VERFASSUNGSSCHUTZ Tätigkeitsbericht 2002 Ministerium desInnern und für Sport Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport 55116 Mainz, Schillerplatz 3-5 55022 Mainz, Postfach 3280 Tel./Fax.: 06131/16-3772/16-3688 Internet: http://www.verfassungsschutz.rlp.de Tätigkeitsbericht 2002 des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes ISSN 0948-8723 Vorwort Das Jahr 2002 stand im Zeichen besonderer globaler sicherheitspolitischer Herausforderungen, deren Auswirkungen auch die Sicherheitslage unseres Landes nachhaltig beeinflussen - denn Extremismus und Terrorismus machen nicht vor Ländergrenzen halt. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass Extremisten und Terroristen ihre Aktionsweisen und Strategien im 21. Jahrhundert weiter entwickelt haben. Sie missbrauchen heute beispielsweise mehr denn je die vielfältigen Reiseund Informationsmöglichkeiten unserer modernen, offenen Kommunikationsgesellschaft für ihre verwerflichen Zwecke. Nach den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 mussten auch im Jahre 2002 ebenso bittere wie ernüchternde Lehren gezogen werden. Auch die Bundesrepublik Deutschland wurde dabei erneut mit den internationalen, ja globalen Dimensionen der aktuellen Bedrohungspotenziale konfrontiert. Die Anschläge auf Djerba und Bali im vergangenen Jahr verdeutlichen dies auf besonders tragische Weise. Es besteht deshalb auch heute keinerlei Veranlassung, von Entwarnung zu reden: die Sicherheitslage bleibt insgesamt angespannt. Aus heutiger Sicht steht nämlich fest, dass der 11. September 2001 kein abschließendes Fanal einer langen Entwicklung menschenverachtenden Terrorismus war - der weltweite Terrorismus fordert auch weiter unschuldige Opfer. Ebenso wenig waren diese ruchlosen Taten in ihrem Feindbild ausschließlich auf die Vereinigten Staaten von Amerika fixiert. Sie stellen vielmehr einen Teil einer langfristig orientierten -2Strategie gegen bestimmte, pauschal als westliche Welt definierte Länder und deren zivilisatorisches Selbstverständnis dar. Wenngleich bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Erfolge zu verzeichnen sind, bedrohen uns dessen komplexe, schwer zu durchdringende Strukturen weiterhin. Die vielfältigen, neuen Gefahren sind offenkundig: der Terrorist von heute kommt mit einem Minimum an verbindlicher politisch-ideologischer Basis aus, braucht keine statischen, hierarchischen Strukturen mehr, nutzt die modernen Kommunikationstechniken, ist flexibel und verfügt nicht zuletzt über ein bislang ungeahntes Maß an Menschenverachtung und Fanatismus - der tausendfache Mord gehört zum Kalkül des Terrorismus im 21. Jahrhundert. Die letzten Tabus, die Anwendung atomarer, chemischer oder biologischer Waffen, drohen zu fallen. Die sachgerechte, angemessene Bekämpfung dieser Herausforderungen der zivilisierten Welt kann deshalb nur im internationalen Schulterschluss erfolgreich sein. Gerade in einem immer enger zusammenrückenden Europa ist dies von vitalem Interesse und ohne Alternative. Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und der internationalen Verträge stehen daher auch die Sicherheitsbehörden unseres Landes in der besonderen Pflicht, stärker denn je, "über den Tellerrand zu blicken". Insbesondere dem Verfassungsschutz kommt dabei als "Frühwarnsystem" der wehrhaften Demokratie eine wichtige, ja unverzichtbare Bedeutung bei: er stellt sich hier in Rheinland-Pfalz diesen Herausforderungen. Unter dem Motto "Prävention durch Information" unterrichtet der Tätigkeitsbericht 2002 wiederum über relevante extremistische bzw. sicherheitsgefährdende Bestrebungen in unserem Land. Ich hoffe, er findet auch diesmal das Interesse vieler Leserinnen und Leser. Walter Zuber Minister des Innern und für Sport -3INHALTSVERZEICHNIS Seite A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 1. Allgemeines 7 2. Strukturdaten 8 3. Öffentlichkeitsarbeit 9 4. Aufklärungskampagne "FAIRSTÄNDNIS" 10 5. Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus 11 6. Beobachtung des islamistischen Extremismus 13 B. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Überblick 1. Rechtsextremismus 14 Überblick 2002 14 1.1 Rechtsextremistisches Personenpotenzial 15 1.2 Rechtsextremistische Gewalt 15 1.3 Gewalttätige/gewaltbereite Rechtsextremisten (insbesondere rechtsextremistische Skinheads) 17 1.4 Neonazistische Szene/Organisationen 20 "Rudolf-Heß"-Gedenkveranstaltungen 2001 20 1.5 Rechtsextremistische Parteien 21 1.5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 21 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 29 1.5.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) 30 1.5.3 "Die Republikaner" (REP) 32 -41.6 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 36 "Militärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" 36 1.7 Überregionale informationelle Vernetzung und Nutzung moderner Informationsund Kommunikationsmittel 36 1.8 Auslandskontakte 38 1.9 Protestaktionen von Rechtsextremisten gegen die US-Regierung im Zusammenhang mit dem Irak-Konflikt 38 2. Linksextremismus 41 Überblick 2002 2.1 Linksextremistisches Personenpotenzial 41 2.2 Linksextremistische Gewalt 42 2.3 Gewalttätiger Linksextremismus 42 2.3.1 Autonome 42 2.3.2 Sonstige (militante) Linksextremisten 45 2.2.3 Ermittlungsund Gerichtsverfahren gegen terroristische Straftäter 46 2.3.4 Aktionsfelder militanter Linksextremisten 47 2.4 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 52 2.4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 52 2.4.2 "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) 55 3. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 56 Überblick 2002 3.1 Personenpotenzial 57 3.2 Gewalttatenzahlen 57 -53.3 Islamistischer Extremismus 58 3.3.1 Komplex (Arabische) Mujahidin 61 3.3.2 Hizb ut-Tahrir 65 3.3.3 "Der Kalifatsstaat", auch "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) 67 3.3.4 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 69 3.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 71 3.5 "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) (früher: "Arbeiterpartei Kurdistans"-PKK) 73 4. Spionageabwehr 80 5. Geheimschutz/Sabotageschutz 92 C. Kurzdarstellungen von verfassungsfeindlichen Organisationen 97 D. Anhang 110 Gesetzliche Grundlagen 110 Grundgesetz (Auszug) Landesverfassungsschutzgesetz -6Anmerkung für die Leserinnen und Leser 1. Der Tätigkeitsbericht 2002 des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes dient der sachgerechten Information der Öffentlichkeit. Er gibt den Leserinnen und Lesern einen Überblick über die bedeutendsten verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen, von denen Gefahren für die Innere Sicherheit ausgehen. Der Bericht kann demnach keine umfassende und abschließende Darstellung geben, sondern ist in erster Linie als Orientierungshilfe für die politische Auseinandersetzung und nicht als eine erschöpfende rechtliche Würdigung zu verstehen. Dies gilt insbesondere für die Bewertung der von verfassungsfeindlichen Kräften beeinflussten Organisationen. Die Erwähnung einer Organisation im Tätigkeitsbericht lässt für sich genommen noch keine Rückschlüsse auf extremistische Bestrebungen der einzelnen Mitglieder solcher Vereinigungen zu, also auf politisch bestimmte, zielund zweck-gerichtete Verhaltensweisen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Staates richten. Die im Tätigkeitsbericht aufgeführten Erkenntnisse und Zahlenangaben beruhen auf dem Stand: 31. Dezember 2002. Eventuelle Änderungen können sich noch bei den Zahlenangaben aufgrund von Nachmeldungen ergeben. 2. Die im Tätigkeitsbericht 2002 genannten Strafund Gewalttatenzahlen wurden nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen polizeilichen Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) erfasst. Dieses 2001 eingeführte (neue) Definitionssystem stellt die tatauslösende politische Motivation in den Vordergrund. Es umfasst damit sowohl Taten mit erkennbarem extremistischen Hintergrund (s. Nr. 1.), wie auch solche politisch motivierten Delikte, bei denen (noch) nicht von einem extremistischen Hintergrund gesprochen werden kann. Die vergleichende Darstellung der entsprechenden Bundeszahlen musste unterbleiben, da diese bis zum Redaktionsschluss noch nicht vorlagen. -7A. Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz 1. Allgemeines Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der fundamentalen Grundsätze unserer verfassungsmäßigen Staatsund Gesellschaftsordnung. Als Nachrichtendienst vollzieht er auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes1 u.a. Aufgaben der Informationsbeschaffung und -auswertung über Bestrebungen, die auf eine Beeinträchtigung oder gar Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abzielen. Die von ihm gewonnenen Informationen sind eine wichtige Grundlage für die politische Auseinandersetzung mit den Verfassungsfeinden von rechts wie von links; sie können aber auch die Basis für exekutive Maßnahmen wie Vereinigungsverbote oder für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren sein. Derartige Entscheidungen trifft allerdings nicht der Verfassungsschutz; ihm steht bei seiner Aufgabenerfüllung keinerlei Exekutivgewalt zu. So hat der Verfassungsschutz insbesondere keine polizeilichen Befugnisse: er darf weder Personen kontrollieren oder festnehmen, noch Wohnungen durchsuchen oder Unterlagen beschlagnahmen. Ein striktes Trennungsgebot sorgt zudem dafür, dass der Verfassungsschutz die Polizei auch nicht zu Handlungen bewegen darf, die ihm selbst untersagt sind. Daran haben auch die umfassenden gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen in Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 nichts geändert. Gleichwohl haben das erschütternde Ausmaß der Gewalt, die kaltblütige Planung und die weltweite Zusammenarbeit der Täter auch die Weiterentwicklung der gesetzlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ausgelöst. Nach der Schaffung 1 s. unter D. Anhang -8neuer Bestimmungen zur strafrechtlichen Verfolgung der Unterstützer ausländischer Terrororganisationen (SS 129b StGB) und zum Verbot islamistisch-extremistischer Vereine (Wegfall des so genannten Religionsprivilegs im Vereinsgesetz) noch im Dezember 2001 - beides als "Sicherheitspaket I" bezeichnet - ist zu Jahresbeginn 2002 das Terrorismusbekämpfungsgesetz ("Sicherheitspaket II") in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Sicherheitsgesetze der neuen Bedrohungslage angepasst worden, um bereits im Inland aufenthältliche Terroristen besser erkennen zu können, den dazu erforderlichen Datenaustausch zwischen den Behörden zu verbessern, und die Einreise terroristischer Straftäter nach Deutschland zu verhindern. In Rheinland-Pfalz wurde die Gesetzeslage mit der Neufassung des Ausführungsgesetzes zu Artikel 10 GG und zur Fortentwicklung verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Dezember 20022 angepasst. 2. Strukturdaten Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes beträgt 1503. Die Gesamtsumme der dem Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz laut Haushaltsplan zustehenden Mittel betrug im Jahre 2002: 1.460.000,-Euro (2003: voraussichtlich 1.106.300,-Euro). Die Gesamtzahl der Speicherungen des Landesverfassungsschutzes im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) beträgt 7.4594, wo- 2 Siehe GVBl 2002, Seite 477. Von den Änderungen betroffen sind u.a. das Landesverfassungsschutzgesetz (s. Teil D. Anhang) und das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz (s. GVBl 2000, Seite 70). 3 Stand: 31. Dezember 2002 4 Stand: 31. Dezember 2002 -9von etwa die Hälfte auf Sicherheitsüberprüfungen der Landesund Kommunalbehörden für Personen mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten im Rahmen des Geheimschutzes entfällt. NADIS ist ein gemeinsames, automatisiertes Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zur Erfüllung ihres gesetzlich normierten Auftrages. Rechtsgrundlage hierfür bildet SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz5. Die Dateien enthalten nur die Daten, die zum Auffinden von Akten und zur notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind. 3. Öffentlichkeitsarbeit Obwohl der Verfassungsschutz ein Nachrichtendienst ist, nimmt die Öffentlichkeitsarbeit einen breiten Raum ein. So unterrichtet der rheinlandpfälzische Verfassungsschutz regelmäßig die Öffentlichkeit über aktuelle Ereignisse, von denen Gefahren für die Innere Sicherheit unseres Landes ausgehen. Darüber hinaus stellt der Verfassungsschutz auch Referenten für verfassungsschutzrelevante Themen einschließlich seiner eigenen Tätigkeit (Aufgaben und Befugnisse) zur Verfügung. Diesbezügliche Kontaktaufnahmen können über das Pressereferat des Ministeriums des Innern und für Sport (06131/163220) oder den Bereich Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes (06131/163772) erfolgen. Zudem kann der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz auch über E-Mail (verfassungsschutz@ism.rlp.de) kontaktiert werden. 5 Vgl. Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz -BVerfSchG-) - vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I, Seite 2954) in der Fassung vom 9. Januar 2002 (BGBl. I, Seite 361). - 10 - Neben den jährlichen Tätigkeitsberichten sind derzeit folgende Informationsbroschüren des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes erhältlich bzw. über die Internetadresse http://www.verfassungsschutz. rlp.de abrufbar: - "Verfassungsschutz transparent"* - "Rechtsextremismus" - "Skinheads" - "Autonome" - "Extremismus und Gewalt - Keine Chance!"* - "Islamistische Extremisten" - "Wirtschaftsspionage" - "Arbeiterpartei Kurdistans". - "Gemeinsam stark gegen Rechtsextremismus" - "Linksextremismus - weiterhin aktuell"* - "Ausländerextremismus - von Irland bis Sri Lanka"* - "Aus guten Gründen - Beobachtung der 'Scientology'Organisation durch den Verfassungsschutz"* - "Spionage heute - Märkte, Macht und Militär" - "Extremisten und Informationstechnik - vom Flugblatt zum PC"* - "Rechtsextremistische Parteien - Keine Alternative"* - "Informationsschutz in der gewerblichen Wirtschaft - Mit Sicherheit ein Gewinn!". (* : derzeit nur im Internet als Pdf-Datei verfügbar) 4. Aufklärungskampagne "FAIRSTÄNDNIS" Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz beteiligte sich auch 2002 wieder an der auf Initiative der Innenminister von Bund und Ländern im Jahre - 11 - 1993 gestarteten Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit unter dem Motto " FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhass". Neben der Verteilung von Broschüren wie dem Heft für Jugendliche mit dem Titel "Basta" wurden verschiedene themenbezogene Veranstaltungen von Jugendgruppen in Rheinland-Pfalz finanziell unterstützt. Die Kampagne "Fairständnis" wird in Rheinland-Pfalz auch im Jahr 2003 fortgeführt. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: FAIRSTÄNDNIS Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhass Die Innenminister von Bund und Ländern Ministerium des Innern und für Sport - Abteilung Verfassungsschutz - Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Tel.: 06131/16-3772 Fax: 06131/16-3688 Internet: http://www.verfassungsschutz.rlp.de 5. Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz sieht der wachsenden Bedrohung durch Extremisten nicht tatenlos zu. Seit Jahren ist die konsequente und dauerhafte Bekämpfung insbesondere des Rechtsextremismus eine Schwerpunktaufgabe der Landesregierung. Um diesen Kampf noch weiter zu optimieren, beschäftigt sich eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des Verfassungsschutzes mit der Entwicklung neuer Initiativen und der Koordinierung laufender Maßnahmen der einzelnen Ressorts. - 12 - Auch im Jahr 2002 haben die verschiedenen Ressorts ihre kontinuierliche Präventions-, Aufklärungsund Fortbildungsarbeit weitergeführt. Kernpunkt ist dabei weiterhin das Aussteigerprogramm, das mittlerweile über 2.400 Anrufe6 zu verzeichnen hat. Ergänzt wird es durch das Internetportal "Aktion gegen Rechts - in Frieden miteinander leben", das seit Juli 2002 abrufbar ist. 5.1 Aussteigerprogramm "(R)AUSwege aus dem Extremismus" Gerade Jugendliche geraten leicht in den Einflussbereich extremistischer, insbesondere rechtsextremistischer Gruppierungen. Aus diesem Grund hat Rheinland-Pfalz ein Programm geschaffen, das insbesondere jungen Menschen den Ausstieg aus der (rechts)extremistischen Szene erleichtern soll. Es wendet sich daher in erster Linie nicht an szenebekannte Aktivisten, sondern an Mitläufer und Sympathisanten. Hierfür ist seit März 2001 eine Telefon-Hotline geschaltet. Die kostenlose Hotline-Nummer 08004546000 bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Chance, einen ersten anonymen Kontakt zum Aussteigerprogramm "(R)AUS-wege" herzustellen. Aber es bietet auch Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, sozialen Fachkräften und Initiativen fachliche Beratung und Unterstützung an - sie können sich ebenfalls an die Hotline wenden. "(R)AUSwege" steht für den Mut zu einem Neubeginn und ein Leben ohne Hass und Gewalt. 5.2 Internetportal "Aktion gegen Rechts - in Frieden miteinander leben" Unter Federführung der Staatskanzlei bietet das Internetportal "Aktion gegen Rechts - in Frieden miteinander leben" Initiativen, die sich gegen Rechtsradikalismus, -extremismus und Rassismus engagieren, eine breite 6 Stand: Januar 2003 - 13 - Plattform, sich darzustellen. Unter der Adresse "www.gegen-rechts. rlp.de" können sich Bürgerinnen und Bürger über diese Initiativen und die Aktionen der Landesregierung gegen Rechts in Rheinland-Pfalz informieren. 6. Beobachtung des islamistischen Extremismus Die Beobachtung des islamistischen Extremismus war bereits vor dem 11. September 2001 ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes. Seit den Terroranschlägen von New York und Washington wurde sie nochmals nachhaltig intensiviert. Das Personal in diesem Arbeitsbereich wurde verstärkt, die Analysefähigkeit durch Einstellung eines Islamwissenschaftlers weiter verbessert. Begleitende gesetzgeberische Maßnahmen (vgl. Seiten 7-8, Nr. 1.) versetzen den Verfassungsschutz RheinlandPfalz nunmehr in die Lage, entsprechend der (neuen) Regelungen des Bundes in Sachen Terrorismusbekämpfung ("Sicherheitspaket II") tätig zu werden. Dabei gilt für den Verfassungsschutz weiterhin, in Anwendung dieser Maßnahmen den islamistischen Extremismus mit Nachdruck - aber auch mit Sensibilität und differenziertem Urteil - zu beobachten und vor Gefahren möglichst frühzeitig zu warnen. Dabei gilt es besonders zu beachten: Wie kaum ein anderes Beobachtungsfeld spiegelt der islamistische Extremismus speziell durch seine terroristischen Auswüchse (Stichwort: al-Qaida) globale Dimensionen wider. Gerade dieses terroristische Spektrum, von dem anhaltende und ernstzunehmende Bedrohungen ausgehen, prägt für viele Menschen ihr Bild vom Islamismus, für manche gar vom Islam selbst. Ein solches einseitiges Bild wird allerdings den realen Umständen nicht gerecht. Weder ist die pauschale Formel "Muslim = Islamist" richtig, noch "Islamist = Terrorist". Hier muss sorgfältig differenziert werden; die weit überwiegende Zahl der Menschen, die der Weltreligion Islam verbunden sind, identifiziert sich eben nicht mit den Islamisten oder gar islamistischen Terroristen. - 14 - B. Verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Überblick 1. RECHTSEXTREMISMUS Der Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen blieb auch im Jahr 2002 wichtiger Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes. Im Berichtsjahr nahm das rechtsextremistische Personenpotenzial insgesamt bundesweit ab, auch in Rheinland-Pfalz; insbesondere rechtsextremistische Parteien verzeichneten wie in den Vorjahren Mitgliederverluste. Dem gegenüber stieg das rechtsextremistische Gewaltpotenzial aber weiter an. Ungeachtet rückläufiger Gewalttatenzahlen wäre es verfrüht, hier von einer Entwarnung zu sprechen. Auch 2002 bewegte sich die Anzahl öffentlichkeitswirksamer rechtsextremistischer Aktionen wie z.B. Demonstrationen auf einem nicht hinnehmbaren hohen Niveau. Besorgnis erregend ist nach wie vor der Einfluss, den Rechtsextremisten über zeitgemäße Medien wie Internet oder Skinhead-Musik vor allem auf junge Menschen ausüben. Die Zahl der Konzertveranstaltungen rechtsextremistischer Skinheadbands hat 2002 bundesweit, so auch in RheinlandPfalz, wieder zugenommen. Die Zahl rechtsextremistischer Homepages im Internet stieg nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder an. Die rechtsextremistischen Parteien NPD und "Republikaner" (REP) konnten bei der Bundestagswahl im September 2002 keine nennenswerten Erfolge verbuchen. - 15 - Thematisch zeigte sich das rechtsextremistische Spektrum weiter anpassungsfähig. Verstärkt nahm man sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres des Themas Irak-Konflikt an und rief zu Protestaktionen auf. Antiamerikanismus und Antiisraelismus waren Schwerpunkte der Agitation. 1.1 Rechtsextremistisches Personenpotenzial Bund (2001) Rheinland-Pfalz (2001) Gesamt: 45.000* (49.700*) 1.700* (1.850*) Gewaltbereite: 10.700 (10.400) 100 ( 100) Neonazis: 2.600 ( 2.800) 50** ( 50**) Parteien: 28.100 (33.000) 1.500 (1.650) Sonstige: 4.400 ( 4.300) 100 ( 100) alle Angaben: "ca." *ohne Mehrfachmitgliedschaften **in "Gewaltbereite" enthalten 1.2. Rechtsextremistische Gewalt Die Zahl politisch motivierter Straftaten (rechts) im Jahr 2002 liegt in Rheinland-Pfalz bei 402 (2001: 550), davon 297 so genannte Propagandadelikte (2001: 382); davon waren 172 rechtsextremistisch motiviert (2001: 216). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten (d.h. ohne Sachbeschädigungen) belief sich auf 22 (2001: 32). In 20 Fällen handelte es sich dabei um Körperverletzungsdelikte (2001: 28). Gewalttatenzahlen Rheinland-Pfalz 2002 2001 Gesamt: 22 32 Deliktsarten: Tötungsdelikte: ----Versuchte Tötungen: 1 1 - 16 - Gewalttatenzahlen Rheinland-Pfalz 2002 2001 Körperverletzungen: 20 28 Brandstiftungen: --- 1 (Versuch) Sprengstoffexplosionen: ----Landfriedensbruch: 1 2 Zudem wurden in Rheinland-Pfalz im Jahre 2002 4 jüdische Friedhöfe u.a. durch Umwerfen und Besprühen von Grabsteinen geschändet (2001: 3). Folgende Gewalttaten sind beispielhaft besonders erwähnenswert: In der Nacht zum 1. April 2002 wurde von fünf Personen in Erpolzheim/Kreis Bad Dürkheim ein versuchter Brandanschlag auf ein Wohnhaus verübt, in dem eine Feier politisch Andersdenkender stattfand7. Am 27. November wurde in Andernach ein Togolese von einem als Skinhead gekleideten Jugendlichen angegriffen und verletzt. Der Täter wurde am 23. Januar 2003 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zur Ableistung von 120 Sozialstunden verurteilt. Es liegen keine Erkenntnisse über eine Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen Gruppe/Szene vor. Gerade dieser Fall verdeutlicht die in den letzten Jahren gestiegene "Grauzonenproblematik". Immer wieder kann beobachtet werden, dass politisch motivierte Straftaten (z.B. mit fremdenfeindlichem Hintergrund) verübt werden, ohne dass bei den Tätern bereits in jedem Fall von einer in sich geschlossenen rechtsextremistischen Weltanschauung oder von einer Integration in bestehende rechtsextremistische Zusammenhänge gesprochen werden kann. 7 Am 31. Januar 2003 wurde der Hauptangeklagte zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die drei Mitangeklagten erhielten jeweils zweijährige Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. - 17 - 1.3 Gewalttätige/gewaltbereite Rechtsextremisten (insbesondere rechtsextremistische Skinheads8) Den gewalttätigen bzw. gewaltbereiten Rechtsextremisten9 werden bundesweit etwa 10.700 Personen zugerechnet (2001: ca. 10.400). Dabei handelt es sich überwiegend um Personen aus der subkulturell geprägten Skinheadszene. Der bundesweit seit mehreren Jahren anhaltende Anstieg des rechtsextremistischen Gewaltpotentials kann in Rheinland-Pfalz nicht festgestellt werden. Wie auch in den Vorjahren können diesem Spektrum hier je ca. 50 Skinheads und 50 Neonazis zugeordnet werden. Charakteristisch ist die hohe Fluktuation in dieser Szene. Der vorwiegend unstrukturierten Skinheadszene gehören neben unpolitischen Personen und einzelnen so genannten Redskins10 vor allem rechtsextremistisch eingestellte Skinheads an. Sie bilden seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die zahlenmäßig größte Gruppe der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Die Beziehungen zwischen rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis sowie rechtsextremistischen Parteien reichen von Integrationsbemühungen bis hin zur strikten Ablehnung. Insbesondere auf der regionalen Ebene ist ein Zusammenwirken zwischen der Skinheadszene und der Neonazisszene, aber auch mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationalde- 8 Vgl. im einzelnen auch Broschüre "Skinheads" des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes (Stand: März 2003), die kostenlos beim Ministerium des Innern und für Sport, Schillerplatz 3-5, 55116 Mainz (oder Postfach 3280, 55022 Mainz) angefordert werden kann. 9 Rechtsextremistische Gewalt ist zwar kein spezifisches Jugendproblem, dennoch fällt auf, dass es sich bei den Tatverdächtigen von rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikten in den meisten Fällen um Jugendliche und junge Erwachsene handelt. Mädchen und Frauen sind stark unterrepräsentiert - die Mehrheit der Täter ist männlich. Es dominieren einfache und mittlere Bildungsabschlüsse und entsprechende Berufe der Arbeiterund Handwerkerschicht. Die Taten werden oft in einer Gruppe bzw. Clique begangen und sehr häufig ist Alkohol mit im Spiel. 