Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019 www.im.nrw Vorwort Der Extremist von heute kann der Terrorrist von morgen sein. Diese auf den ersten Blick naheliegende Erkenntnis stellt den Verfassungsschutz und alle Sicherheitsbehörden des Landes vor große Herausforderungen. Das Jahr 2019 hat auf schmerzliche Weise gezeigt, wie Propaganda, Falschinformationen und obskure Weltsichten der Radikalisierung Vorschub leisten. Sie sind der Nährboden für rechtsterroristische Strukturen. Noch mehr allerdings für Einzeltäter, die in den vergangenen Jahren immer wieder furchtbare Bluttaten begingen: Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, nicht zuletzt der neunfache Mordanschlag auf Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau. Die nun vorliegende Analyse des Verfassungsschutzes zum politischen Extremismus 2019 in Nordrhein-Westfalen zeigt deutlich, dass es Rechtsextremen vor allem darum geht, zu radikalisieren und zu entgrenzen. Der politische Diskurs soll nach "Rechts" verschoben werden, rechtsextremistische Ansichten sollen "salonfähig" für die Mitte der Gesellschaft werden. Es entstehen Mischszenen, in denen Rechtsextremisten mit Rockern und Hooligans gemeinsame Sache machen. In den Dunkelkammern des Internets entwickelt sich die antidemokratische, menschenfeindliche und revisionistische Meinung klammheimlich zur Überzeugung eines angeblich wahren Patrioten, der sich zum Handeln verpflichtet fühlt, dessen Selbstbild das eines moralisch Handelnden ist. Diesen Entwicklungen stellt sich der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz entgegen, indem er die Szenen durchleuchtet und transparent macht, indem er aufklärt und Gefahren für die Demokratie effektiv abwehrt. Und indem er jene ideologischen Irrläufer findet, identifiziert und damit dazu beiträgt, dass sie mit rechtsstaatlichen Mitteln an der Begehung von Straftaten gehindert werden. Wie bereits im Jahr zuvor war der Rechtsextremismus 2019 die größte Herausforderung für die Innere Sicherheit Nordrhein-Westfalens, was aber nicht heißt, dass die anderen Felder des politischen Extremismus brachliegen. Prägend für die Entwicklung im Linksextremismus in Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor die autonome linksextremistische Szene. Deren politisch motivierte Straftaten sind in 2019 zwar rückläufig. Jedoch hat 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 die Intensität der Gewalt im Kampf gegen den Staat und den politischen Gegner zugenommen. Straftaten werden zudem als Aktionsformen des "zivilen Ungehorsams" propagiert und verharmlost, bürgerlich-demokratischer Protest soll für die eigenen Ziele instrumentalisiert werden. Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Protest werden gezielt verwischt. Auch hier also ist das Ziel Entgrenzung. Eine große Gefahr geht in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin von Islamisten aus. Der sogenannte Islamische Staat verfügt auch in Deutschland über eine stabile Anhängerschaft, und die salafistische Szene wächst weiterhin - wenn auch deutlich langsamer als in der Vergangenheit. Das Risiko, dass sich Einzelne oder Gruppen zu Anschlägen entschließen, ist weiterhin hoch. Zum anderen sind islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft gut verankert und vernetzt. Sie versuchen, im Sinne ihrer extremistischen Ideologie Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen. Die Mechanismen gleichen sich bei Rechtsextremisten, Islamisten und Linksextremisten. Zudem ähneln sich die Argumente frappierend, genau wie die Wege, mittels derer sie verbreitet werden. Das Internet und die sozialen Medien spielen dabei eine ausschlaggebende Rolle. Der Präsenz des Verfassungsschutzes auf den einschlägigen Plattformen kommt deshalb eine Schlüsselrolle zu. In einem Sonderkapitel dieses Berichts werden die Digitalisierung des Extremismus, die damit verbundenen Herausforderungen für den Verfassungsschutz und mögliche Gegenstrategien deshalb näher beleuchtet. Die Corona-Krise verschärft diese Problematik. Wir müssen auf Freiheiten verzichten, um das Leben und die Gesundheit unserer Mitmenschen zu schützen. Extremisten sehen die Krise jedoch als Chance, staatliche Maßnahmen zu diskreditieren und die Menschen weiter zu verunsichern. Damit untermauern sie ihre Forderungen und unterwandern die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen können sich auch weiterhin darauf verlassen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verfassungsschutz ihren Beitrag leisten, um unsere Demokratie und unsere freie Gesellschaft zu schützen. Als Frühwarnsystem sensibilisiert und informiert er. Und er unterstützt eine aufgeklärte Gesellschaft, die immer der beste Schutz gegen jede Form von Extremismus ist. Herbert Reul Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Inhaltsverzeichnis Vorwort 2 Vorbemerkung 8 Kompakt 12 Extremismus in Zahlen 19 Extremismus in Zahlen 20 Mitgliederzahlen und -potenziale in Nordrhein-Westfalen 28 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) 30 Extremismus im digitalen Raum 45 Rechtsextremismus 65 Zusammenfassung 66 Im Fokus: Rechtsextremistisch geprägte Mischszene 68 Im Fokus: Rechtsterrorismus 78 NPD 84 Pro NRW 90 Der Flügel 92 Die Rechte 96 Der III. Weg 108 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. 114 Neonazis 120 Subkulturell geprägter Rechtsextremismus 126 Reichsbürger und Selbstverwalter 134 Rechtsextremistische Zeitschriften 140 4 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Linksextremismus 145 Zusammenfassung 146 Im Fokus: Protest, "ziviler Ungehorsam" und militante Gewalt 148 Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE 154 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 162 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 166 Autonome Linksextremisten 170 Interventionistische Linke (IL) 180 Auslandsbezogener Extremismus 185 Zusammenfassung 186 Im Fokus: Auswirkungen des Einmarsches der türkischen Armee in Nordsyrien auf die Anhänger der PKK 188 Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) 192 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C) 198 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen 202 Islamismus 211 Zusammenfassung 212 Im Fokus: Ausreise in und Rückkehr aus jihadistischen Kampfgebieten 214 Extremistischer Salafismus 218 HAMAS 228 Hizb Allah (Partei Gottes) 232 Hizb ut Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) 236 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 240 Muslimbruderschaft (u. a. Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG) 244 Milli Görüs-Bewegung 250 Türkische Hizbullah (TH) 254 Furkan-Gemeinschaft 258 InhaltsverzeIchnIs 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Scientology Organisation (SO) 263 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 271 Zusammenfassung 272 Im Fokus: Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019 274 Spionage, politische Einflussnahme ausländischer Staaten und Proliferation 280 Wirtschaftsschutz und Geheimschutz in der Wirtschaft 288 Präventionsarbeit und Aussteigerprogramme 297 Zusammenfassung 298 Im Fokus: Umgang mit islamistischen Rückkehrern 300 Im Fokus: Videound Social Media-Kampagne "Jihadi fool" 302 Übergreifende Konzepte und Vernetzung 306 Wegweiser - Gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus 312 VIR 316 Aussteigerprogramme 320 Fachtagungen und Kongresse 328 Vorträge und Fortbildungen 334 Veröffentlichungen 340 6 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Über den Verfassungsschutz 343 Index 348 InhaltsverzeIchnIs 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Vorbemerkung Der vorliegende Verfassungsschutzbericht bezieht sich auf Ereignisse und Beobachtungen im Jahr 2019. Zeitlich danach liegende Vorfälle und Entwicklungen werden punktuell angesprochen, wenn sie von größerer Bedeutung sind. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Nordrhein-Westfalens sind aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichts erforderlich sind. Ergänzende Informationen finden Sie im Internet unter www.im.nrw/verfassungsschutz. Grundlagen und Zielsetzung des Verfassungsschutzes Nach SS 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu sammeln und auszuwerten, die Bestrebungen oder Tätigkeiten betreffen, die > gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder > darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinträchtigen, oder > durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder > gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder > sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht darstellen. Der Verfassungsschutz sammelt die für ihn relevanten Informationen und wertet sie aus, sobald tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung oder Tätigkeit im vorgenannten Sinne begründen. Dabei wird der Verfassungsschutz in seiner Eigenschaft als Frühwarnsystem des demokratischen Rechtsstaates schon im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten 8 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 tätig. Bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags richtet er seinen Fokus schwerpunktmäßig auf Strukturen und Organisationen, insbesondere solche, die gewaltorientiert sind. Über seine Erkenntnisse und Einschätzungen informiert der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit regelmäßig und gebündelt in seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht und darüber hinaus bei konkreten Anlässen, sofern ein öffentlicher Bedarf besteht. Eine Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht setzt voraus, dass aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Anhaltspunkte ein Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen besteht. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y Bei "Bestrebungen" handelt es sich gemäß SS 3 Abs. 5 VSG NRW um politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der gegen die in SS 3 Abs. 1 VSG NRW genannten Schutzgüter gerichtet ist. Ein "Personenzusammenschluss" setzt mehrere Personen voraus, die gemeinsam handeln. Einzelpersonen stehen dann unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes, wenn ihr Verhalten auf die Anwendung von Gewalt zur Erreichung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele gerichtet ist oder wenn von ihnen eine erhebliche Gefahr für eines der Schutzgüter des Verfassungsschutzgesetzes ausgeht. Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Im Zentrum steht der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie bildet den Kern des Grundgesetzes, der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG jeder Disposition entzogen ist. InhaltsverzeIchnIs 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 SS 3 Abs. 6 VSG NRW zählt hierzu im Einzelnen folgende Grundsätze: > Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, > die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, > das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, > die Ablösbarkeit der Regierung und deren Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, > die Unabhängigkeit der Gerichte, > den Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und > die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Auswärtige Belange der Bundesrepublik und Völkerverständigung Daneben beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen, "die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden". Hier geht es beispielsweise um gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus Gewaltaktionen vorbereiten, um eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Ausland, insbesondere in ihren Heimatländern, herbeizuführen und die dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Auch Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind, gehören zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW). Der Verfassungsschutz beobachtet international operierende Gruppierungen, die beispielsweise darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. In diesem Fall sind die Angriffe nicht auf die staatliche Ordnung oder die Grenzen eines einzelnen anderen Landes gerichtet, sondern gegen bestimmte (Volks-)Gruppen in den betreffenden Staaten. Gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind damit auch Gruppierungen, die 10 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 die - notfalls gewaltsame - Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete propagieren. Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Bei seiner Tätigkeit stützt sich der Verfassungsschutz in großem Umfang auf offenes Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Radiound Fernsehberichte, Interviews und Parteiprogramme. Typischerweise geben sich extremistische Organisationen in ihren Programmen und öffentlichen Auftritten jedoch gemäßigt, um ihre Akzeptanz und ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen. Klartext wird häufig nur in den inneren Zirkeln und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesprochen. Auch darüber muss der Verfassungsschutz verlässliche Informationen erlangen, um sich ein realistisches Bild von den Zielen und den Methoden derartiger Organisationen zu verschaffen und seinen Auftrag zur Beratung der Politik und Aufklärung der Öffentlichkeit zu erfüllen. Zur Aufklärung konspirativ arbeitender verfassungsfeindlicher Organisationen ist deshalb der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel notwendig. Dabei werden nach Maßgabe konkreter gesetzlicher Vorgaben insbesondere Vertrauenspersonen (V-Personen) eingesetzt und Zielpersonen observiert. In besonders gravierenden Einzelfällen erfolgt eine Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs. Die gesamte Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums des nordrhein-westfälischen Landtags und bei bestimmten Maßnahmen zur Kommunikationsüberwachung oder Finanzermittlung dem Genehmigungsvorbehalt durch eine unabhängige Kommission (G 10-Kommission). InhaltsverzeIchnIs 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kompakt Politisch motivierte Gewalt Im Vergleich zum Vorjahr ist die Politisch Motivierte Kriminalität insgesamt leicht zurückgegangen. Ein starker Rückgang ist bei den linksextremistisch motivierten Gewaltdelikten zu verzeichnen. Dies ist auf die veränderte Lage im Hambacher Forst zurückzuführen. Dort wurden 2018 rund viermal so viele Gewaltstraftaten wie im Jahr 2019 verübt. Rechtsextremismus Die Entwicklung des Rechtsextremismus in 2019 ist durch Radikalisierung und Entgrenzung gekennzeichnet. Die Radikalisierung zeigt sich darin, dass Rechtsextremisten die derzeitige politische Situation in Endzeitund Bürgerkriegsszenarien diskutieren und teilweise daraus folgern, sich auf diese Auseinandersetzung vorbereiten zu müssen. In diesem Umfeld entwickeln sich rechtsterroristische Strukturen beziehungsweise Einzeltäter. So begingen Rechtsextremisten mit dem Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten, dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, in dessen Verlauf der Täter zwei Menschen Ereignisse im Berichtszeitraum 15. Januar 23. März Festnahme eines TatverRückeroberung der syrischen dächtigen im Rheinland Stadt Baghuz und Ende der wegen des Verdachts auf territorialen Kontrolle des Spionage für Iran. IS-Kalifats. Der sog. IS besteht in der Region weiter. 2019 [?] 15. März Rechtsextremistischer Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland), bei dem 51 Menschen getötet und 50 verletzt werden 12 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 erschoss, und dem neunfachen Mordanschlag auf Migranten in Hanau schwerste Gewaltstraftaten. Mit der Aufdeckung der "Gruppe S." durch die Sicherheitsbehörden wurden mutmaßlich rechtsterroristische Anschläge verhindert. Ein anderer Teil des Rechtsextremismus versucht die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen, den politischen Diskurs nach "rechts" zu verschieben und somit anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft zu werden. Man möchte so den Rechtsextremismus entgrenzen. Reichsbürger erkennen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht an und versuchen die Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu behindern. Bislang konnte der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen rund 3.200 Anhänger identifizieren. Linksextremismus Weiterhin ist die autonome Szene für den Linksextremismus in Nordrhein-Westfalen prägend. Diese agiert in überregionalen Netzwerken weitgehend ohne hierarchische Strukturen. Gewalt gegen den Staat und den politischen Gegner wird von der Szene als legitimes Mittel akzeptiert. Aktionen und Demonstrationen gegen Veranstaltungen der politischen Rechten sind ein wesentliches Betätigungsfeld der Szene. Zudem besteht insbesondere in den Themenfeldern Ökologie und Antigentrifizierung ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit der gewaltorientierten linksextremistischen Szene an demokratische Proteste. 25. März 2. Juni Anklage gegen zwei Rechtsextremistisch motiindische Staatsbürger mit vierter Mord am Kasseler Wohnsitz in NRW wegen Regierungspräsidenten geheimdienstlicher TätigDr. Walter Lübcke keiten für Indien. 10. April Umsetzung eines umfassenden vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens des BMI gegen den salafistischen Verein Ansaar International. InhaltsverzeIchnIs 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die nahezu unveränderte Anzahl der Gesamtstraftaten im Linksextremismus, die wie im Vorjahr zum Großteil auf Sachbeschädigungen gegen den Tagebau Hambach und in dessen Umfeld zurückzuführen ist, belegt die unverminderte Aktivität der Waldbesetzer im Hambacher Forst. Die Qualität der Gewaltbereitschaft hat trotz des Rückgangs der Anzahl von Gewaltdelikten nicht abgenommen. Die Taten weisen auf die Bereitschaft hin, beim Vorgehen gegen die Beschäftigten des Tagebaus, beauftragte Unternehmen oder die Polizei schwerste bis hin zu tödlichen Verletzungen in Kauf zu nehmen. Auslandsbezogener Extremismus Bereits vor Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien waren Proteste PKK-naher Organisationen gegen die Offensive festzustellen. Nach dem Beginn der Kampfhandlungen am 9. Oktober 2019 stieg die Anzahl der Demonstrationen insbesondere in Nordrhein-Westfalen sprunghaft an. Auch deutsche Linksextremisten, die sich solidarisch erklärten, beteiligten sich. Nach wie vor ist der Grad der Emotionalisierung, der sich im Versammlungsgeschehen oder der direkten Konfrontation mit dem politischen Gegner hierzulande abbildet, davon abhängig, wie konfrontativ die Auseinandersetzungen in der Türkei oder in Nordsyrien geführt werden. 17. Juni 24. Juli Solidaritätsbekundungen Berichterstattung über veraus Kreisen der Muslimmutlich von China gesteuerte bruderschaft zum Tod Hackergruppe Winnti und Mohammad Mursis deren Angriffe auf deutsche Hochtechnologie 2019 [?] 20. bis 23. Juni Klimaschutz-Proteste in Aachen und im Rheinischen Braunkohlerevier mit Protestcamp und Großdemonstration 14 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Neben den Auseinandersetzungen in den kurdischen Siedlungsgebieten spielen vor allem die Haftbedingungen und der Gesundheitszustand Abdullah Öcalans eine wesentliche Rolle für das Aktionsverhalten der PKK. Islamismus Vom jihadistischen Salafismus und den terroristischen Vereinigungen sogenannter Islamischer Staat und Al-Qaida geht weiterhin eine hohe Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland und Europa aus. Ausländische Kämpfer, verurteilte Jihadisten, die ihre Haft verbüßt haben, und Rückkehrer stellen ein besonderes Risiko dar und werden von der Polizei in Abstimmung mit dem Verfassungsschutz als "Gefährder" eingestuft und mit Überwachungsmaßnahmen belegt. Der extremistische Salafismus bildet zudem Strukturen aus, die nicht jihadistisch sind: Spendensammlung für vermeintlich humanitäre Hilfe, Unterstützung und Hilfe für salafistische Inhaftierte, Missionierungsaktivitäten und wirtschaftliche Unternehmungen. So hat sich trotz der gesunkenen öffentlichen Wahrnehmung die Anzahl der durch den Verfassungsschutz beobachteten extremistischen Salafisten in NRW leicht erhöht. Vor dem Hintergrund der latenten und immer wieder hervorbrechenden Spannungen zwischen westlichen Staaten und Iran ist ein besonderes Augenmerk auf die extremis3. August Rechtsextremistisch motivierter Anschlag in El Paso (USA), bei dem 22 Menschen und weitere 24 verletzt werden 3. Oktober Islamistisch motivierter Messerangriff in Pariser Polizeipräfektur InhaltsverzeIchnIs 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 tischen Organisationen zu legen, die als Verbündete Irans gelten, allen voran die libanesische Hizb Allah, die auch in NRW aktiv ist. In 2019 waren auch die Entwicklungen um die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), die als bedeutendste Vertretung der Muslimbruderschaft (MB) in Deutschland gilt, von besonderer Bedeutung. Die MB hat einerseits ihre Bemühungen verstärkt, als Ansprechpartner für Islamfragen in Staat und Gesellschaft Akzeptanz zu finden. Andererseits hat die Warnung des Verfassungsschutzes NRW vor der extremistischen Agenda der MB medial eine breite Resonanz gefunden. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Nordrhein-Westfalen ist weiterhin Betätigungsfeld ausländischer Nachrichtendienste zu Spionageund Sabotagezwecken, aber auch zur politischen Einflussnahme durch Desinformation oder zur Ausspähung von Oppositionellen. Angesichts der zunehmenden Bedrohungen durch Wirtschaftsspionage und Cyber-Attacken bleibt der präventive Wirtschaftsschutz eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes. Das erstmals erstellte Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019 zeigt sehr deutlich, dass in der Unternehmenssicherheit bei den rund 720.000 kleineren und mittleren Unter9. Oktober 26. Oktober Beginn der türkischen Tod des selbsternannten Militäroffensive "OperaKalifen des sog. IS Abu tion Friedensquelle" in Bakr Al-Baghdadi bei einer Nordsyrien US-amerikanischen Militäraktion in Syrien. 2019 [?] 9. Oktober Rechtsextremistisch motivierter Anschlag in Halle (Saale) an Jom Kippur 16 InhaltsverzeIchnIs Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 nehmen und Betrieben in Nordrhein-Westfalen zum Teil ein erheblicher Optimierungsbedarf besteht. Die Sicherheitspartnerschaft NRW, deren Geschäftsführung beim Wirtschaftsschutz liegt, konnte einvernehmlich mit allen Partnern um den Verband der Wirtschaftsförderungsund Entwicklungsgesellschaften NRW erweitert werden. Prävention Das Präventionsprogramm "Wegweiser - Gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus" wurde landesweit auf 25 Teams in ganz NRW ausgebaut. Im Rahmen der Beratungs-, Fachund Netzwerkarbeit werden vor Ort unter anderem Sensibilisierungsveranstaltungen angeboten. Zur Verbesserung der behördlichen Zusammenarbeit beim Umgang mit Rückkehrern aus Kriegsund Krisengebieten wurde ein Rückkehrkoordinator eingesetzt. Er sorgt landesweit für eine Vernetzung und Kooperation aller relevanten Akteure in Rückkehrsachverhalten. Dabei wirkt er über das sicherheitsbehördliche Aufgabenfeld hinaus und nimmt dabei die Prüfung von Möglichkeiten der Deradikalisierung bei Rückkehrern in den Blick. Bei der Rückkehr von Kindern steht das Kindswohl im Fokus der Bemühungen. 29. November Islamistisch motivierter Messerangriff auf der London Bridge in London, GB 4. Dezember Ermittlungen des Generalbundesanwalts wegen der Verstrickung russischer oder tschetschenischer staatlicher Stellen in den Fall eines in Berlin erschossenen Georgiers InhaltsverzeIchnIs 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 18 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Extremismus in Zahlen extremIsmus In zahlen 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Extremismus in Zahlen Politisch motivierte Kriminalität nach PMK-Phänomenbereichen Gewaltkriminalität nach PMK-Phänomenbereichen 20 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Tatverdächtige PMK-rechts Tatverdächtige PMK-links Tatverdächtige PMK-ausländische Ideologie Tatverdächtige PMK-religiöse Ideologie extremIsmus In zahlen 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Themenfelder der Entgrenzung im Extremismus Personenpotenzial im Rechtsextremismus 22 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Personenpotenzial im Linksextremismus Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus extremIsmus In zahlen 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Personenpotenzial im Islamismus (deutlicher Rückgang im Jahr 2014 durch Neubewertung von Teilen der Bewegung Milli Görüs) Personenpotenzial im extremistischen Salafismus 24 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Präventionsstrategie des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen Präventionsprogramm Wegweiser im Überblick extremIsmus In zahlen 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Fallzahlen seit Einrichtung der Aussteigerprogramme Zwei Drittel der in 2019 hinzugekommenen Fälle mündeten in eine aktive Begleitung. 26 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 In der Anfangsphase des Programms left wird die Mehrzahl der Fälle durch aktive Ansprache generiert. Der Anteil von Frauen und Mädchen in der Szene spiegelt sich bei den Fällen des Aussteigerprogramms API wider, Über 80 Prozent der aktiv im API betreuten Klienten waren dem Verfassungsschutz bei Eintritt ins Programm als Gefährder oder zumindest relevante Personen bekannt. extremIsmus In zahlen 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Mitgliederzahlen und -potenziale in Nordrhein-Westfalen Die Angaben zu den Parteien und Organisationen umfassen grundsätzlich alle Mitglieder. Die Angaben sind gerundet und zum Teil geschätzt. Rechtsextremismus 2018 2019 NPD 500 450 Pro NRW 350 - Pro Köln e. V. 150 - Die Rechte 280 290 Der III. Weg 30 35 IBD 70 50 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotential in Parteien - 1.000 ("Der Flügel") In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen, 900 650 insbesondere neonazistischen Kameradschaften Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotential, 1.350 1.600 insbesondere Skinheads Sonstige (insbesondere Anhänger der ehemaligen Pro-Parteien) - 575 abzüglich Doppelmitgliedschaften* -375 -575 Gesamt 3.255 4.075 davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 2.000 2.000 Reichsbürger und Selbstverwalter 3.200 3.200 * Einzelne Personen können gleichzeitig zwei Organisationen oder Gruppierungen zugerechnet werden. Die Mitglieder der Partei Die Rechte werden weiterhin als Neonazis gezählt. 28 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Linksextremismus 2018 2019 Gewaltorientierte Linksextremisten einschl. Autonome 970 975 DKP 800 800 MLPD 750 750 Gesamt 2.520 2.525 Auslandsbezogener Extremismus 2018 2019 ADÜTDF 2.000 2.000 DHKP-C 200 200 KONGRA-GEL bzw. PKK 2.200 2.200 Gesamt 4.400 4.400 Islamismus 2018 2019 Extremistischer Salafismus 3.100 3.200 davon politisch 2.210 2.420 davon gewaltbereit 890 780 HAMAS 75 140 Hizb Allah 110 115 Hizb ut-Tahrir 60 70 Kalifatsstaat 220 220 Muslimbruderschaft 65 250 Milli Görüs-Bewegung (extremistischer Teil) 250 250 Nordkaukasische Separatisten-Bewegung 70 70 Türkische Hizbullah 100 100 Furkan-Gemeinschaft 80 80 abzüglich Doppelmitgliedschaften* - -140 Gesamt 4.130 4.925 * Einzelne Personen können gleichzeitig zwei Organisationen oder Gruppierungen zugerechnet werden extremIsmus In zahlen 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) Betrachtung der Gesamtentwicklung In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2019 insgesamt 6.032 Politisch motivierte Straftaten bekannt (2018: 6238). Damit ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 206 Delikte bzw. 3,3 % zu verzeichnen. Die Aufklärungsquote im Bereich der PMK für das Jahr 2019 beträgt 37,1 % (2018: 43,1 %). Es wurden mit 2.235 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr 454 Delikte weniger aufgeklärt (2018: 2.689). Gesamtentwicklung der Politisch motivierten Kriminalität im 10-Jahres-Vergleich Gewaltdelikte der Politisch motivierten Kriminalität (PMK-Gewalt) Die Zahl der bekannt gewordenen Gewaltdelikte mit politischer Motivation ist in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Jahr 2018 gesunken. Es wurden insgesamt 427 Gewaltdelikte bekannt, das bedeutet einen Rückgang um 47,9 % (2018: 820). Der deutliche Rückgang der Gewaltstraftaten ist mit rund 55 % überwiegend dem Phänomenbereich der PMK-links zuzuordnen und auf die Änderung der Lage um den 30 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Hambacher Forst zurückzuführen. Im Jahr 2018 standen insgesamt 331 Gewaltstraftaten, davon 266 in den Monaten September und Oktober, im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst. Die Fallzahlenspitze erklärt sich durch die massive Gewaltanwendung seitens der Besetzer im Zuge der polizeilichen Räumung der Baumhäuser in diesen beiden Monaten. Insgesamt wurden 2019 80 Gewaltstraftaten im Zusammenhang mit der Problematik "Hambacher Forst" aus dem Phänomenbereich PMK-links erfasst. Es zeigt sich eine Kontinuität in der Ausübung von Gewalt gegen Personen und Sachen durch die Waldbesetzerszene im Hambacher Forst. Phänomenübergreifend konnten 240 Gewaltdelikte polizeilich geklärt werden (2018: 423). Die Aufklärungsquote liegt mit 56,2 % höher als im Vorjahr (2018: 51,6 %). Propagandadelikte Einen hohen Anteil der PMK macht jährlich wiederkehrend die Gruppe der Propagandadelikte, also Straftaten der SSSS 86 und 86a StGB, aus. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil der Propagandadelikte am Straftatenaufkommen der Politisch motivierten Kriminalität mit 2.778 Straftaten bzw. 46,1 % an (2018: 2.422 Straftaten bzw. 38,8 %). Der Anstieg der Propagandadelikte ist überwiegend dem Phänomenbereich der PMK-rechts zuzuordnen. Trotz insgesamt gesunkener Deliktszahlen im Bereich PMK-rechts ist hier eine Steigerung zu verzeichnen. Dies erklärt sich mit der gestiegenen Propaganda rechtsextremistischer Parteien im Europawahlkampf. Hier wurden zahlreiche Straftaten durch Plakatierungen oder Banner verübt. Bei den meisten Propagandadelikten handelt es sich um das Aufbringen von Hakenkreuzsymbolen im öffentlichen Raum, die nur wenige Ermittlungsansätze bieten und daher schwer aufzuklären sind. Mit 34,4 % liegt die Aufklärungsquote der Propagandadelikte unter dem Niveau des Vorjahres (2018: 37,7 %). Extremistische Straftaten Von den 6.032 im Jahr 2019 bekannt gewordenen Delikten der PMK sind 5.666 (93,9 %) als extremistische Straftaten im Sinne des SS 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen eingestuft, weil sie sich beispielsweise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten. Die Anzahl der als extremistisch einzustufenden Straftaten ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken, ebenso der Anteil am Gesamtaufkommen der PMK (2018: 5.928 Straftaten bzw. 95,0 %). extremIsmus In zahlen 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Entwicklung der Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität Betrachtet man die Entwicklung der PMK differenziert nach Phänomenbereichen, so zeigen sich unterschiedliche Entwicklungen. In den Bereichen PMK-religiöse Ideologie, PMK-links und PMK-nicht zuzuordnen sind die Fallzahlen angestiegen, in den Bereichen PMK-rechts und PMK-ausländische Ideologie ist ein Rückgang festzustellen. Die einzelnen Deliktsgruppen, bezogen auf die Phänomenbereiche, werden durch die folgende Tabelle abgebildet: Politisch motivierte Kriminalität-rechts Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK-rechts ist mit 3.661 Straftaten (2018: 3.767) im Vergleich zum Vorjahr um 106 Straftaten (2,8 %) gesunken. Propagandadelikte und Volksverhetzungen machen mit 79,7 % (2.917 von 3.661 Straftaten), wie in den Vorjahren, den überwiegenden Anteil der Straftaten der PMK-rechts aus (2018: 75,1 %). Es konnten 1.344 Straftaten bzw. 36,7 % polizeilich geklärt werden. Damit liegt die Aufklärungsquote 6,7 Punkte unter dem Wert des Jahres 2018. Insgesamt wurden 1.409 Tatverdächtige ermittelt (2018: 1.794). Davon waren 1.258 Personen bzw. 89,3 % männlich und 151 bzw. 10,7 % weiblich. Die am höchsten belastete Altersgruppe war mit 287 Personen die der 14bis 17-Jährigen. Es folgte die Gruppe der 30bis 39-Jährigen mit 236 Personen. 750 (53,2 %) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2018: 866 bzw. 48,3%). Vorherrschende Themenfelder der PMK-rechts waren "Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus" (Anstieg von 2.572 auf 2.706 Straftaten) und "Hasskriminalität" (Rückgang von 1.454 auf 1.319 Straftaten). Dahinter folgen die Themenfelder "Konfrontation/politische Einstellung" (Anstieg von 303 auf 875 Straftaten) sowie " Ausländer-/Asylthematik" (Anstieg von 280 auf 328 Delikte) und Innenund Sicherheitspolitik (Anstieg von 250 auf 270 Delikte). Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-rechts Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige ist mit 158 Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 27,2 % gefallen (2018: 217 Straftaten). Schwerpunktmäßig handelte es sich um Körperverletzungen (138 Straftaten bzw. 87,4 %). 32 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 PMK-rechts und PMK-rechts-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich Der Rückgang der Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten im Berichtszeitraum ist kein Signal für Entwarnung. Die Anschläge von Kassel, Halle und Hanau belegen eindringlich, welche aktuellen Gefahren von rechtsextremistisch motivierten Gewalttätern ausgehen. Die Aufklärungsquote der Gewaltdelikte im Bereich der PMK-rechts liegt mit 111 geklärten Taten bei 70,3 % (2018: 162 Straftaten bzw. 74,7 %). Hasskriminalität durch "Rechte" Der Hasskriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, sozialen Status, physischer und/oder psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung oder aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes gerichtet sind. Die Hasskriminalität im Phänomenbereich PMK-rechts ist mit 1.319 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr gesunken (2018: 1454 Straftaten). extremIsmus In zahlen 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Deliktisch gesehen liegen die Schwerpunkte bei Volksverhetzungen (498 Straftaten), Straftaten gem. SSSS 86, 86a StGB (292 Straftaten) und Beleidigungen (256 Straftaten). Die Anzahl der Gewaltdelikte im Themenfeld Hasskriminalität ist gesunken (125 Straftaten, 2018: 164 Straftaten), Themenfelder der PKM-rechts (Mehrfachnennungen bei den Oberthemen sind möglich) Antisemitische Straftaten Die Anzahl der antisemitischen Straftaten (aller Phänomenbereiche) ist von 350 auf 315 Straftaten gefallen (Rückgang um 10,0 %). 297 Straftaten bzw. 94,3 % der antisemitischen Straftaten wurden im Jahr 2019 der PMK-rechts zugeordnet. Bei den Deliktsgruppen machten wie in den Vorjahren Volksverhetzungen (167 Straftaten), Propagandadelikte (82 Straftaten), Beleidigungen (24 Straftaten) und Sachbeschädigungen (18 Straftaten) mit 92,4 % den überwiegenden Anteil der Fallzahlen aus (2018: 91,7 %). Auch die Anzahl der antisemitischen Gewaltdelikte ist um 43,8 % gesunken (9 Straftaten, 2018: 16 Straftaten). 34 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Antisemitische Strafund Gewalttaten im 10-Jahres-Vergleich Reichsbürger/Selbstverwalter Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Auch die phänomenbezogenen Ereignisse des Jahres 2019 lassen den Schluss zu, dass das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter, seine Ideologien bzw. Denkmuster weiterhin, zum Teil öffentlichkeitswirksam, auslebt und dadurch das deutsche Rechtssystem behindert. Es kann konstatiert werden, dass ein nicht unerheblicher Personenkreis weiterhin den Standpunkt vertritt, die ideologischen Gedankenmuster, wenn nötig auch unter Gewaltanwendung, durchsetzen zu müssen. extremIsmus In zahlen 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Anzahl der Gesamtstraftaten im Zusammenhang mit Reichsbürgern/Selbstverwaltern hat 2019 im Vergleich zum Vorjahr von 64 auf 43 Taten abgenommen. Unter diesen Taten sind drei Gewaltdelikte zu verzeichnen. Alle Gewaltdelikte wurden 2019 aufgeklärt. Noch 2016 gipfelte die Gewalt seitens des Reichsbürger-/Selbstverwalter-Spektrums in einigen Fällen, zumeist im Rahmen von Exekutivmaßnahmen staatlicher Stellen, in der billigenden Inkaufnahme tödlicher Verletzungen durch die gesteigerte Bereitschaft zum Einsatz von (Schuss-)Waffen. Vergleichbare Fälle sind seit 2017 nicht bekannt geworden, so auch nicht im Berichtsjahr. Jedoch wurden auch in diesem Jahr im Zusammenhang mit Durchsuchungen (Schuss-)Waffen aufgefunden. Politisch motivierte Kriminalität-links Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK-links ist mit 1.424 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 % gestiegen (2018: 1.394 Straftaten). In 2019 konnten mit 372 Straftaten weniger Straftaten geklärt werden als im Jahr zuvor (2018: 409 Straftaten). Die Aufklärungsquote sank auf 26,1 % (2018: 29,3 %). Insgesamt wurden 482 (2018: 535) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 358 (74,3 %) männlich und 124 (25,7 %) weiblich. Die am höchsten belastete Altersgruppe war mit 88 Personen die der 25bis 29-Jährigen. Es folgte die Gruppe der 21bis 24-Jährigen mit 81 Personen. 179 Tatverdächtige (37,1 %) waren zuvor polizeilich in Erscheinung getreten (2018: 142 bzw. 26,5 %). Vorherrschende Themenfelder waren wie in den Vorjahren "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Anstieg von 488 auf 512 Straftaten), "Innenund Sicherheitspolitik" (Anstieg von 605 auf 630 Straftaten), "Ökologie/Industrie/Wirtschaft" (Rückgang von 702 auf 374 Straftaten) und "Antifaschismus" (Anstieg von 231 auf 239 Straftaten). Die Straftaten im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Rodungen im Hambacher Forst zum Braunkohletagebau haben abgenommen. In diesem Kontext wurden im Berichtszeitraum 252 Straftaten verübt, die der PMK-links zugerechnet werden (2018: 669 Straftaten). Der Anteil der Straftaten bei versammlungsrechtlichen Ereignissen am Gesamtaufkommen der PMK-links lag mit 360 von 1.424 Straftaten bzw. 25,3 % unter dem Niveau des Vorjahres (2018: 487 von 1.394 Straftaten bzw. 34,9 %). 36 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Themenfelder der PKM-links (Mehrfachnennungen bei den Oberthemen sind möglich) Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-links Die Anzahl der Gewaltdelikte durch "Linke" ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 55,3 % gesunken (200 Straftaten, 2018: 447 Straftaten). 48,5 % der Gewaltdelikte PMK-links (97 von 200 Straftaten) wurden bei demonstrativen Ereignissen verübt (2018: 243 Straftaten bzw. 54,4). Gleichzeitig ist festzustellen, dass bei Straftaten zum Teil auch schwerste Verletzungen von Menschen in Kauf genommen werden. So wurden im Zusammenhang mit der Besetzung des Hambacher Forsts Sicherheitskräfte durch die Besetzer etwa mehrfach mit Pyrotechnik beschossen und mit Brandsätzen beworfen. Im Jahr 2019 wurden 88 Gewaltdelikte aufgeklärt. Die Aufklärungsquote stieg auf 44,0 % (2018: 36,9 %). Politisch motivierte Kriminalität-ausländische Ideologie Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK-ausländische Ideologie ist mit 267 Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 56,2 % gefallen (2018: 610 Straftaten). extremIsmus In zahlen 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 PMK-links und PMK-links-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich In 2019 konnten mit 137 Straftaten weniger Straftaten geklärt werden als im Jahr zuvor (2018: 362 Straftaten). Die Aufklärungsquote fiel auf 51,3% (2018: 59,3 %). Insgesamt wurden 155 Tatverdächtige ermittelt (2018: 412). Davon waren 117 Personen bzw. 75,5 % männlich und 38 bzw. 24,5 % weiblich. 27 (17,4 %) waren zur Tatzeit zwischen 40 und 49 Jahre alt. 72 (46,5 %) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2018: 122 bzw. 29,6 %). Hauptsächliche Themenfelder waren "Krisenherde/Bürgerkriege" (Rückgang von 465 auf 217 Straftaten), "Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität" (Rückgang von 439 auf 180 Straftaten), Konfrontation/politische Einstellung" (Rückgang von 266 auf 134 Straftaten), und "Innenund Sicherheitspolitik" (Rückgang von 341 auf 125 Straftaten). 38 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-ausländische Ideologie Die Anzahl der Gewaltdelikte der PMK-ausländische Ideologie liegt bei 50 Straftaten (2018: 119 Straftaten). Mehrheitlich handelt es sich dabei um Körperverletzungen (31 Straftaten). 33 Gewaltstraftaten wurden den Unterthemen "PKK" und "Kurden" zugeordnet (2017: 89). Die Gewaltstraftaten stehen zum Großteil im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen, an denen sowohl türkische als auch kurdische Gruppen beteiligt waren. Die Aufklärungsquote bei den Gewaltdelikten der PMK-ausländische Ideologie liegt mit 34 geklärten Straftaten bei 68,0 % (2018: 70 geklärte Straftaten; 58,8 %). PMK-Ausländische Ideologie und PMK-Ausländische Ideologie-Gewalt im 10-Jahres-Vergleich Politisch motivierte Kriminalität-religiöse Ideologie Im Bereich PMK-religiöse Ideologie wurden 35 der registrierten 55 Straftaten (2018: 31 von 54 Straftaten) aufgeklärt; das entspricht einer Aufklärungsquote von 63,6 % (2018: 57,4 %). extremIsmus In zahlen 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Themenfelder der PKM-Ausländische Ideologie (Mehrfachnennungen bei den Oberthemen sind möglich) Es wurde eine Gewaltstraftat im Bereich PMK-religiöse Ideologie verzeichnet, welche dem Themenfeld "Islamismus/Fundamentalismus" zuzuordnen ist (2018: 8, davon 6 im Themenfeld). Die Zahl der 2019 registrierten Straftaten im Themenfeld "Islamismus/ Fundamentalismus" betrug 40 Straftaten (2018: 47 Straftaten). Insgesamt 37 Tatverdächtige wurden ermittelt (2018: 39): 34 Männer (91,9 %) und drei Frauen (8,1 %). PMK-religiöse Ideologie und PMK-religiöse Ideologie-Gewalt 40 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 22 Tatverdächtige (59,5%) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten (2018: 17 bzw. 43,6 %). Seit dem Fall von al-Baghuz in Ostsyrien im März 2019 verfügt der sogenannte Islamische Staat (IS) über keine territoriale Dominanz in seinem Kerngebiet mehr. Dass der sogenannte IS noch immer seine Anhänger mobilisieren kann, zeigte zum Beispiel der Terroranschlag von London am 29. November 2019, bei dem ein britischer Staatsangehöriger mit einem Messer zwei Personen tödlich verletzte, sowie die Anschlagsserie in Sri Lanka am 12. April 2019, bei der 253 Menschen durch mehrere islamistische Attentäter getötet wurden. Durch die türkische Militäroffensive in Nordsyrien und den Verlust des Herrschaftsgebiets des sogenannten IS könnten sich den in der Region inhaftierten, beziehungsweise in Gewahrsam befindlichen Islamisten/Jihadisten mit Deutschlandbezug, Möglichkeiten zur Flucht oder zur Rückkehr nach Deutschland bieten. Diese Personen stellen ein nur schwer zu bewertendes Gefährdungspotential dar. Zu ihnen gehören ebenfalls Frauen und Kinder. Eine verstärkte Rückreisetendenz nach Deutschland, insbesondere von Frauen und Kindern, ist bereits festzustellen. Gleichzeitig hat die Anziehungskraft der jihadistischen Ideologie für die hier ansässige Szene nicht nachgelassen. Vor diesem Hintergrund besteht für Nordrhein-Westfalen und die gesamte Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine anhaltend hohe abstrakte Gefahr terroristischer Anschläge international agierender jihadistischer Organisationen und gewaltbereiter islamistisch radikalisierter Einzeltäter. extremIsmus In zahlen 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Strafund Gewalttaten der PMK-Phänomenbereiche nach Deliktsgruppen 42 extremIsmus In zahlen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 PMK PMK PMK 2019 2018 2019 2018 2019 2018 0 1 0 0 0 0 o 1 0 o 4 4 7 7 0 o 0 1 0 o 0 o 3 0 31 8 0 7 9 14 1 5 1 2 2 3 1 3 0 0 0 8 Ö 0 0 0 0 0 50 119 1 8 18 29 12 30 1 9 1 20 51 58 1 5 149 94 16 7 3 4 313 156 8 27 3 6 13 14 1 5 5 2 1 4 21 64 8 3 53 64 55 197 5 1 1 0 35 7 0 o 8 6 18 26 18 16 48 26 267 610 55 54 625 413 44 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Politischer Extremismus Extremismus im digitalen Raum und Antisemitismus extremIsmus Im dIgItalen raum 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Extremismus im digitalen Raum Live-Chats, Videoplattformen, Online-Foren, soziale Medien, Messenger-Gruppen - Extremisten haben längst die Möglichkeiten von Facebook, Twitter, 4chan und ähnlichem für sich entdeckt und die Nutzung professionalisiert. Nahezu alle Extremisten sind online aktiv. Online-Netzwerke werden von Extremisten zur Meinungsmache, Propaganda und Anwerbung, zur Mobilisierung und Vernetzung genutzt. Auch die Online-Inszenierung eines Terroranschlages selbst, das Bekenntnis dazu und die dadurch auszulösende mediale Berichterstattung sind mittlerweile immanenter Bestandteil der Anschlagsplanung. Die Regeln des Netzes - Polarisierung, Propaganda und Vernetzung Nachdem mit dem Aufkommen der sozialen Medien zunächst die Hoffnung auf eine kontrollfreie und offene Netzkommunikation vorherrschte, tritt heute zunehmend Ernüchterung ein. Es wird deutlich, dass Strukturen und Regeln der Online-Medien auch Radikalisierungsprozesse innerhalb von Gesellschaften begünstigen können. Während im analogen Zeitalter fast ausschließlich professionelle Journalisten eine Art Gatekeeper-Funktion bei der Vermittlung von Informationen und Meinungen innehatten, können in der digitalen Welt sämtliche Inhalte - und eben auch Fake News und Verschwörungsmythen - scheinbar gleichberechtigt und gleichgewichtig nebeneinander auftreten. Informationen und Informationsvermittlung im Netz sind spezifischen Dynamiken unterworfen. Bereits die Struktur diverser Online-Plattformen begünstigt es, dass Falschund Fehlinformationen ungehindert verbreitet und Ängste und Hass über das Netz verstärkt werden können. So finden Skandale, Negativ-Meldung und auch Falschmeldungen eine besonders schnelle Verbreitung, indem sie häufig geklickt, geliked und geteilt werden. Ereignisse, deren Berichterstattung es ehemals lediglich in den Lokalteil einer Tageszeitung geschafft hätte, erhalten durch eine weite Verbreitung nun mitunter scheinbar bundespolitische Bedeutung. Studien auf diesem Gebiet zeigen zugleich, dass Online-Aktivitäten wie das Lesen, Teilen oder Posten in sozialen Medien zunehmen, je mehr sich eine Person am Rand des politischen Spektrums verortet. Neben diesen Eigendynamiken haben die Plattformbetreiber die Algorithmen der Programme so angelegt, dass sich möglichst viele Nutzer untereinander vernetzen und dass der einzelne Nutzer möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringt. Diese beiden 46 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Aspekte begünstigen eine Verbreitung von extremen Positionen, zumal Extremisten diesen Vernetzungsdrang (wie etwa Facebook-Freundschaftsvorschläge) für sich nutzen. Plattformen wie YouTube wiederum empfehlen automatisiert Videos, die dem vorherigen Nutzerverhalten entsprechen. Auf diese Weise entstehen polarisierte Online-Gesellschaften. Sie zeichnen sich durch sogenannte "Filterblasen" und "Echohallen" aus, in denen sich die Nutzer in ihren radikalen Ansichten ohne Gegenrede immer wieder bestätigen und bekräftigen. Diese Räume wiederum nutzen Extremisten gezielt - mitunter maskiert durch Ironie und Bilder - um eigene demokratiefeindliche Inhalte zu propagieren. Einschüchterung, Bedrohung, Terror - online und offline Neben der Verbreitung von Propaganda, der Vernetzung und der Mobilisierung durch Online-Medien nutzen Extremisten den digitalen Raum auch für persönliche Angriffe auf demokratische Akteure in Politik und Medien sowie auf Ehrenamtler. Ziel ist es einzuschüchtern, um demokratisches Engagement möglichst zu unterbinden. Auch terroristische Anschläge selbst werden als Webcontent generiert. Per Livestream wird die Tat - oft per Helmkamera - ins Internet übertragen und ein Pamphlet oder Video, in dem der Täter sein Handeln rechtfertigt, wird hochgeladen. Die mediale Reichweite des Anschlags ist dabei fundamental. Zum einen wollen die Täter Angst und Schrecken in die Gesellschaft tragen. Zum anderen ist es ein Signal an die eigene Szene, mit dem sich der Täter in einer Gesinnungstradition einordnet und um Nachahmung wirbt. Rechtsextremismus Längst ist das Internet, insbesondere die sozialen Medien, ins Zentrum des rechtsextremistischen Medienmixes gerückt. Gerade im Netz präsentieren sich Rechtsextremisten in moderner Ästhetik: Einer früher weitgehend uniformen und gewaltnahen Formensprache stehen heute Bilder gegenüber, die Coolness, Modernität und Unangepasstheit ausstrahlen. Rechtsextremisten adaptieren die Stilelemente der unterschiedlichsten zeitgenössischen Jugendkulturen, die nur noch selten unmittelbar auf den Nationalsozialismus schließen lassen. Gemeinschaft ("Kameradschaft") ist das zentrale Werbeversprechen der rechtsextremistischen Szene. Vielfältige Angebote für gemeinschaftliches Erleben sind Mittel und Gelegenheiten, das Wir-Gefühl und die politische Bindung zu festigen. Zu dieser Palette zählen Konzerte, Festivals, sogenannte Kameradschaftsabende, Demonstrationen und Kampfsportveranstaltungen. Das Internet dient nicht nur zur Inszenierung und werbewirksamen Selbstpräsentation dieser Bandbreite an Angeboten, sondern ist extremIsmus Im dIgItalen raum 47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 selbst zu einem zentralen Aktionsfeld geworden. Traditionelle Szenepublikationen, wie beispielsweise Printmedien, fallen deutlich hinter digitalen Inhalten zurück. Mediale und nicht mediale Erlebniswelten verschmelzen miteinander: Oft findet das Ereignis in erster Linie zum Zweck der medialen Verwertung statt. So organisiert beispielsweise die Identitäre Bewegung Flashmob-Aktionen, die nur wenige Minuten dauern und in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Durch die Inszenierung und die professionelle Gestaltung mit mehreren Kameraeinstellungen gewinnt die Aktion über YouTube-Videos eine Bedeutung und Reichweite, die analog nie zu erzielen wäre. Plattformen Sämtliche technischen Kommunikationsmöglichkeiten, die zugänglich sind und über die ein Kontakt zu Gleichgesinnten möglich ist, werden auch durch die rechtsextremistische Szene genutzt. Neben den klassischen Plattformen wie Facebook oder Messenger-Diensten wie WhatsApp haben zuletzt Chat-Applikationen der Gamer-Szene wie Discord-Server sowie Online-Foren und Imageboards wie 4chan an Bedeutung gewonnen. Statische Internetseiten spielen kaum noch eine Rolle. Dynamische Plattformen, allen voran soziale Medien, werden aufgrund ihrer aktiven Kommunikationsmöglichkeiten mehrheitlich bevorzugt. Die größte Bedeutung hat dabei nach wie vor Facebook, auch wenn dort Inhalte und Kommentare zunehmend gelöscht und Nutzer gesperrt werden. Für den Zweck der Verbreitung rechtsextremer Ideologien und der gegenseitigen Vernetzung ist Facebook aber aufgrund der großen Reichweite unerlässlich. Um Löschungen und Sperrungen zu entgehen, werden zwar immer wieder alternative Plattformen wie das russische soziale Medium vk.com propagiert, aber die tatsächliche Bedeutung dieser alternativen Plattformen bleibt gering. Die Anzahl der festgestellten Internetseiten, Profile - vor allem in den sozialen Netzwerken - oder Portale unterliegt einem hohen Grad an Fluktuation. Teilweise werden als Reaktion auf Sperrungen oder Löschungen innerhalb von 24 Stunden an anderer Stelle oder unter einem ähnlichen Namen neue Internetpräsenzen erstellt. Grundsätzlich sind drei Typen von virtuellen Plattformen zu unterscheiden, auf denen sich Rechtsextremisten bewegen. Erstens: Plattformen, die von Extremisten für ihre Zwecke genutzt werden und die ursprünglich für andere Zwecke entwickelt wurden. Hierzu zählen Facebook, Discord oder Telegram. Zweitens: Ultraliberale Plattformen, die vor allem Redefreiheit in den Vordergrund ihres Konzepts stellen und dadurch auch extremistische Inhalte dulden. Als Beispiele können hier "Gab.ai" oder Imageboards wie 4chan genannt werden. Drittens: Plattformen von Extremisten für Extremisten, 48 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 wie die Dating-Plattform "WhiteDate" oder das Internetforum "Nationale Revolution". Im Falle des Forums "Nationale Revolution" wurden im September 2019 die drei Administratoren des Forums zu Bewährungsstrafen und Geldbußen verurteilt. Alle drei Dating-Plattform "WhiteDate" Angeklagten stammen ursprünglich aus dem westfälischen Salzkotten und waren dort Mitglieder einer Kameradschaft. In dem Forum wurden fremdenfeindliche Beiträge und Bilder, Computerspiele ("KZ-Manager") und Lieder rechtsextremistischer Bands geteilt. Die Nutzung sozialer Medien und das Kommunikationsverhalten der rechtsextremistischen Szene verändern sich kontinuierlich. Nicht zuletzt das Online-Verhalten des Tatverdächtigen des rechtsterroristischen Anschlags in Halle im Oktober 2019 hat verdeutlicht, dass neue technische Möglichkeiten und Plattformen wie 4chan oder Krautchan an Bedeutung gewonnen haben. Derartige Imageboards sind aber grundsätzlich - auch für Sicherheitsbehörden - kein neues Phänomen, sondern prägen seit fast 20 Jahren die "Internetkultur" entscheidend mit. Auf Imageboards können zu einer Vielzahl an Themen anonym Bilder hochgeladen und endlos kommentiert werden. Es existieren keine Nutzernamen und alle Nutzer agieren als "Anonymous" oder "Anon". De facto gibt es auf diesen Plattformen keinerlei Einschränkungen, so dass Hass, Extremismus und Aufrufe zur Gewalt problemlos veröffentlicht werden können. Sowohl die Täter beziehungsweise deren Anhänger der rechtsterroristischen Taten in Christchurch (Neuseeland) im März 2019, in El Paso (USA) im August 2019 extremIsmus Im dIgItalen raum 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 und in Halle im Oktober 2019 nutzten diese Plattformen, um Bilder zu ihren Taten hochzuladen und diese zu kommentieren. In den vergangenen Jahren ist auch die Bedeutung von Online-Spielen gewachsen. Rechtsextremisten nutzen die Plattformen zur szeneinternen Kommunikation, zur Selbstdarstellung nach außen und für die Anwerbung von neuen Anhängern. Diese Entwicklung wird auch als "Gamification" der rechtsextremen Szene beschrieben. Spiele, in denen Spieler den norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik oder Adolf Hitler spielen können, haben in der Szene eine gewisse Popularität erlangt. Für rechtsextremistisch motivierte Anschläge werden teilweise Games als Blaupause genommen. Die Gewalttat wird live ins Internet übertragen und Zuschauer werden zum Nachahmen aufgefordert. Neben der Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie werden die Spiele aber auch "nur" zum individuellen Konsum genutzt. Der Anteil der rechtsextremistischen Szene, der Gaming-Plattformen gezielt nutzt, um rassistische, fremdenfeindliche und gewaltverherrlichende Äußerungen zu verbreiten und zu teilen, ist bisher noch überschaubar. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich beim Austausch unter Gleichgesinnten auf den entsprechenden Plattformen eine erhebliche Radikalisierung bis hin zur Begehung konkreter Taten vollziehen kann. Hasskriminalität und Radikalisierung Eine besondere Bedeutung kommt dem Internet im Bereich der Hasskriminalität zu. Die Palette von Inhalten erstreckt sich dabei von Volksverhetzung, Beleidigungen bis hin zu Bedrohungen und dem Aufruf zu Straftaten. Im Jahr 2019 standen vermehrt Drohungen gegenüber politischen Mandatsträgern oder Vertretern der Zivilgesellschaft im Fokus. Diese werden auch weiterhin aufgrund ihrer Haltung, insbesondere in der Flüchtlingspolitik, verbal massiv angegriffen. Auch wenn sogenannte Hasspostings nicht per se strafrechtlich relevant sind, dienen sie der Einschüchterung und können teilweise erhebliche Einschränkungen des subjektiven Sicherheitsgefühls bei den Betroffenen bewirken. Um im Netz keinen rechtsfreien Raum zuzulassen, haben sich in Nordrhein-Westfalen die Landesanstalt für Medien, das Landeskriminalamt (LKA), die Zentralund Ansprechstelle Cybercrime der Staatsanwaltschaft NRW (ZAC NRW) sowie einzelne Medienhäuser zusammengeschlossen. Unter dem Motto "Verfolgen statt nur löschen" soll hier ein Zeichen gegen Rechtslosigkeit und Rücksichtslosigkeit im Netz gesetzt werden. Bisher wurden im Rahmen der Initiative knapp 500 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 50 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Hasspostings finden sich auf nahezu allen virtuellen Kommunikationsplattformen. Von Kommentarspalten großer Nachrichtenportale und Videobotschaften auf Plattformen wie YouTube bis hin zu rechten Online-Magazinen und Internetforen. Sprachliche Entgleisungen und bewusste Tabubrüche sind dabei Werkzeuge, mit denen Rechtsextremisten agieren. Sie wirken nach innen identitätsstiftend und sollen nach außen Aufmerksamkeit generieren. Das Internet hat sich im Rechtsextremismus als Kommunikationsmöglichkeit und Mittel zur Tat für Radikalisierung, Rekrutierung und Mobilisierung etabliert. Bereits vorhandene rechtsextreme Einstellungen finden im Internet häufig Bestätigung und Verstärkung. Die Gefahr einer zunehmenden Gewaltbereitschaft wird dadurch noch gefördert. Die Anwendung von Gewalt steht selten am Anfang einer extremistischen Karriere, sondern ist das Ergebnis einer Radikalisierung, die immer häufiger auf Internetplattformen ihren Ursprung hat. Die Teilnahme und Wahrnehmung von rechtsextremistischen Inhalten ist nicht auf eine konkrete Altersgruppe beschränkt. Durch die rechtsextremistischen Inhalte wird eine breite Zielgruppe angesprochen und auf ihrem jeweiligen Niveau "abgeholt". Das heißt, es gibt Formate für "Einsteiger" und "Fortgeschrittene". Erstere werden mit eher niedrigschwelliger rechtsextremistischer Propaganda konfrontiert und allmählich in die rechtsextremistische Erlebniswelt hineingezogen. Dies geschieht nicht selten über den Konsum einschlägiger YouTube-Kanäle oder die Präsenz in bestimmten Gruppen in sozialen Medien. Die zahlreichen Gruppen in Messenger-Diensten wie Whatsapp oder Telegram werden zudem genutzt, um sich außerhalb des öffentlichen Zugriffs auszutauschen, und bieten Raum für eine allmähliche Radikalisierung. Das Internet bietet Extremisten verschiedene Vorteile. Virtuelle Propaganda ist kaum mit Kosten verbunden und schafft eine erhebliche Breitenwirksamkeit durch den großen Empfängerkreis. Zudem entsteht durch die Logik der sozialen Medien, nach der vor allem das vorgeschlagen wird, was sowieso schon gefällt, eine sogenannte Filterblase, in der Gegen-Narrative kaum bis gar nicht mehr wahrnehmbar sind. Dies kann eine Radikalisierung beschleunigen. Chatgruppen in sozialen Medien oder in Messenger-Diensten sind hier besonders hervorzuheben. Anbahnung, Kontaktaufnahme und die Konstatierung von Gruppenzielen erfolgt häufig im virtuellen Raum, noch bevor ein reales Kennverhältnis zwischen den handelnden Personen zustande kommt. Damit ist das Internet zu einem "vorstrukturellen Raum" geworden, der überregionale Bekanntschaften ermöglicht und den Zusammenschluss von Personen vereinfacht. extremIsmus Im dIgItalen raum 51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Linksextremismus Radikalisierung, Agitation und Vernetzung von Linksextremisten im Internet Für alle Phänomenbereiche des Extremismus gilt die Feststellung, dass eine isolierte Betrachtung ihrer Internetaktivitäten - also die Manifestation webbasierter Inhalte abseits der Aktivitäten in der realen Welt - wenig zielführend für die Bewertung der davon ausgehenden Radikalisierungswirkung ist. Das Wesentliche von Online-Aktivitäten offenbart sich vielmehr in ihrer Wechselwirkung mit den realen (Offline-)Aktionen, die aus Online-Aktionen folgen, wiederum im Internet dokumentiert und diskutiert werden, dann aber wieder in Offline-Aktivitäten münden. Gerade im Linksextremismus ist dieser Wechsel zwischen Internet und Realwelt, die Parallelität von Aktion und Diskurs, wichtig, denn auf diese Weise können die Akteure gleichzeitig als Mitdiskutanten, Kampagneninitiator, Bündnispartner, Gruppenmitglied, Veranstalter, Aktionsteilnehmer und Berichterstatter auftreten. Derartige Rollenwechsel unterliegen gleichwohl keinem Zwang und werden längst nicht von allen Beteiligten vollzogen. Sie bieten aber unterschiedlichste Ansatzpunkte für ein politisches Engagement. Die Diversität von realem und virtuellem Mitmachen hebt den vordergründigen Gegensatz von Sendern und Empfängern politischer Botschaften einerseits und politischem Handeln andererseits in vielen Teilen auf. Für die linksextremistische, insbesondere die linksautonome Szene liegt genau darin auch der Reiz der unterschiedlichen Plattformen im Internet. Die von Linksextremisten im frühen Stadium des Diskurses vertretenen Inhalte ähneln häufig denen des demokratischen Spektrums, gelegentlich sind sie gar kongruent. Insofern handelt es sich im Internet um offen verhandelbare Positionen, die keine verdeckten Dialoge oder Abschottung erfordern. Im Gegensatz zum Rechtsextremismus oder religiös motivierten Extremismus ist deswegen der Vorgang der Selbstradikalisierung kein hervorstechendes Merkmal des Linksextremismus. Die bloße Infragestellung einzelner Elemente der demokratischen Werteordnung selbst ist nicht per se extremistisch. Stellt sich jedoch die Überzeugung ein, der Staat, die Staatsprinzipien und/oder die Gesellschaft seien nicht mehr reformierbar und gehörten aufgelöst oder abgeschafft, ist der Nutzer anfällig für die grundlegende Systemopposition, die im Internet sowohl von kommunistischen Parteien als auch von autonomen und anarchistischen Gruppierungen präsentiert wird. Die von den Algorithmen der Suchmaschinen und sozialen Netzwerke erzeugten Filterblasen mit ihren automatisierten, personalisierten Inhaltsselektionen multiplizieren diesen Effekt in kurzer Zeit. 52 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bei der aktiven Teilhabe am Diskurs im Internet verlässt der Nutzer die Rolle eines reinen Konsumenten von Inhalten und wird zum Akteur, indem er selbst Inhalte schafft. Das Internet mit seiner vermeintlichen Anonymität und der Option unbegrenzter Avatare bietet dem Nutzer eine Auswahl verschiedenster Kanäle, um auf der Suche nach der eigenen politischen Identität unterschiedliche, dabei auch subversive und radikale Positionen einzunehmen und Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Gleichzeitig bietet das Vorhandensein lokaler Protestgruppen oder demonstrativer Anlässe attraktive Artikulationsmöglichkeiten für eine Selbstbestätigung in der realen Welt. Die Intensität der Radikalisierung steigt, je stärker die von der Internetnutzung ausgehenden Impulse die Lebenswelt der Akteure bestimmen. Je größer das Verlangen nach dem Dreiklang > der Ablehnung der kapitalistischen Durchdringung des eigenen Lebensumfeldes und der Abgrenzung vom gesellschaftlichem Mainstream, > der Hinwendung zu einem ganzheitlichen Politikverständnis linksextremistischer Prägung und Intoleranz gegenüber anderen Sichtweisen und > des Wunsches nach handlungsfähiger, kämpferischer Selbsterfahrung ist, desto größer ist Bereitschaft zur Beteiligung an radikalen, politisch motivierten Aktionen unter Einsatz von Gewalt. Die Wechselwirkung zwischen aktiver Teilhabe im Internet und der Mitwirkung in einer Szene mit radikalen Zielsetzungen begünstigt ein politisches Klima, in dem gemeinschaftlich begangene niedrigschwellige Gewalt nicht mehr als illegitime Handlung angesehen, sondern lediglich als nonkonformes Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele verharmlost wird. Die Tendenz einer allmählichen Hinwendung zu politisch motivierter Gewalt wird von Linksextremisten bei der Agitation, vor allem bei der anlassbezogenen Mobilisierung, und nicht nur im Internet genutzt. Gerade im Internet lässt sich jedoch die sprachliche Darstellung extremistischer Positionen und taktischer Handlungsoptionen beliebig verklären, um sowohl das demokratische als auch das zum bewussten Rechtsbruch bereite Spektrum anzusprechen. Diese auf Radikalisierung abzielende Agitation konnte in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit besonders gut bei der Mobilisierung zu den "Ende Gelände"-Aktionen im Rahmen des Protestes gegen den Abbau im Rheinischen Braunkohlerevier beobachtet werden. Bei den auch von Linksextremisten besetzten Themenfeldern Klimaschutz und Klimagerechtigkeit wird im Internet vermehrt zu "zivilem Ungehorsam" mit "vielfältigen" extremIsmus Im dIgItalen raum 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 und "kreativen" Aktionen aufgerufen. Die Akteure sollen ihre eigene Protestform im Rahmen eines Aktionskonsenses verwirklichen, der angeblich auf Sicherheit für alle Beteiligten setzt und sich nicht unmittelbar gegen die Polizei und Beschäftigte von Unternehmen oder Behörden richtet. Dabei gilt das Prinzip eigenverantwortlichen Handelns des Einzelnen bei gleichzeitiger Solidarität gegenüber allen Aktionsteilnehmern. In erster Linie handelt es sich bei den Aktionen um medienwirksame Besetzungen und Blockaden von Tagebauten und Infrastruktur der Kohleförderung. Mit einer Art "Rechtfertigungsgrund Klimaschutz" werden aber auch strafbewehrte Aktionsmuster eingesetzt. Dabei soll die Möglichkeit einer Strafverfolgung allein durch die schiere Teilnehmerzahl an massenhaft und gemeinschaftlich begangenen Straftaten wie Hausfriedensbruch und Nötigung, Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamte, gefährliche Eingriffe in Bahnoder Straßenverkehr bis hin zu Landfriedensbruch vereitelt werden. Die "Massenaktion" selbst soll sich auf Die Interventionistische Linke Düsseldorf teilt auf ihrem Twitter-Profil diese Weise zugleich als ein regelmäßig Inhalte zum Thema Hambacher Forst. "Aufstand der Gerechten" legitimieren. Die im "Aktionskonsens" verankerte Solidarität führt dazu, dass einzelne Handlungen situativ nicht mehr reflektiert werden; die Gewaltproblematik von Seiten der Protestteilnehmer wird auf diese Weise ausgeblendet. Dagegen tritt stets das Narrativ der von der Polizei ausgehenden Gewalt als "staatliche Repression" in den Vordergrund. So bieten im Ergebnis die maßgeblich von Linksextremisten verfassten Internetveröffentlichungen unter dem Stichwort "ziviler Ungehorsam" den kollektiven und scheinbar legitimen, höheren Zielen folgenden Rechtsbruch an, die Situation selbst verführt zum Gewalteinsatz und spielt diesen gleichzeitig als "politische Mitmachaktion" herunter. Im Nachgang wird das eigene Erlebnis in Verbindung mit der medialen Dokumentation und der zustimmenden Reflexion im Internet in den sozialen Netzwerken 54 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 zum identitätsstiftenden Ereignis und zu einem Kreislauf der Radikalisierung. Ein weiterer, die Radikalisierung begünstigender Aspekt ist die weitgehende Anonymität des Internets. Verdeckte Plattformen und kostenlose Anonymisierungswerkzeuge ermöglichen ein nahezu grenzenloses Engagement innerhalb einer vielfältigen Themenpalette. Diese Art der Vernetzung fördert abseits subkultureller und Ein Sprecher von "Ende Gelände" im Juni 2019 beim Fernsehinterview performativer Aspekte eine altersunabhängige und geschlechtsübergreifende Mitwirkung bei der gemeinsamen Interpretation der als Problem wahrgenommenen Sachverhalte. Interne Informationsweitergabe und Kommunikation ermöglichen die funktionsorientierte Planung und Vorbereitung öffentlichkeitswirksamer Aktionen, wie sie insbesondere auf den Gebieten des Antifaschismus, des Antirassismus, der Klimagerechtigkeit, der Antigentrifizierung und der Antimilitarisierung festzustellen sind. Ohne Hinweis auf konkrete Verantwortliche ist der Aufbau viraler Kampagnen möglich, die durch Ergebnisse prominenter Suchmaschinen in kürzester Zeit eine hohe Zahl interessierter Nutzer finden. Durch die Interferenz mit Verweisen von thematisch gleichgelagerten Kampagnen, die Resonanz im popkulturellen Rahmen und die "Likes" in sozialen Netzwerken vergrößert sich dieser Effekt weiter. Auf diese Weise werden auch Akteure erreicht, welche die Inhalte nicht nur virtuell, sondern auch durch aktives Mitmachen abseits des Internet unterfüttern. Unterschiedlich motivierte Personen finden reale Anknüpfungspunkte in der Bildung von Ortsgruppen und anlassbezogener Strukturen, die ihr Anliegen in zunächst sehr verschiedenen Formen behandeln, sich dann aber vernetzen und - wie beschrieben - etwa auch in koordinierten und medienwirksamen Massenaktionen präsentieren. extremIsmus Im dIgItalen raum 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Islamismus Innerhalb der extremistisch-salafistischen und jihadistischen Szene dienen die sozialen Medien in hohem Maße zur Verbreitung von Propaganda, zur Kontakt-Anbahnung und zur Kommunikation bis hin zur Anschlagssteuerung. Vor allem durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) wurden Propagandaprodukte professionell und zielgruppengerecht gestaltet, mit denen die Attraktivität und die Erfolgschancen von Radikalisierern und deren Botschaften stetig gesteigert wurden. Dies hat zu neuen Standards in der Propaganda geführt, an denen sich auch andere jihadistische Organisationen in ihrem "Output" orientieren. Durch die breit gestreute Benutzung sozialer Medien ist es extremistischen und jihadistischen Gruppierungen möglich, insbesondere junge Menschen unmittelbar anzusprechen, die diese Medien täglich nutzen. Salafistische Bestrebungen greifen das aktuelle politische Geschehen auf, interpretieren es in einem der eigenen Ideologie angepassten Sinne und verbreiten ihre klar und unmissverständlich formulierten Botschaften: Vor allem das Motiv der Rache für vermeintliches Unrecht gegen Muslime weltweit wird in Jihadistische Online-Propaganda diesem Zusammenhang zur Legitimation für jihadistische Anschläge herangezogen. Die extremistische Propaganda - auch gewaltverherrlichende bildreiche "Werbebotschaften" - verbreitet sich viral und unkontrollierbar im Netz und findet potenziell ein großes Publikum, das von den "Nachrichten" und Bildern angesprochen wird und diese selbst wieder weiter verbreitet. Darüber hinaus werden über soziale Medien Kontakte angebahnt, um Szeneanhänger zu werben und zu radikalisieren, bei Anschlagsabläufen zu instruieren und über Messenger-Dienste bei der Tat zu begleiten. So wurden die Attentäter von Würzburg und Ansbach, die im Juli 2016 zwanzig Menschen zum Teil schwer verletzten, über solche Medien angeleitet. Neben der schnellen Verbreitung extremistisch-salafistischer Ideologie dienen lnternet und soziale Medien somit als Mittel zur Radikalisierung, Rekrutierung, Kommunikation und Steuerung von Jihadisten und auch zur Planung und "Vermarktung" von 56 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Anschlägen. Facebook, WhatsApp und vor allem Telegram als "app of choice" dienten in der jüngeren Vergangenheit als Bereitsteller der Kommunikationsinfrastruktur für die extremistisch-salafistische und jihadistische Szene international und in Deutschland. Der betroffene Adressatenkreis der Botschaften im Internet ist nicht einzugrenzen. Potenziell ist jeder erreichund ansprechbar. Die jihadistische Propaganda spricht dabei mit starker Bildsprache geIslamistische Propaganda mit Popkultur-Elementen zielt den Bauch und nicht mehr nur den Kopf an: Eine vermeintliche Ausgrenzung, Demütigung und Unterdrückung der Muslime durch Staat und Gesellschaft wird propagandistisch dargestellt, um emotionale Reaktionen wie Kränkung, Abwendung von oder Wut auf die Gesellschaft zu erzeugen und so gerade junge Menschen im Sinne der extremistisch-salafistischen und jihadistischen Ideologie zu beeinflussen. Der fließende Übergang zwischen eher popkulturellen Elementen und tatsächlich extremistischer Propaganda bis hin zu einem eigenen "Lifestyle" erschwert die Abgrenzung zwischen klar erkennbarem Extremismus und Elementen einer Jugendkultur. Eigene Phrasen und Symbole sowie doppeldeutige Botschaften sind "Modeberatung" für Islamistinnen sowohl Grundlagen jugendlichen Protests als auch ideologisch motivierter Extremisten. extremIsmus Im dIgItalen raum 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Auslandsbezogener Extremismus Auch im auslandsbezogenen Extremismus dienen soziale Medien sowohl der Verbreitung von Propaganda als auch zur Mobilisierung der Anhänger bei anstehenden Aktionen. Ülkücü-Bewegung (sog. Graue Wölfe) Während sich der Dachverband Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokartik Ülkücü Türk Dernekleri Ferdasyonu - ADÜTDF) nach außen um ein gesetzeskonformes Image bemüht, werden im Internet zumindest latent Inhalte verbreitet, die geeignet sind, integrationsunwilliges Verhalten zu schüren. Neben den in Dachverbänden organisierten Vereinen existieren aber auch nicht organisierte heterogenen Strukturen, die die von der Ülkücü-Bewegung propagierten Feindbilder zum Beispiel in Hasspostings unter anderem gegen Kurden und Armenier, aber auch in antisemitischen Äußerungen, fördern. Die hieraus resultierende Emotionalisierung auf bei Seiten ist insbesondere beim Aufeinandertreffen von Ülkücü-Anhängern und PKK-Anhängern geradezu ein Nährboden für provozierte Gewaltanwendung. Rolle des Internets für die Anhänger der PKK