MINISTERIUM DES INNERN UND FÜR SPORT VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2022 Titelbild: Hambacher Schloss, Neustadt an der Weinstraße. Quelle: Dominik Ketz/Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH Besuchen Sie auch den Internetauftritt des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz! Über den nebenstehenden QR-Code gelangen Sie dorthin. Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz Schillerplatz 3-5, 55116 Mainz Postfach 3280, 55022 Mainz Tel.: 06131/16-3773 E-Mail: info.verfassungsschutz@mdi.rlp.de Internet: www.verfassungsschutz.rlp.de Verfassungsschutzbericht 2022 ISSN 0948-8723 1 2 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, das Jahr 2022 war in sicherheitspolitischer Hinsicht eine Zäsur. Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar brachte für den Staat, die Gesellschaft und die Sicherheitsarchitektur in Deutschland erhebliche Herausforderungen mit sich. Russland führt einen hybriden Krieg, um seine Interessen durchzusetzen. Cyberangriffe, Spionage und Propagandakampagnen sind die Merkmale dieser hybriden Bedrohung. Staatliche und staatlich gelenkte Akteure zielen darauf ab, unsere Kritische Infrastruktur auszuspähen und zu sabotieren. Durch Desinformation und Propaganda wird versucht, das Meinungsbild der Gesellschaft zu beeinflussen. Damit wird das Ziel verfolgt, unser freiheitliches, demokratisches Gesellschaftssystem zu destabilisieren. Dem werden wir uns auch weiterhin mit aller Entschiedenheit entgegenstellen. Zu einem Leben in Würde und Freiheit gibt es keine Alternative. Neben dem Geschehen in der Ukraine mit seinen weitreichenden Auswirkungen dürfen wir aber auch den Blick auf die vielen Gefahren für die Innere Sicherheit nicht verschließen, die vom Extremismus ausgehen. Extremismus zeigt sich insgesamt vielfältiger und stärker in der virtuellen Welt verankert. Zumindest in Teilen der bürgerlichen Mitte schwindet auch die Abgrenzung zum Extremis- 3 mus - vornehmlich zum Rechtsextremismus sowie zur "Reichsbürger"und "Delegitimierer"-Szene. Wenn zu beobachten ist, dass es beispielsweise bei Demonstrationen keine gegenseitigen Berührungsängste mehr gibt, muss man das sehr ernstnehmen. Das Land bleibt daher auf Kurs und sieht in allen Maßnahmen, die zur Stärkung unserer demokratischen Kultur beitragen, einen unverzichtbaren Beitrag gegen Extremismus und Intoleranz. Eine unverändert große Gefahr für die freiheitliche Gesellschaftsordnung und das friedliche Zusammenleben geht vom Rechtsextremismus aus. Der ihm innewohnende Rassismus und Antisemitismus sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Es ist daher Aufgabe des Staates, dem Rechtsextremismus konsequent und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel entgegenzutreten. In den letzten Jahren hat sich zwar gezeigt, dass rechtsextremistischen Parteien und der sogenannten Kameradschaftsszene eine weniger bedeutende Rolle zukommen. Dies ist aber kein Grund für eine Entwarnung. Rechtsextremismus verlagert sich zunehmend in die virtuelle Welt des Internets und der sozialen Medien. Voran schreiten Vernetzung und Radikalisierungsprozesse. Der Verfassungsschutz beobachtet dieses Treiben aufmerksam. Ein weiteres Hauptaugenmerk des Verfassungsschutzes lag 2022 auf der Entwicklung des "Reichsbürger"-Spektrums, dessen Personenpotenzial bundeswie landesweit weiter angewachsen ist. Im Frühjahr 2022 wurde die mutmaßlich terroristische Vereinigung "Vereinte Patrioten" von den Sicherheitsbehörden zerschlagen. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt trugen zu diesem Erfolg maßgeblich bei. Die unter dieser Bezeichnung zunächst virtuelle Mischszene, zu der unter anderem Personen aus dem "Reichsbürger"-Milieu zählten, verfolgte den Plan, das politische System durch Anschläge und Entführungen zu erschüttern, um es letztlich durch einen provozierten "Volksaufstand" zu Fall zu bringen. Was utopisch klingen mag, hat einen realen Hintergrund. Mit der Aufdeckung der Gruppe "Vereinte Patrioten" verdichtete sich die Erkenntnis einer zunehmenden Gewaltbereitschaft im "Reichsbürger"-Spektrum. Das sollte sich im Dezember 2022 im Zuge von Durchsuchungsmaßnahmen in elf Bundesländern bestätigen, die sich gegen 25 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung sowie weitere 52 Beschuldigte 4 richteten. Auch dieses deutschlandweite Netzwerk verfolgte das Ziel eines gewaltsamen Umsturzes. Auch unter diesen Protagonisten spielte offensichtlich die "Reichsbürger"-Ideologie eine zentrale Rolle. Auffällige Ähnlichkeiten und eine weltanschauliche Schnittmenge bestehen zwischen der "Reichsbürger-" und der "Delegitimierer"-Szene, die seit April 2021 vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Beide versuchen, das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Verschwörungsdenken und Meinungsmanipulation, Einschüchterung und Bedrohungen sind ihre Instrumente. Der Rechtsstaat muss daher wachsam und wehrhaft bleiben. Auch der Islamismus erweist sich weiterhin als beständig und anpassungsfähig. Der Verfassungsschutz beobachtete 2022 eine Zunahme islamistischer Queerfeindlichkeit im Internet, und das nicht nur im Rahmen der öffentlichen Diskussion um die Rechte Homosexueller im Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Ein Dauerproblem für die Innere Sicherheit sind Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Krisengebieten. 2022 kehrten drei Anhängerinnen des "Islamischen Staates" (IS) zusammen mit ihren Kindern nach Rheinland-Pfalz zurück. In Römerberg in der Pfalz wurde eine Person wegen mutmaßlicher IS-Mitgliedschaft verhaftet, die in der Vergangenheit bereits der Terrororganisation "al-Qaida" angehörte. Der Staat geht weiter konsequent gegen Islamisten vor. Im Juni 2022 wurden in Rheinland-Pfalz und weiteren Bundesländern Einrichtungen der verbotenen türkisch-islamistischen Vereinigung "Kalifatsstaat" durchsucht. Den Sicherheitsbehörden lagen zu einer Reihe von Vereinen, darunter einem Verein in Bad Kreuznach, sowie zu mehreren Personen Erkenntnisse über Aktivitäten zur Aufrechterhaltung und Unterstützung der verbotenen Vereinigung vor. Der Linksextremismus bleibt im Fokus des Verfassungsschutzes. Von gewaltorientierten Linksextremisten gehen in einigen Teilen des Bundesgebietes erhebliche Gefahren für die Innere Sicherheit aus. Gewaltanwendung gegen Menschen, insbesondere gegen vermeintliche Rechtsextremisten, ist längst kein Tabu mehr. Im eher ländlich geprägten Rheinland-Pfalz gibt es weniger linksextremistische 5 Aktivitäten als in Ländern mit größeren Ballungszentren, dennoch ist auch hier Wachsamkeit geboten. Der Verfassungsschutzbericht informiert ausführlich über diese und weitere Gefahren, die unsere Innere Sicherheit und damit unser Gemeinwohl bedrohen. Ich würde mich freuen, wenn er Ihr Interesse findet. Michael Ebling Minister des Innern und für Sport 6 Inhaltsverzeichnis A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 13 1. Grundlagen und Aufgaben 14 1.1 Auftrag, Aufgaben und Methoden 14 1.2 Kontrolle des Verfassungsschutzes 16 2. Strukturdaten 16 3. Verfassungsschutzbericht 17 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 19 1. Extremismus-Prävention 21 1.1 Präventionsagentur gegen Extremismus 22 1.2 Kommunale Kriminalprävention 23 1.3 Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz 24 1.4 Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz 26 1.5 Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz 26 1.6 Bündnis "Demokratie gewinnt!" - Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz 27 1.7 Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 28 2. Wirtschaftsschutz und Sicherheitspartnerschaft 29 3. Cyberschutz 30 7 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen 33 Brennpunktthemen 35 1. Russland-Ukraine-Krieg - Umbruch und Umdenken 36 2. Queerfeindlichkeit im Extremismus 46 3. Fallkomplex "Vereinte Patrioten" - chatten, vernetzen, bedrohen 54 4. "Krisen willkommen" - Extremisten nutzen jede Gelegenheit 57 5. Entwicklungen im transnationalen Jihadismus 61 Rechtsextremismus 67 1. Personenpotenzial 68 2. Überblick und Entwicklungen 2022 68 3. Gruppierungen und Strukturen 71 3.1 Gewaltorientierter Rechtsextremismus 71 3.2 Rechtsextremistische Parteien und parteiabhängige Gruppierungen 72 3.2.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 72 3.2.2 Partei "Der III. Weg" 73 3.2.3 Partei "DIE RECHTE" 78 3.2.4 "Neue Stärke Partei" (NSP) 79 3.2.5 Extremistische Strukturen in der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) 81 8 4. Parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen 85 4.1 "Neue Rechte" - "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 85 4.2 Neonationalsozialismus 90 5. Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 92 6. Internetauswertung Rechtsextremismus 96 7. Kurzbeschreibungen 99 Reichsbürger und Selbstverwalter 107 1. Personenpotenzial 108 2. Überblick und Entwicklungen 2022 108 3. Gruppierungen und Strukturen 110 3.1 "Verfassunggebende Versammlung" (VV) 111 3.2 "Bismarcks Erben" / "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) 111 3.3 "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force-S.H.A.E.F." 113 4. Ausblick 113 5. Kurzbeschreibungen 115 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 121 1. Überblick und Entwicklungen 2022 122 2. Gruppierungen und Strukturen in Rheinland-Pfalz 129 3. Ausblick 130 Linksextremismus 133 1. Personenpotenzial 134 9 2. Überblick und Entwicklungen 2022 134 3. Gruppierungen, Strukturen und Aktionsfelder 139 3.1 Autonomen-Szene 139 3.2 "Postautonome" - "Interventionistische Linke" (IL) 139 3.3 Anarchisten - "die plattform" 140 3.4 Dogmatische Linksextremisten 141 3.5 Linksextremistische Aktionsfelder 142 4. Ausblick 145 5. Kurzbeschreibungen 147 Islamismus 153 1. Personenpotenzial 154 2. Überblick und Entwicklungen 2022 154 2.1 Terrorismus und Jihadismus 159 2.2 Salafistische Bestrebungen 163 2.3 Organisationsgebundener Islamismus 167 3. Kurzbeschreibungen 171 Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) 181 1. Personenpotenzial 182 2. Überblick und Entwicklungen 2022 182 3. Organisationen und Strukturen 184 3.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 184 3.2 "Ülkücü"-Bewegung ("Graue Wölfe") 189 10 4. Kurzbeschreibungen 191 Spionage und Cyberangriffe 195 1. Aufgaben und allgemeine Lage 196 2. Themenfelder der Spionageabwehr 197 2.1 Spionage 197 2.2 Proliferation 206 2.3 Wirtschaftsspionage und -sabotage 206 2.4 Cyberangriffe, Datenspionage und -sabotage 209 2.5 Hybride Bedrohungen und Desinformation 211 Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 215 1. Geheimund Sabotageschutz 216 2. Mitwirkungsaufgaben 217 D. Anhang 221 1. Übersichten Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 222 1.1 Politisch motivierte Kriminalität -rechts222 1.2 Politisch motivierte Kriminalität -links222 1.3 Politisch motivierte Kriminalität -ausländische Ideologie223 1.4 Politisch motivierte Kriminalität -religiöse Ideologie223 1.5 Politisch motivierte Kriminalität -antisemitische Straftaten223 1.6 Politisch motivierte Kriminalität -Straftaten gegen Amtsund Mandatsträgerinnen und -träger223 2. Register 224 11 12 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 13 1. Grundlagen und Aufgaben Der Verfassungsschutz ist ein Element der wehrhaften Demokratie. Er hat den gesetzlichen Auftrag, die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu schützen. Diesen Auftrag erfüllen - dem föderalen Staatsaufbau Deutschlands entsprechend - das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit Hauptsitz in Köln und 16 "Öffentlichkeit und BewahLandesbehörden für Verfassungsrung der Individualität der schutz. In einigen Bundesländern, so Menschen - es sind die Hauptin Baden-Württemberg, Bayern und stützen freier Verfassungen." Hessen, übernehmen eigenständiAlexander von Humboldt (1769 - 1859), ge Landesämter die Aufgabe. In den Naturforscher meisten Ländern ist der Verfassungsschutz als Abteilung im jeweiligen Innenministerium eingerichtet, so auch seit 1951 in Rheinland-Pfalz. Verfassungsschutzbehörde in Rheinland-Pfalz ist die Abteilung 6 im Ministerium des Innern und für Sport. 1.1 Auftrag, Aufgaben und Methoden Als "Frühwarnsystem" beobachtet die Verfassungsschutzbehörde RheinlandPfalz gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag vor allem politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen, die auf eine Beeinträchtigung oder gar Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zielen, und wertet sie aus. Dies ist in den SSSS 4 und 5 des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG) geregelt. Gemeint sind damit verfassungsfeindliche, das heißt extremistische Bestrebungen. Die Analysen, Lagebilder und Operativmaßnahmen des Verfassungsschutzes tragen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat gegen Extremisten bei. Nicht selten dienen sie als Grundlage für exekutive Maßnahmen, etwa Vereinigungsverbote oder Strafverfahren. Damit der Verfassungsschutz eine Organisation oder Gruppierung beobachten darf, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Für die Beobachtung einer Ein14 zelperson sind die Hürden noch höher. Was ist Extremismus? Denn dadurch kann der Verfassungsschutz in die Grundrechte der BetrofDer für den Verfassungsschutz fenen eingreifen. Dementsprechend relevante Extremismusbegriff muss einer Beobachtung regelmäßig leitet sich aus der Gesetzeslaeine sehr sorgfältige Prüfung vorausge ab. Als extremistisch werden gehen. demnach Bestrebungen, das heißt Verhaltensweisen bezeichVom gesetzlichen Beobachtungsnet, die politisch bestimmt sind auftrag nicht umfasst sind radikale1 und mit denen das Ziel verfolgt Bestrebungen und Verlautbarungen wird, die freiheitliche demokrasowie bloße Meinungsbekundungen tische Grundordnung in Gänze und politische Einstellungen. Entspreoder in Teilen zu beseitigen oder chende Äußerungen mögen populisaußer Geltung zu setzen. Der tisch, provokativ und polemisch sein, Begriff beschreibt lediglich eine sie sind aber von der Meinungsfreiheit politisch intendierte Vorgehensgedeckt. Extremistische Einstellungen weise, unabhängig ihrer jeweilialleine reichen also nicht aus, um ein gen weltanschaulichen Prägung. Fall für den Verfassungsschutz zu werden. Es muss ein entsprechendes Verhalten hinzukommen, das sich gegen die Grundpfeiler des demokratischen Verfassungsstaates richtet. Die Beobachtung und Analyse von extremistischen Bestrebungen ist nicht die einzige Aufgabe des Verfassungsschutzes. Er ist auch für die Abwehr von staatlich gelenkter Spionage und von Cyberangriffen zuständig. Darüber hinaus obliegt ihm die Mitwirkung bei einer Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen, so bei Sicherheitsund Einbürgerungsüberprüfungen oder Überprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz. Seine Erkenntnisse gewinnt der Verfassungsschutz in nicht unerheblichem Maße aus öffentlich zugänglichen Quellen. Außerdem ist er befugt, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und auf der Basis der einschlägigen Ge- 1 Während Extremisten das herrschende politische System überwinden und ein gänzlich neues an dessen Stelle setzen wollen, zielt Radikalismus auf Veränderungen innerhalb des herrschenden Systems. Radikale politische Akteure erkennen die freiheitliche demokratische Grundordnug grundsätzlich an. Gewalt als politisches Mittel lehnen sie ab. 15 setze nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, um verdeckt Informationen zu beschaffen. Dazu zählen zum Beispiel der Einsatz von Vertrauenspersonen oder Observationsmaßnahmen. Polizeiliche oder strafprozessuale Zwangsmittel sind ihm hingegen untersagt - der Verfassungsschutz darf weder Personen kontrollieren und festnehmen, noch Wohnungen durchsuchen. 1.2 Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes unterliegt einer intensiven Kontrolle, die vor allem die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags wahrnimmt. Sie wird regelmäßig und umfassend über die Arbeit des Verfassungsschutzes unterrichtet und kann jederzeit Einsicht in Akten und Dateien des Verfassungsschutzes verlangen. Zudem verfügt auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit über entsprechende Kontrollrechte. Wenn der Brief-, Postund Fernmeldeverkehr überwacht werden soll, um an Erkenntnisse zu gelangen, muss die Verfassungsschutzbehörde vorher die Genehmigung der vom Landtag eingesetzten unabhängigen G10-Kommission einholen. Die G10-Kommission wird vom Landtag für die Dauer einer Wahlperiode bestellt und besteht aus drei Mitgliedern. Hinzu kommt eine informelle Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die Medien, also die Presse, das Fernsehen, den Rundfunk und journalistische InternetPortale, die im Rahmen eigener Recherchen Anfragen zu bestimmten Sachverhalten stellen können. 2. Strukturdaten Der vom Landtag Rheinland-Pfalz beschlossene Haushaltsplan der Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz weist für 2022 insgesamt 205 Stellen aus. Für 2023 sind im Etat 207 Stellen eingeplant. Die Zahl der Stellen ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gewachsen. Darin spiegeln sich die zunehmenden und immer komplexeren extremistischen 16 und sicherheitsgefährdenden Bedrohungen wider, mit denen der Verfassungsschutz - aber auch Politik und Gesellschaft - konfrontiert werden. Das Budget für Sachausgaben (ohne Personalkosten) betrug im Haushaltsjahr 2022 rund 2,1 Millionen Euro und etwa 1,4 Millionen Euro für Investitionen. 3. Verfassungsschutzbericht Der Verfassungsschutzbericht ist seit mehr als 40 Jahren ein wesentliches Format der Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz. Er erscheint jährlich und dient der umfassenden Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen, von denen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Der Bericht enthält keine abschließende Aufzählung, Darstellung und Bewertung verfassungsfeindlicher Personenzusammenschlüsse. Berichtet wird nur "Das fachlich zuständige Mizu Organisationen, die nachweislich nisterium informiert die Öfverfassungsfeindliche Bestrebungen fentlichkeit über grundleverfolgen. Die Bewertung einer Orgagende Angelegenheiten des nisation im Verfassungsschutzbericht Verfassungsschutzes sowie als extremistisch bedeutet hingegen über präventiven Wirtschaftsnicht in jedem Fall, dass alle ihre Mitschutz, soweit Geheimhalglieder extremistische Bestrebungen tungserfordernisse nicht ententwickeln. Die Zahlenangaben sind gegenstehen." teilweise geschätzt und auf den 31. DeSS 7 Abs. 2 LVerfSchG zember 2022 datiert. 17 18 B. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 19 "Prävention durch Information" ist ein Leitgedanke, dem sich der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz verpflichtet fühlt. Konkret bedeutet dies, dass er eine offensive und auf größtmögliche Transparenz angelegte "Prävention durch Information" ist Öffentlichkeitsund Präventider Leitgedanke der Öffentlichkeitsonsarbeit betreibt, die über die und Präventionsarbeit des VerfasHerausgabe des jährlichen Versungsschutzes in Rheinland-Pfalz fassungsschutzberichts hinaus- - einer Dienstleistung für die Bürgegeht. Damit soll ein Beitrag zur rinnen und Bürger zum Schutz der gesellschaftlichen AuseinanDemokratie. dersetzung mit Extremismus und zur Aufklärung über unterschiedliche extremistische Phänomene geleistet werden. Dieser Selbstverpflichtung, die auf einem gesetzlichen Auftrag fußt (vgl. SS 7 Abs. 2 LVerfSchG), kommt der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz in vielfältiger Form nach. Ein Schwerpunkt der Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit ist die Vortragstätigkeit. Auf Anfrage halten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vorträge und Workshops über die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes, Extremismus in allen seinen Erscheinungsformen und über Cybersicherheit. Von diesem Angebot haben in der Vergangenheit bereits viele Interessierte und Einrichtungen im Land, darunter nicht zuletzt Schulen, Gebrauch gemacht. Viele Menschen konnten dadurch Jahr für Jahr unmittelbar erreicht werden und mit dem Verfassungsschutz in einen Dialog treten. Im Jahr 2022 fanden 35 Vortragsveranstaltungen mit annähernd 2.000 Teilnehmenden statt. Termine für Vortragsveranstaltungen und Versand von Informationsmaterial: Ministerium des Innern und für Sport Abteilung Verfassungsschutz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Tel.: 06131/16-3773 Fax: 06131/16-3688 E-Mail: info.verfassungsschutz@mdi.rlp.de 20 Neben der Vortragstätigkeit veröffentlicht der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz Publikationen über Themen aus seinem Aufgabenspektrum, die auch auf den Internetseiten der Behörde unter www.verfassungsschutz.rlp.de veröffentlicht sind. 1. Extremismus-Prävention Extremismus-Prävention hat in Rheinland-Pfalz einen hohen Stellenwert. Sie ruht auf vielen Schultern, wird ganzheitlich betrieben, ist auf Dauer angelegt, vielfältig und geht weit über die bloße Information über extremistische Erscheinungsformen hinaus. Die Stärkung von Demokratie und Demokratiebewusstsein spielt eine ebenso zentrale Rolle, wie auch die Förderung von Integration und Partizipation sowie des bürgerschaftlichen Engagements. Demokratie lebt von der Mitwirkung möglichst vieler Menschen, die sich für deren Erhalt und ihre Mitmenschen einsetzen. Wie wichtig dies ist, zeigt sich insbe"Wir brauchen die Demokratie wie sondere in Krisenzeiten, in dedie Luft zum Atmen." nen Hetze gegen den demokraMichail Gorbatschow (1931-2022), Politiker und tischen Rechtsstaat, Verschwöletzter Präsident der Sowjetunion rungsdenken und Antisemitismus verstärkt aufkeimen. Dies sind Angriffe auf die Demokratie und die Gesellschaft. Dem wird mit aller Entschiedenheit begegnet. Ausrichtung und Schwerpunkte der Extremismus-Prävention orientieren sich jeweils an den aktuellen Gefährdungsund Gefahrenlagen. Ein besonderes Augenmerk gilt angesichts der Ereignisse und Entwicklungen in den zurückliegenden Jahren der Rechtsextremismus-Prävention, ohne dass dadurch andere Themenfelder in den Hintergrund geraten. Im Laufe der Zeit sind die Präventionsstrukturen in Rheinland-Pfalz stetig gewachsen. Landesweit leisten heute viele Einrichtungen sowie Akteure aus Staat und Zivilgesellschaft einen Beitrag gegen Extremismus, Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit. Austausch und Vernetzung bewegen sich auf einem hohen Niveau. Folgende Beispiele sind nur ein Ausschnitt: 21 1.1 Präventionsagentur gegen Extremismus Die beim rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz durch Ministerratsbeschluss eingerichtete Präventionsagentur gegen Extremismus existiert seit Mitte 2008 - zunächst unter der Bezeichnung Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus und seit Mitte 2017 unter dem aktuellen Namen. Sie ist Teil der offensiven Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes und informiert auf der Grundlage seiner Erkenntnisse über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Land. Die Agentur steht außerdem Mandatsund Amtsträgern, Bediensteten und Gremien der Landesund Kommunalverwaltung als Ansprechpartner und Dienstleister zur Verfügung. Dabei stellt ihre personelle und fachliche Nähe zum Verfassungsschutz sicher, dass auf Informationen über die aktuelle Sicherheitslage zugegriffen werden kann. Die Präventionsagentur gegen Extremismus hilft des Weiteren bei der Koordination von Aktivitäten und dokumentiert diese, kooperiert mit anderen Akteuren, die in der Extremismus-Prävention aktiv sind und informiert über aktuelle extremistische Herausforderungen. Zudem fördert sie finanziell Projekte und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Hierzu zählt beispielsweise das Ende 2017 gegründete Bündnis "Demokratie gewinnt!". In ihrem Internetauftritt "gegenextremismus.rlp.de" informiert die Agentur ausführlich über ihr Angebot und gibt einen Überblick über andere Präventionsund Bildungsangebote gegen Extremismus. In der Rubrik "Aktuelles" finden sich dort regelmäßig neue Informationen. Im Juni 2021 wurde bei der Präventionsagentur gegen Extremismus die Dokumentationsund KoorIm Oktober 2021 erschien die Broschüre dinierungsstelle Antisemitismus eingerichtet. Daüber Antisemitismus. 22 mit soll die Bearbeitung der verfassungsschutzrelevanten Formen des Antisemitismus intensiviert werden. Antisemitische Bestrebungen von Extremisten werden dort zusammengeführt und dokumentiert. Außerdem erstellt die Dokumentationsund Koordinierungsstelle anlassbezogen Analysen und Lagebilder, die unter anderem in die Präventionsarbeit einfließen. Präventionsagentur gegen Extremismus: Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Tel.: 06131/16-3773 Fax: 06131/16-17-3773 E-Mail: praeventionsagentur@mdi.rlp.de Homepage: gegen-extremismus.rlp.de 1.2 Kommunale Kriminalprävention Die Leitstelle Kriminalprävention im Ministerium des Innern und für Sport wurde 1997 auf Beschluss des Ministerrats eingerichtet. Sie vernetzt und unterstützt die gewaltund kriminalpräventive Arbeit der rheinland-pfälzischen Kommunen. Zudem fungiert sie als Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Rheinland-Pfalz. Zu den Aufgaben der Leitstelle Kriminalprävention gehören unter anderem die Betreuung und Beratung der kriminalpräventiven Gremien in den Kommunen, die Durchführung von Veranstaltungen wie dem Landespräventionstag, Fachtagungen, Informationsveranstaltungen, sowie landesweite Präventionskampagnen und -projekte. Die Leitstelle "Kriminalprävention" fördert zudem kriminalpräventive Projekte durch die Bewilligung von Fördergeldern, so zum Beispiel für Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. 23 Leitstelle Kriminalprävention: Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Tel.: 06131/16-3712 Fax: 06131/16-17-3712 E-Mail: kriminalpraevention@mdi.polizei.rlp.de Homepage: kriminalpraevention.rlp.de 1.3 Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz Das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz vernetzt im Auftrag des Förderprogramms "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie und des Landes RheinlandPfalz Engagierte und Aktive, die sich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und für eine demokratische Gesellschaft einsetzen. Hierfür bietet das Demokratiezentrum RheinlandPfalz Raum für Interaktionen und Austausch über Demokratieförderung sowie Expertise in Extremismus-Prävention und -intervention. Um die Ziele Demokratie fördern - Vielfalt gestalten - Extremismus vorbeugen zu erreichen, setzt das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz auf seine gesellschaftlich breit aufgestellten Netzwerke: * Im Kompetenznetzwerk "Demokratie leben!" Rheinland-Pfalz sind viele Initiativen, Vereine und Institutionen gebündelt, die sich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und für Demokratie einsetzen. * Das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz ist ein Zusammenschluss von Vertreterinnen und Vertretern staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, die ihre Expertise zum Thema Rechtsextremismus einbringen. 24 * Das Präventionsnetzwerk gegen religiös begründete Radikalisierung Rheinland-Pfalz - DivAN fördert den Diskurs möglichst vieler Akteurinnen und Akteure bei ihrem langfristigen Ziel, religiös begründeter Radikalisierung junger Menschen vorzubeugen. Seit 2001 bietet das Aussteigerprogramm "(R)AUSwege" Beratung und Unterstützung für Menschen, die sich aus der extrem rechten Szene lösen wollen. Für die erste Kontaktaufnahme mit den sozialpädagogischen Helferinnen und Helfern von (R)AUSwege ist eine kostenfreie anonyme Telefon-Hotline (0800) 45 46 000 installiert. (R)AUSwege steht für den Mut zu einem Neubeginn und ein Leben ohne Hass und Gewalt. An derselben Hotline kann auch Kontakt zu "Rückwege" - Beratung für jungen Menschen auf der Schwelle zum Rechtsextremismus hergestellt werden. Das Projekt setzt bei jungen Menschen an, die kurz vor dem Einstieg in ein extrem rechtes Milieu stehen. Ihnen sollen Alternativen aufgezeigt werden, bevor sich menschenfeindliche Einstellungen verfestigen. E-Mail: rueckwege@lsjv.rlp.de Die Elterninitiative gegen Rechts / Angehörigenberatung bei demokratiefeindlichen Einstellungen unterstützt Menschen,die infamiliären Beziehungen zu rechtsextremistischen, demokratiefeindlichen oder verschwörungsgläubigen Personen stehen und Beratung zur Linderung ihres Leidensdrucks suchen. Tel.: 06131 / 967 373, E-Mail: angehoerigenberatung@lsjv.rlp.de Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz: Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz c/o Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinallee 97-101 55118 Mainz Tel.: 06131/967-185 E-Mail: demokratiezentrum@lsjv.rlp.de Homepage: demokratiezentrum.rlp.de 25 1.4 Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz Seit Mai 2018 gibt es das Amt des/der Beauftragten der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz. Damit wurde ein Bindeglied zwischen der Landesregierung und den jüdischen Gemeinden im Land und eine Koordination aller Bemühungen zur Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus geschaffen. Die Sicherung und die Förderung des jüdischen Lebens in Rheinland-Pfalz gehören hierbei ebenso zu den Aufgaben wie die Unterstützung des interreligiösen Dialogs. Zu den Tätigkeitsschwerpunkten gehören vielfältige Gesprächs-, Besuchs-, Tagungs-, Fortbildungsund Vortragstermine. Darüber hinaus geht der Beauftragte/die Beauftragte antisemitischen Vorfällen nach und steht im ständigen Austausch mit den jüdischen Gemeinden und den Sicherheitsbehörden. Beauftragte(r) für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen: STAATSKANZLEI RHEINLAND-PFALZ Peter-Altmeier-Allee 1 55116 Mainz Tel.: 06131/16-4064 Fax: 06131/16-4771 E-Mail: antisemitismusbeauftragte@stk.rlp.de 1.5 Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz Im September 2020 nahm die vom Land geförderte Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz die Arbeit auf. Auf der Plattform www.meldestelle-rlp.de können Vorfälle gemeldet werden, die mutmaßlich aus rassistischen, antisemitischen oder anderen menschenfeindlichen Motivlagen heraus begangen wurden. Melden können sich sowohl Betroffene als auch Zeuginnen und Zeugen von Vorfällen. Der merkmals26 übergreifende Ansatz erfasst neben antisemitischen und rassistischen Vorfällen auch Handlungen, die sich beispielsweise gegen Wohnungslose oder sozial benachteiligte Menschen richten, Übergriffe, Beleidigungen oder Bedrohungen gegen vermeintliche politische Gegner sowie Repräsentanten des Staates oder der Zivilgesellschaft. Zudem bietet m*power unter anderem Einzelfallund Gruppenberatung, Psychosoziale Prozessbegleitung und Bildungsarbeit an. Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in Rheinland-Pfalz: Meldestelle m*power Bahnhofplatz 7A 56068 Koblenz Tel.: 0261/55001140 E-Mail: kontakt@mpower-rlp.de Homepage: meldestelle-rlp.de 1.6 Bündnis "Demokratie gewinnt!" - Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz Mehr als 80 zivilgesellschaftliche und staatliche Organisationen sowie Unternehmen aus RheinlandPfalz engagieren sich im Bündnis "Demokratie gewinnt!" dafür, junge Menschen frühzeitig an Demokratie, Beteiligung und freiwilliges Engagement heranzuführen. Das Bündnis will dazu beitragen, die Lernund Lebensorte von Kindern und Jugendlichen demokratisch und partizipativ zu gestalten, damit sie von klein auf demokratische Haltungen und Kompetenzen erwerben können. Der Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz findet seit 2006 jedes Jahr mit über 1.000 Teilnehmenden zu verschiedenen Themenschwerpunkten statt. Er ist im Land das zentrale Forum zum Austausch und zur Weiterentwicklung von Strategien und Methoden der Engagementund Demokratieförderung in und außerhalb von Schulen. Veranstalter ist das Bündnis "Demokratie gewinnt!". 27 Bündnis "Demokratie gewinnt!": Koordination des Bündnisses "Demokratie gewinnt!" Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Leitstelle Ehrenamt und Bürgerbeteiligung Tel.: 06131/16-4083 E-Mail: leitstelle@stk.rlp.de Homepage: demokratie-gewinnt.rlp.de 1.7 Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Rheinland-Pfalz ist ein weltoffenes und vielfältiges Land. Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt finden hier ihre Heimat. Diese Vielfalt von Lebensformen und Ausdrucksmöglichkeiten gibt Menschen Raum für die Entfaltung ihrer Persönlichkeiten und ist ein schützenswerter Grundpfeiler einer offenen, freien und solidarischen Gesellschaft. Vielen Menschen wird aber die Teilhabe an unserer Gesellschaft erschwert, weil sie bestimmten Gruppen zugerechnet werden. Um dem effektiv entgegenzutreten, hat die rheinland-pfälzische Landesregierung gemeinsam mit vielen Gruppen aus der Zivilgesellschaft einen Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entwickelt und im November 2020 veröffentlicht. Die in dem Plan enthaltenen Projekte und Maßnahmen wirken demokratiefeindlichen Ideologien, Einstellungen und Handlungen sowie ihrer Verbreitung entgegen und sie unterstützen und stärken Opfer. Eine Maßnahme des Landesaktionsplans gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist der Beratungskompass Rheinland-Pfalz. Auf der Internetseite "beratungskompass-rlp.de" finden Betroffene, Angehörige sowie Zeuginnen und Zeugen von menschenfeindlichen Vorfällen Stellen, die Beratung und Hilfe anbieten oder Ansprechpartnerinnen und -partner sowie Informatio28 nen bereitstellen. Bei Selbsthilfeorganisationen können Betroffene mit Menschen sprechen, die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben wie sie. Darüber hinaus werden zur tieferen Auseinandersetzung Fortund Weiterbildungsangebote rund um den Themenkomplex Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gelistet. Auf einer integrierten Rheinland-Pfalz-Karte lassen sich Anlaufstellen in der Nähe schnell finden. Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Kaiser-Friedrich-Straße 5a 55116 Mainz Tel.: 06131/16-5642 oder 16-5689 E-Mail: LAP-GMF-Rassismus@mffki.rlp.de Homepage: mffki.rlp.de 2. Wirtschaftsschutz und Sicherheitspartnerschaft Vor allem kleine und mittlere Unternehmen bilden das Rückgrat der rheinlandpfälzischen Wirtschaft. Dabei ist der Wissensvorsprung häufig deren größtes Kapital. Für staatliche Akteure ist dieses Know-how ein sehr attraktives Aufklärungsziel. Werden Unternehmen und ihre IT-Infrastruktur "erfolgreich" angegriffen, verursacht der illegitime Abfluss sensibler Daten häufig einen großen wirtschaftlichen Schaden, der bis zu einer Insolvenz reichen kann. Nur schwer kann dabei zwischen staatlicher Wirtschaftsspionage und privatwirtschaftlicher Konkurrenzausspähung unterschieden werden. Doch egal, welche Akteure dahinterstehen - insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sind sich der Gefahren nicht immer bewusst. Zum Schutz der rheinland-pfälzischen Unternehmen haben die Landesregierung, die Kammern und Unternehmensverbände sowie die Vereinigung für die Sicherheit der Wirtschaft bereits im Jahr 2005 eine förmliche Sicherheitspartnerschaft vereinbart, deren Wurzeln bis zur Mitte der 90er Jahre zurückreichen und die bundesweit hohe Beachtung findet. 29 Getragen von einem gemeinsamen Grundverständnis des präventiven Wirtschaftsschutzes wurde diese Kooperation zu einem Vorzeigemodell für die Vernetzung staatlicher und wirtschaftlicher Akteure im Bereich der Unternehmenssicherheit. In der Gemeinsamen Erklärung zur Bildung einer Sicherheitspartnerschaft haben sich die Unterzeichner darauf verständigt, insbesondere die mittelständischen und exportorientierten Betriebe im Handel, Handwerk und Gewerbe hinsichtlich der Gefährdungen durch Wirtschaftsspionage, Proliferation, Sabotage, Extremismus und Terrorismus zu sensibilisieren und durch vielfältige Informationsangebote die erforderliche betriebliche Eigenvorsorge zu fördern. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz nimmt innerhalb der Sicherheitspartnerschaft eine koordinierende Rolle wahr. Die Expertisen der Spionageabwehr, verstärkt auch zur ITund Cybersicherheit werden seit Jahren auf Fachkongressen und Tagungen einem breiten Fachpublikum präsentiert. 3. Cyberschutz Die Kriegshandlungen in der Ukraine und die gegen Russland verhängten EUSanktionen haben zu einer erhöhten Gefährdung durch russisch gesteuerte Cyberangriffe geführt. Der Verfassungsschutz unterstützt die rheinland-pfälzischen Unternehmen im Bereich der Cyberund IT-Sicherheit vor diesem Hintergrund mit einem neuen Angebot. Das Sicherheitsportal Cyberschutz Rheinland-Pfalz, das unter cyberschutz.rlp.de zu erreichen ist, bündelt Informationen zu Cyberangriffen und zu konkreten technischen Absicherungsmöglichkeiten zum Schutz vor Cyberspionage und Cybersabotage. Es erweitert die Unterstützungsleistungen des Verfassungsschutzes um ein dauerhaft verfügbares, stets aktuelles Format. Auf dieser Plattform stellt der Verfassungsschutz sogenannte IOCs beziehungsweise Bedrohungsindikatoren bereit. Dabei handelt es sich um maschinenlesbare Informationen, beispielsweise bösartig genutzte E-Mail-Adressen, mit denen IT-Fachleute ihre Systeme besser gegen Angriffe von außen absichern können. Sie helfen den Verantwortlichen, mit Hilfe ihrer Firewalls, Mailfilter und Sicherheitsprogramme Infiltrationen zu erkennen. Die 30 bereitsgestellten Indikatoren ersetzen also nicht klassische IT-Sicherheitsprodukte, sondern ergänzen ihren Schutzumfang. Was sind IOCs? IOCs steht für Indicators of Compromise, das heißt für Indikatoren der Kompromittierung. Vereinfacht dargestellt handelt es sich dabei um Regelsätze, mit denen ein System erkennen kann, dass es an bestimmten Stellen bedroht ist. Ein IOC kann zum Beispiel eine Liste von Internetadressen enthalten, die fürs Verteilen von Schadsoftware bekannt sind. Andere IOCs können Prüfsummen von schädigenden Skripten auflisten. Entdeckt ein IT-Sicherheitssystem dann im eigenen Haus eine Datei, die die gleiche Prüfsumme ergibt, liegt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Kompromittierung vor. Angereichert mit weiteren Informationen etwa zur Herkunft der Datei oder, welche Server von befallenen Systemen kontaktiert werden, kann so eine Kompromittierung erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Neben den Bedrohungsindikatoren werden auf dem Cyberschutz-Portal auch umfangreiche Informationen für Behörden und Betreiber kritischer Infrastrukturen bereitgestellt. Unter anderem wird in einem Video-Tutorial erklärt, wie ITSicherheitsinfrastruktur automatisiert gehärtet werden kann. Opfer eines Cyberangriffs erhalten Tipps dazu, welche Schritte einzuleiten sind. Das Angebot ist kostenlos und richtet sich an Unternehmen mit professioneller IT-Struktur. Um Cyberschutz einem möglichst großen Teilnehmerkreis bekannt zu machen, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf zahlreichen Fachveranstaltungen vertreten, bspw. dem ersten Cyber-Sicherheitskongress des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft in Mainz. Auch bei Formaten für Energieund Wasserversorger konnte Cyberschutz Rheinland-Pfalz einem interessierten Fachpublikum vorgestellt werden. 31 Informationen zum Thema Cyberschutz Ministerium des Innern und für Sport Abteilung Verfassungsschutz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Tel.: 06131/16-3773 E-Mail: Info.Verfassungsschutz@mdi.rlp.de Homepage: www.cyberschutz.rlp.de 32 C. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen 33 34 Brennpunktthemen 35 1. Russland-Ukraine-Krieg - Umbruch und Umdenken Der Russland-Ukraine-Krieg steht wie kein anderes Ereignis des Jahres 2022 für eine Zeitenwende der geound sicherheitspolitischen Lage in Europa. Mit dem Überfall Russlands am 24. Februar 2022 eskalierte ein seit 2014 schwelender Konflikt und stellte die seit dem Ende des Kalten Krieges gültigen Überzeugungen in Frage. Schnell zeigten sich auch in Deutschland Auswirkungen des Kriegsgeschehens. Russland zuzurechnende Cyberattacken sind nur ein Beispiel. Bereits Ende Februar 2022 erfolgte ein Cyberangriff auf das Satellitennetzwerk des Unternehmens Viasat, der unter anderem zum Ausfall der Fernsteuerung zahlreicher Windenergieanlagen in Deutschland führte. Im Mai 2022 wurden die Internetseiten des Bundesverteidigungsministeriums, der Bundespolizei und zahlreicher Landespolizeien vorübergehend lahmgelegt. Auch weiterhin besteht eine abstrakt erhöhte Gefährdungslage durch russisch gesteuerte Cyberangriffe als Vergeltungsmaßnahmen für EU-Sanktionen oder Waffenlieferungen an die Ukraine. Insbesondere für Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) wächst das Risiko. Diese sind jedoch auch durch realweltliche Angriffe bedroht, wie die Sabotagehandlungen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 oder den Datenkabeln der Deutschen Bahn belegen. Was sind Kritische Infrastrukturen? Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (Definition der Bundesressorts). Dazu gehören unter anderem Energieund Wasserversorger, Transport und Verkehr, aber auch medizinische Einrichtungen. Rheinland-Pfalz stellt als bedeutender Stationierungsstandort der US-Streitkräfte und der Bundeswehr ein potenzielles Ziel russischer Ausspähversuche dar. Mit der Ramstein Air Base befindet sich die zentrale europäische Drehscheibe für 36 Fracht und Truppentransporte des US-Militärs im Land. Sie ist auch immer wieder Ausrichtungsort für die internationalen Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe. Idar-Oberstein ist seit Mai 2022 Ausbildungsort für ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000. Mit rund 700 KRITIS-Unternehmen und einem Anteil an der für die Streitkräfteversorgung bedeutsamen NATO-Pipeline befinden sich auch zahlreiche potenzielle Ziele für Sabotageversuche in Rheinland-Pfalz. Teil des Flugfeldes und Terminal der Ramstein Air Base. Quelle: U.S. Army Corps of Engineers Europe District/CC-BY-2.0 .