "Demokratie gewinnt!" - Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz 41 2.7 Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 42 3. Wirtschaftsschutz und Sicherheitspartnerschaft 45 4. Cyberschutz 47 10 Inhaltsverzeichnis C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen 49 Brennpunktthemen 51 1. Radikalisierung im Kinderzimmer 52 2. Das Netzwerk der "Neuen Rechten" 56 3. Rechtsextremistisch genutzte Immobilien: die Bedeutung von Szeneobjekten am Beispiel der "Fassfabrik" in Hachenburg 67 4. Hybride Bedrohungen und Desinformation nehmen zu 72 Rechtsextremismus 81 1. Personenpotenzial 82 2. Überblick und Entwicklungen 2024 83 3. Gruppierungen und Strukturen 86 3.1 Rechtsextremistische Parteien und parteiabhängige Gruppierungen 86 3.1.1 "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" - NPD) 86 3.1.2 "Der III. Weg" 88 3.1.3 "Alternative für Deutschland" (AfD) 95 3.1.4 "Junge Alternative" (JA) 99 4. Parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen 104 4.1 "Neue Rechte" 104 4.2 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 106 4.3 Neonationalsozialismus (Neonazis) 110 5. Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 114 5.1 "Combat 18" und "Hammerskins" 114 5.2 Rechtsextremistische Musik 115 6. Internetauswertung Rechtsextremismus 119 7. Kurzbeschreibungen 121 11 Reichsbürger und Selbstverwalter 131 1. Personenpotenzial 132 2. Überblick und Entwicklungen 2024 133 2.1 Selbstverwalter 137 2.2 Hohe Waffenaffinität 138 3. Kurzbeschreibungen 139 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 143 Überblick und Entwicklungen 2024 144 Linksextremismus 149 1. Personenpotenzial 150 2. Überblick und Entwicklungen 2024 151 3. Gruppierungen, Strukturen und Aktionsfelder 159 3.1 Autonomen-Szene 159 3.2 Anarchisten - "die plattform" 161 3.3 Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten 162 3.4 "Rote Hilfe e.V." 164 3.5 Linksextremistische Aktionsfelder 165 4. Ausblick 168 5. Kurzbeschreibungen 169 Islamismus 175 1. Personenpotenzial 176 2. Überblick und Entwicklungen 2024 177 3. Gruppierungen und Strukturen 182 3.1 Terrorismus und Jihadismus 182 3.2 Salafistische Bestrebungen 188 3.3 Organisationsgebundener Islamismus 193 4. Kurzbeschreibungen 197 12 Inhaltsverzeichnis Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) 209 1. Personenpotenzial 210 2. Überblick und Entwicklungen 2024 211 3. Gruppierungen und Strukturen 213 3.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 213 3.2 "Graue Wölfe" ("Ülkücü"-Bewegung) 216 4. Ausblick 218 5. Kurzbeschreibungen 219 Spionageabwehr und Cybersicherheit 225 1. Allgemeine Lage 226 2. Aufgaben der Spionageabwehr 228 2.1 Spionageabwehr 228 2.2 Proliferation 239 2.3 Wirtschaftsspionage und -sabotage 239 2.4 Angebote der Spionageprävention 241 2.5 Cyberangriffe, Datenspionage und -sabotage 242 Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 247 1. Geheimund Sabotageschutz 248 2. Mitwirkungsaufgaben 251 D. Anhang 255 1. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 256 2. Register 260 13 A. VERFASSUNG SCHUTZ RHEINLAND 14 PFALZ Verfassungsschutzbericht 2024 UNGS A. VERFASSUNGS SCHUTZ RHEINLAND PFALZ ND 15 1. GRUNDLAGEN UND AUFGABEN Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu schützen. Er ist ein Element der wehrhaften Demokratie. Den Auftrag erfüllen - dem föderalen Staatsaufbau Deutschlands entsprechend - das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit Hauptsitz in Köln und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz. In einigen Bundesländern, zum Beispiel in BadenWürttemberg und Hessen, übernehmen eigenständige Landesämter die Aufgabe. In den meisten Ländern ist der Verfassungsschutz als Abteilung im jeweiligen Innenministerium eingerichtet, wie seit 1951 auch in Rheinland-Pfalz. Verfassungsschutzbehörde in Rheinland-Pfalz ist die Abteilung 6 im Ministerium des Innern und für Sport. 1.1 Auftrag, Aufgaben und Methoden Als "Frühwarnsystem" beobachtet die Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag vor allem politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen, die auf eine Beeinträchtigung oder gar Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zielen. Die FDGO umfasst die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind: die Garantie der Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. "Beobachten" heißt, der Verfassungsschutz sammelt Informationen über extremistische beziehungsweise verfassungsfeindliche Bestrebungen und wertet sie aus. Dies ist in den SSSS 4 und 5 des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG) geregelt. 16 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz Die Analysen, Lagebilder und Operativmaßnahmen des Verfassungsschutzes tragen zur Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaates gegen Extremisten bei. Immer wieder dienen sie als Grundlage für staatliche Maßnahmen wie Vereinigungsverbote oder Strafverfahren. INFORMATION Was ist Extremismus? Der für den Verfassungsschutz relevante Extremismusbegriff leitet sich aus der Gesetzeslage ab. Als extremistisch werden demnach Bestrebungen, das heißt Verhaltensweisen bezeichnet, die politisch bestimmt sind und mit denen das Ziel verfolgt wird, die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze oder in Teilen zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Begriff beschreibt lediglich eine politisch intendierte Vorgehensweise, unabhängig ihrer jeweiligen weltanschaulichen Prägung. Damit der Verfassungsschutz eine Organisation, Gruppierung oder Einzelperson beobachten darf, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Denn durch die Beobachtung kann der Verfassungsschutz in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen. Dementsprechend muss ihr regelmäßig eine sehr sorgfältige Prüfung vorausgehen. 17 Vom gesetzlichen Beobachtungsauftrag nicht umfasst sind radikale1 Bestrebungen und Verlautbarungen sowie bloße Meinungsbekundungen und politische Einstellungen. Entsprechende Äußerungen mögen populistisch, provokativ und polemisch sein, sie sind aber von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auch extremistische Einstellungen alleine reichen also nicht aus, um ein Fall für den Verfassungsschutz zu werden. Ein entsprechendes Verhalten muss hinzukommen, welches sich gegen die Grundpfeiler des demokratischen Verfassungsstaates richtet. Die Beobachtung extremistischer Bestrebungen ist nicht die einzige Aufgabe des Verfassungsschutzes. Er ist auch für die Abwehr von Spionage und von Cyberangriffen zuständig, wenn sie staatlich gelenkt sind. Darüber hinaus obliegt ihm die Mitwirkung bei einer Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen, wie beispielsweise nach dem Luftsicherheitsoder dem Waffengesetz. Seine Erkenntnisse gewinnt der Verfassungsschutz in erheblichem Maße aus öffentlich zugänglichen Quellen. Außerdem ist er befugt, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und auf Basis der einschlägigen Gesetze nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, um verdeckt Informationen zu beschaffen. Dazu zählen zum Beispiel der Einsatz von Vertrauenspersonen oder Observationsmaßnahmen. Polizeiliche oder strafprozessuale Zwangsmittel sind ihm hingegen untersagt. Der Verfassungsschutz darf weder Personen kontrollieren und festnehmen noch Wohnungen durchsuchen. 1 Während Extremisten das herrschende politische System überwinden und ein gänzlich neues an dessen Stelle setzen wollen, zielt Radikalismus auf eine Systemveränderung innerhalb des herrschenden Systems. Radikale politische Akteure erkennen die FDGO grundsätzlich an, wollen gesellschaftliche Probleme und Konflikte aber an der "Wurzel" (lateinisch "radix") anpacken. Gewalt als politisches Mittel lehnen sie ab. 18 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 1.2 Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes unterliegt einer intensiven Kontrolle, die vor allem durch die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags wahrgenommen wird. Diese wird regelmäßig und umfassend über die Arbeit des Verfassungsschutzes unterrichtet und kann jederzeit Einsicht in seine Akten und Dateien verlangen. Zudem verfügt der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit über entsprechende Kontrollrechte. Wenn der Brief-, Postund Fernmeldeverkehr überwacht werden soll, um an Erkenntnisse zu gelangen, muss die Verfassungsschutzbehörde vorher die Genehmigung der vom Landtag eingesetzten unabhängigen G10-Kommission einholen. Die Kommission übt darüber hinaus nach dem neuen Landesverfassungsschutzgesetz in der Fassung vom 26. November 2024 die unabhängige Vorabkontrolle von Maßnahmen des Verfassungsschutzes aus, die unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel erfolgen. Hierzu zählt beispielsweise der Einsatz von Vertrauenspersonen. Die G10-Kommission wird vom Landtag für die Dauer einer Wahlperiode bestellt und besteht aus drei Mitgliedern. Hinzu kommt eine informelle Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die Medien, also die Presse, das Fernsehen, den Rundfunk und journalistische Websites, die im Rahmen eigener Recherchen Anfragen zu bestimmten Sachverhalten stellen können. 19 2. STRUKTURDATEN Der vom Landtag Rheinland-Pfalz beschlossene Haushaltsplan des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz weist für 2024 insgesamt 207 Stellen aus. Für 2025 sind im Etat 210 Stellen eingeplant. In den zurückliegenden Jahren ist die Stellenzahl kontinuierlich gewachsen. Dies spiegelt die zunehmenden und immer komplexeren extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bedrohungen wider, mit denen Verfassungsschutz, Politik und Gesellschaft konfrontiert sind. Das Budget für Sachausgaben (ohne Personalkosten) betrug im Haushaltsjahr 2024 rund 2,16 Millionen Euro und etwa 1,53 Millionen Euro für Investitionen. 2025 sind Sachausgaben in Höhe von rund 2,65 Millionen Euro vorgesehen und Investitionen von 2,0 Millionen Euro. 20 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 3. VERFASSUNGS SCHUTZBERICHT Der Verfassungsschutzbericht ist seit mehr als 40 Jahren ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz. Er erscheint jährlich und dient der umfassenden Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen. Der Bericht enthält keine abschließende "Das fachlich zuständige Aufzählung, Darstellung und Bewertung Ministerium informiert die verfassungsfeindlicher PersonenzusamÖffentlichkeit über Bestremenschlüsse. Berichtet wird nur zu Gruppierungen und Organisationen, die bungen und Tätigkeiten nach nachweislich verfassungsfeindliche SS 5 (gemeint sind vor allem Bestrebungen verfolgen. Die im VerfasBestrebungen gegen die FDGO, sungsschutzbericht vorgenommene der Verf.), soweit GeheimBewertung als extremistisch bedeutet haltungserfordernisse nicht hingegen nicht in jedem Fall, dass alle Mitglieder einer entsprechenden Grupentgegenstehen. Dies erfolgt pierung oder Organisation extremistische insbesondere durch einen Bestrebungen entwickeln. Die Zahlenregelmäßig erscheinenden angaben sind teilweise geschätzt und zusammenfassenden Bericht geben den Stand am 31. Dezember 2024 wieder. (Verfassungsschutzbericht)." SS 7 Abs. 2 LVerfSchG 21 4. IN EIGENER SACHE: VERFASSUNGSSCHUTZ IN RHEINLANDPFALZ - BEDROHUNGEN BEGEGNEN Am 1. Januar 1951 nahm der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz als Abteilung im Ministerium des Innern und für Sport mit fünf Mitarbeitenden seine Arbeit auf. Im ersten Jahr standen ihm 40.000 DM - das entspricht heute 20.452 Euro - für "sächliche Verwaltungsausgaben" zur Verfügung. Für 2024 wies der vom Landtag beschlossene Haushaltsplan beim Verfassungsschutz 207 Stellen aus, das Budget für Sachausgaben belief sich auf rund 2,16 Millionen Euro, zusätzlich waren 1,53 Millionen Euro für Investitionen eingeplant. Als der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz gegründet wurde, beherrschte der Kalte Krieg das Weltgeschehen und spaltete Europa in Ost und West. Heute führt Russland Krieg in Europa. Aus der bipolaren Weltordnung ist eine multipolare mit einer instabilen globalen Sicherheitsarchitektur geworden. Charakteristisch hierfür sind vielerlei Krisen und Konflikte. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber Funktion und Auftrag des Verfassungsschutzes. Nachrichtendienst Verfassungsschutz - Teil der Sicherheitsarchitektur Innerhalb der Sicherheitsarchitektur Deutschlands fungieren die Nachrichtendienste Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst als "Frühwarnsystem". Sie haben die Aufgabe, potenzielle Gefahren für 22 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz die innere wie die äußere Sicherheit bereits im Entstehen zu erkennen, sie systematisch zu beobachten und zu analysieren. Durch die von ihnen gewonnenen Erkenntnissen profitieren Politik und Bevölkerung gleichermaßen. Als grundgesetzlich verankertes Instrument der wehrhaften Demokratie wirkt der Verfassungsschutz dabei im Inneren, das heißt als Inlandsnachrichtendienst. Er sammelt Informationen über gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete (extremistische) Bestrebungen und weitere sicherheitsgefährdende Aktivitäten, wertet sie aus und informiert über die Ergebnisse seiner Arbeit. Letzteres geschieht so transparent und umfassend wie möglich. Diesem Grundsatz fühlt sich der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz besonders verpflichtet. Dies umso mehr im Hinblick auf die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Dynamische Sicherheitslage, gewachsene Herausforderungen Im Laufe der Jahrzehnte musste sich der Verfassungsschutz stetig wechselnden Herausforderungen stellen. Die Sicherheitslage war zu keinem Zeitpunkt statisch, sondern stets hochdynamisch. Hieran hat sich bis heute nichts geändert. Staat und Gesellschaft stehen heute mehr denn je im Zeichen erheblicher sicherheitsund gesellschaftspolitischer Herausforderungen durch Terrorismus, Extremismus und staatlich gesteuerte hybride Bedrohungen. Die Herausforderungen sind in jüngerer Zeit deutlich gewachsen; ihre Auswirkungen auf die innere Sicherheit sind gravierend - Politik und Gesellschaft und nicht zuletzt unseren Sicherheitsbehörden wird viel abverlangt. Terrorismus ist eine der Geißeln unserer Zeit. Auch 2024 haben terroristische Taten und Vorbereitungshandlungen im Bundesgebiet wieder verdeutlicht, wie nah die Gefahr ist. In Erinnerung gerufen seien die Messerattacke am 31. Mai in Mannheim, der ein Polizeibeamter zum Opfer fiel, und der Anschlag von Solingen am 23. August, bei dem drei Menschen getötet und weitere schwer 23 verletzt wurden. In beiden Fällen wird von einem islamistischen Hintergrund ausgegangen. Rheinland-Pfalz blieb glücklicherweise von Terrortaten verschont. Die Festnahme eines Jugendlichen im November 2024, der verdächtigt wird, einen islamistischen Anschlag geplant zu haben, zeigt hingegen, wie konkret die Bedrohung auch hier ist. Fälle wie dieser machen deutlich, wie sehr die Propaganda jihadistischer Terrorgruppen im Internet offensichtlich verfangen und zur Radikalisierung beitragen kann. Auch die Bedrohung durch Rechtsterrorismus bleibt hoch. Anfang November 2024 wurde in Sachsen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppierung "Sächsische Separatisten" zerschlagen, bevor sie Anschläge begehen konnte. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine nimmt seinen Fortgang. In dessen Kontext hat die von Russland gegen die westlichen Demokratien gerichtete hybride Bedrohung kontinuierlich zugenommen. Betroffen sind vor allem die europäischen Unterstützerstaaten der Ukraine. Drohnenflüge über militärischen Einrichtungen, Sabotage an Datenverbindungen, Spionage und Angriffe im Cyberraum sorgen für Schlagzeilen und Besorgnis in der Bevölkerung. Von Russland staatlich gelenkte Desinformation zielt unvermindert darauf ab, unsere Demokratie und die freiheitliche Gesellschaftsordnung zu destabilisieren. Mit dem Überfall der Terrororganisation HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde ein alter Konflikt neu entfacht. Mit dem anschließenden Gazakrieg geht eine (neue) Welle des Antisemitismus einher. Keine achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur fürchten Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder um ihre Unversehrtheit. Allianzen zwischen Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Delegitimierern vereinen ein krudes Verschwörungsdenken - auch mit antisemitischer Prägung - mit einer tief sitzenden Demokratiefeindlichkeit. Sie wähnen in Krisen und Konflikten eine Chance, Ängste zu schüren, zu polarisieren und den Staat sowie seine Repräsentantinnen und Repräsentanten zu diskreditieren, um letztlich in der demokratischen Mitte Fuß zu fassen. Die Radikalisierung in diesen Phänomenbereichen hat 24 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz deutlich zugenommen. Einzelne Gruppierungen, die von den Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren zerschlagen werden konnten, standen bereits an der Schwelle zum Terrorismus. Die Statistik über politisch motivierte Strafund Gewalttaten weist eine insgesamt steigende Tendenz auf. Eine weitere Herausforderung für den Verfassungsschutz ist die zunehmende Digitalisierung. Die Nutzung digitaler und dabei insbesondere sozialer Medien durch staatliche und extremistische Akteure hat sich in Qualität und vor allem in quantitativer Hinsicht exponentiell entwickelt. Desinformation, Verschwörungserzählungen, Hass, Hetze und einschlägige Propaganda verbreiten sich kontinuierlich und mit großer Reichweite. Besorgniserregend ist, das Extremisten mittels sozialer Netzwerke, Messengerdienste, Videoplattformen und Internetseiten intensiv versuchen, Jugendliche zu erreichen, sie zu indoktrinieren, zu mobilisieren und zu radikalisieren. Herausforderungen meistern - Rückendeckung vom Gesetzgeber Um die sicherheitspolitischen Herausforderungen bewältigen zu können, benötigen unsere Sicherheitsbehörden den aktuellen Erfordernissen entsprechende, sorgfältig austarierte, normenklare und rechtssichere gesetzliche Regelungen. Darauf kann der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz bauen. Mit dem im Februar 2020 auf breiter parlamentarischer Basis zustande gekommenen, grundlegend novellierten Landesverfassungsschutzgesetz hat der Gesetzgeber sowohl die Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes als auch seine parlamentarische Kontrolle maßgeblich gestärkt. Das Gesetz berücksichtigt die bis dahin aktuelle Rechtsprechung - insbesondere die des Bundesverfassungsgerichts - und die sicherheitspolitischen Entwicklungen. Es hat sich in der Praxis bewährt. 25 Im November 2024 wurde das Erste Landesgesetz zur Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes vom Landtag Rheinland-Pfalz verabschiedet (Landtagsdrucksache 18/10483). Es beschränkt sich im Wesentlichen auf die Umsetzung der aus neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts herrührenden Vorgaben. Eckpunkte sind unter anderem eine bessere Strukturierung und Priorisierung der Beobachtungsaufgaben des Verfassungsschutzes sowie die Schaffung einer unabhängigen Vorabkontrolle und dadurch eine weitere Stärkung der Kontrolle im parlamentarischen Raum. Gestärkt wurde auch die Rolle der Präventionsarbeit, die nun explizit im Gesetz erwähnt wird. Außerdem wurden die gesetzlichen Eingriffsschwellen an die konkreten Beobachtungsaufgaben des Verfassungsschutzes angepasst. Damit wird künftig beispielsweise auch die Offenlegung von Finanzströmen bei Extremisten maßgeblich erleichtert. Herausforderungen begegnen - Verfassungsschutz gut aufgestellt Der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz, die Abteilung 6 im Ministerium des Innern und für Sport, stellt sich den skizzierten Herausforderungen und trägt ihnen in struktureller, organisatorischer und personeller Hinsicht umfassend Rechnung. Bereits im Oktober 2020 wurde durch eine Umorganisation der Abteilung, in deren Zug zwei neue Referate geschaffen und Schwerpunkte neu definiert wurden, auf die Lageentwicklung reagiert. Parallel hierzu wurden die Arbeitsbereiche von hoher Priorität personell verstärkt. Dies gilt vor allem für die Auswertung auf den Feldern Rechtsextremismus, Islamismus und islamistischer Terrorismus sowie für die Bereiche Spionageund Sabotageabwehr sowie Cyberschutz. Bei der Personalgewinnung wurde und wird besonderer Wert auf einen Zugewinn an wissenschaftlicher Expertise gelegt. Die Analysekompetenz hat sich damit weiter verbessert. Hierzu tragen auch eine adäquate technische Ausstattung und das 2024 neu eingerichtete Referat "Technische Analyseunter26 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz stützung" mit bei. Auch in operativer Hinsicht hat sich der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz weiterentwickelt. Ein Hauptaugenmerk gilt heute der Nachrichtengewinnung im virtuellen Raum. Die Maßnahmen zeigen Wirkung. So konnten wiederholt extremistische Netzwerke aufgedeckt und Radikalisierungsansätze frühzeitig erkannt werden. Neben diesen und weiteren Maßnahmen wurde die Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit erkennbar intensiviert. Angesichts der maßgeblich von Russland ausgehenden gewachsenen hybriden Bedrohung haben in diesem Zuge die Spionageprävention und die Cyberabwehr immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ziel der Präventionsarbeit unter dem Motto "Prävention durch Information" ist es, Politik, Verwaltung und Gesellschaft so umfassend wie möglich über die Beobachtungsund Analyseergebnisse des Verfassungsschutzes zu informieren. Dies geschieht auf vielfältige Weise, digital und analog. Ein zentraler Faktor ist die Vortragstätigkeit. Sie dient nicht nur der Wissensvermittlung und um seiner Warnfunktion gerecht zu werden - der Verfassungsschutz wird dadurch auch sichtbar. Resümee und Ausblick - Verfassungsschutz bleibt wichtig Der Verfassungsschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung und Festigung der Demokratie. Er musste sich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder auf zum Teil gravierende Veränderungen und Entwicklungen einstellen und ihnen Rechnung tragen. Dies wird sich in Zukunft nicht ändern. Die Sicherheitslage dürfte an Komplexität sogar weiter zunehmen. Es bedarf in erster Linie einer modernen gesetzlichen Grundlage, einer kompetenten und motivierten Mitarbeiterschaft sowie einer zeitgemäßen technischen Ausstattung, um fit für die Zukunft zu sein. Für den Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz trifft dies zu. 27 B. ÖFFENTLICH KEITSARBEIT UND PRÄVENTION 28 Verfassungsschutzbericht 2024 ICH B. ÖFFENTLICH BEIT KEITSARBEIT UND PRÄVENTION TION 29 1. LEITMOTIV "PRÄVENTION DURCH INFORMATION" "Prävention durch Information" ist das Leitmotiv, dem sich der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz verpflichtet sieht. Dies bedeutet, dass er eine offensive und auf Transparenz angelegte Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit betreibt, die über den jährlichen Verfassungsschutzbericht hinausgeht. Damit soll ein Beitrag zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Extremismus und zur Aufklärung über unterschiedliche extremistische Phänomene geleistet werden. Dieser Selbstverpflichtung, die auf einem gesetzlichen Auftrag fußt (vgl. SS 7 Abs. 2, 3 LVerfSchG), kommt der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz in vielfältiger Form nach. Ein Schwerpunkt der Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit ist die Vortragstätigkeit. Auf Anfrage halten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vorträge und Workshops über die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes, Extremismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen und über Cybersicherheit. Von diesem Angebot haben bereits viele interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Einrichtungen im Land, vor allem Schulen, Gebrauch gemacht. Viele Menschen 30 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention konnten dadurch Jahr für Jahr unmittelbar erreicht werden und mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes in einen Dialog treten. Im Jahr 2024 fanden 89 Vortragsund Informationsveranstaltungen mit rund 5.500 Teilnehmenden statt (2023: 53 Veranstaltungen mit circa 2.200 Teilnehmenden). Außer den Vortragsveranstaltungen veröffentlicht der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz Publikationen über Themen aus seinem Aufgabenspektrum, die auch auf seinen Internetseiten unter www.verfassungsschutz.rlp.de veröffentlicht sind. Anfragen für Vortragsveranstaltungen und Informationsmaterial Ministerium des Innern und für Sport | Abteilung Verfassungsschutz Schillerplatz 3-5 | 55116 Mainz Telefon: 0 6131 16-3773 | E-Mail: info.verfassungsschutz@mdi.rlp.de 31 2. EXTREMISMUSPRÄVENTION IN RHEINLANDPFALZ Extremismus-Prävention hat in Rheinland-Pfalz einen hohen Stellenwert. Sie wird ganzheitlich betrieben, ist auf Dauer angelegt, vielfältig und geht weit über die bloße Information über extremistische Erscheinungsformen hinaus. Die Stärkung von Demokratie und Demokratiebewusstsein spielt eine ebenso zentrale Rolle wie auch die Förderung von Integration und Partizipation sowie des bürgerschaftlichen Engagements. Demokratie lebt von der Mitwirkung möglichst vieler Menschen, die sich für deren Erhalt und ihre Mitmenschen einsetzen. Wie wichtig dies ist, zeigt sich insbesondere in Krisenzeiten, in denen Hass und Hetze gegen Andersdenkende und Minderheiten, Verschwörungsdenken und Antisemitismus verstärkt zu Tage treten. Dies sind Angriffe auf die Demokratie und die offene Gesellschaft. Die Ausrichtung der Extremismus-Prävention orientiert sich an den aktuellen Gefährdungsund Gefahrenlagen. Ein besonderes Augenmerk gilt angesichts der Verbreitung rechtsextremistischer Narrative, von Hass und Hetze im Internet und der hohen Zahl politisch rechts motivierter Straftaten in den letzten Jahren der Prävention gegen Rechtsextremismus. 32 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Im Laufe der Zeit sind die Präventionsstrukturen in Rheinland-Pfalz stetig gewachsen. Landesweit leisten heute viele staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure einen Beitrag gegen Extremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Der Austausch und die Vernetzung der Akteure untereinander bewegen sich auf einem hohen Niveau. Folgende Beispiele sind nur ein Ausschnitt aus dem breiten Spektrum. 2.1 Präventionsagentur gegen Extremismus Die beim rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz durch Ministerratsbeschluss eingerichtete Präventionsagentur gegen Extremismus existiert seit Mitte 2008 - bis Mitte 2017 unter der Bezeichnung Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus. Sie informiert die Öffentlichkeit auf der Grundlage der Erkenntnisse des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Land und organisiert maßgeblich die Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit der Behörde. Die Präventionsagentur steht auch der Landesund Kommunalverwaltung als Ansprechpartner beratend zur Verfügung. Sie hilft bei der Koordination von Aktivitäten und dokumentiert diese, kooperiert mit anderen Akteuren, die in der Extremismus-Prävention aktiv sind, und informiert über aktuelle extremistische Herausforderungen. Zudem fördert sie Projekte und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit finanziell, zum Beispiel das Ende 2017 gegründete Bündnis "Demokratie gewinnt!". 33 Im Juni 2021 wurde bei der Präventionsagentur gegen Extremismus die Dokumentationsund Koordinierungsstelle Antisemitismus (DoKo-Stelle) eingerichtet. Sie soll die Bearbeitung von verfassungsschutzrelevanten Formen des Antisemitismus intensivieren. Besonderen Raum nahm 2024 für die DoKo-Stelle die Vortragstätigkeit zum Thema Antisemitismus ein. Auf der Grundlage eines neu entwickelten Mustervortrags für Schulen, der auf reges Interesse stieß, wurden landesweit 31 Veranstaltungen durchgeführt, an denen rund 2.300 Schülerinnen und Schüler teilnahmen. Am 18. Juni 2024 fand zudem eine gemeinsame Fachtagung von Verfassungsschutz und Polizei zum Thema Antisemitismus mit rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Mainz statt. Ziele der Veranstaltung waren vor allem, den Teilnehmenden einen vertieften Einblick in aktuelle Entwicklungen des Antisemitismus zu verschaffen, Gefahrenpotenziale darzustellen, der Betroffenenperspektive Ausdruck zu verleihen und zur Prävention Stellung zu beziehen. Präventionsagentur gegen Extremismus Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3-5 | 55116 Mainz Telefon: 0 6131 16-3773 | E-Mail: praeventionsagentur@mdi.rlp.de www.gegen-extremismus.rlp.de 34 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 2.2 Kommunale Kriminalprävention Die Leitstelle Kriminalprävention im Ministerium des Innern und für Sport wurde 1997 auf Beschluss des Ministerrats eingerichtet. Sie vernetzt und unterstützt die gewaltund kriminalpräventive Arbeit der rheinlandpfälzischen Kommunen. Zudem fungiert sie als Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Rheinland-Pfalz. Zu den Aufgaben der Leitstelle Kriminalprävention gehören unter anderem die Betreuung und Beratung der kriminalpräventiven Gremien in den Kommunen, die Durchführung von Veranstaltungen wie dem Landespräventionstag, Fachtagungen, Informationsveranstaltungen sowie landesweite Präventionskampagnen und -projekte. Außerdem fördert die Leitstelle kriminalpräventive Projekte wie zum Beispiel Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Leitstelle Kriminalprävention Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3-5 | 55116 Mainz Telefon: 0 6131 16-3712 | E-Mail: kriminalpraevention@mdi.polizei.rlp.de www.kriminalpraevention.rlp.de 35 2.3 Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz Das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz vernetzt im Auftrag des Förderprogramms "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie und des Landes Rheinland-Pfalz Engagierte und Aktive, die sich für eine demokratische Gesellschaft und gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzen. Ihnen bietet das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz, das im Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung angesiedelt ist, den Raum für Interaktion und Austausch über Demokratieförderung sowie Expertise in der Extremismus-Prävention und -Intervention. Um die Ziele "Demokratie fördern", "Vielfalt gestalten" und "Extremismus vorbeugen" zu erreichen, setzt das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz auf seine gesellschaftlich breit aufgestellten Netzwerke: # Im Kompetenznetzwerk "Demokratie leben!" Rheinland-Pfalz sind viele Initiativen, Vereine und Institutionen gebündelt, die sich gegen jede Form von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und für Demokratie einsetzen. # Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz ist ein Zusammenschluss von Vertreterinnen und Vertretern staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, die ihre Expertise beim Thema Rechtsextremismus einbringen und sich darüber austauschen. # Das Präventionsnetzwerk für diversitätsorientiertes Arbeiten in RheinlandPfalz - DivAN fördert den Austausch möglichst vieler staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure, die das langfristige Ziel haben, der Radikalisierung junger Menschen vorzubeugen. Auf seinen Treffen berät das Netzwerk, welche Faktoren eine positive Jugendentwicklung beeinflussen und wie die Jugend gestärkt werden kann. 36 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Seit 2001 bietet das Aussteigerprogramm "(R)AUSwege" Beratung und Unterstützung für Menschen, die sich aus der rechtsextremistischen Szene lösen wollen. Für die erste Kontaktaufnahme mit den sozialpädagogischen Helferinnen und Helfern von (R)AUSwege gibt es eine kostenfreie anonyme Telefon-Hotline unter der Nummer 0 800 45 46 000. Über dieselbe Hotline kann man auch Kontakt zu "Rückwege", der Beratung für jungen Menschen an der Schwelle zum Rechtsextremismus, aufnehmen. Das Projekt setzt bei jungen Menschen an, die kurz vor dem Einstieg in ein rechtsextremes Milieu stehen. Ihnen sollen Alternativen aufgezeigt werden, bevor sich menschenfeindliche Einstellungen verfestigen. "Rückwege" ist auch zu erreichen per E-Mail an: rueckwege@lsjv.rlp.de. Die Angehörigenberatung bei demokratiefeindlichen Einstellungen unterstützt Menschen, die in familiären Beziehungen zu rechtsextremistischen, demokratiefeindlichen oder verschwörungsgläubigen Personen stehen und Beratung zur Linderung ihres Leidensdrucks suchen (Telefon: 0 6131 967-373, E-Mail: angehoerigenberatung@lsjv.rlp.de). Ebenfalls vom Demokratiezentrum koordiniert wird die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz sowie die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Mobile Beratung unterstützt alle, die mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus konfrontiert sind und sich dagegen wenden möchten. Gemeinsam werden fallspezifisch individuelle Handlungsoptionen unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, Möglichkeiten und der persönlichen Wünsche entwickelt. Darum kümmern sich vier Regionalstellen, hinter denen zivilgesellschaftliche Träger stehen und die jeweils für mehrere Landkreise und Städte zuständig sind. Die 37 Beratung für Betroffene rechtsextremer Gewalt verteilt sich auf zwei regionale Ansprechstellen. Detailliertere Informationen gibt es auf den entsprechenden Internetseiten des Demokratiezentrums Rheinland-Pfalz. Die Beratungsstelle Salam gegen islamistische Radikalisierung bietet eine qualifiziert-professionelle und systemisch ausgerichtete Beratung im Zusammenhang mit vermeintlich oder tatsächlich islamistisch radikalisierten (jungen) Menschen an. Das Angebot richtet sich als Distanzierungsberatung an radikalisierte Personen, aber auch an Menschen aus deren privaten Umfeld (Eltern, Angehörige oder Freunde) und aus dem institutionellen Umfeld, Fachkräfte der Jugendarbeit, um Distanzierungsprozesse zu initiieren oder zu unterstützen. Erreichbar ist die Beratungsstelle Salam über die Telefon-Hotline 0800 7252610 oder per E-Mail: salam@lsjv.rlp.de. Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung | Abteilung Landesjugendamt Rheinallee 97-101 | 55118 Mainz E-Mail: demokratiezentrum@lsjv.rlp.de www.demokratiezentrum.de 38 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 2.4 Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz Seit Mai 2018 gibt es das Amt der Beauftragten des Ministerpräsidenten für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz. Damit wurde ein Bindeglied zwischen der Landesregierung und den jüdischen Gemeinden im Land und eine Koordination aller Bemühungen zur Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus geschaffen. Die Sicherung und die Förderung des jüdischen Lebens in Rheinland-Pfalz gehören hierbei ebenso zu den Aufgaben wie die Unterstützung des interreligiösen Dialogs. Zu den Tätigkeitsschwerpunkten gehören vielfältige Gesprächs-, Besuchs-, Tagungs-, Fortbildungsund Vortragstermine. Darüber hinaus geht der Beauftragte/die Beauftragte antisemitischen Vorfällen nach und steht im ständigen Austausch mit den jüdischen Gemeinden und den Sicherheitsbehörden. Seit 2022 sind die Aufgaben und Befugnisse der Beauftragten in einem eigenen Gesetz geregelt. Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Peter-Altmeier-Allee 1 | 55116 Mainz Telefon: 0 6131 16-4064 | E-Mail: antisemitismusbeauftragte@stk.rlp.de 39 2.5 Meldeund Dokumentationsstelle für menschenfeindliche Vorfälle in Rheinland-Pfalz Die Meldestelle dokumentiert menschenfeindliche Übergriffe und Vorfälle in Rheinland-Pfalz. Der Begriff "menschenfeindlich" bezieht sich in der Arbeit der Meldestelle auf den Ansatz der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Diese kann sich unter anderem in Form von Beleidigungen, körperlichen Angriffen, gezielten Sachbeschädigungen, Bedrohungen, psychischer Gewalt und Mobbing zeigen. Hierunter sind auch Übergriffe im Internet zu verstehen. Monitoring bedeutet diese Vorfälle zu dokumentieren, zu zählen und bei Einverständnis der Betroffenen diese auch zu veröffentlichen. Die Meldestelle erstellt Lagebilder zu menschenfeindlicher Gewalt in Rheinland-Pfalz und vermittelt Betroffenen auf Wunsch schnell und unkompliziert Beratung und Unterstützung. Meldestelle für menschenfeindliche Vorfälle in Rheinland-Pfalz Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Telefon: 0 6131 28744-51 oder -66 | E-Mail: meldestelle.rlp@ekhn.de www.meldestelle-rlp.de 40 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 2.6 Bündnis "Demokratie gewinnt!" - Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz Mehr als 160 Mitglieder aus Zivilgesellschaft, Politik, Unternehmen, Kommunen und staatlichen Institutionen engagieren sich im Bündnis "Demokratie gewinnt!". Das Bündnis möchte die Demokratie in allen Lebensbereichen - von den frühkindlichen und schulischen Bildungsinstitutionen, der außerschulische Jugendarbeit über die Kommunen, zivilgesellschaftliche Organisationen bis hin zu Unternehmen - fördern und stärken. Es will dazu beitragen, Lernund Lebensorte von Kindern und Jugendlichen partizipativ zu gestalten, damit sie von klein auf demokratische Haltungen und Kompetenzen erwerben können. Der vom Bündnis getragene Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz hat sich mittlerweile als größte landesweite Plattform des Austausches und der Begegnung zu demokratiebildenden Themen von jung bis alt entwickelt. Seit 2006 findet er mit mehr als 1.000 Teilnehmenden statt. Seit 2023 gehören zum Demokratie-Tag sogenannte Satelliten-Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten im ganzen Land. Bündnis "Demokratie gewinnt!" Koordination des Bündnisses "Demokratie gewinnt!" | Staatskanzlei Rheinland-Pfalz | Leitstelle Ehrenamt und Bürgerbeteiligung Telefon: 0 6131 16-4083 | E-Mail: leitstelle@stk.rlp.de www.demokratie-gewinnt.rlp.de 41 2.7 Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Rheinland-Pfalz ist ein weltoffenes und vielfältiges Land. Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt finden hier ihre Heimat. Diese Vielfalt von Lebensformen und Ausdrucksmöglichkeiten gibt Menschen Raum für die Entfaltung ihrer Persönlichkeiten und ist ein schützenswerter Grundpfeiler einer offenen, freien und solidarischen Gesellschaft. Vielen Menschen wird aber die Teilhabe an unserer Gesellschaft erschwert, weil sie bestimmten Gruppen zugerechnet werden. Um dem effektiv entgegenzutreten, hat die rheinland-pfälzische Landesregierung gemeinsam mit vielen Gruppen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kommunen einen Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entwickelt und im November 2020 veröffentlicht. Die in dem Plan enthaltenen Projekte und Maßnahmen wirken demokratiefeindlichen Ideologien, Einstellungen und Handlungen sowie ihrer Verbreitung entgegen und sie unterstützen und stärken Opfer. 