Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2021 www.im.nrw Impressum Herausgeber Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen Friedrichstraße 62-80 40217 Düsseldorf Telefon: 0211/871-01 Telefax: 0211/871-3355 poststelle@im.nrw.de www.im.nrw.de Redaktion Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Telefon: 0211/871-2821 Telefax: 0211/871-2980 kontakt.verfassungsschutz@im1.nrw.de www.im.nrw.de/verfassungsschutz Bestellservice bestellung.verfassungsschutz@im1.nrw.de www.im.nrw.de/publikationen Stand: April 2022 Druck: Schipplick + Winkler Printmedien GmbH Lübeck, www.suw-printmedien.de Fotos: picture alliance/dpa, Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Vorwort Erst Corona, nun der russische Angriff auf Europa, und damit auf Freiheit und Demokratie: Aus dem seit zwei Jahren herrschenden Krisenmodus ist vor wenigen Wochen ein Kriegsmodus geworden. Die Pandemie und der UkraineKrieg ergreifen unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und nicht zuletzt die innere und äußere Sicherheit, in der realen Welt, aber insbesondere auch im Internet. Nie war die Bedrohung durch Cyberkriminalität, Spionage und Sabotage gegenwärtiger und umfassender. Eine Entwicklung, die den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz so intensiv fordert wie selten zuvor. Der Verfassungsschutz warnt daher eindringlich vor der Gefahr von Kampagnen zur Desinformation und Einflussnahme, sowie vor möglichen Cyberangriffen auf vulnerable Infrastrukturen. Das Jahr 2021 war geprägt durch die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Die von den Sicherheitsbehörden prognostizierten Versuche, die bürgerliche Mitte für extremistische Gedanken zu vereinnahmen, haben im Laufe des Jahres zugenommen. Linksund Rechtsextremisten, Islamisten und Salafisten finden auch über das Internet immer öfter Anschluss. In einer neuen Form des Extremismus versuchen verfassungsschutzrelevante Delegitimierer "die Politik" verächtlich zu machen und staatliche Maßnahmen zu überwinden. Sie hoffen, mit ihren Strategien und Ideologien an eine verunsicherte, wankende bürgerliche Mitte anzudocken. Auslöser dieser Unsicherheit sind oftmals Ohnmacht und Angst. Eine diffuse Angst vor einer sich wandelnden Welt, vor einem vermeintlich sozialen Abstieg, vor den gesundheitlichen Nebenwirkungen einer Impfung. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen und das tun wir auch: So hat der NRW-Verfassungsschutz 2021 den bundesweit ersten Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern veröffentlicht. Darin widmen sich die Verfassungsschützer unter anderem der Frage, wieso manche Menschen anfällig für Verschwörungsmythen und radikale Parolen sind. Die diesjährige Fortschreibung liegt dem vorliegenden Verfassungsschutzbericht bei. 2 Vorwort Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ängste und Sorgen rechtfertigen jedoch niemals einen Schulterschluss mit Extremisten. Eben diese Verbrüderung - mindestens aber die Tolerierung von Extremisten durch Teile der bürgerlichen Mitte - ist immer wieder zu beobachten. Die Zuspitzung dieser Entgrenzung war im Dezember 2021 sichtbar, als kurz nach der Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht Fackelmärsche auf deutschen Straßen stattfanden und Teile der bürgerlichen Mitte mit Rechtsextremisten gemeinsam demonstrierten. Diese Auftritte erinnern nicht nur an die Montagsspaziergänge von Pegida, sondern an die düstersten Zeiten unserer Geschichte. Immer wieder habe ich aufgerufen, sich von diesen rechten Rattenfängern zu distanzieren, zu selten ist das tatsächlich geschehen. Dabei ist jene Entgrenzung in allen Phänomenbereichen festzustellen: Politische Salafisten sammeln im Namen einer Hilfsorganisation Spenden für Notleidende und versuchen so; unauffällig ihre Ideologie weiterzugeben. Linksextremisten unterwandern Klimaschutzbewegungen; Rechtsextremisten sind als vermeintliche Helfer in den Hochwassergebieten unterwegs. Diese Entwicklungen verfolgt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz genau. Als Frühwarner ist er ein zentraler Akteur innerhalb der staatlichen Sicherheitsarchitektur und beobachtet schon im Vorfeld Vorgänge und Entwicklungen, die später polizeirelevant werden können. Er wirkt jeden Tag aktiv und in unterschiedlichen Rollen bei der Abwehr von Gefahren und beim Schutz der Gesellschaft vor extremistischen Bedrohungen mit. Der Verfassungsschutz ist nicht nur Frühwarnsystem, sondern arbeitet mit nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden zusammen. Zudem ist er stark in Aufklärung und Prävention: Kürzlich feierte das Aussteigerprogramm Rechtsextremismus "Spurwechsel" sein 20-jähriges Jubiläum. Das Programm hilft Rechtsextremisten, die sich aus der extremistischen Szene lösen möchten und unterstützt sie bei einem Neuanfang. Ähnliche Programme für potenzielle Aussteiger gibt es auch für Linksextremisten und Islamisten. Jeder Ausstieg ist ein Gewinn für die Gesellschaft und die Sicherheit und trägt auch so zur wichtigsten Aufgabe des Verfassungsschutzes bei: dem Erhalt unserer sicheren Demokratie. Herbert Reul Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen Vorwort 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Inhaltsverzeichnis Vorwort 2 Vorbemerkung 8 Kompakt 12 Extremismus in Zahlen 17 Personenpotenziale in Nordrhein-Westfalen 26 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) 28 Verfassungsschutz -- ein wichtiger Akteur innerhalb der staatlichen Sicherheitsarchitektur 43 Rechtsextremismus 49 Zusammenfassung 50 Im Fokus: Die Mitwirkung des Verfassungsschutzes bei behördlichen Verfahren 52 NPD 54 Aufbruch Leverkusen e.V. 60 Völkisch-nationalistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), ehemals "Flügel" 64 Der III. Weg 68 Die Rechte 74 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) 82 Neonazis 86 Subkulturell geprägter Rechtsextremismus 92 Reichsbürger und Selbstverwalter 98 Rechtsextremistische Mischszene 106 Rechtsextremistische Zeitschriften 114 4 InhaltsVerzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsterrorismus 118 Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates 123 Linksextremismus 137 Zusammenfassung 138 Im Fokus: Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden 140 Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE 146 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 152 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 156 Autonome Linksextremisten 162 Auslandsbezogener Extremismus 175 Zusammenfassung 176 Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) 178 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) 186 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen 190 Islamismus 201 Zusammenfassung 202 Im Fokus: Der Verfassungsschutz als kompetenter Experte und wichtiger Partner auf Bundesund Landesebene 204 Im Fokus: Auswirkungen der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan auf die Sicherheitslage 206 Extremistischer Salafismus 210 HAMAS 222 Hizb Allah (Partei Gottes) 226 InhaltsVerzeIchnIs 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Hizb ut Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) 232 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 238 Muslimbruderschaft (unter anderem Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG) 242 Milli Görüs-Bewegung 248 Türkische Hizbullah (TH) 252 Furkan-Gemeinschaft 256 Palästinensischer Islamischer Jihad (Harakat al-Jihad al-Islami fi-l-Filastin - PIJ) 260 Extremismus im Internet 265 Scientology Organisation (SO) 278 Spionageabwehr, Cyberabwehr und Wirtschaftsschutz 285 Zusammenfassung 286 Im Fokus: Aufklärung und Sensibilisierung der Politik im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2021 288 Spionage, politische Einflussnahme ausländischer Staaten und Proliferation 290 Cyberangriffe ausländischer Staaten 310 Wirtschaftsschutz und Geheimschutz in der Wirtschaft 318 Präventionsarbeit und Aussteigerprogramme 323 Zusammenfassung 324 Im Fokus: Der Verfassungsschutz als Schnittstelle bei der vernetzten Rückkehrkoordination 326 Übergreifende Konzepte und Vernetzung 330 Präventionsprogramm Wegweiser - Gemeinsam gegen Islamismus 338 VIR - Veränderungsimpulse setzen bei rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen 344 6 InhaltsVerzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aussteigerprogramme 346 Fachtagungen, Vorträge und Fortbildungen 352 Digitale Angebote und Veröffentlichungen 360 Über den Verfassungsschutz 368 Index 372 InhaltsVerzeIchnIs 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Vorbemerkung Der vorliegende Verfassungsschutzbericht bezieht sich auf Ereignisse und Beobachtungen im Jahr 2021. Zeitlich danach liegende Vorfälle und Entwicklungen werden punktuell angesprochen, wenn sie von größerer Bedeutung sind. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Nordrhein-Westfalens sind aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichts erforderlich sind. Ergänzende Informationen finden Sie im Internet unter www.im.nrw/themen/verfassungsschutz. Grundlagen und Zielsetzung des Verfassungsschutzes Nach SS 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu sammeln und auszuwerten, die Bestrebungen oder Tätigkeiten betreffen, die > gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder > darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinträchtigen, oder > durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder > gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder > sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht darstellen. Der Verfassungsschutz sammelt die für ihn relevanten Informationen und wertet sie aus, sobald tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung oder Tätigkeit im vorgenannten Sinne begründen. 8 Vorbemerkung Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Dabei wird der Verfassungsschutz in seiner Eigenschaft als Frühwarnsystem des demokratischen Rechtsstaates schon im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten tätig. Bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags richtet er seinen Fokus schwerpunktmäßig auf Strukturen und Organisationen, insbesondere solche, die gewaltorientiert sind. Über seine Erkenntnisse und Einschätzungen informiert der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit regelmäßig und gebündelt in seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht und darüber hinaus bei bedeutsamen konkreten Anlässen. Eine Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht setzt voraus, dass aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Anhaltspunkte ein Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen besteht. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y Bei "Bestrebungen" handelt es sich gemäß SS 3 Abs. 5 VSG NRW um politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der gegen die in SS 3 Abs. 1 VSG NRW genannten Schutzgüter gerichtet ist. Ein "Personenzusammenschluss" besteht aus mehreren Personen, die gemeinsam handeln. Daneben können aber auch Einzelpersonen unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. Vorbemerkung 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Im Zentrum steht der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie bildet den Kern des Grundgesetzes, der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG gegen jede Veränderung geschützt ist. SS 3 Abs. 6 VSG NRW zählt hierzu im Einzelnen folgende Grundsätze: > das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, > die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, > das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, > die Ablösbarkeit der Regierung und deren Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, > die Unabhängigkeit der Gerichte, > den Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und > die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Auswärtige Belange der Bundesrepublik und Völkerverständigung Daneben beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Hier geht es beispielsweise um gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus Gewaltaktionen vorbereiten, um eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Ausland, insbesondere in ihren Heimatländern, herbeizuführen und die dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Auch Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, gehören zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW). Der Verfassungsschutz beobachtet international operierende Gruppierungen, die beispielsweise darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. In diesem Fall sind die Angriffe nicht auf die staatliche Ordnung oder die Grenzen eines einzelnen anderen Landes gerichtet, 10 Vorbemerkung Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 sondern gegen bestimmte (Volks-)Gruppen in den betreffenden Staaten. Gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind damit auch Gruppierungen, die die - notfalls gewaltsame - Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete propagieren. Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Bei seiner Tätigkeit stützt sich der Verfassungsschutz in großem Umfang auf offenes Material wie Zeitungen, Radiound Fernsehberichte sowie Veröffentlichungen im Internet und den sozialen Medien. Quellen können dabei unter anderem wissenschaftliche Beiträge, Interviews und zum Beispiel Parteiprogramme sein. Typischerweise geben sich extremistische Organisationen in ihren Programmen und öffentlichen Auftritten jedoch gemäßigt, um ihre Akzeptanz und ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen. Klartext wird häufig nur in den inneren Zirkeln und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesprochen. Auch darüber muss der Verfassungsschutz verlässliche Informationen erlangen, um sich ein realistisches Bild von den Zielen und den Methoden derartiger Organisationen zu verschaffen und seinen Auftrag zur Beratung der Politik und Aufklärung der Öffentlichkeit zu erfüllen. Zur Aufklärung konspirativ arbeitender verfassungsfeindlicher Organisationen ist deshalb der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel notwendig. Dabei werden nach Maßgabe konkreter gesetzlicher Vorgaben insbesondere Vertrauenspersonen (V-Personen) eingesetzt und Zielpersonen observiert. In besonders gravierenden Einzelfällen erfolgt eine Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs. Die gesamte Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums des nordrhein-westfälischen Landtags und bei bestimmten Maßnahmen zur Kommunikationsüberwachung oder Finanzermittlung dem Genehmigungsvorbehalt durch eine unabhängige Kommission (G 10-Kommission). Vorbemerkung 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kompakt Rechtsextremismus > Rechtsextremisten versuchen nach wie vor, Einfluss auf die Corona-Leugner-Szene zu nehmen. Dabei gibt es innerhalb der Protestbewegung immer weniger Abgrenzungsreflexe zum Rechtsextremismus. > Insbesondere die Neue Rechte versucht, die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen, fremdenfeindliche und autoritäre Argumente im politischen Diskurs zu "normalisieren" und somit anschlussfähig für breitere Teile der Gesellschaft zu werden. > Reichsbürger haben an den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen vielfältig mitgewirkt und intensiv Verschwörungsmythen verbreitet. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates > Gegen den politischen Umgang mit der Corona-Pandemie hat sich bundesweit ein Protestgeschehen entwickelt, das von Heterogenität und Fluktuation geprägt ist. In Teilen gehen die Proteste über legitimen Protest gegen Regierungshandeln hinaus. Dies äußert sich in der systematischen Verbreitung von Verschwörungsmythen und Ereignisse im Berichtszeitraum 17. Januar Festnahme von Alexej Nawalny nach seiner Rückkehr in Moskau 2021 [?] 6. Januar Besetzung des Kapitols in Washington 12 kompakt Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Desinformation, der Diffamierung rechtsstaatlicher und demokratischer Prozesse sowie Aufrufen zu Straftaten beziehungsweise der Legitimation von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen politischen Auffassungen. > Nennenswerte Akteure dieser Szene sind in Nordrhein-Westfalen die QuerdenkenBewegung sowie die Corona Rebellen Düsseldorf. Linksextremismus > Linksextremisten waren bemüht, die durch die COVID-19-Pandemie eingeschränkte Aktionsfähigkeit zurückzugewinnen. > Mit ihrer Teilnahme an den Protesten gegen ein Versammlungsgesetz in NordrheinWestfalen versuchten Linksextremisten, zivildemokratische Proteste zu unterwandern und damit linksextremistische Positionen anschlussfähig zu machen. Auslandsbezogener Extremismus > Die Aktionsfähigkeit türkischer linksextremistischer Gruppierungen, beispielsweise über Großveranstaltungen, war durch die Pandemie stark eingeschränkt. Dennoch bemühen sie sich weiterhin, über ihre eigentlichen Ziele hinwegzutäuschen, um eine breitere Anschlussfähigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung zu erreichen. Islamismus > Es besteht die Gefahr von Anschlägen und Gewalttaten durch selbstradikalisierte allein handelnde Täter, die vor allem durch Messengerdienste angeleitet werden. 28. Januar 5. Mai Urteil im Mordprozess an Verbot von Walter Lübcke Ansaar International und deren Teilorganisationen in Deutschland 28. April Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Querdenken-Bewegung kompakt 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 > Der Schwerpunkt der Radikalisierung hat sich deutlich von Moscheen und Seminaren in das Internet verlagert. > Durch das Verbot dreier Hizb Allah naher Spendenvereine im Jahr 2021 wurde der Finanzierung der Terrororganisation Hizb Allah ein Riegel vorgeschoben. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz > Die Versuche illegitimer Einflussnahmen ausländischer Staaten auf Politik und Verwaltung auf Landesund Kommunalebene in Nordrhein-Westfalen - häufig flankiert durch Cyberangriffe - haben zugenommen. > Cyberangriffe von mutmaßlich staatlich gesteuerten Hackergruppierungen auf Unternehmen und Institutionen in Nordrhein-Westfalen bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau. > Der Verfassungsschutz hat seine Sensibilisierungsmaßnahmen intensiviert und unter anderem im Vorfeld der Bundestagswahl alle Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtages sensibilisiert. > Ausländische Nachrichtendienste sind intensiv damit befasst, Exil-Oppositionsgruppen auszuforschen und zu unterwandern. Zunehmend wird Gewalt als Mittel zur Bekämpfung von Dissidenten eingesetzt. Die Spionageabwehr prüft vermehrt mögliche Fälle von Staatsterrorismus. 14. Juli 26. September Hochwasserkatastrophe Bundestagswahl im Westen Deutschlands. 2021 [?] 16. August Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. 14 kompakt Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Präventionsarbeit und Aussteigerprogramme > Bei der Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes durch Vorträge und Sensibilisierungen wurden aktuelle Entwicklungen wie Verschwörungsmythen, rechtsextremistische Aktivitäten im Kampfsport oder Antisemitismus im Islamismus aufgegriffen sowie die Zielgruppen und Formate beispielsweise in den Bereichen Feuerwehren, Lehramtsanwärter oder Polizei erweitert. > Das Präventionsprogramm "Wegweiser - Gemeinsam gegen Islamismus" wurde in Bezug auf weltpolitische Ereignisse wie den Nahostkonflikt stark nachgefragt und hat zudem sein Angebot in einem Pilotprojekt auf den Bereich Graue Wölfe ausgedehnt. > Die drei staatlichen Aussteigerprogramme Spurwechsel (Rechtsextremismus), API (Islamismus) und Left (Linksextremismus) verzeichneten weiterhin ein hohes Interesse ausstiegswilliger Personen. > Die Rolle der Rückkehrkoordinierenden hat sich als wichtiges Instrument etabliert: Bei den zahlreichen Rückführungen des Auswärtigen Amtes wurden notwendige Informationen an eine Vielzahl beteiligter Behörden und Akteure gesteuert und Deradikalisierungsangebote so koordiniert, dass sie frühzeitig zur Verfügung standen. 28. September 15. Dezember YouTube sperrt den Urteil im Tiergartendeutschen Kanal von mord-Prozess Russia Today. 10. November Eskalation der Flüchtlingskrise an der polnisch-belarussischen Grenze. kompakt 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Extremismus in Zahlen extremIsmus In zahlen 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Extremismus in Zahlen Politisch motivierte Kriminalität nach PMK-Phänomenbereichen Gewaltkriminalität nach PMK-Phänomenbereichen 18 ExtrEmismus in ZahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Tatverdächtige PMK-rechts Tatverdächtige PMK-links Tatverdächtige PMK-ausländische Ideologie Tatverdächtige PMK-religiöse Ideologie extremIsmus In zahlen 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Personenpotenzial im Rechtsextremismus 20 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Personenpotenzial im Linksextremismus Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus extremIsmus In zahlen 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Personenpotenzial im Islamismus (deutlicher Rückgang im Jahr 2014 durch andere Bewertung von Teilen der Bewegung Milli Görüs) Personenpotenzial im extremistischen Salafismus 22 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aufklärungsund Präventionsprogramme Aussteigerprogramme Öffentlichkeitsarbeit Präventionsangebote des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen Präventionsprogramm Wegweiser im Überblick extremIsmus In zahlen 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Fallzahlen seit Einrichtung der Aussteigerprogramme Knapp zwei Drittel der Hinweise auf potentielle Klienten stammen von Behörden bzw. Netzwerkpartnern 24 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Mehr als die Hälfte der Fälle wird in der Anfangsphase des Programms Left durch aktive Ansprache generiert Das Aussteigerprogramm Islamismus spiegelt den Anteil der Frauen und Mädchen in der Szene wider Rund drei Viertel der aktiv im API betreuten Klienten waren dem Verfassungsschutz bei Eintritt in das Programm als Gefährder oder relevante Person bekannt extremIsmus In zahlen 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Personenpotenziale in Nordrhein-Westfalen Die Angaben zu den Parteien und Organisationen umfassen grundsätzlich das gesamte Personenpotenzial. Die Angaben sind gerundet. Rechtsextremismus 2020 2021 NPD 400 375 Die Rechte 290 290 Der III. Weg 35 40 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien 1.000 950 (völkisch-nationalistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), ehemals "Flügel") In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen, 1.200 1.200 insbesondere neonazistischen Kameradschaften und Mischszene Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial, 1.525 1.520 insbesondere die Skinhead-Szene abzüglich Doppelzurechnungen* -510 -500 Gesamt 3.940 3.875 davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 2.000 2.000 Reichsbürger und Selbstverwalter 3.200 3.400 *Einzelne Personen können gleichzeitig zwei Organisationen oder Gruppierungen zugerechnet werden. Die Mitglieder der Partei Die Rechte werden weiterhin als Neonazis gezählt. 26 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Linksextremismus 2020 2021 Gewaltorientierte Linksextremisten einschl. Autonome 1.020 1.020 DKP 800 800 MLPD 750 750 Gesamt 2.570 2.570 Auslandsbezogener Extremismus 2020 2021 ADÜTDF 2.000 2.000 ATIB 600 600 ANF - 300 DHKP-C 200 200 KONGRA-GEL bzw. PKK 2.200 2.200 Gesamt 5.000 5.300 Islamismus 2020 2021 Extremistischer Salafismus 3.200 3.200 davon politisch 2.430 2.420 davon gewaltbereit 770 780 HAMAS 145 175 Hizb Allah 250 350 Hizb ut-Tahrir 70 100 Kalifatsstaat 220 220 Muslimbruderschaft 300 350 Milli Görüs-Bewegung (extremistischer Teil) 250 250 Türkische Hizbullah 100 60 Furkan-Gemeinschaft 80 80 abzüglich Doppelzurechnungen* -145 -175 Gesamt 4.470 4.610 *Einzelne Personen können gleichzeitig zwei Organisationen oder Gruppierungen zugerechnet werden extremIsmus In zahlen 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) Betrachtung der Gesamtentwicklung In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2021 insgesamt 6.399 Politisch motivierte Straftaten bekannt (2020: 6.543). Damit ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 144 Delikte beziehnungsweise um 2,2 Prozent zu verzeichnen. Die Aufklärungsquote im Bereich der PMK für das Jahr 2021 beträgt 36,3 Prozent (2020: 35 Prozent). Es wurden mit 2.321 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr 29 Delikte mehr aufgeklärt (2020: 2.292). Gesamtentwicklung der Politisch motivierten Kriminalität im 10-Jahres-Vergleich 28 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Gewaltdelikte der Politisch motivierten Kriminalität (PMK-Gewalt) Die Zahl der bekannt gewordenen Gewaltdelikte mit politischer Motivation ist in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Jahr 2020 gestiegen. Es wurden insgesamt 363 Gewaltdelikte bekannt, dies bedeutet eine Steigerung um 9,7 Prozent (2020: 331). 212 Gewaltdelikte konnten polizeilich geklärt werden (2020: 178). Die Aufklärungsquote liegt mit 58,4 Prozent etwas höher als im Vorjahr (2020: 53,8 Prozent). Propagandadelikte Einen hohen Anteil der PMK macht jährlich wiederkehrend die Gruppe der Propagandadelikte, also Straftaten der Paragraphen 86 und 86a Strafgesetzbuch (StGB), aus. Im Vergleich zum Vorjahr sank mit 1.994 Straftaten beziehungsweise 31,2 Prozent der Anteil der Propagandadelikte am Straftatenaufkommen der PMK (2020: 2.192 Straftaten beziehungsweise 33,5 Prozent). Bei den meisten Propagandadelikten handelt es sich um das Aufbringen von Hakenkreuzsymbolen im öffentlichen Raum, die nur wenige Ermittlungsansätze bieten und daher schwer aufzuklären sind. Mit 35,1 Prozent liegt die Aufklärungsquote der Propagandadelikte geringfügig unter dem Niveau des Vorjahres (2020: 35,9 Prozent). Extremistische Straftaten Von den 6.399 im Jahr 2021 bekannt gewordenen Delikten der PMK sind 6.090 (95,2 Prozent) als extremistische Straftaten im Sinne des Paragraph 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen eingestuft, weil sie sich beispielsweise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten. Die Anzahl der als extremistisch einzustufenden Straftaten ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken (2020:6.215). Der Anteil am Gesamtaufkommen der PMK ist jedoch leicht gestiegen (2020: 95,0 Prozent). extremIsmus In zahlen 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Entwicklung der Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität Betrachtet man die Entwicklung der PMK differenziert nach Phänomenbereichen, so ist in den Phänomenbereichen der PMK -rechtsund der PMK -linksein Rückgang der Fallzahlen festzustellen. In den Bereichen der PMK -ausländische Ideologie-, PMK -religiöse Ideologieund PMK -nicht zuzuordnensind die Fallzahlen entgegen der Gesamtentwicklung gestiegen. Es fällt auf, dass der Phänomenbereich PMK -nicht zuzuordnennach einem Fallzahlenanstieg im Vorjahr von 148,3 Prozent auch in diesem Jahr um 15,1 Prozent gestiegen ist. Politisch motivierte Kriminalität -rechtsDie Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich PMK -rechtsist mit 3.135 Straftaten (2020: 3.389) im Vergleich zum Vorjahr um 254 Straftaten (7,5 Prozent) gesunken. Propagandadelikte und Volksverhetzungen machen mit 74,3 Prozent (2.329 von 3.135 Straftaten), wie in den Vorjahren, den überwiegenden Anteil der Straftaten im Bereich PMK -rechtsaus (2020: 75,8 Prozent). Es konnten 1.280 Straftaten beziehungsweise 40,8 Prozent polizeilich geklärt werden. Damit sinkt die Aufklärungsquote um 1,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt wurden 1.257 Tatverdächtige ermittelt (2020: 1.411). Davon waren 1.056 Personen beziehungsweise 84 Prozent männlich und 201 beziehungsweise 16 Prozent weiblich. Die am höchsten belastete Altersgruppe war mit 252 Personen die der 50bis 59-Jährigen. Es folgte die Gruppe der 30 bis 39-Jährigen mit 244 Personen. 692 (55,1 Prozent) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2020: 826 beziehungsweise 58,5 Prozent). Vorherrschende Themenfelder der PMK -rechtswaren Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus (Rückgang von 2.256 auf 2.078 Straftaten) und Hasskriminalität (Rückgang von 1.318 auf 1.209 Straftaten). Dahinter folgt das Themenfeld Konfrontation/ politische Einstellung (Anstieg von 923 auf 1.042 Straftaten). In der deliktischen Aufschlüsselung fällt besonders ein Rückgang an Propagandadelikten auf. Wurden 2020 noch 1.962 Propagandadelikte polizeilich erfasst, so ist für 2021 mit 1.778 Strafanzeigen eine Abnahme um 184 Straftaten erkennbar (-9,4 Prozent). Unter dem Begriff Propagandadelikte werden die in den Paragraphen 86, 86a StGB aufgeführten Straftaten (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) erfasst. 30 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Straftaten nach den Paragraphen 86 und 86a StGB sind in der Vergangenheit zu einem großen Teil situationsbedingt und im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen oder anderweitig im Zusammenhang mit Begegnungen im öffentlichen Leben festgestellt worden. Aufgrund der Beschränkungen hinsichtlich der Corona-Pandemie seit März 2020 kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass sowohl die Möglichkeiten zur Begehung vorgenannter Straftaten als auch gleichermaßen die Wahrnehmbarkeit potenzieller Propagandadelikte und damit verbunden ihrer Entdeckung starken Einschränkungen unterlagen. Es kann in diesem Kontext jedoch eine Verlagerung von Straftaten in den virtuellen Raum des Internets festgestellt und dementsprechend ein Zuwachs im Bereich des Hellfeldes ausgemacht werden. 2020 wurden in NRW im Phänomenbereich PMK -rechtsnoch 438 Straftaten mit Internetbezug erfasst, für das Jahr 2021 sind es bereits 469 Straftaten (+7,1 Prozent). Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK -rechtsDie Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige ist mit 121 Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 17,1 Prozent gefallen (2020: 146 Straftaten). Schwerpunktmäßig handelte es sich um Körperverletzungen (104 Straftaten beziehungsweise 86 Prozent). PMK-rechts und PMK-rechts-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich extremIsmus In zahlen 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Aufklärungsquote der Gewaltdelikte im Bereich PMK -rechtsliegt mit 85 geklärten Taten bei 70,2 Prozent (2020: 91 Straftaten beziehnungsweise 62,3 Prozent). Hasskriminalität im Phänomenbereich PMK -rechtsDer Hasskriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, des sozialen Status, physischer und/oder psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung, der sexuellen Orientierung oder aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes gerichtet sind. Die Hasskriminalität im Phänomenbereich PMK -rechtsist mit 1.209 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 8,3 Prozent rückläufig (2020: 1.318 Straftaten). Deliktisch gesehen liegen die Schwerpunkte bei Volksverhetzungen (519 Straftaten), Beleidigungen (274 Straftaten) und Straftaten gemäß der Paragraphen 86, 86a StGB (149 Straftaten). Die Anzahl der Gewaltdelikte im Themenfeld Hasskriminalität ist mit 91 Straftaten gesunken (2020: 112 Straftaten). Antisemitische Straftaten Die Anzahl der antisemitischen Straftaten (aller Phänomenbereiche) ist von 284 auf 437 Straftaten angestiegen (53,9 Prozent). Dieser signifikante Anstieg kann im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurückgeführt werden. Zum einen wurde während der Proteste und Aktionen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt im Frühsommer 2021 eine Vielzahl von Straftaten (rund 150) von Antisemiten aus allen extremistischen Phänomenbereichen begangen. Zudem stellte das Bundeskriminalamt in 61 Fällen im Internet begangene antisemitischen Straftaten fest, die wegen des Feststellorts und den fehlenden weiteren Täterhinweisen nach dem Tatortprinzip statistisch NRW zugerechnet werden. Bei den Deliktsgruppen machten - wie in den Vorjahren - Volksverhetzungen (249 Straftaten), Sachbeschädigungen (63 Straftaten) und Propagandadelikte (52 Straftaten) den überwiegenden Anteil der Fallzahlen aus (83,3 Prozent). Die Anzahl der antisemitischen Gewaltdelikte ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Delikt auf acht Straftaten gesunken. 32 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 368 Straftaten beziehungsweise 84,2 Prozent der antisemitischen Straftaten wurden im Jahr 2021 dem Phänomenbereich PMK -rechtszugeordnet. Das ist im Vergleich zum Vorjahr (92,6Prozent) zwar ein leichter Rückgang, bleibt aber auf hohem Niveau. Antisemitische Strafund Gewalttaten im 10-Jahres-Vergleich Reichsbürger/Selbstverwalter Die Anzahl der Gesamtstraftaten im Zusammenhang mit Reichsbürgern/Selbstverwaltern hat 2021 im Vergleich mit dem Vorjahr von 49 auf 69 Taten um 40,8 Prozent zugenommen. Unter diesen Taten sind acht Gewaltdelikte zu verzeichnen. Sieben der Gewaltdelikte wurden 2021 aufgeklärt (87,5 Prozent). Politisch motivierte Kriminalität -linksDie Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK -linksist mit 1.207 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 15,6 Prozent gesunken (2020: 1.430 Straftaten). In 2021 konnten mit 315 Straftaten insgesamt weniger Straftaten geklärt werden als im Jahr zuvor (2020: 362 Straftaten). Die Aufklärungsquote stieg jedoch aufgrund der ebenfalls gesunkenen Fallzahl auf 26,1 Prozent (2020: 25,3 Prozent). Insgesamt wurden 475 (2020: 457) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 335 (70,5 Prozent) männlich und 140 (29,5 Prozent) weiblich. Die am höchsten belastete AltersextremIsmus In zahlen 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 gruppe war mit 98 Personen die der 25 bis 29-Jährigen. Es folgte die Gruppe der 21bis 24-Jährigen mit 97 Personen. 160 Tatverdächtige (33,7 Prozent) waren zuvor polizeilich in Erscheinung getreten (2020: 188 beziehungsweise 41,1 Prozent). Vorherrschende Themenfelder waren wie in den Vorjahren Konfrontation mit dem politischen Gegner (Rückgang von 1.047 auf 989 Straftaten), Innenund Sicherheitspolitik (Anstieg von 532 auf 588 Straftaten), Ökologie/Industrie/Wirtschaft (Rückgang von 310 auf 224 Straftaten) und Antifaschismus (Rückgang von 290 auf 149 Straftaten). Die Straftaten im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Rodungen im Hambacher Forst zum Braunkohletagebau haben abgenommen. In diesem Kontext wurden im Berichtszeitraum 123 Straftaten verübt, die dem Phänomenbereich PMK -linkszugerechnet werden (2020: 174 Straftaten). Der Anteil der Straftaten bei versammlungsrechtlichen Ereignissen am Gesamtaufkommen der PMK -linkslag mit 344 von 1.207 Straftaten beziehungsweise 28,5 Prozent deutlich über dem Niveau des Vorjahres (2020: 241 von 1.430 Straftaten beziehungsweise 16,9 Prozent). Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK -linksDie Anzahl der Gewaltdelikte durch linksmotivierte Tatverdächtige ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,4 Prozent gestiegen (141 Straftaten, 2020: 135 Straftaten). PMK-links und PMK-links-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich 34 ExtrEmismus in ZahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 68,1 Prozent der Gewaltdelikte PMK -links(96 von 141 Straftaten) wurden bei demonstrativen Ereignissen verübt (2020: 47 Straftaten beziehungsweise 34,8 Prozent). Im Jahr 2021 wurden 71 Gewaltdelikte aufgeklärt und somit 20 mehr als im Vorjahr (2020: 51 Straftaten). Die Aufklärungsquote stieg auf 50,4 Prozent (2020: 37,8 Prozent). Politisch motivierte Kriminalität -ausländische IdeologieDie Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologieist mit 211 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 52,9 Prozent gestiegen (2020: 138 Straftaten). In 2021 konnten mit 99 Straftaten insgesamt mehr Straftaten geklärt werden als im Jahr zuvor (2020: 59 Straftaten). Die Aufklärungsquote stieg somit auf 46,9 Prozent (2020: 42,8 Prozent). Insgesamt wurden 122 Tatverdächtige ermittelt (2020: 63). Davon waren 100 Personen beziehungsweise 82 Prozent männlich und 22 Personen beziehungsweise 18 Prozent weiblich. Die am häufigsten aufgetretene Altersgruppe war mit 26 Personen (21,3 Prozent) die Altersgruppe der 18bis 20-Jährigen. 67 Personen (54,9 Prozent) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2020: 34 beziehungsweise 54 Prozent). Hauptsächliche Themenfelder waren Krisenherde/Bürgerkriege (Anstieg von 82 auf 141 Straftaten), Konfrontation/politische Einstellung (Anstieg von 97 auf 116 Straftaten), Hasskriminalität (Anstieg von 24 auf 66 Straftaten) sowie Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität (Anstieg von 59 auf 73 Straftaten). Neben dem jährlich wiederkehrenden Veranstaltungsschwerpunkt "Kurdenthematik" (79 Straftaten) hat sich im Zusammenhang mit dem Israel/Palästina-Konflikt mit 84 Straftaten ein weiterer Schwerpunkt gebildet. Der überwiegende Teil dieser Straftaten entfiel auf den Mai 2021. Der seit Mai 2021 erneut eskalierende Nahost-Konflikt prägte maßgeblich die frühsommerliche Veranstaltungslage in Nordrhein-Westfalen. Von Anfang Mai bis Anfang Juni wurden in diesem Kontext über 80 Veranstaltungen bekannt, wovon die weit überwiegende Mehrheit eine pro-palästinensische Ausrichtung aufwies. Der starke Anstieg von Straftaten in den Themenfeldern Israel, Palästina und antiextremIsmus In zahlen 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 semitischer Hasskriminalität kann vor allem auf das Veranstaltungsgeschehen im Kontext Nahost-Konflikt zurückgeführt werden. Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK -ausländische IdeologieDie Anzahl der Gewaltdelikte der PMK -ausländische Ideologieliegt bei 27 Straftaten (2020: 18 Straftaten) und machen 12,8 Prozent (2020: 13,0 Prozent) der Gesamtdelikte aus. Die Anzahl der Gewaltdelikte des Phänomenbereichs ist somit um 50 Prozent angestiegen. Es handelt sich dabei um Körperverletzungsdelikte (16 Straftaten beziehungsweise 59,3 Prozent) sowie Widerstandshandlungen (11 Straften beziehungsweise 40,7 Prozent). Wie bei den Gesamtzahlen liegen hier die Schwerpunkte in der Kurdenthematik und dem Israel/Palästina-Konflikt. PMK-ausländische Ideologie und PMK-ausländische Ideologie-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich Die Aufklärungsquote bei den Gewaltdelikten der PMK -ausländische Ideologieliegt mit neun geklärten Straftaten bei 33,3 Prozent (2020: 15 Straftaten; 83,3 Prozent). 36 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Politisch motivierte Kriminalität -religiöse IdeologieIm Bereich PMK -religiöse Ideologiewurden 46 der insgesamt 59 registrierten Straftaten (2020: 18 von 34 Straftaten) aufgeklärt; das entspricht einer Aufklärungsquote von 78 Prozent (2020: 52,9 Prozent). Es wurden fünf Gewaltdelikte im Bereich PMK -religiöse Ideologieverzeichnet - darunter ein versuchtes Tötungsdelikt - die alle aufgeklärt werden konnten. PMK-religiöse Ideologie und PMK-religiöse Ideologie-Gewalt im 3-Jahres-Vergleich Die Zahl der 2021 registrierten Straftaten im Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus betrug 55 (2020: 32 Straftaten). Es konnten insgesamt 38 Tatverdächtige ermittelt werden (2020: 21): 33 Männer (86,8 Prozent) sowie fünf Frauen (13,2 Prozent); davon waren 24 Tatverdächtige (63,2 Prozent) bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2020: 13 beziehungsweise. 61,9 Prozent). Transnationale jihadistische Terrororganisationen, insbesondere Al-Qaida (AQ) und der sogenannte Islamische Staat (IS) konnten ihren Prozess des Wiedererstarkens und der Neuorganisation weiter fortsetzen. Der sogenannte IS ist in seiner Kernregion weiterhin im Untergrund aktiv und handlungsfähig. Aber auch seine "Provinzen" in Subsahara-Afrika und in Zentralund Südostasien rücken stärker in den Fokus. Die Strahlkraft seiner jihadistischen Ideologie ist weiterhin groß und besitzt eine enorme Anziehungskraft. Die IS-Ideologie wird durch Propaganda weiterhin beworben und wirkt auf junge Islamisten immer noch attraktiv; auch AQ bemüht sich weiterhin um Nachwuchs. extremIsmus In zahlen 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das Jahr 2021 war in Europa durch von Einzeltätern verübten Anschlägen geprägt. Es mehrten sich Messer-Attacken durch Täter mit psychischen Auffälligkeiten und Erkrankungen, wobei die jihadistische Ideologie und Propaganda hier vielfach einen motivierenden Einfluss zu haben schienen. Die Bedrohung durch inspirierte Anschläge von Kleinstgruppen, teils in Familienstrukturen organisiert, ist hinzugekommen. Der vereitelte Anschlag auf eine Synagoge in Hagen steht exemplarisch dafür. Die Vereinnahmung solcher Attentate sind sowohl für den sogenannten IS als auch für AQ eine wichtige Taktik, um Macht und Stärke zu demonstrieren und neue Anhänger zu mobilisieren. Westliche Staaten stehen auch weiterhin im Fokus transnationaler Terrororganisationen. Die abstrakte Gefährdung für jihadistisch motivierte Gewalttaten bleibt für die Bundesrepublik Deutschland weiterhin anhaltend hoch. Politisch motivierte Kriminalität -nicht zuzuordnenIm Bereich PMK -nicht zuzuordnenstieg die Zahl der Straftaten im Vergleich zum Vorjahr weiter um 15,1 Prozent von 1.552 auf 1.787 Straftaten an. Es konnten 581 der registrierten Straftaten (2020: 435 von 1.552 Straftaten) aufgeklärt werden; das entspricht einer Aufklärungsquote von 32,5 Prozent (2020: 28 Prozent). Vorherrschende Themenfelder waren wie in den Vorjahren Konfrontation/politische Einstellung (Anstieg von 1.010 auf 1.463 Straftaten) und Innenund Sicherheitspolitik (Rückgang von 962 auf 701 Straftaten). Das 2020 neu aufgetretene Themenfeld Sozialpolitik stieg von 450 auf 665 Straftaten an. Die Zahl der 2021 registrierten Straftaten im Unterthemenfeld Gesundheitswesen beträgt 660 Straftaten (2020: 447 Straftaten). Es wurden 69 Gewaltstraftaten im Bereich PMK -nicht zuzuordnenverzeichnet. 2020 waren es 31 Gewaltstraftaten und somit ergibt sich eine Steigerung von 122,6 Prozent. Insgesamt 653 Tatverdächtige wurden ermittelt (2020: 465): 526 Männer (80,6 Prozent) und 127 Frauen (19,4 Prozent). 236 Tatverdächtige (36,1 Prozent) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2020: 186 beziehungsweise 40 Prozent). Der Anstieg der Straftaten allgemein und insbesondere der Gewaltstraftaten lässt sich auf die anhaltenden Corona-Proteste zurückführen (Anstieg von 447 auf 658 Straftaten beziehungsweise von neun auf 36 Straftaten). 38 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Zahl der Straftaten rund um die Bundestagswahl 2021 bleibt mit 547 Delikten um 9,9 Prozent hinter der Anzahl der Straftaten im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen NRW 2020 (607 Delikte) zurück. Trotz dieses Rückgangs ist die Thematik "Wahlen" neben den Ereignissen zur Corona-Pandemie eindeutiger Schwerpunkt in diesem Phänomenbereich. PMK-nicht zuzuordnen und PMK-nicht zuzuordnen-Gewalt im 5-Jahres-Vergleich extremIsmus In zahlen 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Strafund Gewalttaten der PMK-Phänomenbereiche nach Deliktsgruppen 40 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 extremIsmus In zahlen 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 42 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Verfassungsschutz -- ein wichtiger Akteur innerhalb der staatlichen Sicherheitsarchitektur Verfassungsschutz -- eIn wIchtIger akteur Innerhalb der staatlIchen sIcherheItsarchItektur 43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Verfassungsschutz -- ein wichtiger Akteur innerhalb der staatlichen Sicherheitsarchitektur Das Bild eines Verfassungsschutzes, der als Nachrichtendienst Informationen sammelt und sie im Wesentlichen einmal jährlich über den Verfassungsschutzbericht veröffentlicht, ist weit verbreitet. Dabei hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz darüber hinaus eine wichtige und zentrale Bedeutung als Akteur innerhalb der staatlichen Sicherheitsarchitektur. Er wirkt jeden Tag aktiv und in unterschiedlichen Rollen bei der Abwehr von Gefahren und beim Schutz der Gesellschaft vor extremistischen Bedrohungen mit. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat die zentrale Aufgabe, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten. Damit Bevölkerung, Politik und Medien Anzeichen für Extremismus frühzeitig erkennen können, leistet er intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmittel an. Dieser Jahresbericht gehört dabei zu den etablierten Veröffentlichungen des Dienstes. Daneben klärt der Verfassungsschutz aber auch insbesondere mit Faltblättern, Broschüren und Web-Angeboten sowie in den sozialen Medien und bei Veranstaltungen über die einzelnen Extremismusbereiche auf. Denn eine informierte, aufgeklärte Öffentlichkeit trägt wesentlich dazu bei, die Gesellschaft vor extremistischen Bestrebungen zu schützen. Die Arbeit des NRW-Verfassungsschutzes geht jedoch weit über den Bereich der Aufklärung und Sensibilisierung hinaus. Er ist an zahlreichen Stellen in Behördenverfahren eingebunden, arbeitet in Einsatzlagen mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen, bringt seine Expertise in zahlreiche Gremien und Fachdiskurse ein und koordiniert sogar Aktivitäten unterschiedlicher Stellen, beispielsweise im Bereich der Prävention. Aktive Frühwarnung Alle Beteiligten profitieren dabei von der Expertise und den Erkenntnissen, die der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem bereits in einem sehr frühen Stadium über Entwicklungen in den extremistischen Phänomenbereichen gewinnt. Er ist dabei ein wichtiger Partner von Behörden auf Bundesund Landesebene. In Vorträgen und Fortbildungen informiert er unter anderem Polizei und Justiz immer wieder über neueste Entwicklungen und seine Erkenntnisse zu Bestrebungen, Organisationen und einzelnen Personen. Eine frühzeitige Zusammenführung, Bewertung und Analyse von Informa44 Verfassungsschutz -- eIn wIchtIger akteur Innerhalb der staatlIchen sIcherheItsarchItektur Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 tionen unter Beteiligung aller verantwortlichen Behörden hat eine hohe Priorität bei der Zusammenarbeit in allen interdisziplinären Gremien, in denen der Verfassungsschutz als fester, aktiver Bestandteil mitwirkt. Ziel ist immer auch, sich abzeichnende Gefahren möglichst weit im Vorfeld zu erkennen und auf diese hinzuweisen. Bei der Zusammenarbeit achtet der Verfassungsschutz strikt auf die Einhaltung von Trennungsgebot, Geheimund Quellenschutz. Mitwirkung bei behördlichen Verfahren Die Erkenntnisse des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes haben zudem Bedeutung für behördliche Entscheidungen und werden in entsprechenden Verwaltungsverfahren fortlaufend angefragt beziehungsweise aktiv beigesteuert. Dies sind beispielsweise Verbotsverfahren nach dem Vereinsoder dem Parteiengesetz, Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffenrecht und Überprüfungen von Personen, die in besonders sicherheitsempfindlichen Bereichen wie einem Flughafen beschäftigt werden oder werden sollen. Erkenntnisse des Verfassungsschutzes haben auch immer wieder eine Bedeutung für polizeiliche Ermittlungsverfahren. Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden Sofern konkrete polizeiliche Lagen für den Verfassungsschutz relevant sind, versucht dieser nach Möglichkeit bereits im Vorfeld, mit offenen und nachrichtendienstlichen Mitteln Erkenntnisse zu gewinnen. Zu den Mitteln zählen dabei neben Recherchen in Printund Online-Medien, sozialen Netzwerken und sonstigen offenen Plattformen unter anderem auch die Befragung geeigneter Quellen und der Informationsaustausch mit Partnerdiensten. Auf diesen Wegen gewonnene Informationen werden daraufhin überprüft, ob Belange des Quellenschutzes oder das Trennungsgebot einer Weitergabe an die Polizei entgegenstehen. Wo dies nicht der Fall ist, werden die Informationen für die Lagebewältigung an die Polizei übermittelt. Der Verfassungsschutz begleitet zudem polizeiliche Lagen mit eigenen Lageeinschätzungen und informiert die Polizeibehörden über situativ eingehende Erkenntnisse. Im Nachgang analysiert der Verfassungsschutz die Geschehnisse, bewertet sie mit Blick auf ihre Extremismusrelevanz, trägt zur Identifizierung von Personen bei und prüft, ob und was aus den festgestellten Entwicklungen der Öffentlichkeit mitgeteilt werden kann beziehungsweise sollte. Kompetenter Experte und wichtiger Partner auf Bundesund Landesebene Zu den ureigenen Aufgaben und zum gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen gehören Aufklärung und Prävention. Um die Öffentlichkeit zu informieren und aufzuklären, unterbreitet er eigene, zielgruppennahe Angebote und beteiligt sich aktiv mit seiner Expertise an Veranstaltungen und öffentlichen ForVerfassungsschutz -- eIn wIchtIger akteur Innerhalb der staatlIchen sIcherheItsarchItektur 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 maten. Neben der allgemeinen Öffentlichkeit werden ausgewählte Zielgruppen, wie Mitarbeitende in Sicherheitsbehörden oder Schulen, adressiert. In Veranstaltungen und Publikationen wird über Erscheinungsformen von Extremismus sowie aktuelle Entwicklungen informiert und sensibilisiert. Mit Hilfe von Fortbildungen und Trainings vermittelt der NRW-Verfassungsschutz gemeinsam mit Kooperationspartnern inhaltliche und methodische Kompetenz zur Extremismusprävention. Diese Qualifizierungen bieten die Möglichkeit, Haltungen zu reflektieren und Handlungssicherheit zu gewinnen. Über das Präventionsprogramm Wegweiser und die drei eigenen Aussteigerprogramme für Rechtsund Linksextremisten sowie für Islamisten tritt der Verfassungsschutz unmittelbar mit Betroffenen und deren Umfeld in Kontakt. Koordinierungsund Schnittstellenfunktion Vernetzung und Austausch haben eine hohe Bedeutung für eine erfolgreiche Arbeit in den Phänomenbereichen und in der Prävention. Daher steht der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit unterschiedlichsten Akteuren auf Bundesund Landesebene und im Bereich der Zivilgesellschaft informell über Netzwerke und formal über Gremien in einem regelmäßigen Austausch. Die Aufgabe der Rückkehrkoordination im Bereich des Islamismus ist eine solche formalisierte Einrichtung des Verfassungsschutzes, die sich aus der Notwendigkeit ergeben hat, rund um die rückkehrenden Angehörigen und Anhänger des sogenannten IS, schnellstmöglich abgestimmte Präventionsangebote und Hilfen zu organisieren. Ausführliche Beispiele zu den beschriebenen Rollen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes bieten die Fokus-Texte der Kapitel Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Spionageabwehr und Prävention dieses Berichtes. 46 Verfassungsschutz -- eIn wIchtIger akteur Innerhalb der staatlIchen sIcherheItsarchItektur Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Verfassungsschutz -- eIn wIchtIger akteur Innerhalb der staatlIchen sIcherheItsarchItektur 47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 48 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsextremismus rechtsextremIsmus 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Die Corona-Pandemie wirkte sich 2021 weiterhin auf das Geschehen im Rechtsextremismus aus. Rechtsextremisten versuchen nach wie vor, Einfluss auf die CoronaLeugner-Szene zu nehmen. Dabei gibt es innerhalb der Protestbewegung immer weniger Abgrenzungsreflexe zum Rechtsextremismus. Kampagnenthema Migration Bei aktuellen geopolitischen Entwicklungen, die eine mögliche Migration nach Deutschland auslösen könnten, versuchen Rechtsextremisten kampagnenartig Ängste und Aggressionen zu schüren. Dies betraf 2021 die Diskussion um die Aufnahme von Ortskräften und möglichen Flüchtlingen aus Afghanistan sowie die Migration von Menschen aus dem Nahen Osten, die via Weißrussland nach Europa reisen wollten. Mit Bezug auf die Diskussion um den Flüchtlingszuzug 2015 werden menschenverachtende Aussagen verbreitet, ein vermeintliches Staatsversagen behauptet und zu Aktionen aufgerufen, die das staatliche Gewaltmonopol in Abrede stellen. Quantitative Entwicklung Das rechtsextremistische Personenpotenzial in NRW ist seit 2015 kontinuierlich von 3.470 auf 3.940 Personen angestiegen. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten ist aber mit 2.000 gleichbleibend hoch geblieben. Der Rechtsextremismus zeichnet sich zudem durch eine hohe Dynamik aus, die durch drei Entwicklungsstränge Radikalisierung, Entgrenzung und Virtualisierung geprägt ist. Radikalisierung Die Radikalisierung zeigt sich unter anderem darin, dass Rechtsextremisten die derzeitige politische Situation in Endzeitund Bürgerkriegsszenarien diskutieren und zum Teil daraus folgern, sich auf diese Auseinandersetzung vorbereiten zu müssen. Das permanente Wiederholen von Feindbildern und das rassistische Zuspitzen von gesellschaftlichen Konflikten liefert einigen Rechtsextremisten eine vermeintliche Rechtfertigung für Gewalttaten. In diesem ideologischen Umfeld haben sich in den vergangenen Jahren mehrfach rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickelt. Gravierende Anschläge waren der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke (2019), der Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale (2019) 50 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 mit zwei Todesopfern und der Anschlag in Hanau (2020), bei dem neun Menschen mit Migrationsbiografie ermordet wurden. Derzeit findet der Prozess gegen die Gruppe S. statt, deren Mitglieder 2020 verhaftet wurden und die Anschläge auf Muslime und Politiker geplant hatte. Entgrenzung Ein anderer Teil des Rechtsextremismus, insbesondere die Neue Rechte, versucht, die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen, fremdenfeindliche und autoritäre Argumente im politischen Diskurs zu "normalisieren" und somit anschlussfähig für breitere Teile der Gesellschaft zu werden. Dazu nutzt man unter anderem islamfeindliche Kampagnen, denen die Szene eine "Türöffnerfunktion" zuschreibt. Man möchte den Rechtsextremismus entgrenzen. Virtualisierung Der Rechtsextremismus nutzt den durch die virtuellen Möglichkeiten des Internets hervorgerufenen Strukturwandel der Öffentlichkeit intensiv zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung sowie zur Vernetzung und Organisation. Ein besonderes Problem dabei stellen sogenannte "Echokammern" dar, in denen die Teilnehmer sich gegenseitig in ihrem Hass bestätigen. Reichsbürger und Selbstverwalter Reichsbürger und Selbstverwalter leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und versuchen die Handlungsfähigkeit des Staates zu beeinträchtigen. Von einzelnen Reichsbürgern geht ein erhebliches Gefahrenpotenzial aus. An den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen haben Reichsbürger vielfältig mitgewirkt und intensiv Verschwörungsmythen verbreitet, die zu einer Verunsicherung der Bevölkerung beitragen. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y rechtsextremIsmus 51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Die Mitwirkung des Verfassungsschutzes bei behördlichen Verfahren Der Verfassungsschutz hat keine exekutiven Befugnisse. Mit seiner Expertise unterstützt er jedoch andere Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgabe. Laut gesetzlichem Auftrag beschäftigt sich der Verfassungsschutz mit zielund zweckgerichtet agierenden Personenzusammenschlüssen. Deshalb hat er im Rechtsextremismus vor allem deren Strukturen im Blick. Mitwirkung bei Verbotsverfahren Die Erkenntnisse des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sind bedeutsam, wenn Behörden Voraussetzungen prüfen, ob Vereinigungen nach dem Vereinsgesetz verboten werden können. Beispielsweise hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat 2020 die Gruppierung Combat 18 verboten. Vom Verbot war auch ein Mitglied der Gruppierung aus NRW betroffen. Die Belege für die verbotswürdigen Aktivitäten lieferten die Verfassungsschutzbehörden und die Polizei. Auch bei einem Parteiverbotsverfahren spielen insbesondere die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden eine zentrale Rolle. Beim letzten NPD-Verbotsverfahren (2013 bis 2017) lieferten die Verfassungsschutzbehörden eine umfangreiche Erkenntniszusammenstellung über verfassungsfeindliche Aktivitäten der NPD. Das Bundesverfassungsgericht hat vor dem Hintergrund dieser Belege festgestellt, dass die Partei zwar verfassungswidrig, aber politisch zu unbedeutend sei, um sie verbieten zu können. Im Juli 2019 haben der Bundesrat, der Bundestag und die Bundesregierung einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Auch hier haben die Verfassungsschutzbehörden die Belege zum Nachweis der verfassungsfeindlichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Partei zusammengestellt. Erkenntnisse für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Bei größeren Versammlungen von Rechtsextremisten gibt der Verfassungsschutz, wann immer möglich, eigene Erkenntnisse und Bewertungen an die Versammlungsbehörden weiter. Damit werden diese im Vorfeld bei einer fundierten Gefahrenprognose unterstützt, mit der sie eigene Maßnahmen ergreifen können. Gewinnt der Verfassungsschutz Kenntnis von geplanten oder bereits durchgeführten Straftaten durch Rechtsextremisten, informiert er die Polizei, die für die Strafverfolgung zu52 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 ständig ist. Beispielsweise übermittelte der Verfassungsschutz des Landes NordrheinWestfalen der Polizei Erkenntnisse, nach denen ein Kölner Rechtsextremist im Besitz einer Substanz war, die für den Bau einer "Unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtung" (USBV) geeignet war. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben strafrechtlich relevante Erkenntnisse und Bezüge zu zwei weiteren Rechtsextremisten. Bei den daraufhin erfolgten Durchsuchungen am 16. Dezember 2021 konnten unter anderem NS-Devotionalien, möglicherweise sprengfähiges Material, eine Schreckschusspistole sowie bei allen Betroffenen Betäubungsmittel sichergestellt werden. Durchführung von Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen Seit Anfang 2020 gibt es in NRW im Waffenrecht eine sogenannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Das bedeutet: Bei jeder Neubeantragung oder Verlängerung waffenrechtlicher Erlaubnisse fragen die Waffenbehörden beim Verfassungsschutz nach, ob dort Erkenntnisse zur antragstellenden Person vorliegen. Der Verfassungsschutz speichert zudem die Waffenbesitzer und kann somit den Waffenbehörden auch nachträglich bekannt gewordene Erkenntnisse mitteilen, damit sie die Einleitung von Widerrufsverfahren prüfen können. Insbesondere bei Rechtsextremisten und Reichsbürgern, in deren Szenen eine hohe Waffenaffinität besteht, hat dies bei einer dreistelligen Zahl von Personen zu Erkenntnismitteilungen des Verfassungsschutzes an die Waffenbehörden geführt. Weiterhin wirkt der Verfassungsschutz bei Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen mit. Dies betrifft zum einen Personen, die mit staatlichen sicherheitsrelevanten Tätigkeiten betraut sind. Zum anderen handelt es sich um Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen, wie dem Sicherheitsbereich eines Flughafens oder einer Atomanlage, eingesetzt werden. Seit 2018 hat das Ministerium des Innern NRW veranlasst, dass die Kommissaranwärterinnen und -anwärter der Polizei vor der Einstellung einer Überprüfung beim Verfassungsschutz unterzogen werden. Berichterstattung an die Politik Der Verfassungsschutz stellt seine Erkenntnisse der Politik zur Verfügung. Er antwortet unter anderem auf parlamentarische Anfragen, die als sogenannte Kleine Anfrage oder als Berichte an den Innenausschuss des Landtags angefordert und dann vom Landtag veröffentlicht werden. Im vergangenen Jahr hatte die Landtagsfraktion der GRÜNEN eine sogenannte Große Anfrage zum Rechtsextremismus in NRW gestellt. In der 129 Seiten umfassenden Antwort gibt der Verfassungsschutz gemeinsam mit der Polizei einen umfassenden Überblick über sämtliche relevanten rechtsextremistischen Strukturen im Land. rechtsextremIsmus 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 NPD Sitz/Verbreitung Bundesverband: Berlin; Landesverband: Essen Gründung/Bestehen seit 1964 (Bundesund Landesverband NRW) Struktur/ Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz (seit 2014); Landesvorsitzender: Claus Cremer (seit Juni 2008); einstellige Zahl handlungsfähiger Kreisverbände Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 400\ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen: Zeitung des Bundesverbandes Deutsche Stimme (monatlich) als Printversion Web-Angebote: Bundesund landesbezogene Web-Auftritte; fast alle Kreisverbände haben eigene Webseiten oder sind in den sozialen Netzwerken vertreten; BlickpunktTV und Nationaldemokraten als YouTube-Kanäle Kurzporträt/Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 17. Januar 2017 im NPD-Verbotsverfahren fest, dass es sich um eine verfassungsfeindliche Partei handele, der es aber an Potenzial fehle, ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu realisieren. Die Partei kooperiert mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Neonazis. Neben der Parteipolitik beteiligt sich die Partei auch an rechtsextremistischer Brauchtumspflege und versucht erlebnisorientierte Angebote für die Szene zu machen. Innerhalb der Partei existieren unterschiedliche Strömungen, die sich unter anderem im Grad der radikalen Selbstdarstellung unterscheiden. 54 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der NRW-Landesverband spielt innerhalb des Bundesverbandes nur eine geringe Rolle. In den vergangenen Jahren haben einige Kreisverbände in NRW ihre Aktivitäten weitgehend eingestellt, so dass nur noch eine Handvoll aktiver Kreisverbände übriggeblieben ist. Zudem gelingt es dem Landesverband nicht, den rechtsextremistischen Nachwuchs für die Partei zu interessieren. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie in Deutschland ab und will diese beseitigen. Dies betrifft wesentliche Prinzipien und Grundwerte der Verfassung. So negiert die Partei die tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Vielmehr spricht die NPD Menschen lediglich eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. Die von der NPD verfolgten politischen Ziele laufen auf einen autoritären Staat hinaus, in dem die Prinzipien der durch das Grundgesetz garantierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Die NPD verfolgt eine rechtsextremistische Ideologie, die auf das Prinzip der Volksgemeinschaft baut und sich vor allem durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hervortut. Eine solche Volksgemeinschaft definiert die Partei ausschließlich nach ethnischen Kriterien. Alle Bürger, die diesen ethnischen Kriterien nicht genügen, will die Partei aus den demokratischen Prozessen ausschließen und damit entrechten. Das heißt, dass sie die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Artikel 3 des Grundgesetzes ablehnt. Weiterhin verbreitet die NPD antisemitische und revisionistische Propaganda, indem sie beispielsweise den Holocaust oder die Zahl der Opfer in Frage stellt und die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges leugnet. Angesichts der vielfachen Bezüge auf die Ideologie der NSDAP gibt es eine inhaltliche Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus, die auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 feststellte. Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele überdies in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies zeigt nicht zuletzt ihre Zusammenarbeit mit gewaltbereiten rechtsextremIsmus 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Neonazis und Hooligans. Die NPD unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Corona-Pandemie Die Corona-Pandemie war auch für die NPD ein relevantes Thema. In den sozialen Medien erschienen regelmäßig Statements der wenigen aktiven Kreisverbände und Mitglieder zu den Corona-Schutzmaßnahmen. Die rechtsextremistische Partei setzte dabei ihren im Vorjahr eingeschlagenen Kurs fort, sich gegen die Maßnahmen der Landesund Bundesregierung zu stellen. So betitelte sich die NPD als "die letzte verbliebene Partei der Freiheit" und positionierte sich deutlich gegen eine Covid-19-Impfung und -Impfpflicht. Vertreter der nordrhein-westfälischen NPD unterstützten darüber hinaus am 20. März 2021 eine Großdemonstration von Maßnahmenkritikern in Kassel. Versammlungen und Veranstaltungen Die NPD veranstaltete gemeinsam mit der Partei Die Rechte am 1. Mai 2021 eine Kundgebungsreihe in Dortmund, Essen und Düsseldorf. Daran nahm auch der stellvertretende Parteivorsitzende Thorsten Heise teil. Dieser hielt in Essen eine Rede, in der er einige Presse-Fotografen namentlich ansprach. Dies betraf unter anderem einen Fotografen, der vor Heises Grundstück in Fretterode (Thüringen) von Personen aus dessen Umfeld angegriffen wurde. Mit dem namentlichen Benennen von Journalisten sollen die Betroffenen indirekt bedroht werden, ohne dass dabei die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wird. Ferner beteiligten sich einige NPD-Mitglieder an einer Kundgebung am 27. September 2021 in Dortmund anlässlich des Todes des Rechtsextremisten Siegfried Borchardt. Der NPD-Landesvorsitzende aus Nordrhein-Westfalen, Claus Cremer, fungierte dabei als einer von zwei Fackelträgern an der Spitze der Demonstration. Der Bundesvorsitzende der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten, Paul Rzehaczek, hielt im Oktober 2021 einen Vortrag in Bielefeld über Linksextremismus. Neben Parteimitgliedern besuchten auch weitere Rechtsextremisten aus der Region die Veranstaltung. 56 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Flutkatastrophe Anlässlich der Flutkatastrophe in verschiedenen Regionen Deutschlands im Juli 2021 beteiligte sich der NPD-Landesvorsitzende bei Aufräumarbeiten in Bochum-Dahlhausen und gerierte sich als "Kümmerer". Zudem forderte er zur Unterstützung der Hilfsaktion "Deutsche helfen Deutschen" auf. Das Spendengeld erhielt aber nicht eine unabhängige Hilfsorganisation, sondern die Partei selber. Mit der Namensgebung der Spendenaktion verdeutlichte die rechtsextremistische Partei, dass sie die Hilfe nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach ethnischer Herkunft leisten möchte. Außerdem war das Medienteam der NPD im Ahrtal, berichtete über die Notlage und versuchte den Staat als handlungsunfähig und die Politiker als handlungsunwillig darzustellen. NPD - Die soziale Heimatpartei Seiten, die dieser Seite gefallen 27. Juli um 04:34 * Am 26. September: Quittung für Laschet, Söder und Konsorten! Alliance for Peace and Freedom NPD wählen! Die NPD stellt die Politik in einem Facebook-Post NPD Materialdienst zur Flutkatastrophe im Ahrtal als handlungsUdo Voigt unfähig dar - Politiker werden als Volksverräter bezeichnet Aktueller Beitrag der Seite NPD - Die soziale Heimatpartei Heute um 04:00 Jetzt richtet sich der grüne Männer-Hass sogar gegen Männer mit Migr... Mehr ansehen 1 Teilen NPD - Die soziale Heimatpartei Heute um 03:07 Jens Janik Mit Kay Nerstheimer, dem ersten NPD27. Juli um 03:48 Abgeordneten im Berliner Oft muss man sich die Frage stellen, was sich unsere Polit-Darsteller eigentlich noch Abgeordnetenhaus, zieht die NPD in den alles leisten können, damit die Deutschen ihr Wahlverhalten ändern. Wahlkampf! Halten wir fest: 7 2 Mal geteilt - Hunderte Menschen und Tiere sind qualvoll ertrunken und das nur, weil unsere Politversager die Anwohner nicht gewarnt haben, oder sie nicht warnen wollten. Teilen - 2019 gab die Regierung 23,1 Milliarden Euro für ihre Asylpolitik aus, während für die Opfer der Flutkatastrophe nur ein Bruchteil davon zur Verfügung gestellt wird! NPD - Die soziale Heimatpartei - Darüber hinaus gibt die Regierung 1 Milliarde Euro gegen Rechts aus, als ob in jeder Heute um 01:00 Ecke böse Skinheads lauern, die irgendwelche Leute verprügeln. Für die einheimischen Flut-Opfer hingegen ist noch nicht einmal die Hälfte davon für Soforthilfe Die Kritik der Union am von den Grünen da. geplanten Multikulti-Minister... - Die sogenannten Flüchtlinge, die ab 2015 angeblich selbst dringend Hilfe benötigten, Mehr ansehen sieht man in der Regel nicht helfen. Außer wenn das Staatsfernsehen ein paar Propaganda-Bilder benötigt. Einige plündern sogar die Wertsachen, die wegen der Flut zerstreut herumliegen. Und es gab schon Beweisbilder, auf denen zu sehen ist, wie 2 1 Mal geteilt Schwarzafrikaner den deutschen Helfern tatenlos zuschauen! Teilen - Die grüne Klima-Jugend will die Flut-Katastrophe für Demos instrumentalisieren, anstatt vor Ort mit anzupacken! - Die geheuchelte Anteilnahme von Steinmeier, Laschet und Konsorten wurde entlarvt, als diese Politversager im Hintergrund herumalberten und kicherten, während sie sich Deutsch * English (US) * Türkce * ungefilmt wähnten. Espanol * Portugues (Brasil) Deutsches Volk, erkenne endlich, dass das System volksfeindlich ist! Auf das ihnen das Lachen vergehen möge! Privatsphäre * Impressum/Terms/NetzDG /UrhDaG * Werbung * Datenschutzinfo * #Flutkatastrophe #flutopfer #Volksverräter #Laschet #ArminLaschet #CDU #NPD Cookies * Mehr #hochwasser2021 #Hochwasser Facebook (c) 2021 2 rechtsextremIsmus 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bundestagswahl Die stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Ariane Meise trat für die Landesliste der NPD als Spitzenkandidatin an. Der Wahlkampf zur Bundestagswahl zeigte indessen ein weiteres Mal, dass die rechtsextremistische Partei in Nordrhein-Westfalen kaum noch über aktive Kreisverbände verfügt. Nur in Köln und Bochum hielt die NPD Infostände ab und in wenigen weiteren Städten hängte sie Plakate auf. Bei der Bundestagswahl erzielte die NPD 8.956 Zweitstimmen in Nordrhein-Westfalen (0,1 Prozent). Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 entspricht dies einem Rückgang von 0,1 Prozentpunkten. Auf Bundesebene erzielte die NPD insgesamt 64.574 Stimmen (0,1 Prozent). Dies stellte einen weiteren Verlust gegenüber dem schon schwachen Ergebnis bei der BundestagsWahlplakat der NPD zur Bundestagswahl wahl 2017 um 0,2 Prozentpunkte dar. Um an der 2021 staatlichen Teilfinanzierung zu partizipieren, hätte die Partei mindestens 0,5 Prozent erzielen müssen. Insofern bleibt der rechtsextremistischen Partei weiterhin eine wichtige Finanzierungsquelle verschlossen. Das Wahlergebnis zeigt, dass die NPD als Wahlpartei kaum noch Bedeutung besitzt. Reformdebatte Vor diesem Hintergrund des Niedergangs der NPD findet innerhalb der rechtsextremistischen Partei eine Reformdebatte statt. Dabei diskutieren die Rechtsextremisten, ob die NPD weiterhin als Wahlpartei oder eher als Kaderpartei fungieren soll. Auch steht zur Diskussion, ob man sich einen neuen Namen geben soll. Die Befürworter sagen, dass mit dem alten Namen in der Öffentlichkeit keine Zustimmung zu gewinnen sei, während die "Traditionalisten" die Identität der Partei bedroht sehen. Die Reformdebatte führt allerdings nicht zu einer Belebung des Parteilebens, sondern verstärkt die Fliehkräfte und verschärft die Auseinandersetzung zwischen innerparteilichen Strömungen. Überdies erscheint es fraglich, ob und mit welchen Maßnahmen der Bedeutungsverlust aufzuhalten ist. 58 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Vernetzung Der NRW-Landesvorsitzende Claus Cremer vertritt die NPD auch in der europäischen Vereinigung rechtsextremistischer Parteien "Alliance for Peace and Freedom"(AFP). Als offizieller Vertreter der NPD nahm er im Mai an einem "europäischen Nationalistenkongress" in Rom teil. Bei einer weiteren Veranstaltung der AFP am 25. und 26. September 2021 in Belgrad hielt Cremer eine Rede, in der er sagte, dass "die NPD an der Seite aller weissen Nationalisten in Europa" stehe. Außerdem nahm ein Teil des Landesvorstandes an einem Treffen von Europa Terra Nostra teil, das am 24. und 25. Juli 2021 in Pirna (Sachsen) stattfand. Dabei handelt es sich um einen Verein, der als Stiftung fungiert und der AFP nahesteht. Antrag, die NPD von der Parteienfinanzierung auszuschließen Im Juli 2019 haben der Bundesrat, der Bundestag und die Bundesregierung einen 150-seitigen Antrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Sollte der Antrag Erfolg haben, würden der NPD zugleich die Steuerprivilegien für Parteien aberkannt. Laut den Antragstellern verfolgt die rechtsextremistische Partei planvoll das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts war das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht noch anhängig. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei, die mit ihrer vor allem fremdenfeindlichen Politik kaum noch die Öffentlichkeit erreicht. Der Landesverband in NordrheinWestfalen hat in den vergangenen Jahren fortwährend aktive Mitglieder verloren, so dass kaum noch handlungsfähige Kreisverbände existieren und die rechtsextremistische Partei weiter an Bedeutung verliert. Für eine Trendumkehr gibt es keine Anzeichen. Vom Landesvorstand kommen derzeit keine Reformimpulse. Auch der Bundesverband steht im Zeichen des Niedergangs. Das desaströse Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 verschärft den innerparteilichen Streit um die strategische Neuausrichtung und trägt zur weiteren Demotivation der Mitglieder bei. rechtsextremIsmus 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aufbruch Leverkusen e.V. Sitz/Verbreitung Leverkusen Gründung/Bestehen seit 2019 Struktur/ Repräsentanz Lokaler Verein in Leverkusen, ein Sitz im Leverkusener Stadtrat Mitglieder/Anhänger/ 30 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Internetpräsenzen, Infozeitung Kurzporträt/Ziele Bei der Gruppierung Aufbruch Leverkusen e.V. handelt es sich um eine lokal agierende Nachfolgeorganisation von Pro NRW, deren Akteure sich aus der aufgelösten Partei rekrutieren. Thematisch setzt man die fremdenund islamfeindlichen Kampagnen von Pro NRW fort. Weiterhin sucht Aufbruch Leverkusen e.V. die Zusammenarbeit mit der Gruppierung Aufbruch Deutschland 2020 und zu Kleinstgruppierungen aus dem Umfeld der rechtsextremistisch geprägten Mischszene. Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Gruppierung Aufbruch Leverkusen e.V. missachtet mit ihren Aussagen und Forderungen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot. Sie vermittelt ein negatives Menschenbild über Minderheiten, welches ausschließlich an deren Nationalität oder Religionszugehörigkeit anknüpft. Dabei greifen sowohl Wortwahl als auch die Argumentationsmuster die Menschenwürde an und sind deshalb nicht mit dem 60 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grundgesetz vereinbar. Aufbruch Leverkusen e.V. unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aufbruch Leverkusen e.V. bezeichnet sich selbst als "Fundamentalopposition". Tatsächlich setzte der Verein auch 2021 seine Kampagnen gegen Minderheiten fort. Wie bereits früher Pro NRW versuchten die Rechtsextremisten Vorurteile zu schüren, indem sie Migranten und Muslime pauschal negativ charakterisierten und sie als Bedrohung von Sicherheit und Wohlstand darstellten. Beispielsweise griff der rechtsextremistische Verein die Diskussion auf, dass die Stadt Köln den öffentlichen Muezzinruf zuzulassen beabsichtigt. In diesem Zusammenhang stellt Aufbruch Leverkusen e.V. in einem Beitrag am 11. Oktober 2021 auf seiner Webseite den Islam als Ideologie dar, die sich gegen die Grundrechte richten würde. Um die Forderung "Religionsfreiheit Auf seiner Internetseite verunglimpft Aufbruch Leverkusen e. V. Moslems pauschal als Islamisten darf nicht in grenzenlose Toleranz ausarten!" des rechtsextremistischen Vereins zu begründen, verweist er auf Islamisten, insbesondere den Fall einer IS-Terroristin. Damit setzt Aufbruch Leverkusen e.V. Muslime mit Islamisten gleich und versucht Muslime pauschal zu stigmatisieren. Letztlich legt der Beitrag nahe, Muslimen die Religionsfreiheit abzusprechen. Im Zusammenhang mit dem Sturz des Regimes in Afghanistan durch die Taliban äußerte sich das Mitglied des Leverkusener Stadtrates von Aufbruch Leverkusen e.V., Markus Beisicht, in einem Interview am 20. August 2021 und forderte, das Grundrecht auf Asyl auszusetzen. rechtsextremIsmus 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Des Weiteren war die Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen von Bund, Land und Stadt das zentrale Thema von Aufbruch Leverkusen e.V. im Jahr 2021. Der rechtsextremistische Verein führte dazu mehrfach Kundgebungen durch und griff das Thema wiederkehrend im Stadtrat Leverkusens auf. Ein durchgehendes Argumentationsmuster ist dabei, den regierenden Parteien bei der Pandemiebekämpfung pauschal unlautere Absichten zu unterstellen und die Maßnahmen durch irreführende Vergleiche mit rassistischer Diskriminierung zu delegitimieren. So fasste der Verein eine Rede Beisichts auf einem "Bürgerstammtisch" am 1. Oktober 2021 folgendermaßen zusammen: "Unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung wollen die Leverkusener Altparteien zehntausende gesunde ungeimpfte Bürger dreist in einer Art von Impfapartheid vom gesellschaftlichen Leben ausschließen!" Auch mit der Unterstützung von Protestveranstaltungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen versuchte der Verein, Sympathie in diesem Protestmilieu zu gewinnen. Im Dezember 2021 meldete er diesbezüglich eigene Versammlungen an und konnte dazu bis zu 200 Teilnehmer mobilisieren. Aufbruch Leverkusen e.V. hat auch für eine Veranstaltung der rechtsextremistischen Kleinstgruppierung Aufbruch Deutschland 2020 gegen die Corona-Schutzmaßnahmen am 12. April 2021 in Zeitz (Sachsen-Anhalt) geworben und daran teilgenommen. Der damalige Vorsitzende Winfried Kranz nahm an einer Veranstaltung der Gruppierung Aufbruch Deutschland 2020 in Zeitz teil. Die dortige Rede gegen die Corona-Schutzmaßnahmen veröffentlichte der Verein auf YouTube. 62 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bei der Jahreshauptversammlung am 17. November 2021 wurde der bisherige Schriftführer Andy Schmitt zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er folgt dem bisherigen Vorsitzenden Winfried Kranz nach. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Aufbruch Leverkusen e.V. versucht, sich mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen zu vernetzen. Allerdings gelingt dem Verein dies nur mit einigen wenigen Kleinstgruppierungen. Die öffentliche Wirkung des Vereins reicht nicht über Leverkusen hinaus. Er stellt die lokale Fortsetzung der aufgelösten Partei Pro NRW dar. Strategische oder inhaltliche Innovationen sind nicht zu erkennen. Insofern besitzt er lediglich die Bedeutung einer lokalen rechtsextremistischen Splittergruppe. rechtsextremIsmus 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Völkisch-nationalistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), ehemals "Flügel" Sitz/Verbreitung Seit der formalen Auflösung des "Flügels" am 30. April 2020 dezentrale Auffächerung; Aktivitäten auf lokaler Ebene Gründung/Bestehen seit 14. März 2015 (Veröffentlichung der "Erfurter Resolution") Struktur/ Repräsentanz Sammlungsbewegung; maßgebliche Leitund Identifikationsfigur: Björn Höcke Mitglieder/Anhänger/ NRW: Personenpotenzial von circa 950 \ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Verlagerung in geschlossene Gruppen der sozialen Netzwerke Kurzporträt/Ziele Der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss agiert nach der formellen Auflösung des "Flügel" weiterhin als Sammlungsbewegung innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die ideologische Ausrichtung fokussiert sich im Wesentlichen auf das völkische Konzept des sogenannten Ethnopluralismus. Damit knüpft der völkischnationalistische Personenzusammenschluss unmittelbar an den Entwurf einer ethnisch homogenen Gemeinschaft an, den die rechtsextremistische Neue Rechte vertritt. Diese Zielsetzung versucht der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss zu verschleiern und stellt sich selbst als vermeintliches Sprachrohr einer bürgerlichen Mitte dar. 64 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Finanzierung Indirekt, in dem der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss entsprechend seiner Verankerung in den Parteistrukturen der AfD an den Mitgliedsbeiträgen partizipiert. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die ideologische Ausrichtung des völkisch-nationalistischen Personenzusammenschlusses manifestiert sich in den Aussagen der führenden Funktionäre im Rahmen von Reden auf Veranstaltungen und in zentralen Positionspapieren. Es finden sich zahlreiche Stellungnahmen, die eine völkisch-nationalistische Ideologie propagieren, beziehungsweise fremdenund muslimfeindlich sind. Der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss propagiert ein in Teilen revisionistisches Geschichtsbild. Sein ethnisch homogener Volksbegriff und sein antiindividualistisches Menschenbild sind in der Gesamtschau nicht mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde und dem Demokratieund dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Nordrhein-Westfalen setzten die Anhänger des völkisch-nationalistischen Personenzusammenschlusses die Grabenkämpfe der vergangenen Jahre mit den gemäßigteren Parteikräften innerhalb der AfD fort. Dabei zeigte sich, dass die ideologische Auseinandersetzung mitunter von persönlichen Animositäten und Machtinteressen überlagert wurde. Seit der formellen Auflösung des "Flügel" tritt der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss nicht mehr als Gruppierung im öffentlichen Raum auf. Trotzdem versucht die Strömung weiterhin auf die personelle und inhaltliche Ausrichtung des Landesverbandes bei innerparteilichen Wahlen und Abstimmungen Einfluss zu nehmen. Die geringe Repräsentanz in den Spitzengremien des Landesverbandes erschwert jedoch die Einflussnahme. Im Jahr 2021 dominierte die Corona-Pandemie die politischen Diskussionen. Dabei vertrat der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss eine Fundamentalopposition zu den von Bund und Ländern ergriffenen Corona-Schutzmaßnahmen, die mit einer Verächtlichmachung der staatlichen Institutionen, der politischen Gegner rechtsextremIsmus 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 und der demokratischen Prozesse einherging. Hierbei kam es zu Überschneidungen mit dem extremistischen Spektrum der so genannten Querdenken-Bewegung. Am 15. September 2021 organisierte der AfD-Kreisverband Paderborn eine Veranstaltung mit Björn Höcke als Hauptredner, der auch hier Verschwörungserzählungen verbreitete. So handele es sich bei Corona angeblich um eine "Inszenierung" durch "die Medien" im Interesse eines "globalistischen Establishments": "[...] dann weiß man, dass hier ein neuer Überwachungsstaat aufgebaut werden soll. [...] Es gab niemals eine epidemische Lage nationaler Tragweite im Kontext Corona." Die Äußerungen zu den Regierungsparteien offenbaren sein Freund-Feind-Denken, mit dem er dem politischen Gegner ausschließlich negative Absichten unterstellt: "[...] das scheint mir so zu sein, als wenn die Feinde Deutschlands in der Regierung Deutschlands sitzen würden." Zudem äußerte er sich dezidiert fremdenfeindlich: "[...] Afghanen sind besonders anfällig für Kriminalität im Bereich Gewalt, Mord und Totschlag." Des Weiteren forderte Höcke "ein großangelegtes Remigrationsprogramm", was eine verklausulierte Formulierung für die rechtsextremistische Parole "Ausländer raus" darstellt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Trotz der formellen Auflösung des "Flügel" agiert der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss innerhalb der AfD informell weiter. Er hat sich in Nordrhein-Westfalen insbesondere auf der Ebene einiger Kreisverbände und in sozialen Netzwerken etabliert Der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss ist ebenfalls von einem tendenziellen Mitgliederverlust der Partei AfD betroffen. Er stellt einen weiterhin signifikanten, allerdings nicht dominierenden Faktor im Landesverband der AfD dar. Damit verharrt der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss in Nordrhein-Westfalen in seiner Rolle als rechtsextremistisches Netzwerk, das seine Positionen sowohl in der AfD als auch außerhalb der Partei verbreiten will. 66 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 rechtsextremIsmus 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der III. Weg Sitz/Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz); Verbreitung hauptsächlich in Südund in Ostdeutschland; zwei so genannte Stützpunkte in NRW Gründung/Bestehen seit 28. September 2013 in Heidelberg Struktur/ Repräsentanz Vorsitzender Bundesverband: seit 13. November 2021 Matthias Fischer, bis 13. November 2021 Klaus Armstroff; Vorsitzender Landesverband West (ehemals Gebietsverband West): Julian Bender Drei Landesverbände: Bayern, Sachsen und West; 21 teilweise länderübergreifende sogenannte Stützpunkte, zwei davon in Nordrhein-Westfalen. Gründung des Stützpunkt Sauerland-Süd am 29. Dezember 2015, umfasst insbesondere Siegen und den Landkreis Olpe. Der Stützpunkt Rheinland, am 16. März 2019 gegründet, umfasst den Großraum Düsseldorf und Köln. Die Partei-Gründung erfolgte zunächst unter Beteiligung einzelner ehemaliger NPD-Mitglieder und Neonazis aus Rheinland-Pfalz und Hessen. Als sich 2014 in Bayern ein Verbot des Neonazi-Netzwerks Freies Netz Süd abzeichnete, trat ein Teil der betroffenen Neonazis in die Partei Der III. Weg ein und sah die Partei als Auffangstruktur, um staatlichen Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Die Aktivisten nutzen somit den Schutzmantel des Parteienprivilegs, um ihre neonazistischen Aktivitäten fortzusetzen. Mitglieder/Anhänger/ NRW: rund 40/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen verschiedene Internetpräsenzen; Publikationen 68 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kurzporträt/Ziele Die Partei Der III. Weg propagiert ein rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild, insbesondere greift sie völkisch-nationalistische Elemente des historischen Nationalsozialismus auf. So lehnt sie sich mit ihrem 10-Punkte-Programm ideologisch an das Gedankengut der NSDAP an und fordert einen "deutschen Sozialismus" ein. Zudem beteiligt sich die Partei an revisionistischen Kampagnen, die darauf abzielen, nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Das Parteiprogramm der Partei Der III. Weg zeigt, dass die Rechtsextremisten eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus anstreben, die durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden ohne Rücksicht auf die Menschenrechte verwirklicht werden soll. Diesem Verständnis folgend agitiert die Partei vor allem gegen Flüchtlinge und verletzt damit fortlaufend deren Menschenwürde. Zahlreiche Mitglieder waren zuvor in anderen rechtsextremistischen Organisationen aktiv. Zudem pflegt die Partei Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen in Europa, wie zum Beispiel "Die Goldene Morgenröte" (Griechenland), "Bulgarischer Nationalbund" und "Nordische Widerstandsbewegung" (Schweden). Der III. Weg unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Partei Der III. Weg hielt am 13. November 2021 einen Bundesparteitag ab, bei dem die Mitglieder Matthias Fischer zum neuen Parteivorsitzenden und den bisherigen Vorsitzenden, Klaus Armstroff, zu seinem Stellvertreter wählten. Stützpunkt Sauerland-Süd Der regionale Schwerpunkt der Aktivitäten der Partei in Nordrhein-Westfalen war 2021 Siegen. Durch das am 6. Juli 2020 in Siegen eröffnete erste Parteibüro in NordrheinWestfalen verfolgt Der III. Weg die Strategie, über eigene Räumlichkeiten zu verfügen, rechtsextremIsmus 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 um möglichst ungestört seinen Aktivitäten nachgehen können. Allerdings läuft der Mietvertrag Ende Juni 2022 aus und wird wahrscheinlich nicht verlängert. Der III. Weg hielt regelmäßig Veranstaltungen und Kundgebungen in Siegen ab. Als in Plauen (Sachsen) eine Versammlung der Partei zum 1. Mai kurzfristig durch die zuständigen Behörden untersagt wurde, organisierte der "Stützpunkt Sauerland-Süd" eine Ersatzveranstaltung in Siegen mit 45 Anhängern. Eine Woche später veranstaltete die Partei am 8. Mai 2021 vor dem Parteibüro eine Kundgebung zum Thema "Kampf der Rotfront! - Für einen Deutschen Sozialismus", an der sich 55 Parteianhänger beteiligten. Dabei bemühte sich die Partei, ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung deutlich darzustellen. So äußerte sich Julian Bender, der Leiter des "Stützpunktes Sauerland-Süd", in seiner Rede folgendermaßen: "Unser Kampf gilt diesem System". Hinter dem Redner war ein Banner der Partei mit dem Schriftzug "Reserviert für Volksverräter!" und dem Bild eines Gefängnisses aufgehängt. Mit einer weitgehend einheitlichen Kleidung, mitgeführten Trommeln und Parteifahnen sowie dem Abbrennen von Rauchfackeln versuchte Der III. Weg, die an die Kundgebung anschließende Demonstration im Stil nationalsozialistischer Veranstaltungen der 1930er Jahre zu inszenieren. In der Weihnachtszeit führte der Stützpunkt am 11. Dezember 2021 vor seinem Parteibüro eine politische Versammlung durch, die er weihnachtsmarktähnlich inszenierte und mit der die Verantwortlichen vor allem provozierend gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestieren wollten. Darüber hinaus versuchen die Rechtsextremisten, politische Gegner einzuschüchtern. Am Vorabend der 1. Mai-Kundgebung versammelten sich rund zehn vermummte Parteianhänger vor einem alternativen Kulturzentrum in Siegen und zeigten dort ein Banner mit der Aufschrift "Kampf der Rotfront!". Der III. Weg veröffentlichte einen Bericht zu der Aktion auf seiner Webseite, in dem er ein Foto der Aktion zeigte und versuchte, eine Drohkulisse aufzubauen: "Beim Besuch konnte leider niemand für einen revolutionären Diskurs angetroffen werden und auch die Türen waren verschlossen [...]". Am 7. Mai 2021 attackierten zwei Angehörige der rechtsextremistischen Partei in der Nähe des Parteibüros zwei Sympathisanten des Bündnisses "Siegen gegen Rechts", raubten deren Handy und beschädigten deren Fahrzeug durch Tritte. Der Strafprozess begann dazu im Dezember 2021 vor dem Amtsgericht Siegen. Weiterhin war der "Stützpunkt Sauerland-Süd" in Olpe aktiv. Dort veranstalteten die Rechtsextremisten am 3. Juli 2021 zum vierten Mal den "Tag der Heimattreue", mit dem die sich selbst als "nationalrevolutionäre Bewegung" bezeichnende Partei öffentliche Aufmerksamkeit provozieren wollte. Die Veranstaltung begannen die Rechtsextremisten mit einem Demonstrationszug durch das Stadtviertel. Zu Beginn 70 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zerriss ein Parteimitglied eine Regenbogenfahne, womit die Verachtung gegenüber gleichgeschlechtlich orientierten Menschen symbolisiert werden sollte. Auf der Veranstaltung bot die Partei unter anderem ideologische Vorträge und einen Kampfsportkurs an. Anlässlich des "Christopher Street Day" (CSD) führte Der III. Weg am 5. September 2021 eine Versammlung mit 20 Rechtsextremisten in Olpe durch, die er als "Gegenpol" zum CSD bezeichnete. Dazu hatte die Partei den rechtsextremistischen Videoblogger Nikolai Nerling alias "Der Volkslehrer" als Redner zu ihrer Versammlung eingeladen. Dieser versuchte den CSD zu diskreditieren, indem er ihn als kommunistische Propaganda beschrieb. Die rechtsextremistische Partei nannte den CSD in einem Bericht vom 6. September 2021 auf ihrer Webseite "Totentanz der 'bunten' Gesellschaft". Damit setzte sie die bereits in den vergangenen Jahren verbreitete Diffamierung von Homosexuellen fort. Im Nachgang der Versammlung organisierte Der III. Weg im Siegener Parteibüro eine Vortragsveranstaltung mit Nerling. Wie in den vergangenen Jahren waren für den "Stützpunkt Sauerland-Süd" revisionistische Veranstaltungen von wesentlicher Bedeutung, bei denen man in Bezug auf den Nationalsozialismus eine Täter-Opfer-Umkehr betrieb. So fand am 28. März 2021 in Olpe eine Kranzniederlegung statt, an der sich 24 Rechtsextremisten beteiligten. Sie wollten damit den Eindruck erwecken, dass das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg das Opfer der Alliierten gewesen sei. Erstmals führte der Der III. Weg am 2. Oktober 2021 in Wuppertal eine Versammlung unter dem Motto "Das Volk will Zukunft!" durch. Damit beabsichtigt die Partei, ihre Aktivitäten künftig auch auf das Bergische Land auszudehnen. Allerdings nahmen nur 13 Rechtsextremisten teil. Eine einstellige Personenzahl dieser Gruppe war bislang für die Identitäre Bewegung in der Region aktiv. Stützpunkt Rheinland Die Aktivitäten des zweiten nordrhein-westfälischen Stützpunktes ("Stützpunkt Rheinland"), der den Großraum Köln/Düsseldorf umfasst, beschränkten sich im Berichtszeitraum vor allem auf die Verteilung von Flugblättern in Düsseldorf und den angrenzenden Städten. Gelegentlich nahmen die Rechtsextremisten auch an Veranstaltungen anderer Stützpunkte teil. Außerdem knüpften sie Kontakte zu einer führenden Aktivistin der spanischen rechtsextremistischen Organisation Bastion Frontal, die im vergangenen Jahr mit einer antisemitischen Rede in Spanien eine größere internationale öffentliche Aufmerksamkeit erlangte. Mit dieser Rechtsextremistin rechtsextremIsmus 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 besuchten Mitglieder des "Stützpunkt Rheinland" das von der rechtsextremistischen Partei ausgerichtete revisionistische "Heldengedenken" in Wunsiedel (Bayern). Kampagnen Wie im Vorjahr war die Agitation gegen die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung für den III. Weg ein zentrales Thema. Dabei ging es den Rechtsextremisten nicht um eine kritische Diskussion einzelner Maßnahmen, sondern darum, ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekunden. Dementsprechend stellten sie ihre Beiträge zu dem Thema unter den Slogan: "Das System ist gefährlicher als Corona!" Insbesondere zum Jahresende verstärkte die rechtsextremistische Partei ihre diesbezüglichen Aktivitäten. Der von ihr betriebene Podcast "Revolution auf Sendung" kündigte die Sendung am 5. Dezember 2021 mit folgendem Text an: "Wir sind alle ungeimpft! Alles rund um die Corona-Zwangsmaßnahmen." Überdies rief Der III. Weg mit dem Spruch "Raus auf die Straße" dazu auf, gegen die Corona-Politik zu demonstrieren. Ebenso wollte der "Stützpunkt Sauerland-Süd" die weihnachtsmarktähnliche Veranstaltung am 11. Dezember 2021 in Siegen in seiner Ankündigung als Zeichen gegen den von der Partei so bezeichneten "Impfterror" verstanden wissen. Der III. Weg nutzte die Hochwasserkatastrophe 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, um seine Narrative in die Öffentlichkeit zu tragen. Er stellte einerseits den Staat als handlungsunfähig und die Politiker als handlungsunwillig dar und andererseits gerierten sich die Rechtsextremisten als "Kümmerer", die ein vermeintliches Staatsversagen ausgleichen würden. Über einen Hilfseinsatz von Parteimitgliedern berichtete Der III. Weg ausführlich mit Fotos auf der parteieigenen Webseite. Dabei betitelte er seine Aktivitäten mit dem Motto "Hilfe für Deutsche". Nach der biologistischen Sichtweise der Rechtsextremisten heißt das, dass nur denjenigen geholfen werden solle, die eine deutsche Herkunft vorweisen können. Bundestagswahl 2021 Die rechtsextremistische Partei beteiligte sich 2021 an der Bundestagswahl. Allerdings trat Der III. Weg nur in den Ländern Bayern und Sachsen an. Der Wahlkampf fand unter dem Motto "Freiheit statt Corona-Diktatur" statt. Tatsächlich versuchten die Rechtsextremisten mit maximaler Provokation und wenig subtilen Drohungen gegenüber politischen Parteien beziehungsweise Politikern öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. So hängte die Partei in Bayern und Sachsen Plakate mit der Aufschrift "Hängt 72 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 die Grünen!" auf. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen entschied, dass die Partei die Plakate entfernen müsse, da sie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten und "eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit" seien. Eine Woche vor der Bundestagswahl meldete der Leiter des Landesverbandes West, Julian Bender, eine Versammlung der rechtsextremistischen Partei in Würzburg für den 18. September 2021 an. Am Versammlungstag präsentierte Der III. Weg drei mit Laken bedeckte Strohpuppen, die mit roter Farbe beschmiert waren. Dadurch entstand der Eindruck, dass es sich um blutbefleckte Leichen handele. Über den Köpfen der Strohpuppen waren Fotos der drei Kanzlerkandidaten angebracht. Bei der Bundestagswahl erzielte die rechtsextremistische Partei lediglich 7.830 Stimmen. Dennoch wertete Der III. Weg den Wahlantritt als Erfolg, da die Partei "weit höhere Bekanntheit als zuvor, eine große Anzahl neuer Interessenten und Materialbestellungen sowie eine Festigung der Organisation" erreicht habe. Die Mitglieder der Partei Der III. Weg haben die Organisationsform als Partei vor allem deshalb gewählt, um vom Parteienprivileg zu profitieren und damit staatliche Sanktionsmaßnahmen zu erschweren. Die Teilnahme an der Bundestagswahl diente letztlich dazu, diesen Parteienstatus zu erhalten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die maßgeblichen Aktivitäten der Partei gehen in Nordrhein-Westfalen vom "Stützpunkt Sauerland-Süd" aus. Wie im vorangegangenen Jahr legten die Rechtsextremisten einen Schwerpunkt darauf, sich die Skepsis gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Teilen der Bevölkerung zu Nutze zu machen und die Proteste zu radikalisieren. Trotzdem stagnieren die Mitgliederzahlen und es gelingt dem III. Weg weiterhin nicht, eine Anschlussfähigkeit an breitere Kreise der Gesellschaft herzustellen. Bemerkenswert ist, dass die rechtsextremistische Partei in Nordrhein-Westfalen nicht mit anderen rechtsextremistischen Organisationen zusammenarbeitet. Das liegt an der grundsätzlichen Ausrichtung der Partei. Der III. Weg stellt sich inhaltlich und stilistisch weitgehend in die Tradition der Nationalsozialisten. Mit den Provokationen und wenig subtilen Drohungen gegen demokratische Politiker und Parteien wollen die Rechtsextremisten ihre politischen Gegner einschüchtern und öffentliche Aufmerksamkeit erreichen. rechtsextremIsmus 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Rechte Sitz/Verbreitung Bundesgeschäftsstelle in Dortmund; fünf Landesverbände Gründung/Bestehen seit Bundesverband: 27. Mai 2012, Landesverband NordrheinWestfalen: 15. September 2012 Struktur/ Repräsentanz Bundesvorsitzender: Christian Worch; Landesvorsitzender: Alexander Deptolla; der Landesverband Nordrhein-Westfalen verfügt über neun Kreisverbände, deren regionaler Schwerpunkt im Ruhrgebiet liegt. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 290 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Webangebote: Veröffentlichungen der Partei auf Bundesund Landesebene überwiegend über soziale Medien wie Telegram, Facebook oder Twitter sowie die eigene Website Kurzporträt/Ziele Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei Die Rechte ist vor allem ein Sammelbecken von Neonazis, die aus den 2012 verbotenen Kameradschaften in Dortmund, Hamm und Aachen kommen. Der Aufbau von neuen Kreisverbänden hat jedoch auch neues Personenpotenzial an die Partei herangeführt. Ziel des Landesverbandes ist es weiterhin, die bisherigen neonazistischen Aktivitäten nunmehr im Schutz des sogenannten Parteienprivilegs zu betreiben und neonazistische Propaganda zu verbreiten. Die meisten Mitglieder dürften ihre Organisation weiterhin nicht als Partei begreifen. Hauptsächlich geht es den Aktivisten darum, ihre "Erlebniswelt Rechtsextremismus" vor staatlichen Repressionsmaßnahmen zu schützen. 74 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 So richtet Die Rechte Demonstrationen, Mahnwachen, Geburtstagspartys, Rechtsrockkonzerte und Sonnenwendfeiern nunmehr als Parteiveranstaltungen aus. Politische Schwerpunkte der Partei Die Rechte sind Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Des Weiteren stellt sich die Partei Die Rechte offen in eine nationalsozialistische Tradition. So änderte sie bereits im Jahr 2017 das Parteiprogramm dahingehend ab, dass sich die Partei nunmehr zur "Volksgemeinschaft" bekennt, dem zentralen gesellschaftspolitischen Leitbild in der nationalsozialistischen Ideologie. Finanzierung Mitgliedsbeiträge der Parteimitglieder und Einnahmen aus Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei Die Rechte ist ein Sammelbecken für Neonazis und ideologisch wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus. Sie tritt in aggressiv-kämpferischer Weise auf. Dies trifft insbesondere auf den Landesverband Nordrhein-Westfalen zu, der den Bundesverband dominiert. Die Partei Die Rechte versucht, die von ihnen ausgemachten Gegner der Partei einzuschüchtern. Zu diesen Gegnern zählen Politiker, Journalisten und Bürger, die sich kritisch mit der Partei Die Rechte auseinandersetzen, sowie Behördenmitarbeiter, die im Sinne der wehrhaften Demokratie repressive Maßnahmen gegen Rechtsextremisten veranlassen. Meistens formulieren die Parteiaktivisten ihre Bedrohungen jedoch unterhalb der Grenze der Strafbarkeit. Zugleich sind die Einschüchterungsversuche eindeutig genug, so dass die Adressierten wissen, wie es gemeint ist. Die Partei verfolgt die Strategie, Provokation und Einschüchterung zu maximieren und das strafrechtliche Risiko zu minimieren. Die Rechte unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. rechtsextremIsmus 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesverband Am 22. August 2021 führte der Bundesverband der Partei Die Rechte einen Bundesparteitag in Wesertal, Hessen, durch. Die bisherigen Bundesvorsitzenden Sascha Krolzig und Sven Skoda wurden durch Christian Worch abgelöst. Zu dessen Stellvertreter wählten die Mitglieder den stellvertretenden Landesvorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Markus Walter. Bis zum Bundesparteitag war der Vorstand der Partei aufgrund der Inhaftierung von einem Teil der Vorstandsmitglieder nur begrenzt handlungsfähig. Auf Bundesebene sind insgesamt rückläufige Aktivitäten der Partei zu beobachten. Beispielsweise gab es keine Anstrengungen, bei der Bundestagswahl 2021 bundesweit oder mit einer Landesliste anzutreten. Dies ist Ausdruck des geringen Interesses der Mitglieder an parteipolitischen Aktivitäten. Landesverband Nordrhein-Westfalen Der Landesverband hat im Jahr 2021 eine unverändert führende Rolle innerhalb der Bundespartei Die Rechte eingenommen. Der Schwerpunkt der Parteiaktivitäten liegt weiterhin in Nordrhein-Westfalen, wobei auch hier eine Schwächung der Führungsebene festzustellen ist. Wie bereits der ehemalige Landesvorsitzende Michael Brück verzog auch das frühere Mitglied des Bundesvorstands Christoph Drewer nach seiner Haftentlassung 2021 nach Sachsen. Der frühere Bundesund Landesvorsitzende Sascha Krolzig verbüßte bis Frühjahr 2022 eine Haftstrafe. Allerdings nimmt der Landesverband kaum eigene Aufgaben wahr. Meistens werden im Namen des Landesverbandes lediglich Versammlungen angemeldet, wobei es sich tatsächlich um Demonstrationen des Dortmunder Kreisverbandes handelt, die überwiegend auch in Dortmund stattfinden, oder um Versammlungen, die zumindest maßgeblich von Dortmunder Parteimitgliedern unterstützt werden. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen führte am 24. April 2021 seinen Landesparteitag in Kerpen durch. Die Mitglieder wählten Alexander Deptolla zum neuen Landesvorsitzenden. Er ist seit mehreren Jahren der Hauptorganisator der rechtsextremistischen Kampfsportreihe "Kampf der Nibelungen". Stellvertretender Landesvorsitzender ist nunmehr Rene Laube, der früher der Führungsaktivist der verbotenen Kameradschaft Aachener Land war. Der Landesverband umfasste 2021 neun Kreisverbände und drei sogenannte Stützpunkte. Führend innerhalb des Landesverbandes 76 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 ist der Kreisverband Dortmund, dem rund 80 mobilisierbare Anhänger angehören. Außer im Kreisverband Dortmund waren lediglich noch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten in den Kreisverbänden Duisburg, Gelsenkirchen/Recklinghausen, OstwestfalenLippe und Rhein-Erft festzustellen. Nachdem der Vorsitzende des Kreisverbandes Gelsenkirchen/Recklinghausen im August 2021 seine Haftstrafe wegen mehrerer Straftaten antrat, sind die Aktivitäten dieses Kreisverbandes weitgehend zum Erliegen gekommen. Im Oktober 2021 verstarb der bisherige Kreisvorsitzende des Kreisverbands Dortmund, Siegfried Borchardt. Borchardt war über viele Jahre in der rechtsextremistischen Szene in Dortmund aktiv und verfügte über bundesweite Bekanntheit. Eine Person mit vergleichbarer Strahlkraft in die rechtsextremistische Szene ist derzeit im Dortmunder Kreisverband nicht vorhanden. Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2022 Der Landesverband beabsichtigt, an der kommenden Landtagswahl im Jahr 2022 teilzunehmen. Hierzu führte er im Anschluss an den Bundesparteitag am 22. August 2021 einen Parteitag durch, bei dem die Landesliste der Kandidaten aufgestellt wurde. Die Mitglieder entschieden sich, den stellvertretenden Landesvorsitzenden Rene Laube als Spitzenkandidaten zu nominieren. Um die für einen Wahlantritt nötigen 500 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern vorzulegen, führten mehrere Kreisverbände, unter anderem in Dortmund, Duisburg und im RheinErft-Kreis seit Ende 2021 mehrfach Infostände Auf Telegram wirbt Die Rechte um Unterschriften, die für einen Antritt bei der durch, um Unterschriften Landtagswahl in NRW 2022 nötig sind zu sammeln. rechtsextremIsmus 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Versammlungen in Nordrhein-Westfalen Die Partei Die Rechte organisierte 2021 im Vergleich zu den Vorjahren nur wenige Kundgebungen und Demonstrationen. Neben den derzeitigen Führungsproblemen und der daraus resultierenden Organisationsschwäche dürfte dies auch an den CoronaSchutzmaßnahmen und den damit verbundenen Auflagen bei Versammlungen liegen. Zum 1. Mai führte Die Rechte gemeinsam mit der NPD drei Kundgebungen und Demonstrationen in Dortmund, Essen und Düsseldorf mit bis zu 150 Teilnehmern durch. Neben schwarz-weiß-roten Fahnen zeigte Die Rechte ein antisemitisches Banner mit der Aufschrift: "Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude: Der Feind ist & bleibt der Kapitalismus!" Das Wort "Jude" wurde hier durch das Wort "Kapitalismus" ersetzt. Zugleich dient "Kapitalismus" als Chiffre für den "geldgierigen Juden". Die Polizei Essen untersagte das Präsentieren des Banners während der Versammlung. Der damalige Parteivorsitzende der Partei Die Rechte, Sven Skoda, skandierte in seiner Rede in Essen den Spruch des eingezogenen Plakats, um sich dann als unschuldiges Opfer der Staatsgewalt darzustellen. Auf ihrer Internetseite berichtet Die Rechte von den Demonstrationen am 1. Mai in Dortmund, Essen und Düsseldorf 78 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Unter dem Motto "Keine Würzburger Zustände in Dortmund" veranstaltete Die Rechte am 4. Juli 2021 eine Kundgebung in der Dortmunder Nordstadt, an der sich 80 Rechtsextremisten beteiligten. Die Versammlung bezog sich inhaltlich auf Tötungsdelikte eines Migranten in Würzburg wenige Tage zuvor. Die Rechte zielt mit Slogans dieser Art darauf ab, Migranten pauschal als kriminell darzustellen und somit fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren. Um mittels Provokation eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen, wählt Die Rechte die Dortmunder Nordstadt, ein Viertel mit hohem Migrationsanteil, regelmäßig als Versammlungsort. Eine weitere Kundgebung fand am 23. August 2021 in Dortmund unter dem Motto "Weg mit dem NWDO-Verbot" statt. Am 23. August 2012 hatte das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen die neonazistischen Kameradschaften Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO), die Kameradschaft Aachener Land (KAL) und die Kameradschaft Hamm (KS Hamm) verboten. Mit dieser jährlich wiederkehrenden Veranstaltung zeigen die Rechtsextremisten, dass sie sich weiterhin mit dem verbotenen NWDO identifizieren. Im Vergleich zu den Kundgebungen in den vergangenen Jahren war aber mit lediglich 30 Teilnehmern eine rückläufige Teilnehmerzahl zu verzeichnen. Anlässlich des Todes von Siegfried Borchardt fand am 9. Oktober 2021 in Dortmund ein sogenannter "Trauermarsch" statt. Die Versammlung meldete der Landesvorsitzende der Partei Die Rechte als Privatperson an. Gleichwohl können die rund 500 Versammlungsteilnehmer überwiegend dem Umfeld der Partei sowie anderen rechtsextremistischen Gruppierungen zugeordnet werden. Zum Abschluss hielt Thorsten Heise, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, eine Rede. Zu Beginn rezitierte er das Lied der Hitlerjugend, wobei er nur das Wort "Hitlerjugend" in "deutsche Jugend" und ein weiteres Wort abänderte. Danach erinnerte er an gemeinsame Erlebnisse mit Borchardt. Dabei handelte es sich zumeist um körperliche Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern. Eine Körperverletzung, die Borchardt einem politischen Gegner zugefügt hatte, verklärte Heise zu "Liebe" zur Heimat. Das Projekt Freivest, das dem Kreisverband Gelsenkirchen/Recklinghausen zugerechnet wird, trat als Organisator eines "Spaziergangs" am 2. August 2021 durch die Gelsenkirchener Innenstadt in Erscheinung. Dieser stand unter dem Motto "Gegen Corona-Maßnahmen und Linken Terror auf nationale Einrichtungen" und wurde mit einer Teilnehmerzahl im unteren zweistelligen Bereich durchgeführt. Unter anderem trat dort der Landesvorsitzende der NPD als Redner auf. Einen für den 28. August 2021 unter dem gleichen Motto angemeldeten Spaziergang führten die Rechtsextremisten nicht durch. rechtsextremIsmus 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Versammlungen überregional Des Weiteren beteiligten sich Mitglieder von Die Rechte an deutschlandweiten revisionistischen Versammlungen. Dazu zählte die Gedenkveranstaltung am 13. Februar 2021 in Dresden (Sachsen) anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Deutsche und internationale Rechtsextremisten nehmen jährlich an der Veranstaltung teil. Im Rahmen der Veranstaltung trat das Dortmunder Stadtratsmitglied Matthias Deyda als Redner auf. In seiner Rede bezeichnete er die Bombardierung Dresdens als "Bombenholocaust". Mit diesem Begriff relativieren Rechtsextremisten zum einen den Holocaust und betreiben zum anderen eine OpferTäter-Umkehr hinsichtlich des deutschen Angriffskrieges 1939. Das ist auch das Kernanliegen dieser revisionistischen Versammlungen. Mit gleicher Zielsetzung fand in Remagen (Rheinland-Pfalz) am 13. November 2021 der alljährliche "Gedenkmarsch für die Toten in den alliierten Rheinwiesenlagern" statt, an dem auch Mitglieder der Partei Die Rechte teilnahmen. Im September 2021 reiste Deyda mit weiteren Mitgliedern des Dortmunder Kreisverbandes zu einer Parteiveranstaltung des rechtsextremistischen "Bulgarischen Nationalbundes". Die Rechtsextremisten aus Dortmund und Bulgarien besuchen sich seit mehreren Jahren regelmäßig gegenseitig. Teilnahme an Protestversammlungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen Die Rechte positionierte sich 2021 durchgehend gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Parteimitglieder beteiligten sich an Versammlungen anderer Organisationen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richteten. Beispielsweise besuchte der Duisburger Kreisverband eine Versammlung von PEGIDA NRW am 8. November 2021, "um gemeinsam gegen die von der Regierung derzeit installierte Corona Diktatur zu demonstrieren". An einer Protestversammlung in Dortmund unter dem Motto "Demo gegen Impfzwang, Inflation, Massenmigration", die ein Dortmunder AfD-Politiker am 30. November organisierte, nahmen rund 20 Mitglieder des Dortmunder Kreisverbandes der Partei Die Rechte teil. In der letzten Dezemberwoche 2021 gingen Kleingruppen von Parteimitgliedern bei Aufzügen in Dortmund, Duisburg, Kamp-Lintfort, Köln und im Rhein-Erft-Kreis mit. Die Zielrichtung dieser Unterstützung verdeutlicht ein Aufruf des Kreisverbandes Rhein-Erft. Unter dem Motto "Zeit zu handeln: Volksaufstand jetzt!" mobilisierte er auf seinem Telegram-Kanal am 26. Dezember 2021 für Protestversammlungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Allerdings bleibt festzustellen, dass die Parteimitglieder bei diesen Veranstaltungen bislang nur eine Minderheit bilden. 80 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Sonstige Aktivitäten Darüber hinaus führten einige Kreisverbände revisionistische Gedenkveranstaltungen durch, bei denen die Trauer für die Opfer durch "Heldengedenken" ersetzt und damit die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verklärt werden. Im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz inszenierte sich Die Rechte als "Helfer vor Ort". Auf ihrer Internetseite berichtete die Partei über den Einsatz ihrer Mitglieder in den betroffenen Gebieten und rief zu Geldspenden auf. Hierfür wurde das Konto des Kreisverbandes RheinErft genutzt. Aus dem Umfeld des Gelsenkirchener Kreisverbandes entstand Ende 2020 das Projekt Gemeinschaft Freivest, das sich abseits von Parteipolitik mit den Themen "Prepping, Krisenvorsorge, Politik" beschäftigen wollte. Seit seiner Gründung war indes nur eine geringe Außenwirkung zu verzeichnen. Das Vorhaben, Seminare zu diesen Themenfeldern anzubieten, konnte auch nach Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt werden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Aufgrund der Inhaftierung, des Wegzugs und des Todes relevanter Parteiaktivisten hatte die Partei Die Rechte 2021 ein Führungsproblem. Hinzu kam, dass die CoronaSchutzmaßnahmen es der Partei erschwert haben, ihre rechtsextremistische Erlebniswelt wie in den Vorjahren bei Konzerten und Versammlungen zu inszenieren. In der Gesamtschau ist ein Bedeutungsverlust der Partei Die Rechte zu konstatieren. Trotzdem stellt die Partei Die Rechte weiterhin das Zentrum des Neonazismus in Nordrhein-Westfalen dar, allerdings auf einem schwächeren Niveau als in den Vorjahren. Um das Parteienprivileg zu sichern, unternimmt Die Rechte einige parteitypische Aktivitäten, wie den geplanten Antritt zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022. Den Anhängern geht es vor allem darum, den neonazistisch geprägten, provokanten Aktionismus medienwirksam fortzusetzen. Darüber hinaus kooperiert Die Rechte insbesondere bei Demonstrationen und bei Wahlen mit der NPD. rechtsextremIsmus 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) Sitz/Verbreitung Ursprung in Frankreich; seit 2012 in Deutschland; Vereinssitz ist Paderborn Gründung/Bestehen seit Seit Mai 2014 ist die ursprünglich virtuelle Aktionsform als Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) vereinsrechtlich registriert. Struktur/ Repräsentanz Kleingruppen auf lokaler Ebene, die vor Ort agieren und in der Landesgruppe der Identitären Bewegung NordrheinWestfalen verbunden sind. Mitglieder/Anhänger/ NRW: Aktivistenkreis: rund 20\ Unterstützer 2021 aktionsorientierte Sympathisanten: rund 30\ Veröffentlichungen Zentraler Internetauftritt und Onlineshop, es bestehen Profile auf YouTube, vk.com, Telegram und diverse Blogs als Kanäle zur direkten, zielgruppenorientierten Ansprache im öffentlichen Raum. Kurzporträt/Ziele Die IBD ist eine relevante Jugendorganisation des rechtsextremistischen Spektrums der sogenannten Neuen Rechten. Dabei versucht sie sich sprachlich und symbolisch von NS-orientierten Rechtsextremisten abzugrenzen, um eine öffentliche Stigmatisierung zu vermeiden. Mit mediengerecht inszenierten Aktionen an öffentlichen Orten möchte die IBD öffentliche Aufmerksamkeit gewinnen und ihre Positionen verbreiten. Insbesondere setzt sie intensiv auf die Nutzung von sozialen Netzwerken und richtet sich vorwiegend an junge Menschen mit gutem Bildungsniveau. Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden sowie Merchandising 82 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Ideologie der IBD als Teil der Neuen Rechten fundiert auf einem Politikverständnis, das sich grundsätzlich gegen die Menschenrechte und eine pluralistische Demokratie richtet. Sowohl die letztlich rassistische Doktrin des Ethnopluralismus als auch der kollektivistische Grundsatz, das Individuum mit seinen Menschenrechten der Nation unterzuordnen, sind unvereinbar mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mit ihren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten versucht die IBD Einfluss auf die politische Öffentlichkeit zu nehmen und ihre rechtsextremistischen Positionen zu verbreiten. Die IBD unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die IBD hat in den vergangenen Jahren deutlich an Wirkmächtigkeit verloren, nachdem 2018 Facebook und Instagram und 2020 auch Twitter deren Profile weitgehend gelöscht haben. Trotzdem setzte der rechtsextremistische Verein im Berichtsjahr weiterhin auf die bisherige Vorgehensweise, mit Kleingruppen Aktionen durchzuführen und davon Bilder und Videos in den sozialen Medien zu veröffentlichen, um damit rechtsextremistische Botschaften zu transportieren. Beispielhaft dafür ist, dass die IBD im Februar 2021 auf ihrem Telegram-Kanal berichtete, dass sie angeblich die Umgebung des Toeppersees in Duisburg gereinigt habe. Dies instrumentalisierte sie für fremdenfeindliche Propaganda, indem sie für die Verunreinigung des Naherholungsgebietes Migranten, vornehmlich aus Bulgarien und Rumänien, verantwortlich machte. Der Bericht endete mit dem Slogan "Umweltschutz ist Heimatschutz", unter dem bislang die NPD rechtsextremistische Propaganda zu umweltpolitischen Themen verbreitete. Anfang des Jahres 2021 formierte sich mit Bezug auf die Corona-Pandemie eine neue IBD-Kampagne unter dem Titel "Gedankenverbrecher". Mit dem Projekt griff der rechtsextremistische Verein Kritik an der Pandemiebekämpfung auf und verknüpfte diese Telegram-Auftritt der Kampagne "Gedankenverbrecher" der IBD mit bekannten rechtsrechtsextremIsmus 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 extremistischen Argumentationsmustern und Verschwörungserzählungen. Indem er für die Kampagne ein neues Logo wählte, das keinen Rückschluss auf die IBD zulässt, wollte er den rechtsextremistischen Hintergrund verschleiern. Mit der Kampagne nahm die IBD an mehreren Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teil, wie zum Beispiel in Düsseldorf am 13. März 2021. Die Bedeutung der IBD in NRW nimmt weiter ab. Relevante Akteure sind verzogen, in eine parteipolitische Jugendorganisation gewechselt, haben sich von der IBD abgespalten und neue Kleinstgruppierungen, wie zum Beispiel Lukreta oder Revolte Rheinland, gegründet oder haben sich gänzlich aus diesem Aktionsfeld zurückgezogen. Die Kleinstgruppierung Lukreta stellt sich auf Twitter als vermeintliche Initiative für Frauenrechte dar 84 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Bundesvergleich ist Nordrhein-Westfalen weiterhin kein aktionsbezogener Schwerpunkt der IBD. Sowohl die Löschung von Profilen in sozialen Netzwerken als auch der Verlust von Führungspersonen haben die Handlungsfähigkeit der IBD in NordrheinWestfalen deutlich geschmälert. Damit ist allerdings das rechtsextremistische Gedankengut nicht verschwunden, sondern wird in anderen Bundesländern und anderen Organisationen weiterverbreitet. rechtsextremIsmus 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Neonazis Sitz/Verbreitung Landesweite Verbreitung mit regionalen Schwerpunkten Gründung/Bestehen seit 1970er Jahre Struktur/ Repräsentanz Gruppierungen auf lokaler Ebene, die teilweise in vereinsähnlichen sogenannten Kameradschaften oder in Kreisverbänden der Partei Die Rechte organisiert sind; überregionale Vernetzung der Szene zur Koordinierung und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten. Mit den Verboten der wichtigsten Kameradschaften hat in der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen ein Strukturwandel stattgefunden: Die Partei Die Rechte stellt in Nordrhein-Westfalen nunmehr das Zentrum des Neonazismus dar. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 650 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Internetpräsenzen und Facebook-Profile der Partei Die Rechte sowie einzelner Gruppen Kurzporträt/Ziele Der Neonazismus stellt sich in die ideologische Tradition des historischen Nationalsozialismus. Die Anhänger organisieren sich regional in Kleingruppen, sogenannten Kameradschaften. Diese werden oftmals von einer Person nach dem Führerprinzip geleitet. Die Szene ist überregional vernetzt und findet sich bei Veranstaltungen wie Demonstrationen, Rechtsrock-Konzerten oder rechtsextremistischen Kampfsportevents zusammen. 86 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Mehrzahl der Neonazis sind in Nordrhein-Westfalen in den Parteien Die Rechte und Der III. Weg organisiert. Der Rest der Szene in Nordrhein-Westfalen besteht aus kleineren, nur lose organisierten Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich gelegentlich an Veranstaltungen der Partei Die Rechte beteiligen. Finanzierung Beiträge der Anhänger Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Neonazi-Szene ist durch ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus sowie durch ihre Gewaltbereitschaft gekennzeichnet. Neonazis verfolgen die Errichtung eines "Vierten Reiches", basierend auf den programmatischen Forderungen der NSDAP von 1920. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen ein geringeres beziehungsweise gar kein Existenzrecht zuerkannt wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Schwerpunktmäßig agitierte die neonazistische Szene auch 2021 gegen Migranten, insbesondere gegen Flüchtlinge. Die Szene der Neonazis unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Tremonia Kollektiv Im Oktober 2020 wurde durch den Dortmunder Kreisverband der Partei Die Rechte erstmals die Gruppierung Tremonia Kollektiv beworben. Die Gruppe beschreibt sich auf ihrer Internetseite als "Gemeinschaft von Deutschen und Nationalisten", die sich über "politische, weltanschauliche und zwischenmenschliche Aspekte" definiere. Es handelt sich potenziell um den Versuch, nach dem Vorbild der aufgelösten Aktionsgruppe Dortmund-West erneut eine aktionsorientierte Gruppierung innerhalb der Dortmunder Neonaziszene zu etablieren. Bisher sind außerhalb der Online-Welt lediglich vereinzelt Aktionen der Gruppierung festzustellen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Flugblattverteilungen oder Plakatierungen im Dortmunder Stadtgebiet. rechtsextremIsmus 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Diese richten sich oftmals an Anwohner und thematisieren meist Straftaten, die mutmaßlich von Migranten begangen wurden. Auf einem im November 2021 veröffentlichten Plakat ruft die Gruppierung Anwohner dazu auf, sich zu "organisieren" und sich gegen die "importierte Migranten-Kriminalität" zu wehren. Damit will sie den Eindruck erwecken, dass Migranten pauschal kriminell seien, und liefert eine Rechtfertigung für bürgerwehrähnliches Agieren. Beiträge mit einem vergleichbaren Tenor finden sich auf der Internetseite der Gruppierung. Auf einem im November 2021 veröffentlichten Plakat ruft die Gruppierung Tremonia Kollektiv Anwohner in Aplerbeck dazu auf, sich zu "organisieren" und sich gegen die "importierte Migranten-Kriminalität" zu wehren Volksgemeinschaft Niederrhein Die Volksgemeinschaft Niederrhein (VGN) knüpft mit dem Begriff Volksgemeinschaft in ihrem Namen an die gesellschaftspolitische Ideologie im Dritten Reich an, die eine ethnisch und politisch homogene Gemeinschaft befürwortete, in der die Rechte des Einzelnen nichts galten. Die Gruppierung bildete sich 2017 in Kamp-Lintfort. Die Führungsperson, ein langjähriger Neonazi, verfügt dort über ein Haus mit großem Grundstück, das der Gruppierung als Anlaufstelle und Ort für rechtsextremistische 88 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Veranstaltungen dient. So veranstaltete er Ende August 2021 dort einen rechtsextremistischen Balladenabend mit Hannes Ostendorf, dem Sänger der Band Kategorie C. Wie auch andere Rechtsextremisten positionierte sich die VGN gegen die CoronaSchutzmaßnahmen. Im Herbst verkündete die Führungsperson, 1.488 Anstecker mit dem Slogan "Impfen? Nein danke!" zu verteilen. Die Zahl 1.488 steht dabei für in der Szene beliebte Zahlencodes, die ein Bekenntnis zum Rassismus und zum nationalsozialistischen Regime darstellen. Am 12. Dezember 2021 beteiligte sich die VGN an einer von Pegida NRW in Duisburg organisierten Versammlung, die insbesondere die Impfungen gegen Corona verunglimpfte. Zudem betreibt die Führungsperson einen Online-Versand, mit dem sie diverse Artikel für die Neonaziszene vertreibt. Dazu zählt zum Beispiel ein Aufkleber mit dem Text "NS-Zone". Autonome Nationalisten Düsseldorf / Aktionsgruppe Düsseldorf Die 2020 erstmals öffentlich auf sich aufmerksam machende Gruppierung Autonome Nationalisten Düsseldorf beziehungsweise Aktionsgruppe Düsseldorf, die im Internet unter beiden Namen auftritt, ist eng mit dem Düsseldorfer Kreisverband der NPD verbunden. Gemeinsam nahm man am 14. November 2021 an einem sogenannten "Heldengedenken" in Mönchengladbach teil. Diese Veranstaltungsform dient der Verklärung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Des Weiteren griff die Gruppierung die Corona-Proteste auf und beteiligte sich an entsprechenden Versammlungen in Düsseldorf. Bemerkenswert war außerdem, dass Aufkleber mit dem Schriftzug "Aktionsgruppe Düsseldorf" in Düsseldorf verbreitet wurden, auf denen der NSU verAuf Aufklebern verharmlost die Gruppierung Automeintlich satirisch verharmlost wird. nome Nationalisten Düsseldorf den NSU rechtsextremIsmus 89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Freundeskreis Rhein-Sieg Beim Freundeskreis Rhein-Sieg handelt es sich um eine Gruppierung, die weitgehend aus der rechtsextremistischen Gruppierung Identitäre Aktion Deutschland (IA) hervorgegangen ist. Seine Außenwirkung erlangte der Freundeskreis RheinSieg vor allem über seine Internetpräsenz in Social-Media-Kanälen. Internetbeiträge erfolgen überwiegend durch die Führungsperson Frank Kraemer, der unabhängig von der Gruppierung als rechtsextremistischer Musiker und Redner auftritt sowie verschiedene multimediale Formate für die Szene herausbringt. Die Gruppierung bietet ihren Mitgliedern Gemeinschaftserlebnisse, die sie mit rechtsextremistischer Ideologie auflädt. Beispielsweise führte die Gruppe im November 2021 eine Wanderung durch das Siebengebirge durch. Eine Aktivistin betonte in einem Online-Beitrag besonders die Besichtigung von Stätten mit einem Bezug zum Nationalsozialismus: "Nach 1933 residierten übrigens die SA und der Stahlhelm in der damals dort stehenden Wanderherberge. [...] Reichspropagandaminister Goebbels weihte sowohl die Straße zum Himmerich ein, als auch ein geplantes Denkmal [...]". Neue Stärke Westfalen Bereits 2020 gründeten Neonazis in Erfurt die Gruppierung Neue Stärke Erfurt. Davon ausgehend bildeten sich in mehreren Bundesländern regionale Ableger. Im November 2021 gründeten die Anhänger die Neue Stärke als Partei. In NordrheinWestfalen schloss sich Mitte 2021 eine einstellige Zahl von Personen, die bislang vor allem in der rechtsextremistischen Mischszene aktiv war, zur Neuen Stärke Westfalen zusammen. Am 8. November 2021 nahm die nordrhein-westfälische Gruppierung an einer Versammlung von Pegida NRW in Duisburg teil, um dort nach eigenen Worten "ein gemeinsames Zeichen gegen Überfremdung zu setzen". Ein Mitglied der Gruppierung trat dort als Redner auf. Er trug dabei einen Kapuzenpullover mit dem Aufdruck "NS", wobei zwischen den Buchstaben ein Schwert abgebildet war, das das Parteilogo darstellt. Die Partei-Initialen sollen zugleich die Befürwortung des historischen Nationalsozialismus provokativ verdeutlichen. Außerdem wurde angekündigt, dass man auch künftig Pegida NRW unterstützen wolle. Ansonsten beteiligen sich die beiden Hauptakteure der Gruppierung vor allem an Versammlungen der rechtsextremistischen Mischszene sowie an Protestversammlungen gegen die CoronaSchutzmaßnahmen. 90 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aufruf der Neue Stärke Westfalen auf Facebook Versammlungen Wie in den vorangegangenen Jahren meldete ein seit vielen Jahren aktiver Neonazi aus Grevenbroich eine Veranstaltung in Remagen (Rheinland-Pfalz) an, mit der die Neonaziszene angebliche Kriegsverbrechen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg instrumentalisieren möchte, um Deutschland als Opfer des Krieges darzustellen und die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren. An der geschichtsrevisionistischen Versammlung am 13. November 2021 beteiligten sich rund 90 Personen. Auch bei dem sogenannten "Trauermarsch" für den verstorbenen Dortmunder Rechtsextremisten Siegfried Borchardt beteiligten sich zahlreiche Neonazis aus NordrheinWestfalen. Dazu zählten auch ehemalige Angehörige von nicht mehr aktiven neonazistischen Kameradschaften, wie zum Beispiel der Kameradschaft Witten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die neonazistische Szene in Nordrhein-Westfalen ist überwiegend in den Parteien Die Rechte und Der III. Weg organisiert. Darüber hinaus existieren einige kleinere Gruppierungen, die 2021 allerdings nur wenig öffentlich in Erscheinung traten. Ob der Kreisverband Dortmund der Partei Die Rechte seine zentrale Rolle für die Neonaziszene weiterhin behaupten kann, ist angesichts seiner nachlassenden Aktionsfähigkeit und dem Wegzug von Führungspersonen ungewiss. rechtsextremIsmus 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Subkulturell geprägter Rechtsextremismus Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit regionalen Schwerpunkten Gründung/Bestehen seit Ende der 1960er Jahre in Großbritannien, seit circa Ende der 1970er Jahre in anderen europäischen Staaten Struktur/ Repräsentanz In der Regel keine festen Strukturen, eine Ausnahme bilden die Hammerskins mit einem festen hierarchischen Aufbau. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 1.150\ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen: sogenannte Fanzines mit Artikeln zur überwiegend subkulturell geprägten Skinhead-Musik-Szene, Interviews und Konzertberichten; CD-Veröffentlichungen Web-Angebote: Bekanntmachungen von Konzerten über bestimme Foren, Veröffentlichungen von Videos über soziale Medien Kurzporträt/Ziele Der subkulturell geprägte Rechtsextremismus definiert sich hauptsächlich über eine spezifische Musik und dem damit zusammenhängenden Lebensstil. Es geht darum, eine Erlebniswelt mit gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Musikveranstaltungen zu schaffen, in der die Ideologie nur eine nachrangige Rolle spielt. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten vertreten rassistische, fremdenfeindliche, nationalistische und antisemitische Positionen. Zudem befürworten sie rassistische Gewalt. Rechtsextremistische Skinheads bilden immer noch die wichtigste Subkultur im Rechtsextremismus. 92 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Äußerlichkeiten wie Dresscode oder Haarschnitt lassen heutzutage allerdings kaum noch eine eindeutige Zuordnung zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene zu. Einerseits gibt es weitgehend unpolitische Jugendliche, die ein vermeintlich Skinhead-typisches Aussehen zeigen, ohne dem rechtsextremistischen Teil der Szene anzugehören. Andererseits verlieren die altbekannten Erscheinungsbilder seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Insbesondere für den rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene ist es im Alltag einfacher, nicht durch offensichtliches Tragen von einschlägig bekannten Zeichen oder Haarschnitten eine politische Zuordnung zu ermöglichen. Finanzierung Verkäufe von CDs und Merchandise-Artikeln, Organisation und Durchführung von Musikveranstaltungen, oftmals maximal kostendeckende Durchführung von Konzerten Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Subkulturell geprägte Rechtsextremisten vertreten rassistische, fremdenfeindliche, nationalistische und antisemitische Positionen gepaart mit einem hohen Gewaltpotenzial. Musik spielt hier eine herausragende Rolle zur Selbstvergewisserung, Politisierung und Rekrutierung der Szene. Bands, CDs und Konzerten gilt deshalb ein besonderes Interesse. Oftmals gehen gerade rechtsextremistische Musikveranstaltungen mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Liedtexten sowie gelegentlich mit offenen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus, wie dem Zeigen des Hitler-Grußes, einher. Der subkulturell geprägte Rechtsextremismus unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Organisationen Blood and Honour (B&H) und Hammerskins sind die wichtigsten international tätigen rechtsextremistischen Skinhead-Organisationen, die Konzerte veranstalten. In Deutschland wurde bereits im September 2000 die Blood and Honour-Division rechtsextremIsmus 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Deutschland verboten. In anderen Ländern ist B&H eng mit Combat 18 (C18) verbunden. Der Name C18 steht als Chiffre für "Kampfgruppe Adolf Hitler". Die 1992 gegründete Gruppierung fungierte ursprünglich als Saalschutztruppe der britischen rechtsextremistischen Partei British National Party und bildete dann in mehreren Ländern Ableger. Die deutsche C18-Gruppierung wurde 2020 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verboten. Eine weitere international agierende Organisation von besonderer Bedeutung sind die Hammerskins. Die sogenannte Hammerskin-Nation (HSN) wurde Ende der 1980er Jahre in den USA gegründet und ist seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland aktiv. Sie versteht sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Im Gegensatz zu anderen Organisationen im subkulturell geprägten Rechtsextremismus besteht bei den Hammerskins ein fester hierarchischer Aufbau. Die Vereinigung ist nach Ländern unterteilt. Eine Ebene darunter ist sie in mehreren Regionalgruppen, sogenannten Chaptern, organisiert, die unabhängig voneinander agieren. Ideologisch spielt Rassismus bei den Hammerskins eine zentrale Rolle. So reklamieren die Hammerskins den "White Power Skinhead lifestyle" zu vertreten. Zudem berufen sie sich auf das rassistische Motto der "14 words": "We must secure the existence of our people and a future for White Children". Der Rassismus ist die Grundlage für die internationale Zusammenarbeit ("White Unity") der Hammerskins, womit sie sich vom sonst dominanten Nationalismus im Rechtsextremismus unterscheiden. Die gekreuzten Zimmermannshämmer im Logo symbolisieren die "weiße Arbeiterklasse". In Nordrhein-Westfalen sind bislang die "Chapter Westfalen" und "Chapter Rheinland" aktiv. Das Spektrum der Aktivitäten umfasst unter anderem interne Treffen und Feiern sowie Besuche von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. Abgesehen davon beteiligten sich die Hammerskins in den vergangenen Jahren mehrfach an der Organisation von rechtsextremistischen Musikund Kampfsportveranstaltungen. Eine 2021 erstmals öffentlich aufgetretene rechtsextremistische Skinhead-Gruppierung ist die Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Nachfolgeorganisation der Skinhead-Front Dortmund Dorstfeld. Ein Teil der rund zehn Mitglieder ist auch im Dortmunder Kreisverband der Partei Die Rechte aktiv. Die öffentlichen Aktivitäten beschränken sich bisher auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Versammlungen. Außerdem wurden in Dortmund mehrfach Sticker der Gruppierung verklebt. 94 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 An der rechtsextremistischen Versammlung am 9. Oktober 2021 in Dortmund anlässlich des Todes des Rechtsextremisten Siegfried Borchardt beteiligten sich auch zahlreiche Angehörige der subkulturellen Szene. Darunter waren Mitglieder der Hammskins, der Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld und der verbotenen Organisation C18. Bands und Konzerte Mit der im Jahr 2021 erstmals erschienen rechtsextremistischen Musikzeitschrift Rock Hate, die in Nordrhein-Westfalen herausgegeben wird, hat die Szene ein neues Medium zur Information, Werbung und internen Diskussion. Darüber hinaus betreibt Rock Hate einen TelegramKanal und einen Podcast. Im Dezember 2021 gab das Magazin dann einen eigenen Sampler heraus, auf dem aus Nordrhein-Westfalen unter anderem die Band Der Oberberger vertreten ist. Überregional bekannt in der Szene sind aus Nordrhein-Westfalen unter Die rechtsextremistische Musikzeitschrift Rock Hate wirbt anderem die Bands Oidoxie, Sleipauf Telegram für ihren Podcast nir, Division Germania, Sturmwehr und Smart Violence, die allesamt seit mehreren Jahren aktiv sind. Die letzteren beiden Bands veröffentlichten 2021 jeweils ein neues Album, ebenso die mutmaßlich aus Nordrhein-Westfalen stammende Band Weiße Wölfe. Konzerte sind ein wichtiges Element der Erlebniswelt Rechtsextremismus, in der politische Agitation, Freizeitaktivitäten und Unterhaltung verbunden werden, um insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen. Die Attraktivität der Auf Telegram wird ebenfalls für die Band Weiße Wölfe geworben Veranstaltungen macht neben der Musik das Treffen Gleichgesinnter, der Konsum von Alkohol und das Zeigen rechtsextremistischer Symbolik sowie Slogans aus. Im Unterschied zu den vorwiegend rockrechtsextremIsmus 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 lastigen, größeren Konzerten dienen Balladenoder Liederabende dazu, einen eher kleineren Teilnehmerkreis anzusprechen. Dabei spielt meistens ein Sänger mit Gitarre überwiegend ruhige Stücke. Derartige Veranstaltungen werden oftmals von Parteiverbänden oder Freien Kameradschaften mit dem Ziel organisiert, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Im Jahr 2021 fanden in Nordrhein-Westfalen pandemiebedingt kaum Konzerte oder anderweitige Musikveranstaltungen statt. Auf musikalische Großveranstaltungen oder Festivals wurde aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen gänzlich verzichtet. In den Sommermonaten konnten einige wenige Balladenabende oder sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen mit Livemusik verzeichnet werden. Beispielsweise veranstaltete die Volksgemeinschaft Niederrhein Ende August 2021 einen Balladenabend mit Hannes Ostendorf, dem Sänger der rechtsextremistischen Band Kategorie C. Insgesamt fanden im Berichtsjahr keine Konzert, fünf Liederbeziehungsweise Balladenabende und vier sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen mit Livemusik statt. Zu den sonstigen Veranstaltungen zählen zum Beispiel parteiinterne Feste oder Geburtstagsfeiern, bei denen Musik Teil der Veranstaltung ist. Dies soll zum einen den Zusammenhalt der Gemeinschaft stärken und zum anderen sollen Erlöse erwirtschaftet werden. Die Anzahl der festgestellten Musikveranstaltungen ist im Vergleich zum Vorjahr somit von zehn auf neun zurückgegangen. Ende August 2021 veranstaltete die Volksgemeinschaft Niederrhein einen Balladenabend mit Hannes Ostendorf, dem Sänger der rechtsextremistischen Band Kategorie C 96 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Rechtsextremistische Musik ist zum einen ein Ausdrucksmittel einer Subkultur, die sich für Menschenverachtung und Demokratiefeindschaft ausspricht. Zum anderen ist sie ein effektives Mittel rechtsextremistischer Strategen, ihre Propaganda Jugendlichen und jungen Erwachsenen nahezubringen. Zudem handelt es sich bei rechtsextremistischer Musik um ein kommerzielles Geschäft, an dem Bands, Konzertveranstalter und Vertriebe verdienen. Mit der Modernisierung der Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hat sich auch deren Musik gewandelt. Die Vielfalt an Musikstilen hat zugenommen. Dies beinhaltete sogar ideologisch widersprüchlich erscheinende Entwicklungen wie Nationaler Rap. Durch die digitale Revolution der letzten 20 Jahre haben sich die Vertriebsbedingungen für rechtsextremistische Musik enorm verbessert. Nachdem rechtsextremistische Musikveranstaltungen seit 2014 wieder an Bedeutung zunahmen, hat die Corona-Pandemie mit den damit einhergehenden Beschränkungen zu einem Einbruch bei den Veranstaltungen geführt. rechtsextremIsmus 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Reichsbürger und Selbstverwalter Sitz/Verbreitung NRW-weite Verbreitung Gründung/Bestehen seit 1985 (Gründung der ersten Reichsbürgergruppierung Kommissarische Reichsregierung (KRR) in Berlin) Struktur/ Repräsentanz Die heterogene Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter besteht aus einer Vielzahl von Einzelpersonen und Kleingruppen, die zum Teil miteinander kooperieren, sich zum Teil aber auch scharf voneinander abgrenzen. Neben kleinen, sektenartigen Gruppen mit hohem Organisationsgrad gibt es ebenso lose strukturierte Gruppierungen sowie Einzelpersonen, die nur im Internet aktiv sind oder sich an Behörden wenden. Bei der Mehrzahl der Reichsbürger und Selbstverwalter in Nordrhein-Westfalen ist keine feste Organisationsbindung erkennbar. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 3.400/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen wie Flyer, Broschüren, Flugblätter, Postwurfsendungen Eigene Webseiten der einzelnen Gruppierungen sowie soziale Medien Offene Briefe, sogenannte "Anordnungen", "Amtsblätter" oder "Bekanntmachungen" an Behörden 98 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kurzporträt/Ziele Inhaltlicher Konsens der Reichsbürgerszene sind Behauptungen, dass das Deutsche Reich in den Grenzen des Kaiserreichs von 1871 beziehungsweise der 1930er-Jahre weiterhin existiere und dass der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Legitimation fehle. Die Bundesrepublik sei eine GmbH und die Behörden deshalb nur "Scheinbehörden". Teilweise behaupten Reichsbürger auch, dass eine von ihnen geführte kommissarische Reichsregierung die Staatsgewalt ausübe. Daraus leiten sie für sich hoheitliche Befugnisse ab. Selbstverwalter knüpfen dagegen in ihrer Argumentation nicht an eine staatliche Autorität an. Sie berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht, wonach sie als Individuen eigene Hoheitsrechte besäßen. Reichsbürger und Selbstverwalter sprechen gleichermaßen demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab und begehen Verstöße gegen die Rechtsordnung. Die Anhänger sind überzeugt, nach einem von ihnen erklärten Austritt aus der angeblichen GmbH in der Folge nicht weiter an bestehende Gesetze gebunden zu sein. Teile der Reichsbürgerszene überschneiden sich mit der rechtsextremistischen Szene und vertreten rechtsextremistische Argumentationsmuster. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter lässt sich in drei Motivgruppen unterteilen: erstens Rechtsextremisten, zweitens Verschwörungserzähler und drittens Personen, die sich finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat entziehen möchten. Im jeweiligen Einzelfall können sich die Motive unterschiedlich mischen. Oftmals haben Reichsbürger und Selbstverwalter durch eine Lebenskrise Zugang zur Szene gefunden. Zudem treten in der Reichsbürgerszene oftmals Personen mit Verhaltensmustern psychisch Erkrankter auf. rechtsextremIsmus 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Protestveranstaltungen gegen staatliche und behördliche Corona-Schutzmaßnahmen sind ein neues Handlungsfeld für Reichsbürger und Selbstverwalter, bei einzelnen Gruppierungen nehmen sie sogar gewichtigen Einfluss. Reichsbürger und Selbstverwalter stellen ein erhebliches Gewaltpotenzial dar. Wiederkehrend sind Gewaltdelikte und ein teilweise umfangreicher Waffenbesitz in dieser Szene festzustellen. Gerichte, Polizei und Behörden werden in ihrer Arbeitsweise behindert und deren Mitarbeiter eingeschüchtert und bedroht. Finanzierung bei den Gruppierungen Mitgliedsbeiträge Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Reichsbürger und Selbstverwalter sind verfassungsfeindlich, da sie die freiheitliche demokratische Grundordnung offensiv ablehnen. Dies zeigt sich unter anderem im Verweigern von Steuerzahlungen und dem Nichtanerkennen von behördlichen Bescheiden sowie im Errichten vermeintlich eigener "Staaten". Gerichten und Behörden gegenüber wird mitunter offen aggressiv aufgetreten. Die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen bietet hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung, auch wenn diese Bestrebungen nur zum Teil einen eindeutig rechtsextremistischen Hintergrund, wie zum Beispiel ein gebietsund geschichtsrevisionistisches Weltbild, haben. Die Reichsbürger und Selbstverwalter unterliegen deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aktivitäten von Gruppierungen In 2021 gewann in der Reichsbürgerszene die Gruppierung S.H.A.E.F. Regierungsinstitution Deutschland an Bedeutung. Die Abkürzung "SHAEF" (auch "S.H.A.E.F.") steht für "Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force" (übersetzt etwa: "Oberkommando der alliierten Streitkräfte") und war während des Zweiten Weltkrieges ab Ende des Jahres 1943 die Bezeichnung des Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte in 100 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Nordwestund Mitteleuropa. Teile der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter gehen davon aus, dass das SHAEF weiterhin aktiv sei und die entsprechenden "SHAEF-Gesetze" noch immer Gültigkeit hätten. Die Anhänger und Sympathisanten von "SHAEF" gehen im Kern davon aus, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor um einen besetzten Staat handele. Daher erkennen sie die gültige Rechtsordnung nicht an. Staatsbedienstete sowie Politikerinnen und Politiker verstehen sie als Erfüllungsgehilfen einer unrechtmäßigen Besatzerherrschaft. Die zunächst im Internet verbreiteten Ansichten haben etliche Anhänger gefunden. In Nordrhein-Westfalen sind "SHAEF"-Anhänger konkret mit Schreiben an Schulen und Tierheime aufgefallen, in denen sie die grundsätzliche Legitimität staatlichen Handelns bestreiten, insbesondere mit Blick auf Corona-Schutzmaßnahmen. In einem Fall drohten Anhänger einer Person, die sich öffentlich für Impfungen gegen Corona ausgesprochen hatte, mit dem Tod. Während des Bundestagswahlkampfes wurden Zettel auf Wahlkampfplakate geklebt, die folgende Aufschrift hatten: "Deutschland steht unter Kriegsrecht! Es gelten ausschließlich S.H.A.E.F.-Gesetze!!" Der selbst ernannte "Befehlshaber" von SHAEF sprach mehrfach Todesdrohungen gegen Politiker und Beamte aus, sollten diese nicht aufhören, als Marionetten eines vermeintlichen "Deep State" zu agieren. Die Polizei in Baden-Württemberg verhaftete den Betreffenden im Dezember 2021. Internetauftritt der Reichsbürger-Gruppierung S.H.A.E.F. Regierungsinstitution Deutschland rechtsextremIsmus 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Des Weiteren ist die Verfassungsgebende Versammlung (VV) in Nordrhein-Westfalen nach wie vor aktiv. Hier gehören ihr etwa 125 Mitglieder an. Die Anhänger der VV gehen davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Wiedervereinigung erloschen sei und es daher keine gültigen Gesetze gebe. Die VV solle daher eine neue Verfassung begründen. Insbesondere ist die Gruppierung in den sozialen Medien sehr aktiv. Hier tritt sie auch als Deutsche Depeschen Bild und Tonagentur/ddb auf. Unter diesem Namen betreibt sie ebenfalls ein eigenes Internetradio, auf welchem sie flüchtlingsfeindliche, rassistische sowie antisemitische Positionen verbreitet und das politische System Deutschlands und seine Repräsentanten in Gänze diffamiert. Darüber hinaus unternimmt die VV Versuche, jüngere Personen für ihre ideologischen Ziele zu gewinnen. In diesem Zusammenhang versuchte sie das Thema Distanz-Lernen aufzugreifen und mit einem Online-Schulprogramm unter dem Namen "BSD-Schule" Interessierte zu gewinnen und extremistisches Gedankengut bei Kindern, Jugendlichen und deren Eltern zu verbreiten. Ob "BSD" für "Bundesstaat Deutschland" oder "Bildung spielend Downloaden" steht ist unklar. Bislang ist in Nordrhein-Westfalen lediglich ein Fall bekannt, in dem eine Familie das Kind von der Schule abmelden wollte, um es an der "BSD-Schule" unterrichten zu lassen. Darüber hinaus lud die VV 2021 mehrfach zu Bürgerversammlungen zum Thema Corona-Pandemie ein, die unter anderem in öffentlichen Parks der Städte Mülheim an der Ruhr oder Bonn stattfanden. Die Anzahl der Teilnehmer belief sich dabei auf einen mittleren zweistelligen Bereich. Außerdem warb die VV in Nordrhein-Westfalen mit Flugblättern für ihre Vorstellungen, was in der Reichsbürgerszene ein unübliches Vorgehen ist. Die VV lud 2021 mehrfach zu Bürgerversammlungen zum Thema Corona-Pandemie ein, die unter anderem in öffentlichen Parks der Städte Mülheim an der Ruhr oder in Bonn stattfanden 102 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das Königreich Deutschland gründete im Juni 2021 in Menden seine neueste "Gemeinwohlkasse". Dabei handelt es sich um ein bankähnliches Gebilde, das sich an vermeintliche Mitglieder des Königreich Deutschland richtet. In NRW ist es die erste "Gemeinwohlkasse". Bundesweit allerdings gibt es bereits entsprechende Einrichtungen in Dresden und Ulm. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) untersagte am 21. September 2021 der Mendener "Gemeinwohlkasse" den Betrieb. Allerdings war die Verfügung bei Redaktionsschluss noch nicht bestandskräftig. Aus der 2018 gegründeten Reichsbürgergruppierung Bismarcks Erben entstanden 2019 die Substrukturen Ewiger Bund und Vaterländischer Hilfsdienst (VHD). Insbesondere der VHD ist in NordrheinWestfalen aktiv und veranstaltete mehrfach Treffen, die unter anderem am Niederrhein, in Westfalen und in Ostwestfalen stattfanden. Beispielsweise trafen sich am 21. November 2021 circa 30 Personen im Raum Wesel. Der Referent erläuterte die staatsrechtliche Situation Deutschlands aus Sicht des VHD. Demnach befände sich das Deutsche Kaiserreich noch immer im Kriegszustand und das derzeitige rechtmäßige deutsche Staatsoberhaupt sei der Ururenkel von Wilhelm II. Die Reichsbürgergruppierung Erbengemeinschaft Jakob, die sich nach eigener Darstellung im Jahr 2017 konstituierte, machte 2021 mit Vorwürfen von antisemitischen AnDer Ewige Bund bietet auf seiner Internetseite Plakate des griffen, die von der so bezeichneten seiner Auffassung nach weiter besthenden Deutschen Reiches zum Download an BRD-Verwaltung und der ihr angeblich anhängigen Presse gegen die Gruppierung erfolgen würden, auf sich aufmerksam. Dies bezeichnete die Gruppierung als Antisemitismus gegen Nicht-Juden und erhob den Vorwurf des Völkermordes. Der Sitz der Erbengemeinschaft Jakob in Harsewinkel wurde im November 2021 zwangsversteigert. Die Erbengemeinschaft Jakob veröffentlichte ebenfalls im November ein Pamphlet, in dem der selbsternannte Priester der Gruppierung in schärfster Form rechtsextremIsmus 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 gegen die Corona-Impfungen polemisierte und diese Impfungen mit Antisemitismus und Genozid verglich. Vielschreiber und Versammlungsteilnehmer Der Großteil der Reichsbürger und Selbstverwalter organisiert sich nicht in Strukturen, sondern handelt alleine. Das betrifft vor allem die Schreiben an Kommunalbehörden, in denen Reichsbürger und Selbstverwalter absurde Forderungen erheben, und das Zahlen von Steuern und Gebühren verweigern. Darüber hinaus ist die Leugnung der Pandemie und die Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen in der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter hoch anschlussfähig. So werden auf ihren Interpräsenzen entsprechende Verschwörungserzählungen verbreitet. An Versammlungen gegen die Corona-Politik beteiligten sich immer wieder Reichsbürger und Selbstverwalter. Ein Szeneakteur ist auch bei den Corona Rebellen Düsseldorf in führender Position aktiv und verbreitete bei Versammlungen als Redner Positionen der Reichsbürgerszene. Einschüchterung und Gewalt Reichsbürger und Selbstverwalter versuchen teilweise, Amtshandlungen der Beschäftigten von Kommunen, Justiz und Polizei digital zu dokumentieren. Auf diese Weise entstandene Videos und Audios werden unerlaubt im Internet verbreitet. Dabei wird das Material oft so zurechtgeschnitten, dass die Behördenmitarbeiter inkompetent oder überfordert wirken. Diese Strategie zielt darauf ab, die Bediensteten einzuschüchtern und sie künftig von ihrem Handeln abzuhalten. Zum Teil schüchtern Reichsbürger und Selbstverwalter Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auch im direkten Kontakt ein und wenden in einigen Fällen sogar Gewalt an. Beispielsweise suchten zwei Polizisten gemeinsam mit einer Gerichtsvollzieherin am 1. Dezember 2021 einen Reichsbürger in Windeck auf, um ihn dem Amtsgericht Waldbröl zuzuführen. Der Beschuldigte verweigerte den Zugriff und berief sich dabei auf Argumente der Reichsbürgerszene. Als die Polizisten und die Gerichtvollzieherin die Wohnung mit unmittelbarem Zwang betraten, griff der Reichsbürger sie mit Reizgas an. Einige Akteure propagieren darüber hinaus Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung. So hat im Sommer 2021 der Autor eines "Standardwerkes" der Reichsbürgerszene in einem bei YouTube verbreiteten Interview Vorstellungen für 104 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 einen gewaltsamen Umsturz befürwortet und in seiner Reichsbürger-Logik gerechtfertigt. Problematisch sind die in der Szene verbreitete Waffenaffinität sowie die Bereitschaft, Gewaltdelikte zu begehen. Die zuständigen Waffenbehörden prüfen deshalb bei jedem bekannt gewordenen Anhänger der Reichsbürgerszene in Nordrhein-Westfalen den Entzug von etwaigen Waffenerlaubnissen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Reichsbürger und Selbstverwalter versuchen durch ihre Aktivitäten, eine sachgerechte Arbeit der Behörden zu behindern. Davon sind insbesondere die Kommunen betroffen. Dies schließt auch Einschüchterungsversuche und Gewalttaten gegen Beschäftigte von Behörden ein. Gelegentlich sehen sich Reichsbürger und Selbstverwalter - neben ihrer Fundamentalopposition zu staatlichen Institutionen - genötigt, Vorsorge für vermeintlich drohende Endzeitszenarien zu treffen. Obwohl partiell auch Überschneidungen zur Szene der so genannten Prepper (abgeleitet von: to prepare = sich vorbereiten) bestehen, handelt es sich hierbei jedoch nicht um strukturelle Überlappungen oder verstetigte organisatorische Verbindungen. Seit Beginn der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen nehmen einige Reichsbürger und Selbstverwalter an Veranstaltungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teil, weil sie durch die dort verbreiteten Verschwörungserzählungen angezogen werden und hoffen, dort auch ihre eigene Ideologie verbreiten zu können. Im Zuge dessen besteht bei einem Teil dieser Akteure die Gefahr einer weiteren Radikalisierung. Der Verfassungsschutz bewertet die Reichsbürger und Selbstverwalter deshalb als Bestrebung mit erheblichem Gefährdungspotenzial. rechtsextremIsmus 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsextremistische Mischszene Sitz/Verbreitung Schwerpunkte in Düsseldorf, Essen und Mönchengladbach Gründung/Bestehen seit seit Mitte der 2010er Jahre Struktur/ Repräsentanz Die jeweiligen Gruppierungen der rechtsextremistischen Mischszene bilden ein Netzwerk und treten in der Öffentlichkeit oftmals mit einem einheitlichen Erscheinungsbild durch gleichartige Kleidung auf. Die wichtigsten Gruppierungen sind First Class Crew - Steeler Jungs und die Bruderschaft Deutschland. Weiterhin zählen zu dem Netzwerk der rechtsextremistischen Mischszene Kleinstgruppierungen wie Mönchengladbach steht auf, Pegida NRW, NRW stellt sich quer, Defensive West und Hooligans Europe United. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 500 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Internetpräsenzen Kurzporträt/Ziele Ausgehend von HoGeSa und PEGIDA Mitte der 2010er Jahre haben sich in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren mehrere Gruppierungen herausgebildet, die sich aus organisierten Rechtsextremisten, Angehörigen der Hooliganund Rockerszene sowie sogenannten Wutbürgern zusammensetzen. Sie sind miteinander vernetzt, unterstützen sich gegenseitig und agieren gemeinsam im öffentlichen Raum. Diese Mischszene hat sich rechtsextremistisch politisiert. 106 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das verbindende Element bilden dabei Fremdenund Islamfeindlichkeit sowie das behauptete Versagen des Staates gegenüber der vermeintlichen Kriminalität von Migranten. Die Steeler Jungs sind eine bürgerwehrähnliche Gruppierung, die im Essener Stadtteil Steele seit 2018 sogenannte "Spaziergänge" durchführt. Ziel dieser Aktionsform ist es, Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen, um eine vermeintliche Dominanz im Stadtviertel zu suggerieren und mit einem uniformierten Auftritt einschüchternd auf politische Gegner zu wirken und zu provozieren. In das Umfeld der Steeler Jungs gehören noch, nach ihren jeweiligen HeimatStadtteilen benannt, Gruppen wie die Huttroper Jungs oder die Borbecker Jungs. Alle drei Gruppierungen treten gemeinsam auf und haben eine weitgehend einheitliche Bekleidung. Der Bruderschaft Deutschland können rund 60 Personen zugeordnet werden, die überwiegend aus Düsseldorf stammen. Auch sie führen vermeintliche "Spaziergänge" im Düsseldorfer Stadtteil Garath durch und beteiligen sich sichtbar an Versammlungen der rechtsextremistischen Mischszene. Eine niedrige zweistellige Zahl weiterer Personen gilt als Sympathisanten der Gruppierung. Ende 2019 wurde als Unterorganisation die Schwesternschaft Deutschland gegründet, um auch Frauen in die Organisation einzubinden. Diese haben sich inzwischen in die Ruhrpott Uschis umbenannt. Bislang wird eine niedrige zweistellige Zahl von Personen dieser Untergruppierung zugeordnet. Finanzierung Mitgliedsbeiträge Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die rechtsextremistische Mischszene propagiert fremdenund islamfeindliche Vorstellungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen. rechtsextremIsmus 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zudem behauptet sie, der Staat komme seiner Schutzfunktion gegenüber den Bürgern nicht nach, um damit ein bürgerwehrähnliches Auftreten zu rechtfertigen, mit dem sie das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellt. Darüber hinaus vernetzt die Szene sich mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen. Ein Teil der Szeneangehörigen ist überdies gewaltbereit gegenüber Menschen, die sie zu angeblich feindlichen Gruppen zählt. Dazu gehören vor allem Migranten und als politisch links wahrgenommene Personen. Die rechtsextremistische Mischszene unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Führungsprobleme Die rechtsextremistische Mischszene war 2021 durch andauernde Führungsprobleme geschwächt. Der Vorsitzende von Mönchengladbach steht auf, Dominik Roeseler, wurde im Januar 2021 zu vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung durch das Amtsgericht Mönchengladbach verurteilt. Roeseler hatte zwei rechtsextremistische Komplizen im Mai 2019 dazu angestiftet, einen Schweinekopf vor einer Moschee abzulegen, was das Amtsgericht als Anstiftung zur Beleidigung bewertete. Im Übrigen hatten die Täter ein Hakenkreuz an die Wand der Moschee gesprüht. Im Juli 2021 verurteilte ihn das Amtsgericht Mönchengladbach außerdem zu einer Geldstrafe von 2.550 Euro wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht. Roeseler hatte auf dem Facebookprofil von Mönchengladbach steht auf zu einem "Spaziergang" aufgerufen. Trotz einer Untersagung der Versammlung durch die Polizei führte er die Versammlung durch. Nicht zuletzt wegen der Verurteilungen war Roeseler 2021 kaum noch öffentlich präsent. Ebenso hatte die Bruderschaft Deutschland Führungsprobleme. Bereits im Frühjahr 2020 hatte sich eine der beiden Führungspersonen zurückgezogen, nachdem im Februar die Polizei eine Razzia bei der Gruppe S. durchführte und deren Mitglieder inhaftierte. Der Prozess gegen die Gruppe S. wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung begann im April 2021 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. In der Anklageschrift ist diese Führungsperson der Bruderschaft Deutschland als Kontakt der Gruppe S. aufgeführt. Die zweite Führungsperson der Bruderschaft Deutschland stand im Frühjahr 2021 vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf ihr Handel mit Betäubungsmitteln vor. Im Mai 2021 wurde sie für sechs Wochen inhaftiert, um die Teilnahme an der Hauptverhandlung sicherzustellen. Das Amtsgericht verurteilte die Person am 24. Juni 2021 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. 