MINISTERIUM DES INNERN Titelbild: Harnbacher Schloss, Neustadt an der Weinstrasse Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport 55116 Mainz, Schillerplatz 3-5 55022 Mainz, Postfach 3280 Internet: www.verfassungsschutz.rlp.de Verfassungsschutzbericht 2010 1 2 Vorwort Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Auch eine Verfassung ist allein noch kein Garant für deren Bestand. Freiheit und Demokratie müssen gelebt werden. Nur wenn die Zivilgesellschaft mehrheitlich hinter diesen Werten steht und dies auch auf vielfältige Weise dokumentiert, ist der demokratische Verfassungsstaat auf Dauer gegen seine erklärten Feinde gewappnet und standfest. Jede Bürgerin und jeder Bürger ist somit auch eine Verfassungsschützerin und ein Verfassungsschützer. Unsere Bürgerinnen und Bürger werden in ihrem Engagement gegen den Extremismus nicht allein gelassen. Der Nachrichtendienst Verfassungsschutz ist seit nunmehr über sechzig Jahren das Frühwarnsystem der Demokratie. Er leistet einen wichtigen Dienst nicht nur für die politisch Verantwortlichen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Dies geschieht, indem er über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen in unserem Land umfassend informiert. So können Gefahren frühzeitig erkannt und abgewendet werden. Die aktuelle Sicherheitslage zeigt, wie vielfältig und komplex diese Gefahren heute sind. Der Islamismus stellt für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine ernstzunehmende Herausforderung dar. Das Jahr 2010 war insbesondere durch eine Verdichtung von Hinweisen über Terrorplanungen und mögliche bevorstehende Anschläge geprägt. Die Gefährdungshinweise bezogen sich zumeist auf Personen, die nach einer Ausbildung in einem paramilitärischen Lager im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und ihrem Anschluss an eine Terrororganisation ihre Rückkehr nach Deutschland vorbereiteten. Die Sicherheitsbehörden setzen vor diesem Hintergrund die verdeckten Aufklärungsmaßnahmen verstärkt fort. 3 Die Entwicklungen und Aktivitäten im Bereich des Islamismus müssen in Anbetracht der vom Islamismus ausgehenden Gefahren vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz im Blick behalten werden. Gleichzeitig sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Islamismus weit davon entfernt ist, eine Mehrheitsströmung unter den Muslimen innerhalb und außerhalb Deutschlands zu sein oder zu werden. Der Rechtsextremismus gefährdet den inneren Frieden und das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. In einer freiheitlichen und toleranten Gesellschaft hat eine Ideologie der Unfreiheit und der Intoleranz keinen Platz. Daher hat die konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz weiterhin Priorität. Die rechtsextremistische Szene ist im Umbruch. Das insgesamt zurückgehende Personenpotenzial darf nicht zu der Annahme führen, der Rechtsextremismus sei auf dem Rückzug. Sorgen bereiten die steigende Zahl von Neonazis und die wachsende Attraktivität, die das Neonazilager offensichtlich auf Jugendliche ausübt. Zudem üben Neonazis einen immer stärkeren Einfluss auf die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) aus, die nach der Auflösung der "Deutschen Volksunion" (DVU) ihre Position als Sammelbecken im rechtsextremistischen Spektrum zu festigen sucht. Eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft sind auch die fortgesetzten Versuche von Rechtsextremisten, sich regional stärker zu verankern. Sie legen dabei ihr wahres Gedankengut nicht sogleich offen, sondern versuchen, die Menschen hinters Licht zu führen. Die Landesregierung hat vor diesem Hintergrund die Präventionsarbeit verstärkt. Der Linksextremismus bleibt im Fokus des Verfassungsschutzes; der Staat ist weder auf dem rechten, noch auf dem linken Auge blind. Im Übrigen gibt es keinen "guten" oder "schlechten" Extremismus. Jede Form des Extremismus ist eine Kampfansage an die freiheitliche Demokratie und somit an die Gesellschaft insgesamt. Linksextremisten haben auch im Jahr 2010 vor allem durch gewalttätigen Aktionismus für Schlagzeilen gesorgt. Rheinland-Pfalz ist allerdings von Auswüchsen, die in Metropolen zu beobachten sind, verschont geblieben. Gleichwohl blieb das Gewaltpotenzial im Land konstant. Die Protagonisten suchen die Auseinandersetzung mit der Polizei und dem politischen Gegner insbesondere bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten. Es ist den Sicherheitsbehörden zu verdanken, dass ihr Treiben weitestgehend unterbunden werden konnte. Wachsamkeit bleibt jedoch geboten. 4 Letzteres gilt auch für extremistische Bestrebungen von Ausländerinnen und Ausländern auf deutschem Boden. Organisationen wie die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mögen nach außen derzeit weniger in Erscheinung treten, sie bleiben aber solange gefährlich, wie die vielfältigen Konfliktherde in den jeweiligen Heimatländern schwelen. Auch im Jahr 2010 war die Bundesrepublik Deutschland Ausspähungsversuchen fremder Nachrichtendienste ausgesetzt. Neben der dominierenden, die Volkswirtschaft schädigenden Spionage im Bereich Wirtschaft, gehört die Ausforschung politischer und militärischer Ziele zu den "klassischen" Aufklärungsbereichen der Nachrichtendienste. Spionage wird immer intensiver über das Internet betrieben. Jede zweite Spionageattacke gegen deutsche Behörden-Computer kam 2010 aus China. Neben bundesdeutschen Regierungsstellen war auch eine große Zahl deutscher Firmen betroffen. Bereits im September hatte sich ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Ein weiterer Anstieg ist zu erwarten. Die vom Verfassungsschutz im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der rheinland-pfälzischen Wirtschaft vor ungesetzlichen Ausspähungen haben sich bewährt und werden fortgeführt. Die Versuche einzelner Krisenländer, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und deren Trägertechnologie zu gelangen, dauern an. Staaten wie der Iran sehen darin ein Druckmittel, um eigene politische Forderungen gegenüber Nachbarstaaten oder der internationalen Staatengemeinschaft durchsetzen zu können. Die iranischen Beschaffungsversuche in Deutschland und Europa zeigen, dass die Proliferation weiterhin intensiv beobachtet und bereits im Ansatz konsequent unterbunden werden muss. Der Verfassungsschutzbericht 2010 widmet sich ausführlich diesen Themen und informiert umfassend über die Erkenntnislage in unserem Bundesland. Ich hoffe, er findet Ihr Interesse. Karl Peter Bruch Minister des Innern und für Sport 5 6 INHALTSVERZEICHNIS Seite A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz I. Verfassungsschutz in der wehrhaften Demokratie 11 II. Verfassungsschutzbericht 2010 12 III. Strukturdaten 13 IV. Öffentlichkeitsarbeit - Prävention durch 13 Information V. Programme zur Bekämpfung des 14 Rechtsextremismus Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus 16 B. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Überblick I. Rechtsextremismus 18 Überblick 2010 1. Personenpotenzial 20 2. Lagebild Strafund Gewalttaten 20 3. Rechtsextremistisches Spektrum 21 3.1 Gewaltbereite Rechtsextremisten 21 3.2 Subkulturelle Rechtsextremisten 22 3.3 Neonationalsozialisten 23 3.3.1 "Hilfsorganisation für nationale politische 25 Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) 3.3.2 "Kameradschaften" 26 3.3.3 "Autonome Nationalisten" (AN) 28 3.3.4 "Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten - 29 Landesverband Pfalz" 3.4 Rechtsextremistische Parteien 29 3.4.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" 29 (NPD) /"NPD - Die Volksunion" "Junge Nationaldemokraten" (JN) 38 7 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 39 3.4.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) 40 3.5 Rechtsextremistische Musik 41 3.6 Sonstige Veranstaltungen von Rechtsextremisten 43 in Rheinland-Pfalz II. Linksextremismus 45 Überblick 2010 1. Linksextremistisches Personenpotenzial 46 2. Linksextremistische Gewalt 46 3. Gewalttätiger Linksextremismus 46 3.1 Autonome 47 3.2 Aktionsfelder militanter Linksextremisten 48 4. Marxisten-Leninisten und andere 51 revolutionäre Marxisten 4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 51 4.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 52 III. Islamismus 54 Überblick 2010 1. Islamistisches Personenpotenzial 54 2. Ideologie 55 3. Ereignisse und Entwicklungen des Jahres 2010 57 3.1 International 57 3.2 Bundesrepublik Deutschland 61 3.2.1 Gefährdung durch den internationalen 61 jihadistischen Terrorismus 3.2.2 Urteilsverkündung im Sauerlandprozess 63 3.2.3 IHH-Verbot 63 4. Islamistische Bestrebungen und Gruppierungen 64 in Rheinland-Pfalz 4.1 Salafistische Islamisten 65 4.2 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 68 4.3 "Kalifatsstaat" 74 8 4.4 "Muslimbruderschaft" (offiziell: "Gemeinschaft 76 der Muslimbrüder") 4.5 "Hizb Allah" (auch: "Hizbullah", "Hizbollah"; 78 "Partei Gottes") 4.6 "Tablighi Jamaat" ("Gemeinschaft der Verkündung") 79 4.7 Jihadistische Islamisten 81 IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische 82 Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Überblick 2010 1. Personenpotenzial 83 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" 83 (Partiya Karkeren Kurdistan, kurz: PKK) 3. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 89 4. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten91 Leninisten" (TKP/ML) 5. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) 92 V. Elektronische Medien 95 1. Rechtsextremisten 95 2. Linksextremisten 96 3. Islamismus 96 VI. Spionageabwehr 98 1. Auftrag und allgemeine Lage 98 2. Aktivitäten der Spionageabwehr 100 2.1 Spionage 100 2.2 Proliferation 103 2.3 Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz 106 VII. Geheimschutz/Sabotageschutz 110 1. Geheimschutz 110 2. Sabotageschutz 111 9 C. Anhang Rechtliche Grundlagen 112 Grundgesetz (Auszug) 112 Landesverfassungsschutzgesetz 115 10 A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz I. Verfassungsschutz in der wehrhaften Demokratie Der Verfassungsschutz ist ein Element der wehrhaften Demokratie und dient dem Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die föderale Verfassungsschutzstruktur in Deutschland umfasst das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und 16 eigenständige Landesbehörden. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz ist als Abteilung 6 im Ministerium des Innern und für Sport eingerichtet. Der Verfassungsschutz beschafft auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (vgl. Teil C. Anhang) Informationen über Bestrebungen, die auf eine Beeinträchtigung oder gar Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zielen und wertet diese aus. Darüber hinaus ist er für die Abwehr von Spionage zuständig und wirkt bei Sicherheitsund Einbürgerungsüberprüfungen mit. Die Analysen und Lagebilder des Verfassungsschutzes sind ein wichtiger Beitrag für die politische Auseinandersetzung mit Extremisten und Grundlage für exekutive Maßnahmen, etwa Vereinigungsverbote oder strafprozessuale Ermittlungsverfahren. Seine Erkenntnisse gewinnt der Verfassungsschutz vornehmlich aus öffentlich zugänglichen Quellen. Er setzt zudem unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nachrichtendienstliche Mittel zur geheimen Informationsbeschaffung ein (z.B. Einsatz von Vertrauensleuten). Bei der Aufgabenerfüllung sind ihm polizeiliche oder strafprozessuale Zwangsmittel untersagt; er darf weder Personen kontrollieren oder festnehmen, noch Wohnungen durchsuchen oder Sachen beschlagnahmen. Der Verfassungsschutz darf auch nicht die Polizei um entsprechende Amtshilfe bitten. 11 Die Tätigkeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes unterliegt einer umfassenden Kontrolle. Die vom Landtag eingerichtete Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) wird fortlaufend und umfassend über die Arbeit des Verfassungsschutzes unterrichtet. Darüber hinaus gibt die Landesregierung der PKK auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien und gestattet die Anhörung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Rechte stehen auch dem Landesbeauftragten für den Datenschutz zu. Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 Grundgesetz sind von der durch die vom Landtag eingesetzte unabhängige G10-Kommission im Einzelfall zu genehmigen. II. Verfassungsschutzbericht 2010 Der Verfassungsschutzbericht des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport dient der Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit über bedeutende verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen, von denen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Der Bericht enthält keine abschließende Aufzählung, Darstellung und Bewertung verfassungsfeindlicher Personenzusammenschlüsse. Bei den genannten Parteien, Organisationen und Gruppierungen liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz vor. Es wird nur zu Organisationen berichtet, die nachweislich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass eine Bewertung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht als extremistisch nicht aussagt, dass alle ihre Mitglieder extremistische Bestrebungen entwickeln. Die Zahlenangaben sind teilweise geschätzt und datieren mit Stand 31. Dezember 2010. Dem Verfassungsschutz liegen auch nicht zu allen Extremisten personenbezogene Daten vor. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass der Verfassungsschutz einen Strukturbeobachtungsauftrag hat, zu dessen 12 Erfüllung umfassende personenbezogene Erkenntnisse nicht erforderlich sind. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Strafund Gewalttatenzahlen wurden nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen polizeilichen Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) erfasst, welches die Tat auslösende politische Motivation in den Vordergrund stellt. Es umfasst damit sowohl Taten mit erkennbar extremistischem Hintergrund wie auch politisch motivierte Delikte, bei denen (noch) nicht von einem extremistischen Hintergrund gesprochen werden kann. III. Strukturdaten Im Jahr 2010 gehörten dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz 159 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Das Budget für Verwaltungsausgaben ohne Personalkosten im Haushaltsjahr 2010 betrug 1.367.640 Euro und 857.000 Euro für Investitionen.1 IV. Öffentlichkeitsarbeit - Prävention durch Information Demokratie, Rechtsstaat und die Achtung vor den Menschenrechten können nicht ohne politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. Die Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit haben daher für den Verfassungsschutz seit Jahren einen sehr hohen Stellenwert. Deshalb wurden auch auf Anfrage Vortragsund Diskussionsveranstaltungen zu Aufgaben und Befugnissen des Verfassungsschutzes sowie zu allen Fragen des politischen Extremismus, z.B. Rechtsextremismus und Islamismus, durchgeführt. Das Angebot richtet sich an interessierte gesellschaftliche Gruppen, Vereine und insbesondere Schulklassen. 1 In dem Betrag Investitionen sind nicht verausgabte Mittel aus 2009 in Höhe von 180.000 Euro enthalten. 13 Kontaktaufnahme bitte unter: Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Pressereferat: Tel.: 06131/16-3220 oder Abteilung Verfassungsschutz : Tel.: 06131/16-3772 und -3773 Fax: 06131/16-3688 E-Mail: verfassungsschutz@ism.rlp.de Homepage: www.verfassungsschutz.rlp.de Darüber hinaus informiert der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz durch themenbezogene Publikationen. Informationsbroschüren können über die Internetadresse http://www.verfassungsschutz.rlp.de abgerufen werden. V. Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus In Rheinland-Pfalz steht die konsequente und nachhaltige Bekämpfung des Rechtsextremismus auf folgenden Säulen: # Konsequente Repression (Null Toleranz gegenüber der Intoleranz!), # umfassende Prävention, # Hilfe für Menschen, die den Ausstieg suchen. Repression - keine Foren für Rechtsextremisten Das Leitbild "Null Toleranz!" richtet sich direkt gegen die rechtsextremistische Ideologie und ihre Vertreter. Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene wie Konzertveranstaltungen, Aufmärsche, die Verbreitung von Propagandamaterial etc. werden konsequent im Vorfeld aufgeklärt und im 14 Rahmen des Rechts bekämpft. Dadurch werden der Bewegungsspielraum der Rechtsextremisten und ihre Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, soweit wie möglich eingeschränkt. Prävention - Verbesserung von Lebenssituationen, Stärkung von Demokratiebewusstsein und Zivilcourage, umfassende Aufklärung Repression allein trocknet den Nährboden für Rechtsextremismus nicht aus. Daher legt Rheinland-Pfalz großen Wert auf eine umfassende Prävention. Diese setzt schon bei der Verbesserung von Lebenssituationen, so beispielsweise durch Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut an, denn Menschen in prekärer Lage gehören zu den bevorzugten Zielgruppen rechtsextremistischer Agitation. Darüber hinaus werden Jugendliche mit den Werten unserer freiheitlichen Staatsund Verfassungsordnung vertraut gemacht, ihr Demokratiebewusstsein und ihre Zivilcourage gestärkt, damit sie die Gefahren dieser menschenverachtenden Ideologie erkennen und ihnen begegnen können. Die Präventionsmaßnahmen werden durch eine intensive Aufklärungsarbeit über rechtsextremistische Umtriebe abgerundet. Allein der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat im Jahr 2010 etwa 40 Informationsveranstaltungen mit ca. 2.500 überwiegend jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Hilfen für Aussteiger - Aussteigerprogramm "(R)AUSwege aus dem Extremismus", Programm "Rückwege" Für alle, die in den Rechtsextremismus abzugleiten drohen oder die schon verstrickt sind, gilt: Niemand wird aufgegeben! Deshalb hat die Landesregierung das Aussteigerprogramm "(R)AUSwege aus dem Extremismus" beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung eingerichtet. Es wendet sich mit einer kostenlosen Telefonhotline (0800 4546 000) und über ein 15 Internetportal (www.komplex-rlp.de) besonders an junge Mitläufer und Sympathisanten der rechtsextremistischen Szene und bietet ihnen Hilfe an, den Weg aus dem menschenfeindlichen Milieu zu finden. Seit Ende 2010 gibt es daneben das neue Programm "Rückwege", das unter der gleichen HotlineNummer erreichbar ist. "Rückwege" setzt dort an, wo Jugendliche und junge Menschen an der Schwelle zum Einstieg in ein rechtsextremes Umfeld stehen. Ihnen werden die Konsequenzen ihres Handelns und mögliche Alternativen aufgezeigt, bevor sich extremistische Haltungen verfestigen können. Die Angebote können auch besorgte oder betroffene Eltern wahrnehmen, für die eigens eine Elterninitiative im Rahmen des Aussteigerprogramms geschaffen worden ist. "(R)AUSwege" steht für den Mut zu einem Neubeginn und ein Leben ohne Hass und Gewalt. Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus Die vom Ministerrat mit Beschluss vom 10. Juni 2008 beim rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz eingerichtete Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus dokumentiert und koordiniert Projekte der Landesund Kommunalverwaltung gegen Rechtsextremismus und baut ein landesweites Präventionsnetzwerk auf. Gezielt wird auf rechtsextremistische Umtriebe hingewiesen, damit entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Die Aufmerksamkeit gilt auch Regionen, in denen bislang "nur" von einer latenten oder abstrakten Gefährdung gesprochen werden kann. Unter dem Motto "Wehret den Anfängen!" werden insbesondere junge Menschen über die Gefahren, die vom Gedankengut der braunen Verführer ausgehen, aufgeklärt. Die Präventions16 agentur hat im Jahr 2010 vor allem die Beratung von Kommunen und die Präventionsarbeit für Jugendliche intensiviert. Die Präventionsagentur steht Mandatsund Amtsträgern, Bediensteten und Gremien der Landesund Kommunalverwaltung als Ansprechpartner zur Verfügung. Dabei hilft die personelle und fachliche Nähe zum rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz, da die Präventionsagentur über aktuelle Lageinformationen verfügt. So werden Kreise, Städte und Gemeinden beispielsweise kompetent beraten, wenn Rechtsextremisten Immobilien anscheinend anmieten oder erwerben wollen. Die "Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus" hat bislang u.a. folgende Publikationen herausgegeben: # Agitation und Propaganda im Rechtsextremismus # Rechtsextremismus - Symbole und Kennzeichen # Gemeinsam stark gegen Rechtsextremismus # Kommunen gegen Rechtsextremismus # Frauen im Rechtsextremismus # Erscheinungsformen # Extremistische Gewalt # Rechtsextremismus und Jugend # Musik im Rechtsextremismus # Intellektueller Rechtsextremismus # Weltanschauung und Ideologie im Rechtsextremismus # Erscheinungsbild junger Rechtsextremisten # "Autonome Nationalisten" (AN) 17 B. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Überblick I. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist ein Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes und wichtiges Themenfeld seiner Präventionsarbeit. Die Gründe liegen auf der Hand: Rechtsextremisten vertreten eine Weltanschauung, die im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien unseres demokratischen Verfassungsstaates steht. Ihr Denken und Handeln ist rassistisch, antisemitisch und demokratiefeindlich. Der Wandlungsprozess im rechtsextremistischen Spektrum hielt 2010 an. Dies zeigen insbesondere Veränderungen im rechtsextremistischen Parteienlager. Der seit Jahren andauernde Niedergang der "Deutschen Volksunion" (DVU) mündete Ende 2010 in ihrer faktischen Selbstauflösung und in einem Fusionsprozess mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). Die Mitgliederzahl rechtsextremistischer Parteien sank weiter. Gleichzeitig wuchs aber die Neonaziszene - wie in den vorausgegangenen Jahren - an, so auch in Rheinland-Pfalz. Das von Jugendlichen dominierte gewaltbereite rechtsextremistische Potenzial blieb auf einem hohen Niveau. In Rheinland-Pfalz stieg die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten entsprechend dem Bundestrend. Mit dem Ende der DVU ist die NPD als einzige bundesweit organisierte rechtsextremistische Partei übrig geblieben. Eine nennenswerte Aufwertung oder Stärkung der NPD ist jedoch nicht erkennbar. Die 2010 eingeleitete Fusion der DVU mit der NPD führt zu keinem formellen Zusammenschluss, sondern findet auf der Basis freiwilliger Mitgliederübertritte statt. Die Mitgliederschaft der DVU war zuletzt überaltert und weit überwiegend inaktiv. In Rheinland-Pfalz konnte die NPD von dem Niedergang der DVU erkennbar nicht profitieren. Das Interesse der NPD an einer Verfestigung einzelner regionaler Strukturen (regionale Verankerung) und an öffentlicher Präsenz ist auch in Rheinland-Pfalz 18 ungebrochen. Dies zeigen beispielsweise die Nutzung einer angemieteten Immobilie in einer westpfälzischen Gemeinde und Demonstrationen wie am 1. Mai 2010 in Pirmasens. Die Zahl der öffentlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten stieg gegenüber 2009 an. Anhaltend groß ist der Einfluss von Neonationalsozialisten in der NPD. Mehrere Kreisverbände der rechtsextremistischen Partei in Rheinland-Pfalz werden von Neonazis angeführt. Das Neonazilager übt gerade auf Jugendliche Anziehungskraft aus. Dies zeigt sich weiterhin auch in der subkulturellen rechtsextremistischen Szene, aus der sich Teile des gewaltbereiten/-tätigen Spektrums rekrutieren. Wie bereits im Jahr 2009 verloren rechtsextremistische Skinheads in diesem Milieu an Bedeutung. In Rheinland-Pfalz sind die Strafund Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation 2010 nach einem Anstieg 2009 deutlich gesunken. Insbesondere die Zahl der Körperverletzungsdelikte ging zurück. Rheinland-Pfalz bleibt damit ein Bundesland, das vergleichsweise weniger von rechtsextremistischer Gewalt betroffen ist. Gleichwohl gilt auch hier: Jede Tat ist eine zu viel. Die Nachwuchswerbung von Rechtsextremisten unter Jugendlichen nahm auch 2010 breiten Raum ein. Ein zentrales Medium der rechtsextremistischen Weltanschauung und ein Integrationsmittel ist die Musik. Die Zahl rechtsextremistischer Musikveranstaltungen stieg in Rheinland-Pfalz wieder an. Die Konzertveranstaltungen wurden vor allem von jungen Szeneangehörigen besucht. Auch im Jahr 2010 waren die Wirtschaftsund Sozialpolitik sowie sicherheitspolitische Fragen Agitationsschwerpunkte der Rechtsextremisten. Das Feindbild Islam bzw. Muslime rückte in den Mittelpunkt vieler Verlautbarungen und plakativer Darstellungen. Anhaltend intensiv waren ebenso antisemitische Ausfälle. 19 1. Personenpotenzial Rheinland-Pfalz Bund 2010 2009 2010 2009 Gesamt 750 825 25.000 26.600 Gewaltbereite* 150 125 9.500 9.000 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 50 50 8.3001a Neonazis 210 150 5.600 5.000 Parteien <400 450 9.600 11.300 Sonstige 125 175 2.500 2.500 Angaben gerundet, Gesamtzahlen ohne Mehrfachmitgliedschaften. * Die Zahl der Gewaltbereiten beinhaltet vor allem das subkulturelle Potenzial und einen Teil der Neonazis. 2. Lagebild Strafund Gewalttaten Die Zahl politisch motivierter Straftaten (rechts) ging im Jahr 2010 in Rheinland-Pfalz auf 632 zurück (2009: 819). Von den 632 registrierten Straftaten waren 449 so genannte Propagandadelikte (2009: 596). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (ohne Sachbeschädigungen) belief sich auf 23 (2009: 39). In 22 Fällen handelte es sich dabei um Körperverletzungsdelikte (2009: 36). Zudem wurden in Rheinland-Pfalz im Jahre 2010 zwei jüdische Friedhöfe geschändet (2009: einer). Politisch motivierte Kriminalität - rechts - Gewalttaten: 2010 2009 Gesamt 23 39 Körperverletzungen 22 36 Versuchte Brandstiftung - 1 Andere Gewaltdelikte 1 2 Die Angaben sind der rheinland-pfälzischen Polizeilichen Kriminalstatistik entnommen. 1a Die Bundeszahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten war im Jahr 2009 noch in der entsprechenden Zahl der Gewaltbereiten enthalten und nicht gesondert ausgewiesen. 20 3. Rechtsextremistisches Spektrum Rechtsextremisten bilden keinen einheitlichen, in sich geschlossenen Block; eine "rechte Volksfront" existiert nicht. Vielmehr gibt es unterschiedliche Erscheinungsformen (Hauptrichtungen, Strömungen). Im Wesentlichen wird unterschieden zwischen # subkulturellen Rechtsextremisten, # Neonationalsozialisten (Neonazis), # rechtsextremistischen Parteien, # sonstigen Rechtsextremisten. Innerhalb dieser Strömungen sind verschiedene Organisationsformen (z.B. Parteien, Vereine, "Kameradschaften" etc.) und Organisationsgrade (feste Strukturen oder lose, informelle Zusammenschlüsse) zu beobachten. Unterschiede gibt es auch beim Verhalten der jeweiligen Rechtsextremisten (z.B. aktions-, diskursoder parlamentsorientiert) und in Bezug auf ihre ideologisch-politischen Vorstellungen und Zielsetzungen. Bei der unter 1. Personenpotenzial aufgeführten Gruppe der Gewaltbereiten handelt es sich nicht um eine eigenständige Strömung im rechtsextremistischen Spektrum, sondern um eine "Schnittmenge", die sich vornehmlich aus subkulturellen Rechtsextremisten und Neonazis zusammensetzt. Teile der rechtsextremistischen Szene sind u.a. bedingt durch Doppeloder Mehrfachzugehörigkeiten und persönliche Kontakte eng vernetzt. Bündnisbestrebungen, um die Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers in größerem Stil zu überwinden, waren bislang allerdings erfolglos. Ungeachtet dessen existiert punktuelle Zusammenarbeit. So unterstützen Neonazis seit mehreren Jahren die rechtsextremistische NPD bei öffentlichen Aufmärschen und bei Wahlkämpfen. 3.1 Gewaltbereite Rechtsextremisten Zu den gewaltbereiten Rechtsextremisten werden nicht nur Täter oder Tatverdächtige gezählt, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen 21 Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft gegeben sind. Gewaltbereite Rechtsextremisten rekrutieren sich vor allem aus Angehörigen der subkulturellen Szene und aus Teilen des Neonazi-Spektrums. Auf Bundesebene wurden 2010 etwa 9.500 Personen (2009: ca. 9.000) dem gewaltbereiten rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet. Dabei handelt es sich überwiegend um Personen der subkulturell geprägten Skinheadszene. In RheinlandPfalz werden dem gewalttätigen und gewaltbereiten Personenspektrum ca. 50 Skinheads und etwa 100 Neonazis zugeordnet. Im Jahr 2010 waren in Rheinland-Pfalz keine rechtsterroristischen Strukturen zu erkennen. Dennoch geht von gewaltbereiten Rechtsextremisten aufgrund der Affinität zu Sprengstoffen und Waffen insoweit eine latente Gefahr aus. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist kein spezielles Jugendproblem. Gleichwohl werden viele dieser Taten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen begangen. Die Täter sind meist männlich und weisen einen einfachen oder mittleren Bildungsabschluss vor. Frauen und Mädchen sind in der Szene stark unterrepräsentiert und "lösen" Konflikte nur in Ausnahmefällen mit Gewalt. Gerade unter Alkoholeinfluss neigen junge Rechtsextremisten häufig zu aggressivem Verhalten und verüben spontane Gewalttaten. Rechtsextremistische Gewalt wird selten von Einzeltätern begangen. Das ideologisch unterfütterte Gefühl vermeintlicher Stärke zusammen mit Gleichgesinnten bedingt zumeist Gruppentaten. 3.2 Subkulturelle Rechtsextremisten Die subkulturelle rechtsextremistische Szene wird in Rheinland-Pfalz noch von rechtsextremistischen Skinheads dominiert. Charakteristisch für die lose strukturierten Personenzusammenschlüsse, denen insbesondere junge Männer angehören, ist eine hohe Fluktuation. Entsprechende Gruppierungen sind häufig regional begrenzt. Die ca. 50 in Rheinland-Pfalz festgestellten Skinheads können als neonazistisch bezeichnet werden und sind weitestgehend in "Kameradschaften" organisiert. 