42 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Eine der Maßnahmen des Landesaktionsplans gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die bereits realisiert sind, ist der Beratungskompass Rheinland-Pfalz. Auf der Internetseite www.beratungskompass-rlp.de finden Betroffene, Angehörige sowie Zeuginnen und Zeugen von menschenfeindlichen Vorfällen seit 2021 verschiedene Anlaufstellen, die Beratung und Hilfe anbieten oder Ansprechpartnerinnen und -partner sowie Informationen bereitstellen. In Selbsthilfeorganisationen können Betroffene mit Menschen sprechen, die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben wie sie. Darüber hinaus werden zur tieferen Auseinandersetzung Fortund Weiterbildungsangebote rund um den Themenkomplex Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufgeführt. Auf einer integrierten Rheinland-Pfalz-Karte lassen sich Anlaufstellen in der Nähe schnell finden. Als jüngste Maßnahme des Landesaktionsplanes startete im März 2023 die Kampagne #ScrollNichtWeg des rheinland-pfälzischen Familienministeriums. Das Ziel der Kampagne ist es, Betroffene von digitaler Gewalt zu unterstützen, digitale Zivilcourage stärken und Wissen zum Thema digitale Gewalt zu vermitteln. Auf einer eigenen Website sowie auf Instagram, TikTok und Facebook wird in Clips, Memes, Schaubildern und anderen Formaten niedrigschwellig und unterhaltsam informiert, ermutigt und gestärkt. Weitere Informationen gibt es auf www.scrollnichtweg.de. 43 Betroffene von Hatespeech und anderen Formen digitaler Gewalt können sich an die Beratungsstelle gegen Hass und Gewalt im Netz - SoliNet wenden, die ebenfalls im Zuge des Landesaktionsplans eingerichtet wurde. Bei SoliNet erhalten Betroffene psychosoziale Beratung, beratende Unterstützung bei der Beweissicherung oder der strafrechtlichen Verfolgung von Hass im Netz sowie Tipps zur digitalen Sicherheit und Kommunikationsstrategien gegen Hass im Netz. Die enge Zusammenarbeit mit einer Anwaltskanzlei bietet fundierte juristische Einschätzungen auch in schwierigen Fällen. Weitere Informationen findet man auf www.solinet-rlp.de. Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Kaiser-Friedrich-Straße 5a | 55116 Mainz Telefon: 0 6131 16-5642 oder 16-5689 E-Mail: LAP-GMF-Rassismus@mffki.rlp.de www.mffki.rlp.de 44 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 3. WIRTSCHAFTSSCHUTZ UND SICHERHEITSPARTNERSCHAFT Im Rahmen des Wirtschaftsschutzes berät und sensibilisiert der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz kleine und mittlere Unternehmen, "Global Player" und Forschungsinstitutionen. Sie sind attraktive Ziele für fremde Staaten und deren Nachrichtendienste, um das Know-how für die eigene Wirtschaftskraft zu nutzen oder für militärische Entwicklungen einzusetzen. Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind insbesondere die Spionageund Sabotagegefahren für Rüstungsunternehmen und Logistikfirmen gestiegen, die Unterstützungsleistungen für die Ukraine erbringen. Entsprechend hoch ist der Beratungsbedarf des Rüstungsund Zulieferersektors. Die Spionageprävention des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz hat ihre Aktivitäten in diesem Bereich im Jahr 2024 deutlich ausgebaut und mit ihrem Angebot mehr als 300 Branchenvertreter erreicht. Insgesamt wuchs der Kreis der Teilnehmer an Vorträgen und Beratungsgesprächen im Vergleich zum Vorjahr um beinahe 40 Prozent. Auf der RÜ.NET in Koblenz, der größten Rüstungsmesse in Deutschland, konnte sich die Spionageprävention rheinland-pfälzischen Unternehmen, die in die Ukraine liefern, als Ansprechpartner präsentieren. Neben realweltlichen Ausspähmethoden hat Spionage im Cyberraum massiv an Bedeutung gewonnen. In Folge der voranschreitenden Digitalisierung und der neuen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz bieten sich für Angreifer nicht nur zahlreiche neue Ziele, Cyberattacken können auch ohne große Vorkenntnisse vorbereitet und durchgeführt werden. Besonders aktiv sind Russland, China und Iran, aber auch Pakistan und Nordkorea. 45 Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist die Bedrohung durch Cybersabotage deutlich gestiegen. Insbesondere Unternehmen der kritischen Infrastruktur (KRITIS) stehen im Fokus russischer staatlicher oder staatlich gesteuerter Hackergruppierungen. Wiederholt erfolgten Überlastungsangriffe auf die Internetseiten deutscher Behörden und Unternehmen in zeitlichem Zusammenhang zu pro-ukrainischen Politikentscheidungen. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat seine Präventionsarbeit auf KRITIS-Einrichtungen und Kommunen ausgeweitet und insgesamt deutlich intensiviert. In einer Sicherheitspartnerschaft zum Schutz rheinland-pfälzischer Unternehmen arbeiten Landesregierung, Kammern und Unternehmensverbände sowie die Vereinigung für Sicherheit in der Wirtschaft seit 2005 zusammen. In der gemeinsamen Erklärung zur Bildung der Sicherheitspartnerschaft haben sich die Unterzeichnenden darauf verständigt, insbesondere mittelständische und exportorientierte Betriebe in Handel, Handwerk und Gewerbe hinsichtlich der Gefährdungen durch Wirtschaftsspionage, Proliferation, Sabotage, Extremismus und Terrorismus zu sensibilisieren und durch vielfältige Informationsangebote die erforderliche betriebliche Eigenvorsorge zu fördern. Über die Sicherheitspartnerschaft erreicht der Verfassungsschutz mit seinen Warnhinweisen und Präventionsangeboten Multiplikatoren in der Wirtschaft, bei den Kommunen und im Wissenschaftsbereich. Im Rahmen von reaktiven Maßnahmen werden betroffene Unternehmen und Institutionen bei der Aufarbeitung von IT-Sicherheitsvorfällen unterstützt und unter Wahrung der Vertraulichkeit beraten. Darüber hinaus schafft der Verfassungsschutz mit regelmäßigen Informationsveranstaltungen und Fachvorträgen die Voraussetzungen, damit sich Unternehmen und Kommunen in Rheinland-Pfalz resilienter gegen Cyberangriffe aufstellen. 46 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 4. CYBERSCHUTZ Die Sicherheitslage in Europa und Deutschland ist insbesondere mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin angespannt. Die Aufklärungsaktivitäten Russlands hielten auch im dritten Kriegsjahr unvermindert an. Entsprechend relevant ist die Präventionsarbeit des rheinland-pfälzischen Cyberschutzes über mögliche Angriffsszenarien und Schutzmaßnahmen. Auf der Website cyberschutz.rlp.de informiert der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz ausführlich über die Gefahren von Cybersabotage und -spionage, über Reaktionsmöglichkeiten und bietet auf einer zugangsgeschützten Cloud Informationen über den Schutz vor solchen Angriffen an. In Informationsveranstaltungen und Webseminaren werden Unternehmen, Kommunen und KRITIS-Betreiber zu diesen Gefahren sensibilisiert und zu geeigneten Schutzmöglichkeiten beraten. Auch der politische Bereich sieht sich mit einer verschärften Bedrohungslage konfrontiert. Cyberangriffe gegen die SPD und CDU fanden in bisher nicht gekanntem Umfang statt. Insbesondere im Vorfeld von Wahlen ist mit der Einflussnahme fremder Staaten als Teil einer hybriden Gesamtstrategie zu rechnen. Cyberangriffe werden als Mittel zur Destabilisierung demokratischer Systeme genutzt. Dazu gehört die Einflussnahme auf Wahlen. Daher hat der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowohl zur Europawahl 2024 als auch zur Bundestagswahl 2025 sensibilisiert. 47 C. VERFASSUNG FEINDLICHE U CHERHEITSGE DENDE 48 UNGS C. VERFASSUNGS HE UND SI FEINDLICHE UND SICHERHEITS TSGEFÄHR GEFÄHRDENDE BESTREBUNGEN 49 BRENN PUNKT 50 THEMEN N BRENNPUNKTTHEMEN 1. Radikalisierung im Kinderzimmer S. 52 2. Das Netzwerk der "Neuen Rechten" S. 56 3. Rechtsextremistisch genutzte Immobilien: die Bedeutung KT von Szeneobjekten am Beispiel der "Fassfabrik" in Hachenburg S. 67 4. Hybride Bedrohungen und Desinformation nehmen zu S. 72 MEN 51 1. RADIKALISIERUNG IM KINDERZIMMER Digitale Medien gehören für die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland ganz selbstverständlich zum alltäglichen Leben. Zugleich ist die extremistische Szene seit Jahren fester Bestandteil der digitalen Welt. Durch ihre Videos, Memes, Podcasts und andere Content-Formate tragen Extremisten ihre Botschaften von Gewalt, Hass und Terror in die Welt der Kinder und Jugendlichen. Die Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum wird maßgeblich durch zwei Umstände begünstigt. Zum einen durch die niedrige Zugangsschwelle, denn der Zugang und Konsum benötigen kein technikaffines Wissen und sind zumeist kostenfrei. Zum anderen bietet der virtuelle Raum eine vermeintliche Anonymität, in der ohne Angst vor gesellschaftlichen beziehungsweise staatlichen Konsequenzen agiert werden kann. Gemeinsame Feindbilder schaffen Identifikationsmöglichkeiten und dienen damit der Mobilisierung. Dies kann auf zwei Ebenen erfolgen: Sowohl auf der visuellen durch eine einheitliche Bebilderung in Form von Grafiken, Memes und Emojis als auch auf der sprachlichen durch die Verwendung von szenetypischen Sprachweisen sowie Signalwörtern ("Dog-Whistles"). Ergänzt wird das extremistische Onlineangebot durch Szene-Influencer, die moderater auftreten und gerade 52 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen deswegen für eine breitere Masse den Einstieg in die extremistische Szene erleichtern. Im Islamismus können ebenfalls die bei einigen Jugendlichen populären islamischen Gesänge ("Anashid") niedrigschwellig radikalisierend wirken. Neue Radikalisierungsverläufe und Tätertypen Der Radikalisierungsprozess vieler Jugendlicher verläuft inzwischen ausschließlich über die sozialen Medien. Diese wirken als "Radikalisierungsmaschinen"1, die den gesamten "Produktionsablauf" vom allerersten Kontakt mit der Ideologie bis hin zur operativen Anleitung eines Anschlags leisten können. Sie dienen gleichermaßen als extremistisches Massenmedium, terroristisches Ausbildungslager und konspiratives Kommunikationsmittel. Den Treibstoff für diese Maschinerie bilden aktuelle (welt-)politische Krisen, wie beispielsweise der Russland-Ukraine-Krieg oder der Nahostkonflikt. Auf TikTok und Instagram werden Jugendliche mit erschütternden Bildern aus Kriegsschauplätzen oder von Amokläufen konfrontiert. Mangels einer altersgerechten Aufarbeitung der belastenden Erfahrung suchen sie in den teilweise toxischen Diskussionsbeiträgen auf den Plattformen nach Erklärungen. Von hier verlagert sich die Diskussion mitunter in geschlossene Chatgruppen anonymer Messengerdienste. Dort können Ansichten und Videos geteilt werden, die von den Betreibern der sozialen Netzwerke gelöscht würden oder zu einer Sperrung des Nutzerkontos führen könnten. 1 Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen, 2019. 53 Dabei lässt sich eine zunehmende Verrohung im virtuellen Raum feststellen, die unter anderem in gewaltverherrlichenden Inhalten Ausdruck findet. In diesem Zusammenhang versuchen einzelne Akteure durch immer stärker menschenverachtende und gewaltverherrlichende Inhalte, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Dies kann zu rapiden Radikalisierungen in den entstehenden "Echokammern" führen und in der Folge zu realweltlichen Aktivitäten wie Gewalttaten jenseits des digitalen Raums. Im Jihadismus besteht in diesen "Echokammern" außerdem die Gefahr, von einem sogenannten Operateur direkt kontaktiert zu werden, also einer Person, die für terroristische Organisationen Unterstützer rekrutiert und ihnen Anweisungen gibt. Ein weiterer Grund für das Bekanntwerden von immer mehr Fällen jugendlicher Radikalisierung in den sozialen Medien ist die erhöhte Aufklärung durch die Sicherheitsbehörden. Dies geht einher mit Veränderungen in der Internetnutzung Jugendlicher hin zu einem Gebrauch von stetig manipulativer werdenden Apps. Auf einigen Plattformen findet wiederum nahezu gar keine soziale Kontrolle statt. So können sich Personen, die ein ausgeprägter Hass auf Andere vereint, über räumliche Distanzen hinweg beispielsweise über einschlägige Imageboards - einem Forum, in dem anonym Bilder und Texte ausgetauscht werden können - oder in geschlossenen Chats auf Discord vernetzen. In diesen aggressiven Kreisen verlieren Jugendliche dann manchmal ihre letzten Zweifel zur Begehung eines Anschlags oder einer Amoktat, indem andere sie in ihrem menschenverachtenden Vorhaben ermutigen. 54 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden Die Sicherheitsbehörden sehen sich mit immer kürzeren Reaktionszeiten sowie immer komplexeren technischen und operativen Rahmenbedingungen konfrontiert. Besonders schnell fortschreitende Radikalisierungsverläufe verringern das Zeitfenster ihrer rechtzeitigen Entdeckung. In jüngerer Zeit konnten immer häufiger insbesondere minderjährige Akteure festgestellt und identifiziert werden, die sich bereits in einem fortgeschrittenen, extremistischen Radikalisierungsstadium befanden. Bei einem Schüler aus dem Landkreis Mainz-Bingen fand die Polizei bei einer Durchsuchung im November 2024 Bauteile, die für den Bau einer Rohrbombe geeignet waren. Mehrfach erfolgten präventiv-polizeiliche Maßnahmen mit dem Ziel, den Radikalisierungszyklus zu durchbrechen und mögliche Vorbereitungshandlungen für strafrechtlich relevante Aktivitäten zu vereiteln. Wichtig bleibt aber auch, sich gesamtgesellschaftlich mit den Ursachen der Radikalisierung von Jugendlichen zu befassen. 55 2. DAS NETZWERK DER "NEUEN RECHTEN" Die Vernetzungsstrategien der "Neuen Rechten" gewinnen zunehmend an Umfang und Kreativität. Bundesweit sind immer häufiger Veranstaltungen zu beobachten, die von Akteuren der "neurechten" Bewegung organisiert oder besucht werden. Auch in Rheinland-Pfalz gab es in den letzten Jahren mehrere Veranstaltungen, die eindeutig den Vernetzungszielen der "Neuen Rechten" dienten. Doch beschränkt sich die Vernetzung längst nicht mehr nur auf Veranstaltungen. Inzwischen baut die "Neue Rechte" ihre Online-Präsenz massiv aus und nutzt eine Vielzahl von Social-Media-Kanälen und digitalen Angeboten, um ihre ideologischen Botschaften in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Dies sind gewichtige Gründe, sich mit dem Phänomen "Neue Rechte" näher zu befassen. Die "Neue Rechte" ist eine heterogene Bewegung, die sich aus verschiedenen, oft locker verbundenen Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen zusammensetzt. Sie setzt auf Metapolitik als eine zentrale Strategie, um langfristig gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen herbeizuführen. Dabei geht es nicht nur um den direkten politischen Einfluss, sondern um eine tiefgreifende Veränderung des kulturellen und gesellschaftlichen Diskurses. Durch die Einflussnahme auf Medien, Bildung und intellektuelle Debatten strebt die Bewegung an, von ihr vertretene ideologische Positionen wie Nationalismus und Autoritarismus, also faschistoide und antidemokratische Einstellungen, in der breiten Gesellschaft zu verankern. 56 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Kulturrevolution von rechts Die "Neue Rechte" bezeichnet vor allem eine Bewegung, deren Anhängerschaft einen intellektuellen Rechtsextremismus verfolgt, der sich sowohl ideologisch, als auch organisatorisch vom klassischen Rechtsextremismus unterscheidet. Im Gegensatz zu letzterem sieht sie ihr weltanschauliches Fundament nämlich nicht im Nationalsozialismus, wenngleich auch die "Neue Rechte" grundlegende Prinzipien des liberalen Verfassungsstaates ablehnt. Ziel der "Neuen Rechten" ist es, die Gesellschaft einer sogenannten Kulturrevolution von rechts zu unterziehen. Dies versuchen die Akteure der Bewegung vor allem in Form eines "geistigen Kampfs". Oft propagiert die Bewegung eine Rückkehr zu vermeintlich traditionellen Werten und sieht sich als Verteidiger der nationalen Identität. In diesem Kontext spielt das Konzept des "Ethnopluralismus" (siehe Seite 104) eine entscheidende Rolle. Die "Neue Rechte" setzt auf Arbeitsteilung Die Akteure der "Neuen Rechten" übernehmen innerhalb ihres Netzwerks unterschiedliche Rollen, um das gemeinsame Ziel einer "Kulturrevolution von rechts" voranzutreiben. Dabei richten sie sich an eine Vielzahl von Zielgruppen und finden oft schon durch kleinste, verbindende Themen - wie die Kritik an der aktuellen Migrationspolitik - zueinander. Diese breite Vernetzung, die auch eine Zusammenarbeit über ideologische Grenzen hinweg fördert, ist von entscheidender Bedeutung. Ihre führenden Köpfe, wie der "neurechte" Autor Benedikt Kaiser, unterstreichen immer wieder die Relevanz eines starken, strukturierten Netzwerks und beschreiben eine solche arbeitsteilige Strategie als Konzept der "MosaikRechten": 57 "Verschiedene Protagonisten wirken auf ihrem Feld mit den dort typischen Haltungsund Handlungsweisen in Richtung eines gemeinsamen (Minimal-) Ziels, das man als ein allen Gemeinsames fassen kann; im patriotischen Kontext sollte dieser Konsens - mindestens - im Bekenntnis zur Verteidigung des Eigenen und in einem positiven Heimatund Vaterlandsbezug liegen" Benedikt Kaiser: "Die Partei und ihr Vorfeld", Schnellroda: Antaios, 2022, S. 13. Das "Mosaik", bestehend aus vielfältigen Akteuren, bildet oft das strategische Vorfeld einer politischen Partei. Im Fall der "Neuen Rechten" ist dieses Vorfeld eng mit der "Alternative für Deutschland" (AfD) verbunden. Benedikt Kaiser beschreibt das Ziel des Vorfeldes als eine forcierte Einflussnahme auf zentrale gesellschaftliche Bereiche und Debatten. Der Anspruch sei es, bereits einen breiten Konsens zu erzielen, bevor ein neues Regierungsbündnis gebildet werde. Dieses Vorgehen solle sicherstellen, dass die "Neue Rechte" in entscheidenden politischen Fragen die Meinungsführerschaft übernähme und somit ihre Agenda effektiv in die gesellschaftliche Mitte tragen könne.2 2 Vgl. B. Kaiser: "Die Partei und ihr Vorfeld", S. 23. 58 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Die Netzwerker "Institut für Staatspolitik" Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) wurde im Jahr 2000 in Schnellroda (SachsenAnhalt) gegründet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat das IfS im Mai 2023 als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft. Im April 2024 löste sich der Trägerverein ("Verein für Staatspolitik e.V.") auf. Bereits im Februar 2024 war eine neue Organisation namens "Menschenpark Veranstaltungs UG" ins Leben gerufen worden, deren alleiniger Geschäftsführer der ehemalige Vorsitzende des IfS, Götz Kubitschek, wurde. Einen Tag später gründete Kubitschek zusätzlich die "Metapolitik Verlags UG", die fortan die Zeitschrift "Sezession" und den Verlag "Antaios" fortführt, in welchem zahlreiche "neurechte" Autoren, diverse AfD-Politiker und internationale Autoren wie der Führungskader der deutschsprachigen "ldentitären Bewegung", Martin Sellner, ihre Werke veröffentlichen. Kubitschek betonte, dass die neu gegründete Gesellschaft in personeller und inhaltlicher Hinsicht eine nahtlose Fortführung der Aktivitäten des IfS darstellt. "Ein Prozent e.V." Der im Jahr 2015 gegründete Verein "Ein Prozent e.V." mit Sitz in Dresden vertritt - wie auch andere Akteure der "Neuen Rechten" - sowohl einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff als auch islamfeindliche, antisemitische und rassistische Ansichten. Zusätzlich propagiert er das verschwörungstheoretische Konzept des "Großen Austauschs" beziehungsweise des "Great Reset" (siehe Erklärkasten Seite 106). 59 Der Verein spielt eine zentrale Rolle bei der finanziellen und ideellen Unterstützung sowie der gezielten Förderung zahlreicher Organisationen und Einzelpersonen vor allem aus dem Umfeld der "Neuen Rechten". Durch diese gezielte Förderung trägt er maßgeblich zur Vernetzung innerhalb der Szene bei und beeinflusst so die Dynamik und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren. "COMPACT-Magazin GmbH" Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist ein multimediales Unternehmen mit Sitz in Falkensee (Brandenburg), das mit einer Vielzahl von Plattformen aufwartet. Seit Dezember 2010 erscheint monatlich ihr Hauptprodukt, das "COMPACT-Magazin", welches 2021 durch das BfV als gesichert extremistisch eingestuft wurde. Auch abseits der Printausgabe ist "COMPACT" aktiv: Es verfügt über eine eigene Website, einen YouTube-Kanal und Präsenz in sozialen Medien. Das tägliche Online-TV-Format "COMPACT. Der Tag" gehört ebenfalls zum Portfolio. In seinen Publikationen verbreitet das "COMPACT-Magazin" ein Weltbild, das von antisemitischen, diskriminierenden und geschichtsrevisionistischen Tendenzen geprägt ist. Verschwörungsideologien werden dabei häufig politisch instrumentalisiert und als Narrative genutzt, um eine kritische Haltung gegenüber der Bundesregierung und dem gesamten politischen System Deutschlands zu schüren. Ein zentrales Thema der Beiträge ist die Agitation gegen etablierte politische Strukturen. Der Chefredakteur des Magazins nimmt eine Schlüsselrolle als Vermittler zwischen der "Neuen Rechten" und dem rechtsextremistischen Parteienspektrum ein. Am 16. Juli 2024 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) das Verbot der "Compact-Magazin GmbH", gestützt auf Artikel 9 Grundgesetz und SS 3 Vereinsgesetz, vollzogen. Nach Ansicht des BMI richtet sich "COMPACT" mit seinen Publikationen gegen die verfassungsgemäße Ordnung. Das Unter60 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen nehmen verbreite antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte und agitiere gegen ein pluralistisches Gesellschaftssystem. Das Vereinsverbot hat nicht nur die Auflösung der Gesellschaft und den Einzug ihres Vermögens, sondern auch ein Tätigkeitsverbot zur Folge, welches etwaige Nachfolgeorganisationen mitumfasst. Hiergegen beantragte das Magazin vorläufigen Rechtsschutz, woraufhin das Bundesverwaltungsgericht den Sofortvollzug des COMPACT-Verbots teilweise aussetzte. Das Gericht sieht den Verfahrensausgang der Klage gegen das Vereinsverbot als offen an. Welche Rolle die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit in diesem Zusammenhang einnimmt, wird eine der zu klärenden Rechtsfragen des Hauptsacheverfahrens sein. "Identitäre Bewegung Deutschland" Weitere Akteure sind die bereits seit mehr als zehn Jahren aktive "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) und ihre regionalen Ableger (hierzu ausführlich Seite 106). Das Netzwerk Die "Neue Rechte" setzt auf eine vielschichtige Strategie, um ihr Netzwerk auszubauen und zu etablieren. Neben Seminaren und Publikationen konzentriert sich der Nachwuchs zunehmend auf die Online-Welt. Dennoch gewinnen auch reale Treffen für den Austausch und die Vernetzung immer mehr an Bedeutung. In der digitalen Filterblase wirken zahlreiche "Influencer" an der Meinungsbildung ihrer Follower mit. 61 INFORMATION Was ist ein Influencer? Der Begriff bezeichnet eine Person, die in sozialen Netzwerken besonders bekannt oder einflussreich ist und mit ihrem Einfluss bestimmte Auffassungen, Positionen, Dienstleistungen oder Produkte bewirbt. Ein bekannter "neurechter" Influencer aus Rheinland-Pfalz ist Miro W. Er ist auf "X" (ehemals Twitter) als "@unblogd" aktiv und erreicht seine rund 74.000 Follower auf subtile Art und Weise mit seinen einschlägigen Inhalten. Auch wenn er sich selten offen rechtsextremistisch gibt, so ist er doch gut mit der Szene vernetzt und tritt regelmäßig in Form von Kooperationen in Interviews, Podcasts und als Kolumnist in anderen "neurechten" Publikationen auf. Mit seinen Inhalten will er vor allem Begriffe, die im "Mainstream" verortet sind, neu besetzen. In seinen Formaten setzt er sich regelmäßig mit der AfD auseinander, ohne selbst Parteimitglied zu sein. Auch abseits der sozialen Medien wird intensiv Netzwerkarbeit betrieben. Vertreter der "Neuen Rechten" sind ständig auf der Suche nach neuen Örtlichkeiten für Veranstaltungen, auf denen sie ihre Vernetzung vorantreiben können - sei es für Treffen, Vorträge oder Messen. Ziel ist es, ihre Infrastruktur weiter auszubauen. Ein Beispiel hierfür war bis zur Schließung im Januar 2024 das "Zentrum Rheinhessen" in Mainz-Hechtsheim. Dort fanden Veranstaltungen statt, die entweder von rechtsextremistischen Gruppen organisiert oder von ihnen beeinflusst wurden. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich die Immobilie zu einer bedeutenden Örtlichkeit für die "Junge Alternative" und andere Akteure. Im Herbst 2023 wurde im "Zentrum Rheinhessen" die "Alternative Buchmesse" abgehalten, bei der sich zahlreiche bekannte Vertreter der "Neuen Rechten" trafen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2023, S. 107). 62 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Nach der Schließung des "Zentrum Rheinhessen" fanden 2024 Veranstaltungen der "Neuen Rechten" im sogenannten Quartier Kirschstein in Koblenz statt. So wurde dort am 17. August 2024 die "Messe des Vorfelds" abgehalten, bei der bedeutende Akteure der Szene, darunter auch Vertreter des "COMPACT-Magazins" und anderer Organisationen, sowie AfD-Politiker anwesend waren. Vor allem die Teilnahme bekannter Influencer und Onlineblogger verdeutlichen die digitale Strategie der Szene. Zwischen 70 und 100 Besucher nutzten an diesem Tag die Gelegenheit, sich zu informieren und auszutauschen. Bereits im Sommer 2023 trat der Rechtsextremist Martin Sellner im Rahmen seiner "Remigrations-Tour" im "Quartier Kirschstein" auf und präsentierte seine sogenannten Remigrationspläne einem breiten Publikum. Auf dieser Veranstaltung war auch der rheinland-pfälzische Influencer Miro W. anwesend. Im Oktober 2023 fand zudem ein zweitägiger Bücherbasar im "Quartier Kirschstein" statt, auf dem hauptsächlich einschlägige rechte Literatur ausgestellt wurde. "In Koblenz haben wir in den nächsten Jahren viel vor: wir werden den Strukturaufbau mit unserem "Quartier Kirschstein", das zu einer alternativen Jugendbegegnungsstätte werden soll, verstetigen, unserem Podcast "Blaumachen" noch mehr Reichweite in Koblenz verschaffen und noch stärker als bislang auf Social Media setzen, also insbesondere auf "X", "Instagram" und "Tiktok" - und natürlich das Medium Film. Die Ratsfraktion, die nunmehr über deutlich mehr Ressourcen verfügt, soll dabei der Motor dieses Ausbaus werden." AfD-Kreisverband Koblenz 63 Die "Neue Rechte" als politisches Vorfeld Seit einiger Zeit wächst die Vernetzung zwischen den Akteuren der "Neuen Rechten" und der AfD sowie ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) immer weiter. Was zunächst wie ein unauffälliges Zusammenspiel begann, entwickelt sich zunehmend zu einer tonangebenden Allianz. Die Akteure sind zwar häufig formal unabhängig von der AfD, ideologisch stehen sie der Partei jedoch so nah, dass ihre Einflussnahme immer offensichtlicher wird. Beispielhaft zeigt sich dies bei der Burschenschaft "Germania Halle zu Mainz", die ihren Einfluss auf Aktivitäten und Akteure rund um das ehemalige "Zentrum Rheinhessen" in Mainz bereits gezeigt hat, wobei sich hier vor allem die personellen Überschneidungen zur JA bemerkbar machten. Die pflichtschlagende Studentenverbindung "Germania Halle zu Mainz" ist Mitglied des Dachverbandes "Deutsche Burschenschaft" sowie der "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" und befindet sich in einem burschenschaftlichen Zusammenschluss ("Schwarz-Weiß-Rotes Kartell") mit weiteren Burschenschaften. Die Burschenschaft "Germania Halle zu Mainz" vertritt, ähnlich wie andere Akteure der sogenannten "Neuen Rechten", einen völkischen Nationalismus, der stark auf Abstammung basiert. Ein zentraler Punkt ihrer Weltanschauung ist der "deutsche Volksbegriff", der sich nicht auf gemeinsame Werte oder eine Verfassung stützt, sondern ausschließlich auf ethnische Herkunft. Bereits 2005 erklärte ein Alter Herr der Mainzer Burschenschaft im Leitmedium der "Deutschen Burschenschaft", dass die Definition einer Nation keine freie Entscheidung sei, sondern eine objektive Realität. Er lehne Konzepte wie den 64 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen "Verfassungspatriotismus" oder die Idee einer "Staatsnation" ab und argumentiert, dass Staaten und Gesellschaftsordnungen von Menschen geschaffene Konstrukte seien, während die Nation aus einem bewusst handelnden Volk bestehe, dem man durch Geburt angehöre.3 INFORMATION Was ist die Aktivitas? Die Aktivitas umfasst die studierenden Mitglieder einer Burschenschaft. Sie nehmen am täglichen Vereinsleben teil, organisieren Veranstaltungen und vertreten die Burschenschaft nach außen. Die Aktivitas übernimmt in der Regel auch administrative Aufgaben innerhalb der Verbindung und wählt dafür einen eigenen Vorstand. Was sind Alte Herren? Alte Herren sind ehemalige, meist berufstätige Mitglieder, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben. Sie unterstützen die Burschenschaft finanziell und ideell, nehmen an Veranstaltungen teil und stehen der Aktivitas beratend zur Seite. In vielen Burschenschaften haben die Alten Herren erheblichen Einfluss auf wichtige Entscheidungen, etwa zur politischen Ausrichtung oder zur Auswahl neuer Mitglieder. Diese Struktur sorgt für eine enge Verbindung zwischen den Generationen innerhalb der Burschenschaft und sichert ihre langfristige Existenz (sogenanntes Lebensbundprinzip). 3 Vgl. Handbuch der Deutschen Burschenschaft, 2005, S. 243. 65 Diese völkische Vorstellung wird auch heute noch von Mitgliedern der "Germania Halle zu Mainz" vertreten. Ein Aktiver der Burschenschaft schrieb 2022 in den "Burschenschaftlichen Blättern", dass nur Personen mit nachweisbarer deutscher Abstammung als Deutsche gelten könnten. Er bezieht sich in seinem Beitrag hauptsächlich auf Rechtsprechung zur "Identitären Bewegung" und verteidigt seine Ansicht mit weiteren Argumenten, die auf eine rassistisch geprägte Weltanschauung schließen lassen. Diese Form der Weltanschauung schließt alle Menschen aus, die nicht dem ethnischen Volksbegriff entsprechen. Damit widerspricht sie dem Grundgesetz, insbesondere dem Prinzip der Menschenwürde, die allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gleichermaßen zusteht. Die Burschenschaft "Germania Halle zu Mainz" pflegt enge Verbindungen zur "Neuen Rechten" und rechtsextremistischen Szene. Über Jahre hinweg lud sie regelmäßig öffentlich zu Vorträgen in ihr Verbindungshaus ein, bei denen bekannte Vertreter dieser Strömungen auftraten. Obwohl die "Identitäre Bewegung" nach wie vor auf der offiziellen Unvereinbarkeitsliste der AfD steht, sind und waren sowohl einige Alte Herren als auch Aktive der "Germania Halle zu Mainz" in dieser Bewegung aktiv. Gleichzeitig sind viele von ihnen Mitglieder der Jungen Alternative oder direkt in der AfD engagiert. Mittlerweile dient die Mainzer Burschenschaft der AfD als Rekrutierungsraum und Kaderschmiede. Während einige Burschenschafter eine politische Karriere innerhalb der Partei eingeschlagen haben, arbeiten andere im Hintergrund als Mitarbeiter für AfD-Politiker oder die Fraktion, um dort Einfluss zu nehmen. Dass die "Germania Halle zu Mainz" weiterhin aktiv in der "neurechten" Szene vernetzt ist, zeigt sich unter anderem daran, dass auch einige Alte Herren am 17. August 2024 an der "Messe des Vorfelds" im Koblenzer "Quartier Kirschstein" teilnahmen. 66 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen 3. RECHTSEXTREMISTISCH GENUTZTE IMMOBILIEN: DIE BEDEUTUNG VON SZENE OBJEKTEN AM BEISPIEL DER "FASSFABRIK" IN HACHENBURG Am 5. Oktober 2024 kam es in der sogenannten Fassfabrik in Hachenburg (Westerwald) zu einer Razzia der Polizei. Dort hatte eine konspirativ beworbene rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung stattgefunden, die vom regionalen Ableger der Partei "Der III. Weg", dem "Stützpunkt Westerwald/ Taunus" (siehe Seite 94), organisiert wurde. Die Polizei stellte dabei ungefähr 130 Personen fest, die nicht nur aus Rheinland-Pfalz, sondern nahezu aus dem gesamten Bundesgebiet und dem näheren Ausland angereist waren. Unter den Teilnehmern befanden sich neben Mitgliedern der Partei "Der III. Weg" auch Angehörige anderer rechtsextremistischer Gruppierungen, wie beispielsweise der "Rheinlandbande" (Nordrhein-Westfalen) und der "Revolte Rheinland" (siehe Seite 108). Mit diesem Kampfsportevent ist es dem "Stützpunkt Westerwald/Taunus" gelungen, wesentlich mehr Personen anzusprechen und zu einer Teilnahme zu bewegen als mit anders gearteten Veranstaltungen wie Vortragsoder Liederabenden. Dies ist zum einen mit der Beliebtheit von Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene insgesamt zu erklären. Zum anderen hatte der Stützpunkt Zugriff auf eine Immobilie, die eine Veranstaltung in dieser Größenordnung überhaupt erst möglich machte. 67 Szeneobjekte wie die "Fassfabrik", in denen Rechtsextremisten ihre Aktivitäten entfalten, sich vernetzen, rekrutieren und möglicherweise auch finanzielle Einnahmen generieren, sind eher selten und werden daher von den jeweiligen Akteuren als wichtig eingeschätzt. Es geht um Räumlichkeiten zur Durchführung von Stammtischen, Vortragsveranstaltungen, Liederabenden und Konzerten oder (ideologische) Schulungen. Sie dienen als Rückzugsräume, um "ungestört" von zivilgesellschaftlichem Protest oder staatlichen Exekutivmaßnahmen agieren zu können. Die darin stattfindenden Veranstaltungen festigen eine gemeinsame rechtsextremistische Identität und stellen somit eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Die "Fassfabrik" - Entwicklung zu einem Knotenpunkt des Rechtsextremismus im nördlichen Rheinland-Pfalz Die "Fassfabrik" in Hachenburg ist ein größeres Anwesen, dessen Fläche von verschiedenen Mietern gewerblich und privat (Wohnraum) genutzt wurde und wird - Rechtsextremisten waren nur in einem Teil der Immobilie aktiv. Die Entwicklung des Objekts zu einem rechtsextremistischen Knotenpunkt im nördlichen Rheinland-Pfalz begann 2019. Treibende Kraft dahinter war ein ehemaliges AfD-Mitglied, das unterschiedlichen rechtsextremistischen Gruppen einige Räume der "Fassfabrik" zur Verfügung stellte. Gruppierungen wie der "Stützpunkt Westerwald/Taunus" vom "III. Weg", die "Junge Alternative" oder der "Freundeskreis Westerwald", eine Art "Kameradschaft" um eine langjährige Rechtsextremistin, führten dort in den vergangenen Jahren unabhängig voneinander Veranstaltungen durch. "Der III. Weg" nutzte zudem einen größeren Raum für ein regelmäßiges "Selbstverteidigungstraining". 68 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Um dieses zu professionalisieren wurden Matten ausgelegt und ein Boxring aufgestellt. Aktivisten des Stützpunkts sahen dadurch die Möglichkeit, durch Kampfsport-Events ein breiteres, rechtsoffenes bis rechtsextremistisches Publikum anzusprechen. Tatsächlich gelang es dem "III. Weg" mit den als "Kneipenabend" in rechtsextremistischen Kreisen beworbenen Kampfsportveranstaltungen, immer mehr Teilnehmer zu gewinnen. Nahmen am ersten Kampfsport-Event in der "Fassfabrik" im Oktober 2023 noch ungefähr 50 Personen teil, waren es sechs Monate später bereits um die 100. Schließlich stieg die Teilnehmerzahl im Oktober 2024 sogar auf circa 130. Hinzu kommt, dass sich das Einzugsgebiet der Teilnehmer von Mal zu Mal vergrößerte und es sich nicht nur um eine exklusive Veranstaltung für Parteimitglieder handelte. Wäre es nicht zu einem Verkauf der "Fassfabrik" und somit zu einem Ende der rechtsextremistischen Nutzung gekommen, hätten "Kampfsport-Events" dort möglicherweise für noch größeren Zulauf gesorgt. Inwieweit es den rechtsextremistischen Akteuren gelingt, ihre Aktivitäten zu verlagern und in einem ähnlichen Maße wiederaufzunehmen, wird aufmerksam verfolgt. Es dürfte für sie jedoch schwierig sein, eine der "Fassfabrik" vergleichbare Immobilie zu finden. Der rechtsextremistischen Szene im Westerwald konnte somit ein wirksamer Schlag versetzt werden. 69 INFORMATION Welche Bedeutung hat Kampfsport im Rechtsextremismus? Im Rechtsextremismus gewinnt Kampfsport weiterhin an Relevanz. Unterschiedliche Gruppierungen bieten Kampfsporttrainings an oder organisieren Kampfsportveranstaltungen. Sie dienen der Rekrutierung und festigen die Bindung an die Szene. Eingebettet ist das Thema in einen rechtsextremistischen Kontext. Das heißt, es geht dabei nicht lediglich um Sport, sondern um das propagierte Ideal eines "gesunden Volkskörpers", der wehrhaft ist und (wenn nötig) auch Gewalt anwenden kann. Die größte rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung mit deutscher Beteiligung war im Berichtsjahr der "Day of Glory", der im Juni in Frankreich stattfand und circa 300 Rechtsextremisten aus mehreren europäischen Ländern anzog. Innerhalb Deutschlands fand die publikumsstärkste Veranstaltung im Oktober in der "Fassfabrik" in Hachenburg statt. Als neue Entwicklung in diesem Themenfeld ist das lose und dezentrale Netzwerk der sogenannten "Active Clubs" zu nennen. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das in den Vereinigten Staaten entstanden ist und sich inzwischen auch in vielen europäischen Ländern etabliert hat, darunter Deutschland. Kampfsport nimmt bei diesem Konzept einen zentralen Stellenwert ein. In Rheinland-Pfalz hat das Phänomen der "Active Clubs" bislang jedoch eine geringere Relevanz. 