108 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Und auch bei den Steeler Jungs hatte die Führungsperson 2021 Probleme mit den Sicherheitsbehörden. Diese war zugleich Kopf der Rockergruppierung "Bandidos Essen-East". Im Juli 2021 verbot das Bundesministerium des Innern und für Heimat die "Bandidos MC Federation West Central" mitsamt ihrer 38 Teilorganisationen, wozu die "Bandidos Essen-East" zählten. Zweck der verbotenen Vereinigung sei laut der Verbotsverfügung gewesen, "einen territorialen und finanziellen Machtzuwachs innerhalb der Rockerszene anzustreben und entsprechende Ansprüche regelmäßig auch mit Gewalt, insbesondere gegenüber anderen Rockergruppierungen in ihrem regionalen Einflussgebiet durchzusetzen". Im Zuge des Verbots beschlagnahmte die Polizei das Vereinsvermögen und durchsuchte eine Gaststätte, die als Treffpunkt der Essener Rockergruppierung fungierte. Zugleich ist diese Gaststätte der Treffpunkt der Steeler Jungs. Eigene Versammlungen und "Spaziergänge" Die wichtigste Aktionsform der rechtsextremistischen Mischszene in den vergangenen Jahren war der von ihr so bezeichnete "Spaziergang". Tatsächlich versuchten die einzelnen Gruppierungen durch bürgerwehrähnliches Auftreten politische Gegner und gesellschaftliche Minderheiten einzuschüchtern und zugleich zu suggerieren, dass der Staat seiner Schutzfunktion gegenüber dem Bürger nicht nachkomme. Im Düsseldorfer Stadtteil Garath, aus dem ein Teil der Gruppierung stammt, führte die Bruderschaft Deutschland 2021 mehrfach unangemeldete "Spaziergänge" mit zehn bis 20 Teilnehmern durch. Damit wollte sie zum einen Präsenz im Stadtteil zeigen und ihren vermeintlichen Gebietsanspruch unterstreichen. Zum anderen sollte dies eine Form des Protests gegen die Corona-Schutzmaßnahmen darstellen. Die Bruderschaft Deutschland postete im Nachgang zu ihrem sogenannten "Spaziergang" in Düsseldorf ein Gruppenfoto auf Facebook rechtsextremIsmus 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Steeler Jungs stellten mit den ersten Lockdown-Maßnahmen im Jahr 2020 ihre sogenannten "Spaziergänge" mit wenigen Ausnahmen ein. Seit dem Spätsommer 2021 tritt die Gruppierung jedoch wieder verstärkt öffentlich auf. Allerdings werden die "Spaziergänge" nicht mehr wie in der Vergangenheit angemeldet und sie finden nun auch in unregelmäßigen Abständen statt. Außerdem versucht man sie so durchzuführen, dass sie nicht unter das Versammlungsgesetz fallen. Am 21. Oktober 2021 verbanden die Steeler Jungs den "Spaziergang" mit einem symbolischen Einschüchterungsversuch, indem sie sich auf den Treppen eines alternativen Kulturzentrums in Essen-Steele aufstellten und davon ein Foto machten. Rund 40 bis 50 Personen beteiligten sich daran. Am 9. November 2021 lag die Teilnehmerzahl des "Spaziergangs" bei rund 70 Personen, darunter waren auch Mitglieder der Bruderschaft Deutschland. Pegida NRW führte zwei Versammlungen am Jahresende 2021 in Duisburg durch. Der Führungsprotagonist der Kleinstgruppierung hielt am 8. November eine Rede, in der er die Ideen des völkischen Nationalismus verbreitete: "Und in diesen tausend Jahren und schon bei den alten Germanen hat sich ein Kern eines deutschen Volkes etabliert. Von Generation zu Generation wurden die Gene und das Blut weitergegeben. [...] Ein jeder der hier steht hat eine Kraft in sich und hervorragende Eigenschaften, die man uns Deutsche abspenstig machen möchte." Zu den Teilnehmern der Versammlung gehörten auch Anhänger der Neuen Stärke Westfalen und der Partei Die Rechte, Kreisverband Duisburg. An der Versammlung am 12. Dezember nahm neben Anhängern der Partei Die Rechte, Kreisverband Duisburg, auch die neonazistische Gruppierung VGN teil. Bezüge zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen Angehörige der rechtsextremistischen Mischszene nahmen auch an Versammlungen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen teil. Das zeigt, dass man sich im gleichen politischen Spektrum verortet. An der rechtsextremistischen Demonstration anlässlich des Todes von Siegfried Borchardt lief eine zweistellige Anzahl von Mitgliedern der Bruderschaft Deutschland und ihrer Frauengruppierung mit. Als am 1. Mai 2021 die Parteien Die Rechte und NPD eine gemeinsame Kundgebungsreihe in Dortmund, Essen und Düsseldorf durchführten, beteiligte sich eine einstellige Zahl von Mitgliedern der Bruderschaft Deutschland. Die Führungsperson von Pegida NRW war Teilnehmer der von Neonazis ausgerichteten jährlichen geschichtsrevisionistischen Veranstaltung am 13. November 2021 in Remagen. 110 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Bruderschaft Deutschland versuchte überdies, sich überregional zu vernetzen. Unter anderem gibt es fortlaufend Kontakte zum süddeutschen Ableger Bruderschaft Deutschland Sektion Süd, der vor allem in Baden-Württemberg aktiv ist. Protest gegen Corona-Schutzmaßnahmen Wie bereits im Jahr 2020 war die Auseinandersetzung mit den Corona-Schutzmaßnahmen ein zentrales Thema für die rechtsextremistische Mischszene. Dabei ging es ihr nicht um eine Kritik an einzelnen Maßnahmen, sondern man versuchte die Legitimität staatlichen Handelns generell zu bestreiten und die heterogene Protestszene zu einem Widerstand gegen das "System" zu radikalisieren. NRW stellt sich quer beispielsweise rief dazu auf, "zur Demo am Reichstag gegen das System" am 20. März 2021 nach Berlin zu kommen. Ferner versuchten einige Akteure, mit Fake-News die Öffentlichkeit zu verunsichern. So veröffentlichte die Gruppierung Mönchengladbach steht auf per Telegram am 11. April 2021 folgende Botschaft: "Der #Impfstoff als Todesfalle - vorhersehbar und wissenschaftlich belegt. Die #Impfkampagne als Aufruf zum kollektiven Selbstmord." Pegida NRW verbreitete in seinem Videoaufruf zur Versammlung am 12. Dezember 2021 in Duisburg folgende Auffassung, mit der Impfungen gegen Corona abgelehnt werden: "Durch Corona und durch die Impfung wird unsere deutsche Kultur angegriffen und von innen heraus zersetzt." Des Weiteren setzen Akteure der rechtsextremistischen Mischszene in ihrer Agitation das Regierungshandeln mit dem des nationalsozialistischen Regimes gleich, um die Bundesund Landesregierungen pauschal zu diskreditieren und ihnen ihre Legitimation abzusprechen. So mobilisierte Mönchengladbach steht auf zu einer Demonstration am 21. April 2021 in Berlin unter dem Titel "Ermächtigungsgesetz stoppen". Die Protestversammlung richtete sich gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag. Der Begriff "Ermächtigungsgesetz" bezeichnet das am 24. März 1933 vom Reichstag beschlossene "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" mit dem die Gewaltenteilung aufgehoben wurde und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur begann. rechtsextremIsmus 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Auf Facebook vergleicht Mönchengladbach steht auf das aktuelle Infektionsschutzgesetz mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz von 1933 Bemerkenswert war 2021 ein Musikvideo, das gemeinsam vom Sänger der rechtsextremistischen Band Kategorie C, Hannes Ostendorf, und dem Popsänger Xavier Naidoo produziert wurde. Letzterer hat in den vergangenen Jahren über seine Social-Media-Kanäle zunehmend Verschwörungsmythen und Reichsbürger-Ideologien verbreitet. In dem Lied leugnen sie die Existenz der Pandemie. Die Steeler Jungs beteiligten sich an dem Video als Statisten und inszenierten sich als vermeintlich "starke Männer". Einige Szenen des Videos wurden an einer Örtlichkeit in Essen gedreht, wo ein Teil der Steeler Jungs verkehrt. Der Titel "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" spielt auf das Motto der Impfkampagne der Bundesregierung an, verdreht den Sinn jedoch ins Gegenteil und möchte Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen durch Widerstandsrhetorik zur Systemfeindschaft radikalisieren. So werden die Regierenden als "Feinde" diffamiert und rechtsstaatliche Verfahren als "Waffen" gegen die eigene Bevölkerung delegitimiert. Im Liedtext heißt es: "der Widerstand darf nicht wieder ruhen/ Deutschland krempel Deine Ärmel hoch/ Deine Feinde machen ernst/ Ihre Waffen sind Gesetz und Verbot/ wird Zeit, dass ihr das endlich lernt, dass ihr das endlich lernt." 112 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Gruppierungen wie NRW stellt sich quer riefen dazu auf, sich unangemeldeten Versammlungen anzuschließen. Zudem beteiligte sich die rechtsextremistische Mischszene wiederkehrend an Versammlungen, auf denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert wurde. Bei den zahlreichen Protestversammlungen, die im Jahr 2021 in Düsseldorf stattfanden, nahmen unregelmäßig, aber wiederholt Mitglieder der Bruderschaft Deutschland und Hooligans Europe United teil. In Essen beteiligten sich an einigen Protestversammlungen einzelne Mitglieder der Steeler Jungs und in wenigen Fällen auch der Bruderschaft Deutschland. NRW stellt sich quer lief bei mehreren sogenannten "Spaziergängen" mit, unter anderem am 29. Dezember in Gelsenkirchen. In einzelnen Fällen waren Angehörige der rechtsextremistischen Mischszene auch an Auseinandersetzungen beteiligt. Am 2. Januar 2021 nahm eine Kleingruppe der Bruderschaft Deutschland an einer Protestversammlung in Bochum teil. Dabei gab es eine Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten. Bei der Folgeveranstaltung am 9. Januar 2021 an gleichem Ort stellte die Polizei rund 35 Angehörige der Bruderschaft Deutschland fest und erteilte ihnen Platzverweise. In Düsseldorf liefen Mitglieder von Mönchengladbach steht auf und der Bruderschaft Deutschland am 17. April 2021 bei einer Demonstration mit. Eine Führungsperson der Düsseldorfer Gruppierung verübte dabei Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die rechtsextremistische Mischszene führte 2021 im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger eigene Versammlungen durch. Der Grund lag in den Auflagen im Zuge der Corona-Pandemie. Weiterhin trat die Szene in der Öffentlichkeit aggressiv auf, um politische Gegner einzuschüchtern. Im Jahr 2021 weitete sie ihre Aktivitäten im Internet aus. Zudem suchte sie Anschluss bei den Corona-Protesten, bemühte sich um eine überregionale Vernetzung und baute Verbindungen in das rechtsextremistische Parteienspektrum aus. rechtsextremIsmus 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsextremistische Zeitschriften Im Rechtsextremismus dienen Zeitschriften als Meinungsund Informationssystem, das diese Szene braucht, um gemeinsam aktionsund strategiefähig zu bleiben. Zudem schaffen sie die Möglichkeit der ideologischen Selbstvergewisserung. Diese Funktionen sind umso wichtiger, je mehr sich der Rechtsextremismus ausdifferenziert und von informellen Strukturen geprägt ist. Obschon Webseiten und vor allem das Social Web den Printmedien weitgehend den Rang abgelaufen haben, ist es auffallend, dass Rechtsextremisten aus NRW seit 2016 mit den Magazinen N.S. Heute und Reconquista zwei neuere Ideologieorgane, seit 2017 mit dem Arcadi-Magazin eine Publikation der Neuen Rechten und seit 2021 die rechtsextremistische Musikzeitschrift Rock Hate gründeten. Allerdings scheint eine dauerhafte Etablierung schwierig. Das Arcadi-Magazin wurde 2021 eingestellt und Reconquista brachte 2021 keine Ausgabe mehr heraus, nachdem 2020 auch nur ein Heft veröffentlicht wurde. Weiterhin stammt die rechtsextremistische Zeitschrift Unabhängige Nachrichten ebenfalls aus NRW und findet aufgrund ihrer jahrzehntelangen Geschichte Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. N.S. Heute Die rechtsextremistische Zeitschrift N.S. Heute (Nationaler Sozialismus Heute) sollte ursprünglich im zweimonatlichen Rhythmus erscheinen. Mittlerweile erscheint sie nur noch viermal jährlich. Mutmaßlich hängt dies mit dem Haftantritt des wegen Volksverhetzung verurteilten Herausgebers Sascha Krolzig im Juli 2020 zusammen. Seitdem übernimmt der langjährige Neonazi Christian M. die Schriftleitung. Als Autoren und Interviewpartner können immer wieder Rechtsextremisten aus verschiedenen Organisationen und Szenen gewonnen werden. Die Finanzierung der Zeitschrift, die in einer Auflagenhöhe von 1.500 Exemplaren erscheint, erfolgt vor allem über Abonnements. Auch die Zeitschrift N.S. Heute griff die Corona-Pandemie auf und machte sie zum Titelthema in ihrem Februarheft 2021. Unter den Beitragstiteln "Grippe-Diktatur" und "BRD-Ermächtigungsgesetz" versuchten die Autoren, das staatliche Handeln im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen als nicht-demokratisch zu diskreditieren und mit dem NS-Unrechtsregime gleichzusetzen. Dies zielt darauf ab, die staatlichen Akteure und demokratischen Prozesse zu delegitimieren und Leser gegen das politi114 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 sche System aufzubringen. Die Herbstausgabe widmete sich Straftaten gegen Rechtsextremisten, die mutmaßlich von Linksextremisten verübt wurden. Der Hauptartikel stammte von Sven Skoda, der bis Herbst 2021 Bundesvorsitzender der Partei Die Rechte war. Er beschäftigte sich im Artikel damit, wie die rechtsextremistische Szene mit dieser Situation umging, und kritisierte den Opferdiskurs und den Ruf nach der Polizei: "Merkt Ihr, wie traurig das alles klingt, wenn man sich selbst als kämpferische Bewegung versteht?" Stattdessen plädierte Skoda dafür, "den Selbstschutz zu organisieren und jedem Angreifer sein Spiel so schwer zu wie möglich zu machen". Die Zeitschrift N.S. Heute beschäftigte sich 2021 unter anderem mit den Themen Corona und dem von ihr so bezeichneten "linken Terror" Unabhängige Nachrichten Seit 1969 erscheint bundesweit die Monatszeitschrift Unabhängige Nachrichten (UN), die vom Oberhausener Freundeskreis UN e. V. herausgegeben wird. Die Herausgeber unterstellen, die deutsche Presselandschaft sei gleichgeschaltet und berichte einseitig. Die UN versuchen, rechtsextremistischen Positionen Öffentlichkeit zu verschaffen. So greifen sie die im Rechtsextremismus verbreitete revisionistische Erzählung auf, dass die "Re-education" nach der Niederlage des NS-Regimes zum Niedergang Deutschlands geführt habe. Mit dieser Argumentation wollen Rechtsextremisten Demokratiefeindschaft verbreiten und das NS-Regime rehabilitieren. So hieß es auf der Titelseite der Aprilausgabe 2021: "Einsetzend mit der Umerziehung ('Re-educarechtsextremIsmus 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 tion') nach 1945 wurden Moral, Anstand und Pflichterfüllung systematisch lächerlich gemacht und als 'ewiggestrig' gebrandmarkt." Ferner spielte die Corona-Pandemie in zahlreichen Beiträgen eine Rolle. Dabei versuchten die Herausgeber, das polarisierende Thema für demokratiefeindliche Propaganda zu instrumentalisieren. Die Unabhängigen Nachrichten erscheinen monatlich Rock Hate Seit April 2021 erscheint aus NRW das rechtsextremistische Musikmagazin Rock Hate. Die 44-seitige Erstausgabe ist auf einem semi-professionellen Niveau gestaltet. Im Vorwort erläutert der Herausgeber den Anspruch des Print-Mediums: "Das Rock Hate soll dazu dienen, unsere Musik, unsere Bücher und unsere Ideen weit zu verbreiten und die nationale Bewegung zu einen." Inhaltlich umfasst das Magazin Buchund CD-Besprechungen, Konzertberichte, Bandvorstellungen und Kommenta116 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 re. Außerdem beinhaltet die erste Ausgabe unter anderem Interviews mit Musikern der aus Nordrhein-Westfalen stammenden rechtsextremistischen Band Notwehr und dem NPD-Landesvorsitzenden aus NRW. Auch in der zweiten Ausgabe, die Mitte 2021 erschien, werden Interviews mit "Prominenten" der rechtsextremistischen Musikszene geführt, unter anderem mit einem Musiker von Kraftschlag. Rock Hate ist derzeit bundesweit das einzige semi-professionelle Magazin, dass sich schwerpunktmäßig mit rechtsextremistischer Musik befasst. Auch der überparteiliche Ansatz und die gute Vernetzung in die rechtsextremistische Musikszene sprechen dafür, dass das Magazin in der Szene Verbreitung finden wird und weitere Auflagen produziert werden. Das Musikmagazin Rock Hate ist 2021 erstmals erschienen rechtsextremIsmus 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsterrorismus Im Jahr 2021 blieb die Bekämpfung des Rechtsterrorismus eine zentrale Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Beim Rechtsterrorismus handelt es sich im strafrechtlichen Sinne um schwerwiegende rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte, die im Rahmen eines nachhaltig geführten Kampfes durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen planmäßig begangen werden. Auch wenn es sich bei Taten von allein agierenden Tätern nach der strafrechtlichen Definition nicht um Terrorismus handelt, werden diese hier in den Blick genommen. Denn diese Taten zielen wie Terrorismus darauf, Teile der Bevölkerung oder das demokratische Gemeinwesen in Gänze zu bedrohen. Mordanschläge und schwere Straftaten Zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzten insbesondere Rechtsextremisten die Diskussion über den Flüchtlingszuzug seit dem Jahr 2015. In diesem Zuge hat sich ein Teil der Szene radikalisiert, was sich auch in schweren Gewalttaten niederschlägt. Die Sicherheitsbehörden haben eine mutmaßliche Täterin in Bayern ergriffen, bevor sie ihre Anschlagspläne realisieren konnte. Susanne G. bereitete ab spätestens Ende Mai 2020 einen Brandanschlag auf Amtsträger oder Muslime vor. Sie beschaffte sich Material zum Bau von Brandsätzen und spähte mögliche Anschlagsopfer aus. Bereits seit Anfang Dezember 2019 hatte sie anonyme Briefe an Mandatsträger, einen muslimischen Verein sowie einen Verein für Flüchtlingshilfe in Franken geschickt, in denen sie einen Anschlag ankündigte. Außerdem war sie in der rechtsextremistischen Partei Der III. Weg aktiv. Das Oberlandesgericht München verurteilte Susanne G. am 30. Juli 2021 unter anderem wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu sechs Jahren Haft. Die Rechtsextremistin hat gegen das Urteil Revision eingelegt, weshalb es noch nicht rechtskräftig ist. Der Rechtsextremist Stephan Ernst erschoss am Abend des 1. Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, weil dieser für eine humanitäre Flüchtlingspolitik eintrat. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilte Ernst am 28. Januar 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. 118 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsterrorismus Die Sicherheitsbehörden orientieren sich bei der Verwendung des Begriffs Terrorismus am Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung (SS 129a Strafgesetzbuch). Der Vorwurf des Rechtsterrorismus richtete sich auch gegen die sogenannte Gruppe S. Der Generalbundesanwalt ließ am 14. Februar 2020 unter Federführung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg bei 13 Beschuldigten dieser Gruppierung Durchsuchungen vornehmen und davon zwölf Personen festnehmen. Vier Beschuldigte stammen aus Nordrhein-Westfalen. Einer von ihnen beging während der Untersuchungshaft Suizid. Am 4. November 2020 erhob der Generalbundesanwalt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Anklage gegen zwölf Personen. Acht davon wird die Gründung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, dreien die Beteiligung und einem die Unterstützung daran. Die Gruppe wollte durch Angriffe auf Moscheen und die Tötung oder Verletzung einer möglichst großen Anzahl dort anwesender muslimischer Gläubiger bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen. Es wurde auch erwogen, gewaltsam gegen politisch Andersdenkende vorzugehen. Die Gruppe fand zuerst virtuell im Internet zusammen. Erst nach einer Radikalisierungsphase traf man sich in der Realwelt und konkretisierte die Planung von Anschlägen. Bereits wenige Tage nach einem Treffen bei einem der Gründungsmitglieder der Gruppe in Minden, bei der mutmaßlich die Tatplanungen konkretisiert wurden, erfolgten die Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden. Einige Beschuldigte weisen Kontakte zu rechtsextremistischen bürgerwehrähnlichen Gruppierungen auf oder sind Mitglieder davon. Drei der Beschuldigten aus NRW sind sogenannte Reichsbürger, zum Teil mit einer rechtsextremistisch geprägten Biographie. Das zeigt, dass sich Teile der rechtsextremistischen Szene und der Reichsbürgerszene gleichsam im Widerstand sehen und deshalb schwere Gewalttaten als notwendig und gerechtfertigt erachten. Der Strafprozess gegen die Gruppe S. begann am 13. April 2021 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die begangenen oder geplanten schweren Straftaten verdeutlichen die Gefahr rechtsterroristischer Potenziale, die insbesondere im Kontext der flüchtlingsfeindlichen Agitation zu Tage treten. Dabei hat sich die Bandbreite der Tätertypen vergrößert. Rechtsterroristische Ansätze lassen sich immer weniger einem bestimmten rechtsextremistischen Akteur oder einer Szene zuordnen. Ein Teil der identifizierten Tatverdächtigen ist zuvor kaum oder überhaupt nicht durch rechtsextremistische Aktivitäten und Straftaten aufgefallen. Fremdenfeindlichkeit bleibt zwar für schwere Straftaten bis hin zum Rechtsterrorismus das wichtigste Tatmotiv, allerdings verfügen die Täter eher rechtsextremIsmus 119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 selten über ein gefestigtes umfassendes rechtsextremistisches Weltbild. Stattdessen dominieren diffuse Feindbilder, die die Täter mithilfe von rechtsextremistischen Onlinediskursen individuell entwickeln und dabei verschiedene Diskursstränge kombinieren. Wie die Gruppe S. zeigt, ist nicht auszuschließen, dass sich auch in Nordrhein-Westfalen rechtsterroristische Gruppen bilden. Deswegen bleibt der Verfassungsschutz in dieser Hinsicht besonders wachsam und arbeitet eng mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen. 120 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 rechtsextremIsmus 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 122 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Demokratiefeindliche Sonderkategorie und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Demokratiefeindliche und/ oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit regionalen Schwerpunkten Gründung/Bestehen seit 2020 im Zuge der Corona-Pandemie Struktur/ Repräsentanz Überwiegend lose strukturierte lokale Gruppen; teilweise Akteure, die alleine oder in Kleingruppen agieren Mitglieder/Anhänger/ Circa 300 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Soziale Medien, insbesondere Telegram-Kanäle Kurzporträt/Ziele Aufgrund der Corona-Pandemie seit Anfang 2020 haben die Regierungen in Bund und Ländern zahlreiche Schutzmaßnahmen beschlossen, die auch Einschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger beinhalten. Gegen diesen politischen Umgang mit der Pandemie hat sich ein Protestgeschehen entwickelt, das von Heterogenität und Fluktuation geprägt ist. Die Proteste schlagen sich vor allem in Versammlungen und in sozialen Medien nieder. Die gemeinsame inhaltliche Klammer der Protestierenden ist, dass sie die Corona-Schutzmaßnahmen für falsch halten. Darüber hinaus sind die Ziele und inhaltlichen Vorstellungen heterogen. Teile dieser Bewegung gehen allerdings über legitimen Protest gegen das Regierungshandeln hinaus und verfolgen eine systemfeindliche Agenda. 124 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Dabei geht es darum, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren und Gewalt zur Durchsetzung der eigenen politischen Auffassungen zu propagieren. Dieser Teil der Protestbewegung wird vom Verfassungsschutz als demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebung beobachtet. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat im Frühjahr 2021 den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Mit der weltweiten Corona-Pandemie seit März 2020 hat sich seit nunmehr zwei Jahren ein Protestgeschehen etabliert, das von Heterogenität und Fluktuation geprägt ist. Politischer Protest gegen die Regierungspolitik gehört zum Wesen der freiheitlichen Demokratie. In Teilen gehen die Proteste über legitimen Protest gegen Regierungshandeln hinaus. Dies äußert sich in der systematischen Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Desinformation, der Diffamierung rechtsstaatlicher und demokratischer Prozesse sowie Aufrufen zu Straftaten beziehungsweise der Legitimation von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen politischen Auffassungen. Dieser Teil der Protestbewegung, der eine Delegitimierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland betreibt, unterliegt deshalb als Beobachtungsobjekt Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Das bedeutet zugleich, dass der Großteil der Protestbewegung nicht beobachtet wird. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Struktur der Protestszene ist heterogen und in einem steten Wandel. Bis ungefähr Mitte 2021 waren die Ableger der Querdenken-Initiativen in Nordrhein-Westfalen der wichtigste Akteur im Protestgeschehen. Ursprünglich wurde Querdenken als Gruppierung unter der Bezeichnung "Querdenken-711 - Stuttgart" eben dort im April 2020 gegründet. In der Folgezeit entwickelten sich zahlreiche regionale Ableger, die mit der demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 telefonischen Vorwahl der jeweiligen Stadt gekennzeichnet sind. In Nordrhein-Westfalen gab es zeitweise zwischen 20 und 30 solcher regionalen Ableger. Querdenken ist kein Verein und keine Partei, auch wenn die Gruppierung mit politischen Forderungen und Demonstrationen die politische Bühne betritt. Sie selbst sagt von sich, sie sei eine "friedliche, überparteiliche Bewegung", eine "Freiheitsbewegung", die aus "über 100.000" Menschen bestehe. Bei den lokalen Querdenken-Initiativen in NordrheinWestfalen handelt es sich um lose lokale Personenzusammenschlüsse. Im Wesentlichen bestand die gemeinsame Agenda in der Ablehnung sämtlicher, insbesondere staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Sowohl in ihren virtuellen Diskussionen als auch bei Versammlungen zeigte sich immer wieder, dass Teile dieser Initiativen verfassungsfeindliche Diskurse verbreiten und eine Abschaffung des demokratischen Rechtstaates anstreben. Dazu wird grundsätzlich auch politisch motivierte Gewalt gegen Andersdenkende als Mittel in Betracht geTeilnehmende mit T-Shirts der Düsseldorfer Querdenker-Szene bei einer zentralen Protestkundgebung im Sommer 2021 in Berlin zogen. Untermauert wird dieses Ansinnen durch weit verbreitete Verschwörungsmythen, die als Legitimation zur Bekämpfung des "Systems" herangezogen werden. Seit Mitte des Jahres 2021 hat das Querdenken-Netzwerk deutlich an Bedeutung eingebüßt. Maßgeblich verantwortlich waren dafür interne Streitigkeiten über Führungspositionen, Strategie und die Verwendung von Spendengeldern. Ebenso trug die ab dem Frühjahr 2021 nachlassende Protestdynamik dazu bei. Als im Spätherbst die Proteste wieder zunahmen, hatte sich die Szene umstrukturiert. In NordrheinWestfalen existiert mittlerweile eine dreistellige Zahl von lokalen Telegram-Gruppen ohne namentlichen Bezug auf die Querdenken-Initiativen, in denen man sich in der Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen bestätigt, sich vernetzt und für Versammlungen wirbt. Trotz der Umstrukturierung bleibt der inhaltliche Befund gleich, dass ein Teil des Diskurses verfassungsfeindliche Aussagen beinhaltet. 126 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Angehörige der Corona-Rebellen Düsseldorf haben unter anderem bei den regelmäßigen Protestumzügen in der Landeshauptstadt teilgenommen Eine weitere relevante Gruppierung in Nordrhein-Westfalen sind die Corona Rebellen Düsseldorf. Diese hatten sich am 29. August 2020 an der Erstürmung der Reichstagstreppe in Berlin beteiligt. Zunächst hatte die Gruppierung in Düsseldorf auch eigene Proteste organisiert. Inzwischen beteiligt sie sich vor allem an Versammlungen in Düsseldorf. Darüber hinaus legen die Corona Rebellen Düsseldorf Wert darauf, bei großen überregionalen Veranstaltungen in Berlin, Leipzig und Kassel teilzunehmen und durch ihre Erkennungsmerkmale auf sich aufmerksam zu machen. Delegitimierung Die Delegitimierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung findet auf zwei Ebenen statt. Zum einen inszeniert sich ein Teil der Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen als Opfer. Einige ziehen dabei einen Vergleich zur Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus. Beispielsweise geschieht dies, indem die betreffenden Personen den "Judenstern" mit der Aufschrift "Ungeimpft" verwenden. Zum anderen werden der Staat und seinen Institutionen mit dem Begriff "Corona-Diktatur" als Täterbeziehungsweise Unrechtsregime dargestellt und ihnen die demokratische und rechtsstaatliche Legitimation abgesprochen. Hier zeigt sich zugleich eine Bagatellisierung des Leids der im Dritten Reich verfolgten Juden und der Verbrechen der Nationalsozialisten. Ein Beispiel für dieses Argumentationsmuster zeigte demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Mit diesen und ähnlichen Plakaten werden Politik, Staat und Medien über sachliche Kritik hinaus diskreditiert und ihnen die demokratische und rechtsstaatliche Legitimation abgesprochen sich auf einer Corona-Protestversammlung am 18. Dezember 2021 in Düsseldorf. Eine Person, die bereits mehrfach derartige Versammlungen angemeldet hatte, hielt dort eine Rede und sagte: "In der Diktatur weiß jeder, wer der Diktator ist [...] Was wir erleben, ist schlimmer als eine Diktatur". Zudem wolle man sich zur Wehr setzen, "damit so etwas wie der Hitler-Faschismus nie wieder passiert und eine kleine Minderheit verfolgt und vernichtet werden kann." Eine solche Sprache und Symbolik trägt zu einer Radikalisierung des Protestgeschehens bei, indem sie den Eindruck erweckt, dass den Gegnern des CoronaSchutzmaßahmen ein besonders gravierendes Unrecht angetan würde. In diesem Zusammenhang wird durch Akteure der Protestinitiativen wiederholt auf den Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes verwiesen, der das Recht auf Widerstand einräumt. In diesem Sinne greifen einige Telegram-Gruppen, die zu lokalen Versammlungen mobilisieren, diesen Begriff in ihrem Namen auf, wie die Sauerländer Widerstand Zentrale. Verschwörungsmythen und Desinformation Es finden sich im Protestgeschehen um die Corona-Pandemie zunehmend Verschwörungsmythen, bei denen behauptet wird, dass übelmeinende Eliten sich heimlich verabreden und zum Nachteil der einfachen Bürgerinnen und Bürgern handeln würden. Die Attraktivität dieser Erzählungen liegt darin, komplexe Sachverhalte durch eine einfache Erklärung aufzulösen und einen Sündenbock zu präsentieren. Dies mündet oft in ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken und teilt die Welt in Schuldige und Unschuldige oder in wahr und falsch mit einem absolut-exklusiven Wahrheitsund Moralanspruch. 128 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Diese Weltsicht schlägt sich auch in der Propaganda nieder. Die Corona Rebellen Düsseldorf behaupteten 2021 in einem Flugblatt: "Corona ist nur ein Vorwand um perverse Machtfantasien zu verwirklichen! [...] Schauen Sie sich China aktuell an und Teilnehmende der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen verbreiten immer wieder Erzählungen über angebliche Verschwörungen von Eliten und geheime Machtstrukturen dann wissen Sie was wir verhindern wollen! Bargeldverbot, Komplettüberwachung, Zwangsimpfung und Punktesysteme für MENSCHEN!" Einige Akteure greifen auch antisemitische Narrative auf. Bereits im Nationalsozialismus wurde das Impfen als vermeintliches Werkzeug der Juden dargestellt, um angeblich den Deutschen zu schaden. So schrieb der Herausgeber der antisemitischen Hetzschrift "Der Stürmer", Julius Stürmer, 1935 in der Zeitschrift "Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden" einen Beitrag, in dem es unter anderem heißt: "Die Schulmedizin hat dem Juden zu seinem furchtbarsten Schlag verholfen: sie hat ihm den Lehrsatz aufgestellt, daß man durch Einimpfung von Krankheiten die Gesunden vor diesen Krankheiten bewahren könne." Heutzutage werden diese antisemitischen Behauptungen mit Bezug auf die pandemische Entwicklung aktualisiert. Demnach seien alle Personen, die der Bevölkerung schaden, Juden oder zumindest von Juden gesteuert. Zum Teil wird dabei eine jüdische Weltverschwörung behauptet und insbesondere den Familien Soros und Rothschild eine versuchte Unterjochung der Weltbevölkerung unterstellt. demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Darüber hinaus werden aber auch vielfach falsche Informationen beziehungsweise Behauptungen verbreitet. So rief im Telegram-Kanal einer Bochumer Protestgruppe ein Ein Beispiel für eine eindeutige und unverhohlene antisemitische Hetz-Propaganda in einer WhatsAppGruppe der Corona-Leugner-Szene Teilnehmer Ende Dezember 2021 dazu auf, den Widerstand gegen die Corona-Schutzmaßnahmen durch Graffiti-Aktionen sichtbar zu machen und zum Beispiel "Corona ist eine Lüge" zu sprayen. Mangelnde Abgrenzung gegenüber Rechtsextremisten und Reichsbürgern In der rechtsextremistischen Szene ist die Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen weitgehender Konsens. Die verschiedenen Gruppierungen veröffentlichen deshalb Termine von Protest-Versammlungen in den eigenen Telegramund geschlossenen Facebook-Gruppen und werben um Teilnahme. Dabei zeigen sie unterschiedliche Verhaltensweisen. Bei einzelnen Versammlungen besitzen Rechtsextremisten einen maßgeblich steuernden Einfluss. So melden Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung Aufbruch Leverkusen e.V. in Leverkusen Protest-Versammlungen an und organisieren sie. In anderen Fällen waren Rechtsextremisten lediglich ein wahrnehmbarer Teil der Versammlungen. Beispielsweise beteiligten sich in Remscheid wiederholt 20 bis 30 Rechtsextremisten an den Demonstrationen mit bis zu 300 Teilnehmern. Oftmals gehörten einzelne Rechtsextremisten zur Teilnehmerschaft, ohne dass sie sichtbare Banner trugen oder sie traten in einer größeren Gruppe der anderen Teilnehmer auf und besaßen dadurch keinen öffentlich wahrnehmbaren Einfluss. Zum Bei130 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 spiel liefen bei Demonstrationen in Bielefeld wiederkehrend Anhänger der Partei Die Rechte und anderer rechtsextremistischer Kleinstgruppierungen mit. Das Protestgeschehen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen ist heterogen und unterscheidet sich von Ort zu Ort. Zum Teil findet eine Abgrenzung von Rechtsextremisten statt, was durch das entsprechende Agieren der Versammlungsleiter auch glaubhaft ist. Zum Teil scheint es sich nur um Lippenbekenntnisse zu handeln, um das Image der eigenen Veranstaltung nicht zu gefährden. In einigen Fällen findet das offene Auftreten von Rechtsextremisten aber keinen Widerspruch und scheint den Organisatoren und Teilnehmern eine willkommene Verstärkung zu sein. Beispielsweise beteiligten sich rund 20 Mitglieder des Dortmunder Kreisverbandes der Partei Die Rechte am 30. November 2021 an einer zweistündigen Kundgebung in Dortmund. Die Kundgebung stand unter dem Motto "Impfzwang, Inflation, Massenmigration - Das Ruhrgebiet steht auf!" und hatte insgesamt 150 Teilnehmer. Die Rechtsextremisten positionierten sich bei der Versammlung gut sichtbar und sind zum Teil lokal auch bekannt, wie das Mitglied des Dortmund Stadtrates Matthias Deyda. Hochwasserhilfe als vorübergehendes Agitationsfeld Die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 hat in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu vielfältigen Aktivitäten von Extremisten des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" geführt. Ab dem 18. Juli 2021 versammelten sich rund 100 Angehörige dieses Spektrums in Ahrweiler und nutzten eine Grundschule als "Einsatzleitstelle". Geleitet wurde sie von einem ehemaligen Oberst a. D. der Bundeswehr. Die Angehörigen halfen vor Ort und teilten Hilfsgüter aus. Einige Personen trugen dabei auch Uniformen. Zeitweise hat die Gruppe laut Augenzeugen die Bundeswehr und das Technische Hilfswerk bei ihrer Arbeit behindert. Nach internen Zerwürfnissen der Gruppe reiste der Oberstleutnant bereits am 22. Juli 2021 wieder ab. In den Folgetagen reisten weitere Anhänger ab. Am 28. Juli 2021 räumte die Gruppe nach Aufforderung der Stadtverwaltung die Grundschule und beabsichtigte, nach Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen umzuziehen. Als Ziel identifizierten die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz einen Kindergarten in Bad Münstereifel. Da der Träger des Kindergartens mittlerweile Kenntnis über die Gruppe erlangt hatte, war er mit der Bereitstellung nicht mehr einverstanden. Die eintreffenden Personen erhielten Platzverweise. In der Anfangsphase der Flutkatastrophe wurden Spendenaufrufe aus der Querdenker-Szene und der rechtsextremistischen Szene für die Hochwassergeschädigten veröffentlicht. Allerdings wurde nicht zu Spenden für Aktionsbündnisse von HilfsdemokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 organisationen aufgerufen, sondern eigene Spendenkonten angegeben. Der Querdenken-Aktivist Bodo Schiffmann rief beispielsweise zu Spenden auf sein Konto auf. Bis zum 23. Juli 2021 waren fast 700.000 Euro eingegangen. Damit sollten unter anderem die Hilfsaktivitäten in der Grundschule in Ahrweiler finanziert werden. Die Hilfe vor Ort schien aber nicht alleiniges Ziel zu sein. So schrieb Schiffmann zur Auszahlung von finanziellen Mitteln: "Daran ist eine Bedingung geknüpft: die Diskriminierung von Menschen, die sich gegen die Impfung oder das Tragen von Masken entscheiden ist sofort zu beenden. Das gleiche gilt für die Diffamierung als rechtsradikaler nur weil man in der Lage ist selbst zu denken." Im Landkreis Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) war am vorletzten Juliwochenende ein Fahrzeug mit Lautsprechern unterwegs, aus denen Falschmeldungen verbreitet wurden. Dazu zählte die unzutreffende Meldung, dass Polizeiund Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduziert hätten. Hierbei handelte es sich um eine gezielte Desinformation, die darauf abzielte, den Staat zu delegitimieren. Das Fahrzeug erweckte optisch den Eindruck, ein Einsatzfahrzeug der Polizei zu sein. Fahrzeuge mit einem solchen Design konnten bereits in der Vergangenheit bei Autokorsos beobachtet werden, an denen sich Extremisten des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" beteiligten. Aus einem vermeintlichen Polizeifahrzeug wurden nach der Hochwasserkatastrophe im Landkreis Ahrweiler Falschmeldungen verbreitet 132 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Extremisten nutzten die Situation der Flutkatastrophe, um intensiv ihre Narrative zu verbreiten, wonach das Volk von den Politikern verraten würde und der Staat handlungsunfähig und -unwillig sei. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Extremisten keinen prägenden Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort hatten. Zwar ließen sich von der Flut Betroffene vom betreffenden Personenkreis unterstützen, jedoch dürfte dies in einer Vielzahl der Fälle nicht aus Sympathie oder Übereinstimmung mit den Zielen der Extremisten geschehen sein, sondern schlicht aus der Not heraus sowie in Unkenntnis über deren Ziele und Überzeugungen. Die Vorgänge in der Hochwasserregion haben gezeigt, dass die Querdenken-Szene trotz ihrer Heterogenität über einen hohen Organisationsgrad, nennenswerte finanzielle Möglichkeiten und kurzfristige Mobilisierungsfähigkeit verfügt. Durch Medienaktivisten dieser Szene fand eine permanente Inszenierung statt, die unter anderem darauf abzielte, staatliche Organisationen vor Ort und in den sozialen Medien zu delegitimieren. Das Verhalten der Querdenken-Akteure und der Corona-Leugner-Szene zeigte, dass sich die ursprüngliche Skepsis gegenüber Corona-Schutzmaßnahmen bei einem Teil der Szene zunehmend zu einer grundlegend demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Haltung entwickelt und dass das entsprechende Personenpotenzial neue Themen sucht, um sie als Vehikel ihrer Propaganda zu nutzen. Einschüchterung und Straftaten Einhergehend mit einer Radikalisierung von Teilen der Protestszene entwickelt sich bei den betreffenden Akteuren ein Schwarz-Weiß-Denken, bei dem die Meinungsgegner als Feinde angesehen werden. Dies schlägt sich darin nieder, dass Politiker, aber auch Wissenschaftler und Journalisten als Verbrecher dargestellt werden. Dies geschieht sowohl in der Anonymität des Internets in zahlreichen Telegram-Gruppen, aber auch auf Plakaten bei Demonstrationen. Diese Feinderklärung geschieht nicht nur symbolisch, sondern auch real. So mehren sich die Bedrohungen von Personen, die sich für die Corona-Schutzmaßnahmen einsetzen. Insbesondere der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Karl Lauterbach, den der Bundespräsident am 8. Dezember 2021 zum Bundesgesundheitsminister ernannte, wurde während der Corona-Pandemie vielfach angefeindet. Er war während der Corona-Pandemie einer der medial bekanntesten Befürworter von strengen Corona-Schutzmaßnahmen. Das Spektrum der Einschüchterungsversuche umfasst Drohungen per E-Mail, eine Kundgebung vor seiner privaten Wohnung, eine Sachbeschädigung an seinem Auto und das Einwerfen einer Fensterscheibe seines Kölner Bundestagsbüros. demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Anfeindungen richten sich aber ebenfalls gegen Kommunalpolitiker. Ein Beispiel dafür ist ein Vorfall am 4. Januar 2022 in Minden. An einer unangemeldeten Mahnwache nahmen bis zu 150 Personen teil. Bereits nach 20 Minuten entfernte sich eine Gruppe von mindestens 100 Teilnehmern vom Versammlungsgelände und sammelte sich in unmittelbarer Nähe des Wohnortes der Landrätin. Die Gruppe wurde von einer männlichen Person mit einem Fahrrad begleitet, die mehrfach aufforderte, zur Wohnanschrift der Landrätin zu gehen. Erst durch die Polizei wurde die Gruppe aufgehalten. Auf diesem Plakat werden unter anderem Politikerinnen Nach einer polizeilichen Ansprache und Politiker sowie Wissenschaftler als Verbrecher und Terlöste sich die Gruppe auf. Gegen den roristen bezeichnet mutmaßlichen Anführer wurde ein anlassbezogenes Strafverfahren in Tateinheit mit Beleidigung eingeleitet. Er soll die Landrätin als "Gauleiterin der Herzen" bezeichnet haben. Aber auch Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie, die zu keinen Einschränkungen der Bevölkerung führen, werden von den Extremisten dieses Phänomenbereichs bekämpft. Beispielsweise rief am 24. Dezember 2021 eine Person den Polizeinotruf an und kündigte an, dass im Kölner Dom während der dort stattfinden Impfaktion mehrere Bomben explodieren würden. Tatsächlich wurden dort keine Bomben aufgefunden. Die Impfaktion wurde allerdings gestört. Das Thema Impfen, insbesondere das Thema Impfpflicht, nutzten einige Akteure der Protestszene, um Gewalt zu legitimieren oder sogar zu Gewalt aufzurufen. Ein reichweitenstarker Social-Media-Aktivist veröffentlichte auf seinem Telegram-Kanal am 30. November 2021 ein Statement, in dem er unter anderem Folgendes schrieb: "Jeder Mensch hat das natürliche, gottgegebene Recht, jeden über den Haufen zu schießen (kampfunfähig zu machen), der versucht, einem eine Giftspritze zu verpassen. Jeder Mensch hat das natürliche, gottgegebene Recht, jeden über den Haufen zu schießen, der einem WAS AUCH IMMER injizieren will. Das gilt auch dann, wenn es sich dabei um eine harmlose Substanz oder ein Wunderheilmittel handelt." Der Text wurde über 100.000 mal aufgerufen. 134 demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Beispiele in anderen Bundesländern zeigen, dass die Radikalisierung nicht bei verbalen Aggressionen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen aufhört, sondern auch schwerste Straftaten folgen können. Zu nennen ist vor allem das Tötungsdelikt in einer Tankstelle in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) vom 18. September 2021. Zuvor gab es zwischen Täter und Opfer eine verbale Auseinandersetzung, weil der Kassierer der Tankstelle den Kunden darauf hinwies, dass dieser einen medizinischen MundNasen-Schutz tragen müsse. Der Kunde verließ zunächst die Tankstelle, kehrte kurz darauf aber wieder zurück und schoss dem Kassierer mit einer mitgebrachten Waffe in den Kopf. In Sachsen führt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ein Ermittlungsverfahren wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SS 89a StGB gegen mehrere Personen, die der Corona-Protestszene zuzuordnen sind. Sie hatten sich in der Telegram-Gruppe "Dresden Offlinevernetzung" gegenseitig in der Ablehnung von Impfungen, des Staates, der regierenden Politiker und der gegenwärtigen Corona-Politik bestätigt. Das ZDF-Format "Frontal 21" hatte am 7. Dezember 2021 über die Gruppierung berichtet. Aus dem Beitrag ging zudem hervor, dass ungefähr zwei Wochen zuvor ein reales Treffen von Personen der Gruppe stattfand, bei dem es offenbar um Anschlagspläne auf den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ging. Am 15. Dezember 2021 durchsuchte das Landeskriminalamt Sachsen bei sechs Personen dieser Gruppierung die Wohnungen. Unter anderem wurden Armbrüste, Waffen und Waffenteile bei den Durchsuchungsmaßnahmen aufgefunden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das Protestgeschehen um die Corona-Pandemie ist im stetigen Wandel. Aktuelle politische Entscheidungen zu Corona-Schutzmaßnahmen haben einen starken Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung, die Radikalisierung und auch das Personenpotenzial der einzelnen Initiativen und Bewegungen. Es ist davon auszugehen, dass Verschwörungsmythen und Desinformation auch über die Pandemie hinaus als Schwerpunkt bei einem Kern der Corona-Leugner-Szene bestehen bleiben. Damit verfestigen sich Feindbilder und ein Schwarz-Weiß-Denken, was längerfristig zu Radikalisierung führen und im schlimmsten Falle in Gewalt münden kann. Angesichts dessen werden die demokratieund sicherheitsgefährdenden Entwicklungen in Teilen der Protestszene auch weiterhin intensiv vom Verfassungsschutz NRW beobachtet. demokratIefeIndlIche und/oder sIcherheItsgefährdende delegItImIerung des staates 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 136 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Linksextremismus lInksextremIsmus 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Die autonome Szene agierte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie überwiegend reaktiv, indem die Teilnehmer von Protesten gegen die staatlichen CoronaSchutzmaßnahmen und deren Beeinflussung durch Rechtsextremisten als neue politische Gegner identifiziert wurden. Demgegenüber entfalteten Gruppen des autonomen Linksextremismus kaum eigenständige Aktivitäten im Umgang mit der Pandemie. Erst mit der Kritik an den Ausgangssperren konnte die Szene eine für viele Gruppen anschlussfähige Mobilisierung erzielen. Allerdings war die autonome Szene nicht in der Lage, beim Protest gegen die staatlichen Einschränkungen eine einheitliche und anschlussfähige Position zu entwickeln. Infolge eines rückläufigen Infektionsgeschehens versuchte die autonome Szene, ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Dies zeigte sich an der Besetzung eines Klosters in Aachen, der Wiederentdeckung der Akteure des klassischen Rechtsextremismus als politische Gegner oder an der Teilnahme beziehungsweise Organisierung von Veranstaltungen, die der internationalen Solidarisierung oder Vernetzung dienen sollten. Autonome: Versuch der Entgrenzung bei Protestaktionen Gruppen aus dem Bereich des autonomen Linksextremismus nahmen ihre Bemühungen wieder auf, Proteste zivildemokratischer Gruppen und Personen zu entgrenzen. In diesem Zusammenhang beteiligte sich die autonome Szene an Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung, beispielsweise an den Protesten im Rheinischen Braunkohlerevier, und an einer Kampagne gegen ein Gesetzesvorhaben für ein Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Im letzteren Fall nahmen linksextremistische Gruppen an einer Demonstration in Düsseldorf am 26. Juni 2021 teil, zu welcher mehr als 3.000 Personen angereist waren. Als Folge eines Versammlungsverlaufs, der mehrfach teils massives polizeiliches Einschreiten erforderte, konnte eine solche Mobilisierungswirkung bei nachfolgenden Veranstaltungen im thematischen Kontext nicht erzielt werden. Und auch in anderer Hinsicht brachten viele Aktionen der autonomen Szene keine nachhaltige Qualität hervor: Hierzu zählten organisatorische Neugründungen wie die Antifa.NRW, die entgegen einer steuernden Zielsetzung bislang ohne Einfluss blieb, aber auch die offensichtliche Organisationskrise der Interventionistischen Linken, die in dem Aus138 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 scheiden eines Bündnismitgliedes zum Ausdruck kommt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung scheinen die in NRW nur ansatzweise vorfindlichen Tendenzen zu einer Radikalisierung im Linksextremismus zu stagnieren. Dogmatischer Linksextremismus: außerparlamentarischer Protest mit geringem Einfluss Auf parlamentarischer Ebene sind Linksextremisten in NRW seit Jahren überwiegend einflusslos. Dies zeigt sich in der dogmatischen Kritik am parlamentarischen System, einer kategorischen Ablehnung von bloß strategischen Kooperationen mit demokratischen Parteien und an den Wahlergebnissen der Parteien des dogmatischen Linksextremismus, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die Wahlergebnisse dieser Parteien stagnierten auf niedrigem Niveau und waren teilweise sogar rückläufig. Das Agitationsfeld von DKP und MLPD liegt damit nach wie vor im außerparlamentarischen Protest gegen bestehende Verhältnisse. Im Vergleich zum autonomen Linksextremismus kommt den Aktivitäten dieser Parteien dort allerdings eine nachgeordnete Rolle zu. Insbesondere die MLPD ist auf diesem Feld durch ihren ideologisch begründeten Avantgarde-Anspruch weitgehend isoliert. Anlassbezogen und ohne größere Hürden interagieren Zusammenschlüsse des autonomen Linksextremismus demgegenüber mit Gruppen der linksjugend ['solid] NRW. Die linksjugend ['solid] NRW und informelle Einschlüsse der Partei DIE LINKE traten im Jahr 2021 insbesondere durch die Einflussnahme von Gruppen in Erscheinung, die dem Trotzkismus zugerechnet werden. Allerdings liegen Anzeichen vor, dass sich ein Teil der nicht extremistischen Mitglieder einzelner Einschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE und der linksjugend ['solid] zunehmend kritisch mit extremistischen Positionen auseinandersetzt. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y lInksextremIsmus 139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden Unter strikter Einhaltung des Trennungsgebotes unterstützt der Verfassungsschutz NRW die Polizei mit seinen Erkenntnissen bei der Einschätzung von Einsatzlagen. Der Austausch der Sicherheitsbehörden ist ein wichtiger Eckpfeiler bei der Einordnung, Bewertung und Bekämpfung von Extremismus. Sowohl die Polizei als auch der Verfassungsschutz haben den Auftrag, den demokratischen Verfassungsstaat gegen Angriffe seiner Gegner zu schützen. Die konkreten Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse unterscheiden sich dabei wesentlich. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz Als Resultat aus dem Trennungsgebot, das auf den sogenannten Polizeibrief vom 14. April 1949 zurückgeht, ist der Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem" konzipiert. In dieser Eigenschaft ist er für das Erkennen, Analysieren und Informieren von beziehungsweise über Entwicklungen verantwortlich, aus denen sich Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ergeben können. Er wird bereits tätig, bevor sich Gefahren konkretisieren. Hierzu hat er umfangreiche Aufklärungs-, aber keine Zwangsbefugnisse, etwa zur Durchsuchung von Personen, Sachen und Wohnungen oder zur Festnahme von Personen. Die Polizei ist dafür zuständig, konkrete Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen. Sie wird tätig, wenn sich Gefahren manifestieren oder Straftaten bereits ereignet haben. Während die Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichenfalls auch Zwangsmaßnahmen anwenden darf, bleiben ihre Befugnisse zur Aufklärung im Vorfeld von Gefahren und Straftaten hinter denen des Verfassungsschutzes zurück. Daraus folgt, dass weder die Polizei noch der Verfassungsschutz auf dem Wege der Amtshilfe die jeweils andere Behörde um Maßnahmen ersuchen darf, zu denen sie selbst nicht befugt ist. Das Trennungsgebot wird auf verschiedenen Ebenen umgesetzt: Funktional in unterschiedlichen Aufgaben von Polizei und Nachrichtendienst, organisatorisch in dem Aufbau zweier voneinander getrennter Behördenstrukturen, befugnisrechtlich in unterschiedlichen Kompetenzen, informationell im Rahmen einer eigenständigen Informationsverarbeitung sowie in einer personellen Trennung. Allerdings ist das sogenannte Trennungsgebot nicht mit einem Kooperationsverbot zu verwechseln: Polizei 140 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 und Verfassungsschutz stehen zum Schutz des demokratischen Verfassungsstaates mit jeweils eigenen Aufgabenfeldern und Befugnissen getrennt nebeneinander. Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität ergibt sich allerdings eine Schnittmenge zwischen beiden Organisationen, die Kooperationen erforderlich und sinnvoll macht. Schnittmenge zwischen politisch motivierter Kriminalität und Extremismus Mit politisch motivierter Kriminalität (PMK) werden verschiedene Straftaten und Rechtsverletzungen bezeichnet, bei denen sich aus den Umständen der Tat oder aus der Einstellung der Täterin oder des Täters Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die entsprechende Handlung aus einem politischen Beweggrund heraus begangen wurde. Für die Verfolgung von Straftaten und Rechtsverletzungen ist in erster Linie die Polizei zuständig. Aufgrund seines gesetzlichen Auftrages zur Bekämpfung des politischen Extremismus wird aber auch der Verfassungsschutz tätig, wenn in der politisch motivierten Kriminalität eine Bestrebung ersichtlich wird, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Die Beobachtung von Extremismus ist nicht an das Vorhandensein strafrechtlich relevanten Verhaltens gebunden. Sofern Anhaltspunkte für den Verdacht einer zielgerichteten, verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen, ist eine Zuständigkeit des Verfassungsschutzes gegeben. Damit umfasst der Beobachtungsauftrag nicht nur aktionsorientierte Strömungen im Extremismus, sondern auch sogenannte legalistische Organisationsformen mit extremistischer Agenda, wie politische Parteien, Verbände oder Vereine. Aufgrund des unterschiedlichen Aufgabenzuschnitts ergänzt und unterstützt der Verfassungsschutz die Polizei im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Unter der strikten Beachtung des Trennungsgebotes tauscht der Verfassungsschutz des Landes NordrheinWestfalens dazu Erkenntnisse mit der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden aus, die folgende Bereiche betreffen: > die Aufklärung des extremistischen Vorfeldes sowie > die Vorbereitung, > die Begleitung und > die Nachbereitung von Ereignissen mit einer verfassungsschutzbezogenen Relevanz. lInksextremIsmus 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der Erkenntnisaustausch ist bundesund landesweit im Rahmen von Arbeitskreisen und Koordinierungsstellen, wie dem Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum, fest institutionalisiert. In vielen Fällen findet ein Erkenntnisaustausch situativ und anlassbezogen statt - im direkten Kontakt der Behörden. Aufklärung des extremistischen Vorfeldes Bei der Aufklärung des extremistischen Vorfeldes bedient sich der der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen sowohl offener Quellen als auch sogenannter nachrichtendienstlicher Mittel. Zu den offenen Quellen zählen beispielsweise Printund Online-Medien, soziale Netzwerke und sonstige Plattformen. Unter die nachrichtendienstlichen Mittel fällt etwa die Befragung geeigneter Vertrauenspersonen und Observationen. Zur rechtsstaatlichen Einhegung von Eingriffen in die verfassungsmäßig zugesicherten Grundrechte agiert der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen in seinen Maßnahmen auf der gesetzlichen Grundlage des Gesetzes für den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommen interne und externe Kontrollen der nachrichtendienstlichen Arbeit. Zu den internen Kontrollen zählen beispielsweise der Nachweis einer Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, interne Absprachen zur gefährdungsbasierten Priorisierung von Beobachtungsobjekten oder die Fachaufsicht durch den Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen. Eingriffsintensive Maßnahmen, wie die gezielte Kommunikationsüberwachung von Einzelpersonen, unterliegen zudem externer parlamentarischer Kontrolle. Sie müssen anhand objektiver und nachprüfbarer Kriterien von der sogenannten G10-Kommission begründet und genehmigt werden. Hierbei handelt es sich um eine parlamentarische Kommission, die über jede einzelne Maßnahme berät, abstimmt und fortlaufend über die Notwendigkeit einer Weiterführung oder Beendigung unterrichtet wird. Außerdem berichtet der Verfassungsschutz regelmäßig im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) über geheimhaltungsbedürftige Informationen im Rahmen seiner Tätigkeit. Das PKG ist eine Einrichtung des Landtags NRW, in der sich bestimmte Abgeordnete besonders intensiv mit der Tätigkeit des Verfassungsschutzes auseinandersetzen. Die gewonnenen Erkenntnisse tauscht der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen mit den Nachrichtendiensten anderer Bundesländer beziehungsweise des Bundes aus. Ziel der nachrichtendienstlichen Aufklärungsarbeit ist es, Einzelinformationen zu analysieren, zu einem komplexen Lagebild zusammenzuführen und hieraus Entwicklungen zu prognostizieren. 142 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Sofern im Informationsaufkommen zum extremistischen Vorfeld Erkenntnisse gewonnen werden, die darauf hindeuten, dass Schutzgüter oder Personen unmittelbar und in besonderer Schwere gefährdet werden, tritt der Verfassungsschutz aktiv an die für die Gefahrenabwehr zuständigen Sicherheitsbehörden, zum Beispiel die Polizei, heran. Erkenntnisaustausch zur Vorbereitung von Versammlungslagen Ein Feld der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz NordrheinWestfalen ist der Erkenntnisaustausch im Kontext von Versammlungen, an denen Extremisten teilnehmen. Dies gilt auch für den Linksextremismus. Eine Unterscheidung zwischen zivilgesellschaftlichem Protest, politisch motivierter Kriminalität und Extremismus ist in einer Außenperspektive nicht immer zweifelsfrei vorzunehmen. Allerdings kann die Beteiligung extremistischer Personenzusammenschlüsse den Verlauf und den politischen Ausdruck einer Versammlung entscheidend beeinflussen. Nicht zuletzt kann die Teilnahme von Extremisten direkte Auswirkungen auf die Sicherheit nicht-extremistischer, friedlicher Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben. Um einen störungsfreien Versammlungsverlauf, die Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und die Sicherheit aller Teilnehmenden zu gewährleisten, trägt die Polizei im Vorfeld einer Versammlung alle relevanten Gefährdungserkenntnisse zusammen. Dabei unterstützt der Verfassungsschutz die Polizei durch die Übermittlung diesbezüglicher Informationen. Hierzu zählen insbesondere Erkenntnisse über die Teilnahme extremistischer Gruppen, deren Aktionsrepertoire, Gewaltorientierung und Personenstärke. Von besonderer Bedeutung können auch Informationen sein, die der Verfassungsschutz über konkret geplante Aktionen erlangt hat, etwa zur Konfrontation mit dem politischen Gegner oder über Taktiken zur Umgehung von polizeilichen Absperrungen. Anfallende Informationen werden im Verfassungsschutz daraufhin geprüft, ob Belange des Quellenschutzes oder sonstige Aspekte, insbesondere das Trennungsgebot, einer Weitergabe an die Polizei entgegenstehen. Sofern diese Aspekte nicht zutreffen, werden die für die polizeiliche Lagebewältigung erforderlichen Informationen übermittelt. Begleitung von Gefährdungssachverhalten Ein weiteres Feld der Zusammenarbeit sind sogenannte Gefährdungssachverhalte. Von einem Gefährdungssachverhalt sprechen Sicherheitsbehörden, wenn im Einzelfall ein Schadenseintritt für ein bedeutsames Rechtsgut mit hinreichender Wahrscheinlichkeit lInksextremIsmus 143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Ein Beispiel für solche Gefährdungssachverhalte stellen Anschlagsdrohungen dar. Im Verlauf solcher Sachverhalte ist der Verfassungsschutz gegebenenfalls parallel mit eigenen operativen Maßnahmen tätig und übermittelt den Polizeibehörden entsprechend den gesetzlichen Befugnissen ergänzende Lageeinschätzungen oder Erkenntnisse aus nachrichtendienstlichem Informationsaufkommen. Die Nachbereitung verfassungsschutzrelevanter Ereignisse Im Nachgang sicherheitsrelevanter Ereignisse, etwa nach Versammlungen, in deren Verlauf es zu Straftaten gekommen ist, analysiert der Verfassungsschutz die Geschehnisse, bewertet diese mit Blick auf ihre Extremismusrelevanz, trägt unter Umständen zur Identifizierung von Personen, Organisationen und Symbolen bei und prüft, ob sich aus den festgestellten Entwicklungen ein Unterrichtungserfordernis gegenüber der Öffentlichkeit ergibt. Mit Blick auf Versammlungen ist hierzu in der Regel eine Differenzierungsarbeit zu leisten und zu klären, inwiefern extremistische Akteure das Gesamtbild einer Versammlung geprägt oder sogar gesteuert haben. War eine Veranstaltung noch im Bereich des legitimen Protestes verortet, der für den Prozess demokratischer Willensbildung bereichernd ist, oder muss die Zivilgesellschaft vor extremistischen Akteuren und deren Versuchen gewarnt werden, Personen aus der Mitte der Gesellschaft für ihre weiterreichenden Zielsetzungen einzuspannen? Mit der Beantwortung solcher Fragen und den aufgeführten Maßnahmen stellt der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Eckpfeiler bei der Einordnung, Bewertung und Bekämpfung des politischen Extremismus dar. 144 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 lInksextremIsmus 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE Sitz/Verbreitung Sitze in Berlin, Verbreitung deutschlandweit Gründung/Bestehen seit Kommunistische Plattform (KPF): 1989 Sozialistische Linke (SL): 2006 Antikapitalistische Linke (AKL): 2006 linksjugend ['solid]: 2007 Struktur/ Repräsentanz Kommunistische Plattform (KPF): Bundessprecherrat, Bundeskoordinierungsrat, Bundeskonferenz Sozialistische Linke (SL): BundessprecherInnenrat Antikapitalistische Linke (AKL): BundessprecherInnenrat, Länderrat der AKL, Mitgliederversammlung linksjugend ['solid]: Bundesverband, Landesverband, Basisgruppen, Hochschulgruppen (Die Linke/SDS) Mitglieder/Anhänger/ linksjugend ['solid]: NRW: 1.200 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Kommunistische Plattform (KPF): Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (monatlich) Sozialistische Linke (SL): "realistisch und radikal" (erscheint unregelmäßig) Antikapitalistische Linke (AKL): Bulletin "aufmüpfig konsequent links" (erscheint unregelmäßig) 146 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 linksjugend ['solid]: regelmäßige Berichterstattung in der Tageszeitung junge Welt (jW), Web-Angebote und Auftritte in den sozialen Medien Kurzporträt/Ziele Die Kommunistische Plattform versteht sich als Verteidigerin der sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts und strebt einen Staat auf Grundlage des MarxismusLeninismus an. Die Sozialistische Linke will den gegenwärtigen, von ihr als "Kapitalismus" bezeichneten, demokratischen Verfassungsstaat durch einen "demokratischen und ökologischen Sozialismus" ersetzen. Die Antikapitalistische Linke lehnt das parlamentarische System fundamental ab und setzt sich für dessen revolutionäre Überwindung ein. Führende Mitglieder des Landesverbandes NRW sind zudem offen Mitglieder trotzkistischer Kleingruppen und streben die Einführung eines Rätesystems an. Auch in der linksjugend ['solid] NRW haben trotzkistische Kommunisten führende Positionen besetzt. Trotzkis Ideen folgend wird von der linksjugend ['solid] NRW eine sozialistische Welt als politisches Ziel benannt. Dazu müsse man sich, so ist in theoretischen Unterlagen des Verbandes zu lesen, "mit den revolutionären Ideen des Marxismus" bewaffnen und den Kapitalismus "auf den Müllhaufen der Geschichte" befördern. Letztendlich werden die Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie verworfen und eine revolutionäre Übernahme von Staat und Wirtschaft durch die Arbeiterklasse beziehungsweise die kommunistische Partei angestrebt. Finanzierung Mittel der Partei DIE LINKE und Spenden lInksextremIsmus 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Verfassungsschutz NRW beobachtet nicht die Partei DIE LINKE in ihrer Gesamtheit, sondern nur die linksextremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE. Dies sind die Antikapitalistische Linke (AKL), die Kommunistische Plattform (KPF), die Sozialistische Linke (SL) und die linksjugend ['solid]. Gemeinsam ist den genannten Zusammenschlüssen, dass das von ihnen so bezeichnete "kapitalistische System", womit faktisch die gegenwärtige Gesellschaftsordnung eines demokratischen Verfassungsstaates in der Bundesrepublik Deutschland gemeint ist, zugunsten einer sozialistischen Gesellschaftsordnung überwunden werden soll. Während die dogmatische Schärfe, mit der dieses Ziel verfolgt wird, in den einzelnen Zusammenschlüssen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, ist das Ziel an sich mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Die genannten Zusammenschlüsse unterliegen deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Jahr 2021 konnten in Nordrhein-Westfalen keine Aktivitäten der KPF festgestellt werden, der Landesverband der SL zeigte sich insgesamt weniger radikal und verfolgte eine tendenziell auf Konsens abzielende Politik. Die AKL lehnt das parlamentarische System fundamental ab und setzt sich auf Instagram für dessen revolutionäre Überwindung ein 148 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Demgegenüber vertrat die AKL auch 2021 eine radikal antiparlamentarische Position und wandte sich grundsätzlich dagegen, Koalitionen der Partei DIE LINKE mit von ihnen so bezeichneten "bürgerlichen" Parteien auch nur zu erwägen. In einer Stellungnahme zur Bundestagswahl 2021 bekräftigte der Landesverband NRW erneut, es gebe "keine parlamentarische [...] Alternative", vielmehr müssten "außerparlamentarische[...] Strukturen" aufgebaut werden um "fortschrittliche[...] Politik" durchzusetzen. Facebook-Post der AKL linksjugend NRW Wie in den vergangenen Jahren ist für 2021 ein @linksjugendNRW starker Einfluss trotzkistischer Kleingruppen Nein zum #Ausschlussversuch von Marxist*innen! auf die AKL zu konstatieren. Neben den beDie linksjugend ['solid] NRW positioniert sich gegen den an den #Bundeskongress gestellten kannten Doppelmitgliedschaften führender Satzungsänderungsantrag 5 "Unvereinbarkeit mit der Personen zeigte sich dies an der von der AKL für Sol" und weist die darin verbreiteten Unwahrheiten zurück. den Listenplatz 1 der Landesliste der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl nominierten Kandidatin. Diese warb offen damit, auch Mitglied der Sozialistischen Alternative (SAV) zu sein. Die SAV möchte die parlamentarische Demokratie zugunsten eines kommunistischen Systems unter anderem nach den Ideen Lenins und Trotzkis revolutionär überwinden. Wie in der AKL NRW sind auch in der linksjugend ['solid] NRW Trotzkisten in führenden Positionen aktiv. So unterstützte die linksjugend ['solid] NRW die AKL/SAV-KandidaDie linksjugend ['solid] NRW positioniert sich tin für die Landesliste der Partei DIE LINKE zur gegen den Antrag an den Bundeskongress, dogmatische Kommunisten aus dem Verband auszuschließen lInksextremIsmus 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Solidaritätserklärung mit der DKP auf der Homepage der linksjugend ['solid] NRW Bundestagswahl. Zudem führte der Landesverband NRW erfolgreich eine Kampagne gegen Versuche im Gesamtverband, eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der linksjugend ['solid] und der Sozialistischen Organisation Solidarität (SOL) für unvereinbar zu erklären. Bei der SOL handelt es sich um eine Abspaltung der oben genannten SAV, die jedoch wie diese eine Diktatur des Proletariats nach den Lehren Leo Trotzkis als politisches Ziel verfolgt. Aber nicht nur innerhalb der linksjugend ['solid] NRW wirken Extremisten, auf der lokalen Ebene kooperierte die linksjugend ['solid] NRW auch 2021 wieder mit dezidiert verfassungsfeindlichen Organisationen wie der DKP, der SDAJ, der Interventionistischen Linken und/oder anderen kommunistischen beziehungsweise autonom-anarchistischen Gruppierungen. 150 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Während für die AKL und die KPF nicht zu erwarten ist, dass sich politische Ideologie oder Zielrichtung der Organisationen verändern werden, hat die SL auf ihrer Bundesmitgliederversammlung 2021 eine "Grundlagendiskussion" begonnen. Für 2022 ist daher eine verstärkte ideologische Debatte zu erwarten. In der wesentlich größeren linksjugend ['solid] ist neben extremistischen Akteuren eine hohe Anzahl nicht extremistisch orientierter Mitglieder organisiert. 2021 ist es diesen nicht gelungen, Extremisten aus der linksjugend ['solid] NRW auszuschließen. Der erfolgte Versuch belegt jedoch, dass innerhalb des Verbandes kein Konsens hinsichtlich der in Teilen extremistischen Positionen herrscht und sich die politische Ausrichtung in Zukunft ändern könnte. lInksextremIsmus 151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Sitz/Verbreitung Essen Gründung/Bestehen seit 1968 Struktur/ Repräsentanz Bezirke: Ruhr Westfalen und Rheinland Westfalen Vorsitz: Patrick Köbele unterstützte Jugendorganisation: Sozialistische deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 800 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Eigene Webseite, sozialistische Wochenzeitung unsere Zeit Kurzporträt/Ziele Die DKP versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Sie bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum MarxismusLeninismus und strebt die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Nach Vorstellung der DKP soll die Arbeiterklasse als maßgebende gesellschaftsverändernde Kraft durch einen klassenkämpferisch-revolutionären Akt die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, den Parlamentarismus und den politischgesellschaftlichen Pluralismus überwinden. Über die Zwischenstufe des Sozialismus 152 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 wird eine klassenlose kommunistische Gesellschaft angestrebt, in der alle wesentlichen gesellschaftlichen Gegensätze, insbesondere der zwischen Kapital und Arbeit, aufgehoben sein sollen. Individualgrundrechte haben in diesem Konzept nur noch eine stark eingeschränkte Bedeutung. Damit richtet sich die DKP gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß SS 3 Absatz 1 Nr. 1 des Verfassungsschutzgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Jahr 2021 war die politische Arbeit der DKP erneut durch die Pandemie bedingten Einschränkungen gekennzeichnet. Treffen, Veranstaltungen und Wahltermine wurden - wenn möglich - digital abgehalten. Bei öffentlichen Veranstaltungen hielten sich die Parteimitglieder an die gesetzlichen Vorgaben. Wahl zum 20. Bundestag am 26. September 2021 2021 nahm die DKP mit elf Landeslisten - zwei Landeslisten mehr als in 2017 - an der Bundestagswahl teil. In Nordrhein-Westfalen beteiligte sich die Partei mit Direktkandidatinnen und Direktkandidaten sowie mit einer gemeinsamen Landesliste der Bezirke Ruhr Westfalen und Rheinland Westfalen an der Wahl. Mit dem Wahlprogramm mit dem Titel "Die Krise heißt Kapitalismus" wies die Partei auf die ihrer Ansicht nach bestehende Alternative des Sozialismus unter nachdrücklichem Verweis auf den friedenspolitischen Aspekt einer klassenlosen Gesellschaft hin. Der Bundeswahlausschuss hatte die DKP mit Entscheidung vom 8. Juli 2021 aufgrund fehlender Rechenschaftsberichte und damit einhergehendem Verlust des Parteienstatus von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung des Bundeswahlausschusses am 22. Juli 2021 vollumfänglich aufWahlplakat der DKP zur Bundestagswahl 2021 lInksextremIsmus 153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 gehoben hatte, erzielte die DKP bundesweit 5.439 (2017: 7.517) Erstund 15.158 (2017: 11.558) Zweitstimmen. Auf Nordrhein-Westfalen entfielen hiervon 2.281 (2017: 1.284) Erstund 2.562 (2017: 2.217) Zweitstimmen. Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen Die Jugendorganisation SDAJ (Sozialistische deutsche Arbeiterjugend) und die DKP teilten frühzeitig mit, dass das für den 23. und 24. Mai 2021 geplante jährliche Festival der Jugend in Köln sowie das für den 27. bis 29. August geplante 21. Pressefest der parteieigenen sozialistischen Wochenzeitung "unsere Zeit" in Dortmund aufgrund der weiterhin herrschenden pandemischen Lage nicht stattfänden. Aktiv beteiligten sich die SDAJ und die DKP an den traditionellen Ostermarschaktionen Rhein Ruhr vom 2. bis 5. April 2021 und an den gewerkschaftlichen Veranstaltungen zum 1. Mai. Als aktive Mitglieder des Bündnisses "Versammlungsgesetz stoppen! Grundrechte erhalten", das sich gegen die Novellierung des Versammlungsgesetztes in Nordrhein-Westfalen gegründet hat, nahmen SDAJund DKP-Mitglieder an den zentralen Demonstrationen in Köln und Düsseldorf sowie landesweiten dezentralen Kundgebungen teil. SDAJ-Mitglieder nahmen an zentralen Demonstration gegen die Novellierung des Versammlungsgesetztes in NRW in Düsseldorf teil 154 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Verlaufe des Jahres beteiligte sich die DKP in Essen mit eigenen Kundgebungen an der Sammlung von Unterschriften gegen die Schließungen von Krankenhäusern im Essener Norden. In 2021 erinnerte die Partei ferner an die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vor 75 Jahren und an den 65. Jahrestag der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA), die von der DKP als erste und einzige deutsche Friedensarmee bezeichnet wird. Hierdurch bekräftigte die DKP ihre absolute Loyalität zu den Prinzipien der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und ihre unveränderte politische Ausrichtung. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das Ergebnis der Bundestagswahl weist mit Blick auf die Ergebnisse der Wahlen in den Vorjahren auf eine stabile Parteibasis der DKP in Nordrhein-Westfalen hin, die wahlpolitisch gleichwohl unbedeutend (0,0 Prozent der Gesamtstimmen) ist. Die Partei versteht sich als außerparlamentarische Kraft und ruft weiterhin zu aktivem Widerstand gegen die herrschende und ihrer Ansicht nach auf Profit orientierte Politik auf. Es ist zu erwarten, dass die DKP auch weiterhin versuchen wird, parteipolitische Bedeutung zu erlangen und über Wahlen in die Parlamente der Länder und des Bundes einzuziehen. Zur Festigung und Bestätigung ihres Parteienstatus ist in 2022 der 24. Parteitag als Online-Veranstaltung geplant. Durch eine Pressemitteilung im November 2021 wurde darüber hinaus die Teilnahme an der Landtagswahl am 15. Mai 2022 in Nordrhein-Westfalen angekündigt. lInksextremIsmus 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Sitz/Verbreitung Gelsenkirchen Gründung/Bestehen seit 1982 Struktur/ Repräsentanz Sieben Landesverbände (unter anderem in NRW), zahlreiche Gruppierungen mit nomineller Eigenständigkeit als struktureller Unterbau, darunter der Jugendverband Rebell mit der Kinderorganisation Rotfüchse, und kommunale Wahlbündnisse wie alternativ, unabhängig, fortschrittlich (AUF) Vorsitz: Gabi Fechtner Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 750 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen: Rote Fahne Magazin Web-Angebote: umfangreiche Internetpräsenz, Rote Fahne News als Online-Nachrichtenmagazin Kurzporträt/Ziele Die 1982 aus dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) hervorgegangene Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der von ihr so bezeichneten Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. 156 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 In einem "17 Punkte Kampfprogramm" führt die Partei aus, dass die Herrschaft der internationalen Monopole gestürzt und der Sozialismus aufgebaut werden müsse. Dies beschränke sich nicht nur auf Deutschland, erklärt die MLPD und konkretisiert im eigenen Parteiprogramm: Der Sozialismus stelle eine Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Kommunismus dar und mit der Diktatur des Proletariats organisiere die Arbeiterklasse den Klassenkampf im Sozialismus. Das Hauptaugenmerk ihrer politischen Arbeit legt die Partei neben der Frauenund Jugendpolitik, die sie mit vermeintlich eigenständigen organisatorischen Gruppen bearbeitet, vorwiegend auf die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Sie verbindet dies verstärkt mit einer von der Partei als sozialistisch bezeichneten Umweltpolitik und der Beteiligung an sozialen Protesten in einem internationalen sozialistischen Kontext. Dem Anspruch an Internationalität versucht die MLPD durch die 2010 gegründete Internationale Koordinierung revolutionärer Organisationen und Parteien (ICOR) gerecht zu werden. Da sich die MLPD in einer fortdauernden Verfolgungssituation durch den Staat und seine Organe wähnt, agiert sie auf kommunaler Ebene verdeckt. Hier unterstützt die Partei angeblich unabhängige Personenwahlbündnisse wie die Organisation alternativ, unabhängig, fortschrittlich (AUF), die zum Teil personell mit der MLPD verflochten sind. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Einnahmen aus Vermögen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-Tung und verbindet nach eigener Aussage "den Kampf um die Forderungen der Arbeiterund Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution". Die Zielsetzungen der MLPD sind durch verfassungsfeindliche Aussagen lInksextremIsmus 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 geprägt und lassen sich in den drei Kernpunkten Revolution, Diktatur des Proletariats und Kommunismus zusammenfassen. Die Ziele der MLPD richten sich somit gegen wesentliche Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, weshalb die Partei nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW durch den Verfassungsschutz NRW beobachtet wird. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Für die MLPD war das Jahr 2021 von Bundestagswahl, Coronapandemie, Versammlungsgeschehen und parteiinternen Veranstaltungen geprägt. Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance!" Die Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance!" wurde im Jahr 2020 durch das internationalistische Bündnis und die Montagsdemonstrationsbewegung initiiert. Ziel der Kampagne ist die Sammlung von Unterschriften gegen ein so bezeichnetes "System der weltanschaulichen, politischen und gefühlsmäßigen Unterdrückung" des Sozialismus/Kommunismus und im Speziellen der MLPD. Das Engagement in der Kampagne war im Berichtszeitraum fester Bestandteil der Arbeit der Partei und ihrer Nebenund Vorfeldorganisationen bei allen Kundgebungen, Demonstrationen und Wahlwerbeaktionen. Gekoppelt an die Kampagne erschien zum Tag der Arbeit am 1. Mai das Buch "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus" im Verlag Neuer Weg von Stefan Engel (von 1982 bis Juni 2017 Vorsitzender der MLPD) als ideologischer Orientierungsmaßstab für den Parteiaufbau. Über eine eigens angelegte Webseite zur Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance" werden unter anderem werden Postkarten verteilt 158 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Jugendarbeit: "rebellisches Musikfestival" vom 28. bis 29. August 2021 in Gelsenkirchen (Revierpark Nienhausen) Nach der Absage in 2020 wurde das "rebellische Musikfestival" im Berichtsjahr zum ersten Mal im Ruhrgebiet ausgerichtet, nachdem es in den Jahren 2014, 2016 und 2018 in Thüringen stattgefunden hatte. Das Festival wurde als Kulturveranstaltung angemeldet und aufgrund des Auftritts der Gruppe "Grup Yorum", die im Verdacht steht, der türkischen extremistischen Gruppierung Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKP-C) zugehörig zu sein, mit Auflagen belegt. Es beteiligten sich rund 400 Besucherinnen und Besucher unter einem freiwillig erhöhten Hygiene-Standard am Festival. Werbeplakat für das "rebellische Musikfestival" im August in Gelsenkirchen XI. Parteitag in Erfurt im August 2021 Am 30. August 2021 wurde durch eine Pressemitteilung des Zentralkomitee (ZK) der MLPD der erfolgreiche Verlauf des XI. Parteitags mitgeteilt. Der vorab nicht weiter publizierte Parteitag bestätigte Frau Gabi Fechtner als Vorsitzende und wählte weitere acht Personen in das Zentralkomitee. Berichten in den parteieigenen Organen zufolge sei der angestrebte Generationenwechsel an der Spitze der Partei ebenfalls mit der Wahl vollzogen worden und die Verteilung der Geschlechter nunmehr ausgeglichen. Ferner wird über einen Parteimitgliederzuwachs von 12,5 Prozent seit dem X. Parteitag in Stuttgart in 2016 berichtet. Wahl zum 20. Bundestag am 26. September 2021 Als internationalistische Liste/MLPD trat die Partei in allen 16 Bundesländern mit Landeslisten und Direktkandidatinnen und Direktkandidaten mit dem Wahlprogramm "Nur noch Krisen, eine Lösung: Sozialismus!" an. Im Ergebnis erhielt die Partei bundesweit 22.745 (2017: 35.716) Erststimmen und 17.954 (2017: 29.785) Zweittimmen. lInksextremIsmus 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der Stimmenanteil für das Land Nordrhein-Westfalen betrug 5.951 (2017: 10.464) Erstund 3.471 (2017: 6.425) Zweitstimmen. Wahlplakate der MLPD zur Bundestagswahl 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das im Verhältnis zur Wahl in 2017 deutlich niedrigere Wahlergebnis der Partei mit fast einer Halbierung der Stimmzahlen in Nordrhein-Westfalen kann auch für die MLPD als Überraschung gewertet werden. Mit der Gründung des internationalistischen Bündnisses in 2016 und den höheren Ergebnissen der Bundestagsund Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in 2017 und der Europawahl in 2019 ist der wahlpolitische Aufschwung nicht nur gestoppt, sondern auch im Vergleich zum Wahlergebnis der MLPD in Nordrhein-Westfalen bei der Bundestagswahl 2013 (4.599 Erstund 4.600 Zweitstimmen) gänzlich aufgehoben. Die MLPD bleibt weiterhin wahlpolitisch unbedeutend, weist aber nachdrücklich auf ihr Ziel des außerparlamentarischen Kampfes hin. Durch den seitens der MLPD propagierten "echten" Sozialismus, der sich am Stalinismus und Maoismus orientiert, bleibt die Partei weiterhin isoliert und wird beispielhaft auch in linksorientierten Bündnissen allenfalls eher toleriert als akzeptiert. 160 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 In 2022 beabsichtigt die MLPD weiterhin, als internationalistische Liste/MLPD an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022 teilzunehmen. Das 40-jährige Parteijubiläum und das 30-jährige Bestehen des Jugendverbands Rebell mit der Kinderorganisation "Rotfüchse" soll im August 2022 mit einem dreitägigen Festakt in der "Horster Mitte", der Parteizentrale in Gelsenkirchen, gefeiert werden. lInksextremIsmus 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Autonome Linksextremisten Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit lokalen Schwerpunkten in Ballungszentren Gründung/Bestehen seit Ende der 1970erbeziehungsweise Anfang der 1980er-Jahre aus Ausläufern der Studentenbewegung der 1968er-Jahre, der "Sponti-Szene" der 1970er-Jahre und der Punk-Subkultur entstanden Struktur/ Repräsentanz Weitgehend hierarchiefreie Netzwerke mit themenoder aktionsbezogener Ausrichtung; das Internet fungiert dabei als offenes Kontaktmedium, überregionale Treffen, Chatoder Telefonkonferenzen mit Delegierten örtlicher oder thematisch gebundener Zusammenhänge Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 1.020/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Hauptsächlich Veröffentlichungen in szenebezogenen Internetportalen, Internetblogs und sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Die linksautonome Szene als bekannteste Subkultur im Linksextremismus definiert ihre Ziele vorrangig durch Gegenproteste, wohingegen eine gemeinsame Zielsetzung - abgesehen von der Eroberung sogenannter Freiräume - kaum festzustellen ist. Staatliche Strukturen, insbesondere Hierarchien und das staatliche Gewaltmonopol, werden zugunsten eines "selbstbestimmten Lebens" abgelehnt. Gleichzeitig wenden Autonome zur Durchsetzung ihrer Auffassungen zunehmend enthemmte Gewalt gegen Meinungsgegner an und versuchen damit, diese einzuschüchtern und gesellschaftliche Diskurse nach ihren Vorstellungen zu steuern. 162 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Finanzierung Ereignisoder anlassbezogene Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Solidaritätskonzerte und -partys oder Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Insbesondere die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und der rechtsstaatlichen Ordnung durch die linksautonome Szene bei gleichzeitiger Befürwortung von Gewalt zur Erreichung der eigenen politischen Ziele ist nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Während die linksautonome Szene im Jahr 2020 einer pandemiebedingten Stagnation ausgesetzt war, stieg das Aktionspotenzial im Jahr 2021 wieder an. Die von der autonomen Szene verübten Straftaten in Nordrhein-Westfalen waren dagegen rückläufig. Die Schwerpunkte der autonomen Szene im Jahr 2021 lagen wiederum in den Politikfeldern Antifaschismus, Antirepression und Antigentrifizierung. Antifaschismus Trotz der Bundestagswahl war die Partei Alternative für Deutschland (AfD) nicht mehr das Hauptfeindbild der linksautonomen Szene in NRW. Die Akteure aus dem Umfeld des autonomen Antifaschismus wendeten sich verstärkt gegen Neonazis und die von rechtsgerichteten Strömungen beeinflussten Aktionen von Corona-Leugnern. Die Ankündigung einer gezielten Kampagne mit der Bezeichnung "Antifascist Action" erzeugte beispielsweise keine wesentliche Resonanz, obwohl zwei Regionaltreffen im Juli dazu aufrufen sollten. Auch die angekündigten Aktionswochen der Kampagne Nationalismus ist keine Alternative! (NIKA) mit dem Motto "It ain't safe!" fand in Nordrhein-Westfalen keinen nennenswerten Niederschlag. lInksextremIsmus 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Mai propagierten Teile des rechtsextremistischen Spektrums in den Medien eine "Antifa-Terrorwelle" in Dortmund und in anderen Städten. Anlass dafür waren mutmaßlich von Angehörigen autonomer Antifa-Gruppen verübte Überfälle auf Rechtsextremisten und mutmaßliche Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums in Ostdeutschland. In NRW wurden keine vergleichbaren Straftaten bekannt. Demonstrationen gegen Kundgebungen des rechtsextremistischen Spektrums in Dortmund wurden wesentlich durch das linksautonome Spektrum geprägt. Hierbei, wie auch bei sonstigen Versammlungen "gegen rechts" unter Teilnahme der linksautonomen Szene, kam es mehrfach zu gefährlichen Körperverletzungsdelikten sowie Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Die Teilnehmerzahl an den antifaschistischen Gegendemonstrationen war jedoch insgesamt rückläufig. Ein Grund dafür kann in der Einschätzung autonomer Antifa-Gruppen liegen, dass die Aktionskraft der lokalen rechtsextremistischen Szene in Folge von Abwanderungsbewegungen bekannter Hauptprotagonisten geschwächt sei. Daneben gingen von der linksautonomen Szene in Dortmund im ersten Quartal 2021 vehemente Proteste gegen Autokorsos der Querdenker-Szene aus. Auch in Bielefeld, Kempen, Köln und Krefeld wurden Kundgebungen der Corona-Skeptiker von linksextremistischen Akteuren mitunter massiv gestört. Im Mai 2021 wurde eine im Wesentlichen von der linksautonomen Szene in Köln gesteuerte Kampagne mit dem Titel "21 Gründe" und einer gleichnamigen Internetseite gestartet, die von wild geklebten Plakaten und Stencil-Graffiti im Stadtbild begleitet wurde. Die Kampagne sollte darlegen, dass die Aufklärung von 21 Sachverhalten, in denen der Auf Facebook wirbt die IL Köln für die Kampagne "21 Gründe" Verdacht rechtsextremistischer Ein164 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 stellungen bei Beschäftigten der Polizei in Köln vorlag, bewusst unzureichend durchgeführt worden sei, entsprechende Strukturen mit der politischen Duldung durch die Landesregierung fortbestünden und daher eine vollständige "Entnazifizierung deutscher Sicherheitsbehörden" unumgänglich sei. Daneben wurde der Polizei wie im Vorjahr bei Kundgebungen mit linksautonomer Beteiligung vorgeworfen, "uniformierte Schlägerbanden" auszubilden, die ihr Amt und ihre Einsätze zu "Gewaltorgien" gegen Personen mit Migrationshintergrund und dem linken Milieu missbrauchen. Wie in den Vorjahren hatten autonome Antifa-Gruppierungen aus NRW einen maßgeblichen Einfluss auf die Mobilisierung gegen einen Gedenkmarsch der rechtsextremistischen Szene am 13. November 2021 in Remagen. Das linksautonome Spektrum rief mit zwei unterschiedlichen Kampagnen zur Teilnahme an Gegenaktionen auf. Sowohl das Bündnis "NS-Verherrlichung stoppen!" als auch das Bündnis "Block ZHG!" (ZHG abgekürzt für "Zentrales Heldendenken") berichtete im Vorfeld des Termins bei regionalen Infoveranstaltungen vor allem in Nordrhein-Westfalen über Anreisemodalitäten, den geschichtlichen Hintergrund der Versammlung und die mit Störaktionen und Blockaden verfolgte Zielsetzung, dem rechtsextremistischen Spektrum diese Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu nehmen. Linksextremistische Beeinflussung der Kampagne gegen das geplante Versammlungsgesetz Das Gesetzesvorhaben für ein Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen stieß nicht nur bei zivildemokratischen Gruppen, sondern auch und besonders stark bei linksextremistischen Parteien, ihren Vorfeldorganisationen und linksautonomen Gruppen auf Widerstand. Insbesondere bei der Großdemonstration von über 3.000 Gegnern des Gesetzesvorhabens am 26. Juni 2021 in Düsseldorf kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Blöcken mit Beteiligung linksautonomer Gruppen und der Polizei. Nachdem es im Verlauf des Demonstrationszuges zum Entzünden verbotener Pyrotechnik in Blöcken mit Personengruppen aus dem Spektrum der autonomen Antifa kam, wurde der Aufzug mehrfach angehalten. Nach tätlichen Angriffen auf die Einsatzkräfte der Polizei durch Versammlungsteilnehmer und dem Missbrauch pandemiebedingter Auflagen, bei dem Schlauchschals zur Vermummung genutzt wurden, wurden einzelne Blöcke des Demonstrationszuges umschlossen, um die Personalien der Täter festzustellen. Obwohl sich ein großer Teil der Kundgebungsteilnehmer mit den eingeschlossenen Blöcken solidarisierte und die Demonstration nicht ohne diese fortführen wollte, lösten sich nach über einstündiger Verzugszeit einzelne Blöcke auf und begaben sich auf den Heimweg. Andere verharrten bis zum späten Abend auf dem Aufzugsweg, um ihre Solidarität mit den eingeschlossenen Personen zu bekräftigen. lInksextremIsmus 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bei späteren Kundgebungen gegen das Versammlungsgesetz kam es gelegentlich ebenfalls zu Verstößen gegen polizeiliche Auflagen, Ausschreitungen wurden jedoch vermieden. Am 28. August 2021 konnten in Düsseldorf für eine gleichgelagerte Veranstaltung nur noch 2.000 Teilnehmer mobilisiert werden. Eine weitere zentrale Kundgebung am 30. Oktober 2021 in Köln mit Beteiligung des linksextremistischen Spektrums verlief ebenso weitgehend störungsfrei. Linksextremisten beteiligten sich auch in anderen Städten an dezentralen Demonstrationen, die eine Kritik und Verhinderung des Gesetzesvorhabens zum Thema hatten. In der Spitze konnten hierzu mehrere hundert Teilnehmer mobilisiert werden. Im Rahmen dieser Versammlungen ereigneten sich nur vereinzelte geringfügige Auflagenverstöße. Linksautonome Gruppen bei der Demonstration gegen die Novellierung des NRW-Versammlungsgesetzes im Juni in Düsseldorf, bei der es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam 166 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Nach der Verabschiedung des Gesetzes am 15. Dezember 2021 urteilte die Interventionistische Linke Köln: "Für uns ist klar: Wir demonstrieren wie wir wollen! Denn unser Protest ist nicht nur legitim, er ist notwendig im Angesicht der Grausamkeiten dieses kapitalistischen Systems und dem Erstarken der Rechten. Wir lassen uns nicht aufhalten. Nicht von Gesetzen oder Bullen." Pandemiebedingte Ausgangssperren zeigen Bruchlinien innerhalb der autonomen Szene Während im Vorjahr noch die Abwehrhaltung gegen die rechtsextremistische Szene und ihre Einflussnahme auf Corona-Leugner im Vordergrund standen, zerfiel die linksautonome Szene in der Bewertung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in zwei Teile: Postautonome Strömungen schlossen sich der "Zero Covid"-Kampagne mit antikapitalistischer Ausrichtung an, welche einen totalen Lockdown mit einer Schließung aller Betriebe bei gleichzeitiger Freigabe von Impfstoffpatenten und Vermögensabgabe reicher Bevölkerungsgruppen forderte. Andere linksautoAufruf zum Protest gegen Ausgangssperren im Rahmen der Coronanome Gruppen wendeten Schutzmaßnahmen in Düsseldorf-Bilk sich gegen die staatlichen Zwänge und Kontrollen, da sie staatliches Handeln per se ablehnten. Beide Tendenzen stießen auf wenig Resonanz in Nordrhein-Westfalen, schlugen sich nur vereinzelt in gering frequentierten Kundgebungen nieder und ebbten nach der Aufhebung der Restriktionen schließlich weitgehend ab. lInksextremIsmus 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Hausbesetzungen und Solidarität mit dem Widerstand gegen Räumungen Die seit Jahren andauernden Auseinandersetzungen über eine Hausbesetzung in der Rigaer Straße 94 ("R94") in Berlin fanden auch in der linksautonomen Szene in Nordrhein-Westfalen ihren Niederschlag. Bei bevorstehenden (Teil-)Räumungen des Objektes mobilisierten Linksextremisten für die Anreise zu Gegenkundgebungen oder riefen zu einer Beteiligung an Widerstandshandlungen auf. Im Nachgang zu Räumungen des Objektes wurden Solidaritätsbekundungen im Internet und Sprühaktionen in einigen Städten NRWs festgestellt. Auch in NRW wurden Häuser besetzt: Am 20. August 2021 kam es zur Besetzung leerstehender Gebäudeteile des ehemaligen Karmeliterklosters in Aachen unter Beteiligung von Akteuren der autonom-anarchistischen Szene. Die Besetzer begründeten die Hausbesetzung mit szenetypischen Aussagen zur Gentrifizierung, etablierten dort mittlerweile einen Ort für von der Szene so bezeichnete "alternative Stadtteilpolitik", der auch vom nicht extremistischen Umfeld der linksautonomen Szene als Treffpunkt und Aktionsraum genutzt wird. Zum "Antipatriarchalen Kampftag" fand am 8. März 2021 eine Hausbesetzung von Protagonisten aus dem Umfeld der linksautonomen Szene in Essen statt. Sie war mit der Forderung nach einem selbstverwalteten Zentrum für Personen unterschiedlicher sexueller Orientierungen beziehungsweise Identitäten verbunden und wurde am gleichen Tag geräumt. Internationalismus - Solidarität mit linken Bewegungen in weltweiten Konflikten Linksautonome und anarchistische Strömungen idealisieren den Zapatismus oder den demokratischen Konföderalismus nach Arbeiten des PKK-Führers Abdullah Öcalan als reale Beispiele der Verwirklichung ihrer eigenen, gegen den Staat gerichteten, antikapitalistischen und antirassistischen Vorstellungen. Aus diesem Grund nahmen im Juni Einzelpersonen aus dem Umfeld postautonomer und anarchistischer Gruppen an sogenannten Friedensdelegationen im Nordirak teil. Die Teilnehmer dieser Aktion stellten sich als "lebender Schutzschild" zur Verfügung, um in Erbil (Irak) gegen die türkischen Angriffe auf dorthin geflüchtete und mutmaßlich der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehende Bevölkerungsteile zu demonstrieren. Als Gruppen der Aktionsteilnehmer am 15. Juni 2021 nach Deutschland - unter anderem nach Düsseldorf - zurückkehrten, wurden sie im Flughafen von 168 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ortsgruppen der Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) und der Interventionistischen Linken (IL) in Empfang genommen. Eine Delegation der "Ejericto Zapatista de Liberacion Nacional" (EZLN, deutsch: Zapatistische Armee der nationalen Befreiung) reiste im Berichtszeitraum durch Europa mit Stationen in über 30 Ländern. Die Teilnehmer dieser medial aufbereiteten Delegationsreise wurden von linksextremistischen Gruppen auch in Nordrhein-Westfalen empfangen und bekamen die Gelegenheit zur Teilnahme an Aktionen und zu Informationsveranstaltungen. Die EZLN wurde 1983 ursprünglich als marxistisch-maoistische Guerillaarmee gegründet und führte verschiedene bewaffnete Konflikte mit der mexikanischen Armee. In den 1990er Jahren richteten die "Zapatisten" innerhalb des Bundesstaates Chiapas eine De-facto-Autonomie als politische Alternative zum mexikanischen Staat ein. Aus diesem Grund wurde die Delegation insbesondere von einigen anarchistischen Gruppen empfangen und begleitet. Protest gegen den Braunkohleabbau im Rheinischen Revier Da es infolge der Leitentscheidung der Landesregierung für den Braunkohletagebau nicht zu einer weiteren Rodung des Hambacher Forst kommen wird, hat die dortige Waldbesetzung 2021 stark an Bedeutung verloren. Sie besteht jedoch in verringertem Umfang fort. Im Bereich des Tagebaus Hambach kam es dennoch zu einer Fortsetzung der Serie von Straftaten, insbesondere von zahlreichen Sachbeschädigungen, wenn auch in stark vermindertem Umfang. Der Schwerpunkt der Proteste gegen den Kohleabbau verlagerte sich demgegenüber zum Betrieb des Tagebaus Garzweiler II beziehungsweise in die im Abbaugebiet liegenden und mittlerweile weitgehend Die IL Köln mobilisiert auf Instagram zum Aktionstraining lInksextremIsmus 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 verlassenen Ortschaften Keyenberg und Lützerath. Dort ließen sich dauerhaft Personen in "Protestcamps" nieder und stellten sich dem geplanten Abbruch mittels Blockaden und Hausbesetzungen entgegen. Innerhalb der Proteste engagierten sich auch autonome Linksextremisten wie die Interventionistische Linke sowie das von dieser beeinflusste Bündnis "Ende Gelände". Braunkohlegegner besetzten und blockierten im Tagebau Garzweiler II im Berichtszeitraum wieder Teile der Industrieanlagen und der Infrastruktur sowie daran angeschlossene Kraftwerke. Am 31. Oktober 2021 versuchten über 500 Personen des "Ende Gelände"-Bündnisses während einer ansonsten weitgehend störungsfrei verlaufenen Demonstration, auf das Gelände des Tagebaus zu gelangen, wurden aber von der Polizei daran gehindert, über die Abbruchkante hinaus zu gelangen. Aufruf auf Telegram zu Aktionen in Lützerath Dennoch wurde ein Schaufelradbagger aus Sicherheitsgründen vorübergehend abgeschaltet. Bei anderen Gelegenheiten gelang es kleineren Gruppen an mehreren Tagen, Förderbänder oder Gleisanlagen über Stunden stillzulegen. Neben der bereits Ende des Jahres 2020 entstandenen kleinen Waldbesetzung in Erkelenz-Keyenberg wurde in der Ortslage Lützerath eine "Zone a defendre" (französisch: etwa "zu verteidigendes Gebiet") ausgerufen. Auf einem sich noch in privatem Besitz befindenden Grundstück entstanden mehrere Baumhäuser, ein Wohnwagenund Holzhüttencamp sowie ein Zeltlager dauerhaft dort lebender Braunkohlegegner. Sie errichteten zudem Konstruktionen, die eine Räumung erschweren und verhindern sollen. Darüber hinaus wurden seit Ende Oktober des Jahres 2021 zwei im Besitz von RWE befindliche Häuser besetzt, deren Abriss im Zuge der Tagebauerweiterung eingeplant ist. Eine der Hausbesetzungen stellt sich im Internet ausdrücklich als autonomes "queer-feministisches Hausprojekt gegen Staat und Kapital" dar. 170 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Beteiligung von Linksextremisten wird aber nicht nur in der virtuellen Repräsentation offenkundig. Auch in Lützerath selbst finden sich neben klimaschutzbezogenen Parolen Transparente und Graffiti mit eindeutigen linksextremistischen Forderungen und Symbolen. Blockade eines fleischverarbeitenden Betriebes In den frühen Morgenstunden des 1. Februar 2021 wurde die Zufahrt eines fleischverarbeitenden Betriebes in Oer-Erkenschwick mit einer Dreibeinkonstruktion und mehreren Fässern blockiert, an denen sich mehrere Personen festgekettet hatten. Mit der Aktion sollte der Schlachtbetrieb gestört werden, um auf die von den Blockierern so bezeichnete Ausbeutung der Mitarbeiter und den Tierschutz aufmerksam zu machen. Der von der Kampagne "Tear Down Westfleisch" dazu verfasste Beitrag auf der in der linksextremistischen Szene populären Internetplattform "Indymedia" beschrieb sich selbst als "autonomen Zusammenschluss von Menschen aus der Tierbefreiungsund Klimagerechtigkeitsbewegung sowie verschiedenen anarchistischen Strömungen", der sich ausdrücklich von Begrifflichkeiten wie "Gewaltfreiheit" und "befriedetem Aktivismus" distanziert. Neugründungen und Zusammenschlüsse In der ersten Jahreshälfte des Berichtszeitraums schlossen sich autonome AntifaGruppen in größeren Städten Nordrhein-Westfalens unter Bezeichnung Antifa.NRW zusammen. Gleichzeitig wurde eine neue Internetseite gleichen Namens veröffentlicht. Die Seite und der Zusammenschluss gehen auf die Wunschvorstellung zurück, den szeneinternen Zusammenhalt zu steigern und nach außen zu repräsentieren. In der Selbstdarstellung und in der Bewertung durch Medien wird dazu ausgeführt: "[Wir wollen] antifaschistische Aktivitäten bündeln, die Schlagkräftigkeit einzelner Gruppen, Aktionen & Zusammenhänge stärken und ihnen ein öffentlichkeitswirksames Sprachrohr bieten [...]. Die Antifa will mobilisieren, ihren Aktionsradius erweitern und mit einer intensiveren Medienarbeit flankieren." Die Webseite stellt eine umfangreiche Sammlung von Verweisen auf die beteiligten Gruppen, regionale Portale mit Szenebezug, Recherche-Seiten zu Strukturen des rechtsextremistischen Spektrums und themenbezogene Dokumentationen dar. Zusätzlich wird eine Plattform für Agitation mit Handreichungen für gruppeninterne Arbeit, Aktionen im öffentlichen Raum, Tipps zum Umgang mit Medien und zur Rechtshilfe, und die Möglichkeit von Vorträgen und Workshops angeboten. lInksextremIsmus 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Darüber hinaus organisierten einzelne Gruppen des Zusammenschlusses das "AntifaSommercamp" im Juli 2021 in Essen und konnten im Rahmen dieser jährlich wiederkehrenden Veranstaltung die Vernetzung regionaler Zusammenhänge und die Vorabplanung bevorstehender Veranstaltungen mit überregionalem Charakter begünstigen. Es bleibt jedoch abzuwarten, welches Ausmaß die Anziehungskraft gemeinsamer Zielsetzungen und eine landesweit koordinierte Zusammenarbeit annehmen wird. Die Gründung von Gruppen auf regionaler Ebene - wie beispielsweise der Zusammenschluss Antifaschistischer Aufbau Köln/Brühl aus mehreren lokalen Einzelzusammenhängen - oder die Initiierung eines "Antifaschistischen Jugendcafes" in Bielefeld zeigen ebenfalls den Wunsch und den Bedarf der linksautonomen Szene nach stärkerer Bündelung und gesteigerter Präsenz in einem für das eigene Anliegen ansprechbaren Spektrum. Das im Bundesgebiet wirkungsmächtigste Bündnis des postautonomen Spektrums, die Interventionistische Linke (IL), hatte in Nordrhein-Westfalen keinen Erfolg, andere Gruppen der linksautonomen Szene zum Bündnisbeitritt zu gewinnen. Sie verlor sogar mit der IL Münster eine ihrer wichtigsten Bündnisgruppen und ist damit aktiv nur noch in Düsseldorf und in Köln vertreten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Mit der pandemiebedingten Verlagerung von Aktivitäten in die Online-Welt im Vorjahr ging eine Verstetigung der Nutzung virtueller Kanäle und der damit verbundenen Kommunikationspraktiken einher. Ein Teil der linksautonomen Szene in NRW bewegt sich in einer virtuellen Welt, die nur bei massentauglichen Demonstrationen von mehreren Tausend Teilnehmern und hoher Anschlussfähigkeit für unterschiedlichste Interessengruppen über den Diskurs in sozialen Medien hinausgeht. Daher stagnieren die in den letzten Jahren festgestellten Radikalisierungstendenzen hinsichtlich des Aktionspotenzials der linksautonomen Szene und die entsprechende Anzahl politisch motivierter Straftaten. Im Hinblick auf die von der Szene ausgeübte Gewalt stellten sich im Jahr 2021 geringfügige "Nachholeffekte" ein, insbesondere bei Versammlungen. In der Gesamtheit lagen die Gewaltstraftaten im Jahr 2021 aber deutlich unterhalb des vorpandemischen Niveaus der Jahre 2018 und 2019. Nur vereinzelt weisen Teile der Szene eine neue Qualität auf. Dies gilt etwa für Akteure im Themenfeld Ökologie, die im Zusammenhang mit Besetzungsund Blockadeaktionen festgestellt wurden. An der Teilnahme von Kleinaktionen fernab des gewöhnlichen Wohnund Aufenthaltsortes zeigt sich hier eine gesteigerte Mobilität. 172 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Konzentrationsbemühungen der Szene verliefen demgegenüber ohne nachhaltigen Effekt: Der Zusammenschluss linksautonomer Gruppen unter dem Label Antifa.NRW kam bisher über die Sammlung von Hinund Verweisen auf der gleichnamigen Webseite, der Veranstaltung des "Antifa-Sommercamps" und vereinzelten Verlautbarungen zu Demonstrationen nicht hinaus. Aktuell liegen keine Anzeichen vor, dass die Vernetzungsbemühungen der aktiven Gruppen in eine koordinierte Zusammenarbeit auf überregionaler Ebene münden. Im Feld der Entgrenzung werden Linksextremisten weiterhin aktiv sein: Das in Teilen durch linksextremistische Gruppierungen getragene Bündnis "Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten" ist ein Beispiel für die Strategie von Linksextremisten, über gesellschaftlich relevante Themen Anschlussund somit Einflussfähigkeit in das zivildemokratische Spektrum herzustellen, um eigene Wertund Zielvorstellungen verbreiten zu können. Bis auf die zentrale Kundgebung am 26. Juni 2021 blieb die Resonanz jedoch hinter den Erwartungen der linksextremistischen Szene zurück. Als Effekt lag die Beteiligung an den dezentralen Folgekundgebungen häufig unter der von den Anmeldern geschätzten Teilnehmerzahl. Davon unabhängig bot sich aber den beteiligten linksextremistischen Akteuren eine Möglichkeit, sich gegenüber zivildemokratischen Institutionen als verlässlicher und engagierter Bündnispartner zu präsentieren. Die Zielstellung der Aktionen des Bündnisses könnten zu einer positiven Wahrnehmung der beteiligten extremistischen Akteure beitragen. Allerdings zeigen Aktionen wie eine Spontanversammlung unter Abbrennen von Pyrotechnik vor dem Wohnsitz des NRW-Innenministers am 10. Oktober 2021, dass sich auch Personenzusammenhänge aus dem Umfeld der linksautonomen Szene am Protest beteiligen, welche dem Bündnis fernstehen und durch eigene Aktionen ihre Ansichten kundtun wollen. Auch im Jahr 2021 wurde seitens der linksautonomen Szene versucht, polizeiliches Handeln als willkürliche Übergriffe gegen Migranten und die linke Szene zu diskreditieren. Indem Linksextremisten die Polizei als Institution in Verruf bringen, zielen sie darauf, das Prinzip der Selbstermächtigung als generelle Alternative für staatliches Handeln einzuführen. Dieses Prinzip dürfte sich aber nur für einen Bruchteil jugendlicher Subkulturen als anschlussfähig erweisen. lInksextremIsmus 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 174 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Auslandsbezogener Extremismus auslandsbezogener extremIsmus 175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Im nicht religiösen auslandsbezogenen Extremismus liegt ein deutlicher Schwerpunkt der Beobachtung auf Organisationen, die unmittelbar auf politische Ereignisse in der Türkei sowie staatliche und militärische Maßnahmen dort reagieren. Diese agieren sowohl im linksextremistischen als auch nationalistisch geprägten rechtsextremistischen Spektrum. Das linksextremistische Spektrum repräsentieren die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C). Zum rechtsextremistischen Spektrum zählt die als "Graue Wölfe" bekannte Ülkücü-Bewegung, mit den ihr zuzuordnenden Dachverbänden ADÜTDF, ATIB, ANF und die ebenfalls der Ülkücü-Bewegung zuzurechnende, aber nicht in Dachverbänden organisierte, sogenannte freie Szene. Versuchte Einflussnahme in die Zivilgesellschaft Beide extremistische Strömungen wirken mit Gruppierungen mit einer legalen Organisationsstruktur und integrativ auftretenden Akteuren in die Zivilgesellschaft hinein, um niedrigschwellig die türkischstämmige Community zu adressieren und die jeweilige Ideologie zu verbreiten. Solche Entgrenzungstendenzen finden sich bei der PKK beispielsweise in dem Versuch, sich im Rahmen ihrer politischen und kulturellen Lobbyarbeit von dem Makel der Einstufung als Terrororganisation zu befreien; innerhalb der Ülkücü-Bewegung sind es beispielsweise Sportangebote, die vordergründig integrativ wirken sollen. Reaktionen der PKK auf Ereignisse in der Türkei Beispielhaft für die Wechselwirkung extremistischer Aktionen in NRW mit Ereignissen in der Türkei oder ihren Interessengebieten im Nordirak sind die Reaktionen der PKK auf militärische Offensiven der Türkei. So folgten auf Militäraktionen der Türkei gegen kurdische Stellungen im Nordirak im Frühjahr 2021 nach Aufrufen der Europaführung der PKK zahlreiche Kundgebungen in Deutschland, unter anderem in Düsseldorf. Gerüchte über den vermeintlichen Tod des in der Türkei inhaftierten politischen und ideologischen Anführers der PKK Abdullah Öcalan verbreiteten sich Anfang März 2021 über soziale Netzwerke und führten unmittelbar in Köln und Bonn zu Kundgebungen. 176 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Propaganda von DHKP-C-Aktivisten Veranstaltungen und Solidaritätskundgebungen für in der Türkei inhaftierte Mitglieder und Sympathisanten sind auch im Jahr 2021 zentraler Aspekt der Agitation und Propaganda von Aktivisten der DHKP-C in Deutschland. In diesem Kontext finden auch in NRW immer wieder Protestaktionen statt. Hierbei spielt auch das Vorgehen der türkischen Behörden gegen die DHKP-C und deren Unterstützerumfeld eine zentrale Rolle. Auftritte der Musikgruppe Grup Yorum gehören zu den wesentlichen Propagandaaktivitäten der DHKP-C in Deutschland. Veranstaltungen der Musiker werden von der Organisation instrumentalisiert, um einen Personenkreis anzusprechen, der weit über die eigene Anhängerschaft hinausgeht. Wie bereits in den Vorjahren gelang es der aus dem Umfeld der DHKP-C stammenden Musikgruppe jedoch nicht mehr, größere Konzertveranstaltungen im Bundesgebiet durchzuführen. Aktivitäten der Ülkücü-Bewegung Erstmals im Verfassungsschutzbericht aufgeführt wird die türkische, rechtsextremistisch geprägte Föderation der Weltordnung in Europa (Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu - ANF). Die ANF-Vereine fordern die Erschaffung einer neuen Weltordnung "Nizam-i Alem" und zwar in Form einer Weltherrschaft des Islams unter der Führung der türkischen Nation. Die ANF stellt somit den dritten Dachverband der Ülkücü-Bewegung in NRW dar. Die Anhänger der freien Szene der Ülkücü-Bewegung agierten aufgrund der in 2021 anhaltenden Corona-Pandemie vermehrt im digitalen Raum. Hierbei treten insbesondere einzelne Anhänger der freien Szene mit ihrer nationalistischen Ideologie hervor. Die Bewertung von nationalen und internationalen Ereignissen und Entwicklungen findet seitens der Vereinsfunktionäre stets moderat und konformistisch statt. Der eigene Überlegenheitsanspruch gegenüber anderen Völkern bleibt innerhalb der Ülkücü-Bewegung allerdings auch im Jahr 2021 bestehen. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y auslandsbezogener extremIsmus 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) Sitz/Verbreitung Landesweit mit Schwerpunkten in Ballungszentren Gründung/Bestehen seit 1978 Gründung der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - ADÜTDF) 1987 Abspaltung und Gründung der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V. (Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi -- ATIB) von der heutigen ADÜTDF 1994 Gründung der Föderation der Weltordnung in Europa (Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu -- ANF) Struktur/ Repräsentanz 70 ADÜTDF-Vereine in NRW sieben ATIB-Vereine in NRW und der Dachverband mit Sitz in Köln vier ANF-Vereine in NRW Mitglieder/Anhänger/ Freie Szene der Ülkücü-Bewegung: Unterstützer 2021 NRW: 800 (weitere Ausweisung nunmehr unter ANF) Vereinsgebundene ADÜTDF-Mitglieder: NRW: 2.000 Vereinsgebundene ATIB-Mitglieder: NRW: 600 Vereinsgebundene ANF-Mitglieder: NRW: 300 178 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Veröffentlichungen ADÜTDF: Zeitschriften (zum Beispiel Bülten), Webseiten, Facebook-, Instagramund Twitter-Profile und -Gruppen, YouTube ATIB: Zeitschrift Referans, Webseiten, Facebook-, Instagramund Twitter-Profile und -Gruppen, YouTube ANF: Zeitschrift Alperen, Webseiten, Facebook-, Instagramund Twitter-Profile und -Gruppen, YouTube Kurzporträt/Ziele Der Ülkücü-Bewegung sind in NRW drei Dachverbände zuzuordnen: die ADÜTDF, die ATIB und die ANF. Die heterogene türkisch-rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung zeichnet sich durch ihr turanistisches Weltbild aus: Die politische und geschichtliche Bedeutung des Osmanischen Reiches ist narrative Grundlage für die Überlegenheit der türkischen Nation. Zentrales Merkmal der Bewegung ist somit die Idealisierung der eigenen türkischen Identität bei gleichzeitiger Herabwürdigung anderer Volksgruppen und politischer Gegner. Ziel ist die Vereinigung aller Turkvölker in einem Staat "Turan". Die ANF-Vereine fordern die Erschaffung einer neuen Weltordnung "Nizam-i Alem" in Form der Weltherrschaft des Islams unter der Führung der türkischen Nation. Finanzierung ADÜTDF: Mitgliedsbeiträge und Spenden ATIB: Mitgliedsbeiträge und Spenden ANF: Mitgliedsbeiträge, Spenden, Verkauf von zum Beispiel Kalendern Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Aufgrund ihres extremistisch-nationalistischen Gedankenguts bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass es sich bei der Ülkücü-Bewegung um eine Grupauslandsbezogener extremIsmus 179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 pierung handelt, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung beziehungsweise gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richtet und zugleich gegen den im Grundgesetz garantierten Gleichheitsgrundsatz verstößt. Somit erfüllt diese Bewegung mit ihren Gruppierungen die Voraussetzung zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VSG NRW). Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In NRW konnten im Berichtszeitraum 2021 keine Straftaten in Zusammenhang mit Anhängern der Ülkücü-Bewegung festgestellt werden. Wie in den Jahren zuvor bestimmen Entwicklungen in NRW, in der Türkei und darüber hinaus sowohl die Agenda der verbandlich organisierten als auch der freien Szene der Ülkücü-Bewegung. Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch die USA Im April 2021 hat Joe Biden als erster amerikanischer Präsident die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich offiziell als Völkermord anerkannt. Die Türkei weist diese Lesart historischer Ereignisse als Verleumdung zurück. In sozialen Medien verharmlosen und verleugnen insbesondere Teile der freien Ülkücü-Szene nach wie vor den Völkermord an den Armeniern. Auch der Vorsitzende der ADÜTDF, Sentürk Dogruyol, retweetet die Stellungnahmen von Devlet Bahceli, dem Vorsitzenden der rechtsextremistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" in Zusammenhang mit seiner Anerkennung des Völkermordes: Der Vorsitzende der ADÜTDF retweetet Beiträge des Vorsitzenden einer rechtsextremistischen türkischen Partei Die deutsche Übersetzung des Postings bedeutet "Die skandalösen und kaputten Aussagen Bidens tragen das Risiko, die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA in 180 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 eine ganz andere Richtung zu verwerfen. Mit einer Geisteshaltung, das einem Land, mit dem man in einem freundschaftlichen und strategischen Verhältnis ist, den Vorwurf des Genozids vorträgt, wird wahrscheinlich nichts mehr wie früher sein." Hier wird auch die oben angeführte Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch den US-amerikanischen Präsidenten für den türkisch-hegemonialen Diskurs verwendet. So dient die Leugnung des Völkermordes dem türkischen Staat unter anderem als Instrument zur Aufrechterhaltung des nationalen türkischen Gründungsmythos. Das Osmanische Reich ist schließlich zentraler Referenzpunkt von Anhängern der Ülkücü-Bewegung und zugleich ideologische Basis türkischer Nationalisten. Solidarisierungseffekte durch Facebookscreenshot eines türkischen Passes mit Wolfslogo den Nahostkonflikt Im Mai 2021 war der Nahostkonflikt innerhalb der Ülkücü-Szene ein stark diskutiertes Thema. Hier war eine eindeutige Solidarisierung seitens türkischer Rechtsextremisten mit Palästinensern feststellbar. Bei solchen gesellschaftspolitischen Entwicklungen kommt es zunehmend zu einer stereotypisierten Freund-Feind-Darstellung seitens einzelner "Grauer Wölfe". So ist die Ideologie der "Grauen Wölfe" trotz ihres angepassten Verhaltens durch einen übersteigerten Nationalismus geprägt, der vermeintliche Feinde der Türkei und des Türkentums - hier Israel - herabwürdigt. Antisemitismus ist integraler Bestandteil der ideologischen Grundlage der ÜlkücüBewegung. Dies ist in außenpolitischen Konfliktsituationen wie dem Nahostkonflikt erkennbar. So rekurriert die Ülkücü-Bewegung auch heute noch auf antisemitische Vordenker und verehrt diese. Brände in der Türkei Auch die in der Mitte 2021 ausgebrochenen Brände in der Türkei waren Thema in den Vereinen: So wurde nicht nur zu Hilfe und Spenden aufgerufen, sondern auch zur konauslandsbezogener extremIsmus 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 kreten Unterstützung vor Ort. Die ANF startete zum Beispiel ein Baum-Pflanz-Projekt "Bir Fidanda sen bagisla" (übersetzt: "Spende Du auch ein Bäumchen!") und bat um eine Spende von zwei Euro je Baum. Einzelpersonen der freien Szene der Ülkücü-Bewegung in NRW agitierten in diesem Zusammenhang in sozialen Medien gegen die PKK; sie sei verantwortlich für die Brände in der Türkei. Vereinzelt wurden aber auch politische Funktionäre Ziel von Beschuldigungen. Flutkatastrophe in NRW Die ADÜTDFund ATIB-Vereine engagierten sich beispielsweise für die Opfer der Flutkatastrophe in NRW. Ein ADÜTDF-Verein sammelte Möbel und Nahrungsmittel, um diese in die betroffenen Gebiete zu versenden. Die ATIB - und ihr Vorsitzender Durmus YILDIRIM - waren sogar vor Ort und gaben Nahrungsmittel aus. Zugleich sammelte eine angegliederte Organisation, die sogenannte ATIB-Hilal, Spenden für die betroffenen Gebiete. Jene Aktivitäten werden in sozialen Medien durch Beiträge und Fotos entsprechend flankiert. Militärabzug Afghanistan Trotz eindeutiger Positionierung der türkischen Regierung gegenüber dem Abzug des Militärs aus Afghanistan kam es in NRW nicht zu Veranstaltungen oder Versammlungen von "Grauen Wölfen". Der Vorsitzende der MHP (Milliyetci Hareket Partisi), Devlet Bahceli wies im Kontext der Afghanistan-Thematik darauf hin, dass eine Verständigung mit den neuen Machthabern unausweichlich sei, um einen unkontrollierten Flüchtlingsstrom verhindern zu können. Die Sicherheitslage in Afghanistan betreffe unmittelbar die Türkei, demnach sei es von nationalem Interesse, in Afghanistan - langfristig - Stabilität zu etablieren. Besuch in Ankara Sowohl der ADÜTDF-Vorsitzende, Sentürk DOGRUYOL als auch der ATIB-Vorsitzende, Durmus YILDIRIM besuchten im Jahr 2021 den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Beide Vorsitzenden begleiteten den Besuch mit entsprechenden Bildern auf ihren Facebook-Präsenzen. 182 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die ANF-Vereine in NRW Im Hinblick darauf, dass Rechtextremismus zunehmend eine Gefahr für unsere Demokratie darstellt, findet erstmals auch die türkische, rechtsextremistisch geprägte Föderation der Weltordnung in Europa (Avrupa Nizam-i Alem Federasyonu - ANF) in diesem Verfassungsschutzbericht Erwähnung. Wie die anderen Dachverbände ist die ANF auch um eine positive und angepasste Außendarstellung bemüht. Extremistische Äußerungen sind daher in offiziellen Erklärungen in der Regel nicht zu finden. Die ANF sieht sich als Interessenvertretung der türkisch-muslimischen Minderheit in annähernd allen Lebensbereichen. Der in der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung zu verortende Verband hat im Sinne der türkisch-islamischen Synthese die Ülkücü-Ideologie um den Faktor Religion ergänzt. Demnach sei das Türkentum nur in Verbindung mit dem Islam möglich. Der Wunsch nach einer Vereinigung aller Turkvölker in einem homogenen Staat "Turan" gehört daher genauso zu den politischen Zielen wie die Erschaffung einer neuen "Weltordnung" ("Nizam-i Alem"). Die türkisch-islamische Synthese > Begriff der türkisch-islamischen Synthese geht auf Ibrahim Kafesoglu zurück > Korrelation zwischen türkischem Nationalismus und sunnitischem Islam > Anschlussfähigkeit für unterschiedliche Identitätsvorstellungen Die BBP (Büyük Birlik Partisi) wurde 1993 von dem ehemaligen MHP-Funktionär, Muhsin Yazicioglu gegründet. Dieser hatte die MHP aufgrund interner Differenzen über die Ausrichtung der Partei verlassen. Yazicioglu galt lange Zeit als Nachfolgekandidat Alparslan Türkes, wurde aber im Rahmen des Militärputsches 1980 zu einer siebeneinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung brach er mit der MHP und gründete die BBP. Er verstarb 2009 bei einem Hubschrauberabsturz. Um die Person des Muhsin Yazicioglu wird heute noch in den Vereinen der ANF ein großer Führerkult betrieben. Bei den türkischen Parlamentswahlen in 2018 ist die BBP ein Wahlbündnis mit der AKP und der MHP eingegangen und ist nunmehr mit einem Sitz im türkischen Parlament vertreten. auslandsbezogener extremIsmus 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Sowohl die ADÜTDF als auch die ANF sind durch ihre organisatorische Struktur unmittelbar an die türkische Politik gebunden: So ist die ADÜTDF die Deutschlandorganisation der in der türkischen Regierung befindlichen MHP; die ANF ist hingegen die Europaorganisation der BBP. Die ATIB ist als einziger Dachverband der Ülkücü-Bewegung keiner politischen Partei in der Türkei konkret zuzuordnen. Der Besuch des ATIB-Vorsitzenden bei Staatspräsident Erdogan in Ankara im Jahr 2021 bestätigt dennoch eine enge Verzahnung mit der türkischen Regierung. Dass sowohl der ADÜTDFals auch der ATIBVorsitzende an dem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten teilnahmen, vermittelt auch eine Botschaft in die nordrhein-westfälische Ülkücü-Community. So kann sich durch ein solches Treffen die Prominenz beider Vorsitzenden erhöhen und damit zugleich die Anschlussfähigkeit der jeweiligen Dachverbände. Neben realweltlichen Treffen und der NRW-weiten Agenda der Vereine, ihr karitatives und integratives Image zu pflegen, nehmen sie innerhalb ihrer digitalen Präsenzen auch regelmäßig Stellung zu tagesaktuellen Geschehnissen der deutschen, türkischen und internationalen Innenund Außenpolitik. Solche Stellungnahmen können auch der Pflege bestehender Feindbilder und der Heroisierung der türkischen Nation dienen. In der freien Szene der Ülkücü-Bewegung sind es hingegen eher Einzelpersonen, die sich im Kontext gesellschaftspolitischer Entwicklungen insbesondere in sozialen Netzwerken äußern. Zum Teil verfügen eben solche Personen über eine hohe digitale Reichweite und gerieren sich als Sprecher der türkischstämmigen Community in NRW. Nützlich sind in diesem Zusammenhang prinzipiell alle Themen, die die Türkei auch nur annähernd betreffen: So werden die stereotypisierten Kommentare jener türkischen Rechtsextremisten durch ihr Publikum häufig nicht als extrem oder problematisch, sondern als richtig und nachvollziehbar verstanden, wie zum Beispiel die kontinuierliche Aufwertung der eigenen türkischen Identität. Jedwede Form der Kritik von außen - aus dem nicht-türkischen Bereich - wird demnach als falsch und zum Teil als Abwertung des Türkischen betrachtet. Über solche Narrative wird der eigenen Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt und eine eindeutige Identitätszugehörigkeit geboten. 184 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 auslandsbezogener extremIsmus 185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front (Devrimci Halk Kurtulus PartisiCephesi - DHKP-C) Sitz/Verbreitung Türkei, europaweite Verbreitung mit Schwerpunkt Mittelund Westeuropa Gründung/Bestehen seit 1994, hervorgegangen aus der 1978 gegründeten revolutionären Linken (Devrimci Sol - Dev-Sol) Struktur/ Repräsentanz Generalsekretär, Zentralkomitee sowie länderund gebietsverantwortliche Funktionäre. Nach dem Tod von Dursun Karatas im Jahr 2008 wurde offiziell noch kein Nachfolger für das Amt des Generalsekretärs bestimmt. Mitglieder/Anhänger/ Land: circa 200 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen "Devrimci Sol" (unregelmäßiges Erscheinen) und "Halk Okulu" (bis 2019 "Yürüyüs") Web-Angebot: Eigener Internetauftritt , Nutzung von sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Die in der Türkei und in Deutschland verbotene Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Auf der ideologischen Grundlage des Marxismus-Leninismus propagiert die DHKP-C einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. 186 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Organisation tritt damit für eine revolutionäre Überwindung der türkischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein. Hierzu führt sie in der Türkei auch terroristische Aktionen durch. In Deutschland kann die DHKP-C aufgrund ihres Verbotes im Jahr 2000 nicht offen agieren. Sie handelt daher über Vereine, deren Satzungen keinen Rückschluss auf die Zugehörigkeit zur Organisation zulassen oder deren Verbindungen zur DHKP-C nur schwer nachweisbar sind. Finanzierung Spenden und Erlöse aus dem Verkauf von Publikationen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Mit ihrem Bestreben gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VSG NRW). Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der in der Bundesrepublik Deutschland seit 1983 verbotenen Devrimci Sol. Seit dem Verbot 1983 werden politische Aktivitäten konspirativ fortgesetzt. Die DHKP-C selbst ist in Deutschland seit dem 1. Februar 2000 rechtskräftig verboten. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt. Der politische Flügel der DHKP-C gibt sich selbst den Namen Revolutionäre Volksbefreiungspartei (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - DHKP), während sich der militärische Arm der DHKP-C als Revolutionäre Volksbefreiungsfront (Devrimci Halk Kurtulus Cephesi - DHKC) bezeichnet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Das Aktionsverhalten der DHKP-C war im Berichtszeitraum erneut erheblich von Ereignissen in der Türkei geprägt. Wie bereits in den vergangenen Jahren führten Aktivisten und Sympathisanten aus dem Umfeld der DHKP-C in verschiedenen Städten im Bundesgebiet Solidaritätskundgebungen für inhaftierte Mitglieder der Organisation durch. Auch in NRW fanden in diesem Rahmen verschiedene Versammlungen statt. auslandsbezogener extremIsmus 187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Protestaktionen in Form von so genannten "Mahnwachen" fanden in der ersten Jahreshälfte 2021 vor diplomatischen Vertretungen der Türkei und im öffentlichen Raum in verschiedenen Städten statt. Thematisch wollten Aktivisten der Organisation hiermit unter anderem auf die gesundheitliche Situation eines in der Türkei inhaftierten DHKP-C Mitgliedes aufmerksam machen. Darüber hinaus kündigten im Mai 2021 in Deutschland lebende Angehörige von drei in der Türkei inhaftierten Jugendlichen aus dem Umfeld der DHKP-C einen Protestmarsch von Rotterdam nach Berlin an. Unter dem Motto "Gerechtigkeit für meine Tochter" wurden unter anderem in Düsseldorf und Wuppertal kleinere Protestkundgebungen durchgeführt. Die Aktionsform eines so genannten "Langen Marsches" wurde seitens der Organisation in den vergangenen Jahren wiederholt propagandistisch genutzt, um die Öffentlichkeit auf die eigenen Belange aufmerksam zu machen. Eine nennenswerte Außenwirkung, über die eigene Klientel hinaus, konnte dadurch nicht erzielt werden. Aktivitäten der Musikgruppe Grup Yorum Auftritte der Musikgruppe Grup Yorum sind integraler Bestandteil der Propagandaaktivitäten der DHKP-C in Deutschland. Veranstaltungen der Musiker wurden und werden von der Organisation genutzt, um einen Personenkreis anzusprechen, der weit über die eigene Anhängerschaft hinausgeht. Wie bereits in den letzten Jahren gelang es der aus dem Umfeld der DHKP-C stammenden Musikgruppe jedoch nicht mehr, größere Konzertveranstaltungen im Bundesgebiet durchzuführen. Als Gründe können hier neben der im Berichtszeitraum nach wie vor grassierenden Corona-Pandemie die Aufklärungsarbeit und der bestehende Ermittlungsdruck seitens der Sicherheitsbehörden genannt werden. Lediglich kleinere Auftritte im Rahmen Werbeplakat für eine Veranstaltung in Duisburg mit von Kundgebungen und Versammlungen der Musikgruppe GRUP YORUM 188 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 konnten realisiert werden. So trat die Musikgruppe am 18. April 2021 im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung vor etwa 150 Personen in Köln auf. Durch musikalische Darbietungen und in Redebeiträgen wurde der so genannten "Märtyrer" der Organisation gedacht, die in der Vergangenheit während Hungerstreiks, Attentaten oder bei Gefechten mit türkischen Sicherheitskräften ihr Leben verloren haben. Einen weiteren öffentlichen Auftritt der Musikgruppe Grup Yorum gab es am 2. Juli 2021 in Duisburg. Der im Vorfeld als Kundgebung gegen "Rassismus und Degeneration" angekündigte Auftritt fand lediglich vor einem Teilnehmerkreis im unteren zweistelligen Bereich statt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Nach wie vor sind Veranstaltungen und Solidaritätskundgebungen für in der Türkei inhaftierte Mitglieder und Sympathisanten zentraler Bestandteil der Agitation und Propaganda von Aktivisten der DHKP-C in Deutschland. In diesem Kontext finden auch in NRW immer wieder Protestaktionen statt. Hierbei spielt das Vorgehen der türkischen Behörden gegen die DHKP-C und deren Unterstützerumfeld sowie die Situation der sich in Haft befindlichen Mitglieder eine zentrale Rolle. Strafrechtliche Maßnahmen und staatlicher Verfolgungsdruck im Inund Ausland haben somit einen direkten Einfluss auf die Aktivitäten der DHKP-C in Deutschland. Wie bereits im vergangenen Jahr ist eine Zunahme der internetöffentlichen Aktivitäten der DHKP-C feststellbar. Die Gründe für diese Entwicklung dürften jedoch nur zum Teil in den gesetzlichen Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie zu finden sein. Vielmehr macht sich hier die Organisation die enorme Reichweite des Internets und speziell von sozialen Netzwerken zu Nutze, um Anhänger und Aktivisten sowie potenzielle neue Unterstützer zu erreichen und zu mobilisieren. Westeuropa und insbesondere Deutschland dienen der Organisation nach wie vor als wichtiger Rückzugsund Sammlungsraum sowie Rekrutierungsbasis potenzieller Mitglieder und Unterstützer. Derzeit deutet jedoch nichts auf eine Aufkündigung des 1999 seitens der damaligen DHKP-C Führung erklärten Gewaltverzichtes hin. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass von Deutschland aus terroristische Aktivitäten geplant, vorbereitet und letztlich durchgeführt werden, ist eine nachrichtendienstliche Beobachtung weiterhin notwendig. auslandsbezogener extremIsmus 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen Sitz/Verbreitung Nordirak, in Europa Vertretung durch wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten durch den Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) Gründung/Bestehen seit November 1978 Struktur/ Repräsentanz Höchste Entscheidungsgremien: Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK, Präsident: Abdullah Öcalan, Co-Vorsitzende: Bese Hozat und Cemil Bayik) und die Generalversammlung Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) Europa: autoritäre Führung mittels Kaderprinzip Deutschland: neun Regionen (Eyalet), 31 Gebiete (Bölge). Nordrhein-Westfalen: zwei Regionen (Nordrhein und Westfalen) , acht Gebiete mit je einem leitenden Führungsfunktionär, örtliche kurdische Vereine für die Umsetzung von Vorgaben der europäischen Führungsebene sowie als Treffpunkt und Anlaufstelle für Anhänger der Organisation Dachverband: Seit Ende Januar 2020 (Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya - KON-MED) als neuer Dachverband (bereits im Jahr 2019 gegründet): fünf regionale Föderationen im Bundesgebiet, die den örtlichen Vereinen 190 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 übergeordnet sind (NRW: Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW (Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamy li NRW - FED-MED e.V., im Juli 2020 beim Amtsgericht Düsseldorf mit Sitz in Düsseldorf eingetragen) KON-MED bemüht sich, wie bereits sein Vorgänger NAVDEM e.V., mit aktiver Öffentlichkeitsund Kampagnenarbeit und durch einen Kontaktaufbau zu politischen Entscheidungsträgern um Unterstützung der PKK und ihrer Anliegen. Aktuell werden in NRW rund 50 örtliche Vereine als PKKnah eingeschätzt. Neben den lokalen Vereinsstrukturen versucht die PKK, ihre Politik mithilfe sogenannter Massenorganisationen zu popularisieren und umzusetzen. Darin organisiert sie ihre Anhänger nach sozialen Kriterien oder nach Berufsund Interessengruppen: Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) mit Sitz in Köln Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. (NAV-YEK) mit Sitz in Löhne Föderation der demokratischen Aleviten e.V. (FEDA) mit Sitz in Dortmund. auslandsbezogener extremIsmus 191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Diese Organisationen vertreten kurdische Interessen ohne integraler Bestandteil der PKK zu sein. Gleichwohl ist deutlich erkennbar, dass auch in diesen Organisationen Personenpotenzial aktiv ist, das der PKK-nahen Szene zugeordnet werden kann. Weitere Organisationen: Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH / TJKE) Europäischer Jugend-Dachverband Bewegung der revolutionären Jugend (Tevgera Ciwanen Soresger - TCS, in Deutschland maßgeblich für Rekrutierungsaktivitäten zum bewaffneten Kampf in der Türkei, Syrien oder dem Irak verantwortlich). Mitglieder/Anhänger/ NRW: 2.200 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen: Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich) Sterka Ciwan (Stern der Jugend) (monatlich) Newaya Jin (Erlebnisse der Frauen) (monatlich) Kurdistan-Report (zweimonatlich) Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik) (täglich) Fernsehen: Sterk TV GerA(r)la TV Internet: Zahlreiche Internetauftritte verschiedener regionaler Organisationen und Gruppierungen sowie mediale Präsenz in unterschiedlichen sozialen Netzwerken mit guten Verknüpfungen untereinander. 192 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kurzporträt/Ziele Die PKK, die heute unter der Bezeichnung KONGRA-GEL agiert, strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nordirak, Teile des westlichen Iran und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Im Jahr 1993 hat das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen erlassen. Obwohl seitens der PKK immer wieder betont wird, man habe die früheren separatistischen Ziele aufgegeben, bemüht sie sich weiterhin um einen länderübergreifenden Verbund aller Kurden im Nahen Osten. Darüber hinaus sind die Freilassung ihres seit 1999 inhaftierten Führers Abdullah Öcalan und die Aufhebung des Betätigungsverbots zentrale Ziele. Finanzierung Mittelbeschaffung ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Aktivitäten der PKK in Deutschland: Jährliche Spendenkampagne bei den Anhängern, Erlöse aus Zeitschriftenund Devotionalienverkäufen, Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen zur logistischen und finanziellen Unterstützung der Organisation Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die PKK ist mit der Verbotsverfügung nach SS 18 Satz 2 VereinsG vom 22. November 1993 durch das Bundesministerium des Innern mit einem Betätigungsverbot belegt. Das Betätigungsverbot erstreckt sich sowohl auf sämtliche späteren Umbenennungen der Organisation als auch auf alle seit 1993 benutzten Symbole sowie auf neu hinzugekommene Kennzeichnungen der PKK. Mittels Umbenennung verfolgte die PKK das Ziel, den Eindruck einer politischen Neuausrichtung zu vermitteln und sich des Makels einer Terrororganisation zu entledigen. auslandsbezogener extremIsmus 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die PKK ist zudem seit 2002 von der Europäischen Union auf der Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften verzeichnet, die an Terrorhandlungen beteiligt waren und restriktiven Maßnahmen unterliegen sollen (EU-Terrorliste). In Westeuropa ist seit Ende März 1996 ein Kurswechsel der Organisation zu weitgehend gewaltfreiem Verhalten erkennbar. Die PKK stellt jedoch aufgrund ihrer fortwährenden Bereitschaft, zu aktionsorientiertem und gewaltbereitem Verhalten zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Dies begründet ihre Beobachtung gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW. Ihre Ziele verfolgt die PKK in den Kampfgebieten nach wie vor mit Waffengewalt. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grund eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW erforderlich ist. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bereits am 10. Februar 2021 kam es zu einem Angriff der türkischen Armee gegen Stellungen der PKK im Nordirak (Operation Adlerkralle 2). Ende April startete die türkische Armee dort eine weitere Offensive. Im Rahmen der Offensive unter dem Namen "Operation Krallenblitz" erfolgten sowohl Luftangriffe auf Stellungen der PKK im Nordirak als auch der Einsatz von Luftlandeeinheiten. Reaktionen auf Kampfhandlungen in kurdischen Gebieten im Nordirak Nach Angaben der PKK-nahen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) haben die PKK-Europaführung "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E)" sowie der Dachverband PKK-naher Vereine in Deutschland "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED)" die Angriffe massiv kritisiert und zu Protestaktionen aufgerufen. Die in ANF zitierte Erklärung der KCDK-E sprach in diesem Zusammenhang davon, dass der türkische Staat "ohne Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Guerilla einen kurdischen Genozid verüben wolle". Mit dem Bekanntwerden der Offensive und als Folge der Protestaufrufe erfolgten in zahlreichen Städten nahezu täglich Kundgebungen beziehungsweise Demonstrationen, so auch in Düsseldorf. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich dabei im unteren dreistelligen Bereich, der Verlauf der Proteste war weitestgehend friedlich. Die vergleichsweise niedrigen Teilnehmerzahlen bei den Protesten, die sich immerhin auf einschneidende Ereignisse in der Heimatregion bezogen, sind teilweise mit den aus der Corona-Pandemie resultierenden Beschränkungen erklärbar. In Gänze betrachtet 194 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 deuten sie aber auf eine zumindest im Frühjahr 2021 rückläufige Mobilisierbarkeit der Anhängerschaft hin. Ebenfalls mit Bezug zu den Kampfhandlungen fanden im Zeitraum vom 01.04. Dezember 2021 mehrere kurdische Protestveranstaltungen vor dem Gebäude der Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (Organisation für das Verbot chemischer Waffen, OPCW) in Den Haag/NL statt. Bereits seit Beginn der türkischen Militäroffensive im Frühjahr 2021 wird die Türkei von kurdischer Seite beschuldigt, chemische Waffen in den Kampfgebieten einzusetzen. Bei einer der Veranstaltungen am 03. Dezember 2021 kam es zu Ausschreitungen, in deren Verlauf Demonstranten versuchten, das OPWC Gebäude in Den Haag/NL zu stürmen. In der Folge wurden 44 Personen festgenommen. Die Aktion belegt, dass die Kampfhandlungen im Nordirak Ausstrahlungswirkungen nach Europa haben und in diesem Fall, anders als bei den Protesten unmittelbar nach Beginn der Kampfhandlungen, Gewalt als Mittel zur Erlangung der gewünschten medialen Aufmerksamkeit von der Organisation akzeptiert wird. Im Vorfeld der demonstrativen Aktionen am 03. Dezember 2021 gab es bereits Mitte November in Düsseldorf verschiedene Mahnwachen im thematischen Kontext. Gerichtsentscheidungen im Berichtszeitraum mit Bezügen zur PKK Mitte Dezember 2020 wurde in Dortmund aufgrund eines Haftbefehls des Oberlandesgerichts (OLG) München ein 47-jähriger türkischer Staatsangehöriger in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK) festgenommen. Im Dezember 2021 erfolgte seine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, die Freiheitsstrafe beträgt ein Jahr und vier Monate. Im Februar 2021 wurden durch das OLG Koblenz zwei türkische Staatsangehörige aus dem Raum Düsseldorf bzw. Dortmund wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK nach SS 129a Abs. Nr. 1 in. V. m. SS 129b Abs. 1 StGB zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Ende April verurteilte das OLG Stuttgart einen 39-jährigen türkischen Staatsangehörigen aus Gelsenkirchen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. auslandsbezogener extremIsmus 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Die Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) waren durch die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie auch im Jahr 2021 stark eingeschränkt. Besonders spürbar sind die mittelbaren Auswirkungen der COVID-19-Pandemie für die PKK und ihre Anhänger bei den Großveranstaltungen, da die sonst zu propagandistischen Zwecken genutzten Veranstaltungen mit deutlich weniger Teilnehmern stattfanden. Im Laufe des Jahres versuchte die PKK jedoch wieder vermehrt, trotz der geltenden Beschränkungen zu einem für sie weitest gehenden normalen Protestgeschehen zurückzukehren und wieder öffentlichkeitswirksame Aktivitäten durchzuführen. Bereits im Dezember 2020 hat der Europäische Dachverband der PKK, KCDK-E, aufgerufen, das Jahr 2021 zum Jahr des Widerstandes zu machen. In den einschlägigen kurdischen Medien wurde dazu aufgefordert "den Kampf gegen die Vernichtungspläne des Diktators Erdogan aufzunehmen". Üblicherweise werden Aufrufe dieser Art dazu genutzt, durch ein verstärktes demonstratives und aktionsorientiertes Verhalten auf die spezielle Situation der Kurden aufmerksam zu machen. Bedingt durch die Pandemie sind viele der möglicherweise geplanten Aktionen nicht umgesetzt worden, da die Auflagen der Behörden zum Infektionsschutz zu umfangreich waren, um geordnete Demonstrationen durchführen zu können. Nicht nur geplante kleinere Veranstaltungen scheiterten an der pandemischen Lage, auch traditionsreiche Großveranstaltungen sind im Jahr 2021 ausgefallen. Dazu zählten: > März: Traditionelles kurdisches Neujahrsfest Newroz > Juni: Zilan Frauenfestival > Juli: Internationales Jugendfestival/Kulturfest Mazlum Dogan Insbesondere das Newrozfest wurde nach Vorgaben eines Aktionsplanes der KONMED durch diverse dezentrale Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet ersetzt. Unter dem Motto "Schluss mit Isolation, Faschismus und Unterdrückung! - Zeit für Freiheit" verliefen die Veranstaltungen mit Teilnehmerzahlen im dreistelligen Bereich überwiegend friedlich. Bei einer Veranstaltung in Düsseldorf fanden sich zu Beginn bereits etwa 1.000 Personen ein. Laut Verfügung der Stadt Düsseldorf war 196 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 die Teilnehmerzahl aber auf maximal 500 Personen begrenzt. Daher wurde diese Versammlung aufgelöst. Lediglich das Internationale Kurdische Kulturfestival fand als Großveranstaltung statt. Wie bereits im Jahr 2019 ist die Organisation mit der Durchführung des Festivals in das benachbarte Ausland (Niederlande) ausgewichen. Im Vorfeld dieser Veranstaltung kam es zum ebenfalls traditionellen langen Marsch der Kurdischen Jugend. Dieser Marsch verlief über eine Woche quer durch NRW und endete in Aachen in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort des Internationalen Kurdischen Kulturfestivals in den Niederlanden. Der pandemiebedingte Verzicht auf zentrale Großkundgebungen dürfte für die PKK, die in ihrem Aktionsgeschehen sehr stark auf öffentliche Veranstaltungen angewiesen ist, einen Rückschlag bedeuten. Reaktionen der PKK auf Gerüchte über den angeblichen Tod Abdullah Öcalans Werbeplakat für den langen Marsch der kurdischen Jugend in NRW Anfang März 2021 wurden über soziale Netzwerke Gerüchte über den angeblichen Tod Abdullah Öcalans verbreitet. Über ANF wurde nach dem Aufkommen der Gerüchte zeitnah am 15. März ein Aufruf der PKK-Europaführung KCDK-E veröffentlicht, in dem die Anhängerschaft zu Eilaktionen aufgerufen wurde. Diesem Aufruf folgend wurden noch am selben Abend in mehreren Städten, darunter Köln und Dortmund, spontane Kundgebungen durchgeführt. Nach übereinstimmenden Medienberichten dementierte die Staatsanwalt Bursa (Türkei) Öcalans Tod bereits am 16. März. Gleichwohl forderte die PKK ein Besuchsrecht für die Anwälte Öcalans, um Aufschluss über dessen Gesundheitszustand zu erhalten und verlangte von ihrer Anhängerschaft, mit den Aktionen fortzufahren. Die Demonstrationen hierzu dauerten daraufhin noch einige Tage an. Auch wenn die beschriebenen Aktionen überwiegend störungsfrei abliefen, machen sie deutlich, dass schon Gerüchte über den Tod Öcalans sehr kurzfristig die PKKAnauslandsbezogener extremIsmus 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 hängerschaft mobilisieren. Nach wie vor löst die Sorge um den Gesundheitszustand und die Haftbedingungen Öcalans eine hohe Emotionalisierung aus. Verschärfung des Kennzeichnungsverbotes Auch in 2021 war das durch das Bundesministerium des Innern (BMI) verschärfte Verbot des Zeigens von Symbolen aus dem Bereich der PKK und deren nahestehenden Organisationen ein andauerndes Thema. Das BMI konkretisierte zunächst im März 2017 und erneut im Januar 2018 das PKKKennzeichnungsverbot. Grundlage dieser Konkretisierung ist das bereits seit dem Jahr 1993 geltende Betätigungsverbot. Inhaltlich umfasst das Betätigungsverbot auch das öffentliche Zeigen von Symbolen der PKK sowie ihrer Unterund Teilorganisationen. Inzwischen gibt es auch in NRW verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die den ursprünglichen Erlass des BMI bezüglich einiger Symboliken entschärft haben. Gestiegene Bedeutung digitaler Medien Die PKK nutzt einen aufwändigen Medienapparat, in dem digitale Medien (Facebook, Twitter, Instagram, Facebook-Messenger, WhatsApp, etc.) zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese dienen der Kommunikation und weltweiten Verbreitung von Nachrichten und Informationen. Daneben erhöhen sie die kurzfristige Mobilisierungsfähigkeit der PKK-nahen Gruppierungen. Insbesondere die Nutzung sozialer Netzwerke zielt auf die jüngere Anhängerschaft der PKK. Diese werden zur Rekrutierung Jugendlicher für den bewaffneten Kampf, für kurzfristige und flächendeckende Veranstaltungsaufrufe sowie für die Verbreitung von Stimmungsbildern genutzt. Die türkischen Militäroffensiven "Adlerkralle 2" und "Operation Krallenblitz " führten zu einer verstärkten Nutzung sozialer Medien. Die kurdische Gemeinschaft brachte im Netz ihren Unmut zum Ausdruck und rief zu kurzfristigen Protestaktionen in Form von dezentralen Kundgebungen und Demonstrationen auf. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Hinblick auf das künftige Aktionsverhalten muss weiterhin aufmerksam beobachtet werden, welche Wechselwirkungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/ rechtsextremistischen Türken innerhalb Deutschlands durch politische Ereignisse erzeugt werden. Das Aktionsverhalten der PKK-Anhänger in Nordrhein-Westfalen wird 198 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 weiterhin im Wesentlichen von den Entwicklungen in den Krisengebieten Syrien und Nordirak abhängen. Die fortdauernden Angriffe der türkischen Truppen auf kurdische Siedlungsgebiete außerhalb der Türkei entfalten ihre Auswirkungen in der kurdischen Gemeinschaft bis in die Städte Nordrhein-Westfalens. Die jüngsten Militäroffensiven in den kurdischen Siedlungsgebieten im Nordirak befeuern wiederholt den historisch gewachsenen und andauernden Konflikt und sind in der Gesamtschau betrachtet auch dazu geeignet, die Sicherheitslage in Deutschland nachhaltig zu beeinflussen. Nicht zuletzt ist die Frage um den gesundheitlichen Zustand Abdullah Öcalans und dessen Haftbedingungen ebenfalls ein wiederkehrendes Thema innerhalb der kurdischen Gemeinschaft. Es muss damit gerechnet werden, dass die PKK wie in der Vergangenheit immer wieder auf medienwirksame Aktionsformen wie zum Beispiel Besetzungsaktionen von Fernsehanstalten, Flughäfen, Parteibüros oder Schiffen zurückgreift. Auch die anlassbezogene direkte gewaltsame Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist in Betracht zu ziehen. Bei ihren Handlungsformen wird sich die PKK-Führung hier aber aller Voraussicht nach weiterhin davon leiten lassen, Deutschland als Rückzugsraum nicht zu gefährden. Politische Einflussnahme beziehungsweise Lobbyarbeit ist ein Aktionsschwerpunkt der PKK in Deutschland und verfolgt weiterhin das Ziel, die Einstufung als Terrororganisation zu beenden. auslandsbezogener extremIsmus 199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 200 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Islamismus IslamIsmus 201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Von islamistisch motivierten Extremisten geht noch immer eine sehr große Gefahr für terroristische Anschläge in Deutschland aus. Jüngste Belege hierfür sind der frühzeitig vereitelte Anschlag auf eine Synagoge in Hagen Mitte September 2021 und die Festnahme eines mutmaßlichen Bombenbauers in Hamburg Ende August 2021. Darüber hinaus sind in Deutschland Anhänger und Unterstützer jihadistischer Milizen aktiv, um Spenden für die Befreiung von in Syrien gefangen gehaltenen Anhängern des sogenannten Islamischen Staates (IS) zu sammeln. Rückzug in ein extremistisch-salafistisches Millieu Extremistische Salafisten treten zunehmend angepasst auf und bemühen sich, keine Verbindungen zu gewaltorientieren Islamisten erkennen zu lassen. Dadurch besteht ein hohes Risiko, dass das extremistisch-salafistische Milieu sich auf Dauer in Deutschland etablieren wird. Aus diesem Milieu heraus können in der Zukunft immer wieder jihadistische Gruppierungen neue Anhänger rekrutieren. So hat der im extremistischen Salafismus zu verortende Spendensammelverein Ansaar International das Image eines bürgerlichen Vereins besonders erfolgreich gepflegt und baute ein großes Geflecht mit weiteren Unterund Nebenorganisationen auf. Nach langen und intensiven Ermittlungen insbesondere auch der nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden konnte am 5. Mai 2021 ein Vereinsverbot vollzogen werden. Ausweitung des Hizb Allah Verbots Finanzierung und Geldgeschäfte sind auch für die Terrororganisation Hizb Allah ein wichtiges Thema. Deshalb wurden die Vereine Deutsche Libanesische Familie e.V., Menschen für Menschen e.V. und Gib Frieden e.V. gegründet, um die verfassungswidrigen Bestrebungen des 2014 verbotenen Hizb Allah-Spendensammelvereins Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) weiter zu verfolgen. Letzterer wurde später in Farben für Waisenkinder e.V. umbenannt. Ziel der Vereine ist nicht, kulturelle oder religiöse Veranstaltungen durchzuführen, wie die Eigendarstellung dies suggeriert, sondern Spendengelder zu sammeln und Patenschaften zugunsten der "Shahid Stiftung" der Hizb Allah zu vermitteln. "Shahid" bedeutet auf Deutsch "Märtyrer". Da es sich dadurch um Ersatzorganisationen des 2014 verbotenen Spendensammelvereins WKP handelt, wurde das Verbot am 19. Mai 2021 auch für diese Vereine vollzogen. 202 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Reaktion auf Truppenabzüge in Afghanistan Auch internationale Entwicklungen spielen für regionale extremistische Szenen in Deutschland eine wichtige Rolle. Mit Genugtuung nahmen salafistische Akteure den Abzug der US-Streitkräfte und ihrer NATO-Verbündeten aus Afghanistan Ende August 2021 zur Kenntnis. Im Anschluss spaltete sich jedoch die Szene in die Anhänger des sogenannten IS einerseits und von Al-Qaida andererseits. Letztere gelten als Verbündete der Taliban, die der sogenannte IS militant bekämpft. Bei dem Truppenabzug aus Afghanistan wurden zahlreiche Zivilpersonen aus Kabul evakuiert. Anfänglich bestand die Sorge, es könnten sich islamistische Terroristen unter die Evakuierten eingeschlichen haben. Dies hat sich bis jetzt nicht bestätigt. Anti-israelische Demonstrationen Mitte Mai 2021 kam es in Deutschland zu mehreren anti-israelischen Demonstrationen. Ursächlich hierfür waren unter anderem die Verschiebung der Wahlen zum palästinensischen Legislativrat durch Präsident Abbas, Gespräche der israelischen Opposition mit arabischen Parteien zur gemeinsamen Regierungsbildung, der Streit um Eigentumsrechte im Stadtteil Scheich Jarrah sowie Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg in Jerusalem, die zu einem militärischen Angriff der HAMAS am 10. Mai 2021 gegen Israel führten. Diese Demonstrationen zogen eine hohe mediale Aufmerksamkeit auf sich, insbesondere aufgrund der auf den Demonstrationen propagierten antisemitischen Parolen. Diese führten zu einer eindeutigen Reaktion von Politik, Medien und Gesellschaft. Sie machten deutlich, dass für Antisemitismus in Deutschland kein Platz ist. Islamistische Organisationen beteiligten sich jedoch kaum an den Protesten. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y IslamIsmus 203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Der Verfassungsschutz als kompetenter Experte und wichtiger Partner auf Bundesund Landesebene Der NRW-Verfassungsschutz gibt sein Wissen und seine Erkenntnisse an Polizei, Justiz, Kommunen und andere Behörden auf Bundesund Landesebene weiter. Diese Informationen helfen den Empfängern bei ihren Entscheidungen. Mit seiner Expertise ist der Verfassungsschutz zudem ein wichtiger Partner in der landesweiten Sicherheitskonferenz (SIKO). Im Phänomenbereich Islamismus zeigt sich beispielhaft, wie der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz seine Expertise weitergibt und mit dieser unter anderem maßgeblich zu Entscheidungen beiträgt. Die Intensität und die Qualität der Zusammenarbeit ist bei allen anderen Extremismusbereichen in nahezu gleicher Weise ausgeprägt. Fortbildungen für Polizei, Justiz und andere Behörden Expertinnen und Experten aus dem Verfassungsschutz informieren und schulen regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Polizei, Justiz und Bezirksregierungen im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen. Sie tragen dadurch dazu bei, dass Wissen und allgemeine Erkenntnisse aus dem Bereich Islamismus für die jeweilige Arbeit der Staatsschutzdienststellen, Staatsanwaltschaften, Justizbehörden, Ausländerbehörden und der für Sicherheitsüberprüfungen zuständigen Behörden an diese übermittelt und von diesen genutzt werden können. Zusammenarbeit in Gremien auf Bundesund Landesebene Der Informationsaustausch zwischen dem Verfassungsschutz, der Polizei und der Justiz sowie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Bundesnachrichtendienst und weiteren Sicherheitsbehörden ist jederzeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin wie auch im GTAZ NRW sichergestellt. Dort werden notwendige Maßnahmen sowohl auf Landes-, als auch auf Bundesebene - auch zu einzelnen Fällen und Sachverhalten - abgestimmt und koordiniert. In diesen Gremien werden zu Einzelfällen und Sachverhalten sogenannte Fallkonferenzen durchgeführt, an denen sich alle betroffenen Behörden beteiligen. Ziel ist, die sicherheitsbehördlichen Erkenntnisse frühzeitig zusammenzuführen, zu analysieren und zu bewerten. Außerdem sollen nachrichtendienstliche Informationen der Polizei zur Verfügung gestellt werden, um so die Gefahrenabwehr sowie die Strafverfolgung entsprechender Extremisten zu unterstützen. 204 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der Verfassungsschutz stellt den Strafverfolgungsund Ordnungsbehörden darüber hinaus sogenannte Erkenntnismitteilungen und Behördenzeugnisse zur Verfügung. Diese zusätzlichen Erkenntnisse können Polizei sowie Landkreisen und Kommunen bei ihren Entscheidungen helfen, mögliche Maßnahmen umzusetzen. Das können etwa strafrechtliche und vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren oder aufenthaltsrechtliche Maßnahmen sein. Die Koordinierung von ausländersowie aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen erfolgt in Nordrhein-Westfalen in der Sicherheitskonferenz (SIKO), angesiedelt beim Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Die SIKO wurde im Jahr 2006 eingerichtet, um staatsschutzrelevante Gefahren durch die Anwendung der sicherheitsrechtlichen und ausländerrechtlichen Instrumentarien des Aufenthaltsgesetzes abzuwehren. Der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz ist auch in diesem interdisziplinären Gremium fester Bestandteil. Der Verfassungsschutz liefert nachrichtendienstlich gewonnene Erkenntnisse zu Extremisten zu, um aufenthaltsbeendende Entscheidungen wie beispielsweise Ausweisungsentscheidungen herbeiführen zu können, oder aber - sofern diese nicht durchgesetzt werden können - Aufenthalte von ausländischen Extremisten möglichst weitgehend zu überwachen und damit deren Handlungsspielräume einzuschränken. Die Mitwirkung erfolgt unter strikter Beachtung von Trennungsgebot, Geheimund Quellenschutz. Erkenntnisse zu Bestrebungen, Organisationen und einzelnen Personen Im Bereich des Islamismus regte der Verfassungsschutz in der Vergangenheit vereinsrechtliche Maßnahmen bis hin zu Verboten an und lieferte dafür umfangreiche Erkenntnisse. Auf diese Weise wird extremistischen Bestrebungen ihre organisatorische Basis entzogen. Damit können Strukturen, die der Verbreitung von Ideologie oder dem Akquirieren von Geldern dienen, nachhaltig geschwächt werden. Etwa bei der Überprüfung des Aufenthaltsstatus radikalisierter Personen, aber auch bei der Durchführung von Überprüfungen von Personen mit Zugang zu sicherheitsrelevanter Infrastruktur unterstützt der Verfassungsschutz auf der Basis spezialgesetzlicher Regelungen Landesbehörden und die Kommunen. Dies umfasst die Beratung in Einzelfällen zu Personen, bei denen ein Extremismusverdacht besteht, ebenso wie die Teilnahme an Sicherheitsgesprächen und Anhörungen. Ganz allgemein überprüfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hinweise zu radikalisierten Personen und beraten in diesem Zusammenhang Träger der öffentlichen Verwaltung über Möglichkeiten der Intervention im Rahmen der vom Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehenen Regelungen. IslamIsmus 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Auswirkungen der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan auf die Sicherheitslage Die in Afghanistan stationierten westlichen Truppen zogen im Jahr 2021 aus Afghanistan ab und die Taliban übernahmen Mitte August 2021 die Macht im Land. In den jihadistischen Szenen führte dies zu unterschiedlichen Reaktionen, unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland und Nordrhein-Westfalen gab es bis jetzt nicht. Für Afghanistan hatten sich seit längerer Zeit politische Veränderungen angekündigt. Bereits im Doha-Abkommen, das die USA am 29. Februar 2020 bilateral mit der Taliban-Bewegung geschlossen hatten, wurde vereinbart, die in Afghanistan stationierten westlichen Truppen im Jahr 2021 abzuziehen. Die Taliban sicherten demgegenüber zu, dass von afghanischem Boden keine Bedrohung gegen die USA und ihre Verbündeten ausgehen solle. Die afghanische Regierung war kein Vertragspartner des Abkommens. Es wurde lediglich auf den innerafghanischen Dialog zur Festlegung der politischen Zukunft des Landes verwiesen. Nach der Ratifizierung des Abkommens stellten die Taliban jegliche Aktivitäten gegen ausländische Truppen ein, intensivierten aber ihre Angriffe gegen die Sicherheitskräfte der "Islamischen Republik Afghanistan". Entwicklung in Afghanistan Die Biden-Administration prüfte zunächst das unter der Vorgängerregierung geschlossene Abkommen, legte im April 2021 aber den endgültigen Abzugstermin der US-Truppen auf den symbolischen 11. September 2021. Der daraufhin beschleunigte Abzug der ausländischen Truppen schwächte die Durchhaltefähigkeit und die Moral der afghanischen Sicherheitskräfte massiv. Sie hatten den zunehmenden Angriffen der Taliban immer weniger entgegenzusetzen. Bereits am 2. Juli 2021 hatte der letzte Bundeswehrsoldat das Land verlassen. Im Sommer 2021 fielen immer mehr Provinzhauptstädte unter die Kontrolle der Taliban. Dies setzte eine Kettenreaktion in Gang und führte zum überraschend schnellen Zusammenbruch der "Islamischen Republik". Am 16. August 2021 übernahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul fast kampflos, nachdem die afghanische Regierung fluchtartig das Land verlassen hatte. Lediglich der Flughafen in Kabul wurde weiter durch westliche Truppen geschützt. Dieser diente als Knotenpunkt für all diejenigen, die das Land aus Furcht vor den neuen Machthabern verlassen wollten, darunter viele ehemalige Ortskräfte westlicher Regierungen. Bis zur endgültigen Räumung des Flughafens am 31. August 2021 konnte allerdings nur ein Teil der schutzsuchenden Personen evakuiert werden. 