22 Innerhalb des subkulturellen Spektrums werden kaum politische oder gesellschaftliche Fragen diskutiert. Nur wenige Akteure besitzen einen ausgeprägten rechtsextremistischen Hintergrund; die "Mitläufer" weisen in der Regel kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild auf. Ihr Denken ist vielmehr von meist vagen rechtsextremistischen Ansätzen geprägt. Generell steht der Erlebnisfaktor innerhalb dieser Verbindungen im Vordergrund, zu dem gemeinsame Feiern oder der Besuch von Demonstrationen und Konzerten beitragen. Gerade junge Menschen wollen in der Gruppe etwas erleben, unter Freunden sein und dort Halt und Aufmerksamkeit finden. Sie sind deshalb in der Phase ihrer Persönlichkeitsfindung besonders gefährdet, durch Rechtsextremisten beeinflusst und instrumentalisiert zu werden. Rechtsextremistische Skinheads haben häufig eine enge Verbindung zur Neonaziszene und sind nicht selten in (gemischten) neonazistischen "Kameradschaften" organisiert. Auch die verfassungsfeindliche NPD zeigt sich gegenüber den rechtsextremistischen Skinheads offener und kompromissbereiter. Sie ist um einen Schulterschluss mit der Szene bemüht, um in der Öffentlichkeit stärker auftreten zu können. Insbesondere bei Demonstrationen oder Konzerten kooperieren Parteimitglieder eng mit Kräften aus Skinheadund Neonaziszene. Das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Skinheads hat sich gewandelt. Traditionelle Erkennungszeichen wie Springerstiefel, Bomberjacke oder Glatze finden bei den meisten Szeneangehörigen immer weniger Zuspruch. Mittlerweile passen sie sich dem Kleidungsstil anderer Jugendlicher an und gehen mit der aktuellen Mode. Sie geben sich unauffällig und verzichten auf ein martialisches Erscheinungsbild, auch damit die gesellschaftliche Brandmarkung und eine eindeutige Identifikation durch den politischen Gegner vermieden werden. 3.3 Neonationalsozialisten Die Neonationalsozialisten (Neonazis) orientieren sich weltanschaulich und pro23 grammatisch eng am historischen Nationalsozialismus. Dies dokumentieren Bezüge zum nationalsozialistischen Gedankengut, die Symbolik und das Auftreten der Neonazis sowie nicht zuletzt ihre einschlägige politische Agitation und Propaganda. Vorbildcharakter für viele Szeneangehörige hat insbesondere die Rassenund Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten. Entsprechend ihrer ideologischen Ausrichtung streben die Neonazis einen autoritären "Führerstaat" mit diktatorischer Machtfülle an. Kern dieses Systems soll ein ethnisch homogenes Staatsvolk ("Volksgemeinschaft") sein. Menschen anderer Ethnien würden entrechtet und ausgegrenzt. Auch der einzelne Angehörige des so definierten Staatsvolkes würde seiner Freiheitsrechte beraubt, da er sich dem mutmaßlichen Willen der "Volksgemeinschaft" bedingungslos unterordnen müsste. Die Neonaziszene ist nicht homogen; es gibt ideologische und strukturelle Unterschiede. Nicht alle Neonazis interpretieren beispielsweise den historischen Nationalsozialismus in gleicher Weise oder sind erklärte Hitler-Anhänger. So existieren auch Befürworter "linksnationalistischer" Ideen (völkischnationalistisch unter stärkerer sozialistischer Wirtschaftsausrichtung als unter der Führung Hitlers im "Dritten Reich"). Für andere Neonazis wiederum hat die Ideologie der Nationalsozialisten ihre Verbindlichkeit verloren. Sie bedienen sich relevanter weltanschaulicher Fragmente, ohne daraus einen zielgerichteten politischen Willen zu entwickeln. Bei solchen neonazistischen Zusammenschlüssen stehen das Gemeinschaftserlebnis und der gemeinsame Aktionismus im Vordergrund. Viele Aktivitäten der Neonazis, wie interne Treffen, Musikveranstaltungen etc., bleiben der Öffentlichkeit verborgen. Demonstrationen, darunter Aufmärsche mit Gesinnungsgenossen aus dem Inund Ausland unter Bezugnahme auf historische Themen, wie "Gedenkveranstaltungen" zum Tode des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß um den 17. August, haben an Bedeutung verloren. Während sich in der Vergangenheit bis zu 4.000 Neonazis an den jährlichen "Heß-Gedenkveranstaltungen" beteiligten, waren es 2010 bundesweit noch ca. 200 (2009: etwa 650). In Rheinland-Pfalz kam es zu 24 Propagandahandlungen, wie dem Anbringen von Plakaten. In der politischen Auseinandersetzung vermeiden die meisten Neonazis zwar die offene militante Konfrontation. Kennzeichnend für die Szene bleibt aber eine latente Gewaltbereitschaft; Teile des Neonazispektrums werden daher dem rechtsextremistischen Gewaltpotenzial zugerechnet. Nicht zuletzt wegen dieses Umstandes und den einschlägigen ideologischen Positionen wurden allein zwischen 1992 und Ende 2009 bundesweit insgesamt 23 Neonazigruppen und drei neonazistische Skinhead-Vereinigungen verboten. Als Reaktion auf die Verbotsmaßnahmen organisieren sich Neonazis heute vor allem in sogenannten Kameradschaften (vgl. 3.3.2). Neonazis aus solchen Gruppierungen und organisationsunabhängige Gesinnungsgenossen titulieren sich u.a. als "Freie Nationalisten" oder "Freie Kräfte". Im Jahr 2010 stieg die Zahl der Neonazis bundesweit auf etwa 5.600 weiter an (2009: ca. 5.000). Auch in Rheinland-Pfalz stieg ihre Zahl und beläuft sich nunmehr auf ca. 210 Personen (2009: ca. 150). Etwa 100 der rheinland-pfälzischen Neonazis sind gewaltbereit bzw. gewalttätig. Neonazis in Rheinland-Pfalz sind zumeist in den genannten Kameradschaften organisiert. 3.3.1 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." ist mit 600 Mitgliedern die größte neonazistische Vereinigung im Bundesgebiet geblieben. Die 1. Vorsitzende Ursula MÜLLER und ihr Ehemann Curt MÜLLER aus Mainz-Gonsenheim gehören seit Anfang der achtziger Jahre zu ihren führenden Aktivisten. Selbstdefinierte Aufgabe der HNG ist die Betreuung von inhaftierten Rechtsextremisten. Durch ideelle und materielle Unterstützung sollen die Gesinnungsgenossen während der Haftzeit weiter ideologisch und sozial an die rechtsextremistische Szene gebunden werden. In der monatlich erscheinenden Publikation "Nachrichten der HNG" werden daher u.a. Briefe von Inhaftierten abgedruckt und Kontakte zu den Gefangenen vermittelt. Viele HNG-Mitglieder sind auch in anderen rechtsextremistischen Gruppierungen organisiert, 25 so dass die HNG als ein Bindeglied der rechtsextremistischen Szene bezeichnet werden kann. Das Bundesministerium des Innern hat im Juli 2010 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die HNG eingeleitet. Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass Zwecke des Vereins und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Zur Auffindung von Beweismitteln wurden Durchsuchungen im September 2010 bei Mitgliedern und Funktionären der HNG, so auch in Rheinland-Pfalz, durchgeführt. 3.3.2 "Kameradschaften" Neonazistische "Kameradschaften" sind organisationsund parteiunabhängige Gruppierungen mit cliquenhaftem, informellem Charakter. Ihnen gehören in der Regel etwa 15 bis 20 Personen - überwiegend junge Männer - an. Die Szene ist untereinander gut vernetzt, so dass bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen (Demonstrationen, Mahnwachen etc.) weitaus mehr Personen mobilisiert werden können. Dies darf jedoch nicht über das wirkliche Potenzial der Szene täuschen. So präsentieren sich einige "Kameradschaften" im Internet in einer Art und Weise, welche in keinem Verhältnis zu ihrer Bedeutung oder der Mitgliederzahl steht. Teilweise handelt es sich lediglich um Phantomgebilde. Die politische Arbeit in den neonazistischen "Kameradschaften" ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Interne Veranstaltungen, so genannte Kameradschaftsabende, dienen vereinzelt auch der politischen Schulung. Sie haben oft eher geselligen Charakter, um das Gruppengefühl und den Zusammenhalt zu festigen. In Kameradschaften organisierte Neonazis unterstützen nach wie vor die NPD auf Bundeswie auf Landesebene oder sind Mitglieder bzw. im Führungskader der verfassungsfeindlichen Partei. "Kameradschaft Zweibrücken / Nationaler Widerstand Zweibrücken" Die "Kameradschaft Zweibrücken / Nationaler Widerstand Zweibrücken" wurde vor über acht Jahren gegründet. Ihr gehören etwa 15 bis 20 Personen aus dem Umkreis von Zweibrücken an. Die "Kameradschaft" führt interne Treffen und 26 öffentliche Aktionen durch. Verbindungen bestehen zu Gesinnungsgenossen im Saarland. Am 13. März initiierte die Gruppe einen Aufzug mit Kundgebung in der Innenstadt von Zweibrücken. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Gegen das Vergessen! 14.03.1945 Bombenholocaust über Zweibrücken". An dem Aufzug nahmen ca. 80 Rechtsextremisten teil. Rund 400 Bürgerinnen und Bürger setzten mit einer Gegendemonstration ein Signal gegen die Verfassungsfeinde. Am 29. Mai 2010 organisierte die Zweibrücker "Kameradschaft" eine Demonstration mit ca. 60 Rechtsextremisten unter dem Motto "Für mehr Demokratie und Meinungsfreiheit" in Homburg/Saar. Als sogenanntes Heldengedenken führte die "Kameradschaft" am 13. November 2010 in Zweibrücken einen "Gedenkmarsch" durch, an dem sich etwa 40 Rechtsextremisten beteiligten. "Nationale Sozialisten Mainz-Bingen" (NASO) Die NASO betreiben seit 2006 ein Internetportal für Gesinnungsgenossen in der Region Mainz, Bad Kreuznach, Bingen. In den Beiträgen wird rassistisch und fremdenfeindlich agitiert. Zudem wird über Szeneaktivitäten berichtet. "Initiative Südwest" Die "Initiative Südwest" trat im Jahr 2010 als Veranstalter von rechtsextremistischen Aktionen im Raum Alzey-Worms in Erscheinung. Seit Januar 2010 betreibt die Initiative eine eigene Internetseite und berichtet über rechtsextremistische Veranstaltungen und Organisationen. Am 24. März 2010 beteiligte sich die Gruppierung in Alzey an einer "Mahnwache" unter dem Motto "Stoppt die Islamisierung Deutschlands, kein Islamunterricht an deutschen Schulen", an der insgesamt ca. 30 bis 35 Rechtsextremisten teilnahmen. Am 11. September 2010 wurde, ebenfalls in Alzey, eine Veranstaltung unter der Firmierung "Ausländerkriminalität, staatliche Repression und Polizeiwillkür" mit rund 100 Teilnehmern durchgeführt. Zu einer Gegenveranstaltung konnten 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mobilisiert werden. 27 Aktionsbündnisse der Neonationalsozialisten Sogenannte Aktionsbüros oder Aktionsbündnisse dienen der rechtsextremistischen Szene, um gemeinsame Vorhaben zu initiieren, zu koordinieren und um die Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen. Auch sollen sie der Zersplitterung im rechtsextremistischen Lager entgegenwirken. Als Medium nutzen "Aktionsbüros" hauptsächlich das Internet. Termine werden so verbreitet, Berichte über Veranstaltungen, Bilder, Videosequenzen etc. einem großen Kreis zugänglich gemacht. Zudem wird auf Seiten anderer rechtsextremistischer Gruppierungen verlinkt. Seit 2003 besteht das "Aktionsbüro Rhein-Neckar" im Raum Ludwigshafen am Rhein/Mannheim. Nach eigenen Angaben gehören diesem Zusammenschluss Organisationen aus Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz an. Im nördlichen Rheinland-Pfalz hat sich das "Aktionsbüro Mittelrhein" gebildet, das über Kontakte in das südliche Nordrhein-Westfalen verfügt. 3.3.3 "Autonome Nationalisten" (AN) Seit dem Jahr 2003 existiert mit den "Autonomen Nationalisten" (AN) eine weitere Erscheinungsform im Neonazispektrum. Die AN geben sich betont aktionistisch und für Rechtsextremisten eher unkonventionell. Damit wollen sie gerade auf Jugendliche eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Viele AN-Angehörige sind jünger als zwanzig Jahre. Das Erscheinungsbild und das Auftreten der AN ähnelt dem der linksextremistischen Autonomen. Bei Demonstrationen treten AN in einheitlicher Kleidung auf und bilden sogenannte Schwarze Blöcke. Symbole, Spruchbänder und Parolen sind von denen der linksextremistischen Szene auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Signifikant ist die Gewaltbereitschaft der AN, die sich gegen den politischen Gegner und die staatlichen Ordnungskräfte richtet. Während viele Rechtsextremisten in der Vergangenheit bei Demonstrationen aus taktischem Kalkül offene Gewaltanwendung vermieden, suchten die AN eher die Konfrontation. 28 Ideologisch orientieren sich die AN an nationalrevolutionärem Gedankengut.2 Kennzeichnend ist ihre Kapitalismusund Imperialismuskritik, die sie bei öffentlichen Aufmärschen z.B. am Thema Globalisierung festmacht. Eine strukturierte, regelmäßige politische Arbeit findet allerdings kaum statt. Im Neonazilager und bei anderen rechtsextremistischen Organisationen finden die AN nicht ungeteilte Zustimmung. Ihr militantes Auftreten und ihre vordergründige ideologische Zwiespältigkeit werden auch kritisch betrachtet. Den AN gehören bundesweit etwa 1.000 Personen an. Regionale Schwerpunkte liegen in Nordrhein-Westfalen (Ruhrgebiet) und im Großraum Berlin. In Rheinland-Pfalz sind bislang noch keine Strukturen der AN bekannt geworden. Angehörige der rechtsextremistischen Szene im nördlichen Rheinland-Pfalz pflegen allerdings Kontakte zu AN-Aktivisten in Nordrhein-Westfalen. 3.3.4 "Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten - Landesverband Pfalz" "Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten - Landesverband Pfalz" führte im Jahr 2010 überwiegend interne Treffen, sogenannte Appelle, durch. "Landesführer" ist ein amtsbekannter Rechtsextremist aus Kaiserslautern. 3.4 Rechtsextremistische Parteien 3.4.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) /"NPD - Die Volksunion"3 Gründung: 1964 Sitz: Berlin Teil-/Nebenorganistationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN) "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 2 Nationalrevolutionäre verstehen sich als systemfeindliche Kraft. Ihre Ideologie beruht auf einem völkisch-nationalistischen Weltbild vereint mit kollektivistischen Wirtschaftsvorstellungen. Sie pflegen eine anti-westliche bzw. antiamerikanische Haltung. 3 Umbenennung erfolgte im Zuge der Fusion mit der "Deutschen Volksunion" DVU am 15. Januar 2011 29 Mitglieder Bund: ca. 6.600 (2009: ca. 6.800) Mitglieder Rheinland-Pfalz: unter 300 (2009: unter 300) Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband mit 11 Kreisverbänden Publikationen: "Deutsche Stimme" (DS) monatliche Auflage: 25.000 Exemplare Politische und weltanschauliche Ausrichtung Die politische und weltanschauliche Ausrichtung der NPD ist rassistisch, antisemitisch und demokratiefeindlich. Sie vertritt ihre Ziele in aggressiver Weise. Dabei nutzt die NPD das verfassungsrechtlich geschützte Parteienprivileg. Ihr öffentliches Verhältnis zur Verfassung und zur Demokratie ist allerdings nur taktisch und dient der Verschleierung ihrer wahren Ziele, die freiheitliche Demokratie und die rechtsstaatliche Ordnung zu beseitigen, um diese durch ein autoritäres System zu ersetzen. In einem Internetauftritt des NPD Kreisverbandes Berlin-Pankow aus dem Jahr 2008 wird zum "Selbstverständnis" der Partei ausgeführt: "Wir sind revolutionär, weil wir das ferngesteuerte System der BRD nicht reformieren, sondern überwinden wollen".4 Die Demokratie und ihre Repräsentanten werden so systematisch verächtlich gemacht. In der NPDFlugschrift "Was wir wollen" aus dem Jahr 2009 werden die demokratischen Parteien beispielsweise als "die etablierten Versagerparteien" tituliert. Der angestrebte autoritäre Staat wird von der NPD als "Präsidialdemokratie mit plebiszitären Elementen" verschleiert.5 Gewollt ist jedoch die Abschaffung des Pluralismus und der parlamentarischen Demokratie. Ein vom (deutschen) Volk gewählter Präsident hätte "mehr Machtbefugnisse"6 - wie weit diese gehen sollen, bleibt unerwähnt. Von Wahlen ("Volksabstimmungen") ist die Rede, wenn Entscheidungen über "Lebensfragen der Nation" zu treffen sind.7 Wie sich diese definieren und wer letzthin über das Vorliegen von "Lebensfragen" entscheidet, bleibt offen. 4 Internetauftritt NPD KV Berlin-Pankow, "Selbstverständnis", 24. Januar 2008 5 U.a. "Ergebnisse der Strategietagung des NPD-Landesverbandes Bayern, 23.02.10" auf Internet-Homepage "Altermedia Deutschland" vom 24. Februar 2010 6 "Das Parteiprogramm - Arbeit. Familie. Vaterland." der NPD vom 4./5. Juni 2010, 1. Auflage, September 2010, S. 8 7 Broschüre des NPD-Parteivorstands "Argumente für Kandidaten & Funktionsträger", 2006, 2. Auflage, S. 30, 32 30 Die Individualund Gruppeninteressen, die in einer parlamentarischen Demokratie von den Parteien gebündelt und vertreten werden, sowie die demokratischen Parteien selbst, diffamiert die NPD als "gemeinwohlschädigend".8 An ihre Stelle soll die Vollstreckung eines nicht näher bestimmten "Volkswillens" treten. Das Individuum soll in der "Volksgemeinschaft" aufgehen. Der Einzelne würde somit seiner Freiheitsund Abwehrrechte gegenüber dem Staat beraubt und der Willkür der "Repräsentanten des Volkswillen" ausgeliefert. Das Volk wird von der NPD als "Schicksalsund Abstammungsgemeinschaft" verstanden. In dieser biologistischen Weltanschauung spiegelt sich die rassistische Überzeugung der Rechtsextremisten von einer Höherund Minderwertigkeit der Menschen unterschiedlicher Herkunft wider. Dies bringt die NPD zum Ausdruck, indem "Fremde" in öffentlichen sowie internen Verlautbarungen systematisch herabgewürdigt werden. Ein Beispiel: "Ein Afrikaner, Asiat oder Orientale wird nie Deutscher werden, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind... Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich wie lange sie in Deutschland leben, und mutieren durch die Verleihung bedruckten Papiers nicht zu germanischstämmigen Deutschen".9 Die Integration wird im Parteiprogramm der NPD als "Völkermord" bezeichnet.10 Im Programm der NPD Rheinland-Pfalz zur Landtagswahl 2011 wird polemisiert: "Die Utopie von der 'multikulturellen Gesellschaft' erzeugt eine multikriminelle Realität!".11 Das Gegenmodell der NPD zu einer offenen, toleranten und modernen demokratischen Gesellschaft ist die ethnisch homogene "Volksgemeinschaft". In Schriften etc. wird sie in aller Deutlichkeit propagiert oder indirekt durch 8 "Argumente...", S. 30 und "Das Parteiprogramm...", S. 8 9 "Argumente...", S. 1210 10 "Das Parteiprogramm...", S. 13 11 "NPD Rheinland-Pfalz - Zukunft durch Heimat. Landtagswahlprogramm", 2011, S. 15 31 Aussagen wie "Der Schutz von Volk und Heimat muß wieder zur zentralen Aufgabe der Politik werden" und "Familienpolitik muß nach unserem Verständnis wieder zur Bevölkerungspolitik werden".12 Die "Volksgemeinschaft" soll durch eine konsequente Politik der "Ausländerrückführung" verwirklicht werden.13 Bereits vorher soll eine Separation von Ausländern stattfinden. So fordert die NPD in ihrem neuen Parteiprogramm, dass deutsche und ausländische Kinder im Schulunterricht zu trennen seien.14 Im Ergebnis orientiert sich die NPD mit ihrem Menschenbild und ihrer "Volkstumspolitik" ideologisch am Rassenwahn der Nationalsozialisten. Ebenso wie bei den Nationalsozialisten ist in der NPD der Antisemitismus tief verwurzelt. In einem Interview äußerte ein NPD-Funktionär im Jahr 2007: "Ein Jude (...) kann kein Deutscher im Sinne der Volkszugehörigkeit sein."15 Diese Aussage ähnelt dem Parteiprogramm der NSDAP vom 25. Februar 1920, in dem es unter Ziffer 4. u.a. heißt: "Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein". Um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, werden Vorurteile gegenüber Juden und Verschwörungstheorien in der Programmatik und in anderen Verlautbarungen verschleiert; sie sind aber trotzdem erkennbar. So wird im Parteiprogramm der NPD ausgeführt: "Wir Nationaldemokraten erteilen dem staatlich verordneten Schuldkult, der nicht zuletzt im Dienst fremder Finanzinteressen steht und deutschen Selbsthaß, vor allem bei der Jugend fördert, eine Absage."16 Durch den Begriff "Schuldkult" wird der Massenmord an Millionen Juden relativiert und das Andenken an die Opfer verächtlich gemacht. Das Begriffspaar "fremde Finanzinteressen" ist unter Rechtsextremisten eine gängige Chiffre für angebliche jüdische Geldforderungen. Damit wird in perfider Weise unterstellt, das Gedenken an die nationalsozialistischen Untaten werde von Juden wach gehalten, um Ausgleichszahlungen für das geschehene Unrecht zu erlangen. Die Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft von 1933 bis 1945 wird von NPD-Mitgliedern und ihren Funktionären verklärt, beschönigt und auch als 12 "NPD Rheinland-Pfalz - Zukunft durch Heimat. Landtagswahlprogramm", 2011, S. 8, S. 16 13 "Das Parteiprogramm...", S. 6 u. 12 14 "Das Parteiprogramm...", S. 17 15 Udo PASTÖRS in "Vanity Fair", 7. Februar 2007, S. 170 ff. 16 "Das Parteiprogramm...", S. 14 32 Vorbild für die eigene Sache genommen. Die in der Gesellschaft kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Nationalsozialismus und die Distanzierung vom Naziterror werden als Folge alliierter "Umerziehung" nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg diffamiert, um die Zeit der Gewaltherrschaft zu relativieren. So formuliert ein NPD-Funktionär aus Rheinland-Pfalz in einer Rede: "Seit der alliierten Re-Education (dt. Umerziehung) nach dem Ende des 2. Weltkrieges gehört es zum guten Ton in der BRD, Adolf Hitler und den historischen Nationalsozialismus öffentlich abzulehnen. Wir erkennen: Der Sieger schreibt die Geschichte und die Masse folgt..."17. Im Parteiprogramm der NPD wird die Erinnerung an den Holocaust abwertend als "neurotisierende Erinnerungskultur" bezeichnet.18 Viele Begriffe und Slogans, die in der NPD-Programmatik und im Sprachgebrauch der Partei Ausdruck finden, ähneln denen aus der Nazizeit (z.B. "Sozial geht nur national!"). Letztlich hat das "Dritte Reich" für die NPD Vorbildfunktion. Strategie Um ihre Ziele zu erreichen, verfolgt die NPD eine "Vier-Säulen-Strategie". Das von dem Bundesvorsitzenden Udo VOIGT initiierte Konzept fußt seit 1996 auf den Leitlinien "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Straße" und "Kampf um die Parlamente". Im Jahr 2004 kam der "Kampf um den organisierten Willen" hinzu, der auf die Schaffung eines breiten rechtsextremistischen Bündnisses abzielt. Die von der NPD verfolgte Strategie ist darauf angelegt, auf verschiedenen Ebenen und im Verbund mit anderen Rechtsextremisten gegen die staatliche Ordnung vorzugehen. Dabei setzt die rechtsextremistische Partei bewusst auf den engen Schulterschluss mit "freien Kräften" (d.h. Neonationalsozialisten). Dabei strebt die NPD zunächst eine möglichst umfassende regionale Verankerung in der Gesellschaft an, um später ihre Position auszubauen und zu festigen. Greifende Erfolge konnte die NPD bislang nicht verzeichnen. Gleichwohl ist es 17 "Trier - Ohne Adolf läuft nichts mehr", Internet-Homepage "Infoportal Rhein-Neckar-Main" vom 3. September 2010 18 "Das Parteiprogramm..", S. 17 33 ihr gelungen, sich in zwei Landtagen und in einer Reihe von Kommunalvertretungen in mehreren Bundesländern zu etablieren. In Rheinland-Pfalz stellt die NPD seit Mitte 2009 Mandatsträger in nunmehr noch sechs kommunalen Vertretungen von insgesamt fast 2.500. Zu diesem Umstand hat nicht zuletzt die vordergründige öffentliche Zurückhaltung der NPD beigetragen. Zur Strategie der Partei gehört, das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern zu erschleichen, indem man ein seriöses Erscheinungsbild pflegt, sich der Alltagsthemen der Menschen annimmt und sich selbst als Kümmerer anbietet. Man gibt sich so als "Anwalt des kleinen Mannes" aus und erhofft sich, langfristig als ein Stück politischer "Normalität" wahrgenommen zu werden. Die Strategie wird parteiintern als "völkische Graswurzelrevolution" bezeichnet. Das Landesvorstandsmitglied und Kreisvorsitzender der NPD Trier Safet B. hat hierzu in der Februarausgabe 2010 der "Deutschen Stimme" Folgendes formuliert: "Die emotionale Kompetenz muß noch viel stärker betont werden. Wenn wir die Ängste und Sorgen der Menschen ansprechen, ist eine Massenmobilisierung möglich." Gerade sozial benachteiligte Menschen werden gezielt mit Themen wie "Arbeitsplatzverlust" oder "Altersarmut" angesprochen. Für deren Probleme bietet die Partei vermeintlich einfache "Lösungen" an. Diese entsprechen aber stets dem einschlägigen weltanschaulichen Muster von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Nationalismus und dienen pauschalen Diffamierungen. Nach Auffassung der NPD ist "der Zusammenhang von Masseneinwanderung und Massenarbeitslosigkeit offenkundig. Deshalb sind ausländische Arbeitsplatzdiebe und Sozialschnorrer auszuweisen, um Deutsche wieder in Lohn und Brot bringen und den Sozialstaat sichern zu können".19 Auch Jugendliche spielen bei den strategischen Überlegungen der NPD weiter eine wichtige Rolle. Durch den systematischen Ausbau der "Jugendarbeit" soll der Grundstein für einen Mitgliederzuwachs und eine Verjüngung der Partei gelegt werden. Mit altersgerechten Anreizen (bspw. Schülerzeitungen, Musikveranstaltungen, Internet) will die Partei junge Menschen für die politische Arbeit gewinnen. Insbesondere die Musik ist dabei ein wichtiger Faktor, um 19 Homepage der NPD (Auszug Stand: 2. Februar 2011) 34 Jugendliche an die nationalistische Gesinnung heranzuführen. Die kostenlose "Schulhof-CD" der NPD wird immer wieder im Umfeld von Schulen verteilt, so geschehen im Januar 2010 in Landau in der Pfalz. Thematisch hat sich die NPD im Jahr 2010 stärker ihrem Feindbild Islam zugewandt. In Veröffentlichungen, auf Plakaten und im Internet wird gegen die angebliche "Islamisierung der Gesellschaft" polemisiert. Der Islam, so die gängige Auffassung in der NPD, sei eine "absolute Fremdreligion", die "weder in Deutschland noch in Europa etwas zu suchen" habe.20 Weitere Agitationsthemen der NPD waren die Innere Sicherheit, die Globalisierung, der "gesellschaftliche Verfall" und der Einsatz deutscher Soldaten im Ausland, speziell in Afghanistan. Mit der sogenannten Wortergreifungsstrategie versuchte sich die NPD auch im Jahr 2010 am öffentlichen Diskurs zu beteiligen. Rechtsextremisten nutzten wieder Veranstaltungen, insbesondere solche gegen Rechtsextremismus (Motto: "Keine Veranstaltung über uns, ohne uns!"), um sich Gehör zu verschaffen und in Szene zu setzen. Ziel ist es, Demokraten zu irritieren. An einer sachlichen Auseinandersetzung sind die Protagonisten trotz gegenteiliger Bekundungen nicht interessiert. Am 11. November 2010 versuchten Rechtsextremisten, eine Informationsveranstaltung gegen Rechtsextremismus in Neuhofen (Rhein-Pfalz-Kreis) für diese Zwecke zu missbrauchen. Dies gelang nicht; die Szeneangehörigen wurden von der Veranstaltungsleitung des Saales verwiesen. Fusionsprozess zwischen NPD und "Deutscher Volksunion" (DVU) In der Geschichte des deutschen Rechtsextremismus hat es wiederholt Fusionsbestrebungen gegeben, die bislang alle scheiterten. Ein neuer Versuch wurde 2010 im rechtsextremistischen Parteienlager gestartet. Der Niedergang der DVU setzte sich ungemindert fort. Die NPD initiierte, wohl auch vor diesem Hintergrund, einen Verschmelzungsprozess, um sich am Ende ihrer Konkurrenz vollends entledigen zu können und - wie sie selbst wähnte - gestärkt aus der Fusion hervorzugehen. Frühere Abkommen beider Parteien, wie der im Jahr 2005 geschlossene 20 "Ergebnisse der Strategietagung des NPD-Landesverbandes Bayern, 23.02.10" auf Internet-Homepage "Altermedia Deutschland" vom 24. Februar 2010 35 "Deutschland-Pakt", dienten allenfalls dazu, sich bei Wahlen nicht gegenseitig die Stimmen streitig zu machen. Im Jahr 2009 kündigte die NPD die Abmachung, da sie die DVU nicht mehr als ebenbürtigen Partner anerkannte. Auf dem Bundesparteitag der NPD in Bamberg Anfang Juni 2010 wurde seitens der Parteivorstände über Fusionsabsichten der NPD und der DVU berichtet. In darauf folgenden Mitgliederbefragungen sprachen sich die Mitglieder von NPD und DVU nach Angaben der Parteien mehrheitlich für eine Fusion aus. Am vorläufigen Ende des Prozesses stand ein Verschmelzungsvertrag, der von den Parteivorsitzenden unterzeichnet wurde. Ein Wegbereiter für die Verschmelzung war der ehemalige DVU-Vorsitzende Dr. Gerhard FREY. Er erließ der DVU die bei ihm bestehenden Schulden, so dass die DVU ohne Verbindlichkeiten in die Fusion gehen konnte. Führende Funktionäre der DVU wurden in den Vorstand der NPD gewählt; so auch der bisherige DVUVorsitzende FAUST, dem der stellvertretende NPD-Vorsitz übertragen wurde. Am 15. Januar 2011 feierten NPD und DVU in Berlin öffentlichkeitswirksam den Zusammenschluss "NPD - Die Volksunion". Fusionsgegner aus den Reihen der DVU haben mit Beschluss vom 25. Januar 2011 (veröffentlicht am 27. Januar 2011) beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung erwirkt, die eine Unterzeichnung des Fusionsvertrags untersagt (AZ: 20 O 25065/10). Die Urabstimmung unter den DVU-Mitgliedern müsse demnach wiederholt werden. Auch wenn die Fusion letztlich zustande kommt, kann nicht von einem Zusammenschluss auf Augenhöhe die Rede sein. Nach Auflösung der DVU werden deren Mitglieder nicht automatisch in die NPD übernommen. Diejenigen, die in der NPD ihre neue politische Heimat sehen, müssen formal eintreten. Damit dürfte sich der Kreis potenzieller Neuzugänge deutlich reduzieren. Die meisten DVU-Mitglieder waren zuletzt inaktiv, so auch in Rheinland-Pfalz. Gleichwohl wird die NPD damit noch mehr zu einem Sammelbecken im rechtsextremistischen Spektrum. 