Insbesondere die jüngere Anhängerschaft der PKK verwendet nicht nur klassische Websites zur Bekanntmachung ihrer Aktivitäten, sondern benutzt unter anderem auch Twitter oder YouTube, um beispielsweise Propagandavideos zu verbreiten oder um ihre Anhängerschaft kurzfristig zu spontanen Aktionen zu mobilisieren. Die PKK ist nach wie vor auch in Deutschland bestrebt, insbesondere jugendliche Anhänger für den bewaffneten Kampf zu rekrutieren. Die Aufrufe hierzu erfolgen in allen PKK-Medien und sollen die jugendlichen Anhänger zur Teilnahme am bewaffneten Kampf ermuntern. Mit Datum vom 7. November 2019 wurde ein durchaus technisch professionelles Rekrutierungsvideo in der kurdischen Community in Umlauf gebracht, in dem die Motivationslage einer jungen Frau beschrieben wird, die sich letztlich zum Weg in die Kampfgebiete entschließt. Zunächst ausgestrahlt durch STERK-TV in kurdischer Sprache, wurde das Video dann auch in Deutsch und Türkisch in verschiedenen Internetforen verbreitet. Was tun die Sicherheitsbehörden? Internet-Analyse, Medienkompetenz, Gegennarrative und Online-Streetwork Alle 60 Sekunden werden über 400 Stunden neues Videomaterial bei YouTube hochgeladen und über 29 Millionen Nachrichten werden über WhatsApp, über 350.000 Tweets über Twitter versendet. Über 300.000 Fotos werden auf Facebook und Instag58 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ram hochgeladen. Schon dieser kleine Einblick in die Datenflut der Online-Medien offenbart die große Herausforderung, vor der die Sicherheitsbehörden stehen: Es gilt unter den Massen an Beiträgen jene zu finden, die extremistische Inhalte beherbergen, Terror propagieren und somit die freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen. Extremisten jeglicher Spielart machen sich das Internet als Kommunikationsmöglichkeit und Mittel zur Radikalisierung, Rekrutierung und Mobilisierung zu Nutze. Neue Internetplattformen tauchen auf und gehen wieder unter, Kommunikationswege und Algorithmen ändern sich fortwährend. CAPA - das Cyber-Zentrum für Analysen, Prototyping und Internetaufklärung Der Verfassungsschutz muss mit den schnelllebigen Entwicklungen einer digitalisierten Welt Schritt halten. Er muss neue Methoden der Mobilisierung erkennen und hierauf reagieren. Hierzu ist der Verfassungsschutz aus Gründen der Geheimhaltung vor allem auf eigene Ressourcen, Kompetenzen und Technik angewiesen. CAPA - das Innovationslabor des Verfassungsschutzes - ist die Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung im politischen Extremismus und der Spionage. Zu den Aufgaben von CAPA gehören > im Rahmen des Arbeitsbereichs IT-Forensik die Auswertung von Speichermedien verschiedenster Art, > die Programmierung von Tools, Anwendungen und Lösungen für spezielle Bedarfe des Verfassungsschutzes und > Schulungen für Mitarbeiter in der Anwendung von IT-Lösungen. Im CAPA arbeiten IT-Spezialisten, die kontinuierlich weiterqualifiziert werden. Wichtig ist hier, Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen und schnell die sich daraus ergebenden notwendigen technischen Maßnahmen umzusetzen. Medienkompetenz Um das Bewusstsein für extremistische Inhalte in Online-Welten zu stärken und das Netz als einen Raum demokratischer Teilhabe zu gestalten, ist die Förderung der Medienkompetenz unerlässlich. Im Rahmen der Extremismusprävention ist deshalb die Fähigkeit zu stärken, Fake News von verbürgter Information zu unterscheiden, zum Teil sehr alte menschenfeindliche Ideologien hinter modernen Fassaden zu erkennen, sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen und kreativ und selbstbewusst eigene Inhalte und Werte im Netz zu vertreten. Ziele sind also extremistische Inszenierungen extremIsmus Im dIgItalen raum 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 zu decodieren, auch unterschwellige Propagandabotschaften in Wort und Bild offenzulegen und Appeals und Images zu hinterfragen. Medienkompetenz umfasst auch soziale und emotionale Kompetenzen, zum Beispiel die Fähigkeit, die Situation eines von rassistischer Hetze im Netz betroffenen Menschen nachzufühlen. Medienkompetenz ist nicht allein in der Jugendbildung ein wichtiges Lernziel, sondern für alle Altersgruppen. Bei Erwachsenen führt sie auch dazu, Anschluss an die Lebenswelt der Kinderund Enkel-Generation zu halten. Dies trägt zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei und auch dazu, problematische Entwicklungen bei Jugendlichen frühzeitig zu erkennen. Jugendliche und junge Erwachsene sind einerseits mit technischen und handwerklichen Fragen der digitalen Welt häufig gut vertraut, allerdings zählen sie gerade im Netz zu den wichtigsten Adressatinnen und Adressaten extremistischer Propaganda. Auf ihre Interessen und Sehgewohnheiten sind viele extremistische Inhalte im Netz zugeschnitten. Jugendliche sind durchaus in der Lage, den menschenverachtenden Charakter entsprechender Angebote zu entschlüsseln. Daher setzen bestimmte medienpädagogische Ansätze darauf, mit Jugendlichen über extremistische Online-Inszenierungen ins Gespräch zu kommen, den kritischen Blick an konkreten Beispielen zu üben und eigene Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Solche Bildungsprojekte wecken keine "schlafenden Hunde", sondern greifen ein existierendes Problem auf, um Jugendliche zu sensibilisieren und bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und anderen Formen des Extremismus zu unterstützen. Die pädagogische Beschäftigung muss didaktisch-methodisch mit Bedacht vorbereitet und sorgsam begleitet werden. Für diesen Ansatz steht beispielsweise jugendschutz. net, das gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für Jugendschutz im Internet. jugendschutz.net setzt seit Jahren auf eine Doppelstrategie: Die Stelle unterstützt einerseits jugendmedienrechtliche und strafrechtliche Maßnahmen gegen Verfasser und Verbreiter unzulässiger Inhalte, sie konzipiert andererseits präventive medienpädagogische Projekte und setzt sie um. Mit jugendschutz.net verbindet den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen eine Zusammenarbeit seit den frühen 2000er Jahren. Hierzu gehören gemeinsame Fortbildungsreihen für Fachkräfte in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, die die mediale Erlebniswelt Rechtsextremismus vor allem mit Blick auf ihre Online-Präsenzen in den Blick nahmen. Aus der gemeinsamen Arbeit ist der Band "Erlebniswelt Rechtsextremismus" entstanden, er ist 2017 in fünfter Auflage erschienen und enthält Analysen, Materialien, Methodenund Projektideen. Gegennarrative Narrative sind Erzählungen, die kollektive Identitäten einer Gruppe wiedergeben, durch sie entwickelt und nach außen repräsentiert werden. Sie wirken sinnstiftend und bie60 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ten kollektive Orientierung sowie Möglichkeiten, die Wirklichkeit in eigenem Sinne zu interpretieren. Extremistische Narrative stellen eine Gegenerzählung zur Demokratie und zu den dazugehörigen gesellschaftlichen Lebensentwürfen dar. Im Islamismus spricht beispielsweise das "Opfernarrativ" Ausgrenzungserfahrungen von Muslimen an, um eine angeblich systematische Unterdrückung der Muslime in aller Welt anzuprangern und die vermeintliche Freiheit und Geborgenheit in der extremistischen Gruppe als Gegenmodell zu glorifizieren. Gegennarrative ("Counter Narratives") sind Erzählungen, die sich in der Extremismusprävention mit spezifischen Narrativen auseinandersetzen und diese zu dekonstruieren versuchen. Daneben bieten sogenannte "alternative Narrative" die Möglichkeit, grundsätzlich für eine friedliche, tolerante und plurale Gesellschaft zu werben und die Vorzüge des Zusammenlebens in einer Demokratie sichtbar zu machen. Gegennarrative, die zum Beispiel als Videobotschaften auf Social Media-Kanälen verbreitet werden, können zunächst geeignet sein, um Grundlagen für eine Sensibilisierung über Propaganda und Strategien von Extremisten zu schaffen - zum Beispiel in der Schule. So kann eine wichtige Zielgruppe - nämlich Schülerinnen und Schüler - gezielt erreicht werden. Eine solche Maßnahme kann ein wirksamer Baustein im Rahmen einer Präventionsstrategie sein und inhaltliche Schwächen oder Widersprüche der extremistischen Propaganda aufdecken oder einen Gegenentwurf zur extremistischen Auslegung darstellen. Um erfolgreich Gegennarrative zu setzen, sollte im ersten Schritt die Zielgruppe genau geklärt werden. Erst dann können passgenaue Inhalte und Formate entstehen. Gefestigte Extremisten wird man dabei durch entsprechende Angebote nicht mehr erreichen und zum Nachdenken bringen können. Grundsätzlich können Videos ansprechend wirken, wenn sie eine abgeschlossene Geschichte erzählen und als authentisch wahrgenommen werden. Auch Humor kann ein passendes Mittel sein, um insbesondere junge Menschen zu erreichen. Um den Extremisten nicht alleine das Feld zu überlassen, sind alle zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteure gefordert, die einen Beitrag zur Gegennarrative leisten können. Der Verfassungsschutz NRW versucht über den YouTube-Kanal "Jihadi fool" und "hinter.gründlich" auf humorvolle Weise Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema zu wecken und sachlich über Islamismus zu informieren. extremIsmus Im dIgItalen raum 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Videos der Kampagne "Jihadi fool" sind neben YouTube auch bei Facebook eingestellt. Online-Streetwork Streetworker arbeiten üblicherweise an öffentlichen Plätzen wie Einkaufsvierteln, Parks oder Bahnhöfen. Jugendliche, die Hilfe brauchen, weil sie sich selbst oder andere gefährden - und die von ihrem Umfeld und sozialen Hilfeeinrichtungen nicht mehr erreicht werden - stehen im Fokus ihrer Arbeit. Die aufsuchende Sozialarbeit in den sozialen Netzwerken erfüllt dieselben Prinzipien und kann durch die Präsenz im Internet eine große Reichweite erzielen. Das landesweite Präventionsprogramm "Wegweiser - Gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus" wird im Rahmen eines erweiterten Konzeptes mit der Online-Prävention starten und durch den Austausch mit der Zielgruppe eine demokratische Debattenkultur sowie die Medienkompetenz in den sozialen Medien fördern. Ebenso wie bei der Arbeit auf der Straße sollen Hilfebedarfe erkannt und Unterstützung für 62 extremIsmus Im dIgItalen raum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ratsuchende geboten werden. Bei der Extremismus-Prävention zielt dieser Einsatz insbesondere auf das Erkennen von Radikalisierungsverläufen und die Intervention bei diesen ab. Hierzu setzt das Präventionsprogramm im Netz sehr niedrigschwellig an und holt die Zielgruppe dort ab, wo sie sich grade aufhält. Soziale Netzwerke wie zum Beispiel YouTube, Instagram, Facebook oder WhatsApp sind die neuen Leitmedien für Kinder und Jugendliche. Vor allem bei jungen Menschen spielt Social Media eine große Rolle für die Verbreitung von islamistischem Gedankengut und bei Radikalisierungsprozessen, daher lohnt sich ein präventiver Ansatz im Internet auf verschiedenen Ebenen. In erster Linie sollen Menschen erreicht werden, die sich unbedarft oder undifferenziert mit extremistischer Propaganda, Fake News und menschenverachtender Hetze beschäftigen oder daran beteiligen. Hier ist das Wegleiten von gewaltverherrlichenden und ideologisierenden Inhalten noch wahrscheinlich. Aber auch bereits radikalisierten Personen soll die Möglichkeit geboten werden, sich mit alternativen Angeboten auseinanderzusetzen und die eigenen Einstellungen und Meinungen zu reflektieren. Durch die direkte, offene Interaktion mit der Zielgruppe in den sozialen Medien sowie dem Aufzeigen hilfreicher Inhalte und Informationsund Beratungsangebote im Netz soll ein Gegenpol zu den Onlineauftritten extremistischer Einzelpersonen oder Organisationen gebildet werden. Mit Hilfe von Erklärungen und Fragen, zum Beispiel in den Kommentarspalten von Facebook oder YouTube, wird der direkte Dialog mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt. Hierzu sind für die Online-Streetworker neben einem niedrigschwelligen Zugang zur Zielgruppe auch Kenntnisse zu Religionen, Organisationen, Gruppierungen und den unterschiedlichen Phänomenbereichen nötig. Die Online-Streetworker werden sorgfältig auf ihre Aufgabe vorbereitet und geschult. Bei der Suche nach Antworten soll dann im Netz idealerweise eine sorgfältig recherchierte Informationsquelle verfügbar sein und keine radikalislamische Propaganda. Die umfangreiche, webbasierte Programmerweiterung des Wegweiser-Programmes ist für das Jahr 2020 geplant. extremIsmus Im dIgItalen raum 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 64 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Rechtsextremismus rechtsextremIsmus 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Der Rechtsextremismus zeichnet sich durch eine hohe Dynamik aus, die im Wesentlichen durch drei Entwicklungsstränge geprägt ist. Radikalisierung Die Radikalisierung schlägt sich im unverhohlenen Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus nieder. Zudem diskutieren Rechtsextremisten die derzeitige politische Situation in Endzeitund Bürgerkriegsszenarien und folgern daraus zum Teil, sich auf diese Auseinandersetzung vorbereiten zu müssen. Das permanente Wiederholen von Feindbildern sowie das rassistische Zuspitzen von gesellschaftlichen Konflikten liefert einigen Rechtsextremisten eine vermeintliche Rechtfertigung für Gewalttaten. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019 und der Anschlag am 9. Oktober 2019 auf die Synagoge in Halle zeigen, dass sich in diesem ideologischen Umfeld rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln können. Entgrenzung Ein anderer Teil des Rechtsextremismus versucht die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen, fremdenfeindliche und autoritäre Argumente im politischen Diskurs zu "normalisieren" und damit anschlussfähig für breitere Teile der Gesellschaft zu werden. Man möchte den Rechtsextremismus entgrenzen. Diese Strategie ist insofern erfolgreich, als mit dem Flügel ein diese Strategie anwendender Personenzusammenschluss die AfD rechtsextremistisch beeinflusst. Zudem führt in mehreren Städten in Nordrhein-Westfalen eine rechtsextremistisch beeinflusste Mischszene regelmäßig Versammlungen durch. Diese setzte sich aus Angehörigen der Hooliganund Rockerszene, mutmaßlichen "Wutbürgern" und offenkundigen Rechtsextremisten zusammen. Virtualisierung Der durch das Internet hervorgerufene Strukturwandel der Öffentlichkeit wird vom Rechtsextremismus intensiv genutzt, in dem er die virtuellen Möglichkeiten zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung sowie zur Vernetzung und Organisation 66 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 nutzt. Eine besondere Brisanz entfaltet diese Entwicklung dadurch, dass sie bei einigen Rechtsextremisten als Radikalisierungsmaschine wirkt. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y rechtsextremIsmus 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Rechtsextremistisch geprägte Mischszene Die öffentlichen Diskussionen der letzten Jahre über Migrationsund Fluchtbewegungen nährten in der rechtsextremistischen Szene die Hoffnung, Menschen für die eigenen Ziele gewinnen zu können. Festzustellen ist, dass fremdenund islamfeindliche Agitationsmuster auch außerhalb des organisierten Rechtsextremismus an Zuspruch gewonnen haben. Dies zeigte sich bereits 2014, als die Formation "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) entstand, bei der Hooligans mit Rechtsextremisten zusammenwirkten. Auch wenn die Hooligans sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen wollten, vernetzten sie sich deutschlandweit mit Rechtsextremisten und mobilisierten zu Veranstaltungen an zentralen städtischen Orten, um öffentliche Resonanz zu erzielen. Die verbindende Klammer zwischen Hooligans und Rechtsextremisten waren eine gewaltbereite Erlebnisorientierung sowie Islamfeindlichkeit. Darüber hinaus gab es seit 2015 auch in mehreren nordrhein-westfälischen Städten Veranstaltungen, die sich an "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) in Dresden orientierten. An diesen beteiligten sich neben Rechtsextremisten ebenfalls Hooligans und Personen, die man als "Wutbürger" charakterisieren kann. Der inhaltliche Schwerpunkt der Versammlungen lag auf der Flüchtlingspolitik. Dabei variierten die Positionen zwischen einer Kritik an der Migrationsund Asylpolitik der Bundesregierung und rechtsextremistischer Agitation. Zudem wird unter anderem versucht, durch bürgerwehrähnlich-uniformes Auftreten einzuschüchtern und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit zu suggerieren, der Staat komme seiner Schutzfunktion gegenüber dem Bürger nicht nach. Seit 2017 tritt in Nordrhein-Westfalen vermehrt eine Mischszene auf, die an HoGeSa und PEGIDA anknüpft. Sie setzt sich aus organisierten Rechtsextremisten, Angehörigen der Hooliganund Rockerszene sowie sogenannten "Wutbürgern" zusammen und agiert gemeinsam im öffentlichen Raum bei Versammlungen. Das verbindende Element bilden dabei Fremdenund Islamfeindlichkeit sowie das behauptete Versagen des Staates gegenüber der vermeintlichen Kriminalität von Migranten.Inzwischen haben sich in NRW mehrere Gruppierungen herausgebildet und treten in der Öffentlichkeit oftmals mit einem einheitlichen Erscheinungsbild durch gleichartige Kleidung auf. Zu diesen Gruppierungen zählen insbesondere die "First Class Crew - Steeler Jungs" (Essen), die "Bruderschaft Deutschland" (Düsseldorf), 68 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 "Mönchengladbach steht auf", "Begleitschutz Köln eV." (auch "Internationale Kölsche Mitte") und "Besorgte Bürger Herne" (auch "Bruderschaft Herne", "Bruderschaft Ruhrpott" oder "Stark für Herne"). Die Gruppierungen sind miteinander vernetzt und unterstützen sich gegenseitig bei Versammlungen. Darüber hinaus bestehen auch bundesweite Verbindungen. So hat sich von der "Bruderschaft Deutschland" ein süddeutscher Ableger unter dem Namen "Bruderschaft Deutschland Süd" gebildet. Angehörige der Mischszene nahmen an überregionalen Versammlungen teil. So am 29. September 2019 in Hamburg und am 3. Oktober 2019 in Berlin, an denen auch Mitglieder der mutmaßlich rechtsterroristischen "Gruppe S." teilnahmen. Einzelne Mitglieder der rechtsextremistisch geprägten Mischszene haben Kontakte zu einzelnen Beschuldigten der "Gruppe S." gepflegt. First Class Crew - Steeler Jungs (FCC) Seit April 2018 führt die Gruppierung First Class Crew - Steeler Jungs (FCC) regelmäßig an Donnerstagen sogenannte "Stadtspaziergänge" im Essener Stadtteil Steele durch. Dabei tragen die Mitglieder meist schwarze Kleidung mit dem Schriftzug "FCC Steeler Jungs" in Frakturschrift. Die Teilnehmerzahl bei den "Spaziergängern" variiert meist zwischen 50 bis zu 100 Personen. Dabei beteiligten sich auch einige Frauen und Kinder aus dem mutmaßlichen familiären Umfeld der Mitglieder. Die als "Versammlungen" bewerteten "Spaziergänge" der FCC werden regelmäßig durch Polizeikräfte begleitet. Der Koordinator der "Spaziergänge" kommt, wie die Mehrheit der Teilnehmer, aus dem Hooliganund Rockermilieu. Einzelne Mitglieder weisen rechtsextremistische Bezüge auf, einige Mitglieder haben eine Migrationsbiografie. Neben den Ein Teilnehmer eines sogenannten "Stadtspaziergangs" trägt ein T-Shirt mit dem Schriftzug der Steeler Jungs. Steeler Jungs haben sich in anderechtsextremIsmus 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ren Essener Ortsteilen mit den Huttroper Jungs und den Borbecker Jungs ähnliche Zusammenschlüsse beziehungsweise Untergruppierungen gebildet. Diese haben auf sich aufmerksam gemacht, indem sie durch einheitliche Bekleidung, die an die der Steeler Jungs angeglichen wurde, auffielen. Es bestehen Bezüge zum Rechtsextremismus: In der Gaststätte, die der Treffpunkt der Gruppierung ist, trat 2019 die rechtsextremistische Band Kategorie C auf, die ein Bindeglied zwischen rechtsextremistischer und Hooliganszene darstellt. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte die Gruppierung, als sie sich in den Karnevalsumzug 2019 in Essen-Freisenbruch mit einem eigenen Wagen einschleuste. Wagen und Kleidung waren in der von Rechtsextremisten favorisierten Farbkombination schwarz-weiß-rot gehalten; auf der Rückseite des Wagens war eine Faust abgebildet, die eine Zecke zerdrückt und der Spruch "Schützt euch vor den Zecken - Helau...die Steeler Jecken". Als "Zecken" werden in der rechtsextremen Szene Personen aus dem linken politischen Spektrum bezeichnet und damit abgewertet und beleidigt. Bruderschaft Deutschland Die Bruderschaft Deutschland hat sich aus der rechtsorientierten Mischszene in Düsseldorf-Garath in den 1980er-Jahre gebildet. Hinzu gekommen sind jüngere Personen aus dem Stadtteil. Rund 50 Personen können als Angehörige der Bruderschaft Düsseldorf zugeordnet werden. Ende 2019 wurde als Unterorganisation die Schwesternschaft Deutschland gegründet, um auch Frauen in die Organisation einzubinden. Die Bruderschaft Deutschland führte in den vergangenen Jahren mehrere von ihr so benannte "Spaziergänge" in Düsseldorf durch. 70 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Bruderschaft Deutschland ist 2017 erstmalig mit T-Shirts mit der Aufschrift "Treue Blut & Ehre" (sic!) in Düsseldorf-Garath aufgetreten. Diese Aufschrift stellt eine Mischung aus zwei im Nationalsozialismus verbreiteten Slogans dar. "Meine Ehre heißt Treue" war der Wahlspruch der SS. Die Begriffskombination "Blut und Ehre" verwendeten die Nationalsozialisten in verschiedenen Zusammenhängen. Insbesondere benutzte es die Hitlerjugend. Die im Jahr 2000 verbotene rechtsextremistische Organisation Blood & Honour benannte sich nach der englischen Übersetzung des Begriffspaares. Die Verwendung der nationalsozialistischen Parolen ist strafbar. Zudem war auf der rechten Brustseite der T-Shirts ein Reichsadler abgedruckt, der auf einem Siegerkranz stand. Während im Nationalsozialismus ein Hakenkreuz in dem Kranz abgebildet war, fand sich in der Version der Bruderschaft Deutschland an dieser Stelle die Zahl 18. Diese gilt in der rechtsextremistischen Szene als Code für Adolf Hitler, weil der erste und der achte Buchstabe des Alphabets die Initialen Hitlers sind. Mit einem von der Bruderschaft Deutschland präsentierten Banner, auf dem es heißt "unser Blut für Familie, Volk und Vaterland", verdeutlicht die Gruppierung ihr kämpferisches Selbstverständnis. Ebenfalls verweist es auf die ideologischen Bezüge. Denn die Losung für "Familie, Volk und Vaterland" findet sich beispielsweise in "Grundsätze und organisatorische Richtlinien der Nationalsozialistischen Frauenschaft" und wird heute regelmäßig von der NPD propagandistisch verwendet. In den Jahren 2017 und 2018 führte die Bruderschaft Deutschland mehrere sogenannte "Spaziergänge" in Düsseldorf durch, in denen sie bürgerwehrähnlich durch den Stadtteil patrouillierten. Unter anderem wegen der engmaschigen Begleitung der Polizei setzten sie diese Aktionsform 2019 nicht fort. Seit Anfang des Jahres 2018 ist die Bruderschaft Deutschland bei verschiedenen Veranstaltungen in Düsseldorf, Berlin, Dortmund, Essen, Köln, Mönchengladbach und Solingen in Erscheinung getreten. Beispielsweise nahm die Führungsriege mit ein paar weiteren Mitgliedern an der neonazistischen Demonstration "Europa erwache" am 14. April 2018 in Dortmund teil, die von der Partei Die Rechte veranstaltet wurde. Ein Teil der Bruderschaft Deutschland beteiligte sich am 20. September 2018 an einer Gedenkveranstaltung in Mönchengladbach für den durch Suizid verstorbenen Marcel K. Der aus Bremen stammende Verstorbene war sowohl in der rechtsextremistischen als auch in der Hooliganszene aktiv und unterhielt Kontakte nach Nordrhein-Westfalen. Die Bruderschaft Deutschland zeichnet sich durch eine aggressive Selbstdarstellung aus. So hat sich die Gruppierung eine Faust als Logo ausgewählt. Zudem präsentierten sie ein Banner mit dem Spruch "Anti-Antifa". "Anti-Antifa" ist ein Konzept der Neonaziszene zur Bekämpfung des politischen Gegners. Dies beinhaltet die Erfassung und rechtsextremIsmus 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Veröffentlichung von persönlichen Daten über Menschen, die von Rechtsextremisten als Feinde ausgemacht wurden. Mit der Veröffentlichung sollen diese mindestens eingeschüchtert werden. Implizit rufen die Rechtsextremisten damit aber auch zu gewalttätigen Aktionen gegen den politischen Gegner auf. Dass das hinter dem Slogan stehende Konzept durchaus auch handlungsleitend für die Bruderschaft Deutschland ist, zeigen mehrere aggressive Aktionen. Anlässlich der Kundgebung "Gegen den Migrationspakt" vor dem Düsseldorfer Landtag am 17. November 2018 griff eine Führungsperson der Gruppierung einen Gegendemonstranten an. Dafür verurteilte ihn das Amtsgericht Düsseldorf wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe. Im Juni 2019 versammelte sich ein Teil der Gruppe am Haus einer Düsseldorfer Lokalpolitikerin der Partei DIE LINKE. Als die Frau drohte, die Polizei zu rufen, beschimpfte sie ein Mitglied der Bruderschaft Deutschland massiv. Aufgrund dessen verurteilte ihn das Amtsgericht Düsseldorf wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Nachdem im Sommer 2019 ein großes Freibad in Düsseldorf dreimal nach Tumulten geschlossen wurde, an denen mutmaßlich Flüchtlinge beteiligt waren, wollte am 4. August 2019 eine Gruppe von rund 50 Männern unter maßgeblicher Beteiligung der Bruderschaft Deutschland Zutritt zum Schwimmbad erlangen. Nach eigenen Angaben beabsichtigten sie, dort aufzupassen, damit alles ruhig bleibt. Nachdem die Ordnungskräfte des Freibades die Gruppe nicht einließen und die Polizei verständigten, verließ die Gruppe die Örtlichkeit. Mit der Aktion wollte die Gruppierung ein Zeichen setzen. Sie suggeriert, dass Migranten eine Bedrohung seien und der Staat nicht für die Sicherheit der Bürger sorge, weshalb man nun selbst im Sinne einer Bürgerwehr aktiv werde. Mönchengladbach steht auf Mönchengladbach steht auf wurde am 19. September 2018 von Dominik Roeseler als eingetragener Verein gegründet. Bereits seit 2015 führt die Gruppierung Versammlungen durch, in denen insbesondere Migranten verächtlich gemacht werden. Roeseler war bis Mitte der 2010er Jahre bei der mittlerweile aufgelösten rechtsextremistischen Partei Pro NRW engagiert und hat seit der Kommunalwahl 2014 ein Mandat im Rat der Stadt Mönchengladbach. Zudem trat er in der Vergangenheit als Redner bei diversen PEGIDA-Versammlungen auf und beteiligte sich in führender Funktion an den HoGeSa-Versammlungen. Er nimmt mittlerweile eine Scharnierfunktion zwischen der rechtsextremistischen Szene und rechtsorientieren Hooligans ein. Zu der Gruppierung zählen überwiegend Personen aus der Hooliganszene. Einzelne Mitglieder von Mönchengladbach steht auf sind bei Demonstrationen der "Gelben Westen" festgestellt worden. Über Roeseler pflegt die Gruppierung Kontakte zu sämtlichen 72 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Gruppierungen der Mischszene und bemüht sich seit längerem um eine Vernetzung der entsprechenden Gruppierungen. In unregelmäßigen Abständen organisiert Mönchengladbach steht auf Versammlungen, zu denen sie überregional mobilisiert. Begleitschutz e.V. / Internationale Kölsche Mitte Die Gruppierung trat zunächst als Begleitschutz e.V. auf, benannte sich aber in Internationale Kölsche Mitte um. Vermutlich geschah dies auch, um Kritik abzuwehren, die Gruppierung sei rechtsextremistisch. Im September 2019 gab die Führungsperson an, dass Begleitschutz e.V. und Internationale Kölsche Mitte angeblich nun getrennt seien. Die erstere sei ein Verein, die andere eine politische Gruppierung. Zu der Gruppierung zählen Personen aus der Rocker-, Türsteherund Hooliganszene. Hinzu kommen einzelne Personen mit rechtsextremistischen Bezügen. Diese weisen beispielsweise rechtsextremistische Tätowierungen auf, nahmen an rechtsextremistischen Versammlungen teil oder zeigten in der Öffentlichkeit den Hitlergruß. Mehrfach hat die Gruppierung in Köln 2017 und 2018 Versammlungen durchgeführt, an denen bis zu 150 Personen teilnahmen. 2019 fanden keine von der Gruppierung angemeldeten Versammlungen mehr statt. Allerdings beteiligten sich einige Angehörige an Versammlungen der Mischszene in anderen Städten wie zum Beispiel in Mönchengladbach. Außerdem bietet der Verein angeblich gegen Honorar einen einfachen "Personenschutz" durch Begleitung beziehungsweise Präsenz an. Hierbei wird die Behauptung verbreitet, dass durch den Zuzug der Flüchtlinge die Sicherheit der Bürger nicht mehr gewährleistet sei. Besorgte Bürger Herne Nach dem Vorbild der Steeler Jungs führte eine Gruppe unter der Bezeichnung Besorgte Bürger seit August 2019 "Spaziergänge" in Herne durch. Die Teilnehmerzahlen steigerten sich von 35 bis auf rund 140 Personen. Hauptsächlich stammen die Teilnehmer aus der Hooliganszene von Westfalia Herne. Rund ein Drittel der rund 30 Personen umfassenden Kerngruppe besitzt rechtsextremistische Bezüge. Beispielsweise nahmen circa zehn Personen am neonazistischen "Schild und Schwert Festival" in Ostritz im Juni 2019 teil. Darüber hinaus ist bereits circa die Hälfte der Kerngruppe strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am Aufzug am 27. August 2019 beteiligten sich unter anderem Rechtsextremisten der Partei Die Rechte und der Identitären Bewegung. Angehörige der Besorgten Bürger Herne beteiligten sich an der Versammlung am 8. September 2019 in Mönchengladbach in T-Shirts mit dem Aufdruck "Bruderschaft Ruhrpott". Angekündigt war eine "Bruderschaft Herne". Es wird davon ausgegangen, dass es sich um dieselbe Gruppierung handelt. rechtsextremIsmus 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Versammlungen Neben den regelmäßigen "Spaziergängen" schafft es die Mischszene immer wieder, eine dreistellige Zahl an Personen für Versammlungen zu mobilisieren. Der Verein Mönchengladbach steht auf führte am 2. Juni 2019 eine Versammlung in Mönchengladbach durch, bei der man ursprünglich vor einer Moschee ein Spanferkelgrillen veranstalten und Mohammed-Karikaturen zeigen wollte. Nach Kooperationsgesprächen mit der Versammlungsbehörde wurde ein anderer Veranstaltungsort in Mönchengladbach vereinbart. Es beteiligten sich rund 260 Personen aus der Mischszene an der Versammlung. In der Woche vor der Veranstaltung wurde auf dem Gelände der besagten Moschee ein Schweinekopf gefunden. Mit dieser Aktion wollten die Täter Muslime beleidigen und provozieren. An einem Nebengebäude befanden sich Hakenkreuzschmierereien. Auf der Demonstration verbreitete der Versammlungsleiter islamfeindliche Propaganda und schürte Angst vor Muslimen: "Überall werden Moscheen gebaut, überall entstehen diese Hasstempel, überall wird gepredigt, dass die irgendwann das Land übernehmen werden." Am 1. August 2019 fand der wöchentliche Spaziergang der Steeler Jungs unter dem Motto "Trauerzug für den getöteten 8jährigen Jungen aus Frankfurt" statt. Daran nahmen circa 340 Personen teil. Neben Angehörigen der Mischszene befanden sich darunter auch Rechtsextremisten von Die Rechte und der NPD. Eine weitere Versammlung organisierte Mönchengladbach steht auf am 8. September 2019 in Mönchengladbach. Das ursprüngliche Motto, mit dem Migranten pauschal negativ dargestellt werden sollten, lautete "Fremde Täter! Einheimische Opfer! Stoppt die Gewalt". Später änderten die Anmelder das Motto. Nach vorliegenden Erkenntnissen wurde die Veranstaltung von 23 Gruppierungen unterstützt, in denen sich vor allem solche der Mischszene wiederfinden. Darüber hinaus haben Angehörige von verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen teilgenommen. Dazu zählen unter anderem Die Rechte, die NPD und die Volksgemeinschaft Niederrhein. Insgesamt nahmen rund 700 Personen an der Versammlung teil. Ein männlicher Redner vom "Frauenbündnis Kandel" bestritt die Legitimität des gegenwärtigen politischen Systems und rief zum Widerstand auf, wobei er sich ausdrücklich nicht auf friedliche Widerstandsformen beschränkte: "Es gibt viele Möglichkeiten des Widerstandes und mittlerweile ist jede erdenkliche Form, die wir gewählt haben oder noch wählen werden, von der Verfassung und vom gesunden Menschenverstand rechtlich und moralisch abgedeckt." 74 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Teilnehmer der Demonstration von Mönchengladbach steht auf am 8. September 2019 Aus Anlass der vom rechtsextremistischen Verein Wir für Deutschland e.V. organisierten Demonstration in Berlin am 3. Oktober 2019 unter dem Motto "2. Tag der Nation" reiste eine über 60-köpfige Reisegruppe aus der Mischszene Nordrhein-Westfalens an. Dazu zählten Mitglieder der Steeler Jungs, der Bruderschaft Deutschland, von Mönchengladbach steht auf und Stark für Herne. Insgesamt nahmen rund 1.700 Personen an der Versammlung teil. Die Mitglieder der Bruderschaft Deutschland stachen beim Demonstrationszug dadurch hervor, dass sie in Richtung von Gegendemonstranten skandierten "Wenn wir wollen, schlagen wir Euch tot." Zum Volkstrauertag am 17. November 2019 veranstaltete PEGIDA NRW und "NRW stellt sich quer" eine Demonstration in Duisburg. 18 Gruppierungen, die überwiegend schon bei der Versammlung im September in Mönchengladbach dabei waren, unterstützten nun die Organisatoren in Duisburg. Dazu zählten die Bruderschaft Deutschland, Mönchengladbach steht auf, Bruderschaft Herne (= "Stark für Herne") und Internationale Kölsche Mitte. Trotz der Vielzahl an Unterstützergruppen nahmen nur 270 Personen teil. Als Redner trat unter anderem Andre Poggenburg auf, ehemaliger Landesvorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, der nach einer fremdenfeindlichen Rede die Partei verließ. In Duisburg agitierte er im Sinne einer völkischen Blut-und-Boden-Ideologie gegen Muslime: "Bei uns in Ostund Mitteldeutschland sagt man ja, dass man einen Ausflug ins Kalifat macht, wenn man westdeutsche Länder besucht. Und einige sagen auch bei uns in Ostund Mitteldeutschland, dass Westdeutschland schon lange verrechtsextremIsmus 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 loren ist. Aber dem schließe ich mich nicht an. Denn jeder Meter deutschen Bodens muss verteidigt werden." Auf die Veröffentlichung eines satirischen Videos des WDR, in dem ein Kinderchor des Senders unter anderem die Zeile "Unsere Oma ist ne alte Umweltsau" singt, reagierte die rechtsextremistische Szene umgehend mit zahlreichen Kommentaren im Netz. Darüber hinaus skandalisierten am 28. Dezember 2019 mehrere reichweitenstarke rechtsextremistische YouTuber wie der Führungsakteur der Identitären Bewegung, Martin Sellner, das Video. Dabei wurde erneut deutlich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter dem Stichwort "Lügenpresse" ein Feindbild der Szene darstellt. Kurzfristig wurde eine Versammlung vor dem WDR für den 29. Dezember 2019 in Köln angemeldet. Ein öffentlicher Aufruf zur Teilnahme stammte von der Gruppierung Mönchengladbach steht auf. An der rechtsextremistisch beeinflussten Protestveranstaltung mit rund 150 Teilnehmern nahmen Angehörige der Bruderschaft Deutschland und von Mönchengladbach steht auf sowie Vertreter von PEGIDA NRW teil. Martin Sellner, Führungsakteur der Identitären Bewegung, äußert sich auf seinem YouTube-Kanal zu einem satirischen Video des WDR-Kinderchors. 76 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Diskussion um Migration und Flüchtlingsbewegung sind mehrere Gruppierungen entstanden, die sich aus einer Mischung aus Rechtsextremisten, Angehörigen der Hooliganund Rockerszene sowie sogenannten "Wutbürgern" zusammensetzen. Diese Mischszene schafft es immer wieder, eine mittlere dreistellige Zahl an Personen auf die Straße zu bringen. Dabei handelt es sich aber häufig nicht nur um ein ähnliches Milieu sondern teilweise auch um identische Personen, die an den verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen. Diese gegenseitige Unterstützung lässt das Bild einer größeren Bewegung entstehen. Es ist zu erwarten, dass sich dieses Milieu wiederkehrend motivieren lässt, gemeinsam auch in größerer Zahl an Veranstaltungen teilzunehmen, sobald es einen vermeintlichen oder tatsächlichen verbindenden Anlass gibt. Hierzu zählen medial bekanntgewordene Straftaten von Flüchtlingen oder andere Themen mit vermeintlichem Skandalisierungspotenzial. Rechtsextremisten wird durch die Veranstaltungen die Gelegenheit geboten, ihre demokratieund fremdenfeindlichen Positionen außerhalb der eigenen Szene zu verbreiten. Zudem zeigen Hooligans, Rocker und "Wutbürger", dass sie eine Abgrenzung vom Rechtsextremismus als irrelevant oder gar als falsch ansehen. Insofern sind diese Mischszenen erstens ein Symptom für die Entgrenzung des Rechtsextremismus der letzten fünf Jahre. Zweitens setzt sich hier eine Politisierung einer gewaltaffinen Szene fort, die bereits mit HoGeSa im Jahr 2014 einsetzte. rechtsextremIsmus 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Rechtsterrorismus Im Jahr 2019 verzeichnen die Sicherheitsbehörden eine Zunahme rechtsterroristischer Aktivitäten in Deutschland - aber auch weltweit. Bei Rechtsterrorismus handelt es sich um schwerwiegende rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte, die im Rahmen eines nachhaltig geführten Kampfes durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen planmäßig begangen werden. Mordanschläge und schwere staatsgefährdende Straftaten Zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzten insbesondere Rechtsextremisten die Diskussion über den Flüchtlingszuzug seit dem Jahr 2015. In diesem Zuge hat sich ein Teil der Szene radikalisiert, was sich auch in schweren Straftaten niederschlägt. So wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 der Kasseler Regierungspräsident, Dr. Walter Lübcke, durch einen Kopfschuss getötet. Am 15. Juni 2019 wurde der mutmaßliche Täter Stephan E. festgenommen. Dieser war in früheren Jahren in der rechtsextremistischen Szene in Hessen aktiv und auch an einer Demonstration der rechten Szene in Dortmund am 1. Mai 2009 beteiligt. Der Generalbundesanwalt geht davon aus, dass die Tat rechtsextremistisch motiviert war. Regierungspräsident Lübcke hatte sich in der Vergangenheit gegen flüchtlingsfeindliche Aussagen positioniert und war somit zum Feindbild einiger Rechtsextremisten geworden. Anhaltspunkte dafür, dass dies auch Stephan E. zur Tat motivierte, liegen vor. Ebenfalls ermittelt der Generalbundesanwalt gegen zwei weitere Beschuldigte. So steht Elmar J. aus Ostwestfalen im Verdacht, dem mutmaßlichen Täter die Tatwaffe verkauft zu haben, wobei es bislang keine belastbaren Hinweise darauf gibt, dass Elmar J. in die Anschlagspläne eingeweiht war. Der Kontakt zwischen den beiden soll wiederum durch den Kasseler Rechtsextremisten Markus H. hergestellt worden sein. Der Mord an Walter Lübcke stellt eine weitere Steigerung der Entwicklung von rechtsextremistisch motivierten Bedrohungen und Übergriffen auf Politiker im Kontext der Flüchtlingsdiskussion dar. Bereits im Oktober 2015 griff ein Rechtsextremist die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker mit einem Messer an und verletzte sie schwer. Mit dem Attentat wollte der Täter ein Zeichen gegen die seiner Auffassung nach falsche Flüchtlingspolitik setzen. Am 27. November 2017 wurde Dr. Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena, in einem Imbiss mit einem Messer attackiert und am Hals verletzt. Die Betreiber des Imbisses griffen ein und entwaffneten 78 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 den Angreifer. Der Täter äußerte bei seiner Tat, dass er die Flüchtlingspolitik des Kommunalpolitikers ablehne. Dieser Entwicklung haben rechtsextremistische Führungspersonen Vorschub geleistet. So schrieb der damalige NRW-Landesvorsitzende der Partei Die Rechte in seinem Blog im September 2015 folgenden Appell an die Szene: "Dem Widerstand bleibt in dieser Situation gar keine andere Möglichkeit als sich zu radikalisieren, weil man dem Volk alle anderen Wege des Widerstands genommen hat. [...] Währenddessen laufen die Politiker, die für all das die Verantwortung tragen, ohne Polizeischutz durch die Straßen und machen unbehelligt weiter wie bisher ...". Der mutmaßliche Täter des Lübcke-Attentats Stephan E. bei seiner Festnahme am 15. Juni 2019 Neben Politikerinnen und Politikern sind weiterhin Jüdinnen und Juden ein Feindbild von Rechtsextremisten. So verübte Stephan B. am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf eine Synagoge in Halle. Dazu wählte er bewusst den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, an dem sich 51 Personen vor Ort zum Gebet versammelt hatten. Er versuchte sich Zutritt zur Synagoge zu verschaffen, um möglichst viele Mitglieder der Gemeinde zu töten. Als dem Täter dies nicht gelang, erschoss er eine zufällig anwesende Passantin und entschied sich über den misslungenen Anschlag frustriert die Synagoge zu verlassen und Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Dazu suchte er einen rechtsextremIsmus 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Döner-Imbiss als zweiten Anschlagsort aus und erschoss einen Kunden. Stephan B. filmte das vollständige Tatgeschehen mit einer kompakten Kamera und verbreitete die Aufnahmen auf direktem Wege mittels eines Live-Streams im Internet. In einem kurz vor der Tat veröffentlichten Manifest verdeutlichte der Täter seine rechtsextremistische Weltsicht, die insbesondere durch einen menschenverachtenden Antisemitismus geprägt ist. Der Anschlag in Halle ist in mehrerer Hinsicht ein Novum in Deutschland: Erstens ist der Stil des Manifests ungewöhnlich, da der Täter seine Tötungsabsichten als einen vermeintlichen Spielplan mit sogenannten "Achievements" vorstellt, die es wie bei Computerspielen zu erreichen gilt. So lautete ein solches Ziel beispielsweise "Burn down a synagogue." Zweitens scheint der Täter sich - nach bisherigen Erkenntnissen - ausschließlich im Internet radikalisiert zu haben. Ungewöhnlich ist dabei, dass er mutmaßlich schwerpunktmäßig englischsprachige Imageboards besuchte. Die Veröffentlichung des Manifests auf Englisch und die KomEinschusslöcher in der Tür zur Synagoge in Halle mentierung des Livestreams durch den Attentäter in englischer Sprache deuten darauf hin, dass er seine Tat einem internationalen Publikum präsentieren wollte. Drittens orientierte er sich in seinem Handeln stark an dem Attentäter von Christchurch (Neuseeland), der im April 2019 über 70 Muslime bei einem Anschlag auf zwei Moscheen erschoss. Auch dieser verbreitete kurz vor dem Anschlag ein Manifest und übertrug einen Live-Stream seines Massenmordes im Internet. Damit stellt sich Stephan B. mit seiner Tat in eine Reihe von mehreren Anschlägen, die in den vergangenen Jahren durch Rechtsextremisten mit Schusswaffen verübt wurden. Neben dem Attentat in Christchurch zählen dazu Anschläge auf eine Synagoge in Pittsburgh (USA) mit 11 Toten im August 2018, ein Einkaufszentrum in El Paso (USA) mit 22 Toten am 3. August 2019 und auf eine Moschee in Oslo (Norwegen) am 10. August 2019. Bei letzterem scheiterte der Attentäter, der ebenfalls ein Manifest veröffentlicht hatte und sein Attentat streamen wollte. 80 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Sicherheitsbehörden konnten aber auch rechtsextremistische Gruppen zerschlagen, bevor diese schwere Straftaten begingen. So ließ der Generalbundesanwalt am 30. Juli 2019 die Wohnungen von sechs Beschuldigten und vier nicht tatverdächtigen Personen durchsuchen. Zu letzteren gehörte eine Person aus Nordrhein-Westfalen. Die Beschuldigten stehen in dem Verdacht, 2018 die kriminelle Vereinigung Sturmbrigade gebildet zu haben. Diese hat sich als Untergruppierung aus der rechtsextremistischen Gruppierung Wolfsbrigade gebildet und sollte die Aufgabe eines bewaffneten Arms wahrnehmen. Sie verfolgte das Ziel, eine rechtsextremistische Ordnung durchzusetzen und dazu auch Gewalttaten zu begehen. Dass die Grenzen zwischen politischer Radikalisierung und psychischer Auffälligkeit fließend sein können, zeigt der Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau. Tobias R. suchte unter anderem zwei Shishabars und einen Kiosk auf, welche vor allem von Menschen mit Migrationsgeschichte besucht wurden. Der Attentäter erschoss neun Menschen und verletzte mindestens sechs weitere, zum Teil schwer. Als die Polizei seine Wohnung stürmte, fand sie den Täter und dessen Mutter tot auf. Mutmaßlich tötete R. zuerst seine Mutter und dann sich selbst. Kurz vor dem Anschlag veröffentlichte er auf seiner persönlichen Webseite ein 24-seitiges Manifest. In diesem behauptete er in verschwörungstheoretischer Manier, von einem Geheimdienst sein Leben lang verfolgt worden zu sein. Neben diesen Wahnvorstellungen offenbarte er ebenso eine radikale Islamfeindlichkeit, die in Vernichtungsphantasien ganzer islamisch geprägter Staaten gipfelte. Muslime waren in seiner Sicht "unwertes Leben". Die Menschenverachtung, die gepaart war mit einem völkischem Nationalismus, zeigt sich unter anderem am Ende seines Manifestes: "Menschen kommen und gehen. Das was bleibt ist das Volk!" Der Täter war Sportschütze und besaß legal drei Waffen, darunter die Tatwaffe. Die Ermittlungen der Polizei streben auch darauf hin, etwaige Komplizen oder Unterstützer aufzudecken. Bislang liegen dazu noch keine Erkenntnisse vor. Ein ähnlicher Tätertypus, der fremdenfeindliche Motivation und psychische Auffälligkeit verbindet, ist bei dem mehrfachen Mordversuch in der Silvesternacht 2018/2019 festzustellen. Damals lenkte ein 50-jähriger Deutscher sein Fahrzeug an acht verschiedenen Örtlichkeiten in Bottrop und Essen in Ansammlungen von mehreren Personen und auf eine Einzelperson. Im Anschluss setzte der Beschuldigte jeweils seine Fahrt fort. Eine Frau wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Der Täter suchte seine Opfer gezielt danach aus, ob sie aus seiner Sicht einen Migrationshintergrund hatten. Laut Urteil des Landgerichts Essen leidet der Mann an paranoider Schizophrenie, weshalb er als schuldunfähig gilt. Ein psychiatrisches Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Täter weiterhin gefährlich bleibt, weshalb er auf unbestimmte Zeit in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde. rechtsextremIsmus 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Rechtsterrorismus Die Sicherheitsbehörden orientieren sich bei der Verwendung des Begriffs Terrorismus am Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung (SS 129a Strafgesetzbuch). Demnach handelt es sich bei Rechtsterrorismus um schwerwiegende rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte, die im Rahmen einer Strategie durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen planmäßig begangen werden. Am 14. Februar 2020 ließ der Generalbundesanwalt unter Federführung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg bei 13 Beschuldigten der sogenannten "Gruppe S." Durchsuchungen vornehmen, in deren Verlauf zwölf Personen festgenommen wurden. Vier Beschuldigte stammen aus Nordrhein-Westfalen. Im Zusammenhang mit der "Gruppe S." sollen sich im September 2019 fünf Personen zu einer rechtsterroristische Gruppe zusammengeschlossen haben, um mit Anschlägen auf Moscheen, Muslime, Flüchtlinge und Politiker bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Acht Personen hätten zugesagt, die Gruppierung, die zunächst virtuell entstand, zu unterstützen. Bereits wenige Tage nach einem Treffen bei einem der Gründungsmitglieder der Gruppe in Minden, Nordrhein-Westfalen, bei der mutmaßlich die Tatplanungen konkretisiert wurden, erfolgten die Exekutivmaßnahmen. Einige Beschuldigte weisen Kontakte zu rechtsextremistischen bürgerwehrähnlichen Gruppierungen auf oder sind Mitglied dieser. Drei der Beschuldigten aus Nordrhein-Westfalen sind Reichsbürger, zum Teil mit einer rechtsextremistisch geprägten Biographie. Wie bei anderen rechtsterroristischen Verfahren ist es wahrscheinlich, dass im Laufe der Ermittlungen weitere Personen zum Kreis der Beschuldigten hinzukommen. Nach der Oldschool Society (OSS) scheint es sich nach dem bisherigem Erkenntnisstand bei der "Gruppe S." um die zweite rechtsterroristische Gruppierung zu handeln, die sich im Wesentlichen zunächst als virtuelle Gruppe radikalisiert hat. Dies weist auf einen neuen Typ der Radikalisierung hin. Auch wenn die Beteiligung von Reichsbürgern an einer rechtsterroristischen Gruppierung in Nordrhein-Westfalen ein Novum darstellt, ist diese Entwicklung im Bund bereits seit wenigen Jahren zu erkennen. So hat der Generalbundesanwalt mehrfach gegen Gruppierungen, zu denen rechtsextremistische Reichsbürger gehörten, ermittelt. Das zeigt, dass sich Teile der rechtsextremistischen Szene und der Reichsbürgerszene gleichsam im Widerstand sehen und deshalb schwere Gewalttaten als notwendig und gerechtfertigt erachten. Ebenso teilen etliche Reichsbürger die wichtigsten rechtsextremistischen Feindbilder: Muslime, Juden, Flüchtlinge und Politiker. Die Kriterien für die Annahme von Rechtsterrorismus sieht der Generalbundesanwalt ebenso bei der Gruppierung Revolution Chemnitz erfüllt und erhob deshalb am 82 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 18. Juni 2019 vor dem Oberlandesgericht Dresden Anklage wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung. Die acht beschuldigten Männer aus dem Raum Chemnitz zielten aufgrund ihrer rechtsextremistischen Gesinnung darauf ab, den demokratischen Rechtsstaat zu überwinden. Dies beabsichtigten sie mittels gewalttätiger Angriffe auf Migranten und politisch Andersdenkende umzusetzen und versuchten sich dazu Schusswaffen zu verschaffen. Am 3. Oktober 2018, dem Tag der Deutschen Einheit, sollte die Revolution eingeleitet werden. Ein sogenannter "Probelauf" fand am 14. September 2018 in Chemnitz statt, bei dem auf den Einsatz tödlicher Waffen jedoch noch ausdrücklich verzichtet werden sollte. Die Gruppe wollte Personen, die sie der Antifa zurechneten, angreifen. Tatsächlich wandte sie sich zunächst gegen eine Gruppe von Jugendlichen und anschließend gegen mehrere Migranten. Die Rechtsextremisten verletzten unter anderem eine Person durch den Wurf einer Glasflasche an den Hinterkopf. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die begangenen oder geplanten schweren Straftaten weisen auf die Gefahr rechtsterroristischer Potenziale hin, die insbesondere im Kontext der flüchtlingsfeindlichen Agitation zu Tage treten. Dabei hat sich die Bandbreite der Tätertypen vergrößert. Rechtsterroristische Ansätze lassen sich immer weniger einem bestimmten rechtsextremistischen Akteur oder einer Szene zuordnen. Ein Teil der identifizierten Tatverdächtigen ist zuvor kaum oder überhaupt nicht durch rechtsextremistische Aktivitäten und Straftaten aufgefallen. Fremdenfeindlichkeit bleibt zwar für schwere Straftaten bis hin zu Rechtsterrorismus das wichtigste Tatmotiv, allerdings verfügen die Täter eher selten über ein gefestigtes umfassendes rechtsextremistisches Weltbild. Stattdessen dominieren diffuse Feindbilder, die die Täter mithilfe von rechtsextremistischen Onlinediskursen individuell entwickeln und dabei verschiedene Diskursstränge kombinieren. Wie die "Gruppe S." zeigt, ist nicht auszuschließen, dass sich auch in Nordrhein-Westfalen rechtsterroristische Gruppen bilden. Diesbezüglich bleibt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen besonders wachsam und arbeitet eng mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen. rechtsextremIsmus 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 NPD Sitz/Verbreitung Bundesverband: Berlin; Landesverband: Essen Gründung/Bestehen seit 1964 (Bundesund Landesverband NRW) Struktur/ Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz (seit 2014); Landesvorsitzender: Claus Cremer (seit Juni 2008); einstellige Zahl handlungsfähiger Kreisverbände; insgesamt 17 Ratsund Bezirksvertretungsmandate in Nordrhein-Westfalen Mitglieder/Anhänger/ Bund: circa 3.500\ Unterstützer 2019 Land: circa 450\ Veröffentlichungen Publikationen: Zeitung des Bundesverbandes Deutsche Stimme (monatlich) als Printversion Web-Angebote: Bundesund landesbezogene Web-Auftritte; fast alle Kreisverbände haben eigene Webseiten oder sind in den sozialen Netzwerken vertreten; BlickpunktTV als YouTube-Kanal Kurzporträt/Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei. Sie will die Demokratie in Deutschland beseitigen und tritt für eine rassistische, antisemitische, revisionistische und fremdenfeindliche Ideologie ein. Vielfach bezieht sich die Partei dabei auf die Ideologie der NSDAP. Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden 84 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie in Deutschland ab und will diese beseitigen. Dies betrifft wesentliche Prinzipien und Grundwerte der Verfassung. So negiert die Partei die tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Vielmehr spricht die NPD Menschen lediglich eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. Die von der NPD verfolgten politischen Ziele laufen auf einen autoritären Staat hinaus, in dem die Prinzipien der durch das Grundgesetz garantierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Die NPD verfolgt eine rechtsextremistische Ideologie, die auf das Prinzip der "Volksgemeinschaft" baut und sich vor allem durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auszeichnet. Eine solche "Volksgemeinschaft" definiert die Partei ausschließlich nach ethnischen Kriterien. Alle Bürger, die diesen ethnischen Kriterien nicht genügen, will die Partei aus den demokratischen Prozessen ausschließen und damit entrechten. Das heißt, dass sie die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Artikel 3 des Grundgesetzes ablehnt. Weiterhin verbreitet die NPD antisemitische und revisionistische Propaganda, indem sie beispielsweise den Holocaust oder die Zahl der Opfer in Frage stellt und die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges leugnet. Angesichts der vielfachen Bezüge auf die Ideologie der NSDAP gibt es eine inhaltliche Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus, die auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 feststellte. Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele überdies in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies zeigt nicht zuletzt ihre Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonazis und Hooligans. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesverband Die Partei nahm an der Wahl zum Europaparlament teil. Den Wahlkampf nutzte sie vor allem, um mit einer fremdenfeindlichen Kampagne die Öffentlichkeit zu suchen. Die Ausstrahlung einer ersten Fassung des Wahlwerbespots, in dem unter anderem von "Messermännern" die Rede war, lehnte das ZDF ab, da der Sender den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sah. Diese Auffassung bestätigten das Verwaltungsgericht Mainz und das Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Eilantrag der NPD, mit dem die Partei die Ausstrahlung erzwingen wollte, als "offensichtlich unbegründet" ab. Eine zweite Fassung des NPD-Spots entrechtsextremIsmus 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 hielt nach Auffassung des der ARD zugehörigen Senders RBB ebenfalls volksverhetzende Aussagen, weswegen die ARD den Spot nicht ausstrahlen wollte. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht Berlin gaben dem Sender Recht. Allerdings gab das Bundesverfassungsgericht dem Eilantrag der NPD statt, weil sich aus den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte "nicht mit hinreichender Gewissheit" ergebe, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt werde. Somit war die ARD verpflichtet den Spot auszustrahlen. Ähnliche rechtMit dem Slogan "Migration tötet" betrieb die NPD auf Facebook Wahlwerbung für die Europawahl 2019. liche Kontroversen folgten um das Wahlplakat der NPD, auf dem sie mit dem Slogan "Migration tötet" fremdenfeindliche Propaganda betrieb. Das Verwaltungsgericht Dresden kam zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um einen Angriff auf die Menschenwürde der Gruppe der Migranten handelt. Das Verwaltungsgericht Gießen meint hingegen, dass das Plakat den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfülle. In einem einstweiligen Anordnungsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass allein der Slogan "Migration tötet" nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle. Allerdings wurde das Plakat nicht final bewertet. Die NPD erzielte bei der Wahl lediglich 0,3 Prozent der Stimmen (101.011 Stimmen). Da die Partei damit weniger als 0,5 Prozent der Stimmen erlangte, erhält sie keine Wahlkampfkostenerstattung, was die Finanzkrise der NPD weiter verschärft. Der Spitzenkandidat der Partei, Udo Voigt, führte das Ergebnis zum einen auf die Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers mit drei Parteien zurück sowie auf den "Staubsaugereffekt der AfD". Angesichts des Bedeutungsverlusts der ältesten rechtsextremistischen Partei hat der Bundesverband eine Debatte über die künftige strategische Ausrichtung der NPD intensiviert. In der Novemberausgabe 2019 der Parteizeitung Deutsche Stimme bekräftigte der Parteivorsitzende Frank Franz allerdings, dass der aus einem "ethnischen 86 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Volksverständnis resultierende Kampf gegen Überfremdung und Heimatverlust" beibehalten werde. Auf dem Bundesparteitag Ende November 2019 beschlossen ungefähr zwei Drittel der Delegierten ein Konzept, wonach auch geprüft werden soll, ob die Partei sich einen neuen Namen gibt. Eine Minderheit lehnte dies entschieden ab. Bei der Wahl zum Parteivorsitz erhielt der wieder kandidierende Frank Franz lediglich 74 Prozent der Stimmen. Aus Nordrhein-Westfalen wurde die stellvertretende Landesvorsitzende Ariane Meise in den Bundesvorstand gewählt. Landesverband Nordrhein-Westfalen Der Landesverband beteiligte sich ebenfalls am Europawahlkampf und hängte in einigen Städten Plakate mit dem Slogan "Migration tötet" auf. Des Weiteren führte die Partei einige Infostände und eine Kundgebungsreihe im mehreren Städten durch. Die Kampagne wurde in der Öffentlichkeit aber kaum beachtet. In Nordrhein-Westfalen blieb die NPD mit 0,1 Prozent der Stimmen unter ihrem bundesweiten Ergebnis, was die Schwäche des Landesverbandes zutreffend widerspiegelt. Thematisch setzte die rechtsextremistische Partei 2019 ihre Hetze gegen Migranten und insbesondere gegen Muslime sowie Flüchtlinge fort und schürte Ängste vor einer vermeintlichen "Überfremdung". So behauptete der Landesvorsitzende in seiner Neujahrsansprache: "Zudem muss sich unser Volk immer stärker gegen Angriffe auf seine Art, seine Kultur oder sein biologisches Fortbestehen zur Wehr setzen. [...] Deutschland und Europa werden geflutet. Geflutet von Personen, die hier nicht hingehören und auch kein Recht haben, hier zu sein. Die Politik der offenen Grenzen ist eine Gefahr für unseren Kontinent, unser Land, unsere Art, Kultur, Rasse und nicht zuletzt für Leib und Leben." Auf ihrem Facebook-Profil thematisierte die NPD wiederholt Straftaten, die mutmaßlich von Migranten begangen wurden, und kommentierte dies mit Bild und Text so, dass der Eindruck entsteht, dass sämtliche Migranten Gewalttäter sind. Die fremdenfeindliche Agenda der NPD wird auch in ihrem "5-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" deutlich. In diesem formuliert sie im Sinne des völkischen Nationalismus das Ziel "die deutsche Volkssubstanz" zu erhalten und schlägt mehrere Maßnahmen zur Diskriminierung von Migranten sowie die Abschaffung des grundgesetzlich geschützten Asylrechts vor. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen ist kaum noch in der Lage eigene Versammlungen zu organisieren. Stattdessen beteiligen sich Parteimitglieder an Versammlungen der Mischszene, an denen sich Rechtsextremisten, Hooligans, Rocker und sogenannte "Wutbürger" beteiligen. Beispielsweise riefen Kreisverbände der rechtsextremIsmus 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 NPD dazu auf, sich an der Demonstration "Stoppt die Gewalt! In NRW und Deutschland" am 8. September 2019 in Mönchengladbach zu beteiligen, die ein langjähriger Rechtsextremist organisierte. Eine kleine Gruppe der rechtsextremistischen Partei nahm daran teil. Ebenfalls liefen einige NPD-Mitglieder bei der von PEGIDA NRW angemeldeten Demonstration am 17. November 2019 in Duisburg mit. Dabei trugen einige Parteimitglieder ein Banner der Alliance for Peace and Freedom, einem europäischen Bündnis von rechtsextremistischen Parteien, an dem auch die NPD beteiligt ist. Des Weiteren führte die NPD kleinere interne Veranstaltungen durch. Dazu zählte am Volkstrauertag ein sogenanntes "Heldengedenken", in dem in revisionistischer Manier vermeintlichen Helden und nicht Opfern gedacht wird. Mit der Veranstaltung von Sonnenwendfeiern und Julfesten knüpft die NPD an die nationalsozialistische Brauchtumspflege an, die christliche Feste im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie umgestalten und verdrängen wollte. Kommunale Aktivitäten Obschon die NPD über 17 Mandate in kommunalen Räten und Bezirksvertretungen verfügt, entwickelt sie dort kaum wahrnehmbare Aktivitäten. Sie beschränken sich auf den Versuch, gelegentlich Anträge und Anfragen zu stellen, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Dies gilt insbesondere für die gemeinsame Ratsgruppe von NPD und Die Rechte im Dortmunder Stadtrat. Vor allem die Sitzungsgelder und Aufwandspauschalen machen die Teilnahme an den Kommunalräten für die NPD attraktiv. Aus Gründen der eigenen Schwäche verabredete sie im Oktober 2019 mit Die Rechte das "Nationale Bündnis Ruhrgebiet". Dieses beinhaltet zum einen, bei der Kommunalwahl im September 2020 Absprachen zu treffen, welche Partei wo antritt. Damit will man eine Konkurrenz der rechtsextremistischen Parteien und Zersplitterung der Stimmen vermeiden. So sollen die Chancen erhöht werden, Sitze in den Räten zu erringen. Zum anderen möchte man mit einer gemeinsamen Liste zur erstmaligen Wahl des Ruhrparlaments antreten. Außerdem wird die Absprache von Seiten der NPD mit der inhaltlichen Nähe zur Partei Die Rechte begründet. Schutzzonen-Kampagne Auch 2019 führte die NPD in Nordrhein-Westfalen vereinzelt die vom Bundesverband 2017 ins Leben gerufene "Schutzzonen"-Kampagne fort. Dabei inszenieren Rechtsextremisten streifenähnliche Rundgänge in roten Warnwesten, um Bilder davon in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Die NPD verfolgt mit der Kampagne das Ziel, in rechtsextremistischer Manier eine von Flüchtlingen und Migranten ausgehende 88 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 generelle Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu beschwören, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren. So kommentierte der Kölner Kreisvorsitzende eine angebliche "Streife" im März 2019 in der KölPlakat der NPD-Kampagne "Schutzzonen" in Duisburg ner Innenstadt: "Durch die Aktionen soll nicht nur die Sicherheit gefördert, sondern auch das Bewusstsein für die zunehmende Ausländerkriminalität geschärft werden." Antrag, die NPD von der Parteienfinanzierung auszuschließen Im Juli 2019 haben der Bundesrat, der Bundestag und die Bundesregierung einen 150-seitigen Antrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Sollte der Antrag Erfolg haben, würden der NPD zugleich die Steuerprivilegien für Parteien aberkannt. Laut den Antragstellern verfolgt die rechtsextremistische Partei planvoll das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei. Obwohl der Landesverband in Nordrhein-Westfalen versucht, mit fremdenfeindlichen Kampagnen die Öffentlichkeit zu erreichen, verliert er weiterhin an Bedeutung. Eine Trendumkehr ist vorerst nicht wahrscheinlich, da sich keine innerparteiliche Alternative aufdrängt und kaum noch handlungsfähige Kreisverbände existieren. Der innerparteiliche Streit im Bundesverband um die strategische Neuausrichtung und eventuelle Umbenennung schwächt die NPD zusätzlich. Zudem folgt der Verunsicherung etlicher Parteimitglieder durch das abgeschlossene Verbotsverfahren nun die Verunsicherung wegen der möglichen Entziehung staatlicher Gelder. rechtsextremIsmus 89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Pro NRW Sitz/Verbreitung Düsseldorf (faktisch Leverkusen) Gründung/Bestehen seit 2007, Auflösung am 24. März 2019 Struktur/ Repräsentanz Vorsitzender der Partei Pro NRW war seit deren Gründung Markus Beisicht; 18 Mandate in kommunalen Räten und Bezirksvertretungen Mitglieder/Anhänger/ Land: ca. 300\ Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Web-Angebote: eigene Webseiten sowie Profile in den sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Pro NRW war der Versuch, die zunächst lokale Organisation des am 15. April 2018 aufgelösten Vereins Pro Köln landesweit auszudehnen. Dabei wurden neben identischen inhaltlichen Ansätzen und gleichgelagerter Strategie auch - bis zum Zeitpunkt des internen Zerwürfnisses im Jahr 2015 - mit teilweise dem gleichem Führungspersonal agiert. Der Vorsitzende und ein Teil des Vorstandes von Pro NRW stammen aus rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen. Die Partei versuchte sich überwiegend bürgerlich zu inszenieren. Inhaltlich vertrat sie jedoch dezidiert fremdenfeindliche und islamfeindliche Positionen, diffamierte Migranten und schürte Ängste vor ihnen. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden und staatliche Zuwendungen an Gruppen und Fraktionen in Kommunalvertretungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei Pro NRW missachtete mit ihren Aussagen und Forderungen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde und das 90 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Diskriminierungsverbot. Sie vermittelte ein negatives Menschenbild über bestimmte Minderheiten, welches ausschließlich an deren Nationalität, Religions-, Staatsoder ethnischen Zugehörigkeit anknüpft. Insbesondere Muslime, Sinti und Roma sowie Flüchtlinge wurden als unerwünschte, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt. Dabei griffen sowohl Wortwahl als auch die Argumentationsmuster die Menschenwürde an und waren deshalb nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Nach der Ankündigung des Bundeswahlleiters, Pro NRW mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 den Parteistatus aberkennen zu wollen, votierte der Vorstand von Pro NRW auf einem außerordentlichen Parteitag am 24. März 2019 einstimmig für die Auflösung der Partei. Der Vorstand zog mit der Auflösung der Partei auch die Konsequenzen daraus, sich "seit Monaten in einem verzweifelten permanenten Abwehrkampf" befunden zu haben und sich "in der Öffentlichkeit kein Gehör mehr verschaffen" zu können. Allerdings will Pro NRW weiterhin als Verein fortexistieren, der sich überparteilich auf Seminare und Bildungsarbeit konzentriert. Markus Beisicht, der ehemalige Vorsitzende von Pro NRW, hat den Verein Aufbruch Leverkusen gegründet, mit welchem er zur Kommunalwahl 2020 antreten möchte. Nach eigener Aussage ist die Gründung von Aufbruch Leverkusen "der Versuch der Bündelung der authentischen patriotischen und freiheitlichen Kräfte [...] und ein kraftvoller Neustart unter einem unbelasteten Namen!" Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Niedergang der Pro-Bewegung führte nach der Auflösung von Pro Deutschland und Pro Köln nun auch zur Auflösung von Pro NRW. Das Erkennen der eigenen Erfolglosigkeit geht allerdings nicht mit einer Abkehr vom rechtsextremistischen Gedankengut einher. Einzelne ehemalige Mitglieder scheinen ihre rechtsextremistischen Aktivitäten fortsetzen zu wollen, wobei noch offen ist, in welcher organisatorischen Form dies künftig geschehen soll. rechtsextremIsmus 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Flügel Sitz/Verbreitung Zentrale bundesweite Kontaktanschrift: Heilbad Heiligenstadt (Thüringen) Gründung/Bestehen seit 14. März 2015 (Veröffentlichung der "Erfurter Resolution") Struktur/ Repräsentanz Sammlungsbewegung; maßgebliche Leitund Identifikationsfigur: Björn Höcke; sogenannte "Obleute" auf Landesebene Mitglieder/Anhänger/ Bund: circa 7.000 Unterstützer 2019 Land: circa 1.000 Veröffentlichungen Zentraler Internetauftritt, verschiedene Web-Angebote (darunter Internetversand und Rundbriefe, Online-Kanal); überwiegend geschlossene Profile in sozialen Netzwerken (Facebook), personifizierte Blogs zur Ansprache im öffentlichen Raum Kurzporträt/Ziele Der Flügel als Sammlungsbewegung innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist der Personenzusammenschluss mit der größten Wirkungsmacht im parlamentsorientierten Rechtsextremismus. Die ideologische Ausrichtung fokussiert sich im Wesentlichen auf das völkische Konzept des sogenannten Ethnopluralismus. Damit knüpft Der Flügel unmittelbar an den Entwurf einer ethnisch homogenen Gemeinschaft an, den die rechtsextremistische Neue Rechte vertritt. Diese Zielsetzung versucht Der Flügel zu verschleiern und stellt sich selbst als vermeintliches Sprachrohr einer bürgerlichen Mitte dar. Finanzierung Spenden, Merchandising 92 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die ideologische Ausrichtung des Flügels manifestiert sich in den Aussagen der führenden Funktionäre im Rahmen von Reden auf Veranstaltungen und in zentralen Positionspapieren. Es finden sich zahlreiche Stellungnahmen, die eine völkisch-nationalistische Ideologie propagieren beziehungsweise fremdenund muslimenfeindlich sind. Der Flügel propagiert ein in Teilen revisionistisches Geschichtsbild. Sein ethnisch homogener Volksbegriff, sein antiindividualistisches Menschenbild und seine darauf gründende Gegnerschaft zur gegenwärtigen politischen Ordnung sind in der Gesamtschau nicht mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde, dem Demokratieund dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Zu Beginn des Jahres 2019 konstatierte einer der beiden damaligen Landessprecher der NRW-AfD, "dass der Flügel als eigenständige Partei in der Partei agiert und damit jeden beliebigen Einfluss auf die verschiedenen Landesverbände ausüben will." Er zählte dafür eine Reihe von bundesweiten Beispielen auf, was ihn zu folgendem Resümee führte: "Damit baute der Flügel auf der operativen Ebene also eine Struktur auf, die an den jeweils gewählten Vertreter der Vorstände vorbei eine eigene Personal-, Organisationsund Sachpolitik betreiben kann. Der Flügel scheint also die Partei lediglich als Vehikel zur Beförderung der eigenen Agenda und des eigenen Personals zu benutzen. Zur Legalisierung von Spenden werden dann Vereine gegründet, die dieses Geschäft erledigen: in NRW der Verein "Alternativer Kulturkongress Deutschland"." Dieser Verein veranstaltete am 24. November 2018 und am 7. Dezember 2019 jeweils eine Tagung unter dem Titel "Hermannstreffen". 2018 war mit Björn Höcke die zentrale Führungsperson des Flügels der Hauptredner. 2019 hielt unter anderem ein Vertreter des Flügels aus Baden-Württemberg eine Rede, in der er eine Abgrenzung von der rechtsextremistischen Identitären Bewegung Deutschland ablehnte. In dem Vortrag zeichnete der Redner mit historischen Verweisen das Bild eines fortwährenden deutschen beziehungsweise nordeuropäischen Abwehrkampfes gegen Migration. Das bezog er auf die Gegenwart und stellte Migranten im Sinne des völkischen Nationalismus pauschal als Bedrohung dar: "Was uns hier bedrückt, was uns hier daniederhält, was uns zersetzt, das ist im ganzen Westen mehr oder weniger identisch, die Siegerstaaten, allen voran Großbritannien oder auch Frankreich, haben es auch mit einer Massenmigration zu tun, sie haben es auch mit Genderismus zu tun, sie haben es mit einer inneren Aushöhlung und Schwächung, mit einer Art Autoimmunerkrankung zu tun, und nur diese gilt es zu bekämpfen." rechtsextremIsmus 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Verein "Alternativer Kulturkongress Deutschland" wirbt auf seinem YouTube-Kanal mit Björn Höcke, dem Hauptredner des Hermannstreffens 2018. Die bereits im Vorjahr bestehenden parteiinternen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des Flügels und Anhängern einer gemäßigten Ausrichtung um die von beiden Seiten gestellten Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen setzten sich im Jahr 2019 fort. Nachdem ein erster Landesparteitag am 6. Juli 2019 in Warburg keine Richtungsentscheidung erbrachte und durch den geschlossenen Rücktritt der moderaten Vorstandsmitglieder kommissarisch ein Rumpfvorstand mit Vertretern des Flügels agierte, wurde dieser anlässlich eines weiteren Landesparteitages am 5. Oktober 2019 in Kalkar nach Kampfabstimmungen vollständig aus dem leitenden Landesgremium gedrängt. Der Flügel beklagte das Wahlergebnis auf seinem Facebookprofil: "Zu bedenken muss einem aber geben, dass ein Großteil der Mitglieder keinerlei Beachtung bei der Besetzung des Vorstandes fand. Auch in NRW gibt es zahlreiche Parteimitglieder, die sich dem Flügel zugehörig fühlen. Diese werden nun nicht repräsentiert." Eine strategische Zusammenarbeit des Flügels mit der rechtsextremistischen Szene - insbesondere der Identitären Bewegung - zeigte sich im Berichtszeitraum auch in Beiträgen der flankierenden publizistischen Schnittstelle, dem neurechten Magazin Arcadi. Dort wird eine gemeinsame Ideologie verbreitet. Beispielsweise veröffentlichte 94 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 der Arcadi-Blog am 20. September 2019 ein Interview mit dem damaligen Landesvorsitzenden, der dem Flügel zugerechnet wird. Dieser sagte: "Natürlich stehen wir im Westen noch nicht so gut da wie in Brandenburg und Sachsen. Denn die historischen Voraussetzungen sind andere: Bei uns der ewige Schuldkult, in Ostdeutschland das Wissen um die Möglichkeit einer demokratischen Wende." Die AfD-Landesverbände Brandenburg und Sachsen werden von Führungsfiguren des Flügels geführt. Mit dem Begriff "Schuldkult" versuchen Rechtsextremisten, die Erinnerungskultur an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu diskreditieren. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Flügel ist ein bundesweiter Personenzusammenschluss, bei dem Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorliegen. In Nordrhein-Westfalen stellt er einen nicht unwesentlichen, jedoch derzeit nicht dominierenden Faktor im Landesverband der AfD dar. Eine formelle Abspaltung oder der Versuch einer organisatorischen Eigenständigkeit des Flügels ist derzeit nicht erkennbar. Eine solche Entwicklung dürfte auch davon abhängen, ob es dem Flügel gelingen wird, seinen ideologischen Ansatz dauerhaft im Landesverband der AfD zu implementieren und seine Repräsentanten in Führungspositionen zu etablieren. rechtsextremIsmus 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Rechte Sitz/Verbreitung Dortmund Gründung/Bestehen seit Bundesverband: 27. Mai 2012 Landesverband: 15. September 2012 Struktur/ Repräsentanz Bundesvorsitzende: Sascha Krolzig und Sven Skoda; Landesvorsitzender: Sascha Krolzig; insgesamt zwei Ratsmandate und vier Mandate in Bezirksvertretungen in Dortmund und Hamm. In rund der Hälfte der deutschen Bundesländer ist die Partei Die Rechte mit eigenen Landesverbänden vertreten. Mitglieder/Anhänger/ Bund: 650 Unterstützer 2019 NRW: 290/ Veröffentlichungen Webangebote: Veröffentlichung der Partei auf Bundesund Landesebene überwiegend über soziale Medien wie Facebook oder Twitter; Internetseite Dortmundecho.org als Hauptsprachrohr des Landesverbandes beziehungsweise des Kreisverbandes Dortmund; alle Artikel erscheinen auch auf der Homepage des Bundesverbandes die-rechte.net. Kurzporträt/Ziele Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei Die Rechte ist vor allem ein Sammelbecken von Neonazis, die aus den 2012 verbotenen Kameradschaften kommen. Die Führung des Landesverbandes sowie der aktivsten Kreisverbände wurde von langjährigen Aktivisten übernommen, die bereits Führungsaufgaben in den damaligen Kameradschaften innehatten. Der vom Landesverband forcierte Strukturausbau hat jedoch auch dazu geführt, dass sich 96 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kreisverbände mit zum Teil neuem Personenpotenzial gegründet haben. Ziel des Landesverbandes ist es weiterhin, die bisherigen neonazistischen Aktivitäten nunmehr im Schutz des sogenannten Parteienprivilegs zu betreiben und neonazistische Propaganda zu verbreiten. Der Landesverband hat im Jahr 2019 eine unverändert führende Rolle innerhalb der Partei Die Rechte eingenommen. Finanzierung Mitgliedsbeiträge der Parteimitglieder und Einnahmen aus Spenden sowie von der Partei durchgeführte Veranstaltungen wie zum Beispiel Konzerte. Im Jahr 2019 wurde von der Partei Die Rechte mehrfach dazu aufgerufen Spenden zu leisten, um die politische Arbeit der Partei zu unterstützen. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei Die Rechte ist ein Sammelbecken für Neonazis, ideologisch wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus und tritt in aggressiv-kämpferischer Weise auf. Dies trifft insbesondere auf den Landesverband Nordrhein-Westfalen zu, der den Bundesverband dominiert. Die Gründung des Landesverbandes erfolgte im September 2012 als Reaktion auf das Verbot von neonazistischen Kameradschaften in Dortmund, Hamm und Aachen im August 2012. Die Führung des Landesverbandes setzt sich aus Hauptprotagonisten der verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen. Ein politischer Schwerpunkt der Partei Die Rechte ist Fremdenfeindlichkeit. So zeichnet die Partei in ihrem Programm ein einseitiges negativ-pauschales Bild von Migranten. In ihren Verlautbarungen stellt sie das Verhältnis zwischen einheimischer Bevölkerung und Migranten als Freund-Feind-Konstellation dar, in der die einheimische Bevölkerung durch Migranten bedroht werde. Dabei ist für die Partei Die Rechte vor allem eine generelle Darstellung von Migranten als Kriminelle ein Mittel, um fremdenrechtsextremIsmus 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 feindliche Vorurteile zu schüren. Das Bundesvorstandsmitglied Christoph Drewer überschritt hierbei die Grenze des rechtlich Erlaubten und wurde deshalb im April 2019 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt. Er hatte bei einer Versammlung im Juli 2015 eine Rede gehalten, die sich in volksverhetzender Art und Weise gegen die Ankunft von Flüchtlingen richtete. Die Rechte propagiert wiederkehrend Antisemitismus. Ein deutliches Signal wurde gesetzt, indem man die prominente Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin für die Europawahl im Frühjahr 2019 nominierte. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Kandidatur war bereits gerichtlich entschieden worden, dass sie ihre ausstehenden Haftstrafen wegen wiederholter Leugnung des Holocaust auch tatsächlich anzutreten habe. Auch nach ihrem Haftantritt folgten zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen der Partei Die Rechte. Als größte Veranstaltung ist eine Versammlung am 9. NovemDie Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel wurde von der Parber 2019 in Bielefeld zu nentei Die Rechte als Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert. nen, an der etwa 230 Rechtsextremisten aus mehreren Bundesländern teilnahmen. Mit ihrem Engagement zeigt die Partei deutlich, dass sie die ideologischen Positionen der Holocaust-Leugnerin Haverbeck-Wetzel teilt. Des Weiteren wurde der Bundesvorsitzende Sascha Krolzig im Februar 2018 durch das Amtsgericht Bielefeld wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Er hatte auf einer von ihm zu verantwortenden Internetseite im Jahr 2016 einen Artikel veröffentlicht, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde unter anderem als "der freche Juden-Funktionär" bezeichnete. Das Urteil wurde zuletzt in einer Berufungsverhandlung im Januar 2020 durch das Oberlandesgericht Hamm bestätigt (Az. III-3 RVs 1/20). Die 98 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Richter führten in ihrer Begründung aus, dass der Begriff des "frechen Juden" zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus gehöre und die Äußerung zum Hass gegen Menschen jüdischen Glaubens aufstachle. Krolzig, der sich noch wegen möglicher weiterer Straftaten gerichtlich zu verantworten hat, kündigte an, Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil einlegen zu wollen. Des Weiteren stellte sich die Partei Die Rechte offen in eine nationalsozialistische Tradition. So änderten sie bereits im Jahr 2017 das Parteiprogramm dahingehend, dass sich die Partei nunmehr zur "Volksgemeinschaft" bekennt, dem zentralen gesellschaftspolitischen Leitbild in der nationalsozialistischen Ideologie. Auf einer rechtsextremistischen Veranstaltung in Budapest (Ungarn) hielt am 9. Februar 2019 der Dortmunder Matthias D. eine Rede. Zum Abschluss glorifizierte er Adolf Hitler und schloss sich einer antisemitischen Drohung Hitlers an: "Beenden möchte ich meine Rede mit dem bekanntesten und größten deutschen Staatsmann der Geschichte, dessen Namen man auch noch in 100 Jahren kennen wird. 'Wenn unser alter Feind und Widersacher noch einmal versuchen sollte uns anzugreifen, dann werden die Sturmfahnen hochfliegen und dann werden sie uns kennenlernen. '" Matthias D. ist inzwischen zum "Auslandsbeauftragten" der Partei ernannt worden. Auch dass das Europawahlprogramm der Partei 25 Punkte umfasst, ist eine Reminiszenz an die NSDAP, welche ebenfalls ein 25-Punkte-Programm besaß. Die Partei Die Rechte versucht die von ihnen ausgemachten Gegner der Partei einzuschüchtern. Zu diesen Gegnern zählen Politiker, Journalisten und Bürger, die sich kritisch mit der Partei Die Rechte auseinandersetzen, sowie Behördenmitarbeiter, die im Sinne der wehrhaften Demokratie repressive Maßnahmen gegen Neonazis veranlassen. Meistens formulieren die Parteiaktivisten ihre Bedrohungen jedoch unterhalb der Grenze der Strafbarkeit. Zugleich sind die Einschüchterungsversuche eindeutig genug, dass die Adressierten wissen, wie es gemeint ist. Die Partei verfolgt die Strategie, Provokation und Einschüchterung zu maximieren und das strafrechtliche Risiko zu minimieren. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesverband Die Partei verfügt in nahezu der Hälfte der deutschen Bundesländer über Landesund Kreisverbände, wobei einige Verbände nur nominell bestehen und keine Aktivitäten entfalten oder sich im Aufbau befinden. rechtsextremIsmus 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Auf dem 10. Bundesparteitag am 5. Januar 2019 wählten die Delegierten erneut zwei Mitglieder aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen an die Spitze des Bundesverbandes. Sie bestätigten Sascha Krolzig im Amt als Bundesvorsitzenden, wohingegen Michael Brück nicht erneut für das Amt kandidierte. Seinen Platz an der Bundesspitze der Partei konnte der szenebekannte Neonazi Sven Skoda einnehmen, der erst im Dezember 2018 in die Partei eintrat. Die Parteiführung achtete im Jahr 2019 weiterhin darauf, dass die Organisation formell die Anforderungen an eine Partei erfüllt. So trat sie zur Europawahl am 26. Mai 2019 an. Hierzu wählte sie die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin. Die übrigen Listenplätze besetzte sie mit bekennenden Neonazis, wie dem neugewählten Bundesvorsitzenden Sven Skoda und Die Rechte-Gründer Christian Worch. Die Gesamtauswahl der Kandidaten bezeichnet die Partei selbst als "Liste des Nationalen Widerstands". Bundesweit kam Die Rechte auf 24.598 Stimmen (0,1 Prozent), in NRW erWahlplakat der Partei Die Rechte zur Europawahl 2019 reichte sie 4.815 Stimmen (0,1 Prozent). Landesverband Nordrhein-Westfalen Der Landesverband Nordrhein-Westfalen bildet eine Auffangstruktur für die 2012 verbotenen Kameradschaften. Auch wenn nicht alle Neonazis in die Partei eingetreten sind, organisiert die Partei inzwischen nahezu alle neonazistischen Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2019 setzte sich der vom Landesverband Nordrhein-Westfalen forcierte Strukturausbau fort. Am 30. April 2019 wurde offiziell der Kreisverband Oberhausen gegründet. Die Rechte verfügt damit in Nordrhein-Westfalen derzeit über 100 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 zehn Kreisverbände: Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen/Recklinghausen, Hamm, Heinsberg/Aachen, Oberhausen, Ostwestfalen-Lippe, Rhein-Erft, Unna, Wuppertal. Im November und Dezember 2019 folgte die Gründung von zwei neuen "Stützpunkten": Kleve/Wesel und Schwelm/Ennepe-Ruhr. Ein Stützpunkt ist eine lokale Parteigliederung, die noch nicht den Status eines Kreisverbandes aufweist. Der Landesverband besitzt für die Partei lediglich eine organisatorische Funktion; so werden im Namen des Landesverbandes häufig Versammlungen angemeldet. In der Regel handelt es sich aber tatsächlich um Demonstrationen des Dortmunder Kreisverbandes, die überwiegend auch in Dortmund stattfinden oder um Versammlungen, die zumindest maßgeblich von Dortmunder Parteimitgliedern unterstützt werden. Da sich die verantwortlichen Mitglieder des Landesverbandes mit denen des Kreisverbandes Dortmund in Teilen überschneiden, ist eine genaue Unterscheidung der beiden Organisationseinheiten kaum zu treffen. Die Kreisverbände stellen die eigentlichen politischen Akteure dar, die autonom über inhaltliche Belange und Aktivitäten entscheiden. Diese Organisationsstruktur stellt den Versuch dar, dezentrale Strukturen der Neonaziszene in vormals lokalen Kameradschaften in eine Parteiorganisation zu überführen. Die meisten Mitglieder dürften ihre Organisation ebenfalls weiterhin nicht als Partei begreifen. Hauptsächlich geht es den Aktivisten darum, ihre "Erlebniswelt Rechtsextremismus" vor staatlichen Repressionsmaßnahmen zu schützen. So weist die Organisation Demonstrationen, Mahnwachen, Geburtstagspartys, Rechtsrockkonzerte und Sonnenwendfeiern nunmehr als Parteiveranstaltungen aus. Die gute Vernetzung der Partei Die Rechte mit ausländischen Rechtsextremisten zeigte sich im Jahr 2019 durch die Gründung des Bündnisses "Festung Europa". Neben der Partei Die Rechte beteiligten sich auch rechtsextremistische Organisationen aus Bulgarien, Frankreich, Ungarn, Tschechien und Polen daran. Es ist für die ideologische Selbstverortung bezeichnend, dass das Bündnis das Gründungstreffen ausgerechnet an Hitlers Geburtsdatum, dem 20. April, begann. Die Rechte gab in diesem Zusammenhang bekannt, dass sie fortan über einen Auslandsbeauftragten verfüge. Die Partei Die Rechte kündigte an, an der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am 13. September 2020 teilzunehmen. Hierbei hat sich die Partei hinsichtlich der Wahlantritte in den Kommunen mit der NPD abgestimmt, um eine Zersplitterung der Wählerstimmen möglichst zu vermeiden. In Dortmund kandidieren beide Parteien mit einer gemeinsamen Liste für den Einzug in den Stadtrat, in dem sie bisher bereits eine gemeinsame Ratsfraktion bilden. Des Weiteren werden Die Rechte und NPD zu rechtsextremIsmus 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 den in Nordrhein-Westfalen erstmals stattfindenden Wahlen zum Ruhrparlament antreten. Das sogenannte "Nationale Bündnis Ruhr" wird von Claus Cremer (Landesvorsitzender der NPD) und Michael Brück (Bundesgeschäftsführer und stellvertretender Landesvorsitzender von Die Rechte) angeführt und setzt sich auch aus einer gemeinsamen Kandidatenliste beider Parteien zusammen. Die Absprache der beiden Parteien ist auch Ausdruck der Sorge, bei einer gegenseitigen Konkurrenzsituation letztlich keine Mandate zu erzielen. Kreisverband Dortmund Der Kreisverband Dortmund hatte im Jahr 2019 eine unverändert starke Stellung innerhalb der Partei Die Rechte inne. Auch die Zahl der aktiven und mobilisierbaren Anhänger ist bei etwa 80 bis 100 Personen geblieben. Auf seiner Webseite Dortmundecho.org veröffentlicht der Kreisverband zahlreiche Beiträge. Vor allem in den ersten Monaten des Jahres 2019 bildete die Kampagne zum Antritt der Partei bei der Europawahl einen Schwerpunkt der Aktionen des Kreisverbands. Beendet wurde der Wahlkampf mit einer Demonstration am 25. Mai 2019 in Dortmund, an der etwa 300 Personen teilnahmen. Durch die enge personelle Verflechtung der Führungspersonen des Kreisverbands Dortmund sowohl mit dem Landesals auch mit dem Bundesverband der Partei Die Rechte beschränkte sich der Aktionsraum der Rechtsextremisten aus Dortmund wie in den Vorjahren nicht auf das Stadtgebiet Dortmunds. Vielmehr reisten Anhänger des Kreisverbands Dortmund auch regelmäßig zu Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in anderen Städten Nordrhein-Westfalens, in anderen Bundesländern und im Ausland. Die Führungspersonen des Kreisverbands traten immer wieder als Redner bei Veranstaltungen auf. Ereignisse und Entwicklungen in anderen Kreisverbänden Der Kreisverband Hamm organisierte im Jahr 2019 überwiegend rechtsextremistische Balladenabende für die Szene im sogenannten "Zuchthaus" in Hamm. Im August 2019 veranstaltete er auch ein Sommerfest, bei dem drei Rechtsrockbands spielten. Nachdem die Stadt Hamm im Oktober 2019 ein Nutzungsverbot für das Objekt verhängte, entfaltet der Kreisverband kaum noch Aktivitäten. Der Kreisverband Rhein-Erft führte 2019 Vortragsveranstaltungen zu rechtlichen Fragen und mit von ihnen sogenannten "Zeitzeugen" durch. Das sind Personen, die im nationalsozialistischen Regime mitwirkten und heute positiv über ihre Erfahrungen im Dritten Reich berichten. In Vorbereitung auf die Europawahlen erfolgten mehr102 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 fach Flugblattverteilungen und Plakatierungen im Kreisgebiet. Insbesondere stach die antisemitische und fremdenfeindliche Propaganda hervor. Im Jahresverlauf wurden wenig beachtete öffentliche Versammlungen in Bezug auf die Inhaftierung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel und zur Europawahl durchgeführt. Mitglieder des Kreisverbandes Rhein-Erft nahmen bei verschiedenen überörtlichen rechtsextremistischen Versammlungen teil. Der Kreisverband zeigte sich im Internet sehr aktiv und publizierte zahlreiche rechtsextremistische Artikel auf seiner Internetseite und verbreitete sie über Twitter und Facebook. Den Europawahlkampf 2019 nutzte der Kreisverband Heinsberg/Aachen für Propagandaaktionen. Eine gezielte und besonders perfide Provokation war die Verteilung antisemitischer Flugblätter vor der Synagoge in Aachen. Des Weiteren reisten einige Mitglieder des Kreisverbandes mehrfach zu größeren rechtsextremistischen Versammlungen. Weiterhin pflegt der Kreisverband die rechtsextremistische Szenekultur und veranstaltet Sonnenwendfeiern oder Heldengedenken. Aufkleber und Farbschmierereien mit Bezug auf die Partei beziehungsweise auf das Kreisverbandprojekt Syndikat 52 tauchten im Verlauf des Jahres 2019 immer wieder im Kreisgebiet Aachen, Heinsberg und Düren auf. Die Polizei griff zwei Angehörige des Kreisverbandes Heinsberg/Aachen im Dezember 2019 auf, nachdem die Rechtsextremisten einen jüdischen Friedhof in Geilenkirchen geschändet hatten, indem sie die Grabsteine umwarfen und teilweise mit Farbe besprühten. Einige Mitglieder suchten in Aachen 2019 mehrfach die verbale und körperliche Konfrontation mit Personen, die sie dem linken politischen Spektrum zuordneten. Polizeiliche Ermittlungsverfahren dazu dauern noch an. Der Kreisverband Ostwestfalen-Lippe zeigte 2019 wenige Aktivitäten. Er meldete lediglich zwei Veranstaltungen im August und September in Horn-Bad Meinberg an. Beide Veranstaltungen befassten sich mit dem Zuzug südosteuropäischer Auswanderer. Im Sinne ihrer fremdenfeindlichen Propaganda behaupteten sie, dass dadurch die Sicherheit in der Stadt gefährdet sei. Die Kundgebungen waren jedoch mit einer maximalen Teilnehmerzahl von 31 Personen eher von untergeordneter Bedeutung. Der im letzten Jahr neu gegründete Kreisverband in Duisburg veranstaltete gelegentlich Mahnwachen und verteilte Flugblätter, was die Öffentlichkeit jedoch kaum wahrnahm. Dennoch soll der Kreisverband nach eigener Ansicht seinen Mitgliederund Unterstützerkreis so stark ausgebaut haben, dass sich in der Folge der Kreisverband Oberhausen und der Stützpunkt Kleve/Wesel gegründet haben, um den Rechtsextremisten eine politische Plattform in näherer Umgebung bieten zu können. Die Gründungsveranstaltung des Kreisverbandes Oberhausen fand am 30. April 2019 unter der Leitung des ehemaligen Vorsitzenden des Kreisverbands Duisburg statt. BisrechtsextremIsmus 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 her führten die Oberhausener Rechtsextremisten einige Mahnwachen mit geringer öffentlicher Resonanz durch. Der Kreisverband Gelsenkirchen/Recklinghausen behauptete im Februar 2019, eine Art Bürgerwehr ins Leben gerufen zu haben, die sich "GEschützt" nennt. Nach eigener Aussage wollte man einmal täglich im ganzen Stadtgebiet und an "Risikobereichen" zum Abend hin Streife laufen. Tatsächlich wurde auf der Internetseite des Kreisverbandes nur über wenige sogenannte "Rundgänge" berichtet. Am 9. März 2019 führte der Kreisverband in Gelsenkirchen-Buer eine Kundgebung unter dem Motto: "Justizwillkür, Staatliche Repressalien und Polizeischikanen einen Riegel vor!" durch, an der 21 Personen teilnahmen. Der Vorsitzende des Kreisverbandes Wuppertal hatte im Jahr 2018 noch vermehrte öffentlichkeitswirksame Aktionen vorausgesagt. Entgegen dieser Aussage sind die Aktivitäten des Kreisverbands im Jahr 2019 noch weiter zurückgegangen. Lediglich kurz vor der Europawahl fanden vereinzelte Mahnwachen oder Standkundgebungen statt. Im November 2019 wurde dann auch ein neuer Vorsitzender des Kreisverbandes bekannt. Regelmäßig veröffentlicht der Kreisverband allerdings seine Beiträge auf der Webseite "Toeller Sicht". Durch die Namenswahl soll die Urheberschaft auf den ersten Blick verschleiert werden. Stadträte In den Städten Dortmund und Hamm verfügt Die Rechte jeweils über ein Ratsmandat und weitere Mandate in den Bezirksvertretungen. Im Hammer Stadtrat sind die Aktivitäten seit dem Einzug 2014 kontinuierlich zurückgegangen. In Dortmund bilden seit April 2016 Die Rechte und die NPD eine gemeinsame Ratsgruppe im Stadtrat, die rund 40.000 Euro pro Jahr für die Ratsarbeit erhält. Die Sitzungen des Stadtrates nutzt die Ratsgruppe immer wieder für rechtsextremistisch motivierte Provokationen. Kundgebungen und Demonstrationen Anlässlich der Europawahl wurden durch die Kreisverbände zahlreiche Aktionen durchgeführt, um für die Partei Die Rechte zu werben. Sie wurden hierbei maßgeblich durch den Landesverband unterstützt, der beispielsweise viele der kleineren Mahnwachen anmeldete, einen Lautsprecherwagen zur Verfügung stellte und die Veranstaltungen durch Teilnahme unterstützte. Auch organisierte der Landesverband ab dem 20. Mai 2019 eine fünftägige Kundgebungstour durch zahlreiche Städte in NRW. 104 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Außerdem führte die Partei Die Rechte eine Reihe von mehreren Demonstrationen in verschiedenen Städten durch, die sie unter das Motto stellte: "Frühjahrsoffensive! Raus auf die Straße, rein ins EU-Parlament.: Dem Volkszorn eine Stimme geben". Bezeichnenderweise eröffnete sie den Wahlkampf an Hitlers Geburtstag am 20. April mit einer Kundgebung in Wuppertal. Auch die Demonstration am 1. Mai 2019 in Duisburg zählte zu der Veranstaltungsreihe. An der Demonstration nahmen 293 Rechtsextremisten teil. Die Versammlung war durch mehrere antisemitische Reden geprägt. Ein Düsseldorfer Parteimitglied beendete seine Rede unter dem Beifall der Teilnehmer mit den Worten: "Wir sind keine Demokraten. Wir sind, damals wie heute, Hitler-Leute." Den Abschluss des Europawahlkampfs bildete dann eine Demonstration am 25. Mai 2019 in Dortmund, die unter dem Motto "70 Jahre BRD? Wir feiern nicht! Nationale Souveränität schaffen, Europa verteidigen!" stand. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 300 Rechtsextremisten, die auch aus anderen Bundesländern und dem Ausland anreisten. Demonstration der Partei Die Rechte am 1. Mai 2019 in Duisburg Neben den vorgenannten Veranstaltungen war der Europawahlkampf der Partei vor allem durch das bundesweite Aufhängen von antisemitischen Plakaten geprägt, die durch ihre bewusst provokanten Slogans ein Bedrohungsszenario aufbauen sollten. Auf den Plakaten hieß es unter anderem "Israel ist unser Unglück. Schluss damit!". rechtsextremIsmus 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Einzelne Kommunen leiteten ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen die betreffenden Plakate ein und ließen sie abhängen. Nachdem es zunächst strafrechtliche Bewertungen mit unterschiedlichem Ergebnis gegeben hatte, sind die Plakate nach Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft Celle aus November 2019 strafrechtlich relevant, sodass Ermittlungen eingeleitet wurden. Gegen das Wahlplakat mit der Aufschrift "Israel ist unser Unglück" leiteten einzelne Kommunen ordnungsrechtliche Maßnahmen ein. Im Jahresverlauf fanden zwei Kundgebungen in Bielefeld statt, die die Freilassung der seit Mai 2018 inhaftierten bekannten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel forderten. Zunächst am 7. Mai 2019 zum 1. Jahrestag ihrer Inhaftierung, später im Jahr dann anlässlich ihres 91. Geburtstags. Allerdings meldete die Partei die Kundgebung nicht zu ihrem eigentlichen Geburtstag am 8. November, sondern für den Jahrestag der Reichspogromnacht, dem 9. November 2019 an. Ein Verbot durch das Polizeipräsidium Bielefeld hob das Verwaltungsgericht Minden auf. In den Reden ging es aber weniger um den Geburtstag. Stattdessen wurde immer wieder mehr oder weniger explizit Bezug auf den Holocaust genommen. Einige Beiträge sind an der Grenze zur Strafbarkeit. Beispielsweise nannte ein Redner die Zahl von 7 Millionen ermordeten Juden im Nationalismus eine "kommunistische Propagandazahl". Damit brachte er zum Ausdruck, dass die Judenvernichtung nicht oder zumindest nicht in diesem großem Umfang stattgefunden habe. Inhaltlich reihte sich die Veranstaltung deshalb in die revisionistische Dauerkampagne der Neonaziszene ein, die Verbrechen der Nationalsozialisten bestreitet oder bagatellisiert. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte auch eine Demonstration am 20. Juli 2019 in Kassel, die der Gründer der Partei Die Rechte, Christian Worch, anmeldete. Dies geschah, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden war und öffentlich darü106 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ber diskutiert wurde, stärker gegen Rechtsextremismus vorzugehen. So lautete das Motto der Rechtsextremisten auch "Gegen Pressehetze und Verbotsirrsinn!". Die Versuche der Behörden, gegen die Demonstration juristisch vorzugehen, scheiterten. Die Demonstration fand unter Teilnahme von etwa 120 Rechtsextremisten statt. Ein großer Teil stammte aus dem Umfeld der Partei Die Rechte aus Nordrhein-Westfalen. Als besondere Provokation führte dieser Personenkreis ein Banner mit, auf dem der Slogan "Schluss mit Pressehetze und Verbotsphantasien: Nationale Gegenofenssive [sic!]" stand. Das Wort "Gegenofenssive" stellte durch den doppelten Buchstaben "S" eine Anspielung auf die Abkürzung der nationalsozialistischen "Schutzstaffel" dar. Zum anderen spielte der Wortbestandteil "ofen" auf die Konzentrationslager der Nationalsozialisten an. Ferner beteiligen sich Mitglieder von Die Rechte immer wieder an größeren Veranstaltungen der Mischszene. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der nordrhein-westfälische Landesverband und die aktiven Kreisverbände stellen sowohl in ideologischer und personeller Hinsicht als auch bezüglich ihrer Aktivitäten im Wesentlichen eine Weiterführung der 2012 verbotenen Kameradschaften dar. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen dominiert innerhalb der Bundespartei inhaltlich, personell und durch die Vielzahl an Aktivitäten. Um das Parteienprivileg zu sichern, nimmt Die Rechte einige parteitypische Aktivitäten auf. Den Anhängern geht es aber vor allem darum, den neonazistisch geprägten provokanten Aktionismus medienwirksam fortzusetzen. Die Partei stellt weiterhin das Gravitationszentrum des Neonazismus in Nordrhein-Westfalen dar. Darüber hinaus kooperiert Die Rechte insbesondere bei Demonstrationen, im Dortmunder Stadtrat und bei Wahlen mit der NPD, bei Vorträgen mit Revisionisten und bei Musikveranstaltungen mit der subkulturellen Szene. rechtsextremIsmus 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der III. Weg Sitz/Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz); Verbreitung hauptsächlich in Südund in Ostdeutschland; zwei Gruppierungen in NRW Gründung/Bestehen seit 28. September 2013 in Heidelberg Struktur/ Repräsentanz Vorsitzender Bundesverband: Klaus Armstroff; Vorsitzender "Gebietsverband West": Julian Bender Keine Landesverbände, bisher wurden drei der vier geplanten Gebietsverbände gegründet (Süd, West und Mitte). Strukturierung der Partei durch 19 teilweise länderübergreifende sogenannte "Stützpunkte", zwei davon in Nordrhein-Westfalen. Die Gründung des "Gebietsverbands West", dem auch die nordrhein-westfälischen Stützpunkte angehören, erfolgte am 19. November 2016. Der "Stützpunkt Sauerland-Süd", am 29. Dezember 2015 gegründet, umfasst insbesondere den Landkreis Olpe. Der "Stützpunkt Rheinland", am 16. März 2019 gegründet, umfasst den Großraum Düsseldorf und Köln. Mitglieder/Anhänger/ Bund: rund 580/ Unterstützer 2019 NRW: rund 35/ Veröffentlichungen Web-Angebot: Webseite der Partei Der III. Weg, Facebook-, Telegram-, Twitter-, VKund Vimeo-Profil; YouTube-Kanal Kurzporträt/Ziele Die Partei-Gründung erfolgte zunächst unter Beteiligung einzelner ehemaliger NPD-Mitglieder und Neonazis aus Rheinland-Pfalz und Hessen. Als sich 2014 in Bayern ein Verbot des Neonazi-Netzwerks Freies Netz Süd abzeichnete, trat ein Teil der betroffenen Neonazis in die Partei 108 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der III. Weg ein und sah die Partei als Auffangstruktur, um staatlichen Exekutivund Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Die Aktivisten nutzen somit den Schutzmantel des Parteienprivilegs, um ihre neonazistischen Aktivitäten fortzusetzen. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei Der III. Weg propagiert ein rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild, insbesondere greift sie völkisch-nationalistische Elemente des historischen Nationalsozialismus auf. So lehnt sie sich mit ihrem 10-Punkte-Programm ideologisch an das Gedankengut der NSDAP an und fordert einen "deutschen Sozialismus" ein. Zudem beteiligt sich die Partei an revisionistischen Kampagnen, die darauf abzielen, nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren. Das Parteiprogramm zeigt, dass die Rechtsextremisten eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus anstreben, die durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden ohne Rücksicht auf die Menschenrechte verwirklicht werden soll. Diesem Verständnis folgend agitiert die Partei vor allem gegen Flüchtlinge. Zahlreiche Mitglieder waren zuvor in anderen rechtsextremistischen Organisationen aktiv. Zudem pflegt die Partei Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisation in Europa, wie zum Beispiel "Die Goldene Morgenröte" (Griechenland), "Bulgarischer Nationalbund" und "Nordische Widerstandsbewegung" (Schweden). Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Partei Der III. Weg trat 2019 zur Europawahl an. Im Vorfeld hatte der "Stützpunkt Sauerland-Süd" mehrfach Infostände durchgeführt sowie Unterschriften von Bürgen gesammelt, um zur Wahl zugelassen zu werden. Außerdem hängte er Plakate auf, auf denen "Reserviert für Volksverräter" stand. Es ist bewusst zweideutig, ob damit gemeint war, die politischen Gegner an den Laternen und Bäumen aufzuhängen, an denen die Plakate befestigt waren, oder die politischen Gegner nur zu inhaftieren, weil im Hintergrund des Plakates einige Gitterstäbe abgebildet waren. Unstreitig ist, dass es der Partei dabei um die Einschüchterung des politischen Gegners geht. rechtsextremIsmus 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bei der Wahl bekam Der III. Weg lediglich 12.822 Stimmen und erreichte kein Mandat. Trotzdem zog der "Stützpunkt Sauerland-Süd" kein negatives Fazit, da es ihm vorrangig um ein anderes Ziel ging. So schreibt der örtliche Parteiverband: "Sicherlich hätten sich die Aktivisten vor Ort über eine hohe Resonanz in Form der Stimmzahl gefreut, jedoch lag der Fokus von Anfang an in der Festigung der Strukturen." Die rechtsextremistische Partei trat im Wahlkampf unter dem Motto "EUROPA ERWACHE! Europäische EIDGENOSSENSCHAFT statt EU-Diktatur!" an. Damit knüpft sie unmittelbar an den Nationalsozialismus an. So ist der insbesondere von der SA verwendete Slogan "Deutschland erwache" verboten und wird deshalb im Rechtsextremismus nur in abgewandelter Form benutzt. Rechtsextremisten wissen das Motto aber trotzdem als Bekenntnis zum Nationalsozialismus zu deuten. Auch im Wahlkampffazit verdeutlichte der "Stützpunkt Sauerland-Süd" unmissverständlich seine Ideologie: "Spricht jemand sich für den "III. Weg" aus, so geschieht dies aus Überzeugung, aus einer Überzeugung für unseren nationalistischen Kampf." Der regionale Schwerpunkt der Aktivitäten der Partei in Nordrhein-Westfalen war im Jahr 2019 Siegen. Dort hielt Der III. Weg am 27. Juli 2019 anlässlich des Aufzugs zum Christopher Street Day eine homosexuellenfeindliche Kundgebung ab. Mit dem Motto "Familien schützen! Homo-Propaganda stoppen" suggeWahlplakat der Partei Der III. Weg zur Europawahl 2019 riert die Partei, dass Homosexuelle eine 110 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bedrohung für Familien seien. Im September und Oktober 2019 organisierte Der III. Weg wöchentlich in der Siegener Innenstadt Informationsstände, die aber kaum auf Resonanz trafen. Ferner führte die Partei im Januar 2019 in Siegen einen "Schulungstag" durch, bei dem sich die teilnehmenden Rechtsextremisten mit den TheWahlwerbung in Anlehnung an die verbotene SA-Parole "Deutschland erwache" men Recht, IT-Sicherheit und politische Propaganda beschäftigten. Weiterhin war der "Stützpunkt Sauerland-Süd" in Olpe aktiv. Am 15. Juni 2019 veranstaltete der Ortsverband den zweiten "Tag der Heimattreue". Nach eigener Darstellung wollten die Organisatoren "mit diesem kleinen Volksfest ihre Weltanschauung auf die Straße tragen", das aber nur knapp 30 Rechtsextremisten besuchten. Der Gründer und Leiter des nordrhein-westfälischen "Stützpunktes Sauerland-Süd", Julian Bender, nimmt bundesweit als Redner an Veranstaltungen der Partei teil. Am 16. November 2019 trat er bei einem revisionistischen "Heldengedenken" in Wunsiedel (Bayern) als Redner auf, bei dem die Rechtsextremisten dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess gedachten. In revisionistischer Absicht kehrte er Opfer und Täter um und verklärte den Angriffskrieg des nationalsozialistischen Regimes zu einem "Opfergang": "Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Opfergang unserer Ahnen niemals zu vergessen und niemals die zu vergessen, die unserem Volk unendliches Leid zugefügt haben und weiterhin Schaden in der Welt anrichten." In Mettmann fand am 16. März 2019 eine Demonstration der Partei Der III. Weg statt, an der rund 60 Rechtsextremisten aus mehreren Bundesländern teilnahmen. Mit der einheitlichen Kleidung sowie den mitgeführten Trommeln und Parteifahnen erinnerte die Inszenierung an nationalsozialistische Veranstaltungen der 1930er Jahre. Im Anschluss fand die Gründungsveranstaltung des neuen "Stützpunktes Rheinland" statt. rechtsextremIsmus 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, auf "unsere nationalrevolutionäre Alternative aufmerksam zu machen." Dazu nutzte er den Europawahlkampf, um mit der Verteilung von Flugblättern und dem Aufhängen von einigen Plakaten Aufmerksamkeit für rechtsextremistische Propaganda zu erlangen. Beispielsweise war ein Plakat mit dem Slogan "Multikulti tötet" bedruckt. Damit suggeriert die Partei, dass Migranten pauschal Gewalttäter seien, und versucht in der Bevölkerung Ängste zu schüren. Ansonsten beschränken sich die Aktivitäten in Düsseldorf und angrenzenden Städten vor allem darauf, Flugblätter mit fremdenfeindlichen Inhalten zu verteilen und gelegentlich an Veranstaltungen anderer "Stützpunkte" teilzunehmen. Die Partei Der III. Weg pflegt Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen in Europa. Im Januar 2019 reiste eine Delegation von Parteimitgliedern, darunter auch Angehörige des "Gebietsverbandes West", nach Rom. Auf der Reise besichtigte man die rechtsextremistischen "örtlichen Strukturen der Casapound Bewegung". Im Dezember 2019 versuchte der Leiter des "Stützpunktes Sauerland-Süd" zu einem Szenefestival in Kiew, das aus einer Kampfsportveranstaltung und einem NS Black-Metal-Konzert bestand, auszureisen. Dies untersagte ihm die Bundespolizei, da Flyer zum "Tag der Heimatreue" in Olpe 112 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 durch das zu erwartende rechtsextremistische Verhalten die Gefahr einer Ansehensschädigung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland bestand. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Partei Der III. Weg stellt auch weiterhin in erster Linie eine Auffangstruktur für Neonazis dar. Mit dem Parteienstatus beabsichtigt sie, staatliche Sanktionsmaßnahmen zu erschweren. Die maßgeblichen Aktivitäten der Partei gehen in Nordrhein-Westfalen vom "Stützpunkt Sauerland-Süd" aus. Dieser ist gewillt, seine Arbeit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung fortzusetzen. So hieß es in deren Resümee zum Europawahlkampf: "Während sich die Etablierten nun bis zu den nächsten Wahlen nicht mehr auf den Straßen blicken lassen und erst zu den Kommunalwahlen im kommenden Jahr erneut aus ihren Löchern kriechen, leisten die Aktivisten vom "III. Weg"-Stützpunkt kontinuierlich weiter Arbeit gegen das System der Volksfeinde." Die Kontakte zu militanten rechtsextremistischen Gruppierungen im Ausland bergen zusätzlich das Potenzial, eine Radikalisierung von Parteimitgliedern zu fördern. Deshalb betrachtet der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen diese Zusammenarbeit weiterhin sehr genau. rechtsextremIsmus 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. Sitz/Verbreitung Ursprung in Frankreich; seit 2012 in Deutschland; Vereinssitz ist Paderborn Gründung/Bestehen seit Seit Mai 2014 ist die ursprünglich virtuelle Aktionsform als Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) vereinsrechtlich registriert. Struktur/ Repräsentanz Die IBD verfügt über zellenartige Strukturen auf lokaler Ebene. Im Zuge der organisatorischen Neuausrichtung 2014 wurden daraus formal bundesweit regionale Gruppen gebildet. In Nordrhein-Westfalen waren dies zunächst die Identitäre Bewegung Rheinland und die Identitäre Bewegung Westfalen. 2017 erfolgte die Zusammenlegung zur Identitären Bewegung Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus existieren Identitäre Bewegungen in anderen europäischen Staaten wie in Italien, Frankreich, Großbritannien und in Österreich. Zwischen den Gruppen in Deutschland und Österreich besteht eine engmaschige Vernetzung. Bei der IBD handelt es sich im Wesentlichen um einen losen Verbund lokaler Aktivisten, die in Kleingruppen vor Ort agieren. In Nordrhein-Westfalen ist eine personelle und aktionsbezogene Zentralisierung um die Gruppe Defend Ruhrpott im Ruhrgebiet festzustellen. Im Bundesvergleich ist Nordrhein-Westfalen auch weiterhin kein aktionsbezogener Schwerpunkt. Mitglieder/Anhänger/ NRW: Aktivistenkreis von bis zu 20 Personen, zusätzliche Unterstützer 2019 30 aktionsorientierte Sympathisanten\ 114 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Veröffentlichungen Zentraler Internetauftritt und Onlineshop, einzelne lokale Gliederungen, seit der Löschung der Profile auf Facebook und Instagram im Jahr 2018 nur noch rudimentär vertreten; seitdem Profile auf YouTube, Twitter, vk.com und diverse Blogs als Kanäle zur direkten, zielgruppenorientierten Ansprache im öffentlichen Raum. Kurzporträt/Ziele Ideologisch greift die IBD die von der "Neuen Rechten" entwickelte Idee des Ethnopluralismus auf. Dabei handelt es sich um eine modernisierte Variante völkischer Ideologie, die mit kulturellen Argumenten verbunden wird. Diese Idee behauptet, dass der Einzelne nur in einer ethnisch homogenen Umgebung seine kulturelle Identität finden und erhalten könne. Eine Vermischung von Ethnien wird abgelehnt, stattdessen werden ethnisch homogene Nationen gefordert. Eine Zuwanderung von nicht der eigenen Volksgruppe angehörenden "Fremden" - also von Menschen, die nicht als Teil dieser "Identität" angesehen werden - wird grundsätzlich abgelehnt. Diesem Verständnis folgend sind die Inhalte und Aktivitäten der IBD geprägt von fremdenfeindlichen und Minderheiten ausgrenzenden Positionen. Die diffusen Ziele und ideologischen Theorieelemente weisen auf die grundlegende Konzeption eines ethnisch homogenen und militarisierten Ständestaates unter Herrschaft einer elitären Kaste hin. Die IBD hat eine prägnante visuelle Symbolik entwickelt, die sich um einen avantgardistischen und ästhetisierten Habitus bemüht und sich von traditionellen rechtsextremistischen Mustern abheben soll. Insbesondere setzt sie darauf, mit mediengerecht inszenierten Aktionen an symbolischen Orten öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dabei adaptiert sie öffentliche Aktionsformen, wie sie aus dem Bereich des Umweltprotestes bekannt sind. Dazu gehört beispielsweise das Entrollen großer Banner rechtsextremIsmus 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 an gut sichtbaren Örtlichkeiten (Brücken, öffentliche Gebäude etc.). Es geht um ein als modern empfundenes Erscheinungsbild, das vorwiegend junge Menschen mit gutem Bildungsniveau ansprechen soll. Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden sowie Merchandising Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Ideologie der IBD als Teil der Neuen Rechten fundiert auf einem Politikverständnis, das sich grundsätzlich gegen die Menschenrechte und eine pluralistische Demokratie richtet. Sowohl die letztlich rassistische Doktrin des Ethnopluralismus als auch der kollektivistische Grundsatz, das Individuum mit seinen Menschenrechten der Nation unterzuordnen, sind unvereinbar mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mit ihren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten versucht die IBD Einfluss auf die politische Öffentlichkeit zu nehmen und ihre rechtsextremistischen Positionen zu verbreiten. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Nordrhein-Westfalen war die IBD bislang vorwiegend in den sozialen Netzwerken aktiv. Sie profitierte dabei von einer sich viral ausdehnenden Breitenwirkung, die mehrheitlich von regionalen Gruppierungen außerhalb Nordrhein-Westfalens gesteuert wird. Vor allem verbreitet die IBD auf ihren Internetpräsenzen Bilder, Videos und Berichte über ihre meist von Kleingruppen durchgeführten Aktionen, denen sie damit bundesweite Resonanz und die Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit verschafft. An die zum Teil groß angelegten Kampagnen der Vorjahre konnte die IBD 2019 nicht mehr anknüpfen. In Nordrhein-Westfalen stellten einige Kleingruppen ihre Aktivitäten ein, andere wurden im Ruhrgebiet unter dem Namen Defend Ruhrpott zusammengelegt. Der Kern dieser Gruppierung produzierte mehrere Videos unter der Bezeichnung Ruhrpott Roulette. Die vermeintlich satirischen Videos erreichen in der Regel fünfstellige Aufrufzahlen, ein Video wurde gar über 100.000 Mal angeklickt. 116 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 YouTube-Kanal Ruhrpott Roulette Überregionale Bedeutung hatte 2019 ein Sommerfest im "identitären Hausprojekt Flamberg" in Halle (Sachsen-Anhalt). Diese Veranstaltung besuchten auch Mitglieder der IBD Nordrhein-Westfalen. Ebenso beteiligten sich IB-Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen an der bundesweiten Kampagne "Die Schreibtischtäter benennen - Protest gegen Linke Gewalt" im Januar 2019. Weiterhin wurden vereinzelte Flyer-, Plakatund Banneraktionen bekannt. Sowohl auf ihren virtuellen Präsenzen als auch bei ihren realen Aktionen bezogen sich die Gruppen der IBD aus Nordrhein-Westfalen vorwiegend weiterhin auf die 2015 von der Identitären Bewegung Österreich initiierte Kampagne "Der Große Austausch". Die IBD versteht darunter die Entwicklung "einer schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung zugunsten Fremder und zumeist muslimischer Einwanderer". Dies würde zum Verschwinden der "Deutschen" führen, wogegen sich die IBD als "Jugend ohne Migrationshintergrund" wehre. Verschwörungstheoretisch behauptet sie, die politischen Eliten trieben diesen Bevölkerungsaustausch gezielt voran. In der Kampagne zeigt sich die Ideologie des völkischen Nationalismus, nach der sich Einheimische und Migranten, insbesondere Muslime, gegenüberstünden. Deutschsein hänge in dieser Logik von der Abstammung ab, womit eine Integration nicht möglich sei und Migranten niemals Deutsche werden könnten. Mit der Kampagne will die IBD Einwanderung als etwas generell Negatives, vor allem als Bedrohung, diskreditieren und Fremdenfeindlichkeit legitimieren. Damit handelt es sich um eine sprachlich und rechtsextremIsmus 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 IBD-Aktion in Duisburg symbolisch modernisierte Variante der von der neonazistischen Szene in den letzten Jahren betriebenen sogenannten "Volkstod-Kampagne". Die IBD sucht weiterhin die Nähe zum Milieu der Burschenschaften und dem publizistischen Umfeld der Neuen Rechten. Eine Schnittmenge bildet hierbei das Arcadi-Magazin. In der ersten Ausgabe des Jahres 2019 erhält der Rapper Chris Ares aus dem Umfeld der IBD mit Titelbild und Beitrag die Gelegenheit, sich positiv zu inszenieren. Darüber hinaus bietet die Zeitschrift zwei führenden Protagonisten der IBD in Nordrhein-Westfalen durch ein Interview die Möglichkeit, ihre Projekte zu bewerben und einen Spendenaufruf zu verbreiten. Die Onlineund Print-Publikation Arcadi mit neurechter Ausrichtung wendet sich nach Eigendarstellung als Bildungsprojekt an Schüler und Studenten und ist ein Projekt des Vereins Publicatio e.V.. Chefredakteur von Arcadi ist der Vorsitzende von Publicatio e.V., gleichzeitig Sprecher des Kreisverbandes der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Leverkusen. Bereits Ende 2017 war Arcadi in einer Verbandszeitschrift für Verbindungsstudenten rezensorisch beworben worden. 118 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die IBD erzeugt mit modernen Ausdrucksformen und dem Bemühen um einen intellektuellen Anspruch bei Bevölkerungsschichten eine Resonanz, die traditionelle Rechtsextremisten bislang nicht erreichen. Die Gruppierung knüpft dabei bewusst an die Lebenswelten internetaffiner junger Menschen an. Da die IBD sich nicht mit den üblichen rechtsextremistischen Slogans und Symbolen inszeniert, ist ihre ideologische Ausrichtung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Entgegen der Selbstinszenierung als "Europas am schnellsten wachsender Jugendbewegung" musste die IBD in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich ihrer Aktivistenzahl einen Rückgang verzeichnen. Die gesuchte Verankerung im Milieu des akademischen Nachwuchses bleibt marginal. Aufgrund der personellen Überschneidungen mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen ist ein gemeinsames Auftreten bei Kundgebungen oder öffentlichen Ereignissen zu beobachten. In Nordrhein-Westfalen bemüht sich die IBD darüber hinaus um eine informelle, situative Einbindung von Veranstaltungsteilnehmern aus dem Umfeld der diversen PEGIDA-Ableger. Einer dauerhaften strukturellen Kooperation mit rechtsextremistischen Gruppen und Parteien oder einer gegenseitigen Akzeptanz auf breiter Ebene steht jedoch der elitär-avantgardistische Anspruch der IBD weiterhin entgegen. Trotz rückläufiger Aktionsund Aktivistenzahlen bleibt die IBD im öffentlichen politischen Diskurs weiterhin wahrnehmbar. Es zeichnet sich jedoch eine abnehmende Relevanz der Gruppierung ab. rechtsextremIsmus 119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Neonazis Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit regionalen Schwerpunkten Gründung/Bestehen seit 1970er Jahre Struktur/ Repräsentanz Gruppierungen auf lokaler Ebene, die teilweise in vereinsähnlichen "Kameradschaften" oder in Kreisverbänden der Partei Die Rechte organisiert sind; überregionale Vernetzung der Szene zur Koordinierung und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten. Mit den Verboten der wichtigsten Kameradschaften hat in der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen ein Strukturwandel stattgefunden: Die Partei Die Rechte stellt in Nordrhein-Westfalen nunmehr das Gravitationszentrum des Neonazismus dar. Mitglieder/Anhänger/ circa 650 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Internetpräsenzen und Facebook-Profile der Partei Die Rechte sowie einzelner Gruppen Kurzporträt/Ziele Der Neonazismus stellt sich in die ideologische Tradition des historischen Nationalsozialismus. Die Anhänger organisieren sich regional in Kleingruppen, sogenannten "Kameradschaften". Diese werden oftmals von einer Person nach dem "Führerprinzip" geleitet. Die Szene ist überregional vernetzt und findet sich bei Veranstaltungen wie Demonstrationen, Rechtsrock-Konzerten oder rechtsextremistischen Kampfsportevents zusammen. Die Mehrzahl der Neonazis sind in Nordrhein-Westfalen in den Parteien Die Rechte und Der III. Weg organisiert. 120 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Rest der Szene in Nordrhein-Westfalen besteht aus kleineren, nur lose organisierten Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich gelegentlich an Veranstaltungen der Partei Die Rechte beteiligen. Finanzierung Beiträge der Anhänger Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Neonazi-Szene ist durch ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus sowie durch ihre Gewaltbereitschaft gekennzeichnet. Neonazis verfolgen die Errichtung eines "Vierten Reiches", basierend auf den programmatischen Forderungen der NSDAP von 1920. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen ein geringeres beziehungsweise gar kein Existenzrecht zuerkannt wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Schwerpunktmäßig agitierte die neonazistische Szene auch 2019 gegen Migranten, insbesondere gegen Flüchtlinge. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Wie bereits im Jahr 2018 war eine Solidaritätskampagne für die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel ein wichtiges Thema für die neonazistische Szene. Die Rechtsextremistin sitzt seit Mai 2018 aufgrund einer Verurteilung wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung Verstorbener in Haft. Am 9. November 2019, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, führten die Neonazis in Bielefeld eine Versammlung durch. Vorgeblich fand sie anlässlich des 91. Geburtstags von Haverbeck-Wetzel statt. Tatsächlich nahmen die Redner immer wieder, teilweise explizit, Bezug auf den Holocaust. Einige Beiträge berührten dabei die Grenze zur Strafbarkeit. Inhaltlich ist die Veranstaltung in die revisionistische Dauerkampagne einzuordnen, die den Nationalsozialismus verherrlicht. Mit rund 230 Teilnehmern dürfte die Teilnehmerzahl deutlich unter den Erwartungen der Veranstalter der Partei Die Rechte geblieben sein. Die Teilnehmer stammen vor allem aus der Neonaziszene, etliche sind in der Partei Die Rechte organisiert. rechtsextremIsmus 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Demonstration für die inhaftierte Holocaustleugnerin Haverbeck-Wetzel Ein Teil der nordrhein-westfälischen Neonaziszene nimmt seit über zehn Jahren an einer jährlichen Demonstration in Remagen teil. Mit der Veranstaltung instrumentalisiert die Neonaziszene vermeintliche Kriegsverbrechen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, um Deutschland als Opfer des Krieges darzustellen und die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren. Solche Veranstaltungen dienen der Vernetzung und ideologischen Selbstvergewisserung der neonazistischen Szene. Am 16. November 2019 beteiligten sich rund 130 Personen daran. Wie in den letzten Jahren war der Anmelder ein seit vielen Jahren aktiver Neonazi aus Grevenbroich. Hauptredner war ein 2019 wegen der Leugnung des Holocausts verurteilter Rechtsextremist. Dieser verbreitete in seiner Rede in Remagen unter anderem antisemitische Verschwörungstheorien: "Dann kann ich mich nur fragen, wie weit ist dieses System davon entfernt, tatsächlich zu kollaborieren mit nicht nur unseren offensichtlich zu sehenden Feinden, sondern mit denen, die tatsächlich seit vielen, vielen Jahrhunderten im Hintergrund die Fäden ziehen." Im Umfeld des Dortmunder Kreisverbandes der Partei Die Rechte agiert seit mehreren Jahren die Aktionsgruppe Dortmund-West. Bei ihr handelt es sich um eine kleine, lose strukturierte Gruppierung von rund zehn Personen, die sich stilistisch an die Erscheinungsform der "Autonomen Nationalisten" anlehnt, die sich wiederum im Habitus und der Kleidung von autonomen Linksextremisten orientieren. So sollen die eigenen rechtsextremistischen Positionen mit einer rebellischen Attitüde transportiert werden, um auch Jugendliche anzusprechen, die bisher keinen Kontakt zu rechtsextremistischen Gruppierungen besaßen. Im Sommer 2019 verteilten die Neonazis 122 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Flugblätter und Pfefferspray vor Freibädern, um ihre fremdenfeindliche Propaganda zu verbreiten, dass Migranten pauschal eine Bedrohung seien. Darüber hinaus beteiligt sich die Gruppierung mehrfach an Demonstrationen der Partei Die Rechte. Dass das politische Selbstverständnis der Aktionsgruppe Dortmund-West an die nationalsozialistische Ideologie anknüpft, macht sie in ihrer Selbstbeschreibung deutlich. Demnach lehnt sie die gegenwärtige Politik ab, die "zur Vernichtung der entstandenen Vielfalt von Rassen und Völkern" führe: "Unsere Antwort ist eine nationale und sozialistische, die auf zwei wesentlichen Dingen fußt: Volksgemeinschaft und Nationalismus." Facebook-Post der Aktionsgruppe Dortmund-West Im Jahr 2017 bildete sich in Kamp-Lintfort um einen seit den 1990er Jahren aktiven Neonazi die Volksgemeinschaft Niederrhein (VGN). Bereits mit dem Begriff "Volksgemeinschaft" in ihrem Namen knüpft die Gruppierung an die gesellschaftspolitische Ideologie im Dritten Reich an, die eine ethnisch und politische homogene Gemeinschaft befürwortete, in der die Rechte des Einzelnen nichts galten. Auf dem Grundstück des Neonazis führt sie regelmäßig Treffen und Musikveranstaltungen durch. Außerdem beteiligte sie sich mit einem eigenen Banner an einer Kundgebung und Demonstration am 8. September 2019 in Mönchengladbach, die ein ehemaliges langjähriges Vorstandsmitglied von Pro NRW organisierte. Der Führungsperson der VGN werfen andere Rechtsextremisten, unter anderem Protagonisten des Dortmunder Kreisverbandes Die Rechte vor, in der Vergangenheit anlässlich eines Strafverfahrens mit den Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet zu haben. Deshalb wird innerhalb der Szene dazu aufgerufen, nicht an Veranstaltungen der VGN teilzunehmen und die rechtsextremIsmus 123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Person von eigenen Veranstaltungen auszuschließen. Die VGN nahm 2019 demzufolge auch nicht an Versammlungen der Neonaziszene beziehungsweise der Partei Die Rechte, allerdings an einigen Versammlungen der Mischszene teil. Beim Freundeskreis Rhein-Sieg handelt es sich um eine Gruppierung, die weitgehend aus der Identitären Aktion Deutschland (IA) hervorgegangen ist. Inzwischen erstrecken sich die Aktivitäten auch über die Landesgrenze Nordrhein-Westfalens hinaus nach Rheinland-Pfalz. Insbesondere gibt es personelle Überschneidungen zum Freundeskreis Westerwald. Die rechtsextremistische Gruppierung legt Wert auf gemeinschaftsstiftende "kulturelle" Aktivitäten, wie Vorträge und gemeinsame Wanderungen. Insbesondere über die Führungsperson Frank Krämer, der als rechtsextremistischer Musiker und Redner auftritt sowie verschiedene multimediale Formate für die Szene herausbringt, ist der Freundeskreis Rhein-Sieg öffentlich präsent und im Rechtsextremismus vernetzt. Im Juni 2018 ist die Atomwaffen Division Deutschland (AWD) erstmals mit einem Video mit dem Titel "AWD DEUTSCHLAND: DIE MESSER WERDEN SCHON GEWETZT!" in Erscheinung getreten. In den USA existiert bereits eine gewaltbereite, neonazistische Gruppierung unter dem Namen "Atomwaffen Division". Diese wird mit mindestens fünf Tötungsdelikten in Verbindung gebracht. Ideologisch beruft sich die Gruppierung auf den US-amerikanischen Rechtsextremisten James Mason und dessen Buch "Siege", das die Sammlung eines neonazistischen Newsletters darstellt. Darin verbreitet er antisemitische und rassistische Positionen und ruft zum gewaltsamen Umsturz auf. In dem Video-Statement der AWD wird durch die Verwendung derselben Symbolik und dem eindeutigen Grußwort an die "true comrades of Atomwaffen Division in the United States" Bezug zum US-amerikanischen Vorbild genommen und die angebliche Gründung eines deutschen Ablegers der US-Amerikanischen "Atomwaffen Division" verkündet. Das Video zeigt einen Rechtsextremisten mit einem Banner der AWD vor der Wewelsburg in Ostwestfalen. Die ehemalige SS-Ordensburg als Hintergrundmotiv zu wählen, weist darauf hin, dass die mutmaßliche Gruppierung sich ideologisch in der Tradition des Nationalsozialismus verortet. Die AWD ist dreimal mit der Verteilung von Flugblättern in Erscheinung getreten, in denen sie Juden und Muslime massiv bedrohte. Eines dieser Flugblätter wurde im Juni 2019 in Köln-Mülheim verteilt. Dies geschah in der Nähe der Keupstraße, in der der NSU 2004 einen Nagelbombenanschlag verübte. Die Verteilung erfolgte wenige Tage vor dem 15. Jahrestag des Anschlags. Das verbale gewaltverherrlichende Agitieren der Gruppierung deutet auf eine sehr hohe Gewaltbereitschaft hin. Daher beobachten die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden die Entwicklung der Gruppierung sehr genau. 124 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Das Verfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen das Aktionsbüro Mittelrhein (AB Mittelrhein) stellte das Landgericht Koblenz im September 2019 gegen den letzten Beschuldigten wegen Geringfügigkeit ein, weil Tatvorwurf und Prozessdauer nicht mehr im Verhältnis standen. Das AB Mittelrhein agierte bis 2012 als neonazistische Kameradschaft im Norden von Rheinland-Pfalz. Zugleich betrieb es gewissermaßen die Geschäftsführung der Aktionsgruppe Rheinland. Letztere diente der Vernetzung von neonazistischen Gruppen und Szenen im Rheinland. Das erste Verfahren dauerte von 2012 bis 2017 und richtete sich gegen 26 Personen. Es wurde eingestellt, weil der Richter in den Ruhestand ging. Das zweite Verfahren wurde im Oktober 2018 aus formellen Gründen nach einem Tag eingestellt. Das nunmehr letzte und dann auch eingestellte Verfahren begann im Februar 2019 gegen 14 Beschuldigte. Einige der ursprünglich 26 Angeklagten sind inzwischen aus der rechtsextremistischen Szene ausgestiegen. Andere haben an Bedeutung innerhalb des Rechtsextremismus gewonnen. Beispielseise ist der ehemals Beschuldigte Sven Skoda mittlerweile Bundesvorsitzender der Partei Die Rechte. Einige Neonazis legen ihren Schwerpunkt auf virtuelle Aktivitäten. Beispielsweise betreibt der Oberhausener Henry H. einen Blog, in dem er vor allem antisemitische Propaganda verbreitet. Das führte zu einem Strafverfahren vor dem Landgericht in Duisburg, das ihn im September 2019 wegen Leugnung des Holocaust zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilte. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die neonazistische Szene in Nordrhein-Westfalen ist überwiegend in den Parteien Die Rechte und Der III. Weg organisiert. Darüber hinaus existieren einige kleinere Gruppierungen. Der Kreisverband Dortmund der Partei Die Rechte stellt weiterhin das Gravitationszentrum der Neonaziszene in Nordrhein-Westfalen dar. rechtsextremIsmus 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Subkulturell geprägter Rechtsextremismus Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit regionalen Schwerpunkten Gründung/Bestehen seit Ende der 1960er Jahre in Großbritannien, seit circa Ende der 1970er Jahre in anderen europäischen Staaten Struktur/ Repräsentanz In der Regel keine festen Strukturen, eine Ausnahme bilden die Hammerskins mit einem festen hierarchischen Aufbau Mitglieder/Anhänger/ 1.350 Anhänger Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Publikationen: sogenannte Fanzines mit Artikeln zur überwiegend subkulturell geprägten Skinhead-Musik-Szene, Interviews und Konzertberichten; CD-Veröffentlichungen Web-Angebote: Bekanntmachungen von Konzerten über bestimme Foren, Veröffentlichungen von Videos über soziale Medien Kurzporträt/Ziele Der subkulturell geprägte Rechtsextremismus definiert sich hauptsächlich über eine spezifische Musik und dem damit zusammenhängenden Lebensstil. Es geht darum, eine Erlebniswelt mit gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Musikveranstaltungen zu schaffen, in der die Ideologie nur eine nachrangige Rolle spielt. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten vertreten rassistische, fremdenfeindliche, nationalistische und antisemitische Positionen. Zudem befürworten sie rassistische Gewalt. Rechtsextremistische Skinheads bilden immer noch die wichtigste Subkultur im Rechtsextremismus. Äußerlichkeiten wie Dresscode oder Haarschnitt lassen heutzutage allerdings kaum noch eine 126 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 eindeutige Zuordnung zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene zu. Einerseits gibt es weitgehend unpolitische Jugendliche, die ein vermeintlich Skinhead-typisches Aussehen zeigen, ohne dem rechtsextremistischen Teil der Szene anzugehören. Andererseits verlieren die altbekannten Erscheinungsbilder seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Insbesondere für den rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene ist es im Alltag einfacher, nicht durch offensichtliches Tragen von einschlägig bekannten Zeichen oder Haarschnitten eine politische Zuordnung zu ermöglichen. Finanzierung Rechtsextremistische Bands versuchen sich über Verkäufe von CDs und Merchandise-Artikeln sowie über die Organisation und Durchführung von Musikveranstaltungen zu finanzieren. Oftmals erzielen sie jedoch maximal eine kostendeckende Durchführung von Konzerten. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Subkulturell geprägte Rechtsextremisten vertreten rassistische, fremdenfeindliche, nationalistische und antisemitische Positionen gepaart mit einem hohen Gewaltpotential. Musik spielt hier eine herausragende Rolle zur Selbstvergewisserung, Politisierung und Rekrutierung der Szene. Bands, CDs und Konzerten gilt deshalb ein besonderes Interesse. Oftmals gehen gerade rechtsextremistische Musikveranstaltungen mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Liedtexten sowie gelegentlich mit offenen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus, wie dem Zeigen des Hitler-Grußes, einher. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Organisationen Blood and Honour und Hammerskins sind die wichtigsten international tätigen Skinhead-Organisationen, die Konzerte veranstalten. In Deutschland wurde bereits im September 2000 die Blood and Honour-Division Deutschland verboten. Während diese rechtsextremIsmus 127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Organisationen früher miteinander konkurrierten, haben sie sich in den letzten Jahren zunehmend angenähert und kooperieren punktuell bei Veranstaltungen miteinander. Unter dem Namen Combat 18 (C18) ist seit 2013 zudem eine Gruppierung in Deutschland aktiv, der auch Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen angehören. Combat 18 steht als Chiffre für "Kampfgruppe Adolf Hitler". Die in anderen Ländern bekannten C18-Gruppierungen sind in der Regel eng mit dem internationalen Netzwerk Blood and Honour verbunden und verstehen sich zum Teil als deren militanter Arm. Am 23. Januar 2020 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat C18 nach dem Vereinsgesetz verboten. Der Verein richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Als Vereinszweck sind bei C18 der Aufbau einer Gemeinschaft, die eine gemeinsame nationalsozialistische, rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Ideologie teilt, sowie das gemeinsame Engagement für die rechtsextreme Musikszene anzusehen. Das Vorgehen des Vereins ist besonders verdeckt. Das hochgradig konspirative Verhalten zeigt die gesteigerte Ernsthaftigkeit, mit der die Gruppierung ihre Ziele verfolgt. C18 ist eine Keimzelle für rechtsextremistisches Gedankengut und verfügt durch seinen elitären Charakter über eine hohe Anziehungskraft innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass C18 strategische Überlegungen zur künftigen Aufstellung der Gruppierung zwecks Erweiterung ihres Wirkungskreises anstellt. Trotz des überwiegend verborgenen Verhaltens sind Protagonisten der Gruppierung gelegentlich bei rechtsextremistischen Veranstaltungen festzustellen. So nahm der führende Akteur aus Nordrhein-Westfalen mehrfach an Demonstrationen teil, auf denen er Kleidung mit C18-Symbolik trug. Dazu zählt unter anderen eine Demonstration, die die Partei Die Rechte am 1. Mai 2019 in Duisburg organisierte. Auch überregionale Veranstaltungen besuchten C18-Mitglieder. Beispielsweise nahm eine Gruppe im Juni 2019 am rechtsextremistischen "Schild und Schwert Festival" in Ostritz (Sachsen) teil. Anlässlich der Inhaftierung von C18und Blood and Honour-Anhängern im Jahr 2018 fand im Januar des Berichtsjahres eine Solidaritätsaktion von C18 statt. Hierbei traf sich Anfang Januar 2019 eine einstellige Zahl von Mitgliedern der Gruppierung am Hermannsdenkmal in der Nähe von Detmold und zeigte Plakate mit der Forderung "Freiheit für unsere Inhaftierten Brüder", auf denen das Symbol von C18, ein Drache, abgebildet war. 128 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bands und Konzerte Rechtsextremistische Musik hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten in verschiedene Musikstile ausdifferenziert. Zu den gängigsten Stilrichtungen zählen Rechtsrock, Balladen, National Socialist Black Metal und der in letzter Zeit aufgekommene Nationale Rap. Weiterhin bleibt dabei Rechtsrock die bedeutendste Stilrichtung. Diese zeichnet sich durch Ankündigung eines als Geburtstagsfeier getarnten Rechtsrock-Konzerts hart gespielte Gitarrenakkorde, lauten - teils geschrienen - Gesang und eine aggressive Grundstimmung aus. Aus Nordrhein-Westfalen sind unter anderem die Bands Oidoxie, Sleipnir, Division Germania, Sturmwehr und Smart Violence seit mehreren Jahren aktiv und verfügen über eine überregionale Szeneprominenz im Bereich Rechtsrock. Seit Sommer 2019 agiert die bisherige Führungsfigur der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) in Nordrhein-Westfalen, Kai Naggert, unter dem Pseudonym Prototyp als Rechtsrapper. Er tritt gemeinsam mit einem rechtsextremistischen Musiker mit dem Künstlernamen Chris Ares auf und veröffentlichte mit ihm das Lied "Neuer Deutscher Standard". Dieses Lied erschien sogar in den Charts verschiedener kommerzieller Streamingdienste. In dem Lied wird ethnischer Nationalismus gepaart mit Widerstandsrhetorik verbreitet. So heißt es unter anderem: "Aufrecht stehen, absolut, gerade gehen, Deutsches Blut / Patrioten die sich wehr'n, wir ham' von dem Scheiß genug". Die Musik der beiden Rechtsextremisten erscheint unter dem Label Arcadi Musik im Arcadi Verlag, der zu Publicatio e.V. gehört. Das Label versteht sich als "patriotische Gegenkultur" und konzentriert sich bislang auf Musiker aus dem Umfeld der IBD. Im Dezember 2019 veröffentlichte es einen Aufruf, mit dem es seine Aktivitäten ausweiten möchte: "Musiker gesucht! Werde Teil der patriotischen Musiker-Phalanx!". rechtsextremIsmus 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Konzerte sind ein wichtiges Element der Erlebniswelt Rechtsextremismus, in der politische Agitation, Freizeitaktivitäten und Unterhaltung verbunden werden, um insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene anzusprechen. Die Attraktivität der Veranstaltungen machen neben der Musik das Treffen Gleichgesinnter, der Konsum von Alkohol und das Zeigen rechtsextremistischer Symbolik sowie Slogans aus. Im Unterschied zu den vorwiegend rocklastigen, größeren Konzerten dienen Balladenoder Liederabende dazu, einen eher kleineren Teilnehmerkreis anzusprechen. Dabei spielt meistens ein Sänger mit Gitarre überwiegend ruhige Stücke. Derartige Veranstaltungen werden oftmals von Parteiverbänden oder Freien Kameradschaften mit dem Ziel organisiert, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Rechtsextremistische Tonträger und Devotionalien werden auf vielfältige Weise vertrieben. Überwiegend erfolgt der Handel über das Internet, weiterhin über Verkaufsstände bei Veranstaltungen und in Szeneläden. Wirtschaftliche Interessen sind nach wie vor eine wichtige Motivation bei der Vermarktung von rechtsextremistischen Musik und Szene-Artikeln. Viele Inhaber rechtsextremistischer Musik-Vertriebe bestreiten ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Szene-Produkten oder betrachten den Handel als einen lukrativen Nebenverdienst. Im Jahr 2019 fanden in Nordrhein-Westfalen insgesamt drei Konzerte, 22 Liederbeziehungsweise Balladenabende und 15 sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen mit Livemusik statt. Zu den sonstigen Veranstaltungen zählen zum Beispiel parteiinterne Feste oder Geburtstagsfeiern, bei denen Musik Teil der Veranstaltung ist. Dies soll zum einen den Zusammenhalt der Gemeinschaft stärken und zum anderen sollen Erlöse erwirtschaftet werden. Die Anzahl der festgestellten Musikveranstaltungen ist im Vergleich zum Vorjahr von 26 auf 40 angestiegen. Als Veranstalter fungierten dabei in vielen Fällen Privatpersonen und Kreisverbände der Partei Die Rechte. Seit 2014 fanden in den Städten Dortmund und Hamm die meisten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen innerhalb Nordrhein-Westfalens statt. Bei der Mehrzahl der Veranstaltungen nahmen nicht mehr als 100 Personen teil. Der bekannteste Veranstaltungsort für rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hamm war bislang das sogenannte "Zuchthaus". Dieses ist seit mehreren Jahren ein Treffpunkt für Anhänger der rechtsextremistischen Szene gewesen und hatte sogar überregionalen Zulauf. Nachdem im August 2019 noch ein von der Partei Die Rechte organisiertes Sommerfest im "Zuchthaus" stattfand, bei dem auch drei Rechtsrockbands auftraten, verhängte die Stadt Hamm im Oktober 2019 ein Nutzungsverbot für das Objekt. Gestützt wurde dieses auf fehlende Genehmigungen und unzureichende Brandschutzmaßnahmen. 