206 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Taliban übernahmen umgehend die Regierungsgeschäfte und proklamierten das "Islamische Emirat Afghanistan", das die Republik ablösen solle. Zunächst war die Bildung einer "inklusiven" neuen Regierung angekündigt worden. Im Westen wurde dies als eine Regierung verstanden, die alle Ethnien, Konfessionen und Geschlechter berücksichtigt. Das im September ernannte Kabinett ließ aber deutlich werden, dass sich "inklusiv" nicht auf die Berücksichtigung von Frauen oder konfessionellen Minderheiten bezog. Es bedeutete lediglich, dass auch jene Taliban-Mitglieder berücksichtigt wurden, die nicht den Paschtunen, sondern einer anderen Volksgruppe angehören. Die Taliban nahmen rasch erste diplomatische Kontakte zu anderen Staaten auf, eine formelle Anerkennung ist bislang aber durch kein Land erfolgt. Die Taliban-Bewegung ist nach wie vor extrem intransparent. Erkennbar ist, dass offensichtlich ein pragmatischer Flügel in Form der sogenannten "Doha-Gruppe" mit Dogmatikern konkurriert, die beispielsweise im Haqqani-Netzwerk zu verorten sind. Während die Pragmatiker bestrebt sind, die Fehler der ersten Talibanherrschaft von 1996 bis 2001 zu vermeiden und sich darum bemühen, die afghanische Bevölkerung für sich zu gewinnen, setzen die Dogmatiker stärker darauf, ihre ideologischen Konzepte umzusetzen. Dafür nehmen sie auch gesellschaftlichen Widerstand in Kauf. Mit der Machtübernahme der Taliban nahm das Anschlagsgeschehen rapide ab. Als größte Herausforderung erwies sich aber der sogenannte Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISPK). Dieser versteht sich als regionaler Ableger der Mutterorganisation in Syrien und Irak und als Teil des globalen Kalifats. Der Machtanspruch des "Emirats Afghanistan" wird vor diesem Hintergrund als illegitim angesehen und die Taliban-Bewegung gewaltsam bekämpft. Dem sogenannten IS war es in den vergangenen Jahren kurzzeitig gelungen, in zwei afghanischen Provinzen territoriale Kontrolle auszuüben. Er wurde allerdings rasch durch die Taliban besiegt und befindet sich seitdem im Untergrund. Militärisch stellt der sogenannte IS für die Taliban gegenwärtig keine wirkliche Herausforderung dar. Diese sind aber darum bemüht, den sogenannten IS ideologisch zu diskreditieren und dessen Machtanspruch immer wieder herauszufordern, etwa durch blutige Anschläge gegen die schiitische Minderheit des Landes. Reaktionen in der islamistischen Szene In der islamistischen Szene wurde die Machtübernahme der Taliban teilweise euphorisch aufgenommen und als Sieg einer islamistischen Bewegung über "den Westen" gedeutet. Die Reaktionen in den jihadistischen Szenen waren anfangs fast durchweg sehr positiv. Einige Zeit nach der Machtübernahme der Taliban wurden diese aber etwas differenIslamIsmus 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zierter und orientierten sich an der organisatorischen Spaltung im Jihadismus. Der sogenannte IS und seine Anhänger äußerten sich generell ablehnend gegenüber den Taliban, denen sie Kollaboration mit den Amerikanern und Chinesen vorwerfen. Al-Qaida nahe Gruppierungen hingegen werteten die Etablierung des "Islamischen Emirats" sehr positiv. Auch in der Hizb ut-Tahrir stieß der Sieg der Taliban auf Zustimmung. Die Entmachtung der afghanischen Regierung, die man als westliche Marionette betrachtete, wurde gefeiert und zugleich die Errichtung eines Kalifats in Afghanistan gefordert. Eine Zusammenarbeit mit säkularen Staaten sei abzulehnen. Denn in Afghanistan habe sich erwiesen, dass man sich auf diese nicht verlassen könne. Jene, die dies doch täten, stünden am Ende auf der Verliererseite. Im schiitischen Islamismus wurde die Machtübernahme der Taliban als Bestätigung der eigenen antiwestlichen und antiamerikanischen Weltsicht gedeutet. Afghanistan habe sich als muslimische Nation von der Unterdrückung durch die Amerikaner befreit. Das Scheitern der Politik der deutschen Bundesregierung in Afghanistan sei allerdings desaströs und nur durch eine vermeintliche Abneigung gegenüber dem Islam zu erklären. In den Organisationen, die dem legalistischen Islamismus zuzurechnen sind, fiel die Reaktion erwartungsgemäß am schwächsten aus. Dort konzentrierte man sich auf Kritik an der Unfähigkeit, die afghanischen Ortskräfte zu schützen und beleuchtete generell die angeblichen Verfehlungen in der deutschen Afghanistan-Politik der letzten 20 Jahre. Teilweise wurde zu einer differenzierteren Betrachtung der Taliban aufgefordert, die nicht mit dem sogenannten IS zu vergleichen seien. Lediglich sehr vereinzelt kam es im legalistischen Bereich zu offenen Sympathiebekundungen für die Taliban. Dabei wurden die religiös-dogmatischen Gemeinsamkeiten hervorgehoben, während das politische Vorgehen der Taliban eher auf Kritik stieß. Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland Die Machtübernahme der Taliban bedeutet keine unmittelbare Bedrohung der Sicherheitslage in Deutschland, da die Organisation - im Gegensatz etwa zu Al-Qaida oder dem sogenannten IS - eine rein regionale Agenda verfolgt. Die Taliban streben primär danach, ihre Ziele in Afghanistan zu verwirklichen. Sie haben bisher keine Anschläge in europäischen Staaten verübt, sondern ausschließlich ihre Gegner innerhalb Afghanistans angegriffen. Zudem bemühen sich die Taliban gegenwärtig um ein pragmatisches Auftreten und streben nach internationaler Anerkennung ihrer Regierung. Sie halten 208 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 das Doha-Abkommen ein und versuchen zu verhindern, dass Afghanistan zum erneuten Ausgangspunkt von Anschlägen gegen westliche Staaten wird. In Nordrhein-Westfalen sind derzeit keine Strukturen der Taliban bekannt. Dass sich eine solche Szene kurzfristig herausbildet, ist momentan eher unwahrscheinlich. Mit der Machtübernahme der Taliban hat die Attraktivität der Bewegung aber zugenommen. Ihr Erfolg erfreut und motiviert einige Islamisten in Deutschland. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass es zu einer deutlichen Zunahme der Migrationsbewegungen aus Afghanistan kommen wird. Beide Faktoren dürften dazu beitragen, dass innerhalb Deutschlands künftig vermehrt Bezüge zu den Taliban auffallen werden. Von den Entwicklungen in Afghanistan waren hier lebende Personen mit persönlichen Bezügen in das Land besonders betroffen. Dies äußerte sich unter anderem in der Anmeldung und Organisation von Demonstrationen, die meist Unterstützung für Angehörige beziehungsweise die afghanische Bevölkerung forderten oder Menschenrechtsverstöße der Taliban kritisierten. Vereinzelt drohten Afghanen mit Selbstverbrennung, wenn sie keine Unterstützung bei der Evakuierung ihrer Familienangehörigen erhalten sollten. Der weit überwiegende Teil der afghanischstämmigen Personen in Nordrhein-Westfalen wird als Taliban-kritisch eingeschätzt. In der islamistischen Szene sind Afghanen nicht überproportional vertreten. Mittelund langfristig kann sich die Entwicklung in Afghanistan negativ auf die Sicherheitslage in Deutschland und Nordrhein-Westfalen auswirken. Durch den Zusammenbruch des afghanischen Staates gibt es keinen Verfolgungsdruck mehr durch die afghanischen Sicherheitsbehörden. Von diesem sinkenden Verfolgungsdruck werden mit Sicherheit Al-Qaida und weitere regionale Jihadisten-Netzwerke profitieren. Auch für den sogenannten IS werden sich der sinkende Verfolgungsdruck und die Freilassung zahlreicher Anhänger aus den staatlichen afghanischen Gefängnissen positiv auswirken, obwohl die Taliban massiv gegen diese Organisation vorgehen. Hier bleibt abzuwarten, ob die Taliban weiter willig und fähig sind, ihre im Doha-Abkommen vereinbarten Sicherheitsgarantien für westliche Staaten aufrecht zu erhalten. Es wird sich außerdem zeigen, ob sich Afghanistan (wieder) zum Ausreiseziel von Islamisten aus Deutschland entwickelt, die in einem "islamischen Land" leben oder gar kämpfen wollen. Bisher haben aber weder die Taliban, noch Al-Qaida oder der sogenannte IS zur Ausreise nach Afghanistan aufgerufen. Geschlossene Grenzen und fehlende Aufnahmekapazitäten für Ausländer lassen eine Ausreise gegenwärtig (noch) nicht attraktiv erscheinen. IslamIsmus 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Extremistischer Salafismus Sitz/Verbreitung Alle Regionen Nordrhein-Westfalens, Schwerpunkte in den Ballungszentren des Rheinlands und des Ruhrgebiets Gründung/Bestehen seit Ursprung salafistischer Bestrebungen: Historische islamisch-sunnitische Strömungen vor allem Saudi-Arabiens und Ägyptens. Die ideologischen Grundlagen basieren in großen Teilen auf dem sogenannten Wahhabismus. Ursprung jihadistischer Bestrebungen: Mujahidin-Bewegung der 1980er-Jahre in Afghanistan In Nordrhein-Westfalen: Ab etwa 2003 erste gezielte deutschsprachige Aktivitäten. Struktur/ Repräsentanz Die extremistisch-salafistische Szene in NordrheinWestfalen ist äußerst heterogen. Im Jahr 2021 wurden 15 eindeutig salafistisch beeinflusste Moscheevereine beobachtet. Die in der Vergangenheit beobachteten überregionalen Netzwerke haben sich aufgrund von Verbotsmaßnahmen, Verdrängungseffekten und dem Andauern der Corona-Pandemie aufgelöst beziehungsweise entfalten keine wahrnehmbaren Aktivitäten mehr. Damalige Hauptakteure treten kaum noch nach außen auf, sondern wirken innerhalb der Szenen. Die Aktivitäten der extremistisch-salafistischen Szene verlagern sich - beschleunigt durch die pandemiebedingten Einschränkungen - zunehmend in die Sozialen Medien und sind deshalb kaum regional einzugrenzen. 210 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Mitglieder/Anhänger/ Bekannte extremistische Salafisten in NRW: 3.200 Unterstützer 2021 davon politisch: 2.420\ davon gewaltorientiert: 780/ Veröffentlichungen Verbreitung der Ideologie über Web-Angebote und soziale Netzwerke, Vereinsaktivitäten und Vortragsbeziehungsweise Seminarveranstaltungen Kurzporträt/Ziele Der extremistische Salafismus teilt sich ideologisch in eine politische und eine gewaltorientierte/jihadistische Strömung auf. Salafisten vertreten eine anti-demokratische und damit verfassungsfeindliche Ideologie. Diese basiert auf religiösen Versatzstücken, die der islamischen Religion entlehnt sind. Salafisten streben die Errichtung eines vermeintlich "authentisch-islamischen" Staatssystems an. Politische Salafisten versuchen diese Ziele durch Missionierungsarbeit und den Aufbau von gesellschaftlichen Strukturen zu erreichen, die jedoch die Bildung einer Parallelgesellschaft fördern. Gewaltorientierte Salafisten, die auch als Jihadisten bezeichnet werden, stellen den Jihad im Sinne eines bewaffneten militärischen Kampfes in den Mittelpunkt ihrer Ideologie. Sie wollen ihre Vision eines islamischen Staatswesens mit Waffengewalt umsetzen. Der Übergang zwischen politischen und gewaltorientierten Salafisten ist fließend. Finanzierung Spenden aus dem Inund Ausland, wirtschaftliche Betätigung durch den Verkauf von szenetypischen Produkten, Kriminalität IslamIsmus 211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Anhänger der extremistischen salafistischen Szene verstehen die islamische Religion als Ideologie und die Scharia als gottgegebenes Ordnungsund Herrschaftssystem. Dieser Ideologie folgend wird Demokratie als "falsche Religion" und die Teilnahme an Wahlen als "Götzendienst" angesehen. Extremistische Salafisten folgen damit dem Prinzip der "göttlichen Souveränität". Die Gesetzgebung kann demnach nur von Gott ausgehen und niemals von einem von Menschen gewählten Gesetzgeber gemacht werden. Der extremistische Salafismus widerspricht aus diesem Grund dem Prinzip der "Volkssouveränität" und dadurch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die ablehnende und offen feindselige Haltung gegenüber der Gesellschaft und die teilweise hohe Gewaltaffinität führen zu einem großen Konfliktpotenzial, das das friedliche Zusammenleben gefährdet. Von gewaltorientierten Salafisten geht eine tatsächliche Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland aus. Denn sie sind bereit, schwerste Gewalttaten und Anschläge zu verüben und schrecken auch vor vielfachem Mord nicht zurück. Extremistisch-salafistische Bestrebungen unterliegen deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Extremistische Salafisten sind in Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Bereichen aktiv. Im Berichtsjahr waren insbesondere die folgenden Entwicklungen festzustellen: Entrepreneurship im Salafismus ("Halal-Wirtschaft") Innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene ist ein Trend zu digitalen, meist inoffiziellen Unternehmensgründungen festzustellen. Hierbei handelt es sich bislang nicht um professionelle, groß angelegte Online-Shops für ein breites Publikum, sondern vielmehr um private Angebote im kleinen Stil. Die Produktpalette umfasst beispielsweise Lebensmittel, Produkte zur Körperpflege, Schreibwaren, Materialen für die Kindererziehung (Bücher, Lernund Bastelmaterial), Kleidung, Schmuck, Dekoration und Dienstleistungen, z.B. "Schröpfen" als medizinische Leistung oder Coaching-Angebote für verschiedene Lebenslagen. 212 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zumeist wird die genannte Produktpalette in Telegram-Kanälen, auf Instagram und seltener auch auf Facebook angeboten. Offizielle Internetauftritte existieren nur in wenigen Fällen. Das Hauptaugenmerk liegt in diesem Spektrum auf der gegenseitigen Unterstützung und Vernetzung innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene. Zugleich wird die Nachfrage nach vermeintlich islamkonformen Produkten bedient. Mit diesen Vermarktungsstrategien werden Hilfeund Spendenaufrufe aus der extremistisch-salafistischen Szene verbreitet. In einigen Fällen bestehen über die Angebote hinaus persönliche Kennverhältnisse. Missionierungsnetzwerke Straßenmissionierung spielt für die extremistisch-salafistische Szene kaum noch eine Rolle. Die lange Zeit szeneprägenden Aktivitäten der extremistisch-salafistischen Szene im Zusammenhang mit der Straßenmissionierung sind bereits seit dem Jahr 2017 kaum mehr wahrnehmbar. Ausschlaggebend hierfür war das bundesweite Verbot der Missionierungskampagne "Lies!" Ende des Jahres 2016. Obgleich wiederholt Bestrebungen der extremistisch-salafistischen Szene NRWs bekannt wurden, im Bereich der sogenannten street-da'wa (Missionierung auf der Straße) Kampagnen zu starten, wurden vor dem Hintergrund der andauernden pandemischen Lage bislang kaum entsprechende Aktivitäten festgestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich mittelbis langfristig neue, öffentlich tätige Netzwerke in Nordrhein-Westfalen bilden oder aus anderen Bundesländern heraus ihre Aktivitäten in NRW entfalten werden. Neben anderen Netzwerken sind im Raum Aachen/Düren auch lokale Netzwerke bekannt geworden, die aufgrund der grenznahen Lage zu Belgien und den Niederlanden über Kontakte in die dortige Salafistenszene verfügen. In diesen Szenen waren in der Vergangenheit radikale Prediger aus Aachen, Belgien und den Niederlanden aktiv. Die erwähnten lokalen Netzwerke waren im Herbst 2021 Gegenstand polizeilicher Durchsuchungsmaßnahmen. Hilfsorganisationen Innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene sind Hilfsorganisationen ein sehr verbreitetes Aktionsfeld. Regional und deutschlandweit werden erhebliche Geldbeträge gesammelt. Hilfsorganisationen der extremistisch-salafistischen Szene stellen dabei nicht die IdeoIslamIsmus 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 logie in den Vordergrund, sondern die Hilfe für Notleidende. So sprechen sie nicht nur Menschen innerhalb der Szene, sondern auch Spender aus dem muslimisch geprägten Teil der Gesellschaft an, die keine Bezüge zum Extremismus aufweisen. Crowdfunding-Plattformen, ausländische Fintech-Banken, Micropayment-Anbieter, Hawala-Banking und Transaktionen mit Kryptowährung sind Wege, auf denen die Spendensammlung und Weiterleitung stattfinden. Die Sicherheitsbehörden stehen hier vor der Herausforderung, diese Geldbewegungen nachzuvollziehen, was nicht immer belegbar möglich ist. Es bestehen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass Gelder zweckentfremdet an islamistische Gruppierungen im Ausland fließen. Spenden werden vor allem über das Internet und die sozialen Medien gesammelt. Anders als in der Vergangenheit findet die Spendensammlung nicht mehr auf öffentlichen Veranstaltungen, bei denen bekannte salafistische Prediger auftreten, oder an Infoständen in Fußgängerzonen statt. Die Hilfsorganisationen achten bei ihren öffentlichen Auftritten zudem sehr darauf, ihren extremistischen Kern nicht deutlich werden zu lassen. Vielmehr stellen sie das humanitäre Engagement in den Vordergrund, das für sich genommen auch keiner Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden unterliegt. Seit Mai 2021 sind der Verein Ansaar International e.V. und seine Teilorganisationen mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern, für Heimat und Bau vereinsrechtlich verboten, da Ansaar gegen den Gedanken der Völkerverständigung und die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen hat. Der Verein Ansaar International e. V. wurde 2012 als Ansaar Düsseldorf e. V. gegründet und entwickelte sich nach seiner Umbenennung im Jahr 2014 in Ansaar International e. V. zur bundesweit größten Hilfsorganisation der extremistisch-salafistischen Szene. Ansaar nahm zuvor für sich in Anspruch, humanitäre Hilfe primär für Muslime weltweit zu leisten. In der Spitze hat der Verein bis zur Umsetzung des Vereinsverbots eigenen Angaben zufolge mehr als 100 Projekte in über 50 Ländern betreut. Zu den am stärksten geförderten Ländern gehörten Syrien, Somalia, Ghana und die Palästinensischen Gebiete, hier insbesondere der Gaza-Streifen. Logo des verbotenen Vereins Ansaar International e. V. 214 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit konnte der ehemalige Verein kaum mehr eigene Bankkonten in Deutschland eröffnen. Vor diesem Hintergrund gründete er Untervereine, deren Vorstand aus Personen bestand, die Ansaar zugeordnet werden konnten. Es wurden vielfach Spendenkonten angegeben, die für die Banken nicht als solche von Ansaar zu erkennen waren. Beispiele hierfür sind unter anderem Aktion Ansar Deutschland, Frauenrechte ANS.Justice sowie Better World Appeal. Darüber hinaus wurden auch kleinere Vereine übernommen, um über deren Konten Spendengelder zu generieren. Beispiele hierfür sind WWR-Help e.V. und das Somalische Komitee. Alle in der vorhergehenden Aufzählung genannten Vereine sind gleichzeitig mit Ansaar verboten worden. Darüber hinaus wurden Sammelstellen des Vereins eröffnet, die sich über ganz Deutschland verteilten. An diesen Standorten konnten Bargelder und oft auch Altkleider abgegeben werden. In der Spitze wies Ansaar mehr als 20 Standorte auf. Neben dem Spendensammeln betrieb Ansaar bis zum Vereinsverbot ein Ladengeschäft ("ummashop"), zwischenzeitlich ein Restaurant, ein Reiseunternehmen (Hadschund Umrah-Reisen) sowie ein Ladenlokal für Second-Hand-Kleidung. Auch nach der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW bestanden die Verknüpfungen in die extremistisch-salafistische Szene fort, wenngleich öffentliche Äußerungen des ehemaligen Vereins eine Abkehr von Bezügen in die extremistisch-salafistische Szene suggerieren sollten. Nicht nur mit Einzelpersonen aus dem salafistischen Spektrum hat Ansaar im Laufe der Zeit kooperiert, sondern auch mit entsprechend eingestuften Organisationen. So erhielt Ansaar im Zuge der gegen sie laufenden Maßnahmen Unterstützung von den salafistischen Netzwerken "Islamischer Zentralrat Schweiz" (IZRS) und der "Föderalen Islamischen Union" (FIU). Seit der Umsetzung des Verbots sammelt Ansaar zumindest offiziell keine Spenden mehr in Deutschland. Allerdings ist der türkische Ableger namens AYDA nach wie vor aktiv und sammelt weiterhin Gelder für Projekte, die in der Vergangenheit Ansaar zuzuordnen waren. Die Hilfsorganisation Blue Springs LTD (ehemals Afrikabrunnen e.V.) stellte sich zu Beginn als rein humanitäre Hilfsorganisation innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene dar. Lange Zeit widmete sie sich vorrangig der Aufbauhilfe, bei der es nach eigenen Angaben vor allem um die Sicherung der Grundversorgung mit Wasser IslamIsmus 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 in Afrika durch den Bau von Brunnen ging. Bei der Brunnenfinanzierung bietet Blue Springs eine Namenspatenschaft an, die die tatsächliche geleistete Hilfe belegen und eine persönliche Nähe symbolisieren soll. Darüber hinaus widmete sich Blue Springs in den letzten Jahren Hilfsprojekten in Syrien. Ein weiteres Aktionsfeld besteht in der Missionierung in Form von Koranverteilungen in Schulen und Dörfern auf dem afrikanischen Kontinent. Unter der Schirmherrschaft von Blue Springs werben vermehrt Partnerorganisationen und digitale Spendenteams mit eigenem Namen und Logo um Spendengelder. Die Spendensammler sollen im Anschluss Provisionszahlungen von Blue Springs erhalten. Aufgebaut wie ein Schneeballsystem, versucht Blue Springs durch stetigen Mitarbeiterzuwachs den Kreis an Spendern zu vergrößern, wodurch sich ein diffuses und heterogenes Gesamtbild an Spendenteams ergibt. Eine stringente und transparente Außendarstellung der tatsächlichen Organisationsstruktur von Blue Springs lässt sich nicht feststellen. Entgegen der eigenen Darstellung setzt Blue Springs die Brunnenprojekte nicht vollständig in Eigenregie um, sondern bedient sich der Expertise ortsansässiger Firmen und unterhält ein Netz von Suborganisationen. Die Hauptorganisation Blue Springs tritt mittlerweile in den sozialen Netzwerken nicht mehr unter eigenem Namen auf. Die Spendenkampagnen werden seit dem Ramadan im Jahr 2021 (April bis Mai 2021) über die Suborganisationen und die Webseite der Organisation abgewickelt. Blue Springs ist bei der Werbung und Spendengewinnung hoch professionell. Der Verein nutzt soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, YouTube, Twitch, Twitter, Tiktok und Telegram intensiv und verbreitet darüber eine große Zahl an Spendenaufrufen. Einige der Hauptprotagonisten halten sich derzeit im Ausland auf. Sie verfügen aber über ein breites Netzwerk in den sozialen Medien und pflegen Kontakte in die extremistisch-salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen. Die Kombination aus humanitärer Hilfe, professioneller mehrsprachiger Werbung sowie der Unterstützung durch Influencer unter anderem aus der Rap-, Beautyoder Kampfsportszene, sorgen für eine hohe Attraktivität und Reichweite bei jungen Menschen. Die internationalen Verbindungen sorgen für zusätzliche Reichweite. Darüber hinaus bewirbt man die eigene humanitäre Hilfe mit dem Versprechen, dass sie als "Gute Tat" auch im Jenseits belohnt würde. 216 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Entgrenzung in die Gesellschaft Blue Springs besetzt humanitäre Themen, die breite gesellschaftliche Zustimmung erfahren. Dementsprechend sind nicht alle Spendensammler, die für Blue Springs tätig sind, der extremistisch-salafistischen Szene zuzuordnen. Bei den Unterstützern sind auch finanzielle, religiöse und humanitäre Motive anzunehmen. Dadurch lässt sich eine Entgrenzung in die Mehrheitsgesellschaft hinein beobachten. Auch wenn salafistische Inhalte für Außenstehende nicht immer sofort erkennbar sind, zählt die Unterstützung durch bekannte Prediger aus dem salafistischen Spektrum zur Werbemasche. Somit ist Blue Springs als fester Bestandteil der extremistisch-salafistischen Szene mit strukturellen und personellen Schnittmengen zu anderen salafistischen Akteuren in Nordrhein-Westfalen zu bewerten. Insgesamt lässt sich unter den zentralen Funktionsträgern eine ideologische Nähe zum islamistischen Terrorismus feststellen. So zeigen Anhänger von Blue Springs zum Teil offen ihre Sympathie für den bewaffneten Widerstand islamistischer Rebellen gegen die syrische Regierung beziehungsweise den Präsidenten Bashar al-Assad. Auch verschwörungsmythische und antisemitische Stereotype werden innerhalb der Organisationsstruktur von Blue Springs verbreitet. Die propagierten Feindbilder umfassen eine vermeintlich jüdische Weltverschwörung und kolportieren einen Israel zugeschriebenen Staatsterrorismus gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Verbreitet werden außerdem Verschwörungsmythen und die Ablehnung staatLogo der Organisation Blue licher Maßnahmen im Zusammenhang mit der CoroSprings na-Pandemie. Gefangenenhilfe Innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene stellt die Gefangenenhilfe ein wesentliches Element dar. Sie umfasst neben der Prozessbeobachtung vor allem Aktivitäten in den sozialen Medien. Dazu gehören Solidaritätsaufrufe und Spendensammlungen für Szeneangehörige in Deutschland und Nordrhein-Westfalen ebenso wie für - vor allem weibliche - Jihadreisende, die in den Gefangenenlagern Roj und alHol in Nord-Syrien inhaftiert sind. IslamIsmus 217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Dadurch findet eine Solidarisierung mit international tätigen Aktivisten in den sozialen Medien statt. Sie sammeln Geld, um inhaftierte Personen in den Lagern Roj und al-Hol zu unterstützen und deren Schleusung in die Türkei zu ermöglichen. Um die extremistisch-salafistischen Inhaftierten in Deutschland weiterhin an die Szene zu binden, wird dazu aufgerufen, den Briefverkehr mit diesen Inhaftierten aufrecht zu erhalten. Vor allem im Zusammenhang mit den Rückkehrenden aus jihadistischen Kampfgebieten nach dem militärischen Niedergang des sogenannten Islamischen Staates und im Zuge zahlreicher Verbotsmaßnahmen und damit einhergehender Verdrängungseffekte innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene hat die Gefangenenhilfe in den vergangenen Jahren entscheidend an Bedeutung gewonnen. Neben den Missionierungsaktivitäten und Hilfsnetzwerken stellt die Gefangenenhilfe damit ein weiteres zentrales Themenfeld im salafistischen Spektrum dar. Vor allem durch die Verbreitung von Opfernarrativen und das Propagieren von Feindbildern werden Szeneangehörige gebunden und neue Szeneanhänger angesprochen. Die salafistische Gefangenenhilfe betreut eine Vielzahl an Personen, die angeklagt oder bereits verurteilt sind. Dazu gehören in Nordrhein-Westfalen das Netzwerk um Bernhard Falk sowie die Vereinigung Al Asraa - Die Gefangenen. Bernhard Falk ist seit Jahren im Bereich der Gefangenenhilfe präsent. Falk ist ein ehemaliger zum Islam konvertierter Linksterrorist, der sich selbst als Muntasir billah (deutsch: "siegreich durch Gott") bezeichnet. Der sprachliche Duktus seiner Videobotschaften spiegelt noch immer seine ursprüngliche Zugehörigkeit zur linksextremistischen Szene wider. So bezeichnet er die in Haft befindlichen Personen der extremistisch-salafistischen Szene als "politische muslimische Gefangene der BRD". Falk nimmt bundesweit als selbsternannter Prozessbeobachter an Gerichtsverhandlungen teil und sucht Personen in Justizvollzugsanstalten auf. Da Falk zu Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen in der Regel keinen Zugang mehr erhält, werden diese Besuche teilweise von Personen aus seinem Umfeld, die ihn unterstützen, übernommen. In Internetbeiträgen ruft Falk immer wieder zu Solidaritätsbekundungen und zur Teilnahme an Gerichtsprozessen auf. In seinen Videos stellt er Zeugen, Staatsanwälte, Richter, Pflichtverteidiger und Ermittlungsbehörden bloß. So versucht er dem Resozialisierungscharakter der Haft entgegenzuwirken. Die Betreuten sollen in der extremistisch-salafistischen Ideologie verankert und weiter an die Szene gebunden werden. 218 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Durch seine umfangreichen Aktivitäten hat Falk seine Reputation bei anderen Akteuren im Bereich der salafistischen Gefangenenhilfe ausbauen können. Dies führte sogar so weit, dass er selbst finanziell unterstützt wurde. Obwohl er in der Szene durch sein Auftreten und seine offenen Sympathiebekundungen für Al-Qaida in der Vergangenheit stark polarisierte, überwiegt das gemeinsame Ziel, Gefangene zu betreuen, die persönlichen Befindlichkeiten einzelner Personen. Aufgrund seines Ansehens innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene ist davon auszugehen, dass er auch zukünftig die Rolle eines Mentors einnehmen wird. Die Vereinigung Al Asraa - Die Gefangenen hat sich auf die Betreuung von inhaftierten Muslimen und deren Angehörigen spezialisiert. Sie wurde im Jahr 2015 erstmals in sozialen Netzwerken aktiv. Bei dieser Vereinigung handelt es sich um eine Organisation, die sowohl aufgrund der Themensetzung als auch im Erscheinungsbild stark der Gefangenenhilfe Ansarul Aseer ähnelt, die im Zuge des Vereinsverbotsverfahrens zu Tauhid Germany im Jahre 2015 verboten wurde. Seit dem Sommer 2020 sind die Aktivitäten von Al Asraa stark rückläufig. Die Vereinigung scheint sich in einem Auflösungsprozess zu befinden. Islamistische nordkaukasische Szene (INS) 2007 von dem tschetschenischen Untergrundführer Dokku Umarov ausgerufen, verfolgt das Kaukasische Emirat das Ziel, die russische Armee mit Gewalt zum Rückzug aus Tschetschenien zu zwingen und im Nordkaukasus einen islamischen Staat zu errichten. Dies geschieht auch durch terroristische Aktivitäten. Deutschland dient den Anhängern der INS vorrangig zur Akquirierung finanzieller und logistischer Unterstützung. Einhergehend mit dem Zerfall der Strukturen des Kaukasischen Emirats seit dem Jahr 2015 schlossen sich zahlreiche Emire (Anführer) dem sogenannten Islamischen Staat (IS) an. Damit ist eine spürbare Hinwendung zu global-jihadistischen Organisationen (insbesondere zum sogenannten IS) zu beobachten. Eine äußerst heterogene Szene in Deutschland betreibt in Nordrhein-Westfalen Propaganda für die Bewegung im Nordkaukasus. Feste Strukturen sind nicht erkennbar, jedoch sind einzelne herausragende Persönlichkeiten in überregionalen Zusammenhängen aktiv. Die Orientierung der Anhänger der islamistisch nordkaukasischen Szene in NRW zum Salafismus ist deutlich erkennbar. IslamIsmus 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Einhergehend mit dem Machtverlust und dem Zerfall der Strukturen des sogenannten Islamischen Staates haben die Ausreisen von Tschetschenen aus Nordrhein-Westfalen in die jihadistischen Kampfgebiete seit 2016 deutlich abgenommen. Gegenwärtig ist keine neue Ausreisewelle erkennbar. Mit einem Anwachsen der tschetschenischen Diaspora in Deutschland ist jedoch zu rechnen. Aufgrund von Gewalterfahrungen in ihrer Heimatregion besteht von Teilen dieser Szene ein erhöhtes Radikalisierungspotenzial. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die extremistisch-salafistische Szene hat sich trotz der Einschränkungen aufgrund der Pandemiebestimmungen und der Verdrängungseffekte durch Verbotsmaßnahmen angepasst und ihre Aktivitäten in den sozialen Medien weiter verstärkt. Die Szene nutzt dabei vor allem Instagram und Telegram. Die Anzahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen stieg bis 2020 auf 3.200 Personen. Seitdem konsolidierte sich die Zahl der Szeneanhänger auf diesem Niveau. Die Szene ist weiterhin äußerst heterogen. Es bestehen sowohl verschiedene lokale Netzwerke als auch solche mit überregionalen Verbindungen sowie Frauen-Gruppen, die aufgrund des innerhalb der Szene propagierten binären Rollenbildes eine eigenständige und bedeutende Rolle spielen. Außerdem gibt es Netzwerke, in denen Personen mit einem bestimmten Migrationshintergrund überwiegen - beispielsweise aus Tschetschenien oder Tadschikistan. Konvertiten spielen in der Szene nach wie vor eine wichtige Rolle. Salafistische Propaganda und Anwerbung findet hauptsächlich in den sozialen Medien statt. Dadurch radikalisieren sich weiterhin Einzelpersonen und Personengruppen. Die abstrakte Gefahr von Anschlägen bleibt bestehen. Schließlich stellen Rückkehrende aus jihadistischen Kampfgebieten ein erhebliches Gefahrenmoment dar. Sie sind zum Teil an Waffen ausgebildet und kampferfahren, und einige haben die gewaltbereite jihadistische Ideologie verinnerlicht und verachten die westliche Lebensweise zutiefst. Jihad-Rückkehrerinnen und -Rückkehrer werden wie auch andere jihadistische Straftäter und Straftäterinnen strafrechtlich verfolgt, und manche von ihnen kommen in Haft. Deshalb ist es sinnvoll, die Rückkehr oder die Haft als Ansatz für Maßnahmen zur Deradikalisierung dieser Personen zu nutzen. Solche 220 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Deradikalisierungen sind der Gegenpart der salafistischen Gefangenenhilfe und verringern das Gefahrenmoment nach einer Haftentlassung. Hinzu kommt, dass einzelne inhaftierte Salafisten versuchen, ihre Ideologie an Mithäftlinge weiterzugeben, die zuvor nicht zur Szene gehörten. Auch dies gilt es aufzudecken und geeignete Maßnahmen zur Eingrenzung der potenziellen Gefahr unter den Behörden abzustimmen. Der extremistische Salafismus ist immer noch eine attraktive Ideologie für manche Jugendliche und junge Erwachsene. Trotz der Umsetzung einer Vielzahl staatlicher Maßnahmen und damit einhergehender Verdrängungseffekte ist davon auszugehen, dass die Szene sich immer wieder andere und neue Betätigungsfelder und Verbreitungswege suchen wird. IslamIsmus 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 HAMAS Sitz/Verbreitung Hauptsitz der Vereinsstrukturen in Berlin, Aktivitäten auch in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern Gründung/Bestehen seit 1987 Struktur/ Repräsentanz Wichtigste Organisation für die Anhänger der HAMAS in Deutschland ist die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD). In NRW weist darüber hinaus der Spendenverein Die Barmherzigen Hände mit Sitz in Essen Bezüge zur HAMAS auf. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 175/ (Teilmenge der MB) Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Englischund arabischsprachiges Web-Angebot der HAMAS-Kernorganisation; arabischund teilweise deutschsprachige Veröffentlichungen der PGD in sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Die sunnitische HAMAS (arabisches Akronym für "Bewegung des islamischen Widerstandes") hat sich aus dem palästinensischen Teil der Muslimbruderschaft entwickelt und ist seit Beginn der ersten Intifada im Jahr 1987 aktiv. Das vorrangige politische Ziel der HAMAS ist die von ihr so benannte Befreiung Gesamtpalästinas und damit die Auflösung Israels als eigenständiger Staat. Im Jahr 2017 veröffentlichte die HAMAS ein neues Grundsatzdokument. Es stellt jedoch keine wesentliche Abweichung gegenüber der ursprünglichen HAMAS-Charta von 1987 dar. Die Organisation zeigt sich in dem neu verfassten Dokument einerseits grundsätzlich dazu bereit, einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 hinzunehmen. 222 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ihr Widerstand richte sich nicht gegen die jüdische Religion, sondern ausschließlich gegen den Staat Israel. Gleichzeitig wird jedoch an einer vollkommenen Befreiung Palästinas vom "Jordan bis zum Mittelmeer" und am bewaffneten Widerstand festgehalten, wobei der "zionistischen Entität" jegliche Anerkennung zu verweigern sei. Das Existenzrecht Israels wird damit nach wie vor negiert, auch wenn moderate HAMAS-Politiker dies in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen bei Verhandlungen in Aussicht stellten. Die HAMAS befindet sich mitsamt ihrer militärischen Suborganisation, den Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden, auf der durch den Rat der Europäischen Union erstellten EU-Terrorliste und unterliegt damit entsprechenden Sanktionen. Finanzierung In Deutschland: Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die HAMAS ist eine terroristische Organisation. Neben ihrem paramilitärischen Arm, den Izz ad-Din Al-Qassam-Brigaden, verfügt sie über eine Partei, ein soziales Hilfswerk und religiöse Organisationen. Sie ist für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Gebiet verantwortlich. Die Feindschaft gegenüber Israel wird begleitet von einem virulenten Antisemitismus, der auch in der Charta der HAMAS deutlich zum Ausdruck kommt. Als weiteres Ziel verfolgt die HAMAS die Errichtung eines "islamischen Staates", der auf der extremistischen Ideologie der Muslimbruderschaft beruht. Diese Ideologie steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die terroristischen Aktivitäten gegen Israel gefährden auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und die antisemitische Einstellung richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker. Die HAMAS unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. IslamIsmus 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Prägendes Ereignis war für die HAMAS im Jahr 2021 der Israel-Gaza-Konflikt, der am 10. Mai 2021 begann und mit einer Waffenruhe am 21. Mai 2021 endete. Aktueller Anlass der Gewalteskalation war insbesondere der Konflikt um das Jerusalemer Stadtviertel Scheich Jarrah sowie Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg. In Scheich Jarrah standen Anfang Mai 2021 palästinensische Bewohner vor der Zwangsräumung ihrer Häuser. Infolgedessen kam es nicht nur in Scheich Jarrah, sondern auch auf dem Tempelberg vor der Al-Aqsa Moschee zu Demonstrationen und gewaltsamen Zusammenstößen. Die HAMAS sah in den Vorkommnissen die Möglichkeit, sich als Schutzmacht der Palästinenser darzustellen. Sie setzte der israelischen Regierung ein Ultimatum, nach dessen Ablauf sie zusammen mit dem Palästinensischen Islamischen Jihad am 10. Mai 2021 mit einem umfangreichen Raketenbeschuss auf Israel begann. In dem kurzen Zeitraum des Konflikts wurden mehr als 4.000 Raketen aus dem Gaza-Streifen auf israelisches Territorium abgefeuert. Die israelischen Streitkräfte reagierten ihrerseits mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen. Die emotional aufgeladene Situation sorgte auch in Deutschland für Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen. Bei mehreren Demonstrationen im Zusammenhang mit dem eskalierenden Nahostkonflikt kam es auch in Nordrhein-Westfalen zu israelfeindlichen und antisemitischen Ausrufen und Straftaten, die die Schwelle des legitimen Protests überschritten. Bundesweites Aufsehen erregte eine antisemitische Spontankundgebung in Gelsenkirchen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versuchten, vor die dortige Synagoge zu ziehen. Dies konnte verhindert werden. Die daran beteiligten Personen sind nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes nicht in Strukturen der HAMAS involviert. Die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland ruft auf Facebook zur Teilnahme Die HAMAS-nahe Palästinensische Gemeinan einer "solidarischen Kundgebung für Jerusalem, Al-Aqsa und SheikhJarrah" in Dortschaft in Deutschland (PGD) beteiligte sich mund auf am Demonstrationsgeschehen und rief etwa zu 224 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 einer am 11. Mai 2021 in Dortmund abgehaltenen "solidarischen Kundgebung für Jerusalem, Al-Aqsa und Scheikh Jarrah" auf. Während bei Kundgebungen der PGD in der Regel nicht viele Personen teilnehmen, konnte in der emotional aufgeladenen Situation nun ein weitaus größerer Personenkreis erreicht werden. Die durch die PGD organisierte Veranstaltung in Dortmund verlief weitgehend störungsfrei. Auch bei Demonstrationen, die nicht im Namen der PGD angemeldet wurden, waren Funktionäre der PGD anwesend und teilweise organisatorisch eingebunden. Dabei verhielten sie sich betont zurückhaltend, sodass von ihrer Seite keine antisemitischen Aktionen festgestellt wurden. Neben der PGD als wichtigster Organisation ist der in Dortmund gemeldete und mit Hauptsitz in Essen vertretene Spendensammelverein Die Barmherzigen Hände eine weitere Anlaufstelle für Anhänger der HAMAS, die in das Spektrum der Muslimbruderschaft hineinwirkt. Die Barmherzigen Hände entfalten über NRW hinaus Aktivitäten und verfügen seit neuestem auch über eine Niederlassung in Berlin. Bewertung, Tendenzen, Ausblick HAMAS-Sympathisanten versuchen grundsätzlich ihr Kernanliegen - die finanzielle Unterstützung der Mutterorganisation in Gaza - weiterhin im Verborgenen zu verfolgen. Die diplomatischen Initiativen in verschiedenen arabischen Staaten haben zu einer Annäherung an Israel geführt und ließen die bisher weitgehend geschlossene Front der Ablehnung bröckeln. Dies hat unter HAMAS-Anhängern für erhebliche Frustration gesorgt. Sie lehnen diese Entwicklung vehement ab und bekämpfen sie propagandistisch. Auf der anderen Seite ergeben sich durch Kooperationsmöglichkeiten mit Akteuren außerhalb der eigentlichen HAMAS-Szene vereinzelt neue Aktionsfelder. Beispiel hierfür ist die Israel-Boykottbewegung. Diese ist zwar nicht durch HAMAS-Anhänger gesteuert, könnte aber perspektivisch als Möglichkeit genutzt werden, die Feindschaft gegenüber dem israelischen Staat im gesellschaftlich tolerierten Rahmen auszuleben. IslamIsmus 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz/Verbreitung Mutterorganisation im Libanon, sympathisierende religiöse Vereine in der libanesischen Diaspora, darunter auch im Bundesgebiet Gründung/Bestehen seit 1982 Struktur/ Repräsentanz Die Anhänger in Deutschland treffen sich in den örtlichen Moscheevereinen. Deren Satzungen und Aktivitäten lassen nach außen keinen Hizb Allah-Bezug erkennen. Es gibt keinen Dachverband. Seit über 20 Jahren ist die "Fatime Versammlung e.V." beziehungsweise das Imam-Mahdi-Zentrum in Münster eine Plattform und Begegnungsstätte für Hizb Allah-Anhänger in Nordrhein-Westfalen und im Westen Deutschlands. Bezüge zur Hizb Allah sind auch für die Gemeinschaft libanesischer Emigranten e.V. in Dortmund (Ahl al-BaitZentrum), die Gemeinschaft Libanesischer Emigranten e.V. in Bottrop (Imam Rida-Zentrum), sowie den Almahdy Kulturverein e.V. in Bad Oeynhausen nachweisbar. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 350/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Mehrsprachiges Web-Angebot Kurzporträt/Ziele Die schiitische islamistische Organisation Hizb Allah bildete sich 1982 als Reaktion auf den Einmarsch israelischer Truppen im Libanon. Die Organisation profitierte dabei vor allem von der iranischen Intervention während des libanesischen Bürgerkriegs. 226 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Sie verfügt über einen (para-)militärischen, einen karitativen und einen politischen Zweig. An ihrer Spitze steht der Generalsekretär und Oberbefehlshaber Hassan Nasrallah, der als eine wichtige Identifikationsfigur gilt. Die Hizb Allah ist seit Anfang der 1990er-Jahre im libanesischen Parlament und der Politik vertreten und immer wieder auch an Regierungen beteiligt. In einigen Teilen des Libanon (Nordosten und Südlibanon) beherrscht sie das gesamte öffentliche Leben und verfügt über staatsähnliche Strukturen. Mit ihren wohltätigen Einrichtungen sowie ihren legalen und illegalen Strukturen ist sie ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft des Libanon. Militärisch verfügt die Hizb Allah über eine schlagkräftige Truppe, die zu Kampfeinsätzen fähig ist. Der militärische Zweig kooperiert dabei eng mit den iranischen Streitkräften für Auslandseinsätze, der sogenannten Quds Force. Die Organisation bestreitet offen das Existenzrecht des Staates Israel. Sie wird für Anschläge oder entsprechende Vorbereitungsaktivitäten, insbesondere gegen israelische und jüdische Ziele, verantwortlich gemacht (unter anderem 1992 und 1994 in Buenos Aires, 1992 im Berliner Restaurant Mykonos, 2012 in Burgas). Für Israel ist die Hizb Allah mit ihren militärischen und terroristischen Möglichkeiten eine permanente Bedrohung, die sich immer wieder in gewaltsamen Angriffen manifestiert. Deutschland stellt für die Organisation einen Rückzugsraum dar, der für logistische Unterstützungsleistungen genutzt wird. Finanzierung Spenden der Anhänger, mutmaßlich Erlöse aus kriminellen Aktivitäten, im Libanon finanzielle Zuwendungen aus Iran. IslamIsmus 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Das Eintreten der Hizb Allah für die Ideologie der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" (wilayat al-faqih) widerspricht dem Prinzip der Volkssouveränität. Sie ist demnach eine Bestrebung, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Ihre Agitation gegen den Staat Israel und die damit einhergehenden antisemitischen Positionen laufen dem Gedanken der Völkerverständigung zuwider. Bei der Hizb Allah handelt sich darüber hinaus um eine international agierende terroristische Organisation, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Rechtsgrundlage für die Bearbeitung der Hizb Allah durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz sind demnach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 VSG NRW. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Hizb Allah zeichnete sich durch verschiedene Aktivitäten im Berichtsjahr aus: Entwicklungen im Libanon Im Zuge der erneuten Eskalation des Nahostkonflikts im Mai verhielt sich die Hizb Allah im Libanon eher zurückhaltend. Die Spannungen an der libanesisch-israelischen Grenze nahmen im August 2021 wieder zu, als es mehrfach zum Beschuss mit Raketen kam und Israel mit Luftangriffen reagierte. Die Hizb Allah übernahm die Verantwortung für die Attacken. Damit unterstrich sie ihre grundsätzliche Bereitschaft, militärische Mittel einzusetzen. Auch im Jahr 2021 befand sich der Libanon politisch und ökonomisch in einer schwierigen Lage. Ein Versuch zur Regierungsbildung scheiterte nach neun Monaten im Sommer, so dass der designierte Ministerpräsident zurücktrat. Daraufhin wurde der Geschäftsmann Nadschib Miqati im Juli zum neuen Ministerpräsidenten des Libanon ernannt, der im September eine neue Regierung vorstellte. Dieser gehören auch wieder zwei von der Hizb Allah vorgeschlagene Minister an. Noch problematischer war die desolate wirtschaftliche Lage des Libanon. Die durch Inflation und Devisenmangel verursachte Treibstoffknappheit hatte den Verkehr erheb228 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 lich beeinträchtigt und zu dramatischen Ausfällen in der Stromversorgung geführt. Die Hizb Allah versuchte, aus der Krise propagandistisches Kapital zu schlagen. Sie kündigte Treibstofflieferungen ihres ideologischen Verbündeten Iran an, die jedoch aktuellen Sanktionsmaßnahmen zuwiderlaufen. Die Tankschiffe liefen einen Hafen in Syrien an, wo der Treibstoff in Lastkraftwagen umgeladen und in den Libanon gebracht wurde. Hier kam es zum Verkauf durch eine der Hizb Allah nahestehende Firma. Dadurch sollte offensichtlich die Reputation der Organisation im Libanon gesteigert werden. Dennoch gab es Protest gegen die Hizb Allah innerhalb des Libanon, der im Einzelfall auch gewaltsam ausfallen konnte. Anlass dafür war insbesondere die juristische Aufarbeitung der Explosionskatastrophe im Beiruter Hafen im Jahr 2020. Die Hizb Allah betrachtet diese Untersuchung kritisch, weil sie offenbar befürchtet, dass dabei eine Verantwortung der eigenen Organisation festgestellt werden könnte. Als Hizb AllahAnhänger in Beirut gegen den verantwortlichen Richter demonstrierten, eröffneten Unbekannte das Feuer und töteten mehre Menschen. Die Hizb Allah machte eine christliche Miliz für den Angriff verantwortlich. Dies erhöhte die Furcht vor einem erneuten Bürgerkrieg. Verbot von WKP Nachfolgeorganisationen Am 19. Mai 2021 hat das Bundesinnenministerium drei Vereine verboten, die in Deutschland als Ersatzorganisationen für den bereits 2014 verbotenen Verein Waisenkinderprojekt Libanon (WKP) agiert hatten. Das Verbot der Vereine "Deutsche Libanesische Familie", "Gib Frieden" und "Menschen für Menschen" ging mit Durchsuchungen in sieben Bundesländern einher, darunter auch in Nordrhein-Westfalen. Der Verein WKP war 2014 verboten worden, da er Spendengelder für die libanesische Schahid-Stiftung gesammelt und Patenschaften für "Märtyrer-Familien" der Hizb Allah vermittelt hatte. Damit sollte der Kampf der Hizb Allah gegen Israel gefördert werden. Dies verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Veranstaltungen im schiitischen Islamismus Am Todestag Qasem Soleimanis gedachten auch Hizb Allah-Anhänger in NRW des Anfang 2020 durch die USA getöteten iranischen Generals. Er gilt als neue Symbolfigur für den militärischen Charakter eines politisierten schiitischen Aktivismus. Sein Bild wird von Anhängern seitdem regelmäßig als Beleg für ihre Treue zur sogenannten "Achse des Widerstands" präsentiert. IslamIsmus 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zum jährlichen al-Quds-Tag verbreiten Hizb Allah-Anhänger zum Gedenken an den iranischen General Qasem Soleimani eine Darstellung auf YouTube Zum jährlichen al-Quds-Tag, einem Gedenktag, der an die von Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 geforderte "Befreiung Jerusalems" erinnert, fanden in Deutschland seit Mitte der 1990er-Jahre Demonstrationen statt. Daran beteiligten sich auch Hizb AllahAnhänger. Die Aufmärsche anlässlich dieses Festes waren stets israelfeindlich. In den Jahren 2020 und 2021 wurde wegen der Corona-Pandemie auf die große al-Quds-Tag-Demonstration in Berlin verzichtet. Stattdessen wurde eine Online-Veranstaltung durchgeführt. Auch hier wurden wieder einschlägige Narrative bedient. Bei den Demonstrationen in Deutschland, die in Folge des Nahostkonflikts im Mai 2021 stattfanden, agierten Anhänger der Hizb Allah eher zurückhaltend und fielen nicht durch besonderen Aktionismus auf. Der jährliche al-Quds-Tag fand 2021 online statt 230 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Deutschland stellt für die Hizb Allah weiterhin einen Rückzugsraum dar, der für logistische Unterstützungsleistungen wie die Beschaffung von Finanzen und die Propagandaarbeit genutzt wird. Das Verbot der drei Hizb Allah-nahen Vereine im Mai 2021 zeigt, dass die finanzielle Förderung der Mutterorganisation nach wie vor ein zentrales Anliegen ist und durch die Sicherheitsbehörden unterbunden werden muss. Bereits seit einigen Jahren ist der Trend erkennbar, dass Hizb Allah-Anhänger in Deutschland zunehmend vorsichtiger agieren. Anlass dafür dürfte insbesondere ein wachsendes Bewusstsein für die Problematik der Organisation in Gesellschaft und Politik sein. Waren die Unterstützer der Hizb Allah vor einiger Zeit noch offen mit entsprechenden Fahnen beim al-Quds-Tag präsent, so traten sie zuletzt deutlich zurückhaltender auf. Spätestens seit dem Betätigungsverbot im Jahr 2020 ist die Szene insgesamt durch eine neue Vorsicht geprägt, die sich mittlerweile auch auf die zugehörigen libanesisch geprägten Moscheevereine auswirkt. Dort ist man bemüht, politische Inhalte weitestgehend zu vermeiden und sich einzig als religiöser Dienstleister darzustellen. Die Absagen des al-Quds-Tages und die Zurückhaltung während der Demonstrationen aus Anlass des Nahostkonflikts im Mai dürften auch auf diese Entwicklung zurückzuführen sein. Dass die mangelnden Möglichkeiten zur politischen Mobilisierung auch mit einer Entideologisierung einhergehen, ist gegenwärtig aber nicht erkennbar. Die Vermittlung entsprechender Inhalte ist zwar schwieriger geworden, erfolgt aber immer noch über eingespielte Instrumente, die weniger stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Die Beobachtung der hiesigen Hizb Allah-Strukturen ist deshalb weiterhin eine dringliche Aufgabe der verantwortlichen Sicherheitsbehörden. IslamIsmus 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Hizb ut Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) Sitz/Verbreitung Keine offizielle Vertretung in Deutschland, regionale Schwerpunkte der Anhänger in Nordrhein-Westfalen sind Dortmund, Duisburg, Essen und Münster. Gründung/Bestehen seit 1953 Struktur/ Repräsentanz In der Bundesrepublik Deutschland ist die Hizb ut-Tahrir in verschiedene Regionen aufgeteilt, in denen streng voneinander abgeschottete Kleingruppen (Zellen) existieren, die sich durch ein äußerst konspiratives Verhalten auszeichnen. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 100/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Mehrsprachiges Web-Angebot Kurzporträt/Ziele Die Hizb ut-Tahrir (HuT) wurde 1953 von dem Rechtsgelehrten Scheich Taqi al-Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und palästinensischen Muslimbruderschaft, gegründet. Es handelt sich um eine pan-islamistische Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangige Ziele der Organisation sind die Wiedereinführung des 1924 durch die Republik Türkei abgeschafften Kalifats und die Errichtung eines islamischen Staats unter Führung eines Kalifen. Dieser soll die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns im Kalifat durchsetzen. Säkulare Staatsformen stehen hierzu im Widerspruch und werden bekämpft. Islam und Demokratie sind für die HuT nicht miteinander vereinbar. 232 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zur Durchsetzung ihrer Ziele versucht die HuT vor allem einflussreiche Persönlichkeiten und Akademiker zu rekrutieren, die ihre herausgehobene gesellschaftliche Position zur gezielten Einflussnahme im Sinne der HuT nutzen sollen. In den meisten muslimisch geprägten Ländern ist die HuT verboten. Seit dem 15. Januar 2003 unterliegt die HuT auch in Deutschland einem Betätigungsverbot. Anstelle der HuT agieren in NRW informelle Netzwerke. Diese verbreiten das Narrativ, dass sich die Muslime für die Errichtung des Kalifats einsetzen müssten, da sie sonst von den "Ungläubigen" unterdrückt werden würden. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Das vom Bundesminister des Innern ausgesprochene Betätigungsverbot wurde am 25. Januar 2006 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 19. Juni 2012 die Klage der HuT gegen das Betätigungsverbot für unzulässig erklärt. Der EGMR sah es als erwiesen an, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Sie habe ferner den Sturz von Regierungen in muslimisch geprägten Staaten gefordert. Diese sollten nach Vorstellung der HuT durch ein auf den Regeln der Scharia basierendes Kalifat ersetzt werden, das man allerdings nicht mit Gewalt erkämpfen will. Die HuT kennzeichnet zudem ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden, aber auch Christen, gelten - entgegen der mehrheitlich von islamischen Gelehrten vertretenen Meinung - als Ungläubige. Ihre Lebensform sei abzulehnen. Mit ihnen solle möglichst kein Kontakt gehalten werden, da sie untereinander ein Bündnis eingegangen seien, um den Islam zu zerstören. Aufgrund der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ideologie sowie des Antisemitismus der HuT unterliegt diese nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VSG NRW der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. IslamIsmus 233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Öffentliche Veranstaltungen der HuT sind im Berichtsjahr 2021 nicht durchgeführt worden. Das Betätigungsverbot wurde dahingehend eingehalten. In Nordrhein-Westfalen konnten aber vereinzelt Veranstaltungen aus dem Bereich der HuT in privaten Räumlichkeiten festgestellt werden. Diese Veranstaltungen zeigen die kontinuierlichen Bemühungen, die Vernetzung der Organisation weiter voranzutreiben. Darüber hinaus wurde versucht, das zivildemokratisch-bürgerliche Spektrum gezielt zu beeinflussen, indem in Einzelfällen Demonstrationen dafür missbraucht wurden, um subtil die Position der HuT einzubringen. Dies stellt ein neues Phänomen dar und kann als Entgrenzungserscheinung angesehen werden. Hierdurch möchte man Anschluss an die bürgerliche Mitte der Gesellschaft finden, um dort um Verständnis und Unterstützung für die eigene Ideologie zu werben. Anlässlich religiöser Festlichkeiten tauchte durch Sympathisanten der HuT in den sozialen Medien immer wieder die Forderung auf, ein Kalifat zu errichten. Diese Forderung steht im klaren Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zielt auf deren Überwindung ab. Im Februar 2021 rief die HuT eine "Errichtet das Kalifat"-Kampagne aus. Verschiedene Ableger der Organisation unterstützten die Kampagne mit dem dafür ausgegebenen Logo in der jeweiligen Landessprache. Das Logo und die Kampagne weisen einen direkten Bezug zur HuT auf und transportieren zugleich das Kernelement der HuT-Ideologie. HuT-Aktivisten begrüßten die Machtübernahme durch die Taliban am 15. August 2021, die ihre Hoffnung auf die Etablierung eines Kalifats auf afghanischem Territorium erhöhte. Sie forderten schon lange den Abzug der internationalen NATO-TrupSympathisanten der HuT fordern in sopen aus Afghanistan. Gleichzeitig wurden säkulare zialen Medien dazu auf, ein Kalifat zu Perspektiven für die politische Zukunft Afghaniserrichten tans vehement abgelehnt und die Einführung der Scharia als Ordnungsund Rechtssystem gefordert. Am 28. Februar 2021 erklärte die Islamische Republik Afghanistan die HuT noch für illegal. Dieses Verbot kann nach der Machtübernahme der Taliban als obsolet angesehen werden. 234 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Verlautbarungen der HuT zur weltweiten Corona-Pandemie betonten insbesondere, dass das Kalifat die Lösung sei, da der Kapitalismus beziehungsweise die westlichen Gesellschaftsordnungen nicht in der Lage seien, adäquat mit einer derartigen Pandemie umzugehen. Pandemiebedingt wurden vereinzelt Online-Veranstaltungen durchgeführt, bei denen Akteure und Sympathisanten der HuT zusammenfanden. Dies stellte angesichts der Corona-Schutzmaßnahmen anscheinend eine geeignete Alternative zu realweltlichen Treffen dar. Vermutlich in Folge der Pandemie ist auch in den sozialen Netzwerken eine erhöhte Aktivität jener Gruppierungen zu beobachten, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Zu nennen sind hier insbesondere die informellen Netzwerke Realität Islam und Generation Islam. Beide agieren im Sinne der Ideologie der HuT, der dies unter ihrem Namen in Deutschland aufgrund des Betätigungsverbots seit 2003 untersagt ist. Dabei werden die sozialen Medien intensiv für die Verbreitung extremistischen Gedankengutes und zur Gewinnung neuer Anhänger genutzt. Entsprechend ihrem Narrativ griffen diese informellen Netzwerke auch das Verbot des salafistisch geprägten Vereins Ansaar International e.V. auf. Die Verantwortlichen von Realität Islam machten hierbei in einer kurzen Stellungnahme darauf aufmerksam, dass das Verbot allen Muslimen gelte, die sich nicht assimilieren lassen wollen. Dabei wurde zur Solidarität mit Ansaar International e.V. in Form von Bittgebeten aufgerufen. Das Verbot solle zum Anlass genommen werden, dass alle Muslime als eine gemeinsame Community "politisch" gegenüber dem Staat "als Block zusammenstehen". Auch Generation Islam rief mittels einer Spendensammelaktion dazu auf, entstehende Anwaltskosten zu übernehmen, mit denen ein Vereinsverbot abgewendet werden sollte. Der Aufruf zeigt die Bereitschaft von Generation Islam, auch andere islamistische Organisationen Anhänger von Realität Islam zeigen Solidarität mit Ansaar International IslamIsmus 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zu unterstützen. Damit soll das Zusammengehörigkeitsgefühl der muslimischen Gemeinschaft gestärkt werden. Diese Reaktionen von Realität Islam und Generation Islam zugunsten der salafistischen Gruppierung Ansaar International e.V. verdeutlichen, dass sie jede Gelegenheit zur Verbreitung ihres Narrativs nutzen und dabei flexibel reagieren, um potentielle neue Anhänger -- auch unter Salafisten -- zu gewinnen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Es ist wahrscheinlich, dass Realität Islam und Generation Islam ihre Aktivitäten fortsetzen und ihr Narrativ einer Verfolgung des Islam und der Muslime in Deutschland weiterhin im Sinne der HuT propagieren werden. So sollen Muslime Anhänger von Generation Islam rufen zu Spenden für Anwaltskosten auf, mit denen ein Vereinsverbot von für das Ziel der Errichtung eines islamiAnsaar International e.V. abgewendet werden sollte schen Kalifats gewonnen werden. Durch das geschickte Aufgreifen von medial präsenten Themen und den Versuch, Anschluss an gesellschaftliche und politische Diskurse wie den Kampf gegen Rassismus zu finden, könnte es der HuT auch weiterhin gelingen, überwiegend junge Muslime an ihre Ideologie heranzuführen. Das Bestreben, Muslime gegen Staat und Gesellschaft aufzubringen, kann langfristig zu einer gesellschaftlichen Spaltung beitragen. Die Abgrenzung von der Gesellschaft und die aggressive Ablehnung der Demokratie als vermeintlich unislamischem System sind auch zukünftig geeignet, das friedliche Zusammenleben und damit auch die innere Sicherheit zu beeinträchtigen. Bisher ist es nicht zu gewaltsamen Aktivitäten von Anhängern der HuT-Ideologie gekommen und es gibt auch keine Hinweise, dass dies von den Organisationen gefördert würde. Die systematische Abgrenzung von Staat und Gesellschaft sowie das Herbeireden einer vermeintlichen Unterdrückung durch die Gesellschaft können aber dazu 236 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 führen, dass sich einzelne Sympathisanten nicht nur von einer demokratischen Werteund Gesellschaftsordnung abwenden, sondern sich auch in den realen oder virtuellen Netzwerken der szeneeigenen Kommunikationsplattformen radikalisieren. IslamIsmus 237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz/Verbreitung Vereinsstrukturen seit Dezember 2001 verboten, früherer Hauptsitz in Köln Gründung/Bestehen seit 1984 Struktur/ Repräsentanz Keine offen erkennbaren Strukturen, aber mehrere islamische Gemeinden, die sich weiterhin der Ideologie des Kalifatsstaats verpflichtet fühlen Mitglieder/Anhänger/ NRW: 220 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Mehrere Web-Angebote Kurzporträt/Ziele Im Jahr 1984 gründete der türkische Prediger Cemaleddin Kaplan (1926 bis 1995) nach Loslösung von der Milli-GörüsBewegung in Köln den Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (Islami cemiyet ve cemaatleri birligi / ICCB), auch Kaplan-Verband genannt. Nachdem viele Gemeinden im Laufe der Zeit den ICCB wieder verlassen hatten, proklamierte Kaplan im März 1994 den so bezeichneten Kalifatsstaat und ließ sich als Kalifen huldigen. Sein Kalifatsstaat war eine am Führerprinzip orientierte und streng hierarchisch gegliederte Organisation. Ziel Kaplans und seines Verbandes war die Erringung der Herrschaft in der Türkei und in letzter Konsequenz die Weltherrschaft für sein Kalifat. Nach dem Tod Cemaleddin Kaplans folgte ihm sein Sohn Metin Kaplan als Kalif nach. Intern kam es jedoch zu Nachfolgestreitigkeiten, in deren Verlauf Metin Kaplans Widersacher 1997 ermordet wurde. 238 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Jahr 2000 wurde Metin Kaplan wegen Anstiftung zum Mord zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und nach Verbüßung der Haftstrafe im Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben. Dort wurde er wegen Gründung und Leitung einer terroristischen Vereinigung verurteilt und inhaftiert. Aus gesundheitlichen Gründen kam er Ende 2016 vorzeitig aus der Haft frei. Die Anhänger des Kalifatsstaats in Deutschland konnten sich unterdessen nicht auf eine Führung einigen, so dass sich mehrere Fraktionen bildeten. Diese entwickelten unterschiedliche Vorstellungen über ihre Ausrichtung und die Person des Kalifen. Seitdem bildet der Kalifatsstaat keine zusammenhängende Struktur mehr, sondern besteht nur noch aus mehreren bundesweit verteilten Moscheegemeinden. Diese sind in unterschiedlichem Grad miteinander vernetzt, gehören aber jeweils verschiedenen Fraktionen an. Einigender Faktor ist einzig noch das ideologische Vermächtnis des Cemaleddin Kaplan, auf das sich sämtliche Flügel des Kalifatsstaats berufen. Durch diese Zersplitterung hat der Kalifatsstaat stark an Reputation verloren, so dass sich insbesondere viele jüngere Anhänger dem Salafismus zuwandten. Der Salafismus ist für diese besonders attraktiv, da dessen Inhalte ansatzweise bereits in den Lehren Cemaleddin Kaplans zu finden sind. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die islamistische Ideologie des Kalifatsstaats zeichnet sich durch eine rigorose Ablehnung der Demokratie und des Säkularismus aus. Darüber hinaus zeigte der Kalifatsstaat eine ausgeprägte Judenfeindlichkeit und eine große Affinität zum bewaffneten Jihad. Die Ziele des Kalifatsstaats richten sich demnach gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Gedanken der Völkerverständigung IslamIsmus 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 und gegen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Diese Bestrebung unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Anfang des Jahres 2021 wurde Metin Kaplan von einem Strafgericht in Istanbul in Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens von sämtlichen Terrorvorwürfen freigesprochen. Er lebt weiterhin in der Türkei und ist für seine Anhänger via Facebook und YouTube, zum Beispiel durch die Übertragung der Freitagspredigt, präsent. Dennoch hat die verbotene Vereinigung dadurch keinen Aufschwung erfahren. Es war nicht zu beobachten, dass Kaplan in nennenswerter Weise Anhänger mobilisieren oder gar die zerstrittenen Fraktionen des Kalifatsstaats zusammenführen konnte. Metin Kaplan wird von einem Strafgericht in Istanbul freigesprochen Trotz des Verbotes ist bekannt, dass Teile der Anhängerschaft des Kalifatstaats weiterhin unterschwellig und konspirativ aktiv sind. Im November 2021 wurde im Rahmen polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen ein Moscheeobjekt in Hagen durchsucht, bei dem der Verdacht besteht, dass dort weiter die Ideologie des Kalifatsstaats propagiert wird. 240 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Kalifatstaat verbreitet seine Ideologie durch den Hijra-Kalender Die einstmals straff geführte Organisation hat keine Führungsperson, die die Fraktionen wieder einigen könnte. Hier zeichnet sich auch keine kurzfristige Änderung ab, so dass die Fragmentierung weiter Bestand haben dürfte. IslamIsmus 241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Muslimbruderschaft (unter anderem Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG) Sitz/Verbreitung Bundesweite Strukturen, Hauptsitz der DMG in Berlin Gründung/Bestehen seit 1928 in Ägypten, in Deutschland seit den 1960erJahren aktiv Struktur/ Repräsentanz Die Muslimbruderschaft (MB) ist eine weltweit agierende Bewegung, zu der eine Vielzahl von Organisationen gehört. In Deutschland stellt die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) die wichtigste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft dar. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE), heute Council of European Muslims (CEM), die als Sammelbecken für Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Neben der DMG existieren zahlreiche weitere Institutionen und Vereine. Diese stehen der Ideologie der Muslimbruderschaft zumindest nahe, obwohl sie keine oder nur eine sehr lose Anbindung an die DMG-Strukturen aufweisen. In NRW sind Einflüsse der Muslimbruderschaft unter anderem in der ar-Rahman-Moschee in Münster feststellbar, die durch das Islamische Kulturzentrum in Münster e.V. betrieben wird. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 350/ (einschließlich HAMAS) Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Verschiedene Internetseiten und Auftritte, auch deutschsprachig, in sozialen Medien 242 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kurzporträt/Ziele Die im Jahr 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (MB) ist die älteste und einflussreichste islamistische Bewegung. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten, sondern in nahezu allen muslimisch geprägten Ländern vertreten. Nach eigenen Angaben sind dies insgesamt 70 Länder weltweit. Die Ideologie der Muslimbruderschaft ist die Basis aller späteren islamistischen Bestrebungen. Das taktische und strategische Vorgehen der verschiedenen regionalen Zweige der MB unterscheidet sich vor allem im Hinblick auf die Frage, ob Gewalt zur Erreichung des politischen Ziels angewandt werden soll. Bis heute nimmt die ägyptische MB gegenüber allen anderen regionalen Zweigen eine führende Rolle ein. Nach der Abspaltung militanter Gruppierungen verzichtet die (ägyptische) MB seit Ende der 1970er-Jahre grundsätzlich auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Dieser Gewaltverzicht gilt jedoch nicht für die von ihr propagierte Befreiung Palästinas und somit im Kampf gegen Israel. Dieser wird insbesondere von der HAMAS, dem palästinensischen Zweig der MB, geführt. In Nordrhein-Westfalen ist das Ziel der hiesigen Vertreter der Muslimbruderschaft zunächst, die Bestrebungen der Organisation in den islamisch geprägten Ländern zu unterstützen. Um dieses Ziel zu erreichen, geht die MB entsprechend moderat vor. Erkenntnisse über das organisierte Zusammenwirken öffentlicher und nicht öffentlicher MB-naher Strukturen zeigen zudem, dass die Muslimbruderschaft in NordrheinWestfalen vor allem durch die DMG repräsentiert wird. Finanzierung Spenden sowie wirtschaftliche Betätigung IslamIsmus 243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Muslimbruderschaft ist der Ursprung des modernen politischen Islam, einer extremistischen Ideologie, die auch als Islamismus bezeichnet wird. Kernaussage und -forderung des Islamismus ist, dass die politische Herrschaft nur Gott zustehe und der Mensch diese nur als sein Stellvertreter oder Sachwalter auszuüben habe. Dabei müsse der Mensch sich an die von Gott herabgesandten Offenbarungen und die darin gegebenen Bestimmungen halten. Diese finde man im Koran und der Sunna, dem Brauch des Propheten Muhammad. Die Muslimbruderschaft verfolgt das Ziel, in islamisch geprägten Staaten ein Regierungssystem auf der Grundlage der Scharia einzuführen. Eine säkulare demokratische Verfassungsordnung wird allenfalls als Möglichkeit angenommen, den Übergang zu einer islamischen Ordnung gewaltlos zu gestalten. Dazu wird eine Strategie der "Islamisierung von unten" verfolgt, die zunächst das Individuum anspricht und auf einen Bewusstseinswandel hin zu einem durch die Religion geprägten Leben abzielt. Die derart geschulten Einzelpersonen sollen dann in die Gesellschaft hineinwirken und dafür Sorge tragen, dass sich diese auf lange Sicht dem Gedankengut der Muslimbruderschaft annähert oder zumindest gewisse Freiräume für die Ideologie der Bewegung entstehen. Nach Auffassung der Muslimbruderschaft sind die staatliche Ordnung und die Rechtsprechung gemäß der islamischen Rechtsund Lebensordnung, der Scharia, aufzubauen. Diese gründet sich auf Koran und Sunna. In dieser Ordnung kann das Volk zwar am politischen Meinungsbildungsprozess teilhaben, was demokratische Elemente innerhalb der islamischen Ordnung möglich machen würde, aber der Rahmen des politisch Möglichen wäre zwingend durch die Offenbarung Gottes und der daraus entwickelten Scharia gesetzt. In dieser von der Muslimbruderschaft so bezeichneten "islamischen Ordnung" wäre also Gott der Souverän, nicht das Volk. Dies widerspricht im Grundsatz dem Gedanken der Volkssouveränität und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hiesige Vertreter der Muslimbruderschaft äußern sich in der Regel nicht eindeutig extremistisch. Stattdessen stellen sich die MB-nahen Vereine als religiöse islamische Organisationen dar, die für das Recht der Muslime auf Teilhabe in der Gesellschaft eintreten. Dabei vertritt die Muslimbruderschaft nach eigenem Verständnis einen "Islam der Mitte". Dieser grenzt sich einerseits vom religiösen Fundamentalismus und andererseits von einem liberalen, westlichen Islam ab. In ideologischer Hinsicht steht er zwischen einem militanten salafistischen Jihadismus und einem säkularen 244 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Islamverständnis. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich auch dieser "Mittelweg" eindeutig am klassischen Konzept von Scharia orientiert, damit Widersprüche zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufweist und somit selbst als extremistisch zu bewerten ist. Die Muslimbruderschaft fühlt sich nach wie vor einem ganzheitlichen Religionsverständnis verpflichtet. Demzufolge sollte der Glaube alle Lebensbereiche regeln, wozu auch die politische und gesellschaftliche Ordnung zählen. Deshalb unterliegt sie nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Zum Eklat auf internationaler Ebene kam es, als die in London ansässige globale Leitung der Muslimbruderschaft hochrangige MB-Funktionäre in der Türkei infolge von Korruptionsvorwürfen suspendierte. Vor dem Hintergrund dieses Konflikts dürfte auch die Eröffnung einer neuen Internetpräsenz der Muslimbruderschaft zu erklären sein. Ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft fordert die Rücknahme der Terroreinstufung der HAMAS In Deutschland waren die Aktivitäten der DMG in den zurückliegenden Jahren insbesondere durch Versuche geprägt, ihre Verbindungen zur Muslimbruderschaft abzustreiten und eine vermeintliche Transparenz zu schaffen. IslamIsmus 245 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Maßgeblich sollte dazu die durch die DMG im Jahr 2019 eingereichte Klage gegen die Benennung im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) beitragen. Infolge einer umfangreichen Klageerwiderung des BMI entschied sich die DMG im Jahr 2021 letztendlich jedoch dazu, die Klage nicht weiter aufrecht zu erhalten. Die DMG scheint in der Zwischenzeit die ihr vorgehaltenen Erkenntnisse zum Anlass genommen zu haben, sich öffentlich zu diversen kritischen Aspekten zu positionieren. Nach eigener Angabe sei die DMG dabei, sich selbst mit problematischen Inhalten zu konfrontieren und diese aufzuarbeiten. Die ar-Rahman-Moschee in Münster präsentierte sich verstärkt als regionaler Ableger der DMG. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Wenngleich die DMG in einer Stellungnahme zum Verzicht auf die Weiterführung der Klage auch auf ihre begrenzten Kapazitäten verweist, lässt sich die Entscheidung wohl vor allem darauf zurückführen, dass sie eine Niederlage vor Gericht befürchtete. Abzuwarten bleibt, welche Konsequenzen sich aus dem Verzicht auf die Weiterführung der Klage der DMG ergeben. Noch Ende 2019 hatte der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) der DMG nahegelegt, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen und in einer Pressemitteilung auf die anstehende gerichtliche Klärung verwiesen. Im Januar 2022 verkündete der ZMD ohne weitere Begründung den Ausschluss der DMG, der im Rahmen einer Vertreterversammlung am 23. Januar 2022 beschlossen worden war. Die durch die DMG in einer Stellungnahme angekündigte Auseinandersetzung mit problematischen Aspekten ist grundsätzlich begrüßenswert. Abzuwarten bleibt, ob die DMG ihre Erfahrungen aus dem Klageverfahren dazu nutzt, tatsächlich substanzielle Veränderungen vorzunehmen oder ihre Bezüge zur Muslimbruderschaft nur besser zu verschleiern versucht. Bislang ist eine glaubhafte und nachhaltige Distanzierung nicht erkennbar. Diese würde tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen, die den derzeitigen Interessen ihrer Mitglieder entgegenlaufen dürften. 246 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 IslamIsmus 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Milli Görüs-Bewegung Sitz/Verbreitung Türkei/Deutschland Gründung/Bestehen seit circa 1969 Struktur/ Repräsentanz Parteistrukturen der Saadet Partisi (SP) mit Zentrale in Köln. Darüber hinaus weitere Organisationen, die im Rahmen der Milli Görüs-Bewegung extremistisch in Erscheinung treten: Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung -EV) und Yeni Refah Partisi (YRP), Sultan-Fatih-Jugend Bielefeld (Sultan Fatih Genclik Bielefeld - BSFG), Ismail Aga Cemaati (IAC) Mitglieder/Anhänger/ NRW: 250 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Mehrere Web-Angebote, Tageszeitung Milli Gazete Kurzporträt/Ziele Die ideologischen Wurzeln der Milli Görüs-Bewegung (MGB) gehen zurück auf den am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politiker und ehemaligen Ministerpräsidenten der Türkei, Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Die Kerngedanken dieser Ideologie sind die Schlüsselbegriffe Milli Görüs (Nationale Sicht) und Adil Düzen (Gerechte Ordnung). Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland besteht die MGB aus mehreren Komponenten, die von einer gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der ideellen Bindung an den türkischen Politiker Necmettin Erbakan zusammengehalten werden. 248 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Obgleich alle Vereinigungen der MGB für sich gesehen selbständig und unabhängig voneinander agieren, ist die verfassungsfeindliche Milli Görüs-Ideologie, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung, das sie alle einigende Band. Ab 2013 etablierten sich in Deutschland neue Strukturen der Milli Görüs-Bewegung in Form von Organisationen, die einen Schwerpunkt auf die politischen Aspekte der Ideologie legen. Damit stehen sie im Gegensatz zu eher religiös ausgerichteten Strukturen. Dies sind insbesondere die Saadet Partisi (SP), die Erbakan-Stiftung sowie die Ismail Aga Cemati (IAC). Seit den Parlamentswahlen 2018 ist die SP durch eine Bündnisliste mit zwei Abgeordneten im türkischen Parlament vertreten. Finanzierung Spenden und Mitgliedsbeiträge Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In seinen ideologischen Vorstellungen ging Erbakan von zwei politischen Ordnungen aus - einer von Menschen geschaffenen "nichtigen Ordnung" (Batil Düzen) und einer von Gott geoffenbarten "gerechten Ordnung" (Adil Düzen). Das erste Ziel der Mission von Milli Görüs ist die Durchsetzung der "gerechten Ordnung" in der Türkei. Die islamische Zivilisation solle die westliche Zivilisation in der Vorherrschaft ablösen, um anschließend die Mission in die Welt hinauszutragen. Trotz eines zum Teil martialischen Vokabulars hat die Milli Görüs-Bewegung innerhalb und außerhalb der Türkei ihre Ziele stets ausschließlich mit politischen Mitteln verfolgt. Die Umsetzung des Adil Düzen-Konzepts als Ziel der politischen Bewegung Milli Görüs ist mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar, da eben diese überwunden werden soll. Darüber hinaus sind antisemitische Einstellungen sowohl in der Schrift Adil Düzen als auch bei Äußerungen Necmettin Erbakans und einiger Milli Görüs-Funktionäre deutlich erkennbar. IslamIsmus 249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Milli-Görüs-Bewegung unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die verschiedenen Regionalverbände der Saadet Partisi richteten 2021 in unregelmäßigen Abständen kleinere Konferenzen und Vortragsveranstaltungen aus, die aber aufgrund des Pandemieschutzes erheblich eingeschränkt stattfanden. Ein Gedenken anlässlich des zehnten Todestags Erbakans fand deshalb vorrangig virtuell statt. Bei der Erbakan Vakfi ist vor allem die starke politische Unterstützung des Fatih Erbakan (Sohn des Necmettin Erbakan) in den sozialen Medien erkennbar. Seine öffentlichen Auftritte werden von den Anhängern der Erbakan Vakfi über soziale Medien verbreitet. Dagegen haben im Berichtszeitraum bei der IAC und der BSFG keine größeren Veranstaltungen stattWerbung auf Facebook für eine Jugendveranstaltung der Saagefunden. det Partisi in Neuss Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Saadet Partei verfügt trotz der nur geringen parlamentarischen Beteiligung in der Türkei über ausgeprägte Strukturen mit Regionalund Ortsvereinen in NRW. Von diesen sind nur einige aktiv. Auch die Pandemie wirkte sich negativ auf die Tätigkeit der SP aus. Dafür gab es im Jahr 2021 einen deutlichen Anstieg an Online-Aktivitäten. Diese sind jedoch kein adäquater Ersatz für entfallende realweltliche Veranstaltungen. 