70 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen An dem Beispiel "Fassfabrik" wird deutlich, welche Möglichkeiten Rechtsextremisten zur Verfügung stehen, wenn sie eine derartige Immobilie ungestört nutzen können. Sie können dort ihre Verfassungsfeindlichkeit entfalten und breiter in die Gesellschaft wirken. Umso wichtiger ist es, dass ihnen der Zugriff auf solche Immobilien erschwert wird. Ein aufmerksames, kooperatives Handeln der Sicherheitsund Kommunalbehörden, aber auch zivilgesellschaftlicher Akteure ist unerlässlich. Die Handreichung "Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland", erstellt und herausgegeben von den Innenministerien der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, enthält Handlungsempfehlungen für Kommunen und Immobilienbesitzer zur Prävention.4 4 "Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland - Lagebild und Handlungsempfehlungen für Kommunen und Immobilienbesitzer", 2024, abrufbar unter: https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/ Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/Referat_44/Rechtsextremistisch_ genutzte_Immobilien.pdf. 71 4. HYBRIDE BEDROHUNGEN UND DESINFORMATION NEHMEN ZU Mit der Verbindung von militärischen, wirtschaftlichen, technologischen, politischen und sozialen Methoden stellen hybride Bedrohungen eine der komplexesten Angriffsformen auf das Alltagsleben in Deutschland und Rheinland-Pfalz dar. Neben Spionage-, Sabotage-, Proliferationsund Cyberaktivitäten gehören auch Einflussnahme und die Verbreitung von Desinformationen zum Instrumentarium. Wenn mehrere dieser Einzelmaßnahmen koordiniert eingesetzt werden, spricht man von einer hybriden Bedrohung. Neben der Absicht, physischen Schaden anzurichten, sind die Hauptziele hybrider Akteure die nachhaltige Störung des gesellschaftlichen Gefüges und die Beeinflussung demokratischer Entscheidungsprozesse sowie der politischen Willensbildung. Wenn systematisch platzierte Falschinformationen erfolgreich das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stören, kann dies weitreichende Konsequenzen für den gesellschaftlichen und den politischen Diskurs haben. Das gezielte Einwirken auf industrielle Infrastruktur oder Wirtschaftsund Transportwege schädigt nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern auch die Reaktionsund Verteidigungsfähigkeit eines Staates. Um die Wirksamkeit der entsprechenden Maßnahmen nicht zu gefährden, wird die staatliche Urheberschaft beziehungsweise die Identität des Auftraggebers gezielt verschleiert. Insgesamt hat die Konzentration hybrider Bedrohungen in den letzten Jahren massiv zugenommen. Hauptakteure sind die Russische Föderation sowie die Volksrepublik China. So führt Russland mit Cyberangriffen und Sabotageaktionen 72 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen gegen lebenswichtige Infrastrukturen einen hybriden Krieg gegen die Ukraine. In der jüngsten Vergangenheit kam es zu einer Häufung mutmaßlich nachrichtendienstlicher Aktionen Russlands und Chinas in der Bundesrepublik Deutschland. Hybride Bedrohungen sind eine erhebliche Herausforderung für die innere Sicherheit und für die Sicherheitsbehörden. Für letztere sind sie es vor allem, was die zeitnahe Entwicklung geeigneter Abwehrund Bekämpfungsstrategien anbelangt. Deutschland und andere NATO-Partner stehen aufgrund der Unterstützung der Ukraine im Fokus Russlands. In diesem Zusammenhang gab es zuletzt mehrere Hinweise auf Cyberangriffe sowie die Ausspähung oder Durchführung von Sabotageakten. Dabei wird auf einen Vorrat unterschiedlichster Methoden zurückgegriffen. Besonders gefährdet durch hybride Bedrohungen sind Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. So wurden im Ostseeraum durch einen zivilen Frachter zwei Untersee-Datenkabel beschädigt, die unter anderem den Internetverkehr mit Skandinavien sicherstellen. Betroffen war auch ein Kabel zwischen Deutschland und Finnland. Häufig lässt sich bei derartigen Vorfällen nicht zweifelsfrei feststellen, ob es sich um absichtliche Beschädigungen oder Unfälle handelt. Eine konzertierte Aktion kann aber in den wenigsten Fällen ausgeschlossen werden. Quelle: pixabay 73 Darüber hinaus wurden 2024 europaweit Paketsendungen mit unkonventionellen, selbstzündenden Brandsätzen detektiert, die mit dem Ziel verschickt wurden, Frachtdienstleistungsunternehmen und logistische Infrastruktur in westlichen Staaten zu schädigen. In Deutschland und Rheinland-Pfalz häuften sich verdächtige Drohnenüberflüge im Umfeld militärischer Liegenschaften, aber auch bei Firmen und Fabrikationsstätten. Das unerlaubte Überfliegen von Industrieoder Militäranlagen kann von ausländischen Akteuren zur gezielten Ausspähung entsprechender Einrichtungen genutzt werden. Mögliche Hintergründe sind hier die Vorbereitung von Sabotageakten oder eine "show of force", eine Machtdemonstration. Deutschland dient für einen wesentlichen Teil der Lieferungen an die Ukraine als Transitland. Darüber hinaus werden ukrainische Streitkräfte durch die Bundeswehr ausgebildet. Es besteht die Gefahr, dass die genutzten Routen durch Russland ausgespäht und Sabotageakte geplant werden. Gleiches gilt für die Ausbildungsorte ukrainischer Soldaten. In Rheinland-Pfalz sind zudem Einrichtungen der kritischen Infrastruktur und Militärstandorte potenzielle Ziele. Das Vorgehen Russlands hat sich in Folge der verhängten Sanktionen und der Ausweisung russischer Diplomaten aus Deutschland angepasst. Über soziale Netzwerke und Messengerdienste werden "Low Level Agents" zur Erfüllung konkreter Aufträge rekrutiert. Diese Personen haben keinen geheimdienstlichen Hintergrund und sind überwiegend jung, russischsprachig oder zumindest pro-russisch ideologisiert. Gegen Bezahlung, häufig in Kryptowährung, werden diese Personen mit Sabotageangriffe beauftragt. Sie agieren häufig nicht professionell und können leichter aufgedeckt werden. Unter Wegfall einer langwierigen und kostspieligen Ausbildung sowie einer ausgefeilten Tarnidentität wird das aber in Kauf genommen. Eine Verbindung zu russischen Nachrichtendiensten lässt sich zudem kaum nachzuweisen. 74 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Um Personen in für Russland relevanten Unternehmen herauszufiltern, werden gezielt Social-Media-Accounts der Mitarbeitenden nach russland-freundlichen Posts durchsucht. Dies kann ein erster Schritt für Einflussund Anbahnungsversuche ausländischer Nachrichtendienste sein. Das aggressive und taktische Vorgehen Russlands zeigte sich bei dem Gefangenenaustausch im Sommer 2024. Russische Agenten, darunter der "Tiergarten-Mörder", wurden gegen Regimekritiker getauscht. So können in Russland gezielt Personen unter Vorwand in Haft genommen und daraufhin als Druckmittel gegen die Regierung des Heimatlandes eingesetzt werden. Hiermit wird die Absicht verfolgt, russische Staatsangehörige, die für einen Nachrichtendienst tätig sind, freizupressen oder sonstige Zugeständnisse des Westens zu erzwingen. Im Gegensatz zum aggressiven und kurzbis mittelfristig angelegtem Vorgehen Russlands verfolgt China einen langfristigen Ansatz. Chinesische Nachrichtendienste klären systematisch politische, militärische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Bereiche und Potenziale auf. Hierfür sind sie mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet. Gezielte Investitionen und damit das Herstellen und Ausnutzen wirtschaftlicher Abhängigkeiten sind ein bewährtes Mittel. China nimmt auch auf den parlamentarischen Raum Einfluss. Das International Departement of the Communist Party of China (IDCPC) soll die Positionen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Ausland vertreten und ihre machtpolitischen Ziele unterstützen. IDCPC-Angehörige stellen dafür weltweit Kontakte zu Parteien oder parteinahen Organisationen sowie zu Politikerinnen und Politikern her und laden diese mitunter nach China ein. Im Zentrum dieser Aktivitäten stehen die hegemonialen Ansprüche des Staates und die Kontrolle über das Bild Chinas im Ausland. 75 Auch die rheinland-pfälzische Landesund Kommunalpolitik kann für chinesische Nachrichtendienste interessant sein. Ein bevorzugtes Mittel zur Anbahnung oder Intensivierung der Beziehungen sind zivilgesellschaftliches Kontakte oder Städtepartnerschaften. Derartige Kooperationen werden unter dem Deckmantel des kulturellen Austauschs für eine positive Selbstdarstellung und die Beeinflussung von Institutionen und Personen der Partnerländer, -städte und -kommunen genutzt. Desinformation Desinformation ist die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen. Dabei treten verschiedene Akteure in Erscheinung. So können sowohl nichtstaatliche aus dem Inund Ausland als auch fremde Staaten selbst für die Verbreitung von Desinformation verantwortlich sein. Die Urheber von Desinformation setzen keine neuen Themen, sondern nutzen bereits vorhandene negative Stimmungen oder gesellschaftspolitisch relevanten Ereignisse und Sachverhalte und verstärken diese mit eigenen Narrativen. Ihr Ziel ist es, Einfluss auf Willensbildungsprozesse in der Gesellschaft zu nehmen. Hierfür bedienen sie sich der Emotionalisierung kontroverser Debatten, um Misstrauen in staatliche Institutionen und das Regierungshandeln zu schüren sowie Spannungen in der Gesellschaft zu verstärken. Autokratische Staaten wie Russland versuchen zudem, die demokratische Gesellschaftsform als solche auf breiter Front zu diskreditieren. Die Verbreitung von Desinformation stellt eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar, da sie das Vertrauen in die Politik, den öffentlichen Diskurs und die staatlichen Institutionen untergraben kann. 76 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Hauptmedium für die Verbreitung von Desinformation ist das Internet. Zwar wurden im Vorfeld und zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine auch über die russischen Sender RT und Sputnik entsprechende Inhalte verbreitet, infolge der am 2. März 2022 in Kraft getretenen EU-Sanktionen wird deren Rezeption in Deutschland erheblich erschwert. Über soziale Netzwerke erreichen Desinformationen hingegen nach wie vor innerhalb kürzester Zeit einen großen Teil der Bevölkerung. Künstliche Intelligenz (KI) spielt bei ihrer Gestaltung und Verbreitung eine tragende Rolle. Neben gestellten oder manipulierten Szenen und aus dem Zusammenhang gerissenen Bildern oder Videos werden zunehmend KI-basierte Generatoren eingesetzt. Sie vervielfachen und vereinfachen gleichzeitig die Möglichkeiten zur Erstellung hochwertigen Bild-, Videound Audiomaterials. Desinformationskampagnen Die Methoden zur Verbreitung von Desinformation werden stetig weiterentwickelt. Seit Februar 2022 nehmen inund ausländische Akteure die Kriegshandlungen in der Ukraine zum Anlass für Desinformationskampagnen. Die Kampagnen werden für einen längeren Zeitraum mit einem definierten strategischen Ziel angelegt. Für Russland sind Desinformationskampagnen ein wichtiges Werkzeug der hybriden Kriegsführung. Sie sollen nicht nur kurzfristig Schaden anrichten, sondern mittelfristig Gesellschaften destabilisieren und die öffentliche Meinung in einem Staat beeinflussen. Neben Messengerdiensten wie Telegram werden Internetforen sowie Videound Informationsportale für eine gezielte Beeinflussung des öffentlichen Diskurses genutzt. 77 Besonders ausgefeilt geht die seit 2022 bekannte russische Desinformationskampagne "Doppelgänger" vor, die auf das kremlnahe Unternehmen "Social Design Acency" (SDA) zurückzuführen ist. Die "Doppelgänger"-Kampagne zielt darauf ab, die westliche Außenpolitik und die Unterstützung der Ukraine zu diskreditieren sowie einschlägige Falschinformationen und pro-russische Narrative in westlichen Gesellschaften zu verbreiten. Offenkundig wird damit versucht, durch zielgruppenspezifisch zugeschnittene Falschinformationen die Politik der Bundesregierung zu diskreditieren. Der Begriff "Doppelgänger" basiert auf der Taktik, Internetseiten etablierter westlicher Nachrichtenportale zu kopieren und auf den täuschend echt wirkenden Seiten gefälschte Artikel zu verbreiten. Das Layout soll dafür sorgen, die Glaubwürdigkeit der Inhalte zu erhöhen. Die Artikel werden in zeitlicher Nähe zu politischen Ereignissen wie etwa Wahlen veröffentlicht, um auf den gesellschaftlichen Diskurs und die politische Meinungsbildung im eigenen Sinne einzuwirken. Im Vorfeld der Europawahl lancierte das Netzwerk wohlwollende Artikel zum rechtspopulistischen, europaskeptischen Parteienspektrum und flankierte sie mit entsprechenden Wahlaufrufen von Bot-Accounts. Dieses Netzwerk aus gefälschten Profilen und Identitäten sorgt mit eigenen Beiträgen und Verweisen in den sozialen Medien dafür, dass die Reichweite der gefälschten Artikel maximiert wird. Die Masse der Beiträge und die vielseitige Vorgehensweise lassen darauf schließen, dass es sich um die bislang größte global aufgedeckte Desinformationskampagne handelt. 78 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Brennpunktthemen Quelle: pixabay 79 RECHTS EXTRE 80 MISMUS TS RECHTSEXTREMISMUS 1. Personenpotenzial S. 82 2. Überblick und Entwicklungen 2024 S. 83 3. Gruppierungen und Strukturen S. 86 E 3.1 Rechtsextremistische Parteien und parteiabhängige Gruppierungen S. 86 3.1.1 "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" - NPD) S. 86 3.1.2 "Der III. Weg" S. 88 3.1.3 "Alternative für Deutschland" (AfD) S. 95 3.1.4 "Junge Alternative" (JA) S. 99 4. Parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen S.104 US 4.1 "Neue Rechte" S. 104 4.2 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) S. 106 4.3 Neonationalsozialismus (Neonazis) S. 110 5. Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial S. 114 5.1 "Combat 18" und "Hammerskins" S. 114 5.2 Rechtsextremistische Musik S. 115 6. Internetauswertung Rechtsextremismus S. 119 7. Kurzbeschreibungen S. 121 81 1. PERSONENPOTENZIAL 2024 2023 Gewaltorientierte* 160 150 Parteien und parteiabhängige Strukturen 225 255 # "Die Heimat" (früher: NPD) 60 100 # "Der III. Weg" 65 60 # "DIE RECHTE" 15 15 # "Junge Alternative" 80 40 # Sonstige 5 30 Parteiunabhängige Strukturen 290 260 Unstrukturiertes Personenpotenzial** 280 255 Gesamt 795 770 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. Die Gesamtzahlen beinhalten keine Mehrfachmitgliedschaften. * Die Zahl der Gewaltorientierten ist eine Schnittmenge und beinhaltet vor allem Teile des unstrukturierten Personenpotenzials sowie Neonazis. ** Einschließlich circa 35 Personen aus dem "Reichsbürger"-Spektrum 82 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus 2. ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 Rechtsextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen stellen weiterhin ein hohes Gefahrenpotenzial dar. Ein erhebliches Aufklärungsinteresse der rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzbehörde liegt dabei vor allem beim gewaltorientierten Rechtsextremismus. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten -rechtsbelief sich 2024 in Rheinland-Pfalz auf 1.471 (2023: 1.245). Rechtsextremistische Parteien und Strukturen Der "Jungen Alternative Rheinland-Pfalz" (JA), der Jugendorganisation der "Alternative für Deutschland", ist es gelungen, neue Mitglieder zu gewinnen. Bei der neonazistisch geprägten Kleinstpartei "Der III. Weg" gab es in RheinlandPfalz auch im Jahr 2024 einen leichten Zulauf. Mit ihren virtuellen und realweltlichen Aktivitäten wie Kampfsport-Events versucht die Partei, insbesondere junge Menschen anzusprechen und zu rekrutieren. Die Partei "Die Heimat", die bis Mitte 2023 noch "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) hieß, hat auch in Rheinland-Pfalz einen Mitgliederschwund zu beklagen. Die wenigen Aktivitäten der Partei in Rheinland-Pfalz wie Demonstrationen gehen von einem kleinen Kreis langjähriger Mitglieder aus. Die Partei " DIE RECHTE" verfügte im Berichtsjahr über überschaubare Strukturen im Land und wies Überschneidungen zur rheinland-pfälzischen Kameradschaftsszene auf. Die Mitgliederzahl lag weiterhin bei etwa 15 Personen. Im März 2025 gab die Partei ihre Auflösung bekannt. 83 Die "Neue Rechte" Auch 2024 war Drehund Angelpunkt der Akteure der "Neuen Rechten" die Migrationspolitik, der "Kampf" gegen den sogenannten Bevölkerungsaustausch und die Forderung nach "Remigration". Angehörige der "Neuen Rechten" aus Rheinland-Pfalz nahmen erneut an einer "Remigrations-Demo" im Sommer in Wien teil. Im nördlichen Rheinland-Pfalz hatte sich die "Revolte Rheinland" als Nachfolgeorganisation der "Identitären Bewegung Rheinland-Pfalz" angesiedelt und trat insbesondere mit Plakatierungen und Flugblattverteilungen in Erscheinung. Im November 2024 gab die Gruppierung überraschend ihre Auflösung bekannt. Darüber hinaus konnten weitere Vernetzungsbestrebungen der Akteure der "Neuen Rechten" in Rheinland-Pfalz beobachtet werden. Am 17. August 2024 fand in Koblenz die "Messe des Vorfelds" statt, die durch die Teilnahme einschlägige Influencer und Onlineblogger die digitale Strategie der "Neuen Rechten" verdeutlicht (siehe Brennpunktthema "Das Netzwerk der Neuen Rechten", Seite 56). Die Neonaziszene in Rheinland-Pfalz Seit mehreren Jahren stellt die Neonaziszene mit rund 185 Personen den größten Anteil bei den parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen in Rheinland-Pfalz. Neonazis machen zudem den weitaus größten Teil des gewaltorientierten Personenpotenzials innerhalb der rechtsextremistischen Szene aus. Dabei setzt sich die Szene überwiegend aus lockeren, informellen Zusammenschlüssen mit niedrigem Organisationsgehalt zusammen. Die "Kameradschaftsszene" durchlebte die letzten 20 Jahre einen Wandel. Demnach hat das straff organisierte "klassische" Modell an Relevanz verloren. Zu den neonazistischen "Kameradschaften" im Land zählte im Jahr 2024 der "Nationale Widerstand Zweibrücken". 84 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Digitaler Rechtsextremismus Die virtuelle Vernetzung und die Nutzung des digitalen Raums sind für Rechtsextremisten sehr wichtig. Hier haben sie die Möglichkeit, mittels Social Media und Kommunikationsplattformen vor allem junge Menschen zu erreichen und zu rekrutieren sowie sich untereinander zu vernetzen. Vor allem die Akteure der "Neuen Rechten" nutzen diese Möglichkeit umfassend. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit der (verdeckten) Kommunikation und dadurch die Vermischung von Akteuren ganz unterschiedlicher Phänomenbereiche. Besonders erschreckend ist die Radikalisierung Minderjähriger im Internet (siehe Brennpunktthema "Radikalisierung im Kinderzimmer", Seite 52). Die Internetauswertung in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, "Reichsbürger" und Selbstverwalter sowie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" hat sich in der nachrichtendienstlichen Aufgabenwahrnehmung als wesentliches Element etabliert. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende Im Jahr 2024 fanden in Rheinland-Pfalz acht Musikveranstaltungen mit rund 200 Teilnehmern statt. Damit sind die Veranstaltungen und Teilnehmerzahlen im Land gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Das Musikgeschäft bleibt für die rechtsextremistische Szene eine wichtige Einnahmequelle. Im Mai 2024 gelang es den rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden, eine rechtsextremistische Musikveranstaltung in Greimerath im Landkreis Bernkastel-Wittlich mit rund 40 Besuchern aufzulösen. 85 3. GRUPPIERUNGEN UND STRUKTUREN 3.1 Rechtsextremistische Parteien und parteiabhängige Gruppierungen 3.1.1 "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" - NPD) Die Partei "Die Heimat" ist identisch mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), die 1964 gegründet wurde und damit die älteste rechtsextremistische Partei Deutschlands ist. Mit der Namensänderung in "Die Heimat" versuchte die NPD im Jahr 2023, ihrem Niedergang durch einen Neustart entgegenzuwirken. Mit neuem Logo, aber altem Personal strebt die Partei weiterhin die Errichtung eines ethnisch homogenen Nationalstaates und die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Das Bundesverfassungsgericht attestierte der Partei bereits im Jahre 2017 im Zuge des zweiten NPD-Verbotsverfahrens eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Am 24. Januar 2024 wurde "Die Heimat" vom Bundesverfassungsgericht für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen (siehe Verfassungsschutzbericht 2023, Seite 96). 86 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Auf dem Bundesparteitag im November 2024 löste der Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen, Peter Schreiber, den bisherigen langjährigen Vorsitzenden Frank Franz als Parteivorsitzenden ab. Zum dritten stellvertretenden Bundesvorsitzenden wurde der ehemalige rheinland-pfälzische Musiker Philipp Neumann ("Phil von Flak", siehe auch Seite 116) gewählt. Er ist zugleich Leiter des im Frühjahr 2024 gegründeten Arbeitskreises "Heimat.Kultur.Werk" der Partei. Aufgrund der Namensänderung spaltete sich eine kleine "Dissidentengruppe" ab, die weiterhin unter dem Namen "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" firmiert (siehe Verfassungsschutzbericht 2023, S. 96). "Die Heimat" nahm im Juni 2024 an der Europawahl teil und erzielte ein Ergebnis von 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen (2019: 0,3 Prozent). Personenpotenzial Bundesweit ist weiterhin von einer Mitgliederzahl von circa 2.700 Personen auszugehen. In Rheinland-Pfalz war die Mitgliederzahl 2024 weiter rückläufig und beziffert sich auf rund 60 Personen (2024: circa 100). Gruppierung und Struktur Der rheinland-pfälzische Landesverband der Partei "Die Heimat" gliedert sich in die weitgehend inaktiven Kreisverbände Trier, Mittelrhein und Rheinhessen-Pfalz. Einige wenige Aktivitäten wie Demonstrationen gehen weiterhin von einem kleinen Kreis langjähriger Mitglieder aus. Das Mobilisierungspotenzial stagniert im unteren zweistelligen Bereich. An den Kommunalwahlen 2024 in RheinlandPfalz nahm "Die Heimat" nicht teil. 87 Jugendorganisation Die 2023 bekannt gewordene Neuaufstellung der "Jungen Nationalisten" (JN) nach Vorbild der "Identitären Bewegung Deutschland" führte in einigen Bundesländern zu Zulauf, erwies sich in Rheinland-Pfalz jedoch als nicht nachhaltig. Im Land konnten sich zwar keine JN-Strukturen etablieren, jedoch gründete sich im Dezember 2024 der "JN Landesverband West", der als Bindeglied zwischen Mitgliedern aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und dem Bundesverband fungieren soll. Ausblick Der Wechsel der Führungsriege durch den Rückzug der bisherigen langjährigen Führungspersonen auf dem Bundesparteitag im November 2024 ist ein sicherer Hinweis darauf, dass der Namenswechsel der Partei nicht zur erhofften Kehrtwende im Niedergang führte. Das Unvermögen der Partei, sich politisch oder gesellschaftlich als relevanter Faktor zu etablieren, wird voraussichtlich auch im Jahre 2025 weiter fortbestehen. Der langsame Zerfall dürfte sich daher weiter fortsetzen. 3.1.2 "Der III. Weg" Die neonazistisch geprägte Kleinstpartei "Der III. Weg" wurde 2013 von ehemaligen Aktivisten der NPD sowie anderen Rechtsextremisten gegründet. Ihr Sitz befindet sich im rheinland-pfälzischen Weidenthal (Landkreis Bad Dürkheim), dem Wohnort des stellvertretenden Parteivorsitzenden. Untergliedert ist die Partei in vier Landesverbände und in 27 (2023: 24) regionale Organisationseinheiten, den sogenannten Stützpunkten. Ihre Strukturen baut sie kontinuierlich aus. 88 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Ideologisch orientiert sich "Der III. Weg" am Nationalsozialismus; ihr Ziel ist die Verwirklichung eines "Nationalen Sozialismus". Propagiert wird zudem die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes"1, also ein rassistisches Volksverständnis, wonach alle, die im Sinne der Partei nicht als Deutsche gelten, ausgeschlossen werden sollen. Um den verfassungsrechtlichen Status als Partei nicht zu verlieren, muss "Der III. Weg" an Wahlen teilnehmen. Daher trat sie 2024 bei den Kommunalund Landtagswahlen in Brandenburg an. Auf kommunaler Ebene konnte "Der III. Weg" lediglich in einem Landkreis (Prignitz) ein Mandat gewinnen. Auf Landesebene erhielt die Partei weniger als ein Prozent der Stimmen und spielt somit politisch keine Rolle. Personenpotenzial "Der III. Weg" konnte in Rheinland-Pfalz die Anzahl der Vollund Fördermitglieder leicht auf 65 erhöhen (2024: circa 60). Bundesweit sind der Partei mehr als 800 Personen zuzurechnen (2024: circa 700). Entwicklung Die Entwicklungen der vergangenen Jahre in den Bereichen "Jugendarbeit" und "digitaler Präsenz" treibt die Partei weiter voran. So wurden die Strukturen der parteieigenen Jugendorganisation, der "Nationalrevolutionären Jugend" (NRJ) weiter ausgebaut. Für Jugendliche und Heranwachsende attraktive Angebote wie Outdoor-Aktivitäten, Selbstverteidigungstrainings beziehungsweise Kampfsport oder rechtsextremistische Rap-Konzerte gehören zur Rekrutierungsstrategie der Partei (siehe Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz 2023, S. 72). In Kombination mit zielgruppenorientiert gestalteten Inhalten, insbesondere auf TikTok, Instagram und Messengerdiensten, gewinnt "Der III. Weg" an Zulauf. 1 Partei "Der III. Weg" (Hg.): "Nationalismus & Digitalisierung", Weidenthal 2020, Seite 16. 89 Zudem wirbt die Partei, die stark von Männern dominiert wird, inzwischen auch um junge Frauen. Dabei unterscheidet sich die Ansprache zwischen dem weiblichen und dem männlichen Adressatenkreis. Werden bei Letzterem maskulin konnotierte Attribute wie Stärke und Wehrhaftigkeit in den Vordergrund gestellt, ist es im anderen Fall die "Weiblichkeit" der Frau "in ihrer natürlichen Funktion als Hausfrau und Mutter"2. Die Reduktion des Frauenwie auch des Männerbilds (Ernährer und Beschützer) leugnet die lebensweltlichen Realitäten. Der Löwe als Symbol für Männlichkeit und Stärke. Quelle: Telegram Nur die "natürliche Familie", bestehend aus Mann, Frau und Kindern, könne den vermeintlichen "Volkstod" abwenden. Gegen andere Lebensentwürfe wird gehetzt und Hass geschürt, da die Partei sie als "eine Gefahr für die Substanzerhaltung unseres Volkes" ansieht3. Sie diffamiert beispielsweise homosexuelle Menschen als "krank" und "Symptom eines degenerierten Systems". "Der III. Weg" forcierte dementsprechend seine Propaganda-Aktivitäten gegen die LGBTQ+-Community und agitierte besonders gegen Veranstaltungen am Christopher Street Day. 2 Partei "Der III. Weg": "Tradwifes - Positive Rückbesinnung auf das natürliche Frauenbild", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 27.09.2024. 3 Partei "Der III. Weg": "Nieder mit der Regenbogen-Fahne!", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 16.08.2024. 90 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Im August führte die Partei eine eigene Demonstration in Zwickau (Sachsen) unter dem Motto "Homo-Propaganda stoppen - gesunde Familien fördern" durch. Mit ungefähr 480 Teilnehmern, darunter zahlreiche Jugendliche, war die Mobilisierung relativ hoch. Im Vergleich dazu kamen zu der zentralen Parteidemonstration am 1. Mai in Sonneberg (Thüringen) nur circa 170 Teilnehmer. Vergleichbare Protestveranstaltungen gab es in Rheinland"Der III. Weg" hetzt gegen alle Menschen, die nicht in das Pfalz nicht. rechtsextremistische Weltbild passen. Quelle: Telegram Kernthema vom "III. Weg" ist nach wie vor die Zuwanderung. An die zu Jahresbeginn öffentlich geführte Diskussion um Massenabschiebungen von Zuwanderern - ausgelöst durch die "Correctiv"-Recherche "Geheimplan gegen Deutschland" - dockte die Partei mit einem eigenen "Programm zur Ausländerrückführung"4 an. Darin drückt sie sich zwar etwas gemäßigter aus, propagiert Rassismus auf der parteieigenen Webseite hingegen sehr deutlich: "Daher gibt es keine Alternative zur stufenweisen, geordneten Rückführung aller artund kulturfremden Ausländer." Partei "Der III. Weg": "Islamisten planten Anschlag auf Weihnachtsmarkt", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 02.01.2024. 4 Partei "Der III. Weg": "Programm zur Ausländerrückführung", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 24.01.2024. 91 An anderer Stelle heißt es: "Als nationalrevolutionäre Parteibewegung für ein weißes Europa stemmen wir uns daher entschieden gegen die Ersetzungsmigration[...]." Partei "Der III. Weg": "Kongolesisches ["]Integrationswunder["] vergewaltigt eigene Mutter bestialisch und wird verurteilt", abrufbar unter der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 21.05.2024. Aufhänger sind oftmals islamistische Anschläge, auch jene, die verhindert wurden, und kriminelle Handlungen, die von vermeintlichen "Ausländern" begangen worden sein sollen. Dahinter steht die Absicht, in der Bevölkerung Angst zu schüren und Wut gegen "Ausländer" als auch gegen die Politik und das demokratische System zu erzeugen. Polemisierende Memes speziell für Social Media und Messenger. Quelle: Telegram "Die von den Herrschenden betriebene Politik der offenen Grenzen hat bereits viele deutsche Leben gekostet und wird weitere kosten, solange die Volksverräter und Handlanger der Umvolkungsstrategen weiterhin am Schaltheben der Macht sitzen. [...] Für eine sichere Heimat und für das Ende des herrschenden BRD-Systems [...] steht allein die Partei Der III. Weg [...]." Partei "Der III. Weg": "Islamisten planten Anschlag auf Weihnachtsmarkt", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 02.01.2024. 92 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Internationale Vernetzung "Der III. Weg" hat die Vernetzung mit ausländischen rechtsextremistischen Akteuren auch im Jahr 2024 weiter vorangetrieben. So nahmen Mitglieder der NRJ im Mai an einer von Rechtsextremisten organisierten Demonstration in Frankreich teil. Anwesend sollen auch Vertreter diverser ausländischer "Active Clubs" (siehe Brennpunktthema "Rechtsextremistisch genutzte Immobilien", Seite 67) sowie Gruppierungen aus den Vereinigten Staaten, Italien und Ungarn gewesen sein.5 Hohe Parteifunktionäre nahmen zudem an zwei rechtsextremistischen Vernetzungskonferenzen in Norwegen und in der Ukraine teil. In beiden Fällen trafen sich Rechtsextremisten aus dem europäischen Ausland. Bei der Konferenz in der Ukraine soll zum Abschluss der Veranstaltung ein Memorandum über die weitere Zusammenarbeit aller Beteiligten Gruppierungen unterzeichnet worden sein.6 Aktivitäten und Strukturen in Rheinland-Pfalz Die beiden regionalen Untergruppierungen der Partei "Der III. Weg" sind in Rheinland-Pfalz der "Stützpunkt Pfalz" und der "Stützpunkt Westerwald/ Taunus". Beide gehören dem "Landesverband West" an. Gemeinsam mit Vertretern anderer Stützpunkte, die in dem Landesverband organisiert sind, wurde im September eine Kundgebung nahe des Hauptbahnhofs in Trier abgehalten. Trotz der Präsenz auf einem öffentlichen Platz verlief die Veranstaltung ohne größere Resonanz. 5 Partei "Der III. Weg": "C9M: NRJ beim Gedenkmarsch für Sebastien Deyzieu in Paris", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 21.05.2024. 6 Partei "Der III. Weg": "Nation Europa: ["]Der III. Weg["] auf der 1. Internationalen Europa-Konferenz in Lember/Lviv (+Video)", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 09.09.2024. 93 Stützpunkt Pfalz Der "Stützpunkt Pfalz" half im Berichtsjahr beim Strukturaufbau der Partei im Saarland7 und führte interne Veranstaltungen wie Stützpunktabende, Sonnenwendfeiern, "Heldengedenken" und mehrtägige Wanderungen (Biwaks) durch. Unter dem Motto "Leibeszucht fürs Vaterland" kam es zu gemeinsamen körperlichen Ertüchtigungen und Kampfsporttraining. Aktionen von Mitgliedern des Stützpunkts mit einer gewissen Außenwirkung waren beispielsweise Banneraktionen wie in Bad Dürkheim im Oktober oder Flugblattverteilungen in Worms und Speyer. Regelmäßig werden die Aktivitäten des Stützpunkts mit Fotos und Videos für Social Media wie Instagram und TikTok aufbereitet und nicht zuletzt zur Rekrutierung verwendet. Stützpunkt Westerwald/Taunus Der "Stützpunkt Westerwald/Taunus", dessen Aktionsraum neben dem nördlichen Rheinland-Pfalz auch Teile von Hessen umfasst, führte wie in den Jahren zuvor sogenannte "Selbstverteidigungstrainings", einen Liederabend und Kampfsportevents in der "Fassfabrik" in Hachenburg durch (siehe Brennpunktthema "Rechtsextremistisch genutzte Immobilien", Seite 67). Der Personenkreis, den der Stützpunkt damit erreichte, ging erheblich über die eigenen Mitglieder hinaus. Durch den Wegfall der Immobilie als Wirkungsstätte dürften die ein größeres Publikum ansprechenden Aktivitäten des Stützpunkts mittelfristig erheblich eingeschränkt sein. 7 Partei "Der III. Weg": "Aktionstag im Saarland", abrufbar unter: der-dritte-weg.info, veröffentlicht am 30.03.2024. 94 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Bewertung Die Partei "Der III. Weg" sowie die in Rheinland-Pfalz agierenden Stützpunkte hatten auch in diesem Jahr einen leichten Zuwachs zu verzeichnen. Insbesondere die parteieigene Jugendorganisation NRJ erscheint mit einer vielfältigen "Jugendarbeit" in Kombination mit einer professionelleren Social-Media-Strategie hier als treibende Kraft. Ob die Partei weiter wächst - auch unter dem Aspekt des Wegfalls von Räumen wie der "Fassfabrik" -, wird aufmerksam verfolgt. 3.1.3 "Alternative für Deutschland" (AfD) Im Februar 2021 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die "Alternative für Deutschland" (AfD) als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Daraufhin reichte die AfD vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage ein, die mit Urteil vom 8. März 2022 abgewiesen wurde. Das Gericht bestätigte die Rechtsauffassung des BfV und damit das Vorliegen ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die hiergegen eingelegte Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen wurde am 13. Mai 2024 zurückgewiesen. Das Gericht sah es nicht nur als erwiesen an, dass hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen vorliegen, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen gerichtet sind, sondern führte ferner aus, dass bei der AfD Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen ersichtlich sind (zu den Hintergründen des Klageverfahrens siehe Verfassungsschutzbericht 2022, S. 81f., Verfassungsschutzbericht 2023, S. 105). 95 INFORMATION Was bedeuten Prüffall, Verdachtsfall und gesichert extremistische Bestrebung? Anders als das Bundesamt für Verfassungsschutz kennt die Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz die Unterteilung in Prüffall, Verdachtsfall und gesichert extremistische Bestrebung nicht. Vielmehr ist sie gemäß SS 5 LVerfSchG bereits beim Vorliegen von hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zur Beobachtung befugt und kann entlang ihrer gesetzlichen Bestimmungen die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Darüber hinaus kommt bei der AfD, ihren Vertretern, aber auch in ihrem Grundsatzprogramm vielfach ein ethnisch-kulturelles Volksverständnis zum Ausdruck. Neben antisemitischen werden insbesondere muslimund ausländerfeindliche Positionen vertreten. Mitglieder der AfD schüren Angst und Hass gegen Menschen muslimischen Glaubens. Dabei setzen sie oftmals bewusst den Islam mit Islamismus gleich. Musliminnen und Muslime werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgegrenzt und als kriminelle Menschen zweiter Klasse deklariert, was einen Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde darstellt. Aufgrund ihrer Agitation gegen staatliche Institutionen und deren Repräsentanten liegen zudem tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD zielgerichtet versucht, das Demokratieprinzip außer Kraft zu setzen. Die Aussagen und das Verächtlichmachen gehen aufgrund ihrer Intensität weit über das Maß zulässiger Kritik hinaus. 96 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Das OVG hat die Revision gegen das Berufungsurteil nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für dieses Rechtsmittel nicht gegeben seien. Die maßgeblichen Rechtsfragen seien in der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, sodass der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukomme. Hiergegen hat die AfD Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, der das OVG nicht entsprochen hat. Das OVG hat sodann den Fall dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dort ist es weiterhin anhängig. Entwicklung 2024 in Rheinland-Pfalz Im Januar 2024 hatte die Stadt Mainz gegenüber dem von der Partei genutzten "Zentrum Rheinhessen" in Mainz-Hechtsheim eine Nutzungsuntersagung erlassen. Mit einem alten Industriegebäude in Ingelheim-Heidesheim ist es der AfD zwar gelungen, ein neues "Zentrum Rheinhessen" zu eröffnen, die Veranstaltungsdichte an dieser Örtlichkeit reichte im Berichtsjahr jedoch bei weitem nicht an das Niveau der vorherigen Immobilie heran. Ebenfalls im Januar 2024 veranstaltete der AfD-Kreisverband Südliche Weinstraße - Landau in der Pfalz einen Neujahrsempfang in Offenbach an der Queich, der musikalisch von der rechtsextremistischen Liedermacherin "Julia Juls" begleitet wurde. Die Veranstaltung stellt damit einen weiteren Beleg für die mangelnde Distanzierung der rheinland-pfälzischen AfD zum offenen Rechtsextremismus dar. Ein Schwerpunkt der AfD Rheinland-Pfalz lag auf der Kommunalund insbesondere der Europawahl, die am 9. Juni 2024 stattfanden. Nach dem endgültigen Wahlergebnis der Europawahl 2024 erreichte die AfD in Rheinland-Pfalz 14,7 Prozent der Stimmen, bundesweit kam sie auf 15,9 Prozent. Der Rheinland97 Pfälzer Alexander Jungbluth, früherer Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen "Jungen Alternative", wurde auf Listenplatz 5 in das Europäische Parlament gewählt. Er steht für weniger Europa, weniger EU, plädiert für den "Dexit" und fordert im Gegenzug "mehr Selbstbestimmung für unser Vaterland und mehr Selbstbestimmung für Rheinland-Pfalz". Bei den Kreistagswahlen und den Stadtratswahlen erreichte die AfD in Rheinland-Pfalz ein nahezu gleich hohes Ergebnis wie bei der Europawahl, nämlich 14 Prozent der Stimmen (2019: 8,3 Prozent). Der Partei gelang es in allen 36 Landkreisen beziehungsweise kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz Kandidaten für die Kommunalwahl aufzustellen. Hierunter befanden sich vereinzelt Personen, die bereits Mitglied in anderen rechtsextremistischen Gruppierungen (zum Beispiel "Junge Alternative", "Identitäre Bewegung" beziehungsweise "Revolte Rheinland") gewesen waren. Auffallend gut schnitt die AfD in der Pfalz ab. So gelang es ihr, unter anderem in Germersheim, Kaiserslautern, Ludwigshafen, Pirmasens und Zweibrücken überdurchschnittlich viele Stimmen zu erlangen. Im weiteren Jahresverlauf ließ sich feststellen, dass das "Quartier Kirschstein" in Koblenz, Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten Joachim Paul, zu einer bedeutenderen Veranstaltungsund Vernetzungsörtlichkeit herangewachsen ist. Details zu der dort von ihm am 17. August 2024 veranstalteten "Messe des Vorfelds" lassen sich dem Brennpunktthema zur "Neuen Rechten" auf Seite 63 entnehmen. 98 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus 3.1.4 "Junge Alternative" (JA) Die "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist seit 2015 die offizielle Jugendorganisation der AfD und sieht sich als deren "Innovationsmotor". Die JA wurde bereits 2013 als eigenständiger Verein gegründet und ist in 16 Landesverbänden organisiert. Der Landesverband der JA Rheinland-Pfalz, dem etwa 80 Personen zugerechnet werden, untergliedert sich in vier Regionalverbände (Mittelrhein-Westerwald, Pfalz, Rheinhessen-Nahe und Trier), welche die Interessen vor Ort vertreten. Im Jahr 2024 gingen von ihnen jedoch wenige Aktivitäten aus. Die JA Rheinland-Pfalz organisierte im Jahr 2024 gemeinsame Wanderungen und Freizeitaktivitäten wie beispielsweise Bowlingabende sowie den Besuch eines Weihnachtsmarktes. Das Jahr 2024 war für die JA geprägt von juristischen Auseinandersetzungen. Bereits im Februar hat das Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag der AfD und ihrer Jugendorganisation abgelehnt, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz die JA als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hatte (siehe Verfassungsschutzbericht 2023, Seite 109). In dem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen betreffend die Einstufung der Mutterpartei und der JA als rechtsextremistischer Verdachtsfall wurden die Klagen am 13. Mai 2024 zurückgewiesen. 99 Zur JA führte das OVG aus, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese darauf abzielt, Flüchtlingen, anderen Zuwanderern sowie deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund die "Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder" zu versagen beziehungsweise einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Die Ideologie der JA ist geprägt durch einen ethnischen Volksbegriff. Der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand und nach Möglichkeit der Ausschluss "ethnisch Fremder" ist eine zentrale politische Vorstellung der Jugendorganisation. Dies wiederum steht im Widerspruch zur grundrechtlich verbrieften Garantie der Menschenwürde, dem Demokratieund Rechtsstaatsprinzip. Entwicklung 2024 Ein thematischer Schwerpunkt der JA lag - wie bei der "Neuen Rechten" - in der Forderung nach "Remigration". Die Anfang des Jahres veröffentlichte Recherche von "Correctiv" zum "Potsdamer Treffen" und die anschließend deutschlandweiten Demonstrationen wurde teilweise thematisiert. So veranstaltete die JA im Februar einen Netzstammtisch unter dem Motto "Die Regierung auf der Straße gegen das Volk - Vom Irrsinn dieser Tage". Im August 2024 nutzte die JA ein Treffen der islamischen Ahmadiyya-Gemeinde Deutschland in Mendig (Landkreis Mayen-Koblenz) für muslimfeindliche Bekundungen. Die Ahmadiyya-Gemeinde vertritt nach eigenen Angaben eine zeitgemäße Auslegung des Korans, die jegliche Gewalt in Glaubensfragen ablehnt und für eine strikte Trennung von Religion und Staat eintritt. Die JA unterstellt jedoch der Glaubensgemeinschaft in einem veröffentlichten Video, "ein Kalifat" errichten zu wollen und nutzte die friedliche Zusammenkunft einer muslimischen Glaubensgemeinschaft für verfassungsfeindliche Propaganda. 