130 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Um Sicherheitsund Ordnungsbehörden keine Gelegenheit zu geben, Konzerte und andere Veranstaltungen mit rechtsextremistischen Ideologieelementen zu verbieten oder einzuschränken, haben die Veranstalter zwei unterschiedliche Strategien entwickelt. Die erste Strategie setzt darauf, Veranstaltungen konspirativ zu organisieren und manchmal auch Räumlichkeiten im angrenzenden Ausland zu suchen. In Nordrhein-Westfalen setzt die Szene vor allem auf diese Strategie. Neben Konzerten im Inland fanden 2019 wieder Musikveranstaltungen in anderen Ländern Europas statt. Unter anderem trat die Dortmunder Band Oidoxie bei Konzerten in Bulgarien und Schweden auf. Bei der zweiten Strategie melden die Organisatoren die Veranstaltung als politische Kundgebung an. Indem sie einige Redner auftreten lassen, fällt das Konzert dann unter das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Sofern Versammlungsbehörden in Verbotsverfügungen auf den kommerziellen Charakter der Veranstaltungen abgestellt haben und sie verbieten wollten, sind sie damit in mehreren Fällen vor den Verwaltungsgerichten gescheitert. Eine der größten Veranstaltungen im Jahr 2019 war das Rechtsrockfestival "Tage der nationalen Bewegung", das vom 5. bis 7. Juli 2019 in Themar (Thüringen) stattfand. Diese Veranstaltung lockte über 1.000 Rechtsextremisten an. Aus Nordrhein-Westfalen spielten die Bands Oidoxie und Sturmwehr. Kampfsport Ein weiteres wichtiges Veranstaltungsformat für die rechtsextremistische Szene in Nordrhein-Westfalen sind Kampfsportveranstaltungen. Am 12. Oktober 2019 sollte die siebte, jährlich wiederkehrende Kampfsportveranstaltung Kampf der Nibelungen (KdN) stattfinden. Als Veranstaltungsort war Ostritz (Sachsen) vorgesehen. Wie in den Vorjahren organisierte der Rechtsextremist Alexander Deptolla, der zugleich eine Führungsrolle im Dortmunder Kreisverband der Partei Die Rechte einnimmt, den KdN. Erstmals nach sechs bereits durchgeführten Veranstaltungen der rechtsextremistischen Kampfsportreihe gelang es den zuständigen Polizeiund Ordnungsbehörden, das Turnier zu verbieten. Begründet wurde dies mit der von der Veranstaltung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Anmelder legte zwar Widerspruch gegen das Verbot ein, jedoch wurde es in letzter Instanz vom sächsischen Oberverwaltungsgericht bestätigt. Bei der KdN-Veranstaltung am 13. Oktober 2018 in Ostritz (Sachsen) trat der russische Rechtsextremist Denis Kapustin als Mitorganisator hinzu. Dieser ist mit seiner Organisation "White Rex" europaweit aktiv und hat maßgeblich dazu beigetragen, die rechtsextremistische Kampfsportszene zu professionalisieren. Damit hat er die rechtsextremIsmus 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Popularität von Kampfsport innerhalb der Szene weiter erhöht. Zudem leitete er in den vergangenen Jahren in Deutschland und anderen europäischen Ländern bei verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen Kampfsporttrainings an. Kapustin lebte viele Jahre in Nordrhein-Westfalen und besaß eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis, die 2019 erlosch. Zwischenzeitlich hält sich Kapustin in der Ukraine auf. Gegen ihn wurde wegen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ein Einreiseverbot für den sogenannten "Schengenraum" verhängt. Konzeptionell soll aus Sicht der Rechtsextremisten der KdN eine explizite Gegenveranstaltung zu anderen "unpolitischen" Kampfsportveranstaltungen sein und durch Bestätigung der ideologischen Überzeugungen die Vernetzung sowie den Zusammenhalt der Szene fördern. Auf der Webseite des KdN propagieren die Verantwortlichen die Ablehnung der freien demokratischen Grundordnung und des "faulen politischen Systems". Kampfsport wird in diesem Zusammenhang als Mittel gesehen, demokratiefeindliche Bestrebungen zu stärken, indem eine Freund-Feind-Ideologie verbreitet und im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Widerstandsund Bürgerkriegsrhetorik die Gewaltbereitschaft und -fähigkeit der Szene erhöht wird. Außerdem erzielen die Veranstalter bei solchen Events über den Verkauf von Eintrittskarten, Erlösen aus Gastronomie und szenetypischen Verkaufsständen nicht unerhebliche Einnahmen, die zumindest in Teilen in die Szene zurückfließen. Mit dem sogenannten "Schild und Schwert Festival" am 21. und 22. Juni 2019 in Ostritz versuchte der Veranstalter, der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD, eine umfassende Erlebniswelt Rechtsextremismus anzubieten. Die offiziell als politische Kundgebung mit Musikdarbietungen angemeldete Veranstaltung bot den Rechtsextremisten an zwei Tagen Musik, politische Reden, eine Kampfsportveranstaltung, die eine verkleinerte Ausgabe des KdN darstellte, eine Tattoo-Convention und eine Art Messe rechtsextremistischer Musikund Kleidungsmarken, Verlage sowie Organisationen. Zudem konnten die Besucher auf dem Veranstaltungsgelände zelten oder anderweitig übernachten. Mit diesem Format versucht man ein Event für die Szene zu schaffen, das gleichzeitig die Rechtsextremisten politisch festigen und unterhalten soll sowie zu ihrer Vernetzung beiträgt. Daneben wollen die Veranstalter letztlich Geld verdienen. Am ersten Tag nahmen am "Schild und Schwert Festival" knapp 300 Personen, am zweiten Tag fast 700 Personen teil. Als Redner trat unter anderem der Bundesvorsitzende der Partei Die Rechte Sascha Krolzig aus Dortmund auf. 132 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Rechtsextremistische Musik ist zum einen ein Ausdrucksmittel einer Subkultur, die sich für Menschenverachtung und Demokratiefeindschaft ausspricht. Zum anderen ist sie ein effektives Mittel rechtsextremistischer Strategen, ihre Propaganda Jugendlichen und jungen Erwachsenen nahezubringen. Zudem handelt es sich bei rechtsextremistischer Musik um ein kommerzielles Geschäft, an dem Bands, Konzertveranstalter und Vertriebe verdienen. In Nordrhein-Westfalen nutzt die Partei Die Rechte den Parteistatus, um erlebnisorientierte Veranstaltungen inklusive Konzerten oder Balladenabende zu veranstalten. Damit möchte sie sowohl Anhänger binden, als auch Erlöse erzielen. Mit der Modernisierung der Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hat sich auch deren Musik gewandelt. Die Vielfalt an Musikstilen hat zugenommen. Dies beinhaltete sogar ideologisch widersprüchlich erscheinende Entwicklungen wie Nationaler Rap. Durch die digitale Revolution der letzten 20 Jahre haben sich die Vertriebsbedingungen für rechtsextremistische Musik enorm verbessert. Nach einer über längere Zeit rückläufigen Entwicklung gewinnen rechtsextremistische Musikveranstaltungen seit 2014 wieder an Bedeutung. Es finden mehr Konzerte statt und seit 2016 mehren sich Großveranstaltungen mit über 1.000 Besuchern. Die subkulturelle Szene trägt dazu bei, Feindbilder zu verbreiten und die Gewaltbereitschaft der Szene zu stärken. Angesichts dessen beobachtet der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die Szene hinsichtlich möglicher Radikalisierungstendenzen mit großer Aufmerksamkeit. Staatliche Maßnahmen beeinträchtigen die Aktivitäten der subkulturellen Szene. Dies umfasst Vereinsverbote wie bei C18, baurechtliche Nutzungsuntersagungen von Szeneobjekten oder ordnungsrechtliche Verbote von Veranstaltungen wie dem KdN. rechtsextremIsmus 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Reichsbürger und Selbstverwalter Sitz/Verbreitung NRW-weite Verbreitung Gründung/Bestehen seit 1985 (Gründung der ersten Reichsbürgergruppierung Kommissarische Reichsregierung (KRR) in Berlin) Struktur/ Repräsentanz Die heterogene Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter besteht aus einer Vielzahl von Einzelpersonen und Kleingruppen, die zum Teil miteinander kooperieren, sich zum Teil aber auch scharf voneinander abgrenzen. Neben kleinen, sektenartigen Gruppen mit hohem Organisationsgrad gibt es ebenso lose strukturierte Gruppierungen sowie Einzelpersonen, die nur im Internet aktiv sind oder sich an Behörden wenden. Bei der Mehrzahl der Reichsbürger und Selbstverwalter in Nordrhein-Westfalen ist keine feste Organisationsbindung erkennbar. Mitglieder/Anhänger/ rund 3.200 Anhänger Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Eigene Internetauftritte der einzelnen Gruppierungen, auf denen umfangreiche Schriftsätze zum Download angeboten werden; entsprechende Diskussionsplattformen Kurzporträt/Ziele Inhaltlicher Konsens der Reichsbürgerbewegung sind Behauptungen, dass erstens das Deutsche Reich in den Grenzen des Kaiserreichs von 1871 beziehungsweise der 1930er Jahre weiterhin existiere und dass zweitens der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Legitimation fehle. Die Bundesrepublik sei eine GmbH und die Behörden deshalb nur "Scheinbehörden". Teilweise behaupten Reichsbürger 134 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 auch, dass eine von ihnen geführte kommissarische Reichsregierung die Staatsgewalt ausübe. Daraus leiten sie für sich hoheitliche Befugnisse ab. Selbstverwalter knüpfen dagegen in ihrer Argumentation nicht an eine staatliche Autorität an. Sie berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht, wonach sie als Individuen eigene Hoheitsrechte besäßen. Reichsbürger und Selbstverwalter sprechen gleichermaßen demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab und begehen Verstöße gegen die Rechtsordnung. Die Anhänger sind überzeugt, nach einem von ihnen erklärten Austritt aus der angeblichen GmbH in der Folge nicht weiter an bestehende Gesetze gebunden zu sein. Teile der Reichsbürger-Szene überschneiden sich mit der rechtsextremistischen Szene und vertreten rechtsextremistische Argumentationsmuster. So bezeichnet sich die Germaniten Partei aus Vlotho beispielsweise als "Arische Partei" und verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter lässt sich in drei Motivgruppen unterteilen: erstens Rechtsextremisten, zweitens Verschwörungstheoretiker und drittens Personen, die sich finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat entziehen möchten. Im jeweiligen Einzelfall können sich die Motive unterschiedlich mischen. Oftmals haben Reichsbürger und Selbstverwalter durch eine Lebenskrise Zugang zur Szene gefunden. Zudem treten in der Reichsbürger-Szene oftmals Personen mit psychisch kranken Verhaltensmustern auf. Reichsbürger und Selbstverwalter stellen ein erhebliches Gewaltpotenzial dar. Wiederkehrend sind Gewaltdelikte und ein teilweise rechtsextremIsmus 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 umfangreicher Waffenbesitz in dieser Szene festzustellen. Gerichte, Polizei und Behörden werden in ihrer Arbeitsweise behindert und deren Mitarbeiter eingeschüchtert und bedroht. Finanzierung Eigene Mittel Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Reichsbürger und Selbstverwalter sind verfassungsfeindlich, da sie die freiheitliche demokratische Grundordnung offensiv ablehnen. Dies zeigt sich unter anderem im Verweigern von Steuerzahlungen und Nichtanerkennen von behördlichen Bescheiden sowie im vermeintlichen Errichten eigener "Staaten". Gerichten und Behörden gegenüber wird latent - mitunter auch offen - aggressiv aufgetreten. Die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen bietet hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung, auch wenn diese Bestrebungen nur zum Teil einen eindeutig rechtsextremistischen Hintergrund, wie zum Beispiel ein gebietsund geschichtsrevisionistisches Weltbild, haben. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Verfassunggebende Versammlung (VV) gründete sich nach eigenen Angaben 2014 und verfügt über bundesweite Strukturen. In NRW gehören ihr etwa 110 Mitglieder an. Diese treffen sich intern zu sogenannten "Stammtischen". Die Anhänger der VV gehen davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Wiedervereinigung erloschen ist und es daher keine gültigen Gesetze gebe. Die VV soll daher eine neue Verfassung begründen. Hierzu gründete sie am 4. April 2016 den fiktiven Staat "Bundesstaat Deutschland". Der Stand der eigenen Verfassungsberatungen sowie die ideologische Positionen werden auf den Webseiten der Gruppierung dargestellt. Der VV sind direkt oder indirekt diverse Internetauftritte und Kanäle in sozialen Medien wie Facebook, Twitter, YouTube und vk.com zurechenbar. Hier tritt sie auch als "Deutsche Depeschen Bild und Tonagentur/ddb" auf. Unter diesem Namen betreibt sie ebenfalls ein eigenes Internetradio, auf welchem auch flüchtlingsfeindliche, rassistische sowie antisemitische Positionen verbreitet und das politische System Deutschlands und seine Repräsentanten in Gänze diffamiert werden. Im Jahr 2019 erhöhte die VV ihre öffentlichen Aktivitäten außerhalb des Internets. Dies zeigte sich anhand diver136 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ser Schreiben an nationale und internationale Regierungschefs sowie an Landesund Bundesbehörden. Bei den im Jahr 2019 in Nordrhein-Westfalen in Erscheinung getretenen Gruppierungen handelt es sich vor allem um die Justiz-Opfer-Hilfe (auch Volksgruppe Germaniten/Staat Germanitien) in Löhne/Rinteln, das Indigene Volk Germaniten in Bochum, das Netzwerk diverser "reaktivierter Gemeinden" sowie vereinzelter verfestigter Szenen auf lokaler Ebene. Reichsbürger-Organisationen bestärken ihre Anhänger und Sympathisanten zu renitentem Verhalten gegenüber den staatlichen Einrichtungen durch im Internet verfügbare Musterschreiben an Behörden, in denen die Nutzer nur noch den Absender und den Empfänger eintragen müssen. Reichsbürger und Selbstverwalter behindern ebenso die Arbeit der Justizbehörden, indem sie Störaktionen im Rahmen von Verhandlungsterminen initiieren und dabei die Identität der Justizmitarbeiter und die Legalität des Gerichts in Frage stellen. Auch hierzu werden im Internet Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Politische Öffentlichkeit Klassische politische Beteiligungsformen nutzt die Reichsbürger-Szene eher selten. Die Organisation staatenlos.info hielt 2019 in Dortmund und Köln mehrere kleine Standkundgebungen ab, an denen jedoch nur wenige Personen teilnahmen und die kaum Öffentlichkeitswirksamkeit erzielten. Sie zog sich dabei gelbe Warnwesten über und versuchte damit an die in Frankreich durchgeführten sozialen Proteste optisch anzuknüpfen. Gewalt und Einschüchterung Reichsbürger und Selbstverwalter versuchen teilweise Amtshandlungen der Mitarbeiter von Kommunen, Justiz und Polizei digital zu dokumentieren. Auf diese Weise entstandene Videos und Audios werden unerlaubt im Internet verbreitet. Dabei wird das Material oft so zurechtgeschnitten, dass die Behördenmitarbeiter inkompetent oder überfordert wirken. Diese Strategie zielt darauf ab, die Bediensteten einzuschüchtern und künftig von ihrem Handeln abzuhalten. Darüber hinaus fielen sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter strafrechtlich durch passive Widerstandshandlungen bis hin zu Körperverletzungsdelikten auf. Problematisch ist die in der Szene verbreitete Waffenaffinität sowie die Bereitschaft, rechtsextremIsmus 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Gewaltdelikte zu begehen. Die zuständigen Waffenbehörden prüfen deshalb bei jedem bekannt gewordenen Anhänger der Reichsbürgerszene in Nordrhein-Westfalen den Entzug von etwaigen Waffenerlaubnissen. Reichsbürgeraktion der Gruppierung staatenlos.info in Anlehnung an die französischen "Gelbwesten-Bewegung" Bewertung, Tendenzen, Ausblick Reichsbürger und Selbstverwalter beschäftigen durch ihre Aktivitäten intensiv die Behörden, insbesondere die Kommunen. Reichsbürger und Selbstverwalter behindern mit absurden Anträgen oftmals eine zügige Bearbeitung von Vorgängen, verüben aber auch Einschüchterungsversuche und Gewalttaten gegen Beschäftigte von Behörden. Reichsbürger und Selbstverwalter sehen sich gelegentlich - neben ihrer Fundamentalopposition zu staatlichen Institutionen - genötigt, Vorsorge für vermeintlich drohende Endzeitszenarien zu treffen. Obwohl partiell auch Überschneidungen zur Szene der so genannten Prepper (abgeleitet von: to prepare = sich vorbereiten) bestehen, handelt es sich hierbei jedoch nicht um strukturelle Überlappungen oder verstetigte organisatorische Verbindungen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Aktionismus und Aggression in der Reichsbürger-Szene weiter verstärken und es zu Radikalisierungseffekten kommt. Deswegen bewertet der Verfassungsschutz die Reichsbürger und Selbstverwalter als Bestrebung mit erheblichem Gefahrenpotenzial. 138 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die virale Verbreitung der Reichsbürger-Ideen im Internet setzt sich fort und wird weitere Sympathisanten zu entsprechenden Aktivitäten mobilisieren. Andererseits zeigen sich Ansätze, dass die repressiven Maßnahmen der Polizeibehörden bei Straftaten, die Aufklärung über Personen und Aktionen der Szene durch den Verfassungsschutz sowie konsequentes Vorgehen der kommunalen Behörden im Umgang mit Reichsbürgern und Selbstverwaltern zugleich zur Eindämmung des Phänomens beitragen. rechtsextremIsmus 139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Rechtsextremistische Zeitschriften Im Rechtsextremismus dienen Zeitschriften als Meinungsund Informationssystem, das diese Szene braucht, um gemeinsam aktionsund strategiefähig zu bleiben. Zudem schaffen sie die Möglichkeit der ideologischen Selbstvergewisserung. Diese Funktionen sind umso wichtiger, je mehr sich der Rechtsextremismus ausdifferenziert und von informellen Strukturen geprägt ist. Medien transportieren ideologische Elemente, aktuelle Kampagnenthemen und Begriffe in die vielfältigen Verästelungen des Rechtsextremismus. Sie halten die Szene informiert und binden die Anhänger ein. Das geschriebene, vor allem das gedruckte Wort hat zudem auch einen symbolischen Wert: Es gibt rechtsextremistischen Botschaften scheinbares Gewicht, Substanz und Dauerhaftigkeit. Bis in die 1990er Jahre standen Zeitschriften im Vordergrund. Inzwischen haben Websites und vor allem das Social Web den Printmedien weitgehend den Rang abgelaufen. Insofern ist es auffallend, dass Rechtsextremisten aus Nordrhein-Westfalen seit 2016 mit den Magazinen N.S. Heute und Reconquista zwei neuere Ideologieorgane herausbringen. Weiterhin stammt die rechtsextremistische Zeitschrift Unabhängige Nachrichten ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen und findet aufgrund ihrer jahrzehntelangen Geschichte Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. N.S. Heute Die erste Ausgabe der rechtsextremistischen Zeitschrift N.S. Heute ("Nationaler Sozialismus Heute") wurde im März 2017 im Sturmzeichen-Verlag publiziert. Das Magazin erscheint in einem Zyklus von zwei Monaten und umfasst etwa 60 Seiten. Das Periodikum versteht sich als Beitrag zur Schulung der bundesweiten Neonazi-Szene und spiegelt deren Erlebniswelt und Weltanschauung wider. Die Finanzierung der Zeitschrift, die in einer Auflagenhöhe von 1.500 Exemplaren erscheint, erfolgt vor allem über Abonnements. Laut Aussage der Verantwortlichen hat die Zeitschrift 600 Abonnenten. Verantwortlicher Schriftleiter und Herausgeber der Publikation ist einer der beiden Bundesvorsitzenden der Partei Die Rechte. 140 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im November 2019 veröffentlichte der Herausgeber eine Meldung auf der Webseite der Zeitschrift, wonach die Staatsanwaltschaft Dortmund wegen verschiedener Volksverhetzungsund Propagandadelikte in mehreren Artikeln der Zeitschrift in Ausgaben aus den Jahren 2017 und 2018 Anklage erhoben habe. Die Anklage betrifft sowohl den Herausgeber als auch mehrere Autoren. In seiner 14. Ausgabe (März/April 2019) beschäftigt sich die Zeitschrift schwerpunktmäßig in einem verschwörungstheoretischen Duktus mit verstorbenen Rechtsextremisten. Dabei werden frühere Rechtsterroristen und andere rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter teilweise zu Märtyrern stilisiert. Zugleich suggerieren die Beiträge den Eindruck, dass die Personen von staatlichen Behörden ermordet wurden. Damit betreibt der Autor eine Kriminalisierung und Delegitimierung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer staatlichen Behörden. Insofern findet eine TäterOpfer-Umkehr statt. Dabei stachelt der Artikel durchaus zu Straftaten an, in dem eine "Trauerrede" des szeneprominenten Neonazis Friedhelm Busse auszugsweise wiedergegeben wird. So sagte er bei der Beerdigung eines porträtierten verstorbenen Rechtsextremisten: "Es gilt zu rächen, zu brechen die Macht. Wir müssen bereit sein zu sterben [sic!], zu retten die Ehr'. Der Kampf geht weiter. Der Sturm bricht los, bis endlich das Reich neu erstanden ist. Wir unsere Feinde hassen, wie sie uns hassen. Bereit sein ist alles." Reconquista Das Magazin Reconquista wird seit 2016 publiziert. Thematische Schwerpunkte der Zeitschrift sind Geschichte, Politik sowie Kultur aus rechtsextremistischer Sicht. Die im Impressum der Zeitschrift angegebene Adresse ist die des Dortmunder Kreisverbandes der Partei Die Rechte. 2019 wurde lediglich eine Ausgabe veröffentlicht. Im Geleitwort deutet der Herausgeber an, dass die "etablierten Parteien" die Wahlen zum Europäischen Parlament manipuliert haben könnten. Im Artikel "Der Islam ist arabisierter Mosaismus" greift der Autor die klassische antisemitische Verschwörungstheorie auf, um Juden als angebliche Verursacher der Flüchtlingsmigration und des islamistischen TerrorisrechtsextremIsmus 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 mus und damit als Feinde Europas zu diskreditieren. Im Artikel heißt es: "Die Drahtzieher der NWO [Neue Weltordnung] benutzen sowohl den islamischen Bevölkerungsüberschuß im Nahen und Mittleren Osten als auch den IS-Dschihadismus, um Europa platt zu machen. [...] Menschen jüdischer Abstammung oder Religion standen und stehen seit eh und je hinter allen Fronten gleichzeitig. Viele saßen während des 2. Weltkrieges sowohl an den Kabinettstischen von London, Paris und Washington als auch im Zentralkomitee der KPDSU. Man sitzt auch heute wieder gleichzeitig und synchron in Trumps Administration und in Putins Mannschaft. Und was die allerwenigsten wissen: Man sitzt auch in Riad und Mekka." Unabhängige Nachrichten Seit 1969 erscheint bundesweit die Monatszeitschrift Unabhängige Nachrichten, welche vom Oberhausener Freundeskreis UN e. V. herausgegeben wird. Die Herausgeber unterstellen, die deutsche Presselandschaft sei gleichgeschaltet und berichte einseitig. Die Ablehnung der freiheitlichen Demokratie sowie die Bagatellisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus werden in dem Artikel "Europa gibt sich auf!" (Heft 8/2019) deutlich. Dort schreibt der ungenannte Autor: "Nicht die Abermillionen Toten oder die unvorstellbaren Zerstörungen sind historisch gesehen die europäische Katastrophe, sondern es ist der Ungeist der angloamerikanischen Sieger, der seit über 70 Jahren in Europa und vor allem in Deutschland die Gehirne vernebelt." Migranten, insbesondere Flüchtlinge, werden in den Beiträgen durchweg pauschal negativ dargestellt. So heißt es in dem Artikel "Die totgeschwiegenen Proteste": "Sie erinnern daran, dass weiterhin jährlich zehntausende Migranten, deren Kultur und deren Glaube im Mittelalter stehengeblieben sind, in unser Land strömen." Die Russlanddeutschen Konservativen Die Herausgeber und Autoren der unregelmäßig erscheinenden rechtsextremistischen Zeitschrift Die Russlanddeutschen Konservativen sind weitgehend identisch mit den Hauptprotagonisten der rechtsextremistischen Partei Arminius Bund. Während die Partei ihre Aktivitäten mutmaßlich eingestellt hat, veranstaltete die Zeitschrift wie auch schon im Vorjahr ein Lesertreffen in Nordrhein-Westfalen. Vor rund 50 Teil142 rechtsextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 nehmern referierten der sogenannte "Schriftleiter" der neonazistischen Zeitschrift "Volk in Bewegung", ein ehemaliger "Stützpunktleiter" der revisionistischen "Europäischen Aktion" und der YouTuber Nikolai Nerling, der sich als "Der Volkslehrer" auf mehreren Interpräsenzen rechtsextremistische Inhalte verbreitet. Die Treffen zielen darauf, den Diskurs innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu fördern und Personen aus unterschiedlichen Organisationen zu vernetzen. Bereits beim Lesertreffen 2018 erläuterte ein Referent die Strategie mit folgenden Worten: "Es gibt viele andere Wege wie man dieses System bekämpfen kann. Und das wichtigste ist vielleicht die Kultur." rechtsextremIsmus 143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 144 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Linksextremismus lInksextremIsmus 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Die Anzahl der Straftaten im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität links ist in Nordrhein-Westfalen im Berichtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr erneut angestiegen. Diesem Umstand kommt besondere Bedeutung zu, weil im Jahr 2019 keine Räummaßnahmen im Hambacher Forst stattgefunden haben, auf die noch im Jahr zuvor ein Anstieg der Straftatenanzahl zurückzuführen war. Beachtlich ist ebenso die Anzahl der Gewalttaten im Phänomenbereich. Während im Jahr 2019 ein Rückgang der Fallzahlen auf die Hälfte gegenüber dem Jahr 2018 auf eine positive Entwicklung hinzudeuten scheint, muss auch hier der Kontext der Räumung im Vorjahr berücksichtigt werden. So ereignete sich eine Vielzahl der Gewaltstraftaten von Linksextremisten im Zusammenhang mit den polizeilichen Einsatzmaßnahmen im Hambacher Forst im Herbst des Jahres 2018. Ein solches Ereignis fand im Jahr 2019 nicht statt, so dass eine Vergleichbarkeit eher mit der Anzahl der Gewaltstraftaten im Jahr 2017 gegeben ist. Dieser Vergleich zeitigt einen Anstieg von etwa fünf Prozent im Jahr 2019. Autonome Im Berichtszeitraum 2019 waren erneut Autonome die maßgeblich öffentlich wahrnehmbaren Akteure der linksextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen. Das Bild dieser Subkultur innerhalb des Linksextremismus wird stark durch ihre immer wieder sichtbar werdende Gewaltbereitschaft bestimmt. So ist auch der ganz überwiegende Teil der Gewaltstraftaten im Linksextremismus den Autonomen zuzurechnen. Kristallisationspunkt linksextremistischer Gewalt war auch im Jahr 2019 wieder die Besetzung des Hambacher Forstes. Trotz des Rodungsstopps im Hambacher Forst und des Kohlekompromisses begingen die Besetzer zahlreiche Straftaten unter Anwendung von Gewalt. Neben der Zerstörung von Pumpund Transformatorstationen im Bereich des Tagebaus waren Bedrohungen, Nötigungen, Körperverletzungen etc. immer wieder Anlass für polizeiliche Einsätze. Ebenso Anlass für polizeiliches Einschreiten boten neben Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten mehrere Hausbesetzungen, die im Berichtszeitraum unter maßgeblicher Beteiligung von Akteuren des autonomen Spektrums initiiert wurden. Im Wesentlichen adressier146 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ten die Besetzungen das Themenfeld Antigentrifizierung und den Kampf um autonome Freiräume. Dogmatischer Linksextremismus Sowohl die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) als auch die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) nahmen an der Europawahl teil, blieben in Nordrhein-Westfalen jedoch mit 2.960 (DKP) beziehungsweise 4.163 (MLPD) Stimmen im Bereich von 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit unbedeutend. Im Berichtszeitraum waren vermehrt Versuche der MLPD und ihrer Jugendorganisation REBELL festzustellen, über das Themenfeld Klimaschutz und die Beteiligung an Versammlungen von Fridays for Future (FfF) in die Öffentlichkeit zu wirken. Annäherungsversuche der MLPD wurden von den Verantwortlichen von FfF jedoch konsequent zurückgewiesen und führten zum Teil zu Versammlungsausschlüssen der MLPD-Teilnehmer. Entgrenzungsdynamiken Insgesamt waren in verschiedenen Themenfeldern, insbesondere im Bereich Klimagerechtigkeit/Ökologie erneut zunehmende Entgrenzungsdynamiken zu erkennen. Postautonomen Akteuren wie der Interventionistischen Linken (IL) gelang es, näher an demokratische Akteure heranzurücken. Dies zeigte sich in verschiedenen Formen der Kooperation bei der Vorbereitung und Durchführung von Versammlungen und Aktionen, zu der einige demokratische Akteure offenbar zunehmend bereit sind. Wenngleich diese Kooperationen nicht mit der Übernahme von extremistischen Positionen durch demokratische Akteure gleichgesetzt werden können, bieten sie Extremisten die Möglichkeit, der von ihnen offen propagierten Strategie folgend demokratische Akteure zu instrumentalisieren und zu radikalisieren. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y lInksextremIsmus 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Protest, "ziviler Ungehorsam" und militante Gewalt Der Berichtszeitraum 2019 war im Linksextremismus erneut von Protesten, "zivilem Ungehorsam", Militanz und auch Gewalt geprägt. Die Proteste im Bereich des Hambacher Forstes waren in dieser Hinsicht auch im Jahr 2019 wieder sowohl Kristallisationspunkte der demokratischen Klimabewegung aus Deutschland und dem benachbarten europäischen Ausland, aber auch von linksextremistischen Akteuren. Anlässlich des Aktionswochenendes des extremistisch beeinflussten Bündnisses Ende Gelände (EG) vom 19. bis 24. Juni 2019 beteiligten sich erneut mehrere Tausend Menschen an Blockadeaktionen, die durch das Bündnis als "Massenaktion zivilen Ungehorsams im Kampf um Klimagerechtigkeit" definiert und legitimiert worden waren. Ziviler Ungehorsam Während die demokratische Fridays for Future-Bewegung (FfF) am 21. Juni 2019 eine rechtskonforme teilnehmerstarke Demonstration in Aachen durchgeführt hatte, verließen zahlreiche Teilnehmer des Ende Gelände-Aktionswochenendes den demokratischen Konsens, blockierten Verkehrswege und drangen in Betriebsstätten im rheinischen Braunkohlerevier ein. In einem Pressestatement teilte die Sprecherin von EG am 26. Juni 2019 dazu mit: "Unser Protest ist legitim und angesichts der Klimakrise dringend notwendig." Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird in Anspruch genommen, um es in der Folge unzulässig auf Protestformen auszudehnen, die vom demokratischen Grundkonsens nicht mehr, zumindest aber nicht in vollem Umfang umfasst sind. Aktionsteilnehmern wird dabei seitens der Verantwortlichen die vermeintliche Berechtigung für ihr Handeln in zwei Dimensionen dargelegt: 1. Definitionshoheit: Die Verantwortlichen von EG erklären ihre Aktionsform zu einer Form des "zivilen Ungehorsams", der angesichts der drohenden Klimakrise dringend notwendig ist. Damit bestimmen die Akteure, dass die Begehung von Rechtsverstößen der beschriebenen Art sowohl geeignet als auch erforderlich ist, um dem Klimawandel entgegenzutreten. 2. Semantik: In enger Anlehnung an die Definitionshoheit erfolgt die Festlegung einer juristischen Quasi-Rechtfertigung der Protestformen. Insbesondere juristisch nicht 148 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Juni 2019 drangen zahlreiche Teilnehmer des Ende-Gelände-Aktionswochenendes in Betriebsstätten im rheinischen Braunkohlerevier ein. vorgebildeten Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren möchten, vermittelt etwa die Formulierung "legitimer Protest" den Eindruck gesetzeskonformer Demonstrationsformen. Dabei wird hier seitens der Verantwortlichen sehr bewusst die Ähnlichkeit der Begriffe "legal" und "legitim" genutzt, um diesen Eindruck zu erzeugen. Der Umstand, dass es sich bei den Aktionen in Teilen um Gesetzesverstöße handeln könnte, ist den Verantwortlichen von EG dabei sehr bewusst. So wird auf der Website von EG unter anderem in einem Artikel "Infoveranstaltung Ende Gelände - 8. August 2017 um 19:30 Uhr" ausgeführt: "Unsere Aktionen mögen nicht legal sein, aber legitim sind sie allemal." Darüber hinaus werden im Kontext des Klimaschutzes gelegentlich Zitate von moralischen Instanzen oder auch das Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG bemüht, um die Legitimität des "zivilen Ungehorsams" zu belegen. In einer Twitter-Nachricht vom 13. September 2018, 10:30 Uhr etwa ruft EG auf: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!". Dieses Zitat findet sich unter anderem auch in einem Beitrag auf der Website der Waldbesetzung vom 28. Januar 2019 und in einem Artikel "Übernachten im Parkhaus??" der Kritischen Aachener Zeitung vom 18. Juni 2019. Das Zitat geht vermutlich zurück auf Papst Leo XIII. und wurde von Bertolt Brecht als Aufruf zum Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime wiederbelebt. lInksextremIsmus 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 "Ende Gelände" rechtfertigt auf seinem Twitter-Account Maßnahmen des "zivilen Ungehorsams". Bemerkenswert ist, dass das Widerstandsrecht, welches zur Verteidigung der wesentlichen Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Artikel 20 GG niedergelegt wurde, von eben jenen Waldbesetzern reklamiert wird, die unter dem Slogan "Kapitalismus abschaffen, Staaten überwinden, Anarchismus organisieren" eben jene freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Die Übergänge von demokratischem Protest in Aktionsformen des "zivilen Ungehorsams" unter Billigung und Begehung von Rechtsverstößen lassen sich nicht nur im Themenfeld Ökologie/Klimaschutz beobachten. So waren im Berichtszeitraum mehrfach auch Proteste im Themenfeld Antifaschismus von Aktionen geprägt, die unter dem Titel "ziviler Ungehorsam" etwa durch Blockaden von Aufzugswegen, Anreisestrecken oder Veranstaltungsorten rechter oder vermeintlich rechter Akteure mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen. Einen weiteren Aktionsschwerpunkt bildeten dabei Veranstaltungen der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Dabei kam es neben dem friedlichen Protest anlässlich von parteiinternen Veranstaltungen oder auch "Bürgerdialogen" der AfD mehrfach zu Störungen, die eine planmäßige Durchführung der Veranstaltung unmöglich machten. 150 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Militanz und Gewalt In der linksextremistischen Szene wird intern oftmals zwischen Militanz und Gewalt unterschieden. Insbesondere die Autonomen als "Kerngruppe linker Militanz" beanspruchen hier die Definitionshoheit über Begriffe und bezeichnen mit "Militanz" ein breites Spektrum von gewaltfreien bis hin zu gewalttätigen Aktionen. Gewalt ist demnach ein zwar Teilbereich von, nicht aber gleichbedeutend mit Militanz. Diese definitorische Unschärfe des Militanzbegriffs fördert die Relativierung von Gewalt, umfassen militante Aktionen damit doch sowohl Aktionen des "zivilen Ungehorsams" als auch Gewalteskalationen im Sinne massenhafter und direkter körperlicher Angriffe auf Personen wie zum Beispiel im Hambacher Forst. Hierdurch gelingt es der gewaltbereiten Linken, ihre gewaltsamen Aktionen als "Militanz" zu camouflieren, in der öffentlichen Darstellung mit moralischen Aspekten aufzuladen und damit letztlich Gewalt zu rechtfertigen. Am Beispiel des Themas Klimaschutz lässt sich nachweisen, dass in der Folge in Teilen der Öffentlichkeit tatsächlich bestimmte Gewaltstraftaten als akzeptable linke Gewalt für den guten Zweck angesehen werden. So positionierte sich etwa der Sprecher für Energieund Klimapolitik der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE im Nachgang zu einer Großdemonstration am Hambacher Forst: "Das Ganze wäre nicht möglich gewesen ohne die Aktionen des zivilen Ungehorsams von "Ende Gelände", die Beharrlichkeit und Entschlossenheit der Baumbewohnerinnen und Bewohner, die seit sechs Jahren den Wald besetzen. Derjenigen also, die die Proteste unterstützt haben: öffentlich, medial und auch auf juristischem Wege. Alle, die in der Vergangenheit versucht haben, den "friedlichen" Protest und die "Militanten" zu spalten sind gescheitert. Protest, Aufklärung und konkrete Aktion gehören zusammen." Nach dem oben beschriebenen Muster rechtfertigen etwa die Täter im Bereich des Hambacher Forstes ihre Angriffe auf RWE-Mitarbeiter mit dem Kampf für den Erhalt des Waldes. Straftaten, wie etwa Bedrohungen, Brandstiftungen und (versuchte) gefährliche Körperverletzungen zum Nachteil von Mitarbeitern von RWE durch Steine und Brandsätze, sind dabei im Bereich des Hambacher Forstes keine Seltenheit. Bezogen auf den qualitativen Aspekt von Gewalt ist festzustellen, dass sich der im Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2018 beschriebene Veränderungsprozess fortgesetzt hat. Linksextremistische Gewalt, so ist mit Blick auf die Entwicklungen rund um den Hambacher Forst in NRW sowie auf verschiedene Ereignisse im gesamlInksextremIsmus 151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 ten Bundesgebiet zu konstatieren, ereignet sich immer öfter abseits von situativen Konfrontationsdynamiken mit dem politischen Gegner im Rahmen von Versammlungsgeschehen. Täter linksextremistischer Gewaltstraften gehen mittlerweile stärker auch vorbereitet und planvoll vor und wählen Tatorte und -zeiten strategisch aus. Ziel der Gewaltanwendung ist, die Opfer und mit diesen in Verbindung stehende Personen zu Verhaltensbeziehungsweise Einstellungsänderungen zu zwingen. Gewalt dient der Bestrafung der Opfer und der Einschüchterung/Abschreckung. Hinsichtlich der Opfer ist festzustellen, dass auch in dieser Dimension die von Linksextremisten beanspruchte Definitionshoheit von Bedeutung ist: Welche Handlung oder Äußerung etwa von der Szene zum Anlass genommen wird, gewaltsam gegen deren Urheber vorzugehen, unterliegt - teils willkürlich anmutenden - Definitionsund Begründungskonstrukten der gewaltbereiten linksextremistischen Szene. So werden im Bereich des Hambacher Forstes immer wieder Menschen mit der Begründung angegriffen, dass ihr Tätigwerden für RWE dem Konzern erst ermögliche, klimaschädliche Kohleverstromung zu betreiben. Da im "Kampf um Klimagerechtigkeit" auch Militanz gerechtfertigt sei, seien auch "direkte Aktionen" gegen Personen, die RWE unterstützen, gerechtfertigt. Inzwischen beginnt diese lange Zeit erfolgreiche Strategie der Besetzer, Gewalt als "militante Aktionen" zu umschreiben und als "notwendiges Mittel im Kampf für den Klimaschutz gegen Staat und Kapital" zu rechtfertigen, jedoch zunehmend an Wirkung zu verlieren. Der Erhalt des Hambacher Forstes wurde mittlerweile im Konsens der Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft beschlossen. Angesichts dieses Umstandes äußern immer öfter selbst solche Akteure aus dem demokratischen Klimaschutzspektrum, die über lange Zeit hinweg Sympathien für die Besetzung gehegt haben, ihr Unverständnis über die Aufrechterhaltung der Besetzung und die gewaltsamen Übergriffe der Besetzer. So wird immer offensichtlicher, dass Gewalt von Linksextremisten - im Hambacher Forst wie auch anderswo - oft lediglich vordergründig zur Durchsetzung von Zielen angewendet wird, die auch für die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind. 152 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Nicht selten bringen Autonome mit der Anwendung von Gewalt vielmehr den Kern ihres Selbstverständnisses durch Taten zum Ausdruck: Die Ablehnung jedweder staatlicher Ordnung und die Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols. Und die Negierung des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit von Vertretern des Staates oder des politischen Gegners. lInksextremIsmus 153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE Sitz/Verbreitung Sitz in Berlin, Verbreitung deutschlandweit Gründung/Bestehen seit Antikapitalistische Linke (AKL): 2006 Kommunistische Plattform (KPF): 1989 Sozialistische Linke (SL): 2006 linksjugend ['solid]: 2007 Struktur/ Repräsentanz Antikapitalistische Linke (AKL): Gremien: BundessprecherInnenrat (acht Mitglieder), Länderrat der AKL, Mitgliederversammlung Kommunistische Plattform (KPF): Gremien: Bundessprecherrat (sechs Mitglieder), Bundeskoordinierungsrat, Bundeskonferenz Sozialistische Linke (SL): Gremien: BundessprecherInnenrat (aktuell acht Mitglieder) linksjugend ['solid]: Gremien: Bundesverband, Landesverband, Basisgruppen, Hochschulgruppen Mitglieder/Anhänger/ Antikapitalistische Linke (AKL): Bund: circa 1.000/ Unterstützer 2019 Kommunistische Plattform (KPF): Bund: circa 1.100\ Sozialistische Linke (SL): Bund: circa 1.000 linksjugend ['solid]: Bund: 22.500, NRW: 1.200 154 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Veröffentlichungen Antikapitalistische Linke (AKL): Bulletin "aufmüpfig konsequent links" [AKL], zuletzt erschienen 14. Januar 2019 (3. Ausgabe) Kommunistische Plattform (KPF): Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (monatlich) Sozialistische Linke (SL): "realistisch und radikal" (erscheint unregelmäßig) linksjugend ['solid]: regelmäßige Berichterstattung in der Tageszeitung junge Welt (jW), Web-Angebote und Auftritte in den sozialen Medien Kurzporträt/Ziele Die Antikapitalistische Linke (AKL) ist ihrem Selbstverständnis nach "Brückenglied" zwischen der Partei DIE LINKE und den von ihr so bezeichneten "außerparlamentarischen Bewegungen". Sie setzt sich nach eigener Angabe für die "Stärkung des antikapitalistischen Profils" der Mutterpartei ein. Nach wie vor sind zahlreiche führende Mitglieder der AKL zugleich in Gruppierungen wie der Sozialistischen Alternative (SAV) und der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO) aktiv. Diese trotzkistisch ausgerichteten Organisationen verfolgen die Strategie des Entrismus, das heißt, sie streben Funktionen in der SL und/oder der Partei DIE LINKE an und versuchen diese im Sinne ihrer Ideologie zu beeinflussen. In einem im November 2019 online veröffentlichten programmatischen Artikel werden die Ziele der AKL benannt: "[E]ine Gesellschaft ohne Privateigentum an Produktionsmitteln; ohne Lohnund andere Zwangsarbeit und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen; mit umfänglichen Freiheitsrechten, umfänglicher als jede kapitalistische Gesellschaft zuvor, ohne Diskriminierung und mit lInksextremIsmus 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 gleichen Rechten für alle; eine Gesellschaft ohne Krieg und industrielle Gewalt und Gewaltmittel." Monokausal führt die AKL alle politischen Problemstellungen, etwa Umweltzerstörung, Krieg oder soziale Ungerechtigkeit stets auf die kapitalistische Produktionsweise zurück. Die KPF versteht sich als Zusammenschluss, der für die kommunistische Ausrichtung in der Partei verantwortlich ist. Sie bekennt sich zur marxistisch-leninistischen Tradition und strebt den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft an. Nicht zuletzt aufgrund des fortgeschrittenen Alters und der politischen Vergangenheit vieler ihrer Mitglieder besetzt die KPF insbesondere historische Themen wie die Geschichte der DDR beziehungsweise des Sozialismus/Kommunismus. Dabei nimmt sie eine verklärende bis revisionistische Haltung ein. Diese Orientierung an vergangenen kommunistischen Diktaturen wird auch in einem offenen Brief des Bundessprecherrats der KPF an die Vorsitzenden der Gesamtpartei von September 2019 offenbar. In Diktion der Dimitroff-These der Kommunistischen Internationale (Komintern) aus den 1930er Jahren, dem von der Sowjetunion unter Stalin geführten Zusammenschluss der Kommunistischen Parteien heißt es darin: "Wir denken: Maßgebliche Teile des Kapitals - nicht nur in Deutschland - setzen auf die faschistoide Option für den Fall, dass die ohnehin im Verfall befindliche bürgerliche Demokratie gerade in Anbetracht der massiv wachsenden sozialen Verwerfungen optimale Bedingungen für Profitmaximierung nicht mehr gewährleisten kann." Für die KPF sind demzufolge die bürgerliche Demokratie und faschistische Diktaturen nur Varianten einer grundsätzlich vom "Kapital" gesteuerten Gesellschaftsordnung. Charakteristisch ist außerdem eine grundsätzlich ablehnende 156 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Haltung gegenüber der NATO und insbesondere den USA bei gleichzeitig unkritischer Haltung gegenüber der Politik der Russischen Föderation. Die Sozialistische Linke (SL) sieht sich in der Tradition der "sozialistischen, marxistisch geprägten Arbeiterinnenund Arbeiterbewegung" und will den Kapitalismus durch einen "demokratischen und ökologischen Sozialismus" überwinden. Innerhalb der SL agitiert zudem das trotzkistische Netzwerk marx21. Die SL betätigt sich vorrangig in den Feldern Gewerkschaftspolitik, politische Bildung und Umwelt. Die linksjugend ['solid] bezeichnet sich selbst als sozialistischer Jugendverband und richtet sich nach eigenen Angaben an den "emanzipatorischen Traditionen des Kommunismus, des Sozialismus [...]" aus. In ihrer Programmatik fasst die linksjugend ['solid] in einer von ihr so bezeichneten "Kritik an der Weltordnung" alle Aktionsfelder des Linksextremismus zusammen und konstatiert eine sich immer weiter zuspitzende Krise, nicht nur in der Politik, sondern in allen Lebensbereichen: "Unser Leben ist geprägt von unsicheren und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen, ungleichen und immer weiter eingeschränkten Bildungschancen, repressiven Überwachungsmaßnahmen, alltäglichem Rassismus, Ausbrüchen faschistischer Gewalt, einschränkenden und unterdrückenden Geschlechterverhältnissen, der Einschränkung von Grundrechten und der Zerstörung der Umwelt." Dem gegenüber stellt die linksjugend ['solid] eine sozialistische Gesellschaft, in der all diese Probleme gelöst sind: "Die Überwindung des Kapitalismus, hin zu einer demokratisch geplanten Wirtschaft, [...] wäre ein Befreiungsschlag, der es Gesellschaften endlich erlaubt frei zu denken lInksextremIsmus 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 und zu handeln. Niemand müsste hungern, an heilbaren Krankheiten sterben oder den ganzen Tag arbeiten." Diesem dichotomen Weltbild folgend macht die linksjugend ['solid] auch für Probleme wie Umweltzerstörung und Klimawandel allein das kapitalistische Wirtschafssystem verantwortlich. Finanzierung Mittel der Partei DIE LINKE und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei DIE LINKE verfolgt keine Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie lässt allerdings innerparteiliche Zusammenschlüsse zu, bei denen entweder Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung vorliegen oder zumindest den Verdacht begründen. Der Verfassungsschutz NRW beobachtet daher nicht die Partei DIE LINKE als Ganzes, sondern nur die linksextremistischen beziehungsweise die im Verdacht einer linksextremistischen Bestrebung stehenden Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE. Dies sind die Antikapitalistische Linke (AKL), die Kommunistische Plattform (KPF), die Sozialistische Linke (SL) und die linksjugend ['solid]. Gemeinsam ist den genannten Zusammenschlüssen, dass sie - in unterschiedlicher dogmatischer Schärfe - das von ihnen so bezeichnete "kapitalistische System" in der Bundesrepublik Deutschland zugunsten einer sozialistischen Gesellschaftsordnung überwinden wollen. Dies ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Kommunistische Plattform, die Antikapitalistische Linke und die Sozialistische Linke konnten in NRW im Berichtszeitraum kaum über den eigenen Mitgliederkreis hinaus wirken. Einmal jährlich veranstaltet die SL eine Sommerakademie, zuletzt vom 12. bis zum 14. Juni 2019 in Bielefeld unter dem Motto "Klassen*Macht*Politik*". Referiert wurde dort dem Programmheft zufolge unter anderem zu Themen wie "Autoritärer Kapitalismus und Imperialismus im 21. Jahrhundert" und "Change the System not the Climate! Sozialökologischer Umbau aus Klassenperspektive." 158 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Jahr 2019 hatte die SL mit inneren Differenzen zu kämpfen. Hintergrund war vor allem die Haltung zur vom Verfassungsschutz nicht beobachteten Sammlungsbewegung "Aufstehen". Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Konflikte in der Zukunft auf Strategie und Programmatik der SL auswirken. Die linksjugend ['solid] engagierte sich im Berichtszeitraum in den verschiedensten Programmheft zur Sommerakademie 2019 der Sozialistischen Linken öffentlichtkeitswirksamen Themenbereichen. Dabei stellten insbesondere die Proteste und Widerstandsaktionen gegen die türkische Militäroffensive in das unter anderem von Kurden bewohnte und von ihnen so genannte Gebiet "Rojava" im Nordosten Syriens einen zentralen Bestandteil des Engagements der linksjugend ['solid] in Jahr 2019 dar. In diesem Zusammenhang konnte neben selbst angemeldeten Kundgebungen auch die aktive Teilnahme an Veranstaltungen festgestellt werden, die überwiegend linksextremistisch geprägt waren. Dabei stellte sich die linksjugend ['solid] auch an die Seite von Organisationen, die der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) nahestehen, und skandierte unter anderem: "Freilassung aller kurdischen Genoss*innen aus deutschen Knästen, weg mit dem Verbot der PKK!" Auf ihrem Bundeskongress vom 5. bis 7. April 2019 in Essen beschloss die linksjugend ['solid] erneut die Aktionen des linksextremistisch beeinflussten Bündnisses "Ende lInksextremIsmus 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Gelände" zu unterstützen. In der Praxis beteiligte sich der Landesverband NRW nach eigenen Angaben an Gleisblockaden und Baggerbesetzungen. Darüber hinaus nahmen Proteste gegen die Aufmärsche rechtsextremistischer Gruppierungen und Parteien sowie die Unterstützung der Walbesetzerszene im Hambacher Forst großen Raum im Engagement der linksjugend ['solid] im Berichtszeitraum ein. Weitere Handlungsfelder waren Proteste gegen Die linksjugend ['solid] solidarsiert sich auf ihrer Website mit Immobilienunternehmen und strukdem von Kurden bewohnten und von ihnen so genannten Gebiet "Rojava". turelle Veränderungen in urbanen Räumen (Gentrifizierung). Bewertung, Tendenzen, Ausblick Kommunistische Plattform, Antikapitalistische Linke und Sozialistische Linke verfolgen weiterhin politische Ziele, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Wenngleich die Summe der Mitglieder aller drei Parteieinschlüsse bundesweit unter 4.000 liegt und ihre Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen kaum Wirkung außerhalb der Reihen der eigenen Mitglieder entfalteten, erfordert die extremistische Ausrichtung der Akteure weiterhin eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Die linksjugend ['solid] vertritt darüber hinaus auch die Belange linksextremistischer, teilweise gewaltbereiter Gruppierungen und unterstützt diese aktiv bei deren Veranstaltungen und Versammlungen. Auch ihre nationalen und darüber hinaus ihre international ausgerichteten Aktivitäten sind daher weiterhin zu beobachten. 160 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Klimaschutz und Systemwechsel sind für die linksjugend ['solid] miteinander verbunden. lInksextremIsmus 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Sitz/Verbreitung Essen Gründung/Bestehen seit 1968 Struktur/ Repräsentanz Vorsitz: Patrick Köbele Bezirke: Rheinland-Westfalen und Ruhr-Westfalen unterstützte Jugendorganisation: Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Mitglieder/Anhänger/ Bund: rund 3.000 Unterstützer 2019 NRW: rund 800 Veröffentlichungen Publikationen: unsere Zeit (uz, wöchentlich), Marxistische Blätter (theoretische Schriftenreihe, zweimonatlich), verschiedene Web-Angebote Kurzporträt/Ziele Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ist neben der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) eine Kernorganisation des orthodox-kommunistischen Linksextremismus. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Sie bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum Marxismus-Leninismus und strebt die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Nach Vorstellung der DKP soll die Arbeiterklasse als maßgebende gesellschaftsverändernde Kraft durch einen klassenkämpferisch-revolutionären Akt die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, den Parlamentarismus und den 162 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 politisch-gesellschaftlichen Pluralismus überwinden. Über die Zwischenstufe des Sozialismus wird eine klassenlose kommunistische Gesellschaft angestrebt, in der alle wesentlichen gesellschaftlichen Gegensätze, insbesondere der zwischen Kapital und Arbeit, aufgehoben sein sollen. Individualgrundrechte haben in diesem Konzept nur noch eine stark eingeschränkte Bedeutung. Damit richtet sich die DKP gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Europawahl 2019 Mit 5.340 von 4.000 erforderlichen Unterstützerunterschriften nahm die DKP mit bundesweit 37 Kandidatinnen und Kandidaten an der Europawahl 2019 teil. Das Wahlprogramm "Gegen das EU-Europa der Banken, Konzerne und Kriegstreiber - Für ein soziales und friedliches Europa der Völker" wurde im Wahlkampf mit zwei Aktionswochen begleitet. Der Titel der Aktionswoche im April lautete "Gegen die Kriegspolitik von Nato und EU", im Mai wurden Aktionen zum Thema "Personalund Geldnot im Gesundheitswesen" durchgeführt. Unterstützend erschien ein Sonderdruck der Wochenzeitschrift der DKP unsere Zeit mit dem Titel "EU heißt Armut - EU heißt Krieg." Im Wahlergebnis verlor die Partei mit 20.413 Stimmen knapp 5.000 Stimmen gegenüber der Wahl im Jahr 2014. In Nordrhein-Westfalen reduzierte sich das Wahlergebnis von 4.107 Stimmen im Jahr 2014 auf 2.960. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) In der Zeit vom 7. bis 10. Juni 2019 richtete die SDAJ das zweijährlich stattfindende "Festival der Jugend" mit dem Motto "Zeit für Widerstand" im Jugendpark am Rhein in Köln aus. Die Veranstaltung umfasste rund 60 Programmpunkte, darunter Musikbeiträge und Diskussionsforen. Nach Angaben der SDAJ nahmen rund 2.000 Besucherinnen und Besucher teil. Im Rahmen der Veranstaltung wurde unter anderem die "Fridays for Future"-Bewegung (FfF) thematisiert. Nach Auffassung der SDAJ solle der revolutionäre Aspekt dieser Bewegung künftig durch die Teilnahme von SDAJ-Mitgliedern an Versammlungen von FfF im Sinne des Sozialismus/Kommunismus stärker betont werden. lInksextremIsmus 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Wahlplakat zur Europawahl 2019 164 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Für 2020 ist in Frankfurt am Main der 23. Parteitag der DKP geplant. Ein Tagesordnungspunkt ist die Neuwahl des Parteivorsitzenden. Weiterhin hält die DKP an dem traditionellen Pressefest ihrer Wochenzeitschrift unsere Zeit auch in 2020 fest. Die zur Ausrichtung des Festes erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen stehen den Angaben der DKP zufolge bereits zur Verfügung. Die Stimmverluste der Partei zur Europawahl 2019 scheinen das Ergebnis des durch die Parteiführung in den letzten Jahren eingeschlagenen orthodox-ideologischen Kurses zu sein. So waren auch Parteiaustritte und Unvereinbarkeitsbeschlüsse seitens der Parteiführung gewollte Maßnahmen, um das eigene Profil einer zentralistisch geführten Kaderpartei zu stärken. Ob und in welchem Umfang sich die DKP an den Kommunalwahlen 2020 in Nordrhein-Westfalen beteiligen wird, ist aufgrund ihrer fallenden Mitgliederzahlen - auch in traditionellen Hochburgen im Ruhrgebiet - fraglich. lInksextremIsmus 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Sitz/Verbreitung Gelsenkirchen, bundesweite Verbreitung mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen Gründung/Bestehen seit 1982 Struktur/ Repräsentanz Neben Nordrhein-Westfalen verfügt die Partei in fünf weiteren Bundesländern über einen Landesverband. Zahlreiche Gruppierungen mit nomineller Eigenständigkeit dienen der Partei als struktureller Unterbau, darunter als Nebenorganisation der Jugendverband Rebell mit der Kinderorganisation Rotfüchse, und kommunale Wahlbündnisse wie alternativ, unabhängig, fortschrittlich (AUF). Vorsitz: Gabi Fechtner Mitglieder/Anhänger/ Bund: 2.800 Unterstützer 2019 NRW: rund 750 Veröffentlichungen Publikationen: Rote Fahne Magazin, Revolutionärer Weg (RW) Web-Angebote: umfangreiche Internetpräsenz, Rote Fahne News als Online-Nachrichtenmagazin Kurzporträt/Ziele Die Ziele der 1982 aus dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD)" hervorgegangenen Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) sind der revolutionäre Sturz der "Diktatur des Monopolkapitals" und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. 166 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Nach Vorstellung der MLPD soll sich im Verlauf der Revolution die "Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei [Anm: gemeint ist die MLPD] zum bewaffneten Aufstand erheben, [...] den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen [...]" und "[...] die Diktatur des Proletariats errichten [...]". Das gesamte Aktionspotenzial der MLPD fußt damit auf dem geschlossenen marxistisch-leninistischen Weltbild einer klassischen kommunistischen Kaderpartei. Wesentliche Betätigungsfelder der Partei sind die Frauenund Jugendpolitik sowie die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Die MLPD verbindet dies verstärkt mit einer "sozialistischen" Umweltpolitik und der Beteiligung an sozialen Protesten in einem internationalen sozialistischen Kontext. Da sich die MLPD in einer fortdauernden Verfolgungssituation durch den Staat wähnt, agiert sie auf kommunaler Ebene verdeckt. Hier unterstützt die Partei Personenwahlbündnisse wie die Organisation alternativ, unabhängig, fortschrittlich (AUF), die zum Teil personell mit der MLPD verflochten sind. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Einnahmen aus Vermögen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-tung. Sie verbindet nach eigener Aussage "den Kampf um die Forderungen der Arbeiterund Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution". Die Zielsetzungen der MLPD sind durch Aussagen geprägt, die sich gegen wesentliche Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten und lassen sich in den drei Kernpunkten Revolution, Diktatur des Proletariats und Kommunismus zusammenfassen. lInksextremIsmus 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Europawahl 2019 Im März 2019 gab die MLPD bekannt, dass sie die zur Wahlteilnahme erforderlichen 4.000 Unterstützerunterschriften mit 5.000 Unterschriften um 1.000 Stimmen übertroffen habe. Mit einer bundesweiten Liste von 20 Kandidatinnen und Kandidaten nahm die MLPD als "internationalistische liste/MLPD" an der Europawahl 2019 teil. Der Wahlkampf stand unter dem Motto "Rebellion gegen die imperialistische EU ist gerechtfertigt! Hoch die internationale Solidarität!" und wurde von Wahlkampfveranstaltungen sowie von umfangreichen Plakatierungsaktionen begleitet. Wahlplakat zur Europawahl 2019 Die Wahlliste erhielt 18.340 Stimmen (2014: 18.198), davon 4.163 Stimmen (2014: 3.858) in Nordrhein-Westfalen. Jugendarbeit Am 8. und 9. Juni 2019 wurde das internationale Pfingstjugendtreffen der MLPD zum ersten Mal statt am traditionellen Austragungsort in Gelsenkirchen in einer parteieigenen Liegenschaft im thüringischen Truckenthal veranstaltet. Angesichts von 1.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zog die Veranstaltungsleitung eine positive Bilanz. Sowohl die Übernahme der Schirmherrschaft durch die Parteivorsitzende der MLPD, Gabi Fechtner, als auch die Wahl des Austragungsortes in Thüringen dürften mit Blick auf die Teilnahme der internationalistischen Liste/MLPD an der Landtagswahl in Thüringen Ergebnis wahlstrategischer Überlegungen gewesen sein. 168 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Umweltpolitik Im Jahr 2019 beteiligte sich die MLPD mit ihrem Jugendverband Rebell regelmäßig an den Veranstaltungen der "Fridays for Future"-Bewegung (FfF). Die orthodox-kommunistische Einstellung der Partei führte dabei mehrfach zu Ausschlüssen aus Bündnissen und bisweilen zu Auseinandersetzungen über das Mitführen von MLPD-Parteiemblemen (Flaggen; Transparente) und Flugblattverteilaktionen. Die MLPD spricht in ihren Publikationen diesbezüglich von "antikommunistischen Ausgrenzungsversuchen", gegen welche die Partei juristische Schritte ankündigte. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Zusammen mit dem internationalistischen Bündnis und der Internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) versteht sich die MLPD als treibende Kraft zum Aufbau einer antiimperialistischen internationalen Einheitsfront. Im Zusammenschluss der Arbeiterbewegung mit der Umweltbewegung sollen die Voraussetzungen eines gesellschaftlichen Umbruchs zum "echten" Sozialismus geschaffen werden. Trotz eines Stimmenzuwachses gegenüber der Europawahl 2014 dürfte die MLPD mit Blick auf ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 (29.785 Stimmen) ein wesentlich besseres Abschneiden bei der Europawahl 2019 (18.340 Stimmen) erwartet haben. In Nordrhein-Westfalen gelang es der MLPD zumindest, sich mit dem Wahlergebnis recht deutlich von der Mitkonkurrentin Deutsche Kommunistische Partei (DKP) abzusetzen. Mit Wahlergebnissen um 0,1 Prozent der Wählerstimmen bleibt die Partei im parlamentarischen Raum jedoch weiterhin unbedeutend. Für das Jahr 2020 ist zu erwarten, dass die MLPD zur Teilnahme an der 2. Automobilarbeiterkonferenz im Februar 2020 in Südafrika mobilisieren wird. Ferner dürfte sie schwerpunktmäßig auch die internationale Unterstützung des kurdischen Befreiungskampfs - vor allem für die Selbstverwaltung von Rojava - durch Anmeldungen von Demonstrationen und Veranstaltungen fortsetzen. Zur Stärkung der parteilichen Einflussnahme auf lokaler Ebene ist abzusehen, dass die MLPD ihre Vertreterinnen und Vertreter in kommunalen Wahlbündnissen zur Kommunalwahl im September 2020 in Nordrhein-Westfalen unterstützen und in diesem Zusammenhang für eine "revolutionäre Perspektive" werben wird. lInksextremIsmus 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Autonome Linksextremisten Sitz/Verbreitung Landesweite Verteilung mit lokalen Schwerpunkten in Ballungszentren Gründung/Bestehen seit Ende der 1970erbeziehungsweise Anfang der 1980erJahre aus Ausläufern der Studentenbewegung der 1968er-Jahre, der "Sponti-Szene" der 1970er-Jahre und der Punk-Subkultur entstanden Struktur/ Repräsentanz weitgehend hierarchiefreie Netzwerke mit themenoder aktionsbezogener Ausrichtung; das Internet fungiert dabei als offenes Kontaktmedium; überregionale Treffen, Chatoder Telefonkonferenzen mit Delegierten örtlicher oder thematisch gebundener Zusammenhänge Mitglieder/Anhänger/ NRW: 975 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen hauptsächlich Veröffentlichungen in szenebezogenen Internetportalen, Internetblogs und sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Die Autonomen als bekannteste Subkultur im Linksextremismus definieren ihre Ziele vorrangig durch Gegenproteste, wohingegen die Formulierung konkreter politischer Ziele - abgesehen von der Eroberung sogenannter "Freiräume" - kaum festzustellen ist. Staatliche Strukturen und insbesondere Hierarchien und staatliches Gewaltmonopol werden zugunsten eines "selbstbestimmten Lebens" abgelehnt. Gleichzeitig wenden Autonome zur Durchsetzung ihrer eigenen Auffassungen zunehmend enthemmte Gewalt gegen Meinungsgegner an und versuchen damit, diese einzuschüchtern und gesellschaftliche Diskurse nach ihren Vorstellungen zu steuern. 170 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Finanzierung Ereignisoder anlassbezogene Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Solidaritätskonzerte und -partys oder Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Insbesondere die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und der rechtsstaatlichen Ordnung durch die linksautonome Szene bei gleichzeitiger Befürwortung von Gewalt zur Erreichung der eigenen politischen Ziele ist nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Themenfeld Antirepression Autonome Linksextremisten lehnen den Staat und die derzeitige Gesellschaftsform ab. Sie sehen in staatlichem Handeln lediglich Unterdrückungsmechanismen und sprechen insofern von einem "repressiven System", dessen Gesetze und Institutionen nur der Aufrechterhaltung einer vom Kapitalismus geprägten Gesellschaftsordnung dienen. Teilnehmer von Aktionen, die auch und gerade mit Rechtsverstößen gegen diese vermeintliche Unterdrückungsgewalt vorgehen, rechtfertigen ihre eigenen Handlungen als "Gegengewalt" und sehen sich selbst in der Position von Freiheitskämpfern. Im Umkehrschluss bedeutet Antirepression eine strukturierte Unterstützung politischer Aktivitäten, die sich gegen die als Repression wahrgenommenen staatlichen Maßnahmen wenden. Unter diesem Blickwinkel werden insbesondere die Strafverfolgung bei Gesetzesübertretungen, die auf politisch motivierten Aktionen basieren, und Maßnahmen gegen illegale Einwanderung beziehungsweise die Ausweisung und Abschiebung von Ausländern als Repression wahrgenommen. Das Themenfeld Antirepression wird von der linksextremistischen Szene zudem mit einer Vielzahl anderer thematischer Schwerpunkte, wie etwa Antifaschismus, Antirassismus, Antigentrifizierung, Klimagerechtigkeit und Antikapitalismus, eng verknüpft. Auf diese Weise werden inhaftierte Straftäter zu "politischen Gefangenen" und "Opfern eines repressiven Systems" stilisiert. Die Organisation Rote Hilfe e. V. ruft in diesem Zusammenhang seit 1996 bundesweit jährlich den 18. März zum "Tag des politischen lInksextremIsmus 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Gefangenen" aus und begleitet diesen mit Veranstaltungen. Im Jahr 2019 fanden vor diesem Hintergrund mehrere Informationsveranstaltungen zum Thema "Alte und neue Wege durch den Knast" in Süddeutschland statt, bei denen sowohl ein ehemaliger Angehöriger der "Rote Armee Fraktion" (RAF) aus Köln als auch eine Straftäterin aus der Besetzung des Hambacher Forstes über die in Haft verbrachte Zeit berichteten. Eine weitere Veranstaltung mit dem Titel "Inkognito - Illegalität ist wie ein Tritt in Hundescheiße, es kann jedem passieren" fand im Mai 2019 in Köln statt. Inhaltliche Schwerpunkte der Veranstaltung Aufruf zum "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März waren das verdeckte Handeln im anarchistisch-revolutionären Untergrund und das "Untertauchen" im Sinne einer Anonymisierung der eigenen Person, um sich beispielsweise strafrechtlicher Verfolgung zu entziehen. Bereits im Jahr 2018 wurde - ebenfalls zum "Tag des politischen Gefangenen" - das "Europaweite Treffen zu internationaler Solidarität" ins Leben gerufen. Das erste Treffen fand in Köln statt und hatte die internationale Vernetzung von Initiativen zur Unterstützung linksextremistischer Haftinsassen zum Ziel. In der Einladung zu diesem Treffen hatten sich Vertreter linksextremistischer Organisationen und von Gruppierungen des auslandsbezogenen Linksextremismus angekündigt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden verschiedene Podiumsdiskussionen, ein Konzert sowie Solidaritätsdemonstrationen an den Haftanstalten in Köln-Ossendorf und Willich durchgeführt. Im September 2019 fand ein weiteres Treffen mit dem Titel "Transnationales Camp zur praktischen Solidarität" statt. Dieses Mal lag der Fokus auf der Unterstützung linker Initiativen mit Bezug zu den Flüchtlingslagern in Nordafrika und Südeuropa sowie zu Armut und Prekariat vor dem Hintergrund sozialer Kämpfe. Die Zielgruppe des Camps 172 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 war trotz der vordergründig auch im demokratischen Diskurs behandelten Thematiken wieder die linksextremistische Szene. Themenfeld Antigentrifizierung Im Berichtszeitraum kam es im linksextremistischen Themenund Handlungsfeld Antigentrifizierung zu einer Vielzahl von Kundgebungen und Aktionen mit linksextremistischer Beteiligung. Der Protest richtete sich in diesem Zusammenhang in erster Linie gegen die strukturelle Wandlung urbaner Räume und die damit einhergehende Verdrängung ursprünglich ansässiger Anwohner. Demonstration "Mietwahnsinn stoppen" Am 6. April 2019 fanden anlässlich des "europaweiten Aktionstages für das Menschenrecht auf Wohnen" im gesamten Bundesgebiet Großdemonstrationen statt. In Nordrhein-Westfalen war Köln Ausrichtungsort der Versammlung. An dieser Versammlung beteiligte sich auch ein überwiegend linksextremistisch geprägter antikapitalistischer Block, der unter anderem von den postautonomen Zusammenschlüssen Interventionistische Linke (IL) und ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) getragen wurde. Aktionstag am 6. April 2019 in Köln lInksextremIsmus 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Besetzungen Neben demonstrativen Ereignissen kam es im Berichtszeitraum in NRW zu einer Vielzahl von Besetzungsaktionen mit linksextremistischer Beteiligung. Am 31. Januar 2019 wurde das Stadthaus Köln-Deutz durch eine größere Personengruppe besetzt. Im Verlauf der Besetzung wurden verschiedene Straftaten begangen, darunter Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Die von den Besetzern formulierten Forderungen wiesen Bezüge zu dem Konflikt um die Zukunft des Autonomen Zentrums in Köln auf. Daneben wurde das Problemfeld "bezahlbarer Wohnraum" adressiert. Am 16. März 2019 folgte die Besetzung eines im Bundeseigentum befindlichen, leer stehenden Wohnobjektes in Köln-Dellbrück. Thematische Schwerpunkte dieser Besetzung waren die Situation obdachloser Frauen in Köln und die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum. Am 1. Mai 2019 wurde ein leer stehendes Wohnhaus in Köln-Ossendorf besetzt, um auf die Wohnraumsituation für Obdachlose in Köln aufmerksam zu machen. Am 21. Juni 2019 kam es aus der Großdemonstration von "Fridays for Future" in Aachen heraus zu einer Besetzung eines leer stehenden Gebäudes im innerstädtischen Bereich von Aachen. Bei den Besetzern handelte es sich überwiegend um Teilnehmer einer Kundgebung mit dem Titel "Antikapitalistischer Finger", die im Vorfeld der Großdemonstration durchgeführt worden war. Neben der Forderung nach bezahlbarem Wohnraum und Enteignungen wurden auch Aufrufe zum Klassenkampf und zum Klimaschutz postuliert. Im Zeitraum vom 19. bis zum 31. Juli 2019 wurde ein leer stehendes Objekt im Besitz der DB AG in Köln-Ehrenfeld besetzt. Auch diese Besetzung wurde mit der Forderung nach bezahlbarem Wohnraum verbunden. Darüber hinaus forderten die Besetzer zusätzlich ein neues "queer-feministisches Zentrum". Im selben Zeitraum kam es zur Besetzung eines Bahnhofsgebäudes am alten Stückgüterbahnhof in Münster. Aussagen der Besetzer zufolge sollte durch die Aktion gegen Gentrifizierung protestiert und für die Schaffung beziehungsweise den Erhalt von Freiund Kulturräumen Stellung bezogen werden. 174 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Am 3. Oktober 2019 wurde ein Gebäude in Köln-Kalk besetzt. Die Besetzung erfolgte aus einer dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnenden angemeldeten Demonstration mit dem Thema "Dem Rechtsruck entgegentreten" heraus. Die Besetzer skandierten unter anderem die Parolen "Wohnraum für alle" und "Zusammen kämpfen ist doch klar - Häuserkampf&Antifa". Am 11. November 2019 erfolgte die Besetzung einer leer stehenden ehemaligen Kindertagesstätte in Köln-Nippes. Auch diese Besetzung eines in städtischem Eigentum stehenden Gebäudes wurde seitens der Besetzer mit der Forderung nach der Einrichtung eines "queer-feministischen Zentrums" verknüpft. Die Besetzungen wurden jeweils entweder im Rahmen von Verhandlungen oder durch polizeiliche Maßnahmen beendet. Bei den Besetzern handelte es sich nicht ausschließlich um extremistische Gruppierungen. Einige Akteure sind zudem erstmalig im Rahmen der Besetzungen in Erscheinung getreten. Im Verlauf der Aktionen wurden jedoch jeweils immer auch zumindest Einzelpersonen festgestellt, die dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen sind. Dieser Umstand belegt, dass das Themenfeld Antigentrifizierung durch Linksextremisten genutzt wird, um die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit des Protests in diesem Bereich zu nutzen, eigene Botschaften und Ziele zu verbreiten und sich als Bündnispartner zu präsentieren. Themenfeld Ökologie Das Thema Ökologie und insbesondere die Unterthemen Klimaschutz und Antibraunkohleprotest waren auch im Jahr 2019 wieder Betätigungsfelder von Linksextremisten in Nordrhein-Westfalen. Vermehrt wurden im Berichtszeitraum im Kontext dieses gesellschaftlich anschlussfähigen Themas Versuche einer Einflussnahme seitens linksextremistischer Akteure auf Proteste festgestellt. Fridays for Future Als Beispiel kann hier die Protestbewegung Fridays for Future (FfF) genannt werden. Dieser Bewegung ist es in besonderem Maße gelungen, den gesellschaftlichen Fokus auf das Themenfeld "Klimagerechtigkeit" zu lenken. Dabei konnte sie sich weitestgehend - allerdings nicht vollumfänglich - Versuchen der Vereinnahmung durch lInksextremIsmus 175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Linksextremisten widersetzen. So nahmen etwa linksextremistische Akteure an der Großdemonstration von FfF am 21. Juni 2019 in Aachen teil. Darüber hinaus wurden vereinzelt FfF-Kundgebungen von Linksextremisten angemeldet oder organisatorisch unterstützt. Zudem war auch ein Zusammenwirken mit dem linksextremistisch beeinflussten Bündnis Ende Gelände (EG) zu beobachten. Die versuchte Einflussnahme durch Linksextremisten war in NRW jedoch nur punktuell festzustellen und ist bislang ohne nennenswerte Relevanz für Forderungen, Ausrichtung und Aktionsformen von FfF geblieben. Grundsätzlich ist die FfF-Bewegung daher als nicht extremistisch einzustufen. Ende Gelände Abweichend davon ist im Hinblick auf den Grad der Einflussnahme von Linksextremisten das Bündnis Ende Gelände (EG) als extremistisch beeinflusst einzuordnen. Es hat im Jahr 2019 zu zwei sogenannten Massenaktionen des zivilen Ungehorsams aufgerufen, wovon eine vom 19. bis 24. Juni im rheinischen Braunkohlerevier stattfand. Im Zuge dieser Aktion blockierten Teilnehmer Teile der Förderinfrastruktur. Während der Schwerpunkt der Aktionen im Bereich des Tagebaus Garzweiler lag, kam es gleichwohl auch zu Blockaden am Tagebau Hambach. Zu den Aktionsformen gehörten auch in diesem Jahr Gleisblockaden sowie das Eindringen in den Tagebau Garzweiler. Das rechtswidrige Eindringen auf das Betriebsgelände durch eine größere Personengruppe erfolgte dabei aus einer angemeldeten Demonstration von FfF am Nordrand des Tagebaus heraus. Im Ergebnis kam es im Zuge der von EG propagierten Massenaktion zu einer Vielzahl von Straftaten, die in ihrer Bandbreite von Hausfriedensbruchsdelikten über Sachbeschädigungen bis hin zu tätlichen Angriffen auf eingesetzte Polizeibeamte reichten. An der Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Aktion beteiligten sich linksextremistische Personenzusammenschlüsse, Gruppierungen und Einzelpersonen, sodass nach wie vor von einer relevanten linksextremistischen Einflussnahme auf das Bündnis auszugehen ist. Insbesondere die extremistische Interventionistische Linke (IL) leistet weiterhin auch personelle Unterstützung, obwohl sich EG selbst strukturell weitgehend von der IL emanzipiert hat. 176 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Besetzung des Hambacher Forstes Die Besetzung des Hambacher Forstes hat im Jahr 2019 ihren Wandel hin zu einer autonom-anarchistischen Besetzung umfänglich vollzogen. Sie ist somit vergleichbar mit linksextremistischen Besetzungen in urbanen Räumen, wie beispielsweise die der Rigaer Straße 94 in Berlin. Die Besetzer haben im Berichtszeitraum eine Vielzahl neuer Baumund Bodenstrukturen errichtet. Die Qualität der Bauten scheint dabei die zu übertreffen, die im Herbst 2018 durch die Polizei geräumt wurden. Die beschriebene Entwicklung zu einer Art "Autonomen Zentrum unter freiem Himmel" manifestiert sich insbesondere in der Zahl der festgestellten Straftaten. Während es im Jahr 2018 bedingt durch die Räumung des Waldes zu einem sprunghaften Anstieg der Straftatenanzahl kam, verbleibt diese Zahl im Berichtszeitraum auch ohne ein derartiges Ereignis auf einem hohen Niveau. Die Errichtung eines strukturund hierarchiefreien Raumes ist dabei mittlerweile fast vollständig abgeschlossen. Im Laufe dieser Entwicklung hat ganz offenbar auch ein Austausch der Akteurskonstellationen im Wald stattgefunden. Der ursprünglich in der Besetzung vorherrschende Klimaschutzgedanke ist deutlich in den Hintergrund getreten beziehungsweise nur noch Mittel zur moralischen Rechtfertigung von teilweise schweren Straftaten. Eindrucksvoll belegt wird dieser Umstand durch den Beitrag "Is Hambi A Threat Again?" auf der Website der Besetzer vom 19. Juli 2019, in dem eine Chronologie ausgewählter Straftaten seit dem Jahreswechsel 2018/2019 vorgestellt und als "Teil des Kampfes gegen den Hambacher Tagebau und die Klimakatastrophe" gerechtfertigt wird. Unter anderem heißt es in dem Beitrag: "01.02.2019 Brandanschlag auf Stromkästen einer RWE Pumpstation [...] 