10 Nach eigener Aussage "links" eingestellte Skinheads. - 18 - mokraten" (JN) zu beobachten11. Skinheads lassen sich jedoch in aller Regel nicht dauerhaft in so genannte Kameradschaften oder rechtsextremistische Parteien einbinden. In Rheinland-Pfalz gibt es nunmehr ca. 400 Skinheads (2001: ca. 350). Bei den meisten von ihnen sind zwar bisher keine Erkenntnisse über rechtsextremistische Aktivitäten angefallen. Dieser Personenkreis ist aber deswegen so unberechenbar, weil bei einem Großteil aufgrund der subkulturellen Ausrichtung der Szene, der Gewaltgeneigtheit auch in Folge der Beliebtheit der aggressiven Skinheadmusik sowie aufgrund häufiger Kontakte zu Rechtsextremisten die permanente Gefahr des Abgleitens in das rechtsextremistische Umfeld besteht. Nicht zuletzt um diese Gefahr einzudämmen wurde das rheinland-pfälzische Aussteigerprogramm "(R)auswege" entwickelt12. Etwa 50 Skinheads in Rheinland-Pfalz können eindeutig als neonazistisch ausgerichtet eingestuft werden, die vor allem in der Vorderpfalz sowie in den Großräumen Koblenz/Westerwald und Zweibrücken/Westpfalz auftreten. Im Bereich der Region Westerwald bestehen Kontakte zur Skinheadszene nach Hessen und Nordrhein-Westfalen; im Bereich der Vorderpfalz unterhält die rechtsextremistische Skinheadszene Verbindungen zu "autonomen Kameradschaften" in Baden-Württemberg. Skinheadmusik/Skinhead-"Fanzines" Skinheadmusik, Konzerte und "Fanzines" (abgeleitet vom englischen fanmagazine) sind nach wie vor entscheidende Elemente für den Zusammenhalt und die Motivation dieser Szene. Viele Jugendliche finden über die Skinheadmusik den Einstieg in die rechtsextremistische Szene. Großer Beliebtheit erfreuen sich rechtsextremistische Bands aus dem Aus11 vgl. S. 23 Nr. 1.5.1 12 vgl. S. 12 Nr. 5.1 - 19 - land, insbesondere aus den USA, Großbritannien und Kanada. SkinheadBands propagieren rechtsextremistisches Gedankengut, insbesondere rassistische und volksverhetzende Liedtexte. Es gibt aber auch Bands, die weitgehend unpolitisch und nicht extremistisch sind. Im Jahre 2002 stieg nach den vorläufigen Zahlen13 die Anzahl der bundesweit durchgeführten Skinheadkonzerte nach zeitweise rückläufiger Entwicklung in den Vorjahren wieder an. Zudem fand eine Reihe von Konzerten rechtsextremistischer Liedermacher statt, an denen auch Skinheads teilnahmen. In Rheinland-Pfalz wurden sieben Auftritte von Skinhead-Bands bekannt (2001: drei). So fanden größere Skinheadkonzerte am 12. Januar 2002 in Dreisen (Donnersbergkreis), am 16. Februar 2002 in Nußbach (Landkreis Kusel) und am 27. Juli und 14. September 2002 in Elmstein (Landkreis Bad Dürkheim) statt. An diesen Konzerten nahmen teilweise bis zu 400 Besucher teil; Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten wurden dabei nicht festgestellt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2002 in Rheinland-Pfalz drei Veranstaltungen mit rechtsextremistischen Liedermachern durchgeführt (2001: vier), darunter der Auftritt des bekannten Liedermachers Frank RENNICKE am 24. April 2002 in Nußbach (Landkreis Kusel). Zahlreiche Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren haben Bands und Produzenten strafrechtsrelvanter rechtsextremistischer Skinhead-Musik verunsichert und ihren Handlungsspielraum eingeschränkt. Dennoch findet weiterhin ein reger Austausch und Handel mit solchen CD's statt. Die Veröffentlichung englischssprachiger Texte durch deutsche Skinhead-Bands entspricht dabei einem seit geraumer Zeit feststellbaren Trend, durch den sich die Bands größere Chancen auf dem internationalen Markt erhoffen. 13 Die endgültigen Bundeszahlen lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. - 20 - Die Inhalte der "Fanzines" sind überwiegend von rechtsextremistischer Ideologie durchzogen und enthalten einschlägige Abbildungen und Texte. Darüber hinaus stellen die "Fanzines" auch neonazistische Organisationen vor, veröffentlichen Berichte über von Rechtsextremisten organisierte Veranstaltungen und bieten rechtsextremistische, szenetypische Artikel an. In jüngster Zeit findet man vermehrt auch Darstellungen über Germanenund Wikingerkult sowie über die Black Metalund Dark Wave-Szene. 1.4 Neonazistische Szene/Organisationen Der Neonaziszene in der Bundesrepublik Deutschland konnten nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden Ende 2002 ca. 2.600 Personen zugerechnet werden (2001: ca. 2.800). In Rheinland-Pfalz gab es wie im Jahr 2001 ca. 50 überwiegend organisierte Neonazis, die als gewalttätig einzustufen sind14. Führende Neonazis organisierten bundesweit mehrere Demonstrationen; in Rheinland-Pfalz fanden dagegen überwiegend interne Treffen statt. Im Verlauf des Jahres 2002 war eine Abkühlung der Beziehungen der Neonaziszene zur NPD festzustellen15. In der neonazistischen Szene ist bundesweit wie auch in Rheinland-Pfalz seit Jahren die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG)16 die mitgliederstärkste Organisation. Die Neonazi-Aktivistin Ursula MÜLLER aus Mainz-Gonsenheim ist weiterhin 1. Vorsitzende der HNG. "Rudolf Heß"-Gedenkveranstaltungen 200217 An der "Rudolf-Heß"-Gedenkveranstaltung am 17. August 2002 in Wunsiedel/Bayern nahmen über 2000 Rechtsextremisten teil. Unter diesen 14 Vgl. S. 17 Nr. 1.3 15 s. auch S. 23 Ziff. 1.5.1 16 Vgl. Kurzdarstellung HNG (S. 97) 17 In Erinnerung an den Todestag von Rudolf Heß am 17. August 1987 - 21 - waren Teilnehmer aus Schweden, Dänemark, Italien, Frankreich, Finnland, Österreich, Holland und der Schweiz. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Teilnehmerzahl (ca. 900) damit mehr als verdoppelt. Für diese zentrale Kundgebung wurde bundesweit über das Internet sowie mit HeßAufklebern, -Plakaten und -Transparenten mobilisiert. In nahezu allen Bundesländer, auch in Rheinland-Pfalz, kam es zu Propagandaaktionen, so z. B. Anbringen von Heßplakaten und -Aufklebern. Da die Rudolf-Hess-Kundgebung in der rechten Szene als großer Erfolg gewertet wurde, ist auch im Jahr 2003 mit einer Wiederholung zu rechnen. 1.5 Rechtsextremistische Parteien 1.5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Teil-/Nebenorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN) "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) Mitglieder (Bund): ca. 6.100 (2001: ca. 6.500) Mitglieder Rheinland-Pfalz: ca. 200 (2001: ca. 250) Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband mit 8 Kreisverbänden Publikationen: "Deutsche Stimme" Die NPD ist auch weiterhin die aggressivste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Trotz des seit Anfang des Jahres 2001 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe anhängigen Verbotsverfahrens hält - 22 - die Partei weiterhin an der Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fest. Mit dem in ihrem Parteiprogramm abgelegten Bekenntnis zum "lebensrichtigen Menschenbild" stellt die NPD die Gleichheit der Individuen und damit auch die Würde des Menschen unter den Vorbehalt der Nützlichkeit des Einzelnen für die "Volksgemeinschaft". Taktik, Strategie und Sprache lassen dabei unschwer eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus erkennen. Sie missachtet den Gedanken der Völkerverständigung und propagiert Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Antiglobalisierung, Antiamerikanismus und eine pro-islamische Ausrichtung gehören zu den weiteren Mitteln ihrer politischen Agitation. Verbotsverfahren18 Nachdem Ende Januar 2002 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bekannt geworden war, dass eine der von dem Gericht geladenen 14 Auskunftspersonen aus dem Bereich der NPD ein V-Mann des Verfassungsschutzes sei, wurde der Termin für die mündliche Verhandlung im NPD-Verbotsverfahren aufgehoben. Zur Klärung von materiellen und prozessualen Rechtsfragen - auch im Hinblick auf weitere, inzwischen enttarnte V-Leute in der NPD - hatte das Gericht die Antragsteller um eine Stellungnahme zur V-Mann-Problematik gebeten und das Verfahren bis zum für den 8. Oktober 2002 angesetzten Erörterungstermin vorläufig ausgesetzt. Von Seiten der NPD wurde die Entscheidung des BVerfG bedauert, da sich die Partei nichts vorzuwerfen habe und man vermutete, dass das Verbotsverfahren bereits vor der Eröffnung zum Scheitern gebracht werden sollte. Der Erörterungstermin fand in Anwesenheit von zahlreichen NPD-Vertretern am 8. Oktober 2002 vor dem BVerfG in Karlsruhe statt. 18 Das NPD-Verbotsverfahren wurde am 18. März 2003 durch das BVerfG eingestellt; eine Sachentscheidung ist nicht ergangen. - 23 - Verhältnis zur Neonaziszene Im Laufe des Jahres 2002 war eine Abkühlung der Beziehungen der Partei zur Neonaziszene festzustellen. Ausgangspunkt hierfür waren insbesondere die Auseinandersetzungen der NPD mit ihrer innerparteilichen Oppositionsgruppe "Revolutionäre Plattform - Aufbruch 2000" (RPF), die stets einen offenen neonazistischen Kurs befürwortet hatte. Aufgrund anhaltender Differenzen untereinander erklärte die NPD zu Beginn des Jahres 2002 eine Doppelmitgliedschaft in NPD und RPF für unvereinbar. Die RPF beschloss hierauf am 12. Januar 2002 ihre Auflösung. Danach distanzierte sich die Neonaziszene immer weiter von der NPD. Öffentliche Auftritte wurden nicht mehr gemeinsam sondern in Konkurrenz zueinander durchgeführt. Als herausragend zu nennen sind hier die Aufzüge zum "Tag der Arbeit" am 1. Mai 2002, an dem die Neonaziszene neben mehreren regionalen Demonstrationen der NPD eine eigene Veranstaltung in Frankfurt am Main durchgeführt hatte sowie die getrennt voneinander durchgeführten Demonstrationen am 8. Juni 2002 in Leipzig anlässlich der Wanderausstellung "Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskrieges". Bundesparteitag Am 16. und 17. März 2002 fand in Königslutter bei Hannover der 29. Bundesparteitag der NPD mit der turnusmäßigen Neuwahl des Bundesvorstandes statt. Der Bundesvorsitzende Udo VOIGT (Bayern) wurde dabei mit ca. 75% der abgegebenen Stimmen in seinem Amt bestätigt. Als dessen Stellvertreter wurden Holger APFEL (Berlin), Jürgen SCHÖN (Sachsen) und Ulrich EIGENFELD (Niedersachsen) sowie 15 Beisitzer gewählt, - 24 - darunter der rheinland-pfälzische NPD-Landesvorsitzende Martin LAUS (Kaiserslautern)19. Öffentliche Veranstaltungen Im Jahre 2002 führte die Partei wiederum überregionale, öffentlichkeitswirksame Demonstrationen und Veranstaltungen durch. Hervorzuheben sind hier die Protestaktionen gegen die neu aufgelegte Wanderausstellung "Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskrieges" am 2. Februar 2002 in Bielefeld mit ca. 1.700 NPD-Mitgliedern und Sympathisanten aus der Neonaziund Skinheadszene unter dem Motto: "Unsere Väter waren keine Verbrecher" sowie am 8. Juni 2002 in Leipzig mit ca. 1.100 Teilnehmern und dem Motto: "Ruhm und Ehre den deutschen Wehrmachtssoldaten". Anlässlich des "Tages der Arbeit" führte die NPD unter den Schlagworten "Arbeit statt Globalisierung", "Die Wirtschaft hat dem Volk zu dienen" und "Leistet Widerstand jetzt! Demonstriert am 1. Mai!" regionale Aufmärsche in Berlin, Dresden, Göttingen, Fürth und Ludwigshafen/Mannheim durch. An diesen Aufmärschen nahmen bundesweit insgesamt ca. 3.000 Personen teil. Am 3. August 2002 fand das 2. Pressefest der parteieigenen Verlagsgesellschaft "Deutsche Stimme" in Königslutter bei Hannover mit ca. 1.500 Teilnehmern statt. Als Redner traten neben dem Parteivorsitzen Udo VOIGT der Vorsitzende der "British National Party" (BNP) Nick GRIFFIN und der Vorsitzende der "European-American Unity and Rights Organisation" David DUKE auf. Den musikalischen Rahmen gestalteten die Skinheadbands "Spreegeschwader" (Berlin) und "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen) sowie die Liedermacher Frank RENNICKE (Baden-Württemberg), Jörg HÄHNEL und Lars HELMICH (beide Berlin/Brandenburg). 19 Bereits vor seiner Wahl zum Beisitzer gehörte Martin LAUS als NHB-Bundesvorsitzender Kraft Amtes dem NPDBundesvorstand an. - 25 - Bundestagswahl In der Schriftenreihe "Profil" Nr. 12 veröffentlichte der Parteivorstand "acht Thesen zur Gestaltung der politischen und strategischen Arbeit der NPD". Neben grundsätzlichen ideologischen Ausführungen wie zum "lebensrichtigen Menschenbild" und zur "Volksgemeinschaft" sowie der damit verbundenen "neuen Ordnung" bezieht sich die Ausarbeitung auch auf die Bundestagswahl am 22. September 2002. Hierfür müssten "glaubhafte nationaldemokratische Themen" erarbeitet werden, um eine Stammwählerschaft aufzubauen. Den an Überfremdung, wachsender Kriminalität und am Verfall gemeinschaftlicher Werte leidenden Menschen gelte es klar zu machen, dass allein die NPD die Interessen der Bürger vertreten könne. In diesem Zusammenhang wurde auch in der NPD-Publikation "Deutsche Stimme" Nr. 4/2002 der Begriff der "National befreiten Zone" wieder aufgegriffen. Demnach habe die totalitäre Gesellschaft den Staat erobert und führe ihren Vernichtungskampf nicht nur gegen die Mitglieder der NPD sondern auch gegen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. Hiergegen böten "National befreite Zonen" nationalen Menschen jenen Schutz wie etwa vor der "Antifa", vor Diskriminierung in Schule und Beruf sowie "Multikulti-Propaganda", den der Staat zu gewähren nicht im Stande sei. Erst wenn ganz Deutschland in eine "befreite Zone" für deutsche Bürger umgewandelt sei, könnten diese Schutzzonen wieder aufgelöst werden. Die in den Wochen vor der Bundestagswahl am 22. September 2002 in den Medien geführte so genannte "Antisemitismus-Debatte" machte sich die NPD zu nutze, um ihre teils offen, teils unterschwellig vorgetragenen antisemitischen Positionen öffentlich zu artikulieren. So verknüpfte sie z.B. in einem Artikel auf der Internet-Homepage der Bundes-NPD vom 6. Juni 2002 die "Antisemitismus-Debatte" mit Attacken auf den Zentralrat der Juden in Deutschland: "Die Macht des Zentralrats - 26 - legte sich bisher wie Mehltau über die Bereiche des Geisteslebens. Es war kaum denkbar, frei und unbefangen über Deutschland, seine Vergangenheit und seine Zukunft laut nachzudenken. Das Wort Antisemitismus reichte, um jede Debatte zu beenden". In der Juni-Ausgabe der NPDPublikation "Deutsche Stimme" heißt es darüber hinaus: "...und die jüdischen Organisationen sind eine Besatzungsmacht". Zur Bundestagswahl am 22. September 2002 trat die NPD in sämtlichen Bundesländern mit Landeslisten sowie überwiegend mit Direktkandidaten an und hatte hierfür 131 Listenkandidaten und 49 Direktkandidaten nominiert. Die Partei führte in mehreren Bundesländern Wahlkampfkundgebungen durch. Die NPD nutzte für ihren Wahlkampf auch das Internet und strahlte Werbespots über Fernsehsender und Hörfunk aus. In ihrem Bundestagswahlprogramm kündigte sie "Zukunft und Arbeit für ein besseres Deutschland" an. Für den Wahlkampf gefertigte Flugblätter hatten Parolen wie: "Frieden statt US-Kriege", "Arbeitsplätze statt Globalisierung", "D-Mark statt TEURO", "1000 DM Kindergeld für Deutsche" und "Deutschland kann man nicht verbieten". Die NPD erhielt auf Bundesebene 0,4% der Zweitstimmen (1998: = 0,3%). Damit blieb die Partei knapp unter dem erhofften, für den Erhalt der Parteienfinanzierung benötigten Stimmenanteil von 0,5%. Die NPD gewann in fast allen Ländern hinzu. In Rheinland-Pfalz betrug der Zweitstimmenanteil 0,4% und lag damit um 0,2% über dem Ergebnis von 1998. In seiner Presseerklärung vom 23. September 2002 zeigte sich VOIGT zufrieden über den Stimmenzuwachs der NPD, den er "vor dem Hintergrund der seit 2000 gegen die NPD initiierten Verbotskampagne" um so beachtlicher wertete. Um eine weitere Steigerung der Wahlergebnisse zu erreichen, appellierte er an die Parteien "Die Republikaner" und "Deutsche Volksunion" in Zukunft konkurrierende Wahlantritte zu verhindern - 27 - sowie "die Abgrenzungen der Vergangenheit zu überwinden und in der Zukunft verstärkt den Schulterschluss aller Deutschen, die es heute noch sein wollen, zu suchen". Bei der in Mecklenburg-Vorpommern zeitgleich mit der Bundestagswahl durchgeführten Landtagswahl erhielt die NPD 0,8% der Zweitstimmen (1998: 0,3%) und blieb damit ebenfalls unter der für den Erhalt der Parteienfinanzierung auf Landesebene erforderlichen 1%-Klausel. NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz Der NPD-Landesverband führte 2002 drei öffentliche Veranstaltungen durch, so am "Tag der Arbeit", dem 1. Mai 2002, in Ludwigshafen am Rhein und in Mannheim unter dem Motto: "Arbeit statt Globalisierung". An dem Aufmarsch in Ludwigshafen nahmen ca. 350 Mitglieder und Sympathisanten aus dem Umfeld der NPD und der JN Rheinland-Pfalz sowie aus den angrenzenden Bundesländern teil. Als Redner traten die Vorstandsfunktionäre Dr. Günter EISENECKER (Mecklenburg-Vorpommern) und Andreas STORR (Berlin) auf. An der anschließenden Demonstration in Mannheim nahmen nur noch ca. 200 Personen teil. Des weiteren fand am 31. August 2002 das "2. Antiimperialistische Friedensfest" in Ramstein-Miesenbach mit ca. 150 Teilnehmern unter dem Motto: "Frieden für Deutschland - Ami go home" statt und am 28. Dezember in Trier eine Demonstration mit ca. 30 Personen unter dem Motto "Stoppt die Angriffspläne der USA - verhindert den Ausbau der Airbase Spangdahlem". Die Partei zog das Medieninteresse insbesondere durch jeweilige Kaufversuche eines für die Einrichtung einer "Nationalen Begegnungsund Schulungsstätte" aber auch für die Veranstaltung von Skinhead-Konzerten - 28 - geeigneten Anwesens in Dreisen/Donnersbergkreis, Nußbach/Kreis Kusel, Kusel und in Elmstein/Kreis Bad Dürkheim auf sich. Sie nutzte das Objekt in Nußbach am 16. Februar 2002 zu einem Skinhead-Konzert und am 24. Februar 2002 zu einem Balladenabend mit Frank RENNICKE. Finanziell dürfte der NPD-Landesverband derzeit kaum in der Lage sein, den Kauf einer Immobilie selbst zu finanzieren. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die NPD sich zielgerichtet in die Verkaufsverhandlungen der vorgenannten Objekte eingeschaltet hat, um letztlich am Verkaufserlös in Form einer Vermittlerprovision zu partizipieren. An der Bundestagswahl nahm der Landesverband mit einer fünf Kandidaten umfassenden Landesliste sowie mit drei Direktkandidaten teil und erhielt 0,4% der Zweitstimmen. Die besten Ergebnisse erzielte er in den Wahlkreisen 212 (Kaiserslautern) und 214 (Südpfalz) mit jeweils 0,7% (1998: 0,3% und 0,4%) und in den Wahlkreisen 210 (Ludwigshafen/Frankenthal) und 213 (Pirmasens) mit jeweils 0,6% (1998: 0,2% und 0,3%). Von den Direktkandidaten erhielt Andreas TRAXEL im Wahlkreis 206 (Trier) 0,8%, Christian HEHL20 im Wahlkreis 210 (Ludwigshafen/Frankenthal) 1,2% und Karlheinz PFIRRMANN im Wahlkreis 214 (Südpfalz) 1,4%. Am 3. November 2002 führte die NPD im Raum Idar Oberstein ihren turnusmäßigen Landesparteitag mit der Wahl des Landesvorstandes durch. Martin LAUS wurde dabei in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt. Die bisher in Rheinland-Pfalz aktiven NPD-Funktionäre Sascha WAGNER und Christian HEHL gehören nicht mehr dem Landesvorstand an. 20 Christian HEHL hatte bereits vor der Bundestagswahl seinen Wohnsitz nach Karlsruhe verlegt und ist seitdem nicht mehr im NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz aktiv. - 29 - "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Riesa/Sachsen Mitglieder (Bund): ca. 450 (2001: ca. 500) Mitglieder Rheinland-Pfalz: über 30 (2001: über 30) Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband, untergliedert in Stützpunkte Publikationen: nur regional, in Rheinland-Pfalz keine eigenen Publikationen Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD mit den JN über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Diese beteiligte sich auch im Jahr 2002 an den bundesweiten NPD-Demonstrationen und unterstützte die Partei im Bundestagswahlkampf sowie bei den Kommunalund Landtagswahlkämpfen. Im November 2002 fand in Kirchheim (Hessen) der 31. ordentliche JNBundeskongress zur Neuwahl des JN-Bundesvorstandes statt. Neuer Bundesvorsitzender ist Stefan ROCHOW (Hessen). Zu den acht Beisitzern gehört auch der rheinland-pfälzische NPDund JN-Funktionär Sebastian BERENDS (Trippstadt). Der bisherige Bundesvorsitzende Sascha ROSSMÜLLER trat nicht mehr zur Wahl an. Die JN wertete den Bundeskongress in einer Pressemitteilung als "Aufbruchsignal, dessen Ergebisse Grundlage einer in Zukunft noch qualifizierteren politischen Arbeit der JN sein werde". Diese Art von Durchhalteparolen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die JN in einer Krise befindet und inzwischen ihre Funktion für die Mutterpartei als "Speerspitze des nationalen Widerstandes" verloren hat. - 30 - In Rheinland-Pfalz wurden nach dem Ausscheiden des bisherigen Landesvorsitzenden Axel FLICKINGER (Kaiserslautern) im März 2002 Philipp VALENTA (Trier) zum neuen Landesvorsitzenden und Sebastian BERENDS zu dessen Stellvertreter gewählt. Unter Philipp VALENTA kamen die Aktivitäten des Landesverbandes im Laufe des Jahres fast zum Erliegen. Dennoch beteiligten sich die einzelnen Stützpunkte aktiv am Bundestagswahlkampf des NPD-Landesverbandes durch Sammeln von Unterstützerunterschriften sowie der Betreuung von Infoständen und der Verteilung von Wahlpropaganda. Philipp VALENTA trat im Dezember 2002 als Landesvorsitzender zurück. Eigene öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen führte der JN-Landesverband Rheinland-Pfalz im zurückliegenden Jahr nicht durch. Interne Treffen fanden nur mit geringer Beteiligung statt. 1.5.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Gründung: 1971 als eingetragener Verein 1987 als Partei DVU - Liste D 1991 Umbenennung in DVU Sitz: München Mitglieder (Bund): ca. 13.000 (2001: ca. 15.000) Mitglieder (Rheinland-Pfalz): ca. 650 (2001: ca. 750) Organisation in Rheinland-Pfalz: weitgehend unstrukturierter Landesverband Die DVU wird von dem Münchener Verleger Dr. Gerhard FREY zentralistisch und autoritär geführt. Sie ist trotz des erheblichen Mitgliederrückgangs im Jahre 2002 um etwa 1.500 Personen weiterhin die größte rechtsextremistische Partei in Deutschland. - 31 - An dem am 12. Januar 2002 in München stattgefundenen Bundesparteitag haben nur rund 200 Personen (2000: ca. 500 Personen) teilgenommen. Die Organisatoren versuchten, dieses enttäuschende Ergebnis mit "ungünstigen äußeren Umständen" zu entschuldigen. Im Mittelpunkt des Parteitags stand die Neuwahl des Bundesvorstandes der Partei. Der Bundesvorsitzende FREY wurde in seinem Amt bestätigt. Er kündigte in seiner Rede an, die Partei werde wegen fehlender finanzieller Mittel nicht an der Bundestagswahl am 22. September 2002 teilnehmen. Ausschlaggebend für den Verzicht dürften jedoch auch die geringen Wahlchancen gewesen sein. Eine Zusammenarbeit mit REP und NPD lehnte FREY ab. Gegenwärtig ist die DVU in zwei Landesparlamenten vertreten (Branden-burg und Bremen). Bei den Landtagswahlen im April 2002 in Sachsen-Anhalt trat sie nicht mehr an. Im Jahre 1998 hatte sie dort noch 12,9% der Zweitstimmen erringen können. Der Bedeutungsverlust der Partei ist auch daran erkennbar, dass sie im Mai 2002 die Reservierung der Nibelungenhalle in Passau für ihre jährlich im September stattfindende Grosskundgebung ohne Angaben von Gründen stornierte. In dem Münchener "DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag) des Dr. Gerhard FREY erscheint seit September 1999 wöchentlich die "National-Zeitung - Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) als das gegenwärtig auflagenstärkste, rechtsextremistische Presseorgan in Deutschland. Die NZ ist als Sprachrohr der Partei anzusehen. Mit aggressiven und reißerischen Schlagzeilen und Kommentierungen werden tagespolitische Ereignisse verzerrt dargestellt und für die eigenen Zwecke missbraucht, so z.B.: - 32 - "Der Völkermord an den Palästinensern" (NZ Nr. 16/02) "Deutschland immer noch besetztes Land?" (NZ Nr. 21/02) "Möllemann im Visier Israels" (NZ Nr. 22/02) "Sind Juden zu mächtig?" (NZ, Nr. 23/02) "Zuwanderung oder Rückführung" (NZ, Nr. 27/02) "Auschwitz: Die Wahrheit" (NZ, Nr. 30/02) "Sollen Deutsche für Bush bluten?" (NZ, Nr. 33/02) "Wieviel Holocaust-Zweifel sind erlaubt?" (NZ, Nr. 44/02) "Deutsche zahlen - Türken kassieren" (NZ Nr. 50/02) In Rheinland-Pfalz gehen von dem nicht strukturierten DVU-Landesverband nur wenige, nicht öffentliche Aktivitäten aus. In Anzeigen der "National-Zeitung" und im Internet weisen die DVU-Kreisverbände Ludwigshafen am Rhein/Vorderpfalz und Koblenz auf Stammtische hin. 1.5.3 "Die Republikaner" (REP) Gründung: 1983 Sitz: Berlin Teil-/Nebenorganisationen: Republikanische Jugend (RJ) Republikanischer Bund der Frauen (RBF) Republikanischer Hochschulverband (RHV) Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten (RepBB) Mitglieder (Bund): ca. 9.000 (2001: 11.500) Mitglieder (Rheinland-Pfalz): ca. 600 (2001: 650) Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband mit 15 Kreisverbänden - 33 - Wie bereits im Vorjahr setzte sich der Abwärtstrend der REP fort. Die Partei musste bundesweit einen weiteren Mitgliederrückgang hinnehmen. Darüber hinaus verlieren die REP seit 1996 kontinuierlich Stimmen bei Bundestags-, Landtagsund Kommunalwahlen. Bundesparteitag Am 11./12. Mai 2002 fand in Künzell/Hessen der Bundesparteitag unter dem Motto "Für unsere Zukunft" statt. Der Bundesvorsitzende Dr. Rolf SCHLIERER ging in seiner Grundsatzrede "Zur Lage der Partei im Wahljahr 2002" kaum auf die kritische Situation der Partei ein. Er übte vor allem Kritik an der Politik der Bundesregierung, der er vorwarf, deutsche Interessen zu vernachlässigen. Im Mittelpunkt des Parteitages stand die Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms. Das neue Parteiprogramm enthält im Gegensatz zum alten aus dem Jahre 1993 nicht mehr die gesamte Bandbreite der politischen Zielrichtung, sondern eher schlagwortartige Agitationsschwerpunkte, wie z.B. die Verschärfung im Strafvollzug, die Abschiebung krimineller Asylbewerber und die Ablehnung der multikulturellen Gesellschaft. Dr. SCHLIERER konnte auf dem Parteitag seine Position halten. So scheiterte der Versuch der partiinternen Opposition um Christian KÄS (Stellvertr. Bundesvorsitzender, langjähriger Landesvorsitzender von BadenWürttemberg), in einer Resolution die Zurücknahme des später verabschiedeten Parteiprogramms sowie den Verzicht von Dr. SCHLIERER und seiner beiden Stellvertreter Ursula WINKELSETT und Johann GÄRTNER auf künftige Parteiämter zu fordern. Einen Monat nach dem Parteitag trat Christian KÄS aus der Partei aus. - 34 - Bundestagswahl Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 waren die REP mit 14 Landeslisten (außer Brandenburg und Sachsen-Anhalt) sowie mit Direktkandidaten in 7 Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen) angetreten und erzielten mit 280.671 Zweitstimmen nur noch 0,6 %. Mit diesem Ergebnis kann die Partei aber Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung beanspruchen. 21 Gegenüber der Bundestagswahl 1998 (1,8% Zweitstimmen) büßten die REP mehr als zwei Drittel ihrer Zweitstimmen (minus 1,2 Prozentpunkte) ein. Die größten Verluste musste die Partei in ihren Hochburgen Baden-Württemberg (minus 2,9 Prozentpunkte auf 1,1 %) und Bayern (minus 1,9 Prozentpunkte auf 0,7 %) hinnehmen. Bei der ebenfalls am 22. September 2002 in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführten Landtagswahl erzielten die REP nur noch 0,3 % der Stimmen (1998: 0,5 %) und damit keine Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. In Rheinland-Pfalz erzielten sie 1,0 % der Zweitstimmen und büßten damit gegenüber der Bundestagswahl 1998 1,2 % ein. Der Direktkandidat im Wahlkreis 208 (Mainz) Manfred GEHRT konnte 1,4 % der Erststimmen erzielen. Die REP führten keinen aufwändigen Bundestagswahlkampf; es wurden nur spärlich Wahlkampfmittel wie Flugblätter, Plakate, Rundfunkund Fernsehspots eingesetzt. Bei den wenigen Saalveranstaltungen und Kundgebungen trat insbesondere Dr. SCHLIERER auf. In ihrer Wahlkampfausgabe der parteieigenen Zeitung "Der REPUBLIKANER" verunglimpften die REP die etablierten Parteien als "Korruptionsparteien". Sie 21 Für die Teilnahme an der staatlichen Parteienfinanzierung müssen die Parteien gem. SS 18 Abs. 4 Parteiengesetz bei der Bundestagswahl 0,5 % der Stimmen und bei Landtagswahlen 1,0 % der Stimmen erreichen. - 35 - präsentierten sich vor allem als Protestpartei ("12 + 1 gute Gründe, diesmal PROTEST zu wählen"). Folgende Plakate kamen u.a. zu Einsatz: - "Das Boot ist voll" - "Rückführung statt Zuwanderung" - "Der Teuro muß weg!" - "Bildung fördern, Zuwanderung stoppen In Rheinland-Pfalz fanden keine größeren Wahlkampfeinsätze statt. Es wurden Flugblätter verteilt und in verschiedenen Städten so z.B. in Pirmasens, Schifferstadt und Mainz waren Infostände aufgebaut. Die REP zeigten sich enttäuscht über ihr schlechtes Abschneiden bei der Bundestagswahl, obwohl die Erwartungen bei Parteiführung und Mitgliedschaft sowie Sympathisanten selbst nicht allzu hoch gewesen waren. Auf dem Bundesparteitag am 2./3. November 2002 in Deggendorf (Bayern) wurde Dr. SCHLIERER in seinem Amt bestätigt. Mit der Wiederwahl SCHLIERER's sowie den Parteiaustritten führender Oppositionskräfte u.a. von Christian KÄS scheint der jahrelange Machtkampf SCHLIERER's mit seinen innerparteilichen Gegnern nunmehr entschieden. REP-Landesverband Rheinland-Pfalz Der REP-Landesverband ist in 15 Kreisverbände gegliedert. Landesvorsitzender ist seit der Landesmitgliederversammlung am 2. September 2001 Stephan STRITTER aus Mainz; Stellvertreter u.a. der bisherige Vorsitzende Gerhard MEYER aus Trier. - 36 - 1.6 Sonstige rechtsextremistische Organisationen "Militärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918"22 ehemals: "Der Stahlhelm - Landesverband Pfalz e.V." "Der Stahlhelm-Landesverband Pfalz e.V." wurde im März 2002 aufgelöst und die Eintragung im Vereinsregister gelöscht. Die Vereinigung besteht jedoch unter der neuen Bezeichnung "Miltärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" fort. Eine Neueintragung in das Vereinsregister ist bislang nicht erfolgt. Auch unter der neuen Bezeichnung wurden im Jahr 2002 überwiegend nichtöffentliche Treffen, so genannte Appelle durchgeführt. Angehörige bzw. Sympathisanten des "Stahlhelm" wurden am 25. September 2001 wegen unbefugten Tragens von Uniformen bzw. wegen der Beihilfe zum Verstoß gegen das Uniformverbot durch Unterlassen zu Geldstrafen verurteilt. Nach Erfüllung der Zahlungsauflagen wurden die Verfahren im Jahre 2002 eingestellt. 