100 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Auch die Messerangriffe von Mannheim (Baden-Württemberg) und Solingen (Nordrhein-Westfalen), denen mehrere Menschen zum Opfer fielen, darunter auch ein junger Polizeibeamter, nutzte die JA für ihre PropaMahnwache der JA RP in Mannheim. ganda. Sie bettete die Anschläge in ihr Quelle: Instagram Narrativ der "Remigration" ein, wonach diese die Taten verhindert hätte. Die JA-Rheinland-Pfalz nahm außerdem an einer "Mahnwache" der JA Baden-Württemberg in Mannheim teil. Wie bereits 2023 beteiligte sich die JA auch im Sommer 2024 am sogenannten Stolzmonat. Hierbei soll es sich um eine "patriotische Gegenbewegung" der "Neuen Rechte" zum "Pride Month" handeln. Mit dem Hashtag "#Stolzmonat" werden in Social-Media-Netzwerken queerfeindliche Parolen geteilt. INFORMATION Was bedeutet "Pride Month"? Weltweit feiert die Community der LGBTQ+ während des "Pride Month" einen Monat lang den offenen Umgang mit ihrer sexuellen Identität. Sie machen mit Demonstrationen und Protesten aber auch auf Ungerechtigkeiten, Stigmatisierungen und Ausgrenzungen aufmerksam, die queere Menschen noch immer erfahren. 101 Am 13. Juli 2024 fand der Landeskongress der JA Rheinland-Pfalz in Mühlheim an der Mosel statt, auf dem Marcel Philipps zum Vorsitzenden und Arnold Fiz zum stellvertretenden Vorsitzen wiedergewählt wurden. Ein Vorstandsmitglied veröffentlichte auf Facebook einen Ausschnitt seiner Rede: "Deutschland ist kein Kalifat. Deutschland ist kein Dschungel, in dem das Recht des Messers gilt. Deutschland ist unser Land und wir werden es verteidigen." Der frühere Landesvorsitzende der JA und stellvertretender Kreisvorsitzender der AfD Mainz-Bingen, Alexander Jungbluth, wurde bei der Europawahl am 9. Juni 2024 auf Listenplatz 5 für die "Alternative für Deutschland" (AfD) in das Europäische Parlament gewählt. Im Jahr 2024 war das Verhältnis zwischen AfD und JA durchaus angespannt. Dies dürfte vor allem auf die Entscheidung des VG Köln vom 5. Februar 2024 hinsichtlich der Einstufung der JA als gesichert extremistische Bestrebung zurückzuführen sein. Die AfD-Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Hessen distanzierten sich in der Folge öffentlich von der JA. In Rheinland-Pfalz lagen im Berichtsjahr hingegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der AfD-Landesverband im Sinne einer (vermeintlichen) Disziplinierung oder Mäßigung Einfluss auf die JA genommen hätte, noch fand eine öffentliche Distanzierung statt. Vielmehr zeigte sich der AfD-Landesvorsitzende Jan Bollinger auf einem Gruppenfoto des neuen JA-Vorstands. Auch die Tatsache, dass eine größere Zahl AfD-Mitglieder auf dem Landeskongress der JA anwesend war, deutet auf ein weiterhin sehr gutes Verhältnis zwischen der JA und der AfD in Rheinland-Pfalz hin. Auf dem Parteitag der AfD Anfang Januar 2025 wurde die Auflösung der JA beschlossen. Die JA Rheinland-Pfalz befürwortete dieses Vorgehen. 102 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Ausblick Der programmatische Kurs der JA hat sich im Berichtsjahr weiter verfestigt. Die erwähnten Gerichtsentscheidungen haben die Ausrichtung der JA nicht verändert. Ebenso sind die Aktivitäten konstant geblieben. Im Januar 2025 hat die Jugendorganisation beschlossenen, sich zum 31. März 2025 aufzulösen, deshalb bleibt die weitere Entwicklungen der JA abzuwarten. Eine neue Jugendorganisation der AfD wird weiterhin aktuelle Themen aufgreifen und für ihre Zwecke instrumentalisieren. Hierauf wird auch in Zukunft der Schwerpunkt der Aktivitäten der Gruppierung liegen. Ziel wird es weiterhin sein, neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen, um verstärkt Einfluss auf die Mutterpartei zu nehmen. Angesichts der bisherigen Kontinuität an der Spitze der JA Rheinland-Pfalz, insbesondere durch die Wiederwahl von Marcel Philipps und Arnold Fiz, ist aber keine veränderte ideologische wie politische Ausrichtung einer möglichen Jugendorganisation in Rheinland-Pfalz zu erwarten. Der JA ist es in der Vergangenheit mehrfach gelungen, aktuelle Themen aufzugreifen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Hierauf wird auch in Zukunft der Schwerpunkt der Aktivitäten der Gruppierung liegen. Ziel der JA wird es ferner weiterhin sein, neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen. Zudem wird sie versuchen, verstärkt Einfluss auf die Mutterpartei zu nehmen. 103 4. PARTEIUNABHÄNGIGE BEZIEHUNGSWEISE PARTEI UNGEBUNDENE STRUKTUREN 4.1 "Neue Rechte" Jung, dynamisch und intellektuell - so gibt sich die sogenannte Neue Rechte gerne nach außen. Ihr weltanschauliches Fundament sieht sie zwar nicht im Nationalsozialismus, dennoch lehnt die "Neue Rechte" grundlegende Prinzipien des liberalen Verfassungsstaates ab. Sie fokussiert sich auf die "ethnokulturelle Identität" (Ethnopluralismus) als zentrales Zugehörigkeitsmerkmal zur Gemeinschaft. Dieser Volksbegriff steht jedoch im Widerspruch zum freiheitlichen Wesen des Grundgesetzes, das die Menschenwürde als Fixpunkt definiert. INFORMATION Was bedeutet Ethnopluralismus? Der Ethnopluralismus ist ein zentrales Konzept der "Neuen Rechten", das auf einem biologischen Volksbegriff basiert und die "ethnokulturelle Identität" jedes Volkes betont. Im Gegensatz zu rassistischen Theorien fordert er die Anerkennung der Identität aller Völker, setzt jedoch auf deren Bewahrung in getrennten, homogenen Gemeinschaften. Nach diesem Konzept können "deutsch" nur Menschen sein, die deutscher Abstammung sind, wobei die Zugehörigkeit zur Nation durch das Prinzip der Abstammung definiert wird. 104 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Die Leitstrategie ist hierbei die "Reconquista", die "Rückeroberung" Europas, in Form von ethnisch und kulturell homogenen Staaten. In der Vorstellungswelt der "Neuen Rechten" kann diese "Rückeroberung" nur durch massenhafte "Remigration" gelingen. INFORMATION Was bedeutet "Remigration"? Mit dem unverfänglichen Begriff "Remigration" fordern Rechtsextremisten die erzwungene Rückführung von Migrantinnen und Migranten in die jeweiligen Herkunftsländer. Dabei werden die Staatsbürgerschaft, der aktuelle aufenthaltsrechtliche Status sowie grundlegende rechtsstaatliche Verfahren außer Acht gelassen. Dies stellt einen Verstoß gegen die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie das grundgesetzlich verankerte Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG dar. Wesentliche Strategie der Vertreter der "Neuen Rechten" ist die Gewinnung metapolitischer Macht, also eine öffentliche Diskursverschiebung nach rechts. Besonders auffällig ist dies in den kampagnenartigen Aktivitäten zur Verbreitung und Platzierung des verschwörungsideologischen Narratives des "Großen Austauschs", das auch als "Bevölkerungsaustausch" oder "Ersetzungsmigration" bezeichnet wird. Zum heterogenen Netzwerk der "Neuen Rechten" zählen unterschiedliche Akteure. Seien es die "Identitäre Bewegung" und ihre regionalen Nachfolgeorganisationen, Einzelpersonen (vor allem Internetaktivisten), parteigebundene Gruppierungen ("Junge Alternative") oder Burschenschaften. 105 INFORMATION Was bedeuten "Großer Austausch" und "Great Reset"? Das Konzept des "Großen Austauschs" ist eine verschwörungstheoretische Vorstellung, die behauptet, dass die einheimische Bevölkerung in westlichen Ländern absichtlich durch Migranten ersetzt wird. Anhänger sehen dies als orchestrierten Prozess, der von politischen Eliten oder anderen Kräften gefördert wird, um die ethnische und kulturelle Zusammensetzung der Gesellschaft zu verändern. Der "Great Reset", eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF) aus dem Jahr 2020 zur Neuordnung der globalen Wirtschaft, interpretieren Anhänger von Verschwörungserzählungen und der "Neuen Rechten" als ein groß angelegtes Projekt globaler Eliten, um traditionelle gesellschaftliche Strukturen zu zerstören und eine diktatorische "Weltregierung" zu errichten. 4.2 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Innerhalb der "Neuen Rechten" ist seit Ende 2012 vor allem die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) durch öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung getreten. Wesentliches Element der "identitären" Ideologie ist der "Ethnopluralismus". Für die IBD ist die Kultur fest an die Ethnie gekoppelt und eine Integration anderer Ethnien aufgrund dessen erschwert beziehungsweise im Fall außereuropäischer Herkunft faktisch ausgeschlossen. 106 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Die IBD spricht ethnisch Fremden sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft ab, sich an der Gemeinschaft gleichberechtigt zu beteiligen. Vor allem Personen muslimischen Glaubens werden pauschal ausgegrenzt und verächtlich gemacht. Dem von der IBD attestierten "Bevölkerungsaustausch" soll nach ihrer Vorstellung insbesondere mit dem Konzept der "Remigration" entgegengewirkt werden, um letztlich der "identitären" Ideologie des "Ethnopluralismus" entsprechend eine möglichst homogene Bevölkerung zu schaffen. Überblick und Entwicklung In den letzten Jahren war hinsichtlich der IBD ein Bedeutungsverlust festzustellen, welchem die "Identitären" mit einer taktischen Neuausrichtung (siehe Verfassungsschutzbericht 2022, Seite 86) zu begegnen versuchten. Die Gruppierung fokussierte sich wieder auf ihr Kernthema, der Forderung nach "Remigration". Die "Identitäre Bewegung Österreich" veranstaltete im Sommer 2024 erneut eine "Remigrations-Demo" in Wien, an der auch Akteure der "Revolte Rheinland" aus Rheinland-Pfalz teilnahmen (siehe Verfassungsschutzbericht 2023, Seite 118). Identitäre demonstrieren im Juli 2024 in der österreichischen Hauptstadt. Quelle: X 107 Gruppierungen und Strukturen in Rheinland-Pfalz Im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der IBD trat seit Ende 2021 die Gruppierung "Revolte Rheinland" als Nachfolgeorganisation der IB Rheinland-Pfalz in Erscheinung. Drehund Angelpunkt der Gruppe ist ein "identitäres Weltbild". Insgesamt werden ihr Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich zugerechnet. Diese stammen hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2024 ist sie überwiegend im nördlichen und westlichen Rheinland-Pfalz sowie im südlichen Nordrhein-Westfalen in Erscheinung getreten. Im September 2024 instrumentalisierte die "Revolte Rheinland" das Attentat von Solingen (Nordrhein-Westfalen) zur Platzierung eigener Narrative und Botschaften. Angehörige der Gruppe überklebten eine Werbetafel im Stadtgebiet von Solingen. Die Aufmachung erweckte auf den ersten Blick den Anschein, ein offizielles Werbeplakat des Bundesministeriums des Vertreter der "Revolte Rheinland" in Solingen. Innern und für Heimat, der LandesreQuelle: Telegram gierung Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung zu sein. Das Plakatmotiv, das einem Ortseingangsschild nachempfunden war, trug die Aufschrift "Klingenstadt Solingen - Zentrum der Messermigration". Das "Schild" war symbolisch mit "Blutspritzern" übersät und von zwei Messern flankiert. 108 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Als Reaktion auf einen tödlichen Messerangriff in Southport (Großbritannien) und der im Internet kursierten Falschbehauptung, dass ein muslimischer Asylbewerber für die Tat verantwortlich gewesen sei, zeigte die "Revolte Rheinland" im August 2024 in unmittelbarer Nähe zum britischen Generalkonsulat in Düsseldorf ein Transparent mit der Aufschrift "PROTECT OUR CHILDREN! REMIGRATION NOW!" (Übersetzung: "Schützt unsere Kinder! Remigration jetzt!"). Durch das Zünden von Rauchtöpfen verlieh man der Forderung zusätzlich Ausdruck. Weiterhin nahm die "Revolte Rheinland" eine von der Stadt Marburg (Hessen) aufgerufene Kundgebung gegen eine geplante Lesung des Österreicher Martin Sellner (Führungsfigur der Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum) zum Anlass, um mit einer Banneraktion mit der Aufschrift "REMIGRATION" gegen die aus ihrer Sicht "linke Hysterie" zu protestieren. Die "Revolte Rheinland" führte die Aktion gemeinsam mit Sellner durch. Hierzu veröffentlichte die Gruppe im Anschluss Bilder auf ihrem Telegram-Kanal und kommentierte: "(...) Die Wahrheit setzt sich durch. Remigration ist keine Gefahr für die Gesellschaft, sondern die letzte Rettung der Zivilisation. Deutschland gehört uns! Wir sind kein Einwanderungsland! Wir waren nie ein Einwanderungsland! Aber wir müssen eine Rückführnation werden." Zudem fiel die "Revolte Rheinland" im Berichtsjahr mit Plakatierungen und Flugblattverteilungen im Raum Trier, Koblenz und Bonn auf. Am 20. November 2024 gab die "Revolte Rheinland" überraschend ihre Auflösung bekannt: "Wir betrachten Revolte Rheinland als ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt, das ein wichtiges Vehikel im Kampf gegen den Bevölkerungsaustausch und das immer größer werdende Unrecht in diesem System war. Wir sehen in der heutigen Zeit allerdings die Notwendig, sich fortzuentwickeln und neue Wege zu beschreiten. Unsere Aktivisten werden dem Kampf um unser Volk erhalten bleiben, auch wenn das Projekt selbst hier endet (...)." 109 Ausblick Im Jahr 2024 haben sich die IBD und ihre Nachfolgeorganisationen wie die "Revolte Rheinland" weiterhin ihrem "Markenkern" zugewandt. Der Fokus lag auf migrationsfeindlicher Agitation und der Forderung nach "Remigration". Es ist davon auszugehen, dass die der "Neuen Rechten" zuzurechnenden Gruppierungen ihren Aktionsschwerpunkt auch zukünftig auf das Thema "Migration" setzen werden. Darüber hinaus hat die "Neue Rechte" in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie gewillt und in der Lage ist, aktuelle Themen für die eigenen extremistischen Zwecke zu instrumentalisieren. Bezogen auf die Aktivisten der "Revolte Rheinland" bleibt abzuwarten, ob diese gegebenenfalls unter neuem Namen und in neuem Format firmieren oder sich gänzlich neuen Gruppierungen anschließen werden. 4.3 Neonationalsozialismus (Neonazis) Der Neonationalsozialismus oder Neonazismus ist eine besonders menschenfeindliche Erscheinungsform des Rechtsextremismus. Er orientiert sich an der Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus. Das nationalsozialistische "Dritte Reich" wird verklärt und als vermeintlich glorreiche deutsche Vergangenheit stilisiert. Neonazis lehnen folglich das demokratische Staatsmodell gänzlich ab und sehnen sich einen ethisch homogenen "Führerstaat" herbei. Die Neonaziszene organisierte sich in der Vergangenheit oftmalig in "Kameradschaften" mit lediglich rudimentärer Organisationsstruktur und einer Führungsperson. Aktivitäten solcher Gruppierungen beschränken sich weitgehend auf 110 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus regelmäßige interne Treffen. Neben den eigentlichen Mitgliedern existiert zumeist auch ein Kreis aus Sympathisanten um die "Kameradschaft", welche unterschiedlich stark in die Aktivitäten der Gruppe eingebunden sind. Seit einigen Jahren lassen sich jedoch deutliche Auflösungsprozesse der rechtsextremistischen "Kameradschaftsszene" - so auch in Rheinland-Pfalz - wahrnehmen. Starre, hierarchische Strukturen entsprechen offenkundig nicht mehr dem Lebensgefühl der heutigen Generation, zumal lose Strukturen auch weniger Ansatzpunkte für etwaige strafrechtliche Maßnahmen bieten. In Rheinland-Pfalz war im Berichtsjahr lediglich die seit 2003 existierende "Kameradschaft" "Nationaler Widerstand Zweibrücken" aktiv. Seit vielen Jahren ruft sie regelmäßig zu öffentlichen Veranstaltungen auf, so beispielsweise am 14. März 2024 in Zweibrücken zum Trauermarsch "Im Gedenken an den Massenmord der Alliierten am Deutschen Volk". Die Unterstützerzahl der Gruppe hat sich auf einem konstanten Niveau von rund zehn Personen eingependelt. Die Entwicklung der Kameradschaftsszene in Rheinland-Pfalz seit den 2000er-Jahren Nach zahlreichen Vereinsverboten in den 1990er-Jahren organisierten sich Anfang der 2000er-Jahre Neonazis und rechtsextremistische Skinheads vermehrt in "Kameradschaften". Anfangs bestanden die Aktivitäten dieser Szene überwiegend aus privaten "Kameradschaftsabenden" und dem gemeinsamen Besuch einschlägiger Konzerte. Ab dem Jahr 2003 konnten jedoch vermehrt öffentlichkeitswirksame Aktivitäten festgestellt werden; beispielsweise gründete sich zu dieser Zeit die bis heute aktive Kameradschaft "Nationaler Widerstand Zweibrücken", die von Beginn an regelmäßig Demonstrationen oder Mahnwachen durchführte (siehe oben). 111 Mehrere Mitglieder der 2002 gegründeten "Kameradschaft Westerwald" wurden in den Jahren 2005 und 2006 vom Landgericht Koblenz zu Haft-, Bewährungsund Geldstrafen verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich bei der "Kameradschaft Westerwald" um eine kriminelle Vereinigung handelte, die die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel hatte. Die Aktivitäten der Kameradschaft kamen sodann zum Erliegen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2005, S. 24). Die Szene unterlag einem stetigen Wandel. Einzelne Kleinstgruppen gründeten sich, andere Kameradschaften lösten sich auf oder gingen in anderen Organisationen auf. Wieder andere Gruppierungen konnten nur virtuell festgestellt werden. Ab dem Jahr 2006 konnte ein Zuwachs in der Neonaziszene beobachtet werden. Der weitgehende Verzicht auf formelle Organisationsbeziehungsweise Vereinsstrukturen und ein betont aktionistisches Auftreten machten die Neonazigruppierungen vor allem für junge Männer interessant. In Teilen dieses Milieus entwickelte sich eine Art "Eventrechtsextremismus" mit nur noch verschwommener politischer Ausrichtung und Prägung. Von 2010 bis 2012 befanden sich die Aktivitäten der Kameradschaftsszene in Rheinland-Pfalz auf ihrem Höhepunkt. Bei Demonstrationen, Mahnwachen, Heldengedenken oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen kamen durchschnittlich zwischen 50 bis 80 Personen zusammen, die maßgeblich von den Kameradschaften "Nationaler Widerstand Zweibrücken", "Heimatschutz Donnersberg" sowie der "Initiative Südwest" (Raum Alzey-Worms) durchgeführt wurden. Auf Bundesebene wurde seit dem Jahr 2012 auf die verstärkten Aktivitäten der Szene mit Vereinsverboten reagiert, woraufhin es in den darauffolgenden Jahren zu einem Auflösungsprozess innerhalb der Kameradschaftsszene gekommen ist. Diese versprach sich durch noch weniger starre Strukturen eine geringere Angriffs112 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus fläche für etwaige künftige Verbotsmaßnahmen. Auch in Rheinland-Pfalz gelang den Sicherheitsbehörden 2012 ein wichtiger Schlag. Es wurden umfangreiche Exekutivmaßnahmen gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein", unter anderem wegen Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, eingeleitet. Bei dem "Aktionsbüro Mittelrhein" handelte es sich um eine überregionale Vernetzungsplattform der Kameradschaftsszene (siehe Verfassungsschutzbericht 2013, Seite 33). Nachdem es um und in der Szene in den Folgejahren aufgrund der genannten Entwicklung eher ruhig wurde, entstand mit der Gründung der "Kameradschaft Rheinhessen" im Jahr 2018 erstmalig wieder eine neue Gruppierung. Dieser gelang es mit zahlreichen Versammlungen eine gewisse Resonanz in der Öffentlichkeit zu erlangen. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl von rund 15 Personen reichte aber nicht an das Niveau der frühen 2010er Jahre heran. Im Oktober 2023 löste sich die "Kameradschaft Rheinhessen" augenscheinlich als Reaktion auf vorangegangene Vereinsverbote auf (Verbot der neonazistischen Gruppierung "Hammerskins" und der rechtsextremistischen "Artgemeinschaft" im September 2023, siehe Verfassungsschutzbericht 2023, Seite 124). Da seit vielen Jahren zwischen den Protagonisten der "Kameradschaft Rheinhessen" und dem "Landesverband Südwest" der Partei DIE RECHTE nahezu Personenidentität besteht beziehungsweise bestand, wurden die Aktivitäten nach der Kameradschaftsauflösung unter dem Label der Partei weitergeführt. Mittlerweile scheint die rechtsextremistische Kameradschaftsszene in Rheinland-Pfalz auf ihrem Tiefpunkt angelangt zu sein. Die obigen Ausführungen zeigen indes auch, dass es der Kameradschaftsszene in der Vergangenheit stets gelungen ist, sich in neuen Strukturen zu reorganisieren. Dies belegt die Neugründung der "Kameradschaft Rheinhessen" im März 2025, welche im Zusammenhang mit der Auflösung der Kleinstpartei "DIE RECHTE" stehen dürfte. 113 5. WEITGEHEND UNSTRUKTU RIERTES PERSONENPOTENZIAL 5.1 "Combat 18" und "Hammerskins" Im April 2024 erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen vier mutmaßliche Rädelsführer von "Combat 18 Deutschland" (C18). Die Personen, von denen eine aus Rheinland-Pfalz stammt, werden beschuldigt, die im Jahr 2020 verbotene Vereinigung C18 aufrechterhalten zu haben. Der Name "Combat 18" leitet sich aus den ersten und achten Buchstaben des Alphabets ab (AH) und steht für "Kampfgruppe Logo der "Combat 18" Adolf Hitler". Bei C18 handelt es sich um eine zutiefst neonazistische, rassistische und antisemitische Vereinigung, die vor allem in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv war (vgl. Verfassungsschutzbericht 2022, S. 71). Die "Hammerskins Deutschland" sowie ihrer regionalen "Chapter" und die Teilorganisation "Crew 38" wurden im September 2023 durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat verboten. Im Zusammenhang mit dem Vollzug der Verbotsverfügung kam es auch in Rheinland-Pfalz zu Exekutivmaßnahmen, die sich unter anderem gegen den Logo der "Hammerskin Nation" 114 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus ehemaligen "European Secretary" der Hammerskins richteten. Gegen die Verbotsverfügung haben einzelne Mitglieder der Organisation vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht. Die "Hammerskins Deutschland" waren Teil der weltweit agierenden "Hammerskin Nation", deren Ursprünge in den USA liegen. Sie sahen sich als elitäre Bruderschaft, deren Ziel der Erhalt der "weißen arischen Rasse" war. In der Vergangenheit waren die "Hammerskins" in der Organisation rechtsextremistischer Konzert sowie in den Vertrieb rechtsextremistischer Szeneartikel involviert. 5.2 Rechtsextremistische Musik Die rechtsextremistische Musikszene hat als Teil einer "Erlebniskultur" (siehe Verfassungsschutzbericht 2023, Seite 70) nicht an Bedeutung verloren. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Ideologisierung sowie Vernetzung und erleichtert den Einstieg in die rechtsextremistische Szene. Ideologische Inhalte und rechtsextremistische Überzeugungen können auf niedrigschwellige Art und Weise, dafür aber stark emotionalisiert vermittelt werden. Neben dem "klassischen" Rechtsrock gewinnt vor allem "rechter" Hip-Hop weiter an Popularität. Damit werden vor allem jüngere Menschen angesprochen und rechtsextremistische Ideologie zielgruppengerecht verbreitet. Durch konsequente Maßnahmen der Sicherheitsbehörden konnte in den vergangenen Jahren ein Rückgang insbesondere größerer Konzerte verzeichnet werden. Hierauf hat die Szene mit konspirativ organisierten kleinen Liederoder Balladenabenden reagiert oder aber mit einer Verknüpfung von Musikmit Parteiveranstaltungen. Die rechtsextremistische Szene nutzt insoweit gezielt das grundgesetzlich verbriefte Parteienprivileg aus, um ihre demokratiefeindliche Ideologie zu verbreiten. 115 Entwicklungen in Rheinland-Pfalz Im Jahr 2024 fanden in Rheinland-Pfalz acht Musikveranstaltungen mit rund 200 Teilnehmern statt. Damit sind die Veranstaltungen und die Teilnehmerzahlen weiterhin rückläufig (2023: elf Veranstaltungen mit rund 300 Teilnehmern; 2022: elf Musikveranstaltungen mit rund 380 Teilnehmern). In Rheinland-Pfalz sind aktuell die rechtsextremistischen Bands "Regiment 25", "Mjöllnir" (in 2024 keine Aktivitäten), "N'Socialist Soundsystem" (seit 2023 keine Aktivitäten) und "The Hoizers" (seit 2023 keine Aktivitäten) bekannt. Der Sänger der bundesweit aktiven Band "FLAK" verzog im Dezember 2023 nach SachsenAnhalt. Wie schon in den vergangenen Jahren war der Liedermacher "Heureka", der auch unter dem Namen "Wiesel" in der Szene bekannt ist, deutschlandweit auf vielen Bühnen. Neben zahlreichen Auftritten bei eigenen Liederabenden, unterstützt er unter anderem die Band "Kategorie C" aus Niedersachsen und die Soloauftritte des Sängers "Hannes Solo" (Niedersachsen) regelmäßig als Gitarrist beziehungsweise Bassist. Darüber hinaus ist er an weiteren Bandprojekten, zum Beispiel "Pfalzfront", und an CD-Produktionen beteiligt. Im April 2024 veröffentlichte "Heureka" die CD "Rückeroberung" ("Europa ist geboren um zu herrschen, nicht um zu dienen"). Der Titel der CD sowie die Liedtexte sprechen eine eindeutige Sprache: Inhaltlich setzt sich der Sänger mit der - vor allem bei der "Neuen Rechte" beliebten - "Reconquista", der Rückeroberung muslimischer Territorien während des Mittelalters, auseinander. Der Titel "Karl Martell" CD-Cover "Rückeroberung" von Heureka thematisiert den Heerführer, der im Jahr 732 dem 116 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus Vormarsch muslimischer Araber in das Frankenreich militärisch Einhalt gebot. In der Vorstellungswelt der "Neuen Rechten" kann eine "Reconquista" heutzutage nur durch konsequente "Remigration" umgesetzt werden. "Heureka" produzierte im Jahr 2024 zudem die Sampler-CD "Rumpelrock", welche Lieder verschiedener rechtsextremistischer Sänger beziehungsweise Bands (beispielsweise "Die Faschistischen 4") beinhaltet. Im Jahr 2024 veröffentlichte auch der rechtsextremistische Liedermacher "Renitenz" das neue Musikalbum "Dankesschuld", mit dem vor allem der Zweite Weltkrieg verklärt und heroisiert wird. Weitere bekannte rechtsextremistische Liedermacher aus Rheinland-Pfalz sind "Julia Juls" und "Johnny Zahngold", der in der Vergangenheit auch unter anderen Pseudonymen aktiv war. Den rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden ist es im Jahr 2024 erneut gelungen, eine konspirativ organisierte rechtsextremistische Musikveranstaltung aufzulösen. Anfang Mai wurde eine rechtsextremistische Grillfeier mit Live-Musik in Greimerath (Landkreis Bernkastel-Wittlich) durch Einsatzkräfte der Polizei aufgelöst. Die rund 40 Rechtsextremisten waren teilweise aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Versandhandel Der rechtsextremistische Versandhandel stellt neben der Musikbranche eine weitere bedeutsame Einnahmequelle der Szene dar. Über einschlägige OnlineShops werden CDs, Bekleidung, szenetypische Devotionalien sowie MerchandiseArtikel verkauft. Strafrechtlich relevante Artikel lassen sich dort nicht finden, deren Vertrieb erfolgt vielmehr konspirativ, um einer Strafverfolgung zu entgehen. 117 In erster Linie dienen die Einnahmen aus dem Versandhandel dem Lebensunterhalt der rechtsextremistischen Händler, sie sind aber auch eine wichtige Geldquelle zur Finanzierung der Szene. Der rechtsextremistische "One Eight Versand" hatte seinen Geschäftssitz Rheinland-Pfalz. Diesen verlagerte das Unternehmen zuletzt nach Splietzdorf (Mecklenburg-Vorpommern). Die Zahlenkombination "One Eight", also 18, steht für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH = Adolf Hitler) und verdeutlicht die dahinterstehende rechtsextremistische Weltanschauung. Mit dem "Hermelin Versand" hat ein neuer rechtsextremistischer Versandhandel seine Aktivitäten im Land aufgenommen. Er steht in direktem Bezug zu dem Liedermacher "Heureka" beziehungsweise "Wiesel". Vertrieben werden in erster Linie Musikartikel. Logo "Hermelin-Versand" 118 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus 6. INTERNETAUSWERTUNG RECHTSEXTREMISMUS Die Internetaufklärung in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sowie "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ist seit Jahren fester Bestandteil der nachrichtendienstlichen Aufgabenwahrnehmung und unterliegt stetigen technischen (Weiter-)Entwicklungen sowie Veränderungen im Nutzungsverhalten im digitalen Raum. Im Jahr 2024 konnte im Rechtsextremismus ein Trend zur Verschiebung der Altersstruktur hin zu immer jüngeren Akteuren festgestellt werden. Diese sind nicht selten noch minderjährig und befinden sich immer häufiger in einem bereits fortgeschrittenen Radikalisierungsstadium (siehe Brennpunktthema, Seite 46). Zugleich etablierte sich gerade bei Kindern und Jugendlichen die Kurzvideoplattform TikTok als eine der beliebtesten Social-Media-Plattformen. TikTok fungiert als Unterhaltungsmedium, Messengerdienst sowie Nachrichtenquelle und entwickelte sich über die letzten Jahre hinweg zu einem Leitmedium der jungen Generation. TikTok erstellt sogenannte For-You-Pages, auf der personalisierte Inhalte angezeigt werden. Welche Inhalte das sind, bestimmt ein Algorithmus, der diese nach deren "Interaktionen" bewertet und somit als sehenswert bestimmt. Vereinfacht gesagt meint dies, wie oft Videos geliked, geteilt, bis zu Ende geschaut und kommentiert werden oder welche Trends und Sounds von besonderem Interesse sind. Dem Nutzer werden demzufolge Inhalte angezeigt, die der Algorithmus bestimmt, gänzlich unabhängig von der Followerschaft und dem Netzwerk eines Nutzers. 119 Die Funktionsweise des TikTok-Algorithmus hat zur Folge, dass rechtsextremistische Inhalte, die einer häufigen "Interaktion" unterliegen auch in nicht rechtsextremistische "Filterblasen" gespielt werden. So nutzt die rechtsextremistische Szene den Algorithmus für sich, um eine vermeintliche rechtsextremistische Hegemonie herzustellen, die den Eindruck einer Massenbewegung vermitteln soll. Abgesehen davon versucht die rechtsextremistische Szene auf der Plattform durch kurze, polemische und radikale Botschaften ihr menschenverachtendes, antisemitisches und rassistisches Weltbild zu vermitteln. Um nicht gegen die Community-Richtlinien der Plattform zu verstoßen, wird sich einer indirekten Kommunikation in Form von Erkennungszeichen bedient, indem Symbole und Schreibweisen abgeändert oder in eine mainstreamkompatible Ästhetik verpackt werden. Als Beispiel lässt sich hier das Lied "L'amour toujours" von Gigi D'Agostino nennen. Nachdem im Mai 2024 ein Video einer Gruppe junger Menschen auftauchte, die zur Melodie des Liedes die rassistische Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" sangen, welches vielfach auf TikTok geteilt und kommentiert wurde, stilisierte es sich zum Erkennungszeichen der rechtsextremistischen Szene und fand in Folge dessen eine mannigfache Verwendung zur Untermalung rechtsextremistischer Inhalte. Es ist festzuhalten, dass die Plattform eine Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten und Wirkungsweisen für Extremisten bietet, die eine enorme Reichweite entfalten können. Dies stellt die Sicherheitsbehörden und insbesondere den Verfassungsschutz vor immer neue Herausforderungen. 120 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus 7. KURZBESCHREIBUNGEN "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" - NPD) Gründungsjahr Bund: 1964 Rheinland-Pfalz: 1964 Sitz Bund: Berlin Rheinland-Pfalz: Pirmasens Vorsitzende(r) Bund: Peter Schreiber Rheinland-Pfalz: Markus Walter Mitgliederzahl in circa 60 (2023: circa 100) Rheinland-Pfalz Publikationen und "Deutsche Stimme" (DS, Zeitschrift, Bund), "Stimme DeutschMedien lands" (Zeitschrift, Bund), "Deutsche Nachrichten" (DN, Zeitschrift, Bund) Ideologie, Die Partei "Die Heimat" ist hauptsächlich unter ihrem Programm, ehemaligen Namen "Nationaldemokratische Partei DeutschStrategie lands" (NPD) bekannt. In der Konsequenz ihrer vom Bundesverfassungsgericht bescheinigten Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus besteht ihre Ideologie im Wesentlichen aus dem Konzept einer homogenen "Volksgemeinschaft", Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Geschichtsrevisionismus. Die Partei existiert auf Bundesebene und gliedert sich in Landesverbände, die wiederum in Kreisverbände untergliedert sind. 121 "Der III. Weg" Gründungsjahr Bund: 2013 Rheinland-Pfalz: 2013 Sitz Bund: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Vorsitzende(r) Bund: Matthias Fischer, Klaus Armstroff (Stellvertreter) Rheinland-Pfalz: Julian Bender (Vorsitzender LV West) Mitgliederzahl in 65 Vollund Fördermitglieder (2023: 60) Rheinland-Pfalz Publikationen Intern publiziert die Partei in der "nationalrevolutionären und Medien Schriftenreihe" einzelne Bücher. Teilund Landesverband Bayern, Landesverband Brandenburg, NebenLandesverband Sachsen, Landesverband West (Hessen, organisationen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland), insgesamt 24 Regionalverbände ("Stützpunkte"), "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ) Ideologie, Die Partei "Der III. Weg" sieht sich innerhalb der rechtsextremisProgramm, tischen Szene als "elitäre Speerspitze". Sie lehnt die demokratiStrategie schen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und fordert einen "Deutschen Sozialismus". Ihre Ideologie lehnt sich an das Gedankengut des historischen Nationalsozialismus an und ist auch in ihren Handlungen und Veröffentlichungen geprägt von einer aggressiv-kämpferischen Rhetorik und der Ablehnung aller Personen, die ihrer Vorstellung eines deutschen Volkes widersprechen. Dabei zeigen sich unverhohlen Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Fremdensowie Demokratiefeindlichkeit. Die Basis der Parteiarbeit bildet das "Drei-Säulen-Konzept bestehend aus "Politischem Kampf", "Kulturellem Kampf" und dem "Kampf um die Gemeinschaft". Dadurch soll in der Gesellschaft eine revolutionäre Stimmung erzeugt werden, die in der Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung münden würde. 122 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus "DIE RECHTE" Gründungsjahr Bund: 2012 Rheinland-Pfalz: 2013 Sitz Bund: Dortmund (Nordrhein-Westfalen) Rheinland-Pfalz: k. A. Vorsitzende(r) Bund: Christian Worch Rheinland-Pfalz: k. A. Mitgliederzahl in circa 15 (2023: circa 15) Rheinland-Pfalz Teilund NebenLandesverbände, Kreisverbände und "Stützpunkte" organisationen Ideologie, Das Weltbild der Kleinstpartei "DIE RECHTE" ist geprägt vom Programm, Nationalsozialismus und Antisemitismus. Die Partei positioniert Strategie sich gegen Migration und multikulturelle Gesellschaften. Ein zentrales Element ihrer Ideologie geht deshalb mit der Vorstellung einer ethnischen Homogenität einher. Sie lehnt Parlamentarismus und Demokratie ab und forciert einen "Systemwechsel" in Deutschland. Seit dem Jahr 2023 ist innerhalb der Partei auf Bundesebene ein Erosionsprozess festzustellen. Infolge der Inaktivität sowie zahlreicher Ausoder Übertritten von Mitgliedern, fand im Berichtszeitraum bundesweit kaum noch eine wahrnehmbare politische Arbeit statt. Lediglich der "Landesverband Südwest", der die Länder Rheinland-Pfalz und das Saarland umfasst, führte im Jahr 2024 Aktionen, wie beispielsweise Demonstrationen oder Mahnwachen durch. Diese fanden hauptsächlich im Raum "Rheinhessen" statt und wurden oftmals zusammen mit anderen Organisationen, wie "DIE HEIMAT", durchgeführt. Hieran nahmen durchschnittlich zwischen 10 und 20 Personen teil. 123 "Alternative für Deutschland" (AfD) - Verdachtsfall des BfV Gründungsjahr Bund: 2013 Rheinland-Pfalz: 2013 Sitz Bund: Berlin Rheinland-Pfalz: Bad Kreuznach Vorsitzende(r) Bund: Bundessprecherin: Dr. Alice Weidel (Baden-Württemberg), Bundessprecher: Tino Chrupalla (Sachsen) Rheinland-Pfalz: Dr. Jan Bollinger Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Nach eigenen Angaben circa 3.200 Mitglieder (Ende 2024) (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen AfD Kompakt (Online-Magazin), AfD TV (Youtube), diverse und Medien Positionspapiere und sonstige Publikationen Teilund 16 Landesverbände sowie eine Vielzahl von Bezirks-, Kreisund NebenStadtverbänden organisationen 124 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus "Alternative für Deutschland" (AfD) - Verdachtsfall des BfV Ideologie, War die AfD anfangs noch als eurokritisch, nationalkonservativ Programm, beziehungsweise nationalliberal einzustufen, haben sich ihre Strategie Vertreter und programmatischen Inhalte nach vielen internen Zerwürfnissen, Spaltungen und Rücktritten immer weiter an den äußerst rechten Rand verschoben. Als Partei, die sich vehement gegen die "etablierte Politik" positioniert, verfolgen ihre Funktionäre und Mitglieder eine strikte Agenda, die in vielen Fällen stark polarisiert. Die AfD betont fortwährend die Bedeutung der nationalen Souveränität und setzt sich vorrangig für eine restriktive Einwanderungspolitik ein. Hierbei liegt, auch in RheinlandPfalz, ein Schwerpunkt auf migrationsfeindlichen Agitationen und der Forderung nach "Remigration" (siehe Erklärkasten auf Seite 105). Der rheinland-pfälzische Landesverband tritt für eine Politik ein, die sich insbesondere gegen die Asylund Einwanderungspolitik der Bundesregierung richtet. Zudem setzt er sich für eine Stärkung der inneren Sicherheit und eine Reform des Bildungssystems ein. Sonstiges Während die AfD im September 2013 mit 4,7 Prozent noch knapp am Einzug in den Bundestag scheiterte, ist sie inzwischen nicht nur dort, sondern auch in 14 Landesparlamenten und im Europaparlament vertreten. 125 Junge Alternative Gründungsjahr Bund: 2013 Rheinland-Pfalz: 2014 Sitz Bund: Berlin Rheinland-Pfalz: k. A. Vorsitzende(r) Bund: Hannes Gnauck (MdB) Rheinland-Pfalz: Marcel Philipps Mitgliederzahl in 80 (2023: 40) Rheinland-Pfalz Teilund Landesund Regionalverbände (in Rheinland-Pfalz: MittelrheinNebenWesterwald, Pfalz, Rheinhessen-Nahe und Trier) organisationen Ideologie, Mitglieder der JA vertreten einen ethnischen Volksbegriff, der Programm, mit der Ausgrenzung sowie Verächtlichmachung von Migrantinnen Strategie und Migranten einhergeht. Dies verstößt gegen das Prinzip der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde. 126 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Gründungsjahr Bund: 2012 Rheinland-Pfalz: 2015 Sitz Bund: Paderborn (Nordrhein-Westfalen) Rheinland-Pfalz: k. A. Vorsitzende(r) Bund: Vincenzo Richter (Sachsen) Rheinland-Pfalz: k. A. Mitgliederzahl in konstant im niedrigen zweistelligen Bereich Rheinland-Pfalz Ideologie, Ideologisch sieht sich die "Identitäre Bewegung" als "SchutzProgramm, wall des Volkes", welches durch die Masseneinwanderung Strategie kulturfremder Menschen bedroht sei. Sie fordert den Erhalt der "ethnokulturellen Identität" und bezieht sich dabei auf ihr Konzept des "Ethnopluralismus". Demnach soll das eigene Volk samt seiner Kultur erhalten und der behauptete "Große Austausch" vermieden werden. 