05.06.2019 Nahe des Hambacher Forsts wird eine Polizeihunde Trainingsschule niedergebrannt [...] und viele weitere kleine und große Aktionen, die nicht veröffentlicht wurden." Zu diesen Aktionen zählen u. a. zahlreiche Sachbeschädigungen an Infrastruktur, oft unter Einsatz von Brandsätzen, Angriffe auf Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von RWE und Polizeikräfte sowie Bedrohungen, Nötigungen und gefährliche Eingriffe zum Nachteil von Anwohnern. Deutlich wird die Entfernung der Besetzer vom Klimaschutzgedanken unter anderem an den trotz des weiterhin bestehenden Rodungsstopps immer wieder unternommenen Versuchen, die Waldbesetzung durch die Besetzung leer stehender Häuser im Abbaugebiet Merzenich-Morschenich auf massiv gebaute Wohnobjekte im Umfeld auszudehnen und zu verstetigen. Dieses Vorgehen war bereits im Jahr 2018 während der Räumung festzustellen. lInksextremIsmus 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Neben diesen - polizeilich beendeten - Versuchen, sich vor Ort weiter festzusetzen, kam es seitens der Besetzer zu weiteren Aktionen und Straftaten in anderen linksextremistischen Themenfeldern. Exemplarisch dafür steht der Themenbereich Antispeziesismus. Während mit dem Begriff generell der Protest gegen die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer biologischen Spezies gemeint ist, fokussierten sich die Besetzer im Wesentlichen auf die Begehung von Straftaten zum Nachteil von Jagdausübungsberechtigten. Im Zeitraum vom 2. bis 7. Mai 2019 richteten die Besetzer darüber hinaus federführend das antispeziesistische Camp "Liberate or die - from cage to freedom" aus. In diesem Zeitraum kam es zu der Besetzung eines Schlachthofes in Düren sowie einer schweren Brandstiftung auf dem Gelände eines Hundesportvereins in Kerpen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Besetzer bei ihren Straftaten zum Teil auch schwerste Verletzungen von Menschen in Kauf nahmen. So wurden Sicherheitskräfte durch die Besetzer etwa mehrfach mit Pyrotechnik beschossen und mit Brandsätzen beworfen. Die dargestellten Entwicklungen zeigen deutlich, dass das eigentliche Ziel der Besetzung des Hambacher Forstes die Errichtung eines dauerhaften Anlauf-, Aufenthaltsund Rückzugsraumes für die linksextremistische Szene in NRW, der Bundesrepublik, aber auch im benachbarten europäischen Ausland ist. Waldbesetzung Osterholz Eine weitere Waldbesetzung, die von Umfang und Bedeutung bislang jedoch weit hinter der des Hambacher Forstes zurückbleibt, ist im August 2019 in der Nähe von Wuppertal entstanden. Hintergrund der Besetzung von Teilen des "Osterholzer Waldes" ist die geplante Abholzung zum Zwecke der Errichtung einer Abraumhalde für ein nahegelegenes Kalkwerk. Die lokale linksextremistische Szene hat sich von Anfang an öffentlichkeitswirksam mit dieser Thematik beschäftigt und Widerstand gegen die Rodung des Waldes angekündigt, der unter anderem durch die Besetzung geleistet werden soll. Am Beispiel der Besetzung des Osterholzer Waldes zeigt sich, dass auch abseits des Hambacher Forstes die Besetzung eines Waldes als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Forderungen durch die linksextremistische Szene angesehen wird. 178 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die beschriebenen Themenfelder Antirepression, Antigentrifizierung und Ökologie werden im Jahr 2020 voraussichtlich ebenso Schwerpunkte linksextremistischer Aktivitäten bleiben wie der Antifaschismus. Daneben dürfte das geplante NATO-Großmanöver "Defender 2020" das Themenfeld Antimilitarismus wieder stärker in den Fokus linksextremistischer Akteure rücken. Die Sicherheitsbehörden beobachten hierbei einen ungebrochenen Trend im Linksextremismus, in immer mehr Themenfeldern die Definitionsund Diskurshoheit zu beanspruchen und zunehmend Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung anzuwenden. Was als gesellschaftlicher Missstand gilt, wer dafür verantwortlich ist und wie die Probleme zu beseitigen sind, versuchen in immer stärkerem Maße Akteure des autonomen Linksextremismus zu diktieren. Die planmäßige und vorbereitete Gewaltanwendung gegen die als verantwortlich identifizierten Personen zum Zwecke der Einschüchterung und Verhaltensänderung stellt dabei eine Dimension dar, die seit Ende der 1990er Jahre überwunden zu sein schien. Nachdem die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft zwischenzeitlich mehrfach die Absicht bekundet haben, von einer Rodung des Waldes abzusehen, versuchen die Waldbesetzer im Hambacher Forst, die Fortdauer der Besetzung mit verschiedenen anderen Notwendigkeiten zu begründen. Zunehmend entlarvt sich die Besetzung hierdurch jedoch mittlerweile auch gegenüber langjährigen Unterstützern aus dem demokratischen Spektrum als linksextremistisches Freiraumprojekt teils gewalttätiger autonomer Akteure, die den Klimaschutz als Rechtfertigung von Gewalt gegen Personen und Sachen missbrauchen. lInksextremIsmus 179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Interventionistische Linke (IL) Sitz/Verbreitung Landesweit mit Schwerpunkten im großstädtischen Bereich Gründung/Bestehen seit 1999 Gruppierung undogmatischer Linksextremisten mit der Zielvorstellung, die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit radikaler linker Politik in Deutschland zu steigern. Seit 2005 bundesweit agierendes Netzwerk, seit 2007 öffentliche Aufmerksamkeit vor allem durch Engagement bei Protestveranstaltungen und Großereignissen Struktur/ Repräsentanz Bund (mit deutschsprachigem Ausland): 35 Ortsgruppen in 31 Städten NRW: 7 Ortsgruppen in 5 Städten Mitglieder/Anhänger/ Land: circa 70 Mitglieder (das Anhängerund UnterstützerUnterstützer 2019 umfeld umfasst etwa 200 Personen) Veröffentlichungen Web-Angebot: eigene Internetseite der IL (bundesweit), Profile in sozialen Medien; Internetblogs der meisten Ortsgruppen, die ebenfalls mit eigenen Profilen in sozialen Medien vertreten sind Kurzporträt/Ziele Ziel der IL ist es laut 2014 veröffentlichtem "Zwischenstandspapier" "[...] in gesellschaftliche Kämpfe zu intervenieren, die Kräfteverhältnisse zu verschieben und auf einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus und allen anderen Unterdrückungsverhältnissen zu orientieren". Die IL verfolgt diese Zielsetzung mit bundesweiten und lokalen Strukturen. Auf der einen Seite stehen Ortsgruppen, welche die aus linksextremistischer Sicht bestehenden Konflikte mit der Möglichkeit einer Anschlussfähigkeit an und für demokratische Kräfte auf lokaler sowie regionaler Ebene zuspitzen und aktionistisch forcieren. Auf der anderen 180 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Seite sind diese Ortsgruppen in überörtlichen und themenbezogenen Gremien der IL vertreten. Dabei geht es um die Vorbereitung und Ausrichtung gemeinsamer bundesweiter Kampagnen. Als Beispiel für eine solches Engagement der IL kann das Bündnis "Ende Gelände" dienen. Hervorgehend aus einer Kampagne, die durch die IL initiiert wurde, ist "Ende Gelände" mittlerweile ein bundesweit vernetzter Akteur mit Ortsgruppenstruktur, der im Themenfeld Klimaschutz/Ökologie zu verorten ist. Finanzierung Vorwiegend Beiträge der Mitgliedsgruppen, Spenden aus Solidaraktionen, anlassbezogene Geldund Sachspenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die IL geriet in den letzten Jahren durch ihre aktive Beteiligung an Großdemonstrationen, die durch ein hohes Gewaltpotenzial geprägt waren, in den Fokus. Bei Aktionen wie der Blockade der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, den Demonstrationen gegen das G20-Treffen in Hamburg oder die "Ende Gelände"-Aktionen im Rheinischen Braunkohlerevier spielte die IL bei der Vorbereitung und Organisation eine maßgebliche Rolle. Aus Sicht der IL handelt es sich dabei um "Massenaktionen des zivilen Ungehorsams", bei denen sich eine Ansammlung von Menschen durch massenhaftes Übertreten rechtlicher Normen und das Lahmlegen von Teilen der Infrastruktur Online-Aufruf der Kölner IL-Gruppe K2 für "Ende Gelände" (vor allem Blockaden von lInksextremIsmus 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Verkehrswegen) eine mediale Öffentlichkeit schafft. In ihrem "Zwischenstandspapier" erklärt die IL: "Wir sind bekannt dafür, auf die radikalisierende Wirkung von Widerständigkeit und Selbstermächtigung durch kollektiv organisierte ungehorsame Massenaktionen zu setzen. [...] Wir wollen eine radikale Linke, die selbstbewusst und sprechfähig in politische Kämpfe eingreift und fähig ist, auch außerhalb ihrer Subkulturen, Kieze und Freiräume zu agieren. Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv gegen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, [...]." Für die in diesem Rahmen regelmäßig stattfindenden Auseinandersetzungen macht die IL einseitig die Polizei verantwortlich und verharmlost die tatsächlich von den Demonstranten ausgehende Gewalt als angeblich legitime Gegenwehr. Auf eine Distanzierung von Gewalt als politischem Mittel wird grundsätzlich verzichtet, vielmehr wird die uneingeschränkte Solidarität aller Teilnehmer unabhängig von den einzelnen Tathandlungen beschworen und das rechtsstaatliche Gewaltmonopol negiert. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Nordrhein-Westfalen existieren in Bielefeld, Düsseldorf, Köln, Münster und dem Ruhrgebiet insgesamt sieben IL-Ortsgruppen. Wie auch in Düsseldorf, wo schon seit mehreren Jahren zwei Gruppierungen nebeneinander existieren, spaltete sich in Köln im Jahr 2019 eine eigene IL-Gruppe mit dem Namen "K2 - Linksradikale Gruppe" von der IL Köln ab. Zu den parallelen Strukturen je zweier Ortsgruppen in den beiden Städten führten im Wesentlichen unterschiedliche thematische Schwerpunkte und organisatorische Ansätze und letztlich persönliche Spannungen zwischen einzelnen Mitgliedern. Die Ortsgruppen in Bielefeld und im Ruhrgebiet sind weitgehend inaktiv. Die nordrhein-westfälischen Ortsgruppen traten 2019 nur in geringem Umfang als Initiatoren von Aktivitäten an die Öffentlichkeit. Hingegen beteiligten sie sich verstärkt bei der Unterstützung lokaler Projekte, wie beispielsweise an der Kampagne zum Erhalt des Autonomen Zentrums in Köln oder der Mobilisierung für regionale Protestdemonstrationen gegen Gentrifizierung, Kundgebungen der AfD und den Einmarsch der Türkei in umkämpfte Gebiete in Syrien. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die IL bildet weiterhin das Scharnier zwischen dem auf revolutionäre Zustände hinarbeitenden Teil der autonomen linksextremistischen Szene und den auf unterschied182 lInksextremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 "Aktionstag für das Menschenrecht auf Wohnen" am 6. April 2019 in Köln lichen Politikfeldern agierenden demokratischen Initiativen. Zwar fanden die 2019 von linken Protestströmungen getragenen Kampagnen bei der IL in Nordrhein-Westfalen ihren Niederschlag nicht mehr in Massenaktionen wie zuvor bei "Ende Gelände", jedoch wird mit Blick auf die im Januar 2020 getroffene Bund-/Länder-Einigung zum Kohleausstieg von einem gesteigerten Engagement an den Orten künftiger Protestaktivitäten ausgegangen. Dazu zählt in Nordrhein-Westfalen der umstrittene Beschluss der Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln 4. lInksextremIsmus 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 184 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Auslandsbezogener Extremismus in Zahlen Extremismus auslandsbezogener extremIsmus 185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Im säkularen auslandsbezogenen Extremismus liegt ein deutlicher Schwerpunkt der Beobachtung auf Organisationen mit Bezug zur Türkei. Dies sind im linksextremistischen Bereich unter anderem die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C), die den Beobachtungsschwerpunkt darstellen. Darüber hinaus gibt es in diesem Bereich weitere kleinere Gruppierungen, die ebenfalls unter Beobachtung stehen. Neben den linksextremistisch orientierten türkischen Gruppierungen gibt es auch die nationalistisch-türkische Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe). Bei dieser Bewegung handelt es sich um eine Gruppierung, die das rechtsextremistische Spektrum abbildet. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die heute unter der Bezeichnung Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) agiert, strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nord-Irak, Teile des westlichen Iran und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Dementsprechend wurden die Aktivitäten der PKK im Jahr 2019 wesentlich durch den Angriff der türkischen Truppen auf das Nordsyrische Grenzgebiet zur Türkei beeinflusst. Als Reaktion auf das militärische Vorgehen der Türkei in Nordsyrien ("Operation Friedensquelle") fanden deutschlandweit seit Anfang Oktober 2019 nahezu täglich dezentrale Kundgebungen statt, ein Großteil davon in NRW. Die Veranstaltungen verliefen weitestgehend störungsfrei. Bei wenigen Veranstaltungen kam es zu Auseinandersetzungen mit türkisch nationalistisch und rechtsextremistisch geprägten Gruppierungen. Hierbei handelte es sich sowohl um türkische Staatsangehörige, als auch um hier lebende deutsche Staatsangehörige, die aufgrund ihrer Herkunft türkisch nationale Wurzeln haben. Die in der Türkei und in Deutschland verbotene Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Auf der ideologischen Grundlage 186 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 des Marxismus-Leninismus propagiert die DHKP-C einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. Die Organisation tritt damit für eine revolutionäre Überwindung der türkischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein. Hierzu führte sie in der Türkei auch terroristische Aktionen durch. Bei der Ülkücü-Bewegung handelt es sich um eine heterogene türkisch-rechtsextremistische Bewegung. Das sogenannte pantürkische oder auch als turanistisch bezeichnete Weltbild ist das prägende Indeologieelement der Ülkücü-Bewegung, dessen Ziel die Vereinigung aller Turkvölker im Staat Turan in den Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reiches ist. Dies ist mit einem übersteigerten Nationalbewusstsein verbunden, das die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als überlegen ansieht. Damit einher geht die Herabwürdigung anderer Volksgruppen beziehungsweise aller politischen Gegner, deren Interessen nicht mit den Interessen der Ülkücü-Bewegung im Einklang stehen. Für alle drei Organisationen gilt, dass sich die politische Lage in der Türkei und aktuell auch in Nordsyrien auf das Aktionsverhalten der Gruppierungen auswirkt und so auch unmittelbaren Einfluss auf die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen hat. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y auslandsbezogener extremIsmus 187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Auswirkungen des Einmarsches der türkischen Armee in Nordsyrien auf die Anhänger der PKK Am 9. Oktober 2019 begann die vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan bereits einige Zeit zuvor angekündigte Militäroperation "Quelle des Frieden" in Nordsyrien. Erklärtes Ziel der Offensive war es, auf dem derzeit überwiegend von Kurden besetzten Gebiet entlang der türkisch-syrischen Grenze eine "Sicherheitszone" einzurichten und die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die der militärische Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD) sind, zu verdrängen. Die PYD gilt als ein in Syrien aktiver Ableger der PKK. Die bewaffneten Truppen (YPG) der PYD agieren vorrangig im syrisch-türkischen Grenzgebiet. Mit der Operation Friedensquelle startete die türkische Regierung den Versuch, diese militärischen Einheiten aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet weiter in das syrische Inland zu verdrängen. Im Ergebnis sollte ein entmilitarisierter Korridor entlang der Grenze zwischen Syrien und der Türkei entstehen. Die Kontrolle über diese Sicherheitszone sollte bei den türkischen Truppen liegen. Schon vor Beginn der Kampfhandlungen gab es eine Verlautbarung des Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E), die in der PKK-nahen Nachrichtenagentur Firat NEWS Agency (ANF) veröffentlicht wurde. Dabei wurde zu Protesten in Deutschland aufgerufen. Erste überwiegend friedliche Proteste fanden dann auch schon vor Beginn der Kampfhandlungen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen statt. Bereits am 7. Oktober 2019, kurz nach der Veröffentlichung des Protestaufrufes in ANF, fanden in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Köln, Münster, Siegen und Bielefeld Demonstrationen statt. Auch wenn die jeweiligen Teilnehmerzahlen mit 20 bis 200 Anhängern zunächst noch relativ niedrig waren, belegen die Demonstrationen, dass die PKK in der Lage ist, ihre Anhänger kurzfristig zu mobilisieren. Nach dem Beginn der Kampfhandlungen am 9. Oktober 2019 stieg die Anzahl der Demonstrationen insbesondere in Nordrhein-Westfalen sprunghaft an. Auch deutsche Linksextremisten, die sich solidarisch erklärten, beteiligten sich. Allein in der ersten Woche nach dem Beginn der Militäroffensive fanden in Nordrhein-Westfalen 111 Demonstrationen mit thematischem Bezug zu den Kampf188 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 handlungen in Nordsyrien statt. Vielfach wurde dieser thematische Bezug durch Formulierungen wie "fight for Rojava" deutlich. Mit "Rojava" sind die überwiegend von Kurden besiedelten Gebiete in Nordsyrien gemeint. Die Anzahl den Demonstrationen blieb dann zunächst auf hohem Niveau, in den ersten drei Wochen gab es in Nordrhein-Westfalen 273 Demonstrationen als direkte Reaktion auf den Beginn der Militäroffensive. Etwa ab Mitte November ging die Anzahl der Demonstrationen allerdings deutlich zurück. Insgesamt waren bis zum Ende des Jahres 2019 360 Demonstrationen zu verzeichnen. Die auch im bundesweiten Vergleich teilnehmerstärksten Demonstrationen wurden am 12.und 19. Oktober in Köln (mit 15.000 und mit 10.100 Teilnehmern) durchgeführt. Auch wenn ein großer Teil der Demonstrationen friedlich oder überwiegend störungsfrei verlief, kam es im Zusammenhang mit Demonstrationen auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie mit Personen, die dem türkisch-nationalistischen Spektrum zugeordnet wurden oder bei denen vermutet wurde, dass sie zu diesem Spektrum gehören. Häufiger Auslöser für gewaltsame Auseinandersetzungen war das Zeigen des sogenannten Wolfsgrußes. Dabei formen die Finger des rechten ausgestreckten Arms den Kopf eines Wolfes. Dieses Demonstration in Köln gegen die türkische Militäroffensive im Oktober 2019 Zeichen wird normalerweise den Anhängern der auslandsbezogener extremIsmus 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 türkischen rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung (sogenannte Grauen Wölfe) zugeordnet. Das Zeigen des Wolfsgrußes wird zwischen den PKK-Anhängern und den mit ihnen verfeindeten Grauen Wölfen als ausgesprochene Provokation betrachtet. Beispielsweise wurden am 14. Oktober in Herne fünf Personen erheblich verletzt als aus einer Demonstration mit rund 350 Teilnehmern ein Kiosk und ein türkisches Cafe von Demonstranten gestürmt wurde. Vor dem Angriff kam es aus dem Kiosk und dem Cafe heraus zu Provokation in Richtung der Demonstranten durch das Zeigen des Wolfsgrußes. Neben dem reinen Demonstrationsgeschehen kam es zu diversen kurzfristigen Störaktionen. Hieran - ebenso wie am Demonstrationsgeschehen - beteiligten sich auch deutsche Linksextremisten. So wurde auf der Website der ANF zu einem neuen Frühling der internationalistischen Solidarität aufgerufen. Im Rahmen des Aktionsbündnisses "#riseup4rojava" wurde zu Aktionen aufgerufen, die sich an den drei Faktoren "Blockieren, Stören und Besetzen" orientieren sollten. Die beschriebenen Aktionen und Demonstrationen belegen, dass Konflikte in den Kurdengebieten zu einer deutlichen Resonanz in Deutschland und auch speziell in Nordrhein-Westfalen führen. Die PKK ist in der Lage, ihre Anhängerschaft in sehr kurzer Zeit und zumindest für einen gewissen Zeitraum auch in sehr hoher Zahl zu mobilisieren, und nimmt dabei auch gewaltsame Auseinandersetzungen Der sogenannte Wolfsgruß ist Erkennungszeichen der nationalistisch-türin Kauf. kischen Ülkücü-Bewegung. 190 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ähnlich starke Reaktionen auf die Situation in der Türkei oder in den kurdischen Siedlungsgebieten haben in den letzten Jahren zum Beispiel der Putschversuch gegen den türkischen Staatspräsidenten sowie die nachfolgenden "Säuberungsaktionen" und vor allem die türkische Militäroffensive "Operation Olivenzweig" aus dem Jahr 2018 ausgelöst, die mit der Einnahme Afrins (Syrien) endete. Die Konflikte zwischen dem türkischen Militär und kurdischen beziehungsweise türkischen linksextremistischen/-terroristischen Gruppierungen beeinflussen damit auch die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen. auslandsbezogener extremIsmus 191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) Sitz/Verbreitung Anhänger der Ülkücü-Bewegung gibt es in nahezu allen westdeutschen Bundesländern mit einem Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Der größte Dachverband Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokartik Ülkücü Türk Dernekleri Ferdasyonu - ADÜTDF) hat seinen Sitz in Frankfurt am Main. Gründung/Bestehen seit Die Ülkücü-Bewegung ging aus der Turkistenoder Turanisten-Bewegung des ersten Jahrzehntes des 20. Jahrhunderts hervor. Neben der nationalistischen Ideologie kam in den 1970er-Jahren der Islam als prägendes Element hinzu und machte die Ülkücü-Bewegung zu einem Träger der sogenannten "türkisch-islamischen Synthese". In diesen Zeitraum fällt auch die erstmalige Ausformung der Bewegung als eine politische Partei in der Türkei, der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP). Bei der ADÜTDF handelt es sich um die Deutschlandorganisation der MHP. Sie wurde 1978 in Frankfurt am Main zunächst als Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. gegründet und wurde 2007 in ihren heutigen Namen umbenannt. Struktur/ Repräsentanz Als Kernorganisation der Ülkücü-Bewegung sind die MHP und die ADÜTDF anzusehen, deren Ideologie sich an den Lehren des Nahal Atziz und denen des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk sowie des MHP-Gründers Alparslan Türkes orientiert. Da die ADÜTDF streng hierarchisch organisiert ist, werden die Weisungen der Pateizentrale der MHP in Ankara sowie die der ADÜTDF-Führung in der Regel sofort in den örtlichen Vereinen umgesetzt. 192 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Neben den in Dachverbänden organisierten Vereinen der Grauen Wölf existieren auch nicht organisierte heterogene Strukturen, deren Organisationsbezug im Wesentlichen über Kontakte in sozialen Netzwerken erkennbar ist. Seit 2015 kann festgestellt werden, dass sich neben den traditionellen ADÜTDF-Vereinen vermehrt auch rockerähnliche Gruppierungen mit überwiegend türkischen Mitgliedern gegründet haben. Nach dem Verbot der Osmanen Germania in 2018 sind allerdings nur noch vereinzelte Gruppierungen erkennbar. Mitglieder/Anhänger/ Ülkücü-Bewegung: Unterstützer 2019 Bund: 11.000/ NRW: circa 1.100 Vereinsgebundene ADÜTDF-Mitglieder: Bund: circa 7.000 NRW: circa 2.000 Veröffentlichungen Publikationen: Bülten (Bulletin der Türkischen Föderation) Web-Angebot: türkischsprachige Homepage der ADÜTDF, teilweise mit deutschen Übersetzungen; Plattformen der sozialen Netzwerke und Videoportale zur Verbreitung der Ideologie der Grauen Wölfe; intensive Verlinkungen der Web-Angebote untereinander Kurzporträt/Ziele Die Ülkücü-Bewegung ist eine heterogene türkisch-rechtsextremistische Bewegung. Das sogenannte pantürkische oder auch als turanistisch bezeichnete Weltbild ist das prägende Ideologieelement der Ülkücü-Bewegung. Das Ziel ist die Vereinigung aller Turkvölker im Staat Turan in den auslandsbezogener extremIsmus 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reiches. Dies ist mit einem übersteigerten Nationalbewusstsein verbunden, das die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als überlegen ansieht. Damit einher geht die Herabwürdigung anderer Volksgruppen beziehungsweise aller politischen Gegner, deren Interessen nicht mit den Interessen der Ülkücü-Bewegung im Einklang stehen. Zu diesen politischen Gegnern, die insbesondere im Internet als Feinde bezeichnet werden, gehören neben Kurden auch Armenier und Juden. Der graue Wolf (Bozkurt) ist das wichtigste Erkennungszeichen der Ülkücü-Bewegung. Er hat seinen Ursprung in der türkischen Mythologie, wo er als Retter der Turkvölker und als Garant des Sieges beschrieben wird. Die zum Wolfsgruß geformte Hand wird als Erkennungszeichen, als Gruß aber auch als Provokation der politischen Gegner von den Anhängern der Ülkücü-Bewegung benutzt. Bei den im Zuge des Syrieneinmarsches durchgeführten Demonstrationen der Kurden ließen sich die Teilnehmer oftmals durch das Zeigen des Wolfsgrußes provozieren. Ein grundlegender Bestandteil der Ülkücü-Bewegung ist die Musik. Dabei bedienen sich deren Anhänger verschiedenster Musikrichtungen, um ihren Ideen und Idealen Ausdruck zu verleihen. Unabhängig vom jeweiligen Musikstil, der von türkisch-traditionell über mystische Klänge bis zum Hip-Hop/Rap reicht, wird die Musik mit Gedichten, Texten und Sprechgesängen angereichert, die oft einen pathetischen Charakter haben. Dabei ist festzustellen, dass unter der Jugendlichen Anhängerschaft der Ende der 1990er-Jahre entstandene deutsch-türkische Rap äußerst beliebt ist. Oftmals werden die Songs in den Videoportalen mit Bildern symbolträchtiger Gebäude, türkischen Soldaten, Fahnen sowie Symbolen und Kennzeichen der Ülkücü-Bewegung 194 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 unterlegt. Häufig werden die jugendlichen Darsteller als besonders "harte Männer" dargestellt, die alles vernichten, was sich ihnen in den Weg stellt. Finanzierung Mitgliedsbeiträge aus zugehörigen Vereinen, Spendengelder und Sponsoring Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Aufgrund dieses extremen nationalistischen Gedankenguts bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass es sich bei der Ülkücü-Bewegung um eine Gruppierung handelt, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung beziehungsweise gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richtet und zugleich gegen dem im Grundgesetz garantierten Gleichheitsgrundsatz verstößt. Somit erfüllt diese Gruppierung die Voraussetzung zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Ausgelöst durch die militärische Offensive der Türkei in Syrien kam es im Verlauf des Jahres 2019 zu einer großen Anzahl kurdischer Kundgebungen, die teilweise zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Ülkücü-Anhängern führten. Bei einigen kurdischen Demonstrationen wurde versucht, die Teilnehmer durch zeigen des Wolfsgrußes zu provozieren. In mehreren Städten, zum Beispiel in Herne, Recklinghausen und Bielefeld wurden Demonstrationen mit nationalistischem türkischem Hintergrund angemeldet und durchgeführt. Auch hier kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und nationalistischen Türken. In Herne kam es am 16. Oktober 2019 in einer Shisha-Bar zu Streitigkeiten zwischen Kurden und nationalistischen Türken. Diese wurde von den kurdischen Jugendlichen aufgefordert, die aufgenähten türkischen Flaggen von ihren Jacken zu entfernen. Später kehrten die kurdischen Jugendlichen unter anderem mit Baseballschlägern zurück und schlugen auf ein Auto ein, in das sich die angegriffenen nationalistischen Jugendlichen zurückgezogen hatten. In Bottrop kam es am 16. Oktober 2019 zu einer angemeldeten Demonstration mit circa 50 kurdischen Teilnehmern. Zeitgleich versammelten sich circa 100 Personen mit offensichtlich türkischen Wurzeln, um zu stören und zu provozieren. Im Zuge der auslandsbezogener extremIsmus 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 stetig ansteigenden Personenzahlt (circa 150 Kurden/circa 200 Türken) kam es auf beiden Seiten zu aggressivem Verhalten, in dessen Verlauf Pflastersteine seitens der Störer geworfen wurden. In Köln kam es ebenfalls am 16. Oktober 2019, im Rahmen einer Kundgebung mit 150 Teilnehmern, nach Provokation einer türkischstämmigen Person zu wechselseitigen Körperverletzungsund Beleidigungsdelikten. Rockerähnliche Gruppierungen wie Turan e.V. sind in Zusammenhang mit der Ülkücü-Bewegung weiterhin von rückläufiger Bedeutung. Nach eigenem Selbstverständnisbetrachtet sich Turan e.V. als Hilfsinstitution zum Schutz der Interessen der Türken in Deutschland, die sich für das Türkentum und gegen die Kurden einsetzt. Bei einer Demonstration am 16. Oktober 2019 in Bottrop kam es zu Störungen und Pflasterstein-Würfen. Diese Gruppierung stellte sich nach außen als türkisch-nationale Bruderschaft dar, jedoch waren insbesondere bei dem in Nordrhein-Westfalen vertretenen Turan e.V. rechtsextremistische Inhalte erkennbar. Im Februar 2018 veröffentlichte Turan e.V. im Internet die Auflösung des Dachverbandes und verabschiedete die verbliebenen Chapter in die Autonomie. 196 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Dachverbände der Ülkücü-Bewegung, insbesondere die ADÜTDF, bemühen sich nach außen um ein gesetzeskonformes Verhalten. Insbesondere offene Bekenntnisse oder Aufrufe zur Gewalt werden vermieden. Jedoch werden insbesondere die Kurden als Verräter und Terroristen stigmatisiert. In diesem Zusammenhang und im Ideologischen Verständnis der Ülkücü-Bewegung werden die Kurden als ein entfremdetes, turkstämmiges Volk bezeichnet dessen Bekämpfung gerechtfertigt ist. Noch deutlicher erkennbar ist diese Ideologie bei den zahlreichen nicht in Dachverbänden organisierten Anhängern der Ülkücü-Bewegung in deren verbaler Hetze im Internet, aber auch bei körperlichen Auseinandersetzungen oder beim Aufeinandertreffen anlässlich von Demonstrationen, bei denen es auch zu gewalttätigen Konfrontationen kommt. Der Wolf und die drei Halbmonde sind Symbole der Ülkücü-Bewegung. auslandsbezogener extremIsmus 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) Sitz/Verbreitung Türkei, Verbreitung in West-Europa (Schwerpunkt Deutschland) Gründung/Bestehen seit 1994, hervorgegangen aus der 1978 gegründeten revolutionären Linken (Devrimci Sol - Dev-Sol) Struktur/ Repräsentanz Generalsekretär, Zentralkomitee sowie länderund gebietsverantwortliche Funktionäre Nach dem Tod von Dursun Karatas im Jahr 2008 wurde offiziell noch kein Nachfolger für das Amt des Generalsekretärs bestimmt. Mitglieder/Anhänger/ Bund: 650 Unterstützer 2019 NRW: 200 Veröffentlichungen Publikationen: Devrimci Sol (Revolutionäre Linke, unregelmäßiges Erscheinen) Yürüyüs (Der Marsch), Halk Okulu (Volksschule) Kurzporträt/Ziele Die in der Türkei und in Deutschland verbotene Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Auf der ideologischen Grundlage des Marxismus-Leninismus propagiert die DHKP-C einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. 198 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Organisation tritt damit für eine revolutionäre Überwindung der türkischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein. Hierzu führt sie in der Türkei auch terroristische Aktionen durch. In Deutschland kann die DHKP-C aufgrund des Verbotes nicht offen agieren. Sie handelt daher über Vereine, deren Satzungen keinen Rückschluss auf die Zugehörigkeit zur Organisation zulassen oder deren Verbindungen zur DHKP-C nur schwer nachweisbar sind. Finanzierung Spenden und Erlöse aus dem Verkauf von Publikationen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Mit ihrem Bestreben gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die DHKP-C ist eine Nachfolgeorganisation der in der Bundesrepublik Deutschland seit 1983 verbotenen Devrimci Sol. Seit dem Verbot 1983 werden politische Aktivitäten konspirativ fortgesetzt. Die DHKP-C selbst ist in Deutschland seit dem 1. Februar 2000 rechtskräftig verboten. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt. Der politische Flügel der DHKP-C gibt sich selbst den Namen Revolutionäre Volksbefreiungspartei (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - DHKP), während sich der militärische Arm der DHKP-C als Revolutionäre Volksbefreiungsfront (Devrimci Halk Kurtulus Cephesi - DHKC) bezeichnet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Solidaritätskundgebungen für die "Anwälte des Volkes" Im Berichtszeitraum wurden von Mitgliedern und Unterstützern der DHKP-C in verschiedenen Städten eine Kampagne für in der Türkei inhaftierte Rechtsanwälte und DHKP-C Sympathisanten, denen die türkische Justiz unter anderem Unterstützung einer Terrororganisation vorwirft, initiiert. Auch in NRW fanden unter dem Motto "Wir fordern Gerechtigkeit" Kundgebungen statt. auslandsbezogener extremIsmus 199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 So wurden Protestaktionen in Form von Kundgebungen in diesem Zusammenhang ab Frühjahr 2019 unter anderem vor dem türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf abgehalten. In Bielefeld wurde laut einer DHKP-C nahen Internetseite ein sogenanntes "Freiheitskomitee" für eine in der Türkei inhaftierte Rechtsanwältin gegründet. Auch in Köln kam es zu dieser Thematik im Stadtgebiet zu verschiedenen Aktionen, die größtenteils in Form von angemeldeten Dauerkundgebungen durchgeführt wurden. Mit Unterschriftensammlungen und vereinzelten musikalischen Darbietungen wurde versucht, auf die Situation der inhaftierten Aktivisten in der Türkei aufmerksam zu machen. Die Teilnehmerzahl lag überwiegend im einstelligen Bereich. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Kampagne im Dezember 2019 ein so genannter "Langer Marsch" von Aktivisten gestartet. In verschiedenen Städten im Bundesgebiet fanden kleinere Protestaktionen statt. In NRW kam es in Köln, Duisburg, Dortmund und Wuppertal zu Kundgebungen. Die Aktionsform "Langer Marsch" wurde von der Organisation in den vergangenen Jahren wiederholt genutzt, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen. Eine erwähnenswerte Außenwirkung konnte durch die Kundgebungen jedoch nicht erzielt werden. Auftrittsverbot für Grup Yorum in Köln Im November 2019 sollte in einem privaten Veranstaltungsaal in Köln ein Konzert der DHKP-C nahen Musikgruppe Grup Yorum mit weiteren Musikern stattfinden. Das Konzert wurde über verschiedene Internetplattformen öffentlich beworben. Nach Bekanntwerden erließ die zuständige Versammlungsbehörde ein Verbot der Veranstaltung. Bereits im Vorfeld hatten sich Hinweise verdichtet, dass die Musikveranstaltung zu Propagandazwecken im Sinne der DHKP-C genutzt werden würde. Durch vor Ort eingesetzte Polizeibeamte wurden in den RäumlichWerbung für ein Grup Yorum-Konzert in Köln keiten der geplanten Veranstaltung 200 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 dann auch Beweismittel sichergestellt, die eine Verbindung und ideologische Nähe zur DHKP-C nahelegen. Teile der sich bereits vor Ort befindlichen Musiker und Besucher protestierten vor dem Konzertsaal mit musikalischen Darbietungen gegen das Verbot der Veranstaltung. Die Resonanz auf die Veranstaltung fiel im Vergleich zu Konzerten der Musikgruppe in den letzten Jahren in NRW erneut deutlich geringer aus. Die Anzahl der sich vor Ort eingefundenen Konzertbesuchern lag lediglich im unteren zweistelligen Bereich. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Nach wie vor sind Veranstaltungen und Solidaritätskundgebungen für inhaftierte DHKP-C-Kader und Mitglieder zentraler Bestandteil der Agitation von Unterstützern der DHKP-C. In diesem Kontext finden auch in NRW immer wieder Aktionen statt. Bei der Themensetzung spielt das Vorgehen der türkischen Behörden gegen die DHKP-C und deren Unterstützerumfeld eine besondere Rolle. Strafrechtliche Maßnahmen gegen die Organisation in der Türkei haben somit direkten Einfluss auf Aktivitäten der DHKP-C in Deutschland. Darüber hinaus sind öffentliche Solidaritätskundgebungen für die aus dem Umfeld der DHKP-C stammende Musikgruppe Grup Yorum ein wichtiger Punkt im Aktionsverhalten der Organisation. Aufgrund des weiterhin hohen Ermittlungsdrucks der deutschen Sicherheitsund Ordnungsbehörden ist es der Gruppierung im Berichtszeitraum erneut nicht gelungen, größere Veranstaltungen unter Beteiligung der Musiker durchzuführen. Die von Seiten der DHKP-C als "Repression" bezeichneten staatlichen Maßnahmen tragen maßgeblich zur Verhinderung von illegalen Aktivitäten und zur Verunsicherung des Unterstützerumfeldes der Organisation bei. Die in der Vergangenheit betriebene Praxis, Auftritte der Musikgruppe für Spendenaktionen, Mobilisierung von Mitgliedern sowie Rekrutierung neuer Anhänger zu nutzen, fällt somit weg. Obwohl die Organisation aufgrund des entschlossenen Handelns der Ordnungsund Sicherheitsbehörden einige Rückschläge hinnehmen musste, bleibt Deutschland ein wichtiger Rückzugsraum und Rekrutierungsbasis. Es kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass von hier aus Gelder und logistische Unterstützung für terroristische Aktivitäten in der Türkei zur Verfügung gestellt werden. Eine nachrichtendienstliche Beobachtung der Aktivitäten der DHKP-C ist somit auch zukünftig zwingend erforderlich. auslandsbezogener extremIsmus 201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen Sitz/Verbreitung Nord-Irak; in Europa durch wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten vertreten durch den Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) Gründung/Bestehen seit November 1978 Struktur/ Repräsentanz Höchste Entscheidungsgremien: Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) mit dem Präsidenten Abdullah Öcalan und den Vorsitzenden Cemil Bayik und Bese Hozat; Generalversammlung der Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) mit dem Co-Vorsitzenden Remzi Kartal Die PKK hat Deutschland in Regionen und Gebiete eingeteilt. Für die Umsetzung von Vorgaben nutzt die PKK überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Als Dachverband der Vereine fungiert bisher das NAV-DEM e.V.. Zwischenzeitlich ist erkennbar, dass bei der Strukturierung eine Neuorganisation ansteht. Im Januar 2020 wurde im Vereinsregister des Amtsgerichts Düsseldorf die Auflösung von Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM e.V.) eingetragen. Auch aus diesem Grund muss davon ausgegangen werden, dass sich die Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland (Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu - KON-MED) als Nachfolgeorganisation des NAV-DEM e.V. etablieren wird. KON-MED wird das Bundesgebiet in fünf Föderationen aufteilen. Die namentliche Benennung für NRW soll FED-MED NRW (Federasyona Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW) sein. 202 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Mitglieder/Anhänger/ Bund: 14.500 Unterstützer 2019 Land: 2.200 Veröffentlichungen Publikationen: unter anderem Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich); Sterka Ciwan (Stern der Jugend) (monatlich); Newaya Jin (Erlebnisse der Frauen) (monatlich); Kurdistan-Report (Auflage bis 15.000); Yeni Özgür Politika (täglich) Fernsehen: aktuell NUCE TV; RONAHI TV und Mednuce Internet: Zahlreiche Internetauftritte verschiedener regionaler Organisationen und Gruppierungen, mediale Präsenz in unterschiedlichen sozialen Netzwerken mit guten Verknüpfungen untereinander. Kurzporträt/Ziele Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die heute unter der Bezeichnung Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) agiert, strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nord-Irak, Teile des westlichen Iran und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Obwohl seitens der PKK immer wieder betont wird, man habe die früheren separatistischen Ziele aufgegeben, bemüht sie sich weiterhin um einen länderübergreifenden Verbund aller Kurden im Nahen Osten. Im Jahre 1993 hatte das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen erlassen. Die PKK ist zudem auf der EU-Terrorliste verzeichnet. Bis Ende 2013 vertrat die Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) nach ihrem Selbstverständnis unter anderem die politischen Interessen der PKK in Deutschland. Sitz der YEK-KOM war Düsseldorf. Aufgrund auslandsbezogener extremIsmus 203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 einer bereits im Juli 2013 durch den Dachverband des Kongresses der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (KCD-E) beschlossenen Neustrukturierung bildeten sich in vielen deutschen Städten kurdische Gesellschaftszentren, welche die bisher agierenden örtlichen YEK-KOM-Vereine ersetzten. Der Vereinsname lautet seitdem Demokratisch-kurdisches Gesellschaftszentrum (DKTM). Auf dem 20. Jahreskongress der YEK-KOM im Juni 2014 wurde die Umbenennung der YEK-KOM in das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM e.V.) beschlossen. Die PKK versucht, ihre Politik mithilfe sogenannter Massenorganisationen zu popularisieren. Darin organisiert sie ihre Anhänger nach sozialen Kriterien oder nach Berufsund Interessensgruppen. Besonders hervorzuheben sind die Jugendorganisation "TEVGERA CIWANEN SORESGER", "Bewegung der revolutionären Jugend" (vormals: "Komalen Ciwan"/"Ciwanen Azad), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (AKKH/TJKE) und der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK). Zu erwähnen sind weiterhin die Organisationen "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), "Union der Juristen Kurdistans" (YHK), die "Union kurdischer Familien" (YEK MAL) sowie die Religionsgemeinschaften "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), "Föderation der demokratischen Aleviten e.V." (FEDA) und "Föderation der yezidischen Vereine e.V."(FKE). Diese Organisationen vertreten kurdische Interessen ohne ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes NRW zu sein. Auch wenn diese Organisationen nicht als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes gelistet sind, ist doch klar erkennbar, dass auch in diesen Organisationen Personenpotential aktiv ist, das der PKK-nahen Szene zugeordnet. 204 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 werden kann. Über diese Wege werden ideologische Dogmen der PKK in die Verbände/Organisationen transportiert und verbreitet. Der ehemalige Jugendverband "Ciwanen Azad" hat sich im Oktober 2018 umbenannt. Hierzu fand in Bergisch-Gladbach ein europaweiter Kongress der Jugendlichen statt. Während des Kongresses wurde der ehemalige Jugendverband "Ciwanen Azad" in einen neuen europäischen Jugend-Dachverband mit dem Namen "TEVGERA CIWANEN SORESGER" übergeleitet. Finanzierung Jährliche Spendensammlung bei den Anhängern der PKK, Erlöse aus Zeitschriftenund Devotionalienverkäufen sowie Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In Westeuropa ist seit Ende März 1996 ein Kurswechsel zu weitgehend gewaltfreiem Verhalten erkennbar. Die PKK stellt jedoch wegen ihrer fortwährenden Bereitschaft, zu aktionsorientiertem und gewaltbereitem Verhalten zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Ihre Ziele verfolgt die PKK in den Kampfgebieten, aktuell insbesondere in Syrien sowie auch in der Türkei, nach wie vor mit Waffengewalt. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grunde eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erforderlich ist. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Diverse Ereignisse im Jahr 2019 beeinflussten die Aktivitäten der PKK-nahen Organisationen in Deutschland und NRW. Darunter fielen die Sorge um die Haftsituation und den Gesundheitszustand ihres inhaftierten Gründers Abdullah Öcalan, verbunden mit weltweiten Hungerstreiks, die Verschärfung des Kennzeichenverbotes durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) sowie der wiederholte Einmarsch türkischer Truppen in Syrien. auslandsbezogener extremIsmus 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ein Hauptthema in der kurdischen Community war im Jahr 2019 die Situation des Abdullah Öcalan. Die Isolationshaft und der ungewisse Gesundheitszustand haben zu einer weltweiten Hungerstreikkampagne geführt. Großes mediales Interesse erzielte vor allem die ehemalige HDP-Abgeordnete Leyla Güven, die am 7. November 2018 in einen unbefristeten Hungerstreik trat, der letztendlich 200 Tage andauerte. Nachdem Abdullah Öcalan im Frühjahr 2019 auf der Gefängnisinsel Imrali Besuch von seinen Anwälten erhalten hat, rief er im Mai 2019 dazu auf, die andauernden Hungerstreiks zu beenden. Zur Unterstützung der Hungerstreikenden gab es auch in NRW zahlreiche demonstrative Veranstaltungen. Die mit Abstand größte Demonstration in diesem Zusammenhang fand am 2. März 2019 mit rund 2.300 Unterstützern in Köln statt. Daneben wurden die Aktivitäten der PKK im Jahr 2019 wesentlich durch den Angriff der türkischen Truppen auf das Nordsyrische Grenzgebiet zur Türkei beeinflusst. Als Reaktion auf das militärische Vorgehen der Türkei in Nordsyrien ("Operation Friedensquelle") fanden deutschlandweit seit Anfang Oktober 2019 nahezu täglich dezentrale Kundgebungen statt. Der Großteil dieser Demonstrationen fand in NRW statt. Die Veranstaltungen verliefen weitestgehend friedlich. Bei wenigen Veranstaltungen kam es zu Auseinandersetzungen mit nationalistischen/rechtsextremistischen türkisch geprägten Gruppierungen. Hierbei waren sowohl deutsche Staatsangehörige mit türkischen Wurzeln, als auch türkische Staatsangehörige feststellbar. Bei den wenigen Veranstaltungen, bei denen es zu Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen türkischen Lagern kam, konnten strafrechtlich bewertete Delikte wie zum Beispiel Sachbeschädigungen und Körperverletzungen festgestellt werden. Insbesondere die kurdische Jugend hatte sich hoch emotionalisiert und durchaus gewaltbereit gezeigt. Die Auseinandersetzungen konnten überwiegend durch gezielten Polizeieinsatz verhindert werden. Auffällig bei diversen Veranstaltungen war der unterstützende Zuspruch aus dem Lager der deutsch-linken Szene. Es gab es sowohl eine deutlich wahrnehmbare Teilnahme aus der linken Szene bei den einzelnen Veranstaltungen, als auch eigene Anmeldungen von Kundgebungen aus dem linken Spektrum. Die Unterstützung kam vorrangig aus dem Spektrum der Partei DIE LINKE und aus dem Bereich der MLPD. Neben der Übernahme von Veranstaltungsanmeldungen waren auch Teilnehmer und Redner aus diesen beiden benannten Parteien erkennbar. 206 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Vergleich zu den Veranstaltungen, die sich im Jahr 2018 mit der Thematik um den Angriff türkischer Truppen auf Afrin beschäftigten, sind die Teilnehmerzahlen zur Thematik Angriff auf Syrien "Operation Friedensquelle" erkennbar höher als im Vorjahr. Der von der türkischen Regierung als Antiterror deklarierte Einsatz hatte das Ziel, die Kurdenmiliz YPG zu bekämpfen und aus dem Grenzgebiet zwischen Nordsyrien und der Türkei zu verdrängen. Begründet wurde der Angriff mit der Nähe der YPG zur PKK, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. Letztendlich sollte ein Korridor - begrenzt im Norden durch die nordsyrischtürkischen Grenze und im Süden durch die syrische Bundesstraße M4 - eingerichtet werden. Bei den Demonstrationen, die sich inhaltlich mit dem Thema befasst haben, kam es wiederholt zu Teilnehmerzahlen im vierstelligen, teilweise fünfstelligen Bereich wie am 12. und 19. Oktober 2019 in Köln mit je 15.000 Teilnehmern. Demonstration in Köln gegen die türkische Militäroffensive auslandsbezogener extremIsmus 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Weitere wichtige Veranstaltungen 2019: > 16. Februar 2019 : 20. Jahrestag der Festnahme Öcalans in Straßburg mit rund 10.000 Teilnehmern > 23 März 2019 : Newroz in Frankfurt mit rund 25.000 Teilnehmern > 22. Juni 2019 : Zilan Frauenfestival in Leverkusen mit 3.000 Teilnehmern > 13. Juli 2019 : Internationales Jugendfestival/Kulturfest "MAZLUM DOGAN" in Euskirchen mit rund 3.000 Teilnehmern > 21. September 2019 : Internationales kurdisches Kulturfestival in Maastricht mit rund 7.000 Teilnehmern Im Vergleich zu den Vorjahren haben die Teilnehmerzahlen bei allen Großveranstaltungen erkennbar abgenommen. Am deutlichsten wurde dies beim Internationalen kurdischen Kulturfestival: Waren es 2017 noch rund 14.000 Teilnehmende konnten 2019 mit 7.000 Teilnehmern deutlich weniger aus der kurdischen Community aktiviert werden. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, da das Internationale Kurdische Kulturfestival diesmal nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden stattgefunden hat. Weiterhin war auch das durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) verschärfte Verbot des Werbung für das Internationale Jugendfestival in Euskirchen Zeigens von Symbolen aus dem Bereich der PKK und deren nahestehenden Organisationen ein andauerndes Thema. Das BMI konkretisierte zunächst im März 2017 und erneut im Januar 2018 das PKK-Kennzeichenverbot. Grundlage 208 auslandsbezogener extremIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 dieser Konkretisierung ist das bereits seit dem Jahr 1993 geltende Betätigungsverbot. Inhaltlich umfasst das Betätigungsverbot auch das öffentliche Zeigen von Symbolen der PKK sowie ihrer Unterund Teilorganisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die fortdauernden Angriffe der türkischen Truppen auf kurdische Siedlungsgebiete außerhalb der Türkei und auch die stetige Sorge um den Gesundheitszustand des PKK-Gründers Abdullah Öcalan entfalten ihre Auswirkungen in der kurdischen Community bis in die Städte Nordrhein-Westfalens. Es muss weiterhin aufmerksam beobachtet werden, welche Wechselwirkungen zwischen türkischen Nationalisten und kurdischen Aktivisten innerhalb Deutschlands durch politische Ereignisse in der Türkei erzeugt werden und welche organisatorischen Entwicklungen, wie das Entstehen rockerähnlicher Strukturen, sich feststellen lassen. Das künftige Demonstrationsgeschehen sowie Aktionsverhalten der PKK-Anhänger in Nordrhein-Westfalen wird darüber hinaus wesentlich von der weiteren Entwicklung in den Krisengebieten in Syrien und dem Nordirak abhängen. Aktuell werden die Aktionen der PKK-Anhängerschaft durch den Einmarsch türkischer Truppen in Syrien maßgeblich beeinflusst. Es muss damit gerechnet werden, dass die PKK wie in der Vergangenheit immer wieder auf medienwirksame Aktionsformen wie zum Beispiel Besetzungsaktionen von Fernsehanstalten, Flughäfen, Parteibüros oder Schiffen zurückgreift. Auch die anlassbezogene direkte gewaltsame Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist in Betracht zu ziehen. Bei ihren Handlungsformen wird sich die PKK-Führung hier aber aller Voraussicht nach weiterhin davon leiten lassen, Deutschland als Rückzugsraum nicht zu gefährden. Daneben wird das Ziel verfolgt, durch politische Lobbyarbeit die Einstufung als Terrororganisation zu beenden. Der generelle Gewaltverzicht der PKK in Westeuropa steht damit weiterhin nicht zur Disposition. auslandsbezogener extremIsmus 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 210 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Islamismus IslamIsmus 211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Vom jihadistischen Salafismus und dem darauf basierenden internationalen Terrorismus geht nach wie vor eine hohe Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland aus. Auch nach dem Verlust seines gesamten Territoriums stellt der sogenannte Islamische Staat (IS) mit seinen im Untergrund weiterhin existenten und sich reorganisierenden Strukturen eine Bedrohung dar. Auch Al-Qaida und seinen Untergruppierungen stellen weiterhin eine Gefahr dar. Sowohl der sogenannte Islamische Staat als auch Al-Qaida haben eine globale jihadistische Agenda, die westliche Staaten insgesamt als legitime Ziele von Terroranschlägen betrachtet. Durch die Bekämpfung beider Terrororganisationen sind deren Aktionsmöglichkeiten eingeschränkt worden, aber nicht verschwunden. Trotz der gesunkenen öffentlichen und medialen Wahrnehmung des extremistischen Salafismus hat sich die Anzahl der durch den Verfassungsschutz beobachteten Salafisten bundesweit leicht erhöht. In NRW liegt die Zahl der bekannten Salafisten nunmehr auf einem Höchststand von rund 3.200 Personen mit einem weiterhin leicht steigenden Trend. Auch weiterhin sind die Akteure der salafistischen jihadistischen Szene gut vernetzt und in der Lage, ihre Botschaften zu verbreiten. Hierbei wird gegenwärtig weniger auf öffentlichkeitswirksame Aktionsformen gesetzt. Vielmehr spielen Netzwerke zur Gefangenenhilfe, vermeintliche Hilfsvereine sowie die Propaganda und Netzwerkbildung in den sozialen Medien im Internet eine entscheidende Rolle. Trotz der militärischen Niederlage des sogenannten IS in Syrien und dem Irak und dem Tod des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi ist die Organisation für extremistische Salafisten und Jihadisten in Deutschland weiterhin attraktiv und anschlussfähig. Nach wie vor sind in den beobachteten Szenen IS-Sympathisanten festzustellen. In den kommenden Monaten stehen vor allem die Themenfelder Rückkehrer - hierbei insbesondere Frauen und Kinder aus Gefangenenlagern in Nord-Syrien - sowie 212 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Haftentlassungen auf der Agenda der Sicherheitsbehörden und erfordern eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Verfassungsschutz, Justiz und weiteren involvierten Behörden, insbesondere auch auf der kommunalen Ebene. Hierzu hat der Verfassungsschutz NRW, gefördert durch den Bund, einen Rückkehrkoordinator eingestellt, der bei allen Rückkehrfällen die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden koordinieren soll und - wenn möglich - insbesondere Deradikalisierungsmaßnahmen anstoßen soll. Im Zusammenhang mit der alljährlichen Demonstration in Berlin am beziehungsweise um den Al-Quds-Tag kam es 2019 nicht nur zu Forderungen nach einem Verbot der Demonstration, sondern auch der Hizb Allah in Deutschland. Am 19. Dezember 2019 haben die Regierungsparteien und die FDP im deutschen Bundestag für ein generelles Betätigungsverbot der Hizb Allah gestimmt. Eine bemerkenswerte Entwicklung hat sich 2019 im Bereich des legalistischen Islamismus ergeben. Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), die als die bei Weitem bedeutendste Vertretung der Muslimbruderschaft in Deutschland bewertet wird, hat ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime (ZMD), einem Spitzenverband mit engen Kontakten zu Politik und Behörden, ruhend gestellt. Dies deutet darauf hin, dass die Verantwortlichen im ZMD sich der Problematik der Mitgliedschaft eines verfassungsfeindlichen Verbandes wie der DMG zunehmend bewusst werden. Um solchen, für die DMG negativen Entwicklungen, entgegenzuwirken, hat sie 2019 unter anderem Klage gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat eingereicht. Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y IslamIsmus 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Ausreise in und Rückkehr aus jihadistischen Kampfgebieten Mit der militärischen Niederlage der Jihadisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Syrien und im Irak und ihrem zwangsweisen territorialen Rückzug hat das Thema Ausreise für die salafistische Szene in Deutschland und Nordrhein-Westfalen erheblich an Bedeutung verloren. Daraus folgt jedoch nicht, dass hierzulande Entwarnung gegeben werden kann. Im Gegenteil: Mit der absehbar zunehmenden Zahl von Rückkehren ergeben sich neue und keineswegs geringer einzuschätzende Sicherheitsprobleme. Den Bundessicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse zu mehr als 1.050 Islamisten aus Deutschland vor, die seit dem Jahr 2012 insbesondere in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind. 263 Personen davon stammen aus Nordrhein-Westfalen. Neue Ausreisen in Richtung Syrien und Irak sind aktuell nicht bekannt und nur noch in Einzelfällen zu erwarten. In den vergangenen Jahren sind 86 Personen nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt. Gegenwärtig halten sich noch rund 110 Personen aus Nordrhein-Westfalen in den jihadistischen Kampfgebieten, insbesondere in Syrien, auf. 67 Personen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit im Bürgerkriegsgebiet verstorben, wobei hier eine Dunkelziffer anzunehmen ist. Ausreisen in jihadistische Kampfgebiete - in der Szene "Hijra" genannt - waren in kleinerem Umfang bereits vor 2012 zu verzeichnen. Die erste größere islamistisch motivierte Ausreisebewegung aus Deutschland ereignete sich in den Jahren 2008/2009 und umfasste in der Spitze rund drei Dutzend Personen. Sie führte damals nach Afghanistan, später beispielsweise auch in den Jemen und nach Somalia. Im Zuge des militärischen Aufstiegs des sogenannten IS und anderer jihadistischer Gruppierungen in Syrien und dem Irak existierte ab den Jahren 2012 und 2013 ein jihadistisches Kampfgebiet für ausreisewillige Szeneanhänger, das mit relativ einfachen Mitteln und ohne großen finanziellen Aufwand zu erreichen war. Ein großes Personenpotenzial in Deutschland und Europa wurde hiervon angesprochen, wobei die meisten Ausreisen in die Konfliktregion aus arabischen Ländern erfolgten. Spätestens im Jahr 2012 hatte sich in Deutschland eine große, jihadistisch orientierte Szene gebildet, die sich von gezielter Ausreise-Propaganda überzeugen und leiten ließ. 214 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Angehörige des sogenannten IS im nordsyrischen Flüchtlingslager Al-Hol Während das Thema Ausreise in den Jihad durch den Niedergang des sogenannten IS als Pseudostaat und das Zurückdrängen der Al-Qaida-nahen Organisationen auf die Region Idlib in der deutschen salafistischen Szene an Bedeutung verloren hat, gewinnt nunmehr das Thema Rückkehr an besonderer Relevanz. Diese resultiert insbesondere aus der Tatsache, dass Rückkehrende in der Regel einen kompletten Radikalisierungsprozess durchlaufen haben, vertiefte Kennverhältnisse zu anderen Radikalisierten besitzen und über Kampferfahrungen oder zumindest Erfahrungen im Umgang mit Waffen verfügen. Dieses in hohem Maße radikalisierte Personenspektrum der Ausgereisten in Verbindung mit Radikalisierungsprozessen innerhalb der ortsansässigen extremistisch-salafistischen Szene in Deutschland kann in Zukunft einen Nährboden für die Indoktrination weiterer hochmotivierter und tief ideologisierter Jihadisten bieten. Zudem ist eine Veränderung der Feindbilder zu erkennen: Die USA und Israel beziehungsweise "die Juden" als Kollektiv sind nicht mehr alleinige Projektionsfläche des Hasses auf alles "Ungläubige". Vielmehr werden primär der deutsche Staat und die deutsche Bevölkerung durch die Rückkehrenden für eine vermeintliche "Islam-Verfolgung" verantwortlich gemacht. Dieser veränderte Fokus ist bereits jetzt in der deutschsprachigen jihadistischen Propaganda festzustellen. IslamIsmus 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Auffällig ist die hohe Zahl von Frauen unter den Ausgereisten. Unter den 263 Ausgereisten aus Nordrhein-Westfalen sind 78 Frauen; das entspricht einem Anteil von 30 Prozent. Dieser Wert liegt weit über dem prozentualen Anteil der in der salafistischen Szene bekannten Frauen. Es besteht die Gefahr, dass Zurückkehrende aufgrund der zum Teil bestehenden Familienverbünde mit kleineren Kindern die Keimzelle für eine künftige, hier aufwachsende sogenannte "Generation Jihad" sein könnten. Antiterroreinsatz am 10. Dezember 2019 in Mönchengladbach In Nordrhein-Westfalen, wie in einigen anderen Bundesländern auch, ist 2019 die Stelle eines Rückkehrkoordinators eingerichtet worden. Dieser hat die Aufgabe, bei allen Rückkehrfällen zwischen den jeweils zuständigen Behörden die Bearbeitung vor allem unter dem Aspekt der Prüfung von möglichen Maßnahmen zur Deradikalisierung zu koordinieren. Die Rückkehrenden aus jihadistischen Kampfgebieten stellen somit als Personenpotenzial eine Risiko-Gruppe dar, die es in der Vergangenheit in einer vergleichbaren Dimension noch nicht gegeben hat. Obwohl sich eine mittlerweile große Anzahl an Rückkehrern in Haft und in der Betreuung von Aussteigerprogrammen befindet, muss grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückfallquote in Betracht gezogen werden, die derzeit nicht belastbar definiert werden kann. Die von Rückkehrenden ausgehende langfristige Gefahr wird die Ressourcen der Sicherheitsbehörden über viele Jahre binden. 216 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Diese Annahme stützen insbesondere Erfahrungen aus Frankreich, wo eine Mischszene aus Rückkehrern, "homegrown"-Szene und jihadistisch orientierten Flüchtlingen für die Anschlagsserien seit dem Jahr 2015 verantwortlich war. Terrorverdächtige werden im Frühjahr 2020 zur Haftprüfung beim Bundesgerichtshof vorgeführt. IslamIsmus 217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Extremistischer Salafismus Sitz/Verbreitung Alle Regionen Nordrhein-Westfalens. Schwerpunkte in den Ballungszentren des Rheinlands und des Ruhrgebiets Gründung/Bestehen seit Ursprung salafistischer Bestrebungen: Historische islamisch-sunnitische Strömungen vor allem Saudi-Arabiens und Ägyptens. Die ideologischen Grundlagen basieren in großen Teilen auf dem sogenannten "Wahhabismus". Ursprung jihadistischer Bestrebungen: Mujahidin-Bewegung der 1980er Jahre in Afghanistan In Nordrhein-Westfalen: Ab etwa 2003 erste gezielte deutschsprachige Aktivitäten. Struktur/ Repräsentanz Die extremistisch-salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen ist äußerst heterogen. Im Jahr 2019 sind nach Einschätzung des Verfassungsschutzes 69 salafistisch beeinflusste Moscheevereine, 32 Hauptakteure, 20 lokale Szenen und fünf überregionale Netzwerke zu verzeichnen. Mitglieder/Anhänger/ Bekannte extremistische Salafisten in NRW: 3.200/ Unterstützer 2019 davon politisch: 2.420/ gewaltorientiert: 780\ Veröffentlichungen Verbreitung der Ideologie über Web-Angebote, Blogs und soziale Netzwerke, Informationsstände, Vereinsaktivitäten und Vortragsbeziehungsweise Seminarveranstaltungen 218 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kurzporträt/Ziele Der extremistische Salafismus teilt sich ideologisch in zwei Grundströmungen auf: eine politische und eine gewaltorientierte/jihadistische Richtung. Politische Salafisten vertreten eine anti-demokratische und damit verfassungsfeindliche Ideologie. Sie basiert auf religiösen Versatzstücken, die der islamischen Religion entlehnt sind. Politische Salafisten streben die Errichtung eines vermeintlich "authentisch-islamischen" Staatssystems an. Zum Erreichen ihrer Ziele sind sie in der Missionierungsarbeit und dem Aufbau von Strukturen aktiv, die die Bildung einer Parallelgesellschaft befördern. Gewaltorientierte Salafisten, die auch als Jihadisten bezeichnet werden, stellen den "Jihad" im Sinne eines bewaffneten militärischen Kampfes in den Mittelpunkt ihrer Ideologie. Sie sind gewillt, ihre Vision von einem islamischen Staatswesen mit Waffengewalt umzusetzen. Der Übergang zwischen den beiden ideologischen Strömungen ist fließend. Finanzierung Spenden aus dem Inund Ausland, wirtschaftliche Betätigung durch den Verkauf von szenetypischen Produkten, Kriminalität Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Anhänger der extremistisch-salafistischen Szene verstehen die islamische Religion als Ideologie und die Scharia als gottgegebenes Ordnungsund Herrschaftssystem. Dieser Ideologie folgend wird Demokratie als "falsche Religion" und die Teilnahme an Wahlen als "Götzendienst" angesehen. Salafisten folgen damit dem Prinzip der "göttlichen Souveränität": Gesetze können dieser Ideologie folgend nur von Gott ausgehen und niemals von einem von Menschen gewählten Gesetzgeber gemacht werden. Der Salafismus widerspricht aus diesem Grund der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. IslamIsmus 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Aus der ablehnenden und offen feindseligen Haltung gegenüber der Gesellschaft und der teilweise hohen Gewaltaffinität resultiert ein großes Konfliktpotenzial, das das friedliche Zusammenleben gefährdet. Von gewaltorientierten Salafisten geht eine tatsächliche Gefährdung für die innere Sicherheit in Deutschland aus. Sie sind bereit, zur Umsetzung ihrer Ziele auch in Deutschland schwerste Gewalttaten und Anschläge zu verüben und schrecken vor vielfachem Mord nicht zurück. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Extremistische Salafisten sind in Nordrhein-Westfalen in unterschiedlichen Bereichen und Zusammenhängen aktiv. Im Berichtsjahr waren dabei insbesondere die folgenden Entwicklungen festzustellen. Missionierungsnetzwerke Straßenmissionierung ist - anders als in früheren Jahren - ein von der extremistisch-salafistischen Szene in Nordrhein-Westfalen kaum mehr besetztes Aktionsfeld. Ausschlaggebend hierfür scheint das bundesweite Verbot der Missionierungskampagne Lies! Ende des Jahres 2016 gewesen zu sein. Die in Wien ansässige Organisation Iman wurde nach eigenen Angaben 2014 in Österreich gegründet. Ihre Aufgabe beschreibt sie als "Aufklärungsarbeit über den Islam". Iman agiert nicht im Rahmen lauter und öffentlichkeitswirksamer Kampagnen. Vielmehr setzt die Organisation auf eine schleichende Indoktrinierung von Nachbarn, Kommilitonen und Kollegen. In den vergangenen Jahren war Iman vor allem im süddeutschen Raum aktiv. Die Organisation steht dort bereits seit längerer Zeit unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. In Nordrhein-Westfalen hat am 7. Dezember 2019 ein nicht öffentliches Seminar von Iman stattgefunden. Hilfsorganisationen Die Sammlung von Geldern und Sachspenden durch sogenannte Hilfsorganisationen ist innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene ein bedeutendes Tätigkeitsfeld. 220 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zum Akquirieren der Gelder werden unterschiedliche Bezahlwege und -dienste genutzt. Der Geldtransfer ins Ausland erfolgt in der Regel nicht über Banken, sondern im Rahmen von Transporten oder Reisen in die Region. Daneben werden Gelder mithilfe des sogenannten Hawala-Bankings in islamische Länder transferiert. Hierbei handelt es sich um ein informelles System zur Überweisung von Geldern außerhalb des staatlich regulierten Zahlungsverkehrs. Belastbare Aussagen über die Finanzierung salafistischer beziehungsweise jihadistischer Strukturen im Ausland liegen nur in Einzelfällen vor. Der Verein Ansaar International e.V. ist im Jahr 2012 unter dem Namen Ansaar Düsseldorf e.V. (Namensänderung im Jahr 2014) gegründet worden. Vordergründig verfolgt Ansaar den Zweck, humanitäre Hilfe für Muslime weltweit zu leisten. Neben den nach wie vor vorhandenen Geschäftsfeldern wie dem Ladenlokal Ummashop oder dem Reisedienstleister Blck Stone gGmbH wurde im Jahr 2019 ein weiterer Ausbau der Infrastruktur festgestellt. Verwies der Verein Mitte des Jahres 2018 noch auf 13 offizielle Sammelstellen, an denen primär Geldund Altkleiderspenden entgegengenommen wurden, waren im Dezember 2019 bereits 19 zu verzeichnen. Diese Sammelstellen verteilen sich über weite Teile des Bundesgebiets; eine befindet sich in Österreich (Sammelstelle Österreich/Innsbruck). Änderungen sind auch im Bereich der Generierung von Geldern zu erkennen. Mittlerweile setzt Ansaar stärker darauf, Mittel über ausländische und elektronische Bankkonten sowie über Bargeldeinnahmen zu erhalten. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Privatpersonen auf ihren eigenen Konten für den Verein sammeln. Die Zusammenarbeit mit weiteren Vereinen spielt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine bedeutende Rolle. Für das Jahr 2019 sind zum Beispiel Das Somalische Komitee und Frauenrechte ANS. Justice zu nennen. Hervorzuheben ist in diesem ZusammenIslamIsmus 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 hang insbesondere der Verein WWR-Help e.V. (World Wide Resistance-Help e.V.). Er wurde im August 2014 gegründet, hat seinen Sitz in Neuss und bezeichnet sich als Hilfsverein zur Unterstützung und Förderung von Kriegsopfern, Kriegshinterbliebenen, Kriegsgefangenen sowie hilfsbedürftigen und notleidenden Menschen in Kriegsund Krisengebieten. Im Vordergrund seiner Aktivitäten steht die Hilfeleistung für Menschen im Gazastreifen. Aufgrund der nachweislich engen Verknüpfungen wird WWR als Teilorganisation von Ansaar International bewertet. Darüber hinaus ist auch eine Ausweitung des Sponsorenund Partnernetzwerks im Umfeld Ansaar International zu beobachten. Auch wenn Ansaar schon seit längerer Zeit öffentliche Veranstaltungen mit bekannten extremistischen Salafisten vermeidet, ist keine Abkehr von extremistisch-salafistischen Bestrebungen zu erkennen. Im Hinblick auf den aktiven Personenkreis sind mittlerweile einige Überschneidungen zwischen Ansaar und dem im Jahr 2016 verbotenen Netzwerk Die Wahre Religion/Lies! zu verzeichnen. Dies legt den Schluss nahe, dass Ansaar International in der extremistisch-salafistischen Szene ein Vakuum füllen konnte, das durch den Ausfall von Lies! entstanden ist. Gegen den Verein wurden am 10. April 2019 umfangreiche vereinsrechtliche Ermittlungsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat durchgeführt. Hierzu wurden mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen zahlreiche dem Verein zuzurechnende Objekte durchsucht und Asservate gesichert. Grund für das Verfahren sind Hinweise auf Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere durch die Weiterleitung von Spendengeldern an die HAMAS-Organisation im Gazastreifen. Ein Klageverfahren gegen die Erwähnung in den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzberichten hat der Verein im Oktober 2019 verloren. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat entschieden, dass auch aus materiellen Gründen eine Aufführung als extremistischer Verein gerechtfertigt ist. Der im Jahr 2013 gegründete Verein Helfen in Not (HiN) mit Sitz in Neuss ist seit dem Frühjahr 2019 von Amts wegen abgemeldet. Aktivitäten in Deutschland sind nur noch über die Internet-Präsenz feststellbar. Der Verein Blue Springs LTD (vormals Afrikabrunnen e.V.) stellte sich anfangs als rein humanitäre Hilfsorganisation im extremistisch-salafistischen Spektrum dar. Lange Zeit widmete er sich vorrangig der Aufbauhilfe in Afrika. Zielsetzung war nach eigenen 222 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Angaben die Sicherung der Grundversorgung mit Wasser auf dem afrikanischen Kontinent durch den Bau von Brunnen. Darüber hinaus widmete sich der Verein in den letzten Jahren verstärkt der Hilfe für notleidende Menschen in Syrien. Unter Nutzung der gesamten Bandbreite der sozialen Netzwerke wurde auch im Jahr 2019 eine große Zahl von Spendenaufrufen verbreitet. Seit letztem Jahr werben vermehrt sogenannte Partnerorganisationen unter der Schirmherrschaft von Blue Springs LTD eigenständig um Spendengelder für den Brunnenbau. Die Spendensammler sollen im Anschluss Provisionszahlungen von Blue Springs LTD erhalten. Aufgebaut wie ein Schneeballsystem, versucht Blue Springs LTD durch stetigen Mitarbeiterzuwachs den Kreis an Spendern zu vergrößern. Ebenso hat sich die Spendenakquise insoweit erweitert, dass neben der klassischen Geldspende per Überweisung Gelder über digitale Spendenpools sowie über prozentuale Verkaufserlöse bei muslimischen Bekleidungs-, Dekorationsund Pflegeprodukten erzielt werden sollen. Der salafistische Hauptakteur des Vereins hält sich seit 2017 im Ausland auf. Bezüge bestehen weiterhin nach Dortmund. Die Relevanz für die deutsche Szene bleibt konInstagram-Post von Blue Springs stant hoch. Gefangenenhilfe Eine große inhaltliche Bedeutung für die salafistische Szene hat das Thema Gefangenenhilfe. Durch Propagandaund Unterstützungstätigkeiten für den sogenannten Islamischen Staats und andere jihadistische Organisationen hat sich die Anzahl von Straftätern unter den Salafisten in den vergangenen Jahren vervielfacht. Mit Stand Dezember 2019 waren rund 60 extremistische Salafisten in Haft. IslamIsmus 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Themenkomplex "Rückkehr" hat nach dem militärischen Niedergang des sogenannten Islamischen Staats an Bedeutung gewonnen. Ehemals in jihadistische Kampfgebiete ausgereiste Männer, aber auch viele Frauen mit Kindern befinden sich zurzeit im Irak oder in Nord-Syrien in Internierungslagern oder in Haft. Personen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit werden perspektivisch nach Deutschland zurückkehren. Rückkehrer aus Kampfgebieten werden in der Regel strafrechtlich verfolgt und erhalten oftmals mehrjährige Haftstrafen. Die große Zahl an Personen, die derzeit angeklagt oder bereits verurteilt sind, wird von Netzwerken betreut, die sich gezielt der "Gefangenenhilfe" widmen. Der zum Islam konvertierte ehemalige Linksterrorist Bernhard Falk alias Muntasir billah (deutsch: "siegreich durch Gott") ist seit Jahren im Bereich der Gefangenenhilfe aktiv. Seiner Diktion zufolge handelt es sich bei dem in Haft befindlichen salafistischen Personenkreis um "politische muslimische Gefangene". Falk nimmt als selbsternannter "Prozessbeobachter" bundesweit an Gerichtsverhandlungen teil und sucht Personen in Justizvollzugsanstalten auf, um dem Resozialisierungscharakter der Haft entgegenzuwirken. Zielsetzung seiner Aktivitäten ist die Verankerung der betreuten Personen in der salafistischen Ideologie. Telegramkanal des Islamisten Bernhard Falk Falk ruft in seinen Internetbeiträgen öffentlichkeitswirksam immer wieder zu Solidaritätsbekundungen für die inhaftierten "Brüder und Schwestern" auf. Außerdem fordert er zur Teilnahme an Gerichtsprozessen auf, um die Betroffenen wissen zu lassen, dass die Umma (Gemeinschaft aller Muslime) sie nicht vergessen habe. Da Falk zu Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen in der Regel keinen Zugang mehr erhält, werden diese Besuche teilweise von Personen aus seinem Umfeld, die seine Gefangenenhilfe unterstützen, vertretungsweise durchgeführt. 224 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 In seinen im Internet veröffentlichten Videos denunziert er Zeugen, Staatsanwälte, Richter, Pflichtverteidiger und Ermittlungsbehörden. Er bedient er sich dabei vornehmlich erfundener Behauptungen und suggestiver Aussagen. Seine umfangreichen Aktivitäten führten dazu, dass Falk seine Reputation in den Jahren 2018 und 2019 auch bei anderen Akteuren im Bereich der Gefangenenhilfe ausbauen konnte. Dies hatte Aufrufe zur Unterstützung vorrangig finanzieller Art für ihn zur Folge. Obwohl er in der Szene durch sein Auftreten und seine offenen Sympathie-Bekundungen für Al-Qaida stark polarisiert, überwiegt das gemeinsame Ziel der Betreuung der Gefangenen die persönlichen Befindlichkeiten einzelner Personenkreise. Aufgrund seines gewachsenen Ansehens innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene ist davon auszugehen, dass er auch zukünftig die Rolle eines Mentors einnehmen wird. Die Vereinigung Al Asraa - Die Gefangenen, die im Jahr 2015 erstmals in sozialen Netzwerken aktiv wurde, hat sich auf die Betreuung von inhaftierten Muslimen und deren Angehörigen spezialisiert. Bei dieser Vereinigung handelt es sich um eine Organisation, die sowohl aufgrund der Themensetzung als auch im Erscheinungsbild stark der Gefangenenhilfe Ansarul Anseer ähnelt, die im Zuge des Vereinsverbotsverfahrens zu Tauhid Germany im Jahre 2015 verboten wurde. Das Aufgabenfeld von Al Asraa lässt sich in fünf Tätigkeitsfelder gliedern: > persönliche Besuche inhaftierter Muslime, > Betreuung und Unterstützung von inhaftierten Muslimen und deren Angehörigen, > Prozessbeobachtung vor Gericht und Berichterstattung über das vermeintliche "Leid" muslimischer Gefangener, > interaktive Kommunikation in sozialen Netzwerken, > Schaffung einer besseren Vernetzung innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene. Al-Asraa versucht, durch die Aufrechterhaltung von Kontakten Gefangene des extremistisch-salafistischen Spektrums und ihre Angehörigen an die Szene zu binden. DarIslamIsmus 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 über hinaus sollen Personen vom extemistisch-salafistischen Gedankengut überzeugt oder in ihrer bereits vorhandenen Ideologie gefestigt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Inhaftierung der Akteure der Szene und mit den Inhalten von Gerichtsurteilen findet nicht statt. Dem Argumentationsmuster Social Media Appell von Al-Asraa von Al-Asraa folgend, sei lediglich die "religiöse Ausrichtung" eines Menschen relevant. Wer diesen Vorstellungen zufolge "wahrhaft muslimisch" sei, gehöre zur Gemeinschaft und müsse vor "schädlichen" Einflüssen bewahrt werden. Inhaftierte Szeneangehörige werden glorifiziert und daraus schlussfolgernd als vermeintlich wahrhafte Muslime präsentiert, die nur aufgrund ihres "Glaubens" große Ungerechtigkeiten in und durch die Gefangenschaft erleiden müssen. Islamistische nordkaukasische Szene (INS) Das Kaukasische Emirat wurde im Jahr 2007 unter der Führung von Dokku Umarov mit dem Ziel gegründet, die russische Armee mit Gewalt zum Rückzug aus Tschetschenien zu zwingen und im Nordkaukasus einen islamischen Staat zu errichten. Dabei werden auch terroristische Mittel eingesetzt. Deutschland dient den Anhängern der INS primär zur Akquirierung finanzieller und logistischer Unterstützung. Im Nachgang des Zerfalls der Strukturen des Kaukasischen Emirates seit 2015 schlossen sich zahlreiche Emire (Anführer) dem sogenannten Islamischen Staat an. In diesem Zusammenhang ist eine spürbare Hinwendung zu global-jihadistischen Organisationen (insbesondere zum sogenannten IS) zu beobachten. Die Orientierung der Anhänger zum Salafismus ist deutlich erkennbar. Eine äußerst heterogene Szene in Deutschland betreibt in Nordrhein-Westfalen Propaganda für die Bewegung im Nordkaukasus. Feste Strukturen sind nicht erkennbar, jedoch sind einzelne herausragende Persönlichkeiten in überregionalen Zusammenhängen aktiv. 226 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Durch die anhaltende Schwäche und den Machtverlust des sogenannten IS haben seit 2016 die Ausreisen von Tschetschenen aus Nordrhein-Westfalen in die jihadistischen Kampfgebiete deutlich abgenommen. Perspektivisch ist in der kommenden Zeit mit Rückkehrern und einem Anwachsen der tschetschenischen Diaspora in Deutschland zu rechnen. Es besteht ein erhöhtes Radikalisierungspotenzial von Teilen dieser Szene in Nordrhein-Westfalen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Mobilisierungsfähigkeit salafistischer Propaganda ist in Nordrhein-Westfalen als einem Bundesland mit einem in Relation zu anderen Bundesländern hohen muslimischen Bevölkerungsanteil und vielen urbanen Zentren besonders ausgeprägt. Aus den extremistisch-salafistischen Szenen heraus radikalisieren sich weiterhin Einzelpersonen und Personengruppen. Die Anzahl der bekannten Anhänger extremistisch-salafistischer Szenen ist in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren stark angestiegen, von 1.500 Personen im Jahr 2013 auf aktuell 3.200 Personen (Stand Dezember 2019). Innerhalb der extremistisch-salafistischen Szene in Nordrhein-Westfalen ist gegenwärtig ein Umbruch zu verzeichnen: Einhergehend mit der Umsetzung staatlicher Maßnahmen wie Strafverfahren und Vereinsverboten lässt sich eine Fragmentierung der Szenestrukturen feststellen. Da sich zahlreiche Hauptakteure in Haft befinden und andere öffentlich kaum oder gar nicht mehr in Erscheinung treten, wird dieses Vakuum partiell von neuen Akteuren ausgefüllt. In diesem Zusammenhang ist auch die sich bereits im Vorjahr abzeichnende Stärkung der Rolle von Frauen zu erkennen, die sich vor allem auf die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken erstreckt. Ihre Rolle als Akteurinnen der extremistisch-salafistischen und jihadistischen Szene findet immer noch im Hintergrund und nicht in der Öffentlichkeit statt. Die Aktivitäten der Frauen beispielsweise bei der Verbreitung von Propaganda, der Aufrechterhaltung von Netzwerken, der Unterstützung der sogenannten "Hilfsorganisationen" und Netzwerke der "Gefangenenhilfe" erstrecken sich vor allem auf die sozialen Medien und private Räume. Die Bedeutung des extremistischen Salafismus und Jihadismus als vermeintlich attraktive Ideologie für vor allem lebensjüngere Menschen wird trotz des beschriebenen Wandlungsprozesses und der Umsetzung einer großen Anzahl an staatlichen Maßnahmen von Beobachtung, Strafverfolgung bis hin zur Prävention in den kommenden Jahren fortbestehen. IslamIsmus 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 HAMAS Sitz/Verbreitung Hauptsitz der Vereinsstrukturen in Berlin, Aktivitäten auch in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern Gründung/Bestehen seit 1987 Struktur/ Repräsentanz In Deutschland repräsentiert durch die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD) Mitglieder/Anhänger/ NRW: 140/ Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Englischund arabischsprachiges Web-Angebot der HAMAS-Kernorganisation; arabischund teilweise deutschsprachige Veröffentlichungen der PGD in sozialen Netzwerken Kurzporträt/Ziele Die sunnitische HAMAS (Arabische Abkürzung für: "Bewegung des islamischen Widerstandes") hat sich aus dem palästinensischen Teil der Muslimbruderschaft entwickelt und wurde mit Beginn der ersten Intifada im Jahr 1987 aktiv. Das vorrangige politische Ziel der HAMAS ist die "Befreiung" Gesamtpalästinas und damit die Auflösung Israels als eigenständiger Staat. Im Jahr 2017 veröffentlichte die HAMAS ein neues Grundsatzdokument. Es stellt jedoch keine wesentliche Abweichung gegenüber der ursprünglichen HAMAS-Charta von 1987 dar. Die Organisation zeigt sich in dem neu verfassten Dokument einerseits grundsätzlich dazu bereit, einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 hinzunehmen, und betont, dass sich ihr Widerstand nicht gegen die jüdische Religion, sondern ausschließlich gegen den Staat Israel richte. Gleichzeitig wird jedoch an einer vollkommenen 228 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Befreiung Palästinas vom "Jordan bis zum Mittelmeer" und am bewaffneten Widerstand festgehalten, wobei der "zionistischen Entität" jegliche Anerkennung zu verweigern sei. Das Existenzrecht Israels wird damit nach wie vor negiert, auch wenn moderate HAMAS-Politiker dies in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen bei Verhandlungen in Aussicht stellten. Die HAMAS befindet sich mitsamt ihrer militärischen Suborganisation, den "Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden", auf der durch den Rat der Europäischen Union erstellten EU-Terrorliste und unterliegt damit entsprechenden Sanktionen. Finanzierung In Deutschland: Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die HAMAS ist eine terroristische Organisation, verfügt aber neben ihrem paramilitärischen Arm, den Izz ad-Din Al-Qassam-Brigaden, über eine Partei, ein soziales Hilfswerk und religiöse Organisationen. Sie ist für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Gebiet verantwortlich. Die Feindschaft gegenüber Die Izz ad-Din Al-Qassam-Brigaden sind der paramilitärische Arm der HAMAS. IslamIsmus 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Israel wird begleitet von einem virulenten Antisemitismus, der auch in der Charta der HAMAS deutlich zum Ausdruck kommt. Als weiteres Ziel verfolgt die HAMAS die Errichtung eines "islamischen Staates ", gestützt auf die extremistische Ideologie der Muslimbruderschaft. Diese Ideologie steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ihre terroristischen Aktivitäten gegen Israel gefährden auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und die antisemitische Einstellung ist gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Zu Beginn des Jahres 2019 zerbrach die zwischen HAMAS und Fatah gebildete Einheitsregierung vom Juni 2014 mit dem Rücktritt des palästinensischen Premierministers Rami Hamdallah. Diesem war zuvor bereits die Auflösung des Legislativrates vorausgegangen. Für die HAMAS brachte diese Entwicklung innerhalb des Gazastreifens jedoch keine Änderung der Machtverhältnisse mit sich, da sie bereits in den Jahren zuvor die de facto-Kontrolle über den Gazastreifen innehatte. Im israelisch-palästinensischen Konflikt ist grundsätzlich weiterhin keine Entspannung erkennbar. Wiederkehrend kam es auch im Berichtszeitraum 2019 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, auf die Phasen der Waffenruhe folgten. Werbung für Berliner Konferenz über Palästinensische Flüchtlinge 230 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 In westlichen Staaten wie Deutschland beschränkt sich die Arbeit HAMAS-naher Organisationen und Personen weiterhin auf die Generierung von Spendengeldern, politische Einflussnahme sowie die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen. Im Dezember 2019 fand etwa in Berlin eine Konferenz statt, die sich inhaltlich mit der Situation der Palästinenser in Europa sowie der Tätigkeit des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA) beschäftigte und ein zusätzliches Rahmenprogramm bot, welches auch ein breiteres Publikum ansprechen sollte. Organisatoren der Veranstaltung waren unter anderem die PGD sowie das HAMAS-nahe Palestinian Return Center (PRC). Auf negative mediale Berichtserstattungen über das Ereignis reagierten die Verantwortlichen mit Zurückweisung der erhobenen Antisemitismusvorwürfe. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die politischen Entwicklungen im israelisch-palästinensischen Konflikt im Berichtszeitraum haben keine erkennbaren Veränderungen der Aktivitäten HAMAS-naher Organisationen in Nordrhein-Westfalen mit sich gebracht. Nach wie vor sieht die HAMAS westliche Staaten als Rückzugsraum an, von dem aus politische und finanzielle Ziele verfolgt werden können. Jeglicher Bezug zur HAMAS wird von Personen und Organisationen aus deren Aktionsgeflecht öffentlich konsequent abgestritten. IslamIsmus 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz/Verbreitung Zentren in Münster, Hamburg und Berlin Gründung/Bestehen seit 1982 Struktur/ Repräsentanz Kein Dachverband; Treffen der Anhänger finden in einzelnen örtlichen Moscheevereinen statt, deren Vereinssatzungen als auch deren Aktivitäten nach außen keinen Hizb Allah-Bezug erkennen lassen. Seit über 20 Jahren ist zudem das Islamische Zentrum (Imam-Mahdi-Zentrum) in Münster eine Plattform und Begegnungsstätte für Hizb Allah-Anhänger in Nordrhein-Westfalen und im Westen Deutschlands. Weitere Schwerpunkte: Raum Essen/Bottrop, Dortmund und Bad Oeynhausen Mitglieder/Anhänger/ Bund: 1.050/ Unterstützer 2019 NRW: 115/ Veröffentlichungen Mehrsprachiges Web-Angebot Kurzporträt/Ziele Die Hizb Allah ist eine schiitische islamistische Organisation im Libanon, die mit Unterstützung der Islamischen Republik Iran ins Leben gerufen wurde. Sie verfügt über einen (para-)militärischen, einen karitativen und einen politischen Zweig. An der Spitze der Organisation steht als Generalsekretär und Oberbefehlshaber Hassan Nasrallah. Die Hizb Allah ist seit Anfang der 1990er Jahre ein etablierter Akteur in der libanesischen Politik, als Partei im Parlament vertreten und immer wieder auch an Regierungen beteiligt. In einigen Teilen des Libanon (vor allem im Süden und Nordosten) beherrscht sie das gesamte öffentliche 232 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Leben und verfügt quasi über staatsähnliche Strukturen. Zugleich ist sie mit wohltätigen Einrichtungen, legalen und illegalen Strukturen ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft des Libanon. Militärisch verfügt die Hizb Allah über eine schlagkräftige Truppe, die für Kampfeinsätze geeignet ist. Ihr militärischer Zweig kooperiert dabei eng mit den iranischen Streitkräften für Auslandseinsätze, der sogenannten "Quds Force". Durchgeführte und der Hizb Allah zugeschriebene oder durch sie unterstützte Terroranschläge außerhalb des Nahen Osten waren verhältnismäßig selten (zwei in 1992, einer in 1994, einer in 2012), machen aber deutlich, dass sie grundsätzlich über die Fähigkeit und Bereitschaft, Anschläge zu verüben, verfügt. Für Israel, dessen Existenzrecht die Hizb Allah negiert, ist sie mit ihren militärischen und terroristischen Kapazitäten eine ständige und immer wieder auch realisierte Bedrohung. Finanzierung Spenden der Anhänger, im Libanon finanzielle Zuwendungen aus Iran Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Hizb Allah wird aus mehreren Gründen als extremistische Bestrebung bewertet. Ihre ideologische Basis ist die von Ayatollah Khomeini aufgestellte und in der Islamischen Republik Iran politisch umgesetzte Doktrin der "Statthalterschaft des islamischen Rechtsgelehrten" ("Welayat-e Faqih"). Diese Doktrin dient - obgleich "demokratische" Elemente enthalten sind - nicht zur Fundierung der Herrschaft des Volkes, also der Demokratie, sondern zur Etablierung der Herrschaft Gottes, als dessen "Statthalter" die schiitischen islamischen Gelehrten auftreten. Damit folgt die Hizb Allah einer extremistischen, spezifisch islamistischen Ideologie und stellt somit eine verfassungsfeindliche Bestrebung dar. Zur Ideologie der Hizb Allah gehört auch, dass sie das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, sie bedient sich in ihrer Propaganda antisemitischer Klischees und schürt IslamIsmus 233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Feindschaft gegen Israel und Juden. Auch wenn diese Propaganda meist durch ihre Medienkanäle im Libanon produziert und verbreitet werden, ist deren Wirkung auch in den Hizb Allah-nahen Vereinen in Nordrhein-Westfalen festzustellen. Die Hizb Allah richtet sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker. Im Norden Israels kommt es immer wieder zu militärischen Überfällen gegen israelische Streitkräfte und Zivilisten, um Angst und Schrecken (Terror) unter der israelischen Bevölkerung zu verbreiten. Darüber hinaus wird die Hizb Allah auch von den Strafvollzugsbehörden mehrerer Staaten für Terroranschläge auf ihrem Hoheitsgebiet gegenüber Israelis und Juden verantwortlich gemacht (Buenos Aires 1992 und 1994, Burgas 2012). Durch diese terroristischen Aktivitäten und die entsprechenden Vorbereitungshandlungen gefährdet die Hizb Allah auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Schließlich verfügt die Hizb Allah über eine "External Security Organization" (ESO), die völlig separat von den übrigen Hizb Allah-Zweigen agiert und aus einem geheimen Sicherheitsdienst, Nachrichtendienst und Einheiten für Übersee-Operationen besteht. Aufgrund ihrer engen ideologischen, politischen und militärischen Verbindung mit Iran ist die ESO auch als Hizb Allah-Geheimdienst durchaus eine potenzielle Bedrohung für die innere Sicherheit in Deutschland. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Wahlen im Libanon im Mai 2018 und Regierungsbildung 2019 Die schiitische Hizb Allah gewann mit ihren Verbündeten bei den Parlamentswahlen im Libanon 65 der insgesamt 128 Sitze. Nach acht Monaten Stillstand haben sich die politischen Parteien im Januar 2019 auf eine neue Regierung verständigt, in der auch die Hizb Allah mit drei Kabinettsmitgliedern vertreten ist. An der grundsätzlichen Machtstruktur des Libanon hat sich jedoch durch dieses Wählervotum wenig geändert, weil in dem multireligiösen Staat alle wichtigen Ämter bereits vorab per Verfassung verteilt sind. Truppenreduzierung in Syrien Seit 2013 kämpfen - auf Geheiß Irans - Einheiten der Hizb Allah an der Seite der Assad-treuen syrischen Armee im Syrischen Bürgerkrieg. Mitte 2019 kündigte Hassan Nasrallah eine Verringerung der in Syrien stationierten Kampfeinheiten der Organi234 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 sation an. Die zentralen Ziele, eine Stabilisierung der syrischen Regierung sowie die Zurückdrängung salafistischer jihadistischer Milizen, wurden weitgehend erreicht. Die Hizb Allah hat durch ihr Engagement in Syrien die eigenen militärischen Fähigkeiten erheblich ausgebaut, musste zugleich aber hohe Verluste und durch die Versorgung von Verwundeten, Invaliden und Hinterbliebenen erhebliche finanzielle Verpflichtungen schultern. "Al-Quds"-Tag in Berlin In Deutschland wird der von Ayatollah Khomeini initiierte "Al-Quds"-Tag seit 1996 in Berlin veranstaltet. Am 1. Juni 2019 fand die diesjährige Demonstration anlässlich des "Al-Quds"-Tages statt. Der Demonstrationszug zog dabei mit 1.200 Teilnehmern durch die Stadt, darunter auch Hizb Allah-Sympathisanten aus NRW. Damit waren es circa 400 Teilnehmer weniger als im Vorjahr. Während der Demonstration wurden sowohl vom Lautsprecherwagen als auch durch einzelne Teilnehmer antiisraelische Parolen skandiert. Der Marsch war zuvor von den Ordnungsbehörden mit Auflagen belegt worden. Es war verboten, Fahnen und Banner zu verbrennen, zu Gewalt aufzurufen und Parolen zu skandieren, die ehrverletzend sind. Es war auch nicht erlaubt, für die Hizb Allah oder ihr nahestehenden Organisationen zu werben. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Deutschland stellt für die Organisation nach wie vor einen Operationsraum dar, der für logistische Unterstützungsleistungen, wie zum Beispiel die Finanzierung und die Rekrutierung neuer Mitglieder, genutzt wird. Mit dem Auslaufen ihres militärischen Engagements im syrischen Bürgerkrieg ist davon auszugehen, dass die Hizb Allah sich wieder stärker auf die Konfrontation mit Israel konzentriert. Dieses Engagement hat deutlich gemacht, dass die Hizb Allah auch unter Vernachlässigung eigener Interessen als "verlängerter Arm" Irans zu agieren bereit beziehungsweise gezwungen ist. Angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Iran einerseits mit Israel und mit den USA andererseits ist deshalb davon auszugehen, dass Iran, wenn seine Führung es für erforderlich halten sollte, auch auf Strukturen der Hizb Allah zurückgreifen kann, um iranischen Interessen Nachdruck zu verleihen oder diese durchzusetzen. Eine konsequente Haltung gegen die Hizb Allah und ihre Ziele sowie die weitere Aufdeckung der von ihr genutzten Strukturen ist deshalb eine Notwendigkeit für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen. IslamIsmus 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Hizb ut Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) Sitz/Verbreitung Kein Sitz in Deutschland; regionale Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen sind Dortmund, Duisburg, Essen sowie Ostwestfalen Gründung/Bestehen seit 1953 Struktur/ Repräsentanz In der Bundesrepublik Deutschland ist die HuT in verschiedene Regionen aufgeteilt, in denen streng voneinander abgeschottete Kleingruppen (Zellen) existieren, die sich durch ein äußerst konspiratives Verhalten auszeichnen. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 70/ Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Mehrsprachiges Web-Angebot Kurzporträt/Ziele Die Hizb ut-Tahrir (HuT) wurde 1953 von dem Rechtsgelehrten Scheich Taqi al-Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und palästinensischen Muslimbruderschaft, gegründet. Es handelt sich um eine pan-islamistische Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangige Ziele der Organisation sind die Wiedereinführung des 1924 durch die Republik Türkei abgeschafften Kalifats und die Errichtung eines islamischen Staats unter Führung eines Kalifen. Dieser soll die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns im Kalifat durchsetzen. Säkulare Staatsformen stehen hierzu im Widerspruch und werden bekämpft. Islam und Demokratie sind für die HuT nicht miteinander vereinbar. Zur Durchsetzung ihrer Ziele versucht die HuT vor allem einflussreiche Persönlichkeiten und Akademiker zu rekrutieren, die ihre herausgehobene gesellschaftliche Position zur gezielten Einflussnahme im 236 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Sinne der HuT instrumentalisieren sollen. In den meisten mehrheitlich muslimischen Ländern ist die HuT verboten. Seit Januar 2003 unterliegt die HuT auch in Deutschland einem Betätigungsverbot. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Das vom Bundesminister des Innern ausgesprochene Betätigungsverbot wurde 2006 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 19. Juni 2012 die Klage der HuT gegen das Betätigungsverbot für unzulässig erklärt. Der EGMR sah es als erwiesen an, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abspreche. Sie habe ferner den Sturz von Regierungen in islamisch geprägten Staaten gefordert. Diese sollen durch ein auf den Regeln der Scharia basierendes Kalifat ersetzt werden, das allerdings nicht mit Gewalt erkämpft werden soll. Die HuT kennzeichnet zudem ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden, aber auch Christen, gelten - entgegen der mehrheitlich von islamischen Gelehrten vertretenen Meinung - als Ungläubige. Ihre Lebensform sei abzulehnen. Mit ihnen sollte möglichst kein Kontakt gehalten werden, da sie untereinander ein Bündnis eingegangen seien, um den Islam zu zerstören. Auf Grund der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ideologie sowie des Antisemitismus der HuT unterliegt diese der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Öffentliche Veranstaltungen der HuT sind im Berichtsjahr 2019 nicht durchgeführt worden. Das Betätigungsverbot wurde dahingehend eingehalten. Nach wie vor treffen sich konspirativ Kleingruppen und halten entsprechende Schulungszirkel ab. Darüber hinaus ist eine erhöhte Aktivität von zahlreichen Gruppierungen in den sozialen Netzwerken zu beobachten, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Zu nennen sind hier die Bewegungen Realität Islam und Generation Islam. IslamIsmus 237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Medienund Öffentlichkeitsarbeit bei der im hessischen Mörfelden-Walldorf ansässigen Vereinigung von Realität Islam zielt darauf ab, offen erkennbare Bezüge zum Islamismus zu vermeiden. Dennoch agiert die Vereinigung nach hiesiger Bewertung im Sinne der HuT und ist darum bemüht, junge Muslime an deren Ideologie heranzuführen und ihnen die angebliche religiöse Notwendigkeit eines islamischen Kalifats zu vermitteln. Im Rahmen der im Jahr 2018 erfolgten Kampagne gegen ein in der Öffentlichkeit und im politischen Raum diskutiertes Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren führte Realität Islam Veranstaltungen und Flyer-Verteilaktionen durch und setzte aktiv soziale Medien für die Kommunikation der eigenen Positionen ein. Dadurch erreichte Realität Islam einen hohen Bekanntheitsgrad mit tausenden Unterstützern im Internet. Bei einigen Aktivisten sind offene Bezüge zur HuT feststellbar. Realität Islam zielt darauf ab, insbesondere bei muslimischen Jugendlichen eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu schüren, indem eine vermeintliche Einschränkung der freien Religionsausübung durch den Staat suggeriert wird. Damit wirkt die Organisation auf eine Spaltung der Gesellschaft hin und spricht von einer "islamfeindlichen Atmosphäre in der Gesellschaft" sowie einer fortdauernden "Dämonisierung und Kriminalisierung der Muslime". Mit Hilfe simpler Freund-Feind-Schemata wird unter Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse ein Narrativ erzählt, das Muslime als Opfer des nicht-islamischen Staats darstellt. So werden Ängste und Misstrauen gegenüber dem Rechtstaat geschürt, eine Abwendung von demokratischen Werten gefördert und die vermeintliche Notwendigkeit der Errichtung eines islamischen Kalifats untermauert. Strafrechtlich relevante Äußerungen werden dabei vermieden. So ist beispielsweise in einem Aufruf vom 20. März 2019 mit dem Titel "Gemeinsam für ein Ende der Wertediktatur" von einer "...totalitären Integrationspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte" die Rede. Bei dem informellen und vorwiegend in den sozialen Medien aktiven Hamburger Netzwerk Generation Islam werden gezielt gesellschaftliche Entwicklungen, die den Islam betreffen, thematisiert. Allerdings weisen auch hier die in Internet-Beiträgen und -Videos publizierten Meinungen starke Bezüge und Überschneidungen mit der Ideologie der HuT auf. Auch in den Videos von Generation Islam wird häufig versucht, die Muslime als Opfer staatlicher Gängelung und Gewalt darzustellen. So wurde unter dem Begriff "Wertediktatur" der Vorwurf seitens Generation Islam erhoben, die westlichen Staaten würden den Muslimen ihre "westlichen" Werte aufzwingen und ihre freie Glaubensäußerung zu verhindern suchen. Gleichzeitig betonen die Verantwortlichen, wie viele Probleme in den westlichen Demokratien existieren würden (wie Drogensucht, Armut, Mobbing), dass diese Missstände islamischen Werten widersprächen und es diese deshalb in einem islamischen Kalifat auch nicht gäbe. Des Weiteren wird in den Beiträgen in sozialen Medien der Blick auf die Ursprünge des Islams, nämlich 238 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 die Zeit des Propheten und seiner Gefährten, gerichtet. Dieses "Zeitalter der Glückseligkeit" wird als Muster für eine politische Ordnung in dem angestrebten zukünftigen Kalifat propagiert. Dabei knüpft die Gruppierung bewusst an die Lebenswelten internetaffiner und junger Menschen an. Auch in Nordrhein-Westfalen konnte im Berichtsjahr ein zunehmendes Sympathisantenumfeld von Generation Islam in den sozialen Netzwerken festgestellt werden. Beispielhaft hierfür steht der Aufruf zum Twitterstorm "#NichtohneMeinKopftuch" vom 2. Juni 2019. Im Berichtszeitraum konnte in Nordrhein-Westfalen eine zweistellige Anzahl von Flyerverteilungen beziehungsweise Veranstaltungen mit einer bis zu dreistelligen Teilnehmerzahl festgestellt werden. DerAufruf zum Twitterstorm im Juni 2019 artige Aktionen fanden hierbei gehäuft an öffentlichen Plätzen - insbesondere in oder im unmittelbaren Umfeld von Moscheen oder Schulen - statt. Zudem traf sich die Szene in privaten Räumen (Wohnungen, Veranstaltungsräumlichkeiten, Grundstücke, Gärten), die von der öffentlichen Wahrnehmung und dem Zugriff staatlicher Behörden weitgehend ausgenommen sind. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die sozialen Medien im Internet sind für die Verbreitung des Gedankengutes der HuT und zur Gewinnung neuer Anhänger von großer Bedeutung. Insbesondere Realität Islam und Generation Islam propagieren die Ideologie der HuT, der dies unter ihrem Namen in Deutschland untersagt ist. Es ist davon auszugehen, dass diese der HuT nahestehende Gruppierungen auch künftig gesellschaftliche Debatten in ihrem Sinne instrumentalisieren werden, um ihr Narrativ einer Verfolgung des Islam und der Muslime in Deutschland zu propagieren und damit die Notwendigkeit der Errichtung eines islamischen Kalifats zu begründen. Dabei sind auch weiterhin Verteilaktionen sowie die Anmeldung öffentlicher Veranstaltungen zu erwarten. IslamIsmus 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz/Verbreitung Vereinsstrukturen seit Dezember 2001 verboten, früherer Hauptsitz in Köln Gründung/Bestehen seit 1984 Struktur/ Repräsentanz Keine offen erkennbaren Strukturen, aber mehrere islamische Gemeinden, die sich weiterhin der Ideologie des Kalifatsstaats verpflichtet fühlen Mitglieder/Anhänger/ NRW: 220 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Muhacirun (Auswanderer), Mehrere Web-Angebote Kurzporträt/Ziele Im Jahr 1984 gründete in Köln der türkische Prediger Cemaleddin Kaplan (1926 bis 1995) nach Loslösung von der Milli-Görüs-Bewegung den Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (Ädegslami cemiyet ve cemaatleri birligi / ICCB), auch als Kaplan-Verband bezeichnet. Nachdem viele Gemeinden im Laufe der Zeit den ICCB wieder verlassen hatten, proklamierte er im März 1994 den so bezeichneten Kalifatsstaat und ließ sich als Kalifen huldigen. Sein sogenannter Kalifatsstaat war eine am Führerprinzip orientierte und streng hierarchisch gegliederte Organisation. Ziel Kaplans und seines Verbandes war die Erringung der Herrschaft in der Türkei und in letzter Konsequenz die Weltherrschaft für sein Kalifat. Nach dem Tode Cemaleddin Kaplans folgte ihm sein Sohn Metin Kaplan als Kalif nach. Intern kam es jedoch zu Nachfolgestreitigkeiten, in deren Verlauf Metin Kaplans Widersacher 1997 ermordet wurde. Im Jahr 2000 wurde Metin Kaplan wegen Anstiftung zum Mord zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt 240 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 und nach Verbüßung der Haftstrafe im Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben. Dort wurde er wegen Gründung und Leitung einer terroristischen Vereinigung verurteilt und inhaftiert. Aus gesundheitlichen Gründen kam er Ende 2016 vorzeitig aus der Haft frei. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Kalifatsstaat propagierte bis zu seinem Verbot durch den Bundesminister des Innern am 8. Dezember 2001 den revolutionären gewaltsamen Umsturz der säkularen demokratischen Ordnung in der Türkei und die Errichtung eines islamischen Kalifats auf der Basis der Scharia an deren Stelle. Bereits im April 1992 rief Cemaletin Kaplan auf einer Veranstaltung des ICCB den Föderalistischen Islamischen Staat Anatolien (AFID) aus. Sich selbst erklärte er zum Emir, also Befehlshaber beziehungsweise Regenten. Seit 1994 bezeichnete sich der ICCB als Kalifatsstaat, Cemaleddin Kaplan war dessen erste Kalif. Die islamistische Ideologie des Kalifatsstaats war von einer rigorosen Ablehnung der Demokratie und des Säkularismus gekennzeichnet. Darüber hinaus zeigte der Kalifatsstaat eine ausgeprägte Judenfeindlichkeit und eine große Affinität zum bewaffneten Jihad. Daraus resultierte der Aufruf an die Muslime, die kemalistische Regierung der Türkei gewaltsam zu stürzen und dort das Kalifat zu errichten. Damit waren der Schriften des Kalifatsstaates Kalifatsstaat und sein Kalif in allen IslamIsmus 241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Punkten noch deutlich radikaler als die Milli-Görüs-Bewegung Necmettin Erbakans, der Kaplan kurzzeitig angehört hatte. Nach dem bundesweiten Verbot orientierten sich zahlreiche Kalifatsstaats-Anhänger in Richtung des extremistischen Salafismus. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Öffentliche Aktivitäten von Anhängern des Kalifatsstaats in NRW sind im Berichtsjahr 2019 nicht bekannt geworden. Das Vereinsverbot hatte somit auch 2019 Bestand. Treffen seiner Anhänger in Kleingruppen zu religiösen Zwecken fanden jedoch statt, so dass ein Austausch über ideologische oder politische Inhalte nicht auszuschließen ist. Seit der Entlassung Metin Kaplans aus türkischer Haft im November 2016 lebt dieser in Istanbul und hält durch die Veröffentlichung des Freitagsgebets im Internet den Kontakt zu seinen Anhängern. Trotzdem verliert er aufgrund fortschreitenden Alters und Erkrankung an Einflussmöglichkeiten in Deutschland. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die bekannten antidemokratischen Inhalte der Schriften von Cemaleddin Kaplan, dem ersten Kalifen, werden von den Anhängern vor allem über die sozialen Medien weiterhin verbreitet. Ein Prediger, der den Kalifatsstaat erneuern und seine Ideologie weiterentwickeln könnte, ist bisher nicht in Sicht. Dennoch kann die Vermittlung der Kalifatstaatlehre auch individuelle Radikalisierungsprozesse auslösen oder fördern. Durch andauernde interne Streitigkeiten ist die Anhängerschaft des Kalifatsstaats nach wie vor gespalten. Offen ist, ob der harte Kern um Metin Kaplan oder doch andere Strömungen, die den Anspruch Metin Kaplans als Kalif in Frage stellen, sich durchsetzen werden. Eine Revitalisierung früherer Strukturen ist zurzeit eher unwahrscheinlich. 242 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Online übertragene Freitagspredigt von Metin Kaplan IslamIsmus 243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Muslimbruderschaft (unter anderem Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG) Sitz/Verbreitung Bundesweite Strukturen; Hauptsitz der DMG bis Mitte 2019 in Köln, danach in Berlin Gründung/Bestehen seit 1928 in Ägypten, in Deutschland seit den 1960er Jahren aktiv Struktur/ Repräsentanz Die Muslimbruderschaft verfügt über ein weit verzweigtes Netz offizieller und inoffizieller Strukturen. In Deutschland stellt die DMG die wichtigste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft dar. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der Föderation islamischer Organisationen in Europa (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Seit Ende 2010 hatte die DMG, ehemals Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), ihren Sitz in Köln, bis sie diesen im Laufe des Jahres 2019 nach Berlin verlegte. Neben der DMG existieren zahlreiche weitere Institutionen und Vereine, die der Ideologie der Muslimbruderschaft zumindest nahestehen, obwohl sie keine oder nur eine sehr lose Anbindung an die DMG-Strukturen aufweisen. Mitglieder/Anhänger/ 250 / Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Verschiedene Internetseiten und Auftritte in sozialen Netzwerken (auch deutschsprachig) 244 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kurzporträt/Ziele Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (MB) ist die älteste und einflussreichste islamistische Bewegung. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten, sondern in nahezu allen islamisch geprägten Ländern und darüber hinaus - insgesamt nach eigenen Angaben in 70 Ländern - weltweit vertreten. Die Ideologie der Muslimbruderschaft ist die Basis aller späteren islamistischen Bestrebungen weltweit. Das taktische und strategische Vorgehen der verschiedenen regionalen Zweige der MB ist vor allem im Hinblick auf die Frage der Anwendung von Gewalt zur Erreichung des Ziels unterschiedlich. Bis heute nimmt die ägyptische MB gegenüber allen anderen regionalen Zweigen eine führende Rolle ein. Nach der Abspaltung gewaltbereiter Gruppierungen verzichtet die (ägyptische) MB seit Ende der 1970er Jahre zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele grundsätzlich auf die Anwendung von Gewalt. Dieser Gewaltverzicht gilt jedoch nicht im Hinblick auf die "Befreiung Palästinas" und somit im Kampf gegen Israel, der insbesondere von der HAMAS, dem palästinensischen Zweig der MB, geführt wird. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Muslimbruderschaft ist der Ursprung des modernen "politischen Islam", einer extremistischen Ideologie, die auch als Islamismus bezeichnet wird. Kernaussage und -forderung des Islamismus ist, dass die politische Herrschaft nur Gott zustehe und der Mensch als diese nur als sein Stellvertreter oder Sachwalter auszuüben habe. Dabei muss der Mensch sich an die von Gott herabgesandten Offenbarungen und die darin gegebenen Bestimmungen halten. Diese finde man im Koran und der Sunna, dem Brauch des Propheten Mohammed. IslamIsmus 245 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Folglich sind die staatliche Ordnung und die Rechtsprechung an der islamischen Rechtsund Lebensordnung, der Scharia, die auf Koran und Sunna gründet, aufzubauen. In dieser Ordnung kann das Volk zwar am politischen Meinungsbildungsprozess teilhaben, was demokratische Elemente innerhalb der islamischen Ordnung möglich machen würde, aber der Rahmen des politisch Möglichen wäre zwingend durch die Offenbarung Gottes und der daraus entwickelten Scharia gesetzt. In dieser "islamischen" Ordnung wäre also Gott der Souverän, nicht das Volk. Dies widerspricht im Grundsatz dem Gedanken der Volkssouveränität und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Muslimbruderschaft verfolgt das Ziel, in islamisch geprägten Staaten ein Regierungssystem auf der Grundlage der Scharia einzuführen. Eine säkulare demokratische Verfassungsordnung wird allenfalls als Möglichkeit angenommen, den Übergang zu einer islamischen Ordnung gewaltlos zu gestalten. Dazu wird eine Strategie der "Islamisierung von unten" verfolgt, die zunächst das Individuum anspricht und Die DMG gedenkt dem verstorbenen ägyptischen Ex-Präsidenten und Muslimbruders Mursi auf Facebook. auf einen Bewusstseins246 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 wandel hin zu einem durch die Religion geprägten Leben abzielt. Die derart geschulten Einzelpersonen sollen dann in die Gesellschaft hineinwirken und dafür Sorge tragen, dass sich diese auf lange Sicht dem Gedankengut der Muslimbruderschaft annähert oder zumindest gewisse Freiräume für die Ideologie der Bewegung entstehen. In Nordrhein-Westfalen ist das Ziel der hiesigen Vertreter der Muslimbruderschaft zunächst die Unterstützung der Bestrebungen der Organisation in den islamisch geprägten Ländern. Eindeutige extremistische Äußerungen sind von hiesigen Vertretern der Muslimbruderschaft in der Regel nicht zu vernehmen. Stattdessen stellen sich die MB-nahen Vereine als religiöse islamische Organisationen dar, die für das Recht der Muslime auf Teilhabe in der Gesellschaft eintreten. Dabei vertritt die MuslimOnline-Gedenken der DMG an das Massaker am Rabia-Platz in Kairo, bei dem 2013 hunderte Anhänger der MB getötet wurden IslamIsmus 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 bruderschaft nach eigenem Verständnis einen "Islam der Mitte". Dieser grenzt sich in religiöser Hinsicht auf der einen Seite vom religiösen Fundamentalismus und auf der anderen von einem liberalen, westlichen Islam ab. In ideologischer Hinsicht steht er zwischen einem militanten salafistischen Jihadismus einerseits und einem säkularen Islamverständnis andererseits. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich auch dieser "Mittelweg" stark am klassischen Konzept von Schari'a orientiert, damit Widersprüche zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufweist und in Teilen somit selbst als extremistisch zu bewertet ist. Die Muslimbruderschaft fühlt sich nach wie vor einem ganzheitlichen Religionsverständnis verpflichtet, demzufolge der Glaube alle Lebensbereiche regeln sollte, wozu auch die politische und gesellschaftliche Ordnung gezählt werden. Das im Auftreten wie auch in der Wortwahl angepasste Vorgehen der MB in Europa, die im Gegensatz zum extremistischen Salafismus die Demokratie und den Westen nicht explizit als Feind bezeichnet, macht es jedoch schwierig, die islamistische Ideologie auf Anhieb zu erkennen. DMG - Deutsche Muslimische DMG - Deutsche Gefällt mir Abonnieren Teilen Gemeinschaft e.V. Nachricht Muslimische * 30. Oktober 2019 * Gemeinschaft e.V. Um Dich für das diesjährige Koran-Camp @dmgonlinede anzumelden, bitten wir Dich, folgendes Formular auszufüllen. Startseite https://dmgonline.de/anmeldungen/korancamp #korancamp #dmgonlinede Bewertungen 9 3 Mal geteilt eranstaltungen Gefällt mir Kommentieren Teilen Community DMG Newsletter Seite erstellen Einladung zu einer religiösen Veranstaltung der DMG Erkenntnisse über das organisierte Zusammenwirken öffentlicher und nicht öffentlicher MB-naher Strukturen zeigen zudem, dass die Muslimbruderschaft in Nordrhein-Westfalen vor allem durch die DMG repräsentiert wird. 248 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In ihrem Herkunftsland Ägypten ist die Muslimbruderschaft seit 2013 als Terrororganisation eingestuft und verboten. (Vermeintliche) Mitglieder sehen sich dort entsprechenden Repressionen der Sicherheitsbehörden ausgesetzt. Bedeutende Funktionäre haben sich mittlerweile in der Türkei niedergelassen und finden aufgrund der Förderung durch die türkische Regierung günstige Ausgangsbedingungen für ihre Aktivitäten vor. In Deutschland sieht sich die DMG aufgrund ihrer Bezüge zur Muslimbruderschaft mit einer zunehmenden Skepsis der Öffentlichkeit sowie politischer Entscheidungsträger konfrontiert. Ende 2019 gipfelte diese Entwicklung darin, dass der DMG die Ruhendstellung ihrer Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) durch die dortigen Verantwortlichen nahegelegt wurde. Um diesem für sie negativen Prozess entgegenzutreten, reichte die DMG im Jahr 2019 unter anderem Klage gegen die Benennung im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat ein. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die DMG ist darauf bedacht, sich von ihrem negativ behafteten Image zu lösen und ihre Bezüge zur Muslimbruderschaft zu verschleiern. Nach der Umbenennung der IGD in DMG im Jahr 2018 folgte später die juristische Auseinandersetzung mit den Verfassungsschutzbehörden. Ziel ist es anscheinend, die Nennung in den Verfassungsschutzberichten dauerhaft zu verhindern und sich als anerkannter Ansprechpartner für islamische Themen in der deutschen Gesellschaft zu etablieren. Dass diese Entwicklung mit einer Distanzierung von der Ideologie und den Konzepten der Muslimbruderschaft einhergeht, lässt sich allerdings bislang nicht feststellen. IslamIsmus 249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Milli Görüs-Bewegung Sitz/Verbreitung Türkei / Deutschland Gründung/Bestehen seit circa 1969 Struktur/ Repräsentanz Parteistrukturen der Saadet Partisi (SP) mit Zentrale in Köln. Darüber hinaus weitere Organisationen, die im Rahmen der Milli Görüs-Bewegung extremistisch in Erscheinung treten: Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung -EV), Bielefeld Sultan Fatih Genclik (Sultan-Fatih-Jugend Bielefeld - BSFG), Ismail Aga Cemaati (IAC) Mitglieder/Anhänger/ NRW: 250 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Mehrere Web-Angebote, Tageszeitung "Milli Gazete" Kurzporträt/Ziele Die ideologischen Wurzeln der Milli Görüs-Bewegung gehen zurück auf den am 27. Februar 2011 verstorbenen türkischen Politiker und ehemaligen Ministerpräsidenten der Türkei Prof. Dr. Necmettin Erbakan. Die Kern-Gedanken dieser Ideologie sind die Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung). In seinen ideologischen Vorstellungen ging Erbakan von zwei politischen Ordnungen aus, einer von Menschen geschaffenen und einer von Gott offenbarten. Die von Menschen geschaffene Ordnung sei stets mit Fehlern behaftet und führe zu Ungerechtigkeit und zur Unterdrückung der Schwachen durch die Starken; und zwar ungeachtet der konkreten Gestaltung zum Beispiel als Monarchie, sozialistischer Volksdemokratie oder als westlicher Demokratie. Zu diesen "nichtigen Ordnungen" ("Batil Düzen") zählte Erbakan unter anderem die ägyptischen Pharaonen, das 250 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Römische Reich wie auch sämtliche westlichen politischen Systeme. Zu den Ordnungen, die die göttliche Wahrheit und das Recht repräsentieren, gehören - in dieser zeitlichen Abfolge - die hebräische, christliche und islamische Zivilisation. Diese seien "gerechte Ordnungen" ("Adil Düzen"), weil sie auf der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes basieren. Die islamische Zivilisation solle die westliche Zivilisation in der Vorherrschaft ablösen. Dies ist das politische Ziel der von Erbakan gegründeten und bis zu seinem Tode geführten politischen Bestrebung Milli Görüs. Das erste Ziel der Mission von Milli Görüs ist die Durchsetzung der "gerechten Ordnung" in der Türkei. Von dort aus solle die Mission in die Welt hinausgetragen werden. Trotz eines zum Teil martialischen Vokabulars hat die Milli Görüs-Bewegung innerhalb und außerhalb der Türkei ihre Ziele stets ausschließlich mit politischen Mitteln verfolgt. Finanzierung Spenden und Mitgliedsbeiträge Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Umsetzung des "Adil Düzen"-Konzepts als Ziel der politischen Bewegung Milli Görüs ist mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar, da eben diese überwunden werden soll. Darüber hinaus treten antisemitische Einstellungen sowohl in der Schrift "Adil Düzen" als auch bei Äußerungen Necmettin Erbakans und einiger Milli Görüs-Funktionäre deutlich zu Tage. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die verschiedenen Regionalverbände der Saadet Partisi richten in unregelmäßigen Abständen Konferenzen und Vortragsveranstaltungen aus. Als Vortragende treten dabei auch Vertreter der Parteispitze aus der Türkei auf. Daneben stellen die Verehrung Necmettin Erbakans und das 50-jährige Bestehen der Milli Görus-Bewegung inhaltliche Schwerpunkte dar, denen durch eigene Konferenzen Rechnung getragen wurde. IslamIsmus 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene fand im Berichtsjahr bei einem Seminar vom 27. bis 28. April 2019 in Eindhoven, Niederlande, ihren Ausdruck. Neben Vertretern aus NRW waren dabei auch Angehörige der Parteispitze aus der Türkei anwesend. Seit den Parlamentswahlen in der Türkei im Jahr 2018 verfügt die SP über zwei Abgeordnete in der Nationalversammlung, und arbeitet, trotz gleicher Wurzeln in der Milli Görüs-Bewegung, nicht mit, sondern gegen die Regierungspartei AKP. Eine organisatorische Kooperation mit islamischen Gemeinschaften türkischer Herkunft war 2019 in NRW nicht festzustellen. Flyer des Ortsvereins Dortmund zu der Veranstaltung "50 Jahre Milli Görus" Bei der BSFG, der EV und der IAC waren im Berichtszeitraum keine größeren öffentlichen Veranstaltungen in NRW feststellbar. Für die hiesigen Anhängerinnen und Anhänger der IAC stellt der 2015 abgeschobene Prediger Nusret Cayir immer noch eine wichtige theologische Instanz dar, dessen Botschaften allerdings nur noch über eine Zuschaltung per Internet oder andere Medien wahrgenommen werden können. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Saadet Partei verfügt gemessen an ihren Wahlergebnissen in der Türkei, die im unteren einstelligen Bereich liegen, in NRW über ausgeprägte Strukturen. Die Intensität der Aktivitäten ihrer regionalen Ableger ist unterschiedlich. Im Zentrum ihrer Bemühungen steht dabei die Weiterverbreitung der Ideen Erbakans. 2019 war nicht zu 252 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Temel Karamollaoglu, Vorsitzender der türkischen SP, auf dem 5. Bildungsseminar in Eindhoven erkennen, dass die Bemühungen der SP, die Mitgliederzahlen in den Vereinen zu erhöhen, von Erfolg gekrönt waren. Zurzeit ist auch nicht abzusehen, dass es in naher Zukunft zu einer deutlichen Steigerung der Anhängerschaft kommen könnte. Dies gilt auch für die anderen in Nordrhein-Westfalen aktiven Organisationen der Milli Görüs-Bewegung. IslamIsmus 253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Türkische Hizbullah (TH) Sitz/Verbreitung Türkei Gründung/Bestehen seit 1979 in Diyarbakir Struktur/ Repräsentanz Mehrere Gemeinden in NRW, die sich jedoch nicht offen zur TH bekennen. In der Türkei steht die "Hür Dava Partisi" der TH nahe. Mitglieder/Anhänger/ NRW: 100 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Publikationen: Inzar Dergisi (Warnung), Dogru Haber (Richtige Nachricht), mehrere Web-Angebote Kurzporträt/Ziele Anfang der 1980er Jahre bildeten sich unter sunnitischen Kurden in der Türkei Gruppierungen heraus, die für die Errichtung einer auf strikter Befolgung von Koran und Scharia gegründeten "islamischen Herrschaft" eintraten und sich gegen den säkularen türkischen Staat wandten. Aus einer dieser Gruppierungen entwickelte sich die Hizbullah (Partei Gottes), die vor allem seit Beginn der 1990er Jahre zur Erreichung ihrer politischen Ziele gegen interne Abweichler, gegen die kurdische Separatistenorganisation Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), gegen liberale Journalisten und gegen Vertreter des türkischen Staates Gewalt anwendete. Im Januar 2000 wurde Hüseyin Velioglu, der Anführer der sogenannten Türkischen Hizbullah, in Istanbul bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Dieser Vorfall und weitere Exekutivmaßnahmen der türkischen Strafverfolgungsbehörden, bei denen mehrere Funktionäre der Organisation und zahlreiche Mitglieder festgenommen und 254 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 inhaftiert wurden, führten zu einer empfindlichen Schwächung der Hizbullah. Zugleich wurde aus Papieren und Videoaufzeichnungen, die in ihren Archiven gefunden wurden, deutlich, in welch großem Ausmaß die Organisation Entführungen, Morde und andere Gewalttaten verübt hatte. Zahlreiche Aktivisten der TH setzten sich daraufhin nach Europa und insbesondere nach Deutschland ab. Finanzierung Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In der 2004 erschienenen Schrift Kendi Dilinden Hizbullah stellt ihr Verfasser, ein Funktionär der Türkischen Hizbullah, die Verbrechen der Organisation in den 1990er Jahren als Akt der Selbstverteidigung dar. Der Autor beschreibt zwei Entwicklungsphasen: Die erste Phase habe von 1979 bis 1991 gedauert. Dabei stand die Propagandatätigkeit, Anhängergewinnung, Strukturierung und Schulung im Vordergrund. Die zweite Phase folgte von 1991 bis 2000. Sie zeichnete sich durch den bewaffneten Kampf gegen die PKK, interne Abweichler und den türkischen Staat aus. In ihrer Zielsetzung verbindet die Türkische Hizbullah eine islamistische mit einer kurdisch-nationalen Agenda. Im ideologischen Hauptwerk Kendi Dilinden Hizbullah sind die Grundprinzipien der TH dargelegt. Die Türkische Hizbullah sieht die Uneinigkeit der islamischen Welt und die Herrschaft nicht-islamischer Regime als Ursache aller gesellschaftlichen und politischen Probleme an. Ihr erklärtes Ziel ist es, dies zu ändern und den Islam zur Herrschaft zu bringen. Zu ihren Feindbildern gehören neben den internen Abweichlern, der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Republik Türkei auch die "imperialistischen" und "zionistischen Mächte", also die westliche Staatengemeinschaft und Israel. Sie werden für die Unterdrückung der Muslime verantwortlich gemacht. Hauptziel der TH ist die Beseitigung des laizistischen Staatssystems in der Türkei und langfristig die Errichtung eines islamistischen Regimes. Im Januar 2012 veröffentlichten TH-nahe Internetseiten ein Manifest, das die Gruppe auf eine neue ideologische Grundlage stellte. Darin wird unter anderem klargestellt, dass man die anvisierten Ziele nur noch gewaltfrei und auf legalem Wege erreichen wolle. Eine "Schädigung der Muslime" oder die Besetzung "islamischen Bodens" wolle IslamIsmus 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 man jedoch nicht hinnehmen und werde in solchen Fällen vom legitimen Recht der Selbstverteidigung Gebrauch machen. Das Manifest kann somit als offizielle Abkehr von den gewaltsamen Aktivitäten der 1990er-Jahre gedeutet werden und belegt insofern einen faktisch bereits lange vorher vollzogenen Strategiewandel. Mit dem Hinweis auf "legitime Selbstverteidigung" lässt man sich jedoch eine Hintertür offen. Zugleich wird aber auch sehr deutlich, dass mit dem Manifest keine Abkehr von der extremistischen Zielsetzung einhergeht. Zentrales Ziel der TH bleibt nach wie vor eine islamische Herrschaftsordnung, weshalb auch jene Regierungen, die dem Islam nicht im - aus Sicht der TH - gebotenen Umfang Geltung verschaffen, als unislamisch bezeichnet werden. Im Kontext dieser Neuausrichtung ist auch die Gründung der "Hür Dava Partisi" (Partei der freien Sache), kurz Hüda Par, in der Türkei zu sehen, die ebenfalls im Jahr 2012 Screenshot eines TH-nahen Nachrichtenportals 256 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 erfolgte. Sie weist deutliche Bezüge zur TH auf und kann deren Anhängern eine neue Organisationsform bieten. Ihre Schwerpunkte liegen in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei, wo sie Erfolge erzielen konnte, während sie landesweit in der Türkei bisher nur marginale Stimmenanteile erhielt. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bislang organisierten Vereine, die der TH nahestehen, Veranstaltungen mit kulturellem Anstrich. Der damit verbundene Wille, eine Außenwirkung mit möglicher Mitgliederwerbung zu erzielen, blieb weitestgehend ohne Erfolg. Im Berichtszeitraum waren keine bedeutsamen Aktivitäten feststellbar. Insbesondere überregionale beziehungsweise grenzüberschreitende Veranstaltungen, die traditionell eine wichtige Funktion für das Zusammengehörigkeitsgefühl der TH-Anhänger einnehmen, fanden im Jahr 2019 nur vereinzelt statt. Seit Sommer 2018 ist die Hüda Par nicht mehr im türkischen Parlament vertreten, sodass auch auf politischer Ebene eine Stagnation eingetreten ist. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Nordrhein-Westfalen dient der Organisation als Rückzugsraum zum Aufbau finanzieller und personeller Ressourcen. Größere Erfolge konnte die Organisation dabei jedoch im Berichtzeitraum nicht erzielen. Die TH verhält sich in Deutschland auch weiterhin in höchstem Maße konspirativ, um nicht in den öffentlichen Fokus zu geraten. Mit einer Abkehr von ihrer politischen Zielsetzung oder von ihrem konspirativen Verhalten wird auch in Zukunft nicht gerechnet. IslamIsmus 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Furkan-Gemeinschaft Sitz/Verbreitung Zentrale: Adana (Türkei) Deutschland: Zentren in Dortmund, Hamburg Berlin und München Gründung/Bestehen seit 1994 Gründung der Furkan Vakfi (Furkan Stiftung) in der Türkei. In NRW seit etwa 2011 vertreten. 2015 Gründung des Furkan Kulturund Bildungszentrums e.V. in Dortmund. Struktur/ Repräsentanz Regionale Vertretungen in Deutschland, hierarchische Gliederung mit Alparslan Kuytul als Gründer an der Spitze Mitglieder/Anhänger/ NRW: 80 Unterstützer 2019 Veröffentlichungen Zeitschrift Furkan Nesli Dergisi (Magazin der Generation Furkan), Verbreitung von Inhalten über die eigene Internetpräsenz, über Videoplattformen und in sozialen Netzwerken (FurkanTV) Kurzporträt/Ziele Die Furkan Stiftung für Bildung und Dienstleistungen (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) - auch als Furkan-Gemeinschaft bezeichnet - wurde durch Alparslan Kuytul, einen türkischen Bauingenieur und islamischen Rechtsgelehrten, gegründet. Er ist bis heute ihre charismatische Führungsfigur. Die Organisation verfolgt das Ziel, die "Islamische Zivilisation" (Islam Medeniyeti), die wesentlich durch das islamische Recht geprägt sein soll, zu stärken und gegen andere "Zivilisationen" - hier ein Synonym für Staatsund Gesellschaftsordnungen - durchzusetzen. Zur Umsetzung bemüht sich die Bewegung um eine Stärkung der Ummah (Gemeinschaft der Muslime) sowie die Ausbildung und Schulung einer Vorreiter-Generation (Öncü 258 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Nesil). Sie soll als gesellschaftliche Avantgarde auf das Ziel hinwirken. Zentrum der Furkan-Gemeinschaft ist Adana (Türkei), der Wohnort Kuytuls. Die Furkan-Gemeinschaft hat Ableger in zahlreichen Städten der Türkei und in Europa, darunter auch Deutschland. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Eintrittsgelder, Erlöse aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Anhänger der Furkan-Gemeinschaft orientieren sich auch in Deutschland vor allem an den Lehren Alparslan Kuytuls, der in den Medienangeboten der Bewegung omnipräsent ist. Sein zentrales Anliegen ist die Rückkehr zu einer "Islamischen Zivilisation". Diese soll sich ausschließlich an Koran und Sunna (prophetische Tradition) orientieren und Gott das ihm zustehende Recht zur Herrschaft einräumen. Die Furkan-Gemeinschaft geht davon aus, dass die Demokratie die Rechte Gottes vereinnahme und die Teilhabe am politischen Prozess zu Kompromissen zwinge, die im Widerspruch zu Gottes Gesetzen stünden. Solche Kompromisse dürften nach Kuytuls Verständnis jedoch keinesfalls eingegangen werden. Aus dieser Auffassung resultiert eine prinzipielle Ablehnung der Demokratie, die sich auch im Verbot der Teilnahme an Wahlen widerspiegelt. Dieses politische Religionsverständnis lehnt demnach die Herrschaft des Volkes, also die Demokratie, ab und strebt eine Herrschaft Gottes, die auf der Scharia basieren soll, an. Somit stellt die Furkan-Gemeinschaft eine islamistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Als religiöse Erneuerungsbewegung richtet sich die Furkan-Gemeinschaft zunächst vor allem an Muslime. Sie ruft diese dazu auf, ihren Glauben aktiv zu leben und aus einer religiösen Motivation heraus als Vorreiter-Generation zu wirken, indem sie auf die Verwirklichung der "Islamischen Zivilisation" hinarbeitet. Zu diesem Zweck sollen nicht nur Kenntnisse über den Islam, sondern auch in modernen Wissenschaften erlangt und vertieft werden. IslamIsmus 259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Den Einsatz von Gewalt verneint Kuytul nicht prinzipiell, schließt ihn zum jetzigen Zeitpunkt jedoch aus. Ihm erscheine die Anwendung von Gewalt im Augenblick lediglich für die Befreiung muslimischer Länder gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang wird auch der Westen, der die Muslime an der Verwirklichung der "Islamischen Zivilisation" hindere, zum Feindbild stilisiert. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Furkan-Gemeinschaft bietet weiterhin verschiedene Bildungsangebote an, um die von ihr propagierte Vorreiter-Generation auszubilden und im Hinblick auf die von Alparslan Kuytul verkündeten Ideen und Ansichten zu schulen. Eine verstärkte Ausrichtung auf Studierende als Zielgruppe dieser Aktivitäten konnte zuletzt festgestellt werden. Die hiesigen Furkan-Anhängerinnen und -Anhänger sind gut vernetzt und pflegen intensive Kontakte zu Furkan-Gruppen in anderen Bundesländern sowie zur Mutterorganisation in der Türkei. Facebook-Post zur Demonstration am 25. November 2019 in Dortmund Ereignisse mit medialem Interesse waren im Berichtsjahr 2019 Demonstrationsveranstaltungen zur Freilassung Kuytuls. Zudem wurden auch allgemein positiv besetzte 260 IslamIsmus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Themen wie die Ablehnung von Islamophobie aufgegriffen und Konferenzen in öffentlichen Hallen durchgeführt. Kuytul war Anfang 2018 in der Türkei im Rahmen einer Anti-Terror-Operation festgenommen worden. Nach einer kurzfristigen Entlassung und erneuten Inhaftierung im Frühjahr 2019 erfolgte Ende 2019 die endgültige Haftentlassung, was durch seine Anhängerschaft in Deutschland begeistert aufgenommen wurde und seinen Stand als Führungsperson gefestigt haben dürfte. Einladung zur Konferenz in Dortmund Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Angebote und Aktivitäten der Furkan-Gemeinschaft in Deutschland haben im Berichtszeitraum zugenommen, was in Zukunft hier zu einer Expansion der Organisation führen kann. Es ist offen, inwieweit die Entlassung des Gründers und geistigen Oberhauptes Alparslan Kuytul aus türkischer Haft das Engagement seine Anhängerschaft befördern wird. IslamIsmus 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 262 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Scientology Organisation (SO) scIentology organIsatIon (so) 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Scientology Organisation (SO) Kennzeichnung Strukturen und Organisationen, deren Verfassungsfeindlichkeit bereits erwiesen ist, werden im Folgenden im Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die Verfassungsfeindlichkeit zwar noch nicht erwiesen ist, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen, werden die betroffenen Organisationen in Kursivdruck gesetzt. Beispiel: Partei X, Partei Y Sitz/Verbreitung Zentrale in Los Angeles (USA), Repräsentanzen in Deutschland unter anderem in Berlin, Hamburg, München, Hannover, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf (Niederlassung des Scientology Kirche Düsseldorf e.V. und Repräsentanz des Celebrity Centre Rheinland Scientology Kirche e.V.) Gründung/Bestehen seit Gründung der Church of Scientology im Jahr 1953 durch Lafayette Ronald Hubbard (auch L. Ron Hubbard oder LRH) in den USA, Niederlassungen in Deutschland seit den 1970er Jahren Struktur/ Repräsentanz Die SO ist streng hierarchisch organisiert. Nachfolger des 1986 verstorbenen Gründers L. Ron Hubbard ist David Miscavige, der die Organisation bis heute als Vorsitzender des Religious Technology Centers (RTC) steuert. 264 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Repräsentanzen in Deutschland gliedern sich in sieben "Kirchen" (Orgs), mehrere kleinere Missionen und zwei Celebrity Centres in München und Düsseldorf. Letztere sollen insbesondere prominente Persönlichkeiten für die SO gewinnen. Missionen unterscheiden sich von den Orgs im Wesentlichen darin, dass hier nur grundlegende Dienstleistungen angeboten werden. Große, repräsentative Orgs mit überregionaler Bedeutung werden als Ideale Orgs bezeichnet. Sie sollen möglichst alle Dienstleistungen unter einem Dach anbieten. In Deutschland befinden sich Ideale Orgs in Berlin, Hamburg und Stuttgart. Die SO bezeichnet sich selbst als Kirche. In Deutschland ist sie jedoch als solche nicht anerkannt. Die Orgs sind daher als eingetragene Vereine (e.V.) organisiert, auch wenn sie den rechtlich nicht geschützten Begriff "Kirche" zum Bestandteil ihrer Vereinsnamen gemacht haben. Mitglieder/Anhänger/ Bund: circa 3.500/ Unterstützer 2019 NRW: circa 350 Die SO selbst nennt deutlich höhere Mitgliederzahlen. Veröffentlichungen Internationale Zeitschriften: Impact, Scientology News, Celebrity, Source, Freewinds, OT-Universe, The Auditor und Advance. Deutschsprachige Zeitschriften: Freiheit und Kompetenz. Diverse durch New Era Publications verlegte Sachbücher und Romane von L. Ron Hubbard. scIentology organIsatIon (so) 265 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Kurzporträt/Ziele Die Ziele der SO basieren auf den bis heute verbindlichen Lehren ihres Gründers L. Ron Hubbard, insbesondere auf seinem 1950 veröffentlichten Grundlagenwerk Dianetik. Sie strebt eine scientologische Gesellschaft an, in der an die Stelle des Demokratieprinzips und der Grundrechte ein auf der bedingungslosen Unterordnung des Einzelnen beruhendes, totalitäres Herrschaftssystem unter scientologischer Führung tritt. Die Expansion ist eines der bedeutendsten Ziele der SO, zu dessen Erreichung sie versucht, Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu nehmen. Dabei agiert sie häufig verborgen unter dem Deckmantel einer ihrer zahlreichen Nebenund Tarnorganisationen oder Kampagnen, deren Zugehörigkeit zur SO auf den ersten Blick meist nicht erkennbar ist. Beispiele hierfür sind: > Der Weg zum Glücklichsein (The Way To Happiness), > Jugend für Menschenrechte (Youth for Human Rights), > Foundation for a drug-free world (Kampagne gegen Drogenmissbrauch), > Sag NEIN zu Drogen, sag JA zum Leben (deutscher Ableger der Foundation for a drug-free world), > Narconon (Organisation zur Rehabilitation von Suchtkranken), > Criminon (Verein zur Resozialisierung von Strafgefangenen), > Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM), auf internationaler Ebene: Citizens Commission On Human Rights (CCHR). 266 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Hochwertig gestaltete Broschüren werden in Innenstädten und Fußgängerzonen verteilt, per Post versandt oder an gut zugänglichen Orten wie Beratungsbüros, Geschäften und Praxen ausgelegt, um Kontakt zu potenziellen Neumitgliedern herzustellen. Oftmals geschieht dies mit Zustimmung der Verantwortlichen, weil diesen der Zusammenhang mit der SO nicht bewusst ist. Auch im digitalen Raum sollen mit ansprechenden Websites, zahlreichen Social-Media-Profilen und grundsätzlich positiv besetzten Themen wie dem Kampf gegen Drogen junge Menschen angesprochen werden. Sowohl im Internet als auch an Informationsständen werden zudem oft kostenlose Persönlichkeitsoder Stresstests mit dem Ziel angeboten, die Teilnehmer anschließend an (kostenpflichtige) Kurse zur Behebung von vermeintlichen Defiziten heranzuführen. Weiterhin versucht die SO, ihre Einflussmöglichkeiten durch Unterwanderung der Wirtschaft zu vergrößern. Hierzu nutzt sie den eigenen Wirtschaftsverband World Institute of Scientology Enterprises (WISE) sowie eigene Organisationsund Managementstrategien. Durch geschicktes und verdecktes Marketing nähert sie sich Firmen, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen. Auf diese Weise soll sukzessive die Infiltration der Wirtschaft voranschreiten und der Einfluss der Organisation ausgebaut werden. Der SO zugehörige Wirtschaftsunternehmen sind häufig dem Immobiliensektor oder der Beratungsbranche zuzurechnen. Bekannt sind aber auch Einrichtungen, die Dienstleistungen auf dem Nachhilfemarkt anbieten und damit gezielt den Kontakt zu jungen Menschen suchen. Diese geben meist an, Lerntechniken von Applied Scholastics anzuwenden. Applied Scholastics ist Teil der Association for Better Living and Education (ABLE), einer Nebenorganisation der SO. scIentology organIsatIon (so) 267 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Finanzierung Zur Finanzierung werden kostenpflichtige Kurse durchgeführt und entsprechende Kursmaterialien vertrieben. Daneben wird regelmäßig Druck auf die Mitglieder ausgeübt, teils erhebliche Geldbeträge an die SO zu spenden. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die SO als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung ist seit 1997 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Scientologen teilen die Gesellschaft in Nichtabberierte und Abberierte (Nicht-Scientologen) auf. Letztere sind nach ihren Vorstellungen in einzelnen Rechten einzuschränken. Diese Einschränkungen betreffen wesentliche Grundund Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung, zudem wird eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen angestrebt. Zur Erreichung ihrer Ziele versucht die Organisation, Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu nehmen. Mit der Entscheidung des OVG Münster vom 12. Februar 2008 ist die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz festgestellt worden. Das Gericht bestätigte die Auffassung des Verfassungsschutzes, dass die Lehre der Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) und der Scientology Kirche Berlin e.V. (SKB) eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellt. Nach wie vor besitzen die Schriften des Gründers L. Ron Hubbard zur Schaffung einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen Gültigkeit. Sie werden von der SO in Deutschland auch weiterhin in großem Umfang verbreitet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Nordrhein-Westfalen stagniert die Mitgliederzahl auf einem im Vergleich zu früheren Jahren überschaubaren Niveau. Seit einigen Jahren ist jedoch zu beobachten, dass die SO mit gezielten Maßnahmen versucht, ihr Image aufzubessern und neue Mitglieder zu gewinnen. So wurde nur wenige Monate nach der Eröffnung der dritten Idealen Org in Deutschland Ende 2018 gegenüber den Medien angekündigt, in Düsseldorf spätestens 2020 eine weitere Ideale Org zu eröffnen. 268 scIentology organIsatIon (so) Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Das online abrufbare TVund Streaming-Angebot Scientology Network wurde in 2019 auch in Nordrhein-Westfalen intensiv beworben. Im Sommer 2019 wurden zudem Versuche von Scientology-Anhängern bekannt, auf Dating-Plattformen neue Mitglieder zu werben. Neben bekannten Singlebörsen wurde insbesondere die von Scientologen betriebene Website freespiritsingles.com genannt, die mehrfach auf die Tarnorganisation The Way to Happiness verweist. SO-Online-Singlebörse Freespririt.com Bewertung, Tendenzen, Ausblick An der Gefahreneinschätzung zur Organisation, die nach einer Klage der SO durch das OVG Münster im Jahr 2008 formuliert wurde, hat sich nichts geändert. Die SO wendet nach wie vor die gleichen Mittel zur Erreichung ihrer Ziele an. Zur Imagepflege und Mitgliederwerbung setzt sie verstärkt auf soziale Netzwerke. Dabei dient das Internet zugleich als Werbeund Propagandaplattform und bietet einen unkomplizierten Zugang vor allem zu jungen Menschen. Es ist anzunehmen, dass die SO die Nutzung moderner Kommunikationsmedien weiter ausbauen wird. Offen ist, wie sich die angekündigte Eröffnung einer Ideale Org in Düsseldorf auf das Image der SO und ihre Mitgliederzahlen in der Region auswirken wird. scIentology organIsatIon (so) 269 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 270 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 271 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Nordrhein-Westfalen waren und sind in mehrfacher Hinsicht Ziel und Betätigungsfeld ausländischer Nachrichtendienste. Zahlreiche Staaten versuchen im Verborgenen durch Spionage an militärisch, politisch und wirtschaftlich relevante Informationen zu gelangen. Cyberangriffe haben sich dabei als nachrichtendienstliches Mittel etabliert. Häufig führen Hackergruppierungen diese auf höchstem technischem Level und mit hoher Präzision im Auftrag der Nachrichtendienste aus. Organisationen und Unternehmen der sogenannten kritischen Infrastruktur sind dabei neben Spionage insbesondere auch durch Sabotage gefährdet. Zu verzeichnen sind zudem immer wieder Versuche ausländischer Staaten, auf Politik und Gesellschaft in Deutschland beispielsweise durch bewusste Falschinformationen Einfluss zu nehmen. Sie verfolgen damit das Ziel, Regierungen und politische Gegner zu destabilisieren und damit ihre eigene Position zu stärken. In diesem Zusammenhang stehen auch die Versuche, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Politik durch Einflussnahme in Deutschland zu unterbinden. Es werden immer wieder Fälle sichtbar, in denen sich die Dienste fremder Staaten beim Nachspüren von Oppositionellen oder regimekritischen Personen des eigenen Landes mit großem Selbstverständnis auf deutschem Territorium bewegen. Die Spionageabwehr des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes war auch im Jahr 2019 intensiv mit der Aufklärung und Verhinderung von Aktivitäten fremder Nachrichtendienste befasst. Dies betraf auch Aktivitäten, die auf die Beschaffung proliferationsrelevanter Güter und Know-how gerichtet waren. Der Wirtschaftsschutz im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz arbeitet intensiv daran, die nordrhein-westfälischen Unternehmen, aber auch die Wissenschaft und Verwaltungen für die Gefahren von Spionage und Cyberangriffen zu sensibilisieren. Er bietet dazu kostenlose Initialberatungen und Vorträge an und hat im zurückliegenden Jahr eigene neue Veranstaltungsformate wie den "Wirtschaftsschutztag NRW", das "Frühstück plus Sicherheit" und den "Geheimschutztag NRW" ins Leben 272 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 gerufen. Das "Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019" ist ein für den Wirtschaftsschutz in Nordrhein-Westfalen innovatives und bislang einmaliges Projekt der Sicherheitspartnerschaft NRW. Die im September 2019 veröffentlichte Studie zeigt, dass das Schutzniveau kleiner und mittlerer Unternehmen in Nordrhein-Westfalen deutlich ausbaufähig ist. Sie liefert umfassende nach Betriebsgrößen und Branchen gegliederte Ergebnisse und kann Unternehmen als Referenz für die eigenen Sicherheitsaktivitäten dienen. Als neuer Partner und Brücke zu den Wirtschaftsunternehmen vor Ort sowie den an der Wirtschaftsförderung beteiligten Kommunen konnte der Verband der Wirtschaftsförderungsund Entwicklungsgesellschaften in NRW gewonnen werden. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 273 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019 Das im September 2019 erstmals veröffentlichte "Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019" zeigt, dass das Schutzniveau kleiner und mittlerer Unternehmen in Nordrhein-Westfalen deutlich ausbaufähig ist. Die repräsentative Studie liefert umfassende, nach Betriebsgrößen und Branchen gegliederte Ergebnisse und kann Unternehmen als Referenz für die eigenen Sicherheitsaktivitäten dienen. Das "Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019" ist ein für den Wirtschaftsschutz in Nordrhein-Westfalen innovatives und bislang einmaliges Projekt der Sicherheitspartnerschaft NRW. Es wurde in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule für den Mittelstand (FHM) in Bielefeld durchgeführt. Organisatorisch umgesetzt wurde das Projekt durch den Wirtschaftsschutz im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Die zugrundeliegende Studie verfolgt drei wesentliche Ziele: > Aufbau einer fundierten empirischen Basis zum Ist-Stand des Sicherheitsniveaus in den rund 720.000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Nordrhein-Westfalen, > Überführung der Ergebnisse in ein "Lagebild Wirtschaftsschutz NRW 2019", > Schaffung eines Analyseinstruments für unternehmerische Handlungsfelder. Bei einer Onlinebefragung wurden 20.000 zufällig ausgewählte KMU angeschrieben. Der Zahl der Rückläufe hat insgesamt repräsentative Ergebnisse sichergestellt. Die rund 80 Fragen bezogen sich in der überwiegenden Mehrheit auf die vier Sicherheitsdimensionen "Cyberangriffsschutz", "personelle Sicherheit", "Organisation" und "physischer Gebäudeschutz". Die teilnehmenden Betriebe konnten sich selbst einer von acht Branchen und einer von fünf Größenkategorien zuordnen. 274 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Befragung der Unternehmen orientierte sich an vier Dimensionen mit insgesamt zwölf Indikatoren. Die Ergebnisse der Befragung ergeben eine sehr detaillierte Übersicht über den Stand und den Status der ganzheitlich betrachteten Unternehmenssicherheit. Auf der Basis dieser Selbsteinschätzung können folgende Kernergebnisse festgehalten werden: > Der Gesamtindex des Schutzniveaus aller KMU in NRW liegt auf einer Skala von 0 bis 10 bei 4,81. Dies entspricht einem "intermediären" Schutzniveau und der Aussage "teilweise geschützt". > Mit zunehmender Unternehmensgröße steigt das Schutzniveau. Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden zeiDas Schutzniveau der kleinen und mittleren Unternehmen in NRW liegt über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg bei einem Gesamtindexwert von 4,81. Besonderen Nachholbedarf gibt es unter anderem in den Bereichen Notfallund Krisenplanung, Gebäudeschutz sowie Schulung und Sensibilisierung. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 275 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 gen einen höheren Indexwert (6,95) als kleine Unternehmen mit 20 bis 49 Beschäftigten (4,88). > Ebenso gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen, wie beispielsweise Finanzen/Versicherungen, die gut aufgestellt sind und Branchen wie beispielsweise Gastronomie/Hotellerie, die einen ausbaufähigeren Schutz aufweisen. > Unternehmen, die zu den gesetzlich normierten Kritischen Infrastrukturen zählen, zeigen höhere Indexwerte (7,2) als Nicht-KRITIS-Unternehmen (4,7). Unternehmen der KRITIS-Kategorie weisen im Durchschnitt einen deutlich höheren Indexwert auf als Nicht-KRITIS-Unternehmen. > Die nordrhein-westfälischen KMU haben ein positives Grundverständnis in Bezug auf die Wichtigkeit von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen für ihr Unternehmen, allerdings spiegelt die Selbstwahrnehmung der Unternehmen nicht immer den tatsächlichen Status wider. > Konkrete organisatorische Maßnahmen werden hauptsächlich von größeren Unternehmen umgesetzt. > In Anbetracht der Bedeutung des Faktors "Mensch" werden zu wenige Schulungen und Sensibilisierungen für Mitarbeiter von Unternehmen durchgeführt. 276 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 > Der Cyberangriffsschutz erhält insgesamt vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit (Indexwert: 6,37). Im Bereich "Cyberangriffsschutz" schätzen die Unternehmen ihr Schutzniveau schlechter ein als es ist. Bei den drei anderen Dimensionen (Personal, Organisation, Gebäudeschutz) überschätzen sie die eigenen Anstrengungen zum Teil deutlich. 72,6 % aller Unternehmen schulen ihre Beschäftigten teilweise bis gar nicht zu aktuellen Sicherheitsthemen wie Informationssicherheit, Sicherheit auf Reisen und Datenschutz. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 277 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der primäre Blick muss auf folgende acht Indikatoren mit den geringsten Indexwerten gerichtet werden. Die Indikatoren sind aufsteigend nach dem Indexwert sortiert: > Notfallund Krisenkonzepte (3,13), > Äußerer Gebäudeschutz (3,28), > Externe Absicherungsmaßnahmen (3,31), > Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen (4,22), > Integritätsprüfungen (4,26), > Sicherheitsanalysen und -konzepte (4,24), > Interner Gebäudeschutz (4,36), > Richtlinien und Anweisungen (4,63) Rund Dreiviertel der Unternehmen sind nur teilweise bis gar nicht auf den Notfall vorbereitet. 278 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Sicherheitspartnerschaft sieht angesichts dieser Ergebnisse unter anderem folgende wesentliche Handlungsnotwendigkeiten: > Der präventive Wirtschaftsschutz beziehungsweise der Informationsund Erkenntnistransfer zwischen den staatlichen Sicherheitsbehörden, den Verbänden und den KMU in NRW insgesamt gesehen sollte intensiviert und dabei dem Sicherheitsfaktor "Mensch" mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. > Der präventive Wirtschaftsschutz sollte sein Angebot der Initialberatung zum Aufbau ganzheitlicher Sicherheitskonzepte stärker auf die Sicherheitsbedürfnisse fokussieren. Dabei sollte er sowohl spezifische Branchenanforderungen als auch die Strukturprobleme wie fehlende Notfallund Krisenkonzepte bis hin zu Defiziten beim Physischen Gebäudeschutz stärker in den Blick nehmen. > Unternehmenssicherheit ist stark branchenspezifisch differenziert. In Anlehnung an SS 8 a des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) sollte daher geprüft werden, ob nicht generell Branchenmodelle für ganzheitliche Sicherheitskonzepte entwickelt werden können. Eine Kompaktversion des Lagebildes Wirtschaftsschutz sowie die zugrunde liegende Konzeption stehen auf den Internetseiten des Wirtschaftsschutzes unter www.wirtschaftsschutz.nrw.de zum Download zur Verfügung. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 279 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Spionage, politische Einflussnahme ausländischer Staaten und Proliferation Ausländische Staaten nutzen nach wie vor ihre Nachrichtendienste, um die eigenen Interessen auf vielfältige Weise auch in Deutschland zu verfolgen. In den zurückliegenden Monaten reichten die Betätigungsfelder auf deutschem Boden von der klassischen Spionage über Cyberangriffe bis zu Versuchen einer gezielten politischen Einflussnahme und der Bekämpfung von Personen, die gegenüber dem jeweiligen fremden Staat kritisch eingestellt sind. Bei der Spionage stehen sowohl die Gewinnung von militärischen und politischen Erkenntnissen als auch die Ausspähung von wirtschaftlichem und technologischem Know-how im Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Auf der einen Seite schöpfen die ausländischen Dienste offene und allgemein zugängliche Quellen ab, auf der anderen Seite setzen sie auf klassische Methoden der konspirativen Beschaffung wie das Ausforschen menschlicher Quellen und den Einsatz von Technik. Dabei haben sich Cyberangriffe als nachrichtendienstliches Mittel ausländischer Staaten fest etabliert. Hackergruppierungen, die im Auftrag ausländischer Staaten agieren, zeichnen sich in der Regel durch hohe technische Fähigkeiten und großes technisches Geschick aus. Um sich im Netz eines Opfers ausbreiten und festsetzen zu können, genügt als Ausgangspunkt häufig ein einziger infizierter Rechner. Als Einfallstor dient oft eine täuschend echt wirkende E-Mail mit Schadcode, die an ausgewählte Empfänger versandt wird. Insbesondere Organisationen und Einrichtungen, die der Kritischen Infrastruktur zugeordnet werden, sind hierbei nicht nur durch Spionage, sondern insbesondere auch durch Sabotage gefährdet. Im zurückliegenden Jahr konnten zudem erneut Versuche ausländischer Staaten beobachtet werden, Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Deutschland zu nehmen. Ein Mittel ist dabei die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung beispielsweise über die Verbreitung bewusster Falschinformationen über klassische Medien und soziale Netzwerke. Mit diesen Aktivitäten verfolgen die Staaten das Ziel, die Gesellschaft in Deutschland ganz oder in Teilen zu verunsichern und Regierungen oder politische Gegner zu destabilisieren. Ebenso versuchen einzelne Staaten, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Politik durch gezielte Einflussnahme in Deutschland zu unterbinden. 280 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 In diesem Zusammenhang nehmen sie auch immer wieder eigene, in Deutschland lebende Oppositionelle und regimekritische Personen in den Blick. Die Verhaftung eines Bundeswehrübersetzers, der vermutlich für den Iran spionierte, sowie die Verurteilung eines Ehepaares, das Informationen über in Deutschland lebende Oppositionelle an den indischen Auslandsgeheimdienst weitergab, sind nur zwei Beispiele für die Aktualität der Thematik im Jahr 2019. Ein Dauerthema sind Versuche ausländischer Staaten, mithilfe ihrer Nachrichtendienste Embargoregelungen zu umgehen. Dies gilt insbesondere für Güter und Knowhow, die zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen (Proliferation). So verschleiern beispielsweise ausländische Agenten mit Hilfe von Tarnfirmen den wahren Bestimmungsort und die geplante Verwendung von Waren, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können (Dual-Use). Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet zahlreiche im Land tätige ausländische Nachrichtendienste. Wegen ihrer Aktivitäten liegt aber ein besonderes Augenmerk auf den Nachrichtendiensten der Russischen Föderation, der Volksrepublik China, der Islamischen Republik Iran und der Türkei. Russische Föderation Nachrichtendienste sind ein fester Bestandteil der russischen Sicherheitsarchitektur. Sie stellen Informationen bereit, auf deren Grundlage die russische Regierung Entscheidungen treffen kann, dienen dem Machterhalt der Regierung und der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Das nachrichtendienstliche Handeln kann sich dabei sowohl auf das Inals auch auf das Ausland erstrecken. Häufig gehen Aktivitäten russischer Nachrichtendienste von sogenannten Legalresidenturen aus, die innerhalb der offiziellen diplomatischen und konsularischen Vertretungen untergebracht sind. Die Dienste gewinnen ihre Informationen zum Teil aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen im Internet oder bei öffentlichen Veranstaltungen, aber auch durch konspirative, nachrichtendienstliche Aktivitäten. In beiden Fällen können sie auf Kontakte zurückgreifen, die von den Mitarbeitern der Legalresidenturen geknüpft werden. Gesprächspartner ahnen gegebenenfalls nicht, dass es sich bei den angeblichen Diplomaten in Wahrheit um Angehörige eines Nachrichtendienstes handelt, und verhalten sich ihnen gegenüber dementsprechend arglos. Besondere mediale Aufmerksamkeit hat die Tötung eines georgischen Staatsangehörigen erhalten, der im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft haben soll. Diese Tat wird in einen Zusammenhang mit Aktivitäten russischer NachspIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 281 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 richtendienste gebracht. Der Generalbundesanwalt geht dem Verdacht nach, dass der Georgier im Auftrag staatlicher Stellen Russlands oder der Teilrepublik Tschetschenien Ende August in Berlin getötet wurde. Nach wie vor sprechen zudem starke Indizien dafür, dass russische Nachrichtendienste Cyberangriffe für die Beschaffung von Daten nutzen, die später für Propagandazwecke missbraucht werden können. Dahinter steht das übergeordnete Ziel einer Destabilisierung von Regierungen oder politischen Gegnern. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik spricht der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen daher mögliche Opfer von Cyberangriffen durch russische, mutmaßlich staatlich gesteuerte Hackergruppierungen an. Die Gespräche sollen insbesondere Erkenntnisse darüber liefern, wie die Angreifer konkret vorgehen und wie sich Angriffe frühzeitig erkennen lassen. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die folgenden russischen Nachrichtendienste, deren Zuständigkeiten sich im Einzelfall überschneiden können, sind auch in Deutschland aktiv: > FSB - Inlandsnachrichtendienst: Der FSB ist unter anderem für die zivile und militärische Spionageabwehr sowie für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zuständig. > SWR - Ziviler Auslandsnachrichtendienst: Der SWR ist vorrangig für die Aufklärung in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie zuständig. > GRU - Militärischer Auslandsnachrichtendienst: Aufgabe des GRU ist die Aufklärung des gesamten militärischen Bereichs. Neben der NATO gehört dazu auch die Bundeswehr. 282 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Volksrepublik China Die chinesische Regierung verfolgt das langfristig angelegte Ziel, weltpolitisch eine Führungsrolle einzunehmen und das eigene Land als führende Wirtschaftsmacht zu etablieren. Für diesen Plan stehen Slogans wie "Made in China 2025" und "One Belt - One Road". Zur Durchsetzung dieses Zieles bedient sich der chinesische Staat in vielfältiger Weise der Arbeit seiner Nachrichtendienste. Nordrhein-Westfalen steht dabei mit seinen sehr innovativen kleinen und mittleren Unternehmen, darunter viele sogenannte Hidden-Champions, sowie seinen zahlreichen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Technologieund Gründerzentren im besonderen Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Auf regionaler Ebene gelingt es China vor allem über wirtschaftliche Anreize und Investitionen, Fuß zu fassen und langfristige Abhängigkeiten zu schaffen. Nachrichtendienste der Volksrepublik China Die folgenden chinesischen Nachrichtendienste sind auch in Deutschland aktiv: > MSS - Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst: Das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) ist insbesondere für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig. Es besitzt eigene Exekutivbefugnisse und führt die zentrale Aufsicht über zahlreiche nachgeordnete Büros für Staatssicherheit. > MID - Militärischer Inund Auslandsnachrichtendienst: Das weltweit tätige MID (Military Intelligence Directorate) ist zuständig für die äußere Sicherheit und sammelt insbesondere Informationen über fremde Streitkräfte. > MPS - Polizeiministerium: Aufgabe des Polizeiministeriums beziehungsweise des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS) ist die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie die Überwachung spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 283 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 von Medien und Internet. Es besitzt eigene nachrichtendienstliche Spezialeinheiten und ist sowohl im Inals auch im Ausland aktiv. > NSD - Technischer militärischer Nachrichtendienst: Das NSD (Network Systems Department) ist mit weltweiter Fernmeldeaufklärung, Telekommunikationsüberwachung und technischer Spionage befasst. Es ist auch zuständig für IT-Sicherheit, Cyberspionage und -abwehr im Militärbereich. > Büro 610 - Sicherheitsdienst der Volksrepublik China: Das Büro 610 ist als Parteiorgan dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) unterstellt. Kernaufgabe ist die Beobachtung und Verfolgung der regimekritischen Falun-Gong-Bewegung im Inund Ausland. Unterstützung erfährt das Büro 610 durch die Justizund Exekutivbehörden des Landes. Über die direkte Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger hinaus scheint der chinesische Staat auch seine Bemühungen zu intensivieren, über Medien und Bildungsträger die öffentliche Wahrnehmung des eigenen Landes zu manipulieren. So versucht die chinesische Regierung in wachsendem Ausmaß, Einfluss auf die chinesische Diaspora im Ausland zu nehmen. Dazu zählen explizit auch chinesische Studenten im Ausland. Die genannten Beispiele geben Grund zu der Sorge, dass China bestrebt sein könnte, sich auch in Nordrhein-Westfalen politischen Einfluss zu verschaffen und die öffentliche Meinung im eigenen Sinne zu beeinflussen. Ein weiterer Ausforschungsschwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste in Deutschland sind weiterhin die von China als "Fünf Gifte" betitelten regimekritischen und separatistischen Bestrebungen. Dazu zählen die nach Unabhängigkeit strebenden ethnischen Minderheiten der Tibeter und Uiguren, die Demokratiebewegung, Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans sowie die Anhänger der Falun-Gong-Bewegung. Personen und Institutionen, die sich im Fokus chinesischer Nachrichtendienste befinden, sind häufig Ziel von Cyberangriffen. Die angreifenden Hackergruppierungen 284 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 verfügen über große technische Fähigkeiten, gehen sehr raffiniert vor und sind nur sehr selten aufspürbar. Anders als Cyber-Kriminelle verfolgen die Angreifer keine finanziellen Interessen. Sie versuchen, möglichst lange und unentdeckt in den IT-Systemen ihrer Opfer zu verbleiben. Diese Art der Bedrohung durch fortgeschrittene Hackergruppierungen wird auch als Advanced Persistent Threat (APT) bezeichnet. Es bestehen seit mehreren Jahren starke Indizien dafür, dass der chinesische Staat APT-Gruppierungen auch für die Wirtschaftsspionage einsetzt. In das Visier der Hackergruppierungen geraten dabei insbesondere Unternehmen, die über Know-how in den Technologiefeldern verfügen, die im Strategieplan "Made in China 2025" von China als Schlüssel zum angestrebten Aufstieg zu einer Industriemacht identifiziert wurden. Eine im Juli 2019 veröffentlichte Recherche des Bayerischen und des Norddeutschen Rundfunks zeigt eindrucksvoll die Entwicklung und das Operationsfeld der APT-Gruppierung Winnti auf. Unter den mutmaßlichen Opfern der Hacker-Gruppierung finden sich zahlreiche Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen. Diese Gruppierung steht im Verdacht, im Auftrag des chinesischen Staates zu agieren. Islamische Republik Iran Im Mittelpunkt der Arbeit iranischer Nachrichtendienste stehen weiterhin die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen. Hauptakteur ist dabei das Ministry of Information and Security (MOIS). Beobachtungsschwerpunkt des MOIS ist die Exilopposition, insbesondere die in Nordrhein-Westfalen stark vertretene Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) und deren politischer Arm, der Nationale Widerstandsrat Iran (NWRI). Das MOIS arbeitet dabei mit Infiltration und gezielter Propaganda, um die Exilopposition zu überwachen und zu diskreditieren. Daneben spielen bei der Aufklärung durch den Iran klassische Spionageziele wie Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft eine wichtige Rolle. Hauptamtliche Mitarbeiter sowie Agenten und Unterstützer der sogenannten Quds Force Brigade (QF) versuchen zur Vorbereitung auf einen möglichen Konfliktfall, Ziele für potenzielle Anschläge gegen westliche Objekte auszuforschen. Bei den QF handelt es sich um eine Spezialeinheit der Revolutionsgarden, die über eine eigene nachrichtendienstliche Abteilung, einen Sicherheitsdienst und eine Spionageabwehr verfügen. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Ausspähung von israelischen und pro-israelischen Institutionen, in Nordrhein-Westfalen lebenden israelischen Staatsangehörigen sowie Personen jüdischen Glaubens. Bereits seit mehreren Jahren bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Iran Cyberangriffe für Spionagezwecke und als militärisches Mittel mit dem Ziel der Sabotage spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 285 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 nutzt. Die bestehenden Sanktionen und die Verschärfung des Konfliktes im Nahen Osten dürften dazu führen, dass der Iran seine Anstrengungen bei der elektronischen Kriegsführung und bei Cyberangriffen weiter erhöht. Türkei Der Milli Istihbarat Teskilati (MIT) ist der größte und bedeutendste türkische Nachrichtendienst. Er ist mit umfangreichen Exekutivbefugnissen ausgestattet und seit dem Jahr 2017 direkt dem Amt des Präsidenten unterstellt. Er ist zuständig für die Inlandsund Auslandsaufklärung, wodurch er ein zentrales Element der türkischen Sicherheitsarchitektur darstellt. Seine vorrangigen Aufgaben sind die Durchsetzung der Regierungspolitik, die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und die Informationsbeschaffung zur Vorbereitung politischer Entscheidungen der Regierungspartei AKP. Der MIT hat eine geschätzte Personalstärke von 8.000 bis 9.000 hauptamtlichen Mitarbeitern. Durch die hohe Anzahl türkischstämmiger und türkischer Einwohner stellt Nordrhein-Westfalen weltweit einen Schwerpunkt der türkischen Diaspora dar. Mit den Konsulaten in Hürth, Münster, Essen und Düsseldorf sind zudem vier offizielle Vertretungen der türkischen Republik im Land beheimatet. Die derzeitigen Prioritäten des MIT liegen in der Aufklärung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der in der Türkei als Fetullahistische Terrororganisation (FETÖ) bezeichneten Bewegung des islamistischen Predigers Fetullah Gülen. Durch die dynamische Sicherheitslage in den türkischen Grenzgebieten zu Syrien und dem Irak kommt es auch in Deutschland immer wieder zu Demonstrationen kurdischer und oppositioneller Gruppierungen. Insbesondere die Militäroperation "Friedensquelle" im Oktober 2019 hat sich auch auf die hier lebende kurdische Diaspora ausgewirkt. Es ist davon auszugehen, dass deren Aktivitäten im Aufklärungsinteresse des MIT in Deutschland stehen. Im September 2019 wurde ein türkischer Kooperationsanwalt der Deutschen Botschaft in Ankara von der türkischen Polizei verhaftet. Daten von in Deutschland aufhältigen und möglicherweise in der Türkei gesuchten Personen, die er wegen seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit Asylverfahren besaß, sind dabei in die Hände der türkischen Sicherheitsbehörden gelangt. Es ist zu erwarten, dass zunehmend auch entsprechende Asylsuchende in Deutschland in das Visier des MIT geraten können. 286 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Proliferation Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen), der entsprechenden Trägermittel (beispielsweise Raketen und Drohnen) sowie der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-hows verstanden. Bei proliferationsrelevanten Staaten wie Nordkorea, Syrien, Iran und Pakistan ist zu befürchten, dass Massenvernichtungswaffen in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden und ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. Proliferationsrelevante Staaten interessieren sich in der Regel für sogenannte DualUse-Güter. Das sind Produkte, die sich sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich verwenden lassen. Bei entsprechenden Anfragen wird gegenüber Herstellern oder Händlern anstatt der tatsächlich vorgesehenen Endverwendung eine angeblich zivile Nutzung vorgegeben. Zudem werden umfangreiche Beschaffungsnetzwerke, bestehend aus Tarnfirmen und Strohmännern in unterschiedlichen Staaten, genutzt. Ziel verschleierter Beschaffungsbemühungen aus dem Ausland ist es, Unternehmen über den eigentlichen Geschäftshintergrund zu täuschen. Beschaffungsversuche müssen deshalb nicht zwingend aus dem proliferationsrelevanten Staat heraus erfolgen. Es können Firmen aus Drittstaaten oder aus Deutschland für entsprechende Beschaffungen genutzt werden. Proliferationsrelevante Staaten sind bemüht, das erforderliche Know-how auch über Studenten beziehungsweise Wissenschaftler an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen zu erlangen. Die Spionageabwehr des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sensibilisierte im Jahr 2019 Unternehmen, Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institute mit Vorträgen und Einzelberatungen. Dabei wird auf Gefahren illegaler Lieferungen sowie die einschlägigen Beschaffungsmethoden hingewiesen. In konkreten Einzelfällen bietet der Verfassungsschutz eine individuelle Beratung an, bei der Probleme und Fragen der Unternehmen stets vertraulich behandelt werden. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 287 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Wirtschaftsschutz und Geheimschutz in der Wirtschaft In Nordrhein-Westfalen gibt es sehr viele leistungsstarke und innovative Unternehmen. Als Hochtechnologiestandort erwirtschaftet das Land ein jährliches Bruttoinlandsprodukt im oberen dreistelligen Milliardenbereich. Vor allem die zahlreichen kleinen und mittleren Betriebe und Unternehmen (KMU), aber auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie die öffentlichen Verwaltungen auf Landesebene und im Kommunalbereich müssen jederzeit damit rechnen, Ziele ausländischer staatlich gelenkter beziehungsweise gestützter Ausforschung, von Konkurrenzausspähung, Sabotageakten und auch von gezielten Cyberattacken zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, in das Visier von Angreifern zu geraten, ist sehr hoch. Die vom Digitalverband Bitkom im Jahr 2019 aktualisierte bundesweite Studie "Wirtschaftsschutz in der digitalen Welt" weist einen durch Sabotage, Datendiebstahl oder Spionage entstanden wirtschaftlichen Gesamtschaden von jährlich über 100 Milliarden Euro aus. Diese Zahl umfasst analoge und digitale Angriffe der letzten beiden Jahre. Sowohl der Umfang als auch die Qualität der Angriffe haben deutlich zugenommen. Bei 70 Prozent der angegriffenen Unternehmen haben die Angriffe einen Schaden versursacht. Im Fokus der Angriffe standen Daten aller Art wie etwa Finanz-, Kommunikations-, Mitarbeiterund Kundendaten, aber auch Informationen zu Marktanalysen und Preisgestaltungen. Digitalisierung als Chance und Gefahr Die fortschreitende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie eine zunehmende Vernetzung eröffnen Unternehmen eine Vielzahl neuer Entwicklungschancen. Technologien wie Künstliche Intelligenz und Industrie 4.0 treiben diesen Fortschritt voran und der neue Mobilfunkstandard 5G verspricht eine besonders schnelle Basis für die Datenübertragungen. Mit den neuen Chancen wachsen aber auch die Risiken, Ziel und Opfer von Ausforschungen und Angriffen zu werden. Endeten Produktion und interne Prozesse bisher bei vielen Unternehmen an der Werksmauer, bestehen nun immer häufiger Verbindungen in das Internet, um beispielsweise Lieferketten abzubilden oder eine externe Wartung zu ermöglichen. Das führt zu einer höheren Anfälligkeit und schafft völlig neue Problemfelder. Dass es dabei in vielen vor allen kleinen und mittleren Unternehmen noch erheblichen Nachholbedarf im Bereich der Unternehmenssicherheit gibt, zeigt das "Lagebild Wirt288 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 schaftsschutz NRW 2019". Dieses wurde Ende 2018 von der Sicherheitspartnerschaft NRW initiiert und vom Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit der Hochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld bis September 2019 erstellt. Es beschreibt repräsentativ das Schutzniveau der KMU in Nordrhein-Westfalen in den Bereichen IT, Organisation, Personal und Gebäudeschutz. Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität Gründung: Oktober 2001 Mitglieder: > IHK NRW - die Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e. V., > Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e.V. (ASW West), > Verband der Wirtschaftsförderungsund Entwicklungsgesellschaften in NRW e.V. (VWE), > Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, > Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen Ziele: > den durch Wirtschaftsspionage, Wirtschaftskriminalität und Konkurrenzausspähung verursachten Schaden zu reduzieren, > das Verständnis der Partner für ihre jeweiligen Belange zu fördern, > die gegenseitige Kooperationsbereitschaft zu erhöhen, > den Informationsaustausch und die gegenseitige Beratung und Unterstützung zwischen der Polizei und dem Verfassungsschutz und der Wirtschaft des Landes zu intensivieren, > die Sensibilität der Unternehmen in Bezug auf das Gefahrenpotenzial zu erhöhen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stützt sich bei der Gefahreneinschätzung in seinem eigenen Lagebericht 2019 auf Informationen aus der Cyber-Sicherheitsumfrage der Allianz für Cyber-Sicherheit (ACS). Das BSI weist zuspIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 289 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 sammenfassend darauf hin, dass "Cyber-Angriffe eine ernst zu nehmende Bedrohung für den Erfolg von Unternehmen darstellen und beträchtliche wirtschaftliche Schäden verursachen können." (Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2019, S. 50). Auf der einen Seite gibt es eine große Zahl unspezifischer, krimineller und unter anderem finanziell motivierter "Massenangriffe". Auf der anderen Seite zielen intelligente, auf speziell ausgewählte Institutionen und Organisationen zugeschnittene, intensiv geführte und auf langfristigen Zugriff ausgerichtete Angriffe auch auf strategische und taktische Ziele. Sie deuten auf gezielte Attacken ausländischer Nachrichtendienste hin. Zugleich werden verstärkt cyberkriminelle Dienstleistungen auf der internationalen Bühne angeboten und genutzt. Gefahren für Kritische Infrastrukturen Die sogenannten Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) haben eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren von Gesellschaft und Gemeinwesen. Ein Übergriff beispielsweise auf Netzwerke und Computersysteme von Unternehmen dieser Sparte kann nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens selbst, sondern auch die öffentliche Sicherheit bis zur Handlungsfähigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen gefährden. Zu KRITIS zählen insbesondere Unternehmen und Betriebe aus den Bereichen Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie das Finanzund Versicherungswesen. Alle zusammen bilden eine besondere Zielkategorie für ausländische Nachrichtendienste und für Cyberkriminelle. Kritische Infrastrukturen, wie beispielsweise Unternehmen der Energieversorgung, sind eine besonders sensible Zielkategorie für ausländische Nachrichtendienste und Cyberkriminelle. 290 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Auch wenn das BSI in seinem Lagebericht 2019 davon ausgeht, dass im Berichtszeitraum keine Gefährdungen erkennbar waren, die sich ausschließlich gegen Kritische Infrastrukturen gerichtet hätten, sieht es gleichzeitig eine Gefährdungslage, die sich weiterhin auf einem hohen Niveau bewegt. Ein Indiz dafür sind die Störungsmeldungen, die von den KRITIS-Betrieben an das BSI übermittelt worden sind. Für das Jahr 2018 erreichten das BSI insgesamt 279 Störungsmeldungen von Betreibern Kritischer Infrastrukturen. Über das gesamte Jahr 2019 verteilt waren es 346 Meldungen aus den KRITIS-Sektoren. Bei diesen Meldungen muss bedacht werden, dass sie freiwillig geleistet wurden. Sie liegen unterhalb der in der KRITIS-Verordnung angegebenen Schwelle und es muss insofern beispielsweise keine Beeinträchtigung der kritischen Dienstleistung vorliegen. Dennoch zeigt die gestiegene Zahl ein über die Jahre stetig ansteigendes Bedrohungspotenzial, aber zugleich auch ein wachsendes Bewusstsein bei den KRITIS-Betreibern. Wirtschaftsschutz durch Prävention Beim Schutz der Wirtschaft vor den beschriebenen Bedrohungen kommt dem sogenannten Social Engineering eine besondere Bedeutung zu. Diese besondere Anbahnungsmethode von Wirtschaftsspionen und Cyberkriminellen nutzt den Faktor Mensch im Gefüge der Unternehmenssicherheit für die eigenen Zwecke. Für die Angreifer sind in diesem Zusammenhang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso interessant wie das Führungspersonal. Auf der anderen Seite spielen mangelndes Wissen um die Gefahren und Methoden der Ausspähung und Angriffe oder auch mangelnde Sensibilitäten Angreifern und Nachrichtendiensten in die Hände. In Unternehmen ist häufig nicht klar, was alles zum eigenen Kern-Know-how gehört. Oder es herrscht beispielsweise große Sorglosigkeit in Bezug auf die Nutzung von Smartphones oder Tablets bei Auslandsreisen. Die bereits erwähnte Studie des Bitkom aus dem Jahr 2019 betont, dass der Faktor Mensch am Ende sowohl für das Gelingen wie auch hinsichtlich der Entdeckung von Angriffen eine entscheidende Rolle spielt. Hier setzt der Wirtschaftsschutz des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen mit gezielter Präventionsarbeit an. Als staatlicher Dienstleister stellen die Wirtschaftsschutzexperten des Verfassungsschutzes in unentgeltlichen Sensibilisierungsvorträgen Unternehmen aller Branchen und Größenordnungen die Bedrohungen dar, denen sie insbesondere durch Wirtschaftsspionage ausgesetzt sind. Es wird über die wichtigsten, aktuellen Angriffsmethoden informiert und es werden wirksame Schutzstrategien für Unternehmen vorgestellt. spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 291 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Wirtschaftsschutz hat im Jahr 2019 66 Vorträge zur Sensibilisierung wahrnehmen können. Mit rund 5.000 Personen wurden dabei Entscheidungsträger, IT-Sicherheitsverantwortliche und Unternehmensbeschäftigte erreicht. Die Experten des Wirtschaftsschutzes besuchen darüber hinaus Unternehmen und andere interessierte Institutionen auf Wunsch vor Ort, um Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsschutzes sensibilisiert mit zahlreichen Vorträgen in Unternehmen. in vertraulichen Gesprächen über die aktuellen Bedrohungen zu informieren und gegebenenfalls praktische Hilfestellung bei der Erstellung eines Sicherheitskonzeptes zu geben. Veranstaltungen des Wirtschaftsschutzes NRW Wirtschaftsspionage und Cyber-Kriminalität haben zwar in der Regel unterschiedliche Akteure und Motive, im Kern verfolgen Sie jedoch ähnliche Ziele und nutzen gleiche Methoden. Zudem machen sie auch nicht vor Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Behörden der öffentlichen Verwaltung in Nordrhein-Westfalen halt. Der Begriff Wirtschaftsschutz mit seinem engen Bezug auf Unternehmen greift daher etwas zu kurz. Vor diesem Hintergrund hat der Verfassungsschutz die Kontakte mit dem Wissenschaftsbereich und den kommunalen Spitzenverbänden intensiviert und ausgebaut. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz rät allen Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Behörden, sich auf der Grundlage eines ganzheitlichen Sicherheitskonzepts zu schützen. Sicherheit ist dabei mehr als 292 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 IT-Sicherheit. Organisation, Personal und Gebäudeschutz sollten stets mit in den Blick genommen werden. Unternehmenssicherheit gehört in professionelle Hände und sollte von einer eigenen Organisationseinheit (Corporate Security) bearbeitet werden, die alle Sicherheitsprozesse in einem Unternehmen verantwortet und verzahnt. Sicherheit selbst ist kein wertschöpfender Vorgang, sie stellt aber einen wichtigen Wettbewerbsvorteil dar. Ein ganzheitliches Sicherheitskonzept sollte stets die Bereiche IT, Organisation, Personal und Gebäudeschutz in den Blick nehmen. Einem entsprechenden Austausch diente der erstmals veranstaltete "Wirtschaftsschutztag NRW" am 7. Oktober 2019. In den Konferenzräumen des Ministeriums des Innern konnten zahlreiche interessierte Besucher an Fachvorträgen und Workshops teilnehmen. Eine Fortsetzung dieses Formates als Veranstaltungsreihe ist geplant. Ein ebenfalls neues und spezielles Angebot des Wirtschaftsschutzes ist das "Frühstück plus Sicherheit". Dabei werden in einem kleinen Kreis von ausgewählten und wechselnden Expertinnen und Experten einzelne Themen vertiefter betrachtet und diskutiert. Ein erstes Treffen hat am 15. März 2019 stattgefunden. Weitere Termine dieser neuen Reihe sind in Planung. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsschutz hat in 2019 mehrfach die Gelegenheit genutzt, sich mit seinen Dienstleistungen auf Messen, Kongressen und ähnlichen VerspIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 293 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 anstaltungen mit einem Informationsstand und Vorträgen zu präsentieren. Die jeweiligen Besucher wurden über die Gefahren der Wirtschaftsspionage und das Beratungsangebot des Verfassungsschutzes informiert. Ein besonderes Thema des präventiven Wirtschaftsschutzes sind zudem die Gefahren, die Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen durch Extremisten und Terroristen drohen. Zu diesen Themen wurde und wird verstärkt informiert und sensibilisiert. Geheimschutzbetreute Wirtschaft Der Wirtschaftsschutz NRW ist auch ein wichtiger Ansprechpartner für die geheimschutzbetreute Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die mit sicherheitsempfindlichen Aufträgen und Projekten betraut werden oder schon betraut sind. Sie müssen deshalb die speziellen Anforderungen und Verfahren des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG) durchlaufen und fortlaufend erfüllen. Der Verfassungsschutz arbeitet in diesem Aufgabenfeld in besonderem Maße mit dem für die geheimschutzbetreute Wirtschaft in der Regel federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zusammen. Er führt darüber hinaus gesonderte Einzelfallberatungen und Sensibilisierungsgespräche vor Ort durch. Ein Forum zur Information und zum Austausch zwischen den Sicherheitsverantwortlichen in diesen speziellen Unternehmen bietet der in 2019 erstmals ausgerichtete "Geheimschutztag NRW". Die ganztägige Veranstaltung soll alle zwei Jahre wiederholt werden. Sicherheitspartnerschaft NRW Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz führt die Geschäfte der seit 2001 bestehenden "Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität" in Nordrhein-Westfalen. Partner sind das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen mit den Bereichen Polizei und Verfassungsschutz, das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft West e.V. und die Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e.V.. Als neuer Partner und Brücke zu den Wirtschaftsunternehmen vor Ort sowie den an der Wirtschaftsförderung beteiligten Kommunen konnte der Verband der Wirtschaftsförderungsund Entwicklungsgesellschaften in NRW gewonnen werden. 294 spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Partnerschaft verfolgt insbesondere die Ziele, die Schäden durch Wirtschaftsspionage, Wirtschaftskriminalität und Konkurrenzausspähung zu reduzieren, die gegenseitige Kooperationsbereitschaft und den Informationsaustausch zu fördern und die Sensibilität der Wirtschaft hinsichtlich des Gefahrenpotentials zu erhöhen. Dies soll durch eine vernetzte Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat erreicht werden. Die Partner setzen dabei auf den kontinuierlichen Austausch von Informationen, die Beratung und Unterstützung von Unternehmen, aber auch auf gemeinsame Projekte und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Die Sicherheitspartnerschaft profitiert dabei von der Expertise der einzelnen Partner. Das Ministerium des Innern bringt dabei sowohl das spezifische Wissen des Verfassungsschutzes zur Wirtschaftsspionage als auch das der Polizei zur Wirtschaftskriminalität ein. Derzeit werden in Abstimmung mit allen Partnern die Grundlagen der Sicherheitspartnerschaft NRW an die neuen und aktuellen Herausforderungen angepasst. Kontakt zum Wirtschaftsschutz Unternehmen und andere Institutionen, die an den Sensibilisierungsangeboten des Verfassungsschutzes interessiert oder Opfer von Spionageoder Sabotageattacken geworden sind, können unter wirtschaftsschutz@im1.nrw.de Kontakt zum Wirtschaftsschutz aufnehmen. Als Inlandsnachrichtendienst obliegt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dem Opportunitätsprinzip und kann ein Maximum an Vertraulichkeit zusichern spIonageabwehr und wIrtschaftsschutz 295 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 296 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Präventionsarbeit und Aussteigerprogramme präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 297 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zusammenfassung Informierte, mündige Bürgerinnen und Bürger sind der beste Schutz für eine demokratische Gesellschaft. Eine wachsame Bevölkerung kann die Propaganda, die Einstiegsmuster und das Agieren extremistischer Bestrebungen frühzeitig erkennen und entlarven. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" lautet daher ein wesentlicher Arbeitsauftrag des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. So wurden in den vergangenen zehn Jahren die Aufklärung breiter Teile der Bevölkerung durch Vorträge, Fortbildungen, Fachtagungen oder Veröffentlichungen über extremistische Bestrebungen ausgebaut. Dabei wurden 2019 nicht nur Veranstaltungsreihen in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung fortgesetzt, sondern auch die Fachtagung "Antisemitismus - Alter Hass in neuen Formen?" gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und dem Bürgerbündnis "Düsseldorfer Appell" am 23. September 2019 und der Thementag "Sensibilisierung für den Umgang mit (Rechts-)Extremismus in Schule und Unterricht" am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) in Hamm am 9. Dezember 2019 durchgeführt. Mit passgenauen Vorträgen wurden erstmals in 2019 weitere Multiplikatoren aus den Bereichen der nordrhein-westfälischen Unternehmen oder der Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zu den verschiedenen Extremismusbereichen sensibilisiert und die Zugänge zu den Präventionsund Beratungsangeboten erläutert. Mit dem Videound Social Media-Projekt "Jihadi fool" und "hinter.gründlich" lädt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz zur kritischen Auseinandersetzung mit salafistischer Internetpropaganda und Extremismus ein. Das in dieser Form bundesweit einzigartige Projekt richtet sich an eine breite Zielgruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und kombiniert Humor und Satire mit Information, Fakten und Aufklärung. Der Verfassungsschutz hat sich mit dieser jungen und besonders relevanten Zielgruppe in 2019 aber auch wieder direkt mit Messeständen bei der weltgrößten Computer-Entertainment-Messe gamescom und indirekt im Gespräch mit Pädagoginnen und Pädagogen bei der Bildungsmesse didacta in Köln auseinandergesetzt. 298 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen nutzt daneben seine Erkenntnisse und die Expertise in Projekten und Programmen, um den unmittelbar von extremistischen Bestrebungen Betroffenen, ihr Umfeld und anderen Beteiligten konkret zu helfen und sie zu beraten. Diese Unterstützungsangebote beziehen sich auf eine drohende oder bereits begonnene Hinwendung zum Extremismus, die es abzuwenden gilt. Im Bereich des Islamismus wurde dazu das etablierte Präventionsprogramm Wegweiser in 2019 weiter regional ausgeweitet und hat im ersten Quartal 2020 mit 25 Beratungsstellen eine landesweite Abdeckung erreicht. Über das Qualifizierungskonzept VIR (VeränderungsImpulse setzten bei Rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen) wurden - im Rahmen der sekundären Prävention gegen Rechtsextremismus - rund 120 VIR-Trainerinnen und -Trainer ausgebildet, die nun weitere pädagogische Fachkräfte fortbilden. Darüber hinaus bieten die drei Aussteigerprogramme des Landes Nordrhein-Westfalen Hilfestellung, wenn sich Extremisten von der Szene und dem Gedankengut abwenden wollen. Die Programme Spurwechsel (Rechtsextremismus) und API (Islamismus) wurden auch in 2019 stark nachgefragt. Zudem wurden die Programme im Rahmen der Qualitätssicherung und der Ausund Fortbildung der multiprofessionellen Teams um den Schwerpunkt "Psychische Erkrankungen von Klientinnen und Klienten" erweitert und den Veränderungen innerhalb der extremistischen Szenen angepasst. Mit dem Start des Aussteigerprogramms left zum deutschen und auslandsbezogenen Linksextremismus hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bundesweit eine Vorreiterreiterrolle eingenommen. Mit seinen Programmen und zusätzlichen Schnittstellenfunktionen, wie zum Beispiel durch den Koordinator für Rückkehrsachverhalte (RKK) und einem Verbindungsbeamten für den Justizvollzug, sind breite Netzwerke in alle Bereiche der Gesellschaft und behördlichen Administration aufgebaut und intensiv gepflegt worden, die ein vernetztes und eng abgestimmtes Agieren ermöglichen. Damit bietet die Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen eine fundamentale Säule im Kampf gegen den Extremismus. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 299 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Umgang mit islamistischen Rückkehrern In den vergangenen Jahren sind aus Nordrhein-Westfalen rund 270 Personen ausgereist, um sich in Syrien oder dem Irak jihadistischen Gruppierungen anzuschließen oder diese zu unterstützen. Etwa 110 Personen aus dieser Gruppe sowie etwa 80 mitgereiste oder dort geborene Kinder halten sich weiterhin in der Region auf. Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen in Syrien und dem Irak ist nicht absehbar, wann und wie viele der ausgereisten Personen tatsächlich in Zukunft nach Nordrhein-Westfalen zurückkehren werden. Rückkehrer aus jihadistischen Kampfgebieten stellen ein hohes Risiko für die innere Sicherheit Deutschlands dar. Hinzu kommt, dass die Gruppe der Rückkehrer sehr heterogen ist: Sie reicht von Kleinkindern bis hin zu radikalisierten oder traumatisierten Jugendlichen oder Erwachsenen, die unverändert der jihadistischen Ideologie anhängen und über Kampferfahrung verfügen. Im Jahr 2019 sind alle Personen, die aus den jihadistischen Kriegsgebieten zurückgekehrt sind, engmaschig durch nordrhein-westfälische Behörden und Institutionen begleitet worden. Die besonderen Herausforderungen zeigten sich im Umgang mit Rückkehrern gerade in kommunalen Behördenbereichen wie den Jugendämtern und Rückkehrer aus Kriegsgebieten stellen die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. 300 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 bei betroffenen Schulen. Die Erfahrungen in den verschiedenen Fallkonstellationen zeigten, wie unerlässlich im Falle der Rückkehr von zuvor ausgereisten Personen ein koordiniertes, eng abgestimmtes Vorgehen und ein optimaler Informationsfluss zwischen allen Beteiligten sowie ein gemeinsam zielgerichtetes Vorgehen ist. Diese wichtige Koordinierungsfunktion übernimmt seit Mitte Oktober 2019 der Rückkehrkoordinierende (RKK) des Landes Nordrhein-Westfalen wahr. Er ist angesiedelt beim Verfassungsschutz NRW und wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Der RKK ist das entscheidende Bindeglied zwischen den Sicherheitsbehörden und den weiteren Beteiligten auf Seiten des Bundes, des Landes, der Kommunen sowie der zivilgesellschaftlichen Akteure. In enger Abstimmung mit dem Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen wurde zudem ein Leitfaden für ein ganzheitliches, koordiniertes und standardisiertes Vorgehen von Rückkehrsachverhalten erarbeitet, nach dem bestehende Strukturen verzahnt werden. Durch die frühzeitige Einbindung in Rückkehrsachverhalte wird der RKK in die Lage versetzt, proaktiv insbesondere auf kommunale Institutionen zuzugehen, um diese bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen zu unterstützen. So kann der RKK zielgerichtet vor allem Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration bei allen Akteuren initiieren oder begleiten. In Nordrhein-Westfalen ist von besonderer Bedeutung, dass der RKK gerade die Zielsetzung einer frühzeitigen und umfangreichen Deradikalisierungsarbeit ohne weitere Verzögerungen umsetzen kann, weil er bewährte Präventionsund Deradikalisierungsprogramme des Landes, wie das Präventionsprogramm Wegweiser mit seinen 25 dezentralen Anlaufstellen in Nordrhein-Westfalen oder das Aussteigerprogramm Islamismus (API) sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren einbinden kann. Die daher bestehenden Netzwerke sind in der Zusammenarbeit bereits geübt, haben sich bewährt und können somit intensiv zusammenwirken. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 301 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Fokus: Videound Social Media-Kampagne "Jihadi fool" Mit der Kampagne "Jihadi fool" lädt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz ein breites Publikum zur Auseinandersetzung mit salafistischer Internetpropaganda und Extremismus ein. Mit Humor soll dabei Aufmerksamkeit erzielt und mit Hintergrund-Videos aufgeklärt werden. Die Video-Kampagne "Jihadi fool" ist Teil der umfassenden Präventionsstrategie des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gegen extremistischen Salafismus und Islamismus. Weitere wichtige Teile der Strategie sind dabei insbesondere das Präventionsprogramm Wegweiser und das Aussteigerprogramm API sowie eine gezielte Ansprache von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen von Aufklärungsund Öffentlichkeitsarbeit. Junge Menschen verbringen einen sehr großen Teil ihrer Freizeit im Internet. Dort werden sie immer wieder mit salafistischer und islamistischer Internet-Propaganda konfrontiert. Selbsternannte "Prediger" verbreiten über soziale Netzwerke wie YouTube ihre extremistische Ideologie und finden regen Zulauf. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ruft junge Menschen zum "Jihad" und konkret zu Anschlägen gegen "Ungläubige" unter anderem in Deutschland auf. Die auf soziale Interaktion ausgelegten Mechanismen der Social Media-Plattformen begünstigen die Verbreitung dieser Inhalte. Häufig erscheinen selbst bei Suchbegriffen mit unverfänglichen religiösen Bezügen in der Mehrzahl von Extremisten produzierte Videos in den Trefferlisten. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz stellt diesen zahlreichen und vielfältigen Propagandainhalten im Bereich des extremistischen Salafismus und Islamismus eigene Narrative entgegen, die in Form von Videos auf öffentlichen Plattformen, allen voran YouTube, abgerufen werden können. Die Videos der Online-Kampagne "Jihadi fool" greifen Fragen auf wie: Woran erkenne ich Extremismus? Was ist das Problem beim extremistischen Salafismus beziehungsweise Islamismus? Warum ist die Demokratie schützenswert? 302 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Comedy-Folgen sollen Interesse vor allem bei einer jungen Zielgruppe wecken. Ein Teil der Filme zeigt unter dem Label "Jihadi fool" mit Humor und Satire die Absurdität von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus auf. Ein anderer Teil, das ergänzende Wissensformat "hinter.gründlich", bezieht sich inhaltlich auf den Comedy-Kanal. Es informiert, erklärt und setzt der Internetpropaganda von Extremisten Fakten entgegen. Witz und Humor fungieren als Türöffner, um das Interesse junger Menschen für das Angebot zu wecken. Im besten Fall leiten die entsprechenden Videos die Besucher direkt an die Filme weiter, die über Hintergründe, Verschwörungstheorien und die menschenverachtende Ideologie von Hasspredigern und Jihadisten aufklären. Die hinter.gründlich-Folgen liefern Fakten zum Thema extremistischer Salafismus. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 303 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Kampagne soll das Interesse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen für das Thema wecken sowie zur Diskussion und zum Teilen auf den jeweiligen Plattformen animieren. Im Blickpunkt stehen dabei nicht nur Personen, die Sympathien für extremistische Einstellungen haben, Die Videos des Kanals sind professionell und aufwändig produziert. sich möglicherweise auf dem Weg einer Radikalisierung befinden oder bereits radikalisiert sind; vielmehr soll mit den Narrativen die gesamte Altersgruppe als im Internet aktive Peergroup angesprochen werden. Als Ergebnis einer öffentlichen Ausschreibung wurden Filmprofis, die auch Erfahrungen im Bereich der sozialen Medien haben, mit der Produktion der Videos beauftragt. Die beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler sind aus Produktionen von Fernsehund Streaming-Anbietern bekannt. Der Verfassungsschutz begleitet das Projekt unter anderem mit islamwissenschaftlicher und pädagogischer Expertise. 32 Sketchund 16 Wissensfolgen werden gleichmäßig über einen Kampagnenzeitraum von zwölf Monaten verteilt auf den Plattformen YouTube und Facebook veröffentlicht. Auf eigenen Seiten bei Instagram und Twitter werden sie zudem mit eigens dafür produzierten Inhalten beworben. Der Auftragnehmer übernimmt darüber hinaus das Community Management auf Im August hat Innenminister Herbert Reul zusammen mit den den genannten Plattformen. Produzenten auf der Gamescom den Startschuss für den Kanal gegeben. 304 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Innenminister Herbert Reul hat die Kampagne "Jihadi Fool" am 22. August 2019 bei der Gamescom in Köln gestartet. Seitdem steigen die Zahlen der Abonnenten, Aufrufe und Interaktionen bei YouTube, Facebook und den begleitenden Plattformen stetig an. Bis Ende Februar 2020 wurden beispielsweise mehr als 2,1 Millionen Nutzer erreicht, über 22.000 Interaktionen und beinahe 1,5 Millionen Videoaufrufe verzeichnet sowie mehr als zehntausend Abonnenten gewonnen. Die Grundstimmung der Kommentare ist in der Tendenz positiv bis neutral, es gibt aber auch, wie erwartet, kritische Stimmen. Dabei wird immer wieder das Ziel erreicht, dass Besucherinnen und Besucher des Kanals auch untereinander über die angesprochenen Themen diskutieren. Mittelfristig soll die Veröffentlichung einer größeren Zahl von Videoclips für eine hohe Sichtbarkeit des Themas bei YouTube und gegebenenfalls anderen Plattformen sorgen. Nach einer Bewertung des Projekts im Jahr 2020 entscheidet das Ministerium des Innern darüber, wie die geschaffenen Inhalte weiter genutzt und begleitet werden können. Jihadi fool im Netz Bis Ende April 2020 erscheinen regelmäßig neue Folgen des Kanals bei YouTube (www.youtube.com/jihadifool) und Facebook (www.facebook.com/Jihadifool). Begleitet wird das Angebot über Instagram (www.instagram.com/jihadifool) und Twitter (twitter.com/jihadifool). Ausschnitt des vielfältigen Angebots mit Comedyund Hintergrund-Videos präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 305 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Übergreifende Konzepte und Vernetzung Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat in den vergangenen Jahren seine Programme und Maßnahmen nicht nur verstetigt, sondern ausgebaut. Die Zusammenarbeit mit den Kommunen wurde über das inzwischen landesweit tätige Präventionsprogramm Wegweiser deutlich ausgeweitet. Zudem hat sich der Verfassungsschutz in ressortübergreifende Arbeitsgruppen der Landesregierung aktiv eingebracht und die Forschungsarbeit der Wissenschaft konkret unterstützt. Integriertes Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus und Rassismus Das Integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus des Landes Nordrhein-Westfalen wird zunächst bis Ende des Jahres 2020 fortgeführt. Im Zeitraum August 2019 bis Februar 2020 wurde es durch die Johann Daniel Lawaetz-Stiftung aus Hamburg begleitend extern evaluiert. Im Februar 2020 legte die Stiftung Empfehlungen für die weitere Arbeit vor, die auch die Ergebnisse eines gemeinsamen Workshops der Landesministerien sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen am 24. Januar 2020 aufgegriffen haben. Diese Empfehlungen führten im März 2020 zu einem Kabinettbeschluss zur Weiterentwicklung des Integrierten Handlungskonzepts. Auf dieser Basis wird das Konzept zurzeit fortentwickelt. Das Konzept umfasst insgesamt 165 Einzelmaßnahmen. Die Evaluation unterstreicht die aktive Rolle des Ministeriums des Innern im Bereich der Rechtsextremismusprävention. Die einzelnen Maßnahmen sind einem Ressort hauptverantwortlich und zum Teil anderen mitverantwortlich zugeordnet. In diesem Rahmen sind Verfassungsschutz und Polizei an gut zwei Drittel der Maßnahmen beteiligt. Die Steuerung des Konzepts erfolgt im Geschäftsbereich des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft durch die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus bei der Landeszentrale für politische Bildung. Die Umsetzung und Weiterentwicklung des Handlungskonzepts wird durch eine interministerielle Arbeitsgruppe und durch das Landesnetzwerk gegen Rechtsextremismus begleitet, in dem staatliche und zivilgesellschaftliche Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vertreten sind. Die enge Kooperation von Staat und Zivilgesellschaft in der präventiven Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus ist einer der Leitgedanken des 2016 von der Landesregierung verabschiedeten Konzepts. Das Integrierte Handlungskonzept sieht 22 Einzelmaßnahmen des Verfassungsschutzes vor. So werden das Aussteigerprogramm Spurwechsel sowie die Projekte 306 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 VIR und "Kommunen gegen Extremismus" kontinuierlich ausgeweitet und weiterentwickelt. Zudem werden Informationsveranstaltungen über aktuelle Aspekte des Rechtsextremismus unter anderem für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte angeboten und Publikationen wie der Band "Erlebniswelt Rechtsextremismus" veröffentlicht. Derartige Maßnahmen der Rechtsextremismusprävention gehören zu grundlegenden Arbeitsfeldern des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen und sind langfristig angelegt. Interministerielle Arbeitsgruppe "Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe" Die Interministerielle Arbeitsgruppe "Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe" (IMAG) wurde 2016 begründet, um dem gewaltbereiten Salafismus ganzheitlich und nachhaltig zu begegnen. Alle zuständigen Landesministerien, zivilgesellschaftliche Akteure und die Wissenschaft bildeten mit der IMAG ein landesweites Expertennetzwerk, um sich auszutauschen und Präventionsund Deradikalisierungsmaßnahmen zu erweitern, neue zu konzipieren und zu implementieren. Alle beteiligten Akteure der IMAG entwickelten gemeinsam ein Handlungskonzept, nach dem sich die Aktivitäten der Arbeitsgruppen an den altersabhängigen Lebenswelten wie Schule, Ausbildung und Erwerbsleben orientieren. In jeder Lebensphase und jedem Sozialraum sollen Heranwachsende und ihr Umfeld erreicht und ihre Resilienz gegen gewaltbereiten Salafismus gestärkt werden. Im Rahmen der IMAG wurden so zum Beispiel Sensibilisierungsangebote, Beratungen sowie Qualifizierungen erweitert und die Vernetzung der verschiedenen Akteure vorangetrieben. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure und wissenschaftlicher Expertisen bewährte sich dabei. Im ersten Zwischenbericht aus 2017 wurden aus sieben Themenschwerpunkten 27 Einzelprojekte konzipiert, die von den jeweiligen Landesministerien umgesetzt wurden. In diesen Maßnahmen stehen Sozialräume, Schulen, Justizvollzugsanstalten, Muslime als Akteure, Medien, Propaganda, Demokratieförderung sowie Frauen und Mädchen im Fokus. Extremistische Ideologien wie der gewaltbereite Salafismus verändern sich entsprechend der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern weltweit. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Lage in Ländern wie Syrien oder Irak. Dementsprechend ermittelt die IMAG fortwährend neue Tätigkeitsfelder, Zielgruppen sowie Programme und Projekte zur Präventionsstärkung und Demokratieförderung. Neue Unterarbeitsgruppen werden entsprechend gegründet und neue Akteure miteinbezogen. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 307 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zurzeit werden in der IMAG in fünf Unterarbeitsgruppen Maßnahmenkonzepte entwickelt: > Elternarbeit, > Zusammenhang zwischen der Flüchtlingssituation und einer potenziellen Radikalisierung, > Präventionskonzepte europäischer Nachbarstaaten (sogenannte "Best Practice"), > geschlechtergerechte Präventionsangebote für junge Frauen und Mädchen und > salafistische Radikalisierung und Gefährdung von und durch Minderjährige (aus Syrien rückkehrende Kinder und Jugendliche). Nach dem zweiten Zwischenbericht der IMAG wurden in 2019 weitere Einzelmaßnahmen und Projekte implementiert. Die oben genannten Unterarbeitsgruppen bildeten dabei die Arbeitsschwerpunkte. Da die IMAG auf eine kontinuierliche und dynamische Zusammenarbeit aller Akteure ausgerichtet ist, werden auch zukünftig weitere Themenschwerpunkte und Einzelprojekte in das ganzheitliche Handlungskonzept aufgenommen. CoRE NRW - Connecting Research On Extremism Mit CoRE NRW, dem 2016 gegründeten nordrhein-westfälischen Kompetenznetzwerk zur Erforschung des extremistischen Salafismus, wurden auch in 2019 bestehende wissenschaftliche Expertisen gebündelt, noch offene Wissenslücken identifiziert und Erkenntnis ausgetauscht. Der Ansatz, praxisbezogene und sicherheitsbehördliche Aspekte einzubeziehen und die gesamte Expertise für NRW nutzbar zu machen, hat sich erneut bewährt. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft fördert im Rahmen von CoRE NRW verschiedene Forschungsprojekte, unter anderem zu "Salafismus in urbanen Kontexten" oder zur "Analyse von Gegenangeboten zu salafistischer Propaganda", von denen bereits erste Forschungsprojekte abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht worden sind. Seit August 2019 liegt die Koordinierungsstelle des Netzwerkes beim "Bonn International Center for Conversion" (BICC) - einem außeruniversitärem Think Tank, der sich in anwendungsorientierten, transdisziplinären und empirischen Forschungsprojekten weltweit mit Themen der Friedensund Konfliktforschung befasst. Insgesamt lebt CoRE NRW vom zielgerichteten Austausch aller Netzwerkpartner und der 308 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 dynamischen Verknüpfung von Wissenschaft, Praxis, Zivilgesellschaft und Landespolitik. Dies zeigt sich in unterschiedlichen Formaten wie transdisziplinären Tagungen, themenspezifischen Workshops oder Forschungsberichten zur Darstellung der Forschungslandschaft. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bringt seine Expertise zu Extremismus und Prävention ein und nutzt die Forschungsergebnisse für seine Präventionsarbeit. CoRE NRW stellt somit eine Basis für die Vernetzung von Sicherheitsbehörden, Wissenschaft und weiteren Präventionsakteuren dar mit dem Mehrwert, dass die Praxis in Vernetzungsmaßnahmen und Forschungsprojekte eingebunden wird, um Rückflüsse von Forschungsergebnissen zu erleichtern und Praxisfragen der Forschung zugänglich zu machen. Projekt "Kommunen gegen Extremismus" Was können Kommunen tun und wie können die Sicherheitsbehörden ihnen helfen, Extremismus bereits in der Entstehung zu erkennen und ihm entgegenzuwirken? Zu diesen Fragen bietet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz zusammen mit dem polizeilichen Staatsschutz seit 2014 das Projekt "Kommunen gegen Extremismus" an. Diese Kooperation mit Kreisen, Städten und Gemeinden basiert auf der Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit und gewährleistet einen schnellen Informationsaustausch zu allen Formen von Extremismus. Das Projekt wurde als Pilot im Kreis Mettmann gestartet. In den folgenden Jahren ist es auf den Rhein-Kreis Neuss, den Rhein-Erft-Kreis, den Rhein-Sieg-Kreis, den Kreis Paderborn, den Kreis Düren und die kreisfreien Städte Mönchengladbach und Remscheid ausgedehnt worden. Eine Erweiterung des Projekts auf weitere Kommunen ist beabsichtigt. Europäische und internationale Zusammenarbeit Im Rahmen der Präventionsarbeit finden regelmäßige Fachtagungen mit europäischen Partnern statt. Hervorzuheben ist hier der Wissensaustausch mit Präventionskoordinatoren des Vereinigten Königreiches von Großbritannien. Das britische Präventionsprogramm PREVENT ist zentraler Bestandteil der britischen Terrorismusbekämpfung, das Maßnahmen der primären, sekundären und tertiären Prävention umfasst. So fanden im Mai 2019 im Ministerium des Innern Erfahrungsaustausche zur Extremismusprävention mit britischen und schottischen Delegationen statt. Die Vorstellung der nordrhein-westfälischen Islamismusund Rechtsextremismusprävention stand präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 309 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 dabei im Zentrum. Beim Gegenbesuch im September 2019 in Glasgow und Edinburgh konnten entsprechend Erkenntnisse zur Implementierung und Umsetzung des PREVENT-Programms gewonnen werden, so dass insgesamt beide Seiten durch diesen intensiven Austausch im Sinne von "Best-Practise" voneinander profitieren und lernen. Im Rahmen des CVE-Programms (Countering Violent Extremism) besuchte im Mai 2019 eine Delegation aus den USA mit Vertreterinnen und Vertretern aus Sicherheitsbehörden, Kommunen und Zivilgesellschaft den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz und informierte sich über Ansätze der Rechtsextremismusund Islamismusprävention, insbesondere über das Konzept und die Praxis der Aussteigerprogramme, der Wegweiser-Beratungsstellen und des VIR-Projekts. Wie erkenntnisreich der direkte Austausch von Sicherheitsbehörden, Fachpraxis und Politik sein kann, verdeutlichte auch die grenzüberschreitende Veranstaltung "Einordnung der psychosozialen Prävention in die Vorbeugung von gewaltsamen Radikalismus" durch die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgien in Eupen, wo Referenten des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes das Präventionsprogramm Wegweiser sowie das Aussteigerprogramm Rechtsextremismus Spurwechsel vorstellten und aus der Praxisarbeit berichteten. Eine weitere Veranstaltung mit Akteuren aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden betonte die grenzübergreifende Bedeutung der Extremismusprävention und des gegenseitigen Erfahrungsaustausches. Vor diesem Hintergrund beteiligte sich der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz auch am Thementag der Sozialpädagogik an der Hochschule Arnheim und Nijmegen (Niederlande) im Februar 2019 unter dem Titel "Widerstandsfähigkeit in verschiedenen Konfliktsituationen" mit Vorlesungen und Workshops. 310 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die drei Ebenen der Prävention In Wissenschaft und pädagogischer Praxis wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden. Eingeteilt wird dabei nach den Zielgruppen, an die sich die Präventionsmaßnahmen richten. In den Bereichen Islamismus und Rechtsextremismus bringt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz seine Erkenntnisse gezielt in alle drei grundlegenden Felder der Prävention ein. Die primäre Prävention zielt auf die demokratische Öffentlichkeit ab ("Verfassungsschutz durch Aufklärung"). Bei der sekundären Prävention liegt der Fokus auf Personengruppen, die eine Nähe zum extremistischen Denken und Handeln haben. Entsprechende Jugendliche befinden sich daher meist in einer Annäherungsphase an extremistische Szenen. Im Bereich des Rechtsextremismus werden diese Personen beispielsweise häufig als "rechtsorientiert" oder "rechtsaffin" bezeichnet. Tertiäre Prävention richtet sich unterdessen an Personen, die fest in einer extremistischen Szene verankert und in ihr aktiv sind. Maßnahmen der tertiären Prävention sind insbesondere Aussteigerprogramme. Die Übergänge zwischen diesen drei Präventionsbereichen sind fließend, die Unterscheidung ist aber wichtig, weil wirksame Präventionsmaßnahmen passgenau auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet sein müssen. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 311 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Wegweiser - Gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus Das Präventionsprogramm Wegweiser setzt am Anfang einer möglichen Radikalisierung an und ist dem Bereich der Sekundärprävention zuzuordnen. Dem Leitgedanken "Ausstieg vor dem Einstieg" folgend, soll verhindert werden, dass sich Menschen zum gewaltbereiten Salafismus hinwenden. Wegweiser richtet sich in den 25 Beratungsstellen flächendeckend in Nordrhein-Westfalen an Personen, die mit der salafistischen Szene sympathisieren oder in diese bereits abzurutschen drohen. Die Zielgruppe besteht insbesondere aus jungen Menschen. Das Programm bietet zudem auch Familienangehörigen und dem weiteren Umfeld sich möglicherweise radikalisierender Personen (zum Beispiel Freunde, Lehrkräfte) konkrete und individuelle Beratung und Unterstützung. Die Beratungsstellen sind außerdem ansprechbar für alle Personen, die Fragen zu den Themen extremistischer Salafismus und Radikalisierung haben. Die Beratung ist grundsätzlich freiwillig, vertraulich und kostenlos. Die Beratungsarbeit wird von zivilgesellschaftlichen oder kommunalen Trägern als örtlichen Beratungsstellen durchgeführt. Sie betreiben die Beratungsstelle vor Ort und stellen qualifiziertes Personal ein. Der Verfassungsschutz finanziert die Beratungsstellen und nimmt eine vom konkreten Beratungsfall unabhängige allgemeine Steuerungsfunktion wahr. Individuelle Hilfsund Informationsangebote vor Ort In drei Vierteln der Fälle werden Jugendliche oder Kinder erreicht. Sie befinden sich vor allem in der Pubertätszeit. Daher fühlen sie sich oft unverstanden, sind einer Vielzahl von Problemlagen ausgesetzt und in dieser Zeit für die einfachen Antworten der salafistischen Extremisten auf komplexe Fragen besonders empfänglich. Die Wegweiser-Beratung muss daher breite fachliche Hilfe garantieren. Deshalb verfügen die Beraterinnen und Berater vor Ort über unterschiedlichste berufliche und fachliche Hintergründe. Insbesondere Kenntnisse der Sozialarbeit und Sozialpädagogik sind hier 312 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 gefragt. Zudem sind ausgeprägte interkulturelle und interreligiöse Kompetenz und Fachwissen über Islam und Islamismus unerlässlich. Im Rahmen eines modular aufgebauten Qualifizierungslehrganges werden die Beraterinnen und Berater gezielt, umfassend und praxisnah geschult und ihre bereits vorhandenen Beratungskompetenzen weiterentwickelt. Um eine noch breitere Aufstellung zu gewährleisten, ist jede Wegweiser-Beratungsstelle vor Ort in ein örtliches Netzwerk eingebunden. Auf diese Weise kann Wegweiser auf eine umfassende Expertise unterschiedlichster Akteure zurückgreifen wie etwa Vereine, Sozialverbände, kommunale Ämter, Familienberatungsstellen, Jobcenter, Migrantenselbstorganisationen und Polizei. Beraterinnen und Berater greifen bei den meist vielfältigen Problemlagen der Betroffenen auf das vorhandene Regelsystem zurück und begleiten, beraten und unterstützen diese. Die Wegweiser-Beratungsstellen informieren außerdem Behörden, Schulen und sonstigen Organisationen über den extremistischen Salafismus allgemein sowie seine Erscheinungsformen, Anwerbestrategien und Propagandaaktivitäten, etwa durch auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnittene Vortragsveranstaltungen und Workshops. So erreichen sie eine breite Sensibilisierung und erhöhen die gesellschaftliche WachsampräventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 313 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 keit. Dies bietet die Chance, dass besorgniserregende Veränderungen von Personen in ihrer Umgebung schnell bemerkt, geprüft und bewertet werden können und frühzeitige kompetente Beratung bereit steht. Erfolge des Wegweiser-Programms Im Jahr 2019 blieb die Nachfrage nach Beratung und Aufklärung zu den Themenfeldern extremistischer Salafismus und Radikalisierung konstant hoch. Seit Beginn des Programms 2014 wurden bis Ende 2019 über 970 direkt betroffene Jugendliche und Kinder beraten. Davon haben sich in circa 400 Fällen längerfristige Beratungsbegleitungen durch Wegweiser ergeben. 80 bis 90 Prozent dieser Beratungsfälle haben einen positiven Verlauf genommen. Gemeinsam mit Betroffenen und dem sozialen Umfeld wurden unterschiedlichste Probleme bearbeitet und neue Perspektiven erschlossen. Auf diese Weise konnte bei den betroffenen jungen Menschen eine Hinwendung zu extremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen verhindert oder gestoppt werden. Darüber hinaus wurden bis zum Ende des Berichtsjahrs über 20.400 Anfragen bearbeitet und über 3.800 Sensibilisierungsveranstaltungen durchgeführt. Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis Eine nachhaltige Präventionsarbeit benötigt die Verknüpfung von Erkenntnissen aus Wissenschaft, Praxis und Verfassungsschutz. Aus diesem Grund leistet Wegweiser einen Beitrag dazu, Hinwendungsprozesse und ihre Hintergründe wissenschaftlich aufzuarbeiten. Gleichzeitig können Erfahrungen aus der praktischen Beratungsarbeit gespiegelt werden und Bedarfe, Problemstellungen und Herausforderungen für wissenschaftliche Projekte benannt werden. Wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse können somit wiederum in die Arbeit einfließen und umgesetzt werden. Wegweiser in der EU Gerade im Grenzgebiet von Aachen leben und bewegen sich viele Menschen grenzüberschreitend, beispielsweise weil sie im Nachbarland zur Schule gehen, im Sportverein aktiv sind oder arbeiten. Daher gibt es auch in der Extremismus-Beratungsarbeit Fallkonstellationen mit grenzüberschreitenden Bezügen. Auf Basis eines zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) Belgien und der Stadt Aachen geschlossenen Vertrages aus dem Jahr 2017 hat die DG eine selbständige Anlaufstelle nach dem Vorbild von Wegweiser in Eupen eingerichtet. Damit partizipieren die beteiligten Partner jeweils an den Erfahrungen aus der erfolgreichen Wegweiser-Arbeit in NRW und die Beratungsstellen in Aachen und Eupen können jeweils grenzüberschreitend arbeiten. 314 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Im Rahmen der deutsch-flämischen Regierungskonsultationen wurde zudem im Januar 2019 beschlossen, auch mit Flandern den Dialog zur Bekämpfung des gewaltbereiten Salafismus zu vertiefen. Aus diesem Grund wurde am 21. März 2019 eine Kooperation der Wegweiser-Beratungsstelle in Köln mit dem flämischen Pendant aus Antwerpen besiegelt. Wegweiser Online Mit Wegweiser Online soll künftig die Beratungsarbeit der 25 Beratungsstellen des Landes um eine webbasierte Komponente erweitert werden. Hierdurch wird einer möglichst niedrigschwelligen und ganzheitlichen Präventionsstrategie entsprochen. Den Zielgruppen soll die Möglichkeit geboten werden, vertraulich und unverbindlich im Netz zu Wegweiser Kontakt aufzunehmen, sich dort zu informieren und auch erste konkrete Fragestellungen zu formulieren und sich dazu beraten zu lassen. Zusätzlich werden sich speziell geschulten Beraterinnen und Berater in öffentlichen Diskussionen in den sozialen Medien mit Jugendlichen vernetzen, um Meinungen auszutauschen, Denkanstöße zu geben und bei Auffälligkeiten deeskalierend zu intervenieren. Darüber hinaus wird die Wegweiser Online-Beratung in Schulen und anderen Institutionen Workshops zur Förderung der Medienkompetenz anbieten. Hieraus ergibt sich die Chance, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerkräften oder Eltern Meinungsbildung im Internet zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. Dabei wird auch der differenzierte Umgang mit Propaganda und Desinformationen und deren Instrumentalisierung durch Extremisten eine große Rolle spielen. Die Programmerweiterung wird im Jahr 2020 in Form von drei aufeinander abgestimmten Ausschreibungen umgesetzt und parallel implementiert werden. Kontakt zu Wegweiser Informationen zu den Wegweiser-Beratungsstellen vor Ort und die jeweiligen Hotlines sind unter www.wegweiser.nrw.de zu finden. Die zentrale Wegweiser-Hotline ist unter 0211 / 871-2728 (montags bis freitags von 8:00 bis 18:00 Uhr) oder per Mail unter info@wegweiser.nrw.de erreichbar und vermittelt auf Wunsch Ansprechpartner vor Ort. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 315 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 VIR - VeränderungsImpulse setzen bei Rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen Die siebte Trainerinnenund Trainer-Ausbildung in Münster, das Reflexionsund Vernetzungstreffen in Vogelsang sowie der Austausch mit Wissenschaft und Präventionspraxis standen 2019 im Mittelpunkt des VIR-Projekts. VIR ist ein Fortbildungskonzept für Personen, die beruflich oder ehrenamtlich mit rechtsorientierten Jugendlichen oder jungen Erwachsenen im Kontakt sind - also mit jungen Menschen, die sich der rechtsextremistischen Szene annähern, aber noch nicht fest in ihr verankert sind. Insofern ist VIR ein Konzept der sekundären Extremismusprävention. Insgesamt hat der VIR-Steuerungskreis inzwischen etwa 120 Fachkräfte als Trainerinnen und Trainer ausgebildet und lizensiert. Sie sind damit berechtigt, pädagogische Fachkräfte und andere Interessierte nach dem VIR-Konzept fortzubilden. 316 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 VIR im Überblick Das Fortbildungskonzept VIR ("VeränderungsImpulse setzen bei Rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen") umfasst zehn Bausteine, darunter Übungen zur motivierenden Gesprächsführung, ein Modell, das Veränderungsphasen aufzeigt (Transtheoretisches Modell der Veränderung) und Grundlagen zum Thema Rechtsextremismus (Rechtslage, "Erlebniswelt Rechtsextremismus", Einund Ausstiegsprozesse). Präventionsansatz: Bei VIR-Fortbildungen geht es um die Kommunikation mit Zielgruppen, die skeptisch sind, ob sie ihr Verhalten ändern möchten. Intensive Beratungsprozesse sind daher zunächst aussichtlos. VIR setzt auf Kurzinterventionen wie "Tür und Angel"-Gesprächen oder Kurzberatungen mit einer Dauer von zehn bis 60 Minuten. Typische Situationen sind Pausengespräche in der Schule, Gespräche im Jugendzentrum oder zwischen Strafgefangenen und Beschäftigten in einer Justizvollzugsanstalt. Akteure: Im VIR-Projekt arbeiten staatliche und zivilgesellschaftliche Stellen eng zusammen: Es wird gemeinsam getragen vom Arbeitskreis der Ruhrgebietsstädte gegen rechtsextreme Tendenzen bei Jugendlichen (AK-Ruhr), von der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz NRW und dem Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen (Aussteigerprogramm Spurwechsel). VIR wird fachlich begleitet durch das LWL-Landesjugendamt Westfalen. Die ginko Stiftung für Prävention in Mülheim/Ruhr, an deren Fortbildungskonzept MOVE (Motivierende Kurzintervention) sich VIR anlehnt, hat das Projekt unterstützt. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 317 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 VIR-Ausbildung in Münster Die Ausbildung weiterer Trainerinnen und Trainer fand vom 14. bis 17. Mai 2019 in Münster statt. Teilgenommen haben vor allem Fachkräfte, die in Ausstiegshilfen für Rechtsextremisten, in Fußball-Fanprojekten und in der politischen Bildung arbeiten. VIR-Trainerinnen und -Trainer bringen oft langjährige berufliche Erfahrungen mit, auf denen sie aufbauen können: etwa aus der Jugendhilfe und aus Präventionsund Bildungsprogrammen. Die bisher rund 120 VIR-Trainerinnen und -Trainer sind überwiegend in Nordrhein-Westfalen tätig, darüber hinaus in elf weiteren Bundesländern. Sie haben 2019 unter anderem im Fachbereich Sozialwesen der FH Münster, in Frankfurt/Main, Eisenberg (Thüringen) und Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) eigene VIR-Fortbildungen durchgeführt. Letztere war ein spezielles Qualifizierungsangebot, das die Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW für Kolleginnen und Kollegen anderer Fanprojekte angeboten hat. Reflexionsund Vernetzungstreffen in der ehemaligen "Ordensburg" Vogelsang Das jährliche Reflexionsund Vernetzungstreffen für VIR-Trainerinnen und -Trainer fand am 14. November 2019 auf dem Gelände der ehemaligen nationalsozialistischen "Ordensburg" Vogelsang in der Eifel statt. Solche "Ordensburgen" sollten Schulungsanlagen für künftige Parteiführer der NSDAP werden. Heute sind NS-Täterorte wie Vogelsang in aller Regel auch Bezugspunkte für neonazistische Szenen. Rechtsextremisten verklären sie zu Stätten, die für angebliche Größe, Stärke und Erhabenheit des Nationalsozialismus stehen. Tatsächlich sind sie stets untrennbar mit rassistischen Ideologien und entsprechenden Verbrechen verbunden - "Ordensburgen" wie Vogelsang insbesondere mit einer Erziehung zum vermeintlichen "Herrenmenschen". Die NS-Dokumentation Vogelsang leistet einen wichtigen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit Denken und Handeln des Nationalsozialismus, aber auch zur Aufklärung über heutigen Rechtsextremismus. Zwei Mitarbeiterinnen des Trägers Vogelsang IP (Internationaler Platz) sind auch als VIR-Trainerinnen ausgebildet. Eindrücke, Erfahrungen und Bildungsmethoden in Vogelsang standen im Mittelpunkt des Trainer/ innen-Treffens, bei dem die Inhalte der VIR-Ausbildung auch durch einen Fachvortrag über rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen vertieft wurden. VIR auf Kongressen und Tagungen Kontinuierlich sucht der Steuerungskreis des VIR-Projekts den Austausch mit Wissenschaft und pädagogischer Praxis. So wurde das VIR-Konzept zum Beispiel auf einem Expertenworkshop an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) am 2. April 2019 in Münster vorgestellt, der im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts zur 318 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 sekundären Gewaltprävention stattfand. VIR stand zudem im Mittelpunkt zweier Workshops auf der Jahrestagung Jugendförderung des LWL-Landesjugendamts am 6. November 2019. Im Nachgang eines Projektspots auf dem Deutschen Präventionstag (DPT) am 12. Juni 2018 in Dresden ist im Oktober 2019 ein Aufsatz über Grundlagen des VIR-Projekts in "Gewalt und Radikalität", der Buchdokumentation des DPT, erschienen. Informationen zum Projekt Weitere Informationen zum VIR-Projekt und Kontaktmöglichkeiten zu Trainerinnen und Trainern sind unter www.vir.nrw.de abrufbar. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 319 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Aussteigerprogramme Im Bereich der intervenierenden Prävention betreibt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die drei Aussteigerprogramme Spurwechsel (Rechtsextremismus), API (Islamismus) und left (Linksextremismus). Die Programme richten sich an Personen, die fest in islamistischen, rechtsextremistischen oder linksextremistischen Denkund Aktionsstrukturen verankert sind, dienen der Deradikalisierung dieser Personen und bieten professionelle Unterstützung bei der (Wieder-)Eingliederung in die demokratische Gesellschaft. Die Aussteigerprogramme verfolgen das Ziel, einen möglichst nachhaltigen Ausstieg aus der jeweiligen extremistischen Szene zu erwirken, und begleiten ihre Klienten in der Regel über mehrere Jahre hinweg. Im Wege der Begleitung wird systematisch an ideologischen Einstellungsmustern und an der sozialen Stabilisierung der Betroffenen gearbeitet. Daher gestalten sich Ausstiegsprozesse sehr intensiv und mitunter langwierig. Mithilfe der Aussteigerprogramme sollen ausstiegswillige Personen in die Lage versetzt werden, ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben ohne Extremismus zu führen. Freiwilligkeit und Gesprächsbereitschaft bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und sind somit Voraussetzungen für eine Teilnahme am Programm. Multiprofessionelle Teams In den vergangenen Jahren wurden die Aussteigerprogramme personell verstärkt und ausgeweitet. Zudem konnte mit der Personalverstärkung der Aufbau des neuen Aussteigerprogramms left umgesetzt werden. Die Ausstiegbegleitung erfolgt über ein Team speziell ausgebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Teammitglieder bringen ihr Fachwissen zur jeweiligen extremistischen Szene ein und verfügen über berufliche Vorerfahrungen und Kenntnisse aus den Bereichen Polizei, Verfassungsschutz, Justiz, Islam-, Rechtsund Politikwissenschaft sowie Psychologie, Pädagogik und Soziale Arbeit. Dies schafft eine Grundlage für passgenaue Methoden der Deradikalisierung und der sozialen Stabilisierung. Neben der Einbindung beispielsweise therapeutischer Ansätze, bieten die Aussteigerprogramme auch eigens auf die jeweiligen Extremismen bezogene Anti-Aggressivitätsund AntiGewalt-Trainings sowie eine zielgerichtete Haftbetreuung. 320 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Voraussetzung für eine nachhaltige Distanzierung von der extremistischen Szene ist die kritische Auseinandersetzung mit der extremistischen Vergangenheit und Ideologie. Personen, die sich aus einer extremistischen Szene lösen möchten, sehen sich in der Regel mit vielfältigen Problemlagen konfrontiert. Arbeitslosigkeit, Suchterkrankungen, psychische Belastungen durch traumatisierende Erfahrungen oder die Herausforderung, den Alltag plötzlich alleine bewältigen zu müssen, können Stolpersteine beim Aufbau eines Lebens außerhalb extremistischer Strukturen darstellen. Die Aussteigerprogramme des Verfassungsschutzes NRW leisten daher neben der ideologischen Aufarbeitung auch individuelle Hilfestellungen zur eigenständigen Bewältigung des Alltags und arbeiten so auf einen möglichst nachhaltigen Ausstieg hin. Psychologie und psychische Auffälligkeiten in der Ausstiegsarbeit Psychologie und psychische Krankheiten von Klienten spielen in der Ausstiegsarbeit weiterhin eine große Rolle. Dieser Beobachtung tragen die Aussteigerprogramme durch einen entsprechenden Fokus sowie die Einbindung von Fachexpertise Rechnung. In einigen Fällen liegen bei Ausstiegswilligen psychische Krankheitsbilder vor, insbesondere substanzbezogene Störungen wie Drogenund Alkoholabhängigkeit, Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen, affektive Störungen, Traumafolgestörungen und Angststörungen. In Hinblick hierauf ist Hauptziel der Aussteigerprogramme, Ausstiegswillige bei der Anbindung an entsprechende Hilfesysteme (Entzugsbehandlung, stationäre, teilstationäre oder ambulante psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung) zu unterstützen und so zur allgemeinen Stabilisierung beizutragen. Aussteigerprogramme nutzen den fachlichen Austausch Ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Arbeit der Aussteigerprogramme ist ein breites aktives Netzwerk und ein enger Austausch der beteiligten Akteure, unter anderem aus den Bereichen Justiz und Polizei. Gerade bei der Begleitung von inhaftierten Personen ist diese Zusammenarbeit unerlässlich oder in Fällen, in denen Polizei oder Justiz mit Hinweisen auf mögliche ausstiegswillige Personen an die Aussteigerprogramme herantreten. Bereits in den letzten Jahren erfolgreich praktiziert, richteten die Aussteigerprogramme Spurwechsel, API und erstmalig auch left eigene Arbeitstagungen für den polizeilichen Staatsschutz aus. Die Aussteigerprogramme haben ihre Kontakte in den Justizvollzug weiter ausgebaut und Fortbildungsmaßnahmen des Vollzugs unterstützt. Die Netzwerkarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden bietet oftmals die Basis für eine gezielte aktive Ansprache von potenziell ausstiegswilligen Personen durch Ausstiegsbegleiterinnen und -begleiter. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 321 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Die Netzwerke der Präventionsakteure des Verfassungsschutzes erstrecken sich inzwischen auch auf die internationale Ebene. Nationale Erfahrungsaustausche erfolgen über jährlich stattfindende, mehrtägige Bund-Länder-Arbeitstagungen der staatlichen Aussteigerprogramme, die sich unter anderem mit neuen Entwicklungen in der Deradikalisierungsarbeit, aktuellen Problemstellungen sowie der Weiterentwicklung gemeinsamer Standards für die Ausstiegsarbeit befassen. Darüber hinaus kam es im Jahr 2019 im Bereich Islamismus verstärkt zu Vortragsanfragen aus dem Ausland. So ist das API inzwischen Teil des von der Europäischen Union geförderten Radicalisation Awareness Network (RAN), das den Wissenstransfer europäischer Praktiker auf dem Feld der Deradikalisierungsarbeit fördert. Mitarbeiter des API haben sich auf Konferenzen in Rom, Helsinki und Pristina am Fachdiskurs beteiligt und mit Vorträgen eingebracht. Im November 2019 hat das API auf Bitten der Konrad Adenauer Stiftung Bosnien-Herzegowina zudem auf einer Tagung in Mostar die Arbeit mit Rückkehrern aus jihadistischen Kampfgebieten vorgestellt. Aussteigerprogramme NRW API: www.api.nrw.de Spurwechsel: www.spurwechsel.nrw.de left: www.left.nrw.de Spurwechsel - Aussteigerprogramm Rechtsextremismus Das Aussteigerprogramm Rechtsextremismus des Verfassungsschutzes besteht seit 2001 und trägt seit 2016 den Namen Spurwechsel. Es richtet sich an stark radikalisierte und in die rechtsextremistische Szene fest eingebundene Personen. Bereits seit vielen Jahren verzeichnet Spurwechsel eine hohe Nachfrage durch ausstiegswillige Personen. Bis zum Ende des Jahres 2019 hat Spurwechsel über 190 Menschen bei der Distanzierung von der rechtsextremistischen Szene erfolgreich unterstützt oder diese in andere Hilfesysteme weitervermittelt, da ein anders gelagerter Unterstützungsbedarf bestand. Die Anzahl der gleichzeitig begleiteten Personen konnte auch in 2019 bei durchschnittlich über 50 Personen gehalten werden. Das Programm wird fortlaufend methodisch weiterentwickelt und interne Projektgruppen setzen besondere Themenschwerpunkte. So hat Spurwechsel im Jahr 2019 geeignete Module des "Trainings sozialer Kompetenzen" aktualisiert und modifiziert, um diese für die Einzelarbeit mit Klienten mit besonderen Bedarfen nutzbar zu ma322 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 chen. Darüber hinaus wurde intensiv an der Erarbeitung länderübergreifender Arbeitsstandards für staatliche Ausstiegshilfen mitgewirkt. Dies rührt aus der seit vielen Jahren stattfindenden Bund-Länder-Arbeitstagung der staatlichen Aussteigerprogramme und ermöglicht, die verschiedenen Erfahrungen der Länder zu bündeln und die Arbeit durch eine gemeinsame Linie zu professionalisieren. Spurwechsel verstärkt weiter seine Bemühungen, möglicherweise ausstiegswillige Menschen aktiv anzusprechen. Auf diesem Wege konnten bereits Klienten zu einer Teilnahme am Programm und damit zu einer Abkehr von der Szene bewogen werden. Kontakt zu Spurwechsel kontakt@spurwechsel.nrw.de 0211/ 837 1906 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 323 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 API - Aussteigerprogramm Islamismus Das in 2014 eingerichtete API richtet sich an ausstiegswillige Personen aus der islamistischen Szene, einschließlich des jihadistischen Teils. Bei vielen der API-Klienten handelt es sich daher um Personen, die wegen terroristischer Straftaten inhaftiert waren oder sind, darunter auch eine Vielzahl von Rückkehrern aus jihadistischen Kampfgebieten. Bei knapp 80 Prozent der aktiv bearbeiteten Fälle handelt es sich um sogenannte Gefährder oder relevante Personen. Voraussetzung für eine Teilnahme am Programm ist, dass eine glaubhafte Bereitschaft besteht, sich aus der Szene und von ihrer Ideologie zu lösen. Die Zahl der Kontaktaufnahmen hat sich im Bereich Islamismus seit 2014 vervielfacht. Das API hat sich bis Ende 2019 mit über 180 Personen aus der islamistischen Szene befasst und begleitet ständig zwischen 50 und 60 Personen in ihrem Ausstiegsprozess. Insgesamt 18 Personen davon vermittelte das API an andere Hilfesysteme, da sie einen anders gelagerten Unterstützungsbedarf hatten. Bei 32 aktuellen Begleitungen konnte das API bereits eine deutliche Distanzierung von der extremistischen Ideologie und Szene feststellen. Es ist zu erwarten, dass ein Großteil dieser Fälle Die einfachen Antworten überzeugen Dich nicht mehr? Gib Dir eine neue Chance. Wir helfen Dir raus aus dem Islamismus. us? Du wills11t /8ra371926 Ruf an: 02rw.de www.api.n 324 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 kurzbis mittelfristig positiv abgeschlossen wird. In 15 Fällen ist ein entsprechend positiver Fallabschluss bereits gelungen. In zehn Fällen wurde die Zusammenarbeit abgebrochen, da die Ausstiegsabsichten der Klienten nicht oder nicht ausreichend vorhanden waren. Andere haben die Regularien des Programms mehrfach vehement missachtet - zum Beispiel weiterhin Kontakte in die Szene gepflegt - und konnten daher nicht im Programm verbleiben. Das API hat von Beginn an eine aktive Fallakquise betrieben und viele Extremisten proaktiv kontaktiert und für einen Ausstieg geworben. Dieses Vorgehen führt naturgemäß zu einer höheren "Ausfallquote" als eine primär reaktive Arbeitsweise. Eigeninitiative Kontaktaufnahmen gerade auch inhaftierter Extremisten nehmen zu, was zeigt, dass das API inzwischen von der Zielgruppe angenommen und innerhalb der Szene zunehmend bekannter wird. Um diese Entwicklung weiter zu fördern, wurden Veranstaltungen und Fortbildungen bei potenziellen Multiplikatoren durchgeführt. Die jährlichen Tagungen beispielsweise für den polizeilichen Staatsschutz und die Justiz konnten auch im Jahr 2019 erfolgreich durchgeführt werden und sind auch für das Jahr 2020 in Planung. API im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Seit 2009 findet zum Ansatz der Deradikalisierung ein ressortund behördenübergreifender inhaltlicher Austausch in der bundesweiten Arbeitsgruppe (AG) Deradikalisierung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) statt. Die AG dient als zentrale Austauschund Kooperationsplattform der zuständigen Bundesund Landesbehörden. In der AG werden Trends und Herausforderungen im Bereich der Deradikalisierung islamistisch-radikalisierter Personen thematisiert. Neben dem Landeskriminalamt vertritt das API seit 2018 Nordrhein-Westfalen als Hauptakteur innerhalb der AG. Deradikalisierung von Rückkehrern Aufgrund der verstärkten Rückkehr aus jihadistischen Kampfgebiete wurde in der Ausstiegsarbeit des API im Jahr 2019 ein Schwerpunkt auf die Deradikalisierung von Menschen aus jihadistischen Kampfgebieten gesetzt. Gerade bei diesem Personenkreis wird neben einer engmaschigen Begleitung ein besonderer Fokus auf die systematische Aufarbeitung des Radikalisierungsweges und der Beweggründe für die Ausreise sowie auf eine nachhaltige (Re)-Integration gelegt. Die Ausstiegsbegleitung birgt in diesen Fällen besondere Herausforderungen, insbesondere dann, wenn auch Kinder und Jugendliche betroffen sind und die Einbindung von weiteren Beteiligten und Behörden erforderlich ist. Eine zielführende Zusammenarbeit mit den bestehenden Regelstrukturen wie Jugend-, Sozial-und Schulbehörden, ist in diesen Fällen unerlässlich. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 325 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Der Bund und die Länder verfolgen einen ganzheitlichen, gesamtgesellschaftlichen Ansatz in der Terrorismusbekämpfung. So beteiligte sich das API an der Erstellung der "Leitlinie zum ganzheitlichen Umgang mit Rückkehrern" innerhalb der Bund-LänderArbeitsgruppe "Ganzheitliche Fallbearbeitung im Umgang mit islamistisch radikalisierten Personen in der Praxis" und konnte die Erfahrungen aus der nordrhein-westfälischen staatlichen Ausstiegsarbeit einbringen. Die Umsetzung dieses ganzheitlichen Umgangs mit Rückkehrern wird in Nordrhein-Westfalen zudem durch die bereits eingerichtete Stelle zur Rückkehrkoordination im Präventionsreferat des Verfassungsschutzes NRW unterstützt. Kontakt zum API kontakt@api.nrw.de 0211/ 837 1926 left - Aussteigerprogramm Linksextremismus/auslandsbezogener Linksextremismus Um auch Personen aus dem deutschen und auslandbezogenen Linksextremismus einen nachhaltigen Ausstieg aus der extremistischen Szene zu ermöglichen, hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz das Aussteigerprogramm left ins Leben gerufen. Dabei nimmt der Verfassungsschutz bundesweit eine Vorreiterrolle im Bereich der tertiären Linksextremismusprävention ein. Dabei richtet sich left sowohl an deutsche Linksextremisten (wie die gewaltbereiten Autonomen Szenen), als auch an Linksextremisten mit Auslandsbezug (wie PKK oder DHKP-C). In der Arbeitsmethodik orientiert sich left einerseits daran, alltagstaugliche Hilfestellung zu geben und andererseits die extremistische Vergangenheit und Ideologie aufzuarbeiten. Dabei gilt auch hier in der Ausstiegsbegleitung der Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe". Seit 2018 wurde left in die Infrastruktur der bestehenden Aussteigerprogramme integriert und das erforderliche Personal eingestellt und eingearbeitet. Den Verfassungsschutz erreichten bereits vor dem offiziellen Start von left erste Anfragen und Hinweise aus dem bestehenden Netzwerk (Polizei, Justiz oder Bewährungshilfe) der Aussteigerprogramme zu potenziell ausstiegwilligen Personen. Die Praxiserfahrungen haben gezeigt, dass auch in der linksextremistischen Szene Unterstützungsbedarf beim Ausstieg vorhanden ist. 326 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Schwerpunkte von left für das Jahr 2019 waren vor allem zwei Ziele: Fallakquise und weitere Bekanntmachung des Aussteigerprogramms bei den Netzwerkpartnern. Die erste Arbeitstagung für den polizeilichen Staatsschutz fand im April 2019 im Ministerium des Innern statt. Bis zum Ende 2019 hat sich left bereits mit über 30 Personen beschäftigt, bei denen es Anzeichen eines Ausstiegswillens aus der extremistischen Szene gab. Insgesamt unterstützte left bis zum Ende 2019 bereits 21 Personen in ihrem Ausstiegsprozess. Dabei hat sich die Methode, potenzielle Klienten direkt anzusprechen, bewährt. Mit dem Aussteigerprogramm left hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bundesweit eine Vorreiterrolle in der tertiären Linksextremismusprävention eingenommen. Dass ein großes Interesse an left besteht, zeigen die vielen Anfragen aus anderen Bundesländern, der Wissenschaft und den Medien. Um den Bekanntheitsgrad zu steigern, wird left in 2020 mit einer Kampagne beworben werden. Mit der Werbekampagne soll erreicht werden, dass left einerseits bei der Zielgruppe noch präsenter wird und andererseits die Allgemeinheit über bestehende Ausstiegsangebote aus dem Extremismus informiert wird. Kontakt zu left kontakt@left.nrw.de 0211 / 837 1931 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 327 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Fachtagungen und Kongresse Die fachliche Expertise des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen wurde auch in 2019 auf Fachtagungen, Studientagen und Kongressen eingebracht. Dabei tritt der Verfassungsschutz teilweise selbst als Veranstalter auf oder bringt sich in Form von Messeständen und Vorträgen ein. Dabei bieten vor allem der wechselseitige Dialog und der Austausch zwischen Behörden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einen großen Mehrwert für die Präventionsarbeit. Tagung "Antisemitismus - alter Hass in neuen Formen?" Antisemitismus ist eine wachsende Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland - er ist stets auch ein Angriff auf die demokratische Kultur. Nicht erst der rechtsterroristische Anschlag auf eine Synagoge in Halle/Saale am 9. Oktober 2019 hat dies deutlich gemacht. Antisemitismus erstarkt, weitet seine Formen und Kontexte aus. Vor diesem Hintergrund veranstalteten die Jüdische Gemeinde Düsseldorf, das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen und das Bürgerbündnis "Düsseldorfer Appell" am 23. September 2019 gemeinsam die Fachtagung "Antisemitismus - alter Hass in neuen Formen?" Etwa 170 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus Politik und Verbänden, Sicherheitsbehörden und Bildungspraxis nahmen daran teil. Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, und Innenminister Herbert Reul eröffneten die Tagung. Der WDR-Journalist Jürgen Zurheide führte durch die Veranstaltung. Entwicklungslinien und Erscheinungsformen des Antisemitismus nahm Prof. Dr. Samuel Salzborn von der Technischen Universität Berlin aus Sicht der Forschung in den Blick. An diesen Befunden knüpften Fachreferate des Verfassungsschutzes an: Sie gingen der Ausdifferenzierung antisemitischer Agitation nach und beleuchteten entsprechende Bilder und Texte im Rechtsextremismus, im Islamismus und in bestimmten Teilen des Linksextremismus. Als Leitmotiv stellte sich die zunehmende Bedeutung eines Israel-bezogenen Antisemitismus heraus, der in vielen Fällen auch als eine Art "Umwegkommunikation" des Judenhasses fungiert. Konkrete Erfahrungen der von Rassismus und Antisemitismus Betroffenen standen im Mittelpunkt des Gesprächs mit Sophie Brüss von der Beratungsstelle SABRA der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Drei Workshops vertieften wichtige Aspekte: So nahm der Publizist Dr. Martin Kloke die Kampagne "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" (BDS) und deren anti328 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 semitische Ausrichtung in den Blick. Über Antisemitismus im Sport berichteten Alon Meyer, Präsident des Sportvereins Makkabi Deutschland, gemeinsam mit Patrick Arnold und Nils Ehleben von der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW, während Dr. Bünyamin Werker, Erziehungswissenschaftler an der Universität zu Köln, antisemitische Inhalte im Rap analysierte. In der Schlussdiskussion loteten Michael Szentei-Heise, Volker Neupert (Düsseldorfer Appell) und Burkhard Freier (Leiter Verfassungsschutz NRW) die Ergebnisse und Konsequenzen der Tagung aus. Tagungsreihe "Einstiegsprozesse in den Rechtsextremismus und Islamismus" Intensive Gespräche mit Aussteigern aus dem gewaltbereiten Salafismus und dem Rechtsextremismus standen im Mittelpunkt der Tagung "Einstiegsprozesse in den Rechtsextremismus und Islamismus. Gemeinsamkeiten - Unterschiede - Gegenmodelle" am 19. November 2019 in Bonn. Der Fachtag mit rund 100 Teilnehmenden war die achte Veranstaltung der Tagungsreihe, die die Landeszentrale für politische Bildung und der Verfassungsschutz NRW gemeinsam veranstalten. Zum Programm zählen dabei Fachvorträge, die Annäherungsprozesse an rechtsextremistische und islamistische Szenen beleuchten, sowie ein World Cafe, in dem Einzelaspekte vertieft und Präventionsangebote erläutert werden. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Motiven und Lebensumständen, die zum Einstieg in solche extremistische Szenen führen können. Im Jahr 2020 wurde die Reihe, zum Teil mit modifiziertem Konzept für Führungskräfte der Feuerwehr Düsseldorf, fortgesetzt. Studientag "Sensibilisierung für den Umgang mit (Rechts-)Extremismus in Schule und Unterricht" Am 9. Dezember 2019 fand am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) in Hamm der siebte Thementag "Sensibilisierung für den Umgang mit (Rechts-) Extremismus in Schule und Unterricht" mit diesjährig über 200 Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern statt. Das ZfsL und das Ministerium des Innern NRW veranstalteten den Thementag gemeinsam mit dem Medienzentrum Hamm und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Arnsberg. Zum Programm zählten ein Überblick über Formen und Inhalte der "Erlebniswelt Rechtsextremismus" durch den Verfassungsschutzes NRW sowie Gespräche mit Aussteigern aus dem Rechtsextremismus. Hinzu kamen 14 Workshops, sie boten vielfältige Impulse für die Praxis und reichten vom Workshop über rechtsextremistische Musik bis zu "Anti-Diskriminierung im Fußball". Weitere Workshops stellten Formen der Demokratiebildung anhand von Rap-Musik dar, rückten Methoden zur rassismusund antisemitismuskritischen Bildungsarbeit oder Lieder der Verfolgten des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt. In einem Workshop zum Thema Islamismus berichtete ein Wegweiser-Mitarbeiter aus Dortmund. Wie bei vorangegangenen Studientagen bildete präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 329 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 das Aussteigergespräch, das durch das "Prisma"-Projekt im Verfassungsschutz NRW eingebracht wurde, den Abschluss. 24. Deutscher Präventionstag in Berlin Beim Deutschen Präventionstag im Mai 2019 in Berlin konnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beim diesjährigen Schwerpunktthema "Prävention & Demokratieförderung" seine Präventionsund Ausstiegsarbeit einem breiten Fachpublikum vorzustellen. Dabei bestand großes Interesse vor allem an dem neu eingerichteten Aussteigerprogramms Linksextremismus left. didacta in Köln Mit der didacta fand im Februar in Köln turnusgemäß eine der größten Fachmessen und Weiterbildungsveranstalten im Bildungsbereich in Europa statt. Rund 100.000 Menschen informierten sich bei 915 Ausstellern und in rund 1.400 Veranstaltungen im Kongressprogramm über die neuesten Entwicklungen in der Bildung und Pädagogik. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen präsentierte sich gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und stellte unter anderem das Präventionsprogramm Wegweiser, die Aussteigerprogramme Gemeinsamer Stand des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Spurwechsel, Verfassungsschutzes NRW in Köln API und left sowie die Angebote für Schule und Jugendarbeit zum Thema extremistischer Salafismus vor. 330 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 gamescom Entertainment-Messe in Köln In 2019 war der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen zum dritten Mal mit einem eigenen Standangebot auf der gamescom, der weltweit größte Messe für interaktives Entertainment mit über 373.000 Besuchern, vertreten. Die gamescom ist damit der optimale Veranstaltungsort, um mit Jugendlichen und jungen Menschen ins Gespräch zu kommen und für das Thema Extremismus und seine Gefahren für eine demokratische Gesellschaft zu sensibilisieren. So zeigte die Bildsprache am Messestand charakterisierende Symbole des Rechtsund Linksextremismus sowie des islamistischen Terrorismus. Der Messeauftritt des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes regte in den sozialen Medien zu einer intensiven und ausgewogenen Diskussion an, die auch am Stand vor Ort weitergeführt werden konnte. Die Besucher erwarteten zahlreiche Informationsangebote und Gesprächsmöglichkeiten: So konnte man sein Wissen zum Thema Extremismus in einem Quiz testen, eine interaktive Virtual Reality-Anwendung auf VR-Brillen zum Thema Propaganda und Messestand des Verfassungsschutzes NRW auf der gamescom präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 331 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Virtual Reality beim Verfassungsschutz NRW auf der gamescom in Köln Radikalisierung im extremistischen Salafismus nutzen sowie die ersten Folgen des auf der Messe vorgestellten neuen YouTube-Kanals "Jihadi Fool" sehen. Die Resonanz der Besucher war durchweg positiv und wurde in all seiner Vielfalt angenommen. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz erreichte mit seinem Angebot mehr als 4.000 Personen direkt vor Ort. Jugendkonferenz TINCON in Düsseldorf Die Konferenz TINCON richtet sich an Jugendliche zwischen 13 und 21 Jahren, die das Veranstaltungsprogramm rund um digitale und gesellschaftliche Themen selbst mitgestalten. In Vorträgen, Diskussionen und Workshops geht es dabei zum Beispiel um Technik und Games, Bildung und Wissenschaft, YouTube-Kultur, Code, Musik und Lifestyle oder Politik und Gesellschaft. Erstmalig fand die TINCON im März 2019 neben den Veranstaltungen in Berlin und Hamburg auch in Düsseldorf statt. Rund 450 Jugendliche hatten hier die Gelegenheit, zwischen den Vorträgen und Workshops an den interaktiven Angeboten am Infostand des Verfassungsschutzes teilzunehmen. Ein Virtual Reality-Film behandelte das Thema extremistischer Salafismus und klärte über Propaganda auf, die Islamisten zur Anwerbung von Jugendlichen nutzen. Zusätzlich konnten die Standgäste ihr Wissen zu Demokratie und Extremismus testen. Dabei 332 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 bot sich die Möglichkeit, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes ins Gespräch zu kommen und auch kritische Fragen zu stellen. Mit diesem offenen Standkonzept möchte der Verfassungsschutz die Altersgruppe, die verstärkt online von Extremisten aller Phänomenbereiche angesprochen wird, zeitgemäß über die Gefahren des Extremismus aufklären. Junges Publikum beim Messestand auf der TINCON in Düsseldorf präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 333 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Vorträge und Fortbildungen Vorträge und Fortbildungen Als eine seiner Kernaufgaben sensibilisiert der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Gesellschaft und Politik zu extremistischen Bestrebungen. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informieren in zahlreichen Vortragsund Fortbildungsveranstaltungen. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung über extremistische Bestrebungen. Der Verfassungsschutz zeigt dabei Strategien, Ideologien, Erscheinungsformen und Propaganda des politischen Extremismus auf. Neben dieser allgemeinen Sensibilisierung tragen die Aufklärungsveranstaltungen dazu bei, die Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes wie die Aussteigerprogramme, das Projekt VIR oder Wegweiser vorzustellen. So wird nicht nur ein Problembewusstsein geschaffen, sondern das Publikum kann zugleich direkt erfahren, welche konkreten Hilfsangebote zur Beratung und Unterstützung in Nordrhein-Westfalen bestehen. Der Verfassungsschutz richtet sich mit seinen Sensibilisierungsmaßnahmen nicht nur an den politischen Raum, sondern auch an Einrichtungen der Jugendund Sozialarbeit, an den Justizbereich, an Schulen, an Fortbildungseinrichtungen sowie an die Polizei. Dabei ergeben sich auch neue Zielgruppen, wie im Jahre 2019 der Bereich der Kinderund Jugendpsychiatrie. Darüber hinaus wurden in 2019 über 80 Vorträge zum Wirtschaftsschutz und der Spionageabwehr gehalten. Schwerpunkte Rechtsextremismus und Islamismus Wie in den Vorjahren war das Interesse an Vorträgen und Fortbildungen über Extremismus und Präventionsmaßnahmen in 2019 sehr hoch. So hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bei rund 250 Veranstaltungen mitgewirkt, auf denen rund 10.000 Menschen über Extremismus informiert wurden. Erneut lag der Schwerpunkt dabei auf den Themenfeldern Rechtsextremismus und Islamismus. Aufgrund der Größe des Landes Nordrhein-Westfalen und seiner hohen Bevölkerungszahl richten sich die Aufklärungsund Sensibilisierungsveranstaltungen sehr häufig an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Sie sind jeweils aufgefordert, ihre Erkenntnisse aus den Veranstaltungen weiterzutragen und so für einen hohen Wirkungsgrad zu sorgen. Bei Anfragen durch Schulen konnten in Unterrichtseinheiten oder an Projekttagen den Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über politischen Extremismus und seine Erscheinungsformen vermittelt werden. Auch die jeweiligen Lehrkräfte nutzen dieses neue Wissen oftmals für weitere Unterrichtseinheiten oder in anderen Klassen. 334 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Zivilgesellschaftliche Träger laden Referentinnen und Referenten des Verfassungsschutzes für öffentliche Veranstaltungen ein, so dass interessierte Bürgerinnen und Bürger von der Expertise des Verfassungsschutzes profitieren und sich eigene Fachkräfte weiterbilden können. So haben sich in 2019 die Kooperationsveranstaltungen mit der Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westfalen besonders bewährt. Das Qualifizierungsprojekt "Starke Moscheegemeinden - Starke Jugend: Für Demokratie - Gegen gewaltbereiten Salafismus" für Imame und Multiplikatoren in Moscheegemeinden wurde fortgeführt. Die Veranstaltungsreihen "Einstiegsprozesse in den Rechtsextremismus und Islamismus" und "Vielfältiger Islam und gewaltbereiter Salafismus" informierten unterdessen vor allem pädagogische Fachkräfte und wurden gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Schule und Bildung und dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration durchgeführt oder begleitet. Ebenfalls in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung sowie dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen finden seit mehr als zehn Jahren regelmäßig die Präventionstage "Für Demokratie - gegen Rechtsextremismus" für Schülerinnen und Schüler statt. Da sie insbesondere über sich wandelnde Erscheinungsbilder und Symbolik sowie über rechtsextremistische Musik und rechte Online-Aktivitäten ("Hass per Mausklick") aufklären, werden sie besonders nachgefragt. So fanden im Jahr 2019 15 Präventionstage für Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse statt. Zum Thema Rechtsextremismus gab es im Berichtsjahr insgesamt rund 150 Veranstaltungen. Dabei standen die Methoden und Strategien im Vordergrund, derer sich Rechtsextremisten bedienen, um insbesondere junge Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen ("Erlebniswelt Rechtsextremismus"). Auch rechtsextremistische Agitation gegen geflüchtete Menschen und Antisemitismus wurden besonders beleuchtet. Die meisten Veranstaltungen richteten sich an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Seit vielen Jahren laden insbesondere Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) Referenten des Verfassungsschutzes NRW für Vorträge und Workshops zum Thema Rechtsextremismus ein. Die ZfsL bilden Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter aus. Weitere Schwerpunkte bildeten in jüngster Zeit Vorträge für Universitäten und Fachhochschulen, überwiegend in den Fachbereichen Sozialwissenschaft und Erziehungswissenschaft, sowie für Volkshochschulen. Informationsveranstaltungen zu aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus gab es 2019 erneut für Beschäftigte der Justizvollzugsanstalten und für Polizistinnen und präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 335 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Polizisten im Rahmen ihrer Fortbildung an den Landesämtern für Ausbildung und Fortbildung der Polizei in NRW. Ebenfalls fortgebildet wurden zu diesem Themenkomplex Bedienstete verschiedener Kommunalverwaltungen. Auch im Bereich Islamismus war der Bedarf nach Sensibilisierungen und Vortragsveranstaltungen im Jahr 2019 sehr hoch. Dabei hat sich die gemeinsame Gestaltung von Vorträgen und Fortbildungen durch den Verfassungsschutz und einzelne Wegweiser-Beratungsstellen bewährt, um insbesondere pädagogischem Fachpublikum einen Einblick in die praktische Arbeit der örtlichen Islamismusprävention zu geben. Durch anschauliche verfremdete Beispiele aus der Beratungsund Informationsarbeit konnten die Aufgaben und Lösungsansätze des Wegweiser-Programms veranschaulicht werden. Im Jahr 2019 wirkten Referenten des Verfassungsschutzes erneut an der durch die Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten Fachtagung "Salafismus in deutschen Kommunen" in Siegburg mit und brachten sich mit Vorträgen zu aktuellen Entwicklungen in der salafistischen Szene und Radikalisierungsprozessen ein. Einblicke in die Praxis bot dabei die Vorstellung des Wegweiser-Präventionsprogramms. Die Tagung richtete sich vorwiegend an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sozialverbänden, Behörden, Bildungseinrichtungen und Familienberatungsstellen. Eine Veranstaltung für den Masterstudiengang "Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft" an der Ruhr-Universität Bochum legte ebenfalls den Fokus auf das Wegweiser-Programm und der Umsetzung von Evaluationen in der sekundären Präventionsarbeit Wachsamkeit stärken im Klinikalltag Bei einem Treffen der Hochschullehrer im Fachgebiet Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Heidelberg im Januar 2019 informierte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz über Faktoren und Hintergründe von Hinwendungsprozessen zum Extremismus und stellte das Präventionsprogramm Wegweiser und die Aussteigerprogramme des Innenministeriums vor. Dieser Austausch wurde in anwendungsorientierter Weise in einer Fortbildung für Assistenzärzte und Psychotherapeuten der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der LWL-Universitätsklinik Hamm fortgesetzt. Es wurde in den Veranstaltungen sehr deutlich, wie wichtig eine Verknüpfung der beiden Bereiche Extremismusprävention und Psychotherapie ist. Auf der einen Seite sind einige Aussteiger aus extremistischen Szenen von psychischen Erkrankungen betroffen und die Unterstützung von Therapeuten und Ärzten ist erforderlich. Auf der anderen Seite 336 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 besteht auch im Klinikalltag Bedarf für Beratung und Unterstützung im Umgang mit potenziell radikalisierten Personen. Herausforderung extremistischer Salafismus - Angebote für Schule und Jugendarbeit 2019 Der extremistische Salafismus ist nach wie vor ein Thema, mit dem Lehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit regelmäßig konfrontiert werden. Wie kann man Jugendliche erreichen, mit ihnen ins Gespräch kommen, sie sensibilisieren und schützen? Das Ministerium des Innern stellt in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Schule und Bildung seit 2017 eine Vielzahl von Angeboten bereit, die im Unterricht oder bei der Arbeit mit jungen Menschen genutzt werden können und dabei helfen, Jugendliche über die Gefahren des extremistischen Salafismus aufzuklären. Im Jahr 2019 konnten Schulen und Jugendeinrichtungen folgende Module kostenfrei beim Verfassungsschutz anfordern: > Theaterstück "Dschihad One Way" des Jungen Theaters Hof, > Lesung des Romans "Dschihad Calling" durch den Autor Christian Linker, > fachlich begleiteter Comic-Workshop mit dem Zeichner Peter Schaaff und der Expertin für Kinderund Jugendarbeit Sinem Aslan, > Klassenzimmer-Theaterstück "321 EXIT" des Jungen Theaters Hof, > Workshop "Cool und radikal?! Eine Analyse islamistischer Internetpropaganda" mit Dr. Josephine B. Schmitt, Julian Ernst, Olivia Rutkowski und Petr Frantik von der Universität zu Köln, > Vorführung des Kinofilms "Der Himmel wird warten" mit begleitendem Seminar des Instituts für Kino und Filmkultur in Wiesbaden, > Lehrmaterialien des Vereins ufuq.de in Berlin. Viele Schulen in NRW nutzten dieses Angebot in 2019 bereits zum wiederholten Mal und gaben durchweg positive Rückmeldungen. Durch die unterschiedlichen konzeptionellen Ansätze und Methoden der Modulanbieter gab es sowohl für kleine Gruppen oder Klassen als auch für ganze Jahrgangsstufen passende Angebote. Vielfach wurden präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 337 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 mehrere Module im Rahmen eines Projekttages miteinander kombiniert. Außerdem bestand die Möglichkeit, die lokalen Wegweiser-Beratungsstellen im Rahmen der Voroder Nachbereitung eines Moduls einzubinden. Salafismus-Prävention im Klassenzimmer Islamistische Radikalisierung in Unternehmen Extremismus und Radikalisierung fordern die gesamte Gesellschaft heraus. Da sich diese Herausforderung auch im beruflichen Alltag und in Unternehmen abbildet, sind diese eine wichtige Zielgruppe für Sensibilisierungen durch den Verfassungsschutz. Der Geheimschutztag NRW 2019 bot die Gelegenheit, Sicherheitsbevollmächtigte von Unternehmen zum Themenfeld Islamismus zu informieren und so das Vortragsangebot von Geheimschutz, Spionage und Cybersicherheit zu ergänzen. Neben Informationen über islamistische Ideologien, Jugendkultur und Propaganda wurden Merkmale der Radikalisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermittelt und das Wegweiser-Programm mit seinem anonymen und unabhängigen Beratungsangebot vorgestellt. Diese Sensibilisierung und Information erfuhren im Herbst 2019 auch die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft NRW und die Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e.V.. Beide Institutionen sind Mitglieder der Sicherheitspartnerschaft NRW. 338 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Projekt Prisma - Prävention durch Dialog Im Rahmen des Projekts Prisma bietet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Veranstaltungen mit Aussteigerinnen und Aussteigern aus extremistischen Szenen an. Mit dem Namen Prisma drücken die Projektbeteiligten aus, dass sie - so wie das Prisma einen Lichtstrahl bricht - mit ihrer extremistischen und kriminellen Vergangenheit gebrochen haben. Prisma ist im Bereich der Primärprävention angesiedelt und richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler sowie an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Eine wesentliche Voraussetzung für die Veranstaltung eines Aussteigergesprächs ist die Einbettung in einen didaktischen Kontext, sodass die Eindrücke aus dem Gespräch mit den Teilnehmenden reflektiert und Informationen zur jeweiligen Form des Extremismus ergänzt werden können. Ein Aufsatz zu Zielen, Methoden und Qualitätsstandards von Prisma-Aussteigergesprächen ist 2019 in der Publikation "Frühere Extremisten in der schulischen Präventionsarbeit. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis" des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention (NZK) erschienen und steht auf dessen Website online zur Verfügung. Prisma versteht Aussteigergespräche in erster Linie als ein Element der Aufklärung und Sensibilisierung. Allerdings spricht manches dafür, dass sie auch in der Arbeit mit Personen, die bereits deutliche Bezüge zu Kriminalität und Extremismus haben, wichtige Impulse geben können. So fand im Juni 2019 Pilotveranstaltung mit Strafgefangenen einer Jugendvollzugsanstalt statt. Das Gespräch mit Aussteigern aus dem Rechtsextremismus und dem Islamismus verlief in einer konzentrierten Atmosphäre, es war von persönlichen Beiträgen der Teilnehmenden getragen und ging ohne Pause weit über die vorgesehene Zeit hinaus. Die jugendlichen Strafgefangenen erkannten eigene Verhaltensmuster in den Schilderungen der Aussteiger wieder und nahmen sie als Rollenmodell an, so dass derartige Aussteigergespräche für diese Zielgruppe ein Impuls der Einstellungsund Verhaltensänderung sein können. Weitere Veranstaltungen in Justizvollzugsanstalten sollen folgen. Darüber hinaus berichteten Aussteigerinnen und Aussteiger aus dem Rechtsextremismus, dem Islamismus und dem auslandsbezogenen Extremismus (unter anderem "Graue Wölfe") in rund 50 Veranstaltungen in 2019 von ihren Erfahrungen und stellten sich einem intensiven Dialog mit dem Publikum. Durch die sehr persönlichen Berichte wird ein eindrücklicher Austausch möglich. Sie zeigen besonders deutlich die Gefahren, die von den extremistischen Szenen ausgehen, und geben Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Impulse für die eigene Präventionsarbeit. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 339 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Veröffentlichungen Aufsätze in Fachpublikationen In wissenschaftlichen Sammelbänden und Zeitschriften veröffentlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen regelmäßig Analysen zu speziellen Fragen des Extremismus. Dies fördert den Informationsund Gedankenaustausch zwischen Verfassungsschutz und akademischer Forschung. "Es ist Krieg - aber nur wenige merken es". Mit diesem Titel thematisiert ein Artikel der neonazistischen Zeitschrift "Volk in Bewegung" die Flüchtlingsmigration seit 2015, die in den vergangenen Jahren das wichtigste Thema der rechtsextremistischen Szene war. Ein Aufsatz aus dem Verfassungsschutz NRW mit dem Titel "Rechtsextremistisches Framing von (Un)Sicherheit in Zeiten der 'Flüchtlingskrise'" geht in vier Fallskizzen der Frage nach, welche Deutungsmuster die rechtsextremistische Szene diesbezüglich verbreitet. Der Beitrag beruht auf einem Vortrag auf der 31. Tagung des Interdisziplinären Arbeitskreises Innere Sicherheit zum Thema "Postfaktische Sicherheitspolitik" im Dezember 2017 an der Deutschen Hochschule der Polizei. Den gleichnamigen Band haben Hans-Jürgen Lage und Michaela Wendekamm 2019 herausgegeben. Die rechtsextremistische Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) steht im Mittelpunkt eines Aufsatzes aus dem Verfassungsschutz NRW, der im Oktober 2019 erschien und auf einen Vortrag an der Technischen Universität Chemnitz im November 2018 zurückgeht. Der Beitrag kommt zu dem Ergebnis: "Weniger ihre Inhalte sind also das Spezifische der 'Identitären Bewegung' als das Polit-Marketing - es ist ihr eigentlicher Wesenskern." An dem Ziel, den Mainstream - also die gesellschaftliche Mitte - zu erreichen, richte die IBD ihre politischen Instrumente weitgehend konsequent aus: ihre Diskurse, Erscheinungsbilder und Aktionsformen. Der Aufsatz ist erschienen in dem von Heidrun Friese, Marcus Nolden und Miriam Schreiter herausgegebenen Band "Rassismus im Alltag. Theoretische und empirische Perspektiven nach Chemnitz" im transcript-Verlag (Bielefeld). Darüber hinaus sind 2019 Beiträge aus dem Verfassungsschutz NRW erschienen, die Ziele und Methoden des Prisma-Projekts sowie des VIR-Projekts in den Blick nehmen. Wie trägt das Prisma-Projekt durch Gespräche mit Aussteigern zur Extremismusprävention bei? Welche Fähigkeiten vermittelt das VIR-Konzept, um die Distanzierung 340 präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 vom Rechtsextremismus zu fördern? Fragen wie diese stehen im Mittelpunkt der Aufsätze. Sie sind enthalten in einer Publikation des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention und in der Buchdokumentation des Deutschen Präventionstags 2018. Publikation "Erlebniswelt Rechtsextremismus" Der Band "Erlebniswelt Rechtsextremismus. modern - subversiv - hasserfüllt. Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention", der 2017 in fünfter, aktualisierter Neuauflage erschienen ist, ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen mit jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für Jugendschutz im Internet. Die Publikation umfasst Hintergrundaufsätze, Projektskizzen aus der schulischen und außerschulischen Praxis sowie ein Internetangebot mit Materialien zu jedem Beitrag des Buches. Der Band ist bundesweit für die Fachöffentlichkeit verfügbar, zum Beispiel in den Programmen der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landeszentrale Nordrhein-Westfalen. Bestellmöglichkeiten "Erlebniswelt Rechtsextremismus" Bestellung kostenlos oder gegen eine geringe Bereitstellungspauschale unter anderem über folgende Websites : Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de/shop Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen www.politische-bildung.nrw.de/print/ Geheimschutzbroschüre Um staatliche Verschlusssachen vor der Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen, müssen Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit den gesetzlichen Grundlagen des Geheimund Sabotageschutzes vertraut sein. Zu diesem Zweck hat der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die Broschüre "Geheimund Sabotageschutz - Verhaltensregeln für den Umgang mit sensiblen Informationen" herausgegeben. In kompakter und übersichtlicher Form werden die Grundlagen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes NRW dargestellt. Außerdem erhalten die Leserinnen und Leser unter anderem Informationen zu Auslandsreisen, Methoden der Anbahnung und Werbung ausländischer Nachrichtendienste und dem Thema Social Engineering. Die Broschüre kann kostenlos beim Verfassungsschutz bestellt und auch in größerer Stückzahl bezogen werden. präventIonsarbeIt und aussteIgerprogramme 341 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 342 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Über den Verfassungsschutz InhaltsverzeIchnIs 343 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Über den Verfassungsschutz Verfassungsschutz ist nach dem Grundgesetz eine Aufgabe der Länder und des Bundes. Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen ist das Ministerium des Innern. Dabei nimmt die für den Verfassungsschutz zuständige Abteilung ihre Aufgaben gesondert von der Polizeiorganisation wahr. Die Verfassungsschutzbehörden der einzelnen Bundesländer sind gesetzlich dazu verpflichtet, untereinander und mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu kooperieren, wobei das Bundesamt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene übernimmt. Aufgrund der Gefährdungslage hat die Landesregierung den Verfassungsschutz in 2019 weiter verstärkt. Dies schlug sich im Wesentlichen in der Aufstockung der Sachund Investitionsmittel von rund 14,88 auf rund 18,03 Millionen Euro nieder. Der Verfassungsschutz verfügte in 2019 über insgesamt 517 Stellen. Aufgaben Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten. Dazu gehören insbesondere Aktivitäten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinflussen. Des Weiteren betrifft dies Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Dabei verfolgt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln eine Dreifachstrategie aus Frühwarnung, Früherkennung und Prävention. Als Frühwarnsystem hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen zu identifizieren, deren Ursachen zu analysieren, Entwicklungen zu prognostizieren und Politik, Verwaltung und Gesellschaft darüber zu informieren. Er wirkt ferner daran mit, drohenden politischen und wirtschaftlichen 344 Über den verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Schaden durch illegitime oder illegale Aktivitäten fremder Mächte in Deutschland zu verhindern. Als Früherkennungssystem unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden bei der rechtzeitigen Erkennung von Gefahren, die im Einzelfall aus derartigen Bestrebungen erwachsen; dazu gehört es auch, potenziell Gewalt anwendende extremistische Einzelpersonen zu erkennen. Im Rahmen der Prävention schafft der Verfassungsschutz einerseits durch Aufklärung der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Gefahren des Extremismus, um die Demokratie von innen heraus zu stärken (primäre Prävention). Andererseits bietet er durch gezielte Angebote Schutz vor dem Einstieg in extremistische Szenen (sekundäre Prävention) und unterstützt den Ausstieg aus ihnen (tertiäre Prävention). Diese personenbezogenen Präventionsmaßnahmen werden vor allem durch das Wegweiser-Programm und die Aussteigerprogramme realisiert. Schließlich sensibilisiert der Verfassungsschutz auch die Wirtschaft vor den Gefahren durch Spionage und Sabotage, um so deren Eigenschutzmechanismen zu aktivieren. Die aktuellen Schwerpunkte der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde liegen weiterhin in der Aufklärung und Bekämpfung des Rechtsextremismus und des gewaltorientierten extremistischen Salafismus. Mit den Ereignissen in und um den Hambacher Forst rücken zudem autonome und gewaltorientierte Linksextremisten stärker in den Fokus. Von zunehmender Bedeutung für die nachrichtendienstliche Bearbeitung sind zudem sicherheitsgefährdende Aktivitäten türkischer Organisationen und Cyberangriffe ausländischer Nachrichtendienste. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde sind im Verfassungsschutzgesetz NRW (VSG NRW) definiert. Zugleich ist dort geregelt, durch wen und wie ihr Handeln kontrolliert wird, denn eine rechtliche und politische Kontrolle der Verwaltung sind konstitutive Merkmale des Rechtsstaates. Dies gilt auch für den Verfassungsschutz. Da die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes aufgrund ihrer besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit in der Regel nicht öffentlich im Parlament oder seinen Ausschüssen beraten werden können, gibt es für die Kontrolle besondere Stellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG). Der Landtag Nordrhein-Westfalen bestimmt zu Beginn jeder Wahlperiode die Anzahl der Mitglieder des PKG und wählt diese aus seiner Mitte. Das PKG überwacht umfassend die Tätigkeit Über den verfassungsschutz 345 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 des Verfassungsschutzes. Für die Kontrolle der Telekommunikationsüberwachungsund Finanzermittlungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes bestellt das PKG in jeder Legislaturperiode die sogenannte G 10-Kommission. Diese ist, anstelle eines Richters, auch für die Genehmigung dieser Maßnahmen zuständig. Verarbeitung personenbezogener Daten Zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben dürfen Verfassungsschutzbehörden unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen personenbezogene Daten erheben und verarbeiten. Die Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalens nutzt dazu eigene Dateien sowie das "Nachrichtendienstliche Informationssystem und Wissensnetz" (NADIS WN), auf das die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes gemeinsam Zugriff haben. Erfasst werden insbesondere Daten zu Personen, über die Erkenntnisse im Zusammenhang mit politischem Extremismus vorliegen. Getrennt davon werden Daten gespeichert zu Personen, die wegen ihres Umgangs mit Verschlusssachen oder ihrer Tätigkeit in einem sicherheitsempfindlichen Bereich einer Sicherheitsüberprüfung unterliegen. Die Durchführung solcher Überprüfungen erfolgt mit Zustimmung der Betroffenen und macht rund 90 Prozent aller NADIS-Einträge aus Nordrhein-Westfalen aus. Öffentlichkeitsarbeit Eine informierte, aufgeklärte Öffentlichkeit ist eine Grundvoraussetzung, um die Gesellschaft vor extremistischen Bestrebungen zu schützen. Daher versteht der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen den Leitspruch "Verfassungsschutz durch Aufklärung" als einen wesentlichen Arbeitsauftrag. Damit Bevölkerung, Politik und Medien Anzeichen für Extremismus frühzeitig erkennen können, leistet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz eine intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmittel an. Dazu gehören Vorträge und Tagungen, Broschüren und ein Informationsangebot im Internet. Einen umfassenden Aufklärungsbeitrag, der alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfasst, liefert der jährliche Verfassungsschutzbericht. Die Jahresberichte dienen Behörden und anderen öffentlichen Stellen als Nachschlagewerk zum Extremismus in NRW. Sie werden den Mitgliedern des Landtags zur Unterrichtung über Entwicklungen vorgelegt und auch von der Öffentlichkeit stark nachgefragt. 346 Über den verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Informationen zu aktuellen Schwerpunktthemen finden sich in Berichten und Broschüren, die über die Internetseite des Ministeriums des Innern unter www.im.nrw/verfassungsschutz abrufbar und kostenfrei bestellbar sind. Über den verfassungsschutz 347 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Index Aktionsgruppe Dortmund-West 122 f. Aktionsgruppe Rheinland 125 Kennzeichnung Al-Asraa 225 f. Alliance for Peace and Freedom 88 Strukturen und Organisationen, deren Al-Qaida 212, 215, 225 Verfassungsfeindlichkeit bereits eralternativ, unabhängig, wiesen ist, werden im Folgenden im fortschrittlich (AUF) 166 f. Fettdruck gekennzeichnet. Soweit die ANF 188, 190 Verfassungsfeindlichkeit zwar noch Ansaar Düsseldorf e.V. 221 nicht erwiesen ist, aber hinreichend Ansaar International 13, 221 f. gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte Ansarul Anseer 225 einen Verdacht auf verfassungsfeindAnschlussfähigkeit 180 liche Bestrebungen begründen, werAntibraunkohleprotest 175 den die betroffenen Organisationen in Antigentrifizierung 171 ff. Kursivdruck gesetzt. Antikapitalistische Linke (AKL) 154 f., 158 ff. Beispiel: Partei X, Partei Y Antirepression 171, 179 Antisemitismus 328 f. API - Aussteigerprogramm Islamismus 320 ff. Symbole Applied Scholastics 267 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 159, ...ums Ganze! Kommunistisches 186, 203, 254 f., 286 Bündnis (uG) 173 Arcadi 94, 118 Arcadi-Blog 95 A Arcadi-Magazin 118 Arcadi Musik 129 ADÜTDF 192 f., 197 Arcadi Verlag 129 Advance 265 Arminius Bund 142 Advanced Persistent Threat (APT) 285 Association for Better Living Afrikabrunnen e.V. 222 and Education (ABLE) 267 AKL 154 ff. Atomwaffen Division Aktionsbüro Mittelrhein Deutschland (AWD) 124 (AB Mittelrhein) 125 Aufbruch Leverkusen 91 348 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 aufmüpfig konsequent links 155 D Aussteigerprogramme 320 ff., 326 ff. Automobilarbeiterkonferenz 169 Das Somalische Komitee 221 Autonome Linksextremisten 171 David Miscavige 264 Defend Ruhrpott 114, 116 B Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland Begleitschutz Köln e. V. 69, 73 (NAV-DEM e.V.) 202, 204 Bernhard Falk 224 Demokratisch-kurdisches Besetzung des Gesellschaftszentrum (DKTM) 204 Hambacher Forstes 146, 172, 177 Deradikalisierung 320, 325 Besorgte Bürger Herne 69, 73 Der Flügel 92 ff. Bielefeld Sultan Fatih Genclik Der III. Weg 108 ff., 120, 125 (Sultan-Fatih-Jugend Der Weg zum Glücklichsein Bielefeld - BSFG) 250, 252 (The Way To Happiness) 266 Blck Stone gGmbH 221 Deutsche Kommunistische BlickpunktTV 84 Partei (DKP) 147, 162 f., 165, 169 Blood and Honour-Division Deutsche Muslimische Deutschland 71, 127 f. Gemeinschaft (DMG) 213, 244, 248 f. Blue Springs LTD 222 f. Deutscher Präventionstag 330 Borbecker Jungs 70 Deutsche Stimme 84, 86 Bruderschaft Deutschland 68 ff., 75 f. Devrimci Sol - Dev-Sol 198 Bruderschaft Düsseldorf 70 DHKP-C 187, 198 ff., 326 Bruderschaft Herne 69, 73, 75 Dianetik 266 Bruderschaft Ruhrpott 69, 73 didacta 330 Bülten 193 die Identitäre Bewegung Rheinland 114 Büro 610 284 Die Rechte 71 f., 79, 88, 96 ff, 120 ff., 128, 130 ff, 140 f. C die-rechte.net 96 Die Russlanddeutschen Celebrity Centre Rheinland Konservativen 142 Scientology Kirche e.V. 264 Die Wahre Religion/Lies! 222 Celebrity Centres 265 Division Germania 129 Chris Ares 118, 129 Dokku Umarov 226 Church of Scientology 264 Dortmundecho.org 96, 102 Citizens Commission On Human Rights (CCHR) 266 E Combat 18 (C18) 128, 133 Criminon 266 Einstiegsprozesse 329 Index 349 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Ende Gelände (EG) 176, 181, 183 Furkan Kulturund BildungsEntrismus 155 zentrums e.V. 258 Erbakan Vakfi (Erbakan Furkan Nesli Dergisi 258 Stiftung - EV) 250, 252 Furkan Stiftung für Bildung Erlebniswelt Rechtsextremismus 335 und Dienstleistungen 258 Extremistischer Salafismus 215, 218 FurkanTV 258 ff., 222 ff. Furkan Vakfi (Furkan Stiftung) 258 F G Falun-Gong-Bewegung 284 gamescom 331 Federalnaja sluschba Geheimschutzbetreute Wirtschaft 294 besopasnosti (FSB) 282 Geheimund Sabotageschutz 341 FED-MED NRW 202 Generation Islam 237 ff. Fetullah Gülen 286 Germaniten Partei 135 Firat NEWS Agency (ANF) 188 Glawnoje Raswedywatelnoje First Class Crew - Uprawlenije (GRU) 282 Steeler Jungs (FCC) 68 f. Graue Wölfe 190, 193 Föderalistischen Islamischen Grup Yorum 200, 201 Staat Anatolien (AFID) 241 Föderation der Türkisch-Demokratischen H Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) 58, 192 Halk Okulu 198 Föderation islamischer HAMAS 222, 228 ff., 245 Organisationen in Europa (FIOE) 244 Hammerskins 126, 127 Föderation Kurdischer Vereine in Handlungskonzept gegen Deutschland (YEK-KOM) 203 Rechtsextremismus und Rassismus 306 Foundation for a drug-free world 266 Hawala-Banking 221 Frauenrechte ANS. Justice 221 Helfen in Not (HiN) 222 Freewinds 265 Hizb Allah 213, 232 ff. Freies Netz Süd 108 Hizbullah (Partei Gottes) 254 f. Freiheit und Kompetenz 265 Hizb ut-Tahrir (HuT) 236 ff. Freundeskreis Rhein-Sieg 124 Huttroper Jungs 70 Freundeskreis UN e. V. 142 Freundeskreis Westerwald 124 I Fridays for Future (FfF) 174, 175 Fünf Gifte 284 IAC 252 Furkan-Gemeinschaft 258 ff. ICCB 240, 241 Ideale Org 265, 268 f. 350 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Identitäre Bewegung Deutschland e.V. K (IBD) 73, 76, 93 f., 114 ff., 129, 340 Identitäre Bewegung Rheinland 114 K2 - Linksradikale Gruppe 182 Identitäre Bewegung Westfalen 114 Kalifatsstaat 240 ff. Identitären Aktion Deutschland (IA) 124 Kampf der Nibelungen (KdN) 126, 131 f. Identitäre Bewegung NordKaplan-Verband 240 rhein-Westfalen 114 Kategorie C 70 Identitäre Bewegung Österreich 117 Kendi Dilinden Hizbullah 255 Imam-Mahdi-Zentrum 232 Kommissarische ReichsIman 220 regierung (KRR) 134 Impact 265 Kommission für Verstöße der Psychiatrie Indigenes Volk Germaniten 137 gegen Menschenrechte (KVPM) 266 Interministerielle Arbeitsgruppe Kommunistische Plattform (KPF) 154 "Salafismusprävention als gesamtff., 158, 160 gesellschaftliche Aufgabe" (IMAG) 306 Konföderation der Gesellschaften MesoInternationale Kölsche Mitte 69, 73, 75 potamiens in Deutschland (KON-MED) 202 Internationalen Koordinierung Kongress der kurdisch-demokratischen revolutionärer Parteien und Gesellschaft Kurdistans in Europa Organisationen (ICOR) 169 (KCDK-E) 188, 202 Internationales Pfingstjugendtreffen 168 Kongresses der kurdisch-demokratischen internationalistische liste 168 Gesellschaft in Europa (KCD-E) 204 Interventionistische Linke (IL) 147, 173, Kurdistan-Report 203 176, 180 ff. Islamischer Staat (IS) 12, 16, 41, 212 ff., L 223 ff., 302 Islamische Gemeinschaft in Lagebild Wirtschaftsschutz 6, Deutschland (IGD) 24, 249 274, 279, 288 Islamistische nordkaukasische Landeszentrale für politische Bildung 335 Szene (INS) 226 left 320 ff. Ismail Aga Cemaati (IAC) 250 Lies! 220, 222 Linksextremismusprävention 326 f. J linksjugend ['solid] 154 ff. L. Ron Hubbard (LRH) 264 ff. Jihadi Fool 302 ff. Jihadistischer Salafismus 212, 218 f., 227 M Jugend für Menschenrechte (Youth for Human Rights) 266 Made in China 2025 283, 285 Justiz-Opfer-Hilfe 137 marx21 157 Marxistische Blätter 162 Index 351 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Marxistisch-Leninistische One Belt - One Road 283 Partei Deutschlands (MLPD) 147, 162, Onlineprävention 315 166 ff., 206 Orgs 265 Medienkompetenz 315 Osterholz 178 Mednuce 203 OT-Universe 265 Militanz 148, 151 Military Intelligence Directorate (MID) 283 P Milli Görus-Bewegung 240, 242, 250 ff. Milli Istihbarat Teskilati (MIT) 286 Palästinensische Gemeinschaft in Ministry of Information and Deutschland e.V. (PGD) 228, 231 Security (MOIS) 285 Palestinian Return Center (PRC) 231 Ministry of Public Security (MPS) 284 PKK 39, 58, 186 ff., 202 ff., 255, 326 Ministry of State Security (MSS) 283 Politischer Salafismus 219 Mönchengladbach steht auf 69, 72 ff. Postautonom 183 Muslimbruderschaft (MB) 14, 213, 228, Präventionstag 330, 335 230, 244 ff. Prisma 339 Pro Deutschland 91 N Pro Köln 90 f. Pro NRW 72, 90 f., 123 Narconon 266 Publicatio e.V. 118, 129 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 71, 74, 84 ff., Q 101 ff., 132 Nationale Widerstandsrat Quds Force Brigade (QF) 285 Iran (NWRI) 285 NAV-DEM e. V. 202 R Neonazis 120 ff. Network Systems Department (NSD) 284 realistisch und radikal 155 Newaya Jin (Erlebnisse der Frauen) 203 Realität Islam 237, 238, 239 New Era Publications 265 REBELL 147. 166, 169 N.S. Heute 140 Rechtsextremismusprävention 316, NSU 124 329, 334, 341 NUCE TV 203 Reconquista 140, 141 Reichsbürger und Selbstverwalter 35 f., O 82, 134 ff. Revolutionärer Weg (RW) 166 Oidoxie 129, 131 Revolutionäre VolksbefreiungsÖkologie 175, 179 partei/-Front (DHKP-C) 186, 198 f. Oldschool Society (OSS) 82 Revolution Chemnitz 82 352 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Rojava 159 staatenlos.info 137 RONAHI TV 203 Stark für Herne 69, 75 Rote Fahne Magazin 166 Steeler Jungs 69 f., 73 ff. Rote Hilfe e. V. 171 Sterka Ciwan (Stern der Jugend) 203 Rotfüchse 166 Sturmbrigade 81 Ruhrpott Roulette 116 Sturmwehr 129, 131 Subkulturell geprägte S Rechtsextremisten 126 f. Saadet Partisi (SP) 250 ff. T Sag NEIN zu Drogen, sag JA zum Leben 266 Tauhid Germany 225 Salafismusprävention 307, 312 The Auditor 265 Salafistische Gefangenenhilfe 223 The Way to Happiness 269 Salafistische Hilfsorganisationen 220 TINCON 332 Salafistische Missionierung 220 Trainerinnenund Trainer-Ausbildung 316 Schwesternschaft Deutschland 70 Trotzkismus 157 Scientology Kirche Berlin e.V. (SKB) 268 Turan e.V. 196 Scientology Kirche Türkische Hizbullah (TH) 254 f. Deutschland e.V. (SKD) 268 Scientology Kirche Düsseldorf e.V. 264 U Scientology Network 269 Scientology News 265 Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) 58, 186 Scientology Organisation (SO) 264 ff. f., 190 ff. Selbstverwalter 134 f. Ummashop 221 Serxwebun (Unabhängigkeit) 203 Unabhängige Nachrichten 140, 142 Sicherheitspartnerschaft NRW 274, 279, unsere Zeit (uz) 162 ff. 294 f., 338 Skinhead-Szene 127 V Sleipnir 129 Sluschba wneschnei raswedki (SWR) 282 Verband der islamischen Vereine Smart Violence 129 und Gemeinden e.V. (ICCB) 240 Source 265 Vereinigte Gemeinschaften Sozialistische Deutsche Kurdistans (KCK) 202 Arbeiterjugend (SDAJ) 162 f. Verfassunggebende Sozialistische Linke (SL) 154 f., 157 f. Versammlung (VV) 136 Sozialökologie 15 Vernetzungstreffen 316, 318 Spurwechsel - Aussteigerprogramm VIR 6, 316 Rechtsextremismus 320 ff. Virtual Reality 331 f. Index 353 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Volksgemeinschaft Niederrhein World Institute of Scientology (VGN) 74, 123 Enterprises (WISE) 267 Volksgruppe Germaniten/ WWR-Help e.V. (World Wide Staat Germanitien 137 Resistance-Help e.V.) 222 Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) 186, 202 f. Volksmodjahedin IranOrganisation (MEK) 285 Y VV 136 YEK-KOM 203 f. W Yeni Özgür Politika 203 Yürüyüs 198 Wahhabismus 218 Widerstandsrecht 149, 150 Z Winnti 285 Wir für Deutschland e.V. 75 Zentrum für schulpraktische Wirtschaftsschutz 254, 259, 271 ff. Lehrerausbildung (ZfsL) 309 Wolfsbrigade 81 Ziviler Ungehorsam 148 ff. 354 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Index 355 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 356 Index Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Index 357 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2019 Impressum Herausgeber Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen Friedrichstraße 62-80 40217 Düsseldorf Telefon: 0211/871-01 Telefax: 0211/871-3355 poststelle@im.nrw.de www.im.nrw Redaktion Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Telefon: 0211/871-2821 Telefax: 0211/871-2980 kontakt.verfassungsschutz@im1.nrw.de www.im.nrw/verfassungsschutz Bestellservice bestellung.verfassungsschutz@im1.nrw.de www.im.nrw/publikationen Stand: Juni 2020 Druck: Silber Druck oHG, Niestetal Fotos: picture alliance/dpa, Shutterstock, Pixabay, Polizei NRW, Verfassungsschutz NordrheinWestfalen Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern oder Wahlhelferinnen und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für die Landtags-, Bundestagsund Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Eine Verwendung dieser Druckschrift durch Parteien oder sie unterstützende Organisationen ausschließlich zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder bleibt hiervon unberührt. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministeriums des Innern NordrheinWestfalen zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Der Inhalt dieser Broschüre wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen Friedrichstraße 62 - 80 40217 Düsseldorf Telefon: 0211/871 - 01 Telefax: 0211/871 - 3355 poststelle@im.nrw.de www.im.nrw