36 Entwicklung der NPD in Rheinland-Pfalz Der Landesverband Rheinland-Pfalz spielt in der Gesamtpartei keine wichtige oder entscheidende Rolle. Die weniger als 300 Mitglieder in Rheinland-Pfalz verteilen sich auf 11 Kreisverbände, die in unterschiedlichem Maß aktiv sind. Ein Teil der Kreisverbände steht unter der Leitung von in die NPD eingetretenen Neonazis. Aus dieser Nähe zum Neonazismus macht die Partei keinen Hehl. So betonte ein Landesvorstandsmitglied in einem Internetbeitrag über den Landesparteitag vom 27. März 2010, dass dort die "Zusammenarbeit mit freien Strukturen" hervorgehoben worden sei.21 Teile des NPD-Landesverbandes haben ihre Aktivitäten verstärkt, sich regional zu verankern. Der NPD Kreisverband Westpfalz hat seit Anfang 2010 in Herschberg (Kreis Südwestpfalz) eine Immobilie (Gaststube mit Nebengebäuden) gemietet. Das provozierend als "Haus der Demokratie" bezeichnete Objekt wurde von der rechtsextremistischen Szene bereits mehrfach für verschiedene Veranstaltungen, wie Schulungen oder Feiern, genutzt und soll in dieser Region als eine Art "nationales Anlaufzentrum" dienen. Darüber hinaus betreibt der NPD Kreisverband Westpfalz seit Ende 2010 ein angemietetes "Bürgerbüro" in einem ehemaligen Bordell in Pirmasens. Dort werden wöchentlich "Sprechstunden" angeboten. Zu den NPD-Aktivitäten im Land zählten im Jahr 2010 Flugblattverteilungen, das Betreiben von Infoständen und Vortragsveranstaltungen oder sogenannte Mahnwachen. Anlässlich des "Tags der Arbeit" führte der NPD Kreisverband Westpfalz am 1. Mai 2010 in Pirmasens eine Kundgebung durch, an der sich rund 70 Rechtsextremisten beteiligten. Etwa 130 Personen demonstrierten gegen den Aufmarsch. Die NPD ist auf Landesebene weiterhin finanziell stark angeschlagen. Im Hinblick auf die Landtagswahlen im Jahr 2011 ist es der Partei dennoch gelungen, einen flächendeckenden Wahlkampf zu bestreiten. Mit Flugblattverteilungen 21 Die Bezeichnung "freie Strukturen" (auch: "Freie Kräfte" etc.) wird in der Szene für Neonationalsozialisten verwendet, die nicht in festgefügte Organisationen wie Parteien eingegliedert sind. 37 und durch Informationsstände in verschiedenen Städten und Gemeinden versuchte die Partei Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, ohne dass ihr Unterfangen auf nennenswerte Resonanz stieß. "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Bernburg (Sachsen-Anhalt) Mitglieder Bund: ca. 430 (2009: ca. 430) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 20 (2009: ca. 20) Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband; 4 Stützpunkte Publikationen: Zentralorgan "Der Aktivist" erscheint unregelmäßig; in Rheinland-Pfalz keine eigene Publikation Die "Jungen Nationaldemokraten" sind gemäß der NPD-Satzung Bestandteil der Partei. Damit verfügt die NPD als einzige rechtsextremistische Organisation über eine Jugendorganisation. In den letzten Jahren konnten die JN durch Ausbau ihrer regionalen Strukturen ihre Mitgliederzahl bundesweit erhöhen. Die JN bezeichnen sich selbst als "Volksgemeinschaft der kommenden deutschen Generation", die ihren Tätigkeitsschwerpunkt im "vorpolitischen Raum" sieht.22 Als eine Art Scharnier zwischen Partei und den "Freien Kräften" (d.h. Neonazis), versuchen die JN zwischen aktionsorientierter Subkultur und organisiertem Rechtsextremismus zu vermitteln. Ihr politisches Selbstverständnis bringt die JN in der Mitgliederzeitschrift "Der Aktivist" und anderen Publikationen bzw. im Internet zum Ausdruck. Im Kalender "Unsere Gemeinschaft 2011" der JN-Untergruppierung "IG Fahrt & 22 Artikel "Wer wir sind" vom 28. Dezember 2010, Homepage des JN-Bundesvorstandes vom 17. Februar 2011 38 Lager" heißt es: "Wir verstehen uns als eine nationalistische Jugendbewegung mit sozialistischer Grundeinstellung. Wir wollen nicht Demotouristen und Verteilextremisten sein, sondern ganzheitlich ausgerichtete Nationale Sozialisten" und weiter, "Und erst wenn wir auch den biologischen Kampf erfolgreich führen, sind wir nationale Sozialisten!". Die "IG Fahrt & Lager" führt Wanderungen, Ausflüge, Lager und Schulungen durch. Ende 2010 sollte in Rheinland-Pfalz ein von IG-Aktivisten außerhalb des Landes geplantes "Jahreswechsellager" in einem dafür eigens angemieteten Objekt stattfinden. Durch Sensibilisierung der Vermieter konnten die Mietverträge gekündigt werden. In Rheinland-Pfalz waren mehrere Jahre auf Landesund Kreisebene keine Strukturen der Organisation erkennbar. Vornehmlich im Süden von RheinlandPfalz haben sich die Aktivitäten der JN seit Ende 2009 - wenn auch auf niedrigem Niveau - verstärkt, was auf das Engagement einzelner Akteure zurückzuführen ist. Mit Bildung von vier neuen Stützpunkten in Landau in der Pfalz, Bad Dürkheim, Haßloch und in der Westpfalz gingen teilweise vermehrt öffentliche Aktivitäten, so Propagandaaktionen, einher. "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Im Jahr 2006 wurde mit dem "Ring Nationaler Frauen" erstmals eine Organisation für Frauen mit "nationaler Gesinnung" gegründet. Der RNF gilt seit 2008 als eigenständige Unterorganisation der NPD. Frauen sollen so wirkungsvoller in die politische Arbeit eingebunden werden. Seit der Gründung strebt der "Ring Nationaler Frauen" den Ausbau der vorhandenen Strukturen an und präsentiert sich mit Pressemitteilungen, Flugblättern und der Teilnahme an Infoständen der NPD verstärkt in der Öffentlichkeit. Frauenund familienpolitische Themen stehen im Vordergrund der RNF-Programmatik; sie sind jedoch von einem nationalistischen und rassistischen Weltbild geprägt. Die einschlägigen frauenpolitischen Vorstellungen der NPD, die auch von dem RNF vertreten werden, spiegeln das völkische Denken der rechtsextremisti39 schen Partei wider, das auf Ausgrenzung und Entrechtung setzt. So sollen zwar Mütter ein "Müttergehalt" bekommen, um nicht aus wirtschaftlicher Sicht gezwungen zu sein außerhäuslich zu arbeiten. Diese Hilfe soll allerdings ausschließlich deutschen Familien zustehen - Ausländer bzw. Menschen mit Migrationshintergrund werden per se ausgeschlossen: "Familienpolitische Maßnahmen des Staates, wie das... (...)..."Müttergehalt"... (...) haben ausschließlich deutsche Familien zu fördern".23 Im Landtagswahlprogramm 2011 der NPD Rheinland-Pfalz wird konkretisiert: "Das Müttergehalt sollen nur deutsche Eltern bekommen, um keine weiteren Zuwanderungsund Aufenthaltsanreize für Ausländer zu schaffen".24 Im Jahr 2010 wurde der "Landesverband Rheinland-Pfalz" des RNF gegründet. Gesinnungsgenossinnen aus Rheinland-Pfalz sind auch im Bundesvorstand des RNF vertreten. 3.4.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die DVU musste auch unter ihrem neuen Bundesvorsitzenden Matthias FAUST im Jahr 2010 einen weiteren Mitgliederrückgang im Bund von ca. 4.500 auf etwa 3.000 und in Rheinland-Pfalz von ca. 150 auf ungefähr 100 hinnehmen. In Rheinland-Pfalz unterhält die DVU lediglich im Raum Ludwigshafen eine gewisse Organisationsstruktur. Kernpunkt der verfassungsfeindlichen Ausrichtung der Partei ist ein übersteigerter Nationalismus, geprägt durch Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Aktivitäten der DVU beschränkten sich im Jahr 2010 im Wesentlichen auf eine Annäherung an die NPD mit dem Ziel einer Fusion. Auch wenn es Fusionsgegnern der DVU gelingen sollte, die Verschmelzung der NPD mit der DVU zu verhindern, wird dies keine großen Auswirkungen auf die rechtsextremistische Parteienlandschaft haben. Von der überalterten und inaktiven Rest-DVU werden keine Impulse oder wesentliche Aktivitäten mehr ausgehen. 23 "Das Parteiprogramm...", S. 7 24 "NPD Rheinland-Pfalz - Zukunft durch Heimat. Landtagswahlprogramm", 2011, S. 18 40 3.5 Rechtsextremistische Musik Musik ist ein wichtiges Medium rechtsextremistischer Ideologie und ein identitätsstiftendes zugleich. Unpolitische Jugendliche werden durch die entsprechende Musik mit rechtsextremistischen Vorstellungen vertraut gemacht. Musik soll zudem den Zusammenhalt der Szene stärken und das Gemeinschaftsgefühl fördern. Gesinnungsgenossen knüpfen neue Bekanntschaften und pflegen bestehende Kontakte. Die NPD und die neonazistischen "Kameradschaften" haben erkannt, dass sich mit Musikveranstaltungen Nachwuchs für die rechtsextremistische Szene rekrutieren lässt. Nicht selten spielen rechtsextremistische Bands oder Liedermacher im Rahmenprogramm von Parteiveranstaltungen. Politik und Erlebnis lassen sich so verbinden. Die Texte rechtsextremistischer Bands erfüllen häufig Straftatbestände wie Volksverhetzung. Inhaltlich bedienen sie sich der einschlägigen Weltanschauung, die von Demokratiefeindlichkeit, Antisemitismus und insbesondere Rassismus geprägt ist. Ein Beispiel: "Du bist schwarz und hässlich, eklig und unpässlich. Grausam und gewalttätig, stinkig und dreckig. Du bist ein Ausbruch der Menschheit, für dich steht der Galgen bereit. Nigger, Nigger, raus aus unserem Land".25 Bandnamen wie "Endlöser" und "Aryan Brotherhood" sprechen im Übrigen für sich. Die gezielt geschürte Menschenverachtung führt bei rechtsextremistischen Konzerten zur Begehung einschlägiger Propagandadelikte wie das Zeigen des Hitlergrußes oder das Skandieren von rassistischen NS-Parolen. Auch werden am Rande dieser Veranstaltungen szenetypische, teils indizierte Objekte (CDs, Buttons, T-Shirts etc.) angeboten. Die Stilrichtungen der rechtsextremistischen Musikszene sind vielfältiger geworden. Wo früher "Hardrock" die Szene dominierte, bestimmen nun auch "Hardcore" (oder "Hatecore") und "Black Metal" das Musikgeschehen mit. Doch auch Stilrichtungen, die sich mit dem Rechtsextremismus zunächst nicht in Verbindung bringen lassen wie, "Hip Hop" oder "Schlager", sind mittlerweile fester Bestandteil der rechtsextremistischen Musik geworden. Lediglich "Jazz", 25 Auszug aus dem Lied "Gegrilltes Fleisch" der Band "Macht und Ehre". 41 "Soul" o.ä. passen nicht in das weltanschauliche Konzept der Protagonisten. Auch inhaltlich präsentiert sich die Szene moderner und jugendkonformer. Viele rechtsextremistische Bands variieren häufig in ihrer personellen Besetzung. So finden sich einzelne Bandmitglieder mit anderen Bands oder Einzelpersonen zu kurzzeitigen Musikprojekten zusammen. Daneben treten Solokünstler meist mit Gitarre und Eigenkompositionen auf, so im Rahmen von Parteiveranstaltungen. In Rheinland-Pfalz sind aktuell zwei rechtsextremistische Bands bekannt. Szeneangehörige gehen bei der Planung und Durchführung rechtsextremistischer Konzerte meist konspirativ vor. Die Besucher haben im Vorfeld der Veranstaltung von Ort und Uhrzeit nur selten Kenntnis. Die durch Mail, SMS oder Mundpropaganda erhaltenen Einladungen geben nur einen zentralen Sammelpunkt bekannt. Von diesen Trefforten werden die Besucher zum eigentlichen Konzert gelotst. Organisiert werden diese Veranstaltungen häufig von ortsansässigen Gruppierungen, welche die rechtsextremistischen Konzerte u.a. getarnt als Geburtstage oder Verlobungsfeiern anmelden. Verbotsverfügungen sollen auf diese Weise umgangen werden. Die Szene ist bestrebt, Veranstaltungen in eigenen Räumlichkeiten durchzuführen, um eine Kündigung des Mietvertrages oder eine kurzfristige Absage zu vermeiden. Die Zahl der den Sicherheitsbehörden bekannt gewordenen rechtsextremistischen Konzerte ist in Rheinland-Pfalz gegenüber dem Vorjahr auf acht Musikveranstaltungen (2009: drei) gestiegen. Ein Liederabend in BernkastelKues, Ortsteil Andel, wurde am 15. Mai 2010 von der Polizei verhindert. Darüber hinaus war die Polizei bei allen Veranstaltungen vor Ort und hat die rechtlich möglichen Maßnahmen (bspw. Personenund Fahrzeugüberprüfungen) ergriffen. Datum Ort Art der Veranstaltung Teilnehmer 30.01.2010 Bad Dürkheim Skinheadkonzert 100 - 130 10.04.2010 Heppingen Skinheadkonzert 30 - 40 15.05.2010 Bernkastel-Kues OT Andel Liederabend 25 42 26.06.2010 Platten Liederabend 55 - 60 21.08.2010 Platten Liederabend 70 04.09.2010 Lemberg Liederabend 80 13.11.2010 Freimersheim Skinheadkonzert 100 20.11.2010 Idar-Oberstein Skinheadkonzert 100 Die Musik steht oftmals auch im Mittelpunkt von Treffen mit ausländischen Gesinnungsgenossen. So fahren Rechtsextremisten und rechtsextremistische Bands zu Konzerten ins europäische Ausland. In Rheinland-Pfalz bestehen gute Kontakte zu Aktivisten in Frankreich (Elsass). Dort werden Konzerte auch von deutschen Veranstaltern durchgeführt. Darüber hinaus sind sogenannte Skinheadpartys beliebt. Bei diesen wird szenetypische Musik von elektronischen Medien abgespielt. Neben den rechtsextremistischen Konzerten findet die Verbreitung der Musik vor allem im Internet statt. Internetradiosender und Portale, auf denen einschlägige Musikstücke heruntergeladen werden können, treffen den Geschmack der Szene. Die auf Jugendliche spezialisierten Angebote lassen den rechtsextremistischen Hintergrund und die dahinterstehende Ideologie nicht immer sofort erkennen. 3.6 Sonstige Veranstaltungen von Rechtsextremisten in Rheinland-Pfalz Am 8. Mai 2010 fand in Böhl-Iggelheim eine Demonstration der rechtsextremistischen Szene statt. Unter dem Motto "8. Mai, besetzt, nicht befreit! Wir feiern nicht!" zogen ca. 20 Rechtsextremisten durch die Straßen. Rund 100 Personen des bürgerlichen Spektrums demonstrierten gegen die Versammlung. In Remagen trafen sich am 20. November 2010 rund 300 Rechtsextremisten unter dem Motto "Gedenkmarsch für die Toten in den alliierten Rheinwiesenlagern". Rund 100 Personen - überwiegend aus dem bürgerlichen Lager - führten eine Mahnwache gegen den rechten Aufmarsch durch. Etwa 150 Personen des linksextremistischen Spektrums, die sich in Kleingruppen bewegten, konnten 43 aufgrund polizeilicher Maßnahmen nicht in die Nähe des rechtsextremistischen Aufzuges gelangen. Bereits im Vorfeld griffen Linksextremisten Polizeibeamte an. Es kam zu 14 vorläufigen Festnahmen. Im Jahr 2010 veranstaltete die rechtsextremistische Szene auch Aktionen zum "Heldengedenken" (z.B. Kranzniederlegungen). Am 8. Mai 2010 versammelten sich ca. 20 Personen der Szene am "Feld des Jammers" in der Gemeinde Bretzenheim (Landkreis Bad Kreuznach). Auch am 14. November 2010 fand an gleicher Örtlichkeit ein sogenanntes Heldengedenken mit etwa 40 Rechtsextremisten statt. Die Veranstaltung verlief störungsfrei. Nur wenige Tage später, am 21. November 2010, kamen erneut etwa 20 Rechtsextremisten in Bretzenheim zusammen, um ein Totengedenken durchzuführen. 44 II. Linksextremismus Linksextremisten orientieren sich an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Leitlinien; sie streben an Stelle der demokratischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" an. Linksextremisten beteiligen sich an öffentlich-gesellschaftlichen Protesten und versuchen, diese in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Ihre Aktionsformen sind unterschiedlich und reichen von offener Agitation bis hin zu massiver Militanz. Die Anzahl der Linksextremisten ist im Jahr 2010 bundesweit gestiegen. Leichte Zuwächse verzeichnete das gewaltorientierte Spektrum. In Rheinland-Pfalz gab es zahlenmäßig keine Veränderungen; nach wie vor sind etwa 700 Linksextremisten aktiv, etwa 120 davon sind gewaltorientiert einzustufen. Die von Linksextremisten ausgehende Gewalt ist bundesweit unterschiedlich ausgeprägt. Während sie in Rheinland-Pfalz vergleichsweise auf sehr niedrigem Niveau ist, gibt es ausgemachte Brennpunkte in Großstädten wie Berlin und Hamburg. Wichtigstes Aktionsfeld der Linksextremisten in Rheinland-Pfalz ist weiterhin der "Antifaschismus". Im Vordergrund stehen hierbei Protestdemonstrationen gegen Aufzüge rechtsextremistischer Parteien/Organisationen, desweiteren gegen "Nazis" gerichtete Outing-Aktionen. Der legalistische Linksextremismus (sozialrevolutionär ausgerichtete Gruppierungen) ist in Rheinland-Pfalz ohne nennenswerte Bedeutung und entfaltet keine Außenwirkung. 45 1. Linksextremistisches Personenpotenzial Rheinland-Pfalz Bund 2010 2009 2010 2009 Gesamt 700 700* 32.200 31.600 Gewaltbereite 120 120 6.800 6.600 Marxisten-Leninisten und sonstige 580 ** 580 ** 25.800 ** 25.300** revolutionäre Marxisten * Gesamtzahlen ohne Mehrfachmitgliedschaften Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2. Linksextremistische Gewalt Politisch motivierte Kriminalität - links - Gewalttaten: 2010 2009 Gesamt 7 24 Körperverletzungen 4 11 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr - 1 Landfriedensbruch 2 7 Widerstandsdelikte 1 5 Die Angaben sind der rheinland-pfälzischen Polizeilichen Kriminalstatistik entnommen 3. Gewalttätiger Linksextremismus Auch im Jahr 2010 beeinträchtigten gewaltorientierte Linksextremisten - insbesondere aus dem autonomen Spektrum - die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Um ihren politischen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen, verübten sie zahlreiche Gewaltund sonstige Straftaten. Hierzu zählten 46 Angriffe auf Polizeibeamte und andere Repräsentanten staatlicher Einrichtungen sowie den politischen Gegner (Rechtsextremisten). Ansatzpunkte für gewalttätigen Aktionismus finden Linksextremisten in den Themenfeldern "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antimilitarismus", "Antirepression", "Sozialabbau" und im Kampf gegen die "Umstrukturierung" in den Städten. Gewaltorientierte Linksextremisten (Autonome) traten in Rheinland-Pfalz oftmals in kleinen Gruppen und zum Teil in so genannten Schwarzen Blöcken bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auf. Aggressive Aktionen und schwere Straftaten konnten dabei nicht festgestellt werden. Im Vergleich zu ausgemachten geografischen Hochburgen des gewaltorientierten Linksextremismus (Hamburg und Berlin) blieben die Aktivitäten in Rheinland-Pfalz auf einem niedrigen Niveau. 3.1 Autonome Mit bundesweit 6.200 Aktivisten (2009: ca. 6.100) bilden die Autonomen mit Abstand den größten Teil im gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum. In Rheinland-Pfalz gibt es unverändert ca. 120 Autonome, die fortgesetzt in Koblenz, Landau, Ludwigshafen am Rhein, Mainz und Umgebung, im pfälzischen Raum sowie im Westerwald aktiv sind. Autonome verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept und wollen wie alle Linksextremisten das "herrschende System" überwinden. Gewaltorientierte rheinland-pfälzische Linksextremisten schließen sich zumeist in (autonomen) "Antifa"-Gruppen zusammen. In ihrem Kampf gegen den Rechtsstaat sehen sie die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung an. Ihre Aktivitäten richten sich vordergründig gegen rechtsextremistische Bestrebungen, im Grunde aber gegen den verhassten, als "kapitalistisches System" diffamierten, freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat. 47 Größere Städte und Ballungsgebiete sind regelmäßig Orte von Demonstrationen und bieten Autonomen die Möglichkeit der direkten Konfrontation mit Rechtsextremisten sowie der Polizei als "Vertreter des herrschenden Systems". Neben Szenezeitschriften und Flugblättern zählt vor allem das Internet zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln des linksextremistischen Spektrums. Dort werden Aufrufe, Ereignisberichte und Recherchen mit Bildmaterial über den politischen Gegner ("Outings") veröffentlicht. Gleichzeitig bietet das Internet die Möglichkeit eines geschützten Informationsaustausches, zum Beispiel über geschlossene Foren mit Zugangskriterien oder auch durch Mailinglisten, die zudem das in weiten Teilen konspirative Verhalten der Linksextremisten begünstigt und den Sicherheitsbehörden die Aufklärung erschwert. In ihrem offensiven "antifaschistischen" Kampf gegen "Nazis" setzen die rheinland-pfälzischen Autonomen überwiegend auf Outing-Aktionen, die sich mittels "Antifa-Recherchen" vorwiegend gegen Funktionäre, Trefflokale, Schulungseinrichtungen und Geschäfte, die rechtsextremistische Devotionalien verkaufen, richten. 3.2 Aktionsfelder militanter Linksextremisten "Antifaschismus": Die Mobilisierung und Teilnahme an "antifaschistischen" Demonstrationen ist weiterhin das wichtigste Tätigkeitsfeld der rheinland-pfälzischen autonomen Szene. Im Vordergrund stehen dabei öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen 48 Aufzüge rechtsextremistischer Parteien/Organisationen. Zu den gängigsten Aktionsformen zählen u.a. die so genannte Kleingruppentaktik zur Umgehung polizeilicher Kontrollen und um einzelne Gegner anzugreifen, Blockaden sowie Steinund Flaschenwürfe. In Remagen (Landkreis Ahrweiler) versammelten sich am 20. November 2010 mehrere Angehörige des autonomen "Antifa"-Spektrums aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, um einen rechtsextremistischen Aufmarsch zu stören und zu verhindern. Dabei griffen Angehörige des "linken" Spektrums Polizeibeamte tätlich an und versuchten durch Bildung kleinerer Gruppen an den Sperren vorbei zur "rechten" Aufzugsstrecke zu gelangen. Mehrere Aktivisten wurden festgenommen; ein Beamter wurde verletzt und ein Polizeifahrzeug beschädigt. Unter Beteiligung des autonomen/antifaschistischen Spektrums fanden vom 13. bis 18. März 2010 im pfälzischen Raum (Zweibrücken, Landau in der Pfalz, Neustadt an der Weinstraße und Bad Dürkheim) Protestaktionen gegen von Rechtsextremisten initiierte "Trauermärsche" und "Mahnwachen" anlässlich der Bombardierung dieser Städte im Zweiten Weltkrieg statt. In Zweibrücken versuchten gewaltorientierte Linksextremisten aus RheinlandPfalz und dem Saarland mit Sprechchören, Sirenen und Blockaden einen "Trauermarsch" von Rechtsextremisten zu stören. Zwei Gegendemonstranten wurden in Gewahrsam genommen, ein Polizeibeamter leicht verletzt. In Landau in der Pfalz wurden zwei Personen festgenommen, nachdem sie die polizeiliche Absperrung durchbrochen hatten. In Bad Dürkheim lösten Gewaltbereite auf dem Weg zu einer NPD-Versammlung vereinzelt Steine aus dem Boden und bewarfen damit Polizeibeamte sowie Rechtsextremisten. Ein Beamter erlitt leichte Verletzungen; zwei Personen wurden in Gewahrsam genommen. Autonome beteiligen sich zuweilen an breiten Bündnissen gegen "Rechts" und versuchen diese zu instrumentalisieren. Das gemeinsame Vorge49 hen gegen Rechtsextremismus ermöglicht dem autonomen Spektrum, insbesondere zum Thema "Antifaschismus", eigene Positionen gegenüber demokratischen Bündnispartnern einzunehmen. Dies ist insbesondere seit 2008 in Ludwigshafen am Rhein in Form des dort existierenden "Bündnis Ladenschluss Ludwigshafen" zu beobachten, in dem länderübergreifend (Rheinland-Pfalz/ Baden-Württemberg) neben einem breiten gesellschaftlichen Spektrum auch revolutionär-marxistische Gruppen und maßgeblich gewaltorientierte "Antifaschisten" mitarbeiten. "Antirassimus": Linksextremisten führten bundesweit zahlreiche demonstrative Aktionen gegen den "kapitalistischen Staat" und die von ihm angeblich ausgehende "rassistische" und "imperialistische" Flüchtlingspolitik durch. So initiierte die zum autonomen Spektrum zählende "Antifa Westerwald" am 28. Dezember 2010 in Hachenburg eine Demonstration zur Erinnerung an den 20. Todestag eines durch einen Skinhead zu Tode gekommenen Kurden. Das "antifaschistische" Spektrum, verstärkt durch Autonome aus Nordrhein-Westfalen und Hessen, trat dabei zum Teil vermummt in einem "schwarzen Block" von ca. 100 Aktivisten auf. "Antimilitarismus": Durch Bundeswehreinsätze im Ausland, Konferenzen mit hochrangigen Regierungsund Militärvertretern oder durch das Auftreten der Bundeswehr in der Öffentlichkeit hat das Themenfeld "Antimilitarismus" zunehmend an Bedeutung in der linksextremistischen Szene gewonnen. Aktivisten aus RheinlandPfalz beteiligten sich am 30. Juli 2010 in Stuttgart an einer Sitzblockade gegen ein öffentliches Bundeswehrgelöbnis und wurden gemeinsam mit annähernd 50 60 Personen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vorübergehend festgenommen. Aktionen richten sich auch gegen Unternehmen, die als vermeintliche "Kriegslogistiker" oder "Kriegsprofiteure" Dienstleistungen für die Bundeswehr erbringen. 4. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen Mitglieder Bund: ca. 4.000 (2009: ca. 4.000) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 100 (2009: ca. 90) Organisation in Rheinland-Pfalz: Bezirksverband Rheinland-Pfalz mit sechs regionalen Gruppen Publikationen: Wochenzeitung "Unsere Zeit" (UZ) bundesweite Auflage: ca. 6.000 Exemplare zweimonatlich erscheinendes Theorie-Organ "Marxistische Blätter" bundesweite Auflage: ca. 3.000 Exemplare Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) orientiert sich weiterhin an den Theorien von Marx, Engels und Lenin und definiert sich als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. Zu ihren grundlegenden politischen Zielen gehört die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft. Im Oktober 2010 wurde auf dem 19. Bundesparteitag Bettina JÜRGENSEN als neue Vorsitzende der DKP gewählt. Sie trat die Nachfolge von Heinz Stehr an, der über 20 Jahre die Partei führte. Der unter dem Motto "Widerstand entwickeln. Kapitalismus überwinden" stehende Parteitag offenbarte fortgesetzt den Richtungsstreit um die zukünftige politisch-ide51 ologische sowie strategische Ausrichtung der Partei. Bestehende Differenzen konnten nicht beigelegt werden. Um ihre politische Isolation zu überwinden, suchte die DKP vermehrt die Nähe zu gesellschaftskritischen Bewegungen. So beteiligte sie sich unter anderem an Protestaktionen gegen Stuttgart21, Castor-Transporte sowie gegen die Sozialreformen der Bundesregierung. In der Öffentlichkeit findet sie jedoch weiterhin kaum Beachtung. Dem DKP-Bezirksverband Rheinland-Pfalz gehören etwa 100 Mitglieder mit seinen regionalen Gruppen in Andernach, Bad Kreuznach, Idar-Oberstein, Landau, Mainz und Trier an. Zur öffentlichen Verbreitung ihrer politischen Ziele stützt sich die DKP in Rheinland-Pfalz unter anderem auf die Zeitschrift "trierer keiken" und die in Idar-Oberstein herausgegebene Stadtzeitung "Einblick". Im Hinblick auf eine stärkere regionale Verankerung führte die DKP-Ortsgruppe Trier am 7. August und 2. Oktober 2010 zu den Themen "Politikwechsel erkämpfen" bzw. "Arbeiterklasse heute" öffentliche Mitgliederversammlungen durch. 4.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen Mitglieder Bund: ca. 2.000 (2009: ca. 2.300) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 15 (2009: 10) Organisation in Rheinland-Pfalz: Kreisverband Ludwigshafen Ziele der maoistisch-stalinistisch ausgerichteten MLPD sind der "revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals" und "die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". 52 Die Lehren von Marx, Engels und Lenin bilden für die MLPD und ihren Jugendverband "Rebell" die entscheidenden Grundlagen für einen Kampf um den "echten Sozialismus". Die Verherrlichung Mao Tsetungs und Ausblendung der millionenfachen Verbrechen während der chinesischen Kulturrevolution unterscheidet die MLPD von anderen kommunistischen Organisationen und isoliert sie politisch. Durch Internetauftritte, die Herausgabe der Wochenzeitung "Rote Fahne" und Aufrufe zur Teilnahme an verschiedenen Protestveranstaltungen wie "Dortmund stellt sich quer" am 4. September 2010, die Berliner "Liebknecht-Luxemburg-Demonstration" am 10. Januar 2010, gegen die 46. Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar 2010 oder zur Unterstützung der Kampagne "TATORT KURDISTAN" versucht sie, bundesweite Aufmerksamkeit zu bekommen. In Rheinland-Pfalz existiert ein Kreisverband der MLPD im Bereich Ludwigshafen am Rhein. 53 III. Islamismus Im Jahr 2010 gab es eine signifikante Zunahme von Hinweisen, wonach Angehörige islamistisch-terroristischer Gruppierungen die Durchführung von Anschlägen in der Bundesrepublik Deutschland planten. Die Verdichtung dieses Informationsaufkommens macht deutlich, dass Deutschland im Visier mehrerer Terrororganisationen steht. Eine besondere Gefahr geht hierbei von den Islamisten aus, die sich innerhalb der vergangenen Jahre - so auch 2010 - von Deutschland aus in paramilitärische Ausbildungslager im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet begeben haben. Diesem Schritt geht in aller Regel eine starke Radikalisierung hierzulande voraus. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutungszunahme des Salafismus, einer besonders rigiden Form des Islamismus. Verbreitet durch ein deutschlandweites Angebot an Islamseminaren, Vortragsveranstaltungen und eine steigende Zahl an Internetseiten erreicht salafistisches Gedankengut immer häufiger Muslime speziell der jüngeren Generation. Mehrheitlich wird der Islamismus in Deutschland von solchen Organisationen vertreten, die bestrebt sind, ihre Vorstellungen einer religiös begründeten Staatsund Rechtsordnung auf legalem Wege mit friedlichen Mitteln zu verbreiten und langfristig durchzusetzen. Das hierbei propagierte Weltbild steht in mehreren Punkten im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, z.B. hinsichtlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Volkssouveränität sowie der Religionsund Meinungsfreiheit. Zudem sind auch für dieses Teilspektrum des Islamismus dezidierte Feindbilder und Verschwörungstheorien charakteristisch. 1. Islamistisches Personenpotenzial Rheinland-Pfalz Bund 2010 2009 2010 2009 Islamisten Gesamt 820 800 37.470 36.270 (Angaben gerundet) 54 2. Ideologie Beim Islamismus handelt es sich um eine spezifische Erscheinungsform des Islam mit politischen und zugleich religiösen Komponenten. Politisch ist der Islamismus in zweierlei Hinsicht: # Er strebt eine bestimmte Staatsund Gesellschaftsordnung an, # er behandelt in hohem Maße tagespolitische Themen. Beiden Aspekten liegt allerdings dabei eine religiöse Perspektive und Rhetorik zugrunde. Als Grundlage der angestrebten Staatsund Gesellschaftsordnung gilt das islamische Recht (Scharia), das sich aus dem Koran und den Sammlungen überlieferter Aussprüche und Taten Muhammads sowie seiner Gefährten (Hadithe) ableitet. Gemäß diesem Islamverständnis untersteht die Religion nicht der staatlichen Ordnung, sondern erhebt vielmehr ihrerseits den Anspruch, die Staatsund Rechtsordnung zu regulieren. Rechtsvorschriften, die eine andere Quelle besitzen als die o.g. islamischen Schriften, werden von Islamisten als gegenstandslos oder gar illegitim erachtet. Islamisten in Deutschland gehen nur in Ausnahmefällen so weit, die Anwendung islamischen Rechts hierzulande öffentlich zu fordern. Häufiger geht es ihnen zumindest vorerst darum, die hiesigen Muslime im Rahmen ihrer Propaganda, d.h. durch Predigten, Seminare, Schriften oder Internetseiten, zu Muslimen mit einem ganzheitlichen Islamverständnis zu erziehen. Einige islamistische Organisationen sind überdies bestrebt, durch Bildungsangebote den beruflichen Aufstieg hiesiger Muslime in verantwortungsvolle Positionen zu fördern. Zusätzlich begünstigt durch die demografische Entwicklung sollen diese Personen ihre (künftige) Stellung dazu nutzen, islamistische Standpunkte und Interessen zu vertreten. Insbesondere sollen auf diesem Weg für Muslime schrittweise Ausnahmeregelungen und Freiräume zur Verwirklichung einer Lebensführung gemäß dem islamistischen Ideal erreicht werden. Als Stichworte seien hier die Geschlechtertrennung in öffentlichen Bereichen wie beispielsweise in Schulen, spezielle Bekleidungsvorschriften für muslimische Frauen oder die Tabuisierung öffentlicher Islamkritik - mithin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit - 55 genannt. Ein intern geäußertes Ziel mancher Islamisten in Deutschland ist die Einrichtung von Scharia-Gerichten, die u.a. für eheund erbrechtliche Angelegenheiten hiesiger Muslime zuständig sein sollen. Diese Bestrebung widerspricht für sich genommen und aufgrund der geschlechtsund religionsspezifischen Scharia-Regelungen dem hiesigen Prinzip gleicher und ungeteilter Bürgerrechte. Die islamistischen Diskurse über tagespolitische Themen wie Afghanistan-Krieg oder Palästina-Konflikt sind grundsätzlich nicht unbedingt religiös. Eine religiöse Dimension erhalten diese Themen bei Islamisten jedoch dadurch, dass sie nahezu ausschließlich aus der Perspektive der Religionszugehörigkeit betrachtet werden. Hierbei wird zunächst eine Zweiteilung der Menschen in Muslime und Nichtmuslime - gemäß islamistischer Rhetorik vielfach "die Ungläubigen" - vorgenommen. Als dritte Kategorie kommen oftmals diejenigen Muslime hinzu, die nach islamistischer Auffassung vom wahren Islam abgefallen sind und mit den Nichtmuslimen kooperieren. Die Rollenverteilung erfolgt durchgängig und ohne Differenzierung nach dem Schema "wir Muslime sind die Opfer, die Nichtmuslime sind die Täter". Während Gewalt an Muslimen scharf verurteilt und als Teil eines Kreuzzuges gegen den Islam gewertet wird, werden von Muslimen ausgehende Gewaltaktionen entweder als Selbstverteidigung gerechtfertigt oder aber in Abrede gestellt. Das Phänomen des islamistischen Terrorismus wird nicht als reale Bedrohung, sondern entweder als Notwehr umgedeutet oder als ein Konstrukt westlicher Nachrichtendienste, Politiker und Medien dargestellt. Nach islamistischer Auffassung dient das "künstlich erzeugte Bedrohungsszenario" westlichen Staaten dazu, mittels Besetzungen muslimischer Länder und verschärfter Sicherheitsgesetze die Muslime insgesamt zu diskriminieren. Maßnahmen von Sicherheitsbehörden gegen Islamisten werden pauschal als Islamophobie kritisiert. In der Feindbildhierarchie stehen Israel, die USA sowie die westliche Welt im Allgemeinen ganz oben. Hinzu kommen im regionalen Kontext Länder wie Indien bei vielen kaschmirischen und pakistanischen Islamisten oder Russland bei vielen Islamisten in der Kaukasus-Region. Auch wenn die Frontalkritik 56 von der Mehrzahl der Islamisten durch Worte und nicht durch Gewaltaktionen artikuliert wird, geht von ihr doch eine agitierende Wirkung aus. Sie ist insofern imstande, Radikalisierungsprozesse bis hin zur Gewaltanwendung in Gang zu setzen. Im militant-islamistischen Spektrum werden machtpolitische Interessen und Gewaltanwendung mittels einer islamisch gefärbten Rhetorik "legitimiert". Hierzu gehören die häufige Bezugnahme auf Gott/Allah, die Heranziehung ausgewählter Koranverse und Hadithe sowie der zentrale Stellenwert von Begriffen wie Märtyrer, Mujahidin und Jihad. Auf Grund dessen ist diese Strömung auch unter der Bezeichnung Jihadismus bekannt. Die Anhänger dieser Bewegung werden folglich Jihadisten genannt. 3. Ereignisse und Entwicklungen des Jahres 2010 3.1 International Das Jahr 2010 war international betrachtet erneut durch zahlreiche Gewaltaktivitäten jihadistischer Terroristen geprägt. Sie wirkten sich wie schon in den Vorjahren zunächst einmal verheerend auf die regionale Sicherheitslage aus. Die daraus resultierende staatliche Destabilisierung stellt mittelbar aber auch eine Gefahr für die Sicherheit in anderen Teilen der Welt dar. Terrororganisationen nutzen bevorzugt Gebiete ohne funktionierende staatliche Strukturen als Vorbereitungsraum für ihre Aktionen, die sie teilweise vor Ort und teilweise in Drittländern durchführen. Ein Teil dieser Aktionen ist gezielt gegen westliche Einrichtungen und Interessen gerichtet. Schwerpunkte terroristischer Gewalt waren 2010 abermals Afghanistan, Pakistan und der Irak. In Afghanistan setzten die Taliban und ihnen nahestehende Kräfte die Methoden der asymmetrischen Kriegsführung (z.B. Selbstmordattentate, Sprengstoffanschläge, Hinterhalte, Überfälle) fort. Ziele terroristischer Anschläge waren vorrangig afghanische Sicherheitskräfte (Armee und Polizei) und Regierungsvertreter sowie die internationalen Truppen. Auch Bundeswehrsoldaten und deutsche Entwicklungshelfer wurden in wiederholten Fällen Opfer terroristischer Gewalt. 57 Auch im Nachbarland Pakistan blieb die Sicherheitslage 2010 angespannt. Nicht nur in den sogenannten Stammesgebieten nahe der Grenze zu Afghanistan, sondern auch in anderen Landesteilen kam es zu zahlreichen Terroranschlägen, bei denen im Jahresverlauf rund 1.500 Menschen ihr Leben verloren. Die Anschläge, für die zu einem großen Teil die pakistanischen Taliban (Tehrik-e Taliban Pakistan, TTP) verantwortlich gemacht werden, richteten sich u.a. gegen Armeeund Regierungseinrichtungen, regierungstreue Stammesangehörige sowie gegen Angehörige religiöser Minderheiten, insbesondere Schiiten und Ahmadis. Im Irak kam es 2010 zwar nicht zu einer Intensivierung, aber zu einer Fortsetzung von Terroranschlägen mit zahlreichen Todesopfern (ungefähr 3.500). Die vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Mehrzahl der Aktivitäten von der irakischen "Al-Qaida"-Einheit mit dem Namen "Islamischer Staat Irak" sowie ihren verbundenen Gruppierungen ausging. Ihre Anschläge richteten sich überproportional gegen irakische Sicherheitskräfte und Regierungsvertreter bzw. -einrichtungen, gegen Stammesräte sowie gegen die schiitische und christliche Zivilbevölkerung. Darüber hinaus wurde die politische Stabilität in weiteren Staaten durch die Aktivitäten von Jihadisten beeinträchtigt: In Somalia setzte die von "Al-Qaida" unterstützte Organisation "Al-Shabab" ("Die Jugend") 2010 ihren Kampf gegen die Übergangsregierung und gegen Truppen der "African Union Mission for Somalia" (AMISOM) mit terroristischen Mitteln fort. Mit zwei Anschlägen in der ugandischen Hauptstadt Kampala am 11. Juli trug sie ihren Kampf erstmals ins Ausland. Der Hintergrund für dieses Terrorziel war die Beteiligung Ugandas am AMISOM-Einsatz in Somalia. Im Jemen stellte "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" weiterhin eine ernstzunehmende Herausforderung für die Regierung und Sicherheitskräfte dar. Zudem machte die Organisation, die am 25. Dezember 2009 hinter dem 58 Anschlagsversuch auf ein US-Passagierflugzeug gestanden hatte, auch 2010 ihren Willen deutlich, gegen westliche Interessen vorzugehen. So veröffentlichte der Medienarm von "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" erstmalig sein englischsprachiges Online-Magazin "Inspire". In einer SonderErschließung neuer Lesekreise ausgabe vom November 2010 legte das Magazin und Anhänger mittels englischsprachiger Botschaften - das unter Bezugnahme auf die Paketbomben in USneue Online Magazin "Inspire" Frachtflugzeugen die Verursachung ökonomischen der Organisation "Al-Qaida" auf Schadens in Folge von Millioneninvestitionen in der Arabischen Halbinsel"; Zitat verbesserte Sicherheitsstandards im Frachtverkehr in deutscher Übersetzung "Mögen unsere Seelen für Euch als neue Strategie dar. geopfert werden". In einigen Regionen der Sahelzone (Mauretanien, Mali, Niger, Algerien) setzte sich die Konfrontation zwischen Sicherheitskräften und "Al-Qaida im Maghreb" fort. Zugleich wiederholten sich Fälle von Entführungen ausländischer Mitarbeiter von Firmen und Nichtregierungsorganisationen (NGO), im Falle einer französischen Geisel mit tödlichem Ausgang. Die dargestellten Ereignisse verdeutlichen, dass Terroranschläge und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen vor allem in Teilen der mehrheitlich muslimischen Welt Realität sind. Mehrere Attentatsund Anschlagsversuche sowie ein erfolgter Terroranschlag im Jahresverlauf 2010 machten aber ebenfalls deutlich, dass jihadistische Organisationen und Einzeltäter weiterhin und speziell auch Ziele in Europa und in den USA ins Visier nehmen: # A m 1. Januar fand ein Attentatsversuch auf den Muhammad-Karikaturisten Kurt Westergaard in dessen Privathaus im dänischen Aarhus statt. # Am 29. März verübten zwei Selbstmordattentäterinnen in zwei Moskauer Metrostationen Sprengstoffanschläge, bei denen 40 Personen getötet wurden. Zu den Anschlägen bekannte sich der Emir des Kaukasusemirats, Doku UMAROV. 59 # A m 1. Mai wurde auf dem New Yorker Times Square ein geparktes Fahrzeug, das eine selbstgebaute Bombe enthielt, festgestellt. Die Sprengsätze wurden rechtzeitig entschärft. Der mittlerweile verurteilte Attentäter, der Verbindungen zu den pakistanischen Taliban unterhielt, bekannte sich in allen Anklagepunkten, u.a. Versuch eines Terroranschlags, für schuldig. # A m 10. September fand in einem Hotel in Kopenhagen ein fehlgeschlagener Anschlag durch ein unbeabsichtigt-verfrühtes Auslösen einer Unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtung (USBV) statt. Gegenstand der laufenden Ermittlungen ist u.a. die Frage, ob der Beschuldigte einen Anschlag auf das Verlagshaus der dänischen Zeitung "Jyllands Posten", welche 2005 die Muhammad-Karikaturen veröffentlicht hatte, plante. # A m 29. Oktober wurden an den Flughäfen von East Midland (Großbritannien) und Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) Pakete festgestellt, in denen Sprengstoff versteckt war. Mit den in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa aufgegebenen Paketbomben sollten zwei US-Frachtflugzeuge auf Druckerpatrone mit Sprengstoff, aufgeihrem Flug in die USA zur Explosion funden in einem der beiden US-Frachtgebracht werden. Zu den Anschlagsflugzeuge. versuchen bekannte sich die Organisation "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel". # A m 11. Dezember ereigneten sich in der Innenstadt von Stockholm zwei Explosionen. Außer dem Selbstmordattentäter kam hierbei jedoch niemand ums Leben. In einer Anschlagsankündigung wenige Minuten vor den Detonationen begründete der Attentäter sein Vorgehen mit der schwedischen Unterstützung des NATO-Einsatzes in Afghanistan, eines ver60 meintlichen Krieges Schwedens gegen den Islam und der Deckung eines schwedischen Muhammad-Karikaturisten. # A m 29. Dezember nahm die dänische Polizei fünf Personen unter dem Verdacht fest, unmittelbar vor der Durchführung eines Terroranschlags auf das Verlagshaus der Zeitung "Jyllands Posten" in Kopenhagen zu stehen. Erneut wurde 2010 die länderübergreifende Komponente des jihadistischen Terrorismus erkennbar - hinsichtlich der Zielauswahl ebenso wie im Hinblick auf die Nationalität und ethnische Herkunft der Attentäter und ihre Reisebewegungen. Einendes Element ist hierbei stets die jihadistische Ideologie, die auf zahlreichen Internetseiten abrufbar ist und durch bestimmte Wortführer verbreitet wird. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erkenntnis ist die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden (Nachrichtendienste und Polizei) weiterhin dringend erforderlich. Sie hat sich 2010 u.a. im Zusammenhang mit den Anschlagsversuchen auf den Luftfrachtverkehr sowie den Anschlagsplanungen am Jahresende in Kopenhagen bewährt. Dadurch konnten Anschlagsdurchführungen rechtzeitig unterbrochen bzw. im Vorfeld abgewendet werden. 3.2 Bundesrepublik Deutschland 3.2.1 Gefährdung durch den internationalen jihadistischen Terrorismus Im Jahr 2010 war eine Verdichtung von Hinweisen bezüglich möglicher Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland festzustellen. Aufgrund der Hinweise wurden - neben den fortlaufenden verdeckten Aufklärungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden - die Schutzvorkehrungen an zahlreichen Objekten erhöht. Zu einem Terroranschlag kam es bis zum Jahresende nicht. Das Ausbleiben eines Anschlags ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es eine Reihe von Gefährdungsfaktoren gibt, die über das Jahr 2010 hinaus Bestand haben und daher bei einer Bewertung der Gefährdungslage weiterhin zu berücksichtigen sind. Im Einzelnen sind folgende Gefährdungsfaktoren zu nennen: 61 Es liegen Informationen über rund 220 Personen mit islamistisch-terroristischem Hintergrund vor, die sich seit Beginn der 1990er Jahre von Deutschland aus zwecks einer paramilitärischen Ausbildung ins Ausland begeben haben, insbesondere in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet. Einen signifikanten Anstieg solcher Ausreisebewegungen gab es im Jahr 2009. In vermindertem Umfang hielt dieser Trend 2010 an. Ungefähr die Hälfte dieser Personen hielt sich mit Stand von Juli 2010 wieder in Deutschland auf. 2010 häuften sich die Erkenntnisse und Hinweise über tatsächliche und geplante Wiedereinreisen von Personen mit absolvierter Kampfausbildung bzw. Kampferfahrung in die Bundesrepublik Deutschland. Die Mehrheit dieser Personen hat sich terroristischen Organisationen wie "Al-Qaida", "Islamische Bewegung Usbekistan", "Islamische Jihad-Union" oder "Deutsche Taliban-Mujahidin" angeschlossen. Alle diese Gruppierungen haben damit gedroht, gegen Deutschland, das von ihnen u.a. aufgrund des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan als Besatzungsmacht und Teil einer islamfeindlichen Allianz wahrgenommen wird, vorzugehen. Ihren bisherigen Höhepunkt hatte die gegen Deutschland gerichtete Propagandaoffensive im Jahr 2009 erreicht. Aus nachrichtendienstlichem Informationsaufkommen gab es 2010 vermehrte Hinweise, wonach insbesondere "Al-Qaida" Personen Werbung für den Jihad in einem Video mit der Entsendung nach Deutschland sowie in der "islamischen Bewegung Usbekisandere europäische Staaten und der Durchtan" (IJU); Anmerkung: "Anasheed" - führung von Anschlägen beauftragte. Hymnen In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Kontaktpersonen und Unterstützer des o.g. Personenspektrums. Zu ihren Unterstützungsleistungen gehören u.a. die Versorgung der Jihadisten im Ausland mit technischem Gerät und die Rekrutierung weiterer "Kämpfer". Die hiesigen Kontaktpersonen sind überdies dazu prädestiniert, bei Anschlagsplanungen eine zentrale Rolle als logistische Helfer einzunehmen. 62 Daneben besteht eine Gefahr durch Einzeltäter, wie die Tötung von zwei US-Soldaten und die Verletzung weiterer Angehöriger der US-Armee am Flughafen Frankfurt am Main am 2. März 2011 verdeutlicht. Der Beschuldigte, bei dem Anhaltspunkte für eine Beeinflussung durch jihadistisches Gedankengut vorliegen, ist dringend verdächtig, Vergeltung für die Beteiligung US-amerikanischer Soldaten am Militäreinsatz der NATO in Afghanistan geübt zu haben. 3.2.2 Urteilsverkündung im Sauerlandprozess Am 4. März verkündete das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf gegen die vier Angeklagten der so genannten "Sauerland-Gruppe" das Urteil. Die Angeklagten wurden zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Männer von Mitte 2006 bis zu ihrer Festnahme im September 2007 Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamische Jihad Union" (IJU) waren und in Deutschland Sprengstoffanschläge geplant hatten, insbesondere gegen US-amerikanische Einrichtungen. Die Verurteilten hatten 26 Sprengzünder und ca. 600 kg Wasserstoffperoxid zur Herstellung des Sprengstoffs beschafft. Eine Anschlagsdurchführung wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. 3.2.3 IHH-Verbot Am 23. Juni wurde mit Verfügung des Bundesministers des Innern der Spendensammelverein "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V." (IHH) mit Sitz in Frankfurt am Main gemäß SS 3 Abs. 1, 3 Vereinsgesetz (VereinsG) verboten (Vollzug am 12. Juli). Begründet wurde das Verbot der IHH mit ihrer Unterstützung der HAMAS, wodurch sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung nach Artikel 9 Abs. 2 GG / SS 3 Abs. 1 VereinsG richtet. In der Presseerklärung des Bundesinnenministers vom 12. Juli wurde hierzu näher ausgeführt, dass es sich bei der HAMAS um ein einheitliches Gebilde handle, bei dem die sozialen Aktivitäten nicht von dem terroristischen und politischen Vorgehen der Organisation getrennt werden könnten. Daher unterstützten die finanziellen Zuwendun63 gen der IHH an sogenannte Sozialvereine der HAMAS diese Organisation als Ganzes und mithin deren Gewalttaten gegenüber Israel und israelischen Staatsbürgern. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass die IHH in enger Beziehung zu einzelnen Funktionären der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG; siehe 4.2) stand. Sowohl das Kuratorium als auch der Vorstand der IHH setzten sich aus IGMG-Funktionären zusammen. Zudem wurden vor allem in den mehr als 300 Moscheen und Ortsvereinen der IGMG Spenden für die IHH gesammelt. 4. Islamistische Bestrebungen und Gruppierungen in RheinlandPfalz Von den schätzungsweise etwa 150.000 Muslimen in Rheinland-Pfalz unterstützen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ungefähr 820 Personen islamistische Bestrebungen, z.B. durch die Mitwirkung in einer extremistischen Vereinigung, Propagandaaktivitäten, die Sammlung und Verteilung von Spendengeldern. Die Zahl der rheinland-pfälzischen Islamisten hat sich gegenüber dem Vorjahr um etwa 20 Personen erhöht. Zu erklären ist der Anstieg nahezu ausschließlich mit dem verstärkten Zulauf im Bereich des Salafismus (siehe hierzu Punkt 4.1). Insgesamt gehören die meisten Islamisten in Rheinland-Pfalz vereinsrechtlich strukturierten Organisationen an (siehe Punkte 4.2 - 4.6). Im Bundesgebiet gibt es darüber hinaus weitere islamistische Organisationen, u.a. "Ansar al-Islam" ("Unterstützer des Islam"), HAMAS und die mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Befreiungspartei"). Zwar leben in Rheinland-Pfalz einzelne Personen, bei denen es Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit oder Nähe zu diesen Gruppierungen gibt, die Organisationen traten in Rheinland-Pfalz im Berichtsjahr allerdings nicht beziehungsweise nur sehr am Rande in Erscheinung. Von insgesamt ca. 120 Moscheevereinen in Rheinland-Pfalz weisen 20 - 25 Bezüge zum Islamismus auf. Im Einzelnen handelt es sich dabei um etwa 15 IGMG-Ortsvereine, zwei Moscheen des verbotenen "Kalifatsstaats" sowie ein64 zelne unabhängige Moscheevereine mit Besuchern aus arabischen und anderen muslimischen Ländern sowie Konvertiten. In solchen Vereinen mischen sich Einzelpersonen mit Bezügen zum Salafismus bzw. zu islamistischen Organisationen unter Besucher, die nicht im islamistischen Sinne aktiv sind. Hierbei besteht die Gefahr, dass solche Islamisten ihren Einfluss in den von ihnen besuchten Moscheen geltend machen und zu einer Radikalisierung der Gemeinde oder einzelner Personen beitragen. Versuche einer entsprechenden Beeinflussung konnten in rheinland-pfälzischen Moscheevereinen mehrfach, eine gezielte Rekrutierung von Muslimen zu einem Jihad-Einsatz aber bisher nur sehr vereinzelt festgestellt werden. 4.1 Salafistische Islamisten Der Salafismus ist die am schnellsten wachsende Bewegung innerhalb des Islamismus. Formale Strukturen wie etwa im Falle der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" oder "Muslimbruderschaft" sind bei Salafisten in Deutschland (bislang) nur in Ansätzen erkennbar. Gleichwohl lassen sich einige Vereine und Internetseiten als Träger salafistischer Bestrebungen im Bundesgebiet identifizieren. Das Ziel von Salafisten ist die vollständige Anpassung der individuellen Lebensführung sowie der Staatsund Rechtsordnung an die als gottgewollt postulierten islamischen Normen. Entsprechend umgesetzt wurde dieses Ideal gemäß ihrer Auffassung in der frühen muslimischen Gemeinde im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel, bei den sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf al-salih). Neuerungen innerhalb der Glaubenslehre sowie Verhaltensweisen und Zeiterscheinungen, die sich nicht aus den islamischen Quellen ableiten lassen, lehnen Salafisten hingegen kategorisch ab. Diesbezüglich sind sie kompromissloser als andere islamistische Akteure wie Muslimbrüder oder Milli Görüs-Bewegung, die sich beispielsweise an nationalstaatlichen Gegebenheiten und an Organisationsformen wie Parteien ungeachtet ihres nicht-islamischen Ursprungs orientieren. Salafisten gehen vielfach so weit, Muslime, deren Glaubenslehre und Lebensführung nicht ihrer eigenen entspricht, zu Ungläubigen zu erklären. Dieses Phänomen wird im Arabischen als takfir bezeichnet. Die auf zahlreichen Internetseiten, in Schriften und bei Vorträgen dargelegte 65 Programmatik des Salafismus enthält eine Vielzahl von Bestandteilen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen: # Einheit von Religion und Staat, # Ablehnung der Volkssouveränität, # absoluter Geltungsanspruch der Scharia einschließlich der Forderung nach Anwendung der Körperstrafen u.a. bei Diebstahl, Alkoholkonsum und Ehebruch, # Rechtfertigung oder gar Befürwortung der Züchtigung der Ehefrau, die ihrem Mann den Geschlechtsverkehr verweigert. Die folgende Textpassage aus dem Buch "Die Religion der Wahrheit" von Abdul Rahmen Bin Hammad Al-Omar, das in einer rheinland-pfälzischen Moschee festgestellt wurde, bringt dieses Gedankengut und mithin die Ablehnung der demokratischen Rechtsordnung zum Ausdruck: "Die Rechtsprechung und Gesetzesgebung [sic!] sind Allahs Vorrechte. Dies ist ein wichtiger Bestandteil des Monotheismus. Niemand besitzt das Recht, ein Gesetz in Kraft zu setzen, das den Gesetzen Allahs widerspricht. Ein Muslim sollte weder anhand von Gesetzen regieren oder richten, die sich von Allahs Gesetzen unterscheiden, noch sollte er seine Zustimmung zu einem Gerichtsurteil oder einer Regierung geben, die auf Gesetzen aufgebaut ist, die denen von Allah widersprechen. Gemäß dem Islam besitzt niemand das Recht, zu verbieten, was Allah erlaubt hat, noch darf man für erlaubt erklären, was Allah verboten hat. Wer eine solche Tat absichtlich tut, ist ein Ungläubiger." (Ausgabe von November 2005, S. 62) Darüber hinaus sind salafistische Diskurse oftmals durch eine vehemente Propaganda gegen nicht-salafistische Muslime und Nichtmuslime gekennzeichnet. Letztere werden zumeist als "Ungläubige" (arab. kuffar) oder "Feinde des Islam" bezeichnet. Stellvertretend für zahlreiche vergleichbare Aussagen sei zu diesem Sachverhalt die folgende Passage aus dem o.g. Buch wiedergegeben: "Die Muslime auf der ganzen Welt sollten wissen, dass diese Sekten [gemeint sind 66 Mystiker, Ahmadis, Bahais und Schiiten] und die anderen Gegner des Islam zusammenarbeiten und sehr große Anstrengungen unternehmen, um den Islam zu zerstören." (S. 155) Mit Diffamierungen dieser Art liefern Salafisten teils implizit, teils explizit eine "Rechtfertigung" für den Jihad der Muslime gegen die "Islamfeinde". So heißt es beispielsweise in einer ebenfalls in Rheinland-Pfalz festgestellten Schrift: "Die Muslime werden den Sieg erreichen, wenn sie [...] gegen ihre Feinde mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln rüsten." (Muhammad bin Jamil Zino: Auszug aus Der Islamische Glaube nach dem Qur'an und der Sunnah. [sic!] S. 77, keine Angaben bezüglich Erscheinungsort und Erscheinungsjahr). Das salafistische Spektrum weist zwar in Bezug auf verschiedene Aspekte der Gewaltanwendung interne Differenzierungen auf - so hinsichtlich eines offensiven bzw. defensiven Jihadkonzepts oder beim Thema Selbstmordattentate -, vielfach bestimmt jedoch Sympathie die Haltung gegenüber den Mujahidin in Afghanistan, Irak und anderswo. In einem Teilspektrum des Salafismus, dem sogenannten jihadistischen Salafismus, ist die Haltung zur Gewalt bzw. zu einem militanten Jihadverständnis sogar eindeutig bejahend und schließt eine Verherrlichung des Märtyrertums ein. Eine praktische Umsetzung erfährt dieses Gedankengut schließlich bei den jihadistischen Islamisten (s. 4.7). Eine wesentliche Gefahr des Salafismus - speziell in der letztgenannten Form - besteht insoweit darin, junge Muslime zu einem Jihadeinsatz zu inspirieren. Im Jahr 2010 gingen von ungefähr 50 Personen in Rheinland-Pfalz salafistische Bestrebungen aus. Während sich die Mitgliederzahlen in den übrigen vorgestellten Organisationen ungefähr auf dem Vorjahresniveau bewegten, war im Bereich des Salafismus eine Steigerung erkennbar. Parallel hierzu war eine Zunahme ihrer Aktivitäten festzustellen. So traten bekannte salafistische Prediger mehrfach in rheinland-pfälzischen Objekten auf, darunter Vorstandsmitglieder des Vereins "Einladung zum Paradies" (EZP). Gegen diesen Verein leitete das Bundesministerium des Innern am 14. Dezem67 ber ein Ermittlungsverfahren nach SS 4 VereinsG ein, da er verdächtig ist, als Teil eines bundesweit agierenden salafistischen Netzwerkes die verfassungsmäßige Ordnung zugunsten der Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Deutschland beseitigen zu wollen. Weiterhin besuchten Mitglieder rheinland-pfälzischer Moscheevereine salafistische Islamseminare in anderen Bundesländern. Bücher und Schriften mit salafistischem Inhalt fanden wiederholt Verwendung im moscheeinternen Islamunterricht oder lagen zur Lektüre beziehungsweise zur Mitnahme aus. Die festgestellten Bücher und Schriften sind vielfach in deutscher Sprache gehalten und wenden sich somit an Muslime unterschiedlicher ethnischer Herkunft, u.a. auch an deutschsprachige Konvertiten. Zum Jahresende verlegten die Betreiber des salafistischen Internetportals "Die wahre Religion" kurzfristig ein Islamseminar von Nordrhein-Westfalen nach Mayen (31. Dezember 2010 bis 2. Januar 2011). Während der Veranstaltung trug der vormals als Rapper Deso Dogg bekannte Denis CUSPERT aus Berlin, nunmehr auch unter dem Aliasnamen Abu Maleeq bekannt, eine Art Hymne vor. Darin rief er die Muslime dazu auf, angesichts der vermeintlichen Zerstörung des Islam durch die Ungläubigen nicht untätig zu sein, sondern nach Zentralasien auszuwandern, dort zu kämpfen und - den Feind im Auge - den Märtyrertod zu finden. 4.2 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT), 1995 Neugliederung als IGMG Sitz: Kerpen, Nordrhein-Westfalen Mitglieder Bund: ca. 30.000 (2009: ca. 29.000) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 650 (2009: ca. 650 ) Die IGMG ist bundesweit wie auch in Rheinland-Pfalz die größte islamistische Organisation. Zu ihren Mitgliedern zählen überwiegend türkische und türkischstämmige Personen. Die IGMG bietet hiesigen Muslimen und speziell ihren 68 Mitgliedern ein großes Angebot religiöser, kultureller und sozialer Dienstleistungen. Es beinhaltet Koranund Sprachkurse, Moscheebau, Hausaufgabenbetreuung, Seelsorge, Pilgerund Kulturreisen, Freizeitangebote für Jugendliche und vieles mehr. Diese umfassende Betreuung dient neben praktischer Lebenshilfe auch dem Zweck, die Mitglieder an die Organisation und ihr Islamverständnis zu binden. Hierin liegt der neuralgische Punkt: Die IGMG präsentiert sich nach außen zwar als eine verfassungskonforme und integrationsbejahende Organisation, sie ist jedoch aus der von dem türkischen Politiker Necmettin ERBAKAN gegründeten islamistischen "Milli Görüs"-Bewegung hervorgegangen und bleibt bis heute mit dieser Bewegung personell und ideologisch verbunden.26 Das Weltbild ERBAKANs - bekannt aus zahlreichen schriftlichen und mündlichen Verlautbarungen - folgt ausgeprägten Schwarz-Weiß-Schemata. Auf der einen Seite stehen der Islam, die Muslime, die islamische Ordnung und mit ihr Gerechtigkeit und Frieden, auf der anderen Seite stehen die Nichtmuslime und mit ihnen pauschal Imperialismus, Rassismus und Gewalt. Den Weg zur Überwindung heutiger Missstände sah ERBAKAN einzig und allein in der Errichtung einer islamischen anstelle der westlichen geprägten Ordnung, und zwar weltweit. Das nachfolgende Zitat ERBAKANs anlässlich einer Veranstaltung des "Zentrums für wirtschaftliche und soziale Studien" (ESAM) im Juni 2010 fasst dieses Gedankengut exemplarisch zusammen: "Unsere Aufgabe ist es, die wahre Auffassung von Gerechtigkeit zu lehren. Wir werden nicht die Sklaven des Imperialismus sein. [...] Der Kommunismus ist untergegangen, und die anderen [Systeme] sind auch gezwungen unterzugehen. Es gibt nur noch einen Weg, und dieser ist der Weg der "Gerechten Ordnung". [...] Das Glück der Menschheit ist keine so einfache Angelegenheit, die man dem Zionismus überlassen kann. Warum konnte der Westen seit 52 Jahren [den Menschen] kein Glück bringen? Er kann es nicht, weil seine Auffassung von 26 Necmettin ERBAKAN verstarb am 27. Februar 2011. 69 Gerechtigkeit falsch und sein Glaube fehlerhaft ist. Die Welt lebt seit 350 Jahren unter der Tyrannei des Imperialismus. Damit Seelenfrieden unter den Menschen herrscht, muss eine neue Welt errichtet werden, die auf der gerechten Ordnung aufbaut." ("Milli Gazete", 16. Juni) Anzumerken ist hier, dass der Ausdruck "Imperialismus" beziehungsweise, häufiger noch, "die rassistischen Imperialisten" im "Milli Görüs"-Sprachgebrauch die Umschreibung für die westliche Staatengemeinschaft ist. Fest verwurzelt war in ERBAKANs Weltbild zudem der Antisemitismus, wie u.a. seine nachfolgende Äußerung in einem Interview in der "WELT am Sonntag" vom 7. November 2010 verdeutlicht: "Seit 5700 Jahren regieren die Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen." Das Weltbild ERBAKANs durchdringt die verschiedenen Komponenten, aus denen sich die "Milli Görüs"-Bewegung zusammensetzt: die "Saadet Partisi" (SP, "Glückseligkeitspartei"), der "Anatolische Jugendverein", das oben erwähnte "Zentrum für wirtschaftliche und soziale Studien" (ESAM) und der Fernsehsender "TV 5" in der Türkei, weiterhin die Tageszeitung "Milli Gazete" und die IGMG. Die umfassende Struktur der "Milli Görüs" macht deutlich, dass sie weitaus mehr als eine rein religiöse Bewegung ist, sondern auch einen politischen Durchsetzungswillen hat. Die Einbindung der IGMG in die "Milli Görüs"-Bewegung wird u.a. durch folgende Erkenntnisse belegt: # F unktionäre von SP und ESAM traten im Jahresverlauf mehrfach bei Veranstaltungen der IGMG im Bundesgebiet als Gastredner oder Teilnehmer auf (so entsprechende Berichte in der "Milli Gazete" vom 13. Januar, 18. März, 4. Mai und 9. Juni). # Eine Gruppe des IGMG-Jugendverbands Köln wurde während ihrer TürkeiReise vom "Anatolischen Jugendverein" betreut und besuchte Necmettin ERBAKAN in Ankara ("Milli Gazete" vom 5. Mai). 