127 Neonationalsozialistische Gruppierungen (Neonazis) Mitgliederzahl in circa 185 (2023: circa 190) überwiegend in: Rheinland-Pfalz # informellen Zusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken, # "Kameradschaften", # rechtsextremistischen Parteien (insbesondere der "III. Weg" und "DIE RECHTE") Strukturen aktive "Kameradschaften": "Nationaler Widerstand Zweibrücken" Ideologie, Der Neonazismus orientiert sich am historischen NationalProgramm, sozialismus des "Dritten Reichs" und stellt damit eine besonders Strategie menschenfeindliche Erscheinungsform des Rechtsextremismus dar. In diesem Zusammenhang wird das eigene Volk als überlegen dargestellt, während andere Kulturen und Gesellschaftsformen abgewertet werden. Verschiedene Menschengruppen, insbesondere Juden, Muslime sowie ethnische und sexuelle Minderheiten werden zu "Volksfeinden" erklärt. Das Ziel der Neonazis ist die Schaffung einer ethisch homogenen Gemeinschaft und eines antidemokratischen Staatsmodells. Die übliche, demokratische Gewaltenteilung wird daher abgelehnt. Die neonazistische Bewegung nutzt gezielte Strategien, um ihre Ideologie zu verbreiten und politischen Einfluss zu gewinnen. Durch soziale Medien, Musik oder öffentliche Veranstaltungen werden diese extremistischen Positionen vertreten. Sonstiges In den letzten Jahren etablierten sich informelle Gruppen und virtuelle Netzwerke. Von festen Strukturen innerhalb des Neonazi-Spektrums rückt die Szene eher ab. 128 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Rechtsextremismus 129 REICHS BÜRGER 130 SELBST HS REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 1. Personenpotenzial S. 132 2. Überblick und Entwicklungen 2024 S. 133 2.1 Selbstverwalter S. 137 GER UND 2.2 Hohe Waffenaffinität S. 138 3. Kurzbeschreibungen S. 139 ST 131 1. PERSONENPOTENZIAL 2024 2023 Gewaltorientierte 170 160 Organisationsgebundene Personen* 210 210 Organisationsungebundene Personen 890 840 Gesamt 1.100 1.050 Angaben gerundet, Gesamtzahl ohne Mehrfachmitgliedschaften. * In Gruppierungen, die 2024 Aktivitäten entwickelten. 132 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Reichsbürger und Selbstverwalter 2. ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 Die sogenannten Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik Deutschland, deren Rechtsordnung sowie die demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten fundamental ab. Das Spektrum der "Reichsbürger" wies auch 2024 in Rheinland-Pfalz ein hohes Maß an Heterogenität auf und besteht hauptsächlich aus Einzelpersonen ohne jeglichen Organisationsbezug. Diese fallen den Behörden vor allem durch das Versenden "Reichsbürger"-typischer Schreiben auf. Innerhalb der "Reichsbürger"-Szene gibt es keine gefestigte Ideologie. Vielmehr bedient man sich wie in einem "Steinbruch" einzelner Verschwörungsphantasien, historischer Rechtsquellen oder selbst erdachter "Naturrechte". Fester Bezugspunkt der Szene ist die Vorstellung von der Existenz eines "Deutschen Reichs" wahlweise in den Grenzen von 1871, 1914 oder 1937. Dies wird oftmals mit der Sehnsucht nach den "alten Reichsgebieten" verbunden und weist durch den innewohnenden "Gebietsrevisionismus" eine ideologische Nähe zum Rechtsextremismus auf. Gemeinsamer Nenner der "Reichsbürger" ist die Ablehnung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Hauptziel ist es, die Legitimität von staatlichen Institutionen und deren Handeln in Frage zu stellen. Hierzu knüpfen sie an verschiedene Ereignisse der wechselhaften deutschen Geschichte insbesondere des 20. Jahrhunderts an. Die "Reichsbürger"-Gruppierung "Bismarcks Erben" / "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) etwa behauptet, dass seit der Flucht von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1918 die Handlungsfähigkeit des "Deutschen Reiches" nicht mehr bestehe. Ein wirksamer Friedensvertrag sei weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen worden, sodass bis heute der zu 133 Zeiten des Ersten Weltkrieges geltende "Kriegsund Belagerungszustand" aus dem Jahr 1914 herrsche. Für andere Szeneangehörige hat das im Jahr 1943 eingerichtete und Mitte 1945 aufgelöste Oberkommando der alliierten Streitkräfte in Nordwestund Mitteleuropa während des Zweiten Weltkrieges, das "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force" (S.H.A.E.F.), eine entscheidende Bedeutung. Man wähnt sich noch unter alliiertem Vormundschaft beziehungsweise behauptet, alliiertes (Besatzungs)-Recht von nach der Kapitulation der "Wehrmacht" am 8. Mai 1945 habe weiterhin Gültigkeit. "Reichsbürger" sehen in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum sogenannten Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aus dem Jahr 1973 einen wichtigen Beleg ihrer "Thesen". Die Karlsruher Richter setzten sich in dem Urteil auch mit dem Rechtsstatus Deutschlands und damit mit der Frage der Fortexistenz des "Deutschen Reichs" auseinander: "Das Deutsche Reich existiert fort (...), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig." Urteil vom 31.07.1973 - 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1 (16). Dieser Absatz findet sich heute in vielen langatmigen Schreiben von Szeneangehörigen wieder und wird als "Beweis" angeführt, dass das "Deutsche Reich" fortexistiert, jedoch handlungsunfähig sei. Dabei ist der oben zitierte Absatz aus dem Kontext gerissen, denn das Verfassungsgerichts stellte weiter fest: 134 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Reichsbürger und Selbstverwalter "Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert (...). Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht 'Rechtsnachfolger' des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat 'Deutsches Reich', - in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings 'teilidentisch'". Anmerkung: BVerfG hatte durch das Urteil seine damalige Rechtsprechung zur Fortexistenz des "Deutschen Reichs" bestätigt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es innerhalb der Staatsund Völkerrechtslehre durchaus namhafte Vertreter gab, die die Ansicht vertraten, dass das "Deutsche Reich" 1945 untergegangen ist. Das Urteil von 1973 war damals in der Rechtslehre stark umstritten. Aufgrund der angenommenen Handlungsunfähigkeit des "Deutschen Reichs" etablieren "Reichsbürger" selbst ernannte "Kommissarische Reichsregierungen" oder "Exilregierungen". Hieran lassen sich aber auch die Irrungen der "Reichsbürger"-Bewegung gut erkennen: Die Szene beruft sich zur eigenen Legitimierung auf ein Urteil des Verfassungsgerichts eines Staates, dessen Existenz gleichzeitig ablehnt wird. Ein weiteres wesentliches Element der für "Reichsbürger" typischen Überzeugungen ist die "These" vom fehlenden Friedensvertrag. Demnach sei die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat, da nach 1945 kein Friedensvertrag geschlossen wurde. Aufgrund dessen sei Deutschland weiterhin "besetzt" und es gelte die "Haager-Landkriegsordnung" fort. Richtig ist, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten geschlossen wurde. Spätestens aber durch den "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" (Zwei-plus-Vier-Vertrag) und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 erlangte das wiedervereinigte Deutschland seine volle Souveränität. Gleichzeitig wurde die Ostgrenze Deutschlands anerkannt. 135 Das Besatzungsregime von 1945 wurde in der Bundesrepublik bereits durch den 1955 in Kraft getretenen sogenannten Deutschlandvertrag beendet. Ein gesonderter Friedensvertrag war 1990 nicht mehr nötig, denn grundlegenden Vereinbarungen, die regelmäßig durch einen Friedensvertrag festgelegt werden, wurden bereits durch andere Vertragswerke geregelt. Um aber solche Narrative halbwegs glaubhaft zu vermitteln, behaupten "Reichsbürger" teilweise, dass bei den Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag der damalige US-Außenminister den Artikel 23 GG in der Fassung von 1949 und damit den räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes für nichtig erklärte beziehungsweise aus Versehen aufgehoben habe. Deshalb sei (spätestens) zu diesem Zeitpunkt die Bundesrepublik "aufgelöst" worden. Dass ein Außenminister mündlich oder versehentlich die Verfassung eines anderen Landes abändern und damit besagtes Land "auflösen" kann, ist wohl nur in der Phantasiewelt der "Reichsbürger" möglich. Hieran zeigt sich aber, zu welchen gedanklichen "Verrenkungen" die Szene imstande ist. In der Gedankenwelt der "Reichsbürger" gibt es also keine Bundesrepublik Deutschland und folglich auch keine staatlichen Organe. Gleichwohl sind die Szeneangehörigen genötigt, den real existierenden Staat zu erklären. Daher wird behauptet, dass die Bundesrepublik Deutschland eine privatrechtliche Organisation in Gestalt einer "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (GmbH) beziehungsweise dass sie eine "Staatssimulation" sei, deren Grundlagen im Seeund oder Handelsrecht zu finden seien. Folglich werden alle Behörden in Deutschland - seien es Bundes-, Landesoder Kommunalbehörden - als Firmen angesehen. Bußgeldbescheide werden als privatrechtliche "Angebote" wahrgenommen und abgelehnt. Auch die Polizei sei eine "Firma" (wahlweise "Söldner"), gerne versehen mit dem Zusatz, dass die Polizeibehörden zum privaten US-amerikanischen Sicherheitsund Militärunternehmen "Constellis" gehören würden. 136 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Reichsbürger und Selbstverwalter 2.1 Selbstverwalter Die sogenannten Selbstverwalter sehen sich als der Bundesrepublik Deutschland nicht zugehörig und sind der Überzeugung, aus ihr durch einseitigen Akt "austreten" zu können. Hierfür wird beispielsweise eine aufwendig gestaltete und handgeschriebene "Lebenderklärung" abgegeben. In der Folge legen Szeneangehörige Wert auf die Unterscheidung zwischen "Mensch" und "juristischer Person". Die "BRD-GmbH" würde den Menschen zu einer juristischen Person machen. Durch den Austritt sei man nun wieder ein "freier" Mensch. Ihre Wohnung oder ihr Haus erklären "Selbstverwalter" sodann zum eigenen Staatsgebiet, auf dem die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht gelte; wobei staatliche Leistungen wie beispielsweise Bürgergeld gleichwohl angenommen werden. Szeneangehörige berufen sich auf eine selbst erdachtes "Naturrecht", pauschal auf "Menschenrechte" oder auf verschiedene, aus dem Zusammenhang gerissene Resolutionen der Vereinten Nationen. Die dem Spektrum der "Selbstverwalter" zuzurechnenden Anhänger des "Indigenen Volkes Germaniten" sehen sich als eigene ethnische Volksgruppe oder auch als "Binnenflüchtlinge", wodurch ihnen nach den Vereinten Nationen unterschiedliche Sonderrechte - wie anderen indigenen Völkern - zustehen würden. Sie leugnen zwar nicht zwingend die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, sehen sich aber als indigenes Volk keinem Staat zugehörig und lehnen dementsprechend die geltende Rechtsordnung ab. Im Gegensatz zu den "Reichsbürgern" ist nicht ein - wie auch immer geartetes - "Deutsches Reich" Ziel der "Selbstverwalter, dennoch sind die Grenzen zur "Reichsbürger"-Bewegung mitunter fließend. So wird auch in der "Selbstverwalter"-Szene teilweise die These eines fehlenden Friedensvertrages vertreten. Ein Beispiel für diesen Graubereich ist die "Internationale Organisation Völkerrecht". Sie behauptet, dass aufgrund eines fehlenden Friedensvertrages 137 das "Genfer Abkommen IV von 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten" Anwendung finden würde. Die IOV sieht sich als "Schutzmacht" der "Zivilisten" in Deutschland. Ebenso wird im Spektrum der "Reichsbürger" die Unterscheidung zwischen "Mensch" und "juristischer Person" vorgenommen. 2.2 Hohe Waffenaffinität Die offenkundige Irrationalität der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" darf nicht darüber hinwegtäuschen, welche Gewaltund vor allem Waffenaffinität innerhalb der Szene herrscht. Aufgrund der Vorstellung, dass Behörden zur Vornahme rechtsstaatlicher Handlungen nicht berechtigt seien, wähnt sich die Szene permanent im Recht zum Widerstand. Zurückliegende Ereignisse haben mehr als deutlich gemacht, zu welchen Taten Szeneangehörige in der Lage sind. Hoheitliche Maßnahmen müssen regelmäßig - auch in Rheinland-Pfalz - unter Einsatz polizeilicher Spezialkräfte durchgesetzt werden. Vorrangiges Ziel der Verfassungsschutzbehörde bleibt es deshalb, weiterhin zur konsequenten Entwaffnung der Szene beizutragen. 138 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Reichsbürger und Selbstverwalter 3. KURZBESCHREIBUNGEN "Bismarcks Erben" / "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) Gründungsjahr 2018 Sitz k. A. Verantwortlich k. A. Mitgliederzahl in Einzelne (2023: Einzelne) Rheinland-Pfalz Teilorganisationen Gliederung in "Armeekorpsbezirke" (AKB) entlang der historischen Grenzen Ideologie, Die Gruppierung "Bismarcks Erben" orientiert sich am "Ewigen Programm, Bund", einem Zusammenschluss deutscher Gliedstaaten zu Strategie Zeiten des Deutschen Kaiserreichs. Ihre Anhänger erachten die Reichsverfassung von 1871 als "das höchste Gesetz der Deutschen" und bedienen sich üblicher Argumente aus dem "Reichsbürger"-Milieu. So behaupten sie, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht souverän sei, und erkennen den Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht als Friedensvertrag an. Den von der Gruppierung nach historischem Vorbild gegründete "Vaterländische Hilfsdienst" beschreibt diese als "zivile Ergänzung zur Wehrpflicht". Dieser diene zum Aufbau von "Verwaltungsstrukturen", auf die dann der "Kaiser" nach seiner Rückkehr an die Macht zurückgreifen könne. 139 "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) Gründungsjahr 2010 Sitz Kein fester Hauptsitz, aber bundesweit mehrere "Missionen" Vorsitzende(r) k. A. Mitgliederzahl in Einzelne Rheinland-Pfalz Teilorganisationen k. A. Ideologie, Die Gruppierung "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) ist dem Programm, "Selbstverwalter"-Spektrum zuzuordnen und zeichnet sich Strategie durch die Überzeugung aus, eine indigene Minderheit darzustellen und Sonderrechte zu genießen. Sie bedient sich pseudojuristischer Argumentationsmuster und behauptet, außerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu stehen. Außenwirkung erlangt die Gruppierung insbesondere durch das Versenden langer, ausschweifender Schreiben durch einzelne Mitglieder an diverse Behörden. Darin werden oftmals selektiv ausgewählte und aus dem Kontext gerissene Rechtsquellen des Völkerrechts mit dem Ziel zitiert, sich belastenden Verwaltungsakten, wie zum Beispiel Bußgeldbescheiden, zu entziehen. Mitglieder der Gruppierung verwenden Fantasiedokumente wie Ausweise oder Führerscheine und organisieren sich in bundesweit verbreiteten "Missionen". 140 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Reichsbürger und Selbstverwalter "Internationale Organisation Völkerrecht" (IOV) Gründungsjahr k. A. Sitz k. A. Vorsitzende(r) k. A. Mitgliederzahl in Einzelne Rheinland-Pfalz Teilorganisationen Überregionale Anhängerschaft Ideologie, Die Gruppierung "Internationale Organisation Völkerrecht" Programm, (IOV) ist den sogenannten Selbstverwaltern zuzurechnen. Strategie Die IOV fällt vor allem bundesweit durch das Versenden von Schreiben auf, die einen offiziellen Eindruck erwecken. Die Organisation behauptet, dass durch einen fehlenden Friedensvertrag die Bundesrepublik besetzt sei, sodass das "Genfer Abkommen IV von 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten" weiterhin Anwendung finde. Nach Ansicht der IOV seien die Bürger der Bundesrepublik "internierte Personen", die im Sinne des Genfer Abkommen zu befreien seien. 141 VERFAS SUNGS 142 SCHUTZ AS VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Überblick und Entwicklungen 2024 S. 144 GS UTZ 143 ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 Kategorisches Freund-Feind-Denken, aggressive Agitation gegen die Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie die Institutionen des Staates und offene Ablehnung demokratischer Entscheidungen sind charakteristisch für Personen, die dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zugerechnet werden können. In den vergangenen Jahren war zu beobachten, dass auch nach Aufhebung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie im Frühjahr 2022 weitere weltpolitische und gesellschaftliche Krisen wie ein Brandbeschleuniger auf die Szene wirken. Zur (vermeintlichen) Erklärung dieser Krisen wird häufig auf ein Gemenge an Verschwörungsnarrativen zurückgegriffen. Wird die Weltlage für die "Delegitimierer" kompliziert, werden mitunter alte rechtsextremistische Feindbilder (zum Beispiel "die Juden") zur "Erklärung" herangezogen. Angehörige der Szene sehen sich selbst jedoch als diejenigen, die die dunklen Machenschaften eines sogenannten Deep State aufdecken und zu den "Aufgeweckten" gehören. Alle anderen, die nicht ihr krudes Weltbild teilen, sind für sie "Schlafschafe". Zwecks Delegitimierung der Bundesrepublik Deutschland wird diese von der Szene mit den diktatorischen Regimen des Nationalsozialismus und der DDR gleichgesetzt. 144 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung INFORMATION Was ist ein "Deep State"? Als "Deep State" oder "Tiefer Staat" wird ein Verschwörungsmythos bezeichnet, in dem eine angeblich existierende Elite fernab jeglicher (parlamentarischer) Kontrolle innerhalb eines Staates über die Geschicke des Landes entscheidet. Die jeweilige Regierung des Landes sei machtlos und fremdgesteuert. Innerhalb dieses Verschwörungsnarrativs sind die Übergänge zum Antisemitismus fließend. Zudem ähnelt die "Delegitimierer"-Szene in ihrer Staatsund Demokratiefeindlichkeit und in ihrem Verschwörungsund Feindbilddenken dem "Reichsbürger"Milieu teilweise. So findet sich die "These" eines fehlenden "Friedensvertrages" auch in den Verlautbarungen der "Delegitimierer" wieder. Hierdurch sollen demokratische Entscheidungen der Bundesrepublik delegitimiert werden. Es ist also nicht untypisch, dass sich einige "Delegitimierer" dem "Reichsbürger"-Spektrum zugewendet haben. Im Gegensatz zu "klassisch" rechtsextremistischen Gruppierungen verfolgt die sehr heterogene Szene der "Delegitimierer" jedoch keine konkrete Weltanschauung oder Ideologie. Allenfalls lassen sich Schnittmengen wie Antisemitismus oder Geschichtsrevisionismus erkennen. Rheinland-Pfalz ist kein Schwerpunkt der "Delegitimierer". Im Bundesland können dem Phänomenbereich 45 Personen (2023: 50) zugerechnet werden. Dabei handelt es sich um Einzelpersonen und eher lose Netzwerke. Eine entsprechende extremistische Gruppierung beziehungsweise Organisation, die dauerhaft und nachhaltig öffentlichkeitswirksam in Erscheinung tritt, konnte sich bislang nicht etablieren. 145 Im Oktober 2024 verurteilte das Landgericht Koblenz drei Männer aufgrund der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Gegen den Rädelsführer wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt. Die beiden Mitangeklagten erhielten Bewährungsstrafen von einem Jahr und drei Monaten beziehungsweise anderthalb Jahren. Die drei Männer hatten in Rheinland-Pfalz im Jahr 2021 eine bewaffnete Widerstandsgruppe gebildet, um sich der staatlich verhängten Corona-Maßnahmen zu widersetzen. Die Gruppe namens "Paladin" stellte unter anderem Waffenteile und Munition mithilfe eines 3D-Druckers her und traf sich, um paramilitärische Übungen durchzuführen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2022, 128). 146 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung 147 LINKS EXTRE 148 MISMUS LINKSEXTREMISMUS 1. Personenpotenzial S. 150 2. Überblick und Entwicklungen 2024 S. 151 E 3. Gruppierungen, Strukturen und Aktionsfelder S. 159 3.1 Autonomen-Szene S. 159 3.2 Anarchisten - "die plattform" S. 161 3.3 Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten S. 162 3.4 "Rote Hilfe e.V." S. 164 3.5 Linksextremistische Aktionsfelder S. 165 4. Ausblick S. 168 5. Kurzbeschreibungen S. 169 US 149 1. PERSONENPOTENZIAL 2024 2023 Gewaltorientierte Linksextremisten 120 120 Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten 370 370 und sonstige Linksextremisten Gesamt 490 490 Die Gesamtzahlen verstehen sich ohne Mehrfachmitgliedschaften. Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. 150 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 2. ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 Linksextremisten verfolgen das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen und - je nach ideologischer Ausrichtung - durch eine sozialistische beziehungsweise kommunistische oder "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft zu ersetzen. Sie lehnen die existierende staatliche Ordnung - und somit auch den Rechtsstaat - ab. Ihre Aktionsformen reichen von offener Agitation bis hin zu massiver Gewaltanwendung. Sie beteiligen sich immer wieder an breiten, von zivilgesellschaftlichen Gruppen getragenen Protestbündnissen und versuchen, diese entsprechend ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu beeinflussen und zu instrumentalisieren. Nach wie vor gibt es im eher ländlich geprägten Rheinland-Pfalz weniger linksextremistische Aktivitäten als in Ländern mit Ballungszentren oder in den Stadtstaaten. Auch die Gesamtzahl der Linksextremisten ist hier vergleichsweise gering. Wichtigstes Aktionsfeld rheinland-pfälzischer Linksextremisten bleibt der "Antifaschismus". Er richtet sich nicht nur gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten, sondern gegen die staatliche Ordnung insgesamt. Für die meisten Linksextremisten hat der Faschismus seine Wurzeln im Kapitalismus. Nach deren Logik bedeutet "Antifaschismus" Kampf gegen das "kapitalistische System" und die gesellschaftlichen Kräfte, die es tragen. Im Zusammenhang mit Hausdurchsuchungen, Festnahmen oder Verurteilungen kommt es zudem immer wieder zu Strafund Gewalttaten gegen die Polizei, als sichtbare Repräsentanten des Staates. 151 Die allgemeine Entwicklung im Linksextremismus gibt seit Jahren Anlass zur Sorge, da von gewaltorientierten Linksextremisten - insbesondere von Autonomen - in einigen Teilen des Bundesgebiets erhebliche Gefahren für die innere Sicherheit ausgehen. Ausgeprägte gewaltaffine Szenen gibt es insbesondere in Solidaritätsbekundung für Maja T. Berlin, Bremen, Hamburg und Leipzig. Die Quelle: Instagram, OAT Landau Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - ist für Autonome in bestimmten Brennpunktregionen ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Gewalt gegen Menschen ist in Teilen dieses urbanen Spektrums kein Tabu. "Dieses fortwährende Ereignis zeigt Ein Präzedenzfall aus jüngster Zeit uns noch ein weiteres Mal, dass der für das militante Vorgehen war am 11. Februar 2023 der Angriff Staat genau das tut wofür wir ihn mutmaßlicher Linksextremisten bekämpfen, nämlich das Kapital auf Teilnehmer der neonazistischen und alles was seine Existenz Veranstaltung "Tag der Ehre" in begünstigt zu schützen." [sic] Budapest. Mehrere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Quelle: Instagram, autonometaeubchen Seit dem Angriff fahnden ungarische und deutsche Strafverfolgungsbehörden nach den Verantwortlichen. Im Januar 2025 stellten sich sieben der Untergetauchten nahezu zeitgleich an verschiedenen Orten im Bundesgebiet. Die Beschuldigten wurden bis auf weiteres in unterschiedlichen Haftanstalten untergebracht, ihnen droht die Auslieferung nach Ungarn. In Reaktion auf die Festnahmen und den Auslieferungen im sogenannten "Budapest-Komplex" können immer wieder Solidaritätsbekundungen mit den Inhaftierten festgestellt werden. Dies verdeutlicht, dass die Anwendung von massiver Gewalt auch in der rheinland-pfälzischen Szene zumindest legitimiert wird. 152 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus Der Staat als Feindbild von Linksextremisten Im Stadtgebiet von Mainz konnten im Jahr 2024 Schriftzüge und Graffiti mit staatsfeindlichem und militantem Inhalt - hier beispielhaft "Den Staat angreifen" - festgestellt werden. Dieser ist außerdem mit einem von einem Herz umschlossenen Anarchozeichen versehen. Im Themenfeld "Antirepression" richten sich linksextremistische Angriffe insbesondere gezielt gegen den Staat als angeblichen "Repressionsapparat". Dieser dient aus der Sicht von linksextremistischen Gewalttätern der Unterdrückung Quelle: Polizei RheinlandPfalz emanzipatorischer Strukturen und soll kompromisslos den Machterhalt der angeblich "herrschenden Klasse" sichern. Im Zusammenhang mit der Verhaftung der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette im Februar 2024 konnte in Mainz in ähnlichem Schreibstil ein Schriftzug an einer Hauswand festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft Verden und die Bundesanwaltschaft werfen Klette versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfälle zwischen 1999 und 2016 vor. Quelle: MdI Rheinland-Pfalz Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei weitere mutmaßliche ehemalige RAF-Terroristen, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg, die sich nach wie vor im Untergrund bewegen und von der Polizei gesucht werden. 153 INFORMATION Wer war die RAF? "Rote Armee Fraktion" (RAF) nannte sich eine terroristische linksextremistische Vereinigung in Deutschland, die 1968 gegründet wurde. Bis in die 1990er Jahre verübte die Gruppe in Deutschland zahlreiche Attentate, bei denen 35 Menschen ermordet wurden. Es gab zudem viele Verletzte und Sachbeschädigungen, insbesondere an Einrichtungen der US-Truppen in Deutschland. Begründet wurden die Anschläge damit, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung zerstört werden müsse. 1998 löste sich die RAF auf. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung Ein weiteres Beispiel für das "Staatsverständnis" von linksextremistischen Gruppen stammt aus dem Sommer. Die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen und stattdessen "die Antifa" zu stärken, drückt nicht nur eine feindliche Haltung gegenüber dem Verfassungsschutz aus. Die "Antifaschistische Aktion Süd" und das "Offene Antifaschistische Treffen Landau" sehen sich auch als besseren Verfassungsschutz. Sie fühlen sich dazu berufen - ohne Einhaltung der Quelle: Instagram, OAT Landau Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit - Rechtsextremismus zu bekämpfen. 154 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus Neben dem Staat und der Polizei steht auch der politische Gegner im Fokus der gewaltorientierten linksextremistischen Szene. So konnten im rheinhessischen Nieder-Olm verschiedene Schriftzüge mit zum Teil strafrechtlich relevanten Inhalten festgestellt werden. Neben der Ablehnung des deutschen Staates "DEUTSCHLAND VERRECKE" wurde Quelle: Polizei Rheinland-Pfalz auch der Schriftzug "GIB DEM NAZI WAS ER BRAUCH: 9mm IN DEN BAUCH!! NAZIS TÖTEN." mit Kreide auf den Boden geschrieben. Linksextremisten und Krisen - Einflussnahme auf politische Themen Linksextremistische Gruppierungen engagierten sich im Jahr 2024 erneut in verschiedenen Bündnissen, zum Beispiel im Bündnis "Stoppt den Krieg!". Das propalästinensische Bündnis, das auch von dogmatischen Gruppen unterstützt wird, rief zur Beendigung der israelischen Angriffe in Gaza auf. Die Unterstützung beinhaltet außer der Anmeldung von Demonstrationen und Kundgebungen auch Redebeiträge sowie Informationsund Bücherstände. Aufruf zu einer Demonstration in Mainz. Es werden regelmäßig organisationseigene Quelle: Instagram, Sol Mainz Informationsmaterialien, Flugblätter oder Zeitungen verteilt, um so die eigenen verfassungsfeindlichen Positionen unter den Teilnehmenden zu verbreiten. Linksextremistische Gruppen können so die Veranstaltungen nutzen, um ihre eigene Reichweite zu steigern. 155 Vernetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene "Antifaschistische Aktion Süd" Bereits im Bericht für 2023 hat die Verfassungsschutzbehörde über die Gründung der "Antifaschistischen Aktion Süd" informiert. Der Zusammenschluss setzt sich aus sechs Gruppierungen aus Baden-Württemberg sowie jeweils einer Gruppierung aus Bayern und Rheinland-Pfalz zusammen. Bei der rheinland-pfälzischen Gruppe handelt es sich um die "Antifaschistische Aktion Südliche Weinstraße", die eigenen Angaben zufolge "Teil des OAT Landau" (Offenes Antifaschistisches Treffen Landau) ist. Erklärtes Ziel der "Antifaschistischen Aktion Süd" ist es, antifaschistische Kräfte stärker zu bündeln, um den politischen Gegner - vor allem Rechtsextremisten - durch direkte Konfrontation handlungsunfähig zu machen. Langfristiges Ziel des gewaltorientierten Zusammenschlusses ist die Ausweitung auf eine bundesweite "Antifaschistische Aktion". Die "Antifaschistische Aktion Süd" blieb auch 2024 sehr aktiv. So kam es im vergangenen Jahr erneut zu Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen, auch in Rheinland-Pfalz. Angehörige der "Antifaschistischen Aktion Süd" blockierten einen Informationsstand der AfD am 9. November 2024 in Landau. Im April wurde ein Landauer AfD-Stadtratsmitglied geoutet und im Juni ein Autoreifen einer "rechten" Aktivistin zerstört. Landauer Szeneangehörige beteiligten sich zudem regelmäßig an überregionalen Veranstaltungen. Zumindest für Süddeutschland scheint es der "Antifaschistischen Aktion Süd" bisher 156 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus gelungen zu sein, linksextremistische gewaltorientierte Strukturen zu etablieren. Inwieweit es langfristig gelingt, die angestrebte überregionale Vernetzung auszubauen und zu festigen, bleibt abzuwarten. Aufgrund der in der eigenen Gründungserklärung getroffenen Aussagen können gewalttätige Übergriffe gegen Andersdenkende auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden. "Offene Antifaschistische Treffen" In Rheinland-Pfalz gibt es eine Vielzahl von regelmäßigen "Offenen Antifaschistischen Treffen" (OAT), so beispielsweise in Alzey, Koblenz, Landau, Mainz, Neustadt an der Weinstraße und Trier. Sie werden von der linksextremistischen Szene häufig als erlebnisorientierte, offene Plattform beworben und sollen Interessierten die Möglichkeit bieten, sich auszutauschen, neue Ideen zu entwickeln und Aktionen, insbesondere gegen den politischen Gegner, zu koordinieren. Darüber hinaus versucht die Szene Einladung zum OAT. mit den OAT vor allem jüngere Menschen für ihre Quelle: Instagram, Antifa Mainz verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. So hat beispielsweise das im Februar 2024 neu gegründete OAT Koblenz im Rahmen einer gymnasialen Projektwoche der zehnten Klassen in Mayen einen Workshop zu "Antirassismus" angeboten. Durch die Veranstaltung sollten den Schülern offensichtlich auch linksextremistische Narrative vermittelt werden. Im Ergebnis wurde nämlich festgehalten, "dass die Überwindung von rassistischen Strukturen an die Überwindung des Kapitalismus geknüpft ist und 157 es einen grundlegenden Wandel des Systems bedarf". Für Linksextremisten ist der Begriff "Kapitalismus" mehr als nur die Bezeichnung einer Wirtschaftsordnung. Sie setzen ihn gleich mit der Gesamtheit staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen. "Das OAT ist ein Raum, um sich über rechte und faschistische Tendenzen und Bestrebungen insbesondere in der Region, aber auch gesamtgesellschaftlich auszutauschen, gemeinsam antifaschistische und solidarische Antworten zu formulieren und Aktionen zu planen." Quelle: Instagram, OAT Trier Ein OAT dient auch der Vernetzung. So demonstrierte das OAT Koblenz in einem Bündnis mit weiteren Gruppen am 21. Juni 2024 gegen die AfD und den "Rechtsruck" und riefen auf einem gezeigten Banner öffentlich zum "antifaschistischen Kampf" auf. In "Offenen Antifaschistischen Treffen" wird auch länderübergreifend für die koordinierte Anreise zu Demonstrationen beziehungsweise Kundgebungen mobilisiert. 158 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 3. GRUPPIERUNGEN, STRUKTUREN UND AKTIONS FELDER Das linksextremistische Personenpotenzial in Rheinland-Pfalz umfasst seit mehreren Jahren 490 Personen. Davon gelten nach wie vor etwa 120 als gewaltorientiert; circa 370 gehören zum Spektrum der nicht gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten und sonstigen Linksextremisten oder folgen einer anarchistischen Weltanschauung. 3.1 Autonomen-Szene Im linksextremistischen Spektrum stellen Autonome bundesweit den größten Teil des gewaltorientierten Personenpotenzials. In Rheinland-Pfalz ist die autonome Szene nahezu deckungsgleich mit dem Lager der gewaltorientierten Linksextremisten. Autonome bedienen sich einer Reihe von weltanTeilnahme an einer Demonstration. schaulichen Versatzstücken des Anarchismus Quelle: Instagram, Antifa Mainz und des Kommunismus, ohne dass sich daraus eine eigene, in sich geschlossene Ideologie erkennen lässt. 159 Kernziel der Autonomen ist die Überwindung des "herrschenden Systems". Der Idealzustand aus ihrer Sicht ist die Fiktion eines Lebens "frei von Zwängen", Normen und Autoritäten. Gewalt im politischen Kampf rechtfertigen Autonome als legitimes Mittel gegen die "strukturelle Gewalt des kapitalistischen Staates" und dessen "System von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Autonome sind im hohen Maße organisationsund hierarchiefeindlich. Sie streben mehrheitlich informelle Formen der Zusammenarbeit untereinander an. INFORMATION Was bedeutet Anarchismus? Der Anarchismus hat als politische Ideenlehre, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert hat, unterschiedliche Strömungen hervorgebracht. Sie eint die radikale Absage an den Staat, die Bürokratie und alle Regierungsformen, auch die Demokratie. Der Alternativentwurf im anarchistischen Denken ist eine utopische Idealgesellschaft, in deren Mittelpunkt das Individuum steht, das losgelöst von allen staatlichen und gesellschaftlichen Zwängen lebt. Dies bedeutet die Abkehr von allen etablierten Institutionen wie Parlamenten, Parteien, Kirchen und Vereinen. Nach weitgehend einheitlicher anarchistischer Vorstellung soll sich die Gesellschaft vielmehr auf der Basis völliger Freiwilligkeit selbst organisieren, also freiwillige Assoziationen bilden wie Kollektive oder Genossenschaften - Anarchismus bedeutet nicht per se Organisationslosigkeit. Quelle: Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Linksextremismus. Ideologien Akteure Aktionsfelder, 2021. 160 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 3.2 Anarchisten - "die plattform" Der "klassische" Anarchismus ist eine politische Ideenlehre mit verschiedenen Strömungen, deren Anhängerschaft die radikale Absage an den Staat und alle Regierungsformen, einschließlich der Demokratie, eint. Die Zahl derer, die solchen Strömungen zugerechnet werden können, ist im Vergleich zum "AntifaSpektrum" bundeswie landesweit gering. In Rheinland-Pfalz sind kleinere Zusammenschlüsse des "klassisch" orientierten anarchisTeilnahme an einer Demonstration. tischen Spektrums bekannt. Hierzu zählt die Quelle: Instagram "die plattform" Trier 2019 gegründete Organisation "die plattform". Die unter der Bezeichnung "die plattform" "Wir sind die "plattform", firmierenden Gruppen streben entgegen dem eine anarchakommunisim Anarchismus überwiegend niedrigen Organisationsgrad eine striktere Organisietische Föderation. Unser rung nach den selbst gesetzten Prinzipien Ziel ist die Überwindung von "ideologischer und taktischer Einheit, aller Formen der UnterdrüDisziplin und Kollektivtätigkeit der Mitglieder" ckung und Herrschaft. Das an. Außer der sogenannten Überregionalen heißt, wir stehen für den Gruppe1 bestehen Lokalstrukturen in Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig, im Ruhrgebiet und Aufbau einer herrschafts-, in Trier. "Die plattform Trier" fokussiert vor klassenund staatenlosen allem auf Themen wie Feminismus, AntifaGesellschaft auf Grundschismus und Ökologie. Die Gruppe beteiligte lage des anarchistischen 1 Die "Überregionale Gruppe" ist die organisatorische Kommunismus." Basis für Mitglieder der "plattform", die noch keine lokale Vereinigung bilden können (vgl. www.dieplattform.org/ sind-ueberall), zuletzt abgerufen am 02.02.2025 Quelle: Instagram, "die plattform Trier" 161 sich auch im Berichtsjahr an verschiedenen bürgerlichen Demonstrationen, wie beispielsweise der 1. Mai-Demonstration in Trier, um ihre Standpunkte zu vermitteln. 3.3 Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten Die Mehrheit der dogmatischen Linksextremisten ist als nicht gewaltorientiert einzustufen. Dennoch zielen auch sie darauf ab, durch ihr Handeln eine revolutionäre Situation herbeizuführen; dies impliziert jedenfalls denklogisch Elemente der Gewalt. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Die marxistisch-leninistische "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) hat als Ziel in ihrem Parteiprogramm den "revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen" formuliert. Sie gründet ihre Weltanschauung, ihre Politik und ihr Organisationsverständnis auf den sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus von Marx, Engels und Lenin. Die DKP hat in Rheinland-Pfalz einen Bezirksverband, dessen Mitgliederzahl sich im mittleren zweistelligen Bereich bewegt. Laut ihrer Internetseite existieren derzeit Ortsgruppen in Bad Kreuznach, Kaiserslautern, Koblenz, Landau, Mainz, Trier und Worms. Die Partei bezeichnet sich unter anderem als "antifaschistisch" und "antiimperialistisch", öffentliche Aktivitäten entwickelt die DKP aber insbesondere im Themenfeld "Antimilitarismus". 162 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die DKP-nahe Jugendorganisation SDAJ verfügt in Rheinland-Pfalz über einen Landesverband, der nach eigenen Angaben zurzeit drei Ortsgruppen in Landau, in Mainz und in Trier umfasst. Die SDAJ will "einen Bruch mit dem derzeit herrschenden System, dem Kapitalismus" erreichen und letztendlich eine sozialistische Gesellschaft etablieren. Sie bezeichnet sich deshalb als eine antikapitalistische und revolutionäre Organisation. Die Jugendorganisation versucht insbesondere über soziale Medien, Kleinzeitung "Klasse. Macht. Schule". junge Menschen für ihre Arbeit zu gewinnen. Quelle: Instagram, SDAJ Trier Marxistische Schulungen spielen bei der SDAJ und der DKP eine wichtige Rolle. Sie sollen die Teilnehmenden dazu animieren, sich mit den revolutionären Ideen von Karl Marx auseinanderzusetzen. Ein weiteres Beispiel ist die Zeitung "Klasse. Macht. Schule.", die von der SDAJ Trier an Schüler und Auszubildende vor Ort verteilt wird. Die Begrifflichkeit "Schule" verdeutlicht dabei, wie die SDAJ die Notwendigkeit einer "sozialistischen Bildung" für junge Leute suggeriert. Auch zeigt sich hierdurch eine paternalistische Grundhaltung, die für sich in Anspruch nimmt, die offensichtlich unmündigen Jugendlichen ideologisch an die Hand zu nehmen. 163 3.4 "Rote Hilfe e.V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) ist mit mehr als 14.000 Mitgliedern und bundesweit rund 50 Ortsgruppen die größte Gruppierung im Linksextremismus. In Rheinland-Pfalz gibt es Ortsgruppen in Mainz und in Trier. Die RH ist eine Rechtshilfeorganisation zur Unterstützung von Angehörigen des linken und linksextremistischen Spektrums sowohl in Strafverfahren als auch während der Haftzeit. Sie bietet ihnen politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische sowie finanzielle Unterstützung. Die RH sorgt für eine bundesweite Vernetzung, sichert innerQuelle: www.rote-hilfe.de halb der Szene den übergreifenden Zusammenhalt der unterschiedlichen Strömungen und bietet einen Legitimationsrahmen für die Begehung von Strafund Gewalttaten. Historisch betrachtet hat die RH ihre Anfänge in den 1920er Jahren mit der in der Weimarer Republik entstandenen "Roten Hilfe Deutschlands", weshalb es 2024 anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens zahlreiche Jubiläumsveranstaltungen bundesweit und auch in Rheinland-Pfalz gab. Die Ausstellung "100 Jahre Rote Hilfe" sowie der Vortrag "100 Jahre Solidarität" am 8. November 2024 im "Komplex-Infoladen Trier" wurden auch von anderen linksextremistischen Organisationen beworben und unterstützt. 164 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 3.5 Linksextremistische Aktionsfelder Antifaschismus Für Linksextremisten bedeutet "Antifaschismus" weit mehr als das Engagement gegen Rechtsextremismus. Sie vereinnahmen den "Antifaschismus" und interpretieren ihn nach eigenem Verständnis. Linksextremistischer "Antifaschismus" bedeutet eine grundsätzliche Ablehnung von Parlamentarismus und demokratischem Verfassungsstaat. Das politische Ziel linksextremistischer Akteure ist daher die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Daneben nutzen gewaltorientierte Autonome den "antifaschistischen Kampf" zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Rechtfertigung von Straftaten. Er richtet sich nicht nur gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten, sondern gegen Personen oder Institutionen, die der eigenen ideologischen Weltsicht nach als "faschistisch" gelten. Die Mobilisierungsfähigkeit der gewaltorientierten linksextremistischen Szene in Rheinland-Pfalz bewegt sich im Vergleich zu anderen Ländern auf einem eher niedrigen Niveau. Mobilisierungen erfolgen hauptsächlich anlassbezogen und reaktiv. Je nach Anlass kann es aber durchaus zu einem höheren Mobilisierungsgrad kommen. Hierzu trägt auch die Unterstützung durch Szeneangehörige aus anderen Bundesländern und vereinzelt aus dem benachbarten Ausland bei. Für linksQuelle: Instagram, Weinstraßen Antifa extremistische Gruppierungen ist die AfD in den vergangenen Jahren noch mehr zum "Feindbild" geworden. Insbesondere öffentliche Veranstaltungen der Partei waren 2024 das Ziel von Protestaktionen in Rheinland-Pfalz. 165 Antirepression Linksextremisten diffamieren den demokratischen Rechtsstaat, seine Repräsentanten und Institutionen als "Unrechtsund Unterdrückungssystem". Sie unterstellen, dass missliebige politische Meinungen und Überzeugungen von Staats wegen durchweg unterdrückt würden und eine Zensur herrsche. Meinungsfreiheit bestünde nur auf dem Papier. Insbesondere Autonome propagieren, dass sie "permanenten staatlichen Repressionen" ausgesetzt seien und dass es diese - und damit letztlich den Quelle: Instagram, Staat als solchen - mit allen Mittel zu bekämpfen Komplex-Infoladen Trier gelte. Im Fokus der Agitation steht vor allem die Polizei, die als Teil des staatlichen "Repressionsapparats" wahrgenommen wird. So nahm der "Komplex-Infoladen Trier" das Datum "13.12." zum Anlass, für eine Veranstaltung mit einem abgebildeten brennenden Polizeiwagen zu werben. Die Ziffern "1312" stehen als Code jeweils für die Anfangsbuchstaben der Wörter "All cops are bastards". Dieser Code wird in der linksextremistischen Szene häufig in Graffiti zur Diffamierung der Polizei und letztendlich der staatlichen Gewaltenteilung verwendet. "Der Kampf gegen die AfD kann nur erfolgreich sein, wenn auch das System angegriffen wird, das den Rechtsruck hervorbringt. Im Kampf gegen Rechts können wir uns auf den Staat nicht verlassen! Unser Antifaschismus bleibt antikapitalistisch!" [sic] Quelle: Instagram, OAT Koblenz 166 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus Antimilitarismus Antimilitarismus ist ein klassisches linksextremistisches Aktionsfeld, dessen Wurzeln bis zu den Anfängen der kommunistischen Bewegung zurückreichen. Insbesondere die DKP und ihre Jugendorganisation SDAJ nehmen sich dieses Aktionsfeldes in den sozialen Netzwerken und auf ihren Internetseiten an. Vereinzelt thematisiert die linksextremistische Szene in Rheinland-Pfalz auch den russischen Angriffskrieg gegen Quelle: Instagram, DKP Koblenz die Ukraine und den Nahost-Konflikt. So organisierte beispielsweise die SDAJ Rheinland-Pfalz ein "Antimilitaristisches Sommerfest" am 31. August 2024 in Mainz. Trotz der grundsätzlich pro-russischen Einstellung dogmatischer Linksextremisten solidarisiert sich die Szene aber mit der Bevölkerung der Ukraine. Gleichzeitig übt sie nach wie vor heftige Kritik an der NATO, den USA und der EU sowie an den Milliardeninvestitionen für die Bundeswehr. Diese verfolgten selbst expansive Ziele und wollten Profit aus dem Krieg ziehen. Im Berichtsjahr rückten verstärkt einzelne Proteste gegen die Bundeswehr in den Fokus von linken und linksextremistischen Gruppierungen, so beispielsweise am 4. März anlässlich eines Bürgerdialoges in Koblenz zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands. In Rheinland-Pfalz werden der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein und der Fliegerhorst der Bundeswehr in Büchel als Ausdruck des "NATO-Imperialismus" gebrandmarkt. 167 4. AUSBLICK Die weitere Entwicklung des Linksextremismus hängt davon ab, wie sich der Rechtspopulismus und -extremismus in Rheinland-Pfalz und bundesweit entwickeln werden. Im Hinblick auf die Bundestagsund Landtagswahlen in diesem beziehungsweise in den nächsten Jahren ist daher nicht auszuschließen, dass auch in Rheinland-Pfalz zumindest vermehrt mobilisiert werden könnte. Gewaltorientierte Linksextremisten werden sich weiterhin auf Aktionen und Kampagnen gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten konzentrieren. Schließlich werden Linksextremisten auch in Zukunft Anschluss an Bündnisse gegen Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft suchen. Die linksextremistische Szene wird dabei darauf bedacht sein, sich als die "einzig wahren Antifaschisten" zu stilisieren und zu profilieren. Ein typisches linksextremistisches Narrativ ist hierbei, die Ursachen für Rechtspopulismus und -extremismus in einer Politik der Mäßigung und des Kompromisses der Parteien der Mitte zu sehen. Das Aktionsfeld "Antimilitarismus" hat vor dem Hintergrund der aktuellen Kriege an Bedeutung gewonnen. Dabei stehen insbesondere die Bundeswehr, die NATO aber auch Rüstungskonzerne im Fokus linksextremistischer Proteste. Linksextremisten erheben den Vorwurf, dass westliche Industriestaaten ausschließlich aus kapitalistisch-wirtschaftlichen Interessen militärische Unterstützung an Kriegsparteien, wie zum Beispiel die Ukraine leisten. Die konkrete Verteidigungssituation wird ausgeblendet oder relativiert. Teilweise wird in Form von Verschwörungstheorien zumindest angedeutet, der "Westen" habe die Konflikte bewusst geschürt, um davon zu profitieren. 168 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 5. KURZBESCHREIBUNGEN "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründungsjahr 1982 Sitz Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzende(r) Gabi Fechtner Struktur Sieben Landesverbände (Stand: Ende 2023), die jeweils mehrere Bundesländer umfassen (Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland bilden den Landesverband Rhein-Hessen/Saar.) Mitgliederzahl in Einzelne Mitglieder in Ludwigshafen am Rhein Rheinland-Pfalz Publikationen und Zeitung "Rote Fahne" Medien Jugendverband "REBELL" Ideologie, Die MLPD ist streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtet. Sie Programm, beruft sich auf die Lehren von Marx, Engels und Lenin und - anStrategie ders als nahezu alle anderen kommunistischen Gruppierungen in Deutschland - auch auf die von Stalin und Mao Tsetung. Als Ziel strebt sie die Errichtung einer Gesellschaft des "echten Sozialismus" als Vorstufe einer "klassenlosen", kommunistischen Gesellschaft an. Dafür sei "die Vergesellschaftung aller wesentlichen Produktionsmittel, ihre Überführung in Gemeineigentum und ihre Unterstellung unter die Verwaltung durch die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen" nötig. Die Partei engagiert sich unter anderem in der Klimaprotestbewegung. 169 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründungsjahr 1968 Sitz Essen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzende(r) Patrik Köbele Struktur Bezirksverbände und Ortsgruppen Mitgliederzahl in 90 Rheinland-Pfalz Publikationen und Zeitung "unsere zeit" (wöchentlich), Medien Theoriemagazin "Marxistische Blätter" (zweimonatlich) Jugendverband "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Ideologie, Die marxistisch-leninistische DKP versteht sich als Nachfolgerin Programm, der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen Strategie "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Zugleich betont sie, dass sie stets mit der vormaligen "Sozialistischen Einheitspartei" (SED) der DDR eng verbunden war. Die DKP hält unverändert an ihrem Ziel der Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft fest und strebt auf diesem Weg einen "grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" an. Hauptsächliche Aktionsfelder der DKP sind der "Antifaschismus", der "Antikapitalismus" und der "Antimilitarismus". Der Jugendverband SDAJ ist zwar formal unabhängig; er betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der DKP. 170 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründungsjahr 1975 Sitz Göttingen (Niedersachsen) Vorsitzende(r) Bundesvorstand Struktur Ortsund Regionalgruppen, davon je eine in Mainz und Trier Mitgliederzahl in 100 Rheinland-Pfalz Publikationen und Zeitschrift "DIE ROTE HILFE" (vierteljährlich und als OnlineMedien Magazin) Ideologie, Die RH, bundesweit die größte linksextremistische GruppieProgramm, rung, definiert sich laut Satzung als eine "parteiunabhängige, Strategie strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". In diesem Sinne leistet sie Strafund Gewalttätern aus dem linksextremistischen Spektrum politische und finanzielle Unterstützung, so bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten. Durch meinungsbildende Öffentlichkeitsarbeit versucht die RH, die Sicherheitsund Justizbehörden sowie die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren (Aktionsfeld "Antirepression"). Zudem betreut die RH rechtskräftig verurteilte Straftäter während ihrer Haftzeit. Ziel ist es, diese weiter beziehungsweise noch stärker an die Szene zu binden und zum "Weiterkämpfen" zu motivieren. Mit ihrem Tun trägt die RH zur bundesweiten Vernetzung und zum Zusammenhalt unterschiedlicher linksextremistischer Strömungen bei. Darüber hinaus legitimiert sie Strafund Gewalttaten. 171 "die plattform" Gründungsjahr 2019 Struktur Föderation, bestehend aus der Überregionalen Gruppe und bundesweiten Lokalstrukturen; in Rheinland-Pfalz gibt es eine Lokalgruppe in Trier. Mitgliederzahl in Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor. Rheinland-Pfalz Publikationen und Schriftenreihe "Kollektive Einmischung", soziale Medien und Medien eigener Youtube-Kanal. Ideologie, Der Anarchismus hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert und Programm, brachte unterschiedliche Strömungen hervor. Sie alle eint die Strategie radikale Absage an den Staat, die Bürokratie und alle Regierungsformen, auch die Demokratie. Die anarchakommunistische Föderation "die plattform" steht für die Überwindung aller Formen der Unterdrückung und Herrschaft und der Aufbau einer herrschafts-, klassenund staatenlosen Gesellschaft auf Grundlage des anarchistischen Kommunismus. Sie ist davon überzeugt, dass der Schlüssel für langfristige gesellschaftliche Veränderungen in Richtung ihrer Vision einer befreiten Gesellschaft, in den sozialen Bewegungen der lohnabhängigen Klasse liegt. In diesen Bewegungen sollen sich Menschen für die angestrebte "soziale Revolution" zusammenfinden, die im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen ihrer Lebensumstände kämpfen, die sich dem aus deren Sicht alltäglichen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus entschlossen entgegenstellen. 172 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Linksextremismus 173 ISLA MISMUS 174 ISLAMISMUS 1. Personenpotenzial S. 176 2. Überblick und Entwicklungen 2024 S. 177 US 3. Gruppierungen und Strukturen S. 182 3.1 Terrorismus und Jihadismus S. 182 3.2 Salafistische Bestrebungen S. 188 3.3 Organisationsgebundener Islamismus S. 193 4. Kurzbeschreibungen S. 197 175 1. PERSONENPOTENZIAL 2024 2023 Organisationsgebundene Islamisten: 450 460 # HAMAS 50 45 # "Hizb Allah" 100 95 # "Kalifatsstaat" 90 110 # "Muslimbruderschaft" 50 50 # Sonstige 160 160 Salafisten 240 240 Gewaltorientierte* (Schnittmenge) 65 65 Gesamt 690 700 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. * Der Begriff "gewaltorientiert" bezeichnet nicht ausschließlich Personen, die selbst Gewalt anwenden, sondern auch solche, die Gewalt legitimieren, befürworten oder unterstützen. 176 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus 2. ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 Extremistische Strömungen innerhalb des Islam werden unter dem Begriff "Islamismus" zusammengefasst. Islamisten wollen eine religiös verstandene Gesellschafts-, Rechtsund Staatsordnung errichten, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Sie verfolgen dazu unterschiedliche Strategien. Einerseits gibt es gewaltfreie Bestrebungen, die einen allmählichen Wandel der politischen Ordnung herbeiführen sollen. Anderseits reicht das Spektrum bis hin zu Jihadisten, die ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen wollen. Trotz ihrer Unterschiede weisen Islamisten inhaltliche Gemeinsamkeiten auf. So werden der Koran und Überlieferungen über den Religionsstifter Muhammad absolut gesetzt und wortwörtlich verstanden. Religiösen Normen kommt aus islamistischer Perspektive eine verbindliche persönliche, soziale und politische Geltung zu. Weitere inhaltliche Gemeinsamkeiten sind etwa die strikte, oft aggressiv vorgetragene Unterscheidung von "Gläubigen" und "Ungläubigen" (kuffar), ein religiös verbrämter Antisemitismus, "der Westen" als Feindbild und die Inanspruchnahme einer muslimischen Opferrolle. "Wer glaubt, ein würdevolles Leben unter der Herrschaft von Juden und Christen führen zu können, täuscht sich. Es gibt nur zwei Optionen: Den ehrenvollen Tod im Kampf oder das Leben unter Feigheit und Erniedrigung." Beitrag eines Jihadisten vom 29. Oktober 2024. Quelle: Telegram 177 Entwicklungen der Szene Drei Entwicklungen prägten das Berichtsjahr Erstens rückte der jihadistische Terrorismus wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. So kam es in Deutschland zu Anschlägen in Mannheim (BadenWürttemberg), Solingen (Nordrhein-Westfalen), München sowie zu einem mutmaßlich jihadistisch motivierten Mordversuch in Linz am Rhein (RheinlandPfalz, siehe 3.1 Terrorismus und Jihadismus). Daneben zeigten Jugendliche und junge Erwachsene in sozialen Netzwerken ein zunehmendes Interesse für jihadistisches Propagandamaterial (siehe Brennpunktthema). Der "Islamische Staat" (IS) feiert Anschläge in Europa. Quelle: TikTok 178 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Zweitens sorgten der Gazakrieg und die weiteren militärischen Operationen Israels im Nahen Osten, die sich an den Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 anschlossen, für eine anhaltend hohe Emotionalisierung der Szene. Vor allem online oder als Teilnehmer propalästinensischer Demonstrationen taten Islamisten ihren Unmut über die Lage im Gazastreifen und die hohe Anzahl ziviler Opfer kund. Dabei äußerten sie jedoch auch vielfach Verständnis für die HAMAS und rechtfertigten deren Vorgehen. Zudem tätigten sie regelmäßig israelfeindliche und antisemitische Aussagen (siehe unten). Ein drittes Thema, das die Szene beschäftigte, war der Sturz des syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad im Dezember 2024 durch islamistische Gruppierungen unter Führung der "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS). Der Machtwechsel wurde von sunnitischen Islamisten durchweg begrüßt. Diese äußerten ihre Freude über das Ende der Diktatur und den Wunsch nach einer gerechten Strafe der Beteiligten des Unrechtsregimes. Schiitische Islamisten hingegen reagierten ablehnend. Sie befürchteten vor allem willkürliche Racheakte an Schiiten und religiösen Minderheiten in Syrien aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Regimetreue gegenüber dem gestürzten Machtapparat. 179 Reaktionen auf den Krieg in Nahost Das Jahr 2024 war in der Nahostregion durch Krieg, Tod und Zerstörung geprägt. Der Terrorangriff der HAMAS am 7. Oktober 2023 auf Israel löste unmittelbar eine groß angelegte Gegenoffensive des israelischen Militärs im Gazastreifen aus, die 2024 fortgesetzt wurde. Israel ging hierbei massiv gegen die HAMAS, die von ihr aufgebaute paramilitärische Infrastruktur und ihre Führungspersonen vor. Am 31. Juli wurde der politische Führer der HAMAS Ismail Haniya durch eine Explosion im Gästehaus der iranischen Revolutionsgarden in Teheran getötet. Sein Nachfolger Yahya Sinwar, der zuvor schon als einer der HAMASAnführer im Gazastreifen fungiert hatte und als Planer des HAMAS-Angriffs von 2023 gilt, kam Mitte Oktober bei einem Feuergefecht ums Leben. Die Luftangriffe und Bodenoffensive des israelischen Militärs verursachten in der dicht bevölkerten Region eine hohe Zahl an Todesopfern (zwischen Oktober 2023 und Dezember 2024 ungefähr 45.0001), eine humanitäre Notlage in der palästinensischen Zivilbevölkerung und verheerende Zerstörungen. Nach kontinuierlichem Raketenbeschuss der libanesischen "Hizb Allah" auf den Norden Israels eskalierte die Lage ab September auch im Libanon. Dort kam es insbesondere im Oktober und November zu heftigen Bombardements durch das israelische Militär. Am 27. September fiel der langjährige "Hizb Allah"-Generalsekretär Hassan Nasrallah einem Luftangriff in Beirut zum Opfer. Durch das israelische Vorgehen wurde die "Hizb Allah" sowohl personell als auch im Hinblick auf ihre militärische Infrastruktur erheblich geschwächt. 1 Gemäß nicht überprüfbaren Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza. 180 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Die Ereignisse in Nahost fanden 2024 auch in Rheinland-Pfalz weiter Resonanz, in sozialen Netzwerken ebenso wie bei propalästinensischen Kundgebungen - insbesondere in Mainz und Koblenz. Die Parolen sowohl im Netz als auch bei vielen Kundgebungen waren durch Dauervorwürfe gegen Israel und eine gleichzeitige Kritiklosigkeit gegenüber der HAMAS und "Hizb Allah" geprägt. Nahezu durchgehend wurden das israelische Vorgehen als Völkermord und Israel selbst als Apartheidund Terrorstaat Antisemitischer Beitrag auf Nutzerprofil. Quelle: TikTok bezeichnet. Das Existenzrecht Israels wurde insbesondere in Beiträgen im digitalen Raum negiert. Zugleich verliefen die Grenzen zwischen Israelfeindlichkeit und Antisemitismus oft fließend. Sowohl bei der Debatte in sozialen Medien als auch bei Kundgebungen war eine starke Heterogenität der Teilnehmenden festzustellen. Neben Islamisten wirkten Vertreter des nichtreligiösen auslandsbezogenen extremistischen Spektrums, des Linksextremismus sowie Personen mit, die keinem extremistischen Phänomenbereich zuzuordnen sind. Teils gemeinsam, teils unabhängig voneinander bekundeten die unterschiedlichen Akteure ihre Solidarität mit den Palästinensern. Dabei machten sie Israel zur Projektionsfläche ihrer Aversion, die sich teils auch gegen Juden im Allgemeinen richtete. Das Kundgebungsgeschehen, das in der zweiten Jahreshälfte abnahm, verlief in Rheinland-Pfalz ohne gewaltsame Zwischenfälle. 181 3. GRUPPIERUNGEN UND STRUKTUREN 3.1 Terrorismus und Jihadismus Der Jihadismus ist eine Variante des Islamismus, die den bewaffneten Kampf zur Durchsetzung ihrer Ziele propagiert. Das schließt auch Gewalt gegen andere Muslime mit ein, wenn diese den Zielen der Jihadisten im Wege stehen oder ihrer Lehre nicht folgen. Transnationale jihadistische Gruppierungen streben nach dem Fernziel eines globalen Kalifats und wenden dazu in der Regel auch terroristische Strategien an, das heißt, sie verüben gezielt Anschläge gegen unbeteiligte Zivilisten, um ihre Interessen durchzusetzen. Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung Afghanistans im Jahr 1989 breitete sich der sunnitische Jihadismus in weiteren Teilen der Welt aus und wurde im zunehmenden Maße auch für westliche Staaten ein Sicherheitsproblem. Insbesondere in sogenannten Ausschnitt aus einer jihadistischen Grafik. Quelle: Telegram schwachen und gescheiterten 182 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Staaten entwickelten sich regionale Ableger von "al-Qaida" (AQ) und ab dem Jahr 2014 auch des "Islamischen Staates" (IS) - wie zum Beispiel der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK). Gemessen an der Anzahl der Anschläge und Todesopfer ist der IS mit seinen regionalen Ablegern weiterhin die tödlichste terroristische Organisation weltweit. Die "Taleban" hingegen vertreten nicht die salafistisch-jihadistische Lehre von AQ oder dem IS und verfolgen eine auf Afghanistan beschränkte Agenda. In den letzten Jahren haben afrikanische Staaten für den transnationalen Jihadismus an Bedeutung gewonnen. Besonders schwer von Anschlägen betroffen sind einige Länder in der westafrikanischen Sahelzone wie Mali oder Burkina Faso, wo die Gruppen "Jama'at Nasr al-Islam wal-Muslimin" (JNIM) und "IS - Sahel Provinz" (ISSP) die instabile politische Lage weiter ausnutzen konnten. Die IS-Provinz in Somalia ("Wilayat as-Sumal") hat innerhalb des IS-Netzwerks eine herausragende organisatorische Stellung eingenommen. IS-Spendenaufruf über Kryptowährung Monero für den bewaffneten Regionale terroristische Gruppen wie die "Izz-al-Din-alJihad. Quelle: Onlinemagazin "VOICE Qassam-Brigaden" der HAMAS nennen ihren bewaffOF KHURASAN", Nr. 33, RocketChat neten Kampf ebenfalls Jihad. Im Gegensatz zum salafistischen Jihadismus streben sie aber nach politischer Macht innerhalb nationaler Staatsgrenzen. Sie bestreiten zwar das Existenzrecht Israels, lehnen aber das Prinzip der Nationalstaatlichkeit nicht ab. 183 Wichtige Ereignisse Am 8. Dezember stürzten syrische Oppositionskräfte unter Führung der HTS (siehe Infokasten) nach 13 Jahren Bürgerkrieg den autoritären Machthaber Bashar al-Assad. Der weitere Verlauf zur politischen Neuordnung des Landes wird zeigen, ob die HTS die Transformation von einer global-jihadistischen hin zu einer gemäßigt islamistischen Gruppierung mit national ausgerichteter Agenda vollzogen hat. INFORMATION "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) Die HTS ("Hai'at Tahrir al-Sham", auf Deutsch: "Komitee zur Befreiung der Levante") ging im Jahr 2017 aus einem Zusammenschluss von fünf überwiegend islamistischen Widerstandsgruppen des syrischen Bürgerkriegs hervor. Bis Juli 2016 operierte die Gruppierung unter dem Namen "Jabhat al-Nusra" als Verbündeter von AQ in Syrien. Ihr damaliger und heutiger Anführer Ahmed Hussein al-Shar'a (auch bekannt als Abu Muhammad al-Jaulani) verfolgt seitdem einen moderateren politischen Kurs und strebt nach internationaler Anerkennung. Die HTS war maßgeblich am Sturz von Bashar al-Assad im Jahr 2024 beteiligt. 184 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) stellte 2024 seine anhaltende Fähigkeit zur Durchführung transnationaler Terroranschläge unter Beweis. In der Islamischen Republik Iran starben Anfang des Jahres etwa 100 Menschen durch zwei simultane Bombenanschläge auf einer Gedenkfeier für den iranischen General Qasem Soleimani. In Russland verübte der ISPK einen Anschlag auf ein Konzert in der Crocus City Hall bei Moskau, bei dem 145 Menschen getötet und mehrere Hundert verletzt wurden. Auch Deutschland ist für den ISPK weiterhin ein Anschlagsziel und Der IS ruft zu Anschlägen auf die dient seinen Unterstützerzellen als Operationsraum. Fußballeuropameisterschaft in Deutschland auf. Quelle: Onlinemagazin "VOICE OF In Deutschland und Frankreich war der Sportsommer KHURASAN", Nr. 35, Rocket.Chat 2024 mit den Olympischen Spielen in Paris und der Fußballeuropameisterschaft in Deutschland begleitet von Sorgen vor islamistischen Terroranschlägen. In Frankreich vereitelten die Sicherheitsbehörden den Anschlag eines 18-jährigen Tschetschenen, der im Namen des IS bei einem Angriff auf die Olympischen Spiele sterben wollte. Eine vermummte Person steht vor einer Tafel mit vier Bekennerbildern von IS-Attentätern, darunter auch von Isaa al H. dem Attentäter von Solingen. Die Bildcollage soll anhand der erfolgreich durchgeführten Anschläge die Behauptung widerlegen, der IS sei besiegt [englisch: defeated]. Quelle: IS-Onlinemagazin "VOICE OF KHURASAN", Nr. 40, Rocket.Chat 185 Situation in Deutschland Die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland geht von drei Personengruppen aus: Erstens von professionell agierenden Kleinzellen zentralasiatischer ISPK-Anhänger, die den organisierten transnationalen Terrorismus verkörpern. Zweitens von online radikalisierten jugendlichen Einzeltätern ("Homegrown"-Terrorismus) und drittens von ideologisierten Personen in einem psychischen Ausnahmezustand. Im Berichtsjahr ereigneten sich in Deutschland drei islamistische Terroranschläge. Am 31. Mai verübte ein IS-Sympathisant während einer Wahlkampfveranstaltung in Mannheim (Baden-Württemberg) einen Anschlag mit einem Messer auf einen Islamkritiker und verletzte im weiteren Verlauf der Tat einen Polizisten tödlich. Am Abend des 23. August starben in Nordrhein-Westfalen drei Besucher eines Solinger Stadtfestes bei einem Anschlag, den der IS für sich reklamierte. Am 5. September schoss ein islamistisch motivierter 18-jähriger Jugendlicher auf das Generalkonsulat des Staates Israel in München. Hohe mediale Aufmerksamkeit erhielten auch mehrere Fälle, bei denen Minderjährige und Jugendliche wegen der Planung islamistischer Terroranschläge inhaftiert wurden. So nahm die Polizei im September einen 15-Jährigen aus Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) in Präventivhaft, weil er über einen Messengerdienst mit einem mutmaßlichen IS-Mitglied in Kontakt stand und einen Anschlag auf eine jüdische Einrichtung geplant haben soll. Am 6. November nahm die Polizei in Schleswig-Holstein einen 17-Jährigen fest, der mutmaßlich mit einem gestohlenen Lkw in eine Menschenmenge fahren wollte. Im Dezember wurden drei mutmaßliche IS-Sympathisanten aus Mannheim (Baden-Württemberg) und dem Hochtaunuskreis (Hessen) wegen der Vorbereitung eines Anschlags festgenommen. Der jüngste von ihnen war 15 Jahre alt. 186 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz galten wie schon im Jahr davor 65 Personen als Anhänger des jihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus. Der Begriff "gewaltorientiert" bezeichnet hierbei nicht ausschließlich Personen, die selbst Gewalt anwenden, sondern auch solche, die religiös motivierte Gewalt legitimieren, befürworten oder unterstützen. Die jihadistische Szene in RheinlandPfalz weist insgesamt einen geringen Organisationsgrad auf und brachte im vergangenen Jahr keine einflussreichen Meinungsführer hervor. In Linz am Rhein konnte am 6. September ein mutmaßlich islamistisch motivierter Terroranschlag mit einer Machete gegen Polizisten verhindert werden, weil es dem diensthabenden Beamten gelang, den Angreifer in der Eingangsschleuse der Polizeiinspektion so lange festzusetzen, bis Spezialeinheiten eintrafen und den Mann verhafteten. Der bundesweite Trend einer Radikalisierung von Jugendlichen zeigte sich im Berichtsjahr auch in Rheinland-Pfalz. Im November nahm die Polizei in Bingen einen Schüler fest, dem die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen wird. Neben zwei Bajonettaufsätzen wurden bei ihm Teile vorgefunden, die zum Bau einer Rohrbombe geeignet sind. Der Jugendliche hatte sich im Internet radikalisiert und dort Anweisungen zur Herstellung von Rohrbomben erhalten. 187 3.2 Salafistische Bestrebungen Der Begriff "Salafismus" bezeichnet verschiedene (inhaltlich eng verwandte) Strömungen des sunnitischen Islam. Sie haben ihre ideengeschichtlichen Wurzeln vor allem in der sogenannten wahhabitischen Denkschule, die auf der Arabischen Halbinsel beheimatet ist. Diese fordert die strikte Reinigung des Islam von jeder religiösen "Neuerung" (bid'a) in Glaubenslehre und -praxis. "Ein entscheidender Unterschied, den wir [sc. Salafisten] haben zu anderen Gruppierungen, ist, dass wir glauben, dass das, was der Prophet gesagt hat, wortwörtlich so gemeint ist. (...) Das heißt, wir glauben, jede Erneuerung in der Religion (...), die jemand erfindet, die dem Weg des Qurans widerspricht, ist tadelnswert und eine Sünde." Zitat eines Salafisten, Upload vom 3. Dezember 2024. Quelle: YouTube Salafisten wollen zu einem ihrer Ansicht nach unverfälschten Glauben zurückkehren. Dazu gehört ein wortwörtliches Verständnis des Koran sowie der Überlieferungen der Taten und Aussprüche Muhammads. Sie orientieren sich kompromisslos an einem idealisierten Vorbild der namensgebenden "frommen Altvorderen" (as-salaf as-salih). Salafisten wollen ihrer Ansicht nach der Lebensweise, der Glaubenslehre und den Gesellschaftsvorstellungen der ersten drei Generationen der Muslime so umfassend wie möglich folgen. Auch jede Staatsform soll an den "frommen Altvorderen" gemessen werden. 188 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus Im Zentrum salafistischen Denkens steht ein rigide praktizierter Monotheismus (tauhid) - das Bekennen zu einem einzigen Gott in Wort und Tat. Zu einem aufrichtig praktizierten Glauben an Gott gehört für Salafisten die konsequente Ablehnung und verbale Der Tauhid-Finger als Bekenntnisoder tätliche Bekämpfung aller "Götzen" (tawaghit). und Zugehörigkeitssymbol im Salafismus. Quelle: Facebook Rechtsordnungen, die "unislamische" Gesetze anwenden, werden nicht anerkannt und teils offen bekämpft. INFORMATION Tauhid-Finger Der Tauhid-Finger ist allgemein eine Geste aus dem islamischen Ritualgebrauch. Er gilt als Symbol für den praktizierten Glauben an den einen Gott. Die Geste dient daneben in der gesamten salafistischen Szene als Bekenntnisund zugleich Zugehörigkeitssymbol. Die salafistische Weltsicht ist von einem Schwarz-Weiß-Denken geprägt, das alle Aspekte des Lebens in Gegensatzpaare wie "Glaube/Unglaube" oder "Paradies/Hölle" unterteilt. Daraus ergibt sich eine Kultur der Abgrenzung von allem, was als "Unglaube" (kufr), "Sünde" oder "Götzendienst" (shirk) gilt. Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die salafistischen Strömungen untereinander. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten den politischen und den jihadistischen Salafismus als extremistische Bestrebungen. 189 Politische Salafisten setzen in Deutschland meist auf politisierte Missionsarbeit (dawa, auf Deutsch: "Einladung [zum Islam]") und Bildungsangebote. Dabei wird die eigene Ideologie durch Aktivitäten verbreitet, die irreführend als "Dawa" bezeichnet werden. Letztlich geht es aber um ideologische Indoktrination. Jihadistische Salafisten stellen die Pflicht zum bewaffneten Kampf in den Mittelpunkt ihrer Ideologie. Sie wollen ihre Ziele mit Gewalt erreichen. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz gelten im Berichtsjahr 240 Personen als Anhänger salafistischer Bestrebungen. Davon rechnet der Verfassungsschutz etwa 175 Personen dem politischen und 65 dem jihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus zu (siehe 3.1 Terrorismus und Jihadismus). Damit ist das Personenpotenzial seit 2022 unverändert. Wie in anderen Bundesländern auch ist die salafistische Szene im Land fragmentiert. Sie setzt sich aus informellen Gruppen, losen Netzwerken und unabhängigen Vereinen zusammen. Zwar bestehen teilweise Kontakte zwischen Einzelakteuren, die zur unverbindlichen Vernetzung und Zusammenarbeit in der regionalen und bundesweiten Szene beitragen. Zentrale Führungspersönlichkeiten oder -organisationen fehlen jedoch. Seit rund zwei Jahren versuchen politische Salafisten in Deutschland, wieder stärker Mitglieder zu gewinnen. Dazu werden unter anderem "Street Dawa"Aktionen, Einladungen zu "Islam-Seminaren", Vorträge von bekannten SzenePredigern oder intensiv die sozialen Medien genutzt. 190 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus In Rheinland-Pfalz wurden im Berichtsjahr nur vereinzelt Missionsaktivitäten und öffentlichkeitswirksame Aktionen bekannt. Im Mai und Juni trat beispielsweise der bundesweit aktive salafistische Influencer "Abu Alia" in Wittlich auf. In Mainz wiederum kam es im Dezember zu einer Verteilaktion für salafistische Literatur. Insgesamt zeigte die Szene im Land nur wenig Interesse an Missionsaktivitäten und blieb nach außen weitgehend inaktiv. Der Salafist "Abu Alia" wirbt für eigene Reiseangebote, Online waren die bestimmenden Themen der Salafisten in Beitrag vom 4. Juni 2024. Rheinland-Pfalz der aktuelle Nahostkonflikt sowie der Quelle: Instagram Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. In den Äußerungen zum Gazakrieg dominierten neben Verweisen auf eine hohe Anzahl ziviler palästinensischer Opfer häufig Inhalte mit antisemitischen Aussagen die Beiträge der Akteure. "Der treue Vasall des Den Sturz Assads nahmen die Salafisten in Westens, Mörder der Rheinland-Pfalz online wie realweltlich durchweg positiv auf. Die Entwicklungen in Syrien wurden Muslime und Hüter der als göttliche Fügung gedeutet, mit der Gott kolonialen Ordnung in selbst einen brutalen und religionsfeindlichen Syrien, Bashar Al-Assad Tyrannen gestürzt habe. Die Rolle der HTS und (Allahs Fluch auf ihm), die Frage nach ihrer ideologischen Ausrichtung wurde durch die Gnade thematisierte kaum jemand. Und falls doch, wurde die Gruppierung als Werkzeug Gottes Allahs (...) gestürzt." beschrieben. Beitrag eines Salafisten vom 8. Dezember 2024. Quelle: Facebook 191 Die Freude über den Sturz Assads wurde schnell in gängige Narrative der Salafisten eingebettet und mit entsprechenden antisemitischen und antiwestlichen Feindbildern verknüpft. So wie Gott Assad aus Syrien vertrieben habe, werde er auch Israel, andere "Tyrannen" und westliche Einflüsse aus dem Nahen Osten vertreiben. "Die Muslime in Shaam [sc. Syrien] können letztendlich nur in Sicherheit leben und es kann nur gelingen Bay al Maqdis [sc. Jerusalem] zu befreien, wenn zuerst die Wachhunde des Zionistengebäudes vollständig verschwunden sind." Beitrag eines Salafisten vom 9. Dezember 2024. Quelle: Telegram (Rechtschreibung unverändert) Für die Zukunft erhofft sich die Szene einen syrischen Staat nach ihren religiösen Vorstellungen. Ausreiseabsichten wurden bislang nicht festgestellt. Vereinzelt äußerten Salafisten zudem die Erwartung, dass nun mittelfristig auch die IS-Kämpfer und deren Angehörige in nordsyrischen Gefangenenlagern befreit würden. 192 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus 3.3 Organisationsgebundener Islamismus Knapp zwei Drittel der Islamisten in Deutschland sind Mitglieder, Anhänger und/oder Unterstützer einer Organisation. All diese Organisationen haben ihren Ursprung im Ausland, zumeist in der Nahostregion oder der Türkei. Sie verfügen aber auch in Deutschland über Strukturen in Form von ihnen zugehörigen oder nahestehenden Vereinigungen. Aus taktischen Gründen vermeiden diese Vereinigungen hierzulande jedoch eine namentliche Anlehnung an die Mutterorganisation. Hinsichtlich ihrer Agenda, strategischen Ausrichtung und ihres Al-Dawa-Magazin der "Muslimrechtlichen Status in Deutschland lassen sich die bruderschaft". Oktober 2024. Quelle: ikhwan.site Organisationen wie folgt kategorisieren: Legalistische Organisationen Legalistische Islamisten verfolgen das Ziel, unauffällig und langfristig Einfluss auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu nehmen. In letzter Konsequenz wollen sie eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Rechtsund Staatsordnung durchsetzen. In Anpassung an die demografischen und rechtlichen Verhältnisse in Deutschland modifizieren sie ihre kurzund mittelfristige Agenda dahingehend, Freiräume für ein eigenes normenorientiertes Islamverständnis zu erwirken. Hierzu haben Legalisten eine zweigleisige Strategie entwickelt. Zum einen vermitteln sie ihre vollumfängliche Lehre und Gesellschaftsvision in Anlehnung an ihre geistigen Vordenker nur gegenüber der eigenen Anhängerschaft. Zum anderen werben sie mit nach außen gemäßigt erscheinenden Positionen um potenzielle Fürsprecher bei Behörden, in der Politik und Medienlandschaft. Die 193 Öffnung gegenüber nichtmuslimischen Fürsprechern geht bei Legalisten in der Regel nicht mit einem weltanschaulichen Wandel und einer wirklichen gesellschaftlichen Integration einher, sondern ist vorrangig darauf ausgerichtet, die eigenen Anliegen und Forderungen zu realisieren. Die Ziele der Legalisten stehen im Konflikt mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG), der Glaubensund Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) sowie der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). In Rheinland-Pfalz sind vor allem Anhänger der "Muslimbruderschaft" dem legalistischen Islamismus zuzurechnen. "Der Islam ist eben nicht nur eine Religion, die uns zum Gebet und Fasten aufruft, sondern eine allumfassende Lebensordnung, die die Probleme des Menschen sowohl als Individuum als auch als Kollektiv - als Gesellschaft - löst. Und dazu gehört notwendigerweise auch, dass wir Muslime in einem Kalifat leben, in dem die Gesetze oder in dem mit den Gesetzen Allahs regiert wird (sic!)." Auszug aus einem Video von "Generation Islam", Upload vom 16. Juli 2024. Quelle: YouTube Terrororganisationen mit Regionalbezug Anders als der "Islamische Staat" (IS) und "al-Qaida" verfolgen die palästinensische HAMAS und die libanesische "Hizb Allah" keine globale Agenda, sondern besitzen eine regionale Ausrichtung. Sie verfügen über paramilitärische Flügel, die Terroranschläge verüben. Die von ihnen ausgehende Gewalt ist ganz überwiegend auf die Nahostregion begrenzt und hierbei gegen israelische Ziele gerichtet. 194 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus HAMAS-Kämpfer in Gaza. Quelle: alqassam.ps Die HAMASund "Hizb Allah"-Anhänger hierzulande nutzen Deutschland in konspirativer Weise vor allem zur Sammlung von Spendengeldern. Durch die finanzielle und propagandistische Unterstützung der Organisationen gefährden sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die "Hizb Allah" unterliegt in Deutschland seit dem Jahr 2020 einem Betätigungsverbot, die HAMAS seit November 2023. Verbotene Organisationen Eine weitere Kategorie im islamistischen Gesamtspektrum bilden Gruppierungen, die in Deutschland aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Ausrichtung und ihrer Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten wurden. Zu nennen sind hier die im Jahr 2003 mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Befreiungspartei") und der 2001 mit einem Vereinigungsverbot belegte "Kalifatsstaat". Trotz der Verbote liegen Anhaltspunkte für fortgesetzte Aktivitäten vor. 195 Im Bereich des schiitischen Islamismus wurden mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) vom 26. Juni 2024 das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) und fünf Teilorganisationen im Bundesgebiet verboten. Das BMI stellte in seiner Verbotsverfügung fest, dass sich Zweck und Tätigkeit des IZH unter anderem gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung richteten, auch durch die Unterstützung der aus dem Iran gesteuerten "Hizb Allah" im Libanon. Ferner sei das IZH in jeder Hinsicht den Vorgaben des iranischen Revolutionsführers zur umfassenden Umsetzung des Revolutionskonzepts gefolgt. In Rheinland-Pfalz bestehen keine Teilorganisationen des IZH. Entwicklung In der Anhängerschaft der genannten Organisationen waren die kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen und Libanon im Jahresverlauf 2024 weiterhin ein emotionsbehaftetes und beherrschendes Thema. Insbesondere im virtuellen Raum trugen die Ereignisse in Nahost zu einer israelfeindlichen und in Teilen antisemitischen Agitation bei. Auffallend war, dass sich die Organisationen in ihren offiziellen Verlautbarungen mit Aussagen zu diesem Thema weitgehend zurückhielten. Eine Ausnahme stellen Gruppierungen wie "Generation Islam" und "Muslim Interaktiv" dar, die der "Hizb ut-Tahrir" nahestehen. Sie greifen bevorzugt Themen auf, die geeignet sind, Teile der muslimischen Gemeinschaft zu bewegen, latent vorhandene Stimmungen zu verstärken und neue Anhänger zu gewinnen, darunter in hohem Maße junge Menschen. 196 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus 4. KURZBESCHREIBUNGEN Kern-"al-Qaida" Gründungsjahr 1980er-Jahre Sitz Transnationales Netzwerk Leitung Nach dem Tod von Aiman al-Zawahiri am 31. Juli 2022 wurde bisher kein offizieller Nachfolger öffentlich benannt. Anhänger-/ Keine gesicherten Zahlen. Strukturen der Gruppierung in Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz sind nicht bekannt. Rheinland-Pfalz Publikationen Medienstelle "as-Sahab" und Medien Teilund Transnationales Netzwerk von Teilorganisationen und NebenUnterstützern. Hervorzuheben sind: organisationen # "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) # "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Ideologie, "Al-Qaida" (Arabisch für "die Basis") ist eine transnational agierenProgramm, de jihadistische Terrororganisation, die Ende der 1980er-Jahre von Strategie Usama Bin Ladin und seinem Umfeld gegründet wurde. Ihre Ideologie besagt, dass Muslime "den Islam" gegen feindliche Mächte verteidigen müssten. Ein legitimes Mittel dabei seien Terroranschläge. Das Fernziel der Organisation ist das globale Kalifat. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und einer Welle weiterer schwerer Terrorattacken versteht sich "al-Qaida" als jihadistische Avantgarde, die sowohl eigene medienwirksame Anschläge durchführt als auch Einzeltäter oder Kleinstgruppen zu Anschlägen inspiriert. Die Organisation hat weltweit Regionalableger und Unterstützer. Heute konkurriert sie mit dem "Islamischen Staat" (IS), der aus der Regionalstruktur der "al-Qaida im Irak" (AQI) hervorging, und dessen Regionalablegern, um die Führungsrolle innerhalb der globalen jihadistischen Bewegung. 197 "Islamischer Staat" (IS) Gründungsjahr 2014 (Ausrufung des "Kalifats") Sitz Syrien/Irak Leitung Abu Hafs al-Hashimi al-Qurashi Anhänger-/ Keine gesicherten Zahlen. Strukturen der Gruppierung in Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz sind nicht bekannt. Rheinland-Pfalz Publikationen Nachrichtenagentur "Amaq" und Medien Teilund Transnationales Netzwerk von Unterstützern und RegionalNebenablegern ("Provinzen") organisationen Ideologie, Der "Islamische Staat" (IS) spaltete sich während des syrischen Programm, Bürgerkrieges im Jahr 2014 von "al-Qaida" ab. Vor der Ausrufung Strategie des IS-"Kalifats" im selben Jahr trat die Organisation unter verschiedenen Namen auf. Der IS übte auf Jihadisten weltweit eine starke Anziehungskraft aus, die auch Europäer zu einer Ausreise in sein ehemaliges Kerngebiet in Syrien und Irak veranlasste. Das Fernziel der Organisation ist die gewaltsame Errichtung eines globalen Kalifats. 198 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus "Islamischer Staat" (IS) Ideologie, Seit März 2019 gilt der IS in seinem Kerngebiet militärisch als beProgramm, siegt. Viele seiner Mitglieder befinden sich bis heute in syrischen Strategie Gefangenenlagern. Mittlerweile führt der fünfte selbst ernannte "Kalif" die Organisation an. Regionalableger gelten als "Provinzen" - wie etwa der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) in Afghanistan und Pakistan. Der IS hat Anschläge in mehr als 50 Ländern verübt und betreibt eine global ausgerichtete Propaganda, die regelmäßig zu Anschlägen in westlichen Ländern aufruft. 199 HAMAS Gründungsjahr 1987 im Gazastreifen Sitz Gazastreifen Vorsitzende(r) nicht bekannt Anhänger-/ Mitgliederzahl in 50 (2023: 45) Rheinland-Pfalz Publikationen "al-Aqsa TV" (Fernsehsender) und Medien Ideologie, Die HAMAS (arabische Abkürzung für "Harakat al-Muqawama Programm, al-Islamiya", auf Deutsch: "Islamische Widerstandsbewegung") Strategie ist eine islamistische Organisation mit national ausgerichteter, antiisraelischer Agenda, die aus der "Muslimbruderschaft" hervorgegangen ist. Sie strebt die Errichtung eines islamischen palästinensischen Staates auf dem gesamten Territorium Israels an. Gegenüber Israel setzt die HAMAS militärische und terroristische Mittel ein. Die EU führt die HAMAS seit dem Jahr 2003 als Terrororganisation. Der Großangriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 markiert eine neue terroristische Dimension in der Geschichte der Organisation. Die HAMAS verfügt weltweit über Mitglieder. Im Ausland kümmern sie sich vor allem um Spendensammlungen, die Festigung des Einflusses auf die palästinensische Diaspora sowie um Lobbyund Öffentlichkeitsarbeit. Um rechtliche Konsequenzen zu umgehen, kommunizieren HAMAS-Aktivisten hierzulande ihre Verbindungen zur Mutterorganisation nicht nach außen. 200 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus HAMAS Ideologie, In Rheinland-Pfalz bestehen keine Strukturen. Indessen engagieren Programm, sich in unterschiedlichen Städten des Landes HAMAS-Anhänger Strategie für die Organisation, beispielsweise durch die Mitwirkung oder Teilnahme an HAMAS(-nahen) Kongressen sowie die Veröffentlichung von Propaganda im Internet. BetätigungsMit Verfügung vom 2. November 2023 hat das Bundesministerium verbot des Innern und für Heimat ein Betätigungsverbot gegen die HAMAS verhängt. Hiermit sind sämtliche Aktivitäten für die HAMAS verboten wie die Aufrechterhaltung oder Gründung von organisierten Strukturen der Organisation, finanzielle Unterstützungsleistungen oder die Verwendung ihrer Kennzeichen. 201 "Hizb Allah" Gründungsjahr 1982 im Libanon Sitz Beirut, Libanon Vorsitzende(r) Naim Kassim (seit Oktober 2024 neuer Generalsekretär) Anhänger-/ Mitgliederzahl in 100 (2023: 95) Rheinland-Pfalz Publikationen "al-Ahed News al-Intiqad" (Website), und Medien "al-Manar" (Fernsehsender) Ideologie, Die "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ist eine schiitisch-islamistische Programm, Organisation im Libanon. Sie besitzt Eigenschaften einer Partei, Strategie Wohlfahrtsorganisation, Miliz, Terrororganisation und eines kriminellen Netzwerks. Ihr militärischer Flügel befindet sich auf der EU-Terrorliste. An der Spitze der "Hizb Allah" stehen die Generalversammlung sowie der Generalsekretär. Diese Funktion hatte von 1992 bis zu seiner Tötung durch einen israelischen Luftangriff am 27. September 2024 Hassan Nasrallah inne. Die "Hizb Allah" bestreitet und bekämpft das Existenzrecht Israels. Seit der Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen der palästinensischen HAMAS und Israel im Oktober 2023 hat auch der Beschuss seitens der "Hizb Allah" aus dem Libanon auf Israel zugenommen. Daher ging das israelische Militär insbesondere von September bis November 2024 gegen die Organisation, ihr Führungspersonal und ihre kommunikative sowie militärische Infrastruktur vor und schwächte sie erheblich. 202 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus "Hizb Allah" Ideologie, Deutschland stellt für die "Hizb Allah" vorrangig einen Raum für Programm, logistische und finanzielle Unterstützungsleistungen dar. Ihre Strategie Anhängerschaft in Deutschland ist intern gut vernetzt. Nach außen ist sie darauf bedacht ist, nicht mit der "Hizb Allah" in Verbindung gebracht zu werden. VerbotsIm Jahr 2020 erließ das Bundesministerium des Innern, für Bau maßnahmen und Heimat ein Betätigungsverbot gegen die "Hizb Allah" in Deutschland. Im Frühjahr 2021 folgten Verbotsmaßnahmen gegen Ersatzorganisationen des im Jahr 2014 verbotenen "Hizb Allah"-Spendensammelvereins "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP). Hiervon war auch der Verein "Deutsche Libanesische Familie e.V." (DLF) in Ingelheim am Rhein betroffen. 203 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) Gründungsjahr 1953 in Jerusalem Sitz unbekannt Vorsitzende(r) Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin Anhänger-/ Mitgliederzahl in 10 (2023: nahestehende Einzelpersonen) Rheinland-Pfalz Publikationen Zeitungen/Zeitschriften: "al-Khilafa", "Hilafet", "Expliciet" und Medien Ideologisch "Realität Islam" (RI), nahestehende "Generation Islam" (GI), Gruppierungen "Muslim Interaktiv" (MI) Ideologie, Die in Deutschland seit dem Jahr 2003 mit einem BetätigungsProgramm, verbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") strebt die Strategie Errichtung eines panislamischen Staates unter der Führung eines Kalifen sowie der Scharia als Rechtsgrundlage an. Ab dem Jahr 2015 haben sich in Deutschland mehrere Gruppierungen und Initiativen herausgebildet, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Sie betreiben sowohl realweltlich als auch in sozialen Netzwerken eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Die Themen und deren Präsentation in sozialen Medien sind gezielt auf junge Musliminnen und Muslime zugeschnitten, die Rhetorik gegenüber Nichtmuslimen in hohem Maße konfrontativ. Die Strategie der genannten Gruppierungen, eine Art "identitäre" muslimische Bewegung zu etablieren, wird wesentlich durch ein eigenes Opfernarrativ und das Schüren eines antiwestlichen und antiisraelischen Feindbildes vorangetrieben. Dies wurde im April und Mai bei zwei Großkundgebungen von MI in Hamburg erneut deutlich. Rheinland-Pfalz war bislang kein Schauplatz von öffentlichen Versammlungen HuT-naher Gruppierungen. 204 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus "Kalifatsstaat" Gründungsjahr 1984 Sitz Vereinsstrukturen seit 2001 verboten; früherer Sitz in Köln Vorsitzende(r) Metin Kaplan, wohnhaft in der Türkei (nicht von allen "Kalifatsstaat"-Anhängern als Anführer akzeptiert) Anhängerzahl in 90 (2023: 110) Rheinland-Pfalz Ideologie, Die Lehre des "Kalifatsstaats" ist von einer strikten Ablehnung Programm, demokratischer Prinzipien und Institutionen geprägt. StattdesStrategie sen soll ein islamischer Staat mit der Scharia als Rechtsordnung und einem Kalifen als Staatsoberhaupt etabliert werden. Der "Kalifatsstaat" wurde im Jahr 2001 durch das Bundesministerium des Innern verboten. Das Vereinsverbot verhinderte in den Folgejahren zwar eine gesellschaftliche Einflussnahme über die eigene Anhängerschaft hinaus, nicht aber das Fortbestehen unterschwelliger Strukturen und Aktivitäten. Zu dessen Unterbindung fanden im Jahr 2022 umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen in sechs Bundesländern statt, darunter in RheinlandPfalz. Mittlerweile wurden drei Personen der verbotenen Vereinigung, zwei von ihnen aus Rheinland-Pfalz, zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Im Urteil wurde festgehalten, dass sie zur Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts des "Kalifatsstaats" beigetragen hatten, unter anderem mittels finanzieller Unterstützungsleistungen, der Vermittlung der "Kalifatsstaat"-Lehre und Ausrichtung von überregionalen Zusammenkünften von Mitgliedern der "Kalifatsstaat"-Bewegung. Zur Umsetzung ihrer Aktivitäten nutzten sie den "Sportund Kulturverein Bad Kreuznach e.V.". 205 "Muslimbruderschaft" Gründungsjahr 1928 in Ägypten, Aufbau von Strukturen in Deutschland ab 1958 Sitz Transnationale Bewegung Anhängerzahl in circa 50 (2023: circa 50) Rheinland-Pfalz Publikationen "Risalat al-Ikhwan" (wöchentlicher Blog), und Medien "al-Daawah Magazin" Ideologie, Der programmatische Kern der "Muslimbruderschaft" ist die Programm, Einheit von Religion und Staat, die nach ihrem Verständnis durch Strategie die Anwendung der islamischen Rechtsvorschriften anstelle weltlicher Gesetze verwirklicht werden soll. Der Gestaltungsfreiraum menschlichen Handelns wird dadurch erheblich eingeschränkt, was letztlich auf eine Zurückdrängung der legislativen Gewalt und Volkssouveränität hinausläuft. Angehörige der "Muslimbruderschaft" schufen in den zurückliegenden Jahrzehnten in Europa ein weitverzweigtes Netz von Moscheen, Instituten und Verbänden. Als wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" in Deutschland fungiert die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) mit Sitz in Berlin. In Rheinland-Pfalz sind Personen aktiv, die der Lehre der "Muslimbruderschaft" folgen und in ihr hiesiges organisatorisches Umfeld eingebunden sind. Ebenso liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne Moscheevereine Bezüge zur "Muslimbruderschaft" aufweisen und durch ihre Ideologie beeinflusst sind. Typisch ist das Engagement von Anhängern der "Muslimbruderschaft" im Bildungsbereich. Hierbei verfolgen sie die Absicht, ihre Zielgruppe im Sinne des Islamverständnisses der "Muslimbruderschaft" zu beeinflussen und sie zugleich zu Interessensvertretern hierzulande zu erziehen. 206 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Islamismus 207 EXTRE MISTISCH 208 BESTREB E EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN MIT AUSLANDSBEZUG (OHNE ISLAMISMUS) 1. Personenpotenzial S. 210 2. Überblick und Entwicklungen 2024 S. 211 SCHE 3. Gruppierungen und Strukturen S. 213 3.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) S. 213 3.2 "Graue Wölfe" ("Ülkücü"-Bewegung) S. 216 4. Ausblick S. 218 5. Kurzbeschreibungen S. 219 REBUN 209 1. PERSONENPOTENZIAL 2024 2023 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 450 450 Türkisch-rechtsextremistische Organisationen 280 280 Türkisch-linksextremistische Organisationen 50 50 EinzelEinzelPalästinensisch-linksextremistische Organisationen mitglieder mitglieder Gesamt 780 780 Die Zahlenangaben sind geschätzt und gerundet. 210 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus 2. ÜBERBLICK UND ENTWICKLUNGEN 2024 In Deutschland sind mehrere extremistische Organisationen aktiv, die ihren Ursprung im Ausland haben. Sie streben eine grundlegende Veränderung der dortigen politischen Verhältnisse an, teilweise mit gewaltsamen und terroristischen Mitteln. Hinsichtlich ihrer ideologischen Überzeugungen gibt es grundlegende Unterschiede. Einige Organisationen vertreten eine nationalistischrechtsextremistische, andere eine linksextremistische Ideologie, teilweise einhergehend mit separatistischen Zielsetzungen. INFORMATION Was sind auswärtige Belange? Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist auf ein friedliches Verhältnis zu anderen Staaten ausgerichtet. Ihre auswärtigen Belange, das heißt ihre öffentlichen Angelegenheiten und Interessen, wären jedoch beeinträchtigt, wenn von deutschem Boden Bestrebungen ausgingen, die gewaltsam die politischen Verhältnisse in einem anderen Staat verändern wollten. 211 Den Bearbeitungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes im Extremismus mit Auslandsbezug bilden Organisationen mit Bezug zur Türkei sowie extremistische palästinensische Gruppierungen. Die Organisationen nutzen Deutschland als einen aus ihrer Sicht sicheren Rückzugsraum, aus dem heraus sie ihre Strukturen im jeweiligen Herkunftsland propagandistisch, materiell und finanziell unterstützen können. Zudem versuchen sie, hierzulande neue Anhänger, Mitglieder und gegebenenfalls Kämpfer zu rekrutieren sowie öffentliche Lobbyarbeit für die eigenen Interessen zu betreiben. Durch ihr Handeln gefährden sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus richten sich ihre Aktivitäten zumeist gegen den Gedanken der Völkerverständigung des Grundgesetzes. Ebenso wie ihre Zielsetzung ist die Zusammensetzung dieser Gruppen häufig heterogen. Zu ihnen gehören neben Ausländern auch deutsche Staatsangehörige mit und in kleinerer Zahl ohne Migrationshintergrund. Letztere sind teilweise gleichzeitig in die (deutsche) linksextremistische Szene eingebunden. 212 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus 3. GRUPPIERUNGEN UND STRUKTUREN 3.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die 1978 in der Türkei gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) kämpft für eine erweiterte politische und kulturelle Eigenständigkeit innerhalb der angestammten kurdischen Siedlungsgebiete.1 Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die Organisation weiterhin eine Doppelstrategie: Während sie in der Türkei, der nordirakischen Grenzregion sowie im Norden Syriens mit ihren bewaffneten Einheiten gewalttätig agiert, nutzt sie Deutschland sowie andere westeuropäische Staaten primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Zudem versucht sich die PKK als legitimer Ansprechpartner und als alleinige Interessenvertretung der gesamten kurdischstämmigen Bevölkerung darzustellen. Zu diesen Zwecken unterhält die PKK in nahezu ganz Europa konspirativ agierende, hierarchisch aufgebaute Organisationsstrukturen. Daneben hat sie auf europäischer, bundesdeutscher, regionaler und lokaler Ebene Strukturen in Form von Organisationen und Vereinen etabliert. Diese treten offiziell zwar nicht unter der Bezeichnung PKK in Erscheinung. Allerdings liegen starke Anhaltspunkte für eine Beeinflussung und Steuerung dieser "Fassadenstrukturen" durch den konspirativen, illegal tätigen Funktionärsapparat der PKK vor. Dies hat 1 Kurdische Siedlungsgebiete befinden sich in den Staaten Irak, Iran, Syrien und Türkei. 213 konkrete Auswirkungen auf die Indoktrinierung, die Organisation von Spendenkampagnen sowie auf Kundgebungen zugunsten der PKK und ihres Anführers Abdullah Öcalan. Hiermit sind zugleich die wichtigsten Aktionsfelder der PKK umrissen. Als Dachverband dieser PKK-nahen Strukturen in Deutschland fungiert die "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED). Ihr sind fünf regionale Föderationen nachgeordnet. Das "Demokratisch-Kurdische Gesellschaftszentrum Mainz e.V." und das "Kurdische Gemeinschaftszentrum Ludwigshafen/Mannheim e.V." gehören einer dieser Föderationen, der "Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V." (FCDK-KAWA), an. Ferner unterhält die PKK für bestimmte Bevölkerungsgruppen, beispielsweise Studierende, Jugendliche oder für Frauen eigene Organisationseinheiten. Wie in den vergangenen Jahren nutzte die PKK öffentlichkeitswirksame Kundgebungen, Mahnwachen und (Groß-)Veranstaltungen, um ihre politischen Botschaften zu platzieren, den inneren Zusammenhalt der Organisation und ihrer Mitglieder zu stärken sowie unter der kurdischstämmigen Bevölkerung neue Anhänger für die PKK zu gewinnen. Zu nennen sind hierbei unter anderem folgende Veranstaltungen: # Großdemonstrationen für die Freiheit von Abdullah Öcalan am 17. Februar und 16. November in Köln; # "18. Zilan-Frauenfestival" am 15. Juni in Duisburg; als Namensgeberin des Festivals dient Zeynep Kinaci alias Demonstration in Köln. Quelle: ANF, 16. November 2024 Zilan, die sich 1996 bei einer Militärparade in der türkischen Stadt Tunceli in die Luft sprengte; 214 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus # "Langer Marsch" der PKK-Jugend vom 15. bis 20. September in NordrheinWestfalen mit Abschluss in Frankfurt am Main; # 32. Internationales Kurdisches Kulturfestival am 21. September in Frankfurt am Main unter dem Motto "Isolation und Besatzung zerschlagen - Freiheit für Abdullah Öcalan". Wenngleich die von der PKK und von PKK-nahen Organisationen durchgeführten Veranstaltungen in Deutschland zumeist friedlich verlaufen, so ist Gewalt in bildlichen Darstellungen, in der Rhetorik und im Tätigkeitsspektrum der PKK nach wie vor ein Faktor. In der Türkei verübte eine PKK-Untergruppierung mit der Bezeichnung "Bataillon der Unsterblichen" am 23. Oktober einen Terroranschlag auf den Rüstungskonzern TUSAS bei Ankara. Hierbei wurden fünf Mitarbeiter des Konzerns getötet sowie weitere verletzt. Bei einer Demonstration in Köln am 16. November wurden die beiden Attentäter auf einem Banner als Vorbilder präsentiert sowie in PKK-Medien als "Märtyrer" verehrt. "Leistet überall, wo es Faschismus und Faschisten gibt Widerstand! Verbrennt ihre Autos [...] Es ist höchste Zeit, [...] mit dem Kampf zu beginnen, mit den Aktionen zu beginnen [...] Kommt in die Berge Kurdistans; Kommt zum Freiheitskampf [...]" PKK-Jugendzeitschrift "Sterka Ciwan", April 2024, S. 15-16 In Hannover griffen Anhänger und Sympathisanten der PKK das türkische Generalkonsulat am 26. März mit Steinen und Eisenstangen an. Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen zwischen kurdischstämmigen Personen und mutmaßlichen türkischstämmigen Nationalisten anlässlich des kurdischen 215 Neujahrsfestes ("Newroz") in Belgien, bei denen mehrere Personen einer kurdischstämmigen Familie teilweise schwer verletzt wurden. In Deutschland wurden in den sozialen Medien daraufhin Aufrufe an die kurdische Gemeinschaft zur Mobilisierung und Durchführung spontaner Versammlungen verbreitet. In vielen deutschen Städten kam es zu Versammlungen, bei denen zum Teil PKK-Parolen skandiert und ein Verbot der türkisch-nationalistischen "Grauen Wölfe" gefordert wurden. 3.2 "Graue Wölfe" ("Ülkücü"-Bewegung) Hinter dem Begriff "Graue Wölfe" steht eine türkisch-nationalistische Bewegung, die sich aus mehreren Parteien in der Türkei, Organisationen und weiteren Akteuren zusammensetzt. Die Bewegung ist durch eine Überhöhung des türkischen Volkes und der türkischen Nation geprägt, Türkisches Großreich "Turan" als Ziel. ferner durch Autoritarismus. Langfristiges Ziel ist Quelle: Facebook die Vereinigung aller Turk-Völker in einem Großreich "Turan" (pantürkisches Gedankengut). Gegenüber anderen Völkern in der Region, Armeniern und Kurden, existieren in der Anhängerschaft der "Grauen Wölfe" tradierte Feindbilder. Die Vordenker der Bewegung definierten zudem die Juden als "heimlichen Feind aller Völker". Angehörige der Bewegung begreifen sich selbst als Idealisten, im Türkischen ülkücüler. Anhänger der "Grauen Wölfe" sind in der Türkei durch die "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP, Milliyetci Hareket Partisi) an der bestehenden Regierungskoalition beteiligt und bestimmen den dortigen politischen Kurs mit. Der teilweise konfrontative Ton des MHP-Vorsitzenden beeinflusst auch die in Deutschland lebenden Parteianhänger. In unregelmäßigen Abständen sind zudem deutsche Politiker türkischer und kurdischer Abstammung mit einer 216 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus kritischen Haltung gegenüber der Türkei Anfeindungen aus diesem Spektrum ausgesetzt. Das Potenzial für Konflikte zwischen türkischund kurdischstämmigen Personen sowie zwischen Anhängern und Oppositionellen der türkischen Regierung hierzulande bleibt weiterhin bestehen. Als Deutschland-Organisation der MHP fungiert die "Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF). Sie ist darum bemüht, in der Öffentlichkeit hierzulande als rechtskonforme, integrationswillige und gewaltablehnende Organisation wahrgenommen zu werden, die sich gegen Rassismus und für kulturelle Verständigung einsetzt. Tatsächlich aber steht die ADÜTDF auf derselben ideologischen Grundlage wie die MHP und ist mit ihr verflochten. Öffentlichkeitswirksam präsentiert die ADÜTDF Zusammenkünfte zwischen ihren Angehörigen und MHP-Vertretern. Der MHP eröffnen solche Zusammenkünfte die Möglichkeit, ihre politischen Interessen in türkische Gemeinden in Deutschland zu tragen. Das bekannteste Erkennungszeichen der Bewegung ist der graue Wolf und der daraus abgeleitete Wolfsgruß. Diese Handgeste sorgte im Berichtsjahr mehrmals für öffentliche Aufmerksamkeit, insbesondere während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Dort zeigte zunächst ein Spieler der türkischen Nationalmannschaft während seines Torjubels auf dem Platz medienwirksam den Gruß. Nach dessen Sperre durch die UEFA zeigten beim Folgespiel der türkischen Nationalmannschaft Hunderte türkische und Türkei-stämmige Fans den Wolfsgruß. Der "Wolfsgruß" als Erkennungszeichen Während des Interkulturellen Fests der Stadt Mainz am 8. September fielen mehrere Personen am Stand des "Türkischen Islamischen Kulturvereins Mainz e.V.", welcher dem Dachverband ADÜTDF angehört, mit dem Wolfsgruß auf. Ein entsprechendes Gruppenfoto wurde auf dem Instagram-Account des Vereins veröffentlicht. 217 Wenngleich der Wolfsgruß ein Bekenntnis zur "Ülkücü-Bewegung" darstellt, ist er nicht exklusiv in dieser Szene verbreitet. Er wird auch im allgemeineren Sinne als patriotische Geste zugunsten der Türkei verwendet. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz bewertet den Wolfsgruß deshalb nur als extremistisch, wenn zusätzliche Anhaltspunkte und Merkmale vorliegen. Beim geschilderten Vorfall in Mainz ist dies der Fall. 4. AUSBLICK Die unterschiedlichen Konfliktlinien in Nahost werden weiterhin Auswirkungen auf Stimmungen und Aktivitäten im auslandsbezogenen Extremismus haben, insbesondere im Hinblick auf ihre Propagandaaktivitäten. Zu nennen sind hierbei insbesondere palästinensische extremistische Gruppierungen sowie Angehörige der PKK und PKK-naher Organisationen in Nordsyrien. Die seit November 2024 veränderten Machtverhältnisse in Syrien haben in den kurdisch besiedelten nördlichen Regionen des Landes zu verstärkten Angriffen des türkischen Militärs gegen die dortigen "Syrian Democratic Forces" (SDF) geführt. Diese werden von Kurden dominiert, die teilweise der PKK nahestehen. Es bleibt abzuwarten, ob die militärischen Aktivitäten Ankaras zu einer umfassenderen Konfrontation zwischen dem türkischen Staat und Militär einerseits sowie der PKK andererseits führen werden. In der Türkei selbst wurden Anfang des Jahres 2025 erste Schritte für einen möglichen Aussöhnungsprozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat eingeleitet, insbesondere durch ÖCALANs Aufruf zur Auflösung der PKK und zur Niederlegung der Waffen. Derzeit kann nicht prognostiziert werden, ob die Organisation diesem Aufruf tatsächlich nachkommen wird und welche Zugeständnisse umgekehrt die türkische Regierung gegenüber der kurdischen Bevölkerung und ihren Interessensvertretern machen wird. 218 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus 5. KURZBESCHREIBUNGEN "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan", PKK) seit 2007 offiziell "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan", KCK) Gründungsjahr 1978 in der Türkei Leitung Abdullah Öcalan (seit 1999 in der Türkei inhaftiert), seither vor allem ideelle Führungsfigur, faktische Leitung durch im Ausland befindliche Gruppe von Führungskadern Mitgliederzahl in circa 450 (2023: circa 450) Rheinland-Pfalz Publikationen "Firat News Agency" (Nachrichtenagentur), "Yeni Özgür Politika" und Medien (Tageszeitung), "Serxwebun" und "Sterka Ciwan" (Monatszeitungen), "Sterk TV" (Fernsehsender), Teilund "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans Nebenin Europa" (KCDK-E), europäische Dachorganisation; "Konfödeorganisationen ration der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED), Dachorganisation PKK-naher Vereine in Deutschland; "Föderation der Demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V." Hessen-Saarland (unter Einschluss von Rheinland-Pfalz, FCDK-KAWA); "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, HPG), militärischer Arm in der Türkei Betätigungsseit 22. November 1993 durch Bundesminister des Innern verbot (bestandskräftig seit 26. März 1994) Einstufung als Terrorseit 2. Mai 2002 in der EU organisation 219 "Graue Wölfe" ("Ülkücü-Bewegung") Mitgliederzahl in circa 280 (2023: 280) Rheinland-Pfalz Publikationen "Bülten" (unregelmäßig) und Medien Verbandliche "Föderation der Türkisch-Demokratischen Strukturen in Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) Deutschland "Föderation der Weltordnung in Europa" (ANF) Ideologie, Unter dem Oberbegriff "Graue Wölfe" werden Anhänger einer Programm, türkisch-nationalistischen, rechtsextremistischen Ideologie Strategie bezeichnet. Sie haben bundesweit circa 12.500 Mitglieder, Anhänger und Unterstützer. Die Personen sind mehrheitlich in Vereinen des bundesweiten Dachverbandes ADÜTDF organisiert. Bei dem stärker religiös ausgerichteten Dachverband ANF, der seinen Sitz in Ludwigshafen am Rhein hat, handelt es sich um die Europaorganisation der extrem-nationalistischen türkischen "Partei der Großen Einheit" (BBP). Die Dachverbände und ihre angeschlossenen Vereine führen vor allem kulturelle, religiöse und sportliche Veranstaltungen durch. Diese dienen unter anderem dem Zweck, neue Mitglieder zu werben und an die Ideologie heranzuführen sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Szene zu stärken. Neben den festen Organisationsstrukturen besteht die "Ülkücü"-Bewegung aus einer kleineren unorganisierten Szene. Sie setzt sich größtenteils aus internetaffinen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen, die vor allem über soziale Netzwerke miteinander in Kontakt stehen. Dort pflegen sie ihre Feindbilder und agieren mit Hass-Postings gegen ihre "Feinde". Sie fallen durch Störaktionen am Rande von Veranstaltungen und Kundgebungen kurdischer, mitunter PKK-naher Gruppen auf. Vereinzelt nehmen sie an pro-palästinensischen Demonstrationen teil. 220 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung 1994 in Damaskus, Syrien Vorsitzende(r) Gruppe von Führungskadern Mitgliederzahl in 20 (2023: 20) Rheinland-Pfalz Publikationen "Halk Okulu" (wöchentlich), "Devrimci Sol" (unregelmäßig), und Medien "Bizim Genclik" (unregelmäßig) Ideologie, Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C ("Devrimci Programm, Halk Kurtulus Partisi - Cephesi") verfolgt die gewaltsame Strategie Zerschlagung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei und strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus an. Hierbei verübte sie in der Vergangenheit, insbesondere zwischen 2012 und 2016, terroristische Anschläge in der Türkei. In Deutschland ist die DHKP-C seit 1998 verboten. Da sie aufgrund dieses Vereinsverbots nicht offen agieren kann, tritt sie unter Tarnbezeichnungen wie "Halk Cephesi" (Volksfront) oder "Halk Meclisi" (Volksrat) auf. Die Mitglieder konzentrieren sich vorwiegend auf finanzielle Unterstützungsleistungen sowie Propagandaaktivitäten. Am 25. November 2024 wurden drei DHKP-C-Funktionäre wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu Freiheitsstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig (Stand: Redaktionsschluss). Sonstiges Die DHKP-C befindet sich seit 2002 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. 221 Linksextremistische palästinensische Organisationen Mitgliederzahl in Einzelmitglieder (2023: Einzelmitglieder) Rheinland-Pfalz Organisationen "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), "Samidoun" Ideologie, Linksextremistische palästinensische Organisationen bestreiten Programm, das Existenzrecht Israels und propagieren den bewaffneten Kampf Strategie gegen Israel, den sie in der Nahostregion teilweise aktiv betreiben. Seit ihrer Gründung im Jahr 1967 zählt die PFLP zum Spektrum der terroristischen palästinensischen Organisationen. Sie verfolgt das Ziel eines palästinensischen Staates in den historischen Grenzen Palästinas vor Gründung des Staates Israel. Hierzu propagiert die PFLP den bewaffneten Kampf gegen Israel und unterhält einen eigenen militärischen Arm, die "Abu-Ali-Mustafa-Brigaden". Im Verlauf des Gaza-Krieges unterstützte sie die von der HAMAS angeführte Operation "Al-Aqsa-Flut" gegen Israel und rief zur Ausweitung des Kampfes gegen den "Feind" auf. In Deutschland agiert die PFLP nicht terroristisch. Mit circa 100 Anhängern und Mitgliedern versucht sie vor allem, politische Unterstützung für ihre Anliegen zu erlangen. Hierzu nutzt sie ihre Kontakte zu anderen pro-palästinensischen Gruppierungen, darunter auch aus dem Spektrum des deutschen Linksextremismus. In enger Verbindung zur PFLP steht die Gruppierung "Samidoun - Palestinian Solidarity Network" ("Samidoun - Palästinensisches Solidaritätsnetzwerk"). Sie wurde 2011 gegründet und hat ihren Hauptsitz in den USA. Das offizielle Ziel von "Samidoun" ist es, palästinensische Gefangene in ihrem Kampf um Freilassung aus zumeist israelischen Gefängnissen zu unterstützen. Die Gefangenen weisen in vielen Fällen Verbindungen zur PFLP auf. Im Ergebnis setzt sich "Samidoun" auch für Personen ein, die wegen Terroranschlägen gegen die israelische Zivilbevölkerung verurteilt wurden. 222 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Auslandsbezogener Extremismus Linksextremistische palästinensische Organisationen Ideologie, Die Vereinigung tritt vor allem propagandistisch in Erscheinung. Programm, Gemäß ihrem Verständnis unterliegt Palästina vom Fluss Jordan Strategie bis zum Mittelmeer einer israelischen Besatzung, die es zu bekämpfen gelte, auch mittels Gewaltanwendung. Der Schwerpunkt der Aktivitäten von "Samidoun" lag in den vergangenen Jahren in Berlin. Vereinzelt konnten Bezüge nach Rheinland-Pfalz festgestellt werden. Verbot Am 2. November 2023 erließ das Bundesministerium des Innern und für Heimat ein Betätigungsverbot gegen das internationale Netzwerk "Samidoun" in Deutschland sowie ein Vereinsverbot der gebietlichen Teilorganisation "Samidoun Deutschland". In Deutschland betätigt sich "Samidoun" auch unter der Bezeichnung "HIRAK - Palestinian Youth Mobilization Jugendbewegung (Germany)" und "Hirak e.V.". In der Verbotsverfügung wurde unter anderem festgehalten, dass sich "Samidoun" gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte sowie die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Sonstiges Die PFLP steht seit 2002 auf der Terrorliste der Europäischen Union. 223 SPIONA ABWEHR 224 UND CYB NAGE SPIONAGEABWEHR UND CYBERSICHERHEIT 1. Allgemeine Lage S. 226 2. Aufgaben der Spionageabwehr S. 228 2.1 Spionageabwehr S. 228 EHR 2.2 Proliferation S. 239 2.3 Wirtschaftsspionage und -sabotage S. 239 2.4 Angebote der Spionageprävention S. 241 2.5 Cyberangriffe, Datenspionage und -sabotage S. 242 CYBER 225 1. ALLGEMEINE LAGE Die Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch Spionage, Sabotage, Einflussnahme und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten fremder Staaten ist - angesichts der zugespitzten Weltlage und insbesondere aufgrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine - als sehr hoch einzuschätzen. Nachrichtendienste autoritär regierter Staaten versuchen, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär anderer Länder umfassend auszuforschen. Zudem beobachten und bedrohen sie zum Teil Personen und Organisationen, die in Opposition zu ihren Regierungen stehen. Spionageziele und -methoden haben sich seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges verändert. Die von der EU verhängten Sanktionen tragen dazu bei, dass wissenschaftlich-technologische Ressourcen Deutschlands stärker in den Fokus russischer Dienste rücken. Möglichkeiten zum illegalen Gütertransfer werden erkundet und Firmen zur Proliferationsumgehung gewonnen. Militäreinrichtungen und kritische Infrastruktur sind besonders gefährdet, ausspioniert und Ziele von Sabotageaktionen zu werden. Aufgrund der Ausweisung einer Vielzahl russischer Diplomaten aus Europa und der Schließung von Konsulaten hat Russland seine Spionagestrategien geändert. Erste Erkenntnisse zeigen, dass sich Russland "Low-Level-Agenten" für Ausspähaktionen sowie zur Vorbereitung möglicher Sabotageakte bedient. Hierbei 226 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit handelt es sich nicht um ausgebildete Angehörige eines Nachrichtendienstes, sondern um kurzfristig angeworbene Personen. Sie werden hauptsächlich über soziale Netzwerke rekrutiert und auftragsbezogen bezahlt. Der Vorteil dieses Vorgehens für die Auftraggeber liegt darin, dass sich der Bezug zum fremden Nachrichtendienst nur schwer nachweisen lässt und die Anwerbung - zum Beispiel über das Internet - bedarfsabhängig vergleichsweise schnell durchgeführt werden kann. Neben dem Einsatz menschlicher Quellen zur Informationsgewinnung (Human Intelligence) setzen Nachrichtendienste fremder Staaten immer mehr auf die Sammlung elektronischer Daten, die offen zugänglich sind oder die sie durch Cyberattacken illegal beschaffen (Cyber Intelligence). Diese Angriffe sind nicht nur zahlreicher geworden, sondern auch komplexer und professioneller. Mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) können Cyberangriffe deutlich optimiert und leichter durchgeführt werden. Um gesellschaftliche Gruppen zu beeinflussen, bedienen sich insbesondere die Nachrichtendienste Russlands und Chinas der sozialen Medien. Deutschland ist von solchen Versuchen zunehmend betroffen, wie sich insbesondere im RusslandUkraine-Krieg zeigt. Mittels gezielter Propaganda und Desinformationskampagnen werden Meldungen verbreitet, deren Ziel es ist, die Gesellschaft zu verunsichern und gesellschaftliche sowie politische Meinungsbildungsund Entscheidungsprozesse zum Schaden demokratischer Strukturen zu beeinflussen. 227 2. AUFGABEN DER SPIONAGEABWEHR 2.1 Spionageabwehr Die Spionageabwehr geht insbesondere allen tatsächlichen Anhaltspunkten für geheimdienstliche Tätigkeiten nach. Dabei steht der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz in einem kontinuierlichen Austausch mit den Nachrichtendiensten des Bundes und den Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer. Ziel ist es, illegale Aktivitäten fremder Mächte aufzuklären und zu verhindern. Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland sind die Russische Föderation, die Volksrepublik China und der Iran. Aber auch Nachrichtendienste anderer Staaten wie beispielsweise der Türkei sind hier aktiv. Russische Nachrichtendienste Als vorrangige Aufklärungsfelder der russischen Nachrichtendienste gelten weiterhin alle Politikfelder mit möglichen Auswirkungen auf Russland, insbesondere die Bündnisund Außenpolitik sowie die Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage. 228 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Wichtige Nachrichtendienste Russlands SWR Ziviler Auslandsnachrichtendienst (Slushba Wneschnej Raswedki) # Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie; # Ausforschung westlicher Nachrichtendienste; # elektronische Fernmeldeaufklärung; # Proliferationsund Terrorismusbekämpfung; # rund 15.000 Mitarbeiter FSB Inlandsnachrichtendienst (Federalnaja Slushba Besopasnosti) # Spionageabwehr; # Oppositionsausspähung; # Bekämpfung von Extremismus, Terrorismus und Organisierter Kriminalität; # Sicherung der Staatsgrenzen; # rund 350.000 Mitarbeiter (inklusive Grenzschutztruppen) GRU Militärischer Auslandsnachrichtendienst (Glawnoje Raswedywatelnoje # Informationsbeschaffung in den Bereichen Uprawlemije) Militärund Sicherheitspolitik sowie militärisch nutzbare Technologien; # rund 12.000 Mitarbeiter 229 Grundsätzlich erfolgt die Steuerung russischer nachrichtendienstlicher Operationen direkt aus Moskau oder aus Legalresidenturen in den diplomatischen Vertretungen. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurden eine große Zahl russischer Diplomaten aus Europa ausgewiesen und mehrere Generalkonsulate geschlossen. Seit Beginn des Jahres 2024 stehen für nachrichtendienstliche Aktivitäten nur noch die Botschaft in Berlin sowie das Generalkonsulat in Bonn zur Verfügung. Für die russischen Nachrichtendienste hatte dies zur Folge, dass sie ihre bisherigen Vorgehensweisen verändern mussten. Seit Kriegsbeginn wurden zudem schrittweise umfassende Finanzund Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschlossen, wodurch russische Netzwerke vermehrt konspirative Methoden verwenden müssen, um die bestehenden Sanktionen zu umgehen. So wird verstärkt versucht, Lieferungen über Drittländer abzuwickeln, die sich nicht an den Sanktionen beteiligen. Die Bundeswehr bildet seit Sommer 2022 ukrainische Soldaten aus und Deutschland dient für einen bedeutenden Teil der Materialsowie Rüstungslieferungen an die Ukraine als Transitland. Mit der Ramstein Air Base befindet sich die zentrale europäische Drehscheibe für Frachtund Truppentransporte des US-Militärs in Rheinland-Pfalz. Daneben sind auch weitere Militärstandorte im Land für russische Nachrichtendienste von Interesse. Im Jahr 2024 nahmen bundesweit Drohnensichtungen im Umfeld von solchen militärischen Einrichtungen deutlich zu, die als Ausspähung gewertet werden können. Bundesund Landessicherheitsbehörden befassen sich intensiv mit deren Detektion und Abwehr. 230 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Auch die Bestrebungen Russlands, mittels Desinformation die Meinungsbildung in Deutschland in seinem Sinne zu beeinflussen und das demokratische System zu unterminieren, dauern unvermindert an. So wird durch staatliche oder halbstaatliche Medien, auf Videoplattformen und mittels sozialer Medien einseitig pro-russische Propaganda verbreitet und versucht, den Angriff auf die Ukraine zu legitimieren, indem sich Russland als Opfer darstellt. Eine besondere Rolle bei der Verbreitung von solchen Narrativen spielt der Messengerdienst Telegram. Zudem häufen sich Fälle sogenannter Deepfakes, mutmaßlich von Russland verbreitet und mittels KI generiert. Beispielsweise werden auf diese Weise manipulierte Tonoder Videodateien geschaffen, um bei Telefonoder Videoanrufen dem Gesprächspartner eine falsche Identität vorzuspielen. Angesichts des rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der KI wird die Unterscheidung zwischen "Original" und "Fake" immer schwieriger. Chinesische Nachrichtendienste Chinas Nachrichtendienste sind mit umfassenden Befugnissen ausgestattet und unterliegen keinerlei rechtsstaatlichen Beschränkungen. Die wichtigsten Nachrichtendienste sind das "Ministerium für Staatssicherheit", das "Ministerium für öffentliche Sicherheit", das "Military Intelligence Directorate" und das "Büro 610". 231 Wichtige Nachrichtendienste der Volksrepublik China MSS Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst (Ministry of State Security/Ministerium # Spionage in den Bereichen Politik, für Staatssicherheit) Wirtschaft und Wissenschaft; # Spionageabwehr; # Oppositionsausspähung; # Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung; # weltweit größter ziviler Nachrichtendienst MÖS/MPS # Das "Polizeiministerium" kann auf die (Ministerium für Polizei sowie auf eigene nachrichtenöffentliche Sicherdienstliche Spezialeinheiten zurückgreifen. heit/Ministry of # Ausspähung von Staatsgefährdern; Public Security) # Zensur von Medien und Internet; # Militärische und nachrichtendienstliche Auslandsmissionen MID Militärischer Inund Auslandsnachrichten(Military Intelligence dienst Directorate) # Aufklärung insbesondere fremder Streitkräfte; # Entsendung von Militärattaches sowie Kontakt zu ausländischen Streitkräften Büro 610 Institution der KPCh Beobachtung und Verfolgung der Falun Gong-Bewegung im Inund Ausland 232 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Die Volksrepublik China verfolgt das Ziel, ihren weltweiten Einfluss in allen Bereichen zu stärken, sei es militärisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, technologisch, normativ oder politisch-ideologisch. Insbesondere arbeitet China konsequent darauf hin, die Vereinigten Staaten von Amerika als führende Weltmacht abzulösen. Die Schwerpunkte der chinesischen Nachrichtendienste ergeben sich aus den jeweiligen staatlichen Fünfjahresplänen, die den Willen und die Ziele der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) spiegeln. Der Fokus der Ausspähung liegt insbesondere auf politischen Entscheidungsprozessen sowie den Bereichen Technologie und Wirtschaft. Klassische Aufklärungsziele sind darüber hinaus die sogenannten Fünf Gifte: Die Meditationsbewegung Falun Gong1 und deren Angehörige, die Mitglieder der Demokratiebewegung, die Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Uiguren und der Tibeter. Das Interesse gilt auch den Aktivitäten der in Deutschland lebenden Auslandsgemeinde. Das Geheimdienstgesetz der Volksrepublik China sieht vor, dass alle Organisationen und Bürger des Staates die Geheimdienstbehörden unterstützen und mit diesen kooperieren sollen. Den genannten Behörden wird die Befugnis eingeräumt, Organe, Organisationen und Bürger um Unterstützung, Hilfe und Kooperation zu ersuchen. Somit können quasi alle Chinesinnen und Chinesen zur Zusammenarbeit mit chinesischen Sicherheitsbehörden verpflichtet werden. Dies gilt auch für Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler an deutschen Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen. 1 Bei der Falun Gong-Bewegung handelt es sich um eine ursprünglich unpolitische spirituelle Bewegung. Seit 1999 kritisiert sie allerdings öffentlich mit weltweiten Aktionen auch die chinesische Staatsführung. Seither sieht sie sich der Verfolgung durch chinesische Behörden ausgesetzt. 233 Gemäß der China-Strategie der Bundesregierung sind Deutschland und China aktuell gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemische Rivalen. Offizielle Kooperationen und Investitionen sowie Einflussnahme-, Desinformationsund Spionageaktivitäten von chinesischer Seite gehen teilweise fließend ineinander über. Etablierte chinesische Strategien wie gezielte Firmenübernahmen werden angesichts strengerer Kontrollmechanismen vermehrt durch Lizenzmodelle ersetzt, um Spezialwissen und sensible Technologien zu akquirieren. Chinesische Investitionen in Deutschland können zu wirtschaftlichen Abhängigkeiten führen, die bei Bedarf als Hebel für politische Zugeständnisse eingesetzt werden können. Als Beispiel hierzu dienen etwa Investitionen im Rahmen der "Belt and Road Initiative" (BRI). Diese ist Teil der außenpolitischen Neuorientierung Chinas und besteht aus zwei Großvorhaben. Einerseits werden große Investitionen in Infrastrukturprojekte auf dem Landweg getätigt, zum Beispiel in neue Straßen, Schienen, oder Pipelines. Andererseits sollen im Rahmen der sogenannten maritimen Seidenstraße auch Handelsrouten zur See erschlossen werden. Dafür werden weltweit neue Häfen gebaut oder in bereits bestehende investiert. Mittels Fake-Profilen in sozialen Medien versuchen chinesische Nachrichtendienste, hochrangige Mitarbeiter aus Politik und Verwaltung, Industrie, Militär sowie Forschung und Entwicklung zu kontaktieren und zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Diese anonyme Form der Kontaktaufnahme ermöglicht es China, ohne hohen Aufwand und kostengünstig im Ausland Verbindungen zu knüpfen. Dies Vorgehen zielt zudem darauf ab, deutsche Entscheidungsträger als "Lobbyisten" zu gewinnen. Vor Reisen nach China müssen im digitalen Visumantrag ausführliche Angaben zur Person gemacht werden. Die örtlichen Sicherheitsbehörden filtern so Personen heraus, die ein für sie interessantes Profil haben. Nach der Einreise können Überwachungsmaßnahmen oder Anwerbungsversuche erfolgen. Insbesondere für regimekritische Reisende erhöht sich somit das Repressionsrisiko. 234 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Iranische Spionageaktivitäten in Deutschland Die Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran sind seit Jahren immer stärker in Europa und der Bundesrepublik Deutschland aktiv. Als wichtige Instrumente der politischen Führung agieren hier vor allem das iranische Nachrichtenministerium "MOIS (Ministry of Intelligence)" sowie die "Quds Force", eine nachrichtendienstlich agierende Spezialeinheit der Iranischen Revolutionsgarden. Eine Abteilung des MOIS sowie einzelne Personen stehen auf der EU-Terrorliste. Die "Quds Force" wird von den USA als Terrororganisation eingestuft. Iranische Nachrichtendienste gelten als Urheber diverser staatsterroristischer Operationen weltweit. Primäre Aufklärungsziele der iranischen Nachrichtendienste im Ausland sind politische und militärische Erkenntnisse sowie Informationen aus Wirtschaftsunternehmen und wissenschaftlichen Institutionen westlicher Staaten. Darüber hinaus gehört die gezielte Ausspähung oppositioneller Gruppierungen im Ausland sowie die Aufklärung israelischer beziehungsweise jüdischer Ziele, unter anderem auch in Deutschland, zu den Schwerpunktaufgaben iranischer Nachrichtendienste. Seit 2018 sind gegen 24 mutmaßliche iranische Agentinnen und Agenten in Deutschland neun Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Seit dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel im Oktober 2023 und dem infolgedessen wieder aufgeflammten Nahostkonflikt offenbart der Iran wiederholt öffentlich seine antisemitische und israelfeindliche Haltung. Dies äußert sich unter anderem in der finanziellen und militärischen Unterstützung antiisraelischer Milizen und Gruppierungen. Der Iran hat sich mittlerweile neben Russland, China und Nordkorea als weiterer ernst zu nehmender Akteur auf dem Feld der Cyberspionage etabliert. In den vergangenen Jahren wurden in verschiedenen westlichen Staaten verstärkte iranische Cyberangriffe auf diverse Ziele festgestellt. Hiervon waren unter anderem deutsche Universitäten betroffen. Darüber hinaus wurde der weit 235 verbreitete Instant Messenger "Telegram" vermutlich von iranischen Behörden oder Nachrichtendiensten dazu benutzt, Angehörige der iranischen Opposition im Ausland zu überwachen. Wichtige Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran MOIS Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst (Ministry of Intelligence of the Islamic # Beobachtung der Opposition im Inund Republic of Iran) Ausland; # Auslandsaufklärung mit Fokus auf Politik, Militär, Wirtschaft und Forschung Quds Force Militärische Spezialeinheit der Iranischen (Quds-Brigaden)2 Revolutionsgarden # Militärische und nachrichtendienstliche Auslandsmissionen; # Ausspähung israelischer und pro-jüdischer Ziele im Ausland 2 "Jerusalem Force" (Logo der Iranischen Revolutionsgarden). 236 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Türkische Nachrichtendienste Deutschland ist eines der vorrangigen Ausforschungsziele für den türkischen Inund Auslandsnachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) außerhalb der Türkei. Als größter von mehreren Nachrichtendiensten hat er in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale Rolle inne und verfügt über weitreichende Exekutivbefugnisse. Er ist dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt unterstellt und dient der türkischen Regierung unter anderem zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und zur Informationsbeschaffung. In deutschen und rheinland-pfälzischen Gemeinden sind für die Türkei vor allem Strukturen von Organisationen interessant, die dort als extremistisch oder terroristisch definiert werden. Dies gilt auch für Vereinigungen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Im besonderen Fokus stehen hierbei die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und die Anhängerschaft des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 haben Denunziationen, Ausspähungen und Bespitzelungen zugunsten des MIT deutlich zugenommen - auch in Rheinland-Pfalz. Verschiedene Zuträger melden Oppositionelle an die konsularischen Vertretungen der Türkei, in denen der MIT Legalresidenturen unterhält. Begleitet werden die Maßnahmen des türkischen Nachrichtendienstes durch Aktivitäten staatsbeziehungsweise regierungsnaher Organisationen. Diese werben für die türkische Politik in Deutschland und nehmen Einfluss auf türkischstämmige Gemeinschaften. Auf diese Weise versuchen sie, Meinungsbildungsprozesse zu steuern und in ihrem Sinne auf die gesellschaftliche sowie politische Ebene einzuwirken. 237 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang insbesondere der größte Interessensverband, die "Union of International Democrats" (UID). Sie verfügt in Deutschland über ein erhebliches Mobilisierungspotenzial und ist aufgrund personeller und struktureller Verflechtungen mit der türkischen Regierung als Vorfeldund Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP anzusehen. Nachrichtendienst der Türkei MIT Inund Auslandsnachrichtendienst (Milli Istihbarat Teskilati) # Oppositionsausspähung; # Weitere Aufklärungsziele sind vor allem wirtschaftliche, politische, militärische und technologische Themen; # 8.000 bis 9.000 hauptamtliche Mitarbeiter Nachrichtendienste anderer Staaten Auch andere Staaten entfalten in unterschiedlicher Intensität auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach deutschem Recht gesetzeswidrige geheimdienstliche Bestrebungen, die von Spionage im "klassischen" Sinn bis zur Ausspähung Oppositioneller reichen. Insbesondere die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika haben ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland forciert. Als Versuch der Rechtfertigung bagatellisieren die Dienste ihre illegalen Methoden als "Beitrag zur internationalen Terrorismusbekämpfung". 238 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit 2.2 Proliferation Ein wichtiger Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes ist die Aufklärung und Verhinderung der Versuche sogenannter kritischer Staaten3, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und der benötigten Trägertechnologie sowie des entsprechenden Know-how zu gelangen. Da sie zur Entwicklung und Herstellung häufig nicht in der Lage sind, versuchen diese Staaten, sich notwendiges Wissen, Produkte und Güter auch mit geheimdienstlichen Methoden illegal zu beschaffen. Entsprechende Beschaffungsversuche sind seit Jahren vor allem seitens der Islamischen Republik Iran festzustellen. Die seit Februar 2022 infolge des Russland-Ukraine-Krieges erlassenen Sanktionen gegen die Russische Föderation erweitern die bereits seit 2014 bestehenden Sanktionsliste (unter anderem ein Waffenembargo und weitere Handelsbeschränkungen). Es liegen vermehrt Hinweise auf proliferationsrelevante Beschaffungsversuche in Deutschland vor, unter Umgehung der Sanktionen und Verschleierung der tatsächlichen Endverwender. 2.3 Wirtschaftsspionage und -sabotage Wirtschaftsspionage4 im Auftrag fremder Staaten hat das Ziel, Forschungsund Entwicklungskosten einzusparen, bestehende Rückstände eigener Entwicklungen aufzuholen und dadurch die Zeitspanne bis zur Produktion marktreifer Produkte drastisch zu verkürzen. Negative Folgen zu Lasten der Opfer von Wirtschaftsspionage können der Abfluss von Know-how, bedeutende finanzielle Einbußen sowie der Wegfall von Marktanteilen und Arbeitsplätzen sein. 3 Kritische Staaten sind vor allem proliferationsrelevante Länder. Von ihnen wird befürchtet, dass sie atomare, biologische und chemische Waffen in einem Krieg einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. 4 Unter Wirtschaftsspionage versteht man die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben. 239 Für Staaten mit einer konkurrenzund zukunftsfähigen Wirtschaft liegt der Ausforschungsfokus eher auf wirtschaftspolitischen Strategien und sozioökonomischen Trends, als auf den Forschungsund Entwicklungsergebnissen selbst. Hochund Schlüsseltechnologien, die für die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Volkswirtschaften und bei der Erschließung von zukunftsträchtigen Märkten von Bedeutung sein können, stehen im Zentrum des nachrichtendienstlichen Interesses. Hier ansässige innovative Unternehmen und weltweit anerkannte Wissenschaftsund Forschungsleistungen können potenzielle Ausspähziele fremder Nachrichtendienste sein. Gefährdet sind dabei nicht nur Weltfirmen, sondern auch kleine und mittelständige Betriebe sowie Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz informiert regelmäßig über diese Gefahr und leitet relevante Informationen im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft an Wirtschaft und Wissenschaftseinrichtungen weiter. Insbesondere die Nachrichtendienste Russlands und Chinas sind seit je her für ihre aggressive Wirtschaftsspionage bekannt. Hinzu kommt, dass beide Nationen mit verschieden Embargos seitens anderer Industrienationen oder Bündnisse belegt wurden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den daraufhin verhängten Sanktionen gegen die Russische Föderation besteht eine abstrakte Gefahr von Sabotage gegen Wirtschaftsunternehmen und kritische Infrastruktur. Insbesondere der Energiesektor ist in hohem Maße durch staatlich gesteuerte Sabotagehandlungen bedroht. 240 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Eine weitere Gefahr des Wissensabflusses nach China kann von chinesischen Studierenden sowie Forschenden ausgehen. Deren Auslandsaufenthalte werden teilweise von der Volksrepublik China finanziert, wodurch entsprechende Pflichten gegenüber dem Heimatland erwachsen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das China Scholarship Council (CSC) aufgefallen, welches entsprechende Stipendien vergibt. Die Vergabebedingungen setzen dabei eine loyale Einstellung gegenüber der KPCh voraus und sehen regelmäßige Berichte an chinesische Stellen vor. 2.4 Angebote der Spionageprävention Die veränderte Sicherheitslage erfordert auch neue Präventionsansätze. Auf Grundlage der Erfahrungen aus dem Wirtschaftsschutz hat der Verfassungsschutz sein Beratungsspektrum auf die Spionageprävention erweitert. Sie richtet sich seit 2023 nicht nur an Wirtschaftsunternehmen, sondern auch an Einrichtungen der Wissenschaft, des Staates und der Verwaltung. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Betreibern der kritischen Infrastruktur, aber auch auf Behörden, Kommunen und Unternehmen, die im Kontext des Russland-Ukraine-Krieges Bezüge zu Militärliegenschaften oder zum Rüstungssektor haben. Der Verfassungsschutz informiert, sensibilisiert und berät hinsichtlich der Gefahren von Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage. Das beinhaltet die Aufklärung über mögliche Methoden und Ziele von Spionageund Sabotagehandlungen. Anhand aktueller Beispiele werden Angriffsmodi illustriert und Vorschläge für probate Schutzmaßnahmen unterbreitet. Auch die Gefahren von Desinformation und Einflussnahme werden thematisiert, da diese eine zunehmende Gefahr für die Demokratie darstellen. Hierzu wird auf das Schwerpunkthema "Hybride Bedrohungen und Desinformation" verwiesen. 241 INFORMATION Single Point of Contact (SPoC) Im Oktober 2024 wurde in der Spionageprävention ein Single Point of Contact (SPoC) für hybride Bedrohungen eingerichtet. Er soll sicherheitsrelevante Informationen zu hybriden Bedrohungen sowie Desinformationskampagnen weitergeben und entsprechende Verdachtsmeldungen aus der Bevölkerung entgegennehmen. Der SPoC ist unter der E-Mail-Adresse SPOCHybrid@mdi.rlp.de zu erreichen. 2.5 Cyberangriffe, Datenspionage und -sabotage Fremde Nachrichtendienste nutzen Cyberangriffe zur Spionage, Manipulation und Sabotage. Ihre Ziele können Regierungsorganisationen, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und kritische Infrastrukturen sein. Selbst im Bereich der CyberKriminalität sind mutmaßlich nachrichtendienstlich gesteuerte Hackergruppen aktiv. Hacker verschaffen sich mit verschiedensten Methoden Zugriff auf IT-Systeme, indem sie Sicherheitsbarrieren von Computersystemen umgehen beziehungsweise überwinden. Die Angreifer nutzen dabei insbesondere Schadsoft242 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit ware und Sicherheitslücken in der vom Ziel-System genutzten Software. Vor allem mit KI lassen sich Angriffsprogramme generieren und Schäden in erheblichem Umfang verursachen. Russland und China waren auch im Jahr 2024 die Hauptakteure im Bereich der Cyberangriffe. Potenzielle Angriffsziele wurden durch den Verfassungsschutz regelmäßig sensibilisiert und über Präventionsmaßnahmen informiert. Eine wichtige Rolle übernahm dabei das Netzwerk der Sicherheitspartnerschaft. Umfängliche Informationen zum Schutz vor Cyberspionage und -sabotage werden auf der Homepage cyberschutz.rlp.de bereitgestellt. Der Verfassungsschutz steht zudem für Vorträge und Beratungsgespräche zur Verfügung. Politische Parteien sahen sich auch im Jahr 2024 verstärkt mit Cyberangriffen konfrontiert. Beispielsweise wurde das Netzwerk der CDU eine Woche vor der Europawahl durch einen professionellen Akteur angegriffen. Schon 2023 wurden die E-Mailkonten der Parteizentrale gehackt. Diese Attacke konnte im Mai 2024 dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeordnet werden. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass Russland auch vor cybergestützten Operationen nicht zurückschreckt, um politische Entscheidungsprozesse in Deutschland für seine Zwecke zu manipulieren. Im Zuge der vorgezogenen Neuwahl des Bundestages im Februar 2025 war von einer verstärkten Gefahr hybrider Bedrohungen durch Russland auszugehen. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz warnte daher vor möglichen Einflussnahmen ausländischer Akteure und sensibilisierte politische Mandatstragende im Vorfeld der Wahl. 243 Ghostwriter Seit Januar 2021 ist diese Russland zugeschriebene Gruppierung in Deutschland aktiv. Bei ihr konnte von den Sicherheitsbehörden erstmalig die gleichzeitige Durchführung von Desinformation und Spionage durch einen mutmaßlich staatlich gesteuerten Cyberakteur entlarvt werden. GHOSTWRITER verbreitet vor allem gefälschtes Material, wie angebliche Pressemitteilungen von offiziellen Stellen, ebensolche Korrespondenz von Regierungsstellen oder frei erfundene Zitate von politischen Amtsträgerinnen und -trägern. Die Falschnachrichten werden zum einen über Blogs, Nachrichtenportale und sogenannte Spear-Phishing-Attacken via E-Mail in Umlauf gebracht. Zum anderen kompromittiert GHOSTWRITER aber auch seriöse Nachrichtenseiten und Social-Media-Accounts von Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politikern, um darüber Falschnachrichten zu verbreiten ("Hack an Publish"). Cosy Bear, Fancy Bear, Snake Mit diesen Namen werden russische Angreifergruppierungen bezeichnet, die seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges insbesondere gegen die Ukraine sowie europäische Regierungsinstitutionen, Militäreinrichtungen und diplomatische Vertretungen aktiv sind. Immer wieder richten sich beispielsweise Überlastungsangriffe (sogenannte DDoS-Angriffe) gegen die Websites deutscher Flughäfen, Banken und Behörden. Der Zusammenhang von solchen Angriffen mit pro-ukrainischen Politikentscheidungen der Bundesregierung ist offenkundig. 244 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Spionageabwehr und Cybersicherheit Besonders gefährdet durch Cybersabotage sind KRITIS Einrichtungen auf dem Gebiet der EU in Deutschland und Rheinland-Pfalz. Russland zielt im Cyberraum darauf ab, deren IT-Infrastrukturen mittels Sabotage außer Betrieb zu setzen, wie entsprechende Angriffe auf Einrichtungen der kritischen Infrastruktur in der Ukraine zeigen. Die russischen Dienste verfügen über das nötige Know-how und die erforderlichen Kapazitäten. Der Verfassungsschutz warnt daher insbesondere die KRITIS-Einrichtungen in Rheinland-Pfalz vor der Gefahr der Cybersabotage, damit diese die IT auf höchstem Niveau absichern. Besonders gefährdet sind die Branchen Elektrizität, Telekommunikation und Logistik. Brechen diese Systeme zusammen, hat dies auch massive Folgen auf alle anderen Strukturen wie Gesundheit, Ernährung etc. Auch die chinesischen Nachrichtendienste sind im Cyberraum aktiv. Die chinesische Cyberstrategie soll einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der industrieund geopolitischen Ziele des Landes leisten. China ist auf Wissen aus dem Ausland angewiesen, um die eigene Position zu stärken. Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage sind daher wichtige Quellen für die Marktentwicklung Chinas. Cyberspionageangriffe richten sich gegen Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen, Behörden und Privatpersonen sowie gegen politische Institutionen. Sie dienen der Wirtschaftsspionage (zum Beispiel in den Bereichen der Hochtechnologiebereich, der Biomedizin und der Rüstung), aber auch der Ausspähung von sensiblen Informationen zu politischen Entscheidungsprozessen. Nicht nur der Hackerangriff von außen, sondern auch Innentäter sind eine Gefahr für ungewollten Wissensabfluss. 245 GEHEIM SABOT 246 SCHUTZ IM UND GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ, MITWIRKUNGSAUFGABEN 1. Geheimund Sabotageschutz S. 248 2. Mitwirkungsaufgaben S. 251 TAGE UTZ, MIT 247 1. GEHEIM UND SABOTAGE SCHUTZ Sicherheitsrelevante staatliche Informationen und Institutionen tragen zur Funktionsfähigkeit der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland und zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung bei. Daher müssen sie vor dem Zugriff von potenziellen Angreifern wie fremden Nachrichtendiensten oder terroristischen Vereinigungen besonders geschützt werden. Daher unterliegen sicherheitsrelevante Informationen einer gesetzlichen Geheimhaltungsverpflichtung, die durch verschiedene Geheimhaltungsgrade Ausdruck findet. Diese hängen von der Schutzbedürftigkeit des Inhalts ab, das heißt von der potenziellen Gefahr, die ihr Bekanntwerden zur Folge hätte. Besonders schutzbedürftig sind Informationen über lebensoder verteidigungswichtige Einrichtungen, die auch als sicherheitssensible Infrastruktur bezeichnet werden. Der Schutz dieser Informationen soll vor allem das Risiko von Sabotage durch sogenannte Innentäter minimieren. Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sind die Geheimschutzanforderungen verschärft worden. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Geheimund Sabotageschutzbeauftragten der Behörden, die mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen arbeiten. Die latente Gefahr eines Angriffskrieges Russlands auch auf ein NATO-Land hat umfängliche Maßnahmen der zivilen Verteidigung ausgelöst. Hierzu zählen auch erhöhte personelle und materielle Sicherheitsvorkehrungen des Bundes, der Länder und der Kommunen. 248 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Geheimund Sabotageschutz INFORMATION Was ist das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz (LSÜG)? Das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz (LSÜG) ist die rechtliche Grundlage, nach der die Zuverlässigkeit der Personen, die mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen arbeiten, überprüft werden muss. Vorgaben für die Schutzmaßnahmen für die materielle und digitale Sicherung der Informationen, die von den Behörden eingehalten werden müssen, befinden sich in der Verschlusssachenanweisung des Landes (VSA). Rechtliche Instrumente des Geheimund Sabotageschutzes sind das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz (LSÜG) mit der Sicherheitsüberprüfung (SÜ) sowie die Verschlusssachenanweisung des Landes (VSA). Der Einstufungsgrad schützenswerter Informationen (Verschlusssachen), zu denen eine Person Zugang erhalten soll, entscheidet über die Stufe der Sicherheitsüberprüfung und die zu ergreifenden technischen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz dieser Informationen. In den Landesund Kommunalbehörden verantworten Geheimund Sabotageschutzbeauftragte die Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen. Der Verfassungsschutz wirkt daran maßgeblich mit und überprüft Personen, die von einer öffentlichen Stelle mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen oder bereits betraut worden sind (Wiederholungsüberprüfung). Jede Überprüfung umfasst eine bundesweite Abfrage und Speicherung im nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden (NADIS) sowie Abfragen in Datenbanken anderer Sicherheitsbehörden, wie zum Beispiel der Polizei. Für den Zugang zu besonders sensiblen Bereichen oder 249 Informationen umfasst die Sicherheitsüberprüfung unter anderem die Befragung von sogenannten Referenzpersonen, die Auskunft über die zu prüfende Person geben. Auch die regelmäßige Information und ausführliche fachliche Beratung der Geheimund Sabotageschutzbeauftragten von Landesbehörden und Kommunen durch den Verfassungsschutz ist Bestandteil des Geheimschutzes. Das Ziel sind möglichst gleichwertige Sicherheitsstandards und eine Steigerung der Sensibilität im Umgang mit Verschlusssachen. Sofern erforderlich, werden diese Standards an die aktuelle Sicherheitslage angepasst. 250 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Geheimund Sabotageschutz 2. MITWIRKUNGSAUFGABEN Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Mitwirkungsanfragen 2024 sowie der Sicherheit des Bundes Waffengesetz 24.322 und der Länder wirkt der Verfassungsschutz unter Bewachungsverordnung 2.766 anderem bei der Überprüfung Luftsicherheitsgesetz 2.306 von Personen mit, die in bestimmten staatlichen Bereichen Sprengstoffgesetz 553 eingesetzt werden, Aufenthaltsrechte in Deutschland beantragt Atomgesetz 43 haben oder denen eine sicherEinbürgerung 16.544 heitsrelevante Erlaubnis erteilt werden soll. Aufenthaltstitel 43.887 Sicherheitsüberprüfungen 891 Im Rahmen von sogenannten Zuverlässigkeitsüberprüfungen Gesamt 91.312 wird geprüft, ob zu Personen sicherheitsrelevante nachrichtendienstliche Erkenntnisse vorliegen, die Zweifel an der Eignung für eine bestimmte Aufgabe, eine Erlaubnis, die Erstellung eines Visums, einen Aufenthaltstitel oder eine Einbürgerung begründen könnten. Auf der Grundlage von Fachgesetzen fragen daher die zuständigen Behörden vor der Erteilung einer Genehmigung oder Zulassung beim Verfassungsschutz an. Der anfragenden Behörde obliegt die Bewertung der Zuverlässigkeit einer Person auf Basis des Ergebnisses der Überprüfung. Überprüfungen dieser Art werden zu großen Teilen automatisiert durchgeführt. Die gesetzliche Nachberichtspflicht gewährleistet, dass auch im Nachhinein erlangte Erkenntnisse unverzüglich der zuständigen Behörde mitgeteilt werden. 251 Bereiche mit gesetzlich vorgeschriebener Zuverlässigkeitsüberprüfung Der Verfassungsschutz wird bei Einbürgerungsentscheidungen beteiligt, da das Staatsangehörigkeitsgesetz das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Voraussetzung für die Einbürgerung vorsieht. Er überprüft daher, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Person, die eingebürgert werden möchte, Bestrebungen gegen Deutschland, seine Verfassungsorgane oder deren Repräsentantinnen und Repräsentanten verfolgt. Im Hinblick auf Aufenthaltstitel wie Aufenthaltsund Niederlassungserlaubnisse enthält das Aufenthaltsgesetz vergleichbare Regelungen. Eine Ausweisung soll dem Gesetzgeber zufolge insbesondere dann erfolgen, wenn die betreffende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Im Bewachungsgewerbe soll sichergestellt werden, dass extremistische Personen nicht als Bewacher oder Inhaber von Sicherheitsdiensten tätig sind. Die Gewerbeordnung verlangt deshalb eine Anfrage beim Verfassungsschutz. Um Großveranstaltungen, wie große Sportoder Musikevents vor extremistischen Anschlägen zu schützen, werden spezielle Akkreditierungsverfahren durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz beteiligt ist. In Rheinland-Pfalz basieren diese auf dem Polizeiund Ordnungsbehördengesetz. Im Jahr 2020 wurde die verpflichtende Abfrage beim Verfassungsschutz in das Waffengesetz aufgenommen. Die kommunalen Waffenbehörden beteiligen den Verfassungsschutz, wenn Personen eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen oder diese verlängern wollen. 252 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen | Geheimund Sabotageschutz Der zivile Luftverkehr steht im besonderen Sicherheitsinteresse, um Gefährdungen gar nicht erst entstehen zu lassen und Anschläge sowie die damit verbundenen Folgen zu verhindern. Überprüft werden Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit Einfluss auf die Sicherheit des Luftverkehrs nehmen können. International und national wird den Schutzmaßnahmen gegen sogenannte "Innentäter" daher eine hohe Bedeutung beigemessen. Nach Maßgabe des Luftsicherheitsgesetzes veranlasst der Landesbetrieb Mobilität (LBM) als zuständige Luftsicherheitsbehörde in Rheinland-Pfalz entsprechende Überprüfungen. Um die Entwendung oder Freisetzung von radioaktiven Stoffen zu Anschlagszwecken durch Innentäter zu verhindern, werden Personen überprüft, die bei der Einrichtung, dem Betrieb, im Umgang und bei der Beförderung von radioaktivem Material eingesetzt werden. Die Überprüfung leitet die für Strahlenschutz zuständige Genehmigungsund Aufsichtsbehörde auf der Grundlage des Atomgesetzes ein. Eine Überprüfung nach dem Sprengstoffgesetz findet statt, wenn Personen gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder diese transportieren. Zuständige Behörden für die Einleitung der Überprüfung sind in Rheinland-Pfalz die Aufsichtsund Dienstleistungsdirektion (ADD), das Landesamt für Geologie und Bergbau sowie die Ordnungsämter der Stadtund Kreisverwaltungen. 253 D. ANHANG 254 Verfassungsschutzbericht 2024 G D. ANHANG 255 1. POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Die folgenden Zahlen der Strafund Gewalttaten sind nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen polizeilichen Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) erfasst worden. Nach diesem System steht die politische Motivation, die die Tat auslöst, im Vordergrund. Es umfasst damit sowohl Taten mit erkennbar extremistischem Hintergrund als auch politisch motivierte Delikte, bei denen sich kein extremistischer Hintergrund feststellen lässt. Die Gesamtzahl der polizeilich registrierten PMK-Straftaten stieg 2024 von 2.009 (2023) um 523 Fälle (plus 26 Prozent) auf 2.532. Dies ist der höchste Wert seit Einführung des PMK-Meldesystems im Jahr 2001. Die Zahl der PMK-Gewaltdelikte sank geringfügig von 111 Fällen in 2023 auf 104 Fälle in 2024. Damit lag die Zahl der politisch motivierten Gewaltdelikte deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre (82). 256 D. Anhang PMK -rechtsIm Bereich PMK -rechtsnahm die Zahl der registrierten Straftaten 2024 mit 1.471 Delikten gegenüber 1.245 in 2023 nochmals zu. Von den 1.471 registrierten Straftaten waren 833 (56,6 Prozent) sogenannte Propagandadelikte nach SSSS 86 und 86a Strafgesetzbuch (StGB), die die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellen. Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) sank 2024 um rund 23 Prozent auf 53 Delikte, darunter 50 Körperverletzungen (2023: 69, darunter 63 Körperverletzungen). Politisch motivierte Kriminalität -rechtsin Rheinland-Pfalz 2019 - 2024 1.500 1.200 900 600 300 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Gewalttaten PMK -rechtsStraftaten PMK -rechts257 PMK -linksIm Bereich der PMK -linkssank die Zahl der registrierten Straftaten 2024 um rund 23 Prozent von 128 im Jahr 2023 auf 99. Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) stieg 2024 auf fünf Delikte (2023: drei). PMK -ausländische IdeologieIm Bereich der politisch motivierten Kriminalität -ausländische Ideologiesank die Zahl der Straftaten 2024 auf 115 Delikte (2023: 174). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) lag wie bereits im Vorjahr bei acht Delikten. PMK -religiöse IdeologieIm Bereich der politisch motivierten Kriminalität -religiöse Ideologiestieg die Zahl der Straftaten 2024 auf 43 Delikte (2023: 39). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) stieg 2024 auf fünf (2023: zwei). 258 D. Anhang PMK -antisemitische StraftatenDie antisemitischen Straftaten gingen 2024 von 171 Delikten im Jahr 2023 auf 138 Delikte zurück. Die größte Zahl ist dem Phänomenbereich PMK -rechtszuzuordnen (77 Straftaten beziehungsweise 55,8 Prozent). 29 antisemitische Straftaten können dem Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologiezugerechnet werden, sechs sind dem Bereich -religiöse Ideologiezuzuordnen. Antisemitische Straftaten in Rheinland-Pfalz 2019 - 2024 200 150 100 50 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Antisemitische Straftaten Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger Die Zahl der Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger in Rheinland-Pfalz stieg im Jahr 2024 auf 141 Delikte (2023: 103). Dies entspricht einer Zunahme von knapp 37 Prozent. Die Mehrzahl der Taten kann keinem Phänomenbereich zugeordnet werden. 259 2. REGISTER Das Register enthält die Bezeichnungen der im rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzbericht 2024 genannten Gruppierungen, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolgen oder verfolgt haben und aufgrund dessen als extremistisch bezeichnet werden können. A al-Qaida S. 183 ff., 194 f., 197 Alternative für Deutschland (AfD) - Verdachtsfall des BfV S. 64, 66, 95 ff., 124 f. Antaios S. 59 Antifa Mainz S. 157, 159 Antifaschistische Aktion Süd S. 154, 156 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) S. 210, 213 f. B "Bismarcks Erben"/"Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) S. 133, 139 Burschenschaft Germania Halle zu Mainz S. 64 ff. C Combat 18 (C 18) S. 114 f. COMPACT-Magazin GmbH S. 60 f., 63 260 D. Anhang D S. 67 ff., 82 f., 88 ff., Der III. Weg (auch: Der 3. Weg, Der Dritte Weg) 122 Die Heimat (ehemals Nationaldemokratische Partei S. 82 f., 86 ff., 121 Deutschlands [NPD]) die Plattform Trier S. 161 f., 172 DIE RECHTE S. 82 f., 113, 123 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) S. 162, 167, 170 E Ein Prozent e.V. S. 59 F Freundeskreis Westerwald S. 68 G Generation Islam S. 196, 204 H S. 176, 179 ff., 194 f., HAMAS (Islamische Befreiungsbewegung) 200 f. Hammerskins S. 114 f. Heureka (Wiesel) (Liedermacher) S. 116 f. S. 176, 180, 194 f., Hizb Allah (Partei Gottes) 202 f. Hizb ut-Tahrir (HuT) S. 195 f., 204 261 I Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) S. 61, 84, 106 ff., 127 Indigenes Volk Germaniten S. 137, 140 Institut für Staatspolitik (IfS) S. 59 Internationale Organisation Völkerrecht (IOV) S. 137, 141 Islamischer Staat (IS) S. 183 ff., 194 f., 198 f. J Johnny Zahngold (Liedermacher) S. 117 S. 62, 64, 82 f., 99 ff., Junge Alternative (JA) 126 Junge Nationalisten (JN) S. 88 Julia Juls (Liedermacherin) S. 97, 117 K Kalifatsstaat S. 176, 195, 205 Komplex-Infoladen Trier S. 164, 166 M Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) S. 169 Menschenpark Veranstaltungs UG S. 59 Metapolitik Verlags UG S. 59 Miro W. (Influencer) S. 62 f. Mjöllnir (Band) S. 116 Muslimbruderschaft S. 176, 194, 206 Muslim Interaktiv S. 196 262 D. Anhang N Nationaler Widerstand Zweibrücken S. 84, 111 f., 128 N'Socialist Soundsystem (Band) S. 116 O Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Koblenz S. 156, 158 OAT Alzey S. 157 OAT Landau S. 154, 156 OAT Mainz S. 156 OAT Neustadt an der Weinstraße S. 156 OAT Trier S. 156 One Eight Versand S. 118 R Regiment 25 (Band) S. 116 Renitenz (Liedermacher) S. 117 Revolte Rheinland S. 84, 108 ff. Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) S. 221 Rote Hilfe e.V. S. 164, 171 S Samidoun S. 222 f. SOL Mainz S. 155 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) S. 163, 167 Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (S.H.A.E.F.) S. 134 263 T Taleban S. 183 The Hoizers S. 116 U Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) S. 216 ff., 220 V Vaterländischer Hilfsdienst S. 133, 139 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) S. 222 W Weinstraßen Antifa S. 165 264 D. Anhang 265 IMPRESSUM Herausgeber Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Gestaltung RHEINDENKEN GmbH Druck Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz Der Verfassungsschutzbericht 2024 ist auch im Internet abrufbar unter: www.verfassungsschutz.rlp.de ISSN 0948-8723 Schillerplatz 3-5 55116 Mainz poststelle@mdi.rlp.de www.mdi.rlp.de 268 Verfassungsschutzbericht 2024