250 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Saadet Avrupa - Köln Bölgesi 27. Februar * Vefatinin 10. yil dönümünde Prof. Dr. Necmettin ERBAKAN Hocamizi rahmet, minnet ve özlemle aniyoruz. #ErbakanHaftasi2021 #NecmettinErbakan 2 1 Mal geteilt Gefällt mir Kommentieren Teilen Gedenken an den zehnten Todestag Erbakans Da im Jahr 2023 in der Türkei Parlamentswahlen stattfinden, wird sich die politische Präsenz des YRP-Parteivorsitzenden Fatih Erbakan im Jahr 2022 sicherlich steigern. Es ist damit zu rechnen, dass auch die Anhänger der Erbakan Vakfi weiterhin die ideologischen Botschaften des Fatih Erbakan im Wahlkampf medial verbreiten werden. Zurzeit ist aber nicht abzusehen, dass es in naher Zukunft zu einer deutlichen Steigerung der Mitgliederzahlen in der SP, IAC, BSFG oder EV kommen könnte. IslamIsmus 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Türkische Hizbullah (TH) Sitz/Verbreitung Türkei Gründung/Bestehen seit 1979 in Diyarbakir Struktur/ Repräsentanz Mehrere Gemeinden in NRW, die sich jedoch nicht offen zur TH bekennen. In der Türkei steht die Hür Dava Partisi der TH nahe. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 60 \ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Publikationen: Inzar Dergisi (Warnung), Dogru Haber (Richtige Nachricht), mehrere Web-Angebote Kurzporträt/Ziele Anfang der 1980er-Jahre bildeten sich unter sunnitischen Kurden in der Türkei Gruppierungen heraus, die für die Errichtung einer auf strikter Befolgung von Koran und Scharia gegründeten, von ihnen so bezeichneten "islamischen Herrschaft" eintraten und sich gegen den säkularen türkischen Staat wandten. Aus einer dieser Gruppierungen entwickelte sich die Hizbullah (Partei Gottes). Diese wendete vor allem seit Beginn der 1990er-Jahre Gewalt gegen interne Abweichler, gegen die kurdische Separatistenorganisation Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), gegen liberale Journalisten und gegen Vertreter des türkischen Staates an, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Im Januar 2000 wurde Hüseyin Velioglu, der Anführer der sogenannten Türkischen Hizbullah, in Istanbul bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Dieser Vorfall und weitere Exekutivmaßnahmen der türkischen Strafverfolgungsbehörden führten zu einer empfindlichen Schwächung der Hizbullah. 252 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Dabei wurden mehrere Funktionäre der Organisation und zahlreiche Mitglieder festgenommen und inhaftiert. Zugleich wurde aus Papieren und Videoaufzeichnungen deutlich, in welch großem Ausmaß die Organisation Entführungen, Morde und andere Gewalttaten verübt hatte. Zahlreiche Aktivisten der TH setzten sich daraufhin nach Europa und insbesondere nach Deutschland ab. Im Januar 2012 veröffentlichten TH-nahe Internetseiten ein Manifest, das die Gruppe auf eine neue ideologische Grundlage stellte. Darin wird unter anderem klargestellt, dass man die anvisierten Ziele nur noch gewaltfrei und auf legalem Wege erreichen wolle. Diese sind aber immer noch eindeutig islamistisch und richten sich gegen eine sakuläre Ordnung. In ihrer Zielsetzung verbindet die Türkische Hizbullah eine islamistische mit einer kurdisch-nationalen Agenda. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Aus dem Manifest der TH geht hervor, dass das zentrale Ziel der TH nach wie vor die Errichtung einer islamischen Ordnung ist. Regierungen und Staaten, die dem Islam nicht im - aus Sicht der TH - gebotenen Umfang Geltung verschaffen, gehören zum Feindbild. Die TH unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die TH bekennt sich weiter zu ihrem Gründer Hüseyin Velioglu und erinnert auch in Deutschland alljährlich an ihren "Märtyrer". Aus diesem Anlass veröffentlichte der TH-Leiter Edip Gümüs im Januar 2021 eine Botschaft, in der er Einblicke in das Gedankengut der TH bot. Dort wurde unter anderem in Bezug auf den Nahostkonflikt die IslamIsmus 253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 antisemitische Grundhaltung der TH deutlich. Weiter beinhaltet die Rede eine Aufforderung an die TH, Anhänger islamistischer Widerstandgruppen weiter zu unterstützen und muslimische Länder abzustrafen, die ein "Verratsabkommen" zum Vorteil Israels abgeschlossen hatten. Der TH-Leiter Edip Gümüs fordert die Anhänger auf, islamistische Widerstandsgruppen zu unterstützen Im Berichtszeitraum waren aufgrund der Corona-Einschränkungen keine Aktivitäten mit Außenwirkung feststellbar. Insbesondere überregionale Veranstaltungen, die traditionell eine wichtige Funktion für das Zusammengehörigkeitsgefühl der TH-Anhänger einnehmen, fanden im Jahr 2021 nur vereinzelt statt. Seit Sommer 2018 ist die TH-nahe Hüda Par (auch: Hür Dava Partisi) nicht mehr im türkischen Parlament vertreten, so dass seit längerem eine Stagnation auf politischer Ebene eingetreten ist. Dennoch ist festzustellen, dass Social-Media-Kanäle der TH weiter aktiv bespielt werden. 254 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Nordrhein-Westfalen dient der Organisation als Rückzugsraum, um neue personelle und finanzielle Ressourcen zu gewinnen. Die TH verhält sich in Deutschland auch weiterhin in höchstem Maße konspirativ, um nicht in den öffentlichen Fokus zu geraten. Mit einer Abkehr von ihrer politischen Zielsetzung oder von ihrem konspirativen Verhalten wird auch in Zukunft nicht gerechnet. IslamIsmus 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Furkan-Gemeinschaft Sitz/Verbreitung Zentrale: Adana (Türkei) Deutschland: Zentren in Dortmund, Hamburg, Berlin und München Gründung/Bestehen seit 1994 Gründung der Furkan Vakfi (Furkan Stiftung) in der Türkei, in NRW seit etwa 2011 vertreten, 2015 Gründung des Furkan Kulturund Bildungszentrums e.V. in Dortmund Struktur/ Repräsentanz Regionale Vertretungen in Deutschland, hierarchische Gliederung mit Alparslan Kuytul als Gründer an der Spitze Mitglieder/Anhänger/ NRW: 80 Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Zeitschrift Furkan Nesli Dergisi (Magazin der Generation Furkan), Verbreitung von Inhalten über die eigene Internetpräsenz, über Videoplattformen und in sozialen Netzwerken (FurkanTV) Kurzporträt/Ziele Die Furkan Stiftung für Bildung und Dienst (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) - auch als Furkan-Gemeinschaft bezeichnet - wurde durch Alparslan Kuytul gegründet, der bis heute als charismatische Führungsfigur agiert. Die Organisation verfolgt das Ziel, die "Islamische Zivilisation" - hier ein Synonym für Staatsund Gesellschaftsordnungen - durchzusetzen. Zur Umsetzung bemüht sich die Bewegung um eine Stärkung der Ummah (Gemeinschaft der Muslime) sowie die Ausbildung und Schulung einer Vorreiter-Generation (Öncü Nesil). Sie soll als gesellschaftliche Avantgarde auf dieses Ziel hinwirken. 256 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zentrum der Furkan-Gemeinschaft ist Adana (Türkei), der Wohnort Kuytuls. Die Furkan-Gemeinschaft hat Ableger in zahlreichen Städten der Türkei und in Europa, darunter auch Deutschland. Bei der in NRW befindlichen Furkan-Gemeinschaft handelt es sich um einen Verein mit Sitz in Dortmund und Kleingruppen im Umland. Die Anhänger finden sich regelmäßig zu religiösen Unterrichtsveranstaltungen zusammen. Diese gibt es auch für Kinder und Jugendliche. Männer und Frauen werden hierbei getrennt unterrichtet. Die Furkan-Gemeinschaft stellt hohe Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder und bindet diese sehr stark ein. Dadurch weist sie einen beinahe sektenartigen Charakter auf. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Eintrittsgelder, Erlöse aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Anhänger der Furkan-Gemeinschaft orientieren sich auch in Deutschland vor allem an den Lehren Kuytuls. Ein zentrales Anliegen ist für ihn die Rückkehr zu einer "Islamischen Zivilisation". Diese soll sich ausschließlich an Koran und Sunna (prophetische Tradition) orientieren und Gott das ihm zustehende Recht zur Herrschaft einräumen. Die Furkan-Gemeinschaft geht davon aus, dass die Demokratie die Rechte Gottes vereinnahme und die Teilhabe am politischen Prozess zu Kompromissen zwinge, die im Widerspruch zu Gottes Gesetzen stünden. Solche Kompromisse dürften nach Kuytuls Verständnis jedoch keinesfalls eingegangen werden. Aus dieser Auffassung resultiert eine prinzipielle Ablehnung der Demokratie, die sich auch im Verbot der Teilnahme an Wahlen widerspiegelt. Dieses politische Religionsverständnis lehnt demnach die Herrschaft des Volkes, also die Demokratie, ab und strebt eine Herrschaft Gottes an, die auf der Scharia basieren soll. Somit stellt die Furkan-Gemeinschaft eine islamistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dar und unterliegt deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung. IslamIsmus 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Furkan Gemeinschaft Dortmund 5. April um 17:31 * Jeder soll überprüfen, an was für einen Allah er glaubt. Ist es ein Allah, der sich nicht in das Leben einmischt? Oder ist es ein Allah, der die Befugnis hat, sich in alle Bereiche des Lebens einzumischen? - Ustadh Alparslan Kuytul Die Furkan-Gemeinschaft fordert auf Facebook, dass alle Lebensbereiche durch religiöse Bestimmungen geregelt sein sollen Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Furkan-Gemeinschaft hat in diesem Jahr ihre Aktivitäten weiter fortgesetzt. Öffentliche Veranstaltungen haben vermutlich aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattgefunden. Die Organisation wirbt aber weiterhin intensiv im Internet für ihre Ziele. Über Werbung in den sozialen Medien versucht sie, insbesondere Jugendliche zu rekrutieren, zum Beispiel durch die Veranstaltung von Jugendcamps mit religiösem Unterricht und durch Freizeitaktivitäten. Seit Ende 2020 betreibt die Furkan-Gemeinschaft einen YouTube-Kanal. Dort wird das Zeitgeschehen aus der eigenen ideologischen Sicht beschrieben und analysiert. 258 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Auf Facebook propagiert die FurkanGemeinschaft eine "Islamische Zivilisation" 49 32 Mal geteilt Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Vereinsaktivitäten werden trotz der Corona-Pandemie fortgesetzt. Eine intensive Vernetzung mit anderen Furkan-Gruppen aus dem Bundesgebiet wird durch den Austausch im Internet und persönlichen Zusammentreffen gestärkt. Die Auftritte der einzelnen Gruppierungen im Bundesgebiet in den sozialen Medien scheinen sich in Teilen zu vereinheitlichen. Dies soll den Zusammenhalt der Organisation zeigen. Kontakte zur Zentrale werden sowohl virtuell als auch persönlich gehalten. Die Anhänger nehmen großen Anteil an Ereignissen in der Türkei, die die Organisation betreffen. Repressalien durch den türkischen Staat, wie die Inhaftierungen von Kuytul von 2018 bis 2020 und im Mai 2021, emotionalisieren auch die Anhänger in Deutschland. IslamIsmus 259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Palästinensischer Islamischer Jihad (Harakat al-Jihad alIslami fi-l-Filastin - PIJ) Sitz/Verbreitung Zentrale in Damaskus, militante Aktivitäten im Gaza-Streifen und im Westjordanland, Unterstützer in der globalen palästinensischen Exilgemeinde Gründung/Bestehen seit 1981 Struktur/ Repräsentanz In Deutschland keine offiziellen Strukturen, aber Personenzusammenschlüsse, die dem PIJ ideologisch nahestehen Mitglieder/Anhänger/ NRW: Einzelmitglieder/ Unterstützer 2021 Veröffentlichungen Offizieller Internetauftritt der Organisation und zusätzlicher Internetauftritt des militärischen Flügels Kurzporträt/Ziele Die Bewegung des Islamischen Jihad in Palästina wurde 1981 durch ehemalige Mitglieder der Muslimbruderschaft gegründet. Diese fühlten sich durch die Islamische Revolution im Iran in ihren militanten Aktivitäten gegen Israel inspiriert. Die Organisation musste 1987 in den Libanon ausweichen. Dort knüpfte sie enge Kontakte zu Iran, die bis heute bestehen. Ihre Kämpfer wurden durch die Hizb Allah militärisch geschult. Bis heute sind dem PIJ zahlreiche Anschläge auf Israel zuzuschreiben, die in vielen Fällen zivile Opfer forderten. 260 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der wichtigste Zweig des PIJ sind die al-Quds-Brigaden (Sarayat al-Quds), die dessen militärischen Arm darstellen. Darüber hinaus unterhält der PIJ ihm nahestehende soziale und karitative Vereinigungen, die Personen an die Ziele der Organisation heranführen und ideologisch festigen sollen. Zu den Mitgliederzahlen liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Diese dürften im Nahen Osten aber im mittleren vierstelligen Bereich liegen. Deutschland dient dem PIJ als Rückzugsraum, militante Aktivitäten finden hier nicht statt. Die hiesigen Anhänger waren vor ihrer Migration nach Deutschland überwiegend in den karitativen Zweigen aktiv. Hier dürften sie sich auf die finanzielle und propagandistische Unterstützung des PIJ konzentrieren. Ideologisch treten sie aber dennoch für die gewaltsame Befreiung Palästinas ein. Finanzierung Finanzielle Unterstützung vor allem durch Iran Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Ziel des PIJ ist die von ihm so bezeichnete "Befreiung" Palästinas durch die Vernichtung Israels und die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung. Der bewaffnete Kampf gegen den "zionistischen Feind" wird als religiöse Pflicht verstanden. Zu diesem Zweck setzt die Organisation ausschließlich auf die Anwendung von Gewalt. Im Gegensatz zur HAMAS ist der PIJ nicht zu Verhandlungen mit Israel bereit und strebt auch keine politische Repräsentanz an. Aufgrund der Ablehnung des Existenzrechts Israels und seines bewaffneten Kampfes gegen den israelischen Staat unterliegt der PIJ nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW der nachrichtendienstlichen Beobachtung als Bestrebung, die durch Anwendung von Gewalt die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. IslamIsmus 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Sein Eintreten für eine islamistische Ordnung qualifiziert den PIJ als Bestrebung, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet und bietet nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW eine weitere Beobachtungsgrundlage. Der Internetauftritt des PIJ Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Wie bei der HAMAS war auch für den PIJ der Israel-Gaza-Konflikt im Mai 2021 das zentrale Ereignis des Jahres 2021. Der PIJ beteiligte sich an dem durch die HAMAS initiierten umfangreichen Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen auf israelisches Territorium. Hiesige Anhänger des PIJ fokussierten sich darauf, das Leiden der palästinensischen Bevölkerung im Nahostkonflikt in den Fokus zu rücken, während die Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen keine Erwähnung fanden. Sie beteiligten sich an pro-palästinensischen Demonstrationen, auch aus dem Umfeld der HAMAS, und verbreiteten entsprechende Beiträge im Internet. Dabei wurden zum Teil auch eine israelfeindliche Haltung sowie eine Propagierung des gewaltsamen Kampfes gegen den Staat Israel sichtbar. 262 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Bewertung, Tendenzen, Ausblick In Nordrhein-Westfalen war im Berichtszeitraum eine weitere Annäherung von Anhängern des PIJ an etablierte Strukturen der HAMAS feststellbar. Nicht auszuschließen ist, dass dies zukünftig zu einer nachhaltigen Integration aktiver PIJ-Anhänger in die bereits bestehenden HAMAS-Strukturen führt. IslamIsmus 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 264 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Extremismus im Internet extremIsmus Im Internet 265 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Extremismus im Internet Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben insbesondere im letzten Jahrzehnt zu einem tiefgreifenden Wandel in der Art geführt, wie Extremisten kommunizieren, mobilisieren, ihre Ideologien verbreiten und sich radikalisieren. Sie nutzen Live-Chats, Videoplattformen, Online-Foren und soziale Medien für die Außendarstellung und organisieren sich untereinander, unter anderem über Messenger-Plattformen. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz passt seine Arbeitsweisen laufend und dynamisch an diese Entwicklungen an und betrachtet die Beobachtung extremistischer Online-Aktivitäten als einen seiner zentralen Schwerpunkte. Für alle extremistischen Akteure und Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen bildet das Internet mittlerweile eine maßgebliche Plattform für den gegenseitigen Austausch und die Verbreitung der eigenen extremistischen Propaganda. Extremisten nutzen das Internet zur Kommunikation, Ideologisierung, Radikalisierung und Mobilisierung. Neben diesen grundlegenden Gemeinsamkeiten beim Einsatz digitaler Medien unterscheiden sich Rechtsund Linksextremisten, Islamisten und Extremisten mit ausländischen Bezügen jedoch in Details bei der Wahl von Online-Anwendungen und -Diensten sowie bei der konkreten Nutzung. Rechtsextremismus Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation werden von rechtsextremistischen Gruppierungen und Akteuren in nahezu allen Facetten genutzt. Sie sind bei Live-Chats und sozialen Medien (zum Beispiel Facebook, Twitter und Instagram) aktiv, verbreiten extremistische Inhalte auf Videoplattformen (zum Beispiel YouTube und Bitchute) und nutzen Messenger-Dienste (zum Beispiel WhatsApp und Telegram) zur Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene. In der letzten Zeit haben zudem aus der Gaming-Szene bekannte Kommunikationsund Streaming-Plattformen wie Discord, Steam oder Twitch eine größere Bedeutung eingenommen. Die verschiedenen virtuellen Plattformen bieten Rechtsextremisten dafür in nach wie vor hoher Quantität und Qualität einen Raum, ihre verfassungsfeindlichen Botschaften und Parolen zu verbreiten. Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie und die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft haben diese Entwicklung nochmals verstärkt. Aufgrund von staatlichen Maßnahmen und dem teils konsequenten Löschen extremistischer Inhalte und Profile ("Deplatforming") seitens der Plattformbetreiber sind 266 extremIsmus Im Internet Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Rechtsextremisten immer wieder auf der Suche nach alternativen Plattformen und neuen Formaten, um extremistische Propaganda effektiv zu streuen. Aus sicherheitsbehördlicher Perspektive ist das konsequente Vorgehen der Plattformbetreiber zu begrüßen, allerdings verschwinden die Inhalte damit nicht, sie wechseln einfach nur die Plattform. Darüber hinaus erschweren die vielen versprengten Gruppen und Foren auf den verschiedenen Plattformen den Sicherheitsbehörden einen Überblick. Die Möglichkeiten, die Videospiele und insbesondere Online-Spieleplattformen bieten, werden von Rechtsextremisten missbraucht, um ihre Ideologie zu propagieren und sich untereinander zu vernetzen. Dabei ersetzen diese Plattformen nicht die etablierten sozialen Medien, sondern ergänzen sie. In einer breit angelegten Studie hat das "Institute of Strategic Dialogue" die Rolle von Online-Spieleplattformen in der Strategie von Rechtsextremisten untersucht. Dabei konnte eine große Bandbreite von rechtsextremistischen Strukturen und Influencern identifiziert werden, die sich auf den Plattformen Steam, Discord und DLive bewegen. Insbesondere Steam und Discord stachen hier heraus. Auf Steam identifizierten die Autorinnen und Autoren der Studie insgesamt 45 öffentliche Gruppen, die im Zusammenhang mit rechtsextremen Inhalten standen. Bei Discord, einem Onlinedienst für Messaging, Chats und Sprachsowie Videokonferenzen, entdeckte man insgesamt 24 rechtsextreme Chatserver. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher liegt, da entsprechende Server vergleichsweise schwer aufzufinden sind. Besonders besorgniserregend an den Ergebnissen ist, dass die Nutzer auf Discord sehr jung waren. Das Durchschnittsalter in der Stichprobe betrug 15 Jahre. Im September 2020 brachte der rechtsextremistische Verein Ein Prozent e.V. gemeinsam mit dem Spieleentwickler Kvltgames das 2D-Jump 'n' Run Computerspiel "Heimat Defender Rebellion" heraus. Obwohl das Spiel im Dezember 2020 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) indiziert wurde, ist es weiterhin über verschiedene Server kostenlos verfügbar. Im Juli 2021 startete die Identitäre Bewegung mit dem Projekt "Gegenuni" gemeinsam mit weiteren rechten Gruppierungen erneut den Versuch, die Ideologie der Neuen Rechten zu verbreiten. Die "Gegenuni" versteht sich als Gegenentwurf zu regulären Universitäten, die angeblich fest in linker und liberaler Hand seien. Auf vermeintlich professioneller Ebene sollen online Lerninhalte und rechte Ideologien vermittelt werden, die durch die "Studenten" auf lange Sicht in ihre Freundesund Bekanntenkreise weitergegeben werden sollen. Die Dozenten werden allesamt aus dem rechten Spektrum rekrutiert, zudem werden monatliche Studiengebühren erhoben. extremIsmus Im Internet 267 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Webauftritt des Projektes "Gegenuni" Neben den genannten alternativen Plattformen der Gaming-Szene ist der MessengerDienst Telegram weiterhin der von Rechtsextremen meistgenutzte virtuelle Anbieter und hat in der Szene in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Der rasante Anstieg rechtsextremistischer Inhalte der letzten Jahre setzt sich weiter fort. Teilweise haben deutschsprachige Kanäle mit entsprechenden Inhalten mehr als 100.000 Mitglieder. Täglich werden mehrere 10.000 neue Inhalte produziert, geteilt und veröffentlicht. Die Struktur von Telegram erlaubt es den Nutzern, weitestgehend anonym zu kommunizieren und ein sehr hohes Maß an Kontrolle über Inhalte und Empfänger zu übernehmen. Der Medienanbieter greift dabei nur äußerst selten ein und sortiert problematische oder verfassungsfeindliche Inhalte aus. Dies schafft eine abgekapselte Filterblase, die eine virtuelle Parallelwelt ohne äußere Einflussnahme ermöglicht. Die virtuelle globale Vernetzung im Rechtsextremismus hat in den letzten Jahren mehreren neueren Phänomen Auftrieb gegeben, die Anknüpfungspunkte an die rechtsextremistische Ideologie haben. Ein nicht neues, aber sich zuletzt stark verbreitendes Phänomen sind die sogenannten "Incels": Männer, die im ungewollten Zölibat leben. Anhänger dieser Subkultur propagieren eine Frauenfeindlichkeit mit Verbindung zu Gewaltfantasien. Auch Stephan B., der im Oktober des Jahres 2019 ein Attentat auf eine Synagoge und einen Imbiss in Halle (Saale) beging, hatte Bezüge zu der "Incel"-Kultur. 268 extremIsmus Im Internet Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Darüber hinaus gab es bereits im Jahr 2018 in Kanada und in den USA jeweils ein Attentat, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Die beiden männlichen Attentäter waren ebenfalls bekennende "Incels". Viele Nutzer in den "Incel"-Foren treten offen rassistisch auf und verwenden nationalsozialistische Symbole. Rassismus spielt in der "Incel"-Ideologie eine große Rolle, da beispielsweise die biologische Minderwertigkeit nichtweißer Menschen betont wird. Die "Incel"-Attentäter werden in der Szene als Heilige (sogenannte "Saints") verehrt. Mit dem Einziehen in die ewigen Annalen der "Incels" werden die Täter damit für ihre Taten belohnt und gleichzeitig Nachahmungstäter herausgefordert. In den letzten Jahren hat sich zusätzlich eine Szene herausgebildet, die die rechtsextremistischen Attentate und Amokläufe von beispielsweise Anders Breivik in Oslo 2011 oder von David S. in München 2016 glorifiziert. Diese "Amokläufer-Fanszene" setzt sich aus teilweise sehr jungen Einzelpersonen zusammen, die sich meist nur virtuell kennen und gemeinsam von geplanten Amokläufen phantasieren. Der Bezug zum Rechtsextremismus ergibt sich auch hier durch die häufig rassistische und fremdenfeindliche Weltsicht der Akteure. Eine weitere Ausprägung des globalisierten Rechtsextremismus sind Gruppen wie die Atomwaffendivision, die sich dem ideologischen Konstrukt des Akzelerationismus verschrieben haben. Hierbei handelt es sich um eine Ideologie, die durch terroristische Taten den beschleunigten Zusammenbruch der demokratischen Ordnung anstrebt. Westliche liberale Demokratien seien demnach irreparabel korrupt und dem Untergang geweiht. Deshalb solle dieser Untergang beschleunigt werden, um danach einen weißen "Ethnostaat" aufbauen zu können. Die Atomwaffendivision, die sich in mehreren Ländern gebildet hat, ist dabei auch in Deutschland aktiv. So ist in einem Video der Organisation im Hintergrund die deutsche Wewelsburg zu sehen. Allen Phänomenen gemein ist die globale Vernetzung ihrer Anhänger über verschiedene virtuelle Plattformen und die Nutzung eigener kultureller Elemente und Codierungen. Hierzu gehören popkulturelle Elemente wie Memes. Durch die spezielle Ästhetik und Kultur des Hasses in Online-Subkulturen fühlen sich insbesondere junge Menschen angesprochen. Delegitimation Neben rechtsextremistischen Inhalten finden sich auf Telegram eine Vielzahl von Verschwörungsmythen und Desinformationen. Gerade mit Bezug zur Corona-Pandemie haben diese Kanäle und Gruppen noch einmal deutlichen Zulauf bekommen. In verschiedenen Gruppen und Kanälen der Querdenken-Bewegung und der Corona ReextremIsmus Im Internet 269 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 bellen Düsseldorf werden die Corona-Pandemie gänzlich geleugnet und Maßnahmen zur Bekämpfung oder Eindämmung gezielt relativiert. Es wird zudem zum Sturz der Regierung, zu Blockade-Aktionen und zur Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten aufgerufen und es werden "Feindeslisten" und Privatanschriften von politischen Gegnern geteilt. Telegram stellt das bevorzugte Medium zur Vernetzung und Kommunikation innerhalb dieser Szene dar. Ergänzend veröffentlichte der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen seine Erkenntnisse in einem deutschlandweit ersten Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und "Corona-Leugnern". Dieser Bericht wurde fortgeschrieben und beleuchtet die Entwicklungen und Erkenntnisse von Mai 2021 bis heute. Nachricht beim Messengerdienst Telegram Linksextremismus Innerhalb der linksextremistischen Szene stellt das Internet ein unverzichtbares Mittel zum Austausch dar und unterstützt damit bestehende Vernetzungsbestrebungen auf teilweise überregionaler, deutschlandweiter oder gar internationaler Ebene. Das Internet wird zur internen und externen Kommunikation genutzt. Über Messengerdienste und nicht öffentliche Plattformen werden unter anderem Strategien besprochen, Kampagnen geplant und Ziele abgestimmt. Der Möglichkeit, Bilder, Texte, Videos und Sprachnachrichten in kurzer Zeit über Messengerdienste in einer bestimmten Gruppe zu verbreiten, kommt insbesondere bei Besetzungen von Waldstücken oder Gebäuden durch Linksextremisten große Bedeutung zu. So werden Informationen über festgestellte sicherheitsbehördliche Maßnahmen in der Szene geteilt, bewertet und oftmals auch unmittelbar Gegenaktionen vorbereitet. In Verbindung mit der Kommunikationsfunktion dient das Internet Linksextremisten dazu, kurzfristige "Alarmierungen" durchzuführen und Szeneangehörige etwa im Falle befürchteter behördlicher Räumungsmaßnahmen bei Besetzungen zur Unterstützung der vor Ort befindlichen Besetzerinnen und Besetzer zu mobilisieren. 270 extremIsmus Im Internet Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Eine eher nachgeordnete Bedeutung kommt der Ideologisierung im Internet in weiten Teilen des Linksextremismus zu. Das gilt sowohl für die ideologische Festigung von Szene-Angehörigen als auch für die Ansprache von Nicht-Extremisten. Bei der Ansprache von Außenstehenden versuchen beispielsweise dogmatische Linksextremisten sporadisch, Ideologiefragmente über das Internet zu verbreiten und dadurch Interessierte für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Insgesamt eignen sich die komplexen Thesen, die in der Regel auf den Theorien von Marx und Engels basieren, jedoch offenbar kaum, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Vereinzelt kommen in anarchistischen Zusammenhängen auch die jüngeren Trends der Wissensvermittlung im Internet zum Einsatz: Beispielsweise ermöglichen Podcasts ausdauernden Zuhörern einen zeitgemäßen Einstieg in linksextreme Weltanschauungen - die Bedienung einer schnelllebigen Zielgruppe, etwa durch videound musikbasierte Kurzclips, bildet dagegen noch eine Ausnahme. Regelmäßige Ideologiediskussionen finden im autonomen Spektrum nicht statt. Eine Strahlkraft der autonomen Szene entfaltet sich im Rahmen sozialer Netzwerke vielmehr in der Kritik, Diskreditierung oder dem Ausschluss von Positionen, die der eigenen Weltanschauung entgegengesetzt sind. Dies betrifft auch die Austragung szeneinterner Konflikte entlang ideologischer Grenzlinien. Radikalisierungen vollziehen sich im Linksextremismus nach wie vor eher über realweltliche Kontakte und Gruppenerlebnisse. Das Internet ist dagegen ein Mittel neben anderen, um soziale Bewegungen oder zivildemokratische Zusammenschlüsse in ihren Positionen und Aktionsformen zu beeinflussen. Dabei versucht insbesondere die linksautonome Szene, alternative Handlungsoptionen bereitzustellen, indem sie sich in den sozialen Netzwerken als konsequenter Gewaltunternehmer darstellt, der bereit ist, politische Forderungen auch und gerade mittels Gewalt durchzusetzen. Untermauert werden derartige Inszenierungen durch Beleidigungen, Memes und Gewaltdarstellungen in Bild und Video, die sich vor allem gegen die Polizei sowie reale oder vermeintliche Rechtsextremisten richten. Die inhaltliche Vermittlung von Gewalt bei durchgeführten oder angedrohten Aktionen erfolgt hingegen über längere Erklärungen oder Selbstbezichtungsschreiben, die in der Regel auf Szeneplattformen veröffentlicht werden und die nachgeordnete Rolle des Internets gegenüber realweltlichen Handlungen unterstreichen. Die Veränderung soll extremIsmus Im Internet 271 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 in der realen Welt herbeigeführt werden, das Internet nimmt eher die Rolle des Organisatorischen und der Mobilisierung ein. Ein Beispiel dafür ist ein Schreiben der sogenannten "Anarchist:innen aus Lützerath" vom 31. Dezember 2021, in dem die Teilnehmer des Protestcamps und die Klimabewegung insgesamt aufgefordert werden, "unsere Strategien [zu] ändern und unsere Mittel [zu] radikalisieren. [...] Die Mittel, die wir dafür nutzen müssen, gehen über Sabotage und Steine werfen hinaus. [...] Lasst uns ACAT [All Cops Are Targets = Alle Polizisten sind Ziele] Realität machen!". Wie in anderen Phänomenbereichen wird das Mobilisierungspotenzial des Internets auch durch Linksextremisten genutzt. Nahezu Standard im Linksextremismus sind mittlerweile Kampagnenwebsites mit professionell erstellten Mobilisierungsvideos. Mit Hilfe von Links zu Social Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram bilden die Websites ein zentrales Werkzeug der Mobilisierung. Oft werden Mobilisierungsseiten interaktiv gestaltet. So werden zu größeren Veranstaltungen immer wieder Mitfahrgelegenheits-, Busticketund Schlafplatzbörsen bereitgestellt, die von Anbietern und Suchenden interaktiv genutzt werden können. Islamismus Innerhalb der extremistisch-salafistischen und jihadistischen Szene dienen die sozialen Medien in hohem Maße zur Verbreitung von Propaganda, zur Kontaktanbahnung und zur Kommunikation bis hin zur Anschlagssteuerung. Vor allem durch den sogenannten IS wurden und werden Propagandaprodukte in einem vorher nicht gekannten Maße professionell und zielgruppengerecht gestaltet, wodurch die Attraktivität und die Erfolgschancen von Radikalisierern und deren Botschaften stetig gesteigert wurden. Durch die breit gestreute Benutzung sozialer Medien ist es extremistischen und jihadistischen Gruppierungen möglich, insbesondere junge Menschen unmittelbar anzusprechen, die diese Medien täglich nutzen. Der potenziell betroffene Adressatenkreis der Botschaften ist nicht einzugrenzen. Die jihadistische Propaganda befördert gezielt Emotionen wie Wut oder Demütigung, um junge Menschen im Sinne der extremistischsalafistischen Ideologie zu beeinflussen. Durch klar und unmissverständlich formulierte Botschaften wird das aktuelle politische Geschehen aufgegriffen und in einem der eigenen Ideologie angepassten Sinne interpretiert: Vor allem das Motiv der Rache für vermeintliches Unrecht gegen Muslime 272 extremIsmus Im Internet Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 weltweit wird in diesem Zusammenhang zur Legitimation für jihadistische Anschläge herangezogen. Extremistische Propaganda und Radikalisierung hat sich - nicht zuletzt aufgrund staatlicher Maßnahmen und damit einhergehender Verdrängungseffekte und letztlich durch die Auswirkungen der gegenwärtigen pandemischen Situation - zunehmend ins Internet und in die sozialen Medien verlagert. Die Nutzung sozialer Medien ist gerade für junge Menschen - ungeachtet ihrer Herkunft - heute eine Selbstverständlichkeit und tritt gleichberechtigt neben die Kommunikation in der realen Welt. ExtreBeispiel für Internetpropaganda mistische und jihadistische Propaganda, insbesondere gewaltverherrlichende und bildreiche "Werbebotschaften" jihadistischer Gruppierungen, verbreitet sich unkontrollierbar im Netz und findet potenziell ein großes Publikum, das von den Nachrichten und Bildern solcher Organisationen und Netzwerke angesprochen wird und diese wiederum eigenständig weiter verbreitet. Vor allem der sogenannte IS nutzte das Internet in der Vergangenheit nicht nur intensiv und professionell zu Propagandazwecken: Vielmehr wurden über soziale Medien Kontakte zu jungen Muslimen angebahnt, um diese zu radikalisieren, in Anschlagsabläufen zu instruieren und über Messengerdienste bei der Tat zu begleiten. Somit sind das Internet und die sozialen Medien eine zentrale Plattform zur Radikalisierung, Rekrutierung, Kommunikation und Steuerung von Jihadisten sowie zur Planung und "Vermarktung" von Anschlägen geworden. Facebook, Instagram, WhatsApp und vor allem Telegram spielten in der jüngeren Vergangenheit - unfreiwillig - eine ausschlaggebende Rolle als Bereitsteller der Kommunikationsinfrastruktur für die extremistisch-salafistische und jihadistische Szene in Deutschland. Den offensichtlichen Widerspruch zwischen der Nutzung moderner Technik und den modern anmutenden Werbebotschaften in den sozialen Medien einerseits und der extremIsmus Im Internet 273 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 eigentlichen Kernbotschaft - einer Ausrichtung des Lebens nach dem Vorbild der Frühgemeinde des Islam im 7. Jahrhundert - blendet die jihadistische Propaganda konsequent aus. Die Vorteile der sozialen Medien zur Verbreitung extremistischer und jihadistischer Botschaften werden selbstverständlich genutzt und nicht hinterfragt. Der fließende Übergang zwischen eher popkulturellen Elementen und tatsächlich extremistischer Propaganda bis hin zu einem eigenen "Lifestyle" erschwert die Abgrenzung zwischen klar erkennbarem Extremismus und Elementen einer Jugendkultur. Eigene Sprache und Symbolik sowie doppeldeutige Botschaften sind sowohl Grundlagen jugendlichen Protests als auch ideologisch motivierter Extremisten. Auslandsbezogener Extremismus Im auslandsbezogenen Extremismus lässt sich eine steigende Nutzung des Internets feststellen. Insbesondere die sozialen Medien gewinnen mit Blick auf digitale Vernetzung an Bedeutung. Die polarisierende Wirkung sozialer Medien wird im auslandsbezogenen Extremismus besonders deutlich, etwa bei der Beobachtung auf Organisationen mit Bezügen zur Türkei. Aktionen und Entwicklungen werden zeitund ortsunabhängig über das Internet und in Form digitaler Medien an die jeweils rivalisierenden Spektren herangetragen und verbreitet. Einerseits fällt bei der Kommunikation legalistischer Organisationen in sozialen Medien - hier insbesondere Facebook - zunehmend auf, dass die Profilseiten und Inhalte nicht unmittelbar als extremistisch erkennbar sind. So werden Themen der Gruppierungen, die insbesondere die Türkei betreffen, vermeintlich entlang demokratischer Diskurse diskutiert. Hierbei generieren die einzelnen Organisationen durchaus neue Sympathisanten, die zuvor keinerlei Anknüpfungspunkte an die jeweilige Ideologie hatten. Andererseits gilt für alle Beobachtungsobjekte im auslandsbezogenen Extremismus, dass einzelne Inhalte in einer unreflektierten Form aus dem Zusammenhang heraus besonders betont werden, um die Stimmung beim jeweiligen Empfängerkreis im Sinne eigener Intentionen zu steuern. Hierbei kommt es zu einer grundsätzlichen Abwertung gegnerischer Gruppierungen und zur Diffamierung der deutschen Medienlandschaft, dieser wird regelmäßig eine türkeiund muslimfeindliche Haltung vorgeworfen. Unsachliche und zum Teil aggressivere Kommunikation findet in wesentlichen Teilen in geschlossenen und privaten Gruppen statt: Hier werden Gruppen oder einzelne Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, diskreditiert und beleidigt. Stellenweise finden jene Diffamierungen allerdings auch öffentlich statt, erstens um die Diffamierten vor der türkischen Community bloßzustellen und zweitens um den jeweiligen Sachverhalt 274 extremIsmus Im Internet Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 einem größeren Publikum zugänglich zu machen und somit potenziell weitere - auch unbeteiligte - Personen zu einem Freund-Feind-Denken zu bewegen. Aufgrund der intensivierten Nutzung sozialer Medien - insbesondere während der Corona-Pandemie - hat die Dynamik in den einzelnen auslandsbezogenen extremistischen Kollektiven deutlich zugenommen: Erleichterte Reichweitenerhöhung, verstärkte Crossmedialität und Polarisierung. Einzelpersonen und kleinere Untergruppierungen nutzen für ihre Zwecke vermehrt Bloggingund Messengerdienste wie beispielsweise Twitter, Instagram, Telegram, WhatsApp und Snapchat. Darüber hinaus kommen Plattformen wie Flickr zum Ablegen größer Datenpakete beispielsweise mit Videos und Bildern zum Einsatz. Die Messengerdienste und Plattformen dienen vorrangig einer beschleunigten Kommunikation und weltweiten Verbreitung von Nachrichten und Informationen. Ereignisse, die den Phänomenbereich betreffen und bewegen, werden über die sozialen Medien im Internet geteilt und breitflächig in die Community getragen. Tagesaktuelle Belange werden diskutiert und kommentiert. Die digitalen Kommunikationsformen knüpfen regelmäßig an die Lebenswelt der unterschiedlichen Milieus an, sodass auch Videoportale wie zum Beispiel TikTok vermehrt genutzt werden. Als Videoportal, das sich vornehmlich an Jugendliche richtet, stellt TikTok eine weitere Plattform dar, den Adressatenkreis von Inhalten zu erhöhen. Die schemenhafte Darstellung politischer, mitunter extremistischer Ansichten vereinfacht auch die Kontaktaufnahme und den Austausch mit Usern aus dem türkischen Staatsgebiet und kann dabei bewusst oder unbewusst zur Übernahme der jeweiligen Themen und Ansichten führen. Ein gleiches Vorgehen ist bei den Messengerdiensten festzustellen. Der mobile Zugang zu sozialen Netzwerken begünstigt ein schnelles und unkompliziertes Mobilisieren der Community für Veranstaltungen und spontane Aktionen und Demonstrationen. Er ermöglicht aber auch eine zeitnahe Sensibilisierung mit Themen aus der jeweiligen Szene. Aufrufe können unkompliziert geteilt werden und erreichen schnell einen deutlich größeren Personenkreis, als dies über die Verbreitung in den örtlichen Strukturen möglich wäre. Vorrangig werden im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus die sozialen Netzwerke genutzt, um die kurzfristige Mobilisierungsfähigkeit der einzelnen Gruppierungen zu beschleunigen und auch Anschlussfähigkeit in bislang nicht zugängliche Milieus zu garantieren. In einzelnen Fällen konnten auch schon Aufrufe zur Rekrutierung Jugendlicher für den bewaffneten Kampf beobachtet werden. extremIsmus Im Internet 275 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 276 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Scientology Organisation (SO) scIentology organIsatIon (so) 277 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Scientology Organisation (SO) Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y Sitz/Verbreitung Zentrale in Los Angeles (USA), Repräsentanzen in Deutschland unter anderem in Berlin, Hamburg, München, Hannover, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf (Niederlassung des Scientology Kirche Düsseldorf e.V. und Repräsentanz des Celebrity Centre Rheinland Scientology Kirche e.V.) Gründung/Bestehen seit Gründung der Church of Scientology im Jahr 1953 durch Lafayette Ronald Hubbard (auch L. Ron Hubbard oder LRH) in den USA, Niederlassungen in Deutschland seit den 1970er Jahren Struktur/ Repräsentanz Die SO ist streng hierarchisch organisiert. Nachfolger des 1986 verstorbenen Gründers L. Ron Hubbard ist David Miscavige, der die Organisation bis heute als Vorsitzender des Religious Technology Centers (RTC) steuert. 278 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Repräsentanzen in Deutschland gliedern sich in sieben sogenannte Kirchen (Orgs), mehrere kleinere Missionen und zwei Celebrity Centres in München und Düsseldorf. Letztere sollen insbesondere prominente Persönlichkeiten für die SO gewinnen. Missionen unterscheiden sich von den Orgs im Wesentlichen darin, dass hier nur grundlegende Dienstleistungen angeboten werden. Große, repräsentative Orgs mit überregionaler Bedeutung werden als Ideale Orgs bezeichnet. Sie sollen möglichst alle Dienstleistungen unter einem Dach anbieten. In Deutschland befinden sich Ideale Orgs in Berlin, Hamburg und Stuttgart. Die SO bezeichnet sich selbst als Kirche. In Deutschland ist sie jedoch als solche nicht anerkannt. Die Orgs sind daher als eingetragene Vereine (e.V.) organisiert, auch wenn sie den rechtlich nicht geschützten Begriff Kirche zum Bestandteil ihrer Vereinsnamen gemacht haben. Mitglieder/Anhänger/ NRW: circa 350 Unterstützer 2021 Die SO selbst nennt deutlich höhere Mitgliederzahlen. Veröffentlichungen Internationale Zeitschriften: Impact, Scientology News, Celebrity, Source, Freewinds, OT-Universe, The Auditor und Advance. Deutschsprachige Zeitschriften: Freiheit und Kompetenz. Diverse durch New Era Publications verlegte Sachbücher und Romane von L. Ron Hubbard. Broschüren "Wie man sich selbst & andere gesund hält" und "Der Weg zum Glücklichsein" scIentology organIsatIon (so) 279 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Kurzporträt/Ziele Die Ziele der SO basieren auf den bis heute verbindlichen Lehren ihres Gründers L. Ron Hubbard, insbesondere auf seinem 1950 veröffentlichten Grundlagenwerk Dianetik. Sie strebt eine scientologische Gesellschaft an, in der an die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte ein auf der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes, totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung tritt. Die SO agiert häufig verborgen unter dem Deckmantel einer ihrer zahlreichen Nebenund Tarnorganisationen oder Kampagnen, deren Zugehörigkeit zur SO auf den ersten Blick meist nicht erkennbar ist. Beispiele hierfür sind: > Der Weg zum Glücklichsein (The Way To Happiness), > Sag NEIN zu Drogen, sag JA zum Leben (deutscher Ableger der Foundation for a drug-free world), > Jugend für Menschenrechte (Youth for Human Rights), > Foundation for a drug-free world (Kampagne gegen Drogenmissbrauch), > Narconon (Organisation zur Rehabilitation von Suchtkranken), > Criminon (Verein zur Resozialisierung von Strafgefangenen), > Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM), auf internationaler Ebene: Citizens Commission On Human Rights (CCHR). 280 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Um Kontakt zu potentiellen Neumitgliedern herzustellen, bedient sich die SO sowohl klassischer Methoden wie dem Verteilen von hochwertig gestalteten Broschüren als auch zunehmend der Möglichkeiten des digitalen Raums, zum Beispiel in Form von Online-Persönlichkeitstests oder Webinaren. Weiterhin versucht die SO, ihre Einflussmöglichkeiten durch Unterwanderung der Wirtschaft zu vergrößern. Hierzu nutzt sie den eigenen Wirtschaftsverband World Institute of Scientology Enterprises (WISE) sowie eigene Organisationsund Managementstrategien. Auf diese Weise soll sukzessive die Infiltration der Wirtschaft voranschreiten und der Einfluss der Organisation ausgebaut werden. Der SO zugehörige Wirtschaftsunternehmen sind häufig dem Immobiliensektor oder der Beratungsbranche zuzurechnen. Bekannt sind aber auch Einrichtungen, die Dienstleistungen auf dem Nachhilfemarkt anbieten und sich damit gezielt an junge Menschen richten. Diese sind oft daran zu erkennen, dass sie Lerntechniken von Applied Scholastics anwenden. Applied Scholastics ist Teil der Association for Better Living and Education (ABLE), einer Nebenorganisation der SO. Finanzierung Kostenpflichtige Kurse und Vertrieb entsprechender Kursmaterialien; daneben wird regelmäßig Druck auf die Mitglieder ausgeübt, teils erhebliche Geldbeträge an die SO zu spenden. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die SO als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung ist seit 1997 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. In Nordrhein-Westfalen erfolgt die Beobachtung auf der Grundlage des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. scIentology organIsatIon (so) 281 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Scientologen teilen die Gesellschaft in Nichtabberierte und Abberierte (Nicht-Scientologen) auf. Letztere sind nach ihren Vorstellungen in einzelnen Rechten einzuschränken. Diese Einschränkungen betreffen wesentliche Grundund Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung, zudem wird eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen angestrebt. Zur Erreichung ihrer Ziele versucht die Organisation, Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu nehmen. Mit der Entscheidung des OVG Münster vom 12. Februar 2008 ist die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz festgestellt worden. Das Gericht bestätigte die Auffassung des Verfassungsschutzes, dass die Lehre der Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) und der Scientology Kirche Berlin e.V. (SKB) eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellt. Nach wie vor besitzen die Schriften des Gründers L. Ron Hubbard zur Schaffung einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen Gültigkeit. Sie werden von der SO in Deutschland auch weiterhin in großem Umfang verbreitet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Zahl der Mitglieder in Nordrhein-Westfalen stagniert seit einigen Jahren auf einem im Vergleich zu früheren Zeiten überschaubaren Niveau. Die SO ist jedoch bemüht, ihr Image aufzubessern und neue Mitglieder zu gewinnen. Die Ende 2018 medial angekündigte Eröffnung einer Idealen Org in Düsseldorf konnte bisher nicht realisiert werden. Im Jahr 2021 wurden zahlreiche Fälle bekannt, in denen Druckerzeugnisse von SO-Tarnorganisationen, insbesondere von "Der Weg zum Glücklichsein", in Briefkästen nordrhein-westfälischer Bürgerinnen und Bürger eingeworfen wurden. Bei der Gestaltung dieser Materialien fanden Logo des Düsseldorfer Ablegers von SO meist farbenfrohe und teils kindgerechte Motive Verwendung, die eine Zuordnung zur SO oft nicht oder nur schwer möglich machen. Diese Taktik soll die wahre Herkunft der Angebote verschleiern und einen Erstkontakt mit der SO generieren. Tarnorganisationen der SO traten auch in Kontakt zu Landesministerien und versuchten, dort entsprechend Einfluss zu nehmen. 282 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der bereits in den letzten Jahren zu beobachtende Trend einer verstärkten Nutzung des digitalen Raums durch die SO setzte sich in 2021 fort. So wurden im vergangenen Jahr zahlreiche Webinare und Onlinekurse angeboten. Dies bietet zum einen offensichtliche Vorteile im Hinblick auf die anhaltende pandemische Lage und die damit verbundenen Einschränkungen, zum anderen setzten entsprechende Online-Angebote die Hemmschwelle für potentiell Interessente herab. Ebenso wie die klassischen Druckerzeugnisse der SO und ihrer Tarnorganisationen lassen auch die angebotenen Webinare auf den ersten Blick oft keinen Rückschluss auf die SO zu. Verschleierte Angebote von SO im Internet Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die 2008 durch das OVG Münster formulierte Gefahreneinschätzung zur SO hat unverändert Bestand. Die SO wendet zur Erreichung ihrer Ziele nach wie vor die gleichen Mittel an und erschließt sich zusätzlich Teile des digitalen Raums. Nicht nur vor dem Hintergrund des nicht abzusehenden Endes der aktuellen pandemischen Situation wird davon ausgegangen, dass die SO ihre Onlineaktivitäten und -angebote weiter intensivieren wird. Ein künftiger Anstieg der Mitgliederzahlen in Nordrhein-Westfalen ist daher nicht auszuschließen. scIentology organIsatIon (so) 283 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 284 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Spionageabwehr, Cyberabwehr und Wirtschaftsschutz spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 285 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Die Bedrohungslage durch ausländische Nachrichtendienste und sonstige geheimdienstlich oder sicherheitsgefährdend agierende Strukturen ist in Nordrhein-Westfalen so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Die Aktivitäten reichen von illegitimer Einflussnahme über klassische Spionage und Cyberangriffe bis hin zu staatsterroristischen Aktivitäten. Die Bedrohungslage ist komplex und dynamisch. Illegitime Einflussnahme ist in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Mittel im Kampf um Einfluss und Vorherrschaft im globalen Gefüge geworden. Übergeordnete Ziele solcher Aktivitäten sind die Destabilisierung des jeweiligen Zielstaats und seiner demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen sowie die Schaffung günstiger Voraussetzungen für die Umsetzung der eigenen politischen Ziele. Daneben betreiben einige Staaten eine gezielte und oftmals desintegrative Diasporapolitik mit deren Hilfe die jeweilige Auslandscommunity kontrolliert, beeinflusst und für die eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert werden soll. Die Spionageabwehr hat im Berichtsjahr umfassende Einflussnahmeversuche diverser Staaten auf unterschiedlichsten Feldern in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Mit einer weiteren Zunahme entsprechender Aktivitäten ist zu rechnen. Im Bereich der Spionage interessieren sich ausländische Nachrichtendienste für Haltungen, Verhandlungspositionen und Zielsetzungen politischer Akteure auf Landesund Kommunalebene. Aber auch Behördenmitarbeiter, ihre Zuständigkeiten und ihr Agieren werden in NRW durch nachrichtendienstliche Strukturen in den Blick genommen. Solche Aktivitäten folgen stets dem Interesse, Personen oder Organisationen für die eigene politische Agenda zu vereinnahmen, sie zu beeinflussen oder gar nachrichtendienstlich nutzbare Zugänge zu schaffen. Darüber hinaus sieht sich die nordrhein-westfälische Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin einem erheblichen Spionagerisiko ausgesetzt. Die fortschreitende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die zunehmende Vernetzung eröffnen ausländischen Nachrichtendiensten die Möglichkeit, ihre Operationsziele auch über Cyberangriffe zu erreichen. Die detektierten Cyberangriffe ausländischer Dienste lassen die immensen technischen Fähigkeiten erahnen. 286 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 In Nordrhein-Westfalen konnten insbesondere Aktivitäten von Hackergruppierungen beobachtet werden, die mutmaßlich den Ländern Russland, China, Nordkorea und dem Iran zugeordnet werden. Die Anzahl der vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz sensibilisierten möglichen Opfer staatlich gesteuerter Cyberangriffe hat sich im Jahr 2021 erneut erhöht. Proliferationsrelevante Staaten versuchen darüber hinaus weiterhin im hohen Maße, militärisch nutzbare Produkte unter Umgehung der hiesigen Exportkontrolle zu beschaffen. Abnehmer sind inzwischen neben Massenvernichtungswaffenund Raketenprogrammen auch militärisch ausgerichtete Weltraumprogramme, vor allem der Länder Russland und China. Mehr als in früheren Jahren sieht sich die Spionageabwehr zudem mit Fällen von Staatsterrorismus konfrontiert, die sich oftmals gegen Oppositionelle richten und eine besonders ernst zu nehmende Gefährdungsdimension aufweisen. Im Februar 2021 wurde ein als Diplomat an der Iranischen Botschaft in Wien abgetarnter Mitarbeiter des iranischen Nachrichtendienstes wegen der Planung eines terroristischen Anschlags und der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung von einem belgischen Gericht zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2021 verurteilte das Berliner Kammergericht einen Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe und stellte fest, dass der Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen erfolgte. Die Anwendung staatlich gesteuerter Gewalt ergänzt die weiterhin bestehenden Bestrebungen vieler Länder, mit Hilfe der eigenen Nachrichtendienste Oppositionsgruppen in Deutschland auszuspähen und zu unterwandern. Angesichts der weiter anhaltenden Bedrohungslage durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken bleiben der präventive Wirtschaftsschutz und die Sicherheitsberatung von Unternehmen der sogenannten geheimschutzbetreuten Wirtschaft wichtige Aufgaben des Verfassungsschutzes. Über die Sicherheitspartnerschaft gegen "Wirtschaftsspionage, Sabotage und Wirtschaftskriminalität NRW", deren Geschäftsführung weiterhin beim nordrheinwestfälischen Verfassungsschutz liegt, wird zudem die Vernetzung und der Austausch auf möglichst vielen Ebenen organisiert. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 287 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Aufklärung und Sensibilisierung der Politik im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2021 In den letzten Jahren sind illegitime Aktivitäten ausländischer Staaten zu einem wesentlichen Mittel im Kampf um Einfluss und Vorherrschaft im globalen Gefüge geworden. Nordrhein-Westfalen ist davon in mehrfacher Hinsicht massiv betroffen. Daher haben die Spionageund Cyberabwehr sowie der Wirtschaftsschutz ihre Aufklärungsund Sensibilisierungsmaßnahmen gegenüber betroffenen Bereichen deutlich verstärkt und aktiv ausgerichtet; wie konkret, zeigt das Beispiel der Bundestagswahl 2021. Bedrohungen durch illegitime ausländische Einflussnahmen bestehen in einem erheblichen Maße auch für Nordrhein-Westfalen. Ein erheblicher Teil entsprechender Aktivitäten wendet sich gegen die subnationale Ebene, also gegen Länder und die Kommunen sowie gegen Communities hier lebender Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Zu den Bereichen, die im Berichtsjahr am häufigsten Gegenstand ausländischer Einflussnahmeversuche wurden, zählte neben der Corona-Pandemie, der Hochwasserkatastrophe, von der Nordrhein-Westfalen besonders stark betroffen war, vor allem die Bundestagswahl im September 2021. Aktivitäten im Vorfeld der Bundestagswahl Im Vorfeld der Bundestagswahl lagen dem Verfassungsschutz Hinweise vor, dass Personen im politischen Raum Deutschlands verstärkt durch Phishing-E-Mails bedroht wurden. Die Empfänger wurden unter einem Vorwand gedrängt, auf einer gefälschten Internetseite ihre Zugangsdaten zu meist privaten E-Mail-Konten einzugeben. Ein solcher Zugang zu E-Mail-Konten eröffnet Angreifern die Möglichkeit von sogenannten "Hack and Leak" Operationen. Entsprechende Operationen können schon seit einigen Jahren im internationalen Raum beobachtet werden. Bei den in vielen Fällen unbemerkten Angriffen werden von den Angreifern vertrauliche Daten abgezogen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt und gegebenenfalls modifiziert zu veröffentlichen. Angreifer versuchen, mit der Veröffentlichung in eine bestimmte Richtung auf die Wahlentscheidungen einzuwirken. Die Veröffentlichung von E-Mails eines Servers der Demokratischen Partei in den USA im Jahr 2016 steht beispielsweise im Verdacht, Teil einer aus Russland gesteuerten Einflussnahmekampagne auf die Wahl des US-Präsidenten gewesen zu sein. Sofern es Angreifern gelingt, Zugangsdaten zu einem E-Mail-Konto zu erhalten, ergeben sich neben "Hack and Leak" Operationen weitere Gefahren: Zum einen könnten 288 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 mit der Funktion zum Zurücksetzen des Passworts verknüpfte Konten in den sozialen Medien übernommen werden. Zum anderen lassen sich im kompromittierten E MaiKonto gespeicherte Kontakte für Phishing-Angriffe auf die entsprechenden Personen missbrauchen. In beiden Fällen könnte ein Angreifer die Zugänge beispielsweise für die Verbreitung von Falschmeldungen oder Verleumdungen nutzen. Die Vorgehensweise der Angreifer in Deutschland ähnelte der einer Gruppierung, die in Osteuropa mit Falschmeldungen in Zusammenhang gebracht wird. Aufgrund des Versendens von Nachrichten unter falschem Namen wird die Gruppierung als "Ghostwriter" bezeichnet. Die Cyberangriffe auf Bundestagsund Landtagsabgeordnete wurden in einer Regierungspressekonferenz am 6. September 2021 durch die Bundesregierung verurteilt. In der Pressekonferenz ordnete die Bundesregierung die Aktivitäten Cyberakteuren des russischen Staates und konkret dem russischen Militärgeheimdienst GRU zu. Aktive Sensibilisierung durch den Verfassungsschutz Von den Phishing-Versuchen waren 15 politisch aktive Personen in Nordrhein-Westfalen betroffen. Hierzu zählten neun Mitglieder des Landtages, vier Lokalpolitiker, ein ehemaliges Mitglied des Landtages sowie ein früherer Lokalpolitiker. Der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz hat die betroffenen Personen sensibilisiert und auf die besondere Gefahr aufmerksam gemacht. Darüber hinaus wurden der Präsident des nordrhein-westfälischen Landtags informiert und Beschäftigte des Landtages mit einem Informationsschreiben sensibilisiert. Die Fraktionen des Landtags wurden im Vorfeld der Bundestagswahl durch den Leiter des Verfassungsschutzes NordrheinWestfalen umfassend über die drohenden Gefahren der Einflussnahme ausländischer Nachrichtendienste informiert. Die Beobachtungen aus dem Berichtsjahr bestätigen erneut, dass von illegitimer ausländischer Einflussnahme eine erhebliche Bedrohung für die Demokratie und rechtsstaatliche Institutionen und Prozesse ausgeht. Der Austausch mit dem Landtag soll fortgesetzt werden, zumal die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2022 Einflussakteuren erneut potentielle Betätigungsfelder bietet. Daneben wurden und werden in Politik und Verwaltung auf kommunaler und Landesebene Vorträge gehalten sowie Beratungen und Hintergrundgespräche durchgeführt. Der Bedarf in diesem Bereich ist groß und die Anzahl potentiell betroffener Stellen hoch. Vor diesem Hintergrund werden derzeit Konzepte erstellt, auf deren Basis eine systematische und langfristig flächendeckende Sensibilisierung für die nächsten Jahre sichergestellt werden soll. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 289 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Spionage, politische Einflussnahme ausländischer Staaten und Proliferation Nach wie vor sind die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei die Hauptakteure gegen Deutschland und Nordrhein-Westfalen gerichteter Spionage. Die Zahl der darüber hinaus in NRW agierenden Nachrichtendienste ist jedoch hoch und das Ausmaß ihrer Aufklärungsinteressen gestaltet sich noch vielfältiger und tendenziell umfangreicher als in den Vorjahren. Mit dem sogenannten 360-Grad-Blick geht die Spionageabwehr jedem Hinweis auf illegale oder statuswidrige Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland nach. Im Berichtsjahr wurden in diesem Bereich umfangreiche Maßnahmen zur Aufklärung und Abwehr umgesetzt. Politische Einflussnahme Bei illegitimer ausländischer Einflussnahme, die von fremden Nachrichtendiensten oder sonstigen Stellen ausländischer Staaten ausgeht, handelt es sich um eine der bedeutsamsten Bedrohungen für das westliche Demokratieund Werteverständnis. Übergeordnete Ziele derartiger Angriffe sind das Unterminieren oder Zerstören des Vertrauens in die Stabilität und Integrität des betroffenen Staates. Seine rechtsstaatlichen Institutionen und Repräsentanten sowie die demokratischen Prozesse sollen geschwächt und das Vertrauen in eine unabhängige mediale Berichterstattung beschädigt werden. Weil sich Einflussnahmeversuche gegen den demokratischen Verfassungsstaat und seine Institutionen richten, handelt es sich dabei um sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes, deren Aufdeckung und Offenlegung Aufgabe der Spionageabwehr ist. 2021 [?] 4. Februar Verurteilung eines iranischen Diplomaten in Antwerpen/Belgien wegen Staatsterrorismus 290 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Einflussnahmeaktivitäten werden oftmals politisch und gesellschaftlich umfassend und langfristig angelegt. Sie richten sich gegen alle politischen Ebenen und können sich potentiell aller denkbaren Themenbereiche bedienen, sofern diese zur Verbreitung eigener Narrative geeignet sind. Diese Narrative sollen in der Regel ein wohlwollendes Umfeld und Verständnis für die eigene Außen-, Sicherheitsund Wirtschaftspolitik der Einfluss nehmenden Staaten erzeugen und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, dass ihr Gesellschaftsmodell dem demokratischer Verfassungsstaaten überlegen ist. Illegitime Einflussnahme wird als hybride Bedrohung bezeichnet, weil ausländische Staaten sich eines breiten Instrumentenkastens zur Umsetzung ihrer Ziele bei gleichzeitiger Verschleierung der Urheberschaft ihrer Aktivitäten bedienen. In Deutschland und Nordrhein-Westfalen konzentrieren sich Einflussnahmeversuche auf die vier grundlegenden unter "Handlungsfelder hybrider Einflussakteure" beschriebenen Bereiche, die sich jedoch nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen lassen, oftmals ineinandergreifen und teilweise wechselseitig bedingen. Zunehmender Einsatz von Gewalt Besondere Sorge bereitet der Spionageabwehr die zunehmende Bereitschaft ausländischer Staaten, Gewalt zur Verfolgung eigener außenund sicherheitspolitischer Interessen einzusetzen. Allein im Berichtsjahr kam es in Europa, konkret in Belgien und Deutschland, zu zwei Gerichtsurteilen, in denen Staatsterrorismus explizit festgestellt wurde. Als Drahtzieher wurden der iranische Nachrichtendienst MOIS sowie staatliche russische Stellen ausgemacht. Doch auch über Iran und Russland hinaus hat die Spionageabwehr in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden eine gestiegene Anzahl von Gefährdungssachverhalten bearbeitet. Sie beobachtet weiterhin genau, ob ausländische Regierungen ihre Nachrichtendienste oder sonstige staatsnahe Strukturen und Netzwerke nutzen, um Dissidenten in NRW aufzuklären, zu bedrohen oder mit gewalttätigen Mitteln zu attackieren. 2. März Großflächige Cyberangriffe unter Ausnutzung von Schwachstellen in der Software Exchange (Microsoft vermutet als Ursprung eine durch China unterstützte Hackergruppierung namens HAFNIUM) spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 291 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Operatives Vorgehen der Nachrichtendienste Bei der operativen Methodik konnte bei einer Vielzahl ausländischer Nachrichtendienste im Berichtsjahr erneut eine Kombination aus zentral gesteuerten Operationen und einem Agieren aus sogenannten Legalresidenturen festgestellt werden. Die Informationsbeschaffung der Legalresidenturen wird oftmals durch zentrale Operationen aus den Heimatländern ergänzt. Zielpersonen auf Geschäftsoder Urlaubsreisen werden angeworben und langfristig aus dem jeweiligen Ausland gesteuert. Die Führung von Agenten über ihre Reisen in das staatliche Hoheitsgebiet des entsprechenden Nachrichtendienstes birgt ein geringeres Entdeckungsrisiko als ein Agieren im Zielstaat. Sie wird oftmals durch Kommunikationskanäle im Internet und Treffs in Drittstaaten ergänzt. Die meisten Staaten bedienen sich einer Kombination aller Möglichkeiten. Handlungsfelder hybrider Einflussakteure > Informationsraum und gesellschaftlicher Raum In diesem Bereich nutzen Einflussakteure unter anderem eigene staatliche beziehungsweise staatsnahe Medien, Thinktanks oder soziale Netzwerke, aber auch staatsnahe (religiöse) Verbände zur Verbreitung ihrer Narrative. So sollen die öffentliche Meinung sowie Haltungen und Einstellungen in Diaspora-Gruppen geprägt und beeinflusst werden. Mittel sind hier oftmals Propaganda, einseitige und tendenziöse Berichterstattung und Desinformation. 2021 [?] 10. März Berliner Kammergericht verkündet Urteil gegen ägyptischen Spion im Bundespresseamt 292 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 > Cyberraum Einflussnahmeversuche im Cyberraum sind vielfältig und reichen von Vorbereitungsund Unterstützungsmaßnahmen sonstiger Aktivitäten über sogenannte "Hack-and-Leak" Operationen zur Erbeutung und (teilweise verfälschten) Veröffentlichung vertraulicher Daten bis hin zu gezielten Cyberangriffen gegen sicherheitsrelevante Einrichtungen und kritische Infrastruktur. > Politischer Raum Im politischen Raum nehmen Einflussnahmeversuche vor allem Parlamente, Parteien und politische Stiftungen in den Fokus. Hier kommen Instrumente des Informationsund Cyberraums zur Anwendung, um politische Diskussionen zu befeuern, favorisierte Parteien und Politiker zu unterstützen und andere zu diskreditieren oder gar einzuschüchtern. Daneben werden verbreitet nichtöffentliche Mittel eingesetzt. So wird beispielsweise seitens diplomatischer Vertretungen oder über vermeintlich neutrale Mittelsleute versucht, Entscheidungsträger zu vereinnahmen oder politischen und wirtschaftlichen Druck auszuüben, um konformes Verhalten zu erreichen. > Wirtschafts-, Wissenschafts-, Bildungsund Kulturraum Im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur arbeiten Einflussakteure oftmals ebenfalls mit nichtöffentlichen (Druck-) Mitteln. Unter Verweis auf Absatzmärkte oder wissenschaftliche Kooperationen wird konformes Verhalten oder gar offensive Fürsprache im Sinne der Einflussakteure erwartet. 22. März 9. Mai China verhängt Sanktionen Cyberangriff mit Ransomware gegen deutsche Politiker und legt eine große Pipeline in den Wissenschaftler USA für mehrere Tage still spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 293 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aktivitäten aus Legalresidenturen heraus Bei sogenannten Legalresidenturen handelt es sich um getarnte Stützpunkte ausländischer Nachrichtendienste in diplomatischen, konsularischen oder halbamtlichen Vertretungen wie Botschaften, Konsulaten, aber auch Presseagenturen oder Fluggesellschaften. Von dort agieren ihre Mitarbeiter oftmals unter diplomatischem oder journalistischem Schutz. Dies erleichtert es ihnen, statuswidrig beziehungsweise illegal Informationen zu beschaffen oder bei nachrichtendienstlichen Operationen ihres Heimatlandes zu unterstützen. Ihre Aktivitäten können sich auf alle gesellschaftlichen und politischen Ebenen und Themenfelder erstrecken. Sie sind zumeist langfristig angelegt und werden mit hoher Professionalität verfolgt. Die entsprechende Abtarnung ermöglicht den Angehörigen von Legalresidenturen regelmäßig eine unverfänglich erscheinende Kontaktaufnahme zu Zielpersonen. Diese haben ihrerseits meist keine Kenntnis vom nachrichtendienstlichen Hintergrund ihres Gegenübers und gehen zunächst von regulären beruflichen Kontakten beispielsweise im Wege eines internationalen Austauschs aus. 2021 [?] 8. Juni Der Landtag NRW verurteilt Anfeindungen türkischer Medien gegen sein Mitglied Berivan Aymaz 294 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Russische Föderation Nachrichtendienste sind ein fester Bestandteil der russischen Sicherheitsarchitektur. Sie sind für die Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen der russischen Staatsführung von besonderer Bedeutung. Dabei stützt sich die Russische Föderation im Wesentlichen auf den für die Tätigkeitsfelder Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und organisierte Kriminalität zuständigen Inlandsnachrichtendienst "Federalnaja Slushba Besopasnosti" (FSB), den zivilen Auslandsnachrichtendienst "Slushba Wneschnej Raswedki" (SWR), der sich vorrangig auf die Themen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie konzentriert, sowie den "Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije" (GRU) als militärischen Auslandsnachrichtendienst. Bei den genannten Aufklärungsfeldern sammeln die russischen Nachrichtendienste auch in Deutschland und Nordrhein-Westfalen umfangreich Informationen. Herausgehobene Interessenlagen ergeben sich vor allem, wenn sich die Russische Föderation konkret betroffen sieht. Dies ist beispielsweise im Bereich der Energiepolitik ("Nord Stream 2") oder bei gegen Russland verhängten Sanktionen der Fall. Aber auch Wahlen in Deutschland und hieraus gegebenenfalls resultierende politische Veränderungen im deutsch-russischen Verhältnis werden fokussiert. Daneben hat die Aufklärung und Bekämpfung oppositioneller Strukturen und Einzelpersonen eine hohe Priorität für die russischen Nachrichtendienste. Insgesamt hat die Bedeutung der russischen Auslandsspionage seit der Abkühlung der politischen Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der westlichen Staatengemeinschaft zugenommen. Insbesondere vor dem Hintergrund eines befürchteten Angriffs Russlands auf die Ukraine drohte die NATO Russland Ende 2021 weitere Sanktionen an. Dies lässt eine Intensivierung der nachrichtendienstlichen russischen Aktivitäten erwarten. Wie schon im Vorjahr waren im Berichtsjahr erneut zahlreiche Einflussnahmeversuche russischer Stellen zu beobachten. In einer Anfang 2021 veröffentlichten Untersuchung stellt der Europäische Auswärtige Dienst Deutschland sogar als Hauptziel russischer 6. September Die Bundesregierung verurteilt Cyberangriffe des Akteurs "Ghostwriter" auf Bundesund Landtagsabgeordnete und ordnet sie dem rissischen Militärgeheimdienst GRU zu spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 295 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Desinformationskampagnen fest. Hervorzuheben ist hier der Sender RT DE (ehemals RT Deutsch), der regelmäßig mit einseitiger und tendenziöser Berichterstattung auffiel. Das im Jahr 2021 deutlich zutage getretene Bestreben seitens RT DE, eine TVSendelizenz für Deutschland zu erhalten, scheiterte zunächst unter anderem an der fehlenden Staatsferne des Mediums. Trotzdem nahm RT DE im Dezember 2021 den Sendebetrieb in Deutschland unter Bezugnahme auf eine in Serbien erhaltene Sendelizenz kurzfristig auf. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg leitete daraufhin unmittelbar ein Verfahren gegen den Sender wegen des Verdachtes ein, die für Deutschland geltenden Rundfunkregelungen unrechtmäßig umgangen zu haben. Als Reaktion darauf schalteten sich staatliche russische Stellen in die Diskussion ein. Dies macht die enge Verbindung zwischen dem russischen Staat und RT DE und das enorme Interesse Russlands an RT DE deutlich. Daneben nutzten russische Stellen erneut intensiv soziale Netzwerke sowie den Cyberraum zur Verbreitung eigener Narrative beziehungsweise zur Unterstützung und Durchführung von Einflussnahme-Operationen. Angehörige russischer Legalresidenturen sind zudem stetig und mit hohem Ressourcenaufwand bemüht, Zugänge zu Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden zu erhalten, Personen zu vereinnahmen und Möglichkeiten nachrichtendienstlicher Anbahnung und Steuerung zu prüfen. Entsprechenden Hinweisen auf Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen geht die Spionageabwehr mit hoher Priorität nach. In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie versuchten russische Akteure wie RT DE weiterhin, starke Zweifel an der Wirksamkeit und Verträglichkeit westlicher Impfstoffe zu säen sowie eine generelle Kritik am Krisenmanagement in der Bundesrepublik zu verbreiten. Ziel ist dabei, bestehende gesellschaftliche Konflikte weiter aufzuheizen. Neben erkennbar staatlichen beziehungsweise staatlich gelenkten Operationen fiel im Berichtsjahr der Versuch einer internationalen Desinformationskampagne gegen einen westlichen Impfstoffhersteller auf, der durch eine PR-Agentur mit angeblichem 2021 [?] 17. September Razzia und Festnahme in einem Hotel in Düsseldorf wegen des Verdachts auf Agententätigkeit für die Türkei 296 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Sitz in London lanciert wurde. Die Agentur kontaktierte weltweit Influencer und versuchte, diese gegen Bezahlung dazu zu bewegen, Aussagen zu einer angeblich höheren Sterblichkeitsrate beim Impfstoff des Herstellers zu verbreiten. Unter anderem ein deutscher Journalist und Youtuber griff diese Desinformationsversuche auf. Den kontaktierten Influencern wurden genaue Vorgaben zur Ausgestaltung der von ihnen gewünschten Aussagen gemacht. Bei der betreffenden PR-Agentur handelt es sich nach Presseberichten lediglich um eine Briefkastenfirma, die nicht im britischen Handelsregister eingetragen ist. Der medialen Berichterstattung zufolge ist die Agentur Teil eines Netzwerks von Personen und Organisationen mit deutlichen Verbindungen nach Russland. Ein abschließender Nachweis einer staatlichen oder gar nachrichtendienstlichen russischen Urheberschaft ist - wie oftmals bei Einflussnahmeaktivitäten - zwar nicht möglich, der Sachverhalt fügt sich aber in das Bild des Vorgehens staatlicher beziehungsweise staatlich gesteuerter Akteure ein. Auch die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland wurde von RT DE aufgegriffen. Insbesondere ab Juli 2021 wurde die Berichterstattung tendenziöser und polemischer und das Bemühen sichtbar, kritische Fragen der Öffentlichkeit aufzugreifen und mit bestehenden Argumentationsmustern russischer Einflussakteure zu verbinden. Neben der Bedrohung durch Cyberangriffe konnten in Zusammenhang mit der Bundestagswahl im September 2021 weitere Einflussnahmeversuche ausländischer Stellen festgestellt werden. So versuchten beispielsweise russische Akteure, vermeintlich russlandkritische Parteien und Personen zu diskreditieren. Mit zahlreichen Berichten startete der deutschsprachige, von der russischen Föderation finanzierte Auslandssender RT DE eine Propaganda-Kampagne gegen die Kanzlerkandidatin der Partei Bündnis 90/Die Grünen, nachdem diese nominiert wurde. In polemischer Art und Weise wurden die Kandidatin und das Programm der Partei angegriffen und diffamiert. Unter anderem fand sich in einem Artikel die Aussage "Wer die Grünen wählt, [...] wählt den Krieg". Die Kampagne kann auch als Beispiel für die Anschlussfähig25. Oktober China versucht Lesung zu einem Buch über Staatschef XI an Konfuzius-Instituten (unter anderem in Duisburg) zu verhindern spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 297 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 keit staatlicher Einflussnarrative in extremistische Milieus dienen. Auf der Grundlage entsprechender Artikel von RT DE fanden Desinformationen weitere Verbreitung in sozialen Medien und wurden unter anderem von bekannten Rechtsextremisten über Telegram geteilt. In Nordrhein-Westfalen sind russische Nachrichtendienste im Berichtsjahr erneut intensiv tätig gewesen. Neben konspirativ durchgeführten Operationen agieren Mitarbeiter der russischen Nachrichtendienste regelmäßig im Wege offener und halboffener Informationsbeschaffung aus Legalresidenturen heraus. Dabei versuchen sie, sich auf unterschiedlichen Ebenen mit Vertretern nordrhein-westfälischer Parteien, Behörden und zivilgesellschaftlicher Institutionen zu vernetzen. Ziele sind eine Vereinnahmung, Abschöpfung und Anbahnung zu nachrichtendienstlichen Zwecken. Neben klassisch nachrichtendienstlichen Methoden steht die Russische Föderation im dringenden Verdacht, staatsterroristische Mittel insbesondere gegen als oppositionell oder staatsfeindlich definierte Personen einzusetzen. Im Fall der Ermordung eines georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft im Kleinen Tiergarten in Berlin im August 2019 hatte der Generalbundesanwalt im Juni 2020 Anklage erhoben und die Tat als "Auftragsmord staatlicher russischer Stellen" bezeichnet. Die Staatsschutzkammer des Berliner Kammergerichtes verurteilte den Angeklagten Mitte Dezember 2021 zu einer lebenslangen Haftstrafe und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Das Gericht war in dem Verfahren zu der Überzeugung gelangt, dass der Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen erfolgte. Zudem spreche vieles dafür, dass der Angeklagte ein Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB sei. Außenministerin Baerbock sprach von einer "schwerwiegenden Verletzung deutschen Rechts und der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland". 2021 [?] 28. Oktober Das Berliner Kammergericht verurteilt einen russischen Spion wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Bewährungsstrafe 298 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Volksrepublik China Zur Durchsetzung ihrer Ziele und zum eigenen Machterhalt sind die chinesischen Nachrichtendienste für die eigene Staatsführung von essentieller Bedeutung. Sie verfügen über umfangreiche Befugnisse und sind sowohl im Bereich der Einflussnahme eingebunden als auch in klassisch nachrichtendienstlicher Weise zur Informationsbeschaffung aktiv. In Deutschland sind das für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständige "Ministry of State Security" (MSS), das "Military Intelligence Directorate" (MID) als militärischer Nachrichtendienst und der polizeiliche Nachrichtendienst "Ministry of Public Security" (MPS) aktiv. Methodisch konnten im Berichtsjahr sowohl zentral aus China gesteuerte Operationen als auch aus Legalresidenturen entfaltete Aktivitäten festgestellt werden. Nordrhein-Westfalen steht insbesondere wegen seiner innovativen kleinen und mittleren Unternehmen sowie seiner Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Interesse Chinas, das versucht, mit klassischer Spionage, Cyberangriffen oder Direktinvestitionen technologische Lücken zu schließen. Aber auch in den Bereichen Politik und Militär werden Informationen gesammelt. Chinesische Nachrichtendienste waren zudem im Berichtsjahr mit einer hohen Intensität im Bereich der Aufklärung und Bekämpfung oppositioneller Organisationen und Einzelpersonen in Nordrhein-Westfalen aktiv. Als oppositionell gilt dabei grundsätzlich, wer aus Sicht des chinesischen Staats das Machtmonopol der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Frage stellt und die "nationale Einheit" bedroht. Dazu zählt die chinesische Führung in besonderem Maße jegliche Unterstützung der Protestbewegung in Hongkong sowie der durch China als "Fünf Gifte" bezeichneten Gruppen. Dies sind die ethnischen Minderheiten der Tibeter und Uiguren, die Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans, die Demokratiebewegung sowie die Anhänger der FalunGong-Bewegung. Im Berichtsjahr konnte die Spionageabwehr in besonders intensivem 15. Dezember Urteil im Prozess um den sogenannten Tiergartenmord spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 299 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Maße nachrichtendienstliche Maßnahmen gegen einige dieser oppositionellen Gruppen in Nordrhein-Westfalen feststellen. Die chinesischen Sicherheitsbehörden nutzen sowohl offene als auch verdeckte Methoden. Dabei bedienen sie sich unterschiedlicher Möglichkeiten, Personen beispielsweise unter Verweis auf Angehörige in China unter Druck zu setzen, einzuschüchtern, auszuspähen, zu diskreditieren und gegeneinander auszuspielen. Ergänzend werden häufig finanzielle Anreize, Unterstützung von Angehörigen in China oder lukrative berufliche Perspektiven angeboten. Das Ziel ist, die Betreffenden zu einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zu bewegen oder sie zumindest davon zu überzeugen, ihre politischen Aktivitäten einzustellen. Die chinesische Regierung verfolgt weiterhin nachdrücklich das Ziel, sich als führende weltpolitische Macht zu etablieren. Wichtigste Grundlage hierfür ist eine langfristig angelegte, auf Expansion ausgerichtete strategische Außenund Außenwirtschaftspolitik. Dazu gehört unter anderem die "Neue Seidenstraße" genannte "Belt and Road Initiative" (BRI), die neben einer wirtschaftlichen eine hohe außenpolitische Bedeutung für China hat. Weiterhin sind Instrumente der Einflussnahme eine enge staatliche Kontrolle der international agierenden chinesischen Unternehmen, die zur Zusammenarbeit mit den chinesischen Sicherheitsbehörden verpflichtet sind und unternehmensinterne Parteizellen betreiben müssen, sowie eine gezielte Einflussnahmepolitik, mit der international ein für die Volksrepublik wohlwollendes politisches und wirtschaftliches Umfeld geschaffen werden soll. Dabei können wirtschaftliche Anreize insbesondere in strukturschwachen Regionen oder Städten oftmals erste Einfallstore zur Schaffung langfristiger Abhängigkeiten darstellen. In Folge enger wirtschaftlicher Bezüge erwartet China von seinen Kooperationspartnern, dass diese sich nicht in die "inneren Angelegenheiten" Chinas einmischen, sich also in der Öffentlichkeit nicht kritisch äußern. Sie sollen vielmehr konformes Verhalten zeigen oder gar im Sinne Chinas agieren. Solche Einflussnahmeaktivitäten sind dazu geeignet, politische oder wirtschaftliche Akteure in Deutschland als "Lobbyisten" für chinesische Interessen zu vereinnahmen. 