70 # A uf der Internetseite von Numan KURTULMUS, der bis zum 1. Oktober 2010 Vorsitzender der "Saadet Partisi" war, wurde die IGMG mit Stand vom 26. März 2010 als "kleinste Organisationseinheit unserer Organisation" bezeichnet. # Im Rahmen seines Deutschlandbesuchs trat Necmettin ERBAKAN in Begleitung mehrerer hochrangiger SP-Funktionäre bei zwei IGMG-Großveranstaltungen auf, am 15. April in Berlin sowie am 18. April in Duisburg. Unter frenetischem Jubel und "Müjahid [Glaubenskämpfer] Erbakan"Rufen seiner Anhänger in der IGMG hielt er Ansprachen, in denen er seine bekannten Theorien einer zweigeteilten Welt und Rettung der Menschheit durch die "Milli Görüs"-Bewegung darlegte. # Auf einem außerordentlichen Parteitag der "Saadet Partisi" am 17. Oktober wurde Necmettin ERBAKAN zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Laut "Milli Gazete" besuchten auch "viele Anhänger der Milli Görüs aus Europa, allen voran aus Deutschland" - also der IGMG - den Parteitag ("Milli Gazete", 18. Oktober). Die formal unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der "Milli Görüs"-Bewegung und nimmt in ihr eine zentrale Rolle als Nachrichtenund Propagandamedium ein. Sie berichtet umfangreich über IGMG-Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet, enthält Veranstaltungshinweise der IGMG sowie Stellungnahmen von IGMG-Funktionären. Zudem veröffentlicht sie regelmäßig Kondolenzanzeigen, Genesungsoder Glückwünsche von IGMG-Mitgliedern. Bei IGMGVeranstaltungen ist sie des Öfteren mit einem Stand vertreten. Nicht zuletzt liegt die "Milli Gazete" in den Räumlichkeiten von IGMG-Ortsvereinen für die Mitglieder zur Information, gelegentlich auch zur Mitnahme, aus. In der "Milli Gazete" wird seit vielen Jahren extremistisches Gedankengut verbreitet. Auch 2010 veröffentlichte die Zeitung wieder zahlreiche Artikel, die ein reformnegierendes Islamverständnis, Welterlösungsansprüche, Verschwörungstheorien und dezidierte Feindbilder propagieren. Die folgenden Zitate, die lediglich einen kleinen Ausschnitt aus der Gesamtheit extremistischer Aussagen darstellen, verdeutlichen dies: 71 "Reform in der Religion, Neuerung in der Religion, Veränderung in der Religion, ein gemäßigter Islam und Neuerungen wie die Lehre des historischen Relativismus sind Abnormitäten. Interreligiöser Dialog und die Toleranzlehre sind die gefährlichsten und destruktivsten Neuerungen dieser Zeit. Der Islam ist die einzig wahre Religion, und die wahre Religion kann keine Teilhaber/Mitstreiter akzeptieren." ("Milli Gazete, 28. Juli) "Ich [Numan KURTULMUS] sage ganz klar, dass es von nun an unsere Zivilisation ist, die der Welt eine Richtung geben wird, es sind die Werte unserer Zivilisation." ("Milli Gazete", 14. Mai) "Sie wollen den Islam von innen ruinieren. [...] Geheime und dunkle Banden arbeiten daran, den Koran mittels Übersetzungen und Auslegungen, die schwerwiegende Fehler, verzerrte Deutungen und einen verderblichen Sinn enthalten, zu verfälschen. [...] Sie wollen die muslimischen Volksmassen von der Religion und der Scharia entfernen, indem sie sie säkularisieren. [...] Den Feinden der Religion gelang es nicht, den Islam und die Gemeinde der Sunna mit einem Angriff von außen zu Fall zu bringen. Die heutigen geheimen, dunklen und bösen Mächte arbeiten daran, unsere Religion von den Gebetsnischen aus zu Fall zu bringen." ("Milli Gazete, 30. November) Die verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat sind mit ihrer Einbindung in die "Milli Görüs"-Bewegung nicht in Einklang zu bringen. Dies gilt umso mehr, als sich die Ideologie der "Milli Görüs" - rhetorisch abgemildert und weniger verbindlich formuliert - gelegentlich auch in IGMG-Publikationen und Äußerungen von IGMG-Funktionären wiederfindet. So wird im Glossar der IGMG-Internetseite Kufr, d.h. Unglaube, als "Wurzel allen Übels und Ursache aller Unterdrückung" bezeichnet (abgerufen am 25.10.2010). Diese Aussage fügt sich in die bekannte "Milli Görüs"-Ideologie ein, die auf einem Gegensatzpaar von islamisch, d.h. gerecht (adil) sowie unislamisch, d.h. nichtig (batil) beruht. Bezeichnend sind weiterhin die Ausführungen über das Tragen des Kopftuchs 72 auf der IGMG-Internetseite unter dem Stichwort "Standpunkte". So kommt einerseits im Einklang mit diesbezüglichen Aussagen in der "Milli Gazete" eine spezifische Erwartungshaltung der Organisation an die muslimische Frau zum Ausdruck, andererseits und im Widerspruch zur ersten Aussage wird eine Erklärung nachgeschoben, die den Eindruck vermeiden soll, die Organisation schränke Art. 2, Abs. 1 GG (Persönliche Freiheitsrechte) ein: "Der Islam gebietet sowohl dem Mann als auch der Frau das Einhalten von bestimmten Bekleidungsgeboten. Männern ist es geboten, mindestens ihren Körperbereich vom Bauchnabel bis zu den Knien zu bedecken. Frauen ist es geboten, sich bis auf Hände, Füße und Gesicht zu bekleiden, sowie das Haupthaar zu bedecken. Sinn dieses Gebotes ist es nicht, die Frau in irgendeiner Form zu unterdrücken, sondern sie dem Diktat des Körperlichen zu entziehen; also von den Zwängen eines Verständnisses, das Frauen allzu leicht nach ihrem Äußeren einen Wert beimisst, zu befreien. Das Tragen eines Kopftuches ist ein Teil dieses Gebotes des Islams, dem es zu folgen gilt. Es ist jedoch nicht Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses. Demnach kann das Tragen oder Nicht-Tragen eine Kopftuches nicht über die Zugehörigkeit eines Menschen zum Islam entscheiden. In jedem Fall sollten Frauen ein Kopftuch nur aus eigener Überzeugung und aus ihrem freien Willen heraus tragen. Diskriminierungen wegen des Nicht-Tragens eines Kopftuches lehnen wir genauso ab, wie Diskriminierungen wegen des selbst gewählten und selbst bestimmten Tragens eines Kopftuches."27 Neben den dargestellten Erkenntnissen wurden Verbindungen der IGMG zum Verein "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V." (IHH), der am 23. Juni 2010 mit Verfügung des Bundesministers des Innern verboten wurde, festgestellt (hierzu s. 3.2.3). 27 Internetseite der IGMG, Stand: 25. Oktober 2010. 73 4.3 "Kalifatsstaat" Gründung: 1984 in Köln als "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) 1994 Umbenennung in "Kalifatsstaat" (türkisch: Hilafet Devleti) Vereinsverbot: seit 2001 Sitz: Köln Mitglieder Bund: ca. 800 (2009: ca. 750) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 40 (2009: ca. 40) Die Bezeichnung "Kalifatsstaat" lässt bereits auf einen der wesentlichen Programmpunkte dieser türkisch-islamistischen Organisation schließen: die Wiedererrichtung des Kalifats und gleichzeitige Abschaffung der Republik als Staatsform. Als erster Schritt hierzu erfolgte die Ausrufung des Vereinsgründers Cemaleddin KAPLAN zum Kalifen durch die Vereinsmitglieder. Nach seinem Tod im Jahr 1995 führte sein Sohn und Nachfolger Metin KAPLAN den Kalifentitel. Er fand jedoch ebenso wie sein Vater außerhalb des Vereins keine Anerkennung als Kalif. Wenngleich die Rhetorik des "Kalifatsstaats" stark auf die Türkei zugeschnitten ist, werden die Demokratie und ihre wesentlichen Prinzipien wie Volkssouveränität oder Mehrparteiensystem doch grundsätzlich abgelehnt. Dies führte, zusammen mit der vehementen Agitation gegen Israel und somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker, zu seinem Verbot im Jahr 2001. Das bundesweite Vereinsverbot erstreckte sich auch auf drei rheinland-pfälzische Vereine, die als Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" identifiziert wurden, nämlich den "Islamischen Verein der in Bad Kreuznach und Umgebung wohnenden türkischen Arbeitnehmer", die "Islamische Union Ludwigshafen" sowie den "Wissenschaftsund Gebetsverein der türkischen Arbeitnehmer in Mainz und Umgebung". 74 Das Vereinsverbot und die Abschiebung Metin KAPLANs in die Türkei im Jahre 2004 bewegten einen großen Teil der "Kalifatsstaat"-Anhänger dazu, offene Nachfolgeaktivitäten in Deutschland zu vermeiden. Es können allerdings weiterhin Aktivitäten zur Aufrechterhaltung organisatorischer Zusammenhänge festgestellt werden. Zudem präsentiert sich der "Kalifatsstaat" im Internet mit den im Ausland registrierten und administrierten Seiten www.hakkhaber.com und www.seriat.net, letztgenannte als "offizielle Seite des Kalifatsstaats" bezeichnet ("Hilafet Devlet'inin Resmi Sitesi"). Auf diesen Internetseiten wird die "Kalifatsstaat"-Ideologie in ihrer bekannten Form verbreitet. So wird u.a. der Koran als Verfassung, die Scharia als Gesetz und das Kalifat als Staatsform der Muslime proklamiert. Umgekehrt wird die Demokratie als eine gegen den Islam gerichtete Institution sowie als Götze und Tyrannei bezeichnet. Mit Blick auf die Nichtmuslime ist die Rhetorik unverändert durch pauschale Schuldzuweisungen gekennzeichnet, gleichzeitig aber auch durch die Vergewisserung eines zukünftigen Sieges der Muslime. Im Ergebnis wird hierdurch weiterhin einem Antagonismus Vorschub geleistet. Die nachfolgenden Ausschnitte aus der Verteidigungsschrift von Metin Kaplan vom 2. Juli 2010 verdeutlichen dies: "[Muslime] sind Bedauernswerte, deren sämtlichen Rechte geraubt [...] wurden. [...] Oh, Mohammed! Du musst wissen, dass die ungläubige Gemeinschaft, die ungläubigen Völker und Staaten vor der islamischen Religion, die du übermittelt hast, in sich zusammenfallen werden." (www.seriat.net) Auch in Rheinland-Pfalz wurden Bestrebungen zur Aufrechterhaltung und Propagierung der "Kalifatsstaat"-Ideologie festgestellt, u.a. im Internet und mittels der Verteilung von einschlägigem Schriftgut. In diesem Zusammenhang verurteilte das Landgericht Koblenz am 10.01.2011 den Vorsitzenden der IbadullahMoschee in Bad Kreuznach zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe. Grundlage für die Verurteilung waren die Verteilung von Propagandamaterial sowie der Betrieb einer mittlerweile nicht mehr erreichbaren Internetseite gewesen. Sowohl die verteilten Kalender als auch die Internetseite hatten eindeutige Bezüge zur Ideologie und Programmatik des "Kalifatsstaats" aufgewiesen. 75 4.4 "Muslimbruderschaft" (offiziell: "Gemeinschaft der Muslimbrüder") Gründung: 1928 in Ägypten Mitglieder Bund: ca. 1.300 (2009: ca. 1.300) Mitglieder Rheinland-Pfalz: 15 (2009: 15) Strukturen in Rheinland-Pfalz: Lokalkreise der MJD Die "Muslimbruderschaft" existiert - mitunter unter anderen Bezeichnungen - in allen arabischen Staaten sowie in Ländern, in denen arabische Muslime leben. Aus den Reihen der "Muslimbruderschaft" gingen zudem neue Organisationen hervor. Zu nennen ist hierbei u.a. die HAMAS in den palästinensischen Gebieten. Programmatischer Kernpunkt der "Muslimbruderschaft" ist die Einheit von Religion und Politik, welche ausschließlich durch eine Anwendung der SchariaVorschriften verwirklicht werden kann. Sie bezieht damit eine Oppositionshaltung zu den meisten Regierungen in der arabischen Welt, ist jedoch von den gewaltsamen Auseinandersetzungen der Vergangenheit wie zeitweise in Ägypten und Syrien abgerückt. Stattdessen ist sie bestrebt, ihre Position im vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen zu stärken, um zukünftig Regierungsverantwortung zu übernehmen. Am 16. Januar 2010 verkündete die "Muslimbruderschaft" in Ägypten die Wahl ihres neuen Obersten Führers Muhammad BADIE. Nach seiner Wahl erklärte er, dass die "Muslimbruderschaft" ihre Ziele ausschließlich mit friedlichen und legalen Mitteln erreichen möchte. Unversöhnlich und damit im Einklang mit der langjährigen Linie der "Muslimbruderschaft" ist jedoch BADIEs Haltung gegenüber den USA und Israel. Laut "Ikhwanweb", der offiziellen englischsprachigen Internetseite der "Muslimbruderschaft", sagte BADIE, dass "es ein Imperativ sei, dass die arabischen Herrscher sämtliche 76 nutzlosen Verhandlungen, seien sie direkt oder indirekt, für ungültig erklären, und alle Formen des Widerstandes unterstützen, um jeden Zentimeter besetzten Landes in Palästina, Irak und Afghanistan zu befreien." Weiterhin heißt es: "Badie rief die 1,5 Milliarden Muslime dazu auf, sich zu vereinigen und gemeinsam die amerikanische und israelische Hegemonie zu bekämpfen [...]".28 In Europa besteht eine Vielzahl von Organisationen und Einrichtungen, die ungeachtet ihrer formalen Unabhängigkeit sowohl untereinander verflochten sind als auch mit der "Muslimbruderschaft" in Verbindung stehen. In Deutschland wird die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) mit Sitz in München aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse von den Verfassungsschutzbehörden der "Muslimbruderschaft" zugerechnet. Gemäß ihren eigenen Angaben sind der IGD acht Islamische Zentren angegliedert, und zwar in München, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt a.M., Marburg, Köln, Münster und Braunschweig. Beziehungen personeller und ideologischer Art bestehen ferner zwischen IGD und der "Muslimischen Jugend in Deutschland e.V." (MJD) mit Sitz in Berlin und 23 sogenannten Lokalkreisen im Bundesgebiet. Hierbei handelt es sich um eine Organisation von und für Personen zwischen 13 und 30 Jahren. Mit Aktivitäten insbesondere im Bereich der religiösen Erziehung und Bildung dient sie der Nachwuchsgewinnung. In Rheinland-Pfalz gibt es Personen, die der Ideologie der "Muslimbruderschaft" folgen und in ihr deutsches organisatorisches Umfeld eingebunden sind. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass sie bestrebt sind, das Gedankengut der "Muslimbruderschaft" zu verbreiten und auch in Rheinland-Pfalz die Bildung ihrer Strukturen zu fördern. 28 Homepage www.ikhwanweb.com vom 2. April 2010. 77 4.5 "Hizb Allah" (auch: "Hizbullah", "Hizbollah"; "Partei Gottes") Gründung: 1982 im Libanon Mitglieder Bund: ca. 900 (2009: ca. 900) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 25 (2009: ca. 25) Strukturen in Rheinland-Pfalz: keine Die schiitische "Hizb Allah" wurde 1982 - nach dem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon - auf Betreiben Irans gegründet. Sie wird finanziell und ideologisch weiterhin vom Iran unterstützt. Die "Hizb Allah" hat sich im Libanon zunehmend zu einem Machtfaktor entwickelt. Die von Hasan NASRALLAH geleitete Organisation besitzt nicht nur einen sozialen Flügel, der Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser unterhält und weitere karitative Dienste insbesondere für die schiitische Bevölkerung des Landes leistet, sondern auch einen paramilitärischen Arm mit der Bezeichnung "Islamischer Widerstand". Mit dem in Beirut ansässigen Satelliten-Fernsehsender "Al-Manar" ("Der Leuchtturm") besitzt die "Hizb Allah" darüber hinaus ein wichtiges - in Deutschland seit 2008 verbotenes - Medium für ihre antiisraelische und antijüdische Propaganda. Im November 2009 veröffentlichte die "Hizb Allah" ein neues Manifest. Anders als im ersten "Hizb Allah"-Manifest von 1985 ist hier nicht von der Begründung einer Islamischen Republik im Libanon die Rede. Die Haltung gegenüber der Islamischen Republik Iran ist jedoch auch in dem neuen Dokument von Sympathie und Bewunderung geprägt. Demgegenüber werden die USA als "weltbedrohliche Gefahr" charakterisiert und der "US-Terrorismus" für den Tod von Millionen von Menschen und "weltweite Zerstörung" verantwortlich gemacht. Israel, an mehreren Textstellen als "zionistisches Gebilde" bezeichnet, wird pau78 schal mit Attributen wie rassistisch, aggressiv und kriegslüstern belegt. Jeder Kompromiss mit Israel wird zurückgewiesen, seine Legitimität wird bestritten. Die Schlussfolgerung des Manifests lautet vielmehr, dass der bewaffnete Kampf und Widerstand die beste Methode zur Beendigung der Besatzung seien. Eine veränderte Strategie der "Hizb Allah" gegenüber dem Nachbarland lässt das neue Manifest insofern nicht erkennen. Es ist vielmehr ein neuerlicher Beleg für den extremistischen und gewaltbejahenden Charakter der Organisation. In Rheinland-Pfalz tritt die "Hizb Allah" öffentlich nur wenig in Erscheinung. Es gibt gleichwohl Erkenntnisse über Aktivitäten zur Unterstützung der Organisation, u.a. in Form von Spendensammlungen. 4.6 "Tablighi Jamaat" ("Gemeinschaft der Verkündung") Gründung: 1927 bei Delhi, Indien Hauptsitz: Delhi und Raiwind bei Lahore, Pakistan Europazentrale: Dewsbury, Großbritannien Anhänger Bund: ca. 700 (2009: ca. 700) Anhänger Rheinland-Pfalz: ca. 40 (2009: ca. 40) Die "Tablighi Jamaat" hat sich während der zurückliegenden Jahrzehnte von ihrem Ursprungsland Indien in zahlreiche Länder auf allen Kontinenten verbreitet. Ihre Anhängerschaft soll Schätzungen zufolge weltweit im zweistelligen Millionenbereich liegen. Eine diesbezügliche Präzisierung fällt insofern schwer, als die "Tablighi Jamaat" trotz ausgeprägter Organisationsstrukturen im Hinblick auf Neuzugänge eine offene Bewegung ist und keine Mitgliederlisten im klassischen Sinne führt. Die "Tablighi Jamaat" charakterisiert sich selbst als eine religiös-missionarische Bewegung ohne politische Ambitionen. In der Tat liegen die Hauptaktivitäten der "Tablighi Jamaat" im Bereich der Missionierung und religiösen Erziehung. Konkret sieht sie es als ihren Auftrag, Muslime über die 79 Glaubenslehren, rituellen Vorschriften und Verhaltensregeln des Islam zu informieren und sie zu einem Leben hinzuführen, das sich strikt am Koran und der überlieferten Lebensweise Muhammads und seiner Gefährten (Sunna) orientiert. Das Bemühen um die Wiederherstellung eines "reinen" Islam und Betonung der muslimischen Identität geht mit einer Abgrenzung gegenüber anderen Religionen und Lebensformen einher. So wird bezeichnenderweise in einer maßgeblichen Schrift der "Tablighi Jamaat" beklagt, die Muslime des 20. Jahrhunderts seien allzu sehr darauf aus, Seite an Seite mit den Nichtmuslimen die Annehmlichkeiten des Diesseits zu genießen (Muhammad Zakariyya Kaandhlawi: Faza'il-e-A'maal [Die Segnungen frommer Taten]. Karachi 1997, S. 35.). Dieses umfangreiche Werk ist im Wesentlichen eine kommentierte Zusammenstellung überlieferter Aussagen und Taten Muhammads sowie seiner Zeitgenossen. Es vermittelt zwar keine geschlossene Ideologie, führt aber gleichwohl in die Gedankenwelt der "Tablighi Jamaat" ein. Kritisch zu werten sind in dem Werk vor allem folgende Punkte: # U nterordnung der Frau unter den Mann einschließlich einer Gehorsamspflicht, sexuellen Verfügbarkeit und eingeschränkten Bewegungsfreiheit, # G lorifizierung von Jihadund Märtyreraktivitäten früher Muslime. Heutige Muslime werden zwar nicht explizit zur Teilnahme am kämpferischen Jihad aufgerufen, die entsprechenden Textstellen können aber vor dem Hintergrund der existierenden politischen Konflikte als indirekte Motivierung für den Jihad verstanden werden, # K ollektivzwang in Glaubensfragen, z.B. Androhung von Strafen bei Vernachlässigung des Gebets sowie Verpflichtung zum Gemeinschaftsgebet. Die "Tablighi Jamaat" hat innerhalb der vergangenen Jahre auch in RheinlandPfalz Aktivitäten entfaltet, um neue Anhänger zu gewinnen. Hierbei nehmen Missionsgruppen Kontakt zu bestehenden Moscheevereinen zwecks Schulungsseminaren auf. Im Jahr 2010 war allerdings keine Intensivierung der Missionierungstätigkeiten zu verzeichnen. 80 4.7 Jihadistische Islamisten Die zahlreichen Organisationen und informellen Personenzusammenschlüsse, die sich dem Jihad gegen die von ihnen als islamfeindlich wahrgenommenen Kräfte verschrieben haben, werden oftmals unter ihrer Eigenbezeichnung Mujahidin oder der Fremdbezeichnung Jihadisten zusammengefasst. Charakteristisch für sie ist eine Gewalt betonende Auslegung des Jihad-Begriffs unter Einschluss terroristischer Mittel. Die heutige Jihad-Kampffront hat einige Schwerpunktregionen; zu nennen sind derzeit vor allem Afghanistan, Pakistan, Somalia und Irak. Die Kampffront ist allerdings räumlich nicht näher einzugrenzen und hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre stark globalisiert. Dies bedeutet, dass auch andere - der Islamfeindlichkeit beschuldigte - Länder in das Visier von Jihadisten geraten und zum Schauplatz von terroristischen Aktionen werden können beziehungsweise schon geworden sind. Die jihadistische Bewegung ist auch im Hinblick auf die Herkunft ihrer Anhänger, ihr Kontaktnetz, ihre Aufenthaltsorte und Reisebewegungen nahezu global. Zu den in Deutschland in das jihadistische Spektrum eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. Einen ungefähren Anhaltspunkt geben die Angaben des Bundeskriminalamtes. Gemäß dem Stand von Oktober 2010 wurden demnach in Deutschland 352 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund geführt. Auch in Rheinland-Pfalz wurden in den vergangenen Jahren einzelne Personen identifiziert, bei denen Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum jihadistischen Spektrum vorlagen bzw. vorliegen. Im Juli wurde eine in Montabaur wohnhafte Person festgenommen, gegen die nunmehr ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland geführt wird. Der Beschuldigte steht im Verdacht, zwischen 2007 und 2010 um Mitglieder und Unterstützer für die ausländischen terroristischen Vereinigungen "Al-Qaida", "Islamischer Staat Irak", "Al-Qaida im Maghreb" und "Islamische Jihad-Union" geworben zu haben, indem er auf verschiedenen Internetseiten Propagandamaterial eingestellt und unter anderem das "Al-Ansar Media Bataillon"-Forum eingerichtet und administriert hat. 81 IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Die Aktivitäten der in Deutschland festgestellten (nicht islamistischen) extremistischen Ausländerorganisationen wurden, wie auch schon in den Jahren zuvor, durch aktuelle politische Ereignisse und Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt. Deutschland dient ihnen dabei als Rückzugsraum und/oder Ausgangspunkt für materielle Unterstützungsleistungen ihrer Kernorganisationen in der Heimat. Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die seit 2003 in Deutschland unter dem Namen "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gel) aktiv ist, setzte weiterhin auf einen überwiegend friedlichen Kurs in Westeuropa. Ihr politisches Handeln war auch 2010 eng verbunden mit den in der Heimat anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen eigener Guerilla-Einheiten mit dem türkischen Militär sowie dem Schicksal des seit 1999 in der Türkei inhaftierten Parteigründers Abdullah ÖCALAN. Öffentliche Protestaktionen der PKK-Anhängerschaft richteten sich auch gegen deutsche Ausländerpolitik und einheimische Rüstungsunternehmen. Die separatistische "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) kämpft weiter für die Errichtung eines eigenen Tamilenstaates in Sri Lanka und dies trotz ihrer finalen Niederlage gegen die srilankische Armee im Jahr 2009. Die LTTE befindet sich in Westeuropa/Deutschland in einem Umstrukturierungsprozess; noch ist unklar, ob zum Erreichen ihrer politischen Ziele ein friedlicher oder militanter Weg eingeschlagen wird. 82 1. Personenpotenzial Rheinland-Pfalz Bund 2010 2009 2010 2009 Gesamt 600 600 24.910 24.710 Linksextremisten 500 500 17.070 16.870 Extreme Nationalisten 100 100 7.840 7.840 (Angaben gerundet) 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, kurz: PKK) Gründung: 1978 in der Türkei Umbenennung: April 2002 in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und Anfang November 2003 in "Volkskongress Kurdistan" (KONGRA GEL) Weitere Bezeichnungen: Seit 2005 "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) 2007 Umbenennung in "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Militärischer Arm in der Türkei: "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, kurz: HPG) Leitung in Westeuropa/Deutschland: Führungsfunktionäre der "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) Mitglieder/Anhänger Bund: ca. 11.500 (2009: ca. 11.500) Mitglieder/Anhänger Rheinland-Pfalz: ca. 450 (2009: ca. 450) Betätigungsverbot in Deutschland: seit 22. November 1993 83 Allgemeine Lage Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) wurde 1978 von Abdullah ÖCALAN gegründet und versucht in den kurdischen Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei und im Nord-Irak mehr politischen Einfluss, ethnische Selbständigkeit und kulturelle Freiheiten zu erkämpfen. Dabei ist sie mittlerweile von ihrem ursprünglichen Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu gründen, abgerückt. Neben friedlichen Protestformen und Initiativen versucht sie auch unter Anwendung von Gewalt durch ihren bewaffneten Arm, den "Volksverteidigungskräften" (HPG), ihren politischen Zielen Nachdruck zu verleihen. Im Berichtszeitraum kam es zwischen der HPG und türkischen Sicherheitskräften erneut zu einer Vielzahl von kriegerischen Auseinandersetzungen mit Verlusten auf beiden Seiten. In seiner an das Volk gerichteten Botschaft für das Jahr 2010 sprach Abdullah ÖCALAN von einem Jahr des "Großen Kampfes". Alle Kräfte müssten mobilisiert werden, um Freiheit auf der Basis einer demokratischen Nation zu erringen. Ziel sei das Erreichen einer "Demokratischen Autonomie". Mehrfach wurde seitens der PKK der "Waffenstillstand" verlängert und ein Zeitraum der "Aktionslosigkeit" bis zur türkischen Parlamentswahl im Juni 2011 verkündet. Gleichwohl werde dadurch das "Selbstverteidigungsrecht" der Kurden nicht in Frage gestellt. Presseberichten zufolge soll es erstmals zu - von Abdullah ÖCALAN initiierten - "Verhandlungen" mit türkischen Regierungsstellen und PKK-Vertretern gekommen sein. In Westeuropa, so auch in Deutschland, verhielten sich die PKK und ihre Umfeldorganisationen weitgehend friedlich, um sich den ideellen und finanziellen Rückzugsraum zu erhalten. Der Bundesminister des Innern hatte am 22. November 1993 die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt, weil sie strafrechtliche Bestimmungen verletze, sowie die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und andere erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. 84 In Rheinland-Pfalz sind ca. 450 Kurden der PKK zuzurechnen. Anlassbezogen kann ein Mehrfaches an Sympathisanten mobilisiert werden. In Ludwigshafen am Rhein ist die PKK-Anhängerschaft im "Kurdischen Kulturverein e.V." (KKV) organisiert. Dieser dient als Anlaufstelle für den gesamten Rhein-Neckar-Raum und ist Mitglied der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM), Sitz Düsseldorf, der insgesamt 47 Mitgliedsvereine angehören ("Bülten" Nr. 9, 11/2010). Unorganisierte PKK-Anhänger gibt es daneben im südlichen Rheinland-Pfalz (Landau, Zweibrücken), Rheinhessen (Alzey, Worms), Trier und im nördlichen Rheinland-Pfalz (Koblenz, Neuwied). Im Berichtszeitraum hat der KKV viele Veranstaltungen und Demonstrationen durchgeführt und zur Teilnahme an überregionalen Sympathiekundgebungen, auch im Ausland (Straßburg, Brüssel), aufgerufen. So feierten die Vereinsmitglieder am 4. April 2010 den Geburtstag ihres Parteigründers Abdullah ÖCALAN und demonstrierten am 14. April 2010 in der Mannheimer Innenstadt gegen die Festnahme eines kurdischen Politikers in der Türkei. Demonstranten skandierten Parolen wie "Wir sind PKK", "Wir sind Guerilla", "Freiheit für Abdullah ÖCALAN". Am 23. Mai 2010 gedachten sie ihrer gefallenen "Märtyrer" und am 19. Juni 2010 trafen sich ca. 100 Teilnehmer in Ludwigshafen-Friesenheim, um das 10jährige Vereinsjubiläum zu begehen. Im Rahmen einer Mitgliederversammlung am 12. September 2010 wurden Spendenappelle der Führungsebene an die Teilnehmer mit dem Hinweis gerichtet, das kurdische Volk in Europa solle großzügig spenden, um den Widerstand in den Bergen aufrecht erhalten zu können. Organisationsstrukturen Nach der Umbenennung der PKK 2002 in KADEK und 2003 in KONGRA GEL beschloss die PKK ihre Neugründung auf einem "Kongress zum Wiederaufbau" im Frühjahr 2005. Seither gibt es daneben als "ideologischen Motor" den 2003 gebildeten KONGRA GEL, der die politischen Ziele der PKK umsetzt. Eine Schlüsselrolle in dem angestrebten Demokratisierungsprozess des Nahen Ostens spielt die "Koma Ciwaken Kurdistan" (KCK). 85 Die Aktivitäten der PKK in Europa werden weiterhin von der "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK), dem politischen Arm der PKK, gesteuert. Mehrere Massenorganisationen, die jeweils bestimmte kurdische Bevölkerungsund Interessensgruppen repräsentieren (z.B. Aleviten, Jeziden, Jugendliche, Frauen, Studenten etc.) gehören ebenso zur Organisationsstruktur der PKK. Ihre Jugendorganisation "Komalen Ciwan" entfaltet zum Teil auch gewalttätige Aktivitäten. Daneben existieren konspirative Organisationsformen, sogenannte Serits, die Deutschland in die Bereiche Nord, Mitte und Süd unterteilen. Die Serits werden von regelmäßig wechselnden Führungsfunktionären geleitet. Diese haben starken Einfluss auf die nachgeordneten ca. 30 Gebiete mit den jeweiligen Gebietsbzw. Teilgebietsleitern. Dadurch werden auch die zahlreichen vor Ort bestehenden kurdischen Kulturvereine beeinflusst. Neuerdings sprechen PKK-Vertreter von dem Aufbau weiterer örtlicher Organisationsstufen, dem so genannten "Halk Meclisi System" (Volksräte-System), das als basisdemokratisches Modell bis in die kleinste Regionalebene hinein gegründet werden und wirken soll. Zur öffentlichen Verbreitung ihrer politischen Ziele und zur aktuellen Berichterstattung aus den kurdischen Siedlungsgebieten stützen sich die PKK bzw. CDK auf die in den Niederlanden angesiedelte Nachrichtenagentur "FIRAT News Agency", den TV-Sender ROJ-TV sowie auf verschiedene Publikationen wie z.B. die türkischsprachige Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (Neue Freie Politik). Darüber hinaus gibt es eine vielfältige Internetpräsenz, vorwiegend in kurdischer Sprache, die Videound Schriftendownloads anbietet, Möglichkeiten zum Chatten eröffnet oder historische und aktuelle Informationen bereithält. Im Jahr 2010 sammelte die PKK im Rahmen ihrer jährlichen Spendenkampagne in Europa mehrere Millionen Euro. Das Geld dient in erster Linie der finanziellen Unterhaltung von Einrichtungen der Organisation in Europa, darüber 86 hinaus auch der Unterstützung der kämpfenden Einheiten in den Kurdengebieten. Daneben erzielt sie Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf eigener Publikationen und Erlöse aus Feiern und Veranstaltungen. Propagandaveranstaltungen Die PKK ist bestrebt, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Für ihre überregionalen Veranstaltungen waren vor allem aktuelle Ereignisse in der Türkei, der Gesundheitszustand Abdullah ÖCALANs und seine Haftbedingungen sowie die alljährlich wiederkehrenden "Gedenkfeiern" maßgeblich. Dabei zeigte sich, dass die PKK immer wieder einen großen Personenkreis mobilisieren kann. Am 24. Januar 2010 nahmen in Köln zahlreiche Kurden an einem Protestmarsch gegen die Haftbedingungen Abdullah ÖCALANs teil. Im gleichen Zusammenhang standen auch die bundesweiten Konzertveranstaltungen der PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan" Ende Januar 2010. Am 31. Januar 2010 führte der KKV Ludwigshafen eine Veranstaltung in Mannheim mit ca. 1.000 Teilnehmern durch. Redner verwiesen auf die zehnjährige Haft Abdullah ÖCALANs und forderten seine Freilassung, ansonsten werde man "kämpfen". Die zentrale Solidaritätsdemonstration mit mehr als 6.500 Personen fand am 13. Februar 2010 wieder in Straßburg statt. Eine Schwerpunktveranstaltung aus Anlass des kurdischen Neujahrsfestes wurde am 20. März 2010 mit ca. 20.000 Teilnehmern in Düsseldorf abgehalten. Sie war von der YEK-KOM unter dem Motto "NEWROZ bedeutet: Widerstand, Aufstand und Freiheit!" organisiert worden. Am 18. September 2010 endete eine bundesweite Kampagne "Tatort Kurdistan". Die Aktionen wurden von einem Bündnis deutscher und kurdischer Extremisten getragen. Ziel war es, deutlich zu machen, dass die Bundesrepublik - sowohl Regierung als auch Wirtschaft und insbesondere die Rüstungsindustrie - in den Konflikt verstrickt ist. Außerdem wurde die Abschiebepraxis deutscher Behörden angeprangert. Die YEK-KOM führte am 18. September 2010 im Rhein-Energie-Stadion in Köln 87 ihr 18. internationales Kulturfestival unter dem Motto "Freiheit für ÖCALAN", "Frieden für Kurdistan", "Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit" durch. Den ca. 25.000 Teilnehmern, darunter auch zahlreiche PKK-Anhänger aus RheinlandPfalz, wurde u.a. ein Propagandafilm des kurdischen Befreiungskampfes der letzten 30 Jahre gezeigt. Eine Videobotschaft des KCK-Generalsekretärs endete u.a. mit den Parolen "Es wird ein Kurdistan kommen", "APO wird frei kommen", "Es lebe Kurdistan", "Es lebe APO".28a Aus Anlass des 12. Jahrestages der Ausweisung Abdullah ÖCALANs aus Syrien (9. Oktober 1998) kam es - wie in den Vorjahren - mehrheitlich am 9. Oktober 2010 zu vielen Kundgebungen in Deutschland u.a. in Berlin, Essen, Frankfurt, Hamburg, Köln, Darmstadt, Saarbrücken und Stuttgart. Bei der Aktion des KKV Ludwigshafen in der Mannheimer Innenstadt mit ca. 300 Teilnehmern, darunter auch örtliche Antifa-Gruppen, wurden APO-Portraits gezeigt, in Sprechchören die Freilassung Abdullah ÖCALANs gefordert und gegen das ROJ-TVVerbot protestiert. Den 32. Jahrestag der PKK-Gründung (17. November 1978) feierten Kurden überwiegend friedlich in vielen deutschen Städten. Eine aus diesem Anlass in Heilbronn am 20. November 2010 mit ca. 500 Teilnehmern abgehaltene Kundgebung führte zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf 13 Polizeibeamte verletzt und 41 Kurden in Gewahrsam genommen wurden. Auch Personen aus dem linksextremistischen Spektrum und kurdische Jugendliche aus dem Raum Mannheim/Ludwigshafen nahmen an der Feier des KKV Ludwigshafen in der mit KCK-Fahnen und APOBildern geschmückten Siedlerhalle in Lampertheim (Hessen) teil, wo sich ca. 600 Personen versammelt hatten. 