1.7 Überregionale informationelle Vernetzung und Nutzung moderner Informationsund Kommunikationsmittel Die zahlreichen Organisationsund Veranstaltungsverbote in den vergangenen Jahren hatten die gesamte rechtsextremistische Szene in der Bundesrepublik Deutschland veranlasst, neue Wege zu suchen, um weiteren staatlichen Maßnahmen auszuweichen. Der Zusammenhalt regionaler Gruppierungen und die Koordination bundesweiter Aktionen soll dabei stärker durch eine so genannte informationelle Vernetzung gewährleistet werden. Die elektronische Kommunikation, dazu zählen neben dem Inter22 vgl. Kurzdarstellung "Militärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" (S. 97) - 37 - net auch so genannte parteiunabhängige Info-Telefone und Handys, wird intensiv für die Koordination und Mobilisierung der Szene genutzt. Das Internet ist für Rechtsextremisten nach wie vor ein bedeutendes Medium für ihre Agiation. Ende 2002 wurden im Internet ca. 1.000 Homepages deutscher Rechtsextremisten festgestellt (2001: ca. 1.300). Die Zahl der erkannten Homepages unterliegt jedoch starken Schwankungen, neue Seiten sind oft nur kurze Zeit im Netz. Auch der häufige Wechsel von Internetadressen oder Providern erschwert eine genaue Bestimmung der Anzahl rechtsextremistischer Homepages. Das Internet bietet Rechtsextremisten eine ungleich größere Plattform, um verfassungsfeindliche Ziele und Ideen zu propagieren, als beispielsweise herkömmliche Printmedien. Insbesondere jüngere Menschen, die über die traditionellen Medien - wie Zeitschriften, Flugblätter etc. - nicht oder nur bedingt erreichbar sind, können über das Internet heute leichter an rechtsextremistisches Gedankengut herangeführt werden. Gerade diese Zielgruppe ist neuen technologischen Entwicklungen gegenüber aber besonders aufgeschlossen. Nach wie vor sind die "parteiunabhängigen, rechtsextremistischen InfoTelefone" und Handys trotz der beschriebenen Möglichkeiten des Internets derzeit noch die wichtigsten Kommunikationsmittel innerhalb der rechtsextremistischen Szene. In Rheinland-Pfalz sind nicht nur rechtsextremistische Parteien, sondern auch neonazistische oder sonstige Gruppierungen wie z.B. das "Aktionsbüro Südwest" aus Trier und das "Nationale Aktionsbündnis Eifel" im Internet vertreten. Bei solchen Gruppierungen außerhalb des Parteienspektrums handelt es sich in aller Regel um keine organisierten Personenzu- - 38 - sammenschlüsse, sondern vielfach um die Aktivitäten von Einzelaktivisten. Auch ausländische Neonazis werben mit deutschsprachigen Angeboten im Internet, z.B. die amerikanische, neonazistische "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) des bekannten Gary Rex LAUCK mit ihrer Publikation "NS-Kampfruf". 1.8 Auslandskontakte Deutsche Rechtsextremisten unterhalten vielfältige Kontakte zu ausländischen Gesinnungsgenossen. Gemeinsame Veranstaltungen und Treffen sollen der "nationalen Sache", dem Informationsaustausch und Aktionsabsprachen dienen. Kontakte deutscher Rechtsextremisten bestehen seit vielen Jahren in die USA und nach Kanada sowie in westeuropäische Nachbarländer, insbesondere nach Holland. Die eigene Darstellung dieser Verbindungen durch die rechtsextremistische Szene entspricht jedoch nicht ihrer eigentlichen, eher geringen Bedeutung. Am 26. Januar 2002 beteiligten sich ca. 90 Rechtsextremisten aus Deutschland in Rotterdam an einer Demonstrration der neonazistischen Partei "Nederlandse Volks Unie" (NVU) unter dem Motto "Meinungsfreiheit auch für Nationalisten". Rechtsextremistische Skinheads besuchten auch 2002 Skinheadkonzerte im benachbarten Ausland, so u.a. im Elsaß und in Österreich. 1.9 Protestaktionen von Rechtsextremisten gegen die US-Regierung im Zusammenhang mit dem Irak-Konflikt Rechtsextremisten lehnen mit antisemitischen und antiamerikanischen Argumenten einen Krieg gegen den Irak ab. Insbesondere das neonazistische Spektrum trifft Aktionsvorbereitungen für den Fall eines amerikani- - 39 - schen Angriffs gegen den Irak. So forderte das "Aktionsbüro Norddeutschland", das bundesweit wichtigste Sprachrohr der Neonazis, Ende 2002: "US-Provokation im Irak ist Oneworld-Terror! Nationaler Widerstand protestbereit" und "heraus auf die Straße zum antikapitalistischen und antiimperialistischen Protest gegen die USA und die Achse des Bösen! NOneworld statt Oneworld!". Es wird zu Protesten am "Tag X" - dem Beginn eines US-amerikanischen Militärschlages gegen den Irak23 - aufgerufen. Dabei könnten Ziele von Demonstrationen, Mahnwachen oder Kundgebungen vor allem US-amerikanische Einrichtungen jeglicher Art, wozu u.a. auch Filialen von Schnellrestaurantketten gehören und Einrichtungen der "BRD-Regierungsparteien" wie Parteizentralen oder Einrichtungen "etablierter BRD-Medien", sofern sie offenkundig pro-amerikanische Kriegspropaganda betrieben, sein. Auch wenn einzelne Gewaltaktionen nicht ausgeschlossen werden können, dürfte der überwiegende Teil der Rechtsextremisten wohl nur zu legalen und öffentlichen Protestaktionen neigen. Der Antiamerikanismus der rechtsextremistischen Szene wird auch in deren Musikszene deutlich. In einer Ende 2002 bekannt gewordenen CD mit dem Titel "The white race will prevail"24 der Skinheadband "Race War" aus Baden-Württemberg wird der NS-Staat glorifiziert und eine "Überle-genheit der weißen Rasse" propagiert. In dem Lied "11. September" werden die Anschläge gegen das World Trade Center und das Pentagon befürwortet und weitere Taten gegen die USA und Israel gefordert. Es endet mit dem Refrain: "Juppheidi und bumsfallera, es lebe der Terror gegen die USA". Am 29. Dezember 2002 berichtete das "Nationale Aktionsbündnis Eifel"25 im Internet über eine am 28. Dezember 2002 in Bitburg durchgeführte 23 Das ist nach der Definition des "Aktionsbüros" der Tag, an dem entweder die US-geführten Truppen im Irak einmarschieren, die Hauptstadt Bagdad bombardiert wird oder in den westlichen Massenmedien der Kriegsbeginn offiziell verkündet wird. 24 "Die weiße Rasse wird siegen". 25 vgl. hierzu S. 37 - 40 - Demonstration "gegen den menschenverachtenden US-Imperialismus und den baldigen Irak-Krieg". Unter dem Motto "Stoppt die Angriffspläne der USA - verhindert den Ausbau der Kriegsbasis Spangdahlem" hatten ca. 30 Rechtsextremisten einen Demonstrationszug in Bitburg organisiert. Der Aufzug verlief ohne besondere Vorkommnisse. Auf NPD-Veranstaltungen, in Parteiveröffentlichungen und durch Aussagen führender Parteifunktionäre nach den von islamistischen Terroristen verübten Anschlägen am 11. September 2001 in den USA wurden antiamerikanische Positionen und eine pro-islamische Einstellung offen deutlich. Außerdem nutzt die NPD den Irak-Konflikt und die bestehende Angst vor einem Krieg für ihre Zwecke. In diesem Zusammenhang nahmen am 27. Oktober 2002 der Parteivorsitzende Udo VOIGT und der Prozessbevollmächtige der NPD im NPDVerbotsverfahren Horst MAHLER (Berlin) an einer Veranstaltung der "Islamischen Befreiungspartei" ("Hizb ut-Tahrir")26 an der Technischen Universität Berlin zum Thema "Der Irak - ein neuere Krieg und die Folgen" teil. In einer anschließenden Diskussion äußerte VOIGT nach Presseberichten, dass "Deutschland kein freies Land und erst dann wieder frei sei, wenn hier die letzten amerikanischen Militärbasen verschwunden und der letzte amerikanische Soldat Deutschland verlassen habe" sowie zur "Hizb ut-Tahrir": "Wir sind daran interessiert, die Kontakte mit diesen Gruppen zu intensivieren. Das nationale Lager sei generell bestrebt, mit Leuten zusammen zu arbeiten, welche die amerikanische Vorherrschaft brechen wollen" und zu einem eventuellen Krieg mit dem Irak: "Wenn es zu der großen Auseinandersetzung kommt, werden wir nationalen Deutschen nicht auf der Seite Amerikas stehen". 26 vgl. S. 65 - 41 - 2. LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten setzten auch im Jahr 2002 - je nach ideologisch-politischer Ausrichtung revolutionär-marxistisch oder anarchistisch orientiert - ihren breit gefächerten, teils gewalttätigen Aktionismus gegen unsere freiheitlich demokratische Staatsund Gesellschaftsordnung fort. Bei den gewaltbereiten Linksextremisten war im Jahr 2002 bundesweit ein Rückgang auf etwa 5.500 Aktivisten zu verzeichnen (2001: ca. 7.000). Das Potential der Autonomen, der mit Abstand größten Strömung im gewaltbereiten Linksextremismus, umfasste Ende 2002 weniger als 5.000 Angehörige (2001: rund 6.000). In Rheinland-Pfalz blieb die Anzahl der Autonomen im Vergleich zu den letzten Jahren mit etwa 130 konstant, ebenso die Anzahl der übrigen Linksextremisten mit etwa 620. Trotz rückläufiger Entwicklung gefährdeten gewalttätige Linksextremisten auch im Jahr 2002 die Innere Sicherheit Deutschlands. Akzente setzten militante Autonome wiederum in ihrem traditionellen Aktionsfeld "Antifaschismus". Die Aktivitäten in den Bereichen "Anti-Globalisierung" und "Anti-Kernkraft" waren dagegen rückläufig. Ihre im Jahre 2001 begonnene "Militanzdebatte" wurde ohne größere Resonanz fortgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob die angestrebte Rückkehr zum "bewaffneten Kampf" erreicht werden bzw. ob sich daraus eine terroristische Bedrohung entwickeln kann. 2.1 Linksextremistisches Personenpotenzial Bund (2001) Rheinland-Pfalz (2001) Gesamt: 31.100* (32.900*) ca. 750* (750*) Gewaltbereite: 5.500 ( 7.000) ca. 130 (130) Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: 26.000 (26.300) ca. 620** (620) alle Angaben: "ca." *ohne Mehrfach** einschließlich Personen aus mitgliedschaften beeinflussten Organisationen - 42 - 2.2. Linksextremistische Gewalt Gewalttatenzahlen Rheinland-Pfalz 2002 2001 Gesamt: 3 3 Deliktsarten: Tötungsdelikte: -- -- Versuchte Tötungen: -- -- Körperverletzungen: 2 2 Brandstiftungen: -- -- Sprengstoffexplosionen: -- -- Landfriedensbruch: -- 1 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr: 1 -- 2.3 Gewalttätiger Linksextremismus Sowohl die Anzahl gewaltbereiter Linksextremisten - insbesondere aus dem anarchistisch orientierten autonomen Spektrum - als auch deren Mobilisierungsfähigkeit bzw. -bereitschaft zu aktuellen Konfliktthemen ist im Vergleich zum letzten Jahr geringer geworden. Gleichwohl stellt dieses Gewaltpotential nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland dar. 2.3.1 Autonome Autonome stellen den mit Abstand größten Teil des gewaltbereiten linksextremistischen Potentials. Sie verüben auch die meisten Gewalttaten (z.B. Brandanschläge, Körperverletzungen etc.). Die Anzahl der Autonomen ist 2002 mit bundesweit unter 5.000 Personen erstmals seit Jahren deutlich zurück gegangen. In Rheinland-Pfalz gibt es unverändert ca. 130 - 43 - Autonome, die vorwiegend in Kaiserslautern, Koblenz, Mainz, in Neustadt a.d. Weinstraße, Trier und im Raum Ludwigshafen aktiv sind. Autonome wollen anstelle unseres freiheitlich demokratischen Rechtsstaates eine herrschaftsfreie Gesellschaft einführen. Dazu ist es aus ihrer Sicht erforderlich und legitim, ihre politischen Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen. Autonome Gewalt richtet sich sowohl gegen Personen ("Faschos", Polizeibeamte sowie "Handlanger und Profiteure des Systems") als auch gegen Sachen (Kraftfahrzeuge, Immobilien etc.). Bei der Wahl ihrer vielfältigen Aktionsformen bemühen sich Autonome stets um "Vermittelbarkeit". Häufig klinken sie sich auch in legitime gesellschaftliche Proteste wie beispielsweise gegen den Einsatz der Kernkraft zur Erzeugung von Energie und die so genannte Globalisierung ein und diskreditieren diese durch begleitende militante Aktionen. Bei Straßenkrawallen treten Autonome häufig vermummt in "schwarzen Blöcken" auf. Dies geschieht regelmäßig anlässlich von Protesten gegen Rechtsextremisten und bei Demonstrationen zum "revolutionären 1. Mai". Neben zahlreichen Anlaufund Kontaktstellen (so genannte Info-Läden, Antifa-Cafe's oder Volxküchen), die in Rheinland-Pfalz in Koblenz, Mainz und Trier existieren, stützt sich die autonome Szene zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen sowie zur Erhöhung ihrer Mobilisierungsfähigkeit weiterhin auf elektronische Kommunikationsmittel (Internet und Mobiltelefone). Autonome Internet-Seiten beinhalten im wesentlichen Informationen/Recherchen zu rechtsextremistischen Organisationen und Einzelpersonen, Statements zu aktuellen "linken" Konfliktthemen sowie Veranstaltungshinweise und Demonstrationsaufrufe. Neuerdings wird sogar dazu aufgefordert, der Polizei mit Waffengewalt entgegen zu treten. - 44 - So konnte z.B. am 23. Oktober 2002 auf der Homepage der "Acid Neustadt/Pfalz - linke antifaschistische Gruppe" eine Bildanimation festgestellt werden, auf der eine szenetypische Person eine Schusswaffe abfeuert - ergänzt mit dem Schriftzug "FIGHT THE POLICE!!!". Nach wie vor große Bedeutung kommt den zahlreichen autonomen Szenepublikationen zu, die u.a. regelmäßig Taterklärungen, Positionspapiere, Demonstrationsaufrufe und Berichte über "Nazi"-Aktivitäten/Strukturen veröffentlichen. Die meisten dieser Blätter, wie "SWING-autonomes rheinmain-info", der "Koblenzer-ZERR-Spiegel" oder das in Trier erschienene Info-Blatt "clandestina" decken vorrangig Regionalbereiche ab. Bundesweite Bedeutung kommt dem Berliner Szeneblatt "INTERIM" zu. Autonome lehnen entsprechend ihrem Selbstverständnis festgefügte Organisationen und hierarchische Strukturen grundsätzlich ab. Bundesweite Bündnisse autonomer Gruppierungen mit dem Ziel, eine schlagkräftige antifaschistische Bewegung durch eine stärkere Organisierung zu erreichen, waren in den vergangenen Jahren nur von kurzer Dauer und scheiterten letztlich an der fehlenden Organisierungsund Strukturierungsbereitschaft, insbesondere bei den "klassischen", organisationsfeindlichen Autonomen. Innerhalb der militanten autonomen Szene - vorwiegend im Großraum Berlin - verübten verdeckt operierende Kleingruppen mit zum Teil terroristischem Anstrich und ständig wechselnden Aktionsnamen auch im Jahr 2002 zahlreiche Brandund Sprengstoffanschläge. In diesem Zusammenhang ist vor allem die "militante gruppe (mg)" zu nennen, die im Gegensatz zu anderen Gruppierungen seit Juni 2001 unter gleicher Namensnennung für mehrere militante Aktionen, u.a. Brandanschläge, verantwortlich zeichnete. Die von ihr im Juni 2001 begonnene Diskussion um Formen und Inhalte "militanter und bewaffneter Politik" (Militanzdebatte) wurde mit einer Reihe von Beiträgen verschiedener Gruppierungen - sämtlich veröffentlicht in dem als Forum auserkorenen - 45 - Berliner Szeneblatt "INTERIM" - im Berichtszeitraum fortgesetzt. Die inhaltliche Bandbreite reicht dabei von grundsätzlicher Zustimmung bis hin zu vollständiger Ablehnung bezüglich der Aktionen und konzeptionellen Vorstellungen der "mg", die im wesentlichen eine Neuorganisierung militanter Strukturen - orientiert am früheren Modell der "Revolutionären Zellen" - anstrebt. In Positionspapieren vom April und August 2002 definiert sich die "mg" u.a. als Zusammenhang, der aus der Legalität heraus klandestine Aktionen wie z.B. "sachschadenorientierte militante Praxen (vom wilden Plakatieren bis zu Brandund Sprengsätzen), personenschadenorientierte militante Praxen (direkte körperliche Konfrontation wie verprügeln und kübeln) und symbolische Politpraxen (Kommunikations-guerilla)" befürwortet. Exekutionen von Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kämen allerdings - auch aus logistischen und "repressionstechnischen Gründen" - vorerst nicht in Frage. Gegenüber den anderen an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierungen machte die "mg" deutlich, dass die Bedingungen für eine sofortige Aufnahme des bewaffneten Kampfes auch weiterhin nicht gegeben seien. 2.3.2 Sonstige (militante) Linksextremisten Neben den Autonomen gibt es noch weitere gewaltbereite Linksextremisten, die - zum Teil aus ehemals RAF27-nahen Strukturen stammend - im wesentlichen antiimperialistisch und internationalistisch ausgerichtet sind. Sie engagieren sich schwerpunktmäßig für die Belange "politischer Gefangener". Die aktivste Gruppe ist die Frankfurter Initiative "Libertad!", die in der "Gefangenenfrage" weltweit den Ausgangspunkt zum Aufbau eines internationalen Netzwerks revolutionärer Kräfte sieht. Zur Durchsetzung ihrer Ziele gibt sie u.a. die Zeitschrift "So oder So" heraus. 27 "Rote Armee-Fraktion" - 46 - "Libertad!" gehört zu den Mitinitiatoren des jährlich am 18. März durchgeführten bundesweiten Aktionstages "Für die Freiheit politischer Gefangener", der im Jahr 2002 unter dem Motto "Solidarität und Widerstand gegen staatliche Repression, Sicherheitsgesetze und Abschiebung" stand. Das Kaiserslauterer "Antifaschistische Aktionsbündnis 9.6."28 führte im Rahmen des Aktionstages am 18. März 2002 in Kaiserslautern eine Informationsveranstaltung durch; die Resonanz war nur gering. 2.3.3 Ermittlungsund Gerichtsverfahren gegen terroristische Straftäter Das zu lebenslanger Haft verurteilte ehemalige RAF-Mitglied Adelheid SCHULZ wurde am 27. Februar 2002 vom Bundespräsidenten begnadigt. Sie befand sich bereits seit Oktober 1998 auf freiem Fuß, da ihr eine befristete Strafunterbrechung aus Gesundheitsgründen gewährt wurde. Im seit März 2001 vor dem Berliner Kammergericht laufenden Strafverfahren gegen mehrere mutmaßliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen/Rote Zora" (RZ) wegen terroristischer Anschläge in den 80er und 90er Jahren gestand Anfang Juli 2002 eine heute 63jährige Zeugin, 1986 die Schüsse auf die Beine des damaligen Leiters der Berliner Ausländerbehörde abgegeben zu haben. Am 17. August 2002 wurden die Ermittlungen gegen die mutmaßlichen RZ-Mitglieder Rudolf SCHINDLER und Sabine ECKLE durch die Bundesanwaltschaft eingestellt. Trotz vorliegender Beschuldigungen durch den Kronzeugen des Gesamtverfahrens Tarek MOUSLI konnte beiden nicht nachgewiesen werden, an der Ermordung des hessischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr Heinz-Herbert KARRY am 11. Mai 1981 in Frankfurt beteiligt gewesen zu sein. 28 Am 9. Juni 2001 fand in Kaiserslautern eine NPD-Demonstration statt. Diese war Anlass für Angehörige aus dem linksextremistischen/autonomen Spektrum, dagegen zu demonstrieren und sich diese Gruppenbezeichnung zuzulegen. - 47 - 2.3.4 Aktionsfelder militanter Linksextremisten Antifaschismus Der "Antifaschistische Kampf" ist weiterhin wichtigstes Aktionsfeld gewaltbereiter Linksextremisten geblieben. Vordergründig richtet er sich gegen rechtsextremistische Parteien und deren Strukturen, darüber hinaus aber auch gegen den verhassten Staat, der als "kapitalistisches System", in dem der Faschismus seine Wurzeln habe, diffamiert wird. Auch im Jahr 2002 gab es wieder zahlreiche - zum Teil gewalttätig verlaufende - Aktionen linksextremistischer Antifaschisten mit dem Ziel der Verhinderung oder Störung von NPD/JN-Aufzügen. Wie schon in den vergangenen Jahren schloss man sich auch häufig mit nichtextremistischen Organisationen in so genannten Antifa-Bündnissen zusammen. In Bad Dürkheim wurde am 6. April 2002 eine "Antifa-Kundgebung" vor dem Hintergrund eines durch "rechte" Jugendliche verursachten Brandanschlags auf ein von Angehörigen der "linken" Szene bewohntes Anwesen in Erpolzheim durchgeführt. Unter den 100 Demonstranten, die Paro-len riefen wie "Ob Ost oder West - nieder mit der Nazi-Pest", befanden sich auch zahlreiche Aktivisten der autonomen/antifaschistischen Szene aus der Westund Vorderpfalz sowie aus Mannheim. Wegen eines "rechtsextremistischen Übergriffs" auf das Jugendzentrum in Kandel nach einem Punk-Konzert am 26. Mai 2002 kam es am 1. Juni 2002 vorort zu einer "Antifa"-Demonstration, an der sich annähernd 150 Personen beteiligten, darunter Angehörige der autonomen/antifaschistischen Szene aus Ludwigshafen/Mannheim, Heidelberg, Weinheim/ Bergstraße, Landau, Neustadt a.d. Weinstraße und Kaiserslautern. Es wurden Transparente mit den Aufschriften "Keine Toleranz für Rassisten" und "Kampf dem Faschismus" gezeigt. Ebenso wurden Parolen wie "Für - 48 - Freiheit und Leben, Nazis von der Straße fegen" und "Alle wollen dasselbe, Nazis in die Elbe" skandiert. Die fortschreitenden "Nazi"-Aktivitäten in der Region Pfalz sowie die Absicht der NPD, in Elmstein ein "nationales Schulungszentrum" einzurichten, waren Anlass für eine am 22. Juni 2002 in Elmstein überwiegend von nichtextremistischen Organisationen getragenen, friedlich verlaufenden Demonstration unter dem Motto "Kein Nazizentrum in Elmstein!". Unter den annähernd 200 Teilnehmern befanden sich auch mehrere Aktivisten der regionalen autonomen/antifaschistischen Szene. Am 31. August 2002 wurden in Ramstein-Miesenbach verschiedene Protestaktionen im Zusammenhang mit einem von der NPD angemeldeten "Friedensfest" unter dem Motto "Völkermordbasis Ramstein schließen - Ami go home" durchgeführt. U.a. nahmen an einer "antifaschistischen" Gegenkundgebung ca. 100 bis 120 Personen teil, darunter das regionale autonome/antifaschistische Spektrum sowie Szeneangehörige aus dem Rhein-Neckar-Raum und dem benachbarten Saarland. Insgesamt wurden von der Polizei über 200 Personen überprüft und mehr als 50 Platzverweise ausgesprochen. Darüber hinaus kam es zu einer Schlägerei, als drei NPD-Anhänger und 11 Angehörige der "linken" Szene aneinander gerieten. Ein in der Nähe gelegenes Freizeitgelände wurde von Unbekannten verwüstet und mit "Nazi-Raus"-Parolen beschmiert. Antirassismus Die vielfältigen - teilweise gewalttätigen - Aktionen des linksextremistischen Spektrums gegen den "staatlichen Rassismus" wurden im Jahr 2002 fortgesetzt. So legte am 5. Februar 2002 die "militante gruppe (mg)" im Bezirksamt Berlin-Reinickendorf aus Protest gegen das dortige Chipkartensystem im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes einen Brandsatz und über- - 49 - sandte dem verantwortlichen Stadtrat eine scharfe Patrone und ein Messer. Am 24. Juli 2002 verübte die "Autonome Zelle 'in Gedenken an Ulrike Meinhof'" in Hamburg Brandanschläge auf zwei Kraftfahrzeuge der Lufthansa, der vorgeworfen wurde, "im großen umfang" an der Abschiebung von Ausländern beteiligt zu sein und sich mit diesem "dreckigem geschäft" eine "goldene nase" zu verdienen. In Rheinland-Pfalz richteten sich die antirassistischen Proteste hauptsächlich gegen den so genannten Abschiebeknast in Ingelheim. Am 29. Juni 2002 demonstrierten ca. 500 Personen in Ingelheim unter dem Motto "Gegen die Festung Europa! Abschiebeknäste und Ausreisezentren abschaffen!". Im Verlauf der Aktion - u.a. waren Angehörige der autonomen/antifaschistischen Szene, insbesondere von der "Antifa Nierstein", beteiligt - kam es zu Farbbeutelwürfen gegen das Gebäude der zuständigen Ausländerbehörde (Kreisverwaltung Mainz-Bingen). Weitere Protestaktionen vor dem "Abschiebeknast" in Ingelheim fanden am 29. August 2002 im Rahmen der bundesweiten - von Linksextremisten mitgetragenen - "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" (17. August bis 21. September 2002) und am 2. November 2002 unter dem Motto "Die Würde der Mauer ist unantastbar" anlässlich eines bundesweiten Aktionstages gegen Abschiebegefängnisse statt. Insbesondere bei der letztgenannten Aktion mit ca. 100 Teilnehmern beteiligten sich erneut mehrere Angehörige des autonomen/antifaschistischen Spektrums. Kampagne gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie Der Widerstand von Linksextremisten gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, insbesondere gegen Castor-Transporte, verzeichnete im Jahr 2002 einen deutlichen Rückgang. Im Vergleich zu den vorhergehen- - 50 - den Jahren wurden darüber hinaus erheblich weniger militante Protestaktionen durchgeführt. So wurden insbesondere Hakenkrallenanschläge gegen Fahroberleitungen der Deutschen Bahn AG nicht mehr bekannt. Den Aktionsschwerpunkt der Anti-Atom-(Castor)-Bewegung bildete im Jahr 2002 die Kampagne "TRAINSTOPPING 02", die das Ziel verfolgte, den Widerstand kräftemäßig zu bündeln bzw. eine verbesserte bundesweite Koordination zu erreichen. Von herausragender Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die Protestaktionen gegen den 6. Castor-Transport aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague (Frankreich) in das Brennelemente-Zwischenlager in Gorleben (Niedersachsen) vom 11. bis 14. November 2002. Insbesondere im Wendland - dort waren rund 2.000 Atomkraftgegner aktiv, darunter etwa 100 bis 150 Autonome - kam es vermehrt zu Protestund Störaktionen. U.a. wurde der Castor-Transport durch einen Stapel brennender Reifen sowie durch Blockadeund Ankettaktionen an der Weiterfahrt gehindert. Ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes wurde mit Leuchtmunition beschossen. Die zahlreichen im abgelaufenen Jahr durch Rheinland-Pfalz geführten Castor-Transporte zu den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield (Großbritannien) blieben - abgesehen von kleineren Störungen ("Schienenspaziergänge"/Demonstrationen) - ohne besondere Vorkommnisse. Anti-"Globalisierung"/-NATO/EU-Politik Die seit 1999 existierende und sich gegen die Auswirkungen einer im zunehmenden Maße deregulierenden und demokratisch nicht mehr kontrollierbaren Wirtschaftsordnung richtende "Anti-Globalisierungsbewegung" führte auch im Jahr 2002 Protestaktionen durch, insbesondere gegen die EU-Gipfeltreffen in Barcelona (15./16. März), Sevilla (21./22. Juni) und Kopenhagen (12./13. Dezember). Ingesamt kam es dabei zu vereinzelten - 51 - Auseinandersetzungen von Demonstranten mit der Polizei, diversen Ausschreitungen und Sachbeschädigungen sowie Festnahmen, darunter auch einzelner Demonstranten aus Deutschland. Die noch im Jahre 2001 festgestellte hohe Militanz konnte allerdings bei den im Berichtsjahr durchgeführten Aktionen nicht mehr registriert werden. Auch fiel auf, dass die Beteiligung deutscher (gewaltbereiter) Linksextremisten wesentlich geringer war als noch im Jahr zuvor. Teile der "Anti-Globalisierungsbewegung" beteiligten sich unter dem Motto "Kampf der NATO/EU-Kriegspolitik" an den Protestaktionen gegen die "38. Konferenz für Sicherheitspolitik" vom 1. bis 3. Februar 2002 in München29. Trotz eines Verbotes demonstrierten etwa 700 Personen gegen diese Konferenz; insgesamt wurden 747 Störer in Gewahrsam genommen, 66 Personen wurden festgenommen. Auch aus Rheinland-Pfalz (Vorderund Westpfalz, Koblenz und Trier) waren mehrere Angehörige der autonomen Szene nach München angereist. Am 3. Februar 2002 versammelten sich vor dem Mainzer Staatstheater ca. 50 dem "linken" Umfeld zuzurechnende Personen, um friedlich gegen die oben erwähnte NATO-Sicherheitskonferenz zu protestieren. Weiterhin schlossen sich Globalisierungskritiker sowie zahlreiche Linksextremisten, für die das Agitationsfeld "Frieden" - Autonome bevorzugen die Formulierung "Anti-Krieg" - nach wie vor ein wichtiges Thema darstellt, den von Gruppen der "Friedensbewegung" organisierten und überwiegend friedlich verlaufenden Protestaktionen anlässlich des Besuches von USPräsident Bush am 22. und 23. Mai 2002 in Berlin an. Lediglich nach einer Demonstration am 21. Mai kam es zu Auseinandersetzungen zwi-schen der Polizei und etwa 250 Randalierern, die Flaschen und Steine warfen. 29 Die "39. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik " fand vom 7. bis 9. Februar 2003 statt. Die dazu initiierten Gegenaktionen verliefen weitgehend friedlich. - 52 - Auch in anderen deutschen Städten kam es zu Protestkundgebungen gegen den Bush-Besuch. So auch in Koblenz unter dem Motto "Krieg ist Terrorismus mit höherem Budget" mit ca. 500 Teilnehmern, darunter mehrere Linksextremisten. In Kaiserslautern führte das örtliche autonome/antiimperialistische Spektrum, insbesondere das "Antifaschistische Aktionsbündnis 9.6." unter dem Motto "Keine Solidarität mit Großmachtpolitik und Kriegstreiberei - Nein zu Bush's und Schröder's Welt (Kriegs)Ordnung" eine Demonstration/Kundgebung mit rund 20 Personen durch. 2.4 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 2.4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen Mitglieder (Bund): ca. 4.700 Mitglieder (Rheinland-Pfalz): ca. 100 Organisation: Bezirksverband Rheinland-Pfalz mit 9 regionalen Gruppierungen Die 1968 gegründete "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) definiert sich in ihrem dogmatisch geprägten Selbstverständnis unverändert als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die "auf der Basis der Theorien von Marx, Engels und Lenin einen grundlegenden Bruch mit dem kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" anstrebt. Ziel der Partei bleibt der Sozialismus als erste Stufe auf dem Weg zu einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft30. Der angestrebte Sozialismus wird von der DKP als Lösung aller politischen, wirtschaftlichen und ökonomischen 30 DKP-Information 3/00 - Juni 2000, S. 24) - 53 - Probleme der Gesellschaft propagiert. In ihren programmatischen Äußerungen und Thesenpapieren fokussiert die Partei ihren politischen Aktionismus auf ihre traditionellen Arbeitsfelder wie Antimonopolismus, Antifaschismus und die Gewerkschafts-, Aktionseinheitsund Bündnispolitik. Insbesondere bei den Themen "Kampf gegen Rechts" und "Antikriegspolitik" sucht die Partei bündnispolitische Akzeptanz. Das ideologische Weltbild der DKP wird auch trotz der im Jahr 2002 verstärkten Bemühungen um eine Aktualisierung des Parteiprogramms aus dem Jahre 1978 keine signifikanten Änderungen erfahren. Die vom 16. Parteitag der DKP vom 30. November bis 1. Dezember 2002 in Düsseldorf erwartete Einigung auf einen neuen Programmentwurf kam - ebenso wie ein Beschluss zur "Handlungsorientierung 2003/2004" - nicht zustande. Hierüber wie auch über die Weiterentwicklung der Sozialismusvorstellungen wird in der Partei auch zukünftig diskutiert werden. Die ca. 200 Delegierten forderten die Bundesregierung auf, keinerlei militärische, finanzielle, logistische oder politische Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak zu leisten. Die DKP sieht es als ihre "strategische" Aufgabe an, "einen Beitrag zur Formierung breiter gesellschaftlicher Allianzen zu leisten und sie in klassenkämpferische Positionen einzubringen". Zur Erreichung ihrer Ziele setzt die Partei auch auf den Internationalismus. "Erfolgreicher Kampf um fortschrittliche Reformen ist vor allem durch einen umfassenden internationalen Klassenkampf möglich. Er ist viel enger als zu anderen Zeiten mit dem Kampf um revolutionäre Veränderungen verbunden".31 In diesem Kontext sieht sich die DKP auch als Teil der Antiglobalisierungsbewegung. Die DKP führte am 29./30. Juni 2002 in Berlin unter dem Motto "Kapitalistische Globalisierung - Alternativen-Gegenbewegungen31 DKP-Informationen Nr. 5/2001 vom 4. Oktober 2001 - 54 - Rolle der Kommunistinnen und Kommunisten" eine Konferenz durch, an der sich nach Parteiangaben Vertreter von 33 kommunistischen Parteien und Arbeiterparteien aus 31 Ländern beteiligten. Die Konferenz verfasste eine Erklärung unter dem Titel "Herausforderung annehmen: Gegen kapitalistische Globalisierung - internationale Solidarität und Zusammenarbeit der Parteien der marxistischen Linken". Die in 14 Bezirksorganisationen untergliederte DKP hat bundesweit ca. 4.700 Mitglieder. Die hohe Altersstruktur der Partei wie auch die permanent angespannte Finanzlage setzen den politischen Möglichkeiten der DKP allerdings weiterhin enge Grenzen. Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 verzichtete die DKP - wohl im Hinblick auf ihre begrenzten organisatorischen und personellen Möglichkeiten - auf die Aufstellung von Landeslisten, stellte jedoch in sechs Bundesländern insgesamt 15 Direktkandidaten auf. Die Zahl der Erststimmen belief sich lediglich auf knapp 4.000. Den Wahlkampf hatte die Partei unter das Motto "Für einen Politikwechsel in Deutschland. Für Arbeitsplätze - gegen Kriegseinsätze" gestellt. In Rheinland-Pfalz, wo der DKP-Bezirksverband knapp 100 Mitglieder hat, trat die DKP nicht zur Wahl an und forderte dazu auf, die Zweitstimme der PDS zu geben. Aktive Parteistrukturen im Lande gibt es insbesondere in Bad Kreuznach, Idar-Oberstein und Trier. - 55 - 2.4.2 "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) Gründung: 1989/1990 (Umbenennung SED in PDS) Sitz: Berlin Mitglieder (Bund): ca. 78.000 Mitglieder (Rheinland-Pfalz): ca. 250 Organisation in Rheinland-Pfalz: Landesverband mit 11 Kreisverbänden Die PDS wirkt in Rheinland-Pfalz - wie auch in anderen alten Bundesländern - u.a. als Anlaufpunkt ehemaliger und aktiver Linksextremisten verschiedener politischer Herkunft. "In der PDS haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu ändern und schrittweise zu überwinden".32 Der PDS-Landesverband Rheinland-Pfalz mit Sitz in Mainz verfügt über eine landesweite Organisationsstruktur mit 11 Kreisverbänden und etwa 250 Mitgliedern. Aktive Kreisverbände bestehen insbesondere in Bad Kreuznach, Landau, Ludwigshafen am Rhein, Mainz, Neuwied, Pirmasens und Trier. Der Landesverband gibt die unregelmäßig erscheinende Schrift "linksrheinische" heraus und informiert, ebenso wie die Mehrzahl der vorgenannten Kreisverbände, kontinuierlich im Internet über politische Ziele und Aktivitäten. Die Partei will in Rheinland-Pfalz insbesondere ihr kommunalpolitisches Engagement erhöhen und hofft auf erste Erfolge bei künftigen Kommunalwahlen. 32 Derzeit noch gültiges Programm der PDS, S. 25, beschlossen von der 1. Tagung des 3. Parteitages vom 29. bis 31. Januar 1993. - 56 - Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 trat die PDS in Rheinland-Pfalz mit einer eigenen Landesliste wie auch mit Direktkandidaten in zehn Wahlkreisen an. Das Wahlmotto lautete "Frieden! Gerechtigkeit! Sozialistische Opposition für gesellschaftliche Reformalternativen". Sie erzielte hierbei 20.455 Erststimmen = 0,9% und 24.099 = 1,0% der Zweitstimmen (1998: 25.083 = 1,0% der Zweitstimmen). Die von der PDS in Rheinland-Pfalz erhoffte Verdoppelung des Ergebnisses von 1998 wurde somit deutlich verfehlt. Der PDS-nahe im Juni 1999 gegründete Jugendverband "solid" ist seit Oktober 2000 auch in Rheinland-Pfalz mit einem Landesverband vertreten. Er wird gemäß einem Beschluss des PDS-Landesparteitages vom 4./5. November 2000 mit 5% des Beitragsaufkommens aus den Mitgliedsbeiträgen der PDS Rheinland-Pfalz finanziell unterstützt. 3. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Auch im Jahr 2002 gehörte der Ausländerextremismus - insbesondere die extremistischen Bestrebungen von Mitgliedern islamistisch orientierter sowie kurdischer Organisationen - zum Schwerpunkt der Arbeit des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Im Berichtsjahr waren auch für die Bundesrepublik Deutschland von militant-islamistischen Gruppierungen mögliche terroristische Anschläge zu befürchten, insbesondere durch die Ankündigungen der Führer von alQaida, die Deutschland ausdrücklich als mögliches Zielland für Anschläge bezeichneten. Die wichtigste kurdische extremistische Organisation (die Arbeiterpartei Kurdistans, abgekürzt PKK) hielt an ihrem seit 1999 verkündeten Gewalt- - 57 - verzicht weiter fest. Dieser Politikwandel wurde im Jahr 2002 insbesondere auch durch eine Namensänderung für die Organisation unterstrichen, mit der sie ihre terroristische Vergangenheit abzulegen versucht. Sie bezeichnet sich neuerdings als "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK). Trotz dieses nach außen verkündeten Wandels kann jedoch noch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei ernsthaft um eine auf Dauer angelegte Politikänderung handelt. Gegenüber dem Vorjahr ist in Rheinland-Pfalz die Anzahl der in extremistischen Vereinigungen organisierten Ausländer leicht zurückgegangen. Dies entspricht dem Trend auf Bundesebene. Von den knapp 300.000 Ausländern in Rheinland-Pfalz sind etwa 1.350 Personen in Vereinigungen mit extremistischer Zielsetzung organisiert. 3.1 Personenpotenzial Bund (2001) Rheinland-Pfalz (2001) Gesamt: 57.350 (59.100) 1.350 (1.400) Linksextremisten: 17.850 (18.250) 500 ( 500) Extreme Nationalisten: 8.900 ( 8.900) 100 ( 100) Islamistische Extremisten: 30.600 (31.950) 750 ( 800) alle Angaben: "ca." 3.2. Gewalttatenzahlen Gewalttatenzahlen Rheinland-Pfalz 2002 2001 Gesamt: -- 2 Deliktsarten: Tötungsdelikte: -- -- Versuchte Tötungen: -- -- - 58 - Gewalttatenzahlen Rheinland-Pfalz 2002 2001 Deliktsarten: Körperverletzungen: -- -- Brandstiftungen: -- -- Sprengstoffexplosionen: -- -- Landfriedensbruch: -- 1 Freiheitsberaubungen: -- -- Raub/Erpressungen: -- 1 3.3 Islamistischer Extremismus Der islamistische Extremismus stellt eine Bewegung mit primär politischen Zielsetzungen dar. Die Bezugnahme auf ausgewählte Koranverse, Prophetenaussprüche und eine islamisch gefärbte Rhetorik insgesamt verleihen ihm aber eine zusätzliche religiöse Qualität. Der Islamismus, auch als islamischer Fundamentalismus bezeichnet, steht für den Ansatz, politische Forderungen durch den Islam zu legitimieren. Die politisch-religiöse Bewegung des Islamismus wird weltweit durch zahlreiche unterschiedliche Gruppen repräsentiert; entsprechend stellt sich auch die Situation in Deutschland dar. Die pauschale Formel "Islamist ist gleich Islamist" würde daher das Spektrum an Meinungen und Methoden innerhalb der islamistischen Bewegung nicht angemessen wiedergeben. Dennoch lassen sich einige Tendenzen feststellen, die es erlauben, vom Islamismus als einer spezifischen Erscheinungsform des Islam und gleichzeitig einer politischen Protestbewegung zu sprechen. Beim Islamismus handelt es sich um ein Konzept, das den Islam in den Mittelpunkt sämtlicher Lebensbereiche rückt und ihm umfassende Autorität zuweist. Der Islam stellt in dieser Konzeption nicht allein eine spirituelle und ethische Lehre dar, sondern gilt auch als eine gestalterische Kraft in den Bereichen Recht, Politik und Wirtschaft. Mehr noch: Er gilt zahlrei- - 59 - chen Islamisten, zumindest im Hinblick auf die muslimische Welt, als die einzig legitime gestalterische Kraft in diesen Bereichen. "Der Islam ist Religion und Staat" und "Der Islam ist die Lösung" sind in diesem Zusammenhang zentrale Formeln in islamistischen Diskursen. Die von Islamisten vorgestellten Lösungsmodelle kollidieren weitgehend mit den Grundwerten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, so zum Beispiel hinsichtlich der Prinzipien der repräsentativen Demokratie, der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau, der Anwendung von Körperstrafen sowie der Glaubensund Meinungsfreiheit. Islamisten in Deutschland propagieren diese Modelle zwar vornehmlich im Hinblick auf die muslimischen Länder, aber eben vom Standort Deutschland aus. Dies kann im Ergebnis zu einer Beeinträchtigung der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland führen. Zudem gibt es auch Gruppierungen, die langfristig eine weltweite Islamisierung anstreben. Im Zentrum islamistischer Debatten stehen heute allerdings weniger theoretische Fragen wie die Definierung eines islamischen Staatsund Gesellschaftsmodells als vielmehr aktuelle Themen der Weltpolitik. An erster Stelle steht hier wiederum der Nahostkonflikt, aber eine umfassende Kommentierung erfahren auch die Kriegsschauplätze und Konfliktherde Tschetschenien und Kaschmir, die militärischen Vorbereitungen der USA auf einen möglichen Krieg gegen den Irak sowie der von den USA geführte Krieg gegen den Terrorismus. Mit dem regelmäßigen Verweis auf die muslimischen Opfer in diesen Konflikten wird an das Solidaritätsgefühl innerhalb der muslimischen Gemeinde appelliert und zugleich die Täterrolle ausschließlich der nichtmuslimischen Seite zugeschrieben. Im Nahostkonflikt heißt der Täter in nahezu sämtlichen islamistischen Darstellungen Israel, im Tschetschenienkonflikt Russland, im Kaschmirkonflikt Indien, im Hinblick auf den Irak USA. Ferner werden diejenigen kritisiert, die die Unterdrückung und Demütigung von Muslimen nach Auffassung von Isla- - 60 - misten unterstützen oder dulden. Diesem Vorwurf sind vor allem die USA, aber auch andere westliche Staaten, darunter Deutschland, sowie die meisten Regierungen in der muslimischen Welt ausgesetzt. Letzteren werfen Islamisten vor, die Rechte von Muslimen nicht entschieden genug zu vertreten und sich zu Helfershelfern westlicher Staaten gemacht zu haben. Auf Grund dessen spricht ihnen ein Teil der Islamisten die Legitimation zum Regieren ab. Islamisten vermitteln ihren Glaubensbrüdern und - schwestern, dass sie selbst die wahren Vertreter muslimischer Interessen weltweit seien. Nicht mit ihrem Ruf nach Einführung des islamischen Rechts (Scharia), sondern aus ihrer Frontstellung gegen die - so ihre Lesart - Feinde der Muslime beziehen islamistische Gruppen heutzutage einen Großteil ihrer Popularität. Der Islamismus hat gerade durch die Folgeereignisse des 11. Septembers 2001 (Antiterrorkrieg, Eskalation des Nahostkonflikts) eine verstärkt politische und dabei auch antiwestliche Stoßrichtung angenommen. Die Mehrzahl der Islamisten - international wie in Deutschland - führt eine verbale Auseinandersetzung mit "dem Westen"; einige von ihnen haben aber in den vergangenen Jahren verheerende Terroraktionen ausgeführt und drohen mit weiteren Anschlägen. Die Gewaltaktionen werden von militanten Islamisten als Djihad deklariert, womit dieser Begriff, der im Arabischen "Einsatz [für die Religion]" bedeutet und keine spezifische Methode vorgibt, auf seinen kriegerischen Aspekt reduziert wird. Auch im Jahre 2002 kam es weltweit zu Anschlägen militanter Islamisten, denen mehrere Hundert Menschen unterschiedlicher Nationalität und Religionszugehörigkeit zum Opfer fielen. Am 11. April fuhr auf der tunesischen Insel Djerba ein mit Sprengstoff beladener LKW gegen eine Synagoge; die Explosion riss 19 Menschen, darunter 14 Deutsche in den Tod. Der Attentäter stand offenbar in Verbin- - 61 - dung zur Terrororganisation al-Qaida. Kurz vor dem Attentat hatte er außerdem telefonischen Kontakt nach Deutschland. Am 12. Oktober erschütterte eine Serie von Bombenexplosionen ein Nachtclub-Viertel auf der indonesischen Insel Bali. Mehr als 190 Menschen verloren bei den Anschlägen, die nach bisherigen Erkenntnissen von dem islamistischen indonesischen Netzwerk Jemaah islamiya ("Islamische Gemeinschaft") ausgeführt wurden, ihr Leben, darunter auch Deutsche. Am 28. November fanden nahezu zeitgleich ein Anschlag auf ein vor allem von Israelis frequentiertes Hotel bei Mombasa (Kenia) sowie ein fehlgeschlagener Versuch, das dort gerade gestartete Flugzeug einer israelischen Fluggesellschaft abzuschießen, statt. In dem Flugzeug befanden sich fast ausschließlich israelische Touristen, die ihren Urlaub in Kenia beendet hatten. Diese und weitere im Jahresverlauf ausgeführte Terroranschläge verdeutlichen die Gefahr, die von gewalttätigen Islamisten weiterhin ausgeht. Zwar verübten islamistische Extremisten in Deutschland bis zum Jahresende 2002 keine Anschläge, doch dürfen deswegen die internationalen Verflechtungen innerhalb der islamistischen Szene, die auch nach Deutschland reichen, nicht übersehen werden. Dies ist auch bei der Lageeinschätzung für Rheinland-Pfalz zu beachten, wenngleich die hiesige islamistische Szene in der Mehrzahl durch Organisationen repräsentiert wird, die nicht in einer Beziehung zum Terrorismus stehen. Im Hinblick auf Rheinland-Pfalz sind vor allem folgende Gruppierungen zu beachten: 3.3.1 Komplex Arabische Mudjahidin Der arabische Begriff Mudjahidin bezeichnet Personen, die den Djihad ausführen, sich also für eine Sache einsetzen. Im islamischen Kontext ist mit Djihad der Einsatz "auf dem Pfad Gottes" gemeint, wie es im Koran - 62 - heißt. Der Begriff Djihad deckt ein weites Spektrum ab, das von dem Bemühen des Einzelnen um eine fromme und tugendhafte Lebensführung über die Verteidigung des Islam bis hin zu seiner Ausbreitung reichen kann. Ähnlich wie die Ziele variieren auch die Mittel des Djihad: sie reichen von friedlich bis kriegerisch. Die Vertreter der durch den Verfassungsschutz beobachteten Mudjahidin-Gruppierungen haben ein militantes Djihadverständnis. Sie betrachten den Djihad zur Verteidigung von Muslimen und zur Etablierung einer islamischen Ordnung als eine von Gott auferlegte Pflicht und sehen sich berechtigt, ja verpflichtet, dieses Ziel auch gewaltsam zu erreichen, wenn es ihrer Auffassung nach erforderlich ist. Manche Gruppen streben sogar die Errichtung eines panislamischen Reiches an. Der Komplex Mudjahidin zeichnet sich nicht durch eine einheitliche und statische Organisationsstruktur, sondern durch eine Vielzahl von Personenzusammenschlüssen aus. Sie stehen häufig über ein flexibles und auf verschiedenen Ebenen angesiedeltes Beziehungsgeflecht in gegenseitigem Kontakt. Bei den Mudjahidin handelt es sich insgesamt um Personen, die - ein ausgeprägt zweigeteiltes Weltbild haben (auf der einen Seite Muslime, auf der anderen Seite Ungläubige), - die Muslime als Opfer einer jüdisch-christlichen Verschwörung bzw. eines Kreuzzuges sehen, - sich zum bewaffneten Kampf gegen die - aus ihrer Sicht - nichtmuslimischen Aggressoren entschlossen haben und bereit sind, für ihre Religion sowie ihre Glaubensbrüder und -schwestern als "Märtyrer" zu sterben, - in Trainingslagern (vielfach in Afghanistan, Pakistan und im Sudan) eine religiöse und zugleich paramilitärische Unterweisung erhalten haben, - 63 - - sich an Kämpfen in Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Tschetschenien oder auch im Kaschmir beteiligt haben/beteiligen, - zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich, arabischer Herkunft sind. Dieses "Kollektivgut" an Einstellungen und Erfahrungen verbindet die weltweit verstreuten Mudjahidin. Gemeinsam absolvierte Trainingsprogramme und Guerillaeinsätze haben weit verzweigte und teils enge Beziehungen untereinander entstehen lassen, in die Außenstehende nur schwer Einblick erlangen oder gar Zugang finden. Bis in die späten achtziger und frühen neunziger Jahre hinein waren die Mudjahidin meist in nationalen Vereinigungen organisiert (z.B. "Djamaat al-Djihad al-islami" in Ägypten oder "Bewaffnete Islamische Gruppe" [GIA] in Algerien). Ihr Handeln war weitestgehend auf ihr Heimatland beschränkt, wobei es ihr Ziel war, mittels destabilisierender Terroranschläge die Regierung ihres Landes zu stürzen und ein islamistisches System zu begründen. In den vergangenen Jahren sind einige dieser militanten Organisationen in transund mulitinationalen Netzwerken aufgegangen, stellen Rekrutierungsbasen für sie dar oder stehen in wechselseitiger Beziehung mit ihnen. Die Bündelung der verschiedenen revolutionär-/mili-tantislamistischen Kräfte ist in hohem Maße der Organisation al-Qaida ("Die Basis") zuzuschreiben, die Ende der achtziger Jahre von Usama bin Ladin gegründet wurde und sich als Speerspitze im Kampf gegen die "Feinde der Muslime" versteht. Die US-geführte Afghanistan-Intervention im Herbst 2001 brachte für alQaida neben der Zerstörung der meisten ihrer dortigen Trainingslager einschneidende Veränderungen mit sich: ein Teil ihrer Mitglieder verlor ihr Leben, ein weiterer Teil ist inhaftiert und ein dritter Teil flüchtete und lebt nunmehr in verschiedenen Staaten. Nicht zuletzt diese Tatsache dürfte für - 64 - die heutige dezentrale Struktur von al-Qaida ausschlaggebend sein. Wenngleich das Schicksal von Usama bin Ladin im Jahresverlauf 2002 nicht geklärt werden konnte, wurden Fortschritte bei der Aufdeckung von al-Qaida-Strukturen und Fahndungserfolge erzielt. Im September, genau ein Jahr nach den Anschlägen in New York und Washington, gelang im pakistanischen Karatschi die Festnahme von Ramzi Bin al-Shibh, eine der zentralen Personen innerhalb der Hamburger al-Qaida-Zelle und offensichtlich ein wichtiger Planer der Anschläge vom 11. September 2001. Auf einem von dem qatarischen Fernsehsender "al-Djazira" kurz vor seiner Verhaftung ausgestrahlten Videoband stellte Bin al-Shibh selbst eine Verbindung zwischen den September-Anschlägen, al-Qaida und seiner Person her. Ebenfalls in Pakistan wurde bereits im April 2002 ABU ZUBAIDAH festgenommen, der bisherigen Erkenntnissen zufolge wichtige organisatorische Aufgaben innerhalb von al-Qaida übernommen hatte. Der Komplex Arabische Mudjahidin wird weiterhin durch Aktivisten repräsentiert, die sich in Kleinund Kleinstgruppen zusammengeschlossen haben. Diese so genannten non-aligned Mudjahidin operieren (weitgehend) selbständig, wobei allerdings Kontaktpunkte zu al-Qaida und anderen militant-islamistischen Organisationen (u.a. "Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf" (GSPC), "Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA)) bestehen dürften. Auch in Deutschland leben Personen, die dem Komplex Arabische Mudjahidin zuzurechnen sind. Ende April 2002 wurden in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen mehrere Personen festgenommen, die sich um einen Palästinenser namens Muhamed Abu D. alias Yaser H. alias "Abu Ali" gruppiert hatten. Dieser Personenkreis, bekannt als al-Tawhid-Zelle, steht im Verdacht, Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland geplant zu haben und in ein internationales konspiratives Netz eingebunden (gewesen) zu sein. - 65 - Weiterhin wurden im Jahr 2002 sowohl in Frankfurt a.M. als auch in Hamburg Gerichtsverfahren gegen Aktivisten des Mudjahidin-Spektrums eröffnet. Verantworten müssen sich dabei zum einen vier Personen, die zur Jahreswende 2000/2001 einen Anschlag in Straßburg geplant haben sollen sowie zum anderen ein Freund der drei zeitweise in Hamburg ansässigen Flugzeugattentäter. Ihm legt die Bundesanwaltschaft zur Last, in die Vorbereitungen der Anschläge vom 11. September 2001 eingebunden gewesen zu sein. Über die Anwesenheit von al-Qaida-Mitgliedern in Rheinland-Pfalz liegen dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz keine Erkenntnisse vor. Dagegen gibt es Hinweise auf Personen, die dem Spektrum non-aligned Mudjahidin und militant-islamistischen Organisationen zugerechnet werden können. Da seit dem 11. September 2001 auf internationaler Ebene eine zunehmende Frontenbildung festzustellen ist, besteht auch in Rheinland-Pfalz durchaus eine gegenwärtig noch als abstrakt zu bezeichnende Gefahr. Insbesondere die US-amerikanischen und jüdischen Einrichtungen im Lande müssen als potentielle Ziele von islamistischenTerroristen betrachtet werden. 3.3.2 "Hizb ut-Tahrir" Gründung: 1953 in Jerusalem Sitz: vermutlich London, in Deutschland keine offizielle Niederlassung Mitglieder: einzelne in Rheinland-Pfalz Organisation in Rheinland-Pfalz: keine verdeckte Einflussnahme in einzelnen Moscheen - 66 - Bei der "Hizb ut-Tahrir al-islami" ("Islamische Befreiungspartei") handelt es sich um eine in zahlreichen muslimischen Staaten vertretene, aber meist auch verbotene Organisation; inzwischen ist sie auch in der Bundesrepublik Deutschland verboten33. Die Folge ist ein hohes Maß an Konspiration bei der Anwerbung neuer Mitglieder sowie der Planung und Durchführung von Aktivitäten. Zugleich tritt sie aber publizistisch aktiv hervor und gewährt damit Einblick in ihre Ideologie und Auffassungen zu politischen Themen. In deutscher Sprache informiert sie vor allem auf ihrer Website und in der Zeitschrift "explizit". Im Jahre 2002 machte sie zudem durch Flugblattaktionen auf ihre verstärkte Präsenz in Deutschland aufmerksam. Ihre Mitglieder rekrutiert sie - als eine intellektuell ausgerichtete Organisation - vor allem an Universitäten und in Moscheen. Zu den Zielen der "Hizb ut-Tahrir" gehört die Wiedererrichtung des Kalifats, jenes muslimischen Herrscheramts, das 1924 in der Türkischen Republik abgeschafft wurde. Damit verknüpft sind die Forderung nach Schaffung eines panislamischen Reiches unabhängig von den heutigen nationalstaatlichen Grenzen sowie die Einführung des islamischen Rechts (Scharia). Das Territorium des heutigen israelischen Staates wird ganz zum "Gebiet des Islam" und dem angestrebten islamischen Großreich gerechnet, woraus sich die Beseitigung des Staates Israel als ein häufig genanntes und mit Nachdruck ausgesprochenes Ziel der Partei ergibt. In diesem Sinne heißt es auf ihrer an die Muslime gerichteten Website: "Besteht eure eigentliche Aufgabe nicht darin, den Islam zu schützen und die Feinde Allahs zu bekämpfen, nämlich die Juden, die den Boden des Isra' und Mi'raj (Nacht und Himmelfahrt des Gesandten) gewaltsam geraubt haben? Ihr sollt das hässliche Judengebilde vernichten und den Ruhm des Islam und die Geschichte der großen Führer wiederaufleben lassen." 33 Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 10. Januar 2003. - 67 - Ihre antiisraelische, antijüdische und darüber hinaus antiamerikanische Einstellung teilt die "Hizb ut-Tahrir" mit deutschen Rechtsextremisten. Dies wurde bei einer Vortragsveranstaltung an der Technischen Universität Berlin am 27. Oktober offenkundig34. Terroristische Aktivitäten der "Hizb ut-Tahrir" konnten bisher in Europa nicht festgestellt werden. Ihre hetzerische Propaganda könnte allerdings zu entsprechenden Aktivitäten ermuntern. 