300 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Methoden fremder Nachrichtendienste Fremde Nachrichtendienste verfügen über umfangreiche Möglichkeiten, den nachrichtendienstlichen Hintergrund der eingesetzten Personen zu verschleiern. Sie können abgetarnt als Diplomaten, Journalisten oder Geschäftsleute auftreten und einer Kontaktaufnahme so einen zunächst unverfänglichen Anstrich verleihen. Es werden insbesondere die folgenden Methoden angewendet: > Ausländische Nachrichtendienste (AND) haben in ihren Staaten potentiell umfangreichen Zugriff auf Daten. Dazu zählen unter anderem Visa-Unterlagen. Die Dienste können sich so passgenau auf Dienstund Geschäftsreisen der Zielpersonen in ihr Hoheitsgebiet vorbereiten. > AND betreiben offene oder halboffene Informationsbeschaffung zu Zielpersonen (Soziale Medien, Internetrecherchen, offene Datenbanken, Kontakte bei Empfängen, dienstlichen Veranstaltungen oder Meetings) und eruieren so Möglichkeiten einer nachrichtendienstlichen Anbahnung. > Angehörige von Residenturen, insbesondere aus diplomatischen Vertretungen, nehmen unter dem Vorwand internationaler Kooperationen oder unverfänglicher politischer "Hintergrundgespräche" direkten Kontakt zu Zielpersonen auf. > Zunächst berufliche Kontakte werden kultiviert und in den scheinbar privat-freundschaftlichen Bereich getragen. Mitarbeiter von AND befinden sich in Deutschland jedoch im Auslandseinsatz, ihre Kontakte betrachten sie daher nahezu durchweg als dienstlich und meldepflichtig. > AND können zur Anbahnung und Vereinnahmung von Zielpersonen Anreize und Druckmittel einsetzen, zum Beispiel finanzielle Vergütung, Reisen, dienstliche Vorteile, Wertschätzung, aber auch Kompromate oder Druck auf Angehörige in Herkunftsländern. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 301 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Eine Einmischung in "innere Angelegenheiten" liegt nach Chinas Verständnis in allen Fällen vor, bei denen sich Bezüge zum Umgang Chinas mit den dort als sogenannte "5 Gifte" bezeichneten Organisationen und Bewegungen ergeben. So veröffentlichte die chinesische Botschaft vor dem Hintergrund der anhaltenden Kritik zur Menschenrechtssituation in Xinjiang im Februar 2021 eine ausschließlich positive Darstellung zum Leben in der Provinz Xinjiang im "Newsletter der Chinesischen Botschaft in Deutschland". Demgegenüber veröffentlichte das Australian Strategic Institute (ASPI) im März 2021 eine Studie zur Reaktion Chinas auf die umfangreiche Berichterstattung über die Situation in Xinjiang unter anderem des britischen Senders BBC. Dieser sah sich in der Folge mit einer aggressiven Informationskampagne konfrontiert. Die Autoren der Studie hatten bekannte soziale Medien untersucht. Dabei stellten sie fest, dass ein Netzwerk bestehend aus chinesischen Diplomaten, staatlichen Medien und einer Vielzahl an Twitter-Accounts, die gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) positiv eingestellt sind, die BBC zu diskreditieren versuchte. Richtiges Verhalten bei persönlicher Verstrickung Internationaler Austausch ist wichtig und notwendig. Entscheidend ist ein sensibler Umgang mit Kontakten und eine umgehende Einschaltung der Spionageabwehr bei erkannter nachrichtendienstlicher Verstrickung. Die Spionageabwehr als Teil des Verfassungsschutzes ist keine Strafverfolgungsbehörde und kann daher gemeinsam mit Betroffenen individuell abstimmen, wie eine solche Verstrickung aufgelöst werden kann. In einem gesamtgesellschaftlichen Einflussnahmeansatz sind chinesische Akteure darüber hinaus im Bereich von Wissenschaft, Bildung und Kultur aktiv. Chinesische Studenten und Auslandsgemeinden organisieren sich in eng an die diplomatischen Vertretungen angebundenen Vereinen. Die Spionageabwehr ordnet beispielsweise die chinesischen Konfuzius-Institute (KI) als weitere auf diesem Feld aktive Einflussnahmeakteure ein. Bei ihnen ist nach wie vor keine Eigenständigkeit vom chinesischen Staat beziehungsweise der KPCh erkennbar. Es ist vielmehr auch zukünftig zu erwarten, dass KI tendenziell ein wohlwollendes Bild über die chinesische Politik vermitteln und besonders kritische Themen aussparen werden. Es kann vermutet werden, dass eine universitäre Kooperation mit KI die Gefahr einer schleichenden Aushöhlung der akademischen Freiheit durch vorauseilende Selbstzensur birgt. Das KI Metropole Ruhr sagte beispielsweise im Oktober 2021 die als Online-Lesung geplante 302 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Vorstellung eines Buches über den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping kurzfristig ab. Pressemeldungen zufolge habe unter anderem das Chinesische Generalkonsulat Düsseldorf interveniert. Verschiedene Politiker bezeichneten die Vorgänge als inakzeptabel. Die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung Karliczek warb gegenüber der Kultusministerkonferenz dafür, die Rolle der KI neu zu bewerten und die Zusammenarbeit prüfend zu hinterfragen. Die Universität Duisburg-Essen sagte umgehend zu, die Veranstaltung stattdessen in ihrem Verantwortungsbereich durchzuführen. Als Beispiel für Einflussnahme auf die kulturelle Sphäre ist die Debatte um ein Kinderbuch im Frühjahr 2021 zu sehen. In dem Buch war China als Ursprungsort des Coronavirus benannt worden. Daraufhin reagierten unterschiedliche chinesische Akteure mit massiver Kritik. Darunter befanden sich unter anderem chinesische Nachrichtenplattformen und der chinesischen Berichterstattung zufolge auch die chinesische Auslandsgemeinde und das Generalkonsulat in Hamburg. In der Folge zog der Verlag das bereits 2020 veröffentliche Kinderbuch zurück. Die Beispiele zeigen die Weitläufigkeit chinesischer Einflussnahmeaktivitäten und die Bedeutung der chinesischen diplomatischen Vertretungen bei entsprechenden Aktivitäten. Neben der häufig thematisierten Corona-Pandemie wurde auch die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen aufgegriffen. Demnach sei die "schwache und dezentrale Regierungsführung in Deutschland" verantwortlich für die mangelnde Krisenvorbereitung und Krisenbewältigung. Dies sei ein generelles Symptom westlicher Regierungsmodelle. Mit Blick auf eine mögliche weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens, die fortbestehenden Expansionsbestrebungen Chinas und die 2022 in Peking stattfindenden olympischen Spiele ist auch im kommenden Jahr mit anhaltend hohen Einflussnahmeaktivitäten zu rechnen. Islamische Republik Iran Die intensivsten nachrichtendienstlichen Aktivitäten Irans gehen in Nordrhein-Westfalen vom zivilen Inund Auslandsnachrichtendienst, dem "Ministry of Information and Security" (MOIS), aus. Dieser agiert sowohl von der Zentrale in Teheran aus, indem Mitarbeiter Treffs in Drittländern arrangieren, als auch über örtliche Legalresidenturen. Daneben sind Angehörige und Unterstützer der sogenannten Quds Force (QF) der Iranischen Revolutionsgarde in Nordrhein-Westfalen tätig. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 303 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Schwerpunkte der Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste in NRW sind die Ausforschung und Bekämpfung oppositioneller Organisationen und Personen. Das nachrichtendienstliche Vorgehen erfolgt dabei teilweise unabhängig von Organisationsgröße, Reichweite oder tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der betroffenen Akteure auf politische oder gesellschaftliche Entwicklungen im Iran. Einzelpersonen, die sich beispielsweise offen im Internet negativ über die iranische Regierung äußern, die an regierungskritischen Demonstrationen im Ausland teilnehmen oder sich in oppositionellen Organisationen engagieren, können so in den Fokus geraten. Neben der Bekämpfung der iranischen Exil-Opposition sind die Nachrichtendienste des Iran an Informationen aus den Bereichen Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft interessiert. Vertreter der Islamischen Republik Iran nutzten die Corona-Pandemie im Berichtsjahr zu Propagandaund Einflussnahmezwecken. So äußerte sich der Sprecher der iranischen Lebensmittelund Arzneimittelbehörde (IFDA) im Januar 2021 besorgt über die Leistung von Coronavirus-Impfstoffen westlicher Unternehmen. Er führte hierzu konkretisierend angebliche Todesfälle in Zusammenhang mit den Impfungen sowie Impfdurchbrüche an. Revolutionsführer Ali Khamenei bezeichnete die westlichen Impfstoffe als "völlig unzureichend". Es sei "nicht unwahrscheinlich, dass sie [der Westen] andere Länder kontaminieren wollen". Dieser Argumentationslinie folgend verbot Iran den Import westlicher Impfstoffe. Die iranischen Nachrichtendienste bedienen sich unterschiedlicher Methoden, um ihre Ziele zu erreichen. Die Rekrutierung und Steuerung menschlicher Quellen wird zur Unterwanderung oppositioneller Strukturen und zur Ausforschung oder Lokalisierung von Einzelpersonen genutzt. Reisen entsprechender Personen in den Iran werden regelmäßig für nachrichtendienstliche Ansprachen genutzt. Aber auch Kontaktaufnahmen in Deutschland, beispielsweise auf elektronischem oder telefonischem Wege, sind ein gängiges Mittel. In solchen Fällen nutzt der iranische Nachrichtendienst oftmals familiäre Verbindungen als Druckmittel, um Zielpersonen zu einer Kooperation zu bewegen. Die Spionageabwehr hat im Berichtsjahr eine Zunahme iranischer Anbahnungsversuche bei in Nordrhein-Westfalen lebenden Personen registriert. Neben einem explizit nachrichtendienstlichen Risiko besteht nach wie vor verstärkt die Möglichkeit, dass Iran Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit bei Einreisen willkürlich inhaftiert, um dies als politisches Druckmittel zu nutzen. Diese Gefahr wird weiterhin auch vor dem Hintergrund der Verurteilung eines ehemals an der Iranischen Botschaft in Wien akkreditierten iranischen Diplomaten im Februar 2021 durch ein belgisches Gericht gesehen. Er wurde wegen der Planung eines terroristischen Anschlags 304 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 und der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Diplomat seinen Mitangeklagten den Auftrag erteilt hatte, einen Sprengstoffanschlag auf den Jahreskongress einer oppositionellen Exil-Organisation zu verüben. Er habe ihnen hierzu auch den im Diplomatengepäck nach Europa verbrachten Sprengstoff übergeben. Die Mitangeklagten wurden zu Haftstrafen von 15 beziehungsweise 18 Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Mal seit der sogenannten islamischen Revolution 1979, dass ein Regierungsmitarbeiter des Iran in der EU wegen der Planung eines staatsterroristischen Anschlags vor Gericht stand und verurteilt wurde. Der Fall zeigt, dass die iranischen Nachrichtendienste den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel zur Verfolgung Oppositioneller betrachten. Die Wahl des als Hardliner geltenden neuen iranischen Staatspräsidenten Ebrahim RAISI im Juni 2021 spricht nach Bewertung der Spionageabwehr nicht dafür, dass sich diese Haltung in naher Zukunft ändern könnte Republik Türkei Der türkische Inund Auslandsnachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) stellt als größter von mehreren Nachrichtendiensten in der Türkei ein zentrales Element der türkischen Sicherheitsarchitektur dar. Er dient der türkischen Regierung unter anderem zur Durchsetzung der Regierungspolitik und zur Vorbereitung politischer Entscheidungen durch Informationsbeschaffung. Der MIT besitzt in der Türkei weitreichende Befugnisse und ist auch in Nordrhein-Westfalen umfangreich tätig. In mehreren diplomatischen Vertretungen der Türkei in Deutschland, unter anderem in Nordrhein-Westfalen, unterhält der MIT Legalresidenturen. Die dortigen hauptamtlichen Beschäftigten des MIT erstellen Berichte zu den relevanten Beobachtungsbereichen. Kernaufgabe des Dienstes war im Berichtsjahr weiterhin die Aufklärung Oppositioneller. Dabei gehören Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen mit seiner großen türkischen Diaspora zu vorrangigen Zielgebieten außerhalb der Türkei. Im Fokus stehen Gruppierungen und Organisationen, die von der türkischen Regierung als extremistisch oder terroristisch definiert werden. In erster Linie sind dies die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die nach ihrer Führungsfigur Fethullah Gülen benannte Gülen-Bewegung. Darüber hinaus besteht ein großes Aufklärungsinteresse an Vereinigungen und Einzelpersonen, häufig Journalisten, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Aufgrund der großen Anzahl aktiver türkischer staatlicher und staatsnaher Organisationen in Nordrhein-Westfalen sowie hier lebender staatsloyaler oder nationalistischer spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 305 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 türkischstämmiger Personen besteht für die türkischen Nachrichtendienste eine günstige Beschaffungslage. Neben Informationen, die bei nachrichtendienstlichen Operationen erhoben werden, verfügt die türkische Regierung über auf Selbstanbieter und Denunziationen zurückgehende Erkenntnisse. Ausforschungsbemühungen der türkischen Nachrichtenund Sicherheitsdienste dienen dem Ziel, Strukturen und Aktivitäten der relevanten Personen und Organisationen aufzuklären. Dabei muss damit gerechnet werden, dass in NRW gewonnene Erkenntnisse gegen die betroffenen Personen eingesetzt werden. Bei solchen Informationen kann es sich um geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte zu in der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen handeln. Belegt wird dies eindrücklich durch die im Berichtsjahr weiterhin hohe Zahl von Festnahmen türkischstämmiger Personen bei Einreise in die Türkei. Die Festnahmen sowie Einoder Ausreisesperren erfolgen oftmals auf Basis eines aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtsstaatswidrig weit gefassten Terrorismusbegriffs. Anlässe können unter anderem eine Teilnahme an Demonstrationen in Deutschland, eine Mitgliedschaft in einem in Deutschland rechtlich legal eingetragenen Verein mit Bezug zu kurdischen Anliegen oder regierungskritische Stellungnahmen in den sozialen Medien sein, die in Deutschland in aller Regel von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Zudem können in der Türkei lebende Verwandte als Druckmittel dienen, um in Nordrhein-Westfalen lebende Zielpersonen einzuschüchtern oder zu einer Kooperation zu bewegen. Selbst in Deutschland lässt sich eine Gefährdung von Dissidenten nicht gänzlich ausschließen. Die teilweise aggressive Rhetorik der türkischen Regierung sowie staatlicher und staatsnaher türkischer Medien gegenüber Andersdenkenden kann insbesondere Personen aus besonders nationalistischen oder staatsloyalen Milieus aufstacheln. Gefährdungen können sich daher auch ohne staatlichen Auftrag durch aufgebrachte, aus eigener Initiative handelnde Täter ergeben. Zudem hat die Spionageabwehr im Berichtsjahr eine Zunahme zumeist anonym über das Internet ausgesprochener Beleidigungen und Bedrohungen festgestellt. Es wurden unter anderem Listen verbreitet, auf denen tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur türkischen Regierung stehende Personen benannt wurden. Die Spionageabwehr tauscht sich bei allen Gefährdungssachverhalten eng mit der Polizei aus. Viele potentiell in den Fokus geratene Personen wurden entsprechend durch die Polizei und die Spionageabwehr sensibilisiert. Die Spionageabwehr prüft dabei stets genau, ob und inwieweit eine staatliche Steuerung bei einem Gefährdungssachverhalt vorliegt. 306 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 So unterstützt die Spionageabwehr beispielsweise gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein im September 2021 durch die Generalbundesanwaltschaft eingeleitetes Ermittlungsverfahren. Es besteht der Verdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit nach SS 99 StGB gegen eine in einem Düsseldorfer Hotel festgenommene Person, bei der unter anderem scharfe Munition und eine Liste mit mutmaßlichen türkischen Oppositionellen gefunden wurde. Für die türkische Regierung stellt die türkischstämmige Community in Deutschland ein erhebliches Mobilisierungsund Wählerpotential dar. Dem wird durch eine oftmals desintegrative Diaspora-Politik Rechnung getragen, die darauf abzielt, türkischstämmige Menschen auf unterschiedlichen Ebenen und zu möglichst vielen Themenfeldern zu erreichen und eng an die Türkei zu binden, indem Narrative der türkischen Regierung verbreitet werden. Aufgrund seiner großen Anzahl hier lebender türkischstämmiger Menschen wird dies in Nordrhein-Westfalen in besonderem Maße erkennbar. So unterhält die Türkei nicht nur vier Generalkonsulate in Nordrhein-Westfalen (Hürth, Düsseldorf, Essen, Münster), auch haben die Zentralen beziehungsweise Bundesverbände diverser regierungsnaher Organisationen ihren Sitz in Köln. Diese Verbände, Vereine, Medien und Stiftungen sind strukturell unterschiedlich stark an die Türkei angebunden. Sie dienen der türkischen Regierung jedoch immer wieder punktuell oder sogar durchgängig zur Beeinflussung der Diaspora. Ein wesentlicher Teil der türkischen Diasporapolitik besteht darin, fortwährend und über viele unterschiedliche Kanäle auf vermeintliche oder tatsächliche Fälle von Rassismus, Islamophobie und Türkei-Feindlichkeit der deutschen Gesellschaft und des deutschen Staates hinzuweisen. Demgegenüber werden die Wertschätzung und hohe Bedeutung der hiesigen Community für die türkische Regierung herausgestellt. Gleichzeitig wird versucht, Kritik an Entwicklungen in der Türkei zu unterbinden. Es werden beispielsweise Freund-Feind-Narrative betont sowie Oppositionelle und Regierungskritiker immer wieder pauschal als Staatsfeinde diffamiert. Dies macht NordrheinWestfalen zum Projektionsfeld innertürkischer gesellschaftlicher Konfliktlinien. Eine der wichtigsten Einflussnahmeorganisationen in Nordrhein-Westfalen ist die "Union of International Democrats" (UID), deren Dachverband mit Sitz in Köln im Jahr 2004 als Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP gegründet wurde. Die UID war im Berichtsjahr umfangreich und europaweit in Aktivitäten zugunsten der AKP eingebunden. Sie ist intensiv mit diversen staatlichen Stellen in der Türkei sowie den türkischen diplomatischen Vertretungen vernetzt. Daneben bieten weitere spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 307 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 regierungsnahe Verbände und Vereine wie die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (DITIB) oder Vereine der extremistisch-nationalistischen Ülkücü-Bewegung (auch Graue Wölfe genannt) der türkischen Regierung potentiell weitere Einfallstore für punktuelle Einflussnahmeaktivitäten gegenüber der Diaspora in Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Neben einer Verbreitung über die Verbandsund Vereinsstrukturen erreichen Narrative und Feindbilder der türkischen Regierung die Diaspora über diverse türkischsprachige, staatsnahe Medien. Diese Medien greifen regelmäßig politische oder gesellschaftliche Ereignisse aus Deutschland auf und inszenieren sich als Gegenpol einer angeblich gegen die Türkei gerichteten Medienberichterstattung in Deutschland. Die türkische Zeitung "Sabah" veröffentlichte beispielsweise im Sommer 2021 als Reaktion auf die Kritik einer nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten an der Kooperation der Landesregierung mit der DITIB mehrere diffamierende Artikel, in denen die Abgeordnete unter anderem als Türkei-Feindin und PKK-Sympathisantin bezeichnet wurde. Diese mindestens zum Teil von Sabah-Vertretern aus Köln verfassten Artikel fanden Verbreitung in der Türkei und der hiesigen Diaspora. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul bezeichnete es als "völlig inakzeptabel, wenn Volksvertreter von ausländischen Zeitungen verleumdet und diffamiert werden". Man werde alle - auch von Deutschland ausgehenden - Versuche solcher Einschüchterungen genauestens beobachten und dagegen vorgehen, wo immer es geboten sei. Die Fraktionen des NRW-Landtags verurteilten die Anfeindungen ebenfalls in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 8. Juni 2021. Proliferation Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) sowie entsprechender Trägermittel (Raketen und Drohnen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-hows verstanden. Neben diesen klassischen Bereichen nehmen seit einiger Zeit illegale Beschaffungsbemühungen für militärische Raumfahrtprogramme fremder Staaten zu ("Space/Counter-Space"). Weltraumgestützte Technik kann beispielsweise für die Zerstörung gegnerischer Kommunikationssatelliten oder für den Einsatz eigener Satelliten als Waffe militärisch genutzt werden. Sofern solche Szenarien im Konfliktfall eintreten, können die Auswirkungen durchaus vergleichbar mit denen sein, die durch Massenvernichtungswaffen verursacht werden. Bei proliferationsrelevanten Staaten ist zu befürchten, dass sie Massenvernichtungswaffen oder militärisch ausgerichtete Raumfahrtprogramme in kriegerischen Konflik308 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 ten einsetzen oder zur Durchsetzung politischer Ziele mit ihrem Einsatz drohen. Trotz des teils erheblichen technologischen Fortschritts sind proliferationsrelevante Staaten zum Aufund Ausbau ihrer Programme nach wie vor auf den Erwerb von Produkten und von Know-how aus dem Ausland angewiesen. Trotz der weiterhin anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft und den globalen Warenverkehr konnten im Berichtsjahr wieder proliferationsrelevante Beschaffungsbemühungen diverser Staaten festgestellt werden. Zur Aufklärung und Abwehr solcher proliferationsrelevanten Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen arbeitet die Spionageabwehr eng mit den Sicherheitsund Kontrollbehörden des Bundes zusammen. Darüber hinaus sensibilisiert der Verfassungsschutz NRW Unternehmen und Forschungseinrichtungen. In einem vertraulichen Austausch wird auf Beschaffungsmethoden wie die Verschleierung der angestrebten Warennutzung und der eigentlichen Endverwender, die Umdeklaration von Dokumenten oder die Nutzung von Tarnund Beschaffungsfirmen hingewiesen. Generell steht die Spionageabwehr Unternehmen für eine individuelle und bedarfsgerechte Beratung zur Verfügung. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 309 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Cyberangriffe ausländischer Staaten Die fortschreitende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die zunehmende Vernetzung eröffnen ausländischen Nachrichtendiensten die Möglichkeit, ihre Operationsziele über Cyberangriffe zu erreichen. Dabei gibt es vielfältige Möglichkeiten, den Ursprung von Cyberangriffen zu verschleiern und sie zu leugnen. Beispielsweise lassen sich Systeme unbeteiligter Dritter hacken, um über diese Angriffe gegen die eigentlichen Ziele durchzuführen. Cyberangriffe können im Land des Angreifenden geplant, vorbereitet und ausgeführt werden. Aufwändige und riskante Auslandseinsätze entfallen ganz oder lassen sich auf ein Minimum reduzieren. Große und interdisziplinäre Teams können auftragsspezifisch gebildet und geführt werden. Die Zusammenarbeit zwischen Hackern und Wissenschaftlern staatlicher Hochschulen oder anderen Spezialisten kann angeordnet werden. Fortgeschrittene andauernde Bedrohung Verschiedene ausländische Staaten haben seit Jahren schlagkräftige Hackergruppierungen aufgebaut, die über exzellente technische Fähigkeiten verfügen und deren Cyberangriffe bewusst im Verborgenen durchgeführt werden. Im Gegensatz zu Cyber-Kriminellen verfolgen Angreifer im staatlichen Auftrag in der Regel keine finanziellen Interessen. Eine hohe Priorität besteht vielmehr darin, möglichst lange unentdeckt im Netz des Opfers zu verbleiben. Der Ablauf solcher Angriffe deutet auf eine gute Organisation der Angreifer hin. Behördliche Organisationsstrukturen sind immer wieder erkennbar. Die einzelnen Schritte eines Angriffs werden oft in Arbeitsteilung von verschiedenen, spezialisierten Teams ausgeführt. Als Kategorie für Angriffe solcher Hackergruppierungen hat sich die Bezeichnung Advanced Persistent Threat (APT) - "Fortgeschrittene andauernde Bedrohung" - etabliert. Zahlreiche und vielfältige Fälschungsund Verschleierungsmöglichkeiten im Internet führen dazu, dass Cyberangriffe sehr oft technisch nicht eindeutig einem bestimmten Land zugeordnet werden können. Die verwendeten Werkzeuge sowie die Vorgehensweise der Angreifer in Verbindung mit den Operationszielen erlauben jedoch Rückschlüsse auf bestimmte Staaten. 310 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Spionage, Einflussnahme und Sabotage Die Ziele der Cyberangriffe decken sich mit Zielen klassischer nachrichtendienstlicher Operationen: Durch Spionage sollen Wirtschaftsunternehmen des angreifenden Staates unterstützt, Wissen über politische Entscheidungsprozesse des Auslands erlangt und militärische Geheimnisse des Gegners offengelegt werden. Durch das Veröffentlichen vermeintlicher Leaks oder Falschmeldungen kann das Ansehen von Personen im Zielland beschädigt werden, Stimmungen und Einstellungen geprägt oder Personen gezielt eingeschüchtert werden. Im Konfliktfall können Cyberangriffe als Teil einer hybriden Strategie über Sabotage oder die Stilllegung von Unternehmen der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) einen Gegner schwächen oder von innen heraus destabilisieren. Mit zahlreichen politischen Institutionen, erfolgreichen Wirtschaftsund Energieunternehmen sowie einer Vielzahl überregional politisch aktiver Personen steht insbesondere Nordrhein-Westfalen im besonderen Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Hybride Angriffsstrategien Cyberangriffe auf KRITIS-Einrichtungen und -Unternehmen können ähnlich gravierende Folgen haben wie klassische Angriffen mit konventionellen Waffen. Daher gelten in der NATO und der Bundeswehr Cyberangriffe neben Heer, Luftwaffe und Marine als eigene Waffengattung. Militärexperten gehen davon aus, dass gewalttätige Konflikte zwischen Staaten in Zukunft von Cyberangriffen, insbesondere auf KRITIS, begleitet werden. Militärisch wird die Wirksamkeit eines Cyberangriffs, der mit gezielten militärischen Schlägen und begleitenden Maßnahmen zur Einflussnahme und Desinformation in den sozialen Medien verbunden ist, von vielen Strategen inzwischen als kostengünstiger und effizienter als konventionelle Angriffe bewertet. Cyberangriffe mit dem Ziel der Sabotage erfordern eine umfangreiche Vorbereitung. Um im Konfliktfall Cyberangriffe als Waffe einsetzten zu können, müssen sie bereits in Friedenszeiten vorbereitet werden. Zunächst werden Informationen über die eingesetzten Systeme gesammelt. Mit ihrem staatlichen Hintergrund haben die Akteure häufig die Möglichkeit, Spezialisten oder Forschende für ihre Operationen zu verpflichten. Von der Ausforschung von Produkten für den Sabotageeinsatz sind auch Unternehmen in Nordrhein-Westfalen betroffen. So wurde bekannt, dass eine mutmaßlich den Iranischen Revolutionsgarden zugeordnete Hackergruppierung unter falscher Identität den Kontakt zum Produkt-Support eines Unternehmens in Nordrhein-Westfalen suchte. Mutmaßliches Ziel war, detaillierte Informationen zur Funktionsweise zu erhalten und diese für mögliche Sabotage-Angriffe in der Zukunft zu nutzen. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 311 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Cyberangriffe im Kontext internationaler Konflikte Die Bedeutung von Cyberangriffen hat sich bereits im Konflikt um die Ukraine gezeigt. Seit Beginn des russisch-ukrainischen Konfliktes im Jahr 2014 sprechen Indizien dafür, dass Russland Cyberangriffe als Teil einer hybriden Kriegsführung nutzt. Cyberangriffe führten in der Ukraine beispielsweise in den Jahren 2015 und 2016 zu Stromausfällen. Ein Cyberangriff mit der Schadsoftware "NotPetya", die über Updates der ukrainischen Buchhaltungssoftware MeDoc verteilt wurde, führte im Jahr 2017 sogar zu weltweiten Produktionsausfällen. Die Schadsoftware erweckte zunächst den Eindruck einer gewöhnlichen Erpressungssoftware. Analysen offenbarten aber, dass eine Wiederherstellung der verschlüsselten Daten technisch nicht möglich war. Daher wird der Angriff inzwischen als Sabotage bewertet. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Angreifer primär das ukrainische Finanzsystem schädigen wollten. Der Schaden für die Weltwirtschaft war jedoch beträchtlich. Aufgrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine besteht die Gefahr, dass fortlaufende, mutmaßlich staatlich gesteuerte Cyberangriffe in der Ukraine als Kollateralschaden auch zu Auswirkungen in westlichen Staaten führen können. Ebenso könnte der Aggressor die Cyberangriffe auf westliche Staaten ausweiten. Aus dem Nahen Osten wird ebenfalls immer wieder von Cyberangriffen auf das öffentliche Leben berichtet. So sorgte im Oktober 2021 ein Cyberangriff auf das Bezahlsystem an Tankstellen im Iran für massive Probleme bei der Kraftstoffverteilung. Bei einigen der Angriffe könnte es sich um einen Schlagabtausch im Konflikt zwischen Israel und dem Iran handeln. Die Angriffe scheinen hierbei bewusst unterhalb der Schwelle gehalten zu werden, ab der Handlungen als kriegerisch einzuordnen wären. Im Jahr 2021 waren Kommunen und Behörden in Nordrhein-Westfalen durch mehrere Cyberangriffe mutmaßlich Cyber-Krimineller betroffen. Die damit verbundenen Systemausfälle machen deutlich, welche Auswirkungen Cyberangriffe auch in Deutschland haben können. Nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe und andere Folgen von Cyberangriffen können zu einer erheblichen Störung der inneren Sicherheit führen. Daher gewinnt die IT-Sicherheit mit Blick auf die zahlreichen globalen Konflikte als Schutzmaßnahme zunehmend an Bedeutung. Hierauf hat der Verfassungsschutz im Jahr 2021 verstärkt hingewiesen. Zugänge für spätere Angriffe Im vergangen Jahr konnte erneut eine bereits im Vorjahr aufgefallene veränderte Strategie der Angreifer beobachtet werden. Angriffsmethoden werden nicht mehr nur gegen einzelne, gezielt ausgewählte Opfer eingesetzt, sondern großflächig und 312 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zeitgleich gegen eine Vielzahl von Organisationen angewendet. Das Ziel der Angriffe scheint hier zunächst die Installation verdeckter Fernzugriffe zu sein. Erweckt eine bestimmte Organisation ein tiefergehendes Interesse der Angreifer, kann die dann bereits vorhandene Hintertür für weiterreichende Angriffe genutzt werden. In anderen Fällen kann über den vorbereiteten Zugang die Infrastruktur eines Opfers für Cyberangriffe gegen andere Opfer missbraucht werden. Verschiedene Angriffe über Zero-Day-Exploits und Angriffe über kompromittierte Software-Updates ließen 2021 diese Entwicklung beispielhaft erkennen. Zero-Day-Exploits als sichere Angriffsmethode Bei sogenannten Zero-Day-Exploits nutzen Angreifer bisher unbekannte Sicherheitslücken für die Schaffung technischer Zugänge. Die Angriffe sind zumeist erfolgreich, weil gegen diese Lücken keine Schutzmechanismen existieren. Ebenso werden aber auch neu veröffentlichte Sicherheitslücken in Angriffskampagnen einbezogen. Da in diesen Fällen die Sicherheitsupdates erst wenige Tage später zur Verfügung stehen und die Updates nicht immer unmittelbar eingespielt werden, sind die Angriffe ebenfalls erfolgversprechend. Die Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass sich ein Teil der angreifenden Hackergruppierungen auf eine großflächige Gewinnung der beschriebenen Zugangsmöglichkeiten spezialisiert hat. Ein Beispiel sind die Anfang März 2021 bekannt gewordenen Angriffe auf die weit verbreiteten Installationen des Microsoft Exchange Servers. Microsoft Security hatte auf mehrere Zero-Day-Exploits aufmerksam gemacht, die zunächst für gezielte Angriffe, zumeist gegen Systeme in Nordamerika, missbraucht worden waren. Für die Angriffe machte Microsoft eine mutmaßlich aus China gesteuerte Hackergruppierung verantwortlich, die Microsoft als HAFNIUM bezeichnete. Obwohl der Software-Hersteller zeitnah Sicherheitsupdates zur Verfügung stellte, konnte weltweit eine starke Verbreitung der Angriffe unter Ausnutzung der Sicherheitslücken beobachtet werden. Sowohl Cyberkriminelle als auch vermutlich staatlich gesteuerte Akteure nutzten die Angriffsmethode für erfolgreiche Cyberangriffe. Indizien deuteten darauf hin, dass sich ausländische Nachrichtendienste systematisch Informationen über Zero-Day-Exploits beschafft haben. Die Cyberabwehr des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sensibilisierte in diesem Zusammenhang zahlreiche Opfer, bei denen es Hinweise auf staatlich gesteuerte Cyberangriffe gab. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 313 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Versteckte Gefahr: Zero-Day-Exploits Mit zunehmender Komplexität technischer Systeme steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei der Entwicklung Fehler einschleichen. Im späteren Betrieb der Systeme kann dann unter bestimmten, zumeist selten auftretenden Rahmenbedingungen ein undefiniertes Verhalten des Systems provoziert werden. In einigen Fällen kann das Verhalten dazu führen, dass ein Anwender unbeabsichtigt weitgehende Zugriffsrechte erhält und eigenen Programm-Code ausführen kann. In diesem Fall wird der Fehler zu einer Sicherheitslücke. Die technische Beschreibung, wie in einem System eine Sicherheitslücke ausgenutzt werden kann, wird als Exploit bezeichnet. Angreifer nutzen Exploits, um in fremde Systeme einzudringen. Um dies zu verhindern, veröffentlichen Hersteller Updates, die das zugrundeliegende Fehlverhalten des Systems korrigieren. Solange nur der Angreifer Kenntnis von einem Exploit hat, kann der Hersteller keine Updates zur Verfügung stellen. Um hervorzuheben, dass der Hersteller die Schwachstelle noch nicht (oder bildlich gesprochen für 0-Tage kennt), hat sich der Begriff Zero-DayExploit etabliert. Bis zu ihrer Veröffentlichung gewähren Zero-Day-Exploits einen nahezu sicheren Zugang zu jedem System eines Herstellers. Nach der Veröffentlichung können die Exploits solange weiter genutzt werden, bis die Sicherheitsupdates in allen Systemen verteilt sind. Angriffe über die Software-Lieferkette Gelingt es Angreifern, einen Software-Hersteller zu kompromittieren, sind alle Nutzer der Software ebenso gefährdet. Die Schadsoftware kann in einem solchen Fall in Software-Updates des Herstellers versteckt werden. In der Regel vertrauen Nutzer ihren Software-Lieferanten und installieren regelmäßig die bereitgestellten Aktualisierungen, die dann mit Schadcode versehen sind. Ende 2020 wurde ein spektakulärer Cyberangriff über kompromittierte Updates der Netzwerkmanagement-Software Orion der texanischen Firma SolarWinds bekannt. 314 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Von dem Cyberangriff waren rund 18.000 Institutionen und Unternehmen weltweit betroffen, darunter verschiedene US-Behörden. Der Angriff wurde von einer selbst betroffenen Sicherheitsfirma publik gemacht, die die Entdeckung nach eigenen Angaben einem aufmerksamen Mitarbeiter verdankte. Als Reaktion auf den Angriff veröffentlichte das Weiße Haus am 15. April 2021 eine Verlautbarung, in der der russische Auslands-Geheimdienst SWR und die ihm zugeordnete Hackergruppierung APT29 als Urheber der Angriffe genannt werden. Beobachtungen verschiedener Sicherheitsfirmen deuten darauf hin, dass auch andere staatlich gesteuerte Hackergruppierungen die beschriebene Vorgehensweise weltweit adaptiert haben und adaptieren. Ausnutzen des menschlichen Faktors Nach wie vor führen ausländische Nachrichtendienste gezielte Cyberoperationen durch. Das Ziel der Angriffe sind Institutionen, Unternehmen oder Einzelpersonen, die in das Visier der Angreifer geraten sind. Die Angriffe folgen hierbei stets einem bestimmten Schema. Zunächst wählen die Angreifer gezielt Beschäftigte der Ziel-Organisation aus. Offene Datenquellen wie Websites oder Berufsportale stellen hierbei eine wertvolle Datenquelle dar. Im nächsten Schritt wird unter falschem Vorwand Kontakt aufgenommen. Durch eine möglichst perfekte Täuschung sollen die Personen dazu verleitet werden, eine bestimmte Webseite aufzurufen oder ein Dokument mit Schadsoftware zu öffnen. Ein mutmaßlich nordkoreanischer Akteur nutzt hierfür beispielsweise fiktive Stellenangebote und setzt sogar Schauspieler als vermeintliche Headhunter ein. In anderen Fällen versenden Angreifer Phishing-E-Mails an Firmenangehörige, die dazu auffordern, die Zugangsdaten zum Unternehmensnetz auf einer gefälschten Webseite einzugeben. Im Frühjahr und Herbst des Jahres 2021 sensibilisierte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz erneut Hochschulen vor einer langjährigen APT-Kampagne, die unter dem Namen Silent Librarian bekannt ist und mutmaßlich aus dem Iran heraus gesteuert wird. Mit Hilfe von Phishing-E-Mails sollten Hochschulangehörige dazu verleitet werden, auf einer gefälschten Webseite ihre Zugangsdaten für die eigene Hochschulbibliothek einzugeben. Die Angreifer haben es dabei auf Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Abhandlungen abgesehen. Ab März 2021 sensibilisierte die nordrhein-westfälische Cyberabwehr politisch aktive Personen gegenüber Phishing-E-Mails eines als Ghostwriter bezeichneten Akteurs. In einer bundesweiten Kampagne drohten die Angreifer in gefälschten E-Mails damit, dass die E-Mail-Konten der betroffenen Personen gesperrt würden. Die Sperrung könne nur verhindert werden, wenn auf einer gefälschten Seite die Zugangsdaten für das eigene Postfach eingegeben würden. Über die Kenntnis dieser Daten kann es spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 315 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Angreifern gelingen, Passwörter für Konten in den sozialen Medien zurückzusetzen. Wie schon zuvor in anderen Ländern beobachtet, drohte somit die Gefahr, dass die Angreifer die erschlichenen Zugangsdaten im Vorfeld der Bundestagswahl für Desinformation und Einflussnahme nutzen würden. Brute Force Attacken Schon immer versuchen Angreifer, häufig über spezielle Software-Tools Passwörter zu erraten oder versteckte Zugangsmöglichkeiten auszuprobieren. Diese Angriffe sind in der Regel mit vielen Systemanfragen verbunden und werden von den Opfern bemerkt. Diese Angriffsmethode wird auch mit "Brute Force", was übersetzt "rohe Gewalt" bedeutet, umschrieben. Aufgrund des hohen Entdeckungsrisikos vermieden ausländische Nachrichtendienste in der Regel diese Angriffsart. Im Jahr 2021 wurden in Nordrhein-Westfalen dennoch Angriffe durch ein solches Ausprobieren beobachtet. Diese wurden mutmaßlich aus dem Ausland gesteuert. Indizien deuten darauf hin, dass entsprechende Angriffe ihren Ursprung insbesondere in Russland hatten. Die Angreifer nutzten dabei vielzählige Automatisierungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Password-Spraying. Sensibilisierung durch die Cyberabwehr des Verfassungsschutzes Aufgrund der besonderen Fähigkeiten der Angreifer werden viele Angriffe von den Nutzern nicht erkannt. Herkömmliche Schutzmechanismen versagen. Häufig ist die Entdeckung von Fremdzugriffen einer besonderen Aufmerksamkeit eines Systemadministrators zu verdanken. In anderen Fällen können entsprechende Angriffe nur durch nachrichtendienstliche Hinweise abgewehrt werden. Von der Cyberabwehr NRW untersuchte APT-Kampagnen 316 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die Cyberabwehr des Verfassungsschutzes NRW informiert und sensibilisiert potentielle Opfer. Die Sensibilisierung der betroffenen Personen gegenüber dieser besonderen und nicht alltäglichen Gefahr kann helfen, Angriffe abzuwehren. Die Bereitstellung technischer Erkennungsmerkmale der Angreifer hilft Systemadministratoren, Angriffe zu erkennen und abzuwehren. Im Jahr 2021 hat sich die Anzahl der vom Verfassungsschutz sensibilisierten Unternehmen und Institutionen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Die Entwicklung spiegelt die höhere Reichweite einzelner Kampagnen wider, deren Anzahl sich gegenüber dem Vorjahr nicht wesentlich verändert hat. Password-Spraying Trotz vielzähliger Sensibilisierungsmaßnahmen werden bestimmte Wortkombinationen von Nutzern besonders häufig als Passwort verwendet. Hierzu zählen beispielsweise Passwörter, die sich aus der Anordnung von Buchstaben auf der Tastatur, wie zum Beispiel "1qwertzuiop", ergeben. Programme zum Erraten von Passwörtern verfügen über eine Tabelle der gebräuchlichsten Passwortkombinationen. Durch das systematische Ausprobieren von Passwörtern gelingt es oftmals, das verwendete Passwort auf einer Anmeldeseite zu erraten. Aus diesem Grund sperren viele Systeme Nutzerkonten, wenn eine bestimmte Anzahl von falschen Passworteingaben überschritten wird. Angreifer vermeiden eine Sperrung und Entdeckung, indem sie nicht viele Passwörter bei einem Nutzerkonto, sondern ein Passwort bei vielen Nutzerkonten prüfen lassen. Bildlich wird das Passwort wie mit einer Sprühflasche auf viele Anmeldeseiten verteilt. Das Verfahren kann als Angriffsmethode missbraucht werden, um über einen definierten Zeitraum unauffällig eine Vielzahl von Anmeldedaten auszuprobieren. Accounts, bei denen eine Zwei-Faktor-Authentisierung aktiviert ist, sind vor dieser Angriffsmethode geschützt. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 317 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Wirtschaftsschutz und Geheimschutz in der Wirtschaft Obwohl das Jahr 2021 immer noch von der Covid-19-Pandemie geprägt war, hat Nordrhein-Westfalen sich weiterhin als leistungsstarkes und innovatives Hochtechnologieland bewiesen, das selbst in diesem weiteren Jahr der globalen Krise ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent verzeichnen konnte. Die Betriebe und Unternehmen, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber auch die Behörden der öffentlichen Verwaltung Nordrhein-Westfalens müssen sich deshalb jederzeit bewusst darüber sein, dass sie attraktive Ziele für Wirtschaftsspionage, also der staatlich gelenkten oder gestützten Ausforschung durch ausländische Staaten, darstellen. Zudem müssen sie stets damit rechnen, im Fokus von Konkurrenzoder Industriespionage sowie von Sabotageakten oder auch gezielten Cyberattacken zu stehen. Welchen Einfluss das Wegbrechen grundlegender Infrastrukturen hat, wurde in Folge des Hochwassers im Ahrtal allen Bürgerinnen und Bürgern schmerzlich bewusst. Die Gefahr einer ähnlich massiven Beeinträchtigung ist - über solche extremen Naturereignisse hinaus - grundsätzlich auch durch eine gesteuerte Einflussnahme fremder Staaten vorstellbar. Kritische Infrastrukturen im Visier Das Risiko eines Angriffs wächst für die Wirtschaft, für Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie für die Verwaltung. Wegen der hohen Bedeutung für das gesellschaftliche Funktionieren des Gemeinwesens stellen die sogenannten Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) eine besondere Zielkategorie für Cyberkriminelle und ausländische Nachrichtendienste dar. Unter die KRITIS-Kategorie fallen insbesondere Unternehmen und Betriebe aus den Bereichen Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie dem Finanzund Versicherungswesen. Hochindustrieländer wie die Bundesrepublik Deutschland und damit auch das einwohnerstärkste Bundesland Nordrhein-Westfalen sind im hohen Maße von der digitalen Anbindung an die übrige Welt abhängig und auf stabile Stromund Wasserversorgungsnetze angewiesen. Für klassische Industriesparten wie beispielsweise die Stahlbranche ist dies essentiell. Ein Übergriff auf entsprechende Netzwerke und Computeranlagen von KRITIS-Unternehmen kann neben dem wirtschaftlichen Erfolg des jeweiligen Unternehmens auch die öffentliche Sicherheit des Landes Nordrhein-Westfalen gefährden. Erfolgreiche Cyberangriffe auf Energieversorgungssysteme europäischer Länder hat es bereits gegeben und auch in Deutschland waren entsprechende Angriffe zu verzeichnen. Neben 318 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 der Energiebranche ist auch mit einer Gefährdung der Wasserversorgung, medizinischer Einrichtungen (wie unter anderem die Universitätskliniken des Landes) und der Telekommunikationsverbindungen zu rechnen. Ein mehrtägiger Ausfall solcher Systeme hätte schwere wirtschaftliche Schäden zur Folge, was die Sicherheit und Handlungsfähigkeit des Landes insgesamt beeinträchtigen würde. Zur Verhütung größerer Störfälle stand der Verfassungsschutz auch 2021 in Kontakt mit verschiedenen KRITIS-Unternehmen und führte zusammen mit diesen Gefahrenanalysen und Sensibilisierungsveranstaltungen durch. Daneben arbeitet der Verfassungsschutz an Konzepten, mit denen sich seine Präventionsangebote maßgeschneidert für Organisationen, große Unternehmen und Konzerne planen und umsetzen lassen. Geheimschutzbetreute Wirtschaft Die Betreuung und Beratung der sogenannten "geheimschutzbetreuten Wirtschaft" ist ebenfalls vom Aufgabenbereich des Wirtschaftsschutzes umfasst. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die mit sicherheitsempfindlichen Aufträgen und Projekten betraut werden oder schon betraut sind. Sie müssen die speziellen Anforderungen und Verfahren des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG) durchlaufen und fortlaufend erfüllen. Der Verfassungsschutz arbeitet in diesem Aufgabenfeld im besonderen Maße mit dem für die geheimschutzbetreute Wirtschaft in der Regel federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zusammen. In erster Linie führt der Verfassungsschutz gesonderte Einzelfallberatungen und Sensibilisierungsgespräche vor Ort durch, um das Schutzniveau weiterhin hochzuhalten und zu verbessern. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Sensibilisierung von Sicherheitsbevollmächtigten und in kritischen Bereichen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sicherheitspartnerschaft NRW Im Jahr 2021 konnte die Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität Nordrhein-Westfalen einen runden Geburtstag "feiern". Im Dezember 2001 gegründet steht die Partnerschaft seit zwei Jahrzehnten für den Dialog von Sicherheitsbehörden (LKA NRW, Polizeiabteilung und Verfassungsschutz im Innenministerium) mit Vertretern der Wirtschaft (IHK NRW, ASW West e.V. und Verband der Wirtschaftsförderungsund Entwicklungsgesellschaften NRW) sowie dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 319 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Digitalisierung und Energie NRW. Der Wirtschaftsschutz im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz übernimmt dabei weiterhin die Aufgabe der Geschäftsführung. Die Partnerschaft verfolgt insbesondere die Ziele, Schäden durch Wirtschaftsspionage, Wirtschaftskriminalität und Konkurrenzausspähung zu vermeiden beziehungsweise zu reduzieren, die gegenseitige Kooperationsbereitschaft und den Informationsaustausch zu fördern und die Sensibilität der Wirtschaft hinsichtlich des Gefahrenpotentials zu erhöhen. Dies soll durch eine vernetzte Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat erreicht werden. Die Partner setzen dabei auf den kontinuierlichen Austausch von Informationen, die Beratung und Unterstützung von Unternehmen, aber auch auf gemeinsame Projekte und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Die Sicherheitspartnerschaft profitiert dabei von der Expertise der einzelnen Partner. Das Ministerium des Innern bringt dabei sowohl das spezifische Wissen des Verfassungsschutzes zur Wirtschaftsspionage als auch das der Polizei zur Wirtschaftskriminalität ein. Als ein wichtiges Projekt wurde im Jahr 2021 die Fortschreibung des Lagebilds Wirtschaftsschutz in Angriff genommen. Das Lagebild wurde im Jahr 2019 erstmals erhoben und veröffentlicht. Wissenschaftlicher Partner der nordrhein-westfälischen Sicherheitspartnerschaft ist, wie schon vor zwei Jahren, die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) mit Sitz in Bielefeld. Vorträge und Beratungen Aufgrund der fortbestehenden pandemischen Situation und der damit einhergehenden Beschränkungen mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wirtschaftsschutzes 2021 weiter neue Wege beschreiten. Sie boten verschiedene Sensibilisierungsformate auch als Webinare beziehungsweise Online-Vorträge an. Auf diesem Wege konnten bis zu 280 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichzeitig über die aktuelle Gefahrenlage informiert werden. Das Referat Wirtschaftsschutz beabsichtigt auch zukünftig, als Ergänzung des bisherigen Angebots Online-Formate für Unternehmen anzubieten. Dies kann insbesondere bei dezentral organisierten Institutionen oder Unternehmen mit mehreren Firmensitzen eine vorteilhafte Variante sein. In durch die Pandemie verringertem Maße waren die Mitarbeiter des Wirtschaftsschutzes als Referenten und Ansprechpartner bei Präsenzveranstaltungen aktiv. Ein Beispiel ist der Leitkongress für die IT-Sicherheit in öffentlichen Behörden und Unternehmen, die PITs 2021 in Berlin. Die Veranstaltung ist für zahlreiche Verantwortungsträger aus den oben beschriebenen Institutionen ein wichtiger Ort für den kollegialen Austausch, persönlich, aber auch in Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen. Ebenfalls im Präsenzformat konnten die Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags 320 spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 sensibilisiert und mit verschiedenen Aspekten von Bedrohungen aus dem Cyberraum und durch die Einflussnahme ausländischer Staaten vertraut gemacht werden. Dies war zudem ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsbereichen Cyberabwehr und Wirtschaftsschutz im Verfassungsschutz. Angriffsvektoren ausländischer Nachrichtendienste bei Politikerinnen und Politikern in Deutschland Insgesamt konnten 2021 durch Sensibilisierungsvorträge in Onlineund Präsenzformaten mehr als 1.700 Personen bei rund 35 Veranstaltungen informiert und sensibilisiert werden. Kontakt zum Wirtschaftsschutz Unternehmen und andere Institutionen, die an den Sensibilisierungsangeboten des Verfassungsschutzes interessiert oder Opfer von Spionageoder Sabotageattacken geworden sind, können unter wirtschaftsschutz@im1.nrw.de Kontakt zum Wirtschaftsschutz aufnehmen. Als Inlandsnachrichtendienst obliegt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dem Opportunitätsprinzip und kann ein Maximum an Vertraulichkeit zusichern. spIonageabwehr, cyberabwehr und wIrtschaftsschutz 321 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 322 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Präventionsarbeit und Aussteigerprogramme präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 323 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Zusammenfassung Präventionsarbeit lebt von persönlichen Begegnungen und vom Austausch der Akteure, auf Veranstaltungen, im Kontakt mit Netzwerkpartnern oder in vertraulichen Beratungsgesprächen. Insofern prägte die Corona-Pandemie auch im Jahr 2021 die vielfältigen Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes NRW. Trotz weiterhin bestehender Beschränkungen im Berichtsjahr konnte die Arbeit unter anderem durch erprobte und weiterentwickelte Online-Formate erfolgreich fortgeführt werden. Kontinuität trotz Pandemie Die differenzierte Zusammenarbeit mit den zahlreichen Präventionsakteuren und Netzwerken auch im digitalen Format konnte noch intensiviert werden, sodass ein regelmäßiger Austausch aufrechterhalten werden konnte und neue Partner hinzugekommen sind. Die Programme und Projekte des Verfassungsschutzes standen Ratsuchenden und Interessierten kontinuierlich zur Verfügung. Elementarer Bestandteil der Präventionsarbeit war im Jahr 2021 das breite Angebot an Vorträgen und besonderen Veranstaltungen, vorrangig zu den Themen Rechtsextremismus und Islamismus. Ein Schwerpunkt lag auf Verschwörungsmythen, die insbesondere in Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie immer wieder zum Tragen kamen und zum Teil extremistisch aufgeladen waren. Außerdem wurde die Tagungsreihe "Extremismus-Prävention" für Führungskräfte der Feuerwehr 2021 ausgeweitet: Der Verfassungsschutz NRW, die Landeszentrale für politische Bildung und die Feuerwehr Düsseldorf hatten die Reihe seit 2020 erprobt. Ab 2021 findet sie im Institut der Feuerwehr NRW als landesweites Angebot statt. Bewährte Kooperationen Im VIR-Projekt, das der Verfassungsschutz NRW in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Kooperationspartnern umsetzt, fand in Mülheim an der Ruhr die neunte Trainerinnenund Trainer-Ausbildung statt. Sie vermittelte Methoden, um die Distanzierung vom Rechtsextremismus zu fördern. Vernetzung und Austausch von Fachkräften aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern sind ein Kernanliegen im VIR-Projekt. Als Schwerpunktthema ging die jährliche Vernetzungstagung des Projekts 2021 in Dortmund den Präventionsmöglichkeiten unter Haftbedingungen nach. 324 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung und dem Dietrich-KeuningHaus in Dortmund veranstaltete der Verfassungsschutz NRW zudem die Fachtagung "Gewalt - Dynamik. Rechtsextreme Aktivitäten im Kampfsport". Erweiterung des Präventionsprogramms Wegweiser Das Angebot des Präventionsprogramms Wegweiser wurde in 2021 mit dem Start eines zweijährigen Pilotprojektes zum Extremismusbereich der Grauen Wölfe an sechs ausgewählten Standorten erweitert. Zusätzlich zum Islamismus erhalten Ratsuchende landesweit Informationen, Beratung und Unterstützung zu allen Bereichen des Themas Graue Wölfe. Die Wegweiser-Beratungskräfte erarbeiteten Podcasts, digitale Pinnwände und OnlineWorkshops, um während der Pandemie weiter Informationen zu geben und für ihr Angebot zu werben. Wegweiser wird seit Beginn 2021 wissenschaftlich evaluiert. Die Fachstelle Islamismusprävention hat im Jahr 2021 weitere Qualifizierungslehrgänge für die Wegweiser-Beraterinnen und -Berater durchgeführt und diese Einheiten online angeboten. Ein Ziel ist es, mit den Beraterinnen und Beratern zu allen aktuellen fachlich relevanten Themen in den Austausch zu treten. Weitere Optimierung der Ausstiegsarbeit Von einer guten Zusammenarbeit, insbesondere mit den Bereichen Polizei und Justiz sowie mit anderen Netzwerkpartnern der Länder und des Bundes, profitieren die Aussteigerprogramme. Spurwechsel konnte 2021 auf eine 20-jährige Erfahrung in der Begleitung von Ausstiegswilligen aus dem Rechtsextremismus zurückblicken, während das Aussteigerprogramm Islamismus (API) seine Expertise erneut maßgeblich in der bundesweiten Arbeitsgruppe (AG) Deradikalisierung eingebracht hat. Als jüngstes der Aussteigerprogramme hat Left 2021 die deutschlandweit erste Bund-Länder-Arbeitstagung staatlicher Aussteigerprogramme ausgerichtet und damit seine Vorreiterrolle im Bereich der tertiären Linksextremismus-Prävention ausgebaut. Die Arbeit der Rückkehrkoordinierenden stellte im Zusammenhang mit der Ankunft von mehreren Frauen und ihren Kindern aus dem Irak und aus Syrien in NRW ein weiteres wichtiges Thema im Jahr 2021 dar. Sie machte mit ihrer erfolgreichen koordinierenden Arbeit erneut die Bedeutung des zeitnahen und abgestimmten gemeinsamen Vorgehens der beteiligten Behörden und der Einbindung von Präventionsangeboten deutlich. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 325 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Im Fokus: Der Verfassungsschutz als Schnittstelle bei der vernetzten Rückkehrkoordination Die Rückkehr von Angehörigen und Anhängern des sogenannten IS nach Deutschland bedeutet für die hiervon betroffenen Länder und Kommunen enorme Herausforderungen. Der beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz eingerichteten Rückkehrkoordination kommt die zentrale Rolle zu, abgestimmte Präventionsangebote und Hilfen zu organisieren. Mit der militärischen Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Syrien und dem Irak und dem Zusammenbruch des von ihm ausgerufenen Kalifats waren die Pläne derjenigen deutschen Staatsangehörigen, die in die Krisenregion ausgereist waren, um sich dem IS anzuschließen und unter seiner Herrschaft zu leben, endgültig gescheitert. Eine generationenübergreifende Herausforderung Es ist nicht auszuschließen, dass Rückkehrende aus dem ehemaligen Hoheitsgebiet des sogenannten IS ein Risiko für die innere Sicherheit Deutschlands darstellen. Sie haben in der Regel einen kompletten Radikalisierungsprozess durchlaufen und andere Radikalisierte kennengelernt. Viele von ihnen haben eine militärische Ausbildung erhalten und Kampferfahrungen oder zumindest Erfahrungen im Umgang mit Waffen gemacht. Zugleich ist es naheliegend, dass das Leben in unsicheren Verhältnissen, das Erleben von Bombardements und Flucht, aber auch die drakonischen Strafen und Gewaltexzesse des IS-Regimes die Rückkehrenden gegenüber Gewalt abgestumpft haben. Dabei ist die Gruppe der Rückkehrenden heterogen. Neben Männern und Frauen, die unverändert der Ideologie des sogenannten IS anhängen, kehren Traumatisierte und Desillusionierte zurück, die Unterstützung bei einer gesellschaftlichen Reintegration benötigen. Ein Großteil der Rückkehrenden sind Minderjährige. Einige Kinder wurden von ihren Eltern bei der Ausreise mitgenommen und sind inzwischen zu radikalisierten Jugendlichen herangewachsen. Andere sind unter dem Regime des sogenannten IS aufgewachsene Kinder, die von Kriegserlebnissen oder dem Verlust von Angehörigen traumatisiert sind. Außerdem gibt es die Gruppe von Kleinstkindern, die in einem der Lager im Nordosten Syriens zur Welt gekommen sind, ohne Geburtsnachweis und mit der Mutter als einzigem bekannten Elternteil. Diese Kinder sind vor allem Opfer und bedürfen vielfältiger Arten von Hilfe. Es muss aber auch der Gefahr begegnet werden, 326 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 dass durch eine mögliche Rückkehr in die Verhältnisse, aus denen ihre Eltern damals in das Kriegsgebiet aufgebrochen waren, eine neue extremistische Generation heranwächst. Ganzheitlicher und multidisziplinärer Ansatz Den so unterschiedlichen Situationen der zurückkehrenden Männer, Frauen und Kinder wird mit einem ganzheitlichen und multidisziplinären Ansatz begegnet, der ihre Deradikalisierung, gesellschaftliche Reintegration und dauerhafte Stabilisierung zum Ziel hat. An diesem Prozess ist eine Vielzahl von Akteuren mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen beteiligt. Ein zielgerichtetes Vorgehen erfordert Abstimmungen und einen intensiven Informationsfluss zwischen den Beteiligten. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe der Rückkehrkoordination. Die Rückkehrkoordination organisiert die Präventionsangebote und Hilfen der betroffenen Bereiche Für Personen, die möglicherweise immer noch in der IS-Ideologie verhaftet sind, haben die Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden und eine konsequenten Strafverfolgung seitens der Justiz zentrale Bedeutung. Zugleich werden, wo immer möglich, Präventionsund Deradikalisierungsangebote gemacht. Dabei geht es um die Initiierung von Distanzierungsund Ausstiegsprozessen für die Rückkehrenden selbst und um das Informieren und Beraten des sozialen Umfelds wie Angehörige und Beschäftigte beispielweise in Schulen und Kitas. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 327 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Steht eine strafrechtliche Relevanz nicht oder nicht mehr im Vordergrund, rücken Fragen der Reintegration der Rückkehrenden in den Fokus. Hierzu zählen die Suche nach einer Unterkunft und die Eingliederung in die Sozialsysteme. Erste Ansprechpartner sind unter anderem die Jobcenter. Mit Blick auf rückkehrende Kinder sind die Behörden von Land und Kommunen gefragt, vor allem die örtlichen Jugendämter. Können Kinder aufgrund der Inhaftierung ihrer Eltern bei Rückkehr nicht in deren Obhut verbleiben, wird die Möglichkeit einer Aufnahme durch das familiäre Umfeld geprüft. Neben der medizinischen Versorgung und ersten Stabilisierung ist häufig die Einbeziehung psychologischer und psychiatrischer Fachkräfte zur Einschätzung von Traumatisierungen angezeigt. Frühzeitig werden geeignete pädagogische Angebote gemacht, sofern möglich erfolgt eine Eingliederung in Kita oder Schule. Dabei können der schulpsychologische Dienst beziehungsweise die psychosozialen Dienste der Kita einbezogen werden. Rückkehrkoordination als zentrale Schnittstelle Um diese vielfältigen Maßnahmen in den Blick zu nehmen, besteht in Nordrhein-Westfalen seit Oktober 2019 die Funktion der Rückkehrkoordination (RKK). Sie ist organisatorisch im für Prävention und Aussteigerprogramme zuständigen Referat des Verfassungsschutzes verortet und wird von der "Beratungsstelle Radikalisierung" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Die Arbeit basiert auf einem Konzept, das in enger Abstimmung mit dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) erarbeitet wurde. Die RKK fungiert als landesweite, zentral koordinierende Schnittstelle zu allen mit einer Rückkehr befassten Akteuren. Sie stellt die Kommunikation sowie den Informationsfluss sicher und koordiniert erforderliche Maßnahmen. Die RKK implementiert neue Kommunikationswege und baut bestehende aus, vermittelt Ansprechpartner und unterstützt die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. Eine frühzeitige Einbindung bei anstehenden Rückkehrfällen ermöglicht der RKK, bereits weit im Vorfeld einer tatsächlichen Ankunft proaktiv auf kommunale Akteure zuzugehen, zu informieren und bei der Aufnahme spezifischer Maßnahmen zu unterstützen. Vernetzung der lokalen Akteure Bei Bedarf initiiert die RKK auf lokaler Ebene sogenannte "runde Tische", um alle von einem Rückkehrfall betroffenen Institutionen miteinander zu vernetzen und gegebenenfalls mit Fachleuten für die Themen Radikalisierung und Deradikalisierung zusammenzubringen. Dies schafft Handlungssicherheit und hilft bei der Einschätzung potentieller Herausforderungen. 328 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das Landespräventionsprogramm "Wegweiser - Gemeinsam gegen Islamismus" ist mit 25 regionalen Beratungsstellen landesweit und flächendeckend in der Lage, eine passgenaue und individuelle Beratung von Betroffenen, aber auch des sozialen Umfelds der Rückkehrenden anzubieten. Die Beratungsteams sind fachlich multiprofessionell aufgestellt. Beschäftigte der von Rückkehrfällen betroffenen Jugendämter können daher hier vor Ort spezifische Informationen zum Thema Islamismus, extremistischer Salafismus oder Radikalisierung erhalten. Für Schulen und Kitas werden Sensibilisierungsveranstaltungen angeboten. Da bei vielen Rückkehrenden nach wie vor von einer erheblichen Radikalisierung ausgegangen werden muss, prüft die RKK bei dieser speziellen, sicherheitsrelevanten Personengruppe die besonderen Möglichkeit von Deradikalisierungsmaßnahmen durch das staatliche Aussteigerprogramm Islamismus (API) oder durch zivilgesellschaftlich organisierte Deradikalisierungsprogramme in NRW. Zahlreiche IS-Rückkehrende sind durch das multiprofessionelle Team von API bereits in ihren schwierigen Ausstiegsprozessen begleitet worden oder werden derzeit begleitet. Im Rahmen des Fallmonitorings tauscht sich die RKK regelmäßig mit dem API über den Verlauf der dort begleiteten Fälle aus. Mehrwert für die Gesellschaft Die RKK ist ein wichtiger Ansatz, um der Entstehung einer neuen Generation islamistischen Terrors entgegenzuwirken und Rückkehrende wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Die Hilfen sind kein Selbstzweck und fordern von allen Beteiligten neben hoher Professionalität viel Geduld und Ausdauer. Letztlich profitieren davon aber nicht nur die Betroffenen, sondern die gesamte Gesellschaft. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 329 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Übergreifende Konzepte und Vernetzung Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz arbeitet im Bereich der Prävention gegen Extremismus mit zahlreichen Akteuren auf kommunaler, Landesund Bundesebene zusammen. Auch Präventionsprogramme aus anderen Staaten gehören zu den Partnern. Ziel ist vor allem der regelmäßige Austausch über aktuelle Entwicklungen und Fragestellungen im Themenbereich, um damit eine erfolgreiche Arbeit und Weiterentwicklung der verschiedenen Maßnahmen des Verfassungsschutzes zu ermöglichen. Integriertes Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus Die Weiterentwicklung des integrierten Handlungskonzepts auf Basis einer Evaluation wurde von der Landesregierung im Sommer 2020 beschlossen. Im Jahr 2021 lag der Schwerpunkt darauf, die vernetzte Präventionsarbeit weiter zu optimieren. Der Verfassungsschutz bringt hierbei seine Expertise als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie ein. Wie wichtig eine stetige Aktualisierung abgestimmter Präventionsangebote ist, zeigte sich zuletzt im Zusammenhang mit der Herausbildung eines neuen Extremismusbereichs im Umfeld der Protestbewegung gegen die CoronaSchutzmaßnahmen. Immer wieder zielen Proteste gegen Maßnahmen zur Pandemiebewältigung auch grundsätzlich auf einen Systemwechsel ab, ohne dass dies einen Bezug zu einem bereits beobachteten Extremismusbereich haben muss. Mit 165 Einzelmaßnahmen aus unterschiedlichen Ressorts der Landesregierung und in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Trägern ist das Integrierte Handlungskonzept das wesentliche Koordinierungsinstrument der Präventionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus auf Landesebene. Die beteiligten Ministerien stimmen sich in einer interministeriellen Arbeitsgruppe ab. Der Austausch mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren erfolgt im Landesnetzwerk gegen Rechtsextremismus. Die Kooperation zwischen Staat und Zivilgesellschaft ist das Prinzip des Konzepts seit 2016 und damit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Rund zwei Drittel der Maßnahmen fallen in den Aufgabenbereich von Polizei und Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz verantwortet 22 Maßnahmen. Aufklärungsund Informationsformate für spezielle Zielgruppen und die breite Öffentlichkeit sind der Primärprävention zuzuordnen. Angebote der Sekundärprävention wie 330 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 das Programm VIR oder "Kommunen gegen Extremismus" richten sich an Extremismusgefährdete. Mit dem Aussteigerprogramm "Spurwechsel" leistet der Verfassungsschutz seit 20 Jahren einen erfolgreichen Beitrag zur Tertiärprävention. Prävention auf drei Ebenen In Wissenschaft und Praxis wird die Präventionsarbeit nach den Zielgruppen eingeteilt, an die sich die jeweilige Präventionsmaßnahme richtet. So wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bringt seine Erkenntnisse in den Bereichen Rechtsextremismus und Islamismus gezielt in allen drei genannten Feldern der Prävention ein. > Primäre Prävention zielt auf die demokratische Öffentlichkeit ab ("Verfassungsschutz durch Aufklärung"). > Sekundäre Prävention nimmt Personengruppen in den Blick, die eine Nähe zum extremistischen Denken und Handeln haben. Entsprechende Jugendliche befinden sich meist in einer Annäherungsphase an extremistische Szenen. > Tertiäre Prävention richtet sich an Personen, die fest in einer extremistischen Szene verankert und in ihr aktiv sind. Maßnahmen der tertiären Prävention sind insbesondere Aussteigerprogramme. Die Übergänge zwischen diesen drei Präventionsbereichen sind fließend, die Unterscheidung ist aber wichtig, weil wirksame Präventionsmaßnahmen passgenau auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet sein müssen. Interministerielle Arbeitsgruppe "Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe" Die Mitglieder der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) "Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe" haben im Jahr 2016 unter Federführung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW und des Ministeriums präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 331 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 des Innern NRW ein Handlungskonzept entwickelt. Damit wurde ressortübergreifend und unter Einbeziehung von Experteninnen und Experten aus Zivilgesellschaft, Praxis und Wissenschaft eine Grundlage für eine Vielzahl von präventiven Maßnahmen geschaffen. Diese bekämpfen mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz den verfassungsfeindlichen Salafismus und inzwischen auch den Islamismus. Die beteiligten Ressorts haben die Präventionsstrategien gemeinsam und konkret entwickelt. Die Maßnahmen setzen an den jeweiligen Lebensphasen der vorwiegend jungen Heranwachsenden und ihren besonderen Sozialräumen an. Sie können so passgenau auf die konkreten Situationen wirken. Zu verschiedenen Themenschwerpunkten wurden und werden regelmäßig Maßnahmen entwickelt, bei denen sich beispielsweise Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen den Islamismus wenden oder gezielt einzelne gefährdete Jugendliche geschützt und gestärkt werden. Die Bandbreite der Präventionsmaßnahmen reicht von Sensibilisierung, Qualifizierung, Beratung bis zur Unterstützung. Alle Ressorts haben sich sehr intensiv mit ihrer Expertise, ihren Netzwerken und konkreten Angeboten eingebracht. Im Jahr 2021 wurden beispielsweise in Zusammenarbeit mit der im Innenministerium angesiedelten Rückkehrkoordinierenden sowie mit einer Broschüre und Informationssammlung für die geschlechtsspezifische Präventionsarbeit aktuelle Themen aufgegriffen. Die IMAG ist unbefristet auf eine dynamische und kontinuierliche Zusammenarbeit der Arbeitsbereiche aller beteiligten Ressorts ausgerichtet. Im Prozess befinden sich derzeit insbesondere noch Aspekte einer weitergehenden Vernetzung, ein weiterer Ausbau der wissenschaftlichen Beteiligungen zu allen fachlichen Themen sowie eine intensivere Befassung mit dem Themenfeld psychische Erkrankungen. Es ist vorgesehen, dass immer wieder neue Schwerpunkte und Einzelprojekte in das ganzheitliche Handlungskonzept aufgenommen, bearbeitet und dann in weitere konkrete Projekte münden sollen. CoRE NRW - Connecting Research on Extremism in North Rhine-Westphalia Das seit 2016 bestehende Wissenschaftsnetzwerk Connecting Research on Extremism in North Rhine-Westphalia, kurz CoRE NRW, erforscht den extremistischen Salafismus und wurde 2020 auf den Phänomenbereich Rechtsextremismus ausgeweitet. Zielsetzung des Netzwerkes ist der interdisziplinäre Austausch zwischen Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz trägt durch die Teilnahme in großem Maße dazu bei, den Austausch zwischen der Wissenschaft und der Praxis zu fördern. Er kann dadurch seine Arbeit auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Aus der gemeinsamen Diskussion entstehen wichtige Impulse 332 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 für alle Beteiligten zur Weiterentwicklung der Präventionsarbeit. Der Austausch aller bündelt Erkenntnisse aus der Forschung und der Praxis. Das Ergebnis fließt wiederum in die Forschung ein. Für CoRE NRW hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW (MKW) die Federführung. Seit August 2019 liegt die Koordinierungsstelle beim "Bonn International Center for Conversion" (BICC). Bisher hat das MKW fünf abgeschlossene und acht laufende Projekte gefördert. Im aktuellsten Projekt werden die "Auswirkungen rechtsextremer und rassistischer Gewalt auf das Alltagsleben von Menschen mit Migrationsgeschichte und people of color in NRW" untersucht. 2021 fand der Workshop "Walking the line: Chancen, Grenzen und Verantwortung in der Radikalisierungsund Extremismusforschung" statt. Extremismusforschung bewegt sich in einem sensiblen Feld, bei dem sich Zugänge schwierig gestalten. Der Workshop hat die Zusammenarbeit von Forschenden der Radikalisierungsund Extremismusforschung mit Sicherheitsbehörden sowie mögliche Fallstricke thematisiert. Das CoRE-NRW-Netzwerktreffen im Oktober 2021 hatte zum Ziel, den thematischen Austausch im Netzwerk weiter zu verstärken. Zuletzt fand die Online-Konferenz "Radikalisierungsprävention in NRW. Wie können die Kapazitäten von Multiplikator: innen und Fachkräften gestärkt werden" statt, in der die Erkenntnisse der durchgeführten Forschungsprojekte und die wichtigsten Empfehlungen zur Diskussion gestellt wurden. Projekt "Kommunen gegen Extremismus" Ist der örtliche Kulturverein islamistisch unterwandert? Wie gehe ich als Kommune mit Reichsbürgern um? Wie ist ein Drohbrief aus der Querdenker-Szene einzuschätzen? Auf diese und viele weitere Fragen gibt es Antworten und Empfehlungen im Projekt "Kommunen gegen Extremismus". Die Zusammenarbeit zwischen dem nordrheinwestfälischen Verfassungsschutz, dem polizeilichen Staatsschutz sowie Kreisen, Städten und Gemeinden soll dabei helfen, sämtliche Formen von Extremismus bereits in der Entstehung zu erkennen und ihnen rechtzeitig entgegenzuwirken. Das Projekt wurde 2014 als Pilot im Kreis Mettmann gestartet. Es wurde im weiteren Verlauf auf den Rhein-Kreis Neuss, den Rhein-Erft-Kreis, den Rhein-Sieg-Kreis, den Kreis Paderborn, den Kreis Düren sowie die kreisfreien Städte Mönchengladbach und Remscheid ausgedehnt. Inzwischen wurden mehr als 300 Fragen und Hinweise aus dem Kreis der Gebietskörperschaften behandelt. Eine Ausdehnung des Projekts auf weitere Kommunen ist auch künftig beabsichtigt. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 333 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Projekt Rückkehrkoordination Kehren Personen, die in die Kampfgebiete des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Syrien und dem Irak ausgereist waren, nach Nordrhein-Westfalen zurück, sind davon eine Vielzahl staatlicher Stellen sowie zivilgesellschaftlicher Akteure betroffen. Die Rückkehrkoordination (RKK) sorgt für die notwendige Vernetzung und Abstimmung der Beteiligten mit dem Ziel, durch die Einbindung aller Institutionen auf eine Deradikalisierung, gesellschaftliche Reintegration und dauerhafte Stabilisierung der Rückkehrenden hinzuwirken. Im Jahr 2021 besteht die RKK in Nordrhein-Westfalen seit zwei Jahren. Das Jahr war geprägt von den Herausforderungen einer großen Rückholungsaktion unter Federführung des Auswärtigen Amts und einer Verstetigung der Netzwerkarbeit innerhalb Nordrhein-Westfalens. Die Sensibilisierung der örtlichen Jugendämter für die besonderen Herausforderungen und Bedürfnisse der aus dem Kriegsgebiet zurückkehrenden Kinder und Jugendlichen wurde fortgesetzt. Die frühzeitige Einbindung durch die RKK ermöglicht es den Kommunen, sich auf Rückkehrfälle einzustellen, ihre Mitarbeitenden mit zusätzlichem Fachwissen auszustatten und sich mit weiteren Stellen zu vernetzen. Im Oktober 2021 begleitete die RKK die Rückholung von mehreren Frauen mit ihren Kindern aus einem Lager im Nordosten Syriens, die unter Federführung des Auswärtigen Amtes erfolgte. Dabei wurde deutlich, dass das proaktive Zugehen der RKK auf die örtlich zuständigen Jugendämter und weitere Beteiligte ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Durchführung der Rückholungsaktion war. Im Rahmen des fallbezogenen Monitorings hat die RKK im Jahr 2021 zudem immer wieder Ansätze von Möglichkeiten einer Deradikalisierung bei Rückgekehrten geprüft, die sich bereits in NRW aufhalten. Sie kooperiert dabei zur nachhaltigen Stärkung der Deradikalisierungsarbeit mit dem staatlichen Aussteigerprogramm API sowie mit aktiven zivilgesellschaftlichen Akteuren. Verbindungsbeamter Justizvollzug Der Verbindungsbeamte Justizvollzug steht den Justizvollzugseinrichtungen des Landes als zentraler Ansprechpartner im Verfassungsschutz zur Verfügung. Er klärt über die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf, fördert den Informationsaustausch und sensibilisiert über aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen. Der gegenseitige Austausch auch im Jahr 2021 dient der Früherkennung möglicher Radikalisierungstendenzen von Inhaftierten sowie der Gewinnung von Erkenntnissen 334 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zu Entwicklungen inhaftierter Extremisten während der Haftzeit. Inhaftierten, die einen Ausstiegswillen erkennen lassen, kann der Verbindungsbeamte Kontakte zu den Aussteigerprogrammen des Verfassungsschutzes oder der Zivilgesellschaft vermitteln. Austausch mit politischen Stiftungen in NRW Auf Initiative des Verfassungsschutz NRW findet aktuell ein Austausch mit den Landesbüros der politischen Stiftungen in Nordrhein-Westfalen statt. Ziel des Dialogs ist die Stärkung des wechselseitigen Verständnisses der aktuellen Herausforderungen im Schnittfeld der politischen Bildung und der Prävention. Dabei geht es um unterschiedliche Perspektiven, aber auch um die Sondierung möglicher Formen der Kooperation, insbesondere bei der Entwicklung und Erprobung neuer Formate der Prävention. Besonders wichtige Adressaten sind demokratisch orientierte Akteure in der Gesellschaft: Prävention und politische Bildung können voneinander profitieren. Weil beide Bereiche die Gesellschaft als Ganzes betreffen, ist es hilfreich, die inhaltliche und präventive Expertise des Verfassungsschutzes in die Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Akteuren einzubringen und zu ergänzen. Dem Projekt kommt eine besondere Bedeutung zu, weil der Verfassungsschutz einen ganzheitlichen Ansatz des Demokratieschutzes verfolgt und alle extremistischen Aktivitäten nicht allein unter Gesichtspunkten der Repression wahrnimmt. Arbeitsgremien auf Bundesebene Der Verfassungsschutz NRW ist im Bereich der Islamismusprävention in ein breites Netzwerk aller Landesprogramme und der Behörden von Bund und Ländern eingebunden. Er nimmt an mehreren Arbeitsgremien auf Bundesebene teil. Der Ansatz der Deradikalisierung erfordert einen ressortund behördenübergreifenden inhaltlichen Austausch, der seit 2009 in der Arbeitsgruppe (AG) Deradikalisierung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) stattfindet. Die AG verfolgt unter Federführung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Ziele einer länderübergreifenden Abstimmung und Klärung von Grundsatzfragen, einer Erstellung von Bedarfsanalysen und der Erarbeitung praxisorientierter Standards für die Deradikalisierungsarbeit. Dabei gibt insbesondere das Aussteigerprogramm Islamismus (API) aufgrund seiner langjährigen Praxiserfahrung fruchtbare Impulse, speziell in der von API geleiteten und mit Praktikern aus dem Bereich der Ausstiegsbegleitung besetzten wichtigen Unterarbeitsgruppe Fallarbeit. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 335 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das BAMF ist zudem die koordinierende Stelle für einen bundesweiten Austausch aller Landespräventionsprogramme und ihrer zivilgesellschaftlichen Partner. An diesem Austausch hat der Verfassungsschutz auch im Jahr 2021 teilgenommen. Dies gilt ebenfalls für den vom Bundesministerium des Innern (BMI) organisierten jährlichen Bund-Länder-Austausch zur Deradikalisierung im Phänomenbereich Islamismus. In der digitalen Sitzung im Dezember 2021 standen die künftigen prioritären Herausforderungen für die Deradikalisierungsarbeit im Vordergrund. Europäische und internationale Zusammenarbeit Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Präventionsarbeit des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sind Kooperationen, die über die Landesgrenzen hinausgehen. Besonders intensiv gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Belgien. Die Regierungen von Flandern und Nordrhein-Westfalen haben ihren Gedankenaustausch über Methoden zur Prävention von gewalttätigem Extremismus fortgeführt und für die Zukunft bereits weitere Termine geplant. Im Oktober 2021 fand ein Treffen zwischen Innenminister Reul und dem flämischen Minister Somers zu den Themenkomplexen Rechtsextremismus und Islamismus sowie präventiven Arbeitsformaten statt. Bereits im Vorfeld wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich aus Expertinnen und Experten Flanderns und Nordrhein-Westfalens zusammensetzt. Treffen von Innenminister Herbert Reul mit dem flämischen Minister Bart Sommers im Oktober 2021 336 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Die im Jahr 2017 unterzeichnete "Vereinbarung zwischen der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien (DG), dem Land NRW und der Stadt Aachen über die Zusammenarbeit im Rahmen des Präventionsprogramms Wegweiser" legte den Grundstein für eine mittlerweile über vier Jahre andauernde erfolgreiche Zusammenarbeit. Es findet regelmäßig ein enger Austausch auf verschiedenen Ebenen statt, insbesondere zwischen den Beratungskräften von "Wegweiser in der Region Aachen" und seinem belgischen Pendant in Eupen, dem "Wegweiser in Ostbelgien". Begünstigt durch die direkte Nachbarschaft gelang über wechselseitige Einladungen zu Veranstaltungen im Jahr 2021 eine noch engere Verzahnung. Die Aussteigerprogramme, hier insbesondere im Bereich Islamismus, erreichten in 2021 wieder verstärkt Anfragen aus dem Ausland nach einem fachlichen Austausch. Dies erfolgt beispielsweise über die Zusammenarbeit im international ausgerichteten Radicalisation Awareness Network (RAN). Über dieses Netzwerk sucht das Aussteigerprogramm Islamismus (API) seit dem Jahr 2019 erfolgreich den fachlichen Austausch und Wissenstransfer mit europäischen Praktikern in der Deradikalisierungsarbeit. Das API nimmt zudem regelmäßig am International Forum for Expert Exchange on Countering Islamist Extremism (InFox) teil. Hier werden Erkenntnisse aus Präventionspraxis und Fachdiskurs im Inund Ausland gesammelt, in internationalen Fachtagungen diskutiert und über Issue Paper wissenschaftlich aufgearbeitet. Der Fokus liegt im Bereich der tertiären Prävention. Die Issue Paper setzen sich mit der Versachlichung öffentlicher Diskurse auseinander und transportieren zentrale Erkenntnisse zu relevanten Themenstellungen. Im Jahr 2021 hat sich das API aktiv zum Thema "Umgang mit Frauen in der Tertiärprävention von islamistischem Extremismus" engagiert. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 337 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Präventionsprogramm Wegweiser - Gemeinsam gegen Islamismus Das Landespräventionsprogramm Wegweiser setzt ganz am Anfang einer möglichen Radikalisierung an und richtet sich vorwiegend an Kinder, Jugendliche und junge Menschen, die bereits mit der islamistischen Szene sympathisieren oder in diese abzurutschen drohen. Das Programm berät zudem auch das soziale Umfeld dieser Zielgruppe wie Familienangehörige, Freunde, Lehrkräfte und alle anderen. Die Beratungsstellen führen Sensibilisierungen in Schulen, Behörden und sonstigen Organisationen durch und stehen grundsätzlich allen Ratsuchenden offen. Wegweiser ist dezentral organisiert und wird von 25 zivilgesellschaftlichen und kommunalen Trägern umgesetzt. Die Beratungsstellen sind über ganz NRW verteilt und bieten passgenaue Hilfe vor Ort an. Finanziert wird Wegweiser durch das Land NRW. Flexibilität in der Pandemie Trotz der Unwägbarkeiten der Pandemie wurde die Beratungsarbeit lückenlos weitergeführt. Die Begleitung direkt Betroffener und des Umfelds sowie die Beantwortung allgemeiner Anfragen wurden flexibel an der Lage der Pandemie ausgerichtet. Die jeweils geltenden Auflagen wurden dabei beachtet. Telefonische Begleitung wurde ebenfalls fortlaufend umgesetzt. Aufgrund der zwischenzeitlichen Kontaktsperren und Veranstaltungsverbote waren gerade zum Anfang des Jahres von den Beratungsstellen geplante Veranstaltungen auf spätere Zeitpunkte verschoben worden. Diese wurden jedoch ab Mitte des Jahres wieder verstärkt nachgefragt und umfangreich nachgeholt. Nach dem Ende des Lockdowns fragten zudem vermehrt Schulen Einzelberatungen, Workshops und Sensibilisierungsveranstaltungen an. Dabei ging es häufig um aktuelle Entwicklungen und Schwierigkeiten, die die Pandemielage, insbesondere in den Schulen, mit sich gebracht oder erst deutlich gemacht hatte. Diese Themenstellungen wurden zielgerichtet und passgenau in die Formate einbezogen. In den Phasen des Lockdowns wurden von den örtlichen Beratungsstellen unterschiedliche, bedarfsgerechte sowie altersangemessene und zielgruppengerechte OnlineFormate für Sensibilisierungen, Workshops und andere Veranstaltungen angeboten. 338 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Damit stand Wegweiser fortlaufend als Ansprechpartner zur Verfügung und die Beratungsstellen konnten stets lückenlos Aufklärung und Beratung umsetzen. Sehr gut angenommen wurden beispielsweise Podcasts, digitale Pinnwände, Sensibilisierungsveranstaltungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren als Videokonferenzen, Vorträge im Online-Format für alle Interessierten und Workshops für Schulklassen. Offene Sprechstunden für die lokalen Netzwerkpartnerinnen und Netzwerkpartner wurden erfolgreich digital durchgeführt. Nach vorheriger Ankündigung mit oder ohne ein konkretes Thema wählten sich die Ratsuchenden mit allgemeinen Fragen zum Phänomenbereich Islamismus in das digitale Format ein. Sie konnten niedrigschwellig Informationen erlangen sowie Gespräche mit den Expertinnen und Experten von Wegweiser führen. Um gemeinsam mit den Beratungsstellen vor Ort stets optimal auf nationale und internationale Ereignisse reagieren zu können, halten Referentinnen und Referenten des Verfassungsschutzes anlassbezogen Impulsvorträge für die Beschäftigten der Wegweiser-Standorte. Falls erforderlich finden diese auch online statt. Die Beratungskräfte entwickeln sich dadurch als Expertinnen und Experten bei aktuellen Problemlagen weiter. Sie werden bei den Zielgruppen als kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner wahrgenommen und angesprochen. Beispiele für aktuelle Ereignisse und Ausgangslagen waren die Flucht vieler Menschen aus Afghanistan, antisemitische Vorfälle im Bereich des Islamismus, der Nahostkonflikt sowie ein geplanter Anschlag auf die Synagoge in Hagen. Minister Herbert Reul informierte sich im Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Wegweiser persönlich über die individuelle Beratungsarbeit präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 339 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Erfolge in der Prävention Im Jahr 2021 gab es wieder einen stetigen Zustrom an Personen, die durch das Programm erreicht wurden. Seit dem Start im Jahr 2014 wurden 1.189 direkt Betroffene beraten. Rund ein Viertel davon sind Frauen und Mädchen. In 56 Prozent aller Beratungen waren Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren und in 14 Prozent der Fälle Kinder bis 14 Jahre betroffen. Die Wegweiser-Standorte haben daneben über 28.500 allgemeine Anfragen bearbeitet. Diese bezogen sich beispielsweise auf Einzelfälle, die Anforderung von Informationsmaterialien, Anfragen zu Vorträgen, die Bitte um Informationen zum Thema Islamismus oder Presseauskünfte. Zudem wurden 5.490 Sensibilisierungsmaßnahmen wie Veranstaltungen, Vorträge sowie Workshops für Schülerinnen und Schüler durchgeführt. Das Landespräventionsprogramm Wegweiser öffnet dabei Türen, schafft Vertrauen und leistet Überzeugungsarbeit. Erfolg in der Prävention ist nur begrenzt in Zahlen messbar, häufig im Einzelfall aber spürbar. Beratene werden gestärkt, um selbst Eigeninitiative zu zeigen und die Ergebnisse positiv umzusetzen. Sie lernen, aus eigenem Antrieb Informationen und Botschaften zu differenzieren sowie die gelernten und geübten Veränderungen sukzessive eigenverantwortlich anzunehmen. Wegweiser hat im Jahr 2021 zunehmend Ansätze verstetigt, dass pädagogische Kinderund Jugendarbeit mit fachlicher Expertise zum Islam und den Gefahren des Islamismus in den multiprofessionellen Teams vor Ort kombiniert werden. Das Zusammenwirken der beiden Faktoren hat sich als maßgeblich für das Erreichen der Zielgruppe und den erfolgreichen Verlauf der Arbeit erwiesen. Dabei ist Vorbeugung das Ziel. Das bedeutet, dass bei der Beratung von vorwiegend jungen Menschen, die sich in der Pubertät - einer Phase der Selbstfindung - befinden und sich noch nicht in extremistischen Strukturen verfestigt haben, die förderlichen und hinderlichen Faktoren individuell identifiziert werden müssen. Direkte positive Reaktionen bei Veranstaltungen lassen erkennen, dass die Inhalte bei einzelnen Kindern und Jugendlichen, die schon mit der Ideologie in Berührung gekommen sind, oder auch bei Personen aus deren Umfeld Bewusstsein schaffen und teilweise sogar unmittelbar ein Umdenken auslösen. Dies ist ebenfalls als Erfolg der Präventionsarbeit von Wegweiser zu bewerten. So gibt es beispielsweise in Schulklassen immer wieder direkte Rückmeldungen zur Wegweiser-Arbeit mit dem folgenden oder ähnlichen Inhalt: 340 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 > "Auf diesen Seiten im Internet waren wir auch schon, wir haben gar nicht gewusst, dass das gefährliche Propagandaseiten sind." > "Ich bin so froh, dass jemand endlich aufklärt, dass der Islam nichts mit der Ideologie zu tun hat, die Gewalt verbreitet." Bei Veranstaltungen für das Umfeld ist zu hören: > "Mein Enkel wohnt bei mir und er hat viele Poster mit Schriftzeichen in seinem Zimmer. Ich habe das immer einfach so zur Kenntnis genommen. Habe mir nie Gedanken gemacht. Jetzt bin ich froh, mehr zur Jugendkultur im extremistischen Salafismus, zu den Symbolen und so weiter gehört zu haben. Ich merke, ich weiß eigentlich nichts von meinem Enkel. Ich werde einfach mal mit ihm sprechen." Wegweiser Online Wegweiser Online, die künftig ergänzende digitale Komponente des Präventionsprogramms "Wegweiser - Gemeinsam gegen Islamismus", setzt sich aus mehreren Einzelmaßnahmen zusammen. Diese werden parallel implementiert und in den Gesamtkontext der landesweiten Beratungsstruktur eingeordnet. Mit der Erweiterung des Präventionsangebots durch eine im Aufbau befindliche Website wird auf die besondere Relevanz digitaler Räume insbesondere für die junge Zielgruppe eingegangen. Eine niedrigschwellige und zielgruppenspezifische Online-Beratung über ein Chat-Modul soll die Kontaktaufnahme für Jugendliche und junge Erwachsene erleichtern und ein ortsund zeitunabhängiges Informationsangebot bereitstellen. Die Wegweiser Beratungskräfte wurden mit einer speziell für sie konzipierten Schulungsreihe auf eine professionelle und vertrauensvolle Online-Beratung vorbereitet. Die Qualifizierung begann im Jahr 2020 und setzte sich im Berichtsjahr fort. Eine Auswirkung der Corona-Pandemie ist eine zunehmende Verlagerung der Aktivitäten von Extremisten ins Internet und in soziale Netzwerke. Hier können die geplanten Medienkompetenzworkshops an Schulen ansetzen, für die die Beratungskräfte das Modul Medienkompetenz absolvierten. Um Schülerinnen und Schüler bei der Nutzung digitaler Medien zu unterstützen, geht das Modul neben klassischen Themen der digitalen Welt auf aktuelle Problemfelder wie Verschwörungsmythen, Hate Speech und Fake News ein. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 341 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Der Verfassungsschutz NRW plant für das Jahr 2022 eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, um den neuen, erweiterten Online-Zugang über die Wegweiser-Website den relevanten Zielgruppen bekanntzumachen. Es zeichnet sich damit ab, dass alle Maßnahmen der geplanten Programmerweiterung im Jahr 2022 umgesetzt werden können. Evaluation des Programms Seit Anfang des Jahres 2021 wird das Programm Wegweiser von einem externen Institut wissenschaftlich evaluiert. Damit sollen die Wirkungsweise des Programms analysiert und mögliche Optimierungspotenziale identifiziert werden. Der Evaluierungszeitraum ist auf 18 Monate angesetzt. Die Evaluation besteht aus einer quantitativen und einer qualitativen Auswertung. Zum einen werden vorliegende quantitative Daten analysiert, zum anderen werden neun Standorte beispielsweise auf der Grundlage von Interviews und Fokusgruppengesprächen tiefergehend untersucht. Ausweitung auf den Bereich "Graue Wölfe" Wegweiser beschäftigt sich in einem Pilotprojekt seit Oktober 2021 zusätzlich mit dem Bereich Graue Wölfe. Sechs Beratungsstellen bieten für das ganze Land Sensibilisierungsund Aufklärungsveranstaltungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie für Betroffene an. Es handelt sich um die Beratungsstellen in Aachen, Bochum, Bielefeld, Dortmund, Neuss und Wuppertal. Die Beratungskräfte erhalten spezielle inhaltliche, methodische und didaktische Fortbildungslehrgänge in diesem Themenfeld. Parallel gibt es einen kontinuierlichen Austausch mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen unterstützen die konkrete Arbeit der Beratungsstellen. Das Ziel ist stets Beratung ohne Diskriminierung und Kriminalisierung. Die Gründe für eine Entstehung von Radikalisierung in diesem Bereich und die vorherrschende Affinität für diese Gruppierung werden dabei hinterfragt. Die Feindbilder sind in der Regel armenische, kurdische und türkisch linksorientierte Gruppen. Deshalb ist die Präventionsarbeit und eine Erweiterung des Programms Wegweiser auf den Bereich Graue Wölfe von großer Bedeutung. Junge Menschen mit türkischen Wurzeln gehören zur Mitte der Gesellschaft, stellen aber gleichzeitig die Hauptzielgruppe der Aktivitäten der Grauen Wölfe in Deutschland dar. Politische Entwicklungen in der Türkei, die beispielsweise einen Bezug zu Kurden oder zur PKK haben, haben in der Regel unmittelbaren Einfluss auf die hier lebenden Jugendlichen und können zu ihrer 342 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Emotionalisierung und Radikalisierung beitragen. Es besteht daher ein hoher Aufklärungsund Sensibilisierungsbedarf, insbesondere an Schulen, in Jugendeinrichtungen und beispielsweise in Sportvereinen. Kontakt zu Wegweiser Informationen zu den Wegweiser-Beratungsstellen vor Ort und die jeweiligen Hotlines sind unter www.wegweiser.nrw.de zu finden. Die zentrale Wegweiser-Hotline ist unter 0211 871-2728 (montags bis freitags von 8:00 bis 18:00 Uhr) oder per Mail unter info@wegweiser.nrw.de erreichbar und vermittelt auf Wunsch Ansprechpartner vor Ort. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 343 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 VIR - Veränderungsimpulse setzen bei rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen VIR ist ein praxisnahes Qualifizierungskonzept für Personen, die beruflich oder ehrenamtlich mit rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Kontakt sind, mit jungen Menschen in einer Annäherungsphase an den Rechtsextremismus. Es umfasst zehn Bausteine - Übungen zur motivierenden Gesprächsführung, ein Modell, das Veränderungsphasen aufzeigt (Transtheoretisches Modell der Veränderung), und Grundlagen zum Thema Rechtsextremismus (Rechtslage, "Erlebniswelt Rechtsextremismus", Einund Ausstiegsprozesse). Im VIR-Projekt arbeiten staatliche und zivilgesellschaftliche Stellen eng zusammen: Es wird gemeinsam getragen vom Arbeitskreis der Ruhrgebietsstädte gegen rechtsextreme Tendenzen bei Jugendlichen (AK-Ruhr), der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz NRW und dem Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen (Aussteigerprogramm Spurwechsel). VIR wird begleitet durch das LWL-Landesjugendamt Westfalen. Die ginko Stiftung für Prävention, an deren Fortbildungskonzept MOVE (Motivierende Kurzintervention) sich VIR anlehnt, hat das Projekt unterstützt. Die neunte Trainerausbildung sowie Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und die jährliche Vernetzungstagung für ausgebildete Trainerinnen und Trainer standen 2021 im Fokus. Nach der VIR-Trainerinnenund Trainer-Ausbildung, die vom 28. Juni bis 1. Juli 2021 in der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mülheim/Ruhr stattfand, stehen nun rund 150 VIR-Trainerinnen und -Trainer in NRW und elf weiteren Bundesländern zur Verfügung. Das VIR-Projekt basiert auf einem Train-the-Trainer-Ansatz. Die ausgebildeten Fachkräfte sind lizenziert, in Zweierteams eigene Fortbildungen nach dem VIR-Konzept zu leiten. Die 2021 neu ausgebildeten Trainerinnen und Trainer sind beispielsweise in Aussteigerprogrammen für Rechtsextremisten und Programmen der Sekundärprävention tätig, in der Polizeilichen Kriminalprävention, der Systemberatung Extremismusprävention für Schulen (SystEx) und in der Schulsozialarbeit. VIR-online in Mainz erprobt VIR-Fortbildungen wurden 2021 beispielsweise durch die Stadt Cottbus (Brandenburg) und das Landesdemokratiezentrum Rheinland-Pfalz in Mainz ausgerichtet. Zwei VIR-Trainer in Mainz hatten das Konzept angesichts der Pandemielage zu einem Online-Format weiterentwickelt und die zahlreichen praktischen Übungen in die digita344 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 le Umgebung übertragen. In der Zeitschrift des Landesjugendamts Rheinland-Pfalz (Ausgabe Oktober) ziehen sie eine sehr positive Bilanz: "Durch die bisherige Erfahrung konnten wir feststellen, dass auch ein Format, das auf derartig viel Interaktion und Vertrauen zwischen den Teilnehmenden angewiesen ist, online funktionieren kann." Das Demokratiezentrum Rheinland-Pfalz werde künftig regelmäßig VIR-Fortbildungen anbieten, wahlweise als Online, Präsenzoder Hybrid-Format. Präventionsansatz Bei VIR-Qualifizierungen geht es um die Kommunikation mit Zielgruppen, bei denen man in Alltagssituationen Impulse setzt, die zur Veränderung motivieren und den Veränderungsprozess fördern. VIR setzt auf Kurzinterventionen wie "Tür und Angel"-Gespräche oder Kurzberatungen mit einer Dauer von zehn Minuten bis zu einer Stunde. Typische Situationen sind Pausengespräche in der Schule, Gespräche im Jugendzentrum oder zwischen Strafgefangenen und Beschäftigten in einer Justizvollzugsanstalt. Vernetzungstagung: Prävention im Haftkontext Das VIR-Leitungsteam richtete vom 31. August bis zum 2. September 2021 eine eigene VIR-Fortbildung in Lüdinghausen aus. Teilgenommen haben pädagogische Fachkräfte unter anderem aus Jugendämtern, der Schulsozialarbeit, aus Aussteigerprogrammen und aus Beratungsstellen im Präventionsprogramm Wegweiser. Die Vernetzungstagung für ausgebildete VIR-Trainerinnen und -Trainer, die am 4. Oktober in Dortmund stattfand, nahm 2021 als Schwerpunktthema die präventive Arbeit unter Haftbedingungen in den Blick. VIR-Trainerinnen und -Trainer, die in Justizvollzugsanstalten tätig sind, schilderten Chancen und Grenzen ihrer Arbeit. Ein Trainer berichtete speziell aus dem Bereich des Maßregelvollzugs, in dem psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht sind. VIR-Trainerinnen und -Trainer aus Aussteigerprogrammen machten deutlich, dass Haft ein entscheidender Impuls für die Distanzierung vom Rechtsextremismus sein kann. Der Verfassungsschutz NRW erläuterte Formen und Strukturen, durch die rechtsextremistische Gruppen und Organisationen Kontakte zu Aktivistinnen und Aktivisten in Haft pflegen, um ebendiese Distanzierung zu vermeiden. Weitere Informationen zum VIR-Projekt und Kontaktmöglichkeiten zu Trainerinnen und Trainern sind unter www.vir.nrw.de abrufbar. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 345 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aussteigerprogramme Die drei staatlichen Aussteigerprogramme Spurwechsel (Rechtsextremismus), API (Islamismus) und Left (Linksextremismus) sind Kernelemente der intervenierenden Extremismusprävention. Der Verfassungsschutz NRW befasst sich in seinen Aussteigerprogrammen mit Personen, deren Radikalisierung in rechtsextremistischen, islamistischen oder linksextremistischen Denkund Aktionsstrukturen bereits fortgeschritten ist. Szeneangehörigen, die den Willen haben, sich aus ihrem extremistischen Umfeld zu lösen, bieten die Aussteigerprogramme Unterstützung bei ihrem Ausstieg. Um diesen Ausstieg möglichst nachhaltig zu gestalten, unterstützen die Programme professionell insbesondere bei der Wiedereingliederung in die demokratische Gesellschaft. Die Aussteigerprogramme leisten landesweit einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit, indem sie zielgerichtete Maßnahmen der Deradikalisierung umsetzen. Kontaktangebote und proaktive Ansprache Jede Person, die den Willen hat, sich aus der extremistischen Szene zu lösen, kann einfach und unbürokratisch Kontakt zu den Aussteigerprogrammen des Landes aufnehmen: über die Telefonhotline, die jeweilige E-Mail-Adresse oder über die allgemeine Erreichbarkeit des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Die Zahl der Personen, die sich eigeninitiativ an eines der Aussteigerprogramme wenden, steigt seit Gründung der Programme stetig. Die Programme warten aber nicht nur, bis Betroffene auf sie zukommen. Ein wichtiger Teil der Arbeit der Ausstiegsbegleiterinnen und Ausstiegsbegleiter ist die proaktive Fallakquise, das aktive Zugehen auf Extremistinnen und Extremisten, um für einen Ausstieg zu werben. Dabei erweist sich die Anbindung der Aussteigerprogramme an den Verfassungsschutz als großer Vorteil. Sie sind über Entwicklungen in den extremistischen Szenen und bei deren Mitgliedern unter anderem durch einen intensiven Kontakt zur Polizei stets auf dem aktuellen Stand und gehen bei Hinweisen zu ersten Distanzierungen auf die jeweiligen Szeneangehörigen zu. Zudem greifen die Aussteigerprogramme sowohl bei der Personenakquise als auch bei der Begleitung von Personen in ihrem konkreten Ausstiegsprozess auf ein weitreichendes Netzwerk aus Sicherheitsbehörden sowie relevanten Präventionsakteuren und Hilfesystemen auf kommunaler, Landesund Bundesebene zurück. Multiplikato346 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 rinnen und Multiplikatoren unterstützen die Aussteigerprogramme mit Hinweisen auf extremistische Personen, die Distanzierungstendenzen zeigen, und machen Szeneangehörige auf die Existenz und das Hilfsangebot der Aussteigerprogramme aufmerksam. Sie bilden damit eine Brücke zu den Angeboten der Aussteigerprogramme, wenn Betroffene die Kontaktaufnahme selbst nicht wagen oder diese zum Beispiel aus der Haft heraus nur erschwert möglich ist. Personenakquise im Justizvollzug Möglicherweise Ausstiegswillige werden regelmäßig in den nordrhein-westfälischen Haftanstalten angesprochen. Das Hilfsangebot der Aussteigerprogramme richtet sich dabei an inhaftierte Personen mit Bezügen zu extremistischen Milieus und umfasst die Begleitung während der Haftzeit, die intensive Vorbereitung auf eine anstehende Haftentlassung sowie die engmaschige Begleitung danach. Die Aussteigerprogramme profitieren dabei als Teil der behördlichen Sicherheitsstruktur insbesondere von der guten Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. Die Haftsituation stellt für die meisten Betroffenen eine extreme Belastung dar. Viele stellen durch den Strafvollzug verunsichert oder zur Reflexion angeregt ihre bisherige Lebensweise ganz oder teilweise in Frage. Aussteigerprogramme können in solchen Situationen mit ihren Hilfsangeboten ansetzen. Es wird dabei jedoch immer klargestellt, dass das jeweilige Programm grundsätzlich keinen Einfluss auf laufende Ermittlungsund Gerichtsverfahren nimmt. Deradikalisierungsarbeit der Aussteigerprogramme Ausstiegsprozesse sind langwierig und dauern im Schnitt bis zu fünf Jahre. Die beiden Kernelemente der Ausstiegsarbeit sind die soziale Stabilisierung und die systematische Aufarbeitung der ideologisch geprägten Haltung der ausstiegswilligen Personen. Beides soll ihnen zu einem selbstbestimmten Leben in der demokratischen Gesellschaft verhelfen. Grundlage für eine nachhaltige Distanzierung der Klientinnen und Klienten sind der eigene Antrieb und eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft. Die Ausstiegsbegleitung übernehmen multiprofessionell aufgestellte Teams. Sie bieten den am Programm teilnehmenden Personen in regelmäßigen persönlichen Gesprächen die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen extremistischen Vergangenheit und geben individuelle Hilfestellungen zur eigenständigen Bewältigung des Alltags und bestehender Problemlagen. Die Aussteigenden sollen befähigt werden, eigene Zukunftsperspektiven zu entwickeln, neue Lösungsideen zu erarbeiten und diese schrittweise umzusetzen. Die Ausstiegsbegleitung regt dabei lediglich zu einer präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 347 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Veränderung an oder zeigt andere Wege auf, die Veränderung des Verhaltens und der Einstellungen verbleibt jedoch in der Verantwortung der am Aussteigerprogramm Teilnehmenden. Da die Ausstiegsarbeit auf der Beziehungsarbeit durch unmittelbare persönliche Kontakte zwischen Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und den Teilnehmenden basiert, war die pandemische Lage weiterhin eine besondere Herausforderung für die Arbeit der Aussteigerprogramme. Sie haben sich dieser im Jahr 2021 erneut erfolgreich gestellt. Spurwechsel - Aussteigerprogramm Rechtsextremismus Im Jahr 2021 kann das Aussteigerprogramm Spurwechsel auf eine 20-jährige Erfahrung in der Begleitung rechtsextremistischer Aussteiger zurückblicken. Seit Sommer 2001 können sich Personen an Spurwechsel wenden, die auf freiwilliger Basis zu einer Distanzierung aus dem rechtsextremistischen Umfeld und einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der Szene bereit sind. Das Programm begleitet Frauen und Männer mit einer Altersspanne von der Strafmündigkeit bis ins hohe Erwachsenenalter. Mit zunehmender praktischer Erfahrung wurde die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter breiter aufgestellt. Das weit gefächerte Fachwissen im Team von Spurwechsel bietet die Grundlage, um den vielfältigen Problemlagen eines Ausstiegsprozesses aus dem Rechtsextremismus professionell zu begegnen. Experten aus den Bereichen Soziale Arbeit, Nachrichtendienst und Polizei entwickeln gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten Wege aus dem Extremismus. Die im Jahr 2015 durchgeführte wissenschaftliche Evaluation bestätigt die herausgehobene Strukturqualität des Programms. In den untersuchten Fällen haben Befragte angegeben, insbesondere ein staatliches Aussteigerprogramm als starke Institution bei der Deradikalisierungsarbeit zu schätzen. Ein guter Zugang zu anderen Behörden, Institutionen und eine gute Ressourcenund Personalausstattung zeichnen Spurwechsel aus und machen es zu einem verlässlichen Partner. In den vergangenen Jahren hat sich das Team von Spurwechsel insgesamt mit über 440 Personen aus der rechtsextremistischen Szene beschäftigt. In knapp 190 Fällen konnte nach einem Zeitraum von durchschnittlich drei Jahren die Begleitung erfolgreich abgeschlossen werden. Weitere 28 Personen wurden an andere Beratungsstellen 348 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 vermittelt, weil der Schwerpunkt des Hilfebedarfs nicht auf der Deradikalisierung lag. Etwa 35 Personen werden gleichzeitig durch Spurwechsel begleitet. Die ideologisch fundierten Rollenbilder der rechtsextremistischen Szene spiegeln sich im Programm Spurwechsel in den Geschlechteranteilen der Teilnehmenden wider. Prägend für die Rollenverteilung in der Szene ist das rechtsextremistische Selbstbild des Mannes, in dessen Fokus vor allem die Männlichkeit steht. Frauen nehmen hingegen meist eine nachgeordnete Rolle in der Szene ein. So ist es nicht überraschend, dass 92 Prozent der Teilnehmenden bei Spurwechsel männlich sind und lediglich 8 Prozent weiblich. Im Durchschnitt sind Personen bei ihrer ersten Kontaktaufnahme mit Spurwechsel zwischen 19 und 29 Jahren alt. Mit Blick auf die weiter andauernde Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen hat Spurwechsel sich im Berichtsjahr dafür eingesetzt, den länderübergreifenden Austausch dennoch fortzusetzen und an den jährlichen Formaten unter Berücksichtigung der geltenden Schutzmaßnahmen teilgenommen. Kontakt zu Spurwechsel E-Mail: kontakt@spurwechsel.nrw.de Telefon: 0211 837-1906 Website mit Kontaktformular: www.spurwechsel.nrw.de API - Aussteigerprogramm Islamismus Das Aussteigerprogramm Islamismus (API) besteht seit 2014 und unterstützt Personen, die den Willen haben, sich sicher und nachhaltig aus der islamistischen Szene zu lösen. Das API ist Teil der behördlichen Sicherheitsstruktur in Nordrhein-Westfalen. Zu seiner Zielgruppe gehören Personen mit einer tendenziell hohen Sicherheitsrelevanz, deren Radikalisierung bereits weit fortgeschritten ist, bis hin zu einer Betätigung im gewaltbereiten terroristischen Bereich. Dies sind beispielsweise gewaltbereite Anhänger und Sympathisanten der islamistischen Szene in Deutschland sowie Personen, die wegen terroristischer Straftaten eine Haftstrafe verbüßen beziehungsweise verbüßt haben oder die aus jipräVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 349 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 hadistischen Kriegsgebieten zurückgekehrt sind. Mit einem Anteil von rund 74 Prozent ist die überwiegende Zahl der im API betreuten Personen im polizeilichen Kontext als "relevante Person" oder "Gefährder" eingestuft. Das API hat sich seit 2014 bereits mit über 220 Personen aus der islamistischen Szene befasst. Das multiprofessionell besetzte Team hat bis zu 55 Hilfesuchende gleichzeitig intensiv in ihrem Ausstiegsprozess begleitet. Knapp 20 Personen mit einem anders gelagerten Unterstützungsbedarf konnten nach Kontaktaufnahme mit dem API an bestehende Hilfesysteme weitervermittelt werden. Bei einem Großteil der aktuellen, teilweise bereits langjährigen Begleitungen zeichnet sich bereits positiv eine deutliche Distanzierung von der extremistischen Ideologie und Szene ab. In knapp 35 Fällen ist ein positiver Fallabschluss bereits gelungen. Das API hat im Berichtsjahr die fachliche Expertise im Team weiter ausgebaut und seine Arbeit auch im länderübergreifenden Austausch trotz der andauernden CoronaPandemie und der damit verbundenen Einschränkungen erfolgreich fortgesetzt. So hat das API als fester Bestandteil der seit 2009 bestehenden bundesweiten Arbeitsgruppe (AG) Deradikalisierung im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) weiterhin maßgebliche Impulse bei der Erarbeitung von praxisorientierten Standards zur Fortentwicklung geeigneter Präventionsmaßnahmen gesetzt. Kontakt zum API E-Mail: kontakt@api.nrw.de Telefon: 0211 837-1926 Website mit Kontaktformular: www.api.nrw.de 350 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Left - Aussteigerprogramm Linksextremismus/auslandsbezogener Linksextremismus Um Personen aus dem deutschen und dem auslandsbezogenen Linksextremismus einen nachhaltigen Ausstieg aus der extremistischen Szene zu ermöglichen, wurde im Jahr 2018 das Aussteigerprogramm Left ins Leben gerufen. Dabei nimmt der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz bundesweit eine Vorreiterrolle im Bereich der tertiären Prävention im Bereich Linksextremismus ein. Left bietet Ausstiegshilfe für deutsche Linksextremistinnen und Linksextremisten beispielsweise aus den gewaltbereiten autonomen Szenen und für Szeneangehörige des Extremismus mit Auslandsbezug beispielsweise im Umfeld von PKK oder DHKP-C. Bis Ende 2021 hat sich Left bereits mit knapp 50 Personen befasst, bei denen Hinweise auf einen möglichen Distanzierungswillen vorlagen. Left begleitet durchschnittlich 20 Personen parallel in ihrem Ausstiegsprozess. Im Jahr 2021 hat Left die Initiative ergriffen und eine deutschlandweit erste BundLänder-Arbeitstagung staatlicher Aussteigerprogramme in Bergisch-Gladbach ausgerichtet. Teilgenommen haben Vertreterinnen und Vertreter der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Format des länderübergreifenden Austauschs auf arbeitspraktischer Ebene war ein großer Erfolg. Für das Jahr 2022 ist eine weitere Tagung in Baden-Württemberg geplant. Kontakt zu Left E-Mail: kontakt@left.nrw.de Telefon: 0211 837-1931 Website mit Kontaktformular: www.left.nrw.de präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 351 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Fachtagungen, Vorträge und Fortbildungen Die Aufklärung über und Sensibilisierung für extremistische Gefährdungen der Demokratie waren auch im Jahr 2021 ein elementarer Bestandteil der Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes. Schwerpunkte waren weiterhin die Bereiche Rechtsextremismus und Islamismus. Selbst unter den einschränkenden Bedingungen der CoronaPandemie gelang es dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz, insgesamt 144 Veranstaltungen durchzuführen. Im Zuge der Corona-Proteste hat die Verbreitung von Verschwörungsmythen erheblich an Sichtbarkeit und Bedeutung gewonnen. Daher wurde ergänzend zur Festlegung des neuen Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" die Aufklärung zu diesem Thema intensiviert. Die Zahl digitaler Veranstaltungsformate hat dabei insgesamt noch weiter zugenommen. Insgesamt konnten bei allen Veranstaltungen mehr als 5.000 Personen erreicht werden. Neben den genannten Schwerpunktthemen wurde zu weiteren verfassungsschutzrelevanten Themen wie Spionageabwehr, Linksextremismus und auslandsbezogenem Extremismus informiert und sensibilisiert. Tagung "Gewalt - Dynamik. Rechtsextreme Aktivitäten im Kampfsport" Kampfsport ist zu einem wichtigen Aktionsund Rekrutierungsfeld des Rechtsextremismus geworden, einer tragenden Säule der "Erlebniswelt Rechtsextremismus". Damit verbunden sind die Modernisierung rechtsextremistischer Lifestyleangebote, insbesondere für junge Zielgruppen und eine Professionalisierung der Gewalt. Internationale Verbindungen nehmen zu, und rechtsextremistische Aktivisten erschließen sich neue Einnahmemöglichkeiten, zum Beispiel im Online-Handel. Besonders attraktiv für Rechtsextremisten sind Kampfsport-Disziplinen, die dem Straßenkampf technisch am nächsten kommen, etwa Mixed Martial Arts (MMA) oder Kickboxen. Akteure aus Nordrhein-Westfalen sind maßgeblich beteiligt, insbesondere am rechtsextremistischen Kampfsportevent "Kampf der Nibelungen". Über diese Entwicklungen informierte die Tagung "Gewalt - Dynamik. Rechtsextreme Aktivitäten im Kampfsport", die die Landeszentrale für politische Bildung, das Ministerium des Innern NRW und das Dietrich-Keuning-Haus am 21. Juni 2021 in Dortmund veranstalteten. Über die Analyse hinaus zählten Vernetzung und Handlungsimpulse für die Prävention zu den Kernzielen. An der Tagung waren staatliche und zivilgesellschaftliche Stellen beteiligt, die auch Unterstützung und Beratung für Kampfsportlerinnen und Kampfsportler leisten kön352 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 nen. Hierzu zählen die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, der Landessportbund, die Fußball-Fanprojekte und die Polizeiliche Kriminalprävention. In Workshops und Panels stellten demokratische Akteure aus dem Kampfsport präventive Ansätze vor. Daran beteiligt waren Kampfsportler aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein sowie aus Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln und Viersen. Sie berichteten über Initiativen in der Kriminalprävention, in kommunalen Projekten, Sportverbänden und -studios. Einführungsvortrag zum Thema "Gewaltund Erlebniswelten. Rechtsextremismus und Kampfsport" durch Dr. Thomas Pfeiffer aus dem Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen An der Tagung nahmen 90 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren teil, darunter viele Aktive in den Bereichen Kampfsport und Kampfkunst. Aufgrund der Pandemielage entsprach dies der maximalen Zahl an Teilnehmenden, die im großen Saal des DietrichKeuning-Hauses zugelassen war. Nach einem Einführungsvortrag in das Thema durch den Verfassungsschutz NRW blickte die Veranstaltung zunächst exemplarisch auf den örtlichen Raum. Der Vertreter einer Ausstiegsberatung für Rechtsextremisten und der Inhaber eines Kampfsportstudios aus Dortmund berichteten aus ihren Erfahrungen. Es schlossen sich sechs Workshops an, die Best-Practice-Projekte zur Sensibilisierung von Kampfsportlerinnen und Kampfsportlern vorstellten, den Fokus auf die Fanarbeit im Fußball legten oder Unterstützungsund Beratungsstellen erläuterten. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 353 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 In der Schlussdiskussion fragten Vertreter des Kampfsports, aus Polizei, Kommunen und Fanprojekten einerseits danach, welche Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten gerade in diesen Sportarten bestehen könnten, sie stellten andererseits das demokratische und selbstwertbildende Potenzial der vielfältigen Kampfsportdisziplinen heraus. Der Appell, Kampfsport keineswegs pauschal mit Ausgrenzung, Aggression oder Gewaltaffinität zu verbinden, war das Leitmotiv der lebhaften Diskussion. In diesem Sinne keine Zerrbilder zu zeichnen, sondern differenziert rechtsextremistischen Aktivitäten, Strategien und Raumgewinnen nachzugehen war den Veranstaltern der Fachtagung ein besonders wichtiges Ziel. Tagungsreihe "Extremismus-Prävention" Die Tagungsreihe "Extremismus-Prävention" für Führungskräfte der Feuerwehr wurde 2021 von der örtlichen auf die landesweite Ebene übertragen: Die Landeszentrale für politische Bildung, der Verfassungsschutz NRW und die Feuerwehr Düsseldorf hatten dieses Format 2020 und 2021 in drei Veranstaltungen gemeinsam entwickelt und erprobt. Als Auftaktveranstaltung auf Landesebene fand am 16. November 2021 die erste Tagung nach diesem Muster am Institut der Feuerwehr NRW (IdF NRW) in Münster statt, sie richtete sich an Führungskräfte der Berufsfeuerwehren und Freiwilligen Feuerwehren in allen Teilen Nordrhein-Westfalens. In den einleitenden Grußworten wurden die sehr positive Resonanz, die die Pilotveranstaltungen in Düsseldorf ausgelöst hatten, sowie die Bedeutung, die ein festes demokratisches Wertefundament für die Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen besitzt, betont. Eindrückliche Informationsveranstaltungen wie die Reihe "Extremismus-Prävention" leisteten einen wichtigen Beitrag, um diese Haltung nachhaltig zu stärken. Veranstaltungen der Reihe umfassen jeweils zwei Fachvorträge, die über Radikalisierungsprozesse im Rechtsextremismus und im Islamismus informieren. Ein Beitrag nimmt Stammtischparolen im Alltag in den Blick und erörtert mit den Teilnehmenden Möglichkeiten, sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. Den Abschluss bildet das Gespräch mit einem Aussteiger aus dem Rechtsextremismus, der anhand seines Lebensweges von persönlichen Motiven und Erfahrungen der Radikalisierung berichtet. Dieses Gespräch wird durch das Prisma-Projekt im Verfassungsschutz NRW ermöglicht. Die Informationsreihe "Extremismus-Prävention" wird künftig regelmäßig durch das IdF NRW ausgerichtet. Darüber hinaus planen die Landeszentrale für politische Bildung, das Ministerium des Innern und das IdF NRW weitere Maßnahmen, um Informationen und Reflexionen zur Stärkung von Demokratie und zu den Gefahren des Extremismus dauerhaft in der Ausund Fortbildung der Feuerwehren zu verankern. 354 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Fortbildung für Extremismusbeauftragte der Polizei Mit Informationen über aktuelle Entwicklungen extremistischer Szenen, deren Strategien und Propaganda richtet sich der Verfassungsschutz an die Öffentlichkeit, an Politik sowie an Fachkräfte aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern. Hierzu zählen neben Unternehmen die Bereiche Schule, Jugendund Sozialarbeit, Justiz und Polizei. Im Jahr 2021 konnten die Fortbildungsveranstaltungen für Extremismusbeauftragte der Polizei durch den Verfassungsschutz NRW fortgesetzt werden. Seit der zweiten Jahreshälfte 2020 haben die Extremismusbeauftragten der 47 Kreispolizeibehörden und Polizeipräsidien in Nordrhein-Westfalen sowie des Landesamtes für zentrale Polizeiliche Dienste und des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei an den Vorträgen zum Thema "Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus in NRW" teilgenommen. Das Themenspektrum der Fortbildung reichte von der Modernisierung der rechtsextremistischen Szene, der so genannten "Erlebniswelt Rechtsextremismus", über die derzeitige Situation rechtsextremistischer Parteien und rechtsextremistisch beeinflusster Mischszenen bis zu Gruppierungen wie der Identitären Bewegung Deutschland. Besondere Schwerpunkte bildeten die Vorstellung rechtsextremistischer Internetseiten sowie die Aufklärung über Strategien der rechten Szene in sozialen Netzwerken, einschlägigen Foren und Blogs. Darüber hinaus wurde über aktuelle Themen wie den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" und verschiedene Formen von Verschwörungsmythen beispielsweise im Zusammenhang mit der "QAnon-Szene" und den Leugnern der Corona-Pandemie informiert. Zudem wurden die Ergebnisse der bundesweiten Studie "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" vorgestellt und diskutiert. Online-Workshops in der Lehrerausbildung Vorträge und Workshops des Verfassungsschutzes NRW zum Thema Rechtsextremismus finden regelmäßig mit Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern statt. Dazu laden die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) ein. Aufgrund der Pandemielage wurden diese Informationsveranstaltungen im Jahr 2021 in OnlineFormaten durchgeführt. Dies galt beispielsweise für den Studientag, den das Seminar für das Lehramt an Berufskollegs des ZfsL Dortmund seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Verfassungsschutz veranstaltet. Dabei tauschten sich die rund 70 Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter unter anderem in Kleingruppenphasen intensiv über rechtsextremistische Musikbeispiele und Online-Videos aus. Dabei wurden die Muster der Inszenierung sowie explizite und unterschwellige Botschaften genauer beleuchtet. Online-Fortbildungen präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 355 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 zum Thema Rechtsextremismus fanden 2021 darüber hinaus mit den ZfsL Bochum, Duisburg, Essen, Hagen, Krefeld und im Rahmen eines digitalen Modultags des Faches Sozialwissenschaften an den ZfsL im Regierungsbezirk Düsseldorf statt. Aktueller Themenschwerpunkt "Antisemitismus im Islamismus" Im Zuge sich zuspitzender militärischer Auseinandersetzungen zwischen Israel und der HAMAS im Frühjahr des Jahres 2021 fanden im Mai eine Reihe von Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen statt, die den Nahostkonflikt aufgriffen und bei denen antisemitische Vorfälle zu beobachten waren. Grundsätzlich wird in allen Vortragsveranstaltungen zum Islamismus das Thema "Antisemitismus im Islamismus" aufgegriffen und dazu sensibilisiert. Ausgehend von den Demonstrationen sprachen die Expertinnen und Experten des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes das Thema noch gezielter bei ihren Vortragsund Informationsveranstaltungen an und schulten zum Beispiel die Wegweiser-Beratungsstellen dezidiert in Bezug auf die Frage, wie sich die jeweils aktuellen antisemitischen Bilder und Narrative erkennen und bewerten lassen. Prisma - Gespräche mit Aussteigerinnen und Aussteigern Prisma ist ein Projekt des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, das sich mit der Biografie von Aussteigerinnen und Aussteigern aus extremistischen Szenen befasst. In moderierten Gesprächen berichten diese über das persönlich Erlebte und ermöglichen den Teilnehmenden Fragen zu stellen. Die Aussteigenden waren in ihrer Vergangenheit überwiegend im Rechtsextremismus, dem Islamismus oder dem auslandsbezogenen Extremismus aktiv. Die Prisma-Gespräche finden an Schulen oder bei Veranstaltungen mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren statt. Diese Veranstaltungen sind für die Teilnehmenden sehr gewinnbringend, da die Aussteigenden sehr persönlich über ihren Lebensweg, ihre Einstiegsmotivationen, die Erfahrungen in der Szene und andere einschneidende Erlebnisse berichten. Ein besonderes Augenmerk wird auf eine wertschätzende Atmosphäre während der Veranstaltungen gelegt, da die besprochenen Themen sehr privat sind und teilweise intime Einblicke gewähren. Bei den Gesprächen werden Einund Ausstiegsprozesse beleuchtet. Dies gibt sowohl den Teilnehmenden der Veranstaltung wertvolle Impulse, als auch den Aussteigenden selbst, die ihre Vergangenheit verarbeiten. Trotz pandemiebedingter Einschränkungen konnten im Jahr 2021 insgesamt 18 Veranstaltungen erfolgreich durchgeführt werden. 356 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Fachstelle Islamismusprävention Die Fachstelle Islamismusprävention (FIP) bildet die Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und der Praxis im Bereich der Islamismusprävention. Sie fördert den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren in der Präventionslandschaft und wirkt durch Aufklärung, Qualifizierung und fachlicher Programmunterstützung am Erfolg der Präventionsarbeit mit. Die FIP steuert und begleitet fachliche und wissenschaftliche Inhalte auf allen Ebenen der Islamismusprävention, führt Sensibilisierungsmaßnahmen durch und ist Ansprechpartnerin für wissenschaftliche Institute und Netzwerke. Die FIP wirkt bei der Umsetzung des Programms Wegweiser und dem Aussteigerprogramm Islamismus mit. Für das Präventionsprogramm Wegweiser wurde ein Qualifizierungslehrgang konzipiert, der gezielt auf die Bedarfe der Wegweiser-Beratung zugeschnitten ist und stetig weiterentwickelt wird. Dies gewährleistet eine einheitliche und hohe Qualität in der Beratungsarbeit. Bei zahlreichen Fortbildungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten wurden auch aktuelle politische Ereignisse zeitnah aufgegriffen und entsprechende Informationsund Lerneinheiten beispielweise zum Thema Antisemitismus konzipiert. Die Fachstelle verantwortet zudem die Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der 2021 begonnenen, breit angelegten wissenschaftlichen Evaluationen des Programms Wegweiser und des Aussteigerprogramms Islamismus. Mit den Evaluationen soll untersucht werden, wie wirkungsvoll die Arbeitsweise der Programme ist und welche Optimierungsbedarfe möglicherweise bestehen. Die FIP hält sich über den Stand der Islamismusforschung auf dem Laufenden, bearbeitet und koordiniert Anfragen, nimmt Stellung zu geplanten Forschungsprojekten und bringt die Expertise des Verfassungsschutzes in Forschungsnetzwerke ein. Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Der Verfassungsschutz hat in 2021 als Kooperationspartner an verschiedenen Veranstaltungen der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen mitgewirkt. Bei der viertägigen Qualifizierungsreihe "Starke Jugend: Gemeinsam für Demokratie - Gegen Extremismus" für Imame und islamische Gemeinden im Herbst 2021 in Aachen wurde das Aussteigerprogramm Islamismus (API) vorgestellt. Die Wegweiser-Beratungsstelle in der Region Aachen konnte als lokaler Kooperationspartner der Reihe konkrete Einblicke in die praktische Präventionsarbeit vor Ort bieten. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 357 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 In digitaler Form wurde im November eine weitere Veranstaltung der Reihe "Islam von Islamismus unterscheiden - Antimuslimischem Rassismus begegnen!" für pädagogische Fachkräfte durchgeführt. Der Verfassungsschutz hat seine Expertise zu den Themen Islamismus und Radikalisierungswege eingebracht und seine Präventionsangebote vorgestellt. Fünf Wegweiser-Standorte, die im Jahr 2020 ihre Arbeit aufgenommen haben, hatten die Gelegenheit, sich und ihre Angebote einem großen Publikum bekannt zu machen. Digitaler Messestand beim Deutschen Präventionstag Am 10. und 11. Mai 2021 fand der 26. Deutsche Präventionstag (DPT) in Köln unter dem Motto "Prävention orientiert! ... planen ... schulen... austauschen" statt. Aufgrund der Pandemie konnte er erneut nicht als Präsenzveranstaltung, sondern nur in hybrider Form durchgeführt werden. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz war mit einem digitalen Stand an der Fachmesse vertreten. Dort wurden Informationen und Videos zu seinen vielfältigen Präventionsmaßnahmen sowie die Möglichkeit für einen direkten Kontakt per Videokonferenz oder Chat angeboten. Interessierte konnten sich auf dem digitalen Messestand über Broschüren und Videos informieren und virtuell das Gespräch mit den Experten des Verfassungsschutzes suchen Virtuelle Teilnahme an der Gamescom Um mit seinen Angeboten gezielt auf junge Menschen zuzugehen, beteiligte sich der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen 2021 erneut als Aussteller an der Videospielmesse Gamescom. Er ist dort seit 2017 jährlich mit seinen Angeboten vertreten, um ein breites, interessiertes Publikum zu informieren und zu sensibilisieren. Die weltweit größte Computerund Videospielemesse fand 2021 zum zweiten Mal als Online-Veranstaltung statt. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz nutzte das 358 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 virtuelle Format, um auf seine digitalen Angebote aufmerksam zu machen und informierte mit Hilfe von Videoclips über ergänzendes, pädagogisches Begleitmaterial zum Videospiel Leons Identität, das den Einsatz im Schulunterricht unterstützt. Der Verfassungsschutz war auch in 2021 bei der Gamescom vertreten - pandemiebedingt mit einem virtuellen Messestand präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 359 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Digitale Angebote und Veröffentlichungen Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz verbreitet seine Inhalte über unterschiedliche Kanäle und in Formaten, die auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten sind. Die Spannbreite reicht von innovativen digitalen Medien und Plattformen bis zu klassischen gedruckten Publikationen sowie Aufsätzen in wissenschaftlichen Sammelbänden und Zeitschriften. Leons Identität Leons Identität ist ein detektivisches Abenteuerspiel mit dem Fokus auf der Erforschung einer Spielwelt, die in jedem Detail interaktiv ist. Das Spiel findet dabei im Zimmer des vermissten Jungen Leon statt. Der Spieler schlüpft in die Rolle seines Bruders, der sich auf die Suche macht. Leons Identität ist in enger Zusammenarbeit zwischen der Staatskanzlei und dem Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen von einem externen Spielehersteller entwickelt und im August 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Das Spiel begegnet einer gefährlichen Entwicklung im Rechtsextremismus, bei der Abgrenzungsreflexe gegenüber dem Extremismus überwunden und neue junge Zielgruppen in der gesellschaftlichen Mitte für extremistische Positionen eingenommen werden sollen. Die Landesregierung NRW will mit Leons Identität aufklären und Jugendliche und junge Erwachsene sensibilisieren. Es soll ihnen helfen, rechtsextremistische Ideologie zu erkennen, ihre politische Urteilsfähigkeit zu schulen und zugleich Medienkompetenz fördern und das Demokratieverständnis festigen. Dabei soll das Spiel auch Personen an das Thema heranführen, die bislang wenig Nähe zum Bereich der politischen Bildung hatten. Es ist niedrigschwellig und intuitiv angelegt und soll in erster Linie als Spiel wahrgenommen und angenommen werden. Die zum Spiel gehörige Website bietet den Spielerinnen und Spielern weitergehende Informationen sowie valide Quellen. Sie soll zur eigenen Recherche motivieren und die Entwicklung der eigenen Medienkompetenz unterstützen. 360 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Seit der Veröffentlichung erfährt Leons Identität breite mediale Beachtung und ausführliche Berichterstattung. Von der Spielerschaft wird es mehrheitlich positiv aufund angenommen. Auf Videoportalen wie YouTube finden sich zahlreiche sogenannte Let's Plays, in denen das Spiel gespielt und zeitgleich kommentiert wird. Zudem erhält Leons Identität positive Resonanz im didaktischen und pädagogischen Raum von regionalen und bundesweit etablierten Bildungseinrichtungen. Viele Artikel, Beiträge und weitere Webinhalte sind mit der ausdrücklichen Empfehlung verbunden, das Spiel in Lernkontexten einzusetzen. Um dieser Nachfrage entgegenzukommen, wurde durch das Ministerium für Schule und Bildung zu Leons Identität pädagogisches Broschüre des Ministeriums für Schule und Begleitmaterial für den Einsatz in Schulen und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen mit Begleitmaterial zu Leons Identität Jugendarbeit entwickelt. Das Spiel wurde an den Medienkompetenzrahmen NRW angebunden. Es ist damit neben der fachlichen Nutzung auch für die Verwendung im Bereich Medienkompetenz empfohlen. Möglichkeiten zum Download Leons Identität kann über die eigene Website leon.nrw.de für alle gängigen Betriebssysteme (Windows, MacOS, Linux) und die Spieleplattform Steam heruntergeladen werden. Das Spiel hat eine offizielle Altersfreigabe ab 12 Jahren und eignet sich für den Einsatz im pädagogischen Kontext. Das pädagogische Begleitmaterial steht auf der Website leon.nrw.de und im Broschüren-Service des Ministeriums für Schule und Bildung zum Download bereit präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 361 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Videound Social-Media-Kampagne "Jihadi fool" Mit der Kampagne "Jihadi fool" wendet sich der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz an ein breites Publikum mit einem Schwerpunkt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen und lädt zur Auseinandersetzung mit salafistischer Internetpropaganda und Extremismus ein. Mit Humor und Satire soll Aufmerksamkeit erzielt und mit Hintergrundvideos sensibilisiert werden. Die Videos erklären, woran man Extremismus erkennt, was genau am extremistischen Salafismus beziehungsweise Islamismus problematisch und warum die Demokratie schützenswert ist. Zwischen August 2019 und März 2021 wurden 75 Videos produziert. Diese wurden mit begleitenden Inhalten auf den Plattformen YouTube, Facebook, Instagram und zeitweise Twitter veröffentlicht und beworben. Das Videoformat "Jihadi fool" zeigt dabei mit dem Stilmittel der Satire die Absurdität von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus auf. Unter der Bezeichnung "hinter.gründlich" bezieht sich das ergänzende Wissensformat inhaltlich auf den Comedy-Kanal. Es informiert, erklärt und begegnet der Internetpropaganda von Extremisten mit Fakten. Die 75 Videos der Kampagne sind auf dem Kanal von "Jihadi Fool" bei YouTube abrufbar 362 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Das Projekt hat mit Stand April 2021 über alle Kommunikationskanäle hinweg beinahe 20.000 Abonnenten und fast 5 Millionen Videoaufrufe erzielt. In den Spitzenzeiten wurden monatlich rund 700.000 Personen erreicht. Allein auf dem Medium YouTube wurden die Inhalte zusammengerechnet über 40.000 Stunden lang angeschaut. Das Ziel, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Themenbereich Salafismus und Islamismus anzustoßen, wurde ebenfalls erreicht. Die inhaltliche Auswertung zeigt, dass der Ansatz des Projektes trotz der zum Teil satirisch provokanten Inhalte der Sketche großen Zuspruch erhielt. Auf negative Reaktionen wurde deeskalierend und erklärend reagiert. Dabei sind die Zuschauer sowohl mit dem Kanalbetreiber selbst als auch untereinander in den Austausch getreten. Insgesamt konnten rund 110.000 Interaktionen wie Kommentare und Likes sowie das Teilen von Inhalten über alle Kanäle hinweg verzeichnet werden. Mit rund 90 Prozent Anteil der Altersgruppe der 18bis 34-Jährigen an den überwiegend männlichen Zuschauern wurde die angestrebte Zielgruppe sehr gut erreicht. Einzelne Videos wurden von Drittanbietern auf ihren eigenen Plattformen und Kanälen veröffentlicht und wurden dort zusätzlich mindestens zwei Millionen Mal aufgerufen. Die Videos der Kampagne werden weiterhin online abrufbar bleiben. Der Verfassungsschutz arbeitet zudem an einer Lösung, mit der sich insbesondere die Hintergrundformate zukünftig für die pädagogische Arbeit beispielsweise an Schulen optimal nutzen lassen. Jihadi fool im Netz Die Videos und weitere Inhalte der Kampagne sind online abrufbar unter > YouTube. www.youtube.com/c/jihadifool > Facebook: www.facebook.com/Jihadifool/ > Instagram: www.instagram.com/jihadifool/ > Twitter: twitter.com/jihadifool präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 363 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Aufsätze in Fachpublikationen Eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit verband den Verfassungsschutz NordrheinWestfalen 2021 erneut mit der Erinnerungsund Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945. Die Gedenkstätte, die zum Kreismuseum Wewelsburg gehört, veröffentlichte im August des Jahres die erweiterte Neuauflage des Bandes "Mythos Wewelsburg. Fakten und Legenden". Die dreieckige Burg in Ostwestfalen, genauer: ein burgähnliches Renaissanceschloss, wird in unterschiedlichen Kontexten mit Mythen und Legenden umwoben, zum Beispiel in Thrillern und Comics, in esoterischen und satanistischen Schriften. Besonders intensiv geschieht dies im Rechtsextremismus. Diese Szene bezieht sich vor allem auf die sogenannte Schwarze Sonne, das zwölfspeichige Sonnenrad, das die SS im "Obergruppenführersaal" der Burg anbringen ließ. Die Wewelsburg sollte zu einer zentralen Versammlungsstätte für höhere SS-Führer werden. Heute zählt die "Schwarze Sonne" im Rechtsextremismus zu den am weitesten verbreiteten Ersatzsymbolen für strafbare nationalsozialistische Kennzeichen. Der Verfassungsschutz NRW hat zum Band "Mythos Wewelsburg" zwei Aufsätze beigetragen: Einer beleuchtet die Verwendungen dieses Zeichens in der rechtsextremistischen Szene in Deutschland, dieser Text wurde für die Neuauflage aktualisiert. Die "Schwarze Sonne" stiftet aber auch internationale Verbindungen, das gilt vor allem in den offen rassistischen, zum Teil terroristischen, internationalen Netzwerken des Rechtsextremismus. So prägt das Symbol die Titelseite des Bekennerschreibens, das der Attentäter von Christchurch (Neuseeland) im Internet verbreitete. Bei den Anschlägen auf zwei Moscheen im März 2019 kamen 51 Menschen ums Leben. Auch in internationalen rechtsextremistischen Kampfsport-Netzwerken taucht das Zeichen häufig auf und ist hier mit heroischen Männlichkeitsposen verknüpft, Vorstellungen von Wehrhaftigkeit und militanter Einsatzbereitschaft. Ein Aufsatz aus dem Verfassungsschutz NRW, der für die zweite Auflage des Bandes 2021 neu entstanden ist, geht der "Schwarzen Sonne" als einer "symbolischen Brücke" im internationalen Rechtsextremismus nach. Diese Beiträge sind erschienen in: John-Stucke, Kirsten und Siepe, Daniela (Hrsg.): Mythos Wewelsburg. Fakten und Legenden, 2. Auflage, Paderborn 2021. Der Band wurde auch in englischer Übersetzung publiziert. Ein aktuelles Protestgeschehen, an dem sich Rechtsextremisten beteiligen, steht im Blickpunkt des im November 2021 erschienenen Sammelbandes von Prof. Dr. Wolfgang Benz, dem früheren Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Der Band "Querdenken. Protestbewegung zwischen Demokratieverachtung, Hass und Aufruhr" analysiert das heterogene Spektrum derer, 364 präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 die die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen bekämpfen und Gefahren der Pandemie leugnen. Ein Fachaufsatz aus dem Verfassungsschutz NRW beleuchtet die Agitation rechtsextremistischer Videoblogger. Als Fallbeispiel dient die Online-Kampagne "Impfrebell" eines langjährig aktiven nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass sich rechtsextremistische Videoblogs zu einem eigenständigen Aktionsfeld dieser Szene entwickelt haben und die Vlogger zu einem eigenen Aktivistentypus. Demnach sind Videoblogs "Netzwerk, Schaufenster, Marktplatz und Informationsdrehscheibe im Rechtsextremismus". In der Kampagne "Impfrebell" zeigten sich drei Muster, die das Zusammenwirken von Rechtsextremisten und anderen Impfgegnern unterstützen: Die Kampagne verzichtet auf eindeutig rechtsextremistisch besetzte Symbole und Begriffe, sie greift alle gängigen Narrative auf, die auch außerhalb des Rechtsextremismus unter Impfgegnern kursieren. Verbindend wirkten drittens gemeinsame Feindbilder: das verhasste "Establishment" und der "Mainstream". Der Beitrag ist erschienen in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Querdenken. Protestbewegung zwischen Demokratieverachtung, Hass und Aufruhr, Berlin 2021. Darüber hinaus sind zwei zuvor erstelle Aufsätze aus dem Verfassungsschutz NRW im Jahr 2021 erschienen: (1) Rechtsextremismus als Erlebniswelt. Musik, Symbolik, Bildsprache, in: Mecking, Sabine; Schwartz, Manuela und Wasserloos, Yvonne (Hrsg.): Rechtsextremismus - Musik und Medien, Göttingen 2021, S. 65-84; (2) Aussteigergespräche - Impulse für die Prävention? Eine Analyse von Mustern der Radikalisierung im Spiegel der Erinnerungen ehemaliger Rechtsextremisten, in: Hansen, Hendrik und Pfahl-Traughber, Armin (Hrsg.): Jahrbuch für Extremismusund Terrorismusforschung, Bd. 15, Brühl 2021, S. 170-198. An der Zeitschrift "infodienst - das Magazin für Kulturelle Bildung", die im Juli 2021 das Themenheft "Sind wir die Guten? Kulturpädagogik und Extremismus" (Heft 40) veröffentlicht hat, beteiligte sich der Verfassungsschutz NRW mit zwei Beiträgen: Sie nehmen Konzept und Praxis des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten Spurwechsel in den Blick sowie rechtsextremistische Angebote, die auf junge Zielgruppen zugeschnitten sind. präVentIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 365 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 366 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Über den Verfassungsschutz kompakt 367 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Über den Verfassungsschutz Verfassungsschutz ist nach dem Grundgesetz eine Aufgabe der Länder und des Bundes. Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen ist das Ministerium des Innern. Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteilung im Ministerium nimmt ihre Aufgaben gesondert von der Polizeiorganisation wahr. Die Verfassungsschutzbehörden der einzelnen Bundesländer sind gesetzlich dazu verpflichtet, untereinander und mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu kooperieren, wobei das Bundesamt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene übernimmt. Der Verfassungsschutz verfügte im Jahr 2021 über rund 20,4 Millionen Euro, das sind rund 1,5 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Davon waren rund 9,6 Millionen Euro für die Prävention vorgesehen. Zudem waren dem NRW-Verfassungsschutz für das Berichtsjahr 546 Stellen zugewiesen. Aufgaben Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten. Dazu gehören insbesondere Aktivitäten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinflussen. Des Weiteren betrifft dies Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Dabei verfolgt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln eine Dreifachstrategie aus Früherkennung, Frühwarnung und Prävention. Als Frühwarnsystem hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen zu identifizieren, deren Ursachen zu analysieren, Entwicklungen zu prognostizieren und Politik, Verwaltung und Gesellschaft darüber zu informieren. Er wirkt ferner daran mit, drohenden politischen und wirtschaftlichen 368 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Schaden durch illegitime oder illegale Aktivitäten fremder Mächte in Deutschland zu verhindern. Als Früherkennungssystem unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden bei der rechtzeitigen Erkennung von Gefahren, die im Einzelfall aus derartigen Bestrebungen erwachsen; dazu gehört es auch, extremistische Personen zu erkennen, die potenziell Gewalt anwenden könnten. Im Rahmen der Prävention schafft der Verfassungsschutz einerseits durch Aufklärung der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Gefahren des Extremismus, um die Demokratie von innen heraus zu stärken (primäre Prävention). Andererseits bietet er durch gezielte Angebote Schutz vor dem Einstieg in extremistische Szenen (sekundäre Prävention) und unterstützt den Ausstieg aus ihnen (tertiäre Prävention). Diese personenbezogenen Präventionsmaßnahmen werden vor allem durch das WegweiserProgramm und die Aussteigerprogramme realisiert. Schließlich sensibilisiert der Verfassungsschutz auch die Wirtschaft vor den Gefahren durch Spionage und Sabotage, um so deren Eigenschutzmechanismen zu aktivieren. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde sind im Verfassungsschutzgesetz NRW (VSG NRW) definiert. Zugleich ist dort geregelt, durch wen und wie ihr Handeln kontrolliert wird, denn eine rechtliche und politische Kontrolle der Verwaltung sind konstitutive Merkmale des Rechtsstaates. Dies gilt auch für den Verfassungsschutz. Da die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes aufgrund ihrer besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit in der Regel nicht öffentlich im Parlament oder seinen Ausschüssen beraten werden können, gibt es für die Kontrolle besondere Stellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG). Der Landtag Nordrhein-Westfalen bestimmt zu Beginn jeder Wahlperiode die Anzahl der Mitglieder des PKG und wählt diese aus seiner Mitte. Das PKG überwacht umfassend die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Für die Kontrolle der Telekommunikationsüberwachungsund Finanzermittlungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes bestellt das PKG in jeder Legislaturperiode die sogenannte G 10-Kommission. Diese ist, anstelle eines Richters, auch für die Genehmigung dieser Maßnahmen zuständig. 369 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Verarbeitung personenbezogener Daten Zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben dürfen Verfassungsschutzbehörden unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen personenbezogene Daten erheben und verarbeiten. Die Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalens nutzt dazu eigene Dateien sowie das "Nachrichtendienstliche Informationssystem und Wissensnetz" (NADIS WN), auf das die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes gemeinsam Zugriff haben. Erfasst werden insbesondere Daten zu Personen, über die Erkenntnisse im Zusammenhang mit politischem Extremismus vorliegen. Getrennt davon werden Daten gespeichert zu Personen, die wegen ihres Umgangs mit Verschlusssachen oder ihrer Tätigkeit in einem sicherheitsempfindlichen Bereich einer Sicherheitsüberprüfung unterliegen. Die Durchführung solcher Überprüfungen erfolgt mit Zustimmung der Betroffenen und macht rund 90 Prozent aller NADIS-Einträge aus NordrheinWestfalen aus. Öffentlichkeitsarbeit Eine informierte, aufgeklärte Öffentlichkeit ist eine Grundvoraussetzung, um die Gesellschaft vor extremistischen Bestrebungen zu schützen. Daher versteht der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen den Leitspruch "Verfassungsschutz durch Aufklärung" als einen wesentlichen Arbeitsauftrag. Damit Bevölkerung, Politik und Medien Anzeichen für Extremismus frühzeitig erkennen können, leistet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmittel an. Dazu gehören Vorträge und Tagungen, Broschüren und ein Informationsangebot im Internet. Einen umfassenden Aufklärungsbeitrag, der alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfasst, liefert der jährliche Verfassungsschutzbericht. Die Mitglieder des nordrheinwestfälischen Landtags sind die ersten Adressaten des jährlichen Berichts. Die Jahresberichte dienen Behörden und anderen öffentlichen Stellen als Nachschlagewerke zum Extremismus in NRW. Sie werden zudem von der Öffentlichkeit stark nachgefragt. Informationen zu aktuellen Schwerpunktthemen finden sich in Berichten und Broschüren, die über die Internetseite des Ministeriums des Innern unter ww.im.nrw/verfassungsschutz abrufbar und kostenfrei bestellbar sind. 370 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 371 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Index Kennzeichnung alternativ, unabhängig, ortschrittlich (AUF) 156, 157 Strukturen und Organisationen, deren anarchistischen Gruppen/ Verfassungsfeindlichkeit bereits erStrömungen 168-171 wiesen ist, werden im Folgenden im Ansaar Düsseldorf e. V. 214 Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Ansaar International e.V. 13, 202 Verfassungsfeindlichkeit zwar noch 214, 235, 236 nicht erwiesen ist, aber hinreichend Ansarul Aseer 219 gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte Antifa.NRW 138, 171, 173 einen Verdacht auf verfassungsfeindAntifaschistischer Aufbau liche Bestrebungen begründen, werKöln/Brühl 172 den die betroffenen Organisationen in Antikapitalistische Linke (AKL) 146-148 Kursivdruck gesetzt. Antisemitismus 181, 223, 233, 356, 364 Applied Scholastics 281 Beispiel: Partei X, Partei Y Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 125, 168, 176, 182, 191-199, 268, 305, 308, 342 Arbeitsgruppe (AG) A Deradikalisierung 325, 335, 350 Arcadi-Magazin 114 Advanced Persistent Threat 310 ar-Rahman-Moschee 242, 246 Ahl al-Bait-Zentrum 226 Association for Better Living AKP 183 and Education 281 Aktion Ansar Deutschland 215 Atomwaffendivision 269 Aktionsgruppe Dortmund-West 87 Aufbruch Deutschland 2020 60, 62 Aktionsgruppe Düsseldorf 89 Aufbruch Leverkusen e.V. 60-63, 130 Al Asraa 219 Aussteigergespräche 365 Alliance for Peace and Freedom 59 Aussteigerprogramm 344, 335, 346 Almahdy Kulturverein e.V. 226 Aussteigerprogramm Alparslan Türkes 183 Islamismus (API) 329, 335, Alperen 179 337, 346, 349, 357 Al-Qaida 37, 38, 203, 208, 209, 219 Ausstiegsbegleitung 335, 347 al-Quds-Brigaden (Sarayat al-Quds) 261 autonom-anarchistische Szene 168 al-Quds-Tag 230, 231 Autonome 27, 138, 162 ff., 165, 170 ff. 372 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Autonome Nationalisten Düsseldorf 89 Demokratiefeindliche und/oder sicherautonome Szene 138, 163 heitsgefährdende Delegitimierung des autonome Antifa-Gruppen 164 Staates 125 Ayatollah Khomeini 230 Deradikalisierung 334, 335, 346, 347 Der III. Weg 68-73, 87, 91, 118 B Der Oberberger 95 Der Volkslehrer 71 Bastion Frontal 71 Der Weg zum Glücklichsein 280 Better World Appeal 215 Deutsche Depeschen Bild und TonBismarcks Erben 103 agentur/ddb 102 BlickpunktTV 54 Deutsche Libanesische Familie 229 Blood and Honour (B&H) 93, 94 Deutsche Muslimische Blood and Honour-Division Gemeinschaft (DMG) 242-246 Deutschland 93 Deutschen Kommunistischen Blue Springs LTD Partei (DKP) 139, 150-155 (ehemals Afrikabrunnen e.V.) 215-217 Deutscher Präventionstag 358 Borbecker Jungs 107 Deutsche Stimme 54 Boykottbewegung 225 Devlet Bahceli 182 Bruderschaft Deutschland 106-113 Dianetik 28013 Bülten 179 Die Barmherzigen Hände 222, 225 Büyük Birlik Partisi (BBP) 183 Die Rechte 56, 7481, 86, 87, 91, 94, 110, 115, 131 C Division Germania 95 Durmus YILDIRIM 182 Celebrity Centre Rheinland Scientology Kirche e.V. 278 E Celebrity Centres 279 Combat 18 (C18) 52, 94, 95 Ein Prozent e.V. 267 CoRE NRW 332 Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung Corona Rebellen Düsseldorf 13, 104, -EV) und Yeni Refah Partisi (YRP) 248 127, 129, 269 Erbengemeinschaft Jakob 103 Council of European Muslims (CEM) 242 Erlebniswelt 352, 365 Criminon 280 Ethnopluralismus 83 Cyberangriffe 286, 310 Europa Terra Nostra 59 EU-Terrorliste 223 D Ewiger Bund 103 Extremismusbeauftragte 355 David Miscavige 278 Defensive West 106 Index 373 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 extremistisch-salafistische G und jihadistische Szene 210220, 272 272 Gaza-Streifen 224 Gefährder 350 F Gemeinsames Terrorabwehrzentrum (GTAZ) 335, 350 Fachstelle Islamismusprävention (FIP) 357 Gemeinschaft der Gesellschaften Fatime Versammlung e.V. 226 Kurdistans (KCK) 190 Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Gemeinschaft libanesischer Mesopotamiens in NRW - Emigranten e.V. 226 FED-MED e.V. 191 Generation Islam 235, 236 First Class Crew - Steeler Jungs 107-113 Gerila TV 192 Föderation der demokratischen Gib Frieden 229 Aleviten e.V. (FEDA) 191 Graue Wölfe 342 Föderation der Türkisch-Demokratischen GRU 295 Idealistenvereine in Europa e. V. Gruppe S. 51, 108-120 (ADÜTDF) 178 Grup Yorum 177, 188, 189 Föderation der Weltordnung in Europa (ANF) 178 H Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) 242 HAMAS 203, 222-225, 242, 243, 261, Foundation for a drug-free world 280 262, 263, 356 Frauenrechte ANS.Justice 215 Hammerskin-Nation (HSN) 94 Freie Arbeiterinnenund Hammerskins 92-95 Arbeiter-Union (FAU) 168, 169 Hizb Allah 14, 202, 226-231, 260 freie Szene der Ülkücü-Bewegung 176, 177, Hizbullah (Partei Gottes) 252 180, 182, 184 HoGeSa 106 Freies Netz Süd 68 Hooligans Europe United 106, 113 Freivest 79, 81 Hizb ut-Tahrir (HuT) 208, 232-236 Freundeskreis Rhein-Sieg 90 Huttroper Jungs 107 Freundeskreis UN e. V. 115 hybride Bedrohung 291 Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld 94, 95 I FSB 295 Führerkult 183 Ideale Orgs 279 Furkan-Gemeinschaft 256-259 Identitäre Aktion Deutschland (IA) 90 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) 17, 8-85,267, 355 374 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Identitäre Bewegung Kameradschaft Aachener Nordrhein-Westfalen 82 Land (KAL) 76, 79 Illegitime Einflussnahme 286 Kameradschaften 74, 86 Imam-Mahdi-Zentrum 226 Kameradschaft Hamm (KS Hamm) 79 Imam Rida-Zentrum 226 Kameradschaft Witten 91 INS 219 "Kampf der Nibelungen" 76 Integriertes Handlungskonzept 330 Kaplan-Verband 238 Interministerielle Arbeitsgruppe SalafisKategorie C 89, 96, 112 musprävention 331 Kaukasisches Emirat 219 internationale Zusammenarbeit 336 Kommission für Verstöße der Interventionistische Linke Köln 167 Psychiatrie gegen Menschenrechte Interventionistische Linke Münster 172 (KVPM) 280 Interventionistische Linke (IL) 138, 150, Kommunen gegen Extremismus 331, 333 169, 170, 172 Kommunistische Plattform (KPF) 146, Iranischen Revolutionsgarden 311 147, 148, 151 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 191 Konföderation der Gemeinschaften Islamische Kulturzentrum Kurdistans in Deutschland e.V. in Münster e.V. 242 (KON-MED) 191, 194, 196 Islamischer Staat (IS) 37, 38, 61, 203, Kongress der kurdisch207, 208, 209, 219, 272, 273, 326, 334 demokratischen Gesellschaft KurdisIslamische Republik Iran 303 tans in Europa (KCDK-E) 190, 194, 197 Islamischer Staat - Provinz Königreich Deutschland 103 KHORASAN (ISPK) 207 Kraftschlag 117 Islamisches Kulturzentrum in MünsKurdische Frauenbewegung in ter e.V. 242 Europa (AKKH / TJKE) 192 islamistisch nordkaukasische Szene 219 Kurdistan-Report 192 Ismail Aga Cemaati (IAC) 248, 251 L J Landesnetzwerk gegen RechtsJihadismus 208 extremismus 330 Jugend für Menschenrechte 280 Landeszentrale für politische Bildung 324 Junge Nationalisten 56 Left 346 Justizvollzug 334 legalistischer Islamismus 208 Legalresidenturen 294 K Lies! 213 Linksautonome 168 ff. Kalifat 326 linksjugend ['solid] 139, 146-151 Kalifatsstaat 238, 239, 240 L. Ron Hubbard 278 Index 375 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Lukreta 84 Neue Stärke Westfalen 90, 110 Neue Stärke Erfurt 90 M Newaya Jin 192 Nizam-i Alem 177, 179, 183 Marxistisch-Leninistische Partei Notwehr 117 Deutschlands (MLPD) 139, 156-161 NRW stellt sich quer 106, 111, 113 Medienkompetenz 341 NSDAP 55, 69 Menschen für Menschen 229 N.S. Heute 114 Metin Kaplan 240 NSU 89 MGB 248, 249 MHP (Milliyetci Hareket Partisi), 182 O MID 299 Milli-Görüs-Bewegung 238, 248-250 Oidoxie 95 MIT 305 Online-Beratung 341 MOIS 303 Mönchengladbach steht auf 106, P 108, 111, 113 MPS 299 Palästinensische Gemeinschaft in MSS 299 Deutschland e.V. (PGD) 222-225 Muhsin Yazicioglu 183 PEGIDA 106 Muslimbruderschaft (MB) 222, 223, 225, Pegida NRW 80, 89, 90, 110, 111 242-246, 260 Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) 224, 260-263 N Postautonome 167, 172 Primärprävention 331 Nahostkonflikt 181, 224, 228, 230, Prisma 354 231, 253, 262 Proliferation 287, 308 Narconon 280 Pro NRW 60, 61, 63 Nasrallah Nationaldemokraten 54 Q Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 52-59, 68, 74, 78, 79, Qassam-Brigaden 223 83, 89, 110, 117 Quds Force 227, 303 Nationaler Widerstand Querdenken-Bewegung 13, 66, 125, 126, Dortmund (NWDO) 79 131-33, 164, 269, 333 Nationalismus ist keine Alternative! (NIKA) 163 Neonazis 56, 68, 74, 86, 87, 91, 110, 163 Neue Rechte 12, 51, 64, 82, 83, 114, 267 376 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 R salafistischer Jihadismus 244 Sauerländer Widerstand Zentrale 128 Radicalisation Awareness NetSchahid-Stiftung 229 work (RAN) 337 schiitischer Islamismus 208 Radikalisierungsprävention 333 Schwarze Sonne 364 Realität Islam 235, 236 Schwesternschaft Deutschland 107 Rebell 156, 161 Scientology Kirche Berlin e.V. (SKB) 282 Recep Tayyip Erdogan 182 Scientology Kirche rechtsextremistisch geprägte Deutschland e.V. (SKD) 282 Mischszene 107, 108, 111, 113 Scientology Kirche Düsseldorf e.V. 278 rechtsextremistische KampfSekundärprävention 331, 344 sportevents 86 Selbstverwalter 98, 99 rechtsextremistische Sentürk DOGRUYOL 182 Skinhead-Szene 92, 93, 94 Serxwebun 192 Rechtsrock-Konzerte 86 S.H.A.E.F. Regierungsinstitution Reconquista 114 Deutschland 100 Referans 179 Sicherheitspartnerschaft 287 Reichsbürger 12, 33, 51, 53, 98-105, Silent Librarian 315 112, 119, 333 Skinhead-Front Dortmund Dorstfeld 94 Reintegration 334 Sleipnir 95 Revolte Rheinland 84 Smart Violence 95 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Scientology Organisation (SO) 278-283 Front (Devrimci Halk Kurtulus PartisiSomalisches Komitee 215 Cephesi - DHKP-C) 159, 177, 176, 186, Sozialistische deutsche 187, 188, 189 Arbeiterjugend (SDAJ) 152, 150, 154 Rock Hate 95, 114-117 Sozialistische Linke (SL) 146-151 Rote Fahne Magazin 156 Sozialistische Alternative (SAV) 149, 150 Rotfüchse 156 Sozialistische Organisation Rückkehrkoordination 332, 325, 326, 334 Solidarität (SOL) 150 Ruhrpott Uschis 107 Spionage 286 Russische Föderation 295 Spurwechsel 344, 346, 365 Staatsterrorismus 287 S Sterka Ciwan 192 Sterk TV 192 Saadet Partisi (SP) 248-251 Sturmwehr 95 Sag NEIN zu Drogen, sag JA Subkulturell geprägter zum Leben 280 Rechtsextremismus 92, 93 Salafismus 329 ff. Sultan-Fatih-Jugend Bielefeld 248 Salafismusprävention 331 SWR 295 Index 377 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 T W Taliban 203-209, 234 Waisenkinderprojekt Tauhid Germany 219 Libanon e.V. (WKP) 202, 229 Tertiärprävention 331, 346 Wegweiser 325, 329, 337, 338, 356, 357 Tevgera Ciwanen Soresger - TCS, 192 Wegweiser Online 341 The Way To Happiness 280 Weiße Wölfe 95 Tremonia Kollektiv 87 World Institute of Scientology Turan 183 Enterprises (WISE) 281 Türkei 305 WWR-Help e.V. 215 Türkische Hizbullah (TH) 252-254 Türkisch-Islamische Kulturvereine Y in Europa e. V. (ATIB) 178 Yeni Özgür Politika 192 U Youth for Human Rights 280 YRP 251 Ülkücü-Bewegung 176-184, 308 Unabhängige Nachrichten (UN) 114, 115 Z unsere Zeit 152, 154 Zentralrat der Muslime in V Deutschland (ZMD) 246 Zentralverband der Ezidischen Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) 103 Vereine e.V. (NAV-YEK) 191 Verband der islamischen Vereine Zero-Day-Exploit 313 und Gemeinden e. V. (ICCB) 238 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 191 Verbindungsbeamter Justizvollzug 334 Verfassungsgebende Versammlung (VV) 102 Verschwörungsmythen 324 VIR 324, 331, 344 völkisch-nationalistischer Personenzusammenschluss 26, 64-66 Volksgemeinschaft Niederrhein (VGN) 88, 89, 96, 110 Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) 190, 193 Volksrepublik China 299 378 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern oder Wahlhelferinnen und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für die Landtags-, Bundestagsund Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Eine Verwendung dieser Druckschrift durch Parteien oder sie unterstützende Organisationen ausschließlich zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder bleibt hiervon unberührt. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministeriums des Innern NordrheinWestfalen zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Der Inhalt dieser Broschüre wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. 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