28a APO = Onkel, Bezeichnung für Abdullah ÖCALAN. 88 Gerichtliche Verfahren - Exekutivmaßnahmen Am 4. März 2010 führten belgische Sicherheitsbehörden in Brüssel gegen den Sender ROJ-TV, den KNK sowie gegen Funktionäre und Einrichtungen der PKK Exekutivmaßnahmen durch. Bei Spontandemonstrationen kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Festnahmen hochrangiger PKK-Funktionäre. Solidaritätsdemonstrationen in Deutschland u.a. in Köln, Frankfurt, Berlin, Hamburg und Stuttgart verliefen überwiegend friedlich. In Mannheim demonstrierten ca. 300 Personen am 13. März 2010. Dabei wurden Bilder von Abdullah ÖCALAN gezeigt, Fahnen des KCK mitgeführt und Flugblätter der YEK-KOM und der YXK verteilt. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen Mitglieder der PKK-Jugendorganisation Komalen Ciwan wegen des Verdachts des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst führte in der Jugendherberge Nideggen (NRW) am 29. Dezember 2010 zur vorläufigen Festnahme von 44 Personen, darunter auch Führungsfunktionäre. Eine Person ist in Rheinland-Pfalz wohnhaft. Die Komalen Ciwan werben sowohl im Internet als auch in ihrer Print-Publikation "Sterka Ciwan" massiv für die Ziele der PKK. Sie rufen darüber hinaus Jugendliche in Europa auf, sich der Guerilla anzuschließen. 3. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten und 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) Mitglieder/Anhänger Bund: ca. 650 (2009: ca. 650) Mitglieder/Anhänger Rheinland-Pfalz: einzelne (2009: einzelne) Betätigungsverbot in Deutschland: seit 6. August 1998 89 Die türkische marxistisch-leninistisch orientierte Organisation DHKP-C (Türkisch: Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi) hat sich zum Ziel gesetzt, den türkischen Staat durch "bewaffneten Kampf" zu zerschlagen; als Ziel verfolgt sie eine klassenlose Gesellschaft. Die DHKP-C verfügt in Europa über eine Auslandsorganisation, die sie als ihre "Rückfront" zur Finanzierung der terroristischen Aktivitäten, zur Beschaffung von Waffen und sonstiger militärischer Ausrüstung sowie als sicheren Rückzugsraum für ihre Mitglieder nutzt. Seit ihrer Gründung im Jahr 1994 bis in die Gegenwart beging die Gruppierung in der Türkei zahlreiche Tötungsdelikte und verübte eine Vielzahl von Brandund Sprengstoffanschlägen, zu denen sie sich jeweils öffentlich bekannte. Seit dem Jahr 2001 setzte sie dabei wiederholt ihre Kämpfer für Selbstmordattentate ein. Von der Europäischen Union wird die DHKP-C seit dem 2. Mai 2002 als terroristische Organisation gelistet. Die DHKP-C besteht in Deutschland aus einer Zentrale, den Regionen und den Gebieten ("Bölge"). Unterstützt wird sie von verschiedenen Umfeldorganisationen. Mit Verfügung vom 6. August 1998 wurde die DHKP-C vom Bundesminister des Innern als Ersatzorganisation der "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) wegen ihrer terroristischen Aktivitäten in Deutschland verboten. Im Februar 1999 erklärte die Organisation durch ihren mittlerweile verstorbenen Führer Dursun KARATAS einen "Gewaltverzicht" für Deutschland und Europa. Seitdem sind Gewalttaten der terroristischen Vereinigung im Inland nicht mehr bekannt geworden. Als Sprachrohr und kommunikatives Verbindungsmittel zu Mitgliedern und Anhängern bedient sich die DHKP-C der Wochenschrift "Yürüyüs" (Demonstration, Marsch), in der regelmäßig auch über in Deutschland anhängige Strafverfahren gegen inhaftierte Parteifunktionäre berichtet wird. Daneben betreibt sie mittels eigener Homepage Propagandaarbeit im Internet. Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und eine jährliche Spendenkampagne. Weitere Einnahmequellen werden durch Erlöse aus Parteiveranstaltungen mit kulturellem Rahmenprogramm und Musikdarbietungen erzielt. 90 Im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen DHKP-C-Funktionäre in Deutschland fanden im November 2010 demonstrative Veranstaltungen unter dem Motto "Langer Marsch für die SS 129-Gefangenen", Auftakt in Düsseldorf, Abschlusskundgebung in Köln, mit Stationen in Mannheim / Ludwigshafen statt. Auch im Jahr 2010 führten Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) zu Festnahmen mutmaßlicher Führungsfunktionäre der DHKP-C sowie zu Anklagen durch die Bundesanwaltschaft und Verurteilungen zu langjährigen Freiheitsstrafen durch die Strafgerichte. Am 15. Juli 2010 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart zwei türkische Angeklagte wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Beide waren als hochrangige Führungsfunktionäre der "Rückfront" der DHKP-C in Deutschland aktiv, einer von ihnen als Gebietsleiter "Mitte" (Gebiete Frankfurt und Mannheim), wozu auch Teile von Rheinland-Pfalz gehören. Am 8. Dezember 2010 verurteilte das OLG Düsseldorf einen Deutsch-Türken als Aktivist der DHKP-C wegen Verabredung zum Totschlag und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Er hatte Jagd auf "Aussteiger und Verräter" gemacht. 4. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 1972 in der Türkei 1994 Spaltung in "Partizan"-Flügel und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) Mitglieder/Anhänger Bund: ca. 1.300 (2009: ca. 1.300) ("Partizan" und MKP) Mitglieder/Anhänger Rheinland-Pfalz: einzelne (2009: einzelne) ("Partizan" und MKP) 91 Die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) wurde 1972 in der Türkei als Nachfolgeorganisation der "Kommunistischen Partei der Türkei" (TKP) und der "Revolutionären Arbeiterund Bauernpartei der Türkei" (TI-IKP) gegründet. Ihr Ziel ist die Beseitigung der türkischen Staatsordnung. 1994 spaltete sich von der TKP/ML das "Ostanatolische Gebietskomitee" (DABK) ab; daraus entstand 2002/2003 die "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP). Der mehrheitliche Flügel der TKP/ML tritt unter der Bezeichnung "Partizan" auf und verfügt in Deutschland über rund 800 Mitglieder und Anhänger. Das MKP-Potenzial liegt bei ca. 500 Personen. In der Türkei führt der "Partizan"-Flügel als sogenannte bewaffnete Frontorganisation die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO). Die Guerillagruppe der MKP agiert in der Türkei unter dem Namen "Volksbefreiungsarmee" (HKO). Beide Gruppierungen sind dort wiederholt mit terroristischen Aktionen hervorgetreten. In Deutschland konzentrieren sich "Partizan" und MKP auf Spendensammlungen und propagandistische Aktivitäten. Hierbei werden sie von mehreren Umfeldorganisationen unterstützt. Zentrale Themen ihrer Agitation sind die sogenannte "faschistische Diktatur" in der Türkei und die "imperialistische" Politik der USA. Anlässlich des Todestages ihres Parteigründers Ibrahim KAYPAKKAYA (18. Mai 1973) führen beide Gruppierungen alljährlich im Mai Gedenkveranstaltungen mit einem kulturellen Rahmenprogramm durch. Die Veranstaltung der "Partizan"-Fraktion fand am 22. Mai in Esslingen, die der MKP bereits am 15. Mai 2010 in Köln mit jeweils über tausend Teilnehmern statt, darunter auch Anhänger aus Rheinland-Pfalz. 5. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 in Sri Lanka Mitglieder/Anhänger Bund: ca. 1000 (2009: ca. 800) Mitglieder/Anhänger Rheinland-Pfalz: ca. 30 (2009: ca. 30) 92 Die tamilische separatistische sowie terroristische Vereinigung "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) verfolgt seit ihrem Entstehen im Jahr 1976 das Ziel, durch paramilitärischen bewaffneten Kampf im überwiegend von Tamilen besiedelten Nordund Ostteil Sri Lankas einen selbständigen Tamilenstaat sozialistischer Prägung zu gründen ("Tamil Eelam"). Bis 1986 gelang es den LTTE mit ihren Infanterieeinheiten ("Tigers"), den Marine("Sea Tigers") und Luftwaffenkräften ("Air Tigers") neben der Halbinsel Jaffna weite Teile der Nordund der Ostprovinzen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie nach und nach eigene staatsähnliche Strukturen schufen. Außer den vorstehend genannten paramilitärischen Kräften unterhielten die LTTE eine Spezialeinheit ("Black Tigers"), deren Angehörige neben Anschlägen auf zivile Ziele auch Selbstmordattentate durchführten. Im Frühjahr 2009 ging mit der militärischen Zerschlagung der LTTE durch srilankische Regierungstruppen ein mehr als zwanzig Jahre dauernder Bürgerkrieg zu Ende. Nach Medienberichten forderte er zwischen 80.000 und 100.000 Todesopfer, darunter auch LTTE-Führer PRABHAKARAN. Die LTTE ist aufgrund eines Beschlusses des Rats der EU seit Mai 2006 als terroristische Vereinigung gelistet. Am 3. März 2010 wurden die LTTE-Deutschland-Zentrale (TCC) in Oberhausen und sieben weitere Objekte durchsucht. Darüber hinaus kam es zur Festnahme mehrerer "Führungskader" in den Monaten März, Mai und November 2010 wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der EU (SS 129b Abs. 1 StGB) und Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Am 19. August 2010 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem OLG Düsseldorf Anklage gegen die führenden LTTE-Funktionäre. Zu den Aufgaben des TCC gehörten insbesondere die politische Öffentlichkeitsarbeit und die Geldsammlungen unter den in Deutschland lebenden 93 Tamilen. Bei seiner Arbeit stützte es sich auf ein bundesweites, hierarchisch aufgebautes Netz aus Gebiets-, Provinzund Stadtverantwortlichen. Derzeit befindet sich die LTTE sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern mit tamilischen Bevölkerungsanteilen ("tamilische Diaspora") in einem Umstrukturierungsprozess, in dem "Hardliner", welche die militärische Linie der ursprünglichen LTTE verfolgen und moderate Kräfte ("gemäßigter Flügel"), die friedlich über demokratische Wahlen eine tamilische Übergangsregierung ("Transnational Government of Tamil Eelam" - TGTE) errichten wollen, miteinander konkurrieren. Im Jahr 2010 wurden bundesweit - auch in Rheinland-Pfalz - zahlreiche Aktivitäten der Organisation bekannt, insbesondere im Zusammenhang mit der am 20. und 27. Juni veranstalteten Wahl der Delegierten für das TGTE. Rheinland-pfälzische Wahllokale befanden sich u.a. in Landau und Germersheim. Neben öffentlichkeitswirksamen überregionalen Protestaktionen und Demonstrationen in Genf, Brüssel, Düsseldorf und Berlin, veranstaltete die LTTE 2010 ihren jährlichen "Helden-Gedenktag" am 28. November in Dortmund mit mehreren tausend Teilnehmern, darunter u.a. auch Tamilen aus RheinlandPfalz. 94 V. Elektronische Medien Elektronische Medien gehören zum Alltag. Die Zahl ihrer Nutzer steigt kontinuierlich. Kein anderes Medium hat sich in den letzten Jahren dabei so dynamisch entwickelt wie das Internet. Es ist längst über das Stadium einer reinen Informationsquelle hinausgewachsen. Die vielfältigen interaktiven Möglichkeiten, die bereits bestehen und die sich weiter entwickeln werden, bringen erheblichen Nutzen, schaffen aber auch Risiken. Soziale Netzwerke, Foren, Nachrichtenportale, Online-Shops etc. wecken auch das Interesse von Extremisten. 1. Rechtsextremisten Rechtsextremisten nutzen das Internet, um gegenwartsnah, weitgehend ohne Risiko, anonym sowie kostengünstig über die hohe Breitenwirkung des World Wide Web eine Vielzahl von Nutzern zu erreichen. Im Internet sind alle wesentlichen rechtsextremistischen Parteien, Organisationen, Kameradschaften, Publikationen, Versandhäuser, Skinhead-Bands und Liedermacher vertreten. Wie im Vorjahr existieren rd. 1.000 deutschsprachige Internetpräsenzen, 35 davon entfallen auf Rheinland-Pfalz. Besonders aktiv ist die rechtsextremistische Musikszene, von der nicht zuletzt wegen ihrer Jugendaffinität Gefahren ausgehen. So werden Veranstaltungen rechter Skinhead-Bands sowie so genannte Liederund Balladenabende von rechtsextremistischen Liedermachern professionell beworben. Darüber hinaus bieten jugendrelevante Seiten ein vielseitiges Unterhaltungsspektrum und beinhalten audiovisuelle Angebote wie Videoplattformen, rechtsextremistische Gewaltspiele oder herunterladbare Musik im MP3-Format. Rechtsextremistische Internet-Radios, die u.a. Liedtexte mit fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Inhalten verbreiten, erreichen ein breites Publikum. Ende 2010 wurde bei den Betreibern des "Widerstand Radio", das rund um die Uhr und weltweit hörbar war, eine Durchsuchung in mehreren Bundesländern mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 95 vorgenommen. Die Beschuldigten sind verdächtig, sich als Administratoren und Moderatoren sowohl durch Kommentare als auch durch das Abspielen von Musiktiteln deutscher und internationaler Skinhead-Bands mit menschenverachtenden, rassistischen und zum Teil nationalsozialistischen Inhalten strafbar gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat gegen 18 der Beteiligten wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und weiterer Straftaten Anklage erhoben. 2. Linksextremismus Nahezu alle linksextremistischen Organisationen und Bewegungen, so Parteien und die Szene der Autonomen, sind im Internet vertreten. Viele Linksextremisten verbreiten über bekannte Plattformen wie "Indymedia" oder "blogsport" politische Botschaften und ihre weltanschaulichen Überzeugungen. Das Internet wird von Linksextremisten zudem genutzt, um politische Gegner, vornehmlich Rechtsextremisten, öffentlich zu machen (sogenanntes "Outen") und um gegen sie zu agitieren. Sowohl die Zahl als auch die Qualität der Internet-Auftritte steigen stetig. Neben Video-, Audiound Schriftmaterial, Newsletter, Livechats, Twitter-Angeboten, Diskussionsforen und Blog-Boards werden auch zugangsbeschränkte Inhalte angeboten, die einen verdeckten, sensiblen oder strafrechtlich relevanten Datenaustausch ermöglichen. 3. Islamismus Das Internet hat sich als wichtigstes Kommunikationsund Propagandamedium im Bereich des Islamismus und islamistischen Terrorismus etabliert. Eine Vielzahl von Seiten deckt dabei ein weites Spektrum von Fragen einer islamischen Lebensführung und Rechtsordnung bis hin zu politischen Botschaften ab. Seiten jihadistischer Prägung verbreiten darüber hinaus Drohungen, Verherrlichung von Gewalt und "Märtyrern", Informationen zum Bau von Sprengsätzen, Anleitungen zur konspirativen Nutzung des Internet sowie Aufrufe, sich 96 dem Jihad anzuschließen oder die Jihadisten auf anderem Wege zu unterstützen. Eine zuverlässige Bestimmung der Anzahl der Internetseiten mit islamistischen oder jihadistischen Inhalten ist nicht möglich. Dies liegt u.a. daran, dass Islamisten neben ihren zahlreichen eigenen Internetseiten auch interaktive, teilweise nicht spezifisch islamistische Internetdienste wie Weblogs, Diskussionsforen oder Videoplattformen zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen und dass Internetseiten aus verschiedenen Gründen zeitweise oder permanent geschlossen werden, während an anderer Stelle neue entstehen. 97 VI. Spionageabwehr 1. Auftrag und allgemeine Lage Die Spionageabwehr hat die gesetzliche Aufgabe, planmäßig und gezielt Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland zu sammeln und auszuwerten. Aufgeklärt werden ihre Strukturen, Arbeitsmethoden und Ziele. Neben der klassischen Spionage zählen auch die Sabotage sowie die Ausspähung, Verfolgung und Unterwanderung von Regimegegnern totalitärer Staaten in Deutschland zu den sicherheitsgefährdenden und geheimdienstlichen Tätigkeiten dieser Dienste. Unter Rechtfertigungszwang werden diese illegalen Methoden bisweilen als Beitrag zur internationalen Terrorismusbekämpfung erklärt. Im Fokus der Spionageabwehr stehen zunehmend die Aufklärung und Verhinderung aller Versuche sogenannter kritischer Staaten29, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und der zu deren Einsatz benötigten Trägertechnologie sowie des dazugehörenden Know-how zu gelangen. Besondere Aufmerksamkeit galt auch im Berichtszeitraum den proliferationsrelevanten Aktivitäten des Iran. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein bevorzugtes Ausspähungsziel ausländischer Nachrichtendienste, was sich durch die anhaltend hohe Präsenz von Nachrichtendienstmitarbeitern an den amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen fremder Staaten in Deutschland widerspiegelt. Ihr Aufklärungsinteresse an dem wirtschaftlichen Entwicklungsprozess und den wissenschaftlich-technologischen Ressourcen der Bundesrepublik hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Mit einer Exportquote von über 40 Prozent nimmt Rheinland-Pfalz bundesweit eine Spitzenstellung ein und weckt somit 29 Kritische Staaten sind vor allem proliferationsrelevante Länder. Von ihnen wird befürchtet, dass sie ABC-Waffen in einem Krieg einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen (u.a. Iran, Nordkorea, Syrien, Pakistan, Indien). 98 nachrichtendienstliche Begehrlichkeiten. Nach wie vor reichen die Mittel und Methoden fremder Nachrichtendienste von offener Beschaffung bis hin zur klassischen Agentenführung. Ziel ist der Aufbau verdeckt operierender Strukturen zur illegalen Informationsund Güterbeschaffung, vor allem zum Zwecke der Wirtschaftsspionage und Proliferation.30 Die größten Erfolgschancen bei allen nachrichtendienstlichen Operationen bietet die Quelle im Objekt.31 Ausgesuchte Zielpersonen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung werden zunächst im Rahmen belanglos erscheinender Gespräche abgeschöpft. Kennzeichnend für die gewählten Ansprechmodalitäten sind die zuvor erforschten Hintergrundinformationen zu und aus dem persönlichen und beruflichen Umfeld einer Zielperson. Arglose Auskunftspersonen werden somit als nachrichtendienstliche Tippgeber missbraucht. Weitere Kontakte mit der jeweiligen Zielperson dienen einem entsprechenden Vertrauensaufbau und letztlich ihrer nachrichtendienstlichen Einbindung, um dadurch an sensible Informationen aus internen und vertraulichen Unterlagen zu gelangen. Die besondere Zugangslage des/der gewonnenen Agenten/Agentin, seine/ihre Vertrautheit mit den betrieblichen Abläufen und den ggf. vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen erleichtern die Gewinnung sensibler Daten. Angereichert mit einer persönlichen Bewertung durch die Quelle können die so gewonnenen Informationen von hohem nachrichtendienstlichem Wert sein. Auch die elektronische Aufklärung mit nachrichtendienstlicher Technik32 und die Überwachung elektronisch übertragener Daten33 zählen zu den praktizierten nachrichtendienstlichen Methoden. Die über das Internet betriebene Aus30 Unter Proliferation versteht man die illegale Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen, einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. 31 Dabei handelt es sich um Mitarbeiter eines Zielobjektes, die entweder als Agenten eingeschleust worden sind oder mit Blick auf ihre Zugangslage angeworben wurden. 32 z.B. Einsatz von Richtmikrophonen, Wanzen, Sprachund Videoaufzeichnungsgeräten 33 z.B. Internetüberwachung (insbesondere E-Mail-Verkehr, VoIP ) 99 forschung wird nicht zuletzt durch den sorglosen Umgang der Anwenderin/des Anwenders begünstigt. Besondere Risiken ergeben sich aus der Nutzung spezieller Web 2.0-Anwendungen34 im Internet. So erfreuen sich "Soziale Netzwerke" (Online-Communities) im privaten wie geschäftlichen Bereich weiter steigender Beliebtheit und sind zu einem Massenphänomen mit globaler Reichweite geworden. Durch die freiwillige Preisgabe persönlicher Daten haben sich diese Plattformen auch für fremde Nachrichtendienste zu einer interessanten und aufschlussreichen Informationsquelle entwickelt. 2. Aktivitäten der Spionageabwehr 2.1 Spionage Schwerpunkte der rheinland-pfälzischen Spionageabwehr liegen in der Aufklärung von Aktivitäten russischer und chinesischer Nachrichtendienste, wobei dem gesetzlichen Auftrag Rechnung getragen und mögliche Gefahren von allen Seiten abgewehrt werden. Der regelmäßige Kontakt zu Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Politik, die Auswertung gewonnener Informationen und Erkenntnisse sowie der Austausch im Verfassungsschutzverbund des Bundes und der Länder führen zu abgestimmten Maßnahmen, die den Aktionsradius fremder Nachrichtendienste einschränken. Dieser Aktionsradius ist durch die Möglichkeiten des Internets um vieles größer geworden. Fremde Nachrichtendienste versuchen über die Sozialen Netzwerke mittels "Social-Engineering"35 an einzelne Personen heranzutreten. Ziel ist entweder die direkte Nutzung der Person als Quelle für nachrichtendienstliche 34 Der Begriff "Web 2.0" beschreibt eine veränderte Nutzung des Internets, bei der nicht mehr statische Informationsangebote, sondern die kommunikative Beteiligung der Nutzer im Vordergrund stehen. 35 "Social Engineering" bedeutet die zwischenmenschliche Beeinflussung mit dem Ziel, unberechtigt an Daten zu gelangen. Social Engineers spionieren beispielsweise das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen falsche Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 100 Aufträge oder deren Missbrauch als "Türöffner", um in Bereiche einzudringen die ausspioniert werden sollen. Effektiven Schutz gegen diese Art der Spionage bietet die benutzerdefinierte Einstellung des Profils. Nicht gewünschte Zugriffe durch Fremde werden so erschwert. Grundsätzlich sollte zum Schutz der eigenen Person und des Arbeitgebers auf eine restriktive Bekanntgabe persönlicher und beruflicher Daten geachtet werden. Beispiele: Anklage wegen Spionage für den russischen Geheimdienst SWR Die Bundesanwaltschaft hat im Mai 2010 Anklage gegen einen 54-jährigen österreichischen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 Abs. 1 StGB) erhoben. Der Angeklagte soll in den Jahren von 1997 bis 2002 mit dem russischen Auslandsgeheimdienst SWR zusammengearbeitet haben. Der mutmaßliche Agent steht im Verdacht, technische Gegenstände, Unterlagen und technologisches Know-how aus dem Bereich ziviler und militärischer Hubschrauber für den SWR beschafft und seinem Führungsoffizier persönliche Kontakte zu entsprechenden Expertenkreisen vermittelt zu haben. Für seine Tätigkeit soll der Angeschuldigte einen Agentenlohn von mindestens 10.500 US-Dollar erhalten haben. Die Hauptverhandlung ist bei dem Staatsschutzsenat des OLG München am 7. Februar 2011 eröffnet worden. Unvermindert spähen fremde Nachrichtendienste auch in Deutschland ansässige Organisationen und Personen aus, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Nicht selten sind sie und ihre Angehörigen dadurch Repressalien ausgesetzt. 101 Beispiele: Urteile gegen Angehörige eines libyschen Agentennetzwerks Der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts hat am 12. Januar 2011 zwei Libyer wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die beiden Angeklagten hatten für den libyschen Geheimdienst Oppositionelle in Deutschland und Westeuropa ausgeforscht. Einer der Angeklagten, der als Führungsoffizier ein Netz von Informanten steuerte, wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, der zweite Angeklagte, der als Informant eingesetzt war, zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Einen weiteren libyschen Agenten dieses Netzwerks verurteilte das Kammergericht am 8. Februar 2011 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Auch er war nach eigenem Geständnis von seinen staatlichen Auftraggebern darauf angesetzt, hier lebende libysche Exilgruppen planmäßig auszuforschen und zu unterwandern, um deren regimefeindliche Arbeit zu sabotieren. Anklage wegen mutmaßlicher Spionage für einen chinesischen Nachrichtendienst Die Bundesanwaltschaft hat am 17. Januar 2011 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Celle gegen den 54-jährigen deutschen Staatsangehörigen Dr. John Z. Anklage wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) erhoben. Dem Angeschuldigten wird laut Anklageschrift vorgeworfen, im Zeitraum von März 2006 bis April 2010 die deutsche Sektion der Falun-Gong-Bewegung36 ausgespäht und seine hierbei erlangten Kenntnisse an einen chinesischen Nachrichtendienst weitergeleitet zu haben. 36 Bei der Falun-Gong-Bewegung handelt es sich um eine ursprünglich unpolitische spirituelle Bewegung mit ihren Wurzeln in China. Seit 1999 kritisiert sie allerdings öffentlich mit weltweiten Aktionen auch die chinesische Staatsführung. Seither sieht sie sich der Verfolgung durch chinesische Behörden ausgesetzt. 102 Als Gründungsmitglied der deutschen Sektion der Falun-Gong-Bewegung gab der Angeschuldigte regelmäßig seine internen Kenntnisse über Struktur, Strategie und Aktionen der Gemeinschaft an seine geheimdienstlichen Auftraggeber weiter. Er ermöglichte dem chinesischen Nachrichtendienst, auf sämtliche E-Mails aus dem Verteiler der Bewegung zuzugreifen. 2.2 Proliferation Auch im Jahr 2010 waren deutsche Unternehmen, darunter Firmen mit Sitz in Rheinland-Pfalz, Anlaufstellen für illegale Beschaffungsversuche aus dem Iran. Proliferationsrelevante Güter waren aufgrund ausfuhrrechtlicher Restriktionen oder bestehender UN-Embargos genehmigungspflichtig oder generell nicht genehmigungsfähig. Diese Güter können zur Entwicklung eines iranischen Nuklearund Trägertechnologieprogramms verwendet werden. Abgetarnt in internationalen Netzwerken versuchten ausländische Geschäftsleute, Steuerungsund Antriebsteile (Kreiselkompasse und Motoren/Triebwerke), Navigationsgeräte militärischer Prägung, Hochgeschwindigkeitskameras, Messgeräte für die Nukleartechnik (sogenannte Pressure Transducer, Messgeräte zur Drucksteuerung bei der Urananreicherung) sowie Kegelventile und Vakuumpumpen, zu erwerben. Bei ihren Beschaffungsversuchen zeigten sich die iranischen Einkäufer äußerst fachkundig und methodisch geschult. Bereits in der Auswahl ihrer Ansprechpartner verfolgten sie verschiedene Varianten. Sie wandten sich nicht nur unmittelbar an die in Deutschland bzw. im Ausland ansässigen Hersteller sensibler Technik. Bisweilen suchten sie sich im Imund Export sowie im Transitgeschäft erfahrene Handelsfirmen aus, um deren Kenntnisse im internationalen Geschäftsverkehr zu nutzen. In Einzelfällen leisteten rheinland-pfälzische Unternehmen unbewusst illegale Unterstützungshandlungen, z.B. im Rahmen von ausfuhrgenehmigungspflichtigen Finanztransfers. Einigen angefragten Unternehmen war das Ansinnen der iranischen Einkäufer 103 zumindest zweifelhaft, weshalb sie, sensibilisiert u.a. durch Veröffentlichungen und Vortragsveranstaltungen, Kontakt mit der rheinland-pfälzischen Spionageabwehr aufnahmen. Durch die rechtzeitige Kooperation mit dem Verfassungsschutz konnten bereits im Vorfeld illegale Ausfuhren und Reputationsverluste verhindert werden. Welche Konsequenzen in diesem Zusammenhang Verstöße gegen ausfuhrrechtliche Bestimmungen nach sich ziehen können, zeigen beispielhaft die nachfolgend aufgeführten Fälle: Beispiele: Ermittlungen gegen Berliner Firma wegen illegalen Handels mit dem Iran Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen den Geschäftsführer einer Firma wegen der versuchten Lieferung eines Wasserstoffisotops (Tritium) an den Iran.37 Die Iranische Atomenergieorganisation (AEOI) soll das Tritium im Jahr 2006 bei der Berliner Firma bestellt haben. Die Lieferung wurde im Dezember 2007 am Flughafen Schiphol in Amsterdam sichergestellt. Deutsche Fabrikanten liefern Motoren für iranische Kampfdrohnen Die Bundesanwaltschaft führt Ermittlungen gegen einen Hersteller von Flugmotoren. Eine Firma aus dem Rheinland soll illegal Flugmotoren in den Iran geliefert und damit gegen SS 34 des Außenwirtschaftsgesetzes verstoßen haben. Im Februar 2010 verkündete die iranische Luftwaffe, dass der Iran mit der Serienfertigung einer unbemannten Kampfdrohne beginne. In einem weiteren Verfahren hat das Landgericht Aachen wegen des illegalen Exports eines Flugmotors Anklage gegen einen 50-jährigen Deutsch-Iraner erhoben. 37 Tritium kann als Neutronenquelle in Atomwaffen verwendet werden. 104 Diesem wird vorgeworfen, den Motor (als Stromerzeugungsaggregat getarnt) in den Iran exportiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Ingenieur eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren. Bewährungsstrafe für Exporte in den Libanon Ein 50-jähriger Mann musste sich im August 2010 wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz vor dem Landgericht Münster verantworten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte Ausrüstungsgegenstände der Bundeswehr, wie Tarnnetze, Splitterschutzwesten und Stahlhelme im Gesamtwert von ca. 150.000 Euro unter Umgehung des UN-Embargos an den Libanon geliefert hatte. Das Gericht verurteilte den 50-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Darüber hinaus muss er einen Wertersatz in Höhe von 5.000 Euro zahlen und 200 Sozialstunden ableisten. Anklage wegen Unterstützung des iranischen Raketenprogramms Die Bundesanwaltschaft hat im August 2010 Anklage gegen einen deutschen und einen iranischen Staatsangehörigen wegen Verbrechen nach dem Außenwirtschaftsgesetz (SS 34 AWG) erhoben. Die Angeschuldigten sollen im Juli 2007 einen Vakuum-Sinterofen38 im Wert von rund 850.000 Euro aus Deutschland in den Iran exportiert und damit vorsätzlich gegen das Iran-Embargo und die "EG-Dual-Use-Verordnung" verstoßen haben. Seit Ende der 1990er Jahre entwickelt der Iran Raketen mit großer Reichweite, die als Träger für Massenvernichtungswaffen verwendet werden können. Die Spionageabwehr bietet mit der Herausgabe ihrer neuen Broschüre "Proliferation - Wir haben Verantwortung" einen aktuellen Überblick zu dieser Thematik. 38 Vakuum-Sinteröfen werden benötigt, um die Steuerungsbauteile und die Gefechtsköpfe der Raketen mit hitzebeständigen Stoffen zu beschichten. 105 2.3 Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz Die Wirtschaft zählt seit jeher zu den klassischen Aufklärungszielen fremder Nachrichtendienste, denn eine prosperierende Volkswirtschaft ist Grundvoraussetzung für die innere Stabilität eines Staates. Generell sollen bei jeder Form von staatlich gelenkter Wirtschaftsspionage Forschungsund Entwicklungskosten eingespart und bestehende Rückstände in der wissenschaftlichen/ technischen Entwicklung aufgeholt werden. Aus diesem Grund haben beispielsweise Russland und China ihren Nachrichtendiensten seit Jahren gesetzlich allumfassende Aufklärungsaufträge erteilt. Angesichts der verschärften Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt und der anhaltenden Folgen der internationalen Finanzund Wirtschaftskrise gewinnen sowohl Wirtschaftsspionage39 als auch ihre erfolgreiche Abwehr zunehmend an Bedeutung. Mit der bereits Mitte der 90er Jahre gegründeten und in den letzten Jahren inhaltlich und organisatorisch breiter angelegten Sicherheitspartnerschaft nahm Rheinland-Pfalz eine Vorreiterrolle für die Einbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung in präventive Abwehrstrategien ein. Durch gezielte Sensibilisierungsgespräche (ca. 45) hat der Verfassungsschutz seine Präventionsarbeit auf hohem Niveau fortgesetzt. Nachgefragt wurden insbesondere Vortragsveranstaltungen in Unternehmerkreisen, Workshops und Tagungen, die durch ihre Multiplikatorenwirkung die Sensibilität für Spionagegefahren erhöhen sollen. Die notwendige betriebliche Eigenvorsorge gegen Wirtschaftsspionage schützt ein Unternehmen auch vor der wirkungsgleichen Konkurrenzausspähung40. 39 Unter Wirtschaftsspionage versteht man die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben. 40 Die illegale Beschaffung unternehmerischer Informationen durch einen Wettbewerber - ohne Auftrag eines Nachrichtendienstes - wird als Konkurrenzausspähung oder Industriespionage bezeichnet. 106 Beispiel: Schadensfall im Rahmen eines geplanten China-Geschäftes41 Im Rahmen eines persönlichen Gespräches zwischen der Geschäftsführung eines innovativen mittelständigen Unternehmens in Rheinland-Pfalz und Vertretern des Verfassungsschutzes wurde folgender Sachverhalt bekannt: Über eine chinesische Staatsangehörige, die in der VR China für das Unternehmen freiberuflich Akquise betreiben sollte, entstand ein Kontakt zu einer staatlichen chinesischen Stelle, mit der eine Kooperation in Form eines Joint Ventures eingegangen werden sollte. Man versprach sich hiervon eine Beteiligung an einer in China geplanten und groß angelegten technischen Dienstleistung. Auf Anfrage des chinesischen Kooperationspartners wurden drei durch die betroffene Firma entwickelte und produzierte High-Tech-Geräte im Gesamtwert von ca. 160.000 Euro nach China geliefert. Eines dieser Geräte wurde bereits bei der Einfuhr vom chinesischen Zoll beschlagnahmt. Der mutmaßliche Joint Venture-Partner brach daraufhin die Kontakte zur rheinland-pfälzischen Firma ab. Alle Versuche, das Gerät wiederzubeschaffen, z.B. über die Industrieund Handelskammer bzw. die Außenhandelskammer in China, scheiterten. Ca. 2 Jahre später teilte die chinesische Mitarbeiterin - die Zusammenarbeit war durch das rheinland-pfälzische Unternehmen mittlerweile aufgekündigt worden - telefonisch mit, dass der chinesische Zoll das beschlagnahmte Gerät zur Versteigerung freigegeben habe. Der Gesamtschaden für das betroffene Unternehmen (insbesondere durch das Nichtzustandekommen des Geschäftes) wird auf ca. 20 Millionen Euro beziffert. 41 Die Veröffentlichung des Sachverhalts in der vorliegenden Form wurde mit dem geschädigten Unternehmen abgestimmt. 107 Im Rahmen der Nachrecherche konnte festgestellt werden, dass die chinesische Mitarbeiterin nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch mehrfach versucht hatte, widerrechtlich auf das EDV-System der Firma zuzugreifen. Desweiteren lokalisierte der IT-Verantwortliche einen gezielten Angriff auf das IT-System: Auf dem PC des Managing Directors war ein sogenannter SoftwareKeylogger (Tastenrekorder) installiert. Die Firma nahm diese Vorgänge zum Anlass, die Geschäftsleitung sowie die gesamte Belegschaft durch Vertreter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes im Rahmen einer ganztägigen Veranstaltung über Gefährdungen und geeignete Sicherheitsvorkehrungen zu sensibilisieren. Die Aktivitäten des Verfassungsschutzes zum Schutz der rheinland-pfälzischen Wirtschaft haben durch die auffällige Steigerung von Netzwerkangriffen gegen Staat und Wirtschaft einen weiteren Schwerpunkt erfahren. Die im Jahr 2010 vorgetragenen Internetattacken betrafen erneut bundesdeutsche Behördennetzwerke und Firmen im ganzen Bundesgebiet. Alleine die Anzahl der Angriffe auf Behördennetzwerke hat sich mit ca. 1600 Fällen in der Zeit von Januar bis September 2010 zum gesamten Vorjahr fast verdoppelt. Diese gezielten Angriffe waren größtenteils offenkundig chinesischen Ursprungs. Dies korrespondiert mit dem Ausbau der Kapazitäten chinesischer Nachrichtendienste im Bereich der elektronischen Ausspähung. Unzureichend geschützte Netzwerkstrukturen ermöglichten den Angreifern bundesweite Zugriffe auf nahezu alle Informationsebenen. Die Bandbreite der eingesetzten Schadsoftware reichte dabei von einfachen Virusprogrammen zu Sabotagezwecken bis hin zu signaturarmen und somit schwer lokalisierbaren Trojanern, die in Netzwerksystemen eine sogenannte "Backdoor"42 öffneten und es dem Angreifer ermöglichten, auf das gekaperte Netzwerk zuzugreifen. Besonderes Aufsehen erregte die primär zu Sabotagezwecken entwickelte Schadsoftware W32.STUXNET. Diese Software wurde sehr aufwendig und 42 Backdoor (dt. Hintertür) ist eine Umgehung der normalen Zugriffssicherung, um einen Zugang zu einem Computer/Netzwerk zu erlangen. 108 kenntnisreich programmiert. Ursprüngliches Ziel der Sabotagesoftware war offenkundig die iranische Urananreicherungsanlage in Natanz. Die Schadware verbreitete sich jedoch im Jahr 2010 weltweit. Angereichert durch einen interessanten Inhalt wurde der Empfänger der E-Mail dazu "verführt", die anhängende infizierte Datei zu öffnen. Hierdurch installierte sich unbemerkt die Schadware. Die betroffenen Unternehmen standen/stehen im Kontakt mit dem Verfassungsschutz und wurden/werden fortlaufend betreut. Ein ungewollter Informationsabfluss wurde bisher in Rheinland-Pfalz nicht bekannt. Als Reaktion auf die permanent steigende Anzahl von Internetattacken plant die Bundesregierung die Einrichtung eines sogenannten "Nationalen CyberAbwehrzentrums". Zur Bündelung des vorhandenen Know-hows im Bereich der Internetsicherheit, soll das Zentrum beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) angesiedelt werden. Spezialisten aus dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und des Bundeskriminalamts (BKA) sollen in dem neuen Abwehrzentrum zusammenarbeiten. Einen aktuellen Überblick zu verschiedenen Aspekten des Informationsschutzes und den einzelnen Gefahrenpotenzialen der Wirtschaftsspionage bietet der Verfassungsschutz u.a. mit der Herausgabe seiner neuen Broschürenreihe: # Verfassungsschutz - Ihr Ansprechpartner für Wirtschaftsschutz # Sicherheit im Know-how-Transfer # Elektronische Attacken auf Informationsund Kommunikationstechnik # Schrankenlose Offenheit - "soziale Netzwerke" im Web # Sicherheitslücke Mensch - Der Innentäter als größte Bedrohung für die Unternehmen # Wissenschaftsspionage - Gefahren für Forschung und Lehre. Die Broschüren und weitere Informationen zu den Themen Sicherheitspartnerschaft mit der Wirtschaft, Spionage, Proliferation und illegaler Wissenstransfer sind unter http://www.verfassungsschutz.rlp.de jederzeit abrufbar. 109 VII. Geheimschutz/Sabotageschutz 1. Geheimschutz Der Geheimschutz gehört zum Kernbestand des demokratischen Rechtsstaats, indem er Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder der Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme schützt. Diese geheim zu haltenden Tatsachen werden als staatliche Verschlusssachen (VS) bezeichnet. Im Rahmen des materiellen Geheimschutzes berät und unterstützt der Verfassungsschutz landesweit Behörden und geheimschutzbetreute Unternehmen im vorschriftskonformen Umgang mit Verschlusssachen.43 Ansprechpartner der Verfassungsschutzbehörde sind die jeweiligen Geheimschutzbeauftragten der betreffenden Dienststellen und die Sicherheitsbevollmächtigten der Unternehmen, die auch im Berichtszeitraum durch VS-Beratungen, Schulungen, persönliche Gespräche und Broschüren informiert wurden. Der personelle Geheimschutz umfasst die Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse amtliche Verschlusssachen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können. Nach den Bestimmungen des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes Rheinland-Pfalz (LSÜG) wird festgestellt, ob der (vorgesehene) Geheimnisträger nach seinem bisherigen Verhalten für den Umgang mit den ihm anzuvertrauenden Verschlusssachen geeignet ist. Das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung (SÜ) übermittelt der Verfassungsschutz dem Geheimschutzbeauftragten der Behörde oder Stelle als "Sicherheitsvotum". Gleiches gilt für Wirtschaftsunternehmen oder Forschungseinrichtungen, die mit staatlichen Verschlusssachen umgehen und deshalb der staatlichen Geheimschutzbetreuung unterliegen. Neben dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz ist hier das "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft 43 Nach der Verschlusssachenanweisung (VSA) Rheinland-Pfalz betrifft dies insbesondere technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen. 110 (Geheimschutzhandbuch) Grundlage der weitergehenden Maßnahmen, zu dessen Anwendung alle Beteiligten sich freiwillig verpflichten. Die in Rheinland-Pfalz ansässigen Betriebe, insbesondere solche der Hochtechnologie, werden im Interesse eines umfassenden Wirtschaftsschutzes über Ausspähungsmethoden fremder Nachrichtendienste informiert. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse helfen den Wirtschaftsunternehmen auch beim Schutz ihrer eigenen Betriebsgeheimnisse. Diesbezüglich werden seitens der Verfassungsschutzbehörde im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft für die Wirtschaft auch die nicht der Geheimschutzbetreuung unterliegenden Unternehmen entsprechend sensibilisiert. 2. Sabotageschutz Im Jahr 2003 wurde der vorbeugende personelle Sabotageschutz in das LSÜG aufgenommen. Danach sind einer Sicherheitsüberprüfung auch die Personen zu unterziehen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt sind oder beschäftigt werden sollen. Auch bei den diesbezüglichen Sicherheitsprüfungen wirkt die Verfassungsschutzbehörde wie beim personellen Geheimschutz mit. Ebenso ist der Verfassungsschutz beispielsweise bei den Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach SS 12b Atomgesetz sowie nach SS 7 Luftsicherheitsüberprüfungsgesetz für den Flughafen Hahn beteiligt. 111 C. ANHANG Rechtliche Grundlagen Grundgesetz (Auszug) Artikel 73 - Umfang der ausschließlichen Gesetzgebung Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über ... 10. die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder ... b) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und c)zum Schutz gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, ... Artikel 87 - Bundeseigene Verwaltung: Sachgebiete (1) ... Durch Bundesgesetz können ... Zentralstellen ... zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden. 112 Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG) vom 06.Juli 1998 (GVBl. S. 184) zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. März 2011 (GVBl. S. 72) Inhaltsübersicht Teil 1 Allgemeine Bestimmungen SS 1 Zweckbestimmung SS 2 Verfassungsschutzbehörde SS 3 Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 4 Begriffsbestimmungen Teil 2 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde SS 5 Beobachtungsaufgaben SS 6 Aufgaben bei der Sicherheitsüberprüfung SS 7 Unterrichtung der Landesregierung und der Öffentlichkeit Teil 3 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 8 Allgemeine Rechtsgrundsätze SS 9 Allgemeine Befugnisse SS 10 Besondere Befugnisse SS 10 a Weitere Einzelfallbefugnisse SS 10 b Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen SS 10 c Besondere Bestimmungen für Maßnahmen nach SS 10 b Teil 4 Datenverarbeitung SS 11 Erhebung, Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten SS 12 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten SS 13 Informationsübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde SS 14 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 15 Übermittlungsverbote SS 16 Besondere Pflichten bei der Übermittlung personenbezogener Daten 113 SS 17 Minderjährigenschutz SS 18 Auskunft an Betroffene SS 19 Datenschutzkontrolle Teil 5 Parlamentarische Kontrolle SS 20 Parlamentarische Kontrollkommission SS 21 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission Teil 6 Schlussbestimmungen SS 22 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 23 Einschränkung von Grundrechten SS 24 Änderung des Landesgesetzes zur Ausführung des Bundesgesetzes zur Beschränkung dess Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses SS 25 Inkrafttreten 114 Teil 1 die sie zur Erfüllung der entsprechenden Aufgaben Allgemeine Bestimmungen nach diesem Landesgesetz hat. SS1 SS4 Zweckbestimmung Begriffsbestimmungen Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der frei(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind heitlichen demokratischen Grundordnung, des 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der oder eines Landes politisch bestimmte, zielLänder. und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen SS2 Personenzusammenschluss, der darauf gerichVerfassungsschutzbehörde tet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, (1) Alle den Zwecken des Verfassungsschutzes dieihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein nenden Aufgaben und Befugnisse werden vom zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; Ministerium des Innern und für Sport als 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Bundes oder eines Landes politisch (2) Der Verfassungsschutz und die Polizei dürfen bestimmte, zielund zweckgerichtete einander nicht angegliedert werden. Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichSS3 tet ist, den Bund, Länder oder deren Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit Verfassungsschutzes erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demo(1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, kratische Grundordnung politisch bestimmte, mit dem Bund und den Ländern in Angelegenheiten zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die einem oder für einen Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenPersonenzusammenschluss, der darauf gerichseitiger Unterstützung und im Informationsaustet ist, einen der in diesem Gesetz genannten tausch sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder Einrichtungen. außer Geltung zu setzen. (2) Die Behörden für Verfassungsschutz anderer Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer Länder dürfen in Rheinland-Pfalz unter Beachtung ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterder Bestimmungen dieses Gesetzes nur im Einverstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht in einem oder für einen gemäß SS 5 Abs. 2 des BundesverfassungsschutzPersonenzusammenschluss handeln, sind gesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954 Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie - 2970 -), zuletzt geändert durch Artikel 1 des gegen Schutzgüter dieses Gesetzes unter Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361), nur Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde sonst in einer Weise bekämpfen, die geeignet ist, tätig werden. Die Verfassungsschutzbehörde darf in diese Schutzgüter erheblich zu beschädigen. den anderen Ländern tätig werden, soweit es dieses Gesetz und die Rechtsvorschriften der betreffenden (2) Zur freiheitlichen demokratischen Länder zulassen. Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen (3) Bei der Erfüllung von Aufgaben auf Grund eines 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c Wahlen und Abstimmungen und durch besondes Grundgesetzes stehen der dere Organe der Gesetzgebung, der vollzieVerfassungsschutzbehörde nur die Befugnisse zu, henden Gewalt und der Rechtsprechung aus115 zuüben und die Volksvertretung in allgemeiZusammenleben der Völker ( Artikel 26 Abs. 1 ner, unmittelbarer, freier, gleicher und des Grundgesetzes) gerichtet sind, soweit tatgeheimer Wahl zu wählen, sächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfasDie Beobachtung erfolgt durch gezielte und sungsmäßige Ordnung und die Bindung der planmäßige Sammlung und Auswertung von vollziehenden Gewalt und der Informationen, insbesondere von sachund Rechtsprechung an Gesetz und Recht, personenbezogenen Auskünften, Nachrichten 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer und Unterlagen. parlamentarischen Opposition, SS6 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Aufgaben bei der Sicherheitsüberprüfung Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrdenen im öffentlichen Interesse geheimhalschaft und tungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang 7. die im Grundgesetz konkretisierten dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen Menschenrechte. können, Teil 2 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen SS5 Einrichtungen beschäftigt sind oder werden Beobachtungsaufgaben sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Die Verfassungsschutzbehörde beobachtet Schutze von im öffentlichen Interesse 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, demokratische Grundordnung, den Bestand Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die oder die Sicherheit des Bundes oder eines Kenntnisnahme durch Unbefugte sowie Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche 4. in den übrigen gesetzlich vorgesehenen Beeinträchtigung der Amtsführung der Fällen. Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, SS7 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstUnterrichtung der Landesregierung und der liche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Öffentlichkeit Deutschland für eine fremde Macht, (1) Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Landesregierung regelmäßig und umfassend über Deutschland, die durch Anwendung von Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten Gewalt oder darauf gerichtete nach SS 5. Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, (2) Die fachlich zuständige Ministerin oder der und fachlich zuständige Minister unterrichtet die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten 4. Bestrebungen und Tätigkeiten in der nach SS 5 und andere grundlegende Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder das friedliche (3) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit nach 116 Absatz 2 dürfen auch personenbezogene Daten zur heimlichen Informationsbeschaffung (nachrichbekanntgegeben werden, wenn die Bekanntgabe tendienstliche Mittel) anwenden. Nachrichtenfür das Verständnis des Zusammenhanges oder der dienstliche Mittel sind insbesondere der Einsatz Darstellung von Bestrebungen und Tätigkeiten von verdeckt eingesetzten hauptamtlichen nach SS 5 erforderlich ist und das öffentliche Bediensteten, Vertrauensleuten und GewährsInteresse an der Bekanntgabe das schutzwürdige personen, das Anwerben und Führen gegnerischer Interesse der betroffenen Person überwiegt. Agentinnen und Agenten, Observationsmaßnahmen, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Teil 3 Verwendung von Tarnpapieren und TarnkennBefugnisse der Verfassungsschutzbehörde zeichen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die SS8 Zuständigkeit für die Anordnung solcher InAllgemeine Rechtsgrundsätze formationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkom(1) Die Verfassungsschutzbehörde ist an Gesetz mission vorzulegen. und Recht gebunden ( Artikel 20 Abs. 3 des (2) Maßnahmen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Grundgesetzes). Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund (2) Von mehreren möglichen und geeigneten Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insMaßnahmen hat die Verfassungsschutzbehörde besondere das heimliche Mithören oder Aufdiejenige zu treffen, die einzelne Personen und die zeichnen des außerhalb der Wohnung nicht öffentAllgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinlich gesprochenen Wortes unter verdecktem trächtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Einsatz technischer Mittel gehört, bedürfen der Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg Anordnung durch die fachlich zuständige Ministerin erkennbar außer Verhältnis steht. Eine Maßnahme oder den fachlich zuständigen Minister und der ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist Zustimmung der nach dem Landesgesetz zur parlaoder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. mentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses vom 16. (3) Polizeiliche Befugnisse oder WeisungsbeDezember 2002 (GVBl. S. 477, BS 12-1), gebildeten fugnisse gegenüber der Polizei stehen der VerKommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich fassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei die Genehmigung dieser Kommission nachträglich auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen einzuholen. Die Verarbeitung der durch Maßersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. nahmen nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten erfolgt in entsprechender Anwendung SS9 des SS 4 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 Allgemeine Befugnisse (BGBl. I S. 1254, 2298), geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361). Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung (3) Die zuständigen öffentlichen Stellen des Landes ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 die nach und der kommunalen Gebietskörperschaften leipflichtgemäßem Ermessen erforderlichen sten der Verfassungsschutzbehörde für ihre Maßnahmen treffen, insbesondere Informationen Tarnmaßnahmen im Sinne des Absatzes 1 Hilfe. einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, insbesondere erheben, speichern, nutzen, (4) Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist übermitteln und löschen, soweit nicht die SSSS 10 bis zur Erhebung personenbezogener Daten nur zuläs17 die Befugnisse besonders regeln. sig, wenn SS 10 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht Besondere Befugnisse von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 oder dafür vorliegen, dass die zur Erforschung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Methoden solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachund Gegenstände einschließlich technischer Mittel richtenzugänge gewonnen werden können, 117 2. er sich gegen Personen richtet, von denen auf züglich zu veranlassen. Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß sie für eine nach Nummer 1 verSS 10 a dächtige Person bestimmte Mitteilungen entWeitere Einzelfallbefugnisse gegennehmen oder weitergeben oder sonstigen von dieser beabsichtigten Kontakt zu (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall ihr haben; die Erhebung darf nur erfolgen, um bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsund Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte gefährdende oder geheimdienstliche zu Konten, Konteninhabern und sonstigen BeTätigkeiten für eine fremde Macht oder rechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr gewalttätige Bestrebungen oder Tätigkeiten Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldnach SS 5 zu gewinnen, anlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiterinnen und tatsächliche Anhaltspunkte für schwer wieund Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände gende Gefahren für die in SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 und Nachrichtenzugänge der genannten Schutzgüter vorliegen. Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Tätigkeiten zwingend erforderlich ist oder bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme 4. dies zur Überprüfung der Nachrichtenzugänge von Transportleistungen und sonstigen Umständen und der hieraus gewonnenen Informationen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Erfüllung zwingend erforderlich ist. ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwer Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die wiegende Gefahren für die in SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 Erforschung des Sachverhaltes auf andere, genannten Schutzgüter vorliegen. Betroffene weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Regel anzunehmen, wenn die Information auch aus zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des kann. Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Artikel 10-Gesetzes bei Personen und UnterMittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur nehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes steerbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erhen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, bringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentwenn ihr Zweck erreicht ist oder sich geltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, PostAnhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder fächern und sonstigen Umständen des Postvernicht auf diese Weise erreicht werden kann. kehrs einholen. (5) Betroffenen sind Maßnahmen nach Absatz 2 (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall nach ihrer Beendigung mitzuteilen, wenn eine zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgebis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des schlossen werden kann. Lässt sich zu diesem Artikel 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsZeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob mäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Auskünfte über TelekommunikationsverbindungsZwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden daten und Teledienstenutzungsdaten einholen. Die kann. Die nach dem Landesgesetz zur parlamentaAuskünfte können auch in Bezug auf zukünftige rischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Postund Fernmeldegeheimnisses gebildete Telediensten verlangt werden. TelekommunikatiKommission ist über die Gründe, die einer onsverbindungsdaten und TeledienstenutzungsMitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält daten sind sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unver118 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, über die durchgeführten Maßnahmen nach den Standortkennungen sowie Rufnummer oder Absätzen 1 bis 4 dem parlamentarischen Kennung des anrufenden und angerufenen Kontrollgremium des Bundes unter entsprechender Anschlusses oder der Endeinrichtung, Anwendung des SS 8 Abs. 10 Satz 1 Halbsatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes für dessen 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum Berichte nach SS 8 Abs. 10 Satz 2 des und Uhrzeit, Bundesverfassungsschutzgesetzes . 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genommenen TelekommunikationsSS 10 b und TeledienstDienstleistungen, Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Rahmen ihrer Aufgaben nach SS 5 zur Abwehr dringender (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis 4 dürfen nur Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesonauf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch dere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensdie G 10Aufsichtsbeamtin oder den G 10-Aufgefahr, technische Mittel zur optischen und akusichtsbeamten im Sinne des SS 8 Abs. 3 des Landesstischen Überwachung von Wohnungen einsetzen, gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle von sofern die Erforschung des Sachverhalts auf andere Beschränkungen des Brief-, Postund FernmeldeWeise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. geheimnisses schriftlich zu stellen und zu begrünDer Einsatz technischer Mittel zur Überwachung den. Über den Antrag entscheidet die Leiterin oder von Wohnungen ist auch zulässig, wenn er ausder Leiter oder die stellvertretende Leiterin oder schließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsder stellvertretende Leiter der für den Verfassungsschutz tätigen Personen erforderlich erscheint und schutz zuständigen Abteilung des Ministeriums des vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seiInnern und für Sport. Die fachlich zuständige nem Vertreter angeordnet ist. Ministerin oder der fachlich zuständige Minister unterrichtet monatlich die nach dem Landesgesetz (2) Die Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 darf sich zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränknur gegen eine Person richten, gegen die aufgrund ungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses tatsächlicher Anhaltspunkte der Verdacht von Begebildete Kommission über die beschiedenen strebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 besteht. Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug Gleiches gilt für eine Person, die mit einer Person kann die fachlich zuständige Ministerin oder der im Sinn von Satz 1 in einer Weise in Verbindung fachlich zuständige Minister den Vollzug der steht, die aufgrund konkreter Tatsachen die AnEntscheidung auch bereits vor der Unterrichtung nahme rechtfertigt, dass sie in einem objektiven der Kommission anordnen. Für die Aufgaben und Bezug zu den in SS 5 genannten Bestrebungen oder Befugnisse der Kommission sowie die Mitteilung Tätigkeiten dieser Person steht (Kontaktoder von Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 4 an die Begleitperson). Die Maßnahme darf im Übrigen Betroffenen findet das Landesgesetz zur parlamenauch durchgeführt werden, wenn andere Personen tarischen Kontrolle von Beschränk-ungen des unvermeidbar betroffen werden. Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses entspre(3) Die Maßnahme darf nur in Wohnungen der in chende Anwendung. Absatz 2 Satz 1 oder 2 genannten Personen durch(6) Das Auskunftsersuchen und die Auskunft selbst geführt werden. Wohnungen anderer Personen dürfen den Betroffenen oder Dritten vom dürfen nur überwacht werden, wenn Tatsachen die Auskunftsgeber nicht mitgeteilt werden. Annahme rechtfertigen, dass sich eine Person nach Absatz 2 Satz 1 oder 2 dort aufhält und die Über(7) Auf die Verarbeitung der nach den Absätzen 1 wachung der Wohnung allein dieser Person zur bis 4 erhobenen personenbezogenen Daten ist SS 4 Erforschung des Sachverhalts nicht Erfolg verspredes Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. chend erscheint. (8) Das fachlich zuständige Ministerium berichtet (4) Der Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 119 Satz 1 darf nur auf Antrag des Leiters der brochen worden, darf sie unter den in Satz 1 Verfassungsschutzbehörde oder seines Vertreters genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann auch der Leiter der Verfassungs(7) Ein Eingriff in ein nach den SSSS 53 und 53 a der schutzbehörde oder sein Vertreter den Einsatz Strafprozessordnung geschütztes Vertrauenstechnischer Mittel anordnen; eine richterliche verhältnis ist unzulässig. Absatz 6 gilt entspreEntscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Soweit chend. Satz 1 findet keine Anwendung, sofern die Anordnung des Leiters der VerfassungsschutzTatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die behörde oder seines Vertreters nicht binnen drei zeugnisverweigerungsberechtigte Person selbst im Tagen durch das Gericht bestätigt worden ist, tritt Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach sie außer Kraft; bereits erhobene Daten dürfen SS 5 steht oder eine Kontaktoder Begleitperson nicht verwertet werden und sind unverzüglich zu (Absatz 2 Satz 2) ist. löschen. SS 10 c (5) Die Anordnung ergeht schriftlich. Sie muss die Besondere Bestimmungen für Maßnahmen zu überwachende Wohnung und die Person, gegen nach SS 10 b die sich die Maßnahme richtet, so genau bezeichnen, wie dies nach den zur Zeit der Anordnung vor(1) Daten aus dem Kernbereich privater Lebenshandenen Erkenntnissen möglich ist. Art, Umfang gestaltung oder aus Eingriffen entgegen und Dauer der Maßnahmen sind bestimmt zu SS 10 b Abs. 7 dürfen nicht verwertet werden. bezeichnen. Die Anordnung ist auf höchstens einen Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu Monat zu befristen. Verlängerungen um jeweils löschen. Die Tatsache der Erfassung der Daten und einen weiteren Monat sind auf Antrag zulässig, der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumensoweit die Voraussetzungen der Anordnung unter tation ist zu löschen, wenn sie für Zwecke einer Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse etwaigen gerichtlichen Überprüfung nicht mehr fortbestehen. In der Begründung der Anordnung erforderlich ist. Soweit die Verarbeitung von Daten sind die Voraussetzungen und die wesentlichen nach SS 10 b der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, Gründe einzelfallbezogen darzustellen. Liegen die fällt sie nicht in die Kontrollkompetenz des LandesVoraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so beauftragten für den Datenschutz. sind die aufgrund der Anordnung ergriffenen (2) Eine Verwertung der bei einer Maßnahme nach Maßnahmen unverzüglich zu beenden. SS 10 b Abs. 1 Satz 2 erlangten Daten zum Zweck (6) Die Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 darf nur der Abwehr von Gefahren für die öffentliche angeordnet und durchgeführt werden, soweit nicht Sicherheit, insbesondere solcher für die freiheitaufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondeliche demokratische Grundordnung, ist zulässig, re hinsichtlich der Art der überwachten Räumwenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme lichkeit und des Verhältnisses der überwachten richterlich festgestellt oder dies bei Gefahr im Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch Verzug unverzüglich nachgeholt worden ist. die Überwachung Daten erhoben werden, die dem (3) Für gerichtliche Entscheidungen ist das AmtsKernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verfassungsnen sind. Die Maßnahme ist unverzüglich zu unterschutzbehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren brechen, soweit sich während der Überwachung gelten die Bestimmungen des Gesetzes über das tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Verfahren in Familiensachen und in den AngelegenInhalte oder Handlungen erfasst werden, die dem heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entspreKernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechchend. nen sind. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatisiert erfolgende Aufzeichnung fortgesetzt (4) Die aus einer Maßnahme nach SS 10 b gewonwerden. Automatisierte Aufzeichnungen nach Satz nenen personenbezogenen Daten sind zu kenn- 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur zeichnen. Nach einer Übermittlung an eine andere Entscheidung über die Verwertbarkeit der Daten Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtvorzulegen. Ist die Überwachung nach Satz 2 unterzuerhalten. 120 (5) Der Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem sein Vertreter kann anordnen, dass bei der Jahr der Löschung folgt, zu vernichten. SS 11 Abs. 5 Übermittlung auf die Kennzeichnung nach Absatz 4 gilt entsprechend. verzichtet wird, soweit und solange dies unerläss(9) Für die Benachrichtigung des Betroffenen gellich ist, um die Geheimhaltung einer Beschränkungsten die Bestimmungen des SS 10 Abs. 5 mit der maßnahme nicht zu gefährden und das Gericht Maßgabe, dass die Zurückstellung der zugestimmt hat. Bei Gefahr im Verzug kann die Benachrichtigung der gerichtlichen Entscheidung Anordnung bereits vor der Zustimmung getroffen bedarf, sofern eine Benachrichtigung nicht binnen werden. Wird die Zustimmung versagt, ist die sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme Kennzeichnung durch den Übermittlungsempfänger erfolgt ist. Über die Dauer der weiteren unverzüglich nachzuholen; die übermittelnde Zurückstellungen, die zwölf Monate jeweils nicht Behörde hat ihn hiervon zu unterrichten. überschreiten dürfen, entscheidet das Gericht. Eine (6) Die Verfassungsschutzbehörde kann nach SS 10 abschließende Entscheidung kann frühestens fünf b erhobene personenbezogene Daten an öffentJahre nach Beendigung der Maßnahme getroffen liche Stellen übermitteln, soweit dies erforderlich werden. ist 1. zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die Teil 4 öffentliche Sicherheit, insbesondere einer Datenverarbeitung gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, oder SS 11 2. zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten Erhebung, Speicherung und Nutzung personennach SS 100 c Abs. 2 der Strafprozessordnung bezogener Daten Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung wurden. ihrer Aufgaben personenbezogene Daten erheben, in Akten und Dateien speichern und nutzen, wenn (7) Sind mit personenbezogenen Daten, die übermittelt werden dürfen, weitere Daten des Betroff1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht enen oder eines Dritten in Akten so verbunden, von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 dass eine Trennung nicht oder nur mit unvertretvorliegen, barem Aufwand möglich ist, ist die Übermittlung 2. dies für die Erforschung und Bewertung von auch dieser Daten zulässig; eine Verwendung dieser Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 erforDaten ist unzulässig. Über die Übermittlung entderlich ist oder scheidet ein Bediensteter der übermittelnden Stelle, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die 3. dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 6 Übermittlung ist zu protokollieren. erforderlich ist. (8) Sind die durch eine Maßnahme nach SS 10 b Personenbezogene Daten, die in Dateien gespeierlangten personenbezogenen Daten zur Erfüllung chert sind, welche der Auswertung personenbezodes der Maßnahme zugrunde liegenden Zwecks gener Daten zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der 5 und SS 6 dienen sollen, müssen durch Akten oder Maßnahme nicht mehr erforderlich, sind sie unverandere Datenträger belegbar sein. züglich zu löschen. Soweit die Löschung lediglich (2) Daten über Personen, bei denen keine tatsächfür eine etwaige gerichtliche Überprüfung der lichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie selbst Maßnahme zurückgestellt ist, dürfen die Daten Bestrebungen der Tätigkeiten im Sinne des SS 5 ohne Einwilligung des Betroffenen nur zu diesem nachgehen (Unbeteiligte), dürfen nur dann verarZweck verwendet werden; sie sind entsprechend zu beitet werden, wenn sperren. Die Löschung ist aktenkundig zu machen. Die Akten sind gesondert aufzubewahren, durch 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder technische und organisatorische Maßnahmen zu Tätigkeiten im Sinne des SS 5 erforderlich ist, 121 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert die Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 wäre und nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass 3. überwiegende schutzwürdige Interessen der durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffbetroffenen Person nicht entgegenstehen. enen beeinträchtigt würden. Die den zu löschenden Daten Unbeteiligter dürfen auch verarbeitet werpersonenbezogenen Daten entsprechenden Akten den, wenn sie mit zur Erfüllung der Aufgaben nach oder Aktenbestandteile sind zu vernichten, wenn den SS 5 und SS 6 erforderlichen Informationen eine Trennung von anderen Daten, die zur Erfüllung untrennbar verbunden sind. Daten, die für das der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 weiterhin erforVerständnis der zu speichernden Informationen derlich sind, mit vertretbarem Aufwand möglich nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu ist. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend für sonlöschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht stige Akten, wenn die Verfassungsschutzbehörde oder nur mit einem unvertretbaren Aufwand mögdie Voraussetzungen nach Satz 1 im Einzelfall festlich ist; in diesem Falle sind die Daten zu sperren. stellt. Personenbezogene Daten sind zu sperren, sofern trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen eine (3) Werden personenbezogene Daten bei BetroffLöschung nach Satz 2 oder eine Vernichtung nach enen mit ihrer Kenntnis erhoben, ist der ErhebungsSatz 3 oder 4 nicht vorzunehmen ist. zweck anzugeben. Betroffene sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach von ihr festzuset(4) In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 dürzenden Fristen, in den Fällen des SS 5 Satz 1 Nr. 2 fen zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 6 nur persound des SS 6 spätestens nach fünf Jahren und in den nenbezogene Daten über die Personen gespeichert Fällen des SS 5 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 spätestens nach werden, die selbst der Sicherheitsüberprüfung drei Jahren, ob in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 unterliegen oder in diese einbezogen werden. Satz 2 gespeicherte personenbezogene Daten zu (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte perZwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensonenbezogene Daten über Bestrebungen und sicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsTätigkeiten nach SS 5 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 sind spägemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage testens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeichert werden, dürfen für andere Zwecke nur gespeicherten relevanten Information zu löschen, insoweit verarbeitet werden, als dies zur Abwehr es sei denn, die Leiterin oder der Leiter der für den erheblicher Gefährdungen der öffentlichen Verfassungsschutz zuständigen Abteilung des Sicherheit, insbesondere für Leben, Gesundheit Ministeriums des Innern und für Sport stellt im oder Freiheit einer Person erforderlich ist. Einzelfall fest, dass die weitere Speicherung zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 oder SS 12 zur Wahrung schutzwürdiger Interessen Betroffener Berichtigung, Löschung und Sperrung personenerforderlich ist. bezogener Daten SS 13 (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat in Dateien Informationsübermittlung an die im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte persoVerfassungsschutzbehörde nenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie unvoll(1) Die öffentlichen Stellen des Landes und der ständig sind. Gleiches gilt, wenn sie im Einzelfall kommunalen Gebietskörperschaften übermitteln feststellt, dass in Akten gespeicherte personenbevon sich aus der Verfassungsschutzbehörde Informationen, soweit diese nach ihrer Beurteilung zogene Daten unrichtig oder unvollständig sind. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 Nr. 1 und 4, (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in Dateien soweit die Bestrebungen und Tätigkeiten durch im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte persoAnwendung von Gewalt oder darauf gerichtete nenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Vorbereitungshandlungen gekennzeichnet sind, 122 sowie SS 5 Nr. 2 und 3 erforderlich sind. Darüber oder Betroffene unverhältnismäßig beeinträchtigt hinaus dürfen die öffentlichen Stellen des Landes würden. Die Übermittlung personenbezogener und der kommunalen Gebietskörperschaften von Daten ist auf Name, Anschrift, Tag und Ort der sich aus auch alle anderen ihnen bekannt geworGeburt, Staatsangehörigkeit sowie auf im Einzelfall denen Informationen einschließlich personenbezodurch die Verfassungsschutzbehörde festzulegende gener Daten übermitteln, die Bestrebungen und Merkmale zu beschränken. Tätigkeiten nach SS 5 Satz 1 Nr. 1 und 4 betreffen, (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a der dass die Übermittlung für die Erfüllung der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist für Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderZwecke der Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz lich ist. nur dann zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann über alle dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 Angelegenheiten, deren Aufklärung zur Erfüllung des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 erforderlich plant, begeht oder begangen hat. Auf deren Verist, von den öffentlichen Stellen des Landes und der wertung durch die Verfassungsschutzbehörde finkommunalen Gebietskörperschaften Informationen det SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende und die Vorlage von Unterlagen verlangen. Das Anwendung. Ersuchen braucht nicht begründet zu werden; die Verfassungsschutzbehörde allein trägt die VeranSS 14 twortung für dessen Rechtmäßigkeit. Ein Ersuchen Informationsübermittlung durch die soll nur dann gestellt werden, wenn die InforVerfassungsschutzbehörde mationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf an öffentnur durch eine die Betroffenen stärker belastende liche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung Maßnahme erhoben werden können. ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 übermitteln, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Die (3) Bestehen nur allgemeine, nicht auf konkrete empfangende Stelle darf personenbezogene Daten Fälle bezogene Anhaltspunkte nach SS 5, so kann die nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermitVerfassungsschutzbehörde die Übermittlung persotelt wurden, soweit gesetzlich nichts anderes nenbezogener Informationen oder Informationsbestimmt ist. bestände von öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörper-schaften nur ver(2) Zu anderen Zwecken darf die Verfassungslangen, soweit dies erforderlich ist zur Aufklärung schutzbehörde, soweit gesetzlich nichts anderes von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstbestimmt ist, personenbezogene Daten nur überlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von mitteln an Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt 1. die Dienststellen der oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von gegen die freiheitliche demokratische GrundArtikel 3 des Zusatzabkommens zu dem ordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Abkommen zwischen den Parteien des NordBundes oder eines Landes gerichtet sind, auswärtiatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer ge Belange der Bundesrepublik Deutschland Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik gefährden oder gegen den Gedanken der VölkerDeutschland stationierten ausländischen verständigung oder das friedliche Zusammenleben Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. der Völker gerichtet sind. Die Verfassungs1183 - 1218 -), zuletzt geändert durch schutzbehörde kann auch Einsicht in die amtlichen Abkommen vom 18. März 1993 (BGBl. 1994 II Dateien und sonstigen Informationsbestände nehS. 2594), men, soweit dies zur Aufklärung der in Satz 1 genannten Tätigkeiten oder Bestrebungen zwin2. die Staatsanwaltschaften und die Polizeigend erforderlich ist und durch eine andere Art der behörden zur Verfolgung von Übermittlung der Zweck der Maßnahme gefährdet Staatsschutzdelikten, den in SS 100 a der 123 Strafprozessordnung und SS 131 des (3) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt auf Strafgesetzbuchs genannten Straftaten und begründete Anfrage von öffentlichen Stellen des sonstigen Straftaten im Rahmen der organiLandes und der kommunalen Gebietskörpersierten Kriminalität; Staatsschutzdelikte sind schaften Auskunft einschließlich personenbezodie in den SS 74 a des gener Daten aus vorhandenen Unterlagen über Gerichtsverfassungsgesetzes und SS 120 des gerichtsverwertbare Tatsachen im Rahmen von Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Einstellungs-, Disziplinarund KündigungsStraf-taten sowie sonstige Straftaten, bei verfahren, im Einbürgerungsverfahren und in den denen auf Grund ihrer Zielsetzung, des Motivs Fällen, in denen dies durch eine Rechtsvorschrift der Täterin oder des Täters oder der vorgesehen oder vorausgesetzt wird. Die Auskunft Verbindung zu einer Organisation tatsächmuss zur Erfüllung der Aufgaben der anfragenden liche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie Stelle zwingend erforderlich sein. gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter (4) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt gerichtet sind, gemäß SS 21 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes dem Bundesnachrichtendienst und 3. die Polizeiund Ordnungsbehörden, soweit dem Militärischen Abschirmdienst Informationen sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn dies einschließlich personenbezogener Daten. zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist und die Übermittlung (5) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenzur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden bezogene Daten an ausländische Nachrichtenerheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden dienste angrenzender Staaten, an andere auslänBekämpfung der in Nummer 2 genannten dische öffentliche Stellen sowie an überund zwiStraftaten oder von Verbrechen, für deren schenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dient, den SS 5 und SS 6 oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der empfangenden Stelle 4. andere öffentliche Stellen, wenn dies zur erforderlich ist. Die Übermittlung an ausländische Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Nachrichtendienste geschieht im Einvernehmen Stelle erforderlich ist und diese die personenmit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Sie bezogenen Daten für Zwecke benötigt, die unterbleibt in allen Fällen, in denen auswärtige dem Schutz wichtiger Rechtsgüter, insbesonBelange der Bundesrepublik Deutschland oder dere dem Schutz von Leben, Gesundheit oder überwiegende schutzwürdige Interessen BeFreiheit einer Person oder dem Schutz von troffener entgegenstehen. Die Übermittlung ist Sachen von bedeutendem Wert oder der aktenkundig zu machen. Die empfangende Stelle Gewährleistung der Sicherheit von lebensist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten peroder verteidigungswichtigen Einrichtungen im sonenbezogenen Daten nur zu dem Zweck genutzt Sinne des Landessicherheitsüberprüfungswerden dürfen, zu dem sie ihr übermittelt wurden, gesetzes dienen und dies mit den Aufgaben und dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbeder Verfassungsschutzbehörde nach den SS 5 hält, Auskunft über die Nutzung der personenbezound SS 6 vereinbar ist. genen Daten zu verlangen. In den Fällen des SS 21 Abs. 1 Satz 1 des (6) Personenbezogene Daten dürfen an nichtöfBundesverfassungsschutzgesetzes übermittelt die fentliche Stellen nicht übermittelt werden, es sei Verfassungsschutzbehörde darüber hinaus auch denn, dies ist den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, 1. zum Schutze der freiheitlichen demokraden Polizeibehörden des Landes Informationen eintischen Grundordnung, des Bestandes oder schließlich personenbezogener Daten unter den der Sicherheit der Bundesrepublik Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 Deutschland oder eines ihrer Länder oder zur sowie Abs. 2 Satz 1 des BundesverfassungsschutzGewährleistung der Sicherheit von lebensgesetzes. oder verteidigungswichtigen Einrichtungen im 124 Sinne des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes, SS 16 Besondere Pflichten bei der Übermittlung per2. zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder sonenbezogener Daten geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine fremde Macht, (1) Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Bestimmungen dieses 3. zum Schutze der Volkswirtschaft vor sicherGesetzes als unvollständig oder unrichtig, so sind heitsgefährdenden oder geheimdienstlichen sie unverzüglich gegenüber der empfangenden Tätigkeiten oder vor der planmäßigen Stelle zu berichtigen, es sei denn, es ist sachlich Unterwanderung von ohne Bedeutung. Wirtschaftsunternehmen durch die in SS 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 genannten Bestrebungen (2) Die empfangende Stelle prüft, ob die nach den oder Bestimmungen dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer 4. zum Schutze von Leben, Gesundheit, Freiheit Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass oder Vermögen einer Person erforderlich. Die Übermittlung bedarf der Zustimmung der sie nicht erforderlich sind, hat sie die Unterlagen zu fachlich zuständigen Ministerin oder des fachvernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, lich zuständigen Ministers oder der Leiterin wenn die Trennung von anderen personenbezooder des Leiters der für den Verfassungsschutz genen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforzuständigen Abteilung des Ministeriums des derlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Innern und für Sport. Sie ist aktenkundig zu Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die persomachen. Die empfangende Stelle ist darauf nenbezogenen Daten zu sperren. hinzuweisen, dass die übermittelten personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck SS 17 genutzt werden dürfen, zu dem sie ihr überMinderjährigenschutz mittelt wurden, und dass die Verfassungs(1) Personenbezogene Daten über das Verhalten schutzbehörde sich vorbehält, Auskunft über von Minderjährigen vor Vollendung des 14. Lebensdie Nutzung der personenbezogenen Daten jahres dürfen nicht in Dateien im Sinne des SS 11 zu verlangen. Abs. 1 Satz 2 und in zu ihrer Person geführten Akten gespeichert werden. SS 15 Übermittlungsverbote (2) Über Minderjährige nach Vollendung des 14. Lebensjahres in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Die Übermittlung von personenbezogenen Daten Satz 2 oder in zu ihrer Person geführten Akten nach den SS 13 und SS 14 unterbleibt, wenn gespeicherte personenbezogene Daten sind nach Ablauf von zwei Jahren seit dem zuletzt erfassten 1. überwiegende schutzwürdige Interessen der Verhalten auf die Erforderlichkeit der Speicherung Betroffenen dies erfordern, zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies löschen, es sei denn, nach Eintritt der Volljährigkeit erfordern, insbesondere Gründe des Quellensind weitere Erkenntnisse nach SS 5 angefallen. schutzes, des Schutzes operativer Maß(3) Personenbezogene Daten über das Verhalten nahmen oder sonstige Geheimhaltungsgründe von Minderjährigen dürfen nach den Bestimmungen entgegenstehen oder dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die 3. besondere gesetzliche ÜbermittlungsVoraussetzungen der Speicherung nach SS 11 erfüllt regelungen entgegenstehen; die Verpflichtung sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht oder nicht zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungsmehr vor, ist eine Übermittlung nur zulässig, wenn pflichten oder von Berufsoder besonderen sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Verfolgung einer Straftat von erheblicher BeVorschriften beruhen, bleibt unberührt. deutung erforderlich ist. 125 (4) Personenbezogene Daten über das Verhalten Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkunvon Minderjährigen vor Vollendung des 16. dig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgeLebensjahres dürfen nach den Bestimmungen lehnt, sind Betroffene auf die Rechtsgrundlage für dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überdas Fehlen der Begründung und darauf hinzuweioder zwischenstaatliche Stellen übermittelt wersen, dass sie sich an die Landesbeauftragte oder den. den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden können. Mitteilungen der oder des LandesSS 18 beauftragten für den Datenschutz an Betroffene Auskunft an Betroffene dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern die(1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Bese nicht einer weitergehenden Auskunft zugetroffenen über zu ihrer Person in Akten und stimmt hat. Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte Daten sowie über den Zweck und die RechtsSS 19 grundlage für deren Verarbeitung auf Antrag Datenschutzkontrolle unentgeltlich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und Der oder dem Landesbeauftragten für den Datenauf die empfangende Stelle bei Übermittlungen. schutz ist auf Verlangen Zutritt zu den DiensÜber personenbezogene Daten in nichtautomatiträumen zu gewähren. Ihr oder ihm ist ferner sierten Dateien und Akten, die nicht zur Person von Auskunft zu erteilen und Einsicht in alle Dateien, Betroffenen geführt werden, ist Auskunft nur zu Akten und sonstige Unterlagen zu gewähren, soerteilen, soweit Angaben gemacht werden, die ein weit nicht die fachlich zuständige Ministerin oder Auffinden der personenbezogenen Daten mit angeder fachlich zuständige Minister im Einzelfall festmessenem Aufwand ermöglichen. Ein Recht auf stellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder Akteneinsicht besteht nicht. eines Landes gefährdet wird. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit Teil 5 1. durch sie eine Gefährdung der Parlamentarische Kontrolle Aufgabenerfüllung zu besorgen ist, 2. durch sie Nachrichtenzugänge gefährdet sein SS 20 können oder die Ausforschung des Parlamentarische Kontrollkommission Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der (1) Zur Wahrnehmung seines parlamentarischen Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, Kontrollrechtes gegenüber der fachlich zuständigen 3. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder Ministerin oder dem fachlich zuständigen Minister sonst dem Wohl des Bundes oder eines hinsichtlich der Tätigkeit der VerfassungsschutzLandes Nachteile bereiten würde oder behörde bildet der Landtag zu Beginn jeder Wahlperiode eine Parlamentarische Kontroll4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung kommission. Die Rechte des Landtags, seiner nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der Ausschüsse und der nach dem Landesgesetz zur überwiegenden berechtigten Interessen parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen Dritter geheimgehalten werden müssen. des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gebilDie Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter deten Kommission bleiben unberührt. der für den Verfassungsschutz zuständigen (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission Abteilung des Ministeriums des Innern und für besteht aus drei Mitgliedern, die vom Landtag aus Sport oder hierzu besonders Beauftragte. seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf gewählt werden. Die Parlamentarische Kontrollkeiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der kommission wählt eine Vorsitzende oder einen Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. 126 (3) Die Beratungen der Parlamentarischen KontrollBei der Erfüllung der Aufgaben nach den SSSS 5 und 6 kommission sind geheim. Ihre Mitglieder sind zur durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, Abs. 4 Satz 1 und die SSSS 12 bis 19 des Landesdie ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parladatenschutzgesetzes keine Anwendung mentarischen Kontrollkommission bekannt werden. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem SS 23 Ausscheiden. Einschränkung von Grundrechten (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine MitgliedAufgrund dieses Gesetzes können das Grundrecht schaft in der Parlamentarischen Kontrollauf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 kommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung für ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, Rheinland-Pfalz sowie das Grundrecht des Brief-, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Postund Fernmeldegeheimnisses aus Artikel 10 Kontrollkommission ausscheidet. des Grundgesetzes und Artikel 14 der Verfassung für Rheinland-Pfalz eingeschränkt werden. SS 21 Befugnisse der Parlamentarischen SS 24 Kontrollkommission (Änderungsbestimmung) (1) Die fachlich zuständige Ministerin oder der SS 25 fachlich zuständige Minister unterrichtet die Inkrafttreten Parlamentarische Kontrollkommission mindestens zweimal jährlich umfassend über die allgemeine (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Verkündung in Kraft. Vorgänge von besonderer Bedeutung. Die Unterrichtung umfasst auch den nach SS 10 b Abs. 1 Satz (2) (Aufhebungsbestimmung) 1 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach SS 10 b Abs. 1 Satz 2 erfolgten Einsatz technischer Mittel in Wohnungen sowie die Durchführung des SS 10 a Abs. 1 bis 7; dabei ist insbesondere ein Über-blick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach SS 10 a Abs. 1 bis 4 zu geben. (2) Jedes Mitglied kann den Zusammentritt und die umfassende Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. Dies schließt ein Recht auf Einsicht in Dateien, Akten und sonstige Unterlagen ein. (3) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die politische Verantwortung der fachlich zuständigen Ministerin oder des fachlich zuständigen Ministers bestimmt. Teil 6 Schlussbestimmungen SS 22 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes 127 Hinweis: Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern und für Sport herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunaloder Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. 128 Impressum Herausgeber: Ministerium des Innern und für Sport Schillerplatz 3 - 5 55116 Mainz Druck: Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz Der Verfassungsschutzbericht 2010 ist auch über das Internet abrufbar, unter: www,verfassungsschutz.rlp.de ISSN 0948-8723 Eee Eee 55116 Mainz Telefon; 06131/16-3772 www.verfassungsschutz.rip.de