3.3.3 "Der Kalifatsstaat", auch "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln" (Hilafet Devleti), (ICCB) Gründung: 1984 in Köln Sitz: Köln Mitglieder (Bund) ca. 800 Mitglieder (Rheinland-Pfalz) ca. 40 Nach Streichung des Religionsprivilegs wurden am 8. Dezember 2001 die extremistische islamistische Vereinigung "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti) sowie 19 Teilorganisationen, darunter aus Rheinland-Pfalz der "Islamische Verein der in Bad Kreuznach und Umgebung wohnenden türkischen Arbeitnehmer e. V.", und die dazugehörige Stiftung "Diener des Islam" (Stichting Dienaar aan Islam) vom Bundesinnenminister verboten. In das Verbot miteinbezogen wurden am 19. September 2002 weitere 16 Vereine, darunter aus Rheinland-Pfalz die "Islamische Union Ludwigshafen e.V." und der "Wissenschaftsund Gebetsverein der türkischen Arbeitnehmer in Mainz und Umgebung e.V.". Die Auswertung der bei der 34 vgl. S. 40 - 68 - polizeilichen Durchsuchungsaktion im Dezember 2001 sichergestellten Asservate beider Vereine ergab, dass auch sie Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" sind. Ziel des islamistisch-extremistischen "Kalifatsstaats" ist die Beseitigung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei sowie die Einführung einer islamistischen Ordnung auf Grundlage der Scharia. Langfristig wird die weltweite Herrschaft des Islams unter Führung eines Kalifen angestrebt. Führer des "Kalifatsstaats" ist seit 1995 der selbsternannte "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime" Metin KAPLAN. KAPLAN wurde am 15. November 2000 durch das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass KAPLAN zum Mord an dem "Gegenkalifen" Halil SOFU aufgerufen hatte, der am 8. Mai 1997 in Berlin erschossen worden war. Im Jahr 2002 stellte KAPLAN bereits zum zweiten Mal einen Antrag auf Haftprüfung, der vom OLG Düsseldorf jedoch abgelehnt wurde. Die Entscheidung wurde u.a. damit begründet, dass KAPLAN nach wie vor an seiner islamistischen Einstellung festhalte. Nach seiner Haftverbüßung ist von einer Abschiebung des KAPLAN in die Türkei auszugehen. Trotz des Verbots ist der "Kalifatsstaat" weiterhin publizistisch aktiv. So erschien nach dem Verbot des organisationseigenen Publikationsorgans "Ümmet-i Muhammed" (Die Gemeinde Mohammeds) am 2. Januar 2002 die erste Ausgabe der türkischsprachigen Zeitung "Beklenen Asr-i Saadet" (Das erwartete Jahrhundert der Glücksseligkeit). Diese Zeitung unterscheidet sich optisch und inhaltlich kaum von der "Ümmet-i Muhammed" und wird aus dem Ausland den Abonnenten zugestellt. - 69 - 3.3.4 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V."/ AMGT) Sitz: Köln Mitglieder (Bund) 26.500 Mitglieder (Rheinland-Pfalz) 650 Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist nach wie vor die größte in Deutschland tätige islamistisch-extremistische Organisation. Neben bundesweit etwa 26.500 Mitgliedern, in Rheinland-Pfalz ca. 650, verfügt sie über eine um vieles höhere Anhängerschaft. Zahlreiche Nebenorganisationen bzw. beeinflusste Organisationen verschleiern den Umfang des tatsächlichen Einflussbereiches der IGMG. Die IGMG ist bemüht, die Meinungsführerschaft unter den türkischen Muslimen in Deutschland zu erlangen und ihre von religiösen Forderungen verdeckten politischen Interessen durchzusetzen. Vorrangige Ziele sind die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und die Erlaubnis für die Erteilung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Dieses Ziel verfolgt sie nicht nur innerhalb der eigenen Organisation, sondern auch durch Einflussnahme auf andere Institutionen, wie z.B. auf den von der IGMG dominierten Islamrat, dem allerdings auch andere Organisationen angehören, die nicht als extremistisch zu bezeichnen sind. Die IGMG präsentiert sich in ihren offiziellen Verlautbarungen als auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehende Organisation rechtstreuer Muslime in Deutschland. Sie empfiehlt sich damit als Interessenvertreterin möglichst aller hier lebenden türkischen Muslime und - 70 - als Förderin der Integration und des friedlichen Zusammenlebens von Muslimen und Christen. Ideologie, Strategie und Aktivitäten zeigen gleichwohl den islamistischen Charakter der IGMG. So erklärte z.B. der Generalsekretär des "Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland" (Islamrat) in einer Presseerklärung vom 23. Januar 2002, dass er aus Protest gegen den Einfluss der IGMG im Islamrat zurücktreten werde. Er habe eine auf die deutsche Gesellschaft und Rechtsordnung bezogene Vertretung der Muslime "unabhängig von ausländischem Einfluss" aufbauen wollen. Dafür sehe er im Islamrat in seiner bestehenden Zusammensetzung aber keine Chance. Zum neuen Vorsitzenden des Islamrates wurde im Januar 2002 ein führender IGMG-Funktionär gewählt. Im Oktober 2002 trat der IGMG-Generalsekretär Mehmet Sabri ERBAKAN35 nach internen Streitigkeiten um seine persönliche Lebensführung von seinem Amt zurück. Kommisarischer Nachfolger wurde der bisherige stellvertretende IGMGVorsitzende Yavuz Celik KARAHAN. Am 3. November 2002 fanden in der Türkei die Parlamentswahlen statt. Bereits im Vorfeld berichtete die türkische Zeitung "Hürriyet", dass die IGMG die "Saadet Partisi" (SP/"Partei der Glückseligkeit") unterstützen werde. Die SP steht Necmettin ERBAKAN, dem früherem Ministerpräsidenten der Türkei, nahe. Die IGMG pflegte bereits in der Vergangenheit enge Kontakte zu islamistischen Parteien in der Türkei, die unter dem maßgeblichen Einfluss Necmettin ERBAKANs standen, zuletzt zu der in der Türkei verbotenen 35 Neffe des früheren türkischen Ministerpräsidenten Necmettin ERBAKAN. - 71 - islamistischen "Fazilet Partisi" (FP/"Tugendpartei"). Darüber hinaus bestehen zwischen führenden Funktionären der IGMG und islamistischen Parteien in der Türkei enge verwandtschaftliche Beziehungen. Die bereits länger andauernden Flügelkämpfe in der FP führten nach deren Verbot zur Bildung von zwei Nachfolgeparteien in der Türkei. Die "Traditionalisten" gründeten die vorgenannte "Saadet Partisi" (SP/"Partei der Glückseligkeit"), die "Erneuerer" die "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP/"Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei"). Bei den türkischen Parlamentswahlen vom 3. November 2002 erhielt die SP nur 2,49% der abgegebenen Stimmen und ist aufgrund des in der Türkei geltenden Wahlrechts nicht im türkischen Parlament vertreten. Es bleibt abzuwarten, wie die IGMG-Mitglieder auf die Wahlniederlage der von der Organisation favorisierten SP in der Türkei reagieren werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die IGMG spalten wird und viele Mitglieder sich der AKP zuwenden werden. 3.4 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) Mitglieder (Bund) ca. 750 Mitglieder (Rheinland-Pfalz) ca. 25 Die seit August 1998 in Deutschland verbotene Nachfolgeorganisation der "Devrimci Sol", die DHKP-C, kämpft für die gewaltsame Zerschlagung des - 72 - türkischen Staates und verfolgt das Ziel der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus. Die seit über zwei Jahren erscheinende DHKP-C-Publikation "Vatan" (Heimat) gab mit ihrer Ausgabe vom 18. März 2002 ohne weitere Angabe von Gründen ihre Einstellung bekannt. Mit dem Hinweis, "die Stimme des immerwährenden Kampfes" werde sich weiterhin an das Volk richten, wurde eine Nachfolgepublikation mit dem Namen "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit) zum 25. März 2002 angekündigt. Die neue Publikation werde auch in Zukunft "für unsere Rechte und Freiheiten, für ein ehrenvolles Leben", eintreten. Am 27. April 2002 veranstaltete die DHKP-C Feierlichkeiten anläßlich ihrer Gründung und zum Gedenken an die "Gefallenen der Revolution" im niederländischen Leiden. Um ein mögliches Veranstaltungsverbot in Deutschland zu umgehen, werden entsprechende Veranstaltungen häufig in den Niederlanden bzw. in Belgien durchgeführt. Ein Hauptthema bei der von etwa 2.000 Anhängern besuchten Veranstaltung in Leiden war das Todesfasten in den türkischen Haftanstalten. Die DHKP-C kritisiert die Unterbringung von Häftlingen in der Türkei in neuen Haftanstalten mit Einzelzellen, anstatt, wie bisher, in Großraumzellen. Aus Protest gegen die Einführung kleinerer Haftzellen hatten mehrere hundert Gefangene in türkischen Strafanstalten bereits im Oktober 2000 einen Hungerstreik mit anschließendem Todesfasten begonnen, der mittlerweile zu vielen Todesopfern geführt hat. Das von der DHKP-C gegründete "Komitee gegen Isolationshaft" (IKM) verbreitete im Juni 2002, dass acht türkische Organisationen am 28. Mai 2002 das Todesfasten in den türkischen Haftanstalten für beendet erklärt - 73 - hätten. Das Todesfasten habe seine "revolutionäre Aufgabe" erfüllt: ideologisch und moralisch sei damit ein Sieg erzielt worden. Das Todesfasten sei zwar beendet, nicht jedoch der Widerstand in anderer Form gegen die Einführung von Einzelzellen. Die Gefangenen der DHKP-C setzten allerdings das Todesfasten fort. Von Seiten der DHKP-C wurde deshalb massive Kritik am Vorgehen der anderen Gruppierungen geübt. Durch Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 2. Mai 2002 wurde die DHKP-C auf die so genannte EU-Terrorliste gesetzt36. In einer Veröffentlichung bezeichnete die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC), der militärische Arm der DHKP-C, die Entscheidung des Rates der Europäischen Union als Diffamierung. Die Organisation sieht die Aufnahme in die EU-Terrorliste darin begründet, dass sie in der Vergangenheit die Öffentlichkeit auf die Morde des türkischen Staates aufmerksam gemacht habe. Durch die Aufnahme in die EU-Terrorliste werde die DHKC die Staaten der Europäischen Union als "Folterer" und "Mordgehilfen" mitverantwortlich machen. 3.5 "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) (früher: "Arbeiterpartei Kurdistans" - PKK -) Gründung als PKK: 1978 (in der Türkei) durch Abdullah ÖCALAN, der trotz seiner Inhaftierung in der Türkei weiterhin als Generalvorsitzender fungiert Umbenennung in KADEK: 4. April 2002 (Grenzgebiet Iran/Irak) Leitung in Europa/Deutschland: Führungsfunktionäre der "Kurdischen demokratischen Volksunion" (YDK) 36 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 3. Mai 2002 (2002/334/EG). - 74 - Mitglieder (Bund): ca. 11.500 Mitglieder (Rheinland-Pfalz): ca. 450 Betätigungsverbot in Deutschland seit 26. November 1993 Die 1978 in der Türkei als marxistisch-leninistische Kaderpartei gegründete PKK - im April 2002 umbenannt in KADEK (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan) -, ist mit ca. 12.000 Mitgliedern/Aktivisten die größte und aktivste extremistische Kurdenorganisation in Deutschland. Auf Grund militanter Anschlagsserien und Demonstrationen besteht gegen sie und weitere Teilund Nebenorganisationen seit 1993 ein Betätigungsverbot. Mit dem Ziel, einen unabhängigen Kurdenstaat zu errichten, führte die PKK - vornehmlich im Südosten der Türkei - lange Jahre einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär. Im Sommer 1999 änderte die PKK ihre politischen Ziele grundlegend. Nach Vorgabe ihres Vordenkers und Führers Abdullah ÖCALAN erklärte sie ihren bewaffneten Kampf für beendet, zog nach und nach ihre Guerilla-Einheiten aus der Türkei ab und verlegte sie in den benachbarten Nord-Irak. Gleichzeitig kündigte sie an, sich als legale politische Kraft zu organisieren und fortan mit friedlichen und demokratischen Mitteln - möglichst im Einvernehmen mit dem türkischen Staat - lediglich noch eine kulturelle Autonomie der Kurden anzustreben. Seit dem verkündeten politischen Kurswechsel sind Anschläge und sonstige Gewalttaten der PKK im Bundesgebiet ausgeblieben. Lediglich im Rahmen von Disziplinierungsmaßnahmen innerhalb der eigenen Reihen kam es vereinzelt noch zu gewalttätigen Übergriffen. Der in der Türkei inhaftierte PKK-Vorsitzende ÖCALAN gilt nach wie vor in weiten Teilen der kurdischen Bevölkerung als nationale Führungspersönlichkeit. Sein Schicksal und die Lösung des Kurdenproblems werden eng miteinander verbunden. Seine gewaltsame Verschleppung am 15. Febru- - 75 - ar 1999 aus Kenia und die anschließende Verhängung der Todesstrafe durch ein türkisches Gericht waren - insbesondere auch in Deutschland - immer wieder Ursache für demonstrative Aktionen seiner Anhänger gegen eine drohende Hinrichtung. Auf ihrem in der Zeit vom 4. bis 10. April 2002 durchgeführten 8. Parteikongress im iranisch-irakischen Grenzgebiet setzte die PKK ein deutliches Zeichen zur konsequenten Fortsetzung ihres friedenspolitischen Kurses. Sie beschloss, nicht zuletzt um sich endgültig von der mit ihrem Namen verbundenen terroristischen Vergangenheit zu lösen, ab sofort alle Aktivitäten in ihrem Namen einzustellen. Stattdessen wurde als legitime und einzige Nachfolgeorganisation der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) ins Leben gerufen, dessen Struktur, Aufgaben und Ziele in einer neuen Satzung und einem neuen Programm vorgestellt wurden. Der KADEK - so heißt es in der Abschlusserklärung zum 8. Parteikongress - halte es u.a. für richtig, im Zuge einer demokratischen Lösung "jegliche Art von militärischer Auseinandersetzung zu beenden". Um den Erfolg dieser Lösung zu gewährleisten, sei jedoch der Ausbau einer Guerilla als "legitime Selbstverteidigungsposition" notwendig. Der KADEK werde sich zur Erreichung seiner Ziele aktiv am "Kurdischen Nationalkongress", der bisher von der PKK dominiert war, beteiligen. Er fordere die vollständige Abschaffung der Todesstrafe sowie das Recht auf muttersprachlichen Unterricht und die freie politische Betätigung. Mit der Umbenennung von PKK in KADEK sind sowohl programmatisch, strukturell als auch personell keine wesentlichen Veränderungen eingetreten. Das bisherige konspirative Funktionärsnetz sowie die alten militärischen Strukturen sind weitestgehend erhalten geblieben. Letztere dienen - auch wenn dem bewaffneten Kampf offiziell abgeschworen wurde - nicht nur als Ausdruck einer so genannten legitimen Selbstverteidigungsposi- - 76 - tion, sondern können selbstverständlich auch offensiv eingesetzt werden; im Verlaufe des Jahres 2002 wurden sie zunehmend als Drohpotential verwendet. Durch den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 2. Mai 2002 wurde die PKK in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. Dies traf die Organisation in einer Phase, in der sie sich verstärkt darum bemühte, ihr terroristisches Image abzulegen und glaubhaft ihren friedlichen politischen Wandel nach außen hin zu dokumentieren. Die Kennzeichnung als terroristische Organisation wurde von ihr als Akt der politischen Ungerechtigkeit empfunden. Das KADEK-Präsidialratsmitglied Osman ÖCALAN sprach in diesem Zusammenhang im kurdischen Fernsehsender "MEDYA-TV" von einer durch die EU verschuldeten möglichen "neuen Kriegsphase", die "das Blut von Hunderttausenden kosten wird". Im Rahmen einer europaweiten Kampagne des KADEK unter dem Motto "Ich will Gerechtigkeit" demonstrierte seine Anhängerschaft in mehreren deutschen Städten gegen die PKK-Aufnahme in die "Terror-Liste". Vor dem Hintergrund einer drohenden Intervention der USA im Irak und einer möglichen Beteiligung der Türkei an einer solchen Invasion hat der KADEK Mitte September 2002 mehrere Gebiete im Nordirak zum Schutz seiner eigenen Verteidigungseinheiten und zum Erhalt von "Freiheit und Demokratie" der dort lebenden Kurden und "Brüdervölker" zu "MEDYAVerteidigungszonen" erklärt. Am 3. Oktober 2002 wurde die im Jahre 1999 wegen Hochverrats verhängte Todesstrafe gegen den KADEK-Vorsitzenden ÖCALAN in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Diese Entscheidung des türkischen Staates wurde vom KADEK zwar mit Erleichterung aufgenommen, jedoch nicht für ausreichend gehalten. Der Türkei wurde vorgeworfen, mit - 77 - der Aufhebung des Todesurteils ÖCALANs seine Haftbedingungen noch verschärft zu haben. Der KADEK hat deshalb von der Türkei ultimativ deutliche Verbesserungen der Haftbedingungen und den Erlass einer Generalamnestie für inhaftierte Parlamentarier und Guerillakämpfer gefordert. Andernfalls sei eine erneute bewaffnete Konfrontation nicht auszuschließen. Mitte Dezember 2002 startete der KADEK eine europaweite Kampagne gegen die "Isolationshaft" von Abdullah ÖCALAN. Enttäuscht reagierte der KADEK auf das Ergebnis der türkischen Parlamentswahl am 3. November 2002, bei der die von ihm mit einer europaweiten Wahlund Mobilisierungskampagne unterstützte prokurdische "Demokratische Volkspartei" (DEHAP) den Einzug ins Parlament verpasste. Der neuen türkischen Regierung setzte der KADEK eine Frist von sechs Monaten, binnen derer Maßnahmen zur Lösung des Kurdenproblems und zur Gestaltung des Demokratieprozesses in der Türkei erfolgen müssten. Bei Nichterfüllung drohte er zum wiederholten Male mit Krieg. Auf das von der Regierung nach der Wahl veröffentlichte "Dringlichkeitsprogramm", in dem mit keinem Wort auf die kurdischen Belange eingegangen wird, reagierte der KADEK mit einer 21 Punkte umfassenden "eiligen Verlautbarung zur Problemlösung", um nachhaltig auf die Probleme des kurdischen Volkes aufmerksam zu machen. Der KADEK kann nach wie vor auf eine feste Anhängerschaft und eine - zum Teil illegale - Organisationsstruktur zurückgreifen, die in Europa und auch in Deutschland von der "Kurdischen Demokratischen Volksunion" (YDK) gesteuert wird. Die Leitung der in so genannte Gebiete und Teilgebiete aufgegliederten Aktionsbereiche erfolgt durch konspirativ tätige Funktionäre mit der Aufgabe, Direktiven des Präsidialrats (KADEKLeitungsgremium) an die Basis weiterzuleiten und dort umzusetzen. - 78 - Daneben kann sich der KADEK in Deutschland auf mehrere Massenorganisationen sowie auf zahlreiche ihm nahestehende örtliche kurdische Kulturvereine stützen. Seine Aktivitäten finanziert der KADEK insbesondere durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Publikationen, Einnahmen bei Veranstaltungen und regelmäßig zum Jahresende durchgeführte bundesweite Spendenkampagnen. Letztere dienen seit dem politischen Kurswechsel der Umsetzung und des weiteren Aufbaus der begonnenen demokratischen Friedensinitiative sowie der Aufrechterhaltung der im Krisengebiet stationierten "Volksverteidigungseinheiten". Wichtige Propagandainstrumente des KADEK sind der kurdische Fernsehsender "MEDYA-TV", der aus dem Ausland her über Satellit sendet, und die türkisch sprachige Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik), in der regelmäßig Verlautbarungen von Mitgliedern des KADEK-Präsidialrats und Hinweise zu KADEK-Veranstaltungen veröffentlicht werden. PKK/KADEK hat im Berichtszeitraum erneut eine hohe Mobilisierungsfähigkeit bei verschiedenen Propagandaveranstaltungen unter Beweis gestellt: 23. März 2002: Europaweite Veranstaltung in Düsseldorf unter dem Motto "Newroz - Fest des Friedens, der Freiheit und der Völkerverständigung" mit annähernd 40.000 zumeist kurdischen Volkszugehörigen aus Deutschland und den angrenzenden Staaten, darunter auch ca. 500 Angehörige des PKK-Spektrums aus Ludwigshafen und Worms. Vereinzelt wurden PKK-Embleme und Plakate mit ÖCALAN-Bildern gezeigt sowie Parolen wie "Hoch lebe Apo, hoch lebe Kurdistan" gerufen. - 79 - 7. September 2002: "10. Internationales Kurdistan-Kulturfestival" in der "Schalke-Arena" in Gelsenkirchen mit etwa 45.000 überwiegend kurdischen Teilnehmern aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland, darunter ca. 150 KADEK-Anhänger aus Ludwigshafen. Die Veranstaltung, in der u.a. der lange Kampf der Kurden für die Anerkennung ihrer politischen Identität hervorgehoben wurde, verlief friedlich. Zahlreiche Teilnehmer brachten ihre Sympathien für den KADEK mit entsprechenden Fahnen und Portraits von Abdullah ÖCALAN offen zum Ausdruck. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz gibt es etwa 450 PKK/KADEK-Angehörige und Sympathisanten, die vorwiegend im Rhein-Neckar-Raum (Ludwigshafen, Worms), im Rhein-Main-Gebiet (Mainz, Bingen, Bad Kreuznach) und im Großraum Bonn (u.a. Koblenz und Umgebung) aktiv sind. Anlaufbzw. Aktionszentren sind die beiden KADEK-nahen kurdischen Kulturvereine in Ludwigshafen und Mainz. Am 28. Februar 2002 wurde u.a. das "MEDYA-Kulturund Kunstzentrum" in Mainz wegen Verdachts der Unterstützung bzw. des Werbens ihrer Vorstandsmitglieder für die PKK von der Polizei durchsucht. Im Rahmen dieser Aktion, über die auch die "Özgür Politika" vom 1. März 2002 berichtete, kam es zeitgleich in 11 Objekten zu Durchsuchungen, darunter in 7 Wohnungen in Mainz und Bingen sowie in 4 Wohnungen in Hessen. Die Aufnahme der PKK in die EU-Liste terroristischer Organisationen führte bei der PKK/KADEK-Anhängerschaft europaweit zu friedfertigen - 80 - Protestaktionen. Im Gebiet Ludwigshafen/Mannheim kam es im Mai und Juni 2002 zu mehreren Sitzstreiks und zur Durchführung von Infoständen einschließlich Unterschriftensammlungen unter dem Motto "Ich fordere Gerechtigkeit". Zum Gedenken an die "Märtyrer des 14. Juli"37 haben Anhänger des KADEK in mehreren europäischen Ländern Veranstaltungen durchgeführt (Ausflüge, Versammlungen und Picknicks). An einer Gedenkfeier im Ludwigshafener "Kurdischen Kulturverein" nahmen am 14. Juli 2002 annähernd 200 Personen teil. Im Rahmen des Jahrestages der Aufnahme des bewaffneten Kampfes von PKK-Guerillaeinheiten (15. August 1984), an den europaweit mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen seitens der KADEK-Anhängerschaft erinnert wurde, veranstaltete das Gebiet Ludwigshafen/Mannheim am 18. August 2002 im Park von Heidelberg-Ziegelhausen ein Picknick mit 250 Teilnehmern. Der 24. Jahrestag der PKK-Gründung (27. November 1978) wurde traditionsgemäß als "Tag der nationalen Auferstehung" und "Fest der Freiheit" in den bundesweiten KADEK-nahen Vereinen gefeiert, so auch am 1. Dezember 2002 im "Kurdischen Kulturverein Ludwigshafen" mit Musik, Folkloreund Theaterdarbietungen. In einer politischen Rede wurde u.a. die Aufhebung des PKK/KADEK-Betätigungsverbots sowie der vermeintlichen Isolationshaft Abdullah ÖCALANs gefordert. 4. SPIONAGEABWEHR Hatte sich die Spionageabwehr im Jahr 2001 noch überwiegend mit proliferationsrelevanten Vorgängen und Sachverhalten mit Bezug zur Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage befassen müssen, so gewann die 37 Am 14. Juli 1982 waren in türkischen Gefängnissen mehrere PKK-Aktivisten nach einem Hungerstreik verstorben. - 81 - Gefahr durch terroristische Organisationen und ihre Vertreter 2002 zunehmend an Bedeutung. Die Entwicklung nach dem 11. September 2001 bis zu den aktuellen Terroranschlägen hat deutlich gezeigt, dass "der neue Krieg" keine Fronten und keine Sicherheitszonen im eigentlichen Sinne mehr kennt - jeder Ort der Welt kann zum Ziel werden. Es existiert keine Trennlinie mehr zwischen Krieger und Zivilist. Insofern ist Terrorkrieg nicht nur ein Kriminalfall für die Polizei, sondern findet zunehmend im Zwischenfeld von Militär und Geheimdiensten statt. Es ist zu erwarten, dass die Ereignisse weiterhin spürbare Auswirkungen auf die Spionageabwehr haben werden. Denn aus Gründen der nationalen Sicherheit oder strategisch-politischer Zielsetzungen dürfte das Informationsinteresse fremder Staaten im Hinblick auf neue Waffensysteme, politische Entwicklungen oder auch auf die Wirksamkeit von Embargomaßnahmen künftig noch anwachsen. Gleichzeitig ist eine Zunahme von Proliferationsbestrebungen zu erwarten. Biologische und chemische Waf-fen dürften hierbei die zentralen Probleme der Zukunft darstellen. Insofern beobachtete der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz wie in den vergangenen Jahren auch in besonderem Masse die Aktivitäten der Länder Iran, Irak, Syrien, Nord-Korea, Libyen und China, die sich weiterhin darum bemühen, in den Besitz vorgenannter Massenvernichtungswaffen und der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen, bzw. die zu deren Herstellung notwendigen Güter und das dazu erforderliche Wissen zu erwerben (Proliferation). Die aktuellen Eingeständnisse der Entwicklung von Atomwaffen und Trägertechnologie durch Nord-Korea bestätigen beispielhaft hier vorliegende Erkenntnisse entsprechender Beschaffungsbemühungen bei rheinland- - 82 - pfälzischen Firmen, die, soweit sie bekannt wurden, in enger Kooperation mit dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz verhindert werden konnten. Gleichzeitig sind sie Beweis dafür, dass Industrie, Handel, Wissenschaft und Forschung sowie die sich daraus ergebenden Kooperationen nach wie vor Zielrichtung solch abgetarnter Beschaffungsbemühungen sind, die häufig einer geheimdienstlichen Steuerung unterliegen, welche von den Betroffenen oft nicht erkennbar ist. Insoweit hat sich die seit Jahren zwischen der gewerblichen Wirtschaft und dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz bestehende Sicherheitspartnerschaft auch im Berichtszeitraum 2002 bewährt. Unabhängig von diesen Besorgnis erregenden Entwicklungen setzten die vorgenannten Länder im Jahr 2002 ihre Unterdrückungsmassnahmen gegenüber in Deutschland lebenden Oppositionellen mit nachrichtendienstlichen Mitteln unvermindert fort, obwohl sie von der Bundesregierung mehrfach auf die Unrechtmässigkeit solcher Aktivitäten hingewiesen wurden. Dies zeigt deutlich, dass diese Länder von dem in der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Demokratieverständnis offensichtlich noch weit entfernt sind. Russische Föderation Neben anderen europäischen Staaten ist die Bundesrepublik Deutschland nachhaltiges Aufklärungsziel der russischen Geheimdienste. Deren Mitarbeiter sind auf unterschiedlichste Art an den Legalresidenturen und Niederlassungen staatlicher russischer Firmen abgetarnt tätig und leisten neben der Unterstützung nachrichtendienstlicher Aktivitäten in der - 83 - Bundesrepublik Deutschland selbst offene und verdeckte Informationsbeschaffung für ihre Auftraggeber. Dabei erstrecken sich die Aufklärungsziele - wie auch bei anderen fremden Diensten in der Bundesrepublik Deutschland - generell auf die "klassischen" Spionagebereiche Politik, Wirtschaft und Militär. Auch teilweise gegenteilige Bekundungen und Zusammenarbeit der Dienste in bestimmten Bereichen wie z.B. Terrorismusbekämpfung und Proliferation bis hin zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität lassen insoweit keine wesentlichen Änderungen in der Zukunft erwarten. Die Geheimdienste der Russischen Föderation sind unverändert aktiv. Besonders die Auslandsaufklärungsdienste SWR38 und GRU39 sowie der Inlandsabwehrdienst FSB40 der allerdings auch eine Auslandsaufklärungskomponente vorweist, sammeln Informationen durch offene und konspirative Beschaffung sowie Aufklärung. Im Vordergrund stehen nach wie vor die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Das nationale und internationale Engagement des russischen Inlandsdienstes für Fernmeldeaufklärung (FAPSI41 im Bereich von Firmen aus der Elektronikbranche sowie auf dem Sektor Forschung und Technologie dient in erster Linie der Beschaffung des technischen Bedarfs für die Entwicklung eigener Nachrichtentechnik sowie der eigenen Fernmeldeaufklärung. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass die besondere Stellung der FAPSI zur Kontrolle der russischen Datennetze genutzt wird. Es muss davon ausgegangen werden, dass FAPSI durch den direkten Zugang zu allen Internetservern im Großraum Moskau eine weitgehende Überwachung der Internetnutzer in ganz Russland ermöglicht wird. 38 SWR - Slushba Wneschnej Raswedki (ziviler Auslandsaufklärungsdienst) 39 GRU - Glawnoje Rswedywatelnoje Uprawlenije (militärischer Auslandsnachrichtendienst) 40 FSB - Federalnaja Slushbah Besopasnosti) (föderaler Sicherheitsdienst) 41 FAPSI - Federalnoje Agenstwo Prawitelstvennoj Swjasii Informatij - 84 - Die Installierung von Verschlüsselungssystemen im Faxund Telefonverkehr zwischen deutschen und russischen Firmen bedarf der Genehmigung durch die FAPSI, wozu diese sich bisweilen einschlägiger Tarnfirmen bedient. Offensichtlich hat das breite Spektrum der russischen Geheimdienste bei der dortigen Bevölkerung eine hohe Akzeptanz gefunden. Verantwortlich dafür dürfte bei unverändert hohem Personalbestand die über die Medien regelmässig verbreitete Wertschätzung durch führende russische Politiker sein. Insbesondere nach den terroristischen Anschlägen in Moskau haben sich die dortigen Geheimdienste in den Köpfen der Bevölkerung augenscheinlich als unverzichtbare Komponenten der inneren Sicherheitsstruktur und der föderalen Aufklärungsorgane positiv festgesetzt. Von daher ist es unstreitig, dass sie durch nachrichtendienstliche Arbeit im Ausland der politischen Führung in Russland zuarbeiten sollen. Daraus ergibt sich für die deutsche Spionageabwehr einerseits z.B. bei der Terrorismusbekämpfung eine Zusammenarbeit mit russischen Diensten, andererseits allerdings die Notwendigkeit, deren Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten und geeignete Maßnahmen zum Schutz deutscher Interessen zu ergreifen. Volksrepublik China Aufgrund der rasanten wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung in China ist das Land gezwungen, zügig Anschluss insbesondere an die technologische Entwicklung der modernen Industriestaaten zu gewinnen, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Deshalb sind die chinesischen Nachrichtendienste konkret in die Beschaffung der benötigten Informationen und Produkte eingebunden. - 85 - In erster Linie sind hier das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) sowie der Nachrichtendienst der "Volksbefreiungsarmee" (MID) zu nennen. Die in Deutschland eingesetzten, an amtlichen chinesischen Vertretungen abgetarnt tätigen Mitarbeiter bauen systematisch Kontakte zu kompetenten Partnern aus allen nachrichtendienstlich interessanten Bereichen auf. Ziel ist es, über langfristige Beziehungen auf freundschaftlicher Basis an Informationen zu gelangen, die ohne diese Freundschaftsbeziehungen so nicht erhältlich wären. Leider gehören zu den Ausspähungszielen der chinesischen Dienste auch in der Bundesrepublik Deutschland lebende chinesische Oppositionelle wie z.B. Mitglieder der in China verbotenen Falun-Gong-Bewegung. Sorge bereitet in diesem Zusammenhang ein in China feststellbarer deutlicher Anstieg der Zahl halbstaatlicher und staatlicher Personalvermittlungsbüros, die auch Bundesbürger zur Rekrutierung von chinesischen Studenten nach China einladen. Damit einher gehen unverhältnismäßig hohe Gebühren für in Deutschland Studierwillige, die offensichtlich eine ergiebige Einnahmequelle für chinesische Nachrichtendienste darstellen. Ferner liegen Erkenntnisse vor, dass die Volksrepublik China sich intensiv um die Modernisierung der Ausrüstung ihrer Streitkräfte bemüht. Die Weiterentwicklung der chinesischen militärischen Technologie dürfte sich vorwiegend an den Standards westlicher Hochtechnologie orientieren. Dies ist insofern bedenklich, als die Volksrepublik China auch als Rüstungsund Proliferationslieferant für die einschlägigen kritischen Länder wie Iran, Irak, Syrien, Libyen und Nord-Korea auftritt. Hier ist die Gefahr von unkontrolliertem Technologietransfer konkret gegeben. Iran Nach vorliegenden Hinweisen baut der Iran Fähigkeiten zur Abwehr von Angriffen mit biologischen und chemischen Waffen weiter aus. Iranische - 86 - Organisationen und Firmen, die als Tarnorganisationen des Verteidigungsministeriums einzustufen sind, führten in den letzten Monaten diverse Beschaffungsvorhaben durch, die für ein offensives Massenvernichtungswaffenprogramm geeignet erscheinen. Für die Verbringung solcher chemischen Kampfstoffe werden neben konventionellen Geschossen auch entsprechende Trägerraketen verwendet. Mit großer Besorgnis wurde festgestellt, dass der Iran im Juli 2002 eine Rakete mit einer Reichweite von ca. 1.300 km erfolgreich getestet hat, die eine Nutzlastkapazität von ca. 1 Tonne hatte. Bei weiterer Perfektionierung der Trägertechnologie ist davon auszugehen, dass der Iran in entsprechenden Krisenfällen durchaus geneigt sein könnte, befreundete Staaten wie Syrien oder Libyen neben den chemischen Produkten auch mit entsprechender Technologie auszustatten. Damit wären westeuropäische Staaten, sprich NATO-Mitglieder, im Konfliktfall konkret gefährdet. Die Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland, so auch in RheinlandPfalz, gingen in erster Linie von kooptierten Mitarbeitern des iranischen Geheimdienstes VEVAG aus, die an hiesigen diplomatischen und konsularischen Vertretungen des Iran abgetarnt sind. Daneben kommt sogenannten Händler-Agenten bei der illegalen Beschaffung ausfuhrgenehmigungspflichtiger Güter nach wie vor große Bedeutung zu. Libyen Obwohl Libyen versucht sich dem Westen zu öffnen, stehen die Beschaffungsbemühungen libyscher nachrichtendienstlicher Organsationen immer noch im Vordergrund des dortigen Regimes. Die unterschiedlichen - 87 - Ausfuhrbedingungen für sensitive Güter in den verschiedenen europäischen Ländern werden von libyscher Seite rigoros ausgenutzt oder bei Bedarf auch mit Hilfe deutscher wie auch anderer europäischer Geschäftspartner umgangen. Diverse libysche Beschaffungsversuche für Vorprodukte lassen nach wie vor erkennen, dass das libysche C-Waffen-Programm unverändert weiter betrieben wird. Die festzustellende Öffnung und Zuwendung zum Westen (so die Vermittlung bei der Geiselnahme von Jolo im Jahre 2000) sowie der aktuelle Vorsitz bei der UN-Menschenrechtskommission dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor zu den Hauptaufgaben der libyschen Nachrichtenund Sicherheitsdienste gehört, in der Bundesrepublik Deutschland lebende libysche Oppositionelle, Studenten etc. zu überwachen. Irak Für zunehmende Beunruhigung sorgen die aktiven Beschaffungsbemühungen des Irak im Bereich Trägertechnologie. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass der Irak Raketen entwickelt, deren Reichweite über der ihm von den UN zu seiner eigenen Verteidigung zugestandenen Reichweite von 150 km liegt. Ferner ist bekannt, dass der Irak trotz Exportbeschränkungen durch das Missile-Technologie-Control-Regime (MTCR) weiter sowohl Flüssigals auch Festtreibstoffprogramme betreibt. Dezentrale Beschaffungsstrukturen und viele von einander unabhängig operierende Firmen unterstützen die Rüstungsprogramme. Der Irak bedient sich dabei vornehmlich eigener Beschaffungsfirmen im Ausland, vor allem im arabischen Raum. - 88 - Der Irak ist weiterhin bemüht unter Umgehung des "Oil for Food"Programms der Vereinten Nationen und durch Verstoß gegen das bestehende UN-Embargo proliferationsrelevante Güter zu beschaffen. Dabei werden Firmenkontakte zunächst mit entsprechend unproblematischen Produktanfragen hergestellt und im Zuge der weiteren Geschäftsanbahnung unvermittelt auf andere Waren erweitert, die jedoch außerhalb einer Genehmigungsfähigkeit für den Export in den Irak liegen. Hierbei werden der wahre Hintergrund des Kaufinteresses und der mögliche militärische Verwendungszweck verschleiert. In die Geschäftsanbahnungen sind nicht selten Angehörige der irakischen Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland eingebunden. Nach aktueller Einschätzung westlicher Geheimdienste hat es der Irak geschafft, trotz bestehender Embargos im Jahr 2001 Produktionsanlagen aufzubauen, in denen zumindest Vorprodukte zu C-Waffen hergestellt werden könnten. Nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes (BND) werden die bestehenden deutschen und europäischen Ausfuhrkontrollen auch dadurch unterlaufen, dass sich Beschaffungsaktionen von "Dual-Use-Gütern" zunehmend auf nicht zur EU gehörende Staaten (Schwellenund Entwicklungsländer) richten. Des weiteren findet zwischen Lieferund Empfängerstaaten ein zunehmender Wissensaustausch statt. Für die Bundesrepublik Deutschland ist die Förderung von Studenten, Stipendiaten und Doktoranden auf internationaler Ebene stets Grundsatz ihres entwicklungspolitischen Interesses. Im Laufe der kritischen Entwicklungen von Massenvernichtungswaffen weltweit war deshalb dieser wissenschaftliche Aspekt zunehmend in den Komplex der Ausfuhrkontrolle mit einzubeziehen. Ein vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle am 15. September 2002 veröffentlichtes Merkblatt zum Wissenstransfers42 unterstreicht die zunehmende Bedeutung dieses Bereiches. 42 Merkblatt über Unterrichtungsund Genehmigungspflichten bei technischer Unterstützung. Wissenstransfer bei der Zusammenarbeit mit Personen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. - 89 - Festzustellen bleibt, dass die seit 1992 greifenden ausfuhrrechtlichen Bestimmungen und Sensibilisierungsmaßnahmen der Verfassungsschutzbehörden erfolgreich waren. Obwohl die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA keinen unmittelbaren Bezug zu irakischen Stellen ergeben haben, hat dieses Ereignis doch bei manchen Wirtschaftsunternehmen zu einer noch tiefer gehenden Sensibilität gegenüber kritischen Exporten insgesamt geführt. Im weiteren wurde dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz bekannt, dass irakische Stellen im Berichtszeitraum versuchten, Visa zur Einreise irakischer Staatsangehöriger zu erschleichen. Dazu verwendeten sie den retuschierten Vordruck einer rheinland-pfälzischen Ausländerbehörde, den sie als "Blanko-Formular" bundesweit an Firmen versandten mit dem Ziel, dass diese Firmen angebliche zukünftige Geschäftspartner zu Besuchsreisen in die Schengenstaaten einladen sollten. Die einzuladenden Personen waren den Firmen in der Regel nicht bekannt. Syrien Die syrischen Auslandsnachrichtendienste unterhalten nach wie vor stark besetzte Legalresidenturen an den offiziellen und halboffiziellen Vertretungen ihres Landes in Deutschland. Die dort unter diplomatischer Abdeckung tätigen Nachrichtendienstoffiziere setzten auch im Berichtsjahr ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten unvermindert fort. Neben der klassischen Spionage besteht ihre Hauptaufgabe im wesentlichen in der Aufklärung, Ausforschung und Überwachung von in Deutschland lebenden syrischen Oppositionellen. Ziel der geheimdienstlichen Aktivitäten ist dabei die Neutralisierung der oppositionellen Syrer in Deutschland. Die so gewonnenen Informationen - 90 - bilden im Heimatland Syrien häufig die Grundlage für die Aufnahme in so genannte schwarze Listen, über die eine lückenlose Überwachung dieser Personen bei der Einreise in Syrien sichergestellt wird. Bei diesen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland spielen die Vertreter der hier agierenden syrischen Baath-Partei eine bedeutsame Rolle. Ein im Dezember 2001 in Mainz festgenommener Student, Leiter der entsprechenden Baath-Partei-Zelle, soll versucht haben, Studenten aus Mainz, Bonn, Marburg und Hildesheim für den syrischen Geheimdienst zu werben. Ferner soll er in Deutschland lebende syrische Oppositionelle ausgespäht haben. Mehrere dieser Betroffenen seien auf Nahostreisen vom syrischen Geheimdienst angesprochen worden, um sie für eine geheimdienstliche Mitarbeit für den syrischen Auslandsgeheimdienst zu verpflichten. Gegen ihn und einen Mitarbeiter der syrischen Botschaft wurde daher ein Verfahren u.a. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß SS 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB beim Oberlandesgericht Koblenz eingeleitet. Die Angeschuldigten wurden u.a. angeklagt, in 12 rechtlich selbstständigen Fällen bzw. in 7 rechtlich selbstständigen Fällen einen Anderen durch eine Anzeige oder eine Verdächtigung der Gefahr ausgesetzt zu haben, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewaltoder Willkürmaßnahmen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, der Freiheit beraubt oder in seiner beruflichen oder wirtschaftlichen Stellung empfindlich beeinträchtigt zu werden: Wie eng die Arbeit der Spionageabwehr mit der internationalen Bekämpfung des Terrorismus verknüpft ist, wird gerade an diesem Beispiel deutlich. Vorgenanntes Strafverfahren wurde am Tage der Anklageerhebung aus übergeordneten politischen Gründen auf Betreiben der Bundesregierung - 91 - eingestellt. Die Einstellung erfolgte nach SS 153d StPO, wonach ansonsten ein schwerer politischer Nachteil für die Bundesrepublik Deutschland zu befürchten sei. Hintergrund hierfür ist die Tatsache, dass Syrien nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA als Teil der weltweiten Antiterrorkoalition mit westlichen Geheimdiensten kooperiert. Ungeachtet dessen wird es weiterhin Aufgabe des Verfassungsschutzes sein zu beobachten, ob syrische Nachrichtendienste trotzdem ihre Ausspähungsaktivitäten in Rheinland-Pfalz fortsetzen. Nord-Korea Nord-Korea unterhält zahlreiche Nachrichtendienste, die der kommunistischen Partei, den Volksstreitkräften oder dem "geliebten General" KIM JONG IL direkt unterstellt sind. An der Interessenvertretung in Berlin, der personell am stärksten besetzten Vertretung Nord-Koreas in Europa, werden auch Legalresidenturen unterhalten. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich vorwiegend auf den personellen und materiellen Schutz der Interessenvertretung und der Niederlassungen nord-koreanischer Organisationen in Deutschland, auf die Überwachung und Unterwanderung von nordkoreanischen Dissidenten-Organisationen in Deutschland sowie auf die Beschaffung von sensitiven bzw. proliferationsrelevanten Gütern. Insofern liegt das Augenmerk der Beobachtung nord-koreanischer Aktivitäten insbesondere darin, die Weiterverbreitung (Proliferation) von nichtkonventionellen Rüstungsgütern zu verhindern. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, dass nord-koreanische Stellen auch in Rheinland-Pfalz versucht haben, sensitive Technik und Güter zu beschaffen, die zur Fortschreibung des nord-koreanischen TrägertechnologieProgramms bedeutsam gewesen wären. - 92 - Letztlich konnte auch hier durch erfolgreiche Kooperation zwischen dem rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz und den betroffenen Firmen eine trickreich eingefädelte Umwegbeschaffung über mehrere Lieferländer und Tarnfirmen schon im Vorfeld verhindert werden. Dieser Vorfall machte neben dem damit einhergehenden Erkenntnisgewinn auch deutlich, dass es offensichtlich parallele Beschaffungsstrukturen zwischen iranischen und nord-koreanischen Stellen für vorgenannte Beschaffungsmaßnahmen gab. Im Unterschied zu anderen kritischen Ländern lag den nord-koreanischen Beschaffungsversuchen eine besonders aggressive Vorgehensweise mit entsprechenden Einschüchterungsversuchen der deutschen Geschäftspartner zu Grunde. Zu den Themenkomplexen Spionage, Wirtschaftsspionage, Proliferation und Wissenstransfer bietet der Verfassungsschutz Informationen an, die auch im Internet unter www.verfassungsschutz.rlp.de abgerufen werden können. Er bietet darüber hinaus Interessenten auch künftig Sensibilisierungsund Sicherheitsgespräche an. Als Kontakttelefonnummer dient der Anschluss Mainz 06131/16-3772 oder 16-3773 oder Fax 06131/16-3688. 5. GEHEIMSCHUTZ / SABOTAGESCHUTZ Geheimschutz ist vorbeugende Abwehr von Spionage, sowohl im öffentlichen als auch im nicht öffentlichen Bereich. Den staatlichen Verschlusssachen (VS) und privaten (Betriebs-) Geheimnissen droht Gefahr durch die damit befassten Personen, die unbeabsichtigt oder, aus unterschiedlichster Motivation, vorsätzlich Verrat üben. Größere Gefahr droht aber durch Gleichgültigkeit und mangelnde Vorsicht beim Umgang mit VS, die - 93 - oft durch Unkenntnis möglicher Angriffe der Gegenseite entstehen oder gefördert werden, insbesondere durch gleichgültigen Gebrauch der modernen Technik, vor allem der Informationsund Kommunikationstechnik. Dabei sind "Gegner" heute nicht mehr nur fremde Nachrichtendienste; auch Extremisten und Terroristen haben durchaus Interesse und auch Verwendung für die Kenntnis staatlicher oder betrieblicher Geheimnisse. Trotz übereinstimmender Ziele und weitgehend gleicher Verfahren wird zwischen "staatlichem Geheimschutz" und dem "Geheimschutz in der Wirtschaft" unterschieden. Ebenso wird nach personellem Geheimschutz und materiellem Geheimschutz differenziert, der Geheimschutz insgesamt kann jedoch nur im Zusammenwirken beider Säulen gewährleistet werden. Personeller und materieller Geheimschutz sind der Verfassungsschutzbehörde als gesetzliche Mitwirkungsaufgabe übertragen. Originär zuständige Stelle und damit Ansprechpartner der Verfassungsschutzbehörde sind die Geheimschutzbeauftragten der Behörden bzw. die Sicherheitsbeauftragten von Unternehmen. Sie wurden auch im Berichtszeitraum sowohl durch Schulungen und VS-Beratungen, im direkten Kontakt und auf Fachtagungen, als auch durch Broschüren informiert. Personeller Geheimschutz Der staatliche personelle Geheimschutz wirkt dem Geheimnisverrat durch Personen entgegen, die in Behörden Zugang zu staatlichen Verschlusssachen (VS) haben oder erhalten sollen. Sie werden einer Sicherheitsüberprüfung (SÜ) unterzogen. Die SÜ ist das zentrale Instrument des personellen Geheimschutzes. Damit soll nach den Bestimmungen des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes (LSÜG)43, mit den dort darge43 Vgl. LSÜG vom 8. März 2000 (GVBl. 2000, S. 70), geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 8. Mai 2002 (GVBl. 2000, S. 177) und durch Art. 3 des Gesetzes vom 16. Dezember 2002 (GVBl. 2002, S. 477). - 94 - stellten Maßnahmen (und nur mit diesen!) festgestellt werden, ob die betroffene Person nach ihrem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass sie mit den ihr anvertrauten VS sachgerecht umgehen wird. Oder ob tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass dies eher zweifelhaft ist. Gleiches geschieht in Wirtschaftsunternehmen, die mit VS umgehen und deshalb der staatlichen Geheimschutzbetreuung unterliegen. Neben dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz ist hier das "Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft" (Geheimschutzhandbuch) Grundlage der Maßnahmen, zu dessen Anwendung alle beteiligten Unternehmen sich freiwillig verpflichten. Das Ergebnis der SÜ übermittelt die Verfassungsschutzbehörde der zuständigen Stelle als "Sicherheitsvotum". Dieser dient es als Entscheidungshilfe, ob die betroffene Person mit der vorgesehenen Aufgabe betraut werden kann. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz fördert den wirkungsvollen Schutz der VS durch technische Einrichtungen. Dazu braucht es konzeptionell aufeinander abgestimmte bauliche, technische, organisatorische und auch personelle Maßnahmen, ein so genanntes Sicherheitskonzept. Behörden und Unternehmen werden auf ihr Ersuchen hin vom Verfassungsschutz über mögliche Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet und individuell beraten - vom sachgerechten Aktenvernichter über eine geeignete Alarmanlage und die Gestaltung abhörsicherer Besprechungsräume bis zur Planung kompletter Sicherheitsbereiche. Damit dies überall im Lande in gleicher Qualität geschehen kann, dienen für den öffentlichen Bereich die Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes mit ihren ergänzenden Richtlinien, im nicht öffentlichen Bereich das Geheimschutzhandbuch als Arbeitsgrundlage. - 95 - Vorbeugender personeller Sabotageschutz In Folge der Anschläge vom 11. September 2001 wurde mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz der vorbeugende personelle Sabotageschutz in das Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes eingeführt. Das entsprechende Änderungen des Landesgesetzes44 sind am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Danach ist einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, wer an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist oder beschäftigt werden soll. Auch hier kann die Verfassungsschutzbehörde nur auf Antrag der zuständigen Stelle tätig werden. Damit wird der Sabotage durch so genannte Innentäter vorgebeugt. Zur Anwendung dieses Gesetzes sind neue Verwaltungsvorschriften erforderlich, die die lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen angemessen konkretisieren und hinreichend klar bestimmen, welcher Personenkreis sicherheitsüberprüft werden soll, damit dem Übermaßverbot Rechnung getragen wird. Diese Verwaltungsvorschriften werden zwischen Bund und Ländern abgestimmt, damit eine einheitliche Gewährleistung der Sicherheit erreicht wird. Lebenswichtig sind nach dem Gesetz solche Einrichtungen, deren Beeinträchtigung auf Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. 44 Vgl. Landessicherheitsüberprüfungsgesetz vom 8. März 2000 (GVBl. 2000, S. 70), geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 8. Mai 2002 (GVBl. 2000, S. 177) und durch Art. 3 des Gesetzes vom 16. Dezember 2002 (GVBl. 2002, S. 477). - 96 - Verteidigungswichtig sind solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung wegen fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähigkeit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der zivilen Verteidigung, oder die auf Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden können. Sicherheitsempfindliche Stelle ist dabei die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche Gefahr für die zuvor genannten Schutzgüter ausgeht. Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz wird künftig bei der Umsetzung dieses vorbeugenden personellen Sabotageschutzes aller Voraussicht nach mit bis zu mehreren Hundert Sicherheitsüberprüfungen befasst werden. Weiterhin unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden bei einer Vielzahl dort zu erfüllender Aufgaben. Diese Aufgabenbereiche haben ihn im vergangenen Jahr in erheblichem Umfang gefordert. So mussten z.B. seit den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 bis Ende 2002 über 18.000 Anfragen zu Einbürgerungsbewerbern im Lande beantwortet werden. Durch die aufstrebende Entwicklung des Flughafens Hahn waren im Jahr 2002 mehr als 2000 Anfragen der Luftfahrtbehörde im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen zu erledigen. - 97 - C. Kurzdarstellungen von verfassungsfeindlichen Organisationen, die im Berichtszeitraum in RheinlandPfalz besonders in Erscheinung getreten sind oder überregionale Bedeutung haben 1. RECHTSEXTREMISMUS 1.1 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) Die 1979 gegründete HNG ist der mitgliederstärkste Zusammenschluss deutscher Neonazis. 1. Vorsitzende ist nach wie vor die Aktivistin Ursula MÜLLER aus Mainz-Gonsenheim45. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Curt MÜLLER gehörte sie bereits Anfang der achtziger Jahre zu den führenden HNG-Aktivisten. Die HNG - mit bundesweit rund 600 Mitgliedern - versteht sich als Sammelbecken für Neonazis aller Richtungen und dient im Rahmen ihrer Gefangenenbetreuung als zentrale Kontaktstelle für Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland. Ihre "Gefangenenhilfe" sieht die HNG weniger in der materiellen als vielmehr in der ideologischen Unterstützung inhaftierter Gesinnungsgenossen mit dem Ziel, diese in der rechtsextremistischen Szene zu halten. Auch im Jahre 2002 gingen von der HNG keine bemerkenswerten Aktivitäten aus; neben der jährlichen Mitgliederversammlung verteilte sie in rechtsextremistischen Kreisen ihre Publikation "Nachrichten der HNG". 1.2 "Militärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" ehemals: "Der Stahlhelm - Landesverband Pfalz e.V." Der 1970 gegründete "Stahlhelm - Landesverband Pfalz e.V." wurde im März 2002 aufgelöst und die Eintragung im Vereinsregister gelöscht. Die Vereinigung besteht jedoch unter der neuen Bezeichnung "Militärhistorischer Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" fort. Auch unter dieser Bezeichnung wurden im Jahr 2002 überwiegend nichtöffentliche Treffen, so genannte Appelle, durchgeführt. "Landesführer" ist nach wie vor HansJürgen H. aus Pleisweiler-Oberhofen (Kreis Südliche Weinstraße). Der "Militärhistorische Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" unterhält enge Verbindungen zu dem "Stahlhelm - Landesverband Flandern" (Belgien). Es finden gegenseitige Besuche der belgischen und deutschen "StahlhelmMitglieder" statt. Der "Militärhistorische Verein Pfalz - Stahlhelm 1918" 45 Das Anwesen der Eheleute Ursula und Curt MÜLLER in Mainz-Gonsenheim war bis Mitte 1993 von überregionaler Bedeutung. An den "Sonnwend"und "Hitlergeburtstagsfeiern" beteiligten sich in der Vergangenheit teilweise bis zu 350 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland. Seit dem Verbot der "Sommersonn-wendfeier" vom 17. Juni 1993 haben keine derartigen Neonazi-Treffen mehr stattgefunden. - 98 - steht in keinem personellen und organisatorischen Zusammenhang mit der bereits am 18. März 1966 durch den rheinland-pfälzischen Innenminister verbotenen "Ortsgruppe Bad Bergzabern des Stahlhelm e.V. - Bund der Frontsoldaten". 1.3 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." Die 1951 gegründete germanisch-heidnische "Artgemeinschaft" wird seit 1988 von dem Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER geleitet. Sie will als Glaubensbund "der Bewahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung der Kultur der nordeuropäischen Menschenart" dienen und an die Wertvorstellungen der heidnischen Vorfahren anknüpfen. Die dem Verein zugehörige "Gefährtschaft Pfalz" entwickelte 2002 nur wenige Aktivitäten. Publikationsorgan: "Nordische Zeitung" (NZ) 1.4 Revisionisten Die Revisionisten versuchen, die Geschichte des "Dritten Reiches" und des Zweiten Weltkrieges in ihrem Sinne umzuschreiben. Sie beschönigen die Zeit des Nationalsozialismus, stellen die deutsche Alleinschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Frage und relativieren deutsche Kriegsverbrechen. Sie leugnen die Ermordung Millionen europäischer Juden in den Konzentrationslagern (sog. Auschwitz-Lüge). Dabei bedienen sie sich pseudowissenschaftlicher Gutachten und versuchen zumeist, sich nach außen seriös zu geben. 