(Wikimedia) Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist daher in vielfältiger Weise vom Verlauf des Konflikts betroffen. Mehrere Aufgabengebiete sehen sich gewachsenen Herausforderungen ausgesetzt und müssen die dynamische Lage und ihre Auswirkungen auf Deutschland und Rheinland-Pfalz fortwährend neu bewerten. Gleichzeitig gilt es, mögliche Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren und geeignete Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Der Schutz von KRITIS, Unternehmen, Regierung und Verwaltung ist zu einem der relevantesten Handlungsfelder des Verfassungsschutzes geworden. Er klärt auf und bietet umfänglich Präventionsund Schutzmaßnahmen an. Kennzeichnend für die gewachsene Bedrohung ist vor allem das hybride Vorgehen Russlands, bei dem unterschiedliche Methoden angewendet werden, so neben Cyberoperationen Propaganda-, Desinformationsund Einflussnahmekampagnen oder auch "klassische" Spionage und Ausspähung. Ein weiteres hervor37 stechendes Merkmal hybrider Bedrohung sind die Versuche, zur Beeinflussung der politischen Willensbildung den Wirtschaftskreislauf eines Ziellandes durch die Herstellung und Instrumentalisierung wirtschaftlicher oder technologischer Abhängigkeiten gezielt zu manipulieren. Das Phänomen des hybriden Vorgehens ist zwar nicht neu, bisher trat es jedoch nicht in vergleichbarer Dimension und Konzentration auf. Charakteristisch für die aktuelle hybride Bedrohung ist, dass diese Maßnahmen aus dem gesamten staatlichen und militärischen wie auch aus dem zivilen Spektrum einschließt. Sowohl nachrichtendienstliche, staatlich gesteuerte Akteure als auch illegitime regierungsnahe Gruppierungen (zum Beispiel Hackergruppen) sind am Geschehen beteiligt. Dabei versuchen insbesondere die staatlichen Kräfte ihre Urheberschaft möglichst zu verschleiern, um beispielsweise unerkannt Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse mit dem Ziel der Destabilisierung demokratischer Strukturen zu nehmen. Voraussetzung für das Vorliegen hybrider Bedrohungen ist, dass mehrere dieser Maßnahmen koordiniert eingesetzt werden. So kann beispielsweise ein Cyberangriff auf den Social-Media-Account einer Regierungsinstitution eine Vorbereitungshandlung für die anschließende Verbreitung von Desinformationsnarrativen über diesen Account sein. Durch den quasi offiziellen Charakter solcher Botschaften steigen ihre Glaubwürdigkeit und die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Adressaten als authentisch interpretiert werden. Für das Erreichen des übergeordneten Zieles der gesellschaftlichen Destabilisierung werden zudem extremistische Bestrebungen (finanziell) unterstützt und antistaatliche Proteste gefördert. Für den Verfassungsschutz sind daher Reaktionen und Aktionen der extremistischen Szene auf das Kriegsgeschehen von vordringlicher Bedeutung. Auch in Rheinland-Pfalz sind in den sozialen Medien Versuche russischer Akteure festzustellen, Kontakte zu extremistischen Kreisen aufzunehmen und sie für die eigene Sache zu instrumentalisieren. Zur Lageentwicklung und den Reaktionen des Verfassungsschutzes im Einzelnen: 38 Spionageabwehr Es steht zu erwarten, dass die Russische Föderation und die mit ihr verbündeten beziehungsweise befreundeten Länder auf unabsehbare Zeit eine antiwestliche Allianz im geheimdienstlichen Bereich bilden, um gegen den Westen gerichtete Maßnahmen zu bündeln und zu intensivieren. Dies stellt neue Anforderungen an die Spionageabwehr im Nachrichtendienstverbund und beim rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz. Aber bereits jetzt sind die Herausforderungen gewachsen. In den Monaten seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges wurden auch in Rheinland-Pfalz vermehrt Verdachtsfälle möglicher Ausspähaktivitäten registriert. Zudem nahm die Zahl der Anfragen von Unternehmen, Behörden und Organisationen zu Informationen über Spionageaktivitäten und entsprechenden Präventionsmöglichkeiten stark zu. Als Reaktion auf die veränderte Gefährdungslage und die vielfältigen Formen hybrider Bedrohungen hat die Spionageabwehr daher in enger Zusammenarbeit mit dem Geheimschutz ihre Präventionsarbeit ausgebaut. Durch umfängliche Beratungsund Sensibilisierungsgespräche und -vorträge soll das Bewusstsein relevanter Akteurinnen und Akteure in Rheinland-Pfalz für Sicherheitsthemen und Schutzmaßnahmen gestärkt werden. Auch die Internetaufklärung zu Spionage und Einflussnahme wird ausgebaut. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den Feldern Desinformation und Delegitimierung liegen, wo bereits jetzt eine enge Zusammenarbeit mit dem Phänomenbereich Rechtsextremismus erfolgt. Relevante Entwicklungen werden in regelmäßigen Lagebildern und Sonderberichten für Rheinland-Pfalz dokumentiert. Geheimschutz und Wirtschaftsschutz Seit Beginn des Angriffskrieges haben der Geheimund Wirtschaftsschutz an Bedeutung gewonnen. Die Geheimund Sabotageschutzbeauftragten des Landes und der Kommunen sowie Unternehmen und KRITIS-Betreiber werden regelmäßig über neue Spionageund Sabotagegefahren informiert. Dabei werden 39 entsprechende Empfehlungen veröffentlicht sowie anlassbezogene Beratungen durchgeführt. Angesichts der Gefahr von Spionageaktivitäten fremder Staaten in deutschen Sicherheitsbehörden werden die bestehenden Sicherheitsbestimmungen fortwährend evaluiert und gegebenenfalls angepasst. Die 2022 eingeleiteten Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Spionageverdacht gegen einen leitenden Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes zeigen, dass solche Szenarien vor dem Hintergrund des Krieges sehr real sind. Cybersicherheit Die Abwehr von Cyberspionage und -sabotage ist ein Arbeitsschwerpunkt des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Auch Lieferketten können davon betroffen sein. Die eingesetzte Schadsoftware richtet sich dabei nicht direkt gegen das eigentliche Angriffsziel, sondern beispielsweise gegen einen Zulieferer oder IT-Dienstleister. Entstehen dadurch Zugriffsmöglichkeiten auf die entsprechenden Unternehmensnetzwerke und Systeme, können auch die Daten des eigentlichen Zielunternehmens ausgespäht werden. Der Cyberangriff auf den IT-Dienstleister Count+Care im Juni 2022 führte auch zu Beeinträchtigungen im Nahverkehrsangebot der Mainzer Mobilität. Quelle: M. Burggraf/CC-BY-SA 2.5 (Wikimedia) 40 Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat daher seine Informationsund Unterstützungsangebote insbesondere für KRITIS-Einrichtungen, Unternehmen und Behörden ausgebaut, damit sie sich bestmöglich vor Cyberangriffen schützen können. Im Rahmen von Vortragsveranstaltungen werden diese Zielgruppen und ausgesuchte Multiplikatoren1 fortwährend zu aktuellen Cyberbedrohungen sensibilisiert. Die Website cyberschutz.rlp.de beinhaltet ein umfangreiches Schutzangebot. Neben Informationen über Cyberangriffe und technische Absicherungsmöglichkeiten werden dort auch Hinweise zu wichtigen Erstmaßnahmen nach einer Cyberattacke gegeben.2 Reaktionen der extremistischen Szenen auf den Russland-Ukraine-Krieg Rechtsextremismus Der Russland-Ukraine-Krieg wurde auch in der rechtsextremistischen Szene aufgegriffen und diskutiert. Eine einheitliche Positionierung innerhalb des heterogenen Spektrums zeichnet sich dabei bislang jedoch nicht ab. Im besonderen Fokus der neonazistischen Partei "Der III. Weg" stehen seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs die Beziehungen zur nationalistischen Asow-Bewegung ("Partei Nationales Korps", Regiment Asow). Dabei hat sich die Partei klar für die Ukraine positioniert. Ausschlaggebend hierfür dürften nicht zuletzt die bereits langjährig bestehenden Kontakte auch rheinland-pfälzischer Parteimitglieder zum Regiment Asow sein. So besuchten seit Oktober 2017 wiederholt Angehöige der Partei Mitglieder des Asow-Regiments in der Ukraine. Propaganda "Der III. Weg" 1 Zum Beispiel: die Kommunalen Spitzenverbände, der Verband kommunaler Unternehmen und der Landesverband der Wasserund Energiewirtschaft. 2 Mehr zum Cyberschutz im Teil Prävention (s. S. 30). 41 Im Laufe des Krieges rief "Der III. Weg" unter dem Motto "Nationalisten helfen Nationalisten" zu Geldspenden für Materiallieferungen an das Regiment Asow auf. Von den Spendengeldern wurden militärische Ausrüstungsgegenstände, allerdings keine Waffen, gekauft und in Transporten in die Ukraine verbracht. Eine erste Hilfslieferung soll nach Berichten der Partei Ende März 2022 in Kiew eingetroffen sein. Eine zweite Lieferung sei Anfang April 2022 ebenfalls nach Kiew erfolgt. Anfang Juni soll es schließlich zu einer dritten Lieferung in die Ostukraine gekommen sein. "Der III. Weg" setzte sich sogar zeitweise für die Bereitstellung von Unterkünften in Deutschland für Angehörige ukrainischer Kämpfer und damit explizit für Flüchtlinge ein. Eine ähnlich einheitliche Positionierung der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) ist hingegen nicht zu erkennen. Einig ist man sich parteiintern allenfalls in der generellen Ablehnung des "Bruderkrieges", also dem Kampf "Weiße gegen Weiße". Verantwortlich hierfür zeichne nach Ansicht der NPD die "Kriegshetze" der NATO. Die Partei versteigt sich in die Behauptung, dass der Krieg nur den politischen und wirtschaftlichen Interessen der USA dienen würde; vordergründig gehe es darum, Russland zu isolieren und "auszuschalten". Zudem nutzten Vertreter der Partei den russischen Überfall für antisemitische Schmähungen. So bekundete der stellvertretende Vorsitzende der NPD Rheinland-Pfalz in einem Facebook-Eintrag kurz nach dem russischen Einmarsch in chiffrierter und doch unverhohlener Weise, die Kriegsparteien würden "ausgespielt von jenen, die zwar auch weiß sind, aber weder im Geiste, noch im Antlitz so sind wie wir" - gemeint sind zweifelsohne Juden. Die NPD dokumentiert damit und mit der Aussage: "Gewinnen werden, unabhängig des Ausgangs [Anm.: des Krieges], die ewigen Menschheitsverderber - das internationale Weltgaunertum" einmal mehr ihre vom Bundesverfassungsgericht attestierte "Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus". Die NPD Trier missbrauchte den Russland-Ukraine-Krieg zudem für ausländerfeindliche Agitation, indem sie versuchte, Flüchtlinge in ihrer Gesamtheit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und als existentielle Bedrohung für das deutsche Volk zu diffamieren, wie folgendes Zitat verdeutlicht: "Unter dem Deckman42 tel der Ukraine-Hilfe kommt nun die nächste nicht-europäische Migrantenwelle nach Deutschland!"3 "Delegitimierer"-Szene Der Russland-Ukraine-Krieg wurde von Beginn an in der "Delegitimierer"-Szene (DEL-Szene) vermehrt aufgegriffen und zum Gegenstand eigener staatsund regierungsfeindlicher Propaganda. Insgesamt überwiegen dabei bislang pro-russische Bekundungen und der Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr, indem verbreitet wird, dass die eigentlichen Aggressoren und Initiatoren des Krieges die Ukraine selbst und der "Westen" beziehungsweise die NATO seien. Die Auswirkungen des Krieges, wie steigende Lebenshaltungskosten und Energieknappheit, werden dabei ausschließlich der Bundesregierung und anderen Propaganda der DEL-Szene Quelle: Telegram deutschen Politikerinnen und Politikern angelastet. Verwoben wird dies mit Verschwörungsnarrativen. Beispielsweise, so die Behauptung, sei der Krieg vom "Westen" angestiftet worden, um von der eigenen, vermeintlich verbrecherischen Corona-Politik abzulenken. Die Bundesregierung wird als "Marionette der Vereinigten Staaten" oder als von "globalen Eliten" gesteuert verunglimpft. Jene "Eliten" planten im Zuge des Krieges und der "künstlichen Verteuerung der Lebenshaltungskosten" eine neue Weltordnung. In dieser Verschwörungsphantasie vom sogenannten Great Reset fungiere die Bundesregierung nur als "willfähriger Gehilfe im Hintergrund wirkender Mächte", um die Bevölkerung zu töten oder zu versklaven. Ziel der DEL-Szene ist es, Ängste zu befeuern, damit die mögliche Wut der Bevölkerung sich letztlich gegen das gesamte politische System wendet. Insbesondere im Themenfeld Energieund Lebenshaltungskosten sieht die extremistische Delegitimierer-Szene das Potenzial, bei der bürgerlichen Mitte anschlussfähiger zu werden. Dahinter steht die Absicht, wieder stärkeren Zulauf zu Protesten zu generieren, die zuletzt deutlich abgeflacht waren. Durch die Be- 3 Facebook-Eintrag der NPD Trier vom 15. März 2022. 43 hauptung, die Lebenshaltungskosten würden künstlich in die Höhe getrieben, wird suggeriert, dass die Regierung absichtlich gegen das eigene Volk handelte. Legitime Kritik an der Politik soll sich in eine grundsätzliche Ablehnung des bestehenden demokratischen Systems steigern, da es sich für die Bevölkerung vermeintlich nicht bewährt. "Reichsbürger" Im heterogenen Spektrum der "Reichsbürger" lässt sich mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg keine einheitliche Linie erkennen. Dennoch scheint die große Mehrheit der Szene russlandfreundlich gestimmt zu sein. Ebenso weitestgehend einig zeigt man sich in der Ablehnung der NATO: Der "kollektive Westen", ein auch von Russland bemühtes Narrativ, sei ohne Frage schuld am Krieg in der Ukraine. Vereinzelt finden sich antisemitische Versatzstücke wie beispielsweise die Behauptung, eine "Geldelite" im Hintergrund habe den Krieg bewusst herbeigeführt. Zugleich scheint das "Reichsbürger"-Spektrum im russischen Präsidenten Putin eine Art "Heilsbringer" zu sehen. Er könne den lang ersehnten "Friedensvertrag" mit Deutschland oder - je nach Selbstverständnis - mit dem "Deutschen Reich" schließen. Letztlich sei so auch die Rückkehr eines deutschen Kaisers als Staatsoberhaupt möglich. Gleichzeitig erhofft man sich vor allem im gebietsrevisionistischen Teil der "Reichsbürger"-Szene die "Rückgabe" der ehemaligen Ost-Gebiete durch Russland. Linksextremismus Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben sowohl der Antimilitarismus also auch Antiimperialismus in der linksextremistischen Szene an Bedeutung gewonnen. Ähnlich dem Rechtsextremismus herrscht allerdings auch innerhalb der zersplitterten linksextremistischen Szene keine einheitliche Position vor. Bei der autonomen ANTIFA-Szene ist eher eine Unterstützung der Ukraine zu be-obachten. Anders stellt sich der dogmatische Linksextremismus dar, repräsentiert unter anderem durch die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP). Dieser ist traditionell russlandfreundlich. In vielen Veröffentlichungen leugnen dogmatische Linksextremisten die russische Aggression und übernehmen teil44 weise kritiklos die offizielle Position Moskaus. So bevorzugen dogmatische Linksextremisten die den wahren Aggressor verschleiernde Formulierung "Konflikt zwischen Russland und den Nato-Staaten in der Ukraine". Dem unabhängigen Staat Ukraine wird nach dieser Logik ein Stellvertreter-Status vermeintlich westlicher Interessen zugeschrieben. Sowohl der NATO als auch den USA und der Bundesregierung werden "Kriegstreiberei" vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Einzelinteressen vorgeworfen. Die pro-europäische Maidan-Bewegung, in dem die ukrainische Bevölkerung 2013/2014 deutlich ihren Willen zu einer Annäherung an die Europäische Union durch Massenproteste kundgetan hat, wird als "Regime-Change" bewusst fehlinterpretiert. Auch der Begriff des Antifaschismus verliert in diesem Zusammenhang zunehmend seine ursprüngliche Bedeutung und wird zu einem Kampfbegriff gegen die Ukraine. Von Russland begangene Kriegsverbrechen hingegen werden ignoriert. Nicht nur dogmatische Linksextremisten nutzen die Debatte um Energiesicherheit und Inflation für ihre Propaganda. Scharf kritisiert wird die Aufnahme von Staatsschulden zur Erhöhung des Rüstungsetats. Das von der Bundesregierung aufgenommene Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro wird als Fehlinvestition angesehen. Hierbei wird auf Bedarfe im Bereich Klimaschutz, Soziales und Infrastruktur Demonstrationsaufruf der DKP verwiesen. Kaisers-lautern. Quelle: Facebook Im Zuge einer Ressourcenverknappung bzw. einem weiteren Anstieg der Inflation4 könnte die Verknüpfung der Themen soziale Ungerechtigkeit und Staatsausgaben für die Rüstung in Zukunft an Bedeutung gewinnen. 4 Die Weltbank warnt vor einem drastischen Rückgang des Wirtschaftswachstums. Dieses werde durch steigende Zinsen, hohe Inflation und den russischen Angriffskrieg - möglicherweise auch wieder durch Corona - "ausgebremst" (Quelle: Business Insider). 45 Islamismus Kaum einen Einfluss hat der Russland Ukraine Krieg auf die Aktivitäten der islamistischen Szene in Rheinland-Pfalz. Im Online-Diskurs wird der Konflikt lediglich in Bezug auf die vermeintliche Doppelmoral des Westens übereinstimmend gedeutet: Die große Solidarisierung Europas mit der Ukraine und die wahrgenommene Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Musliminnen und Muslimen in anderen Konflikten zeige die Islamfeindlichkeit des Westens einmal mehr auf. 2. Queerfeindlichkeit im Extremismus Queerfeindlichkeit ist eine Form der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Menschen werden aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität und, damit oft einhergehend, auch wegen ihrer sexuellen Identität abgewertet. Im Extremismus ist Queerfeindlichkeit eine feste Größe; oft tritt dabei auch Frauenfeindlichkeit zu Tage. Das gilt vor allem für Islamismus und Rechtsextremismus. In beiden Phänomenbereichen herrscht ein Rollenund Identitätsverständnis vor, das nicht der Lebenswirklichkeit entspricht. Ob von Islamisten religiös-traditionalistisch oder von Rechtsextremisten biologistisch-völkisch definiert, in jedem Fall werden die geschlechtliche Vielfalt und alle Lebensentwürfe, die den Weltanschauungen der Extremisten zuwiderlaufen, als Feindbilder betrachtet. Geschlechterrollen und Queerfeindlichkeit im Islamismus Die Forderung nach einer strikten Durchsetzung islamrechtlicher Gebote und Verbote gehört zum Grundbestand islamistischer Bestrebungen. Gerade bei Frauenrechten und Themen wie Ehe oder Sexualität treten Islamisten in öffentlichen Debatten gerne lautstark auf, um ihre Auslegung "der" Scharia5 zu vertreten und andere Positionen zu diskreditieren oder an den Rand zu drängen. 5 Der Begriff der Scharia (übersetzbar mit "Weg zur Tränke/Quelle") meint im Islam Rechtsnormen sowie moralische und religiöse Vorschriften, die als göttlich offenbart verstanden werden. Ihre Einhaltung soll den Menschen den Weg ins Paradies ebnen. Die Quellen der Scharia bilden Aussagen aus dem Koran und Überlieferungen aus dem Leben des islamischen Propheten Muhammad. Islamisten deuten die Scharia als absolut bindenden (weil göttlich offenbarten) Maßstab des individuellen, sozialen und politischen Lebens. Menschliche Gesetze werden von ihnen abgelehnt und als Verstoß gegen Gottes Willen begriffen. 46 Jihadisten6 gehen dabei sogar gewaltsam gegen alle Lebensentwürfe vor, die sie für nicht islamkonform halten. Ein drastisches Beispiel hierfür war die zeitweilige Herrschaft der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Regionen Syriens und Iraks. Islamisten deuten den Islam als Schutzschirm gegen vermeintliche Feinde, die die muslimische Familie bedrohen würden. Der größte Feind: Queere Menschen. Quelle: Telegram Basierend auf ihrem Scharia-Verständnis lehnen Islamisten diverse sexuelle Orientierungen und Identitäten sowie moderne Rollenund Familienbilder ab. Ihrer Auffassung nach existieren ein männliches und ein weibliches Geschlecht. Dies sei die gottgegebene Veranlagung (arabisch fitra) des Menschen. Männer und Frauen seien von Natur aus komplementär angelegt und hätten spezifische Wesenszüge. Daraus würden sich unterschiedliche Rollen, Rechte und Pflichten ergeben, die sie erfüllen Die menschliche Veranlagung (arab. fitra) kenne nur zwei Geschlechter. müssten. Dazu gehöre auch, Auszug aus einem Posting eines Salafisten zur Fußball-Weltmeisterschaft Quelle: Instagram dass nur Männer und Frauen miteinander sexuelle Beziehungen eingehen dürften und dies nur in der Ehe. Alternative Lebensmodelle werden als Sünde gedeutet. Menschen würden sich damit gegen ihre Veranlagung richten und entgegen Koran und Sunna handeln. 6 Jihadisten streben gewaltsam danach, einen Staat nach islamistischen Vorstellungen zu errichten. Dabei greifen sie gezielt auf terroristische Vorgehensweisen zurück. Ihre Taten interpretieren sie meist als Erfüllung einer religiösen Pflicht. Ihr Fernziel ist ein globales "Kalifat". 47 Zunahme an Queerfeindlichkeit im Internet Im Jahr 2022 agitierten deutschsprachige Islamisten online stärker als in vergangenen Jahren gegen die LGBTQIA+-Community. Neben dem "Pride Month" führten vor allem zwei Anlässe dazu, dass sie queerfeindliche Einstellungen äußerten: Einerseits Kunstprojekte, bei denen für die Inklusion von queeren Menschen im Islam geworben wurde ("Regenbogen Kaaba" und "LGBT+ Koran"). Wofür steht LGBTQIA+? Die Abkürzung stammt aus dem Englischen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual / Transgender, Queer, Intersexual, Asexual plus weitere sexuelle Orientierungen und Identitäten). Sie bezeichnet alle Personen, deren Geschlechtsidentität und sexuelles Empfinden keinem ausschließlich heteronormativen Mann-Frau-Konzept entsprechen. Andererseits riefen die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und die deutsche Berichterstattung über das Turnier queerfeindliche Reaktionen hervor. Der Fokus deutscher Medien auf die Menschenrechtssituation im Gastgeberland Katar wurde von Islamisten als Kulturimperialismus gewertet, hinter dem sich eine islamfeindliche Agenda verstecke. "Der" Westen wolle gerade mit seinen Verweisen auf die Rechte queerer Menschen islamische Werte angreifen, die es zu schützen gelte. Beispiele queerfeindlicher Gewalt im Islamismus Immer wieder werden Mitglieder der LGBTQIA+-Community Opfer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Form von Hass, Hetze und sogar Gewalttaten, die teilweise terroristische Qualität erreichen. Am 4. Oktober 2020 kam es in Dresden zum ersten islamistischen Anschlag auf Homosexuelle in Deutschland. Ein homosexuelles Paar wurde damals von einem Islamisten angegriffen. Einer der Männer verstarb aufgrund der Messerattacke, der andere wurde schwer verletzt. 48 Im Berichtsjahr feuerte in der Nacht zum 25. Juni ein Mann während des "Oslo Pride"-Festivals in der norwegischen Hauptstadt Schüsse in der Nähe einer queeren Bar ab. Zwei Menschen starben und 21 weitere wurden verletzt. Kurz danach wurde die Attacke durch die zuständigen Behörden als Terroranschlag eingestuft. Ein islamistischer Hintergrund ist wahrscheinlich. "Homosexualität ist Haram [das heißt aus religiösen Gründen verboten], Punkt. (...) Und es ist unsere Pflicht, dieses Wissen an unsere Kinder weiterzugeben und ihnen die Fähigkeit zu geben, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Denn mit der Zeit wird dieser glänzende Regenbogentumor einfach weiter wachsen." Auszug aus einem Upload auf einem islamistischen Telegram-Kanal Feindbilder und Verschwörungsdenken Islamisten begegnen Forderungen nach Gleichstellung und Sichtbarkeit queerer Lebensmodelle mit Ablehnung. Man sieht darin einen Angriff auf göttliche Gebote. Vor allem gelebte Homosexualität gilt Islamisten als religiös verboten und besonders verabscheuungswürdig. Homosexuelle werden als krank, moralisch verdorben und Bedrohung für Kinder diffamiert. Islamisten empfinden das Sichtbarmachen queerer Lebensentwürfe und eine entsprechende Sexualerziehung als Indoktrination Queerfeindliches Verschwörungsdenken im Islamismus (Auszug, Quelle: und "Wertediktatur". Telegram) Die Debatte wird derzeit bewusst emotionalisiert und zum neuen Schauplatz eines angeblichen Kulturkampfes zwischen "dem" liberalen Westen und "den" 49 wahren Muslimen stilisiert. Oft wird der Vorwurf laut, es gäbe eine versteckte Agenda feindlicher Mächte, deren Ziel die Vernichtung islamischer Werte und die Schädigung der Muslime sei. Sich selbst weisen Islamisten dann gerne die Rolle der mutigen "Beschützer" zu, die den Islam vor der vermeintlichen Attacke verteidigen würden. Türöffner Geschlechterkonzeptionen, die Männern und Frauen gottgegebene, biologisch verankerte Rollen, Identitäten und sexuelle Orientierungen zuschreiben, sind kein Spezifikum des Islamismus. Vielmehr teilen konservative Kreise bis in die Mitte des Islam (und anderer Religionen) vergleichbare Auffassungen. Allerdings versuchen Islamisten, die gesellschaftliche Debatte um LGBTQIA+Rechte lautstark zu besetzen und um antidemokratische und verschwörungstheoretische Positionen zu erweitern. Dabei inszenieren sie sich als Streiter für traditionelle Werte. Das Thema dient ihnen als Türöffner zu konservativen Kulturmilieus. Dort versuchen sie, Anhänger und Sympathisanten zu gewinnen. "...sie wollen eine Welt ohne Geschlechter erschaffen,ohne Religion,ohne Grenzen und Sinn. (...) Ich habe es nicht nur einmal gesagt. Sie versuchen uns zu manipulieren! Wundert euch nicht wenn eure Kinder auf der offene Straße vergewaltigt werden!!!" Auszug aus einem islamistischen Instagram-Posting, Rechtschreibung unverändert Gemeinsame Feinde Beim islamistischen Kampf für traditionelle Familienund Rollenbilder lassen sich ideologische und strategische Überschneidungen zum Rechtsextremismus feststellen. Dort machen Akteure in ähnlicher Art und Weise mobil gegen eine queere Verschwörung. Sie kämpfen ebenso aggressiv für ein "natürliches" Verständnis von Mann, Frau, Sexualität und Familie wie Islamisten. Der jeweilige Biologismus sowie patriarchales und martialisches Denken bieten einen gemeinsamen Ausgangspunkt islamistischer und rechtsextremistischer 50 Queerund Frauenfeindlichkeit. Ebenso ähneln sich das antisemitische und antidemokratische Verschwörungsdenken. Als Feindbilder dienen beiden Lagern unter anderem Juden, Demokraten, Liberale, Homosexuelle oder Feministinnen. In der englischsprachigen Meme-Kultur wird bereits ein vereinter Kampf von Islamisten und Rechtsextremisten gegen ihre gemeinsamen Gegner beschworen. Eine realweltliche Querfront beider Lager wurde zumindest in Rheinland-Pfalz bislang nicht festgestellt. Ein Symbolbild, das den vereinten Kampf von Islamisten und Rechtsextremisten gegen gemeinsame Feinde und eine jüdische Weltverschwörung beschwören soll (Quelle: Fandom) Bewertung und Ausblick Queere Menschen und Lebensentwürfe werden immer mehr zu einem wichtigen Feindbild islamistischer Akteure im deutschsprachigen Raum. Lange Zeit war das beherrschende Thema für Islamisten in Sachen Geschlechterrollen der Streit um Frauenrechte und Bekleidungsvorschriften. Gerade das Kopftuch wurde und wird zum Schauplatz eines Kulturkampfes stilisiert. Mittlerweile ergreifen Islamisten aber immer öfter die Gelegenheit, die gesellschaftliche Debatte um LGBTQIA+Rechte für sich zu instrumentalisieren. Sie betrifft das Moralempfinden vieler Menschen und bietet ein hohes Mobilisierungspotenzial. Queerfeindliche Agitationen garantieren Islamisten mediale Aufmerksamkeit, hohe Klickzahlen und Solidarisierungseffekte in konservativen Kreisen. Gerade Jugendliche und Eltern aus traditionell orientierten Milieus sollen über das Thema unauffällig mit islamistischer Ideologie vertraut gemacht werden. 51 Vermutlich werden Islamisten in Zukunft noch häufiger queerfeindlich agieren und dies als Verteidigung islamischer Normen und Werte inszenieren. Die gesellschaftliche Debatte wird genutzt werden, um eine polarisierende Identitätspolitik zu betreiben. Dazu wird das Narrativ der "Wertediktatur" und der antimuslimischen Agenda ausgebaut werden. Ebenso werden weitere Bedrohungsszenarien und Verschwörungserzählungen konstruiert werden, die vor den "Gefahren" und "Schäden" durch queere Menschen warnen. Gerade in sozialen Netzwerken, in denen LGBTQIA+-Themen derzeit eine prominente Rolle spielen, werden Islamisten versuchen, ein ideologisches Gegengewicht zu liberalen Positionen zu schaffen und queere Lebensentwürfe zu diffamieren. Ferner dürfte beim Thema Kindererziehung mit erhöhtem Engagement von Islamisten zu rechnen sein, da für sie die Vermittlung von religiös verankerten Geschlechterkonzepten ein zentrales Sozialisationsund Bildungsziel darstellt. Die islamistischen Feindbilder und Verschwörungsnarrative gegen queere Menschen können letztlich Radikalisierungsprozesse fördern und Jihadisten bei Anschlägen als Gewaltrechtfertigungen dienen. Die oft entmenschlichende Agitation in sozialen Netzwerken bildet ein reiches Legitimationsreservoir für Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen. Anschläge aus queerfeindlichen Motiven werden auch in Zukunft ein realistisches Szenario bleiben. Queerfeindlichkeit im Rechtsextremismus In der rechtsextremistischen, rassistisch geprägten Gedankenwelt ist die Familie bestehend aus Frau, Mann und Kindern das Kernelement und die Keimzelle eines "gesunden Volkes". Die mediale Thematisierung von Gleichberechtigung und die Rechte der LGBTQIA+-Community rufen Gegenreaktionen der rechtsextremistischen Szene hervor. Es verwundert daher nicht, dass ein wiederkehrendes Element der aktiven Parteiarbeit der Partei "Der III. Weg" eine klare Positionierung für ein traditionelles "deutsches" Familienbild ist. Ganz im Sinne eines völkisch geprägten Weltbildes werden regelmäßig durch Flugblattaktionen unter dem Motto: "Homo-Propaganda stoppen!" Anfeindungen initiiert. Zudem wird anlassbezogen in diffamierender Art und Weise die Queerfeindlichkeit zur Schau getragen, so beispielswei52 se bei lokalen Gegenveranstaltungen zum "Christopher-Street-Day". Auch die neonazistische "Neue Stärke Partei" lehnt alternative Lebensmodelle strikt ab. Die Forderung nach und die Förderung der "gesunden Familie", bestehend aus Mann, Frau und Kindern steht im MittelQueerfeindliche Agitation (Quelle: "Der III. Weg") punkt der von ihr vertretenen Ansichten. "Der Untergang der weißen Rasse ist zu verhindern. Die Homosexualisierung unserer Gesellschaften ist zu unterbinden." Auszug Manifest der "Neuen Stärke Partei" vom 16. Februar 2022, abgerufen auf Homepage: "neue-stärke.eu" am 01. Dezember 2022. Schließlich trug zuletzt auch die der Neuen Rechten zugehörige "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) deutschlandweit in ihren Aktionsformen zunehmend queerfeindliche Positionen zur Schau. Anlässlich einzelner Veranstaltungen zum "Christopher-Street-Day" führten Angehörige der Organisation Banneraktionen durch. Unter dem Motto "Es gibt nur zwei Geschlechter - Keine Brücke dem Wahnsinn" brachte die IBD ihre Ablehnung gegenüber der LGBTQIA+-Bewegung zum Ausdruck, die aus ihrer Sicht von "nahezu allen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen hofiert" werde. Auch in der rechtsextremistischen Musikszene tritt Queerfeindlichkeit zu Tage. So hat die im Jahr 2022 veröffentlichte CD "Bambule Randale Rechtsradikale" des Liedermachers "Johnny Zahngold" vorwiegend niveaulose, sexistische sowie frauen-, fremdenund LGBTQIA+-feindliche Texte zum Inhalt. 53 3. Fallkomplex "Vereinte Patrioten" - chatten, vernetzen, bedrohen Im Jahr 2022 gelang den rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden mit der Aufdeckung und Aushebung der Gruppierung "Vereinte Patrioten" ein wichtiger Schlag gegen eine im Entstehen begriffene terroristische Vereinigung. Die Geschichte begann in der virtuellen Welt und nahm rasch bedrohliche Züge an. Während der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 wurden zahlreiche Social-Media-Gruppen gegründet, um die Bemühungen der vielen freiwilligen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zu koordinieren. Hierunter fanden sich bedenklicher Weise auch solche, die nur vorgaben, Hilfe leisten zu wollen. Tatsächlich ging es in diesen Gruppen und Kanälen letztlich allein um die Verbreitung verfassungsfeindlicher Inhalte und Thesen. In diesem Kontext wurde der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz auf eine Telegram-Gruppierung aufmerksam, die sich zwar als Fluthelfer ausgegeben hatte, deren vorrangiges Ziel aber darin bestand, massiv gegen den Staat sowie seine Repräsentantinnen und Repräsentanten zu agitieren. Zugleich versuchten die Gruppenmitglieder, Gleichgesinnte zu rekrutieren. Nach intensiver Beobachtung und Analyse konnte schließlich festgestellt werden, dass zwischen dieser vermeintlichen Fluthilfe-Telegram-Gruppe und der später unter der Bezeichnung "Vereinte Patrioten" bekanntgewordenen, zunächst virtuellen Gruppierung, personelle Überschneidungen beziehungsweise Bezüge bestehen. Es zeigte sich, dass in den Chatgruppen der "Vereinten Patrioten" fortlaufend das Ziel eines "Systemsturzes" an einem "Tag X" erörtert wurde, um dem Widerstand gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie Ausdruck zu verleihen. Damit einher gingen eine deutliche Radikalisierung, eine hohe Waffenaffinität einzelner Akteure sowie Äußerungen zu möglichen Anschlagszielen und -szenarien gegen die Energie-Infrastruktur. Dabei geriet auch eine Person aus Neustadt an der Weinstraße in das Visier des Verfassungsschutzes. Die Zusammensetzung der "Vereinten Patrioten" war äußerst heterogen. So waren neben Rechtsextremisten auch "Reichsbürger" und Personen aus dem Beobachtungsfeld "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" unter 54 den Akteuren. Eine solche Gemengelage war bis dahin in dieser Form neu. Als kleinsten gemeinsamer Nenner konnten sich die ideologisch unterschiedlichen Richtungen offenbar auf das "Feindbild BRD" und den von ihnen propagierten "Systemsturz" einigen. Die Chatgruppe bot dabei einen optimalen Nährboden zur Radikalisierung einzelner Personen. In dieser Echokammer entstand eine Dynamik, in der sich demokratieund systemfeindliche sowie teilweise rechtsextremistische Narrative verfestigten. Diese brisante Mischung machten sich die Rädelsführer zu Nutze und rekrutierten diejenigen für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke, die über bloßes "Sprüche klopfen" und Maulheldentum hinaus bereit waren, zur Tat zu schreiten. Vor dem Hintergrund sich zunehmend konkreter werdender Tatplanungen und -vorbereitungen möglicher schwerer staatsgefährdender Straftaten und der sich daraus ergebenden potenziellen Gefahr für die Bevölkerung, wurde der Fallkomplex zur weiteren Bearbeitung an das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz und die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz abgegeben. In der Folge wurden umfangreiche und in weiten Teilen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. Im Verlauf der strafrechtlichen Ermittlungen konkretisierte sich das Ziel der Gruppierung: Den Sturz der Bundesregierung und die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen. Nach Vorstellung der "Vereinten Patrioten" sollte es zunächst nach einem von ihnen initiierten bundesweiten Stromausfall durch Beschädigung beziehungsweise Zerstörung von Einrichtungen der Stromversorgung, also der kritischen Infrastruktur, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen. Diese würden dann zu einem Umsturz führen, so das Kalkül. Weiter war beabsichtigt, den amtierenden Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, auch unter Inkaufnahme der Tötung seiner Begleitpersonen, gewaltsam zu entführen. Zur Erreichung dieser staatsgefährdenden Ziele bemühte sich die Gruppierung um die Beschaffung von Waffen. Aufgrund der fortschreitenden Vorbereitungshandlungen durch die Beschuldigten erfolgte im Frühjahr ein fingiertes Waffengeschäft zwischen verdeckten Ermittlern der Polizei und einem der Beschuldigten, der im Zuge der Übergabe am 13. April 2022 in Neustadt an der Weinstraße festgenommen wurde. Im Anschluss fanden deutschlandweit insgesamt 20 Hausdurchsuchungen statt, bei denen vier Beschuldigte - darunter der Hauptbeschuldigte aus Rheinland-Pfalz - vorläufig 55 festgenommen wurden. Ein weiterer mit Haftbefehl gesuchter Beschuldigter ist noch flüchtig. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen konnten diverse Waffen (14 Langund sieben Kurzwaffen sowie ein Kalaschnikow-Sturmgewehr) nebst Munition, umfangreiche Bargeldbeträge sowie zahlreiche Goldbarren und Silbermünzen sichergestellt werden. Außerdem wurden gefälschte Polizeiausweise, Polizeikellen, Impfpässe und Phantasieurkunden aus der "Reichbürger"-Szene aufgefunden und sichergestellt Der Generalbundesanwalt übernahm zwischenzeitlich das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Mitte Oktober 2022 erfolgte in Sachsen die Festnahmen einer weiteren Beschuldigten der Gruppierung "Vereinten Patrioten". Die amtsbekannte "Reichsbürgerin" nahm innerhalb der Gruppe eine besondere Stellung ein, indem sie mit konkreten Vorgaben die Pläne der "Vereinten Patrioten" vorantrieb und koordinierte. Zudem war sie in die Beschaffung von Waffen und Munition eingebunden. Bei der Beschuldigten handelt es sich um eine ehemalige rheinland-pfälzische Lehrerin und Autorin mehrerer Bücher, in welchen sie bereits in der Vergangenheit typische "Reichsbürger"-Propaganda verbreitet hatte, weshalb der Pensionärin - unabhängig von den aktuellen strafrechtlichen Vorwürfen - mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. März 2022 das Ruhegehalt aberkannt wurde. Fazit der Ereignisse An dem Beispiel der Gruppierung "Vereinten Patrioten" wird deutlich, dass sich die Akteure unterschiedlich weltanschaulich-ideologisch geprägter extremistischen Szenen nicht mehr vor einem Zusammenwirken scheuen, wenn es darum geht, das von ihnen verfolgte gemeinsame Ziel zu erreichen, den Sturz der Regierung und einhergehend die Beseitigung des freiheitlich-demokratischen Systems herbeizuführen. Seit 2021 lässt sich vermehrt eine nicht unerhebliche Vernetzung von "Reichsbürgern", Rechtsextremisten und "Delegitimierern" feststellen. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist die Verachtung des Staates, seiner Institutionen und letzthin der Demokratie. Die Corona-Proteste haben insoweit wie eine Art Katalysator gewirkt. Sie boten eine Grundlage dafür, dass Menschen, 56 deren Alltag und politische Ausrichtung sich unter normalen Umständen nicht gekreuzt hätten, auf einmal gemeinsam auf die Straße gingen und gemeinsam demonstrierten. Zwar handelt es sich im Verhältnis nur bei einem vergleichsweise kleinen Teil der Demonstierenden, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gewandt haben und heute noch wenden, um Extremisten. Problematisch ist jedoch die verstärkt zu beobachtende mangelnde Abgrenzung von Teilen der bürgerlichen Protest-Szene zu Rechtsextremisten und "Reichsbürgern". Auch bei einigen Protestveranstaltungen in Rheinland-Pfalz sah man Flaggen der "Reichsbürger"-Szene, wenngleich dieser Personenkreis keinen prägenden Einfluss auf das Geschehen hatte. Eine wesentliche Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem virtuellen Raum zu. Gerade in Gruppen und Kanälen des Messenger-Dienstes Telegram ist vermehrt zu beobachten, wie sich verschiedene ideologische Elemente, einschlägige Narrative und andere extremistische Inhalte aus den genannten Phänomenbereichen vermischen. Eine gedankliche Schnittmenge bilden dabei Verschwörungsphantasien, die beispielsweise den Kampf zwischen "Gut und Böse" propagieren: Auf der einen Seite findet sich das arglose Volk, auf der anderen eine finstere Elite aus Politik, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft. Verknüpft wird dies regelmäßig mit der Behauptung, dass deutsche Politikerinnen und Politiker die Handlanger fremder Mächte aus dem Hintergrund seien. Nicht selten wird dies mit chiffriertem oder offenem Antisemitismus in Verbindung gebracht. Gefährlich ist diese Entwicklung nicht zuletzt, weil sich die Extremisten der unterschiedlichen Lager allesamt in dem Glauben wähnen, sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht gegenüber dem Staat berufen zu können, um den Kampf gegen eine vermeintliche Diktatur zu führen. Man sei Opfer einer existenziellen Bedrohung, so das Szenario, das Handlungsdruck erzeugen soll - im genannten Beispiel rechtfertigten die Beschuldigten sogar ein terroristisches Vorgehen. 4. "Krisen willkommen" - Extremisten nutzen jede Gelegenheit Extremisten wähnen sich in einem Zustand permanenter Bedrohung durch den Staat und lassen nichts unversucht, diesen und seine demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten zu verunglimpfen. Dahinter steckt das langfristige Ziel, das "System" zum Einsturz zu 57 bringen - mithin die Demokratie zu beseitigen. Krisen sollen ihnen dabei in die Hände spielen. Krisen wecken Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung. Dieser Tatsache sind sich Extremisten wohl bewusst. Sie instrumentalisieren Krisen, um solche Ängste zu schüren, Menschen zu verunsichern und unsere Demokratie zu destabilisieren. Dies trifft insbesondere für Rechtsextremisten und Angehörige der "Delegitimierer"-Szene zu Krisen wie die Corona-Pandemie, der Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine sind gesellschaftliche Extremsituationen, die erhebliche humanitäre Risiken in sich tragen. Sie verunsichern Menschen und können sie für vermeintlich einfache Lösungen, Erklärungen und Schuldzuweisungen empfänglich machen. Extremisten kommt dies entgegen. Generell ist festzustellen, dass extremistische Kreise gesellschaftliche Problemthemen aufgreifen, um daraus sich entwickelnde Krisensituationen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie versuchen gerade in Krisenzeiten, mit ihren demokratiefeindlichen Botschaften, konstruierten Feindbildern und Verschwörungstheorien in der Gesellschaft dort anzudocken, wo Extremismus noch keinen Nährboden fand. Extremisten versprechen sich davon, dass Grenzen zwischen ihnen und der demokratischen Mitte erodieren und die eigene Anhängerschaft wächst. Dies konnte beispielsweise 2015 bei der sogenannten Flüchtlingskrise aber auch ab 2021 im Zuge der Corona-Pandemie festgestellt werden. In dem im April 2021 eingerichteten Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitmierung des Staates" wurde beispielsweise die Verschwörungstheorie verbreitet, dass die Corona-Pandemie lediglich eine bewusst herbeigeführte Pandemie, also eine "Plandemie" sei, um die Bevölkerung zu unterdrücken und sie ihrer Freiheiten zu berauben. Das eigentliche von den "Delegitimierern" verfolgte Ziel war es, das Vertrauen in das politische System nachhaltig zu erschüttern. Die Szene ist in ihrer Themenwahl flexibel und orientiert sich jeweils an tagesaktuellen Herausforderungen mit Krisencharakter. So haben im Jahr 2022 insbesondere Rechtsextremisten und "Delegitimierer" in den sozialen Medien und bei Demonstrationen - vereinzelt auch in Rheinland-Pfalz - unter anderem die Preissteigerungen speziell bei Lebensmitteln sowie allgemein die gestiegenen Energieund Lebenshaltungskosten aufgegriffen. Entlang dieser Themen plat58 zierten sie ihre Botschaften sowie Verschwörungsphantasien und versuchten damit, Ängste in der Bevölkerung zu verstärken und letztlich in Wut gegen den Staat, dessen Institutionen und Repräsentanten ("Eliten") zu kanalisieren. In der einschlägigien Propaganda hieß es unter anderem, dass die Lebensmittelund Energiekrisen "künstlich erzeugt" würden, um die Bevölkerung im Rahmen eines sinistren Plans, dem sogenannten Great Reset, zu enteignen. Quelle: Telegram. Was bedeutet "Great Reset"? Kern der Verschwörungsfantasie "Great Reset" (sinngemäß "Der große Neustart") ist die Behauptung, dass eine "globale Elite" in Politik und Wirtschaft eine globalisierte Diktatur anstrebe. Ursprünglich handelt es sich um die als "The Great Reset" bezeichnete Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF), das die Weltwirtschaft nach der COVID-19-Pandemie gerechter, sozialer und nachhaltiger gestaltet werden sollte. Insbesondere im Rahmen von Corona Protesten wird "The Great Reset" als wiederkehrendes Narrativ benutzt, welches besagt, dass die Eliten der Welt eine "neue Weltordnung" ("New World Order", kurz NWO) errichten wollen. Mit Hilfe der Pandemie könne dieses Vorhaben nun umgesetzt werden. Je nach Lesart wird behauptet, dass die Pandemie eigens für diesen Zweck geplant und inszeniert worden sei. Corona sei demnach eine Bio-Waffe, um eine Bevölkerungsreduktion durch Sterilisation per Impfung oder Tot durch Impfung herbeizuführen. Auch die gängige Mär vom "Bevölkerungsaustauch" (oder "Große Austausch"), wie auch antisemitische Verschwörungsnarrative, lassen sich leicht mit der Verschwörungstheorie vom "Great Reset" verknüpfen. 59 Der Bundesregierung wird unterstellt, sie verfolge den Plan des "Great Reset". Zugleich wird sie nicht als demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan wahrgenommen, sondern vielmehr als "Handlanger verschwörerischer Kräfte im Hintergrund" diffamiert. In Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde die Bundesregierung als "Kriegstreiber", einzelne Politikerinnen und Politiker, nebst den "Mainstreammedien", als "Kriegshetzer" tituliert. Die Schuld am Ausbruch des Krieges liege einzig beim "Westen", der Russland quasi dazu gezwungen habe, völkerrechtswidrig in die Ukraine einzumarschieren. Deutschland sei zudem nicht souverän, sondern lediglich die Marionette der Vereinigten Staaten von Amerika - so der einschlägige Wortlaut im "Delegitimierer" - Spektrum. Auch rechtsextremistische Social-Media-Auftritte, die in den letzten Jahren eher das Corona-Protestgeschehen virtuell befeuerten, setzten 2022 verstärkt auf die Thematik steigender Verbraucherpreise. Aufgegriffen wurden zudem - nach 2015 erneut - die zuletzt intensivere Presseberichterstattung über steigende Flüchtlingszahlen. Dabei wird von rechtsextremistischer Seite versucht, einen Zusammenhang zwischen dem Flüchtlingsthema und den steigenden Lebenshaltungskosten zu konstruieren. Propagiert wurde unter anderem das Narrativ, dass der Staat für Asylsuchende finanzielle Mittel zur Verfügung stelle, die eigene Bevölkerung hingegen absichtlich vernachlässige. Diese unhaltbare Behauptung wird mit der in rechtsextremistischen Kreisen gängigen Verschwörungstheorie vom "Großen Austausch" (der Bevölkerung) verknüpft, wonach die regierenden "Eliten" die einheimische ("weiße") Bevölkerung systematisch gegen "Fremde" austauschen wollen. Als Fazit bleibt festzuhalten: An den Beispielen aus der "Delegitimierer"-Szene und dem rechtsextremistischen Milieu wird deutlich, dass insbesondere diesen Kreisen offensichtlich jedes Mittel recht ist, um vor allem in Krisenzeiten demokratische Prozesse zu konterkarieren, die etablierte Politik in Abrede zu stellen und die Gesellschaft zu spalten und zu destabilisieren. Perfide ist, dass dabei re60 gelmäßig versucht wird, niedere menschliche Instinkte anzusprechen, um Hass zu schüren. 5. Entwicklungen im transnationalen Jihadismus Im Jahr 2022 ereignete sich in Europa kein Terroranschlag, den eine jihadistische Gruppe für sich reklamierte. Stattdessen erfuhren die beiden wichtigsten Terrororganisationen "al-Qaida" (AQ) und der "Islamische Staat" (IS) selbst schwere Rückschläge. Am 31. Juli tötete eine militärische Drohne der US-Streitkräfte den AQ-Anführer Aiman al-Zawahiri in einem Diplomatenviertel der afghanischen Hauptstadt Kabul. Der IS verlor zweimal seinen selbsternannten "Kalifen". Anfang Februar starb Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi während einer Operation von US-Spezialkräften in der syrischen Region Idlib. Sein Nachfolger Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi starb laut Medienberichten Mitte Oktober in der syrischen Provinz Dar'a während Kampfhandlungen mit einer örtlichen Miliz. Ankündigung des sechsten Teils einer Serie von AQ-Botschaften mit dem Titel "Die Abmachung des Jahrhunderts oder Jahrhunderte andauernde Kreuzzüge" von Aiman al-Zawahiri von Juli 2022, Quelle: AQ-Medienstelle "as-Sahab" 61 Während der IS Ende November seinen mittlerweile vierten Kalifen benannte (Abu al-Husain al-Husaini al-Qurashi), hat AQ bisher noch keinen Nachfolger für al-Zawahiri bekannt gegeben. Für beide Gruppen bedeutet der Verlust ihrer Anführer eine symbolische Niederlage im Kampf gegen ihre äußeren Feinde und hat außerdem Auswirkungen auf den internen Machtkampf zwischen Gruppierungen mit jihadistisch-salafistischer Ideologie. Betroffen ist auch die außenpolitische Glaubwürdigkeit der "Taleban", die Afghanistan seit 2021 beherrschen. Dass sich al-Zawahiri im Diplomatenviertel von Kabul aufhielt, stellt einen offensichtlichen Bruch des Abkommens von Doha (Katar) zwischen den "Taleban" und den USA dar. Afghanistan bleibt voraussichtlich auch unter der Herrschaft der "Taleban" gewollt oder ungewollt ein wichtiger Standort für die Entwicklung des transnationalen Jihadismus. Der IS und die "Taleban" Insbesondere für den afghanischen IS-Ableger "Islamischer Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) bringt die derzeit instabile Lage in der Region vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten mit sich. Neben direkten Angriffen auf die Taleban sind Anschläge gegen westliche Ziele innerhalb und außerhalb Afghanistans für die Gruppierung in doppelter Hinsicht strategisch zielführend. Erstens könnte sie dadurch IS-Anhängern und Sympathisanten der Organisation ihre eigenen operativen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis stellen; zum anderen würde sie dadurch den rivalisierenden "Taleban" außenpolitisch enorme Schwierigkeiten bereiten, denn diese haben sich international verpflichtet, Terroristen in Afghanistan keinen sicheren Rückzugsort zu bieten. Der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) Der ISPK ist ein regionaler Ableger des "Islamischen Staates" (IS), der in Afghanistan und Pakistan aktiv ist. Er formierte sich etwa im Jahr 2014 aus Mitgliedern anderer Milizen und terroristischer Gruppierungen und trat im Januar 2015 offiziell dem IS bei. Der ISPK ist für über 1.000 Anschläge verantwortlich. 62 Dass der ISPK trotz seines überwiegend regional geführten Kampfes seine ideologischen Interessen auch außerhalb von Pakistan und Afghanistan durchsetzen möchte, zeigen die Inhalte seines neu aufgelegten Onlinemagazins "Voice of Khurasan" (auf Deutsch: Khurasans Stimme). Die neunzehn englischsprachigen Ausgaben aus dem Jahr 2022 behandeln jihadistisch interpretierte Themen aus internationaler Politik und Religion und berichten aus der Perspektive der Gruppierung über terroristische Aktivtäten des ISPK. Titelbild der 13. Ausgabe des ISPK-Magazins "Voice of Khurasan" mit einem deutschen Reisepass und dem Titelthema "Zerstöre den Götzen des Nationalismus" Jihadismus in Afrika Afrikanische Staaten gewinnen für den transnationalen Jihadismus weiterhin an Bedeutung. Im Juni erklärte der IS Afrika für alle Muslime zum "Gebiet der Auswanderung und des Jihads". Bisher rief der IS hauptsächlich zur Auswanderung (hijra) in sein damaliges Kerngebiet in Syrien und Irak auf. Der Aufruf unterstreicht den Erfolg regionaler IS-Ableger in Afrika gegenüber den Verlusten des IS in Syrien und Irak. Derzeit sieht die Führung des IS in den afrikanischen Provinzen (wilayat) vermutlich größeres Potenzial, um Gebiete dauerhaft unter ihre Herrschaft zu bringen als im ehemaligen Kerngebiet des "Kalifats". Einige Erfolge erzielte zum Beispiel der "Islamische Staat - Provinz Westafrika" (ISWAP), der sich maßgeblich aus früheren Mitgliedern der rivalisierenden Terrorgruppe "Boko Haram" zusammensetzt. Propagandavideo des ISWAP, Quelle: IS-nahe Website 63 Der IS bekannte sich zu einem gezielten Angriff auf ein Gefängnis nahe der nigerianischen Hauptstadt Abuja Anfang Juli, bei dem Jihadisten etwa 800 Gefangene, darunter auch viele eigene Mitglieder, befreiten. Der Vorfall zeigt, dass jihadistische Gruppen in Nigeria in der Lage sind, auch in der Nähe städtischer Zentren Operationen durchzuführen. Der IS hat im Rahmen seiner militärischen Kampagne "Breaking the Walls" (auf Deutsch: "Die Mauern einreißen") die Befreiung seiner Anhänger aus Gefängnissen zum strategischen Ziel erklärt. Zeremonie einer ISWAP-Miliz zur Treuebekundung des neuen IS-"Kalifen", Quelle: IS-nahe Website Jihadisten prägen zunehmend ethnische und politische Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent. Die Sahelzone hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot des jihadistischen Terrorismus entwickelt. Besonders betroffen sind dort die Länder Mali, Nigeria und Burkina Faso, in denen sowohl der ISWAP als auch "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) bzw. ihr Zweig "Jama'at Nasr al-Islam wa-l-Muslimin" (JNIM) sehr aktiv sind. Somalia, Mosambik und die Sinai-Halbinsel sind ebenfalls stark vom jihadistischen Terrorismus betroffen. Die klassischen jihadistischen Feindbilder wie die USA, der Westen oder auch Iran spielen in diesen Auseinandersetzungen kaum eine Rolle. Die Konfliktlinien des afrikanischen Jihadismus verlaufen stattdessen unter anderem zwischen ethnischen Lagern, rivalisierenden jihadistischen Milizen, Warlords, staatlichen Kontrahenten, sowie Farmern und Viehhirten im Kampf um Landnutzung. Jihadisten treten dabei nicht nur als Kämpfer auf, sondern versuchen, lokale Konflikte auf Grundlage ihrer Interpretation der Scharia zu regulieren. 64 Bewertung und Ausblick Das Beispiel ISPK und die Entwicklungen in der Sahelzone zeigen, wie anpassungsfähig AQ und der IS auch weiterhin sind. Ungeachtet ihrer Rivalität um Machtansprüche und des Verlustes ihrer Anführer mobilisiert ihre gemeinsame jihadistische Ideologie weiterhin weltweit neue Anhänger. Ein Szenario, in dem diese Ideologie und die daraus erwachsende terroristische Bedrohung dauerhaft überwunden werden kann, erscheint derzeit unrealistisch. Überwiegend wird jihadistische Gewalt dabei auch weiterhin auf bereits umkämpfte Konfliktregionen entfallen, wobei Anschläge in Europa trotzdem jederzeit möglich sind. So verübte am 25. Juni ein islamistisch motivierter Einzeltäter mit psychischen Auffälligkeiten einen Anschlag in der Nähe einer queeren Bar in Oslo (Norwegen). Massenhafte Ausreisen aus Deutschland in Einflussgebiete des IS in Afrika sind trotz des Aufrufs zur hijra nicht zu erwarten. Auf dem afrikanischen Kontinent diversifiziert sich der transnationale Jihadismus insgesamt, indem er sich zunehmend auf Konflikte mit geringer geopolitischer Relevanz einlässt. Aber gerade die Vereinnahmung nicht religiöser und lokal begrenzter Konflikte durch salafistisch-jihadistische Akteure stellt eine ideologische Verbindung zwischen ihnen her. Der Salafismus gewinnt dadurch insgesamt als eine alternative Gesellschaftsordnung überregional an Bedeutung, da religiöse Herrschaft im Vergleich zu der oft schwachen staatlichen Herrschaft der Bevölkerung als das geringere Übel erscheinen könnte. Aber auch wenn eine vollständige und dauerhafte Machtübernahe einer jihadistischen Gruppierung in der Sahelzone derzeit unwahrscheinlich erscheint, so ist deren politische Verhandlungsposition zur Durchsetzung islamistischer Interessen gegenüber der Regierung einiger afrikanischer Staaten gestiegen. 65 66 Rechtsextremismus 67 1. Personenpotenzial 2022 2021 Gesamt 750 740 Gewaltorientierte* 150 150 Parteien und parteiabhängige Strukturen 295 295 * NPD 150 150 *"Der Dritte Weg" 50 50 *"DIE RECHTE" 15 15 *"Junge Alternative" 40 40 *"Neue Stärke Partei" 10 10 *Sonstige 30 30 Parteiunabhängige Strukturen 220 210 Unstrukturiertes Personenpotenzial** 235 235 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. Gesamtzahlen ohne Mehrfachzuordnungen. * Die Zahl der Gewaltorientierten ist eine Schnittmenge und beinhaltet vor allem Teile des unstrukturierten Personenpotenzials sowie Neonazis. ** Einschließlich ca. 30 Personen aus dem "Reichsbürger"-Spektrum. 2. Überblick und Entwicklungen 2022 Als "Frühwarnsystem" hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung rechtzeitig zu erkennen, zu bewerten und hierüber zu informieren. Die Gefahren für Demokratie und Gesellschaft, die von rechtsextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen ausgehen, sind unverändert hoch. Daher stellt die Beobachtung des gewaltorientierten Rechtsextremismus einen Schwerpunkt der Arbeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes dar. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten -rechtsbelief sich 2022 in Rheinland-Pfalz auf 740 (2021: 754), darunter waren 49 Gewalttaten (2021: 37). 68 Die Neonaziszene in Rheinland-Pfalz Innerhalb der rechtsextremistischen Szene machen Neonazis den größten Teil des gewaltorientierten Personenpotenzials aus. Mit ca. 200 Personen stellt die Neonaziszene seit mehreren Jahren den größten Anteil bei parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen in Rheinland-Pfalz. Die Neonaziszene gliedert sich überwiegend in lose, informelle Zusammenschlüsse mit niedrigem Organisationsgehalt. Die "klassische" Kameradschaftsszene mit ihren straff organisierten Gruppierungen hat zuletzt an Wichtigkeit verloren. Zu den neonazistischen "Kameradschaften" gehören die "Kameradschaft Rheinhessen" und der "Nationale Widerstand Zweibrücken". Im Jahr 2022 beteiligte sich die Kameradschaftsszene regelmäßig an Veranstaltungen der Partei "DIE RECHTE". Im Berichtsjahr wurde der "Gedenkmarsch für die Toten in den alliierten Rheinwiesenlagern" in Remagen - die bedeutendste Veranstaltung der rechtsextremistischen Szene im Land - im Vorfeld aufgrund rückläufiger Teilnehmerzahlen erstmalig abgesagt. Rechtsextremistische Parteien und Strukturen Die zahlenmäßig stärkste rechtsextremistische Partei in Rheinland-Pfalz ist weiterhin die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). Die Partei veranstaltete im Jahr 2022 wieder Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen. Außerdem wurden auch im Berichtsjahr die sogenannten Schutzzonen-Aktionen im Land durchgeführt. Die NPD befindet sich in einer Dauerkrise. Interne Streitigkeiten befeuern den anhaltenden Niedergang der Partei. Die Mitgliederzahl der Partei "DIE RECHTE" ist mit etwa 15 Personen auf gleichbleibendem Niveau. Die Partei weist Überschneidungen zur rheinland-pfälzischen Kameradschaftsszene auf, insbesondere zur "Kameradschaft Rheinhessen", sodass überwiegend im rheinhessischen Raum öffentliche Aktivitäten registriert wurden. Die relativ junge "Neue Stärke Partei" unterhält in Rheinland-Pfalz die Abteilung "Neue Stärke Rheinhessen". Im Berichtsjahr wurden eine rückläufige Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen und ein stagnierender Ausbau weiterer Strukturen festgestellt. Im Juli 2022 führte die Partei eine Demonstration in Mainz durch, die 69 mit rund 60 teilnehmenden Rechtsextremisten - darunter die "Kameradschaft Rheinhessen" - weit hinter den Erwartungen der Partei blieb. Digitaler Rechtsextremismus Die Nutzung des Internets und verschiedener sozialer Netzwerke sowie Messengerdienste durch Rechtsextremisten ist ungebrochen hoch. Im Jahr 2022 zeigte sich auch, dass die Möglichkeiten virtueller Vernetzung und Kommunikation mitunter zu einer Vermischung von Akteuren ganz unterschiedlicher Phänomenbereiche führen kann und sich auf diese Weise Gruppierungen bilden können, die auf klassischem, analogem Wege niemals zu einander gefunden hätten beziehungsweise hätten entstehen können. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende Im Jahr 2022 haben sich die landesweit veranstalteten rechtsextremistischen Konzerte, Liederbeziehungsweise Balladenabende reduziert und auf dem Niveau des Jahres 2020 eingependelt. Im Berichtsjahr ist es den rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden gelungen, die Etablierung eines Szeneobjekts im nördlichen Rheinland-Pfalz zu unterbinden. Die "Neue Rechte" Im Berichtszeitraum setzte sich der Bedeutungsverlust der "Identitären Bewegung" (IB) fort. Diesem versuchte die IB mit einer taktischen Neuausrichtung zu begegnen. Im nördlichen Rheinland-Pfalz trat die "Revolte Rheinland" als Nachfolgeorganisation der IB Rheinland-Pfalz in Erscheinung. Die "Revolte Rheinland" ist insbesondere mit Flugblattverteilungen und der Teilnahme an den sogenannten Montagsspaziergängen vor allem in Koblenz in Erscheinung getreten. Gerichtliche Entscheidungen Am 8. März 2022 bestätigte das Verwaltungsgericht Köln die Einstufung der "Alternative für Deutschland" (AfD) und der Jugendorganisation "Junge Alterna70 tive für Deutschland" (JA) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sogenannter Verdachtsfall. Die AfD hat hiergegen Berufung eingelegt. 3. Gruppierungen und Strukturen 3.1 Gewaltorientierter Rechtsextremismus Die neonazistische Gruppierung "Combat 18 Deutschland" (kurz: C18) wurde im Jahr 2020 unanfechtbar verboten.1 Nachdem zu befürchten stand, dass Mitglieder der verbotenen Gruppierung gegen das Vereinigungsverbot verstoßen, leitete der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof im April 2021 ein verdecktes Ermittlungsverfahren gegen den thüringischen Rädelsführer von "Combat 18 Deutschland" ein. Was bedeutet C18 Der Name steht für "Kampfgruppe Adolf Hitler" - abgeleitet vom ersten und achten Buchstaben des Alphabets und damit auf die Initialen Adolf Hitlers. Bei C18 handelte es sich um eine neonazistische, rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Vereinigung, die eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufwies und insbesondere in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv war. Das Verfahren richtet sich bundesweit gegen 21 Beschuldigte, die im Verdacht stehen, die Gruppierung C18 aufrechterhalten zu haben oder Mitglieder bzw. Unterstützer der verbotenen Vereinigung gewesen zu sein. Der Verdacht der Fortführung einer verbotenen Vereinigung stützt sich maßgeblich auf sicherheitsbehördlich festgestellte Zusammenkünfte der Beschuldigten, nach dem Verbot der Gruppierung, die als sogenannte Pflichttreffen von C18 bewertet werden. Anlässlich solcher Treffen muss- 1 Vgl. hierzu Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz 2021, S. 61. 71 ten Teilnehmer, die der Gruppierung beitreten wollten, Aufnahmeprüfungen absolvieren, die aus theoretischen und praktischen Teilen bestanden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kam es im April 2022 zu bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen, die unter Federführung des Bundeskriminalamtes auch in Rheinland-Pfalz im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Trier erfolgten. 3.2 Rechtsextremistische Parteien und parteiabhängige Gruppierungen 3.2.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Überblick/Entwicklungen Die NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland, in Rheinland-Pfalz ist sie weiterhin die mitgliederstärkste unter den rechtsextremistischen Parteien. Ihr politisches Konzept ist aufgrund ihrer Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgelegt.2 Die Partei strebt die Errichtung eines ethnisch homogenen, autoritären Nationalstaats an. Im Jahr 2019 haben Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Das Verfahren ist noch anhängig. Die durchweg "vernichtenden" Wahlergebnisse der letzten Jahre führten zu einer Dauerkrise der Partei. Die NPD ist im Jahr 2022 mangels Erfolgsaussichten bei keiner Landtagswahl (Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen) angetreten. Der Parteivorstand wollte auf dem Bundesparteitag 2 vgl. Urteil des BVerfG vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13, Rn. 805 ff. 72 im Mai 2022 im hessischen Altenstadt einen Neustart wagen und die Partei in "Die Heimat" umbenennen lassen. Dieses Ansinnen scheiterte knapp: die notwendige Satzungsänderung wurde um drei Stimmen verfehlt, was den anhaltenden Richtungsstreit innerhalb der Partei verdeutlicht. Personenpotenzial Der anhaltende Mitgliederschwund der NPD setzte sich auch im Jahr 2022 fort. Mittlerweile zählt die Partei bundesweit noch ca. 3.200 Mitglieder (2021: ca. 3.500). In Rheinland-Pfalz verbleibt es unverändert bei etwa 150 Mitglieder. Gruppierungen und Struktur Der NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz untergliedert sich in drei Kreisverbände (Mittelrhein, Westpfalz und Trier). Er wird von einem Ehepaar aus Pirmasens geführt, auf deren Engagement die wenigen Aktivitäten der NPD in RheinlandPfalz letztlich zurückzuführen sind. Diese begrenzten sich auf wiederkehrende Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen sowie "Schutzzonen-Aktionen". Bei der letztgenannten Kampagne geht es vorgeblich darum, die einheimische deutsche Bevölkerung beispielsweise vor "kulturfremden Rapefugees"3 zu schützen. Ausblick Der Niedergang der NPD dürfte weiter anhalten, interne Streitereien diesen sogar beschleunigen. 3.2.2 Partei "Der III. Weg" Die neonazistisch geprägte Kleinstpartei "Der III. Weg" wurde 2013 gegründet. Der überwiegende Teil der Mitglieder rekrutiert sich von Beginn an aus dem neonationalsozialistisch geprägten Rechtsextremismus. Bundes- 3 "Rapefugee" ist ein Schlagwort innerhalb der rechten Szene, welches die englischen Begriffe "Rape" (Vergewaltigung) und "Refugee" (Flüchtling) verbindet. 73 weit verfügt die Partei über keine flächendeckende Struktur. Aus rheinland-pfälzischer Sicht sind in personeller Hinsicht der stellvertretende Bundesvorsitzende Klaus Armstroff sowie der Beisitzer im Bundesvorstand Rene Rodrigues-Teufer hervorzuheben. Die Basis der Parteiarbeit bildet das "Drei-Säulen-Konzept", bestehend aus "Politischem Kampf", "Kulturellem Kampf" und dem "Kampf um die Gemeinschaft". Bei der Umsetzung dieses Konzeptes stellt die Schaffung von regionalen Anlaufpunkten für Parteiangehörige und die einheimische deutsche Bevölkerung einen wichtigen Aspekt dar. Sogenannte Parteiund Bürgerbüros besitzt die Partei mittlerweile in Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und seit Ende Oktober 2022 in Bayern. In Rheinland-Pfalz konnte die Idee einer eigenen Immobilie aufgrund mangelnder Kapazitäten und Kompetenzen bisweilen nicht verwirklicht werden. "Der III. Weg" - Entstehung und Weltanschauung Die Partei "Der III. Weg" wurde im September 2013 im Baden-Württembergischen Heidelberg gegründet. Seit Gründung der Partei befindet sich der Sitz im rheinland-pfälzischen Weidenthal. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sieht sich die Partei als "Speerspitze". Die ideologische Nähe zum Nationalsozialismus (vgl. 10-Punkte-Programm), Antisemitismus, Rassismus und eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit kennzeichnen offenkundig das eigentlichen Hauptziel: Nationaler Sozialismus, das heißt: Nationalsozialismus. Personenpotenzial Die Partei "Der III. Weg" zählt in Rheinland-Pfalz wie im Vorjahr ca. 50 Vollund Fördermitglieder, bundesweit sind der Partei etwa 650 Personen zuzurechnen. Überblick und Entwicklung Auch im Jahr 2022 führte "Der III. Weg" wieder zentrale Parteiveranstaltungen durch. Eine der wichtigsten Veranstaltungen war die Demonstration anlässlich des "Arbeiterkampftag" am 1. Mai. Diese fand unter dem Motto "Ein Volk will 74 Zukunft!" im sächsischen Zwickau statt. In diversen Redebeiträgen wurde der "ausbeuterischen Kapitalismus" angeprangert und die Einführung des "Deutschen Sozialismus" - eine Umschreibung für "Nationalsozialismus" - gefordert. Weitere Themenschwerpunkte waren die vermeintliche "Corona-Diktatur" und der "heldenhafte Kampf des ukrainischen Volkes" (siehe Brennpunktthema 1). Mit etwa 250 Personen lag die Anzahl der Teilnehmenden unter den Erwartungen der Partei. Im Vorfeld der Versammlung kam es in Chemnitz und Glauchau (beide Sachsen) zu Auseinandersetzungen zwischen anreisenden Parteiangehörigen und Linksextremisten. Rheinland-pfälzische Parteiangehörige waren sowohl an dieser Auseinandersetzung als auch an der späteren Demonstration beteiligt. Das traditionelle "Heldengedenken" im bayerischen Wunsiedel wurde am 12. November 2022 erneut als martialischer Fackelmarsch unter Beteiligung von ca. 130 Parteiaktivisten durchgeführt, wobei aus Rheinland-Pfalz lediglich einzelne Aktivisten des "Stützpunktes Pfalz" um den stellvertretenden Parteivorsitzenden Armstroff anwesend waren. Gruppierung und Strukturen Die Partei "Der III. Weg" gliedert sich in Rheinland-Pfalz in den "Stützpunkt Pfalz" und den "Stützpunkt Westerwald/Taunus", welche beide dem "Landesverband West" angehören. Einen weiteren wichtigen Baustein bilden die parteieigenen Arbeitsgemeinschaften (AG), in denen sich interessierte Mitglieder zusammenschließen. Eine der wichtigsten Zusammenschlüsse bildet die AG "Körper & Geist", in deren Mittelpunkt die körperliche Ertüchtigung der Mitglieder, beispielsweise durch Kampfsport, steht. Angehörige des Stützpunktes Westerwald/Taunus Training von Mitgliedern der Partei "Der III. Weg". führen in regelmäßigen Abständen Selbstverteidigungstrainings im Raum Westerwald durch. 75 "Wir rüsten uns für den Kampf gegen ein System..." www.der-dritte-weg.info/2022/10/fuer-deutschland-koerper-geist-wochenende-durchgefuehrt/ Berichterstattung vom 14. Oktober 2022; abgerufen am 06. Dezember 2022 Für die Nachwuchsarbeit der Partei ist die "Nationalrevolutionäre Jugend" (ehemals Arbeitsgemeinschaft "Jugend") zuständig. Mit einem speziell zugeschnittenen Programm sollen interessierte Jugendliche möglichst früh in die Parteiarbeit eingebunden sowie ideologisch indoktriniert und gefestigt werden. In der neu gegründeten AG "Katastrophenhilfe" sollen sich Parteiangehörige zusammenfinden, um Mitgliedern und anderen - ethnischen - Deutschen Hilfe in Notlagen zu leisten. "Der III. Weg" verspricht sich hiervon, als "Kümmerer" wahrgenommen zu werden, um auf dieser Grundlage neue Mitglieder gewinnen zu können. Aktivitäten in Rheinland-Pfalz "Stützpunkt Pfalz" Aktivitäten des Stützpunktes werden maßgeblich geprägt von dem vorübergehenden Stützpunktleiter Rodriguez-Teufer sowie dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Klaus Armstroff. Diese initiieren in regelmäßigen Abständen parteiinterne Veranstaltungen wie Stützpunktabende oder interne Schulungen. Mehrfach fanden im zweiten Halbjahr 2022 im Raum Ludwigshafen Flugblattaktionen unter dem Motto: "Die wahre Krise ist das System!" statt. Die wahrnehmbaren Agitationen des Stützpunktes waren trotz kontinuierlicher interner Veranstaltungsangebote im Jahr 2022 rückläufig. Eine Steigerung des beteiligten Personenpotenzials konnte nicht erzielt werden. "Stützpunkt Westerwald/Taunus" Der Stützpunkt "Westerwald/Taunus" führte im Jahr 2022 vielfältige Veranstaltungen durch. Neben regelmäßigen Selbstverteidigungstrainings fanden 76 Stützpunktabende, Vortragsveranstaltungen und ein Liederabend statt. Beispielsweise wurde im Oktober 2022 ein militärhistorischer Vortrag unter dem Motto "Die Schlacht um Budapest" gehalten. Im März fand eine Vortragsveranstaltung einer Rechtsanwältin zum "NSU-Komplex" statt. Im Juni 2022 wurde ein Liederabend mit verschiedenen "Liedermachern" sowie Büchervorstellung unter Beteiligung von ca. 40 Personen durchgeführt. Die vorgenannten Veranstaltungen fanden in den Räumlichkeiten der "Fassfabrik" in Hachenburg/Westerwald statt, die augenscheinlich als neue Anlaufstelle generiert werden konnte. Vermutlich wird durch die Nutzung der Örtlichkeit eine Chance erkannt, sich regional im Westerwald fest zu verwurzeln und lokale rechte Kräfte zu gewinnen. Die Örtlichkeit wurde in der Vergangenheit bereits von Personen aus dem Spektrum der "Neuen Rechte" und der "Junge Alternative" für Veranstaltungen genutzt. Ausblick Bei öffentlichen Auftritten machen die Angehörigen der Partei "Der III. Weg" aus ihrer Verachtung für die freiheitliche demokratische Grundordnung keinen Hehl. Sie fordern deren Abschaffung und die Einführung des von der Partei propagierten "Deutschen Sozialismus". Agitation gegen als fremd wahrgenomme Mitmenschen und "klassischer" Antisemitismus durchziehen die Propagandaaktivitäten des "III. Weges". Weiterhin agitiert die Partei unverblümt gegen Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Insgesamt nutzt die Partei "Der III. Weg" gezielt das Parteienmodell, um im Schutze des Parteiengesetzes Aktivitäten zu entfalten und Strukturen zu erweitern. Wie bereits ausgeführt, ist "Der III. Weg" bestrebt, sein "Kümmererimage" auszubauen. Darauf deutet die Gründung der neuen AG "Katastrophenhilfe" hin. Dabei hofft die Partei, aus Krisensituation politisches Kapital schlagen zu können. Im August 2022 hat die Partei außerdem erste Kampagnen unter den Mottos "Die wahre Krise ist das System!" und Agitation der Partei "Der III. Weg". Quelle: "Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen!" www.der-dritte-weg.info 77 gestartet. In diesem Zusammenhang fordert die Partei "Der III. Weg" ein wirtschaftliches Sofortprogramm im Rahmen eines "Deutschen Sozialismus". Die Partei versucht bestehende Existenzängste der Bevölkerung aufzugreifen und zu vereinnahmen. Deutschlandweit wurden und werden hierzu Flugblätter verteilt, deren Inhalte zudem im Internet verbreitet werden. Festzuhalten bleibt, dass die Partei "Der III. Weg" sich die aktuellen Entwicklungen bisher nicht zunutze machen und davon profitieren konnte. Vielmehr zeigen die stagnierenden bis hin zu rückläufigen Zahlen bei öffentlichen Parteiveranstaltungen die geringe Wahrnehmung durch die breite Gesellschaft. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Mobilisierung als auch bei der Rekrutierung von Aktivisten. 3.2.3 Partei "DIE RECHTE" Die Partei "DIE RECHTE" wurde im Jahr 2012 in Hamburg gegründet. Bundesweit sind der Kleinstpartei derzeit rund 500 Mitglieder zuzurechnen; darunter zahlreiche Personen aus der neonazistischen Kameradschaftsszene. Nach eigenen Angaben gliedert sich die Partei auf Bundesebene derzeit in sieben Landesverbände, darunter der "Landesverband Südwest", dem Rheinland-Pfalz angehört. Der Partei "DIE RECHTE" ist augenscheinlich nur wenig an der den Parteien obliegenden politischen Willensbildung und "klassischer" Parteiarbeit gelegen. Ihr Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Aspekt der "Kameradschaftspflege" sowie der Teilnahme an Demonstrationen oder Mahnwachen. Den Parteienstatus nutzt die Organisation Agitation der Partei "DIE RECHTE". Quelle: die-rechte.net ganz offensichtlich dazu, um ihre rechtsextremistische Agenda unter dem Schutz des Parteienprivilegs zu propagieren und staatlichen Maßnahmen zu umgehen. Die Partei propagiert ein zutiefst rechtsextremistisches Weltbild, in dem sie antisemitische und geschichtsrevisionistische Ansichten vertritt sowie in fremdenfeindlicher und rassistischer Weise gegen Zugewanderte agitiert. 78 Die anhaltende Bedeutungslosigkeit der Partei in der hiesigen Parteienlandschaft manifestierte sich im Jahr 2022 erneut. Bei der Landtagswahl 2022 in ihrem "Stammland" Nordrhein-Westfalen konnte die Partei aufgrund eines Formfehlers nicht teilnehmen. Entwicklung in Rheinland-Pfalz Der "Landesverband Südwest" umfasst die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland. In Rheinland-Pfalz stagniert die Mitgliederzahl bei rund 15 Personen. Der "Landesverband Südwest" konzentrierte sich auch 2022 hauptsächlich auf öffentlichkeitswirksame Demonstrationen, die sich gegen Zuwanderung oder die vermeintliche Islamisierung Veranstaltungshinweis "DIE RECHTE". Quelle: Twitter Deutschlands richteten. Die Veranstaltungen wurden regelmäßig in Zusammenarbeit mit der "Kameradschaft Rheinhessen" durchgeführt, wobei insoweit Personenüberschneidungen bestehen. Auf diese Weise wird ein größeres Potential suggeriert. Ausblick Die Mitgliederzahl der Partei "DIE RECHTE" dürfte auch in Zukunft auf gleichbleibenden Niveau in Rheinland-Pfalz verharren. Die Partei wird mit Unterstützung der Kameradschaftsszene weiterhin regelmäßig Demonstrationen und andere öffentliche Veranstaltungen anmelden beziehungsweise hierzu aufrufen. Ihre politische wie tatsächliche Wirkmacht ist äußerst gering. Die Partei befindet sich auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. 3.2.4 "Neue Stärke Partei" (NSP) Überblick/Entwicklung Die relativ junge "Neue Stärke Partei" wurde Ende 2021 gegründet. Vorausgegangen war ihr eine Gruppierung namens "Neue Stärke", die seit mindestens 79 Mitte 2020 in Thüringen aktiv gewesen ist. Auf dem Bundesparteitag Ende 2021 wurde unter anderem die "Abteilung Rheinhessen" gegründet. Die Ideologie der Partei ist angetrieben vom Gedanken des biologisch-völkischen Nationalismus sowie damit einhergehender gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus. Grundrechte sollen nur den "deutschen Volksangehörigen" vorbehalten sein. Zuwanderung wird pauschal als eine "Bedrohung" für das "deutsche Volk" dargestellt. Bereits im Jahresverlauf 2022 kam es zu rückläufigen Teilnehmerzahlen bei Versammlungen, parallel hierzu stagnierte der Ausbau weiterer Strukturen. Interne Streitereien führten nach kurzer Zeit zum Rücktritt der beiden Bundesvorsitzenden und deren Stellvertreter, sodass die junge Partei gezwungen war, im November 2022 - knapp ein Jahr nach ihrer Gründung - auf dem Bundesparteitag in Erfurt Neuwahlen durchzuführen. Quelle: Homepage "neue-stärke.eu/einsystem-wehrt-sich-mit-allen-mittelngegen-den-freiheitskampf-in-gera" Personenpotenzial Die "Abteilung Rheinhessen" verfügt über eine Mitgliederzahl im unteren zweistelligen Bereich, wobei Doppelmitgliedschaften, insbesondere in der "Kameradschaft Rheinhessen", zu berücksichtigen sind. Aktivitäten Die "Abteilung Rheinhessen" der "Neue Stärke Partei" führte am 16. Juli 2022 in Mainz eine Demonstration im Rahmen ihrer Kampagnenreihe "Kampfkultur 2022" durch. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Hol Dir Deine Stadt und Dein Land zurück!". Mit rund 60 teilnehmenden Rechtsextremisten - darunter ParteiDemonstrationsaufruf. Quelle: Twitter 80 angehörige aus anderen Ländern und Angehörige der "Kameradschaft Rheinhessen" - war die Demonstration ein eher mäßiger Erfolg. Dem rechten Aufmarsch stellten sich in der Spitze bis zu 3.000 Menschen entgegen. Ausblick Die "Neue Stärke Partei" scheint den Höhepunkt ihrer Expansionsphase bereits überschritten zu haben. Es bleibt abzuwarten, ob sie ihre internen Streitereien beilegen kann. 3.2.5 Extremistische Strukturen in der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Das vergangene Jahr war für die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) und ihre Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland" (JA) geprägt von verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit durchaus grundsätzlichen und wegweisenden richterlichen Entscheidungen. So bestätigte das Verwaltungsgericht (VG) Köln am 8. März 2022 die Einstufung der AfD und der JA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sogenannten Verdachtsfall. Vorausgegangen war dieser richterlichen Entscheidung eine Berichterstattung verschiedener Medien Ende Februar 2021 über die Entscheidung des BfV, die Gesamtpartei AfD als Verdachtsfall zu beobachten. Hiergegen und die entsprechende öffentliche Mitteilung einer solchen Einstufung durch das BfV reichte die Partei vor dem VG Köln Klage ein. Die Klage der AfD wurde - wie eingangs ausgeführt - am 8. März 2022 abgewiesen (13 K 326/21), da nach Überzeugung des Gerichts ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei vorlägen. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben sich, so die Richter weiter, aus einem Gutachten des BfV und der dazugehörigen Materialsammlungen, die insbesondere auch auf Zulieferungen aus den Verfassungsschutzbehörden der Länder beruhen. Die Einschätzung des BfV beruhe auf einer nicht zu beanstandenden Gesamtbetrachtung: So seien in diese Aktivitäten von Anhängern des "Flügels" eingeflossen. Dieser sei zwar formal aufgelöst worden, jedoch übten Protagonisten weiterhin maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus. Zudem seien Aktivitäten der JA berücksichtigt worden. Sowohl im "Flügel" als auch in der JA sei ein "ethnisch verstandener Volksbegriff 81 ein zentrales Politikziel". Die Partei hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt, welche vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster anhängig ist. Verdachtsfall - Prüffall - gesicherte extremistische Bestrebung Die Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz kennt die Unterteilung in Prüffall, Verdachtsfall und gesicherte extremistische Bestrebung nicht. Vielmehr ist sie gemäß SS 5 Landesverfassungsschutzgesetz bereits beim Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zur Beobachtung befugt und kann entlang ihrer gesetzlichen Bestimmungen die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Auch hinsichtlich der Einstufung der JA als Verdachtsfall blieb die Klage von AfD und JA erfolglos, da die vom BfV vorgenommene Bewertung nach Auffassung des Gerichts nicht zu beanstanden sei (13 K 208/20). Es bestünden auch insoweit ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Jugendorganisation. Bezüglich der Einstufung des "Flügels" (13 K 207/20) gab das Gericht der Klage der AfD in Teilen statt. Das Gericht entschied, dass das BfV den "Flügel" zwar als Verdachtsfall einstufen durfte. Die darüberhinausgehende Einstufung als "gesichert extremistische Bestrebung" sei nach der formalen Auflösung des "Flügels" jedoch unzulässig. Im vierten Klageverfahren vor dem VG Köln (13 K 325/21) gab das Gericht der Klage der AfD statt. Die Partei hatte sich gegen die öffentliche Mitteilung des BfV gewandt, der "Flügel" habe 7.000 "Mitglieder". Das Gericht urteilte, dass hierfür "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" notwendig seien, an denen es hingegen fehle. Eine solche Mitteilung sei somit unzulässig. "Junge Alternative" (JA) Die 2013 gegründete "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist die offizielle Jugendorganisation der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) und als eigen82 ständiger Verein konstituiert. Damit verfügt sie über Satzungs-, Finanzund Personalautonomie. Aktuell gibt es 16 Landesverbände. Der Landesverband der JA Rheinland-Pfalz untergliedert sich seinerseits nochmals in vier Regionalverbände (Mittelrhein-Westerwald, Pfalz, Rheinhessen-Nahe und Trier), die die Interessensvertretung vor Ort wahrnehmen, derzeit hingegen nur wenig Aktivitäten entfalten. Dem Landesverband werden aktuell etwa 40 Personen zugerechnet. Zu Beginn des Jahres 2022 lag der Fokus der JA weiterhin auf der Ablehnung der Massnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 ließ eine Positionierung der JA nicht lange auf sich warten. In den von ihr diesbezüglich verfassten zehn Thesen führt sie unter anderem aus, dass die Eskalation trotz des klaren Völkerrechtsbruchs von russischer Seite vom Westen mit provoziert sei. In der Forderung, Deutschland solle die Anrainerstaaten bei der Aufnahme "echter" Kriegsflüchtlinge unterstützen, zeigt sich einmal mehr die Positionierung der Jugendorganisation, die in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Flüchtlingskriese pauschalierend vom Missbrauch des Asylrechts gesprochen hat. Die nachfolgende Aussage lässt keine Zweifel an der Kritik der JA an der derzeitigen politisch-medialen Situation Deutschlands: "Der nationale Unabhängigkeitskampf der Ukrainer ist heroisch, ehrenhaft und imponierend (...) Ein enormer Kontrast zum hiesigen Postheroismus,, bei dem es im Ernstfall maximal zum Maulheldentum reicht. Es ist interessant, wie empfänglich politmediale Eliten und Meinungsmacher der Bundesrepublik plötzlich für ausländischen Patriotismus, toxische Männlichkeit und Heroismus sind: Im Schützengraben gibt es keine 67 Geschlechter, keine Frauenquoten, keinen politisch-korrekten Wokism (...)." 83 Auch die JA in Rheinland-Pfalz griff diesen Aspekt in ihren Beiträgen innerhalb der Sozialen Medien auf. Am 12. September 2022 veröffentlichte sie folgende Glückwünsche auf ihrer Facebook-Seite: "Gratulationen gehen raus an die Patrioten der Ukraine, die der Welt zeigen wie richtig und wichtig Patriotismus, sowie die Liebe zum Eigenen sind." Der Russland-Ukraine-Krieg war zudem thematischer Schwerpunkt der regelmäßig stattfindenden Online-Stammtische über die Videokonferenzplattform Discord. Die Veranstaltungen wurden im Voraus über die eigene Homepage der JA Rheinland-Pfalz beworben und fanden insbesondere in der ersten Hälfte des Berichtszeitraumes regelmäßig statt. Präsenzveranstaltungen, die explizit von der JA Rheinland-Pfalz ausgerichtet wurden, fanden Jahr 2022 nur vereinzelt statt. Im Rahmen des Landeskongresses der JA Rheinland-Pfalz Mitte September 2022 kam es zu Neuwahlen des Landesvorstandes. Hierbei wurde der Zeitsoldat Marcel Philipps in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt. Die Veranstaltung fand im neu gegründeten "Zentrum Rheinhessen" in Mainz statt. Am 15. Oktober 2022 fand der XI. Bundeskongress der JA im thüringischen Apolda statt. Hierbei wurde der bisherige "Deutschlandplan" durch die programmatischen Leitlinien "Jugend, die vorangeht!" ersetzt. Thematisiert werden u.a. die Themenkomplexe Zuwanderung, Umweltschutz und Wirtschaft. Im Rahmen der Veranstaltung wurde zudem ein neuer Bundesvorstand gewählt, an dessen Spitze der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck gewählt wurde. Neben aktiven Mitgliedern der JA Rheinland-Pfalz nahmen ebenso "Förderer" an der Veranstaltung teil. Entsprechende Beiträge wurden im Nachgang auf den Social-Media Seiten veröffentlicht. Ausblick Die programmatische und strukturelle Ausrichtung der JA hängt unmittelbar mit der neuen Zusammensetzung des neu gewählten Bundesvorstandes zusammen. Eine mögliche Entwicklung bzw. politische Neuausrichtung wird sich somit in den nächsten Monaten zeigen. Es lässt sich jedoch bereits jetzt erkennen, dass Kontakte bzw. Vernetzungen insbesondere zu Akteurinnen und Akteuren der "Neuen Rechten" weiterbestehen und ausgebaut werden. Ebenso zeichnet sich 84 ab, dass das sogenannte sozial-patriotische Lager innerhalb der JA weiter an Zuwachs gewinnen wird. Die JA wird in Zukunft weiterhin versuchen ihren Einfluss auf die Mutterpartei "Alternative für Deutschland" zu stärken und somit inhaltlich zu beeinflussen. 4. Parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen 4.1 "Neue Rechte" - "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine rechtsextremistische Jugendgruppierung, die dem Spektrum der sogenannten Neuen Rechte zugerechnet wird. Sie vertritt antiliberale, antipluralistische und antiindividualistische Positionen, die einen zutiefst rechtsextremistischen Charakter aufweisen. Wesentliches Merkmal der IBD ist der "Ethnopluralismus", der sich aus der Überzeugung speist, dass die kulturelle Eigenschaft eines jeden Staates und Gesellschaft durch Durchmischung gefährdet sei. Ihrer zentralen Forderung nach dem Erhalt des deutschen Volkes in seiner ethnokulturellen Identität liegt ein völkischabstammungsmäßiger Volksbegriff zu Grunde, der gegen die in Art. 1 Grundgesetz verbriefte Menschenwürde verstößt, die die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede, umfasst. Ethnisch Fremden spricht die IBD sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft ab, sich an der Gemeinschaft gleichberechtigt zu beteiligen. Vornehmlich Personen muslimischen Glaubens werden dabei pauschal diffamiert und verächtlich gemacht. Aus Sicht der IBD sei in der Globalisierung und Liberalisierung der Gesellschaft eine Gefahr für die vermeintlich kulturelle Identität des Menschen zu sehen. In konsequenter Fortsetzung dieser extremistischen Weltanschauung vertritt die IBD auch zunehmend queer-feindliche Positionen. Als Vorläufer der IBD kann die im Frühjahr 2021 aufgelöste rechtsextremistische französische Jugendorganisation "Generation identitaire" angesehen werden (vgl. Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz 2021, S. 76). 85 Der IBD gelang es innerhalb kurzer Zeit durch inszenierte Aktionen und provokante Tabubrüche zu einer medienwirksamen rechtsextremistischen Bewegung heranzuwachsen. In der Vergangenheit machte sie regelmäßig, in einem zu ihrer tatsächlichen Stärke unverhältnismäßigem Ausmaß, Schlagzeilen. Der Österreicher Martin Sellner gilt weiterhin als Führungsfigur im deutschsprachigen Raum. Personenpotenzial In Rheinland-Pfalz wird der "Identitären Bewegung" eine Mitgliederzahl im niedrigen zweistelligen Bereich zugerechnet. Überblick und Entwicklungen Für die Erreichung der seitens der Gruppierung angestrebten Ziele sind seit der Gründung im Jahr 2012 wechselnde Strategien verfolgt worden. Den Schwerpunkt des Aktivismus bilden dabei medienund öffentlichkeitswirksame Aktionsformen sowie ein modernes, dem Medienkonsumverhalten der jungen Zielgruppe angepasstes, Auftreten im Internet. Während es der Identitären Bewegung zunächst durch Social-Media-Kampagnen gelungen war, einen hohen Bekanntheitsgrad zu erlangen, konnte sie die von ihr angestrebte Medienund Öffentlichkeitswirkung in den vergangenen Jahren nur noch in geringem Maße erzielen. Als wesentliche Faktoren können hierfür die Sperrung von Social-Media-Präsenzen (sogenanntes Deplatforming) aber auch ihre zunehmende öffentliche Stigmatisierung als rechtsextremistische Gruppierung angesehen werden. Aufgrund des voranschreitenden Bedeutungsverlustes setzte eine taktische "Neuausrichtung" der IBD ein. So verwendete die IBD Symbole und Farben, die nicht auf den ersten Blick einen Rückschluss auf die Bewegung zulässt. Zudem wird bei öffentlichen Aktivitäten zumeist auf die Anonymität der Angehörigen geachtet. Zu Anfang des Jahres 2022 beschränkten sich die Aktionsformen der IBD weiterhin auf das Protestgeschehen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Wiederholt versuchten vermummte Mitgliederinnen und Mitglieder der "Identitären Bewegung" mit einschlägig beschrifteten 86 Frontbannern das Protestgeschehen für ihre eigenen extremistischen Zwecke zu instrumentalisieren und sich in Szene zu setzen. Was bedeutet "Bevölkerungsaustausch" / "Der Große Austausch"? Das Narrativ des "Bevölkerungsaustausches" - bezeichnet in der rechtsextremistischen Gedankenwelt einen schrittweisen Prozess, durch den die heimisch angestammte Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht werden soll. Dieses Narrativ ist nicht selten dann antisemitisch aufgeladen, wenn behauptet wird, dass der "Austausch" durch eine - zumeist jüdische - Elite verursacht werde. Die IBD setzte im Berichtsjahr auch auf altbewährte Themen, wie "Kampf gegen den Bevölkerungsaustauch" und Forderung nach "Remigration"; also Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in die jeweiligen Herkunftsländer. Eine größere Medienund Öffentlichkeitswirksamkeit erreichte die IBD mit einer Protestaktion am 29. August 2022 vor dem Nord Stream 2-Areal in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Angehörige der IBD - darunter auch der österreichische "Identitäre" Martin Sellner - forderten die sofortige Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, welche aufgrund der Sanktionspolitik der Bundesregierung anlässlich des Russland-Ukraine-Krieg (siehe Brennpunktthema) nicht in Betrieb genommen wurde. Die Protestierenden drohten - wenn auch symbolisch - diese eigenständig aufzudrehen. IBD Demonstration am 29. August 2022 vor dem Nord Stream 2-Areal in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern mit Sellner), Quelle: Telegram 87 Gruppierungen und Strukturen Die bereits beschriebene Neuausrichtung der IBD fand auch in Rheinland-Pfalz statt. Ende 2021 ist die Gruppierung "Revolte Rheinland" in Erscheinung getreten, welche als Nachfolgeorganisation der IB Rheinland-Pfalz angesehen werden kann. Die Gruppierung "Revolte Rheinland" beschreibt sich als "patriotisch, aktivistisch sowie sozial". Ähnlich der "Identitären Bewegung" bekennt sich die Gruppierung zu einem "identitären Weltbild". Die "Revolte Rheinland" tritt überwiegend im nördlichen Logo der "Revolte Rheinland", Quelle: Instagram Rheinland-Pfalz und im südlichen NordrheinWestfalen in Erscheinung. Die "Revolte Rheinland" verwendet ein eigenes Logo, das sowohl als Profilbild in den sozialen Medien als auch bei entsprechenden Flyer-, Bannerund Plakataktionen verwendet wird. Es zeigt die "Odal"-Rune, in deren Mitte eine stilisierte Fackel zu sehen ist. Die "Odal"-Rune wurde zur Zeit des Nationalsozialismus als Symbol für "Blut und Boden" verklärt und von einigen NS-Organisationen als Symbol genutzt. Dies erklärt die Beliebtheit der Rune in der heutigen rechtsextremistischen Szene. Die "Revolte Rheinland" setzt sich hauptsächlich aus Personen aus NordrheinWestfalen und dem nördlichen Rheinland-Pfalz zusammen. Insgesamt werden der Gruppierung derzeit Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich zugerechnet. Um die Jahreswende 2021/2022 ist die Gruppierung hauptsächlich durch die Teilnahme an Protesten gegen Corona-Maßnahmen in Erscheinung getreten. Angehörige der "Revolte Rheinland" bei einer Demonstration am 28. November 2021 in Düsseldorf; Banneraufschrift "Das System ist das Virus! Wir sind das Gegengift! Revolte Rheinland", Quelle: Telegram. 88 Infolge des abnehmenden Protestgeschehens gegen die staatlichen CoronaSchutzmaßnahmen machte die "Revolte Rheinland" im Laufe des Jahres in Rheinland-Pfalz hauptsächlich durch Plakatierungen und dem Verteilen von Flugblättern im Raum Koblenz, Neuwied und Trier auf sich aufmerksam. Vor allem in Koblenz konzentrierte sich die "Revolte Rheinland" auf die Teilnahme an den sogenannten Montagsspaziergängen. Dass auch die Revolte Rheinland queerfeindliche Positionen vertritt, wurde durch die nebenstehende Plakataktion deutlich, die die Gruppierung im August 2022 auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlichte. Die "Revolte Rheinland" veröffentlicht Fotos von Teilnahmen an Demonstrationen sowie ihre Aktionsformen wie Plakatierungen auf ihren einschlägigen Social-Media-Kanälen (insbesondere Telegram) verbunden mit dem Aufruf, sich an Demonstrationen zu beteiliPlakat mit der Aufschrift gen bzw. Teil der "Revolte Rheinland" zu werden. "Globalismus? Transgender? Corona? WIR PFEIFEN DRAUF!" der "Revolte Rheinland" Quelle: Ausblick Telegram Innerhalb der IBD wird weiterhin ein Umbruch bzw. ein Strategiewechsel vollzogen. Im Rahmen ihres Vorhabens, dem zunehmenden Bedeutungsverlust entgegenzuwirken, bemühte sich die IBD um die Erschließung neuer anknüpfungsfähiger Themen sowie um ein verändertes äußerliches Auftreten, wobei der "Markenkern" wie "Ethnopluralismus" und "Bevölkerungsaustauch" beibehalten wird. Weiter ist davon auszugehen, dass sich der Schwerpunkt der IBD vor allem auf die Proteste gegen die Sanktionsund Energiepolitik der Bundesregierung richten wird. Die Organisation hat bereits in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie gewillt ist, aktuelle Themen in öffentlichkeitswirksamer Weise für die eigenen extremistischen Zwecke zu missbrauchen. Bezogen auf die "Revolte Rheinland" ist für den kommenden Berichtszeitraum davon auszugehen, dass die Gruppierung ihre Aktionen weiter ausbauen wird. Darüber hinaus wird sie bestrebt sein, ihre Anhängerschaft und ihren Aktionsradius zu erhöhen. 89 4.2 Neonationalsozialismus Der Neonazismus ist die menschenfeindlichste Erscheinungsform des Rechtsextremismus. Er umfasst alle Aktivitäten und Bestrebungen, die sich am historischen Nationalsozialismus orientieren. Seine Angehörigen verherrlichen oder bagatellisieren diese Zeit, wobei sie das "Dritte Reich" in gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht als Maßstab ihre Ziele definieren. Sie fordern einen totalitären "Führerstaat". Personenpotenzial Die "klassische" Kameradschaftsszene mit ihren straff organisierten Gruppierungen hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. An ihre Stelle sind informelle, lose Strukturen getreten, denen in Rheinland-Pfalz nach wie vor etwa 200 Personen angehören. Rheinland-Pfalz stellt damit auch im Jahr 2022 keinen Brennpunkt der Szene dar. Gruppierungen und Strukturen Seit dem Jahr 2014 sind in Rheinland-Pfalz weitreichende Auflösungsprozesse der Kameradschaftsszene unverkennbar. Verblieben ist die seit 2003 existierende Gruppierung "Nationaler Widerstand Zweibrücken", die in ihrem Wirken von der im Jahr 2018 gegründeten "Kameradschaft Rheinhessen" unterstützt wird. Die Mitgliederzahlen beider Gruppen dürften sich Demonstration anlässlich der Bombardierung auf einem konstanten Niveau von jeweils unter von Zweibrücken am 14. März 1945, Quelle: zehn Personen eingependelt haben. Twitter Aktivitäten Im Jahr 2022 widmeten sich die Neonazis wieder "klassischen" Themen wie der "staatlichen Repression" und "Polizeiwillkür", der vermeintlichen Islamisierung oder dem Zuzug von Asylsuchenden. Die Szene führte dabei zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen in Rheinhessen (Ingelheim, Wöllstein, 90 Mainz, Wörrstadt, Alzey, Bingen, Bad Kreuznach), im Raum Zweibrücken und in Ludwigshafen durch. Dabei belief sich die Teilnehmerzahl regelmäßig auf einen unteren zweistelligen Bereich. Tour der Gerechtigkeit 2022", Quelle: Twitter Die Veranstaltungen wurden teilweise in Kooperation mit der NPD, dem "Landesverband Südwest" der Partei "DIE RECHTE", oder der "Neuen Stärke Rheinhessen" durchgeführt, wobei insoweit nicht unerhebliche Personenüberschneidungen zu verzeichnen sind. Diese Form der Zusammenarbeit wird forciert, um der Öffentlichkeit ein erhöhtes Personenpotential der rechtsextremistischen Szene und ihre vermeintliche Bedeutung zu suggerieren. Der "Gedenkmarsch für die Toten in den alliierten Rheinwiesenlagern" in rheinland-pfälzischen Remagen stellte bisher die bedeutendste Veranstaltung der rechtsextremistischen Szene im Land dar. Die Rechtsextremisten berufen sich dabei auf geschichtsrevisionistische Behauptungen, wonach zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den von Alliierten errichteten Lagern für Kriegsgefangene über eine Million deutsche Soldaten durch Hunger und Krankheit umgekommen seien. Der "Gedenkmarsch" wurde erstmals 2009 durchgeführt und hat sich in den vergangenen Jahren als szeneübergreifende Veranstaltung mit überregionalem Charakter etabliert. Aufgrund rückläufiger Teilnehmerzahlen in den letzten Jahren, wurde die Veranstaltung für das Jahr 2022 bereits im Vorfeld von den Veranstaltern abgesagt. Ausblick Wesentliche Veränderungen oder Entwicklungen innerhalb der Kameradschaftsszene sind nicht zu erwarten. Die Szene kämpft weiterhin gegen ihren Bedeutungsverlust an und wird versuchen, ihre Aktionsmöglichkeiten mittels Demonstrationen und Mahnwachen zu beweisen. Dabei werden die Kameradschaften ihre "klassischen" Themen aufgreifen, aber auch versuchen, aktuelle Entwicklungen in ihre verfassungsfeindliche Propaganda einzubauen. 91 5. Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial Unter dem Begriff des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials werden unter anderem von Rechtsextremisten gefasst, die keiner Organisation zugerechnet werden können. Einen wesentlichen Teil bilden die subkulturellen Rechtsextremisten oder auch die rechtsextremistische Musikund Kampfsportszene. Die rechtsextremistische Kampfsportszene hat insbesondere bei jungen Menschen starken identitätsstiftenden Charakter. In Rheinland-Pfalz konnten im Berichtsjahr keine öffentlichkeitswirksamen Kampfsport-Events festgestellt werden. Gleichwohl bieten rechtsextremistische Organisationen Kampfsporttrainings an. Rechtsextremistische Musikszene Im Rechtsextremismus spielt das Propagandamittel Musik eine unverändert wichtige Rolle. Sie ist politischer Impulsgeber, dient der Identitätsstiftung und dem Zusammenhalt. Durch die rechtsextremistische Musik wird menschenverachtende und demokratiefeindliche Weltanschauung zum Ausdruck gebracht, sie wirkt somit wie eine Art Katalysator für Hass und Hetze. Durch die emotionalisierende Wirkung von Musik werden antisemitische Stereotype, NS-Gedankengut, Hass gegen Migrantinnen und Migranten zielgruppengerecht verbreitet und können so gleichzeitig Gewalt begünstigen. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen unterschiedlichster Art sind ein wichtiger Teil des Szenelebens. Der Erlebnischarakter steht dabei im Vordergrund eines Klientels, welches zumeist die Einbindung in feste organisatorische Strukturen und politisch zielgerichteten Aktivitäten meidet. Darüber hinaus bieten Musikveranstaltungen einen niedrigschwelligen Einstieg in die rechtsextremistische Szene und spielen bei der Gewinnung neuer Szeneangehöriger eine wichtige Rolle. Die im Rahmen von Musikveranstaltungen erwirtschafteten Gelder stellen eine nicht unerhebliche Einnahmequelle der Szene dar und fließen zumeist in Szeneaktivitäten zurück. Trotz ihrer Unstrukturiertheit wird diese Musikszene teilweise von rechtsextremistischen Gruppierungen geprägt. Ein Beispiel dafür sind die "Hammerskins" (siehe hierzu VS-Bericht 2021, S. 84), die über Jahre rechtsextremistische Kon92 zerte im Inund Ausland organisierten. Ihrem Umfeld sind einschlägige populäre Bands zuzurechnen. Darüber hinaus sind die "Hammerskins" in den Vertrieb rechtsextremistischer Szeneartikel eingebunden. Neben dem Erlebnisfaktor dienen die Veranstaltungen dem gegenseitigen Austausch und bieten die Möglichkeit, bestehende Kontakte - auch über Ländergrenzen hinweg - zu pflegen und zu vertiefen. Die größte Gefahr von Musikveranstaltungen besteht langfristig in der Stärkung und Verfestigung rechtsextremistischer Strukturen. In den letzten Jahren konnten deshalb bundesweit größere Musikveranstaltungen verboten werden. Für die erfolgreiche Durchführung rechtsextremistischer Musikveranstaltung bedarf es der Verfügbarkeit und Nutzung geeigneter Räumlichkeiten. Da insbesondere Großveranstaltungen in den letzten Jahren durch behördliche Maßnahmen erfolgreich unterbunden werden konnten, gewinnen geeignete (Szene-)Objekte weiter an Bedeutung, da sie die Planungssicherheit für die Veranstalter erhöhen. Nach den Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen ist zudem ein Trend zu kleineren Musikveranstaltungen, wie Liederoder Balladenabenden, feststellbar. Diese sind logistisch leichter zu organisieren und bergen finanziell geringere Risiken. Neben reinen rechtsextremistischen Musikveranstaltungen finden immer wieder auch kombinierte Veranstaltungen statt, die neben dem Auftritt von Bands und Liedermachern auch politische Redebeiträge beinhalten. Bei der Anmietung von Räumlichkeiten wird in der Regel der rechtsextremistische Hintergrund der Veranstaltung verschwiegen. Welche Bedeutung Rückzugsräume für die Vernetzung der rechtsextremistischen Szene haben, zeigt sich am Beispiel einer Veranstaltungsörtlichkeit in Weitersburg im Landkreis Mayen-Koblenz. Dort fanden seit dem Jahr 2020 in einer abgelegenen ehemaligen Mühle regelmäßig rechtsextremistische Liederund Balladenabende statt. Bei den Eigentümern der Mühle handelt es sich um Szeneangehörige. Die Veranstaltungen, die zu Beginn insbesondere von Rechtsextremisten aus der Region besucht wurden und deren Teilnehmerzahl sich im unteren zweistelligen Bereich bewegten, entwickelten sich rasch zu einem überregional bekannten Ereignis. 93 Zu den Liederabenden wurde hauptsächlich in szeneinternen, regionalen Chatgruppen eingeladen. Im weiteren Verlauf wurden die Veranstaltungen dann erfolgreich in überregionalen Telegram-Gruppe beworben. Die Rechtsextremisten, die die Liederabende zuletzt besuchten, reisten teils aus anderen Bundesländern an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Musikveranstaltungen können dem rechtsextremistischen Parteienspektrum, der neonazistischen Kameradschaftsszene sowie dem szeneungebundenen subkulturellen rechtsextremistischen Bereich zugeordnet werden. Den Veranstaltern gelang es somit eine szeneübergreifende Klientel anzusprechen. Die auftretenden Liedermacher stammten nicht nur aus Rheinland-Pfalz, sondern auch aus anderen Bundesländern, was zu einer Steigerung der Attraktivität der Veranstaltungen führte. Der Etablierung dieses überregionalen Szenetreffpunktes in Weitersburg konnte durch das konsequente Eingreifen der Sicherheitsbehörden entschieden entgegengetreten werden. Am 26. Februar 2022 sollte erneut ein Liederabend in der Mühle mit der rechtsextremistische Band "Unbeliebte Jungs" aus Thüringen stattfinden. Diese Veranstaltung wurde vor Beginn durch die rheinland-pfälzische Polizei aufgelöst, ihre Durchführung somit erfolgreich unterbunden, wobei die polizeilichen Erkenntnisse im Vorfeld der Maßnahmen durch die Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz ergänzt wurden. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat im Nachgang ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Unter Leitung der Kriminaldirektion Koblenz wurden am Samstagabend mit Unterstützung zahlreicher anderer Dienststellen umfangreiche polizeiliche Maßnahmen im Landkreis Mayen-Koblenz durchgeführt. Dabei erfolgten bei einer Musikveranstaltung der rechtsextremistischen Szene Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen aller Besucher und Besucherinnen. [...]" Pressemeldung des Polizeipräsidiums Koblenz vom 27. Februar 2022 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Rheinland-Pfalz im Jahr 2022 In Rheinland-Pfalz fanden im Jahr 2022 elf rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt, an denen insgesamt rund 380 Personen teilnahmen. Damit hat sich die Anzahl der bekannt gewordenen Musikveranstaltungen nach 94 einer Steigerung im Jahr 20214 reduziert und wieder dem Niveau des Jahres 20205 angeglichen. Die Steigerung der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen im Jahr 2021 ist zum einen auf die Lockerung der Corona-Maßnahmen und zum anderen auf eine Vielzahl von Musikveranstaltungen in der bereits genannten Mühle bei Weitersburg zurückzuführen. Die rechtsextremistische Szene konnte sich hier - vermeintlich geschützt vor den Augen der Öffentlichkeit und der Sicherheitsbehörden - treffen. Insofern ist der Rückgang der Veranstaltungszahl im Jahr 2022 auf die erfolgreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Der Verfassungsschutzbehörde RheinlandPfalz sind - wie im Vorjahr - fünf rechtsextremistische Liedermacher und fünf Bands mit Bezügen nach Rheinland-Pfalz bekannt. Das Spektrum ist vielseitig und reicht von "Rechtsrock" bis hin zu "Faschoschlagern", dem sich der rechtsextremistische Liedermacher "Johnny Zahngold" verschrieben hat. Seine im Jahr 2022 veröffentlichte CD "Bambule Randale Rechtsradikale" ist vorwiegend mit niveauloCD-Cover Johnny Zahngold, "Bambule Randale Rechtsradikale" sen, sexistischen sowie frauen-, fremdenund LGBTQ+-feindlichen Texten versehen. Rechtsextremistische Bands oder Musiker greifen immer wieder aktuelle gesellschaftliche Themen und Entwicklungen auf. So verwundert es nicht, dass auch die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aufgegriffen und ideologisch eingebettet wurden. Der Sänger der rechtsextremistischen Band "FLAK", der als "FLAK solo" beziehungsweise "Phil von FLAK" auftritt, veröffentlichte mit anderen rechtsextremistischen Musikern im März 2022 den Song "Spazier mit mir". Das Lied richtet sich in erster Linie an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der sogenannten Montagsspaziergänge (siehe Kapitel Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates). 4 20 bekannt gewordene Veranstaltungen mit insgesamt rund 550 Teilnehmenden. 5 12 bekannt gewordene Veranstaltungen mit insgesamt rund 340 Teilnehmenden. 95 6. Internetauswertung Rechtsextremismus Im Jahr 2022 zeigte sich erneut die außerordentliche Bedeutung der Internetauswertung für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz. Wie schon in den Jahren zuvor, konnte eine anhaltend intensive Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten, "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sowie Extremisten des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" (nachfolgend: "Delegitimierer") verzeichnet werden. Hierbei spielten vor allem die sozialen Netzwerke und Messenger-Diensten eine bedeutende Rolle. Statistik und Entwicklungen Im Vergleich zum Vorjahr - und bereits zum dritten Mal in Folge - sind die Fallzahlen der Internetauswertung Rechtsextremismus6 (ehemals "Taskforce Gewaltaufrufe Rechts") von 281 im Jahr 2021 auf 342 für das Berichtsjahr erneut gestiegen. Die Zahl der Fälle, die keinem klassischen Beobachtungsobjekt zugerechnet werden können und durch anlassunabhängige Recherchen ermittelt wurden, sowie die Zahl der Meldungen von Straftaten an das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz stiegen im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls. 6 Wie im Jahresbericht für das Jahr 2021 bereits erläutert, umfasst die Aufgabenwahrnehmung der Internetauswertung im Bereich Rechtsextremismus zusätzlich den Phänomenbereich "Reichsbürger und Selbstverwalter" sowie seit 2021 den neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". 96 Im Jahr 2022 konnte im Rahmen der Internetauswertung festgestellt werden, dass die Virtualisierung der Phänomenbereiche Rechtsextremismus, "Reichsbürger/ Selbstverwalter" und "Delegitimierer" auf einem konstant hohen Niveau blieb. Hatte die Corona-Pandemie der vergangenen Jahre wie ein Katalysator gewirkt, der die Digitalisierung und Virtualisierung vorgenannter Phänomenbereiche extrem beschleunigte, so hielt dieser Trend auch mit dem Abflachen der Pandemie und einer Rückkehr zur Normalität weiter an. Besonders hervorzuheben ist die anhaltende Diversifizierung der genutzten sozialen Netzwerke und Messenger-Dienste. Extremisten nutzen je nach Altersschicht und Nutzungsabsicht (Propaganda und Mobilisierung, Vernetzen und Austauschen im Verborgenen, Radikalisierung etc.) unterschiedliche Plattformen und Dienste. So konnte im Berichtsjahr beispielsweise eine Zunahme rechtsextremistischer Nutzerprofile auf dem Videoportal TikTok festgestellt werden. Ein weiterer sich zunehmend durchsetzender Trend ist eine schrittweise und schleichende Ablösung altbekannter Szene-Strukturen hin zu neuen, im virtuellen Raum stattfindenden, Mustern und Strukturen. Klassischen Organisationsformen, wie zum Beispiel Stammtische, Kameradschaften, oder Parteien, gelingt es inzwischen immer seltener, neue Mitglieder anzusprechen, zu rekrutieren und für sich zu gewinnen. Nicht zuletzt liegt dies oftmals an starren Strukturen und/ oder der Problematik regionaler Begrenztheit zur Durchführung persönlicher Treffen. Teilnahmen und Aktivitäten entfernt wohnender (potentieller) Mitglieder sind folglich aus Zeitund Kostengründen schwierig und erschweren die Entstehung, das Wachsen und schließlich den mittelund langfristigen Fortbestand entsprechender Organisationen. Insofern kann von einem Nachwuchsproblem klassischer rechtsextremistischer Strukturen gesprochen werden. Dieses Problem existiert im virtuellen Rechtsextremismus mitnichten, ebenso wenig im Phänomenbereich "Delegitimierer", der seine Ursprünge pandemiebedingt im virtuellen Raum hat. Die große Anzahl unterschiedlicher sozialer Netzwerke und Messenger-Dienste bietet für jede und jeden das passende Angebot. Im Internet lassen sich eigene Botschaften viel leichter, schneller und weiter transportieren, man kann sich rasch und spontan mit einer Vielzahl Gleichgesinnter beispielsweise zu einem Videochat treffen und vernetzen. 97 Im Allgemeinen sind extremistische Strukturen im virtuellen Raum aufgrund der Vielzahl der Angebote und Nutzungsmöglichkeiten sehr flexibel und schnelllebig. Im Internet finden Extremisten über alle Altersschichten hinweg vergleichsweise leicht Zugang zu entsprechenden Medieninhalten, Propagandamaterial oder Gleichgesinnten. Die Leichtigkeit mit der das Internet insbesondere rechtsextremistische Radikalisierung, Vernetzung, Kommunikation, Mobilisierung, bis hin zu klandestiner Planung und Vorbereitung schwerer Straftaten ermöglicht, können klassische rechtsextreme Strukturen nur in deutlich geringerem Maße abbilden. Vor diesem Hintergrund kann man von einem Paradigmenwechsel im Bereich des Rechtsextremismus sprechen. Im Berichtsjahr zeigte sich darüber hinaus, dass die Möglichkeiten virtueller Vernetzung und Kommunikation mitunter zu einer Vermischung von Akteuren ganz unterschiedlicher Phänomenbereiche führen kann und sich auf diese Weise Gruppierungen bilden können, die auf klassischem, analogem Wege niemals zu einander gefunden hätten bzw. entstanden wären. Dies bewies die Aufdeckung der Gruppierung "Vereinte Patrioten", bei der es sich zugleich um den bislang bedeutsamsten Fall und Erfolg, den die Internetauswertung Rechtsextremismus verzeichnen konnte, handelt (siehe Brennpunktthema). 98 7. Kurzbeschreibungen "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjah 1964 1964 Sitz Berlin Pirmasens Vorsitzende(r) Frank Franz Walter Markus Mitgliederzahl in ca. 150 (2021: ca. 150) Rheinland-Pfalz (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Beispielhafte Aufzählung:"Deutsche Stimme" (DS, Zeitschrift, und Medien Bund)"Stimme Deutschlands" (Zeitschrift, Bund)"Deutsche Nachrichten" (DN, Zeitschrift, Bund) Teilund Neben"Junge Nationalisten" (JN) organisationen "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) "Ring Nationaler Frauen" (RNF) "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" (DS Verlag Ideologie, Programm, Strategie Die Ideologie der NPD fußt auf der Vorstellung von einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft". Dabei und in anderen Punkten weist die Partei eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Sie ist in diesem Sinne von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus geprägt. Ausländer, Asylsuchende, Muslime und Deutsche mit Migrationshintergrund werden pauschal diskriminiert und kriminalisiert. 99 Der III. Weg" Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjahr 2013 2013 Sitz Weidenthal (Rheinland-Pfalz "Stützpunkte" Vorsitzende(r) Matthias Fischer Verschiedene Klaus Armstroff (Stellv.) Mitgliederzahl in 50 Vollund Fördermitglieder (2021: 50) Rheinland-Pfalz Publikationen Auf der parteieigenen Homepage und auf verschiedenen und Medien Telegram-Kanälen werden tagesaktuell Berichte eingestellt. Auftritte in sozialen Medien werden regelmäßig von den Betreibern gelöscht. Intern publiziert die Partei in der "nationalrevolutionären Schriftenreihe" einzelne Bücher. Teilund NebenLandesverbände, organisationen Gebietsbereiche, 22 Regionalverbände ("Stützpunkte"). Ideologie, Programm, Strategie Die Partei "Der III. Weg" sieht sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene als "elitäre Speerspitze". Sie lehnt die demokratischen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und fordert einen "Deutschen Sozialismus". Ihre Ideologie lehnt sich an das Gedankengut des historischen Nationalsozialismus an und ist auch in ihren Handlungen und Veröffentlichungen geprägt von der Ablehnung aller Personen, die ihrer Vorstellung eines deutschen Volkes widersprechen. Dabei zeigen sich unverhohlen Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Fremdensowie Demokratiefeindlichkeit. 100 "DIE RECHTE" Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjahr 2012 2013 Vorsitz: Christian Worch Sitz Dortmund k. A. (Nordrhein-Westfalen) Mitgliederzahl in ca. 15 (2021: ca. 15) Rheinland-Pfalz Publikationen Website, soziale Medien wie Twitter oder Telegram und Medien Struktur, Landesverbände; Kreisverbände und "Stützpunkte" Teilund Nebenorganisationen Ideologie, Programm, Strategie Die Partei "DIE RECHTE" fungiert als Auffangbecken für Neonazis, unter anderem aus zuvor verbotenen rechtsextremistischen Gruppierungen. Ihr Aktionsschwerpunkt liegt weiterhin in Nordrhein-Westfalen. Die Ideologie der Partei ist neonationalsozialistisch, antisemitistisch und fremdenfeindlich geprägt. Sie lehnt die Partizipation des Volkes an der politischen Willensbildung ab und forciert einen "Systemwechsel" in Deutschland. 101 "Neue Stärke Partei" Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjahr 2021 2021 Sitz Thüringen Rheinhessen Vorsitzende(r) Sara Storch k. A. Christoph Tews Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz 10 Publikationen und Medien Website, soziale Medien wie Twitter oder Telegram Ideologie, Programm, Strategie Das politische Selbstverständnis der "Neuen Stärke Partei" basiert auf einem grundlegend biologisch geprägten Menschenbild. Die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einer Ethnie ist allein ausschlaggebend für den "Wert" eines Menschen. 102 Junge Alternative Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjahr 2013 Sitz Berlin k.A. Vorsitzende(r) Hannes Gnauck (MdB) Marcel Philipps Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz 40 (40) (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen und Medien Soziale Medien, Website, Online-Shop Teilund Nebenorganisationen Grundsätzlich vier Rheinland-pfälzische Regionalverbände (Mittelrhein-Westerwald, Pfalz, Rheinhessen-Nahe und Trier), wobei nur teilweise Aktivitäten entfaltet werden. Ideologie, Programm, Strategie Mitglieder der JA vertreten einen ethnischen Volksbegriff, der mit der Ausgrenzung sowie Verächtlichmachung von Migrantinnen und Migranten einhergeht. Dies verstößt gegen das Prinzip der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde. 103 "Identitäre Bewegung Deutschland" Bund Rheinland-Pfalz Gründungsjahr 2012 2015 Sitz Paderborn (Nordrheink.A. Westfalen) Vorsitzende(r) Philip Thaler (Sachsenk.A. Anhalt) Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz konstant im niedrigen zweistelligen Bereich (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Die Aktivitäten werden insbesondere über den und Medien Kommunikationsanbieter "Telegram" dargestellt. Darüber hinaus werden gelegentlich Flyer verteilt, oder Plakate und Aufkleber platziert. Teilund Nebenorganisationen Ideologie, Programm, Strategie Ideologisch sieht sich die "Identitäre Bewegung" als "Schutzwall des Volkes", welches durch Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Sie bezieht sich hierbei auf den Erhalt der "ethnokulturellen Identität" und den sog. "Ethnopluralismus". Ziel ist es hierbei, das eigene Volk samt seiner Kultur zu erhalten und sich somit dem sogenannten "Großen Austausch" entgegenzustellen. 104 Neonationalsozialistische Gruppierungen (Neonazis) Mitgliederzahl in ca. 200 (2021: ca. 200) überwiegend in: Rheinland-Pfalz * informellen Zusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken * "Kameradschaften" * rechtsextremistischen Parteien (insbesondere der "III. Weg", "DIE RECHTE" und die "Neue Stärke Partei") Strukturen aktive "Kameradschaften": * "Nationaler Widerstand Zweibrücken" * "Kameradschaft Rheinhessen" Ideologie, Programm, Strategie Die Ideologie des Neonazis fußt auf dem Gedanken der Überlegenheit der deutschen arischen Rasse. Sie orientiert sich am historischen Nationalsozialismus, der "minderwertige" Menschen ausgrenzt, um das eigene Volk aufzuwerten. Ihr präferiertes Gesellschaftsmodell basiert auf einer ethnisch homogenen, exkludierten "Volksgemeinschaft". Antisemitismus oder ein charakteristisches Rassedenken prägen die Gesinnung dieser Gruppierungen. Neonazis streben ein antidemokratisches Staatsmodell an, in welchem alle Befehlsgewalt von einer zentralen Person ("Führer) ausgeht und somit die demokratische Gewaltenteilung abgelehnt wird. Insbesondere jüngere Neonazis sind aber auch antiamerikanisch und antikapitalistisch eingestellt. Programme oder schriftlich niedergelegte Strategien gelten innerhalb der Szene eher als unüblich. Ihre politischen Ziele werden meist durch einschlägige Propaganda bei öffentlichen Aktionen dargelegt. Dabei greifen sie oftmals aktuelle Themen wie die Asylund Flüchtlingspolitik oder - in den vergangenen Jahren - die Corona-Krise auf. Sonstiges In den letzten Jahren etablierten sich informelle Gruppen und virtuelle Netzwerke. Von festen Strukturen innerhalb des Neonazi-Spektrums rückt die Szene eher ab. 105 106 Reichsbürger und Selbstverwalter 107 1. Personenpotenzial 2022 2021 Gesamt 950 850 Gewaltorientierte 140 100 Organisationsgebundene Personen* 280 250 Angaben gerundet, Gesamtzahl ohne Mehrfachzuordnungen. *In Gruppierungen, die 2022 Aktivitäten entwickelten. 2. Überblick und Entwicklungen 2022 Unter der Bezeichnung "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" werden durch die Verfassungsschutzbehörden Einzelpersonen und Gruppierungen zusammengefasst, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtsordnung ablehnen, die demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten nicht anerkennen und ihnen die Legitimation absprechen. Unter Rückgriff auf verschiedene Verschwörungsnarrative, historische Rechtsquellen oder ein selbst definiertes Naturrecht behaupten Angehörige des "Reichsbürger"-Spektrums das Fortbestehen eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs. Demgegenüber erfinden "Selbstverwalter" Phantasiestaaten und beanspruchen für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Reichsphantasien Territorium. Beiden Strömungen gemein sind jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner Institutionen sowie die Vorstellung, dass die geltende Rechtsordnung keine Gültigkeit für sie besäße. Szeneangehörige negieren sie indes nicht nur, sondern fordern Behörden und Gerichte zudem auf, geltendes Recht nicht anzuwenden und treten zum Teil auch aggressiv gegenüber staatlichen Institutionen auf. Hauptbetätigungsfeld der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" war in diesem Sinne auch 2022 das Agieren gegen Behörden, insbesondere um für sie 108 nachteilige Entscheidungen (beispielsweise Geldforderungen oder Bußgelder) abzuwehren. Wie versuchen "Reichsbürger" Behörden unter Druck zu setzen? "Reichsbürger" bedienen sich unterschiedlicher Strategien, um ihre Ziele zu erreichen. Neben der bewussten Provokation stellt der sogenannte Papierterrorismus in Form der "Vielschreiberei" die am häufigsten verbreitete Strategie innerhalb der Szene dar. Das Spektrum reicht hierbei von sehr umfangreichen Schriftstücken, die nur schwer nachvollziehbare Behauptungen sowie abwegige Rechtsauffassungen beinhalten, bis hin zu Erpressungen, Beleidigungen oder teilweise Androhung von physischer Gewalt zum Nachteil der Behördenmitarbeitenden. Das Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" weist ein hohes Maß an Heterogenität auf und setzt sich hauptsächlich aus Einzelpersonen ohne jeglichen Organisationsbezug, Kleinstund Kleingruppierungen sowie eher losen Personenzusammenschlüssen zusammen. Ideologisch eint das die "Reichsbürger"Spektrum Verschwörungsphantasien, ein ausgeprägter Gebietsrevisionismus sowie mitunter ebenfalls erkennbare Elemente rechtsextremistischer Ideologie. Bei einzelnen Personen sowie Gruppierungen sind ferner antisemitische Züge wahrnehmbar. Die ideologische Zersplitterung innerhalb des "Reichsbürger"Spektrums erschwert beziehungsweise verhindert hingegen die Bildung einheitlicher Strukturen oder Organisationen. Nicht selten stehen sich einzelne Gruppierungen sogar ablehnend gegenüber. Im Jahr 2022 hat sich der Zulauf im "Reichsbürger"-Spektrum weiter fortgesetzt. Dies lässt sich unter anderem auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie zurückführen. Hierfür spricht beispielsweise ein erhöhtes Aufkommen von szenetypischen Schreiben aufgrund von Bußgeldbescheiden wegen Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung. Ein weiterer Faktor dürfte eine allgemeine, übersteigerte Unzufriedenheit mit dem Staat sowie seinen Repräsentantinnen und Repräsentanten gewesen sein. Vor allem im Internet beziehungsweise den sozialen Netzwerken haben Akteure wie auch Organisationen aus dem "Reichsbürger"-Spektrum gegen den Staat und seine Institutionen agitiert und zugleich für einen vermeintlichen "Systemausstieg" propagiert. 109 Die Entwicklung im Jahr 2022 hat wiederum dokumentiert, dass von der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" weiterhin eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausgeht; bereits in der Vergangenheit waren viele von ihnen straffällig geworden. Gefahrenmomente ergeben sich insbesondere aus Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen. Daneben ist die Propagierung von Gewalt und Waffeneinsatz ein verbreitetes Phänomen innerhalb der Szene. Nicht selten müssen Rechtsansprüche gegenüber Szeneangehörigen mittels Zwangsvollstreckung unter Einsatz polizeilicher Spezialkräfte durchgesetzt werden. Häufig besteht die Gefahr, dass sich "Reichsbürger" mit Gewalt einer Maßnahme widersetzen. Ziele von zum Teil erheblicher Gewalt sind vornehmlich Gerichtsvollzieher und die Polizei. Diese sowie deren rechtmäßiges Handeln werden von "Reichsbürgern" als illegitim betrachtet, woraus sie ein vermeintliches Notwehrrecht ableiten. Der Polizei wird generell jegliche Legitimität abgesprochen, da es sich in den Augen der "Reichsbürger" um eine im Auftrag der "BRD-GmbH" arbeitende Firma handelt. Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse wird konsequent fortgesetzt Die Affinität zu Waffen innerhalb der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist unverändert hoch. Im Jahr 2022 wurden daher die vom Verfassungsschutz unterstützten Maßnahmen der Waffenbehörden, "Reichsbürgern" die waffenrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen, ihre Waffen einzuziehen und / oder Waffenverbote auszusprechen, konsequent fortgesetzt. Mit Stand 15. Januar 2023 waren bereits in 77 von bis dahin 96 Fällen die Erlaubnisse entzogen und die Waffen eingezogen worden. In sieben weiteren Fällen haben sich die Erlaubnisinhaber glaubhaft vom Gedankengut der "Reichsbürger"-Szene distanziert. 3. Gruppierungen und Strukturen Die "Reichsbürger"-Szene ist überwiegend durch Einzelakteure geprägt. Gleichwohl existieren bundesweit einige, zur Szene gehörende Gruppierungen mit unterschiedlicher Größe und Aktionsradius. In Rheinland-Pfalz gingen im Berichtszeitraum insbesondere von zwei Gruppierungen Aktivitäten aus. Die übrigen organisationsgebundenen Personen verteilen sich auf kleinere Gruppierungen, die nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung treten. 110 Mit einem Anteil von etwa 2,8 Prozent am Gesamtpotenzial von 950 Personen (knapp 30) ist die Schnittmenge der Personen aus dem Phänomenbereich der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die Bezüge zum Rechtsextremismus aufweisen, weiter äußerst gering und im Vergleich zu den Vorjahren auf einem gleichbleibenden Niveau. 3.1 "Verfassunggebende Versammlung" (VV) Bei der "Verfassunggebenden Versammlung" handelt es sich um eine Reichsbürger-Gruppierung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, eine neue Verfassung für Deutschland zu erarbeiten. Die VV lehnt die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland sowie ihre Rechtsordnung ab. Aus Sicht der VV sei die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland mit der Wiedervereinigung 1990 erloschen. Folglich handele es sich bei der Bundesrepublik Deutschland lediglich um eine "Firma" ohne staatsrechtliche Existenzberechtigung. Auf der Grundlage einer bereits im Jahr 2016 ausgearbeiteten "Kernverfassung für das Staatswesen Föderaler Bundesstaat Deutschland" sei eine "Vollversammlung" eingesetzt worden. Diese besitze innerhalb ihres Geltungsbereichs den alleinigen Regierungsanspruch für Deutschland. Ziel sei es, eine "Verfassungsgebende Versammlung" einzuberufen, in welcher sodann eine neue "Verfassung" für Deutschland ausgearbeitet werden solle. Die Gruppierung ist bundesweit aktiv. In Rheinland-Pfalz wird ihr ein Personenpotenzial im mittleren zweistelligen Bereich zugerechnet. 3.2 "Bismarcks Erben" / "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) Die Gruppierung "Bismarcks Erben" und der dazugehörige "Vaterländische Hilfsdienst" traten in Rheinland-Pfalz im Jahr 2022 insbesondere durch Flugblattverteilungen in Erscheinung. Der "Vaterländische Hilfsdienst", der sich unter anderem auf das "Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst" aus dem Jahr 1916 beruft, existiert deutschlandweit und ist Quelle: "Vaterländischer Hilfsdienst" 111 in sogenannten Militärbezirken organisiert. Gemäß eigenen Veröffentlichungen sollen durch die jeweiligen "Militärbezirke" regelmäßig Treffen organisiert und durchgeführt werden. Die Gruppierung weist insbesondere deutliche gebietsund geschichtsrevisionistische Bezüge auf und tritt teilweise unter dem Namen "Ewiger Bund" auf. Das zentrale ideologische Element der Gruppierung bildet die Annahme, dass das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1914 fortbestehe und weiterhin handlungsfähig sei. Die im Oktober 1918 erlassenen "Oktoberreformen", die das Kaiserreich in eine parlamentarische Monarchie umwandelten, werden durch die Gruppierung jedoch abgelehnt. Als letzter gültiger Rechtsstand wird durch die Gruppierung der 27. Oktober 1918 angegeben. Anhänger der Gruppierung betrachten die Verfassung des Kaiserreichs von 1871 als die allein gültige Verfassung Deutschlands. In der Vorstellungswelt der Gruppierung dauert der im Juli 1914 erklärte Kriegszustand noch an, weshalb das "Gesetz über den Belagerungszustand" weiterhin gelte und folglich eine Militärverwaltung in Deutschland zuständig sei. Ziel dieser Gruppierung ist es, den angeblichen Kriegsund Belagerungszustand zu beenden und das Kaiserreich zu reorganisieren. Hierzu dient der "Vaterländische Hilfsdienst" als Vorfeldorganisation, welche sich als legitime Ordnungsmacht in Deutschland sieht. Der VHD gliedert sich in 24 "Armeekorpsbezirke" (AKB), deren Grenzen jenen des historischen Vorbilds entsprechen. Für Rheinland-Pfalz ist insbesondere der AKB VIII. von Bedeutung. Der VHD weist einen stark ausgeprägten Gebietsrevisionismus auf. Insbesondere die Grenzen der 24 AKB machen deutlich, dass ein Anspruch auf die ehemals zu Deutschland gehörenden Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße, sowie das ehemalige "Reichsland Elsass-Lothringen" erhoben wird. Der VHD verfügt über eine Homepage und über ein eigenes Nachrichtenformat namens "VHD Aktuell". Die Homepage dient hierbei als Kommunikationsund Vernetzungsplattform und stellt ein zentrales Element zur Rekrutierung neuer Mitglieder dar. Im Oktober 2022 soll nach Angaben des VHD ein "Hilfsdiensttreffen" in der Region Andernach stattgefunden haben. Daneben konnten im 112 Berichtsjahr vereinzelt Flyerverteilungen der Gruppierung in Rheinland-Pfalz festgestellt werden. In Rheinland-Pfalz kann der Gruppierung ein Personenpotenzial im unteren zweistelligen Bereich zugerechnet werden. 3.3 "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force-S.H.A.E.F." Das "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force" war das Oberkommando der alliierten Streitkräfte in Nordwestund Mitteleuropa zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, welches Mitte 1945 aufgelöst wurde. Insbesondere im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den staatlichen Beschränkungsmaßnahmen trat "S.H.A.E.F." vermehrt in Erscheinung. Die Anhänger der Gruppierung behaupten, dass die damaligen "S.H.A.E.F."Gesetze weiterhin Gültigkeit hätten und folglich vor alSymbol der "S.H.A.E.F". lem die Beschränkungsmaßnahmen unrechtmäßig seien. Demnach seien Zuwiderhandlungen gegen die "S.H.A.E.F."-Gesetze von der Militärgerichtsbarkeit abzuurteilen. Vereinzelt wurden sogar Todesurteile ausgesprochen. Traten Anhänger dieser Gruppierung im Jahr 2021 noch vereinzelt bei CoronaProtesten in Rheinland-Pfalz in Erscheinung, konnten im Jahr 2022 kaum noch Aktivitäten der Gruppierung im Land festgestellt werden. Dies dürfte vor allem mit der Verhaftung eines selbsternannten "Majors" aus Niedersachsen im Jahr 2021 zusammenhängen, der sich als Kopf der Gruppierung ansah. Gleichwohl nutzen "Reichsbürger" im Behördenverkehr weiterhin die einschlägige "S.H.A.E.F."-Argumentation. 4. Ausblick Mit einer weiteren Zunahme des "Reichsbürger"-Spektrums ist fest zu rechnen. Einzelne Gruppierungen werden weiterhin durch Flugblattaktionen auffallen. Auf Demonstrationen dürften - je nach thematischem Schwerpunkt der Veranstaltung - Einzelpersonen aus dem "Reichsbürger"-Spektrum in Erscheinung 113 treten. Die Szene war in der Vergangenheit bemüht, ihre pseudojuristischen "Argumente" weitere auszuarbeiten beziehungsweise zu vertiefen. Ein besonderes Augenmerk der Sicherheitsbehörden liegt auf der Entwicklung der gewaltbereiten Szene und der konsequenten Entwaffnung von bekannten "Reichsbürgern". 114 5. Kurzbeschreibungen "Freistaat Preußen" (Teilorganisation des "Staatenbunds Deutsches Reich") Gründungsjahr Abspaltung der im Oktober 2012 gegründeten gleichnamigen Organisation Sitz Königsfeld (Eifel) Verantwortlich Beate Maria Rude (u.a.) Mitgliederzahl in ca. 20 (2021: ca. 20) Rheinland-Pfalz (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Internetseite www.freistaat-preussen.world und Medien Veröffentlichungen von sog. "Amtsblättern" und "Bekanntmachungen" auf der Internetseite. Ideologie, Programm, Strategie Ziele sind die Reorganisation des Freistaates Preußen mit seiner angeblich gültigen Verfassung vom 30. November 1920, welche nach wie vor Rechtsgültigkeit besitze, und die Wiederherstellung seiner Handlungsfähigkeit. Ausstellung von fiktiven Ausweisen (z.B. Staatsangehörigkeitsausweis, Personenstandsund Willenserklärung, Abgabe von Personaldokumenten) sowie Versand pseudojuristischer "Amtsblätter" und "Anordnungen" an Behörden und Institutionen sowie Veröffentlichung auf der Internetseite. Sonstiges Bekanntmachungen/Anordnungen des "Freistaats Preußen" befassten sich im Jahr 2022 überwiegend mit völkerund staatsrechtlichen Fragen. 115 "Volksstaat Bayern" (Teilorganisation des "Staatenbunds Deutsches Reich") Gründungsjahr Im Dezember 2015 unter der Bezeichnung "Bundesstaat Bayern" gegründet und im September 2018 in "Volksstaat Bayern" umbenannt. Sitz Landsham (Bayern) Verantwortlich Mehrere Verantwortliche, darunter zwei Personen aus Rheinland-Pfalz. Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz ca. 20 (2021: ca. 20) (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Internetseite www.volksstaat-bayern.info und Medien Veröffentlichungen von fiktiven "Beschlüssen" und "Anordnungen" auf der Internetseite Ideologie, Programm, Strategie Ziel der Gruppierung ist die "Wiederherstellung des Völkerrechtsubjektes Volksstaat Bayern als souveräner Bundesstaat im Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich". Dem fiktiven "Territorium" des Volksstaates Bayern werden auch Teile des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz zugerechnet. Nach Ansicht dieser Gruppierung gelte auf demTerritorium Bayerns die Reichsverfassung vom 14. August 1919, "historisch bedingt im Rechtsstand 12. August 1919, zwei Tage vor Überlagerung durch die Weimarer Republik durch Installierung der Weimarer Verfassung am 14. August 1919, im Gebietsstand von 30. Juli 1914". Folglich hätten alleine die "Reichsgesetze" Gültigkeit. Sonstiges Auf der Internetseite der Gruppierung werden "Informationsveranstaltungen" im Raum Ludwigshafen am Rhein beworben. Bei der Staatsanwaltschaft München II ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung (SS 267 StGB) sowie Amtsanmaßung (SS 132 StGB) anhängig 116 Gruppierung "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force - S.H.A.E.F." Gründungsjahr k. A. Sitz k. A. Verantwortlich Thorsten Gerhard Jansen ("Major", "Commander") Mitgliederzahl in Einzelne (2021: Einzelne) Rheinland-Pfalz (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Nutzung von Internetkanälen und sozialen Medien unter und Medien anderem zur Verbreitung von"Bekanntmachungen" (Schmähschriften) und Verschwörungsnarrativen. Teilorganisationen: Überregionale Anhängerschaft. Ideologie, Programm, Strategie Die Anhänger der Gruppierung behaupten, dass die vom seinerzeitigen alliierten Hautquartier S.H.A.E.F. im Nachkriegsdeutschland erlassenen Gesetze weiterhin Gültigkeit haben und die Regierung von diesem ausgeübt werde. Deutschland gelte daher nicht als souveräner Staat ("BRD GmbH"), sondern als besetztes Gebiet; die deutsche Rechtsordnung sei unwirksam, die Rechtsprechung wird nicht anerkannt. Sonstiges Der selbsternannte "Major" Jansen wurde im November 2021 festgenommen. 117 "Verfassunggebende Versammlung" (VV) Gründungsjahr 2014 Sitz k. A. Verantwortlich k. A. Mitgliederzahl in Einzelne (2021: Einzelne) Rheinland-Pfalz (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Präsenzen im Internet und den sozialen Medien. Flugblätter und Medien und Propagandaartikel. Ideologie, Programm, Strategie Die Ideologie der VV fußt auf der Annahme, die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland sei im Zuge der Wiedervereinigung 1990 erloschen. Demzufolge soll sie seitdem eine "Firma" sein, die lediglich verwaltet wird. Die Anhänger der VV planen, an einem nicht näher bestimmten "Tag X" eine temporäre "Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen und so die Verfassung und die Gesetze als Basis eines neuen, vermeintlich (wieder) handlungsfähigen Deutschlands zu schaffen. 118 "Bismarcks Erben" / "Vaterländischer Hilfs-dienst" (VHD) Gründungsjahr 2018 Sitz k. A. Verantwortlich k. A. Mitgliederzahl in Einzelne (2021: Einzelne) Rheinland-Pfalz (Mitgliederzahl im Vorjahr) Publikationen Präsenzen im Internet und den sozialen Medien. Flugblätter und Medien und Propagandaartikel. Teilorganisationen: Gliederung in "Armeekorpsbezirke" entsprechend historischer Grenzen. Ideologie, Programm, Strategie Die Gruppierung "Bismarcks Erben" orientiert sich am "Ewigen Bund", einem Zusammenschluss deutscher Gliedstaaten zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs. Ihre Anhänger erachten die Reichsverfassung von 1871 als "das höchste Gesetz der Deutschen" und bedienen sich üblicher Argumente aus dem "Reichsbürger"-Milieu. So behaupten sie, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht souverän sei, und erkennen den Zwei-plus-vier-Vertrag nicht als Friedensvertrag an. Den von der Gruppierung nach historischem Vorbild gegründete "Vaterländische Hilfsdienst" beschreibt diese als "zivile Ergänzung zur Wehrpflicht". Dieser diene zum Aufbau von "Verwaltungsstrukturen", auf die dann der "Kaiser" nach seiner Rückkehr an die Macht zurückgreifen könne. 119 120 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 121 1. Überblick und Entwicklungen 2022 Mit dem Beginn der Corona-Pandemie wurden weitreichende und eingriffsintensive staatliche Maßnahmen zu deren Eindämmung ergriffen, gegen die sich eine heterogene Protestbewegung formte. Kritik, polemische Meinungsäußerungen und die Möglichkeit, für die eignen Ansichten öffentlich demonstrieren zu können, sind wichtige Bestandteile einer funktionierenden Demokratie. Jedoch stellten und stellen einige der in diesem Rahmen stattfindenden Protesthandlungen zum Teil demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen in solch einer Art und Weise dar, dass eine Bearbeitung durch den Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem" notwendig wurde. Einzelpersonen und Personenzusammenschlüsse dieser Protestbewegung überschreiten den grundgesetzlich geschützten Bereich der Meinungsund Versammlungsfreiheit und agieren in verfassungsfeindlicher Weise. Dies geschieht, indem sie beispielsweise demokratisch gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates beleidigen und bedrohen, staatlichen Institutionen die Legitimität absprechen und sie sabotieren, zur Missachtung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen oder zu Widerstandshandlungen gegen die staatliche Ordnung aufrufen. Eine Besonderheit besteht darin, dass diese Akteure keinem der bisher bestehenden, "klassischen" Phänomenbereiche wie dem Rechtsextremismus, der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" oder dem Linksextremismus ideologisch zugeordnet werden können. Die Verbreitung verschiedener Verschwörungstheorien, ein kategorisches Freund-Feind-Denken sowie die Ablehnung demokratisch getroffener Entscheidungen stellen hingegen verbindende ideologische Elemente dar. Ziel all dieser verfassungsfeindlichen Akteure ist es, zentrale grundgesetzliche Prinzipien außer Kraft zu setzen und / oder die Funktionsfähigkeit des Staates sowie seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen. Sie agitieren beständig gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates, machen diese systematisch verächtlich und berufen sich auf ein ihnen vermeintlich zustehendes Widerstandsrecht. Oftmals wird dabei die bestehende repräsentative Demokratie mit einer Diktatur gleichgesetzt und Regierungshandeln als faschistisch bezeichnet. Auf diese Weise soll 122 das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System nachhaltig erschüttert werden. Ideologische Abgrenzung zum Rechtsextremismus: Zwischen dem "Delegitimierer"-Spektrum und Rechtsextremisten gibt es teilweise ideologische Schnittmengen wie Antisemitismus (wobei nicht alleine der Rechtsxtremismus durch Judenfeindlichkeit geprägt ist) oder Anleihen an den Geschichtsrevisionismus. Diese unterliegen regelmäßig jedoch anderen Motivationen und Intentionen wie sie der Rechtsextremismus aufweist. Es fehlen der Szene der "Delegitimierer" hingegen zentrale rechtsextremistische Merkmale wie das Streben nach einer homogenen "Volksgemeinschaft", aus der sich eine rassistische Feindlichkeit gegen "Fremde" ergibt, ein ausgeprägter Antipluralismus sowie ein autoritäres Staatsverständnis. Die sogenannten Delegitimierer nutzen Demonstrationen, Kundgebungen und soziale Medien, um Einfluss zu gewinnen und ihre demokratiefeindliche Propaganda breit zu streuen. Hierbei hat sich vor allem der Messenger-Dienst Telegram als zentrales Medium der Szene etabliert. Bundesweit kam es zu Einschüchterung von politischen Entscheidungsträgern mittels Drohbriefen oder Demonstrationen vor Privathäusern von Politikerinnen und Politikern. Eine extreme Ausprägung waren konProtestplakat auf einer Demonstration gegen die krete Mordpläne gegen ausgewählte Reprä"Corona-Maßnahmen" in Bellheim. sentanten des Staates und geplante Sabotageaktionen (siehe Brennpunktthema "Vereinte Patrioten"). So wurde im Verlauf der Corona-Pandemie eine fortscheitende Radikalisierung bei Teilen der Protestbewegung festgestellt werden. Dass hochrangige Politikerinnen und Politiker öffentlichkeitswirksam vor möglichen Protesten im Herbst und Winter 2022 / 2023 in diesem Zusammenhang warnten, wurde in der Szene aufgegriffen und positiv bewertet. Man müsse jetzt 123 durchhalten, da die Mobilisierung nicht so stark ist wie während der Pandemie. Wenn die Menschen nicht mehr heizen und ihre Rechnungen nicht mehr begleichen könnten, würden sie sich den Protesten der "Delegitimierer" anschließen. Die Regierenden wüssten dies und hätten bereits Angst. Protestgeschehen und Ausweitung der thematischen Schwerpunkte Ende des Jahres 2021 mussten erneut verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, wie Kontaktbeschränkungen ergriffen werden. Zudem verstärkte sich die Debatte um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Beides beeinflusste das Corona-Protestgeschehen, auch in Rheinland-Pfalz. In Anlehnung an die Montagsdemonstrationen in der DDR, die sich gegen das diktatorische Unrechtsregime richteten, wurde fortan für sogenannte Montagsspaziergänge geworben, die nicht nur als größere Demonstrationen in Städten stattfanden, sondern auch dezentral in der Fläche. Dieses Konzept wurde auch in Rheinland-Pfalz übernommen. Ihren Höhepunkt fand die Mobilisierung im Land Mitte Januar 2022, als über 10.000 Menschen landesweit an den Protesten teilnahmen. Mit dem stetigen Wegfall einer Vielzahl von Corona-Schutzmaßnahmen ab März 2022 nahm auch die Zahl der Demonstrationen und Veranstaltungen deutlich ab. Insgesamt war dieses Protestgeschehen in Rheinland-Pfalz weder zentral noch extremistisch gesteuert. Nur vereinzelt gab es Versuche von Extremisten, auf die weit überwiegend bürgerlich geprägten Demonstrationen steuernden Einfluss zu nehmen. Jedoch konnte kein dauerhafter Einfluss erlangt werden, er blieb allenfalls punktuell. Auch die im Verhältnis festgestellte geringe Anzahl an Extremisten aus den Bereichen der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung", Rechtsextremismus sowie "Reichsbürger und Selbstverwalter" unter den Teilnehmern deutet darauf hin, dass diese keinen prägenden Einfluss entfalten konnten. Gleichwohl fehlte eine deutliche Abgrenzung der bürgerlichen Demonstranten zu diesem extremistischen Personenspektrum. Deutliche Wirkung auf das Mobilisierungspotential der "Montagsspaziergänge" hatte die Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht im Deutschen Bundestag am 7. April 2022. Zu beobachten war, dass sich die Szene gezwungen sah, andere Themen als "Corona-Maßnahmen" aufzugreifen, um wieder mehr Menschen zur Teilnahme an 124 den "Spaziergängen" zu bewegen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine (siehe Brennpunktthema), steigende Energieund Lebenshaltungskosten waren seitdem oftmals in Mobilisierungsaufrufen festzustellen. Obwohl die Beteiligung an den "Montagsspaziergängen" gering blieb, fand am 23. April 2022 in Landau die bis dahin größte Veranstaltung gegen staatliche Corona-Maßnahmen in Rheinland-Pfalz statt. In der Spitze nahmen bis zu 2.000 Personen teil. Zuvor wurde insbesondere in einschlägigen Telegram-Kanälen und -Gruppen überregional für die Demonstration geworben. Als Gastredner traten mehrere bundesweit agierende einschlägige Szenegrößen auf, die ihren Wohnsitz nicht in Rheinland-Pfalz hatten. Neben einer professionellen Logistik und Durchführung mit Event-Charakter dürfte dies die hohe Anzahl der Teilnehmer erklären. Zwischen den Reden traten verschiedene szenebekannte Musiker auf. Durch die aktive Teilnahme und organisatorische Einbindung mehrerer Extremisten ist die Veranstaltung im Ergebnis als extremistisch beeinflusst zu bewerten. Auch unter den Teilnehmern befanden sich Extremisten aus unterschiedlichen Phänomenbereichen, wenn auch deren Zahl im Vergleich zur Gesamtzahl gering war. Am 28. Mai 2022 kam es zu einer unangemeldeten Demonstration in Neustadt an der Weinstraße, zu der die Initiatoren 30.000 Teilnehmer erwarteten. Über Soziale Medien wurde bundesweit und im Ausland mobilisiert, wobei letztlich ungefähr 3.000 Personen teilnahmen. Die Veranstaltung wurde in die Tradition des Hambacher Fests gestellt, das sich am 28. Mai zum 190. Mal jährte, und richtete sich insbesondere gegen die Corona-Politik der RegieEine Teilnehmerin der Demonstration in rung. So zogen die überwiegend in Weiß gekleiNeustadt an der Weinstraße und vor dem deten Demonstranten aus der Stadt zum HamHambacher Schloss hält eine Fahne, in der die Reichsflagge integriert ist. Quelle: Twitter bacher Schloss. Die weiße Kleidung sollte eine Gruppenidentität fördern. An der Demonstration nahmen mehrere Personen aus dem Spektrum der "Delegitimierer", Rechtsextremisten sowie "Reichsbürger und Selbstverwalter" teil, was nicht zuletzt an einigen Fahnen zu erkennen war, beispielsweise der Reichsflagge oder der Flagge des "Königreichs Preußen". 125 Im Nachgang wurde berichtet, dass Gäste und Teilnehmer des Fests der Stadt Neustadt, das zur gleichen Zeit wie die Demonstration stattfand, aus dem Kreis der Demonstrierenden bedrängt, beleidigt und beschimpft worden und es zu Holocaust relativierenden Aussagen einzelner Demonstranten gekommen sein soll. Trotz der weitaus geringeren Teilnehmerzahl als ursprünglich erwartet, werteten extremistische Akteure die Demonstration als Erfolg und überhöhten sie als "Tag für die Geschichtsbücher". So versuchten sie, das Geschehen vor dem Hambacher Schloss zu vereinnahmen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Es konnten einprägsame Bilder produziert und über das Internet verbreitet werden, die ihre Wirkung vor allem innerhalb der Szene entfaltet haben dürften. Am 11. Juni 2022 fand eine weitere Kundgebung mit Aufzug und anschließendem Autokorso in Landau statt. Leiter der Veranstaltung war ein Extremist aus Nordrhein-Westfalen. Das Motto der Veranstaltung lautete: "Für eine freie Impfentscheidung und gegen Regierungsfaschismus, mediale Nato-Kriegshetze, künstlich steigende Energieund Lebensmittelpreise und die neue Impf-Propaganda zur politischen Promaten-P(L)andemie der Affenpocken" (sic). Zu erkennen ist die thematische Ausweitung auf den Krieg in der Ukraine und die Inflation. Auf der Kundgebung ergriffen zwei szenebekannte Extremisten aus Baden-Württemberg das Wort. Ersterer fiel mit Aussagen auf, die zumindest eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung annehmen lassen: "Und wir sind immer noch friedlich und ruhig? Ich weiß nicht, ob wir so viel Menschen auf die Straße kriegen, dass es reicht für den Widerstand. Aber ich wünsche mir, dass der Widerstand stärker wird. Wir müssen viel mehr Stärke zeigen. Wir müssen kämpfen. Ich will es friedlich - ich sage aber: Aktion, Reaktion. Wenn die mich in eine Ecke drängen, muss ich reagieren [...]. [...] Eines Tages kommt der Tag der Abrechnung. Dann können sie sich nicht verstecken, auch wenn man sie ohne Masken sieht. Wenn wir alle zusammenhalten, kriegen wir auch alle. Die dürfen nicht davonkommen. Die haben uns so einen Schaden zugefügt diese zwei Jahre". 126 Wenngleich er sich von den Aussagen seines Vorredners distanzierte, griff auch der zweite extremistische Redner das politische System an: "Dieses System hat fertig, dieses System ist am Arsch. Dieses System braucht kein Mensch mehr. [...] Wir sind schon längst die größte und stärkste [...] Community mit 20 oder 30 %, und ihr wisst, wie viel Prozent braucht man, um Systeme zu stürzen: die kritische Masse liegt bei 3 %. Also auf was warten wir dann?" Als 2022 im öffentlichen Diskurs von einer möglichen Energiekrise im Winter des Jahres die Rede war, sahen "Delegitimierer" darin erneut eine Chance, das Protestgeschehen wieder zu intensivieren und die Bevölkerung zu verunsichern. So wurde das Narrativ verbreitet, dass die steigenden Energiepreise absichtlich von der Regierung in die Höhe getrieben würden, um letztlich die Bürger zu enteignen. Für Rheinland-Pfalz ist festzustellen, dass es nicht zu einem "Heißen Herbst" oder einem "Wutwinter" im Berichtszeitraum gekommen ist. Die Teilnehmerzahlen blieben im Vergleich zum Beginn des Jahres niedrig, der erhoffte Mobilisierungseffekt auf das vorhandene Protestgeschehen anlässlich der Energiekrise blieb aus. Gleichwohl konnten unter den Teilnehmenden an den Demonstrationen gegen Ende des Jahres immer noch vereinzelt Extremisten festgestellt werden. Beispielsweise nahmen mehrere Mitglieder der "Revolte Rheinland" an den sogenannten Montagsspaziergängen in Koblenz teil. Insgesamt sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlungen hingegen ganz überwiegend dem nicht-extremistischen Spektrum zuzuordnen. Der verfassungsschutzrelevante Teil des Protestgeschehens bildete im Jahr 2022 einen Schwerpunkt im Süden von Rheinland-Pfalz, wobei auch dort der überwiegende Teil der Teilnehmenden auf dem Boden des Grundgesetzes stand. Radikalisierung und Agitation in sozialen Medien Im Jahr 2022 wurden zwei Urteile gegen Personen aus Rheinland-Pfalz gesprochen, die dem neuen Phänomenbereich der "Delegitimierer" zugeordnet werden. 127 Zum einen handelt es sich um den Angeklagten im Strafverfahren wegen Mordes an einem Kassierer in einer Tankstelle in Idar-Oberstein am 18. September 2021, der zwischenzeitlich zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Ein weiterer "Delegitimierer" wurde vom Amtsgericht Wittlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem er mittels 3-D-Drucker eine halbautomatische Schusswaffe baute, um gegenüber dem Staat, der in seine Grundrechte eingreife, verteidigungsbereit zu sein, so die Urteilsfeststellungen. Wie bei realweltlichen Corona-Protesten entstand auch im virtuellen Raum ein Milieu, in dem heterogene Szenen zusammenfanden und ihre Kritik an den staatlichen CoronaMaßnahmen zum Ausdruck brachten. Der Messenger-Dienst Telegram war und ist dabei die zentrale Kommunikationsplattform, über die sich ausgetauscht, vernetzt und mobilisiert wird. Extremistische Akteure erzielen dort mitunter hohe Reichweiten. Die Funktionsweisen von Telegram und eine Art "Schwarmverhalten" der Nutzer sorgen dafür, Hetze gegen Polizei und Staat in einer Telegram-Gruppe. Quelle Telegram. dass deren demokratiefeindlichen Inhalte breit gestreut werden. Zu beobachten ist zudem, dass eine Abgrenzung und aktiver Widerspruch zu getätigten extremen Aussagen oder Gewaltfantasien nur selten vorkommen - auch Verschwörungstheorien, typische rechtsextremistische oder reichsbürgertypische Narrative werden in diesen Gruppen und Kanälen oftmals weiterverbreitet. Zentrale extremistische Kanäle auf Telegram mit Bezug zu oder nach RheinlandPfalz und einer relativ hohen Reichweite sprachen beispielsweise von "Staatsterror", wenn es bei Demonstrationen zu Polizeieinsätzen gekommen war, machten sich Parolen wie "Berliner Polit-Marionetten" zu eigen und propagierten den "Zerfall des korrupten Systems". Nachdem der Bundestag die allgemeine Impfpflicht abgelehnt hatte, wurde das Bild einer Bundestagsabgeordneten veröffentlicht, die für eine allgemeine Impfpflicht gestimmt hatten. Ergänzend wurde zu dem Abstimmungsergebnis des Bundestags verlinkt und drohend kommentiert: "Sie waren bereit, über unsere Leichen zu gehen. Wir werden es ihnen 128 nicht vergessen." Parallel hierzu wurde dazu aufgerufen, Abgeordnete außerhalb der "Festung Bundestag" anzugreifen: "Er hat meist in irgendeiner Form Familie, lechzt nach Applaus auf Festen [...]. Was ihn jedoch erwarten kann, sind Eierund Farbbeutelwürfe, wütende Bürger, die ihn von der Bühne schreien und somit die Verachtung selbst in der eigenen Familie." Der Grad der Verrohung zeigte sich nach dem brutalen Mord im Januar 2022 im Landkreis Kusel an zwei Polizisten durch einen Wilderer. Teile des "Delegitimierer"-Spektrums kommentierten dies mit unvorstellbarer Häme. Im Zuge dessen führte die Polizei bundesweit über 80 Durchsuchungen gegen mutmaßliche Urheber von Hassbeiträgen durch. Als im Dezember 2022 eine Gruppe von "Reichsbürgern" und "Delegitimierern" um Heinrich XIII. Prinz Reuß von der Polizei verhaftet wurde, weil sie weitreichende Umsturzpläne verfolgte, erzielte der Beitrag einer Szenegröße weite Verbreitung. Darin suggerierte er, dass die Gruppierung "vollständig aus Mitarbeitern des Verfassungsschutzes" bestanden habe und beruft sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht nach Artikel 20 Abs. 4 Grundgesetz, da "Politiker selbst einen Staatsstreich begangen" hätten. Mit dieser Rhetorik befeuert er eben jene Radikalisierung. Der Beitrag wurde im Netz über 18.000 Mal gelesen. Als weiteres Beispiel für die Radikalisierung einer Gruppe, die sich über Telegram vernetzte und rekrutierte, um einen Umsturz zu planen, kann auf die "Vereinten Patrioten" verwiesen werden (siehe Brennpunktthema "Vereinte Patrioten"). Diese planten Sabotageaktionen gegen kritische Infrastruktur und die Entführung von Politkern. Einer der Rädelsführer wohnte bis zu seiner Verhaftung in Neustadt an der Weinstraße. 2. Gruppierungen und Strukturen in Rheinland-Pfalz Das Personenpotenzial im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" beläuft sich für 2022 in Rheinland-Pfalz auf rund 40 Personen. Bislang hat sich im Land noch keine extremistische Gruppierung (Organisation) etabliert, die dauerhaft und nachhaltig öffentlichkeitswirksam in Erscheinung tritt. Vielmehr sind es Einzelpersonen und eher lose Netzwerke von 129 Personen bis hin zu klandestinen Gruppierungen, wie den "Vereinten Patrioten", oder Gruppierungen, die im Wesentlichen online agieren, wie die "Freien Pfälzer". Auffällig war 2022, dass einige Veranstaltungen in Rheinland-Pfalz von Szenegrößen aus anderen Bundesländern (mit-)organisiert und/oder durch Redebeiträge unterstützt wurden. Dieses Phänomen zeigte sich besonders im südlichen Teil von Rheinland-Pfalz. Dort befindet sich auch eine Gaststätte, die als Szenetreff fungiert. Auf einschlägigen Telegram-Kanälen wird regelmäßig für Veranstaltungen in der Gaststätte geworben, an denen bundesweit bekannte "Delegitimierer" teilnehmen. Nicht zuletzt dieser Umstand belegt die überregional mitunter gute Vernetzung der Szene. 3. Ausblick Die zu Beginn des Jahres 2022 relativ hohen Teilnehmerzahlen an den "Montagsspaziergängen" in Rheinland-Pfalz nahmen im Zuge der immer weniger einschneidenden Corona-Maßnahmen stetig ab. Bis zum Ende des Jahres verblieb das Mobilisierungspotenzial eher gering, Ausnahmen bildeten allein die bereits dargelegten Veranstaltungen im April in Landau, im Mai in Neustadt an der Weinstraße und am Hambacher Schloss, als die Teilnehmerzahlen bei 2000 und 3000 lagen. Im zweiten Halbjahr gab es keine derartigen Veranstaltungen, die einen solchen Zulauf verzeichnen konnten. Bislang gelang es Extremisten nicht, über die Ausweitung des Themenspektrums die Teilnehmerzahlen nennenswert zu erhöhen und so ihre Botschaften an ein breiteres Publikum aus der Mitte der Gesellschaft zu vermitteln. Sollte sich beispielsweise die Energiekrise im Jahr 2023 zuspitzen, könnten "Delegitimierer" erneut versuchen, die Bevölkerung anzustacheln und Einfluss zu gewinnen. Wie die Fälle "Vereinte Patrioten" und die Gruppierung um den "Reichsbürger" Heinrich XIII. Prinz Reuß zeigen, haben sich verschiedene extremistische Szenen vermischt und sich teilweise derart radikalisiert, dass sie auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken und Gewalt als legitimes Mittel im Kampf um ihre Ziele betrachten. Eine weiterhin mangelnde Abgrenzung des nicht-extremistischen Teils der Protestszene zum extremistischen sowohl auf Demonstrationen als auch im virtuellen Raum muss daher weiterhin mit Sorge betrachtet werden. 130 Befeuert von einer dauerhaften Verächtlichmachung des parlamentarischen Systems sowie demokratischer Prozesse und Institutionen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Einzelpersonen oder kleinere Gruppierungen radikalisieren. Die "Echokammern" sozialer Medien bleiben in diesem Zusammenhang von enormer Relevanz. 131 132 Linksextremismus 133 1. Personenpotenzial 2022 2021 Gesamt 500 520 Gewaltorientierte Linksextremisten 120 120 Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten und 380 400 sonstige Linksextremisten Gesamtzahlen ohne Mehrfachzuordnungen. Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2. Überblick und Entwicklungen 2022 Linksextremisten verfolgen das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden und durch ein autoritär-sozialistisches, kommunistisches oder anarchistisches Gesellschaftsmodell zu ersetzen1. Ihre Aktionsformen reichen von offener Agitation und Propaganda bis hin zu massiver Gewaltanwendung. Sie beteiligen sich an breiten, von zivilgesellschaftlichen Gruppen getragenen Protestbündnissen, zum Beispiel im Kontext von Klimaprotesten, und versuchen, diese entsprechend ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu beeinflussen und zu instrumentalisieren. So versammelte sich am 25. März 2022 die "Antifa Koblenz" anlässlich des globalen Klimastreiks unter anderem mit der Koblenzer "Fridays-for-Future"-Gruppe, um gegen den "selbsternannten grünen Kapitalismus" zu demonstrieren. Nach wie vor gibt es im eher ländlich geprägten Rheinland-Pfalz weniger linksextremistische Aktivitäten als in Ländern mit Ballungszentren oder in den Stadtstaaten. Auch die Gesamtzahl der Linksextremisten und der gewaltorientierten Autonomen ist hier vergleichsweise gering. Wichtigstes Aktionsfeld bleibt der "Antifaschismus". Er richtet sich nicht nur gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten, sondern gegen die staatliche Ordnung insgesamt. Für die meisten Linksextremisten hat der Faschismus seine Wurzeln im Kapitalismus. Nach deren Logik bedeutet "Antifaschismus" Kampf gegen das kapitalistische 1 Weitergehende Informationen gibt es in der Broschüre "Linksextremismus - Ideologien, Akteure, Aktionsfelder", abrufbar unter: mdi.rlp.de/de/unsere-themen/verfassungsschutz/aufgabenfelder-und-extremismus-bereiche/linksextremismus. 134 System und die gesellschaftlichen Kräfte, die es tragen. Auf diese Weise richten sich Linksextremisten gegen das politische System der Bundesrepublik Deutschland, das heißt gegen den demokratischen Rechtsstaat und seine Repräsentantinnen und Repräsentanten. Der Beginn des Jahres 2022 war noch von regelmäßigen Protesten "Weder gewalttätige Cops und gegen die Corona-Schutzmaßstaatliche Repression, noch Benahmen und entsprechenden drohungen und Angriffe von FaGegenprotesten geprägt. So schist*innen jeder Art werden uns motivierte die Teilnahme von einschüchtern oder aufhalten. Wir Personen aus der rechtsextremisbleiben entschlossen, wir bleiben tischen Szene an Protesten gegen kämpferisch, wir bleiben solidadie staatlichen Corona-Maßnahrisch. Für das Ende der Pandemie men am 8. Januar 2022 in Koblenz und die Überwindung des Kapitalis(auch) Linksextremistinnen und mus!" Linksextremisten, sich an GegenQuelle: Facebook "Antifa Koblenz" demonstrationen zu beteiligen. Während der Veranstaltung kam es zu verbalen Anfeindungen, gegenseitigen Beleidigungen, Sitzblockaden und zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Die "Antifa Koblenz" bewertet den Polizeieinsatz auf ihrer Instagram Seite hingegen als "völlig unverhältnismäßige Maßnahme (...) bei der es in mehreren Fällen zu Übergriffen durch Bullen, verbaler wie körperlicher Natur kam". Nach der Lockerung der Corona-Maßnahmen und den rückläufigen "Querdenker-Demonstrationen" lag der Fokus der linksextremistischen Szene wieder auf ihren klassischen Aktionsfeldern. Individuelle Radikalisierungsprozesse derzeit nicht erkennbar Von gewaltorientierten Linksextremisten gehen in einigen Teilen des Bundesgebiets erhebliche Gefahren für die Innere Sicherheit aus. Besonders ausgeprägte gewaltaffine Szenen gibt es insbesondere in Berlin, Bremen, Hamburg und Leipzig. In Rheinland-Pfalz besteht das (gewaltorientierte) linksextremistische Spektrum weit überwiegend aus Angehörigen der autonomen Antifa-Szene sowie weiteren lokalen Antifa-Gruppen. Individuelle Radikalisierungsprozesse sind hierzulande derzeit nicht erkennbar. Ungeachtet dessen gibt die allgemeine Ent135 wicklung im gewaltorientierten Linksextremismus seit Jahren Anlass zur Sorge. Gewalt gegen Menschen ist in weiten Teilen dieses Spektrums kein Tabu. Dies verdeutlicht insbesondere die niedrige Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen "echte" oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie gegen Vertreter des Staates, vor allem der Polizei. Outingaktion gegen einen Rechtsextremisten In der Nähe von Koblenz kam es zu einer Outingaktion gegen einen Rechtsextremisten. In einem am 31. Oktober 2022 veröffentlichten anonymen Beitrag auf der linksextremistischen Plattform "de.indymedia" heißt es: "Vergangenen Sonntag haben wir den Neofaschisten K. (im Original genannt) (...) geoutet. Die Nachbarschaft (seines Wohnortes) wurde somit über die politischen Aktivitäten von K. aufgeklärt. Er ist aktiv in der lokalen Ortsgruppe der "Identitären Bewegung", die unter dem Namen "Revolte Rheinland" agiert (...). Als Teil einer aktiven antifaschistischen Praxis begreifen wir die Offenlegung von neofaschistischen Strukturen und ihrer Akteur*innen (...)". Solidaritätsbekundungen bei Strafprozessen linksextremistischer Straftäter Auch Strafprozesse geben Einblicke in die gewalttätige linksextremistische Szene und deren Handlungsweisen, beispielsweise der Prozess gegen zwei linksextremistische Straftäter aus Baden-Württemberg, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie im Mai 2020 drei Männer zusammengeschlagen hatten, die zu einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen gehen wollten. Die Opfer wurden teilweise schwer verletzt. Das Gerichtsverfahren führte vereinzelt auch zu Solidaritätsbekundungen in Rheinland-Pfalz. "Dem staatlichen Verfolgungswillen gegenüber Aktiven unserer Bewegung können wir nur unsere geschlossene Solidarität entgegensetzen. Das heißt nicht, leere Worte zu verlieren, sondern aktiv handeln: Antifaschistische und revolutionäre Kämpfe weiterzuführen ist unser aller Pflicht!" Quelle: Instagram "Antifa Koblenz" 136 Gewalt gegen Sachen als Mittel im "Kampf gegen das System" Auch Gewalt gegen Sachen bleibt ein aus Sicht gewaltorientierter Linksextremisten legitimes wie gängiges Mittel im "Kampf gegen das System". Brandstiftungen und mitunter massive Sachbeschädigungen verursachen immense Schadenssummen und sorgen in einigen Bundesländern verstärkt für Schlagzeilen. Für die Szene haben solche Taten nicht zuletzt angesichts der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit, die mit ihnen einhergeht, eine große Symbolkraft. In Rheinland-Pfalz sind solche Ausmaße bislang nicht bekannt. Antifaschismus bleibt wichtigstes Aktionsfeld Wichtigstes Aktionsfeld rheinland-pfälzischer Linksextremisten blieb 2022 der "Antifaschismus", der sich nach linksextremistischem Verständnis nicht nur gegen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten richtet, sondern auch gegen die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, die sie als "faschistisches System" diffamieren. Dabei bewegt sich die Mobilisierungsfähigkeit der linksextremistischen gewaltorientierten Szene in Rheinland-Pfalz im Vergleich zu anderen Ländern auf einem eher niedrigen Niveau und erfolgt hauptsächlich anlassbezogen und reaktiv. In Abhängigkeit vom jeweiligen Anlass kann es aber durchaus zu einem höDemonstration gegen "NSP" in Mainz; heren Mobilisierungsgrad kommen. Hierzu trägt reQuelle: Facebook gelmäßig die Unterstützung durch Szeneangehörige aus anderen Bundesändern beziehungsweise vereinzelt aus dem benachbarten Ausland bei. An einer Demonstration gegen den Aufmarsch der "Neuen Stärke Partei" (NSP) am 16. Juli 2022 in Mainz beteiligten sich zwischenzeitlich rund 400 Personen des linksextremistischen Spektrums. Während des Demonstrationsgeschehens wurden Polizeikräfte von Demonstranten bedrängt und angegriffen. Neben linksextremistischen Gruppierungen aus Rheinland-Pfalz konnten auch Personengruppen aus Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie aus Frankreich und der Schweiz festgestellt werden. Im Nachgang zur 137 Veranstaltung veröffentlichte die "Antifa Koblenz" einen Post auf Instagram. Darin heißt es: "Unterdessen hatten die Bullen mal wieder Bock sich zu prügeln und bekamen prompt auf die Helme. Viele wundervolle Flugobjekte und eine Drohne waren heute in der Luft. Einige davon fanden ihren Weg auf die prügelnden Gewalttäter*innen in Uniform". Quelle: Instagram "Antifa Koblenz" In einem weiteren Kommentar zur Demonstration auf Twitter war zu lesen: "Bullenschweine prügeln wieder den Weg frei für Nazis...Hand in Hand der Deutsche Staat und der Faschismus". Das Wort "Bullenschweine" wird von Linksextremisten genutzt, um Polizeibeamte zu entmenschlichen und Gewalt gegen sie zu legitimieren. Linksextremisten unter dem Deckmantel des Klimaschutzes Linksextremisten haben das Thema Klimaschutz bereits seit einigen Jahren für sich entdeckt. Sie sehen darin ihre Chance, sich bürgerlichen Klimabewegungen anzuschließen, um ihr verfassungsfeindliches Gedankengut öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Die Klimabewegung ist nicht homogen, sie setzt sich aus überwiegend nicht extremistischen, bürgerlichen Gruppen und Einzelpersonen zusammen, die unterschiedliche Aktionsformen und Radikalisierungspotentiale mit sich bringen. Ein mediales Symbol des Widerstands für den Klimaprotest mit linksextremistischer Beteiligung in Deutschland war zu Beginn des Jahres 2023 die Räumung der Ortslage Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier. Neben friedlichen Massenveranstaltungen gab es von Linksextremisten verübte gewalttätige Aktionen sowohl gegen InfrastruktuMobilisierung zur Teilnahme an den ren und Personen der RWE Power AG als auch geProtesten; Quelle: Instagram gen Polizeikräfte. Darüber hinaus nutzten sie den Protest für solidarische Resonanzstraftaten im gesamten Bundesgebiet. Auch aus Rheinland-Pfalz nahmen Klimaaktivisten und vereinzelt Linksextremisten am Demonstrationsgeschehen teil. 138 3. Gruppierungen, Strukturen und Aktionsfelder Das linksextremistische Personenpotential in Rheinland-Pfalz umfasst rund 500 Personen. Davon gelten nach wie vor etwa 120 als gewaltorientiert; ca. 380 gehören zum Spektrum der nicht gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten und sonstigen Linksextremisten oder folgen einer anarchistischen Weltanschauung. 3.1 Autonomen-Szene Im linksextremistischen Spektrum stellen Autonome bundesweit den größten Teil des gewaltorientierten Personenpotenzials. In Rheinland-Pfalz ist die autonome Szene nahezu deckungsgleich mit dem Lager der gewaltorientierten Linksextremisten. Autonome Linksextremisten bedienen sich einer Reihe von weltanschaulichen Versatzstücken des Anarchismus und des Kommunismus, ohne dass sich daraus eine eigene, in sich geschlossene Ideologie erkennen lässt. Kernziel der Autonomen ist die Überwindung des "herrschenden Systems". Der Idealzustand aus ihrer Sicht ist die Fiktion eines Lebens "frei von Zwängen", Normen und Autoritäten. Gewalt im politischen Kampf rechtfertigen Autonome als legitimes und unverzichtbares Mittel gegen die "strukturelle Gewalt des kapitalistischen Staates" und dessen "System von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Autonome sind organisationsund hierarchiefeindlich. Sie streben mehrheitlich strukturlose, informelle Formen der Zusammenarbeit untereinander an. Gleichwohl gibt es innerhalb der autonomen Szene auch Bestrebungen beziehungsweise Gruppierungen wie die "Interventionistische Linke", die sich stärker vernetzen und den Aufbau von regionalen und überregionalen Organisationsstrukturen vorantreiben. 3.2 "Postautonome" - "Interventionistische Linke" (IL) Sogenannte Postautonome stellen Prinzipien der "klassischen" autonomen Szene in Frage, ohne aber mit deren gewaltorientiertem Politikansatz zu brechen. Ziel der den "Postautonomen" zuzurechnenden IL ist die Überwindung des Kapitalismus durch einen revolutionären Umsturz. Als bundesweites Netzwerk mit 139 mehr als 30 Ortsgruppen fungiert sie als ein Bindeglied zwischen militanten Strukturen der autonomen Szene und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nichtextremistischen Gruppen und (Protest-)Initiativen. Eine Ortsgruppe der IL in Rheinland-Pfalz gibt es zurzeit nicht. Gleichwohl ist die IL Rhein-Neckar ausweislich ihrer Internetseite auch in Rheinland-Pfalz, insbesondere in Worms, aktiv. "Feste Kernbereiche unserer politischen Praxis bilden soziale Kämpfe, wie das Recht auf Stadt, Krisenproteste, Queerfeminismus sowie das Engagement gegen Rechtspopulismus." Quelle: rheinneckar.interventionistische-linke.org 3.3 Anarchisten - "die plattform" Der "klassische" Anarchismus ist eine politische Ideenlehre mit verschiedenen Strömungen, deren Anhängerschaft die radikale Absage an den Staat und alle Regierungsformen, einschließlich der Demokratie, eint. Die Zahl derer, die solchen Strömungen zugerechnet werden können, ist im Vergleich zum "Antifa"Logo "die plattform" Spektrum bundeswie landesweit gering. In Rheinland-Pfalz sind kleinere Zusammenschlüsse des "klassisch" orientierten anarchistischen Spektrums bekannt. Hierzu zählt die am 2. Januar 2019 gegründete Organisation "die plattform". Sie sieht sich als "eine anarchakommunistische Organisation für den deutschsprachigen Raum", deren Ziel "die Überwindung aller Formen der Unterdrückung und Herrschaft und der Aufbau einer herrschafts-, klassenund staatenlosen Gesellschaft auf Grundlage des anarchistischen Kommunismus" ist. Die unter der Bezeichnung "die plattform" firmierenden Gruppen streben entgegen dem im Anarchismus überwiegend niedrigen Organisationsgrad eine striktere Organisierung nach den Prinzipien von "ideologischer und taktischer Einheit, Disziplin und Kollektivtätigkeit der Mitglieder" an. Publikationswege von 140 "die plattform" sind die Zeitschrift "Kollektive Einmischung" und ein eigener "YouTube"-Kanal. Außer der sogenannten Überregionalen Gruppe2 bestehen Lokalstrukturen in Berlin, in Köln, in Leipzig, im Ruhrgebiet und in Trier. "Wir wollen eine gut organisierte anarchistische Kraft werden, die sich in die sozialen Bewegungen unserer Zeit einmischt. Die in ihnen den Kampf gegen den Staat, das Kapital, gegen Sexismus und Rassismus... und alle anderen Formen von Unterdrückung und Herrschaft stark macht." Quelle: trier.dieplattform.org Die Trierer Lokalgruppe ist 2019 aus der ein Jahr zuvor gegründeten "Stella Nigra" hervorgegangen. Laut deren Internetseite versucht sie "anarchistische Ideen von gleichberechtigter Organisation aller! Menschen von unten in lokale und globale Kämpfe - etwa um Klimagerechtigkeit oder Feminismus - zu tragen". Die Trierer Gruppe belegte im Berichtsjahr Themen wie beispielweise Umweltund Klimaschutz, Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, in Kurdistan und im Iran, Antifeminismus und feministischer Aktivismus. Darüber hinaus nahmen sie an der Demonstration gegen den Aufmarsch der "Neuen Stärke Partei" am 16. Juli in Mainz teil. 3.4 Dogmatische Linksextremisten "Deutsche kommunistische Partei" (DKP) und "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ)" Die orthodox-kommunistische DKP hat in Rheinland-Pfalz nach wie vor einen Bezirksverband, dessen Mitgliederzahl sich konstant im mittleren zweistelligen Bereich bewegt. Sie gründet ihre Weltanschauung, Politik und ihr Organisationsverständnis auf den wissenschaftlichen Sozialismus von Marx, Engels und Lenin. 2 Die Überregionale Gruppe ist die organisatorische Basis für Mitglieder der plattform, die noch keine lokale Vereinigung bilden können (vgl. www.dieplattform.org/sind-ueberall). 141 Laut ihrer Internetseite existieren Ortsgruppen in Bad Kreuznach, Idar-Oberstein, Kaiserslautern, Koblenz, Landau, Mainz, Trier und Worms. Öffentliche Aktivitäten entwickelt die DKP regelmäßig im Themenfeld "Antimilitarismus" und in sozialen Themen, wie beispielsweise Pflegenotstand. Die DKP-nahe Jugendorganisation SDAJ verfügt in Rheinland-Pfalz über einen Landesverband, der nach eigenen Angaben zurzeit drei Ortsgruppen in Landau, in Mainz und in Trier umfasst. Die SDAJ verfolgt ebenfalls das Ziel, "einen Bruch mit Werbeplakat der SDAJ Trier; Quelle: dem derzeit herrschenden System, dem Kapitalismus, Facebook zu erreichen", und letztendlich eine sozialistische Gesellschaft zu etablieren. Sie bezeichnet sich deshalb auch als eine antikapitalistische und revolutionäre Organisation. 3.5 Linksextremistische Aktionsfelder Antifaschismus Ein wiederkehrender Anlass für öffentlichen Protest mit Bezug zum "Antifaschismus" war der Aufmarsch von Rechtsextremisten, der von 2009 bis 2021 im November in Remagen stattfand.3 Allerdings wurde der Gedenkmarsch aufgrund rückläufiger Beteiligung von rechtsextremistischer Seite abgesagt. Dennoch mobilisierte das "Bündnis NS-Verherrlichung stoppen" unter dem Motto "Offensive gegen Demonstration in Remagen. Quelle: Nazis & Krise - Antifa heißt Solidarität!" für eine Instagram Demonstration am 12. November 2022 in Remagen. Im Anschluss der Demonstration in Remagen begaben sich Personen der "Antifa Koblenz" nach Bingen, um dort gegen eine Versammlung von Rechtsextremisten zu demonstrieren. 3 Die rechtsextremistischen Demonstrationen sollten an die alliierten Kriegsgefangenenlager ("Rheinwiesenlager") in der Region nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. 142 Antirepression Linksextremisten diffamieren den demokratischen Rechtsstaat, seine Repräsentanten und Institutionen als "Unrechtsund Unterdrückungssystem". Sie unterstellen, dass missliebige politische Meinungen und Überzeugungen von Staats wegen durchweg unterdrückt würden und Zensur herrsche. Meinungsfreiheit bestünde nur auf dem Papier. Insbesondere Autonome propagieren, dass sie "permanenten staatlichen Repressionen" ausgesetzt seien, und dass es diese - das heißt letztlich den Staat als solchen - mit allen Mittel zu bekämpfen gelte. Im Fokus der Agitation steht vor allem die Polizei, die als Teil des staatlichen "Repressionsapparats" wahrgenommen wird. Anlässlich eines Polizeieinsatzes, bei dem eine Person ums Leben kam, bekräftigten Linksextremisten Ihren Anspruch auf die "Kontrolle der Straßen" beziehungsweise bestimmter Stadtviertel/Städte. Typisch für diese Szene ist, dass sie das Gewaltmonopol des Staates für sich in Anspruch nehmen und daher auch dazu neigen, Selbstjustiz zu befürworten. Unter Missachtung des Rechtsstaatsprinzips und der Unschuldsvermutung nehmen sie - wie in dieAufruf zur Demonstration in Trier. sem Beispiel aus Trier - das Ergebnis laufender Quelle:Facebook Ermittlungen in verzerrender Weise vorweg. Solidaritätsaktionen mit "politischen Gefangenen" Vom "Repressionsstaat" festgenommene beziehungsweise verurteilte Linksextremisten werden als Vorbilder verklärt, insbesondere wenn sie sich aus Szenesicht im "antifaschistischen Kampf verdient" gemacht haben. Dies schließt auch überführte Gewalttäterinnen und Gewalttäter mit ein. 143 "Ein Tag der Solidarität, aber auch ein Tag der Wut. Solidarität mit allen Genoss*innen, die aufgrund ihres Kampfes für die befreite Gesellschaft, für eine bessere Zukunft für Alle, von der bürgerlichen Klassenjustiz in den Knast gesteckt werden. Wut auf eben diese Klassenjustiz, auf den Ausbeuterstaat dem sie dient und seine Knüppelbullen!." Quelle: Instagram "Antifa Koblenz" Darüber hinaus rufen linksextremistische Gruppen regelmäßig dazu auf, im Rahmen ihrer vermeintlichen "Antirepressionsarbeit" solidarische Briefe an linksextremistische Inhaftierte zu schreiben und in den Gefängnissen zu besuchen. Beliebt bei Linksextremistinnen und Linksextremisten sind auch sogenannte "Silvesterfeuerwerke" vor Haftanstalten, um sich mit politischen Gefangenen zu solidarisieren. In Rheinland-Pfalz gab es ein solches Feuerwerk am 31. Dezember 2022 vor der Justizvollzugsanstalt in Koblenz. Antigentrifizierung Linksextremisten lehnen die strukturelle Umwandlung von gewachsenen Stadtteilen und Gebäuden durch Sanierungsmaßnahmen vehement ab, weil, so ihre pauschale Wahrnehmung, dadurch die ursprünglich dort ansässigen Anwohnerinnen und Anwohner verdrängt und ins soziale Abseits getrieben werden (Gentrifizierung). Dabei verfolgen sie durchaus auch eigene Interessen wie den Erhalt von ihnen besetzter Häuser ("Freiräume"). Der "Kampf" gegen "antisoziale Stadtumstrukturierungen" soll vor allem Menschen ansprechen, die vom Verlust ihrer Wohnungen bedroht sind und fürchten, ihren ursprünglichen Wohnort verlassen zu müssen. Insbesondere in Berlin, aber auch in anderen Städten wie Hamburg, Stuttgart und Leipzig verspricht sich die linksextremistische Szene vom Kampf gegen solche Maßnahmen Zustimmung bei den Betroffenen. Die Aktionen der Linksextremisten reichen von Hausbesetzungen bis hin zu Brandanschlägen und teils massiven Sachbeschädigungen, insbesonde144 re an Fahrzeugen von Immobilienund Bauunternehmen und Sicherheitsfirmen, die sie für die Gentrifizierung verantwortlich machen. Im Berichtsjahr spielte Antigentrifizierung als Aktionsfeld praktisch keine Rolle in der rheinland-pfälzischen Szene. Auch in den Jahren davor kam es nur vereinzelt zu Solidaritätsbekundungen mit Hausbesetzern. Antimilitarismus Antimilitarismus ist ein klassisches linksextremistisches Aktionsfeld, dessen Wurzeln bis zu den Anfängen der kommunistischen Bewegung zurückreichen. Insbesondere die DKP und die SDAJ thematisieren das Aktionsfeld in schriftlichen Stellungnahmen und Beiträgen auf ihren Internetseiten. Insbesondere der am 24. Februar 2022 begonnene russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird von der linksextremistischen Szene in "Nein zur Aufrüstung der Bundeswehr". Rheinland-Pfalz thematisiert. Trotz der grundQuelle: Facebook sätzlich pro-russischen Einstellung dogmatischer Linksextremisten solidarisiert sich die Szene mit der Bevölkerung der Ukraine. Allerdings wird zugleich heftige Kritik an NATO, USA und EU sowie an der geplanten Milliardeninvestition für die Bundeswehr geübt. Ihnen wird vorgeworfen, selbst expansive Ziele zu verfolgen und Profit aus dem Krieg ziehen zu wollen. In Rheinland-Pfalz werden dabei der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein und der Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe in Büchel als Ausdruck des "NATO-Imperialismus" gebrandmarkt. 4. Ausblick Das Agieren von Linksextremisten in Rheinland-Pfalz und in anderen Ländern wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die rechtsextremistische Szene und die diffusen, zum Beispiel islamund asylfeindlichen Protestmilieus hierzulande entwickeln werden. Dabei werden sich die gewaltorientierten rheinland-pfälzischen Linksextremisten voraussichtlich weiterhin auf Aktionen und Kampagnen gegen erkannte und vermeintliche Rechtsextremisten konzentrieren. Schließlich werden Linksextremisten auch in Zukunft Anschluss an Bündnisse gegen Rechts145 extremismus aus dem bürgerlichen Spektrum suchen und entsprechende Demonstrationen für ihren "Kampf" gegen den politischen Gegner und das "System" nutzen. Perspektivisch ist ein Wiederaufleben des Aktionsfelds "Antimilitarismus" zu erwarten. In diesem Zusammenhang dürfte die Agitation insbesondere auf die atomare Teilhabe Deutschlands und hier vor allem auf die geplante Beschaffung von F-35 Kampfjets für die Bundeswehr in Büchel zielen. 146 5. Kurzbeschreibungen "Interventionistische Linke" (IL) Gründung 2005 Struktur Bundesweites Netzwerk von Ortsgruppen. In Rheinland-Pfalz gibt es keine Ortsgruppe. Mitgliederzahl in In Rheinland-Pfalz liegen keine Erkenntnisse zur Mitgliederzahl Rheinland-Pfalz im Land vor. Publikationen Zeitschrift "Arranca!" und Medien Ideologie, Programm, Strategie Die IL wurde als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründet. In Bündnissen und Initiativen bemüht sich die IL um eine aktionsorientierte Zusammenführung linksextremistischer Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung, um die Handlungsfähigkeit in Deutschland wie auch in internationalen Kampagnen und Netzwerken zu erhöhen. Sie übernimmt somit die Funktion als Bindeglied zwischen autonomen, dogmatischen und sonstigen Linksextremisten. Zugleich fungiert sie als Scharnier zwischen militanten Strukturen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nicht extremistischen Gruppen und Initiativen (zum Beispiel im Zusammenhang mit Protesten gegen den Braunkohleabbau in NordrheinWestfalen). Ziel der IL ist die Überwindung des "Kapitalismus" mittels eines revolutionären Umsturzes. Der "Antikapitalismus" bildet dementsprechend den ideologischen Schwerpunkt der IL. Die Einstellung der IL zur Gewalt ist taktisch bestimmt. 147 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzende(r) Gabi Fechtner Struktur Landesverbände (LV, Stand 2022: Sieben), die jeweils mehrere Länder umfassen (Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland bilden einen LV) Mitgliederzahl in Einzelne Mitglieder in Ludwigshafen am Rhein Rheinland-Pfalz Publikationen Magazin "Rote Fahne" und Medien Jugendverband "REBELL" Ideologie, Programm, Strategie Die MLPD ist streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtet. Sie beruft sich auf die Lehren von Marx, Engels und Lenin und - anders als nahezu alle anderen kommunistischen Gruppierungen in Deutschland - auch auf die von Stalin und Mao Tsetung. Als Ziel strebt sie die Errichtung einer Gesellschaft des "echten Sozialismus" als Vorstufe einer "klassenlosen", kommunistischen Gesellschaft an. Dafür sei "die Vergesellschaftung aller wesentlichen Produktionsmittel, ihre Überführung in Gemeineigentum und ihre Unterstellung unter die Verwaltung durch die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen" nötig. Die Partei engagiert sich unter anderem in der Klimaprotestbewegung. So beteiligt sie sich beispielsweise an Demonstrationen. Die Jugendarbeit nimmt bei der MLPD breiten Raum ein. Ihr 1992 gegründeter Jugendverband "REBELL", der die politischen Ziele der Mutterpartei teilt, wirbt sehr aktiv um neue Mitglieder, unterstützt die Partei bei Wahlkämpfen und beteiligt sich rege im Rahmen der Klimaproteste. 148 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung 1968 Sitz Essen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzende(r) Patrik Köbele Struktur Bezirksverbände und Ortsgruppen Mitgliederzahl in 90 Rheinland-Pfalz Publikationen Zeitung "unsere zeit" (wöchentlich), Theoriemagazin und Medien "Marxistische Blätter" (zweimonatlich) Jugendverband Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Ideologie, Programm, Strategie Die marxistisch-leninistische DKP versteht sich als Nachfolgerin der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Zugleich betont sie, dass sie stets mit der vormaligen "Sozialistischen Einheitspartei" (SED) der DDR eng verbunden war. Die DKP hält unverändert an ihrem Ziel der Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft fest und strebt auf diesem Weg einen "grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" an. Hauptsächliche Aktionsfelder der DKP sind der "Antifaschismus", der "Antikapitalismus" und der "Antimilitarismus". Der Jugendverband SDAJ ist zwar formal unabhängig; er betrachtet sich gleichwohl als Nachwuchsorganisation der DKP. Wichtiges Instrument der SDAJ ist die "Bündnispolitik", die gewaltorientierte Linksextremisten nicht ausschließt. Neben der Betätigung in den Aktionsfeldern der DKP nimmt die SDAJ an Aktionen der Klimaprotestbewegung teil und versucht, Einfluss auf diese zu nehmen. 149 "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung 1975 Sitz Göttingen (Niedersachsen) Vorsitz Florian Kaufmann Marie Melior Anja Sommerfeld Struktur Ortsgruppen, davon eine in Mainz Mitgliederzahl in 100 Rheinland-Pfalz Publikationen Zeitschrift "DIE ROTE HILFE" (vierteljährlich und als und Medien Onlinemagazin) Ideologie, Programm, Strategie Die RH, eine der bundesweit größten linksextremistischen Gruppierungen, definiert sich laut Satzung als eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". In diesem Sinne leistet sie Strafund Gewalttätern aus dem linksextremistischen Spektrum politische und finanzielle Unterstützung, so bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten. Durch meinungsbildende Öffentlichkeitsarbeit versucht die RH, die Sicherheitsund Justizbehörden sowie die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren (Aktionsfeld "Antirepression"). Zudem betreut die RH rechtskräftig verurteilte Straftäter während ihrer Haftzeit. Ziel ist es, diese weiter beziehungsweise an die Szene zu binden und zum "Weiterkämpfen" zu motivieren. Mit ihrem Tun trägt die RH zur bundesweiten Vernetzung und zum Zusammenhalt unterschiedlicher linksextremistischer Strömungen bei. Darüber hinaus legitimiert sie Strafund Gewalttaten. 150 "die plattform" Gründung 2019 Struktur Sie besteht aus der Überregionalen Gruppe und bundesweiten Lokalstrukturen, in Rheinland-Pfalz gibt es eine Lokalgruppe in Trier. Mitgliederzahl in Es liegen keine Erkenntnisse zur Mitgliederzahl im Land vor. Rheinland-Pfalz Publikationen Schriftenreihe "Kollektive Einmischung", soziale Medien und und Medien eigener Youtube-Kanal. Ideologie, Programm, Strategie Der Anarchismus hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert und brachte unterschiedliche Strömungen hervor. Sie alle eint die radikale Absage an den Staat, die Bürokratie und alle Regierungsformen, auch die Demokratie. Die anarchakommunistische Föderation "die plattform" steht für die Überwindung aller Formen der Unterdrückung und Herrschaft und der Aufbau einer herrschafts-, klassenund staatenlosen Gesellschaft auf Grundlage des anarchistischen Kommunismus. Sie ist davon überzeugt, dass der Schlüssel für langfristige gesellschaftliche Veränderungen in Richtung ihrer Vision einer befreiten Gesellschaft, in den sozialen Bewegungen der lohnabhängigen Klasse liegt. In diesen Bewegungen sollen sich Menschen für die angestrebte "soziale Revolution" zusammenfinden, die im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen ihrer Lebensumstände kämpfen, die sich dem aus deren Sicht alltäglichen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus entschlossen entgegenstellen. 151 152 Islamismus 153 1. Personenpotenzial 2022 2021 Gesamt 660 660 Organisationsgebundene Islamisten 420 420 Salafisten 240 240 davon Gewaltorientierte 1 65 65 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2. Überblick und Entwicklungen 2022 Der Begriff "Islamismus" fasst extremistische Strömungen innerhalb des Islam zusammen. Islamisten wollen eine religiös verstandene Gesellschafts-, Rechtsund Staatsordnung errichten, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Demokratie wird als Götzendienst (arab. shirk) abgeunvereinbar ist. Sie verfolgen dazu unterlehnt. Salafistisches Posting auf Instagram schiedliche Strategien. Einerseits gibt es gewaltfreie Bestrebungen, die einen allmählichen Wandel der politischen Ordnung herbeiführen möchten. Anderseits reicht das Spektrum bis hin zu Jihadisten, die ihre Ziele mit Gewalt erreichen wollen. Trotz aller Unterschiede weisen Islamisten inhaltliche Gemeinsamkeiten auf. Der Koran und Überlieferungen über den Religionsstifter Muhammad werden absolut gesetzt und wortwörtlich verstanden. Islamisten lesen aus ihnen verbindliche Vorgaben heraus. Religiösen Normen kommt ihrer Meinung nach eine umfassende persönliche, soziale und politische Geltung zu. Weitere Gemeinsamkeiten sind etwa die strikte, oft aggressiv vorgetragene Unterscheidung von "Gläubigen" und "Ungläubigen" (kuffar), die Reklamation einer muslimischen Opferrolle, ein religiös verbrämter Antisemitismus und "der" Westen als Feindbild. 1 Der Begriff "gewaltorientiert" bezeichnet nicht ausschließlich Personen, die selbst Gewalt anwenden, sondern auch solche, die Gewalt legitimieren, befürworten oder unterstützen. 154 "Was ich alles ablehne, sind Dinge, die nicht mit dem Islam vereinbar sind, darunter (...) auch Staatsformen, Gesetze, Ideologien, Werte, Gottheiten, welche in der Shari'ah nicht vorkommen. Beispiele dafür: Demokratie, Kommunismus, Diktatur, Laizismus, Liberalismus (...) und alle weitere Staatsformen, die es noch so gibt" Auszug aus einem islamistischen Tellonym-Beitrag (Rechtschreibung unverändert) Aktivitäten der Szene Im Jahr 2022 trat für Islamisten die Corona-Pandemie in den Hintergrund. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema fand kaum noch statt. Die schrittweise Rücknahme von Maßnahmen zur Bekämpfung der pandemischen Lage führte gegenüber den Jahren 2020 und 2021 zu einem höheren Aktionsaufkommen der Szene. Das realweltliche Angebot islamistischer Organisationen normalisierte sich weitgehend. Daneben wurde die salafistische Szene wieder in der Öffentlichkeit aktiv, nachdem in den Vorjahren ein Rückzug ins Private und eine Verlagerung von Aktivitäten in den virtuellen Raum festgestellt worden waren. Große Veranstaltungen oder medienwirksame Auftritte von Szenegrößen waren bereits vor der Corona-Pandemie selten und kamen dann fast völlig zum Erliegen. Im Berichtsjahr drängten politische Salafisten nun bundesweit wieder auf die Straße und suchten den Kontakt mit Außenstehenden. Vor allem fanden erneut Vorträge, Missionsversuche in Fußgängerzonen ("Street-Dawa") und Plakataktionen statt, wenngleich Akteure in Rheinland-Pfalz hierbei deutlich weniger aktiv waren als in anderen Bundesländern (siehe Kapitel 2.2 Salafistische Bestrebungen). Das neu erwachte salafistische Engagement ging jedoch nicht mit einem Rückgang der virtuellen Angebote einher. Vielmehr wurden Onlineangebote und "Dawa"-Aktionen in der salafistischen Szene eng miteinander verzahnt. Reaktionen der jihadistisch-salafistischen Szene in Rheinland-Pfalz auf die Tötungen des "al-Qaida"-Anführers Aiman al-Zawahiri und der selbsternannten 155 "Kalifen" des "Islamischen Staates" (IS) blieben weitgehend aus (siehe Brennpunktthema Jihadismus). Was ist Dawa? Das arabische Wort da'wa (auf Deutsch: "Ruf" oder "Einladung" [zum Islam]) bezeichnet im Islam allgemein Missionsaktivitäten. Im politischen Salafismus wird die eigene Ideologie primär durch Propagandaaktivitäten verbreitet, die irreführend als "Dawa" bezeichnet werden. Letztlich geht es um politische Indoktrination. Auf lange Sicht sollen durch "Dawa"-Tätigkeiten eine Gesellschaft und ein Staat nach salafistischen Vorstellungen errichtet werden. "Kalifatsstaat" Wegen möglicher Nachfolgeaktivitäten des verbotenen "Kalifatsstaates" kam es am 28. Juni in sechs Bundesländern zu polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen. In Rheinland-Pfalz waren 13 Objekte betroffen (Siehe Kapitel 2.3 Organisationsgebundener Islamismus). Ukraine-Krieg Ereignisse, die die Diskussionen und Aktivitäten der islamistischen Szene in Rheinland-Pfalz das gesamte Jahr über dominiert hätten, gab es nicht. Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine wurde zwar thematisiert. Er löste aber ein eher begrenztes Echo aus, das beispielsweise weit hinter den Reaktionen auf den Krieg in Syrien zurückblieb. Die Ursache hierfür dürfte im Wesentlichen sein, dass sich weder auf russischer noch auf ukrainischer Seite Muslime in größerer Zahl befinden. Islamisten betrachten politische Konflikte üblicherweise vor allem unter dem Gesichtspunkt der (islamischen) Religionszugehörigkeit. Daher fehlte ihnen im Ukraine-Krieg bislang ein wichtiger Grund zur Solidarisierung und Mobilisierung. Zum Konflikt existierte in der islamistischen Szene kein einheitliches Meinungsbild. Ein Teil der Islamisten solidarisierte sich mit Russland oder verwies darauf, 156 dass die Staaten der North Atlantic Treaty Organization (NATO) mit ihrer angeblich expansiven Politik die eigentlichen Verursacher des Kriegs seien. Diese Haltung konnte tendenziell öfter unter schiitischen und zugleich Iranfreundlichen Islamisten festgestellt werden. "Die Ukraine und Russland haben beide das Blut der Muslime an ihren Händen kleben, möge Allah sie beide zerstören." Auszug aus einem salafistischen Facebook-Posting Andere Islamisten kritisierten ihrerseits die Russische Föderation. Sie verwiesen darauf, dass Russland bereits in Afghanistan, Tschetschenien und Syrien brutal und zerstörerisch gegen Muslime vorgegangen sei. Einer solchen Nation, die dem Islam feindlich gegenüberstehe, wünsche man eine verheerende Niederlage. Ebenso fanden sich Stimmen, die beiden Seiten deutliche Verluste wünschten, da alle Parteien Feinde des Islams seien. Posting eines salafistischen Onlinegelehrten zum Krieg in der Ukraine. Quelle: Facebook Einigkeit bestand darin, dass westliche Staaten den Ukraine-Krieg mit anderen Maßstäben bewerten würden als Konflikte im Nahen Osten. So hätten beispielsweise militärische Aktionen, die Russland oder NATO-Staaten in der Region durchgeführt hätten, nicht einmal im Ansatz vergleichbare Wellen der Kritik und Solidarität in der westlichen Welt hervorgerufen. Die Ursache für diese Doppelstandards liegt für Islamisten auf der Hand: "Der" Westen habe ein Problem mit "dem" Islam. Er interessiere sich nicht für das Schicksal von Muslimen. 157 Mit dem Narrativ des islamfeindlichen Westens versuchten Islamisten, den Krieg für ihre Zwecke einer gesellschaftlichen Polarisierung zu instrumentalisieren. Ausreisen von Islamisten oder Unterstützungshandlungen wurden in RheinlandPfalz nicht festgestellt. Der Konflikt beschäftigte die Szene primär in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten. Reaktionen auf die Fußball-Weltmeisterschaft Insbesondere gegen Jahresende erfuhr die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) in Katar erhöhte Aufmerksamkeit deutschsprachiger Islamisten. Gerade "Hizb utTahrir"-nahe Akteure wie "Generation Islam" (GI) und politische Salafisten beschäftigten sich online intensiv mit der Berichterstattung über das Turnier und das Gastgeberland. Deren Reaktionen waren zwar oft nicht islamistisch. Sie bildeten häufig die Kommentare zur deutschen Medienlandschaft und dem Verhalten der deutschen Nationalmannschaft in der arabischsprachigen Presse ab. Allerdings versuchten islamistische Meinungsmacher, die gesellschaftliche Diskussion für ihre Zwecke zuzuspitzen und zu instrumentalisieren. Wie beim Ukraine-Krieg wurde erneut der Vorwurf islamfeindlicher Doppelmoral laut. Katar sei besonders kritisch beäugt worden, weil es sich um ein islamisches Gastgeberland gehandelt habe. Die WM sei als "Einlasstor für die Dämonisierung des Islam" genutzt worden. Islamisten deuteten den "westlichen" Einsatz für Menschenrechte als eine Form des "Kulturimperialismus" und als Zeichen einer eurozentrischen "Wertediktatur". Reaktion der GI auf Berichterstattung über die Menschenrechtslage in Katar anlässlich de WM. Quelle: Facebook Gerade das Einstehen für die Rechte queerer Menschen wurde heftig kritisiert. Damit normalisiere man Lebensweisen, die Gott klar verboten habe. "Der" 158 Westen ziele auf die Zerstörung islamischer Werte und Familien ab. In diesem Kontext äußerten sich Islamisten offen homophob und queerfeindlich (siehe Brennpunktthema Queerfeindlichkeit). 2.1 Terrorismus und Jihadismus Der Jihadismus ist eine Variante der salafistischen Ideologie, die den bewaffneten Kampf zur Umsetzung ihrer Ziele propagiert. Das schließt mitunter den Kampf gegen andere Muslime mit ein, wenn diese den Zielen der Jihadisten im Wege stehen oder ihrer salafistischen Lehre nicht folgen. Jihadistische Gruppen wenden in der Regel auch terroristische Strategien an, das heißt, sie verüben gezielt Anschläge gegen unbeteiligte Zivilisten, um ihre Interessen durchzusetzen. Bewaffnete Jihadisten posieren für ein Propagandavideo des IS. (Quelle: IS-nahe Website) Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung Afghanistans im Jahr 1989 breitete sich der sunnitisch-islamistische Terrorismus in weiteren Teilen der Welt aus und wurde im zunehmenden Maße auch für westliche Staaten ein Sicherheitsproblem. Insbesondere in sogenannten schwachen und gescheiterten Staaten entwickelten sich regionale Ableger von "al-Qaida" und ab 2014 auch des 159 "Islamischen Staates" (IS). Die "Taleban" hingegen verfolgen eine auf Afghanistan beschränkte Agenda und stellen derzeit keine direkte Bedrohung für Deutschland dar. Zusammen mit einigen afrikanischen Ländern ist Afghanistan aber eine für den transnationalen Jihadismus bedeutsame Konfliktregion (siehe Brennpunktthemen). Titelbilder der Ausgaben 4 und 5 des Onlinemagazins "O Mujahideen in the West", 2022 Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine war im Berichtsjahr für den jihadistischen Terrorismus als Kampfgebiet von eher geringer Bedeutung. Medienberichten zufolge kämpft der tschetschenische Jihadistenführer Rustam Azhiev (alias Abdul Hakim al-Shishani) mit einigen seiner Soldaten in den Reihen der ukrainischen "Internationalen Legion" gegen Russland, nachdem er vorher in Syrien mit anderen jihadistischen Gruppen in Konflikt geraten war. Aufseiten der Russischen Föderation inszenierte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow die Teilnahme seiner Soldaten an Kampfhandlungen gegen ukrainische Streitkräfte zeitweise ebenfalls mittels islamistischer Symbolik. Für die Mehrheit der jihadistischen Bewegung ist ein Konflikt zwischen zwei "ungläubigen" Nationalstaaten allerdings ein Nebenschauplatz. Das jihadistische Onlinemagazin "O Mujahideen in the West" (auf Deutsch sinngemäß: 160 "Gotteskrieger im Westen") empfahl, den Krieg in der Ukraine zur Beschaffung von Waffen und zum Training zu nutzen sowie westliche Medienvertreter und Diplomaten im Land anzugreifen. Deutschland bleibt weiterhin ein erklärtes Anschlagsziel für den jihadistischen Terrorismus. "Al-Qaida" und der IS versuchen durch Onlinepropaganda, kleine Gruppierungen oder Einzelpersonen zur Begehung eines Anschlags zu motivieren und anzuleiten. Das Onlinemagazin "O Mujahideen in the West" ruft beispielsweise Muslime im Westen dazu auf, entweder in ein Jihad-Gebiet auszuwandern oder einen Anschlag vor Ort durchzuführen. In Chatgruppen wiederum tauschen Jihadisten dann Anleitungen zum Bau von Bomben und zur Herstellung biologischer und chemischer Kampfstoffe aus. Zu Silvester 2022 soll ein solcher Anschlag mittels biologischer Giftstoffe in Deutschland geplant worden sein. Nach Hinweisen einer US-amerikanischen Sicherheitsbehörde verhafteten Einsatzkräfte der Polizei zwei Verdächtige Anfang Januar 2023 in Castrop-Rauxel (NRW) und fanden bei einer der darauffolgenden Durchsuchungen Substanzen zur Herstellung von Giftstoffen. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz galten wie schon im Jahr davor 65 Personen als Anhänger des jihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus. Der Begriff "gewaltorientiert" bezeichnet hierbei nicht ausschließlich Personen, die selbst Gewalt anwenden, sondern auch solche, die religiös motivierte Gewalt legitimieren, befürworten oder unterstützen. Die jihadistische Szene in Rheinland-Pfalz weist insgesamt einen geringen Organisationsgrad auf und brachte im vergangenen Jahr keine einflussreichen Meinungsführer hervor. Am 13. Juni vollstreckten in Römerberg, im Süden von Rheinland-Pfalz, Einsatzkräfte der Polizei einen Haftbefehl gegen ein mutmaßliches Mitglied des IS. Der Beschuldigte ist dringend tatverdächtigt, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Schon im Jahr 2009 hatte ihn das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "al-Qaida" zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Dem Mann konnte damals nachgewiesen werden, 161 dass er fest in die Befehlsstrukturen von "al-Qaida" eingebunden war und enge Kontakte zu Führungsmitgliedern unterhielt. Nach seiner Haftentlassung soll er sich dem IS angeschlossen haben, übersetzte dessen Propagandamaterial für den deutschsprachigen Raum und traf sich mit Mitgliedern der jihadistischen Szene in der Schweiz. Das mutmaßliche IS-Mitglied ist seit geraumer Zeit Ziel nachrichtendienstlicher Maßnahmen des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz. Die Bundesregierung setzte sich im Berichtsjahr für die Rückholung von IS-Anhängerinnen und deren Kindern aus syrischen Gefangenenlagern nach Deutschland ein. Drei Frauen aus Rheinland-Pfalz, die sich dem IS in Syrien angeschlossen hatten, kehrten mit ihren Kindern zurück. Mit Niqab bekleidete Personen mit Kleinkindern in einem Flüchtlingscamp (Quelle: Instagram) Das OLG Koblenz verurteilte eine von ihnen bereits am 17. November wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Stand: Januar 2023). Die Verurteilte war im Jahr 2014 zusammen mit Familienangehörigen nach Syrien ausgereist und hatte sich dort dem IS angeschlossen. Sie lebte für einige Zeit in dessen Herrschaftsgebiet in Raqqa und unterstützte die Terrororganisation in 162 ihrer "Funktion" als Ehefrau von IS-Kämpfern. Ende Februar 2019 habe sie sich schließlich in ein von Kurden geführtes Lager in Nordsyrien bringen lassen. Eine weitere Rückkehrerin muss sich seit dem 11. Januar 2023 vor dem OLG Koblenz neben ihrer mutmaßlichen Mitgliedschaft beim IS unter anderem auch wegen des Vorwurfs von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Sie wird beschuldigt, zusammen mit ihrem Mann über mehrere Jahre eine jesidische Frau in ihrem Haushalt als Sklavin gehalten zu haben. Eine dritte Frau kehrte mit ihren zwei Kindern im Dezember freiwillig über die Türkei aus Syrien zurück nach Deutschland. Die Mainzerin hatte sich im Jahr 2015 gemeinsam mit ihrem Mann dem IS in Syrien angeschlossen. Die drei Fälle zeigen, dass selbst Jahre nach dem militärischen Zusammenbruch des "Kalifats" die langfristigen Folgen der IS-Herrschaft auch hierzulande noch spürbar sind. Deradikalisierungsprogramme helfen Rückkehrerinnen und Rückkehrern dabei, eine möglichst vollständige Abkehr von der jihadistischen Ideologie zu erreichen. Der Verfassungsschutz beobachtet ihren Ausstiegsprozess aufmerksam. 2.2 Salafistische Bestrebungen Der Begriff "Salafismus" bezeichnet Strömungen des sunnitischen Islam, die ihre ideengeschichtlichen Wurzeln vor allem in Saudi-Arabien haben. Salafisten orientieren sich kompromisslos an einem idealisierten Vorbild der "frommen Altvorderen" (as-salaf as-salih). Sie versuchen, die Lebensweise, Glaubensund Gesellschaftsvorstellungen der ersten Muslime so genau und umfassend wie möglich auf die Gegenwart zu übertragen. Dazu gehört ein wortwörtliches Verständnis des Koran sowie der Überlieferungen der Taten und Aussprüche Muhammads. Salafisten wollen zu einem ihrer Meinung nach unverfälschten und wahren Glauben zurückkehren. Im Zentrum ihrer Glaubenslehre steht dabei ein monotheistisches Bekenntnis (tauhid) zu dem einen und einzigen Gott. Nach salafistischer Auffassung gehört zu einem "richtig" praktizierten Glauben an einen monotheistischen Gott die konsequente Ablehnung und verbale oder tätli163 che Bekämpfung aller (potenziellen) "Götzen" (tawaghit). Auch weltliche Staatsformen werden oft als "Götzen" beziehungsweise "falsche Götter" gedeutet. Ferner lehnen Salafisten andere Religionen, andere Strömungen innerhalb des Islam und religiöse Neuerungen (bid'a) ab. Rechtsordnungen, die ihnen zufolge "unislamische" Gesetze anwenden, sind für Salafisten illegitim und werden teils offen bekämpft. Loyalität und Lossagung (al-wala wa-l-bara). Instagram-Beitrag, der die Abgrenzung von Ungläubigen als Mittel zur Stärkung des persönlichen Glaubens (iman) empfiehlt. "Loyalität und Lossagung" Das salafistische Glaubensprinzip von Loyalität und Lossagung (al-wala wa-l-bara) besagt, dass gläubige Muslime unbedingt loyal gegenüber anderen Muslimen sein sollen und sich von "Ungläubigen" abwenden müssen (außer zu Missionszwecken), da diese minderwertig seien. Salafisten grenzen sich mit diesem Prinzip nicht nur von Andersund Nichtgläubigen ab, sondern auch von Muslimen, die die salafistische Religionsauslegung ablehnen. Die salafistische Weltsicht ist von einem Schwarz-Weiß-Denken geprägt, das alle erdenklichen Aspekte des Lebens in Gegensätze wie "Glaube/Unglaube" oder "Paradies/Hölle" unterteilt. Daraus ergibt sich eine für alle Varianten des Salafismus charakteristische Kultur der Abwertung und Abgrenzung von allem, 164 was als "Sünde", "Polytheismus" beziehungsweise "Beigesellung" (shirk) oder "Unglaube" (kufr) gilt. Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Salafisten unter anderem in der Wahl ihrer Strategien, mit denen sie ihre Vorstellungen einer islamischen Lebensführung und Gesellschaftsordnung umsetzen wollen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten den politischen und den jihadistischen Salafismus als extremistische Bestrebungen. Politische Salafisten setzen in Deutschland vor allem auf politisierte Missionsarbeit (dawa, auf Deutsch "Einladung [zum Islam]") und Bildungsangebote. Dabei wird die eigene Ideologie durch Propagandaaktivitäten verbreitet, die irreführend als "Dawa" bezeichnet werden. Letztlich geht es aber um politische Indoktrination. Jihadistische Salafisten stellen hingegen die Pflicht zum bewaffneten Kampf in den Mittelpunkt ihrer Ideologie. Sie wollen ihre politischen Ziele nicht durch Indoktrination, sondern mit Gewalt erreichen. In anderen Bundesländern wurde die salafistische Szene im Berichtsjahr wieder in der Öffentlichkeit aktiv, nachdem in den Jahren zuvor ein kontinuierlicher Rückzug ins Private und eine Verlagerung von Aktivitäten in den virtuellen Raum stattgefunden hatten. Nun suchten politische Salafisten wieder den Kontakt mit Außenstehenden. Vor allem gab es erneut "Street-Dawa"und Plakataktionen. Dieses Engagement "auf der Straße" ging nicht mit weniger virtuellen Angeboten einher. Vielmehr wurden Onlineangebote und "Dawa"-Aktionen miteinander verwoben. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz gelten im Berichtsjahr 240 Personen als Anhänger salafistischer Bestrebungen. Davon rechnet der Verfassungsschutz etwa 175 Salafisten dem politischen und 65 dem jihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus zu. Damit bleibt das Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr unverändert. 165 Wie in anderen Bundesländern setzt sich die salafistische Szene im Land aus informellen Gruppen, Netzwerken, unabhängigen Initiativen und Vereinen zusammen. Sie ist fragmentiert und weist keine zentralen Führungspersönlichkeiten oder -organisationen auf. Teilweise bestehen zwischen den Akteuren Kontakte, die zur losen Vernetzung und Zusammenarbeit innerhalb der regionalen und bundesweiten Szene beitragen. Der Verfassungsschutz hat im Jahr 2022 insgesamt nur eine geringe Aktivität der salafistischen Szene in Rheinland-Pfalz festgestellt. Auch wenn in einigen anderen Bundesländern wieder verstärkte salafistische "Dawa"-Aktivitäten beobachtet werden konnten, zeigten Akteure in Rheinland-Pfalz nur selten ein Interesse an Aktionen, bei denen gezielt der Kontakt zu Außenstehenden gesucht wurde. "Warum sollte ich (...) unter Menschen leben, die nicht religiös sind und alles tun, um uns und unsere Kinder ungläubig zu machen?" Auszug aus einem Posting auf einem salafistischen Telegram-Kanal Stattdessen ließ sich in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten beobachten, dass salafistische Akteure im Land ihre dortigen Angebote weiter ausbauten. Damit unterstützen sie sowohl virtuell als auch realweltlich die Festigung eines extremistischen Kulturmilieus, das sich so weit wie möglich von anderen Teilen der Gesellschaft abschotten will. Zu den Angeboten gehören etwa Chatgruppen und Kanäle für salafistischen Islamunterricht, Erziehungsangebote, die auf Kinder und Jugendliche abzielen, oder Onlineshops mit diversen szenetypischen Angeboten bis hin zu "islamkonformen" Geschenkartikeln. Durch ihre umfassenden Aktivitäten in diversen Lebensbereichen transportieren Salafisten extremistische Inhalte in die Alltagswelt der Menschen hinein. So vermittelt zum Beispiel das salafistische Prinzip von "Loyalität und Lossagung" ein bewusst entmenschlichendes Bild von allen Personen, die nicht nach den Glaubensauffassungen der Salafisten leben. Menschenwürde wird hierbei allen aberkannt, die anders denken. 166 In der Summe wirken die salafistischen Angebote aktiv am Bau einer Gegenkultur mit, die auf Ausgrenzung und Abwertung Andersgläubiger ausgelegt ist. Durch Bildungsangebote, die sich gezielt an Kinder und Jugendliche richten, wollen die Akteure daneben die Erziehung und Sozialisierung einer nächsten Generation von Salafisten in Deutschland erreichen. 2.3 Organisationsgebundener Islamismus Die meisten Islamisten in Deutschland sind Mitglieder, Anhänger und/oder Unterstützer einer Organisation. All diese Organisationen haben ihren Ursprung im Ausland, zumeist in der Nahostregion oder der Türkei. Sie verfügen aber auch in Deutschland über Strukturen in Form von zugehörigen oder nahestehenden Vereinigungen. Aus taktischen Gründen vermeiden diese Vereinigungen hierzulande jedoch eine namentliche Anlehnung an die Mutterorganisation. Hinsichtlich ihrer konkreten Agenda, ihrer strategischen Ausrichtung und ihres rechtlichen Status in Deutschland lassen sich die Organisationen wie folgt kategorisieren: Legalistische Organisationen Unter Legalismus versteht der Verfassungsschutz eine Strategie extremistischer Gruppierungen und Akteure, die eigenen Ziele mit legalen Mitteln zu erreichen. Gewalt wird von ihnen weder praktiziert noch propagiert. Legalistische Islamisten streben schrittweise eine gesellschaftliche und politische Veränderung an. Nach innen gerichtet besteht die Strategie darin, in Deutschland wohnhafte Musliminnen und Muslime als neue Anhänger zu gewinnen und sie an die Organisation sowie die dort vermittelte Lehre zu binden. Konkret sollen sie zu einem Islamverständnis geführt und verpflichtet werden, das an Scharia-Normen gebunden ist. Dieses Verständnis betont eine starke innermuslimische Gruppenzugehörigkeit mit Abgrenzungstendenzen von der übrigen Gesellschaft. Eine wichtige Rolle kommt den eigenen Freizeitund vor allem Bildungsangeboten zu. Dies findet seinen Ausdruck im Betrieb von Bildungseinrichtungen, in Seminaren, Schulungsmaterialien und der Ausbildung von Predigern. 167 Was ist Legalismus? Unter Legalismus versteht der Verfassungsschutz eine Strategie extremistischer Gruppierungen und Akteure, die eigenen Ziele mit legalen Mitteln zu erreichen. Gewalt wird von ihnen weder praktiziert noch propagiert. Weiterhin kommunizieren legalistische Organisationen ihre tatsächlichen Ziele in der Regel nicht öffentlich. Vielmehr vertreten sie nach außen zumeist eine gemäßigtere Agenda als vor den eigenen Mitgliedern. Dadurch verschleiern sie vor Außenstehenden ihre extremistische Ausrichtung. Nach außen gerichtet besteht die Strategie legalistischer Islamisten darin, sich bei Entscheidungsträgern für ihre Interessen einzusetzen. Durch die Beteiligung an Dialogforen, Mitwirkung in Gremien, Zusammenarbeit mit Behörden, Gewinnung von Fürsprechern und gegebenenfalls durch politische Partizipation soll der Weg zur Realisierung eigener Vorhaben geebnet werden. Bei kritischen Nachfragen oder Widerstand reagieren legalistische (und andere) Islamisten nahezu regelmäßig mit dem Vorwurf des antimuslimischen Rassismus. Dieses Vorgehen ist Teil einer breiter angelegten Strategie, mit der sie versuchen, in öffentlichen Debatten über den Islam, Islamismus und Islamfeindlichkeit die Deutungshoheit zu erlangen und anderslautende Stimmen zu diskreditieren. "Der Mann hat Anspruch auf Gehorsam und Zusammenarbeit seitens der Frau, und sie darf sich nicht gegen seine Autorität auflehnen." Yusuf al-Qaradawi, maßgebliche Autorität für viele legalistische Islamisten, insbesondere Muslimbrüder Legalistische Islamisten bekennen sich öffentlich meist zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Intern vermitteln sie - oftmals unter Berufung auf islamistische Gelehrte - jedoch ein Islamverständnis mit rechtlicher und gesellschaftspolitischer Komponente, dessen konkrete Ordnungsvorstellungen in individuelle Grundrechte zumindest der muslimischen Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Tangiert sind hierbei insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG), die Glaubensund Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) sowie die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). 168 In Rheinland-Pfalz zählen insbesondere Anhänger der "Muslimbruderschaft" zum legalistischen Islamismus. Terrororganisationen mit Regionalbezug Während der sogenannte "Islamische Staat" (IS) und "al-Qaida" eine globale Agenda verfolgen, besitzen Organisationen wie die palästinensische "HAMAS" oder die libanesische "Hizb Allah" eine regionale Ausrichtung. Sie verfügen über paramilitärische Flügel, die Terroranschläge verüben. Die von ihnen ausgehende Gewalt ist ganz überwiegend auf die Nahostregion begrenzt und hierbei gegen israelische Ziele gerichtet. Die "HAMAS"und "Hizb Allah"-Anhänger hierzulande betrachten Deutschland vor allem als Rückzugsund Ruheraum, den sie in konspirativer Weise zur Sammlung von Spendengeldern nutzen. Durch die finanzielle und propagandistische Unterstützung der Organisationen gefährden sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die "Hizb Allah" unterliegt in Deutschland seit 2020 einem Betätigungsvorbot. Kämpfer der HAMAS-zugehörigen Qassam-Brigaden. Quelle: Twitter Verbotene Organisationen Eine weitere Kategorie im islamistischen Gesamtspektrum bilden Gruppierungen, die zwar nicht terroristisch ausgerichtet sind, aber aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Ausrichtung und ihrer Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten wurden. Zu nennen sind hier die 2003 mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Befreiungspartei") und der 2001 169 mit einem Vereinigungsverbot belegte "Kalifatsstaat". Trotz der Verbote liegen Anhaltspunkte für fortgesetzte Aktivitäten vor. Maßnahmen gegen Nachfolgeaktivitäten des "Kalifatsstaats" Am 28. Juni 2022 fanden in sechs Bundesländern polizeiliche Durchsuchungsmaßnahmen gegen die verbotene Vereinigung statt. Sie waren Teil von Ermittlungsverfahren gemäß SS 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot). "Gottlos ist jeder, der die Demokratie und ähnliche Systeme dem islamisch-rechtlichen System vorzieht. Cemaleddin KAPLAN (1926-1995), Gründer des "Kalifatsstaats" In Rheinland-Pfalz waren 13 Objekte in Bad Kreuznach und Umgebung betroffen, darunter die Räumlichkeiten des "Sportund Kulturvereins Bad Kreuznach e.V.". Darüber hinaus wurden drei Haftbefehle vollstreckt. Sie richteten sich gegen zwei Beschuldigte aus Bad Kreuznach sowie einen Beschuldigten aus Köln. In der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wird ihnen vorgeworfen, als Rädelsführer den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung aufrechterhalten zu haben. Die Ermittlungen machten offenkundig, dass der 2004 in die Türkei abgeschobene Metin KAPLAN von dort aus noch immer die Geschicke des "Kalifatsstaats" leitete und ihm in Deutschland ungeachtet des Verbots eine funktionsfähige Struktur zur Verfügung stand. Neben der extremistischen Indoktrinierung innerhalb des "Kalifatsstaats" wurden auch zielgerichtet finanzielle Mittel für die Organisation erwirtschaftet und gesammelt. Die Exekutivmaßnahmen im Berichtsjahr trugen bereits erkennbar zu einer Schwächung der Kaplan-treuen Strukturen in Deutschland bei. Dies ist für den Verfassungsschutz insoweit von Bedeutung, als innerhalb des "Kalifatsstaats" bereits Kinder und Jugendliche bewusst gegen die hiesigen demokratischen Grundsätze und das gesellschaftliche Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit erzogen werden. 170 3. Kurzbeschreibungen Kern-"al-Qaida" Gründung 1980er-Jahre Sitz Transnationales Netzwerk Leitung Nach dem Tod von Aiman al-Zawahiri am 31. Juli 2022 wurde bisher kein neuer Anführer öffentlich benannt. Anhänger-/ Keine gesicherten Zahlen Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Publikationen Medienstelle "as-Sahab" und Medien Teilund NebenTransnationales Netzwerk von Teilorganisationen und organisationen Unterstützern. Hervorzuheben sind: * "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) * "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Ideologie, Programm, Strategie "Al-Qaida" (Arabisch für: "die Basis") ist eine transnational agierende jihadistische Terrororganisation, die Ende der 1980er-Jahre von Usama Bin Ladin und seinem Umfeld gegründet wurde. Ihr Fernziel ist das globale Kalifat. Ihre Ideologie besagt, dass Muslime "den Islam" gegen feindliche Mächte verteidigen müssten. Ein legitimes Mittel dabei seien Terroranschläge. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und einer Welle weiterer schwerer Terrorattacken versteht sich "al-Qaida" als jihadistische Avantgarde, die sowohl eigene (medienwirksame) Anschläge durchführt als auch Einzeltäter oder Kleinstgruppen zu Anschlägen inspiriert. Die Organisation hat weltweit Regionalableger und Unterstützer. Heute konkurriert sie mit dem "Islamischen Staat" (IS), der aus der Regionalstruktur der "al-Qaida im Irak" (AQI) hervorging, um die Führungsrolle innerhalb der globalen jihadistischen Bewegung. Dabei konnte "alQaida" bisher allerdings kaum von der militärischen Niederlage des IS profitieren. Strukturen der Gruppierung in Rheinland-Pfalz sind nicht bekannt. 171 "Islamischer Staat" (IS) Gründungsjahr 2014 (Ausrufung des "Kalifats") Sitz Syrien/Irak Leitung Abu al-Husain al-Husaini al-Qurashi Anhänger-/ Keine gesicherten Zahlen Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Publikationen Nachrichtenagentur "Amaq" und Medien Teilund NebenTransnationales Netzwerk von Unterstützern und organisationen Regionalablegern ("Provinzen") Ideologie, Programm, Strategie Der "Islamische Staat" (IS) spaltete sich 2014 im Zuge eines internen Machtkampfs um die Führungsrolle im syrischen Bürgerkrieg von "al-Qaida" ab. Vor der Ausrufung des Kalifats 2014 trat die Organisation unter anderem als "al-Qaida im Irak" (AQI), "Islamischer Staat im Irak" (ISI) oder "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS) auf. Ihr ideologisches Fernziel ist die gewaltsame Errichtung des globalen Kalifats.Der IS übte auf Jihadisten in der ganzen Welt eine starke Anziehungskraft aus, die auch viele Europäer zu einer Ausreise in sein ehemaliges Kerngebiet in Syrien und Irak veranlasste. Seit März 2019 gilt er dort als militärisch besiegt und hat drei seiner Kalifen verloren zwei davon im Jahr 2022 (Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi und Abu al-Hasan alHashimi al-Qurashi). Viele seiner Mitglieder befinden sich in Gefangenenlagern, hängen aber nach wie vor der Ideologie an. Der IS ist weit über die Grenzen seines ehemaligen Kerngebiets hinaus aktiv und hat Anschläge in mehr als 50 Ländern verübt. Er betreibt eine global ausgerichtete Propaganda, die zu Anschlägen in westlichen Ländern aufruft. Regionalableger gelten als "Provinzen"wie etwa der "Islamische Staat - Provinz Khorasan" (ISPK) in Afghanistan oder der "Islamische Staat - Provinz Westafrika" (ISWAP). Strukturen der Gruppierung in Rheinland-Pfalz sind nicht bekannt. 172 HAMAS Gründung 1987 im Gazastreifen Sitz Gazastreifen Vorsitzende(r) Ismail Haniya Anhänger-/ 40 (2021: 45) Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Publikationen "al-Aqsa TV" (Fernsehsender), und Medien Englischund arabischsprachiges Web-Angebot der HAMASKernorganisation Ideologie, Programm, Strategie Die HAMAS (arabische Abkürzung für "Islamische Widerstandsbewegung") ist aus der transnationalen "Muslimbruderschaft" hervorgegangen, verfolgt jedoch als palästinensische Widerstandsbewegung gegen den israelischen Staat eine nationale Agenda. Sie strebt die Errichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" an, wozu die Organisation auch das Territorium Israels zählt. Gegenüber Israel setzt sie auch militärische und terroristische Mittel ein und unterhält einen paramilitärischen Zweig, die "Izz al-Din al-Qassam-Brigaden". Die EU führt die HAMAS seit 2003 als Terrororganisation. Die HAMAS verfügt auch im Ausland, darunter in Deutschland, über Mitglieder und Organisationsstrukturen. Ihr Tätigkeitsspektrum umfasst im Wesentlichen folgende Punkte: * Unterstützung der Mutterorganisation in den palästinensischen Gebieten mit Spendensammlungen, * Festigung des Einflusses auf die palästinensische Diaspora, bewusst auch gegenüber konkurrierenden palästinensischen Gruppierungen, * palästinensische Lobbyarbeit in der europäischen Öffentlichkeit. Um rechtliche Konsequenzen zu umgehen, kommunizieren HAMAS-Aktivisten hierzulande ihre Verbindungen zur Mutterorganisation nicht nach außen. 173 HAMAS In Rheinland-Pfalz bestehen keine Strukturen, die der HAMAS zuzurechnen sind. Indessen engagieren sich in unterschiedlichen Städten des Landes HAMAS-Anhänger für die Organisation, beispielsweise durch die Mitwirkung oder Teilnahme an HAMAS(nahen) Kongressen in Deutschland und im Ausland sowie die Veröffentlichung von HAMAS-Propaganda im Internet. 174 "Hizb Allah" Gründung 1982 im Libanon Sitz Beirut, Libanon Vorsitzende(r) Hassan Nasrallah (Generalsekretär) Anhänger-/ 80 (2021: 85) Mitgliederzahl in RheinlandPfalz Publikationen "al-Ahd - al-Intiqad" (Wochenzeitschrift), und Medien "al-Manar" (Fernsehsender) Ideologie, Programm, Strategie Die "Hizb Allah" ("Partei Gottes") ist eine schiitisch-islamistische Organisation im Libanon. Sie tritt in ihrem Heimatland als einflussreicher politischer Akteur in Erscheinung und verfügt über einen karitativen und einen militärischen Zweig, der für Terroranschläge insbesondere gegen israelische und jüdische Ziele verantwortlich ist. Deshalb befindet sich der militärische Flügel seit 2013 auf der EU-Terrorliste. Deutschland stellt für die "Hizb Allah" einen Raum für logistische und finanzielle Unterstützungsleistungen dar. Ihre Anhängerschaft in Deutschland ist zwar intern gut vernetzt, tritt nach außen allerdings nur wenig in Erscheinung, da sie darauf bedacht ist, nicht mit der "Hizb Allah" in Verbindung gebracht zu werden. Verbotsmaßnahmen 2020 erließ das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot gegen die "Hizb Allah" in Deutschland. Im Frühjahr 2021 folgten Verbotsmaßnahmen gegen Ersatzorganisationen des 2014 verbotenen "Hizb Allah"-Spendensammelvereins "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP). Hiervon war auch der Verein "Deutsche Libanesische Familie e.V." (DLF) in Ingelheim am Rhein betroffen. Dem Verfassungsschutz lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass Funktionäre des verbotenen WKP ihre früheren Aktivitäten fortsetzten, das heißt Spendengelder für libanesische Waisenkinder von gefallenen "Hizb Allah"-Kämpfern sammelten und in den Libanon brachten. 175 "Hizb Allah" Verbotsmaßnahmen Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 14. Dezember 2022, dass das vom Bundesinnenministerium erlassene Verbot des DLF rechtmäßig und verhältnismäßig war. 176 "Hizb ut-Tahrir" (HuT Gründungsjahr 1953 in Jerusalem Sitz unbekannt Vorsitzende(r) Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin Anhänger-/ nahestehende Einzelpersonen Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Publikationen Zeitungen/Zeitschriften: und Medien "al-Khilafa", "Hilafet", "Expliciet" Ideologisch Realität Islam" (RI), nahestehende "Generation Islam" (GI), Gruppierungen "Muslim Interaktiv" (MI) Ideologie, Programm, Strategie Die "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung", HuT) strebt die Errichtung eines islamischen Staates unter der Führung eines Kalifen sowie der Scharia als Rechtsgrundlage an. Ziel ist die Vereinigung aller Muslime in einem Kalifatsstaat. Die HuT existiert meist als kleine oder sogar äußerst marginale islamistische Gruppierung in einer Vielzahl von Staaten, unterliegt jedoch in vielen Staaten einem Verbot. Ab dem Jahr 2015 haben sich in Deutschland mehrere Gruppierungen und Initiativen herausgebildet, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Zu nennen sind hier insbesondere die Gruppierungen "Realität Islam" (RI) "Generation Islam" (GI) und "Muslim Interaktiv" (MI). Sie betreiben sowohl in der Realwelt als auch ganz besonders in sozialen Netzwerken eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Dort erreichen sie zehntausende, teilweise sogar hunderttausende Interessierte. 177 "Hizb ut-Tahrir" (HuT Die Themen und Präsentation sind insbesondere auf Musliminnen und Muslime der jüngeren Generation zugeschnitten, die Rhetorik gegenüber nichtmuslimischen Gesellschaften in hohem Maße konfrontativ. Dies kommt in Begriffen wie "Wertediktatur", "Assimilationsterror", "Obrigkeitsstaat" oder "Ethnozid" zum Ausdruck. Die Strategie der genannten Gruppierungen, eine Art "identitäre" muslimische Bewegung zu etablieren, wird wesentlich durch das Schüren antiwestlicher Feindbilder vorangetrieben. Verbalen Angriffen sind in besonderem Maße Personen des öffentlichen Lebens - Journalisten, Politiker oder Wissenschaftler - ausgesetzt, die zum Islam eine andere Auffassung vertreten als sie selbst. Dies läuft auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hinaus. Betätigungsverbot In Deutschland erging im Jahre 2003 ein Betätigungsverbot gegen die HuT, da sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete und Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Belange befürwortete. Aufgrund des Betätigungsverbots kann die HuT als solche in Deutschland keine öffentlichen Aktivitäten entfalten. Mittels der erwähnten ideologisch nahestehenden Gruppierungen setzt sie ihre Agitation und die Rekrutierung neuer Mitglieder jedoch subtil fort. 178 "Kalifatsstaat" Gründung 1984 Sitz Vereinsstrukturen seit 2001 verboten; früherer Sitz in Köln Vorsitzende(r) Metin Kaplan, wohnhaft in der Türkei (nicht von allen "Kalifatsstaat"-Anhängern als Anführer akzeptiert) Anhänger-/ 90 (2021: 90) Mitgliederzahl in RheinlandPfalz Publikationen mehrere Internetseiten und Medien Ideologie, Programm, Strategie Die Lehre des "Kalifatsstaats" ist durch eine strikte Ablehnung der Demokratie und ihrer wesentlichen Prinzipien und Institutionen geprägt. Stattdessen soll ein islamischer Staat mit der Scharia als Rechtsordnung und einem Kalifen als Staatsoberhaupt etabliert werden. Der "Kalifatsstaat" wurde im Jahr 2001 durch das BMI verboten. Das Vereinsverbot verhinderte in den Folgejahren die Mitwirkung in Gremien und Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Den Sicherheitsbehörden lagen allerdings Erkenntnisse vor, wonach Anhänger der "Kalifatsstaat"-Ideologie unterschwellig weiterhin Strukturen in mehreren Bundesländern unterhielten und intern die charakteristische "Kalifatsstaat"Lehre in Predigten sowie mittels digitaler Medien propagierten. Zur Unterbindung fortgesetzter Aktivitäten fanden 2022 umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen in sechs Bundesländern statt. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz erhob mittlerweile Anklage gegen drei mutmaßliche Rädelsführer der verbotenen Vereinigung (weitere Informationen zu den Ermittlungen und Exekutivmaßnahmen in Kapitel 2.3, Seite 169 ). 179 "Muslimbruderschaft" Gründung 1928 in Ägypten, Aufbau von Strukturen in Deutschland ab 1958 Sitz Transnationale Bewegung Anhänger-/ ca. 50 (2021: ca. 50) Mitgliederzahl in RheinlandPfalz Publikationen "Risalat al-Ikhwan" (Wochenzeitschrift) und Medien Ideologie, Programm, Strategie Der programmatische Kern der "Muslimbruderschaft" ist die Einheit von Religion und Staat, die nach ihrem Verständnis durch die Anwendung der islamischen Rechtsvorschriften verwirklicht werden soll. In ihren Schriften erteilt die "Muslimbruderschaft" weltlichen Gesetzen zugunsten der angestrebten islamischen Ordnung zumeist ebenso eine Absage wie Reformen auf dem Gebiet des islamischen Rechts. Der Gestaltungsfreiraum menschlichen Handelns wird so erheblich eingeschränkt, was letztlich auf eine Zurückdrängung der Volkssouveränität hinausläuft. Angehörige der "Muslimbruderschaft" schufen in den zurückliegenden Jahrzehnten in Europa ein weitverzweigtes Netz von Moscheen, Instituten und Verbänden. Als wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" in Deutschland fungiert die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) mit Sitz in Berlin. In Rheinland-Pfalz sind Personen aktiv, die der Lehre der "Muslimbruderschaft" folgen und in ihr hiesiges organisatorisches Umfeld eingebunden sind. Ebenso liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne Moscheevereine Bezüge zur "Muslimbruderschaft" aufweisen und durch ihre Ideologie beeinflusst sind. Typisch ist das Engagement von Anhängern der "Muslimbruderschaft" im Bildungsbereich. Hierbei verfolgen sie die Absicht, ihre Zielgruppe im Sinne des Islamverständnisses der "Muslimbruderschaft" zu beeinflussen und sie zugleich zu selbstbewussten Interessensvertretern hierzulande zu erziehen. 180 Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) 181 1. Personenpotenzial 2022 2021 Gesamt 650 650 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 450 450 Türkisch-rechtsextremistische Organisationen 150 150 Türkisch-linksextremistische Organisationen 50 50 (Angaben gerundet) 2. Überblick und Entwicklungen 2022 In Deutschland sind mehrere extremistische Organisationen aktiv, die ihren Ursprung im Ausland haben1. Sie streben eine grundlegende Veränderung der dortigen politischen Verhältnisse an und folgen dabei ihren jeweiligen ideologischen Überzeugungen. Entsprechend ihrer politischen Überzeugungen handelt es sich um linksoder rechtsextremistische sowie separatistische Organisationen. Einige von ihnen setzen Gewalt und terroristische Mittel ein, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Den Bearbeitungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes bilden hierbei Organisationen mit Bezug zur Türkei und in deutlich geringerem Maße zu den palästinensischen Gebieten im Nahen Osten. Die extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug nutzen Deutschland als einen aus ihrer Sicht sicheren Rückzugsraum, aus dem heraus sie ihre Strukturen im jeweiligen Herkunftsland propagandistisch, materiell und finanziell unterstützen können. Zudem versuchen sie, hierzulande neue Anhänger, Mitglieder und gegebenenfalls Kämpfer zu rekrutieren sowie öffentliche Lobbyarbeit für die eigenen Interessen zu betreiben. Durch ihr Handeln gefährden sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus richten sich ihre Aktivitäten zumeist gegen den Gedanken der Völkerverständigung des Grundgesetzes. 1 Islamistisch agierende Extremisten mit Auslandsbezug bearbeitet der Verfassungsschutz im Phänomenbereich Islamismus. 182 Was sind auswärtige Belange? Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist auf ein friedliches Verhältnis zu anderen Staaten ausgerichtet. Ihre auswärtigen Belange, das heißt ihre öffentlichen Angelegenheiten und Interessen, wären jedoch beeinträchtigt, wenn von deutschem Boden Bestrebungen ausgingen, die gewaltsam die politischen Verhältnisse in einem ausländischen Staat verändern wollten. Ebenso wie ihre Zielsetzung, so ist auch die Zusammensetzung dieser Gruppen häufig heterogen. Zu ihnen gehören neben Ausländern auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund und in kleinerer Zahl ohne Migrationshintergrund. Bei Letzteren ist teilweise gleichzeitig eine Einbindung in die linksextremistische Szene festzustellen Die Anzahl der in Rheinland-Pfalz lebenden Extremisten mit Auslandsbezug lag im Jahr 2022 bei etwa 650 (2021: 650). Hinsichtlich des Personenpotenzials (ca. 450 Mitglieder) und der Aktivitäten ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weiterhin die bedeutendste Organisation. Einen Gegenpol zu ihr bildet die türkisch-nationalistische "Ülkücü"-Bewegung, umgangssprachlich bekannt als "Graue Wölfe". Deren Anhängerpotenzial umfasst in Rheinland-Pfalz insgesamt rund 150 Personen. Das zahlenmäßig kleinste Spektrum mit circa 50 Personen bilden türkisch-linksextremistische Organisationen. Insbesondere die Exekutivmaßnahmen gegen drei Führungsfunktionäre der DHKP-C ("Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront") in Deutschland führten kurzzeitig zu mehreren öffentlichen Protestaktionen inklusive einer Kampagne, welche die Abschaffung der SSSS129a/b StGB (Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen) zum Ziel hat. 183 3. Organisationen und Strukturen 3.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) kämpft für eine erweiterte politische und kulturelle Eigenständigkeit innerhalb der angestammten kurdischen Siedlungsgebiete.2 Struktur und Strategie Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die Organisation weiterhin eine Doppelstrategie: Während sie in der Türkei, der nordirakischen Grenzregion sowie im Norden Syriens mit ihren bewaffneten Einheiten auf die Anwendung von Gewalt setzt, nutzt sie Deutschland sowie andere westeuropäische Staaten primär als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Zudem versucht sich die PKK als legitimer gesellschaftspolitischer Ansprechpartner und als alleinige Interessenvertretung der gesamten kurdischstämmigen Bevölkerung darzustellen. Zu diesen Zwecken unterhält die PKK in nahezu ganz Europa einerseits konspirativ agierende, hierarchisch aufgebaute Organisationsstrukturen. Andererseits hat sie auf europäischer, bundesdeutscher, regionaler und lokaler Ebene legalistische Strukturen in Form von Organisationen und Vereinen etabliert. Diese treten offiziell zwar nicht unter der Bezeichnung PKK in Erscheinung. Allerdings liegen starke Anhaltspunkte für eine Beeinflussung und Steuerung dieser "Fassadenstrukturen" durch den konspirativen, illegal tätigen Funktionärsapparat der PKK vor. Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Indoktrinierung, die Organisation von Spendenkampagnen sowie auf Kundgebungen zugunsten der PKK und ihres Anführers Abdullah Öcalan. Hiermit sind zugleich die wichtigsten Aktionsfelder der PKK umrissen. Als Dachverband dieser legalistischen PKK-nahen Strukturen in Deutschland fungiert die "Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED). Ihr gehört in Rheinland-Pfalz das seit 2013 bestehende "Demokratisch-Kurdische Gesellschaftszentrum Mainz e.V." an. 2 Kurdische Siedlungsgebiete befinden sich in den Staaten Irak, Iran, Syrien und Türkei. 184 Aktivitäten und Propaganda Die umfassenden Organisationsstrukturen ermöglichen der PKK ein Agieren auf mehreren Ebenen: * Öffentlichkeitswirksame Kundgebungen, Mahnwachen und (Groß)Veranstaltungen, * Medienarbeit, * Finanzierung der Organisation einschließlich der Kampfeinheiten in den kurdischen Siedlungsgebieten, * Rekrutierung von Nachwuchs. 2022 reagierten Anhänger der PKK deutschlandweit mit zahlreichen Protestaktionen auf die türkische Militäroffensive im Nordirak und Nordsyrien. Hierbei erhoben sie regelmäßig Vorwürfe gegen das türkische Militär, Chemiewaffen gegen die kurdische Bevölkerung einzusetzen. Darüber hinaus waren ebenso wie in den Vorjahren die Isolationshaft des PKK-Gründers Abdullah Öcalans, die Streichung der PKK von der EUTerrorliste und die Aufhebung des PKK-VerPlakat bei mehreren Kundgebungen bots in Deutschland zentrale Themen und Quelle: ANFNEWS Anliegen der Organisation. Ein weiteres wiederkehrendes Motiv war auch 2022 die Glorifizierung von PKK-Kämpfern und "Märtyrern". Rheinland-Pfalz stellte im Berichtsjahr 2022 keinen Schwerpunkt öffentlicher Aktionen der PKK im Bundesgebiet dar. Lediglich eine Kundgebung mit PKK-Bezug vor dem Mainzer Hauptbahnhof am 30. November 2022 mit einer Teilnehmerzahl im niedrigen zweistelligen Bereich zum Thema "Freiheit für Kurdistan" entfaltete öffentliche Aufmerksamkeit. PKK-AnhänMonatszeitung Sterka Ciwan vom Mai 2022 185 ger aus Rheinland-Pfalz beteiligten sich jedoch auch 2022 regelmäßig an überregionalen Aktionen. Dabei nutzt die PKK die jährlich wiederkehrenden bundesund europaweiten (Groß-)Veranstaltungen, um an für sie bedeutsame Themen zu erinnern, den inneren Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger zu fördern und sich nach außen als vermeintlich legitimer Ansprechpartner und Meinungsführer für kurdische Belange zu positionieren. Die folgenden teilnehmerstärkeren, überregionalen Veranstaltungen sind dabei hervorzuheben: Am 12. Februar 2022 fand im französischen Straßburg die alljährliche Kundgebung anlässlich des 23. Jahrestags der Festnahme Öcalans statt, an der sich nach Medienangaben insgesamt ca. 3.000 Personen aus Deutschland sowie verschiedenen anderen europäischen Ländern beteiligten. Der im Vorfeld der Kundgebung ausgerichtete "Lange Marsch" führte auf seiner Wegstrecke von Frankfurt nach Saarbrücken auch durch Rheinland-Pfalz. Die Teilnehmerzahl des weitestgehend störungsfrei verlaufenden Ereignisses lag im unteren dreistelligen Bereich. Am 17. September fand das 30. "Internationale kurdische Kulturfestival" in der niederländischen Gemeinde Landgraaf statt. Die Verantwortlichen hatten den Veranstaltungsort unter anderem zur Vermeidung rechtlicher Konsequenzen wegen des PKK-Betätigungsverbots in Deutschland gewählt. An dem Festival unter dem Motto "Gegen Besatzung und Völkermord - Kurdistan verteidigen, Öcalan befreien" nahmen rund 10.000 Personen aus ganz Europa teil, in großer Zahl aus Deutschland. Es wurde abermals deutlich, dass es sich bei diesem Event nicht bloß um ein folkloristisches Kulturfestival handelt, sondern um eine Veranstaltung der PKK, in der die organisationstypische Propaganda betrieben wurde und bei der die höchste PKK-Führungsebene mit Videobotschaften präsent war. Dem Festival ging der mehrtägige traditionelle "Lange Marsch" der PKK-Jugend voraus. Dieser begann am 11. September in Essen und endete am 16. September in Aachen. Wie schon in vergangenen Jahren kam es zu mehreren Zwischenfällen, unter anderem zu Angriffen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte, Beleidigungen, Verstößen gegen das Vereinsgesetz und Auseinandersetzungen mit Personen aus dem türkisch-nationalistischen Umfeld. 186 Gegen Jahresende trugen zwei Ereignisse im Ausland zu einer erneuten Emotionalisierung der PKK-Anhängerschaft auch in Deutschland bei. Es handelte sich zum einen um einen Terroranschlag am 13. November in einer Istanbuler Fußgängerzone. Hierbei wurden sechs Menschen getötet und eine noch deutlich größere Anzahl von Personen verletzt. Bereits kurz nach dem Anschlag erklärten türkische Sicherheitsbehörden, dass die PKK beziehungsweise mit ihr verbündete syrisch-kurdische Milizen für die Tat verantwortlich seien. Eine Woche später startete die türkische Armee die Militäroperation "Klauenschwert", die sich gegen kurdische Stellungen in Syrien und im Irak richtet. In Stellungnahmen bestreiten die PKK und ihre Anhängerschaft in Deutschland, dass die PKK oder andere kurdische Gruppen den Terroranschlag begangen hätten. Vielmehr erheben sie gegenüber türkischen Stellen den Vorwurf, vorschnell einen "Schuldigen" ausfindig gemacht zu haben, um den bereits gehegten Plan einer neuerlichen Militäroffensive zu begründen. Das zweite gewaltsame Ereignis fand am 23. Dezember in Paris statt, als mutmaßlich ein französischer Staatsangehöriger drei Menschen in einem kurdischen Kulturzentrum sowie dessen unmittelbarer Umgebung tötete und weitere Personen verletzte. Gemäß den bisherigen Ermittlungen französischer Sicherheitsbehörden handelte der Täter aus rassistischen Motiven. In Stellungnahmen PKK-naher Gruppierungen und Medien wird unterdessen die These aufgestellt, wonach hinter der Tat türkische Nachrichtendienste als Auftragsgeber gestanden hätten. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Ermordung dreier PKK-Aktivistinnen im Januar 2013 ebenfalls in Paris sowie wahrgenommene Parallelen. Die Wut über den Mord und die vermuteten Hintergründe entlud sich am 23. und 24. Dezember in gewaltsamen Ausschreitungen in der französischen Hauptstadt. Finanzen Durch die jährlich in Deutschland und in anderen europäischen Ländern durchgeführte Spendenkampagne erzielt die PKK den Großteil ihrer Einnahmen. Zusätzliche Finanzmittel beschafft sie sich durch regelmäßige Mitgliedsbeiträge von Vereinen und Privatpersonen, den Verkauf von Publikationen sowie durch Erlöse aus Feiern und Veranstaltungen. Die hierbei eingenommenen Gelder dienen sowohl der Finanzierung der Organisationsstrukturen und Medien in Europa 187 als auch der Unterstützung der PKK-Strukturen und Guerilla-Einheiten in den kurdischen Siedlungsgebieten. Rekrutierungsmaßnahmen Die konfliktgeladene Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten nutzt die PKK weiterhin dazu, um in Deutschland "Wisse, wenn Du Dich der insbesondere jugendliche Anhänger zu Guerilla ergibst, wirst Du indoktrinieren und für den bewaffneten nicht sterben. Im Gegenteil, Kampf in den Herkunftsregionen zu redie Guerilla lässt Dich leben krutieren. Entsprechende Aufrufe werund gibt Dir die Möglichkeit den nach wie vor in PKK-nahen Medien eines freien und demokratisowie auf Veranstaltungen verbreitet. schen Lebens. Lege die WafDie Anwerbung vieler Ausreisewilliger fen vor der Guerilla nieder!" übernehmen PKK-Führungsfunktionäre ANF News (PKK-nahe Nachrichtena(Kader), insbesondere solche der PKKgen-tur), 20. Juni 2022 Jugendorganisation. In kleiner Zahl stammen PKK-Kämpfer auch aus der deutschen linksextremistischen Szene. Fazit und Ausblick Die Vielzahl der auch 2022 von der PKK realisierten Aktionen kann letztlich nicht über ihre Probleme hinwegtäuschen. Insbesondere der durch die konsequente Strafverfolgung von PKK-Kadern in Deutschland bestehende erhebliche Verfolgungsdruck erschwert die Gewinnung von Nachwuchsfunktionären und die üblicherweise jährliche Kaderrotation, bei der die Führungskräfte eines Gebietes ausgetauscht werden. Die Fronten zwischen der türkischen Regierung und dem türkischen Militär einerseits und der PKK andererseits haben sich im Jahresverlauf 2022 weiter verhärtet. Bei einer anhaltenden oder sich verschärfenden Situation - unter Umständen auch vor dem Hintergrund der 2023 anstehenden Parlamentsund Präsidentschaftswahlen in der Türkei - ist von einer steigenden Emotionalisierung der unterschiedlichen politischen Lager auszugehen. In diesem Fall könnte 188 es neben einem erhöhten Demonstrationsaufkommen auch wieder vermehrt zu gewalttätigen Aktionen kommen. Vergleichbare Reaktionen wären auch im Falle des Todes von Abdullah Öcalan zu erwarten. 3.2 "Ülkücü"-Bewegung ("Graue Wölfe") Die "Ülkücü"-Bewegung ist eine türkisch-rechtsextremistische Bewegung, die sich aus mehreren Parteien, Organisationen und weiteren Akteuren zusammensetzt. Die Bewegung fußt auf einer nationalistischen Ideologie mit unverkennbar rassistischen und antisemitischen Elementen. Langfristiges Ziel der Bewegung ist die Wiedervereinigung aller Turkvölker in einem Großreich "Turan" (pantürkisches Gedankengut). Gegenüber anderen Völkern in der Region, namentlich Armeniern und Kurden, existieren in der Anhängerschaft der "Ülkücü"-Bewegung tradierte Feindbilder. Die Vordenker der BeWolfsgruß", Erkennungszeichen der wegung definierten zudem die Juden als "Grauen Wölfe" "heimlichen Feind aller Völker". Das bekannteste Erkennungsmerkmal der Bewegung ist der Graue Wolf und der daraus abgeleitete Wolfsgruß, weshalb die Anhänger umgangssprachlich "Graue Wölfe" heißen. Sie begreifen sich selbst als ülkücüler (Idealisten). Die "Ülkücü"-Bewegung ist in der Türkei in Form der "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP, Milliyetci Hareket Partisi) an der bestehenden Regierungskoalition beteiligt und bestimmt den politischen Kurs maßgeblich mit. Der konfrontative Ton des MHP-Vorsitzenden beeinflusst die in Deutschland lebenden "Ülkücü"-Anhänger gleichfalls. In unregelmäßigen Abständen sind auch deutsche Politiker türkischer und kurdischer Abstammung mit Türkei-kritischer Haltung Anfeindungen von Seiten der "Ülkücü"-Anhänger ausgesetzt. Das PoZiel der "Ülkücü-Bewegung": Türkisches Großreich tenzial für Konflikte zwischen türkisch"Turan". Quelle: Facebook 189 und kurdischstämmigen Personen sowie Anhängern und Oppositionellen der türkischen Regierung hierzulande bleibt weiterhin bestehen. Einzeltäter, die der Ideologie der nationalistischen "Grauen Wölfe" nahestehen oder diese teilen, könnten infolgedessen durch die Stimmungsmache dazu animiert werden, Straftaten gegen politische Gegner in Deutschland zu begehen. Als Deutschlandorganisation der MHP fungiert die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF). Öffentlichkeitswirksam präsentiert sie Zusammenkünfte zwischen Angehörigen der ADÜTDF und Vertretern der MHP. Der MHP eröffnen solche Zusammenkünfte die Möglichkeit, ihre politischen Interessen in die türkischen Gemeinden in Deutschland zu tragen. Im Vorfeld der Parlamentsund Präsidentschaftswahlen in der Türkei 2023 war Ende 2022 bereits eine Zunahme solcher Aktivitäten festzustellen. Zugleich ist die ADÜTDF darum bemüht, in der Öffentlichkeit als rechtskonforme, integrationswillige und gewaltablehnende Organisation wahrgenommen zu werden, die sich gegen Rassismus und für kulturelle Verständigung einsetzt. "Die als 'Jude' bezeichnete Kreatur wird von niemandem auf dieser Welt gemocht, außer von den Juden selbst und von den Charakterlosen." Hüseyin Nihal Atsiz, einer der bekanntesten Vordenker der "Ülkücü"-Bewegung Nachdem die behördlichen Corona-Maßnahmen im Jahr 2022 größtenteils aufgehoben wurden, haben die Aktivitäten der "Ülkücü"-Anhänger bundesweit wieder sukzessive zugenommen. Im Berichtszeitraum waren vereinzelt öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen der rheinland-pfälzischen ADÜTDF-Vereine zu verzeichnen. 190 4. Kurzbeschreibungen "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan", PKK) Seit 2007 offiziell: "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan", KCK) Gründung 1978 in der Türkei Leitung Abdullah Öcalan (seit 1999 in der Türkei inhaftiert), seither vor allem ideelle Führungsfigur, faktische Leitung durch im Ausland befindliche Gruppe von Führungskadern Anhänger-/ ca. 450 (2021: ca. 450) Mitgliederzahl in Rheinland-Pfalz Publikationen "Firat News Agency" (Nachrichtenagentur), und Medien "Yeni Özgür Politika" (Tageszeitung), "Serxwebun" und "Sterka Ciwan" (Monatszeitungen), "Sterk TV" (Fernsehsender), "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH" (Verlag)) Teilund "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Nebenorganisationen Kurdistans in Europa" (KCDK-E), europäische Dachor(unter anderem) ganisation, "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED), Dachorganisation PKKnaher Vereine in Deutschland, "Föderation der Demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V." Hessen-Saarland (unter Einschluss von RheinlandPfalz, FCDK-KAWA), "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, HPG), militärischer Arm in der Türkei. Betätigungsverbot Seit 22. November 1993 durch Bundesminister des Innern (bestandskräftig seit 26. März 1994). Einstufung als TerSeit 2. Mai 2002 in der EU. rororganisation 191 "Ülkücü-Bewegung" ("Graue Wölfe") Mitgliederzahl in ca. 150 (2021: 150) Rheinland-Pfalz Publikationen "Bülten" (unregelmäßig) und Medien Verbandliche Föderation der Türkisch-Demokratischen Strukturen in Idealistenvereine in Deutschland e.V." Deutschland (ADÜTDF) Leitung: Sentürk Dogruyol Ideologie, Programm, Strategie Unter dem Oberbegriff "Ülkücü"-Bewegung werden Anhänger einer türkisch-nationalistischen, rechtsextremistischen Ideologie bezeichnet. Die "Ülkücü"-Bewegung hat bundesweit circa 11.000 Mitglieder, Anhänger und Unterstützer. Die Personen sind mehrheitlich in Vereinen des bundesweiten Dachverbandes ADÜTDF organisiert. Der Dachverband und seine angeschlossenen Vereine führen vor allem kulturelle, religiöse und sportliche Veranstaltungen durch. Diese dienen unter anderem dem Zweck, neue Mitglieder zu werben, das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Szene zu stärken sowie potentielle Anhänger möglichst schon im jungen Alter an die "Ülkücü"-Ideologie heranzuführen. Außer festen Organisationsstrukturen besteht die "Ülkücü"-Bewegung auch aus einer kleineren, wenngleich zahlenmäßig schwieriger zu erfassenden unorganisier-ten Szene. Sie setzt sich größtenteils aus internetaffinen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen, die vor allem über soziale Netzwerke miteinander in Kontakt stehen. Dort pflegen sie ihre Feindbilder und agieren mit Hass-Postings gegen ihre "Feinde". Sie fallen durch Störaktionen am Rande von Veranstaltungen und Kundgebungen kurdischer, mitunter PKK-naher Gruppen auf. Vereinzelt nehmen sie an propalästinensischen Demonstrationen teil. 192 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung 1994 in Damaskus, Syrien Vorsitzende(r) Gruppe von Führungskadern Mitgliederzahl in einzelne (2021: einzelne) Rheinland-Pfalz Publikationen "Halk Okulu" (wöchentlich) und Medien "Devrimci Sol" (unregelmäßig) "Bizim Genclik" (unregelmäßig) Ideologie, Programm, Strategie Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi") verfolgt fortgesetzt die gewaltsame Zerschlagung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei und strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus an. Nachdem die DHKP-C insbesondere zwischen 2012 und 2016 zahlreiche terroristische Anschläge in der Türkei verübt hat, blieben öffentlichkeitswirksame Anschläge seit 2018 aus. Dies ist unter anderem durch die Festnahme wichtiger DHKP-C-Führungskader im November 2017 bedingt. Wenngleich die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der DHKP-C rückläufig sind, hält die DHKP-C bis heute grundsätzlich am bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, dessen Vertreter und Einrichtungen fest. In Deutschland ist die DHKP-C seit 1998 verboten. Da sie aufgrund dieses Vereinsverbots nicht offen agieren kann, tritt sie unter Tarnbezeichnungen wie "Halk Cephesi" (Volksfront) oder "Halk Meclisi" (Volksrat) auf. Die Mitglieder konzentrieren sich vorwiegend auf finanzielle Unterstützungsleistungen sowie Propagandaaktivitäten. Im Mai 2022 wurden im Auftrag des Generalsbundesanwalts drei hochrangige Führungsfunktionäre der DHKP-C festgenommen. Aufgrund der Inhaftierung der bisherigen Deutschlandverantwortlichen in einer rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalt kam es auch in Rheinland-Pfalz zu regem Protestgeschehen. Sonstiges Die DHKP-C befindet sich seit 2002 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. 193 194 Spionage und Cyberangriffe 195 1. Aufgaben und allgemeine Lage Die Bedrohung der Bundesrepublik Die Verfassungsschutzbehörde Deutschland durch Spionage, EinflussRheinland-Pfalz hat gemäß SS nahme und sonstige nachrichten- 5 Nr. 2 LVerfSchG die Aufgabe, dienstliche Aktivitäten fremder Staaten sicherheitsgefährdende oder ist angesichts des Krieges in der Ukraine geheimdienstliche Tätigkeiten vor allem von Russland ausgehend als in der Bundesrepublik Deutschsehr hoch einzuschätzen. Doch auch land für eine fremde Macht zu die Nachrichtendienste weiterer, vor beobachten, soweit tatsächallem autoritär regierter Staaten forliche Anhaltspunkte für den schen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft Verdacht solcher Tätigkeiten und Militär anderer Länder umfassend vorliegen. aus. Zudem beobachten und bedrohen sie zum Teil Personen und Organisationen, die in Opposition zu den jeweiligen Regierungen stehen. Es ist zu erwarten, dass Russland und verbündete oder befreundete Länder eine antiwestliche Allianz im geheim dienstlichen Bereich bilden. Für Russland sind im Kontext des Krieges (militär-) politische und strategisch relevante Entwicklungsund Entscheidungsprozesse der deutschen Politik von Was ist Proliferation? großer Bedeutung. In Anbetracht der durch die EU verhängten Sanktionen Unter Proliferation versteht ist zudem davon auszugehen, dass man die illegale Weiterverbreiwissenschaftlich-technologische Restung von atomaren, biologisourcen Deutschlands stärker in den schen und chemischen MassenFokus russischer Dienste geraten. Ihr vernichtungswaffen bzw. der zu Ziel ist der Aufbau verdeckt operierenihrer Herstellung verwendeten der Strukturen zur InformationsgewinProdukte sowie von entsprenung und zum illegalen Gütertransfer, chenden Waffenträgersystemitunter zu Zwecken der Wirtschaftsmen, einschließlich des dafür spionage und der Proliferation. erforderlichen Know-how. Neben dem unverzichtbaren Einsatz menschlicher Quellen zur Informationsgewinnung (Human Intelligence) setzen die Nachrichtendienste fremder Staaten 196 immer mehr auf die Sammlung elektronischer Daten, die offen zugänglich sind oder die sie durch Cyberattacken illegal beschaffen (Cyber Intelligence). Diese Angriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller. Zugute kommt ihnen dabei auch die stetig wachsende Nutzung sogenannter smarter Technologien in allen Lebensund Arbeitsbereichen, durch die sich Informationen aus der realen in die digitale Welt verschieben und zu weltweit verfügbaren und begehrten Daten werden. Um gesellschaftliche Gruppen zu beeinflussen, nutzen insbesondere die Nachrichtendienste Russlands und Chinas die sozialen Medien. Auch Deutschland ist von solchen Versuchen zunehmend betroffen, wie sich insbesondere während der Corona-Krise gezeigt hat. Mittels gezielter Propaganda und Desinformationskampagnen wurden zum Beispiel diskreditierende Meldungen über westliche Impfstoffe verbreitet. Ziel solcher Maßnahmen ist es, die Gesellschaft zu verunsichern und gesellschaftliche sowie politische Meinungsbildungsund Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Die Spionageabwehr des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes wird angesichts der veränderten Bedrohungslage neu ausgerichtet. Die Früherkennung von Desinformationsund Einflussnahmeaktivitäten soll durch ein koordiniertes und intensiviertes Monitoring relevanter Social-Media-Kanäle unterstützt werden und fließt verstärkt in die Lagebewertung ein. Die gewonnenen Erkenntnisse werden nicht nur für einen fortlaufenden Abgleich mit den Beobachtungsschwerpunkten des Verfassungsschutzes genutzt, sondern auch für den neuen Ansatz der Spionageprävention. Er verfolgt das Ziel, Spionage und Sabotage mithilfe von Sensibilisierungs-, Informationsund Beratungsangeboten vorzubeugen. Spionageprävention adressiert dabei aber nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch Gesellschaft, Wissenschaft, Staat und Verwaltung. Die personellen und technischen Ressourcen der Spionageabwehr werden hierfür ausgebaut. 2. Themenfelder der Spionageabwehr 2.1 Spionage Die Spionageabwehr geht, ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend, tatsächlichen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätig197 keiten nach. Dabei steht der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz in einem kontinuierlichen Austausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und den Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer. Ziel ist es, illegale Aktivitäten fremder Mächte aufzuklären und zu verhindern. Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland sind die Russische Föderation, die Volksrepublik China und der Iran. Aber auch Nachrichtendienste anderer Staaten wie beispielsweise der Türkei sind in der Bundesrepublik Deutschland aktiv. Russische Nachrichtendienste Wichtige Nachrichtendienste Russlands SWR * Ziviler Auslandsnachrichtendienst, (Slushba Wneschnej Raswedki) * Spionage in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, * Ausforschung westlicher Nachrichtendienste, * elektronische Fernmeldeaufklärung, * Proliferationsund Terrorismusbekämpfung, * rund 15.000 Bedienstete. FSB * Inlandsnachrichtendienst, (Federalnaja Slushba * Spionageabwehr, Besopasnosti) * Oppositionsausspähung, * Bekämpfung von Extremismus-, Terrorismusund Organisierter Kriminalität, * Sicherung der Staatsgrenzen, * rund 350.000 Bedienstete (inklusive Grenzschutztruppen). 198 Wichtige Nachrichtendienste Russlands GRU * Inlandsnachrichtendienst, (Glawnoje Raswedywatelnoje * Spionageabwehr, Uprawlemije) * Oppositionsausspähung, * Bekämpfung von Extremismus-, Terrorismusund Organisierter Kriminalität, * Sicherung der Staatsgrenzen, * rund 350.000 Bedienstete (inklusive Grenzschutztruppen). Grundsätzlich erfolgt die Steuerung russischer nachrichtendienstlicher Operationen direkt aus Moskau oder durch Legalresidenturen, das heißt (getarnte) Stützpunkte an den diplomatischen Vertretungen. In Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine wurden europaweit etwa 400 russische Diplomaten ausgewiesen, 40 aus Deutschland. Das zwingt Russland dazu, seine Vorgehensweisen langfristig anzupassen. Es ist damit zu rechnen, dass künftig weniger über Legalresidenturen, sondern verstärkt über andere Kanäle agiert wird, die schwieriger zu identifizieren sind. Ungeachtet dessen bestehen existierende Quellen fort und werden weiterhin zur Informationsbeschaffung genutzt. Mithilfe finanzieller Anreize oder durch Kompromate können auch Personen an sensiblen Positionen zur Weitergabe vertraulicher Informationen an Russland bewegt werden. Die Spionage-Affäre um Carsten L., einen leitenden Beamten des Bundesnachrichtendienstes, führt eindringlich vor Augen, dass auch strengere Sicherheitsmaßnahmen und Überprüfungen derartige Vorfälle nicht komplett ausschließen können. Doch auch Ausspähversuche bleiben ein relevantes Mittel russischer Spionage. Im Zusammenhang mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten und der Lieferung von Rüstungsgütern in die Ukraine geraten auch Rheinland-pfälzische Militärstandorte in den Fokus russischer Interessen. Wiederholt konnten 2022 Drohnenüberflüge und verdächtiges Verhalten im Umfeld von Kasernen festgestellt werden, mutmaßlich zur Ausspähung von Details der militärischen Ausbildung 199 oder relevanten Truppenund Materialverlegungen. Eine tatsächliche Spionageabsicht lässt sich dabei jedoch kaum nachweisen. Durch den Einsatz von Strohmännern, beispielsweise mit Russland sympathisierenden Staatsangehörigen ehemaliger Sowjetstaaten, werden eigentliche Urheberschaft und Zielsetzung verschleiert. Die seit Februar 2022 gegen Russland verhängten Finanzund Wirtschaftssanktionen wurden im Laufe des Jahres immer wieder verschärft. Insbesondere Verbote für die Lieferung von Gütern und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung des Landes beitragen können, zwingen Russland zum Handeln. Russische Firmengeflechte verwenden konspirative Methoden, um die bestehenden Sanktionen zu umgehen. Die Bestrebungen Russlands, die Meinungsbildung in Deutschland in seinem Sinne zu beeinflussen, dauern unvermindert an. Durch russische staatliche oder halbstaatliche Medien, auf Videoplattformen und mittels Social Media wird seit Beginn des Ukraine-Krieges einseitig berichtet, Propaganda verbreitet und polemisiert. Der Überfall auf die Ukraine wird als legitim und Russland als Opfer dargestellt, das keine andere Wahl hatte, als sich selbst zu verteidigen. Vor allem der Messenger-Dienst Telegram wird genutzt, um solche Desinformations-Narrative zu verbreiten. Chinesische Nachrichtendienste Hauptaufklärungsziele der chinesischen Nachrichtendienste sind mehrere Oppositionsbewegungen, die als "Fünf Gifte" tituliert und diffamiert werden. Hierbei handelt es sich um die Meditationsbewegung Falun Gong1 und deren Angehörige, die Mitglieder der Demokratiebewegung, die Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans sowie die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Uiguren und der Tibeter. Weitere Schwerpunkte der chinesischen Nachrichtendienste werden maßgeblich durch den jeweiligen Fünfjahresplan der Volksrepublik China bestimmt, der 1 Bei der Falun Gong-Bewegung handelt es sich um eine ursprünglich unpolitische spirituelle Bewegung. Seit 1999 kritisiert sie allerdings öffentlich mit weltweiten Aktionen auch die chinesische Staatsführung. Seither sieht sie sich der Verfolgung durch chinesische Behörden ausgesetzt. 200 die Interessen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCH) widerspiegelt. Ihr Fokus liegt insbesondere auf politische Entscheidungsprozesse des Westens sowie der Technologieund Wirtschaftsspionage, aber auch den Aktivitäten der hier lebenden chinesischen Auslandsgemeinde. Chinas Nachrichtendienste sind mit umfassenden Befugnissen ausgestattet und unterliegen keinen rechtsstaatlichen Beschränkungen. Wichtige Nachrichtendienste der Volksrepublik China MSS * Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst, (Ministry of State * Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft Security/Ministerium und Wissenschaft, für Staatssicherheit * Spionageabwehr, * Oppositionsausspähung, * Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung, * weltweit größter ziviler Nachrichtendienst. MÖS/MPS * Das "Polizeiministerium" kann auf die Polizei (Ministerium für öffentsowie auf eigene nachrichtendienstliche Speziliche Sicherheit/Ministry aleinheiten zurückgreifen, of Public Security) * Ausspähung von Staatsgefährdern, * Zensur von Medien und Internet, * Militärische und nachrichtendienstliche Auslandsmissionen. MID * Militärischer Inund Auslandsnachrichten(Military Intelligence dienst, Directorate) * Aufklärung insbesondere fremder Streitkräfte, * Entsendung von Militärattaches sowie Kontakt zu ausländischen Streitkräften. 201 Wichtige Nachrichtendienste der Volksrepublik China Büro 610 * Institution der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), benannt nach dem Gründungsdatum 10. Juni 1999, * Beobachtung und Verfolgung der Falun GongBewegung im Inund Ausland. Chinesische Nachrichtendienste agieren seit der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Reisebeschränkungen noch intensiver im digitalen Raum. Sie versuchen dort, mittels Fake-Profilen auf Social-Media-Plattformen ranghohe Mitarbeiterinen und Mitarbeiter aus Politik und Verwaltung, Industrie, Militär sowie Forschung und Entwicklung zu kontaktieren und zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Dabei ermöglicht es die nahezu anonyme Kontaktaufnahme, ohne hohen Aufwand und Kosten auch aus dem Ausland Verbindungen zu knüpfen. Darüber hinaus ist China bestrebt, deutsche Entscheidungsträger /-innen, zum Beispiel Abgeordnete oder Unternehmer, als "Lobbyisten" für seine Interessen zu gewinnen. Chinesische Investitionen in Deutschland können zu wirtschaftlichen Abhängigkeiten führen, die bei Bedarf als Hebel für politische Zugeständnisse eingesetzt werden können. Ein Beispiel sind die Investitionen im Rahmen der "Neuen Seidenstraße", wie der Aufund Ausbau der interkontinentalen Handelsund Infrastrukturnetze der Volksrepublik China seit 2013 heißt. 2022 fanden die Beteiligung der Staatsreederei "China Ocean Shipping Company" ("COSCO") an einem Containerterminal im Hamburger Hafen sowie der geplante Kauf eines deutschen Chipherstellers mediale Beachtung. Vor Reisen nach China müssen im Rahmen der digitalen Visumsbeantragung ausführliche Angaben zur reisenden Person gemacht werden. Die örtlichen Sicherheitsbehörden sind dann in der Lage, Personen herauszufiltern, die ein für China interessantes Profil haben. Nach der Einreise können so mit geringem Risiko Überwachungsmaßnahmen oder gar Anwerbungsversuche unternommen 202 werden. Insbesondere für regimekritische Reisende erhöht sich auf diese Weise das Risiko. Iranische Nachrichtendienste Die Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran sind von Jahr zu Jahr stärker in Europa und der Bundesrepublik Deutschland aktiv. Als wichtige Instrumente der politischen Führung agieren vor allem das iranische Nachrichtenministerium "MOIS (Ministry of Intelligence)" sowie die "Quds Force", eine nachrichtendienstlich agierende Spezialeinheit der Iranischen Revolutionsgarden. Eine Abteilung des MOIS steht auf der EU-Terrorliste. Die Revolutionsgarden, die großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss im Iran ausüben, werden von den USA als Terrororganisation eingestuft. Darüber hinaus unterliegen Vertreter der Regierung und ranghohe Mitglieder der iranischen Sicherheitskräfte den Sanktionsregelungen der EU gegen den Iran. Primäre Aufklärungsziele der iranischen Nachrichtendienste im Ausland sind politische und militärische Erkenntnisse sowie Informationen aus Wirtschaftsunternehmen und wissenschaftlichen Institutionen westlicher Staaten. Darüber hinaus gehören die Ausspähung oppositioneller Gruppierungen im Ausland sowie die Aufklärung israelischer beziehungsweise jüdischer Ziele, unter anderem in Deutschland, zu den Schwerpunktaufgaben iranischer Nachrichtendienste. Seit 2018 sind gegen 24 mutmaßliche iranische Agentinnen und Agenten in Deutschland neun Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini im September 2022 finden im Iran landesweite Proteste gegen das iranische Regime statt. Wegen der anhaltenden Proteste und der im Ausland agierenden Opposition sieht die politische Führung in Teheran ihre Macht in Gefahr und verstärkt ihre repressiven Maßnahmen im Inund Ausland, auch mithilfe der Geheimdienste. Der Iran hat sich mittlerweile neben Russland, China und Nordkorea als weiterer ernstzunehmender Akteur auf dem Feld der Cyberspionage etabliert. So gab es in den vergangenen Jahren in verschiedenen westlichen Staaten verstärkt iranische Cyberangriffe auf diverse Ziele. Hiervon waren unter anderem deutsche Universitäten betroffen. Darüber hinaus wurde der weit verbreitete Messengerdienst 203 Telegram vermutlich von iranischen Behörden oder Nachrichtendiensten dazu benutzt, Angehörige der iranischen Opposition im Ausland zu überwachen. Wichtige Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran "MOIS" * Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst, (Ministry of Intelligence of the * Beobachtung der Opposition im Inund AusIslamic Republic of Iran) land, * Auslandsaufklärung mit Fokus auf Politik, Militär, Wirtschaft und Forschung. "Quds Force" (Quds-Brigaden)2 * Militärische Spezialeinheit der Iranischen Revolutionsgarden, * Militärische und nachrichtendienstliche Auslandsmissionen, * Ausspähung israelischer und projüdischer Ziele im Ausland. Türkische Nachrichtendienste Dem türkischen Nachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) rechnet der Verfassungsschutz 8000 bis 9000 hauptamtliche Bedienstete zu. Er ist im Inund Ausland tätig, verfügt über weitreichende Exekutivbefugnisse und ist direkt dem türkischen Staatspräsidenten unterstellt. Deutschland ist für den MIT von großem Interesse. Die Türkeistämmigen bilden die größte Diasporagemeinde in der Bundesrepublik Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz. Somit entfaltet die innenpolitische Lage der Türkei auch Aus- 2 "Jerusalem Force" (Logo der Iranischen Revolutionsgarden). 204 wirkungen auf die Sicherheitslage hierzulande. In Folge des Putschversuchs 2016 forderte die Türkei heimatverbundene Migrantinen und Migranten auf, "Staatsfeinde" zu melden. Denunziationen, Ausspähungen und Bespitzelungen zugunsten des MIT haben seitdem deutlich zugenommen - auch in Rheinland-Pfalz. Zuträger melden Oppositionelle an die konsularischen Vertretungen der Türkei, an denen der MIT Legalresidenturen unterhält. Wichtigstes Aufklärungsziel des MIT stellt die kurdische "PKK" dar. Nachrichtendienst der Türkei MIT * Inund Auslandsnachrichtendienst, (Milli Istihbarat Teskilati) * Oppositionsausspähung, * weitere Aufklärungsziele sind vor allem wirtschaftliche, politiche, militärische und technologische Bereiche, * 8000 - 9000 hauptamtliche Bedienstete. Auch die Türkei versucht, gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse in Deutschland in ihrem Sinne zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund der für Mai 2023 geplanten türkischen Parlamentsund Präsidentschaftswahlen sind derartige Aktivitäten möglich. Bundesweit dienen hier insbesondere Führungspersonen in türkischen Organisationen, die in der Regel auch eng an türkische Staatsstrukturen angeschlossen sind, als Multiplikatoren. Nachrichtendienste anderer Staaten Auch andere Staaten als die genannten entfalten in unterschiedlicher Intensität auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach deutschem Recht gesetzeswidrige geheimdienstliche Bestrebungen, die von Spionage im "klassischen" Sinn bis zur Ausspähung Oppositioneller reichen. Insbesondere die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika haben ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in 205 der Bundesrepublik Deutschland forciert. Als Versuch der Rechtfertigung bagatellisieren die Dienste ihre illegalen Methoden oft als "Beitrag zur internationalen Terrorismusbekämpfung". 2.2 Proliferation Ein wichtiger Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes ist die Aufklärung und Verhinderung der Versuche sogenannter kritischer Staaten3, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und der benötigten Trägertechnologie sowie des entsprechenden Know-hows zu gelangen. Da sie selbst zu deren Entwicklung und Herstellung häufig nicht in der Lage sind, versuchen diese Staaten, sich notwendiges Wissen, Produkte und Güter auch mit geheimdienstlichen Methoden illegal zu beschaffen. Solche Beschaffungsversuche gehen seit Jahren vor allem vom Iran aus. Die seit Februar 2022 infolge des Ukraine-Krieges erlassenen Sanktionen gegen Russland erweitern die bereits seit 2014 bestehenden (unter anderem ein Waffenembargo und weitere Handelsbeschränkungen). Es liegen vermehrt Hinweise auf proliferationsrelevante Beschaffungsversuche in Deutschland unter Umgehung der Sanktionen und Verschleierung der tatsächlichen Endverwender vor. 2.3 Wirtschaftsspionage und -sabotage Wirtschaftsspionage4 wird im Gegensatz zur Industriespionage, dem gegenseitigen Ausspähen von Unternehmen, durch Nachrichtendienste fremder Staaten praktiziert. Sie hat die Ziele, Forschungsund Entwicklungskosten einzusparen, Rückstände bei eigenen Entwicklungen aufzuholen und dadurch die Zeitspanne bis zur Produktion marktreifer Produkte drastisch zu verkürzen. Folgen für die Opfer von Wirtschaftsspionage können der Abfluss von Know-how, finanzielle Einbußen und der Wegfall von Arbeitsplätzen sein. 3 Kritische Staaten sind vor allem proliferationsrelevante Länder. Von ihnen wird befürchtet, dass sie atomare, biologische und chemische Waffen in einem Krieg einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. 4 Unter Wirtschaftsspionage versteht man die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben. 206 Für Staaten mit einer konkurrenzund zukunftsfähigen Wirtschaft liegt der Ausforschungsfokus stärker auf wirtschaftspolitischen Strategien und zukünftigen sozioökonomischen Trends als auf den Forschungsund Entwicklungsergebnissen selbst. Hochund Schlüsseltechnologien, die für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft und bei der Erschließung von zukunftsträchtigen Märkten von Bedeutung sein können, zum Beispiel die Biound die Halbleitertechnologie, stehen im Zentrum des nachrichtendienstlichen Interesses. Hier ansässige innovative Unternehmen und weltweit anerkannte Wissenschaftsund Forschungsleistungen können potentielle Ausspähziele fremder Nachrichtendienste sein. Gefährdet sind dabei nicht nur Weltfirmen, sondern auch kleine und mittelständige Betriebe sowie Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz informiert regelmäßig über die Gefahren und leitet relevante Informationen über die Mitglieder der Sicherheitspartnerschaft an die Wirtschaft und Wissenschaftseinrichtungen weiter. Russische Aktivitäten Die westlichen Sanktionen, die teils drastische Wirtschaftsund Handelsbeschränkungen umfassen, wirken sich auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft der Russischen Föderation aus, so dass mit einer Zunahme der russischen Wirtschaftsspionageaktivitäten zu rechnen ist. Die damit einhergehende Isolation Russlands von Technologie und Know-how dürfte zu intensivierten Versuchen führen, die Sanktionen zu umgehen. Insbesondere Beschäftigte in relevanten Forschungsoder Wirtschaftssektoren können so zum Ziel russischer Ansprache-, Bedrohungsund Erpressungsversuche werden. Über die Mitglieder der Sicherheitspartnerschaft werden deshalb seit Mitte 2022 verstärkt Informationen über Bedrohungslagen, über den Schutz vor Innentätern, über die Sicherheit auf Auslandsreisen und das PreEmployment Screening geteilt. 207 Was ist PreEmployment Screening? * Das Pre-Employment Screening ist Teil einer sicherheitsorientierten Personalauswahl. * Auf Grundlage der Bewerbungsunterlagen und unter Hinzuziehung öffentlich zugänglicher Quellen, zum Beispiel den sozialen Medien oder früheren Arbeitgebern, wird die Qualifikation von Bewerberinnen und Bewerbern durch den Arbeitgeber objektiv überprüft. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Ende Februar 2022 und den daraufhin verhängten westlichen Sanktionen gegen die Russische Föderation rechnen die Sicherheitsbehörden zudem sehr konkret mit Sabotageaktionen gegen Wirtschaftsunternehmen und gegen Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS). Im Jahr 2022 war eine Zunahme solcher Aktionen gegen die Infrastruktur in Deutschland zu verzeichnen. Insbesondere der Energiesektor war und ist in hohem Maße durch staatlich gesteuerte Sabotagehandlungen bedroht. Chinesische Aktivitäten Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China bieten Möglichkeiten zur Wirtschaftsspionage, beispielsweise über deutsche Firmenniederlassungen in China. Oft treten auch Staatsunternehmen als Akteure auf. Sie bieten deutschen Unternehmen Joint Ventures an, um einen Marktzugang in China zu ermöglichen. Mit Verhandlungsbeginn finden dann Cyberattacken auf das Firmennetzwerk statt. Es folgen Delegationsbesuche, Einladungen nach China, Abschlussverhandlungen und die Vertragsunterzeichnung. Die Operation kann der chinesische Partner auf die Zulieferer des deutschen Unternehmens ausweiten und endet schlimmstenfalls mit einer vollständigen Indigenisierung5. 5 Aufkauf der Firmen und Produktionsstätten, Verlagerung nach China. 208 2.4 Cyberangriffe, Datenspionage und -sabotage Die in allen Bereichen von Industrie und Dienstleistung eingesetzte Informationstechnik ist Ziel von Cyberspionage und -sabotage. Bei einem Cyberangriff handelt es sich um eine elektronische Manipulation, durch die sich Hacker unbefugten Zugang zu IT-Systemen verschaffen. Derartige Angriffe verfolgen das Ziel, bestehende Sicherheitsbarrieren von Computersystemen zu umgehen beziehungsweise zu überwinden, um beispielsweise vertrauliche oder persönliche Daten auszuspähen oder Daten zu sabotieren. Die Angreifer nutzen insbesondere Schadsoftware und Sicherheitslücken in der von dem Ziel-System genutzten Software. Die Folgen solcher Angriffe können in jedweder Hinsicht erheblich sein. Prävention und Detektion von Cyberangriffen Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat 2022 Unternehmen im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft oder nach Vorfällen regelmäßig aufgefordert, ihre bereits getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu überprüfen und diese bei Bedarf zu aktualisieren. Durch effektive Sicherheitsmaßnahmen, die auch den Faktor Mensch berücksichtigen, entsteht so ein wirkungsvoller Schutzschild vor Cyberbedrohungen. Durch reaktive Maßnahmen unterstützt der Verfassungsschutz zudem betroffene Unternehmen und Institutionen bei der Aufarbeitung der ITSicherheitsvorfälle und berät diese unter Wahrung der Vertraulichkeit über das weitere Vorgehen. Als präventive Maßnahme bietet der Verfassungsschutz seit 2020 ausgewählten Unternehmen im Land Informationen aus einem speziellen "Domain Name Monitoring" an. Dabei werden aus öffentlich zugänglichen Datenquellen regelmäßig mehrere Tausend neu registrierte Domainnamen ermittelt, die Bezüge zu rheinland-pfälzischen Unternehmen aufweisen. Noch vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine detektierten Sicherheitsbehörden gezielte Cyberangriffe speziell auf die IT-Infrastruktur der Ukraine sowie auf öffentliche Einrichtungen der baltischen Staaten. Auch Deutschland geriet zusammen mit weiteren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der NATO wegen deren Unterstützung der Ukraine in den Fokus pro209 russischer Cyberaktivisten und Cybergruppierungen. Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz hat daher mit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Unternehmen, Behörden und Betreiber kritischer Infrastrukturen im Land über die Gefahren von Cyberangriffen und über Schutzmöglichkeiten informiert und sensibilisiert, darunter insbesondere Einrichtungen der Energieversorgung. Auf der Website Cyberschutz.rlp.de informiert der Verfassungsschutz zudem ausführlich über die Gefahren von Cybersabotage und -spionage, über Reaktionsmöglichkeiten nach erfolgten Angriffen und bietet auf einer zugangsgeschützten Cloud Informationen zum Schutz vor diesen an (siehe hierzu auch den Beitrag Wirtschaftsschutz und Sicherheitspartnerschaft, Seite 29). Mit Informationsveranstaltungen und über Webseminare werden Unternehmen, Kommunen und Betreiber Kritischer Infrastrukturen zu diesen Gefahren und Schutzmöglichkeiten sensibilisiert. DDoS-Attacken Im Februar 2022 trat der pro-russisch einzuordnende Akteur "KillNet" in Deutschland erstmals durch Aktionen in Form von DDoS (Distributed-Denialof-Service) gegen Webpräsenzen in Erscheinung, die ein Potential für Öffentlichkeitswirksamkeit bieten. DDoS-Angriffe richten sich gegen die Verfügbarkeit von Diensten, Webseiten, einzelnen Systemen oder ganzen Netzwerken. In Deutschland waren eine Kreditanstalt, zwei Flughäfen sowie Polizeibehörden Ziel von Störversuchen und zeitweise nicht erreichbar. Neben den betroffenen bundesdeutschen Institutionen wurden auch Webseiten im Baltikum, in ostund westeuropäischen Staaten sowie der NATO, der UN und der OSCE attackiert. Die KillNet-Gruppe publiziert ihre Aktionen in mehreren Telegram-Kanälen. Hinweise auf eine direkte Verbindung zu russischen, staatlichen Akteuren liegen bislang nicht vor. Die beobachteten Angriffe deuten darauf hin, dass es der Gruppierung gelingt, ihre technischen Fähigkeiten auszubauen. Mit einer Einbeziehung rheinland-pfälzischer Ziele ist zu rechnen. 210 GHOSTWRITER Seit Januar 2021 ist diese Russland zugeschriebene Gruppierung in Deutschland aktiv. Bei GHOSTWRITER konnte von den Sicherheitsbehörden erstmals gleichzeitig Desinformation und Spionage durch einen mutmaßlich staatlich gesteuerten Cyberakteur entlarvt werden. Die Gruppierung verbreitet vor allem gefälschte Inhalte, wie angebliche Pressemitteilungen von offiziellen Stellen, Korrespondenz von Regierungsstellen oder frei erfundene Zitate von politischen Amtsträgerinnen und -trägern. Die Falschnachrichten werden zum einen über Blogs, Nachrichtenportale und sogenannte Spear-Phishing-Attacken via E-Mail in Umlauf gebracht. Zum anderen kpromittiert GHOSTWRITER seriöse Nachrichtenseiten und Social-Media-Accounts von Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politikern, um darüber Falschnachrichten zu verbreiten ("Hack an Publish"). Den Sicherheitsbehörden lagen 2022 Hinweise darüber vor, dass staatlich gelenkte Cyber-Angriffe und gezielte Desinformations-Kampagnen erfolgt sind und weiter zunehmen werden. Auch Personen aus Rheinland-Pfalz waren betroffen. 2.5 Hybride Bedrohungen und Desinformation Hauptziele hybrider Bedrohungen sind die nachhaltige Störung des gesellschaftlichen Gefüges und die Beeinflussung demokratischer Entscheidungsprozesse und der politischen Willensbildung. Um die Wirksamkeit der hierfür eingeleiteten Maßnahmen nicht zu gefährden, wird die staatliche Urheberschaft beziehungsweise die Identität des Auftraggebers gezielt verschleiert. Die unter 2.1 bis 2.4 beschriebenen Spionage-, Sabotage-, Proliferationsund Cyberaktivitäten sind allesamt mögliche Ausprägungen hybrider Bedrohungen. Erst wenn mehrere dieser Einzelmaßnahmen koordiniert eingesetzt werden, spricht man von einer hybriden Bedrohung. Die begonnene Aufzählung kann beinahe beliebig fortgesetzt werden, auch Investitionen und damit das Herstellen und Ausnutzen wirtschaftlicher Abhängigkeiten sind ein bewährtes Mittel fremder Staaten. Eine besondere Rolle dabei spielt China, das sich bei Investitionsabsichten die Rivalität zwischen Kommunen zu Nutze macht und die entstandene Konkurrenzsituation gezielt zur Erweiterung des eigenen Handlungsspielraumes nutzt. 211 Die Konzentration hybrider Bedrohungen hat seit dem Ukraine-Krieg stark zugenommen. Cyberangriffe, Spionage und Desinformationskampagnen flankieren die Kriegshandlungen und formieren sich in ihrer Gesamtheit zu einer hybriden Bedrohung auch für Deutschland und Rheinland-Pfalz. Der Cyberangriff auf das Satellitennetzwerk des Unternehmens Viasat zielte offenbar auf die Störung der ukrainischen Kommunikationsinfrastruktur ab, beeinträchtigte als Kollateralschaden aber auch die Steuerung deutscher Windkraftanlagen. Doch auch gezielte Angriffe gegen deutsche Stellen waren zu verzeichnen, beispielsweise die Überlastungsangriffe der KillNet-Hacktivisten gegen die Internetseiten von Polizei und Behörden. Ein Schwerpunkt Russlands liegt derzeit aber auf der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der russischen Diaspora in Deutschland. Desinformationskampagnen im Kontext mit dem russischen Angriffskrieg Desinformationskampagnen sind für Russland ein wichtiges Werkzeug der hybriden Kriegsführung. Sie sollen vordergründig nicht nur Schaden anrichten, sondern Gesellschaften destabilisieren und die öffentliche Meinung in einem Staat beeinflussen. Seit Februar 2022 nehmen inund ausländische Akteure die Kriegshandlungen in der Ukraine zum Anlass für Desinformationskampagnen. Neben Messengerdiensten wie Telegram wurden und werden Internetforen, Videound Informationsportale für eine gezielte Beeinflussung des öffentlichen Diskurses genutzt. Russland wird regelmäßig als Opfer dargestellt und zugleich die Ukraine als "Erfüllungsgehilfe" der NATO und der USA diffamiert. Die in aller Regel tendenziöse, verkürzende und verfälschte Berichterstattung bedient einschlägige pro-russische Narrative und Verschwörungstheorien. Offenkundig wird damit versucht, durch zielgruppenspezifisch zugeschnittene Falschinformationen die Politik der Bundesregierung zu diskreditieren. Weitere Akteure benutzen das Internet, um die Auftritte von Behörden, Einrichtungen sowie Wirtschaftsunternehmen täuschend echt nachzustellen. Mit beinahe identischen Internet-Adressen und falschen Inhalten versehen, dienen diese dem Anschein nach authentischen Seiten der Initiierung betrügerischer Handlungen oder der Meinungsmanipulation. 212 Ein Beispiel für eine Desinformationskampagne ist die nachweislich falsche Berichterstattung über das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit. Dort wurden Tierparasiten aus der Ukraine auf Bakterien untersucht. Das russische Verteidigungsministerium behauptete, dass es sich hierbei um eine ukrainische Verschwörung handele, die zum Ziel habe, Tiere mit Krankheiten zu infizieren, um sie um sie gegen russische Ziele einzusetzen. Teil der Verschwörung sei auch das Mainzer Unternehmen BioNTech gewesen, so die Urheber dieser abwegigen Theorie. Verschwörungstheoretische Grafik, die im Corona-Protestspektrum kursierte (inzwischen nicht mehr abrufbar). Quelle: Twitter Unter anderem der Telegram-Kanal "Neues aus Russland" teilte im März 2022 antiukrainische Inhalte. In einem russischsprachigen Video auf TikTok wurde behauptet, ein junger russischsprechender Flüchtlingshelfer sei von ukrainischen Flüchtlingen tätlich angegriffen worden und später an den Folgen der Misshandlungen verstorben. Die Nachricht wurde emotional kommentiert und gezielt weiterverbreitet. Die Polizei konnte schnell aufklären, dass sich der Sachverhalt nie zugetragen hatte. Die Erstellerin des Videos gab an, über Dritte von dem Vorfall erfahren und das vermeintliche Opfer nicht persönlich gekannt zu haben. Sie löschte das Video und stellte den Irrtum ihrerseits klar. 213 214 Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 215 1. Geheimund Sabotageschutz Sicherheitsrelevante staatliche Informationen müssen vor dem Zugriff durch Unbefugte, wie beispielsweise fremde Nachrichtendienste oder terroristische Vereinigungen, besonders geschützt, werden da sie zur Funktionsfähigkeit der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland und zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung beitragen. Sie unterliegen daher einer gesetzlichen Geheimhaltung, die durch unterschiedliche Geheimhaltungsgrade dokumentiert wird. Besonders schützenswert sind Informationen über lebensoder verteidigungswichtige Einrichtungen, auch sicherheitssensible Infrastruktur genannt. Der Schutz dieser Informationen soll da Risiko von Sabotage durch "Innentäter" minimieren. Ein wichtiges Instrument des Das LandessicherheitsüberprüGeheimund Sabotageschutzes ist fungsgesetz (LSÜG) bildet die die Sicherheitsüberprüfung, die im rechtliche Grundlage, nach der Landessicherheitsüberprüfungsdie Zuverlässigkeit der Personen, gesetz (LSÜG) geregelt ist. Nach die mit geheimhaltungsbedürfder Einstufung der Informationen tigen Informationen arbeiten, (Verschlusssachen), zu denen eine überprüft werden muss. VorgaPerson Zugang erhalten soll, Entben für die Schutzmaßnahmen scheidet sich die Überprüfungstiefe. für die materielle und digitale Der Verfassungsschutz wirkt daran Sicherung der Informationen, die maßgeblich mit und erhebt mögvon den Behörden eingehalten liche Sicherheitsrisiken, die von eiwerden müssen, befinden sich in ner Person ausgehen könnten. Jede der Verschlusssachenanweisung Überprüfung umfasst eine bundesdes Landes (VSA). weite Abfrage und Speicherung im nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden (NADIS) sowie eine Abfrage in Datenbanken der Polizei. In besonders sensiblen Bereichen werden Sicherheitsermittlungen durchgeführt, zum Beispiel werden sogenannte Referenzpersonen befragt, die Auskunft über die zu prüfende Person geben können. Auch die regelmäßige Information und fachliche Beratung der Geheimund Sabotageschutzbeauftragten von Landesbehörden und Kommunen durch den 216 Verfassungsschutz ist Bestandteil des Geheimschutzes. Das Ziel sind möglichst gleichwertige Sicherheitsstandards und eine Steigerung der Sensibilität im Umgang mit Verschlusssachen. 2. Mitwirkungsaufgaben Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie der Sicherheit des Bundes und der Länder prüft der Verfassungsschutz unter anderem Personen, die etwa in staatlichen Bereichen eingesetzt werden oder Aufenthaltsrechte in Deutschland erhalten sollen. Diese als Mitwirkungsaufgaben bezeichneten ÜberMitwirkungsanfragen 2022: prüfungen haben ihre rechtliche * Waffengesetz: 28.781 Grundlage in den Verfassungsschutzgesetzen der Länder und * Bewacherverordnung: 1.300 des Bundes. Zweck der Prüfung * Luftsicherheitsgesetz: 2.322 ist es, festzustellen, ob zu Perso- * Sprengstoffgesetz: 602 nen sicherheitsrelevante nach- * Atomgesetz: 219 richtendienstliche Erkenntnisse * Einbürgerung: 10.632 vorliegen, die Zweifel an deren Geeignetheit für eine bestimm- * Aufenthaltstitel: 33.989 te Aufgabe, Erlaubnis oder eine * Sicherheitsüberprüfungen: 747 VISA-Erstellung, einen Aufent- * Gesamt: 78.592 haltstitel oder eine Einbürgerung begründen können. Diese Anfragen werden auf der Grundlage von Fachgesetzen von den zuständigen Behörden beim Verfassungsschutz gestellt. Das Ergebnis der Überprüfung wird von der jeweils anfragenden Behörde bewertet. Jede Überprüfung beinhaltet eine bundesweite Abfrage und Speicherung im nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden (NADIS). Überprüfungen dieser Art werden zu großen Teilen automatisiert durchgeführt. Im Jahr 2022 wurden mehr als 78.500 Mitwirkungsanfragen beim Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz gestellt. Tatsächliche Sicherheitsbedenken wurde bei unter einem Prozent der eingegangenen Anfragen festgestellt und den anfragenden Behörden mitgeteilt. 217 Mitwirkungsbereiche Dem zivilen Luftverkehr gilt die besondere Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden, um Gefährdungen gar nicht erst entstehen zu lassen und Anschläge sowie die damit verbundenen Folgen zu verhindern. Überprüft werden Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit Zugang zu Einrichtungen und Abläufen des Luftverkehrs haben. International und national wird den Schutzmaßnahmen gegen sogenannte Innentäter eine hohe Bedeutung beigemessen. Eine zentrale Rolle kommt dem Luftsicherheitsgesetz zu, das eine Zuverlässigkeitsüberprüfung aller Personen vorsieht, die Einfluss auf die Sicherheit des Luftverkehrs haben können. Die dafür zuständige Luftsicherheitsbehörde in Rheinland-Pfalz ist der Landesbetrieb Mobilität. Dieser veranlasst eine Überprüfung der personenbezogenen Daten beim Verfassungsschutz. Um die Entwendung oder Freisetzung von radioaktiven Stoffen zu Anschlagszwecken durch Beschäftigte zu verhindern, überprüft der Verfassungsschutz außerdem Personen, die bei der Einrichtung, dem Betrieb, im Umgang und der Beförderung von radioaktivem Material eingesetzt werden. Nicht zuletzt der vorübergehende Weiterbetrieb der letzten drei deutschen Atomkraftwerke als staatliche Maßnahme zur Sicherung der Stromversorgung dürfte dazu geführt haben, dass das Anfrageaufkommen im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen ist. Die Überprüfung leitet die für Strahlenschutz zuständige Genehmigungsund Aufsichtsbehörde auf der Grundlage des Atomgesetzes ein. Eine Überprüfung des Verfassungsschutzes nach dem Sprengstoffgesetz findet statt, wenn Personen gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder diese transportieren. Zuständige Behörden für die Einleitung der Überprüfung sind in Rheinland-Pfalz die Aufsichtsund Dienstleistungsdirektion (ADD) und das Landesamt für Geologie und Bergbau. Im Bewachungsgewerbe wurden die Regularien deutlich verschärft. Extremisten sollen nicht als Bewacher oder Inhaber von Sicherheitsdiensten tätig sein. Die Gewerbeordnung verlangt deshalb die Überprüfung dieser Personen durch den Verfassungsschutz, bevor sie die Tätigkeit aufnehmen. Die Gewerbeämter leiten die Überprüfung ein. 218 Nicht zuletzt infolge des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübke im Juni 2019 wurde das Waffengesetz verschärft. Seit 2020 müssen die Waffenbehörden beim Verfassungsschutz zu Personen anfragen, die eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen oder verlängern wollen. So trägt der Verfassungsschutz dazu bei, dass Extremisten nicht legal in den Besitz von Waffenerlaubnissen kommen oder eine bereits erteilte Waffenerlaubnis wieder abgeben müssen. Ein weiterer Mitwirkungsbereich des Verfassungsschutzes sind Einbürgerungsund Aufenthaltsentscheidungen. Zuständige Stellen sind dabei die Stadtund Kreisverwaltungen. Der Verfassungsschutz wird beteiligt, weil das Staatsangehörigkeitsgesetz unter anderem das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung als eine von mehreren Voraussetzungen für eine Einbürgerung vorsieht. Im Hinblick auf Aufenthaltstitel, wie Aufenthaltsund Niederlassungserlaubnisse, enthält das Aufenthaltsgesetz vergleichbare Regelungen, aus denen sich Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ergeben. Hier geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Ausweisungsinteresse besonders schwer wiegt, wenn die betreffende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Für die Ausübung sicherheitsempfindlicher Tätigkeiten unter anderem bei lebenswichtigen Einrichtungen ist die vorherige Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen erforderlich. Auf Grundlage des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes (LSÜG) wirkt der Verfassungsschutz durch Ermittlungen und Befragungen bei den Überprüfungen mit. 219 220 D. Anhang 221 1. Übersichten Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die nachfolgend genannten Zahlen der Strafund Gewalttaten wurden nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen polizeilichen Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) erfasst, wonach die die Tat auslösende politische Motivation im Vordergrund steht. Es umfasst damit sowohl Taten mit erkennbar extremistischem Hintergrund wie auch politisch motivierte Delikte, bei denen nicht von einem extremistischen Hintergrund gesprochen werden kann. Die Gesamtzahl der polizeilich registrierten PMK-Straftaten sank 2022 von 1.779 (2021) um 107 Fälle (ca. minus 6 Prozent) auf 1.672. Der in der Gesamtzahl enthaltene Anteil an Straftaten, die keinem Bereich zuzuordnen sind, sank 2022 um etwa 24 Prozent auf 653 Delikte (2021: 855). Die Zahl der PMK-Gewaltdelikte stieg hingegen um 48 Prozent von 75 (2021) auf 113 im Jahr 2022. Davon können 27 Gewaltdelikte keinem Phänomenbereich zugeordnet werden (2021: 28). 1.1 Politisch motivierte Kriminalität -rechtsIm Bereich PMK -rechtsblieb die Zahl der registrierten Straftaten 2022 mit 740 Delikten gegenüber 754 in 2021 auf vergleichsweise hohem Niveau. Von den 740 registrierten Straftaten waren 387 (52 Prozent) sogenannte Propagandadelikte nach SSSS 86 und 86a Strafgesetzbuch (StGB), die die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellen (2021: 402, ca. 53 Prozent). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) stieg 2022 um rund 32 Prozent auf 49 Delikte, darunter 48 Körperverletzungen (2021: 37, darunter 34 Körperverletzungen). 1.2 Politisch motivierte Kriminalität -linksIm Bereich der PMK -linkssank die Zahl der registrierten Straftaten 2022 um etwa 44 Prozent von 140 im Jahr 2021 auf 79. Die Zahl der in den Straftaten ent222 haltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) stieg 2022 auf acht Delikte (2021: vier). 1.3 Politisch motivierte Kriminalität -ausländische IdeologieIm Bereich der politisch motivierten Kriminalität -ausländische Ideologiestieg die Zahl der Straftaten 2022 auf 193 Delikte (2021: 16). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) stieg 2022 auf 28 Delikte (2021: zwei). 1.4 Politisch motivierte Kriminalität -religiöse IdeologieIm Bereich der politisch motivierten Kriminalität -religiöse Ideologiesank die Zahl der Straftaten 2022 auf sieben Delikte (2021: 14). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) sank 2022 auf ein Delikt (2021: vier). 1.5 Politisch motivierte Kriminalität -antisemitische StraftatenDie antisemitischen Straftaten sanken von 61 Delikten im Jahr 2021 auf 46 Delikte. Die weitaus überwiegenden Delikte 2022 sind dem Phänomenbereich PMK -rechtszuzuordnen (40 Straftaten). Fünf antisemitische Straftaten können dem Bereich PMK -ausländische Ideologiezugerechnet werden, eine Straftat ist keinem Phänomenbereich zuzuordnen. 1.6 Politisch motivierte Kriminalität -Straftaten gegen Amtsund Mandatsträgerinnen und -trägerDie Zahl der Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger in Rheinland-Pfalz sank im Jahr 2022 auf 54 Delikte (2021: 71). Die Mehrzahl der Taten (43) kann keinem Phänomenbereich zugeordnet werden (2021: 56); eine Tat kann dem Phänomenbereich Rechts, sechs Taten dem Phänomenbereich Links und vier Straftaten dem Bereich ausländische Ideologie zugerechnet werden. In einem der 54 Fälle handelt es sich um eine Gewalttat, in 15 Fällen um den Tatbestand Bedrohung / Nötigung. 223 2. Register Das Register enthält die Bezeichnungen der im rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzbericht 2022 genannten Gruppierungen, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolgen oder verfolgt haben und aufgrund dessen als extremistisch bezeichnet werden können. Gruppierungen Seite A "al-Qaida" 61 ff., 155 f., 159 f., 161., 171. "Antifa Koblenz" 134 f., 138 "Antifa Trier" "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) 182 ff., 191 B "Bismarcks Erben" 111 ff., 119 C "Combat 18" (C 18) 71 f. D "Der III. Weg" (auch: "Der 3. Weg" / "Der dritte Weg") 41 f., 52, 73 ff., 100 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 44, 141 f., 145, 149 "die plattform" 140 f., 151 "DIE RECHTE" 69, 78 f., 101 F "FLAK" 95 "Freie Pfälzer" 130 "Freistaat Preußen" 115 G "Generation Islam" (GI) 158 224 Gruppierungen Seite H HAMAS ("Islamische Befreiungsbewegung") 169, 173 f "Hammerskins" 92 f., "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 169, 175 f., "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 158, 169, 177 f. I "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 53, 85 ff., 104 "Interventionistische Linke" (IL) 139, 147 "Islamischer Staat" (IS) 47, 61 ff., 156, 160 ff., 172 J "Junge Alternative" (JA) 70 f., 81 ff., 103 K "Kalifatsstaat" 156, 170, 179 "Kameradschaft Nationaler Widerstand Zweibrücken" 69, 90 f., 105 "Kameradschaft Rheinhessen" 69, 90 f., 105 M "Marxistisch Lenininistische Partei Deutschlands" (MLPD) 148 "Muslimbruderschaft" 169, 180 N "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 42, 69, 72 f., 99, "Neue Stärke Partei" (NSP) 53, 69, 79 f., 102, 137 R "Revolte Rheinland" 70, 88 f., 136 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 193 "Rote Hilfe e.V." 150 S "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 141 f., 145 "Staatenbund Deutsches Reich" 115 225 Gruppierungen Seite S "S.H.A.E.F." 113, 117 T "Taleban" 62, 160 U "Ülkücü"-Bewegung ("Graue Wölfe") 189 f., 192 V "Vaterländischer Hilfsdienst" 111 ff., 119 "Vereinte Patrioten" 54 ff., 129 "Verfassungsgebende Versammlung" (VV) 111, 118 "Volksstaat Bayern" 116 226 227 Impressum Herausgeber: Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3 - 5 55116 Mainz Satz und Druck: Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz Der Verfassungsschutzbericht 2022 ist auch im Internet abrufbar unter: www.verfassungsschutz.rlp.de ISSN 0948-8723 228 MINISTERIUM DES INNERN UND FÜR SPORT Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Telefon: 06131/16-3773 www.verfassungsschutz.rlp.de Besuchen Sie auch den Internetauftritt des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz! 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