1.5 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Schwerpunkte der öffentlichkeitswirksamen Parteiaktivitäten waren im Jahr 2002 die Teilnahme an der Bundestagswahl am 22. September 2002, Demonstrationen gegen die Wanderausstellung "Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskrieges" am 2. Februar in Bielefeld und am 8. Juni 2002 in Leipzig sowie das "Deutsche Stimme-Pressefest" am 3. August 2002 in Königslutter bei Hannover. Der Mitgliederstand reduzierte sich gegenüber 2001 auf ca. 6.100 Parteiangehörige. Ebenfalls hat sich die Mitgliederzahl der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) auf nunmehr ca. 450 Personen reduziert. Auch in Rheinland-Pfalz ist die Anzahl der Parteimitglieder gegenüber 2001 auf ca. 200 zurückgegangen. Die Zahl der Mitglieder der JN liegt konstant bei über 30 Personen. Publikationsorgan: "Deutsche Stimme" Auflage monatlich ca. 10.000 Exemplare - 99 - 1.6 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die von dem Münchener Verleger Dr. Gerhard FREY im Jahre 1987 gegründete Partei DVU ist mit ca. 13.000 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Organisation in Deutschland. Auch der DVU-Landesverband Rheinland-Pfalz stellt mit ca. 650 Mitgliedern nach wie vor die stärkste rechtsextremistische Personenvereinigung im Lande dar. Publikationsorgan: - "National-Zeitung" (NZ) Auflage wöchentlich: ca. 44.000 Exemplare 1.7 Partei "Die Republikaner" (REP) Den REP gelang es auch im Jahr 2002 nicht, die negative Mitgliederentwicklung zu stoppen. Zum Jahresende lag die Mitgliederzahl bei ca. 9.000 (2001: ca. 11.500). Der Landesverband Rheinland-Pfalz verfügt über ca. 600 Mitglieder (2001: ca. 650). Publikationsorgan: "DER REPUBLIKANER" Auflage monatlich: ca. 12.000 Exemplare 1.8 "Deutsche Liga für Volk und Heimat e.V." (DLVH e.V.) Die DLVH wurde 1991 als Partei gegründet. Sie hat nach Aufgabe ihres Parteienstatus im Oktober 1996 und Umwandlung in einen Verein weiter an Bedeutung verloren. Ihr Ziel, die Parteienzersplitterung im rechtsextremistischen Lager zu überwinden bzw. "Gleichgesinnte über Parteiund Vereinsgrenzen hinweg zusammenzubringen" konnte sie bislang nicht erreichen. Eine gewisse Bedeutung hatte die DLVH zwar mit ihren Bündnisbemühungen und die damit verbundene Initiierung von "Runden Tischen" erlangt; das Konzept für eine Vereinigung der rechtsextremistischen Parteien scheiterte jedoch auch 2002 wieder. Sprachrohr: - "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" Herausgeber Peter DEHOUST Auflage monatlich; gelegentlich zweimonatlich: ca. 14.500 Exemplare Sprachrohr: - "Signal" Herausgeber Manfred ROUHS Auflage vierteljährlich: ca. 5.000 Exemplare - 100 - 1.9 "Neue Rechte" Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine geistige Strömung innerhalb des rechtsextremistischen Ideologiespektrums, bei der es sich weder um eine einheitliche Bewegung noch um eine Organisation handelt. Der Begriff steht für eine diffuse Interessengemeinschaft "rechter" Theoretiker und ihrer Anhänger. Die Ende der 60er Jahre in Frankreich um den Publizisten Alain de Benoist entstandene Theoriebewegung der "Nouvelle Droite" hatte für viele Vorbildfunktion. Die Vertreter der "Neuen Rechten" lassen eine deutliche Distanz zu der freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland erkennen. Sie verschleiern ihre antidemokratischen sowie rassistisch geprägten Thesen in so subtiler Weise, dass diese für den neutralen Betrachter häufig nur schwer erkennbar sind. Sie setzen darauf, damit in den Diskurs der Demokraten einzudringen und ihn letztlich beeinflussen zu können. Folgende Publikationen werden der "Neuen Rechten" u.a. zugeordnet: - "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" - "Signal - Das patriotische Magazin" 1.10 "Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft" (BDVG) Die BDVG wurde nach eigenen Angaben am 5. Juni 1999 als "Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft" gegründet. Über das Internet wurde am 27. Juni 2000 bekannt gegeben, dass man sich in "Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft e.V." umbenannt habe. Seit Oktober 2002 werden Aufkleber, Flugblätter und E-Mails einer Vereinigung "Junge Deutsche - Bundesweite Aktion" insbesondere an Schülervertretungen verteilt, so u.a.in Ludwigshafen und in Speyer. Nach eigenen Angaben handelt es sich dabei um eine bundesweite Aktion, die in Zukunft noch ausgeweitet werden soll. Am 23. November 2002 veranstaltete die "Junge Deutsche - Bundesweite Aktion" einen Rednerabend in Ludwigshafen mit dem bekannten Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard SCHAUB zu dem Thema: "Volksstaat oder Weltregierung?". Nach vorliegenden Informationen hat die BDVG die Bezeichnung "Junge Deutsche" nach Auflösung eines gleichlautenden Vereins offensichtlich übernommen und verwendet ihn für ihre Zwecke. 1.11 "Nationaldemokaratischer Hochschulbund" (NHB) Die NPD-Nebenorganisation "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) versteht sich als einzige "nationalistische fundamentaloppositionel- - 101 - le Studentenund Akademikerorganisation Deutschlands", ist an Hochschulen und Universitäten jedoch kaum vertreten. Bundesvorsitzender ist seit Oktober 2000 der rheinland-pfälzische NPD-Landesvorsitzende Martin LAUS (Kaiserslautern). 1.12 "Deutsche Akademie" Die "Deutsche Akademie" ist eine gemeinsame Bildungsinitiative des NHB sowie der rechtsextremistischen Organisationen "Bündnis rechts Lübeck", "Bürgerbewegung für unser Land", "Deutsches Kolleg", Krefelder Forum Freies Deutschland", "Thule Seminar" und "Werkstatt Neues Deutschland". Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, unter Betonung der "Reichs-idee" Alternativen zum System der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln. Zur Vertiefung dieses Themenkomplexes finden regelmäßig Seminare und Vortragsveranstaltungen statt. In Rheinland-Pfalz verfügt die "Deutsche Akademie" über eine eigene Postfachadresse in Kaiserslautern. 1.13 "Anti-Antifa" Ein weiteres verbindendes Element innerhalb der Neonaziszene geht von der so genannten Anti-Antifa-Arbeit aus. Sie dient u.a. der "Entlarvung" politischer Gegner, um diese durch Veröffentlichung ihrer Personaldaten sowie der von ihnen genutzten Einrichtungen zumindest einzuschüchtern und an der Durchführung "antifaschistischer Aktionen" zu hindern bzw. von entsprechenden Aktivitäten abzuhalten. Das Internet dient hierzu zunehmend als Kommunkationsplattform. 1.14 "Kameradschaft VG Heßheim" Die "Kameradschaft VG Heßheim" aus Frankenthal wurde Mitte 2002 u.a. durch ihre Internetaktivitäten Mitte 2002 bekannt. Die etwa 10 Personen umfassende Gruppe führt regelmäßig so genannte Kameradschaftstreffen durch und ist Herausgeber der Publikation "Schlagwort VG Heßheim". Die Kameradschaft ist Betreiber der Homepages "Kameradschaft VG Heßheim" und "Schlagwort VG Heßheim". Nach eigenem Bekunden "besteht unser Anliegen ausschließlich im legalen politschen Kampf". Am 17. November 2002 (Volkstrauertag)46 wurde mehrereren Personen in Beindersheim untersagt, auf dem Friedhofsgelände einen Kranz mit der Aufschrift 46 Der Volkstrauertag ist für Rechtsextremisten ein besonderes Datum. Der vom "Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge" 1925 geschaffene Gedenktag für die Toten des Ersten Weltkrieges wurde 1934 von den Nationalsozialisten in "Heldengedenktag" umbenannt. Bundsesweit kommt es jährlich auf Friedhöfen und an Gedenkstätten zu "Kranz-niederlegungen" oder ähnlichen Aktionen durch Rechtsextremisten. - 102 - "In Gedenken an die gefallenen Helden - Kameradschaft VG Heßheim" niederzulegen. Publikationsorgan: "Schlagwort VG Heßheim" 1.15 "Nationaler Widerstand Kandel" Im Juni 2000 beteiligten sich an einem von Rechtsextremisten organisierten Fußballturnier in Scheibenhardt/Elsaß zwei Mannschaften mit den Bezeichnungen "Kandel 1" und "Kandel 2". Durch Internetaktivitäten wurde Ende 2001 ein so genannter Nationaler Widerstand Kandel, ein loser Zusammenschluß rechtsextremistischer Skinheads, bekannt. Die weniger als 10 Personen umfassende Gruppierung führt sporadische Treffen durch und ist mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. Am 17. November 2002 (Volkstrauertag)33 wurden von der Gruppe auf dem Friedhof in Annweiler (Kreis Landau) Blumen niedergelegt. Die Aktion erzielte kaum Öffentlichkeitswirkung. 1.16 "Kameradschaft Albert Leo SCHLAGETER" Im Bereich der Gemeinde Annweiler besteht seit etwas über einem Jahr eine rechtsextremistische Gruppierung mit der Bezeichnung "Kameradschaft Albert Leo Schlageter"47. Diese tritt allerdings nur selten öffentlich in Erscheinung; zumeist finden interne Zusammenkünfte statt. Kontakte seitens dieses weniger als 10 Personen umfassenden Personenkreises bestehen zu dem so genannten Nationalen Widerstand Kandel. Aktivisten aus diesem Spektrum unterhalten Kontakte in das benachbarte BadenWürttemberg. 2. LINKSEXTREMISMUS 2.3 Gewalttätiger Linksextremismus 2.3.1 Autonome Örtliche, meist lose strukturierte Zusammenschlüsse ohne einheitliches ideologisches Konzept; zumeist folgen sie diffusen anarchistischen, bisweilen auch revolutionär-marxistischen Vorstellungen. Der größte Teil der linksextremistisch motivierten Gewalttaten ging auf das Konto von Autonomen. Aktionsschwerpunkt ist der Themenbereich "Antifaschismus". Das autonome Potenzial beläuft sich bundesweit auf unter 5.000 Personen, in Rheinland-Pfalz ca. 130. 47 Der am 12. August 1894 geborene Albert Leo Schlageter wurde nach einem Anschlag auf die Bahnlinie DüsseldorfDuisburg bei Kalkum von den französischen Behörden am 8. Mai 1923 zum Tode verurteilt und am 26: Mai 1923 hingerichtet. Schlageter wurde von den Nationalsozialisten zum "Märtyrer" aufgebaut. - 103 - 2.3.2 Sonstige militante Linksextremisten 2.3.2.1 Initiative "Libertad!" Gruppierung innerhalb eines gewaltbereiten, antiimperialistisch ausgerichteten Verbundes von Linksextremisten, die zum Teil aus ehemaligen RAFnahen Strukturen stammen. Sie sieht in der Frage der "politischen Gefangenen" weltweit die Basis zum Aufbau eines internationalen Netzwerkes revolutionärer Kräfte. 2.3.3 Terroristische Gruppierungen 2.3.3.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) Terrorgruppe in den 70er, 80er und Anfang der 90er Jahre mit dem Ziel der Zerschlagung des "Imperialismus", insbesondere der Beseitigung des angeblich faschistischen und imperialistischen Staatsund Gesellschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland. Sie erklärte 1998 ihre Auflösung; seitdem sind keine Erkenntnisse mehr angefallen. 2.3.3.2 "Revolutionäre Zellen" (RZ) / "Rote Zora" Linksextremistisch-terroristische Gruppierungen, die nach dem Zellenprinzip strukturiert aus einer "legalen" Existenz operierten. Von 1973 bis 1995 verübten RZ/"Rote Zora" im Rahmen ihres "bewaffneten antiimperialistischen" und "sozialrevolutionären" Kampfes Anschläge und Gewalttaten. 1999 und 2000 kam es zu Festnahmen mehrerer Gruppenangehöriger; in Einzelfällen wurden Verurteilungen ausgesprochen, zum Teil sind die Strafverfahren noch nicht beendet. 2.4. Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 2.4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 1968 gegründet; größte orthodox-kommunistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland, etwa 4.700 Mitglieder, in Rheinland-Pfalz ca. 100; beruft sich auf die Lehren von Marx, Engels und Lenin. Zentralorgan: "Unsere Zeit" (UZ), Wochenzeitung Auflage ca. 8.000 Exemplare "Marxistische Blätter" 2-monatlich erscheinendes Theorie-Organ Auflage ca. 3.000 Exemplare - 104 - 2.4.2 "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) Nachfolgepartei der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) der früheren DDR. Das politisch-ideologische Selbstverständnis ist weiterhin von marxistischer Tradition geprägt. Die PDS duldet in der Partei offen extremistische Strukturen (u.a. "Kommunistische Plattform") und arbeitet mit deutschen und ausländischen linksextremistischen Parteien zusammen. Bundesweit ca. 78.000 Mitglieder (Rheinland-Pfalz ca. 250). Als Sprachrohr der PDS fungiert die in Berlin erscheinende Tageszeitung "Neues Deutschland". 2.4.3 Sonstige 2.4.3.1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die im Juni 1982 in Bochum gegründete MLPD bekennt sich zu den Lehren von Marx, Lenin und Mao Tse Tung; bundesweit unter 2.000 Mitglieder. Sitz des Zentralkomitees ist in Gelsenkirchen. Zentralorgan: "Rote Fahne", Wochenzeitung: Auflage ca. 7.500 Exemplare. 2.4.3.2 "Marxistische Gruppe" (MG) Die zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in Bayern aus den "Roten Zellen" entstandene MG hat sich im Mai 1991 nach eigenen Angaben aufgelöst, agiert aber weiterhin konspirativ. Seit Mitte März 1992 geben ehemalige Funktionäre der MG das Theorieorgan "GEGENSTANDPUNKT" heraus, unter dessen Namen Diskussionsveranstaltungen durchgeführt werden. Der "GEGENSTANDPUNKT" wird auch in RheinlandPfalz vertrieben. Publikationsorgan: "GegenStandpunkt", 4mal jährlich: Auflage ca. 7.000 Exemplare 2.4.3.3 "Rote Hilfe" (RH) Aufstrebende Rechtsund Hafthilfeorganisation, 1975 gegründet, von Linksextremisten getragen, mit zahlreichen Kontaktadressen und Ortsgruppen im gesamten Bundesgebiet. Mit bundesweit etwa 4.000 Personen (in Rheinland-Pfalz etwa 50) engagiert sich die RH gegen den "staatlichen Repressionsapparat" und unterstützt sowohl deutsche wie auch ausländische gewaltorientierte Linksextremisten. - 105 - 3. AUSLÄNDEREXTREMISMUS48 3.1 Türken 3.1.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front" (DHKP-C) Die im August 1998 in Deutschland verbotene "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) entstand im März 1994 als Ersatzorganisation der bereits seit 1983 verbotenen "Devrimci Sol". Die marxistisch-leninistisch orientierte DHKP-C zielt auf die Zerschlagung des türkischen Staates ab und verfolgt als Endziel eine klassenlose Gesellschaft. Innerhalb der DHKP-C stellt die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) den politischen, die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) den militärischen Arm dar. Gegen die DHKP-C hat der Bundesminister des Innern am 13. August 1998 ein Organisationsverbot verhängt, da die Tätigkeit der Organisation gegen deutsche Strafgesetze verstößt und die öffentliche Sicherheit und Ordnung Deutschlands gefährdet. 3.1.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)49 Die TKP/ML wurde 1972 in der Türkei gegründet. Sie vertritt die Lehre des Marxismus-Leninismus, ergänzt durch Aspekte des Maoismus. Ihr Ziel ist die Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges. An dessen Stelle soll eine "demokratische Volksherrschaft" mit einer an der marxistischleninistischen Ideologie orientierten Gesellschaftsordnung errichtet werden. Zu diesem Zweck führt ihr militärischer Arm, die "Türkische Arbeiter-Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) einen bewaffneten Kampf in der Türkei. Die TKP/ML ist gekennzeichnet durch zahlreiche Fraktionsbildungen und Abspaltungen. Anfang 1994 spaltete sie sich in die Flügel "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) und "Partizan". 3.1.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ist im September 1994 durch den Zusammenschluss zweier türkischer linksextremistischer Organisationen entstanden. Sie bekennt sich zur Ideologie des Marxismus-Leninismus und zielt auf den revolutionären Umsturz in der Türkei und die Errichtung einer kommunistischen Volksherrschaft ab. 48 Die unter Nr. 3.1 bis 3.5 genannten Organisationen/Gruppen, bei denen keine Mitgliederzahlen gesondert aufgeführt sind, verfügen in Rheinland-Pfalz jeweils nur über einzelne Mitglieder/Anhänger. 49 Die Partei hat sich Ende 2002 in "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) umbenannt. Der militärische Arm (früher "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) nennt sich "Volksbefreiungsarmee" (HKO). - 106 - 3.1.4 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist aus der 1985 gegründeten "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) hervorgegangen. 1995 teilte sich die AMGT in zwei unabhängige Organisationen: Die IGMG übernahm die sozialen, kulturellen und religiösen Aufgaben der AMGT, während die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V" (EMUG) für die Verwaltung und den Ausbau des beträchtlichen Immobilienbesitzes zuständig ist. Zu den Zielen der IGMG gehören die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und die Einführung eines auf Koran und Sharia basierenden Gesellschaftssystems. Diese Ziele strebt die IGMG nicht mit gewaltsamen Mitteln an. 3.1.5 "Der Kalifatsstaat", auch "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln" (ICCB) Die Organisation entstand 1985 und wurde unter der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln" (ICCB) vereinsrechtlich angemeldet. Der ICCB wird seit 1995 durch den selbsternannten "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime", Metin KAPLAN, geführt. Seit 1998 tritt der Verband nur noch unter der Bezeichnung "Der Kalifatsstaat" in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Ziel der Organisation ist der gewaltsame Umsturz des türkischen Staatsgefüges, das durch ein islamistisches System ersetzt werden soll. Koran und Sharia sollen die alleinige Grundlage für Recht und Gesetz bilden. Für den "Kalifatsstaat" sind Islam und Demokratie unvereinbar. Der "Kalifatsstaat" wurde am 8. Dezember 2001 durch den Bundesminister des Innern verboten. 3.2 Kurden "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) - früher "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Ende der siebziger Jahre bildete sich in der Türkei um Abdullah ÖCALAN die Untergrundorganisation "APOCULAR", die zur Parteigründung am 27. November 1978 führte. Die PKK strebte für die kurdische Bevölkerung in der Türkei einen autonomen Status an und führte in diesem Sinne dort bis 1999 einen Guerillakrieg. Auf ihrem 7. Parteikongress im Januar 2000 vollzog die PKK den Wandel von einer militanten zu einer politischen Organisation mit Friedensbzw. Demokratisierungsabsichten. Im Mittel-punkt steht die Forderung nach kultureller Autonomie zur Bewahrung der kurdischen Identität. Im April 2002 änderte die PKK - auch um endgültig von ihrem bisherigen terroristischen Image wegzukommen - ihren Namen in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK). Der KADEK unterhält mehrere Nebenorganisationen, wie z.B. die "Kurdische demo- - 107 - kratische Volksunion" (YDK) oder die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEK-KOM). Das gegen die PKK einschließlich ihrer Teilorganisationen am 26. November 1993 durch den Bundesminister des Innern erlassene Betätigungsverbot hat auch Gültigkeit für den KADEK. In Deutschland hat der KADEK etwa 11.500 Mitglieder/Anhänger; in Rheinland-Pfalz sind es ca. 450. 3.3 Araber 3.3.1 (Arabische) Mudjahidin Der Komplex (Arabische) Mudjahidin wird von verschiedenen Organisationen und Personenzusammenschlüssen repräsentiert: al-Qaida ("Die Basis", Strukturen konnten bisher in Rheinland-Pfalz nicht festgestellt werden), so genannte non-alligned Mudjahidin (Aktivisten, die sich in Kleinund Kleinstgruppen zusammengeschlossen haben) und Mitglieder militant-islamistischer Organisationen (z.B. GIA, GSPC), die nicht mehr primär im Hinblick auf ihr Heimatland operieren, sondern sich innerhalb eines transund multinationalen Netzwerks dem Djihad im kämpferischen Sinne zugewendet haben. Wechselseitige Querverbindungen sowie ein hohes Maß an Konspiration und Gewaltbereitschaft kennzeichnen den Mudjahidin-Komplex. 3.3.2 "Hizb ut-Tahrir" (Befreiungspartei) Bei der 1953 in Jerusalem gegründeten "Hizb ut-Tahrir" handelt es sich um eine in zahlreichen muslimischen Staaten vertretene, meist verbotene Organisation. Seit 10. Januar 2003 ist sie auch in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Terroristische Aktivitäten der "Hizb ut-Tahrir" konnten in Europa bisher nicht festgestellt werden, doch wird Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele - bei gleichzeitiger Agitation gegen Israel und die USA - befürwortet. 3.3.3 "Hizb Allah" (Partei Gottes) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" wurde im Jahre 1982 im Libanon mit iranischer Unterstützung gebildet. Die Umwandlung des Libanon in einen Staat nach dem Vorbild des Iran wird derzeit nicht mehr als zentrales Ziel propagiert. Ihre Frontstellung gegen die israelische Präsenz in der Nahostregion besteht jedoch fort, wobei hierbei auch der bewaffnete Kampf eine Rolle spielt. Gewaltaktionen gingen von "Hizb Allah"-Mitgliedern in Deutschland bislang nicht aus. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich vielmehr auf Versammlungen, Kundgebungen, die Durchführung religiöser Feste sowie auf Spendensammlungen, deren Erlöse zum Teil in den Libanon fließen. - 108 - 3.3.4 "Islamischer Bund Palästina" (IBP)/"Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) Die HAMAS wurde 1987 im Gaza-Streifen gegründet und steht heutzutage als eine islamistische und zugleich palästinensisch-nationalistische Organisation im Kampf gegen Israel in vorderster Front. Dies unterstreicht sie nicht allein durch antiisraelische Rhetorik, sondern darüber hinaus auch durch Selbstmordattentate. Seit Beginn der al-Aqsa-Intifada in Palästina im September 2000 hat ihre Zahl wieder deutlich zugenommen. In der Bundesrepublik Deutschland werden die Interessen der HAMAS durch den 1981 in München gegründeten "Islamischen Bund Palästina" (IBP) vertreten. Der mit dem IBP verbundene Spendenverein "Al-Aqsa e.V." in Aachen wurde im August 2002 durch Verfügung des Bundesministers des Innern verboten. 3.4 Algerier 3.4.1 "Islamische Heilsfront" (FIS) Die sunnitisch-extremistische FIS wurde im März 1989 in Algerien gegründet. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Staatswesens in Algerien. Außerhalb Algeriens wird die FIS durch ihre "Exekutivinstanz der FIS im Ausland" vertreten, die allerdings in Algerien kein politisches Gewicht (mehr) hat. Der Zuspruch der Anhängerschaft der FIS für den im Oktober 1997 in London ins Leben gerufene "Koordinationsrat der FIS im Ausland" (Front Islamique du Salut - Conseil de Coordination A l'extranger/CCFIS) wuchs. 3.4.2 "Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA); "Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf" (GSPC) Sowohl die 1992 in Algerien gegründete GIA als auch die dort 1997 gegründete GSPC versuchen, die algerische Regierung mit terroristischen Mitteln zu stürzen, um den Weg zu einem islamischen Staat zu bereiten. Im Gegensatz zur FIS lehnen GIA und GSPC jeglichen Kompromiss mit der algerischen Regierung ab. 3.5 Iraner 3.5.1 "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) Der 1981 in Paris gegründete NWRI ist ein Zusammenschluss von mehreren iranischen Oppositionsgruppen. Er ist der politische Arm der "Volksmodjahedin - Organisation Iran" (MEK). Der NWRI betrachtet sich als "Iranisches Exilparlament" und fordert unverändert den gewaltsamen Sturz des iranischen Regimes. In der Bundesrepublik Deutschland befassen sich die Anhänger hauptsächlich mit Agitation gegen das herrschende Regime im Iran sowie der - 109 - Beschaffung von Finanzmitteln. Die Geldbeschaffungsmaßnahmen werden auch unter dem Vorwand der Flüchtlingshilfe systematisch durchgeführt. Durch Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 2. Mai 2002 wurde die "Volksmodjahedin - Organisation Iran" auf die so genannte EUTerrorliste gesetzt. 4. "Scientology-Organisation" (SO) Die hierarchisch strukturierte und weltweit aktive SO wurde im Februar 1954 von dem amerikanischen Science-Fiction-Autor Ron HUBBARD (1911-1986) in den USA gegründet. Sein Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" beinhaltet die Grundlagen scientologischen Denkens. Seit 1970 besteht die "Scientology Kirche Deutschland e.V." mit Sitz in München. Sie hat derzeit ca. 5.000 bis 6.000 Mitglieder, davon schätzungsweise 200 bis 250 in Rheinland-Pfalz. Gemäß einem Beschluss der Innenministerkonferenz wird die SO seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet, da Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. So ist Ziel der mit Absolutheitsanspruch auftretenden SO die Errichtung einer scientologischen Gesellschaft, in der letztlich nur über ein "AuditingVerfahren" zu "Clears" gewordenen Personen Rechte zuerkannt werden. Nichtscientologen ("Abberierte") sind nahezu rechtlos. Gleichheit, demokratische Mitwirkungsrechte, freie Meinungsäußerung, das Recht auf Opposition und eine Gewaltenteilung sieht die totalitäre Programmatik der SO nicht vor. Abweichler, Kritiker und Aussteiger werden als "Suppressi-ve" bekämpft. Mit Organisationen wie "Narconon" (Rehabilitierung von Drogenabhängigen"), "Criminon" (Rehabilitation von Strafgefangenen) u.a. versucht die SO sich als humanitäre Organsiation darzustellen und scientologisch geprägte Lebenshilfen anzubieten. Die Scientology-Teilorganisation "World Institut of Scientology Enterprises" (WISE) soll Hubbards Verwaltungstechnologie in der Wirtschaft verbreiten und die Einflußmöglichkeiten der SO auf die Gesellschaft erweitern. In Rheinland-Pfalz beschränkt sich das öffentliche Engagement der SO überwiegend auf das Verbreiten von Werbematerialien. - 110 - D. ANHANG Rechtliche Grundlagen Grundgesetz (Auszug) Artikel 73 - Umfang der ausschließlichen Gesetzgebung Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über ... 10. die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder ... b) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und c) zum Schutz gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungeshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, ... Artikel 87 - Bundeseigene Verwaltung: Sachgebiete (1) ... Durch Bundesgesetz können ... Zentralstellen ... zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden. ... Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG) vom 06. Juli 1998 zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.12.2002, GVBl. 2002, S. 477 Inhaltsübersicht Teil 1 Allgemeine Bestimmungen SS1 Zweckbestimmung SS2 Verfassungsschutzbehörde SS3 Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS4 Begriffsbestimmungen Teil 2 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde SS5 Beobachtungsaufgaben SS6 Aufgaben bei der Sicherheitsüberprüfung SS7 Unterrichtung der Landesregierung und der Öffentlichkeit - 111 - Teil 3 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 8 Allgemeine Rechtsgrundsätze SS 9 Allgemeine Befugnisse SS 10 Besondere Befugnisse SS 10a Weitere Einzelfallbefugnisse Teil 4 Datenverarbeitung SS 11 Erhebung, Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten SS 12 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten SS 13 Informationsübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde SS 14 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 15 Übermittlungsverbote SS 16 Besondere Pflichten bei der Übermittlung personenbezogener Daten SS 17 Minderjährigenschutz SS 18 Auskunft an Betroffene SS 19 Datenschutzkontrolle Teil 5 Parlamentarische Kontrolle SS 20 Parlamentarische Kontrollkommission SS 21 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission Teil 6 Schlußbestimmungen SS 22 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 23 Einschränkung von Grundrechten SS 24 Änderung des Landesgesetzes zur Ausführung des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses SS 25 Inkrafttreten Teil 1 Allgemeine Bestimmungen SS1 Zweckbestimmung Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. SS2 Verfassungsschutzbehörde (1) Alle den Zwecken des Verfassungsschutzes dienenden Aufgaben und Befugnisse werden vom Ministerium des Innern und für Sport als Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. (2) Der Verfassungsschutz und die Polizei dürfen einander nicht angegliedert werden. - 112 - SS3 Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit dem Bund und den Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und im Informationsaustausch sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Behörden für Verfassungsschutz anderer Länder dürfen in Rheinland-Pfalz unter Beachtung der Bestimmungen dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz gemäß SS 5 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954 - 2970 -), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361), nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. Die Verfassungsschutzbehörde darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es dieses Gesetz und die Rechtsvorschriften der betreffenden Länder zulassen. (3) Bei der Erfüllung von Aufgaben auf Grund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes stehen der Verfassungsschutzbehörde nur die Befugnisse zu, die sie zur Erfüllung der entsprechenden Aufgaben nach diesem Landesgesetz hat. SS4 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in diesem Gesetz genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes unter Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst in einer Weise bekämpfen, die geeignet ist, diese Schutzgüter erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. - 113 - Teil 2 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde SS5 Beobachtungsaufgaben Die Verfassungsschutzbehörde beobachtet 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, und 4. Bestrebungen und Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder das friedliche Zusammenleben der Völker ( Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. Die Beobachtung erfolgt durch gezielte und planmäßige Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen. SS6 Aufgaben bei der Sicherheitsüberprüfung Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte sowie 4. in den übrigen gesetzlich vorgesehenen Fällen. SS7 Unterrichtung der Landesregierung und der Öffentlichkeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Landesregierung regelmäßig und umfassend über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 . (2) Die fachlich zuständige Ministerin oder der fachlich zuständige Minister unterrichtet die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 und andere grundlegende Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. (3) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Absatz 2 dürfen auch personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 erforderlich ist und das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. - 114 - Teil 3 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS8 Allgemeine Rechtsgrundsätze (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist an Gesetz und Recht gebunden ( Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). (2) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Verfassungsschutzbehörde diejenige zu treffen, die einzelne Personen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Eine Maßnahme ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber der Polizei stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS9 Allgemeine Befugnisse Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen treffen, insbesondere Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, insbesondere erheben, speichern, nutzen, übermitteln und löschen, soweit nicht die SSSS 10 bis 17 die Befugnisse besonders regeln. SS 10 Besondere Befugnisse (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Methoden und Gegenstände einschließlich technischer Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung (nachrichtendienstliche Mittel) anwenden. Nachrichtendienstliche Mittel sind insbesondere der Einsatz von verdeckt eingesetzten hauptamtlichen Bediensteten, Vertrauensleuten und Gewährspersonen, das Anwerben und Führen gegnerischer Agentinnen und Agenten, Observationsmaßnahmen, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission vorzulegen. (2) Maßnahmen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das heimliche Mithören oder Aufzeichnen des außerhalb der Wohnung nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter verdecktem Einsatz technischer Mittel gehört, bedürfen der Anordnung durch die fachlich zuständige Ministerin oder den fachlich zuständigen Minister und der Zustimmung der nach dem Landesgesetz zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses vom 16. Dezember 2002 (GVBl. S. 477, BS 12-1), gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die Verarbeitung der durch Maßnahmen nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten erfolgt in entsprechender Anwendung des SS 4 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361). (3) Die zuständigen öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften leisten der Verfassungsschutzbehörde für ihre Tarnmaßnahmen im Sinne des Absatzes 1 Hilfe. (4) Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zur Erhebung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn - 115 - 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 oder dafür vorliegen, daß die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können, 2. er sich gegen Personen richtet, von denen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß sie für eine nach Nummer 1 verdächtige Person bestimmte Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder sonstigen von dieser beabsichtigten Kontakt zu ihr haben; die Erhebung darf nur erfolgen, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 zu gewinnen, 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten zwingend erforderlich ist oder 4. dies zur Überprüfung der Nachrichtenzugänge und der hieraus gewonnenen Informationen zwingend erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere, Betroffene weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information auch aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (5) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln nur heimlich mithören oder aufzeichnen, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, unerläßlich ist. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 dürfen nur auf Grund richterlicher Anordnung getroffen werden; bei Gefahr im Verzug kann die Maßnahme auch durch die fachlich zuständige Ministerin oder den fachlich zuständigen Minister angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Verwendung der durch Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 erhobenen personenbezogenen Daten zur Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten erfolgt in entsprechender Anwendung des SS 4 Abs. 4 Nr. 1 des Artikel 10-Gesetzes . Die durch Maßnahmen nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen auch zur Verfolgung der in SS 100 c Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozessordnung genannten Straftaten verwendet werden. (6) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch die fachlich zuständige Ministerin oder den fachlich zuständigen Minister angeordnet werden. Eine Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder die freiheitliche demokratische Grundordnung ist zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (7) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach Absatz 5 Satz 3 sowie Absatz 6 Satz 2 ist das Amtsgericht Mainz. Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (8) Betroffenen sind Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 5 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Läßt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Landesgesetz zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. - 116 - SS 10a Weitere Einzelfallbefugnisse (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwer wiegende Gefahren für die in SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorliegen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwer wiegende Gefahren für die in SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorliegen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 5 Satz 1 Nr. 2 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten einholen. Die Auskünfte können auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten sind 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennungen sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genommenen Telekommunikationsund TeledienstDienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis 4 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch die G 10Aufsichtsbeamtin oder den G 10-Aufsichtsbeamten im Sinne des SS 8 Abs. 3 des Landesgesetzes zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet die Leiterin oder der Leiter oder die stellvertretende Leiterin oder der stellvertretende Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung des Ministeriums des Innern und für Sport. Die fachlich zuständige Ministerin oder der fachlich zuständige Minister unterrichtet monatlich die nach dem Landesgesetz zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gebildete Kommission über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann die fachlich zuständige Ministerin oder der fachlich zuständige Minister den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Für die Aufgaben und Befugnisse der Kommission sowie die Mitteilung von Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 4 an die Betroffenen findet das Landesgesetz zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses entsprechende Anwendung. (6) Das Auskunftsersuchen und die Auskunft selbst dürfen den Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht mitgeteilt werden. (7) Auf die Verarbeitung der nach den Absätzen 1 bis 4 erhobenen personenbezogenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. (8) Das fachlich zuständige Ministerium berichtet über die durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 4 dem parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes unter entsprechender Anwendung des SS 8 Abs. 10 Satz 1 Halbsatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes für dessen Berichte nach SS 8 Abs. 10 Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes . - 117 - Teil 4 Datenverarbeitung SS 11 Erhebung, Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten erheben, in Akten und Dateien speichern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 erforderlich ist oder 3. dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 6 erforderlich ist. Personenbezogene Daten, die in Dateien gespeichert sind, welche der Auswertung personenbezogener Daten zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 dienen sollen, müssen durch Akten oder andere Datenträger belegbar sein. (2) Daten über Personen, bei denen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie selbst Bestrebungen der Tätigkeiten im Sinne des SS 5 nachgehen (Unbeteiligte), dürfen nur dann verarbeitet werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 5 erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Daten Unbeteiligter dürfen auch verarbeitet werden, wenn sie mit zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit einem unvertretbaren Aufwand möglich ist; in diesem Falle sind die Daten zu sperren. (3) Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit ihrer Kenntnis erhoben, ist der Erhebungszweck anzugeben. Betroffene sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (4) In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 dürfen zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 6 nur personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die selbst der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in diese einbezogen werden. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen für andere Zwecke nur insoweit verarbeitet werden, als dies zur Abwehr erheblicher Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, insbesondere für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person erforderlich ist. SS 12 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind. Gleiches gilt, wenn sie im Einzelfall feststellt, daß in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig oder unvollständig sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden. Die den zu löschenden personenbezogenen Daten entsprechenden Akten oder Aktenbestandteile sind zu vernichten, wenn eine Trennung von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 weiterhin erforderlich sind, mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend für sonstige Akten, wenn die Verfassungsschutzbehörde die Voraussetzungen nach Satz 1 im Einzelfall feststellt. Personenbezogene Daten sind zu sperren, sofern trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen eine Löschung nach Satz 2 oder eine Vernichtung nach Satz 3 oder 4 nicht vorzunehmen ist. - 118 - (3) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach von ihr festzusetzenden Fristen, in den Fällen des SS 5 Satz 1 Nr. 2 und des SS 6 spätestens nach fünf Jahren und in den Fällen des SS 5 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 spätestens nach drei Jahren, ob in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 sind spätestens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, die Leiterin oder der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung des Ministeriums des Innern und für Sport stellt im Einzelfall fest, daß die weitere Speicherung zur Erfüllung der Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen Betroffener erforderlich ist. SS 13 Informationsübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde Informationen, soweit diese nach ihrer Beurteilung zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 Nr. 1 und 4, soweit die Bestrebungen und Tätigkeiten durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gekennzeichnet sind, sowie SS 5 Nr. 2 und 3 erforderlich sind. Darüber hinaus dürfen die öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften von sich aus auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten übermitteln, die Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Satz 1 Nr. 1 und 4 betreffen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann über alle Angelegenheiten, deren Aufklärung zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 erforderlich ist, von den öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften Informationen und die Vorlage von Unterlagen verlangen. Das Ersuchen braucht nicht begründet zu werden; die Verfassungsschutzbehörde allein trägt die Verantwortung für dessen Rechtmäßigkeit. Ein Ersuchen soll nur dann gestellt werden, wenn die Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (3) Bestehen nur allgemeine, nicht auf konkrete Fälle bezogene Anhaltspunkte nach SS 5, so kann die Verfassungsschutzbehörde die Übermittlung personenbezogener Informationen oder Informationsbestände von öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften nur verlangen, soweit dies erforderlich ist zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Die Verfassungsschutzbehörde kann auch Einsicht in die amtlichen Dateien und sonstigen Informationsbestände nehmen, soweit dies zur Aufklärung der in Satz 1 genannten Tätigkeiten oder Bestrebungen zwingend erforderlich ist und durch eine andere Art der Übermittlung der Zweck der Maßnahme gefährdet oder Betroffene unverhältnismäßig beeinträchtigt würden. Die Übermittlung personenbezogener Daten ist auf Name, Anschrift, Tag und Ort der Geburt, Staatsangehörigkeit sowie auf im Einzelfall durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegende Merkmale zu beschränken. (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist für Zwecke der Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz nur dann zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf deren Verwertung durch die Verfassungsschutzbehörde findet SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. - 119 - SS 14 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf an öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 übermitteln, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Die empfangende Stelle darf personenbezogene Daten nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. (2) Zu anderen Zwecken darf die Verfassungsschutzbehörde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an 1. die Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183 - 1218 -), zuletzt geändert durch Abkommen vom 18. März 1993 (BGBl. 1994 II S. 2594), 2. die Staatsanwaltschaften und die Polizeibehörden zur Verfolgung von Staatsschutzdelikten, den in SS 100 a der Strafprozeßordnung und SS 131 des Strafgesetzbuchs genannten Straftaten und sonstigen Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität; Staatsschutzdelikte sind die in den SS 74 a des Gerichtsverfassungsgesetzes und SS 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, des Motivs der Täterin oder des Täters oder der Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, 3. die Polizeiund Ordnungsbehörden, soweit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist und die Übermittlung zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten oder von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient, 4. andere öffentliche Stellen, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist und diese die personenbezogenen Daten für Zwecke benötigt, die dem Schutz wichtiger Rechtsgüter, insbesondere dem Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder dem Schutz von Sachen von bedeutendem Wert oder der Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen im Sinne des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes dienen und dies mit den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde nach den SS 5 und SS 6 vereinbar ist. In den Fällen des SS 21 Abs. 1 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes übermittelt die Verfassungsschutzbehörde darüber hinaus auch den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes Informationen einschließlich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes . (3) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt auf begründete Anfrage von öffentlichen Stellen des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften Auskunft einschließlich personenbezogener Daten aus vorhandenen Unterlagen über gerichtsverwertbare Tatsachen im Rahmen von Einstellungs-, Disziplinarund Kündigungsverfahren, im Einbürgerungsverfahren und in den Fällen, in denen dies durch eine Rechtsvorschrift vorgesehen oder vorausgesetzt wird. Die Auskunft muß zur Erfüllung der Aufgaben der anfragenden Stelle zwingend erforderlich sein. (4) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt gemäß SS 21 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. (5) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an ausländische Nachrichtendienste angrenzender Staaten, an andere ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den SS 5 und SS 6 oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der empfangenden Stelle erforderlich ist. Die Übermittlung an ausländische Nachrichtendienste geschieht im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Sie unterbleibt in allen Fällen, in denen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen Betroffener entgegenstehen. Die Übermitt- - 120 - lung ist aktenkundig zu machen. Die empfangende Stelle ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck genutzt werden dürfen, zu dem sie ihr übermittelt wurden, und daß die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, Auskunft über die Nutzung der personenbezogenen Daten zu verlangen. (6) Personenbezogene Daten dürfen an nichtöffentliche Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, dies ist 1. zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen im Sinne des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes, 2. zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine fremde Macht, 3. zum Schutze der Volkswirtschaft vor sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten oder vor der planmäßigen Unterwanderung von Wirtschaftsunternehmen durch die in SS 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 genannten Bestrebungen oder 4. zum Schutze von Leben, Gesundheit, Freiheit oder Vermögen einer Person erforderlich. Die Übermittlung bedarf der Zustimmung der fachlich zuständigen Ministerin oder des fachlich zuständigen Ministers oder der Leiterin oder des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung des Ministeriums des Innern und für Sport. Sie ist aktenkundig zu machen. Die empfangende Stelle ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck genutzt werden dürfen, zu dem sie ihr übermittelt wurden, und daß die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, Auskunft über die Nutzung der personenbezogenen Daten zu verlangen. SS 15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung von personenbezogenen Daten nach den SS 13 und SS 14 unterbleibt, wenn 1. überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen dies erfordern, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, insbesondere Gründe des Quellenschutzes, des Schutzes operativer Maßnahmen oder sonstige Geheimhaltungsgründe entgegenstehen oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. SS 16 Besondere Pflichten bei der Übermittlung personenbezogener Daten (1) Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Bestimmungen dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich gegenüber der empfangenden Stelle zu berichtigen, es sei denn, es ist sachlich ohne Bedeutung. (2) Die empfangende Stelle prüft, ob die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, hat sie die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen personenbezogenen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die personenbezogenen Daten zu sperren. SS 17 Minderjährigenschutz (1) Personenbezogene Daten über das Verhalten von Minderjährigen vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nicht in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 und in zu ihrer Person geführten Akten gespeichert werden. (2) Über Minderjährige nach Vollendung des 14. Lebensjahres in Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 oder in zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte personenbezogene Daten sind nach Ablauf von zwei Jahren seit dem zuletzt erfaßten Verhalten auf die Erforderlichkeit der Speicherung - 121 - zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, nach Eintritt der Volljährigkeit sind weitere Erkenntnisse nach SS 5 angefallen. (3) Personenbezogene Daten über das Verhalten von Minderjährigen dürfen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 11 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor, ist eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. (4) Personenbezogene Daten über das Verhalten von Minderjährigen vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 18 Auskunft an Betroffene (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Betroffenen über zu ihrer Person in Akten und Dateien im Sinne des SS 11 Abs. 1 Satz 2 gespeicherte Daten sowie über den Zweck und die Rechtsgrundlage für deren Verarbeitung auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und auf die empfangende Stelle bei Übermittlungen. Über personenbezogene Daten in nichtautomatisierten Dateien und Akten, die nicht zur Person von Betroffenen geführt werden, ist Auskunft nur zu erteilen, soweit Angaben gemacht werden, die ein Auffinden der personenbezogenen Daten mit angemessenem Aufwand ermöglichen. Ein Recht auf Akteneinsicht besteht nicht. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. durch sie eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung zu besorgen ist, 2. durch sie Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, 3. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden berechtigten Interessen Dritter geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung des Ministeriums des Innern und für Sport oder hierzu besonders Beauftragte. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, sind Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß sie sich an die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden können. Mitteilungen der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz an Betroffene dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zugestimmt hat. SS 19 Datenschutzkontrolle Der oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf Verlangen Zutritt zu den Diensträumen zu gewähren. Ihr oder ihm ist ferner Auskunft zu erteilen und Einsicht in alle Dateien, Akten und sonstige Unterlagen zu gewähren, soweit nicht die fachlich zuständige Ministerin oder der fachlich zuständige Minister im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet wird. - 122 - Teil 5 Parlamentarische Kontrolle SS 20 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Zur Wahrnehmung seines parlamentarischen Kontrollrechtes gegenüber der fachlich zuständigen Ministerin oder dem fachlich zuständigen Minister hinsichtlich der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde bildet der Landtag zu Beginn jeder Wahlperiode eine Parlamentarische Kontrollkommission. Die Rechte des Landtags, seiner Ausschüsse und der nach dem Landesgesetz zur parlamentarischen Kontrolle von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gebildeten Kommission bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus drei Mitgliedern, die vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Die Parlamentarische Kontrollkommission wählt eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Ihre Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt werden. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. SS 21 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die fachlich zuständige Ministerin oder der fachlich zuständige Minister unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission mindestens zweimal jährlich umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Die Unterrichtung umfasst auch den nach SS 10 Abs. 5 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach SS 10 Abs. 6 erfolgten Einsatz technischer Mittel in Wohnungen sowie die Durchführung des SS 10a Abs. 1 bis 7; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach SS 10a Abs. 1 bis 4 zu geben. (2) Jedes Mitglied kann den Zusammentritt und die umfassende Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. Dies schließt ein Recht auf Einsicht in Dateien, Akten und sonstige Unterlagen ein. (3) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzugangs durch die politische Verantwortung der fachlich zuständigen Ministerin oder des fachlich zuständigen Ministers bestimmt. Teil 6 Schlußbestimmungen SS 22 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach den SSSS 5 und 6 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 4 Satz 1 und die SSSS 12 bis 19 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung SS 23 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung für Rheinland-Pfalz sowie das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses aus Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 14 der Verfassung für Rheinland-Pfalz eingeschränkt werden. - 123 - SS 24 (Änderungsbestimmung) SS 25 Inkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. (2) (Aufhebungsbestimmung) * - 124 - Hinweis: Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern und für Sport herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunaloder Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen oder Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden.