Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2013 www.mik.nrw.de Impressum Herausgeber Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 5 40213 Düsseldorf Telefon: 0211/871-01 Telefax: 0211/871-3355 poststelle@mik.nrw.de www.mik.nrw.de Redaktion Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Telefon: 0211/871-2821 Telefax: 0211/871-2980 Kontakt.Verfassungsschutz@mik1.nrw.de www.mik.nrw.de/verfassungsschutz Bestellservice Bestellung.Verfassungsschutz@mik1.nrw.de www.mik.nrw.de/publikationen Stand: 16. Mai 2014 Druck: Silber Druck oHG, Niestetal Fotos: Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Vorwort Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2013 macht deutlich, dass die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen im Berichtsjahr insbesondere durch zwei extremistische Bestrebungen gekennzeichnet war. Der gewaltbereite Salafismus ist die am schnellsten wachsende extremistische Bestrebung in unserem Land. Die zunehmende Radikalisierung eines Teils der Anhängerschaft gibt Anlass zur Besorgnis. Zum anderen gibt es weiterhin einen harten Kern von Rechtsextremisten, deren Mitglieder auch im Berichtsjahr durch gezielte Aktionen versucht haben, den Rechtsstaat sowie politisch Andersdenkende zu provozieren. Gewaltbereiter Salafismus: Doppelstrategie von Überwachung und Prävention Die Situation im vom Bürgerkrieg gezeichneten Syrien und auch die aktuellen Entwicklungen im Irak werden von der gewaltbereiten salafistischen Szene dazu missbraucht, um insbesondere labile Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, die in ihrer Orientierungsphase leicht zu beeinflussen sind, zu emotionalisieren und dazu zu verleiten, in die Bürgerkriegsregionen auszureisen und sich aktiv auf Seiten der islamistischen Gruppen am Kampf zu beteiligen. Junge Männer sind die Hauptzielgruppe der Aktivitäten und Propaganda der salafistischen Szene. Aber auch junge Frauen werden angesprochen oder lassen sich durch einseitige Informationen in sozialen Netzwerken blenden. 1 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden haben vor dem Hintergrund, dass Personen aus den Bürgerkriegsgebieten zurückkehren, die möglicherweise ideologisch weiter radikalisiert, im Umgang mit Waffen geschult und durch ihre Erlebnisse verroht sind, die Beobachtung der salafistischen Szene nochmals verstärkt. Die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mittel werden konsequent ausgenutzt. In jedem Fall mit verwertbaren Erkenntnissen werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet oder bereits im Vorfeld die rechtlichen Möglichkeiten genutzt, um geplante Ausreisen in das syrische Bürgerkriegsgebiet zu verhindern. Gleichzeitig setzen wir aber auch auf mehr Prävention: Im Berichtsjahr ist die Zahl der Anhänger des gewaltbereiten Salafismus auf rund 1.500 Personen gestiegen. Wie in anderen EU-Staaten und Bundesländern ist auch in NRW die Tendenz weiter steigend. Deshalb wollen wir insbesondere die jungen Menschen stärker sensibilisieren und durch Aufklärung den Einstieg in die Szene verhindern. Dazu hat das Land gemeinsam mit Kooperationspartnern in Bochum, Bonn und Düsseldorf das Präventionsprogramm "Wegweiser" initiiert. "Wegweiser" bietet kompetente Beratung und konkrete Hilfen im Alltag für Jugendliche und junge Erwachsene sowie für deren Umfeld. Denn die Bekämpfung des Salafismus muss bei den Ursachen ansetzen und ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Weitere Anlaufstellen von "Wegweiser" sollen in NRW folgen. Konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextremismus In der Bekämpfung des Rechtsextremismus lassen wir nicht nach. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus stellt einen Schwerpunkt der Politik der Landesregierung dar. Sie hat insbesondere durch ein 8-Punkte-Programm den Kampf gegen den Rechtsextremismus verschärft. Die Sicherheitsbehörden gehen gegen rechtsextremistische Aktivitäten und Strukturen im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten konsequent vor. Diesbezüglich stimmen sich die staatlichen Sicherheitsbehörden auch mit den betroffenen Kommunen eng ab. Durch die Kameradschaftsverbote und die Einleitung von Strafverfahren gegen Mitglieder der rechtsextremen Szene wurde die Mobilisierungsfähigkeit deutlich geschwächt. Aktionen und Propaganda der rechtsextremistischen Parteien sind nicht nur in Wahljahren geprägt von Fremdenfeindlichkeit und Diffamierung von Minderheiten. Dabei eint die rechtsextremistischen Parteien NPD, 'Die Rechte' und 'pro NRW' der Wille zur gezielten Provokation. 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ein wichtiges Signal ist daher das Zurückweisen der Klage von 'pro NRW' gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen durch das Oberverwaltungsgericht Münster im Februar 2014. Damit wurde die Einschätzung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes bestätigt, dass die pro-Bewegung rechtsextremistisch ist. In unterschiedliche Richtungen haben sich die beiden rechtsextremen Parteien NPD und 'Die Rechte' im Berichtsjahr entwickelt: Immer deutlicher wird, dass das laufende Verbotsverfahren die NPD schwächt. Sie verliert nicht nur Mitglieder, sondern hatte auch große Schwierigkeiten, genügend Personen zu finden, die bei den zurückliegenden Wahlen für die Partei kandidieren. Dennoch darf niemand die Gefahren, die von der NPD ausgehen, verharmlosen. Das vom Bundesrat im Dezember 2013 eingeleitete Verbotsverfahren ist richtig und wird von NRW unterstützt. Wir müssen denjenigen Kräften entschlossen entgegentreten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land gefährden und geistige Brandstiftung betreiben. Im Gegensatz dazu erweist sich die Partei 'Die Rechte' zunehmend als Auffangbecken der neonazistischen Szene und für die Mitglieder der verbotenen Kameradschaften. Unter dem Schutzschirm des Parteienprivilegs setzt ein Teil der Neonazis aus Dortmund, Hamm und Aachen seine Aktivitäten fort. Entsprechend ihrer demokratiefeindlichen Ideologie und dem aktionsorientierten Habitus ihrer Mitglieder lehnt die Partei die Teilnahme an der parlamentarischen Demokratie an sich ab, wenngleich sie sich aus taktischen und strategischen Gründen auch an Wahlen beteiligt. Wir bleiben auch hier konsequent und beobachten intensiv den Landesverband sowie die Kreisverbände und dokumentieren deren Aktivitäten, um daraus Konsequenzen ziehen zu können. Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat sich neu aufgestellt Nordrhein-Westfalen hat 2013 als erstes Bundesland Konsequenzen aus dem bekannt gewordenen grausamen Terror des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU) gezogen und den Verfassungsschutz neu ausgerichtet. Neben weitreichenden organisatorischen Maßnahmen wurden mit dem "Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen" die Forderungen und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages und der von der Innenministerkonferenz eingesetzten Kommission "Rechtsterrorismus" umgesetzt. 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Der Verfassungsschutz liefert einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit. Die Menschen brauchen Gewissheit: Der Verfassungsschutz ist das Frühwarnsystem zum Schutz unserer Demokratie. Damit er Wirkung entfalten kann, ist seine gesellschaftliche Akzeptanz notwendig. Deshalb setzen wir vor allem auf Transparenz, mehr parlamentarische Kontrolle und eine intensivere Aufklärung der Öffentlichkeit. In dem neuen Verfassungsschutzgesetz finden sich auch genaue Vorgaben für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie z.B. Vertrauenspersonen in der Szene. Damit ist das im Frühsommer 2013 vom Landtag verabschiedete Gesetz zu einer Blaupause für andere Länder und den Bund geworden. Ralf Jäger, MdL Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklungstendenzen .............................................................................13 1.1 Der 'Nationalsozialistische Untergrund' und die Konsequenzen für den Verfassungsschutz - Neuausrichtung und umfassende Novelle des Verfassungsschutzgesetzes NRW .........................................................13 1.2 Rechtsextremismus ......................................................................................16 1.3 Linksextremismus .........................................................................................20 1.4 Ausländerextremismus .................................................................................24 1.5 Islamismus ....................................................................................................25 2 Extremismus in Zahlen...............................................................................29 2.1 Betrachtung der Gesamtentwicklung ............................................................29 2.1.1 Gewaltdelikte der Politisch motivierten Kriminalität ......................................30 2.1.2 Propagandadelikte ........................................................................................30 2.1.3 Auswirkungen des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2013 .........................30 2.2 Entwicklung der Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität .................................................................................31 2.2.1 Politisch motivierte Kriminalität-Rechts .........................................................33 2.2.2 Politisch motivierte Kriminalität-Links............................................................36 2.2.3 Politisch motivierte Ausländerkriminalität ......................................................38 2.2.4 Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus ......................................39 2.3 Mitgliederpotenzial in Nordrhein-Westfalen ..................................................41 3 Rechtsextremismus ....................................................................................43 3.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus ..................................................43 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 3.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) .....................................43 3.1.2 Bürgerbewegung pro Köln e.V. und Bürgerbewegung pro NRW ..................72 3.1.3 Die Rechte ..................................................................................................117 3.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus ......................................................158 3.2.1 Neonazis .....................................................................................................158 3.2.2 Rechtsextremistische Skinheads ................................................................166 3.3 Rechtsextremistische Musik-Szene ............................................................170 3.4 Rechtsextremismus im Internet ..................................................................181 4 Linksextremismus ....................................................................................185 4.1 Parlamentsorientierter Linksextremismus ...................................................185 4.1.1 Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*' ..........................................185 4.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ...................................................198 4.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .............................206 4.2 Aktionsorientierter Linksextremismus .........................................................216 5 Ausländerextremismus ............................................................................231 5.1 Türkische Organisationen ...........................................................................232 5.1.1 Ülkücü-Bewegung* .....................................................................................232 5.1.2 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.* ....................................................................................235 5.1.3 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C)...............................237 5.1.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen ................................242 5.2 Tamilische Befreiungstiger ..........................................................................251 6 Islamismus ................................................................................................257 6.1 Islamistisch motivierter transnationaler Terrorismus ...................................259 6.1.1 Al-Qaida und von ihr inspirierte jihadistische Gruppierungen .....................259 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 6.1.2 Jihadistische und politische 'salafistische Bestrebungen' in Nordrhein-Westfalen ...................................................................................262 6.1.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) ...................................................283 6.1.4 Islamische Jihad Union (IJU) ......................................................................284 6.2 Islamistisch motivierter Terrorismus mit regionaler Ausrichtung .................285 6.2.1 Islamistische kurdische Netzwerke/Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) ..........................................................................................................285 6.2.2 Nordkaukasische Separatisten-Bewegung (NKSB), vormals: Tschetschenische Republik Ichkeriya/Tschetschenische Separatistenbewegung ...............................................................................286 6.2.3 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) ..............................................................................287 6.2.4 Hizb Allah (Partei Gottes)............................................................................289 6.3 Gewalt befürwortende islamistische Organisationen ..................................292 6.3.1 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) ....................................292 6.3.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) ......................................................................295 6.3.3 Türkische Hizbullah.....................................................................................297 6.4 Legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Organisationen ...........299 6.4.1 Muslimbruderschaft (MB) ............................................................................299 6.4.2 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG).............................................302 7 Scientology Organisation (SO) ................................................................311 8 Spionageabwehr .......................................................................................317 8.1 Erkenntnisse über nachrichtendienstliche Aktivitäten .................................317 8.1.1 Volksrepublik China ....................................................................................317 8.1.2 Russische Föderation ................................................................................319 8.1.3 Islamische Republik Iran .............................................................................321 8.1.4 Berichterstattung in den Medien über nachrichtendienstliche Aktivitäten der USA und Großbritanniens ...................................................321 8.2 Abwehr von Wirtschaftsspionage................................................................323 8.3 Aufklärung und Abwehr von Proliferation ....................................................329 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 9 Prävention, Aussteigerprogramme .........................................................333 10 Über den Verfassungsschutz...................................................................343 10.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal ..................................................343 10.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit ......................344 11 Stichwortverzeichnis ................................................................................349 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Vorbemerkung Dieser Verfassungsschutzbericht umfasst das Jahr 2013; zeitlich danach liegende Vorfälle und Entwicklungen sind punktuell angesprochen worden, wenn sie von größerer Bedeutung sind. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Nordrhein-Westfalens wurden aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichtes erforderlich sind. Ergänzende Informationen finden Sie im Internet unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz. Grundlagen und Zielsetzung des Verfassungsschutzes Aufgabe des Verfassungsschutzes gemäß SS 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) ist es, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten, die Bestrebungen oder Tätigkeiten betreffen, : die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder : darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinflussen, oder : die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder : die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder : die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht darstellen. Die Verfassungsschutzbehörde sammelt hierzu die für sie relevanten Informationen und wertet sie aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegeben sind oder zumindest gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen1. Weder eine konkrete Gefahr noch eine begangene Straftat sind notwendig, um ihr Tätigwerden zu legitimieren. Es ist nicht Voraussetzung für die Berichterstattung in den Jahresberichten, dass sich die Verdachtsmomente bis zur Einschätzung einer Bestrebung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Der Verfassungsschutz arbeitet zum Schutz der Verfassung und des Gemeinwesens im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten. Er hat bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags im Wesentlichen Organisationen und Strukturen im Blick. 1 Diesen Fall kennzeichnen wir im Bericht mit einem * hinter dem Organisationsnamen. 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bei einer "Bestrebung" handelt es sich nach SS 3 Abs. 3 VSG NRW um politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der gegen die in SS 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter gerichtet ist. Ein "Personenzusammenschluss" setzt mehrere Personen voraus, die gemeinsam handeln. Einzelpersonen stehen nicht unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes, es sei denn, ihr Verhalten ist auf die Anwendung von Gewalt gerichtet oder von ihnen geht eine erhebliche Gefahr für eines der Schutzgüter des Verfassungsschutzgesetzes aus. Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Im Zentrum steht der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - also der nicht zur Disposition stehende Kern des Grundgesetzes (SS 3 Abs. 4 VSG NRW). Hierzu zählen: : Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; : die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; : das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; : die Ablösbarkeit der Regierung und deren Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; : die Unabhängigkeit der Gerichte; : der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und : die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Auswärtige Belange der Bundesrepublik und Völkerverständigung Daneben beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen, "die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden". Hier geht es beispielsweise um gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus Gewaltaktionen vorbereiten, um eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Ausland, insbesondere in ihren Heimatländern herbeizu10 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 führen und die dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Auch Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, gehören zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW). Der Verfassungsschutz beobachtet international operierende Gruppierungen, die beispielsweise darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. In diesem Fall sind die Angriffe nicht auf die staatliche Ordnung oder die Grenzen eines einzelnen anderen Landes gerichtet, sondern gegen bestimmte (Volks) Gruppen in den betreffenden Staaten. Gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind damit auch Gruppierungen, die die - notfalls gewaltsame - Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete propagieren. Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Bei seiner Tätigkeit stützt sich der Verfassungsschutz in großem Umfang auf offenes Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Radiound Fernsehberichte, Interviews und Parteiprogramme. Sensible Informationen aus geschlossenen Zirkeln werden hingegen häufig mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen. Es werden Vertrauenspersonen (V-Personen) eingesetzt, Zielpersonen observiert. In besonders gravierenden Einzelfällen erfolgt eine Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zur Aufklärung konspirativ arbeitender verfassungsfeindlicher Organisationen notwendig. Die Beschaffung von Informationen durch den Verfassungsschutz unterliegt der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Landtags NRW und bei bestimmten, die Kommunikation oder die Finanzierung von Bestrebungen betreffenden Maßnahmen der Kontrolle durch eine unabhängige Kommission (G 10-Kommission). Typischerweise geben sich extremistische Organisationen in ihren Programmen und öffentlichen Auftritten gemäßigt, um ihre Akzeptanz und ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen. Klartext wird häufig nur in den inneren Zirkeln und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geredet. Darüber muss der Verfassungsschutz verlässliche Informationen erlangen, wenn er sich ein realistisches Bild von den Zielen und den Methoden derartiger Organisationen verschaffen und seinen Auftrag zur Beratung der Politik und Aufklärung der Öffentlichkeit erfüllen will. 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 12 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 1 Entwicklungstendenzen 1.1 Der 'Nationalsozialistische Untergrund' und die Konsequenzen für den Verfassungsschutz - Neuausrichtung und umfassende Novelle des Verfassungsschutzgesetzes NRW Die Mordserie des 'Nationalsozialistischen Untergrundes' (NSU) ist jahrelang nicht aufgeklärt worden. Gravierende Ermittlungsfehler haben zu Konsequenzen für die zukünftige Arbeit der Sicherheitsund damit auch für die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern geführt. Ein "Weiter so" konnte es für den Verfassungsschutz NRW nicht geben. Empfehlungen zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes Die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden sind vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der Bund-Länder Kommission "Rechtsterrorismus" sowie der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) aufgearbeitet worden. Dabei wurden auch Forderungen und Empfehlungen zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes formuliert. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages stellt insgesamt 47 Forderungen und Empfehlungen an Polizei, Justiz und Verfassungsschutz auf, von denen 16 die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder betreffen. Der Verfassungsschutz NRW wird zwar nur am Rande erwähnt, gleichwohl war das Bekanntwerden der Verbrechen des NSU von Beginn an Anlass für eine kritische Überprüfung seiner Arbeit und seiner Strukturen mit dem Ziel einer realen Neuausrichtung. Die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) hat auf ihrer Sitzung am 6. und 7. Dezember 2012 Ziele und Maßnahmen zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes beschlossen, insbesondere : die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, : die Verbesserung der Zusammenarbeit aller Verfassungsschutzbehörden im Verfassungsschutzverbund, mit den Polizeibehörden sowie die stärkere Wahrnehmung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz, EntwicklungstEndEnzEn 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : einheitliche Regelungen und Standards für Einsatz und Führung von Vertrauenspersonen. Inzwischen sind für den Verfassungsschutz in NRW die Forderungen und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, der Innenministerkonferenz sowie der von der Innenministerkonferenz eingesetzten Bund-LänderKommission Rechtsterrorismus nahezu vollständig umgesetzt. Bei der Umsetzung bestand allgemeiner Konsens - sowohl von Seiten der Exekutive als auch von Seiten des nordrhein-westfälischen Landtags -, dass eine wehrhafte Demokratie einen leistungsfähigen und transparenten Verfassungsschutz braucht. Ziel der Neuausrichtung war und ist ein in der Mitte der Gesellschaft verankerter Verfassungsschutz, dessen demokratisches Selbstverständnis geprägt ist von Rechtsstaatlichkeit und Kooperation. Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes NRW Die zentralen Punkte der Reform wurden in Nordrhein-Westfalen bereits durch das Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen vom 21. Juni 2013 umgesetzt. Die wesentlichen Neuerungen sind: : Bessere Kontrollmöglichkeiten des Landtags Das Gesetz stärkt die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes. Denn nur eine wirksame Kontrolle schafft Transparenz und Vertrauen in die Arbeit des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz ist zu einem strukturierten Berichtswesen gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium verpflichtet. Er hat dem Gremium über seine bereits bestehende Unterrichtungsverpflichtung hinaus regelmäßig über Vorgänge und operative Maßnahmen von besonderer Bedeutung sowie über den Einsatz von Personen zur Informationsgewinnung zu berichten. Es besteht eine Bringschuld des Verfassungsschutzes. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist vor dem Erlass der Dienstanweisung zur Führung von Vertrauenspersonen zu hören. : Klare Regeln für die Arbeit von Vertrauenspersonen Das Gesetz grenzt den Einsatz von Vertrauenspersonen durch klare Regeln ein. Erstmals wird ausdrücklich gesetzlich normiert, unter welchen Voraussetzungen eine Person zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden darf, wann die Zusammenarbeit zu beenden ist und wann die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten sind. 14 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Abschließender Katalog der 15 nachrichtendienstlichen Befugnisse des Verfassungsschutzes Alle nachrichtendienstlichen Mittel, die der Verfassungsschutz NRW einsetzen darf, sind abschließend aufgezählt. Konkreter gefasst wurden vor allem die Befugnisse zum Einsatz technischer Hilfsmittel. Die Befugnis zur Wohnraumüberwachung wurde gestrichen. : Konzentration auf den gewaltbereiten Extremismus beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel Der Verfassungsschutz setzt seinen Schwerpunkt beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nunmehr auf die Beobachtung von verfassungsfeindlichen gewaltorientierten Bestrebungen. Von diesen gehen die größten Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Hierauf muss der Verfassungsschutz seine Ressourcen vorrangig konzentrieren. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz ist zugleich zu einem intensiven Informationsaustausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz verpflichtet. : Wahrnehmung der Rolle als gesellschaftliches Frühwarnsystem auch durch Präventionsmaßnahmen Der Verfassungsschutz nimmt seine Rolle als gesellschaftliches Frühwarnsystem wahr, indem er über Gefahren aufklärt, die von verfassungsfeindlichen Bestrebungen ausgehen. Er tritt solchen Bestrebungen durch Angebote zur Information an die Bevölkerung und durch Unterstützung von Ausstiegswilligen aus der extremistischen Szene entgegen. Aussteiger und Aussteigerinnen sollen wieder Fuß in der demokratischen Gesellschaft fassen können. Interne Umstrukturierung des Verfassungsschutzes NRW Durch ein Bündel von Maßnahmen ist im Berichtsjahr auch eine grundlegende Umstrukturierung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes erfolgt. Auf der Grundlage der Vorschläge eines externen Sachverständigen sind die Strukturen und Abläufe vor allem im Bereich der Informationsbeschaffung und -verarbeitung neu geordnet worden. Parallel wurden die Aufbauorganisation des Verfassungsschutzes und die Aufgabenzuordnung in wesentlichen Punkten neu geordnet. Dies betraf vor allem die EntwicklungstEndEnzEn 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Zusammenlegung von Auswertung und Beschaffung im jeweiligen Phänomenbereich, : Gründung eines eigenständiges Schwerpunktreferates "Auswertung und Beschaffung Rechtsextremismus und -terrorismus", : Stärkung der Prävention und des Aussteigerprogrammes Rechtsextremismus und des an Salafisten gerichteten Präventionsprogrammes "Wegweiser" durch die Bildung eines eigenen Referats, : Verstärkung der Internetauswertung. Fazit und Ausblick Mit den Neuerungen stellt sich der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen den Anforderungen an einen modernen und transparenten Verfassungsschutz. Die internen Arbeitsabläufe wurden optimiert. Die Zusammenarbeit mit den übrigen Sicherheitsbehörden wurde sowohl auf Landeswie auch auf Bundesebene intensiviert. Auf neue Entwicklungen in den verschiedenen Phänomenbereichen kann schneller und effektiver reagiert werden. Ein ernsthaftes Bemühen um eine wirkliche Neuausrichtung des Verfassungsschutzes heißt aber auch, dass dieses ein ständiges Thema bleiben muss und die Arbeitsweise und die Strukturen des Verfassungsschutzes regelmäßig auf dem Prüfstand stehen. 1.2 Rechtsextremismus2 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) Die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) setzt auch unter dem Eindruck des eingeleiteten Verbotsverfahrens ihre rechtsextremistischen politischen Aktivitäten fort. Diese sind geprägt durch Demokratiefeindschaft, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. In NRW 2 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 16 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 setzt sie zudem stark auf eine Kampagne gegen Asylanten sowie gegen Sinti und Roma, mit der Migranten pauschal als kriminell diffamiert und herabgesetzt werden. Insbesondere im Bundestagswahlkampf schürte sie Ängste vor kriminellen Ausländern und dem Islam. Gerade auch Muslime sind seit Jahren Opfer der NPD-Hetzpropaganda. Mit ihren Kampagnen erzielte die NPD lediglich eine geringe Resonanz. Auf Bundesebene erreichte die NPD bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 ein Ergebnis von 1,3% (-0,2% gegenüber 2009) der Zweitstimmen und kam damit noch in den Genuss der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung. In NRW konnte die NPD ihr Ergebnis - trotz konkurrierender Wahlantritte von 'pro Deutschland' und der Partei 'Die Rechte' - sogar leicht verbessern. Bei den Zweitstimmen erzielte sie 1,0% (+0,1%) = absolut 94.270 Zweitstimmen. Zumindest auf Bundesebene kann man bei rund 635.000 Erstund ca. 560.000 Zweitwählerstimmen nicht von einer Marginalisierung der NPD sprechen. Am 23. Dezember 2013 trat der Parteivorsitzende Holger Apfel von seinem Amt zurück und aus der Partei aus. Während Apfel für diesen Schritt persönliche Gründe angab, wurden innerparteilich gegen seine Person Vorwürfe eines ungebührlichen Verhaltens während des Bundestagswahlkampfes erhoben. Dieser radikale Bruch traf die Partei unerwartet. Noch auf dem NPD-Bundesparteitag, der bezeichnenderweise am Geburtstag Adolfs Hitlers am 20. April 2013 in Weinheim stattfand, hatten die Delegierten Holger Apfel trotz anhaltender Kritik an der finanziellen Lage der Partei und einer schwindenden Mitgliederzahl wieder zum Parteivorsitzenden gewählt. Zum kommissarischen Nachfolger wurde Udo Pastörs ernannt. Dieser war seit langem der schärfste innerparteiliche Rivale des bisherigen Parteivorsitzenden und hatte nur darauf gewartet, diesen abzulösen. Apfels Kurs der "seriösen Radikalität" war von Anfang an innerparteilich umstritten und führte zu dauerhaften Spannungen mit der NeonaziSzene, auf deren Unterstützung die Partei - auch in NRW - dringend angewiesen ist. In NRW zeichnet sich im Berichtsjahr eine weitere Erosion des Landesverbandes der NPD ab, der durch Übertritte von Funktionären sowie aktiven und jüngeren Mitgliedern zur Partei 'Die Rechte' forciert wird. Bei den Wahlen im Jahr 2014 muss sich die NPD in NRW gleich gegen mehrere rechtsextremistische Parteien behaupten. Allerdings könnte es der NPD unter für sie günstigen Rahmenbedingungen in einigen Kommunen gelingen, örtlich begrenze Wahlerfolge zu erzielen. Bei einer anhalten Abwanderung gerade der jüngeren und aktionsorientierten Parteimitglieder steht die NPD vor einem Rückfall in die Ära vor der Amtsübernahme von Udo Voigt. Diese war gekennzeichnet durch einen überalterten Mitgliederbestand und eine Stigmatisierung EntwicklungstEndEnzEn 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der NPD als rechtsextremistische Splitterpartei mit Wahlergebnissen auf Bundesebene von deutlich unter 1%. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' setzen ihre pauschale Herabsetzung und Diffamierung von Minderheiten als Schwerpunkt ihrer Politik fort. Dies gilt insbesondere für Muslime, die als Bedrohung oder nicht integrierbar dargestellt werden. Vor allem mit lokalen Kampagnen gegen Moscheebauten schürt die pro-Bewegung Ressentiments und Ängste. Im Jahr 2013 agitierte sie auch verstärkt gegen Asylbewerber. Dazu führte sie zahlreiche Kundgebungen vor Asylbewerberheimen durch und verbreitete in ihrer Kampagne fremdenfeindliche Vorurteile. Im Laufe des Jahres intensivierte 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' ihre antiziganistische Kampagne. Der Zuzug in einigen Kommunen nahm die pro-Bewegung zum Anlass, die Gruppe der Sinti und Roma pauschal abwertend, insbesondere aber auch als kriminell darzustellen. Sämtliche Kampagnen gegen Minderheiten der pro-Bewegung folgten dem Muster, lokale Konflikte aufzugreifen, zu dramatisieren und fremdenfeindlich zuzuspitzen. Statt nach konstruktiven Lösungen zu suchen, stellten 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' die jeweiligen Minderheiten als Sündenböcke dar und delegitimierten ihre Grundrechte. Die pro-Bewegung versucht eine breite Öffentlichkeit anzusprechen und stellt sich daher im Gegensatz zu anderen rechtsextremistischen Parteien in NRW als bürgerlich dar. Gleichwohl entspricht ihre Propaganda zum Teil wortgleich der der NPD und der Partei 'Die Rechte'. So wurde der diffamierende Slogan "Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma" von allen drei rechtsextremistischen Parteien benutzt. Nachdem die Sicherheitsbehörden im März 2013 einen Anschlagsversuch von Islamisten auf den Vorsitzenden von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' frühzeitig vereiteln konnten, reduzierte die pro-Bewegung die Provokation von gewaltbereiten Salafisten. Stattdessen beschränkte sie sich auf Demonstrationen vor geplanten oder schon errichteten Moscheen, Asylbewerbereinrichtungen oder überwiegend von Sinti und Roma bewohnten Häusern. Dabei konnte sie in der Regel nur zwei bis drei Dutzend Parteianhänger mobilisieren. Um Aufmerksamkeit zu erringen, nutzt 'pro NRW'/'pro Köln' intensiv das Internet. Zur Bundestagswahl trat man nicht an. Allerdings wird 'pro Köln' an der Kommunalwahl NRW teilnehmen, für die zeitgleich stattfindende Europawahl wurden die zur Teilnahme notwendigen Unterschriften gesammelt. Da bei der Kommunalwahl keine Sperr18 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 klausel gilt, ist damit zu rechnen, dass 'pro NRW' in ihren Schwerpunktregionen in der Rheinschiene sowie im Ruhrgebiet einige Mandate gewinnen wird. 'Die Rechte' Nach dem Verbot der Kameradschaften in Hamm, Dortmund und Aachen durch den Minister für Inneres und Kommunales NRW am 23. August 2012 gründete sich am 14. September 2012 der Landesverband der Partei 'Die Rechte' mit inzwischen neun Kreisverbänden und einem Bezirksverband. Personell stellt 'Die Rechte' in NRW in wesentlichen Teilen eine Auffangorganisation der verbotenen Kameradschaften dar. Sowohl die Führung als auch ein Teil der Mitglieder setzen ihre Aktivitäten innerhalb der Partei 'Die Rechte' fort. Hinzu kommen ehemalige Mitglieder der NPD, denen der Kurs unter dem ehemaligen Vorsitzenden Holger Apfel zu moderat war. Ideologisch steht 'Die Rechte' in Kontinuität zu den verbotenen Kameradschaften. Kennzeichen sind weiterhin Demokratiefeindschaft, Fremdenfeindlichkeit, Verherrlichung des Nationalsozialismus und Antisemitismus. Dies vertritt die Partei in einer aggressiv-kämpferischen Weise, die sich vor allem durch Einschüchterungsversuche des politischen Gegners auszeichnet. Die Partei 'Die Rechte' nutzt das Parteienprivileg als Organisationsstrategie. Sie versucht ihre bisherigen neonazistischen Aktivitäten unter diesem Schutzschirm weiterzuführen. So wurden fast alle neonazistischen Demonstrationen und Kundgebungen im Jahr 2013 in NRW von der Partei 'Die Rechte' angemeldet. Dabei entsprachen die Veranstaltungen dem Auftreten der Kameradschaften und Autonomen Nationalisten in den vergangenen Jahren. Ferner engagierte sich die Partei als Ausrichter von rechtsextremistischen Konzerten und den Nationalsozialismus verherrlichenden Veranstaltungen, wie z.B. einer Weihnachtsfeier im nationalsozialistischen Stil. Die Parteiführung in NRW setzt darauf, Parteiaktivitäten zu entfalten, um als Organisation formal die Anforderungen an eine Partei zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund trat die Partei auch mit einer Landesliste NRW zur Bundestagswahl an. Sie zeigte jedoch kaum Engagement im Wahlkampf und erreichte in NRW insgesamt 2.288 Wählerstimmen, was einen prozentualen Anteil von 0,024% ausmacht. Dennoch sieht sie den Wahlantritt als Erfolg, weil dadurch der Parteienstatus weiter gestärkt würde. Parteiaktivitäten waren fast ausschließlich in den Kreisverbänden Dortmund und Hamm zu verzeichnen. Derzeit beabsichtigen drei Kreisverbände an der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 teilzunehmen. Für die Europawahl ist die Partei nicht zugelassen, da sie nicht ausreichend Unterstützungsunterschriften sammelte. EntwicklungstEndEnzEn 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Neonazis Die hauptsächlich durch Kameradschaften und Autonome Nationalisten geprägte Neonazi-Szene in NRW befindet sich seit 2012 in einem tiefgreifenden strukturellen Umbruch. Zugleich behielt sie die Ideologie und die subkulturelle Ästhetik bei. Die Hauptursachen für den Umbruch waren die Kameradschaftsverbote sowie strafrechtlichen Verfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen den 'Freundeskreis Rade' und das 'Aktionsbüro Mittelrhein'. Letzteres wird in RheinlandPfalz durchgeführt, betrifft indes aber auch führende Neonazikader aus NordrheinWestfalen. Die Reaktion in der Neonazi-Szene reichte von der Auflösung beziehungsweise dem Zerfall der Organisationen über eine Lähmung oder eine Inaktivität der vormaligen Kameradschaften bis hin zur Reorganisation der Führung und einem Teil der Mitglieder innerhalb des im September 2012 gegründeten Landesverbandes der Partei 'Die Rechte'. Damit einhergehend vollzogen sich weitere Veränderungen in der Neonazi-Szene - weg von der recht klaren Trennung zwischen parlamentsund aktionsorientierten Organisationsformen hin zu einer Mischform. Verschiedene kleine, lose strukturierte Gruppierungen, die nicht der Partei 'Die Rechte' beigetreten sind, nehmen gleichwohl an den Veranstaltungen der Partei teil und begreifen sie als Gravitationszentrum der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene. 1.3 Linksextremismus3 Strömungen und Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*' 'Die Linke*' wird vom Verfassungsschutz nicht als Partei beobachtet. Sie lässt allerdings innerparteilich Zusammenschlüsse zu und fördert diese teilweise sogar, bei denen entweder Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung vorliegen oder die zumindest den Verdacht begründen. Es handelt sich dabei um die Zusammenschlüsse 'Antikapitalistische Linke*' (AKL), 'Sozialistische Linke*' (SL), 'Kommunistische Plattform' (KPF) und 'Linksjugend ['solid]'. 'DIE LINKE*' sieht diese als wichtigen Bestandteil der Partei an und gewährt ihnen durch die Satzung spezielle Rechte und finanzielle Unterstützung. Gemeinsam ist - in unterschiedlicher dogmatischer Schärfe - diesen Zusammenschlüssen, dass nicht nur das "kapitalistische System" in der Bundesrepublik Deutschland überwunden werden soll, sondern eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund 3 Siehe Fußnote 2. 20 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Wirtschaftsordnung in Deutschland angestrebt wird, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht mehr zu vereinbaren ist. Die Zusammenschlüsse haben weiter Einfluss in der Gesamtpartei. Insgesamt bestehen daher in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich dieser Zusammenschlüsse weiterhin Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung oder zumindest Verdachtsmomente dafür. 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) Sei einigen Jahren wird in der DKP ein heftiger Streit zwischen dem orthodox-kommunistischen und dem reformerischen Flügel geführt. Auf dem 20. Bundesparteitag am 2./3. März 2013 hat sich bei der Neuwahl des Parteivorstands die orthodoxe Strömung klar durchgesetzt. Einheit der Partei, Kaderbewusstsein und zentrale Steuerung dürften in Zukunft daher wieder einen höheren Stellenwert gewinnen. Stagnation der Mitgliederzahl, Überalterung und mangelnde Organisationsdichte haben dazu beigetragen, dass die DKP zur Bundestagswahl nur mit wenigen Direktkandidaten angetreten ist. An der Europawahl 2014 will sie mit einer eigenen Liste teilnehmen. Der Schwerpunkt wird jedoch auf den Kommunalwahlen in NordrheinWestfalen in 2014 liegen. Wahlpolitisch ist und bleibt die DKP bedeutungslos. Um als politische Kraft noch wahrgenommen zu werden, ist für die Partei die Arbeit in der "außerparlamentarischen Opposition" sehr wichtig, d.h. die Gewerkschaftsund Betriebsarbeit sowie in Bündnisstrukturen auf verschiedenen Gebieten. Klassische Themen wie Kapitalismuskritik, Antifaschismus und soziale Gerechtigkeit, "moderne" Forderungen wie ökologischer Umbau, mehr Demokratie und Selbstbestimmung werden dabei mit kommunistischer Ideologie verknüpft. 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) Die MLPD ist zur Bundestagwahl 2013 angetreten. Ihre kommunistische Ausrichtung, die sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes wendet, hat sie im Wahlkampf keineswegs verhehlt. Das Ergebnis zeigt allerdings, dass sie zwar Potenziale über ihrer Mitgliederzahl mobilisieren kann, jedoch bleibt sie weiterhin wahlpolitisch bedeutungslos. Durch eine angebliche "Antikommunismus"-Kampagne wähnt sie sich verfolgt und fühlt sich im politischen EntwicklungstEndEnzEn 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Spektrum benachteiligt. Zur Europawahl am 25. Mai 2014 will die MLPD als Mitglied des ihr nahestehenden 'Internationale(n) Zusammenschluss(es) revolutionärer Parteien und Organisationen' (ICOR) antreten. Wichtiger dürften allerdings die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen sein; hier beabsichtigt sie, Ratsmandate des von ihr maßgeblich beeinflussten Wahlbündnisses 'AUF*' zu verteidigen. Ihre Aktionsschwerpunkte sieht die MLPD außerhalb des Parlamentarismus. Die Partei vermittelt weiterhin den Eindruck, sich auf einer Reihe von Themenfeldern zu engagieren. Traditionell arbeiten MLPD-Mitglieder in Betriebsräten bzw. Gewerkschaften mit; in arbeitspolitischen oder -rechtlichen Einzelfällen engagiert sich die Partei zudem in "Solidaritätskreisen". Das Spektrum der Themenfelder reicht ferner über Umweltund Frauenfragen bis hin zum internationalen Engagement im Rahmen der ICOR. Die Partei unterstützt z.B. den Aufbau einer "überparteilichen und kämpferischen Umweltgewerkschaft" in Deutschland, deren Gründung bis Herbst 2014 geplant ist. Das Engagement im Umweltschutz dürfte vor allem auch der Gewinnung neuer Mitglieder dienen. Offenkundig ist die maßgebliche Beeinflussung und Unterstützung des 'Frauenverbandes Courage e.V.*' durch die MLPD, dem Ende 2012 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Aktionsorientierte/Autonome Szene 2013 Während das Themenfeld Antifaschismus jahrelang den deutlichen Schwerpunkt der Aktivitäten der linksextremistisch-autonomen Szene bildete, kann von einer solchen Dominanz nicht mehr gesprochen werden. Mindestens gleichermaßen bedeutsam sind in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern mittlerweile die Themenfelder Antikapitalismus, Antirassismus und Antirepression, die oftmals thematisch miteinander verknüpft werden. Im Jahr 2013 hat vor allem der Antirassismus als autonomes Themenfeld an Bedeutung gewonnen. Die stärkere Verknüpfung der Themenfelder Antifaschismus und Antirassismus wurde deutlich an den Auseinandersetzungen mit den rechtsextremistischen Parteien NPD und 'Die Rechte' im Bundestagswahlkampf. Allerdings geriet auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD) in den Fokus der Szene. Mehrfach kam es zu Angriffen Linksautonomer auf Wahlhelfer, Veranstaltungen und Einrichtungen der Partei. 22 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Der aktionsorientierte Protest im Themenfeld Antifaschismus ist nach wie vor auf der Agenda der linksextremistischen Szene. Mobilisiert wurde vor allem gegen Veranstaltungen der Partei 'Die Rechte'. Insbesondere wurde gegen den sogenannten "Trauermarsch" in Stolberg und gegen Aufmärsche in der Tradition des "Antikriegstages" in Dortmund demonstriert. Übergriffe und Blockadeversuche gegen die Polizei und den politischen Gegner gehen im unmittelbaren Demonstrationsgeschehen zumeist von Linksautonomen aus. Eine neue Qualität stellte die Outing-Aktion an der Ruhruniversität in Bochum dar, bei der es Anfang Dezember zu Auseinandersetzungen zwischen Vorlesungsteilnehmern und Linksextremisten kam. Antikapitalismus bleibt ein Dauerthema für die Szene, verknüpft mit Antirassismus, Antimilitarismus und Antirepression. Zu nennen sind hier die "Blockupy-Aktionstage" in Frankfurt und die Proteste in Köln gegen den G8-Gipfel in Nordirland. Ein weiteres Dauerthema für die Szene bleibt auch die Auseinandersetzung im Themenfeld "Antimilitarismus", die auch immer antikapitalistische und antiimperialistische Akzente hat. Traditionell thematisieren aktionsorientierte Linksextremisten seit mehreren Jahren das Engagement der Bundeswehr im Inund Ausland, indem sie deren Werbemaßnahmen in Schulen, Arbeitsagenturen und sonstige Veranstaltungen stören sowie Sachbeschädigungen gegen die Bundeswehr selbst oder deren Dienstleister verüben. Durch derartige spektakuläre Aktionen soll ein hohes Maß an Öffentlichkeitswirkung erzielt werden. In diesem Jahr konzentrierte sich die linksautonome Szene vor allem auf den Prozess gegen den deutschen Offizier, der Anfang September 2009 den Angriff auf den Tanklastzug in Kunduz (Afghanistan) befohlen hatte. Sowohl in der Nähe des Wohnortes des Offiziers als auch vor Gerichten in Köln und Bonn, bei denen Prozesse wegen Schadenersatzforderungen von Angehörigen der dabei umgekommenen Opfer anhängig waren, kam es mehrfach zu Protesten und erheblichen Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien. Die Polizei als angeblicher "Vertreter des Repressionsapparates" und "Beschützer der Rechten" steht verstärkt im Fokus der linksautonomen Szene. Gewalt gegen die Polizei als Institution und gegen einzelne Polizeibeamte wird als Teil des "politischen Kampfes" gerechtfertigt bis hin zur billigenden Inkaufnahme von schweren Verletzungen. Festzustellen ist hier eine sinkende Hemmschwelle. Dies zeigte sich wiederum bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen am 21. Dezember 2013 anlässlich der Demonstration rund um die Rote Flora in Hamburg. EntwicklungstEndEnzEn 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 1.4 Ausländerextremismus4 PKK Für die seit dem 26. November 1993 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK) sind die westeuropäischen Staaten einerseits ein Rückzugsraum, in dem die finanzielle und logistische Unterstützung des Kampfes für eine Stärkung der kulturellen und politischen Eigenständigkeit der Kurden organisiert wird. Andererseits werden aktuelle Entwicklungen in den kurdischen Siedlungsgebieten, insbesondere der Verlauf von Kampfhandlungen in der Türkei und in Syrien, als Anlässe für Aktionen (zum Beispiel Demonstrationen, Solidaritätsveranstaltungen) genutzt, um die emotionale Bindung der PKK-Anhänger an die Organisation zu festigen und gleichzeitig ein möglichst großes mediales Interesse für das Anliegen der PKK zu wecken. Nachdem die Kampfhandlungen bisher vorwiegend im türkisch-irakischen Grenzgebiet stattgefunden haben, wurde im Frühjahr 2013 ein schrittweiser Rückzug der Guerillaeinheiten der PKK aus der Türkei in den Nordirak angeboten. Dies knüpfte an die bereits Ende des Jahres 2012 begonnenen "Friedensverhandlungen" an. Der tatsächliche Verlauf des Friedensprozesses gestaltet sich allerdings aus Sicht der PKK-Führung nicht zufriedenstellend, so dass die Rückzugsbewegungen im Herbst 2013 vorläufig ausgesetzt wurden. Gleichzeitig hat die PKK ihren Kampf zur Durchsetzung der Interessen von Kurden in Syrien erheblich verstärkt. Ein weiteres zentrales Thema, das für eine starke Emotionalisierung unter den PKKAnhängern sorgte und damit Auslöser für Aktivitäten darstellte, war die Ermordung von drei Aktivistinnen der PKK im Kurdistaninformationsbüro in Paris am 9. Januar 2013. Die Haftsituation Abdullah Öcalans ist nach wie vor ebenfalls ein geeignetes Thema, um PKK-Anhänger zu mobilisieren. Bei der Durchführung von Großveranstaltungen, die sowohl für die Generierung von Geldern als auch zur Werbung für die Organisation genutzt werden, lag im Jahr 2013 ein regionaler Schwerpunkt der - friedlich verlaufenen - Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen. 4 Siehe Fußnote 2. 24 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 1.5 Islamismus5 Salafismus/Jihadismus Innerhalb des islamistischen Spektrums haben sich salafistische Bestrebungen zu der am schnellsten wachsenden extremistischen Bewegung entwickelt. Die Szene ist im Jahr 2013 nochmals angewachsen. Die Zahl der in Nordrhein-Westfalen aktiven Salafisten lag im Berichtsjahr bei 1.500 Personen (Bund: 5.500). Der Anstieg der Zahlen im Bereich Salafismus hat verschiedene Ursachen. Er ist einerseits das Ergebnis einer intensiven Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden, die der Beobachtung salafistischer Bestrebungen einen besonders hohen Stellenwert beimessen. Dadurch gelingt es immer häufiger, salafistische Personennetzwerke aufzudecken. Andererseits verzeichnet die salafistische Ideologie insbesondere unter Jugendlichen einen starken Popularitätszuwachs. So ist die Zahl der jungen Menschen, die sich von salafistischen Predigern und ihren immer aggressiveren Propaganda-Methoden beeinflussen lassen, im Berichtszeitraum auch faktisch angestiegen. Es bestehen Anzeichen dafür, dass sich diese Entwicklung perspektivisch fortsetzen wird, wenn dem nicht durch verstärkte präventive Anstrengungen entgegengewirkt werden kann. Im Salafismus hat sich der Trend hin zu einer "Jugendkultur" weiter verfestigt. Der Salafismus bietet gerade jungen Menschen ein einfaches, aber gleichermaßen auch gefährliches Lebensmodell. Selbsternannte religiöse Autoritäten definieren, wer "gläubig" und wer "ungläubig" ist, geben einfache Antworten auf alle Fragen des Lebens und verlangen von ihren Anhängern ein regelkonformes Verhalten im Sinne der salafistischen Ideologie. Gleichzeitig bieten Salafisten Jugendlichen das Gefühl, in einer Gemeinschaft gleichgesinnter Geborgenheit und Anerkennung zu finden. Sie locken ihre Anhänger mit dem Versprechen, durch das "richtige" Verständnis des Islam weltweit soziale Gerechtigkeit schaffen zu können, moralisch und religiös höherwertiger als ihre Kritiker zu sein und sich dafür göttlichen Lohn und schließlich den Eintritt ins Paradies zu sichern. Gerade dieser letzte Punkt ist ein essentielles Element der Sinngebung innerhalb der salafistischen Ideologie. Die salafistische Szene hat sich weiter in Richtung eines "Lifestyles" entwickelt. Sie schafft Zugehörigkeit durch einen eigenen Kleidungsstil, besondere Symbole, einen von arabisch-islamischen Formeln durchsetzten Sprachcode sowie einen strengen 5 Siehe Fußnote 2. EntwicklungstEndEnzEn 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Verhaltenskodex. Mit ihren häufig provozierend wirkenden Äußerungen und Verhaltensweisen pflegen salafistische Kreise eine Art Protest-Kultur, die sie von ihrem "ungläubigen" Umfeld, häufig auch von der Familie und dem alten Freundeskreis abgrenzen soll. Bei der Schaffung einer eigenen "salafistischen Identität" spielt das Internet eine herausragende Rolle. Die Verbreitung von deutschsprachigen "Nashids" (Sprechgesängen) etabliert sogar einen eigenen Musikstil. Das Internet ist auch für die Verbreitung der salafistischen Propaganda von zentraler Bedeutung. Während salafistische Webseiten und Foren Popularität eingebüßt haben, dienen Videoportale und soziale Netzwerke, allen voran YouTube und Facebook, der Szene als intensiv genutzte mediale Plattformen zur Selbstdarstellung sowie zur Werbung neuer Anhänger. Radikale Prediger, Personennetzwerke und Einzelpersonen verbreiten über das Internet die gesamte Bandbreite der salafistischen Ideologie. Dies reicht von gewaltfreier Propaganda bis hin zu radikalisierenden Inhalten und Rekrutierungsaufrufen für den gewaltsamen Jihad. Die auf Ausgrenzung, Abwertung und Entmenschlichung abzielende salafistische Ideologie mit ihrem ausgeprägten Freund-Feind-Denken bereitet bei der deutschen Anhängerschaft zunehmend den Boden für Gewalt. Nach den gewaltsam verlaufenen Straßenkrawallen der Salafisten in Bonn und Solingen im Jahr 2012 ist nunmehr die stetig steigende Zahl junger Salafisten, die in das syrische Kriegsgebiet ausreisen und dort am gewaltsamen Jihad teilnehmen, die auf lange Sicht größte Gefahr für die innere Sicherheit und das friedliche Zusammenleben in Deutschland. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat die salafistische Internet-Propaganda. Sie wird von Predigern, Netzwerken und Einzelpersonen in Gang gehalten. Eine besondere Wirkkraft haben Bilder von getöteten und entsetzlich entstellten Bürgerkriegsopfern. Sie kursieren im Internet und sollen junge Muslime zum "Handeln" bewegen. Einen starken Einfluss entfalten zudem Internet-Videos, in denen Kämpfer "live" von der syrischen Front an ihre Glaubensgeschwister in Deutschland appellieren, terroristische Gruppierungen in Syrien zu unterstützen und in das Kriegsgebiet auszureisen. Dabei werden die Kampfhandlungen in der Regel verklärt und idealisiert dargestellt. Dies führt wiederum zur Emotionalisierung der überwiegend jungen Anhängerschaft und weckt in vielen den Wunsch, sich am Jihad zu beteiligen. Im Berichtszeitraum haben sich neue Medienstellen gegründet, die über das Internet Nachrichten und Videos von syrischen Kriegsschauplätzen in deutscher Sprache verbreiteten. Darin traten auch junge Männer aus Nordrhein-Westfalen auf, die euphorisch von ihren Erlebnissen im Jihad berichteten. Einige dieser Männer kamen 26 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 später bei Kampfhandlungen ums Leben und wurden in salafistischen Internet-Veröffentlichungen als Märtyrer verherrlicht. Zu einem wichtigen Faktor der salafistischen Propaganda haben sich im Berichtszeitraum Benefiz-Veranstaltungen für Syrien entwickelt. Die dabei auftretenden salafistischen Prediger nutzten ihre Popularität, um oft mehrere hundert Teilnehmer anzulocken und entsprechend hohe Spendenbeträge zu sammeln. Für den Verfassungsschutz war hinter diesem vordergründig karitativen Engagement der Salafisten stets deutlich die Absicht zu erkennen, neue Anhänger zu rekrutieren und ihnen den Hass auf ihr vermeintlich "ungläubiges" Umfeld einzupflanzen. Darüber hinaus waren die Inhalte der bei diesen Benefiz-Aktionen vorgetragenen Predigten teilweise verfassungsfeindlich und gewaltbefürwortend und geeignet, die überwiegend jungen Zuhörer zu radikalisieren. Bei einigen öffentlichen Auftritten und Werbeaktionen salafistischer Prediger trat deutlich zutage, dass der Übergang von der sogenannten salafistischen da'wa im Sinne einer auf Missionierung angelegten, gewaltfreien Propaganda hin zu einer mehr oder weniger offenen Befürwortung des gewaltsamen Jihads fließend ist. Die Zahl der aus Nordrhein-Westfalen nach Syrien ausgereisten Salafisten macht deutlich, dass die salafistische Propaganda fruchtet. Die Ausreisen stiegen im Berichtszeitraum auf rund 100 Personen an. Einige von ihnen unterstützten den bewaffneten Jihad durch die Lieferung und Verteilung von Hilfsgütern sowie durch logistische Hilfen. Bei etwa der Hälfte der Ausgereisten muss sogar davon ausgegangen werden, dass sie sich vor Ort einer Kampfausbildung unterzogen oder am bewaffneten Jihad teilgenommen haben. Einzelne Kämpfer sind bereits aus dem syrischen Kriegsgebiet nach Deutschland und auch nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt. Dieses salafistische Personenpotenzial stellt ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. EntwicklungstEndEnzEn 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 28 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 2 Extremismus in Zahlen 2.1 Betrachtung der Gesamtentwicklung Die Anzahl der bekannt gewordenen Politisch motivierten Straftaten in NordrheinWestfalen blieb im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr nahezu gleich. Es wurden insgesamt 4.670 (2012: 4.624) Politisch motivierte Straftaten bekannt. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 1% (+46 Straftaten). Im 10-Jahres-Vergleich bewegt sich die Politisch motivierte Kriminalität damit seit vier Jahren auf einem annähernd gleichbleibenden Niveau, nachdem in den sechs Jahren zuvor, ausgehend von einer Anzahl von 2.988 Straftaten im Jahr 2004, ein stetiger Anstieg bis auf 5.637 Straftaten im Jahr 2009 erfolgte (vgl. Schaubild 1). Schaubild 1: PMK und PMK-Gewalt - Entwicklung im 10-Jahres-Vergleich Die Entwicklung der einzelnen Deliktsgruppen ist dabei uneinheitlich. Während bei den Sachbeschädigungen 139 Delikte weniger als im Vorjahr bekannt wurden (2013: 691; 2012: 830), stieg die Anzahl der Volksverhetzungen um 98 auf 464 (366) und die Anzahl der Beleidigungen um 48 auf 347 (299) bekannt gewordene Delikte (Details hierzu vgl. Schaubild 4). ExtrEmismus in zahlEn 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 2013 wurden 2.735 (2012: 2.811) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 2.326 (2012: 2.407) männlich und 409 (2012: 404) weiblich. 2.1.1 Gewaltdelikte der Politisch motivierten Kriminalität Die Zahl der bekannt gewordenen Gewaltdelikte mit politischer Motivation stieg im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. Es wurden in Nordrhein-Westfalen insgesamt 434 Politisch motivierte Gewaltdelikte (PMK-Gewalt) bekannt. Im Jahr 2012 waren es 398 Straftaten. Dies bedeutet einen Anstieg um 9,0% (+36 Straftaten). In der Detailbetrachtung zeigt sich, dass der Anstieg im Wesentlichen auf eine gestiegene Anzahl von Körperverletzungsdelikten im Bereich der PMK-Links im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen Ereignissen zurückzuführen ist. Insgesamt wurden 460 (2012: 762) Tatverdächtige Politisch motivierter Gewaltdelikte ermittelt. Davon waren 386 (2012: 675) männlich und 74 (2012: 87) weiblich. Die Abnahme der Anzahl der männlichen Tatverdächtigen im Vergleich zur Anzahl des Vorjahres erklärt sich unter anderem durch vier öffentliche Versammlungen im Jahr 2012, in deren Verlauf es zu Ausschreitungen kam. Seinerzeit führten die Ermittlungen zur Feststellung einer Vielzahl von Tatverdächtigen. 2.1.2 Propagandadelikte Einen hohen Anteil der Politisch motivierten Kriminalität machen jährlich wiederkehrend Propagandadelikte aus, also Delikte der SSSS 86 und 86a StGB. Im Jahr 2013 betrug deren Anteil mit 2.167 bekannt gewordenen Fällen (2012: 2.182) 46,4% der Politisch motivierten Kriminalität. 2.1.3 Auswirkungen des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2013 Im Zusammenhang mit Wahlen werden regelmäßig Politisch motivierte Straftaten begangen. Auch anlässlich des Bundestagswahlkampfes 2013 stiegen die einschlägigen Delikte wie Beschädigungen von Wahlplakaten oder Straftaten im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen Ereignissen. Darüber hinaus kam es zu Auseinandersetzungen an Infoständen oder bei Wahlkampfveranstaltungen. Vermehrt wurden auch Wahlplakate in Brand gesetzt. 30 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Schaubild 2: PMK im 10-Jahres-Vergleich von 2004 bis 2013 - Anteil Propagandadelikte Insgesamt wurden 370 Straftaten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2013 registriert. Dies entspricht einem Anteil von 7,9% an den Gesamtfallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität des Jahres. Hiervon betrug die Anzahl der registrierten Gewaltdelikte 43. Die wesentliche Anzahl der Straftaten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2013 verteilt sich auf : Körperverletzungsdelikte (33; davon 27 PMK-Links) : Sachbeschädigungen (201; davon 44 PMK-Links, 32 PMK-Rechts und 124 PMKSonstige) : Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB (29 PMK-Rechts) 2.2 Entwicklung der Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität Nach Phänomenbereichen differenziert entwickelte sich die Politisch motivierte Kriminalität unterschiedlich. ExtrEmismus in zahlEn 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Schaubild 3: PMK im Jahresvergleich 2012 und 2013 nach Phänomenbereichen Während die Fallzahlen in den Bereichen der PMK-Links und PMK-Ausländer sanken, stiegen die der PMK-Rechts und der PMK-Sonstige an. Erfasst wurden : 3.085 (2012: 3.024) Straftaten der PMK-Rechts (+61) : 908 (2012: 963) Straftaten der PMK-Links (-55) : 163 (2012: 201) Straftaten der PMK-Ausländer (-38) : 514 (2012: 436) Straftaten konnten keinem Phänomenbereich eindeutig zugeordnet werden. Sie wurden als PMK-Sonstige erfasst (+78). Keinem bestimmten Phänomenbereich zuzuordnende Straftaten sind beispielsweise Straftaten im Zusammenhang mit der Energieversorgung oder dem Tierschutz. Die einzelnen Deliktsgruppen, bezogen auf die Phänomenbereiche, bildet Schaubild 4 ab: 32 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 PMKPMKPMKPMKRechts Links Ausländer Sonstige Tötungsdelikte 0 (0) 0 (0) 0 (1) 0 (1) Brandund 3 (6) 5 (6) 1 (3) 4 (0) Sprengstoffdelikte Landfriedensbruch- 2 (2) 21 (16) 0 (5) 0 (0) delikte Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- 0 (1) 4 (6) 0 (0) 6 (2) und Straßenverkehr Körperverletzungsdelikte 164 (167) 116 (84) 25 (21) 17 (19) Widerstandshandlungen 19 (13) 34 (32) 1 (2) 1 (1) Raub, Erpressung, 4 (3) 5 (3) 2 (4) 0 (0) Freiheitsberaubung Zwischensumme 192 (192) 185 (147) 29 (36) 28 (23) Bedrohungen, 41 (26) 16 (16) 12 (18) 9 (18) Nötigungen Sachbeschädigungen 156 (230) 320 (434) 26 (41) 189 (125) Propagandadelikte 1.989 (2.020) 20 (24) 6 (1) 152 (137) Volksverhetzungen 451 (341) 1 (4) 7 (14) 5 (7) Störungen des 1 (4) 2 (4) 3 (5) 1 (2) öffentlichen Friedens Beleidigungen 206 (148) 76 (81) 17 (20) 48 (50) Verstöße gegen das 0 (1) 0 (0) 30 (36) 0 (0) Vereinsgesetz Verstöße gegen das 15 (16) 170 (188) 2 (9) 11 (5) Versammlungsgesetz Sonstige Straftaten 34 (46) 118 (65) 31 (21) 71 (69) Gesamt 3.085 (3.024) 908 (963) 163 (201) 514 (436) Schaubild 4: PMK nach Deliktgruppen und Phänomenbereichen im Jahresvergleich 2013 und 2012 2.2.1 Politisch motivierte Kriminalität-Rechts Die bekannt gewordenen Fälle der PMK-Rechts erhöhten sich gegenüber dem Vorjahr um 2,0 Prozent von 3.024 auf 3.085 Delikte (+61). Sie befinden sich damit seit 2010 auf einem etwa gleichbleibenden Niveau. ExtrEmismus in zahlEn 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Insgesamt wurden 1.652 (2012: 1.314) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 1.466 (2012: 1.176) männlich und 186 (2012: 138) weiblich. 699 (2012: 624) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 956 (2012: 840) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Vorherrschende Themenfelder6 der PMK-Rechts waren "Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus" (Rückgang von 2.324 auf 2.243 Straftaten), "Hasskriminalität" (Anstieg von 817 auf 1.018 Straftaten), "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 257 auf 194 Straftaten) sowie "Innenund Sicherheitspolitik" (Anstieg von 213 auf 271 Straftaten). Propagandadelikte und Volksverhetzungen machten mit 79,1% (2.440 von 3.085 Straftaten) den überwiegenden Anteil dieser Straftaten aus. Die Anzahl der Propagandadelikte ging von 2.020 auf 1.989 Straftaten leicht zurück. Die Anzahl der Sachbeschädigungen durch "Rechte" sank von 230 auf 156 Straftaten. Schaubild 5: PMK-Rechts im 10-Jahres-Vergleich von 2004 bis 2013 6 Die Melderichtlinien des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität" sehen Mehrfachnennungen bei den Oberthemen vor, so dass eine Straftat mehreren Oberthemen zugeordnet werden kann. 34 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Rechts Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Täter hat sich mit 192 Straftaten gegenüber dem Vorjahr nicht verändert. Den größten Anteil bilden Körperverletzungsdelikte (164 Straftaten). Überwiegend waren die Gewaltdelikte den Themenfeldern "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 53 auf 39 Straftaten), "Innenund Sicherheitspolitik" (Anstieg von 26 auf 40 Straftaten) und "Hasskriminalität" (Anstieg von 105 auf 125 Straftaten)7 zuzurechnen. Gewaltdelikte durch "Rechte" wurden mehrheitlich im öffentlichen Raum und unabhängig von Versammlungen (164 von 192 Straftaten) verübt. 16 Gewaltdelikte wurden im Begründungszusammenhang mit versammlungsrechtlichen Ereignissen begangen. Hasskriminalität durch rechtsmotivierte Täter Die "Hasskriminalität"8 im Phänomenbereich PMK-Rechts ist von 817 auf 1.018 Straftaten angestiegen. 59,8% der Delikte im Themenfeld "Hasskriminalität" (609 von 1.018 Straftaten) waren Volksverhetzungen (438 Straftaten) und Propagandadelikte (171 Straftaten). Einen großen Anteil hatten auch Beleidigungen (183 Straftaten) und Gewaltdelikte (125). Dem Unterthema "Fremdenfeindlichkeit" wurden mehr Delikte als im Vorjahreszeitraum zugeordnet (Anstieg von 636 auf 815 Delikte). Die Anzahl der fremdenfeindlich motivierten Gewaltdelikte stieg von 100 auf 115 Straftaten an. Antisemitische Straftaten Die Anzahl der antisemitischen Straftaten nahm von 216 auf 237 zu. Im Phänomenbereich PMK-Rechts stiegen die Fallzahlen von 197 auf 221 Delikte. Bei den Deliktgruppen innerhalb der PMK-Rechts machten, wie in den Vorjahren, Volksverhetzungen (111 Straftaten), Propagandadelikte (51 Straftaten) und Sachbeschädigungen (29 Straftaten) mit 86,4% (191 von 221 Straftaten) den überwiegenden Anteil der Fall- 7 Siehe hierzu Fußnote 6 8 Der Hasskriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft oder aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind. ExtrEmismus in zahlEn 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zahlen aus. Die Anzahl der antisemitischen Gewaltdelikte stieg von 9 auf 13 Fälle an. Dabei handelte es sich ausschließlich um Körperverletzungsdelikte. Zwei der antisemitischen Gewaltdelikte (eine Körperverletzung, ein Raub) sind dem Täterkreis der PMK-Ausländer zuzuordnen. Von den 237 antisemitischen Straftaten entfallen : 221 Delikte auf die PMK-Rechts (2012: 197), : 7 Delikte auf die PMK-Ausländer (2012: 13), : kein Delikt auf die PMK-Links (2012: 2) und : 9 Delikte auf die PMK-Sonstige (2012: 4). 2.2.2 Politisch motivierte Kriminalität-Links Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK-Links ist mit 908 Straftaten (2012: 963; -55 Delikte) im Vergleich zum Vorjahr um 5,7% gesunken. Insgesamt wurden 619 (2012: 626) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 476 (2012: 484) männlich und 143 (2012: 142) weiblich. 353 (2012: 388) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 296 (2012: 289) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor polizeilich in Erscheinung getreten. Hauptsächliche Themenfelder der PMK-Links waren im Jahr 2013 "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 579 auf 508), "Antifaschismus" (Rückgang von 636 auf 470) und "Innenund Sicherheitspolitik" (Anstieg von 268 auf 367). 121 Straftaten standen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl. Das entspricht 13,3% am Gesamtaufkommen der Straftaten PMK-Links. Der Anteil an Straftaten bei versammlungsrechtlichen Ereignissen am Gesamtstraftatenaufkommen der PMK-Links lag im Jahr 2013 mit 44,3% (402 von 908 Delikten) über dem Niveau des Vorjahres (2012: 41,4%, 399 von 963 Delikten). Allerdings ging die Anzahl der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz um 9,6% zurück (von 188 auf 170 Straftaten). Der Rückgang der Gesamtfallzahlen der PMK-Links um 55 (von 963 im Vorjahr auf 908 Straftaten) lässt sich im Wesentlichen auf den Rückgang an Veranstaltungen der rechten Szene zurückführen und die sich daraus üblicherweise entwickelnden Konfrontationsdelikte bei der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und/oder der Polizei. 36 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Links Die Anzahl der Gewaltdelikte durch linksmotivierte Täter ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa ein Viertel (25,9%) von 147 auf 185 Straftaten gestiegen. Damit wurden zwar die Höchstwerte von 2009 und 2011 (jeweils 219 Delikte) unterschritten, dennoch stellt die Anzahl von 185 Gewaltdelikten den vierthöchsten Wert seit 2001 dar. 70,8% der Gewaltdelikte (131 von 185 Delikten) wurden bei versammlungsrechtlichen Ereignissen festgestellt (2012: 94 von 147 Straftaten 63,9%). 35 Gewaltdelikte wurden im Zusammenhang mit der Bundestagswahl verübt. Dies stellt einen Anteil von knapp ein Fünftel (18,9%) an den Gewaltdelikten der PMKLinks dar. Die Zahl der Körperverletzungen ist mit 32 Delikten um 38,1% (von 84 auf 116 Straftaten) gestiegen, so wie auch die Zahl der Landfriedensbrüche einen Anstieg um 31,3% (von 16 auf 21 Straftaten) zu verzeichnen hat. Die Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte stehen weiterhin fast ausschließlich im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen Ereignissen (65 von 75 Straftaten, im Schaubild 6: PMK-Links im 10-Jahres-Vergleich von 2004 bis 2013 ExtrEmismus in zahlEn 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Vorjahr 55 von 59 Straftaten). Der Auftrag der Polizei, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen und die Durchführung der Versammlung zu gewährleisten, wird weiterhin bewusst ideologisch umgedeutet und als Schutz der "Rechten" interpretiert. Die Anwendung von Gewalt gegen Polizeibeamte wird so als legitimes Mittel im "Kampf gegen Rechts, gegen den politischen Gegner" gerechtfertigt. 2.2.3 Politisch motivierte Ausländerkriminalität Die Anzahl der bekannt gewordenen Straftaten im Phänomenbereich PMK-Ausländer ging im Vergleich zu den Vorjahren weiter zurück (von 201 auf 163 Straftaten). 47 Straftaten wurden im Zusammenhang mit versammlungsrechtlichen Ereignissen begangen, davon 28 Verstöße gegen das Vereinsgesetz (ausnahmslos Aufnäher/ Fahnen der mit einem Betätigungsverbot belegten PKK). Insgesamt wurden 159 (2012: 566)9 Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 119 (2012: 490) männlich und 40 (2012: 76) weiblich. 87 (2012: 152) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 100 (2012: 200) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Hauptsächliche Themenfelder waren "Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität" (Rückgang von 93 auf 62 Straftaten, davon 47 Verstöße im Zusammenhang mit der mit einem Betätigungsverbot belegten PKK), "Innenund Sicherheitspolitik" (Rückgang von 89 auf 60 Straftaten) sowie "Konfrontation/politische Einstellung" (Anstieg von 64 auf 70 Straftaten). Phänomenologisch handelte es sich bei den Straftaten der PMK-Ausländer mehrheitlich um Sachbeschädigungen (26 Straftaten), Verstößen gegen das Vereinsgesetz10 (30 Straftaten) - in 29 Fällen durch das Zeigen von Flaggen der verbotenen PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen bei Versammlungen - und um Körperverletzungen (25 Straftaten). 9 Die Abnahme der Anzahl der männlichen Tatverdächtigen im Vergleich zur Anzahl des Vorjahres erklärt sich unter anderem durch vier öffentliche Versammlungen im Jahr 2012, in deren Verlauf es zu Ausschreitungen kam. Die Ermittlungen in diesem Zusammenhang führten zur Feststellung einer Vielzahl von Tatverdächtigen des salafistischen Spektrums. 10 Bei Straftaten gemäß SS 20 Abs. 1 VereinsG (Zeigen von Kennzeichen verbotener Vereine oder Parteien) ist nach den "Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität" für jeden Tatverdächtigen ein Fall zu erfassen. 38 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Ausländer Die Anzahl der Gewaltdelikte der PMK-Ausländer hat sich im Vergleich zu den Vorjahren weiter reduziert (von 36 auf 29 Straftaten). Die Anzahl der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz ging von neun im Jahre 2012 auf zwei in 2013 zurück. Auch das Versammlungsgeschehen in NordrheinWestfalen im Zusammenhang mit der Tötung dreier kurdisch stämmiger Aktivistinnen in Paris am 9. Januar 2013 verlief im Wesentlichen friedlich. Schaubild 7: PMK-Ausländer im 10-Jahres-Vergleich von 2004 bis 2013 2.2.4 Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus Die Zahl der 2013 registrierten Straftaten im Bereich "Islamismus/Islamistischer Terrorismus" liegt mit 35 um sechs höher als im Vorjahr (2012: 29 Straftaten). Nur eine der Straftaten steht im Zusammenhang mit einem versammlungsrechtlichen Ereignis. Im Berichtszeitraum sind der Gewaltkriminalität im Phänomenbereich "Islamismus/ Islamistischer Terrorismus" ausschließlich drei Körperverletzungsdelikte zuzuordnen. Zu den registrierten Taten konnten 52 Tatverdächtige ermittelt werden. Die deutlich niedrigere Zahl im Vergleich zum Vorjahr (2012: 233) erklärt sich durch die versammExtrEmismus in zahlEn 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lungsrechtlichen Ereignisse 2012 in Solingen und Bonn, bei denen jeweils eine Vielzahl von Tatverdächtigen registriert wurde. Der islamistische Terrorismus stellt sich nach wie vor als anhaltende Bedrohung dar. Anschläge und Anschlagsversuche gegen Ziele in westlichen Staaten, darunter auch in der Bundesrepublik, sind das Ergebnis einer gestiegenen Bedeutung der Strategie des "individuellen Jihad". In Nordrhein-Westfalen zeigte sich dies insbesondere durch die Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der im Hauptbahnhof Bonn abgestellten Sprengvorrichtung (Dezember 2012). Die im März 2013 vereitelten Anschlagspläne auf den Vorsitzenden der Partei 'pro NRW' verdeutlichen ein weiteres Mal die aktuelle Gefährdungslage im Hinblick auf terroristische Anschläge. Die immer wieder festzustellende Propaganda im Internet unter häufiger Beteiligung von Protagonisten aus Nordrhein-Westfalen, aber auch aus dem gesamten Bundesgebiet, stellt einen wesentlichen Faktor zur Förderung der Bereitschaft von Kleingruppen und Einzeltätern, Anschläge zu planen, logistisch vorzubereiten und letztlich auch durchzuführen, dar. Neben zahlreichen anderen Beiträgen sind hier insbesondere regelmäßige Veröffentlichungen von aus Nordrhein-Westfalen stammenden Personen aus den afghanischpakistanischen Kampfgebieten sowie von Personen aus dem Umfeld der im Juni 2012 verbotenen Solinger Vereinigung 'Millatu Ibrahim' hervorzuheben, in denen auch auf Ereignisse in Deutschland, u. a. Auseinandersetzungen mit 'pro NRW', Bezug genommen wird. Im Vergleich zum Bundestags-Wahljahr 2009, in dem eine mögliche Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zu hohen Sicherheitsvorkehrungen geführt hatte, blieb eine vergleichbare Gefährdungserhöhung vor der Bundestagswahl 2013 aus. Einen Schwerpunkt für die Bewertung der Sicherheitslage bilden anhaltende Reisebewegungen von Teilen des jihadistischen Spektrums zu terroristischen Ausbildungszwecken in "Jihad-Gebiete" (z. B. Syrien, Somalia, afghanisch-pakistanisches Grenzgebiet u. a.) und die Rückkehr terroristisch ausgebildeter Personen. 40 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 2.3 Mitgliederpotenzial in Nordrhein-Westfalen Die Angaben zu den Parteien und Organisationen umfassen grundsätzlich alle Mitglieder. Damist ist nicht verbunden, das jedes Mitglied als extremistische eingeschätzt wird. Die Angaben zum Mitgliederpotenzial sind gerundet und zum Teil geschätzt. Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen Organisation/Gruppierung 2012 2013 NPD 700 650 pro Köln e.V./pro NRW 1.000 1.000 Die Rechte 130 250 Neonazistische Kameradschaften einschl. regionale Szenen** 640 650 Militante Rechtsextremisten einschl. Skinheads 1.350 1.350 Sonstige 150 150 abzüglich Doppelmitgliedschaften* -310 -430 Summe 3.660 3.620 * Doppelmitgliedschaft bedeutet, dass eine Person in zwei Organisationen bzw. Gruppierungen gleichzeitig Mitglied ist. Die Zahl der Doppelmitgliedschaften ist gestiegen, weil sämtliche Mitglieder der Partei "Die Rechte" weiterhin als Neonazis gezählt werden. Mitgliederzahlen linkssextremistischer Organisationen und Gruppierungen Organisation/Gruppierung 2012 2013 Gewaltorientierte Linksextremisten einschl. Autonome 780 780 DKP 1.200 1.200 MLPD 650 650 Summe 2.630 2.630 ExtrEmismus in zahlEn 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Mitgliederzahlen extremistischer Organisationen von Ausländern Organisation/Gruppierung 2012 2013 ADÜTDF* 2.000 2.000 DHKP-C 200 200 KONGRA-GEL bzw. PKK 2.200 2.200 LTTE 300 300 Summe 4.700 4.700 Mitgliederzahlen islamistischer Organisationen Organisation/Gruppierung 2012 2013 HAMAS 70 70 Hizb Allah 350 350 Tablighi Jama'at* 100 70 Hizb ut-Tahrir 70 70 MB/IGD 320 320 IGMG 8.000 8.000 Kaplan-Verband 350 350 Türkische Hizbullah 60 60 Salafistische Bestrebungen 1.000 1.500 Summe 10.320 10.790 42 ExtrEmismus in zahlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 3 Rechtsextremismus11 3.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 3.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Bund NRW Gründung 1964 1964 Sitz Berlin Essen Vorsitzender Holger Apfel 12 Claus Cremer Mitglieder 2013 5.600 650 2012 6.000 700 Publikationen 'Deutsche Stimme', monatlich als Printversion; 'Blickpunkt', monatlich als Online-Ausgabe; diverse lokale Publikationen, unregelmäßig Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen, (Bundesverband, Landesund Kreisverbände) nahezu flächendeckend im Internet vertreten. Ebenso in den sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel Facebook, Google+ und Twitter Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit12 Die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) wurde auf Bundesebene im Jahre 1964 gegründet. Im selben Jahr erfolgte die Gründung der meisten Landesverbände, darunter auch in Nordrhein-Westfalen. In der NPD fanden sich unter anderem Politiker der 'Deutschen Partei' (DP) und der 'Deutschen Reichspartei' (DRP) wieder. 11 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 12 Bis zum 23.12.2013. Seitdem kommissarisch Udo Pastörs. RechtsextRemismus 43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 In den Folgejahren war die NPD bis zum Jahre 1972 in insgesamt sieben Landesparlamenten vertreten. Mit dem Scheitern bei der Wahl zum Deutschen Bundestag im Jahre 1969 mit 4,3% begann ihr Niedergang zu einer politischen Splitterpartei. Erst unter ihrem damaligen Vorsitzenden Udo Voigt gelang ihr im Jahre 2004 in Sachsen der erneute Einzug in ein Landesparlament. Dies konnte sie 2009 - wenn auch mit deutlichen Verlusten - wiederholen. Aktuell ist die NPD auch in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Fraktion im Landtag vertreten, dort ebenfalls in der zweiten Legislaturperiode in Folge. Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei, die das politische System der Bundesrepublik Deutschland beseitigen will und sich dabei einer rassistischen, antisemitischen, revisionistischen und fremdenfeindlichen Ideologie sowie entsprechender Parolen bedient. Vielfach bezieht sich die Partei dabei auf die Ideologie der NSDAP, insofern liegt eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" vor. Diese Einschätzung ergibt sich sowohl aus den im NPD-Parteiprogramm formulierten Zielen als auch aus Äußerungen ihrer Funktionäre sowie aus Beiträgen in der Parteizeitung 'Deutsche Stimme' (DS) und auf den Homepages der verschiedenen NPD-Gliederungen (Bunds-, Landesund Kreisverbände). Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies zeigt nicht zuletzt ihre enge Zusammenarbeit mit der gewaltbereiten und ebenfalls rechtsextremistischen NeonaziSzene. Unter dem zwischenzeitlich zurückgetretenen NPD-Vorsitzenden Holger Apfel hatte diese Zusammenarbeit vorübergehend einen Rückschlag erlitten, weil die Neonazi-Szene Apfels Kurs der "seriösen Radikalität" nicht mitgetragen hatte. Unter seinem Nachfolger Udo Pastörs dürfte diese Zusammenarbeit wieder intensiver werden, da Pastörs für einen deutlich radikaleren Kurs steht. Verfassungsfeindliche Ideologie der NPD Die NPD lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab Die NPD lehnt die bestehende freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch einzelne wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung, wie zum Beispiel die Menschenwürde. Die im Grundgesetz verankerte Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde hat, wird von der NPD in Abrede gestellt. Die NPD spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kol44 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lektivs zu. Diese Auffassung vertritt der Landesvorsitzende der NPD NRW in einem Grußwort vom 23. April 2012: "Der Mensch in seiner nationalen Geborgenheit steht im Mittelpunkt nationaldemokratischen Denkens und Handelns." (Quelle: Homepage NPD LV NRW). Die von der NPD verfolgten Ziele laufen auf einen anderen Staat hinaus, in dem die Prinzipien der durch das Grundgesetz garantierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden sollen. Nachfolgend werden hierzu entsprechende Äußerungen von Führungspersonen der NPD wiedergegeben, die sich grundsätzlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten oder gegen einzelne ihrer Bestandteile. Die NPD will das demokratische System beseitigen Welche Zielvorstellungen vom Staatssystem die NPD hat, wird unter anderem in einem am 31. Mai 2011 auf der Homepage des NPD LV NRW veröffentlichten Positionspapiers des Landesvorsitzenden Claus Cremer deutlich. Dieser verwahrt sich ausdrücklich gegen eine Kursänderung der NPD und eine Anpassung an andere europäische rechtspopulistische Parteien. Die NPD müsse nach Cremers Ansicht eine "Weltanschauungspartei" bleiben. Über Jahrzehnte habe die NPD als solche eine bestimmte Ideologie und ein "lebensrichtiges Menschenbild" entwickelt und dieses auch konsequent vertreten. Zu den wesentlichen Elementen dieser sogenannten "Weltanschauungspartei" gehören - unter anderem - der "Reichsgedanke" (die Wiederherstellung des "Deutschen Reiches"), die "Rassentheorie" (in Anlehnung an die Rassentheorie des Dritten Reiches), die von der NPD propagierte "Volksgemeinschaft" (ebenfalls ein Begriff aus der Zeit des Nationalsozialismus) und ein anderes Verständnis von Staat und Demokratie. Letztendlich will sie das bestehende System beseitigen, auch wenn sie selbst meist "nur" von "Überwindung" spricht. Man könnte der NPD sogar attestieren, dass sie selbst zu der Erkenntnis kommt "verfassungswidrig" zu sein, auch wenn diese Feststellung dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist. Der NRW-Landesvorsitzende Claus Cremer ordnet vor diesem Hintergrund die NPD wie folgt ein: "[...] da sie begreifen werden, dass wir eben nicht ein Teil des zurecht kritisierten Politsystems sind, sondern diesem System diametral gegenüberstehen." (Quelle: Homepage NPD LV NRW). RechtsextRemismus 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Das Positionspapier endet mit einem durch den NPD-Landesvorsitzenden Claus Cremer veröffentlichten Zitat des ehemaligen NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt: "Das Reich ist unser Ziel, die NPD unser Weg." Damit ist in den Augen der NPD zweifellos das Dritte Reich gemeint. Im Rahmen des Wahlkampfes zur Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen 2009 gab die NPD im Rhein-Erft-Kreis einen Flyer heraus, in dem sie äußert: "Das herrschende System hat seine Unfähigkeit, die Probleme unserer Zeit zu lösen, zur Genüge bewiesen. Nun ist es an der Zeit für neue Wege, denn das System ist nicht reformierbar!" Der NPD-Kreisverband Düsseldorf berichtet am 18. März 2012 über eine Protestkundgebung am Dortmunder Hauptbahnhof anlässlich der Exekutivmaßnahmen gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein'. In diesem Bericht drückt die NPD ihre Verachtung gegenüber dem demokratischen System aus und spricht sich für einen völkischen Nationalismus aus: "Damit stellt der nationale Widerstand eine Gefahr für das System dar, zumal er fordert, daß ein Ende der Spirale von weiter krisenhaft um sich greifenden Fehlentwicklungen nur mit der Beseitigung des bestehenden pseudodemokratisch-kapitalistischen und oligarchischen Parteiensystems einhergehen kann. An seine Stelle muß ein nationaler Volksstaat treten." (Quelle: Homepage des NPD KV Düsseldorf/Mettmann). Die NPD ist fremdenfeindlich Um ihre Ziele zu verdeutlichen, greift die NPD auf bestimmte Schwerpunktthemen zurück. Neben sozialen Fragestellungen ist die Ausländerpolitik ein zentrales Thema für die NPD. Der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte eigens hierzu im August 2008 erneut eine Initiative "Ausländerstopp-NRW" ins Leben gerufen. Dabei werden Ausländer pauschal als kriminell und gewaltbereit diskriminiert und einseitig für die hohe Arbeitslosigkeit und Probleme in den Sozialsystemen verantwortlich gemacht. Darauf scheint der NPD LV NRW auch heute noch stolz zu sein. In einem Eintrag vom 19. Oktober 2013 auf der Facebook-Seite des Landesverbandes unter dem Titel "Wer hat's erfunden?" heißt es zu dieser Kampagne: 46 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Die erste 'Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA)' kam in den 80ern aus NRW" (Quelle: Facebook-Seite des NPD LV NRW). Im Berichtsjahr legte die NPD im Rahmen des Bundestagswahlkampfes unter anderem ein Plakat "Sicher leben! Asylflut stoppen!" auf. Auch die Parteizeitung 'Deutsche Stimme' ist seit Jahren durchsetzt mit verschiedenen Belegen für die Fremdenfeindlichkeit der NPD. Vor allem angebliche Belastungen für die deutschen Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt werden thematisiert. Unter der Überschrift "Ein milliardenschweres Minus" wird gehetzt: "77,62 Milliarden Euro ist die Summe, welche die Migration die bundesdeutschen Steuerzahler jährlich kostet. [...] Dafür erhält der Steuerzahler im Gegenzug überproportional viele Kriminelle und integrationsunwillige Menschen [...], die sich zudem rapide vermehren." (DS 2/2009, Seite 18). Im Zuge der Debatte um die Veröffentlichung des Buches "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin legte die NPD mit einer eigenen Kampagne nach: Unter der Überschrift "Millionen Fremde kosten uns Milliarden!" erklärt die NPD: "Sarrazins Thesen vertritt die NPD schon lange - und konsequenter", denn "nur die NPD denkt konsequent zu Ende, wo Sarrazin offenbar Schluckbeschwerden bekommt. Mit noch so vielen Zahlen und richtigen Analysen ist es nämlich nicht getan. Um das Ausländerproblem in Deutschland wirklich in den Griff zu bekommen, werden wir früher oder später nicht darum herum kommen, die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer nicht nur auf dem Papier, sondern auch faktisch herunterzufahren - mit einem breit angelegten staatlichen Rückführungsprogramm. Es geht eben nichts über das Original." (DS 10/2010, Titelseite/Leitartikel). In dieselbe Kerbe schlägt der Autor des Artikels "Multikulti implodiert", wenn er die Frage stellt: "Überfremdungsfolgen: Wann brennen bei uns die Städte? Auch bei uns schaut der Staat meist tatenlos zu, wie Einwanderer einen Straßenzug nach dem anderen erobern und 'Parallelgesellschaften' um RechtsextRemismus 47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 sich greifen, in der Deutsche nicht mehr geduldet werden." (DS 09/2011, Seite 2). Im Verlauf des Wahlkampfes der NPD zur Landtagswahl 2012 in NRW richtete die NPD eine "Online-Meldestelle gegen Illegale und kriminelle Ausländer" ein. Diese Art der Diffamierung von Migranten kopierte sie nach Angaben ihres Landesvorsitzenden Claus Cremer auf der Webseite der NPD LV NRW am 11. April 2012 vom belgischen 'Vlaams Belang' (Quelle: Homepage des NPD LV NRW). Die NPD ist rassistisch Die Ablehnung von Ausländern und Deutschen mit Migrationshintergrund begründet die NPD "biologisch", das heißt, sie lehnt die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Art. 3 des Grundgesetzes ab und teilt diese demgegenüber in "Rassen" ein. Was darunter zu verstehen ist, wird unter dem entsprechenden Schlagwort auf der Homepage der NPD unter "A-Z" erläutert. Zum Stichwort "Rasse" erklärt die NPD dort: "Die Menschheit wird in drei Groß-Rassen eingeteilt [...]. Die europäische Großrasse wird im Allgemeinen in folgende Unterrassen gegliedert [...]. Rassen entstehen durch Mutation, Isolation und Auslese." Hier zeigt sich einmal mehr die ideologische Nähe der NPD zum Nationalsozialismus. Der als "bedeutender Anthropologe" zitierte Autor Hans F. K. Günther war nicht irgendein Wissenschaftler, sondern der "Rasse"-Ideologe des NS-Regimes - Spitzname "Rassepapst". Auf diesen beruft sich auch ein ehemaliges NPD-Bundesvorstandsmitglied in einem Artikel in der DS 01/2011, Seite 20 mit der Überschrift "Angst und Rasse". Als Beispiel für den dort zitierten "nordischen Menschen" wird ein Bild aus der Publikation von Hans F. K. Günther abgedruckt. Aus dessen rassistischen Überlegungen, die bereits den Nationalsozialisten als ideologische Grundlage für ihre menschenverachtende Politik dienten, zieht die NPD den Schluss, dass es auch keine Gleichheit (im Sinne des Grundgesetzes) geben könne. In der 'Deutschen Stimme' heißt es hierzu: "Es gibt keine Gleichheit der Menschheit. [...] Wer die Gesetze des Lebens ignoriert, betreibt seinen eigenen Untergang." (DS 08/2009, Seite 3). Weiter fragt die NPD: 48 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Was bleibt von der Rasse? [...] Doch kann es im biologischen od auch im philosophischen Sinne nie eine allgemeine Gleichheit geben." (DS 04/2009, Seite 18). In einem Beitrag vom 27. August 2013 formulierte der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer unter dem Titel "Deutschland muß das Land der Deutschen bleiben!" "Die NPD liegt (leider) mit ihren Aussagen zu einer systematischen Überfremdung unserer Heimat absolut richtig. Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. [...] Ein Afrikaner, ein Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert [...] Bildlich gesprochen kann man auch sagen dass es Unsinn ist zu glauben, daß ein Esel ein Lipizzaner wird, nur weil man ihn in den gleichen Stall stellt". (Quelle: Homepage NPD LV NRW). Aus Anlass der Kommunalwahl 2009 interviewten Schüler im Rahmen der Erstwählerkampagne "Du hast die Wahl!" neben Politikerinnen und Politikern auch den Spitzenkandidaten der NPD in Wuppertal. Neben grundsätzlichen Äußerungen wider die freiheitliche demokratische Grundordnung vertrat dieser eine rigoros rassistische Grundhaltung, die auf einem "lebensrichtigen Menschenbild" aufsattelt, welches in einer biologischen Ungleichheit aller Menschen gipfelt. Gleichermaßen in Frage gestellt werden die historisch-politische Existenzberechtigung der Bundesrepublik als Staat sowie das Grundgesetz als Verfassung. "Meine Partei ist geprägt insbesondere von zwei Grundgedanken. Der eine ist das lebensrichtige Menschenbild. [...] Das lebensrichtige Menschenbild unserer Partei unterscheidet sich elementar vom Menschenbild aller andern [...]. Wir sagen, alle Menschen sind gleich geboren und sollten die gleichen Rechte haben, aber sie sind nicht gleich. Sie sind per se nicht gleich. [...] Man darf nicht den Fehler machen, zu sagen, dass diese Werte [...] in diesem Land uneingeschränkt für alle Personengruppen, insbesondere für artfremde Völker gelten. Wir vertreten die Auffassung, erstens, dass das Grundgesetz [...] nur eine momentane von den Siegermächten diktierte Art der Verfassung ist." RechtsextRemismus 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Mit der NPD kooperierende Neonazis luden am 14. Oktober 2011 zu einer Veranstaltung unter dem Titel "Das Rheinland im Angriff!" ein. Bei dieser Veranstaltung redeten auch Funktionäre der NPD. Ein Vertreter des NPD KV Düsseldorf macht die durch Einwanderung im Wandel begriffene Gesellschaft verächtlich und sieht jedes Mittel gegen diese Entwicklung gerechtfertigt: "Das ist eine geistige Pest, die sich Multikulti nennt und die wir mit allen nur möglichen Mitteln bekämpfen müssen." (Quelle: ein bei YouTube eingestelltes Video). Eine besonders geschmacklose Kampagne führte die NPD im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2013. In einer gezielten Aktion wurden Politiker mit Migrationshintergrund eigens hergestellte Kondome zugestellt mit der Aufschrift "Für Ausländer und ausgewählte Deutsche!". Nachfolgend ein Auszug aus dem Text, mit dem die Verpackung bedruckt ist: "Eine Aktion der JN Sie vermehren sich blitzartig, nerven, kosten unser Geld und haben eigentlich keinen Nutzen - die Politiker der korrupten Altparteien. Sie tun so, als ob sie sich für unsere Probleme interessieren, um dann jahrelang in den Parlamenten eine ruhige Kugel zu schieben. Sie wollen die multikulturelle Gesellschaft, die unsere Kultur zerstört. Sie lassen zu, dass sich unsere Gesellschaft überfremdet. Die JN hat die Lösung: Kondome für Ausländer und ausgewählte Deutsche! Ab jetzt kann jeder durch die Stadt gehen und aktiv den demografischen Wandel bekämpfen. Einfach diese netten Kondome verteilen. Aber nicht vergessen selber fleißig zu sein: Unser Nachwuchs kommt nicht von alleine!" Anmerkung: Der Hersteller der Kondome hat sich mittlerweile von der Aktion distanziert und seine diesbezüglichen Einnahmen einem wohltätigen Zweck gespendet. 50 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Internetauszug der Facebook-Seite der NPD über die Kondom-Aktion der JN Die NPD ist islamfeindlich Neben der allgemeinen Hetze gegen Ausländer sind insbesondere die Menschen muslimischen Glaubens Opfer der NPD-Propaganda. Indem die NPD Überfremdungsängste schürt und den Islam mit Islamismus und Terrorismus gleichsetzt, zeichnet sie ein verzerrtes Bild der hier lebenden Muslime, insbesondere aus der Türkei. Eine derartige islamfeindliche Zuspitzung ist für rechtsextremistische Parteien typisch und durchzieht auch die Propaganda etwa von 'pro Köln'. Die NPD hatte bereits im Jahre 2009 nach der Schweizer Volksabstimmung zu dieser Frage eine "Anti-MinarettInitiative" mit dem Ziel einer Online-Petition gestartet. In einer Presseerklärung vom 8. Dezember 2009 heißt es: "Natürlich war es richtig, die Steilvorlage aus der Schweiz aufzunehmen. [...] Auftakt eines europaweiten Aufstandes gegen die fortschreitende Überfremdung unserer Länder und gegen die schleichende Machtübernahme durch den Islam." (Quelle: NPD-Homepage). Ein sächsischer Landtagsabgeordneter der NPD verweist auf den strategischen Hintergrund: RechtsextRemismus 51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Internetauszug der Homepage der NPD mit einem Beispiel zu deren Islamfeindlichkeit "Im Westen müssen wir das Thema 'Islamisierung' noch viel stärker aufgreifen. [...] In strategischer Hinsicht ist Pro-Köln in dieser Hinsicht schon ein positives Beispiel". (DS 10/2010, Seite 3+4). Die NPD sieht Deutschland als Ziel und Opfer einer großangelegten Übernahmeaktion islamischer Länder, vor allem der Türkei: "Die Facette der psychologischen Kriegsführung basiert auf der Tatsache, daß türkische Regierungskreise im Territorium der Bundesrepublik die zukünftige Westprovinz eines großtürkischen Imperiums sehen; die einzelnen Stadien der Übernahme werden von Ankara aus steuernd begleitet. [...] Deren Vorgehen zeigt, daß die Bundesrepublik von der türkischen Regierung als eine Kolonie angesehen wird, deren fortschreitende Eroberung höchste Priorität hat." (DS 07/2009, Seite 19). 52 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 In der 'Deutschen Stimme' macht die NPD ihre Position deutlich: "Niemals deutsches Land in Moslem-Hand!" heißt es da. Der Kampf gegen die Islamisierung sei der Türöffner für weitergehende ausländerpolitische Forderungen. Dabei könne man sich die "feinsinnige Unterscheidung in Islam und Islamismus" sparen (DS 02/2010, Seite 11). Bei ihren Hetztiraden greift die NPD auch zu drastischen Formulierungen, die rechtstaatliche Prinzipien wie zum Beispiel das Vorliegen von Hinderungsgründen für eine Abschiebung negieren: "Islamisten-Sumpf trockenlegen! Der Terror-Sumpf muß ausgetrocknet, islamistische Zellen müssen mit der ganzen Härte des Gesetzes ausgeräuchert werden, und kriminelle und terroristische Ausländer gehören nicht nach Deutschland, sondern in ihre Heimatländer zurückgeführt - unverzüglich." (DS 04/2011, Seite 2). Der NPD geht es ferner darum, dass sich Muslime in Deutschland gar nicht erst zu Hause fühlen: "Je fremder, desto besser [...] Je weniger 'Integration' und Durchmischung, je mehr (beiderseitige) Distanz und getrennte Entwicklung, desto besser die Voraussetzungen den Multikultiwahn einst zu beenden." (DS 04/2010, Seite 5). "NEIN Ihr gehört nicht dazu! [...] Auch die Feststellung, daß der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist eine Binsenweisheit erster Güte. Nur Verblendete oder Bösartige können das Jahr 1683, als türkische Kulturbereicherer zum letzten Mal vor Wien standen und die Messer wetzten, für den Beginn einer wunderbaren Freundschaft halten. [...] Belassen wir es also dabei, wie es immer war: zwei Völker, zwei Wege, zwei Welten. So fällt das Abschiednehmen leichter, wenn es demnächst so weit ist." (DS 04/2011, Seite 1/Leitartikel). Kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 13. Mai 2012 wurde von der NPD aus taktischen Erwägungen im Hinblick auf die Demonstrationen von 'pro NRW' und die massiven Gegenreaktionen durch Salafisten die Anti-Islamkampagne von der NPD erneut aufgegriffen und verstärkt vorangetrieben. Sie verband dabei IslamfeindRechtsextRemismus 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 schaft mit völkischem Nationalismus. So forderte sie in einem Flugblatt: "Salafistische Gefahr stoppen - Deutschland uns Deutschen". In einem Beitrag vom 7. Juni 2013 unter dem Titel "Islamismus - die Bedrohung wird größer" verweist der Verfasser darauf, dass die Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht allein von Salafisten verursacht würde: "Mittlerweile sei der Salafismus eine jugendaffine Subkultur, die in der Lage ist, frustrierte und bildungsferne Muslime in ihren Bann zu ziehen. Die islamischen Gemeinden leugnen bisher das Problem, wissen sie doch, daß der Kern des Problems der Islam selbst ist." (Quelle: Homepage NPD LV NRW). Die NPD ist antiziganistisch Mit Berichten über einen starken Zuzug von Sinti und Roma und einer durch 'pro NRW' initiierten Hetzkampagne entdeckte die NPD ein weiteres vermeintlich populistisches Thema für eine eigene Kampagne "Zigeunerflut stoppen! Kriminalität bekämpfen!". Mit Überschriften in verschiedenen Beiträgen auf der Homepage des NPD-Landesverbandes NRW wie : Deutsche Kinder und Rentner an der Armutsgrenze, Zigeuner im Siebten Himmel : Zigeunerflut: Gutmenschenund Systemschreiberlinge schlagen Alarm : Sintiund Romaproblematik: Kinderhandel - ein lukratives Geschäftsmodell? : Duisburger und Wuppertaler Zigeunerbande bereicherte viele Gemeinden in NRW : Duisburg: Unzählige Zigeunerkinder höchst kriminell! werden Ängste und Ressentiments in der Bevölkerung geschürt, Sinti und Roma pauschal als Kriminelle verunglimpft und mit dem diskriminierenden Begriff "Zigeuner" belegt. Ein friedliches Zusammenleben wird dabei von der NPD ausdrücklich nicht gewünscht. In der Online-Ausgabe der Publikation 'Kurz & Knapp' des NPD LV NRW warnt die Partei dramatisierend unter der Überschrift "Zigeuner-/Asylflut stoppen! Einmal NRW und zurück!" vor Hunderttausenden von Wirtschaftsflüchtlingen, die bereits auf gepackten Koffern sitzen. Ganze rumänische Dörfer seien schon in Deutschland gelandet. Damit müsse Schluss sein. 54 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Auszug aus der Online-Ausgabe der Publikation 'Kurz & Knapp' im September 2013 Die NPD ist antisemitisch Obwohl die NPD soziale Themen und die "Bedrohung durch den Islam" in den Vordergrund rückt, weicht sie nicht von ihren "traditionellen" antisemitischen und revisionistischen Positionen ab. Es werden nicht nur plumpe antisemitische Äußerungen wiedergegeben, sondern auch der Holocaust bezweifelt (im Grundsatz auch die Zahl der jüdischen Opfer des Völkermordes) und die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geleugnet. In diversen Beiträgen und Interviews verschafft die 'Deutsche Stimme' auch bekannten Revisionisten eine Plattform zur Verbreitung ihrer Thesen. Daneben finden sich zudem Ansätze einer Verschwörungstheorie, nach der "jüdische Interessenvertreter" zusammen mit dem "Großkapital der amerikanischen Ostküste" nach Weltherrschaft streben. Beispielhaft für eine Vielzahl einschlägiger Artikel stehen folgende Auszüge: "2004 hatte der Historiker Werner Maser den Mut, festzustellen, dass die bislang vorgelegten 'Beweise' fragwürdig seien. Er erklärte, dass die 'Zeugenberichte über die Anzahl der Öfen, das Fassungsvermögen der RechtsextRemismus 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gaskammern und Krematorien, die Anzahl der jeweiligen Vergasungsopfer, die Gassubstanzen, die Dauer der Vergasungen, die Herausnahme der vergasten Opfer und die Verbrennungsvorgänge usw.' sich einfach voneinander [unterscheiden, Anm. der Red.] und erheblich widersprechen. Diese Widersprüche ziehen sich durch die gesamte Historiographie." (DS 03/2009, Seite 23). Unter der Überschrift "Die Ersatzreligion" heißt es in der DS 07/2009 auf Seite 22: "Seit 1945 steht das Christentum in Deutschland im Begriff [...] nach und nach durch die Religion der deutschen 'Alleinkriegsschuld' und des 'Holocaust' abgelöst zu werden. [...] ein kritisches Hinterfragen der Dogmen [wird] nicht geduldet." Auf der Homepage des NPD LV NRW veröffentlichte der Pressesprecher der Landespartei am 27. Januar 2013 (dem Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz) einen Artikel unter der Überschrift "SPD will Juden einen Wald als Zeichen der Verbundenheit schenken". Der Verfasser beschreibt dies als verfrühten Aprilscherz, um das erinnerungspolitische Anliegen zu verunglimpfen. Grundsätzlich hält sich die NPD aber - gerade auch vor dem Hintergrund der Strafbarkeit entsprechender Äußerungen - mit antisemitischen Ausfällen zurück. Intern wird aber offen antisemitisch geredet. NPD ist minderheitenfeindlich Im Zusammenhang mit der Diskussion über eine Frauenquote im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD spekulierte der NPD-Landespressesprecher in einem Beitrag vom 18. November 2013 über weitere mögliche Quoten. Dabei finden sich alle potenziellen Opfer der NPD-Hetzpropaganda in einer einzigen Frage wieder: "Bald auch Schwulen-, Lesben, Juden-, Zigeuner-, Schwarzenund/oder Moslemquote?" (Quelle: Homepage NPD LV NRW). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es sich bei den Genannten in etwa auch um die Personengruppen handelt, die der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zum 56 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Opfer gefallen sind. Aus Sicht der Verfassungsschutzbehörde ist das weder ein Zufall noch Versehen, wie die nachfolgenden Ausführungen belegen. Auszug aus der Homepage des NPD LV NRW vom 18. November 2013 Die NPD ist revisionistisch "Revisionismus" bezeichnet den Versuch von Rechtsextremisten, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus verübten Verbrechen in Zweifel zu ziehen bzw. zu verharmlosen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht die Leugnung bzw. Relativierung des Holocaust (die sogenannte "Auschwitz-Lüge"). Ein weiteres wichtiges Thema des Revisionismus ist die "Kriegsschuldfrage". Durch Veröffentlichung angeblicher geheimer Unterlagen soll die Schuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des 2. Weltkrieges relativiert bzw. geleugnet werden. Ein weiterer Punkt ist die Infragestellung der deutschen Ostgrenze (der sogenannte "Gebietsrevisionismus"). In der revisionistischen Agitation besteht "[...] das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 [...]" fort. Der Revisionismus stellt bei vielen Rechtsextremisten - so auch bei der NPD - ein wichtiges Ideologieelement dar. RechtsextRemismus 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Einem einschlägig vorbestraften Revisionisten wird in der 'Deutschen Stimme' (09/2009, Seite 3) Raum gegeben, um unter der Überschrift "Die Wahrheit wird sich durchsetzen" zu behaupten: "Alle diese Sachverhalte habe ich in meinem Buch 'Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges' [...] einwandfrei quellenbelegt nachgewiesen [...]. Erstens die Kriegserklärung 'Judea against Germany' am 24. März 1933, für die Adolf Hitler nicht den geringsten Anlaß geliefert hatte [...]." Und in der Oktoberausgabe der 'Deutschen Stimme' (10/2009) wird zum Beginn des Zweiten Weltkrieges behauptet, dass es bei dem Überfall auf Polen um "Rettung vor Stalins Genickschussbrigaden" gegangen sei und dass der Zweite Weltkrieg im Grunde genommen ein "Freiheitskrieg"13 war. "Auf den Tag vor 70 Jahren beendete der 'Führer' des Großdeutschen Reiches den staatlich inszenierten Terror gegen die deutsche Minderheit in Polen durch die Verkündung, daß ab '5 Uhr 45 zurückgeschossen' werde." Aber nicht nur die Einschätzungen der NPD zu Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch ihre Zukunftsvisionen sind geprägt von Zynismus und rassistischen Vorurteilen: "Der Blick in die Glotze .... wird immer schlimmer: Wie das Fernsehprogramm des letzten öffentlich-rechtlichen Kanals der BRD am 20.1.2031 aussehen könnte 14.00 Uhr Direktübertragung aus der Gedenkstätte Erlenwald [...] spricht Bundespräsident Ngoro Hurabura. Umrahmt wird das Treffen vom Chor der Selbsterfahrungsgemeinschaft Erbschuld. 16.00 Uhr Fatimas Kochshow 16.45 Uhr Jiddisch für Anfänger Folge 9: Der Gang zur Börse [...] 13 Artikel "Es war ein Freiheitskrieg" in DS 02/2010, Seite 23. 58 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 21.45 Uhr Schächten für den Hausgebrauch Praktische Tipps und Anleitungen von Rabbi Schlomo Pflaumbaum und Mullah Hussein [...] (Aus einem Beitrag in der DS 02/2011, Seiten 8/9) Die NPD verherrlicht den Nationalsozialismus Die NPD glorifiziert in Beiträgen der 'Deutschen Stimme' den historischen Nationalsozialismus und stellt sich selbst in die Nähe zu rechtskräftig verurteilten Verbrechern des NS-Regimes. "Die Alliierten haben sich keinen Gefallen getan Im Mai 1941 flog Rudolf Heß nach England [...]. Die Empörung über die Behandlung und die Sympathie, ja man kann fast sagen die Verehrung, die Heß entgegengebracht wird, ist europäisch [...] kann ich mir wahrlich schlechtere Vorbilder und Idole vorstellen. Kraft tankt man an Beispielen. Heß scheint so eines zu sein." (DS 05/2011, Seite 23). In der 'Deutschen Stimme' 08/2009 posiert der ehemalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt vor einem Plakat, auf dem "Freiheit für Erich Priebke!" verlangt wird. Ihren Gipfel findet die Unterstützung des einschlägig verurteilten Kriegsverbrechers Erich Priebkes in einem Parteitagsbeschluss, der das Bedauern ausrückt, dass diese "vorbildliche Persönlichkeit aus formalen Gründen" nicht als Kandidat der NPD für das Amt des Bundespräsidenten bestimmt werden könne. Der 'Ring Nationaler Frauen' (RNF) bemühte das bekannte Motiv des Autobahnbaus durch das nationalsozialistische Regime: Auszug aus der Homepage der RNF "Als der deutsche Sozialstaat noch funktionierte: Autobahn in den Dreißigern [...]." (RNF Berlin, DS 04/2009, Seite 19). RechtsextRemismus 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 An anderer Stelle preist die NPD die sozialen "Errungenschaften" des Dritten Reiches, ohne dieses Regime allerdings explizit zu benennen: "Ja zu Deutschland - ja zum Reich! Zur Reichsgründung vor 140 Jahre/Immerwährende Aktualität der Reichsidee Um den Fortbestand des Volkskörpers Es blieb dem 20. Jahrhundert und der "Volksgemeinschaft" der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten, sozialpolitisch zu vollenden, wofür Bismarck den Weg gebahnt hatte." (DS 02/2011, Seiten 22). In einem Beitrag vom 29. April 2013 auf der Homepage des NPD LV NRW unter dem Titel "OPEL: Nicht erpressen lassen!" wird seitens des NPD-Landesvorsitzenden Claus Cremer in einem Zitat vom "raffenden Finanzkapital" gesprochen. "Das raffende Finanzkapital darf sich nicht erlauben was es will" (Quelle: Homepage NPD LV NRW). Cremer greift damit auf den Sprachgebrauch des "Wirtschaftstheoretikers" Gottfried Feder der NSDAP zurück, der die Theorie vom "raffenden und schaffenden Kapital" entwickelt hatte, die ihren Niederschlag im Parteiprogramm der NSDAP fand. Hier zeigt sich die "Wesensverwandtschaft" der Ideologie der NPD und des Nationalsozialismus die ein Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte vom 25. Februar 2013, welches im Rahmen der Vorbereitungen für einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht für ein Parteiverbot der NPD erstellt wurde, belegt hat. Diese Eigenschaft war ein maßgeblicher Grund für das Parteiverbot der 'Sozialistischen Reichspartei' (SRP) im Jahre 1952 durch das Bundesverfassungsgericht. Die NPD ist aggressiv-kämpferisch Neben den verfassungsfeindlichen Äußerungen der NPD liegen auch Belege über aktiv-kämpferische, aggressive Bestrebungen vor. Diese sind eine weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren. Sie ergeben sich im Wesentlichen aus den strategischen Konzepten der NPD zur Umsetzung ihrer politischen Ziele, den engen Verflechtungen mit der Neonazi-Szene, der Verbindung zu verbotenen Orga60 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nisationen und der Einstellung zur Gewalt als Mittel im politischen Kampf. Als weitere Belege dienen zahlreiche Strafverfahren gegen führende NPD-Funktionäre. In einer Erklärung vom 8. Juni 2010 formuliert der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer unter dem vielsagenden Titel "Dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht werden": "Die NPD, als parlamentarischer Arm des Widerstandes, hat nun weiterhin Taten folgen zu lassen, um dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht zu werden" (Quelle: Homepage NPD LV NRW). In einem Beitrag im sozialen Netzwerk Google+ mit dem Titel "Über mich" schreibt zum Beispiel der Vorsitzende des NPD KV Krefeld über sein Selbstbild und die Ziele der NPD folgendes: "Ich verstehe mich selbst als einen Vertreter des völkischen Nationalismus. Die Bildung einer Volksgemeinschaft sollte das Ziel aller Volksdeutschen sein. Nur wenige merken, dass unsere Gemeinsamkeit von Geschichte, Kultur und Abstammung in Deutschland durch bewusst herbeigeführten, fortgesetzten Ausländerzustrom zu vernichten droht. Es wird einen Kampf geben, in dem es um mehr geht als nur um Sieg oder Freiheit...! Es geht um die Wurzel unserer Kultur, die Säuberung unserer verdreckten Gesellschaft, einhergehend mit dem der Erhaltung unserer arteigenen Sprößlinge." (Quelle: Google+ bzw. Facebook-Seite des NPD Krefeld). Die NPD spricht vom "Frontalangriff gegen das System", was eben auch die aggressive Bekämpfung der Demokratie mit einschließt. Bei der Wahl der Mittel fordert die NPD eine gewisse "Kreativität", man schließt aber auch einen "Frontalangriff" gegen das System nicht aus: "Wir müssen beweglich und kreativ sein". Die DS im Gespräch mit dem scheidenden Geschäftsführer des 'Deutsche StimmeVerlages': "O.: Ich für meinen Teil werde nie Yad Vashem betreten! Frage: Die Wortergreifungsstrategien im nationalen Lager sind sehr unRechtsextRemismus 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 terschiedlich - vom Frontalangriff gegen das System bis zur Veränderung durch Mitarbeit [...] Welche Strategie ist die Richtige? O.: Alle Strategien, die zum Erfolg führen, sind richtig. Das 'Allheilmittel' ist mir leider nicht bekannt und deshalb soll und muß das nationale Lager viele verschiedene Wege gehen und ausprobieren. Wir müssen hier beweglich und kreativ sein und notfalls auch mit dem Teufel zusammenarbeiten, solange er nicht aus Jerusalem kommt." (DS 01/2011, Seite 3). Der Bundesrat reicht NPD-Verbotsantrag ein Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gesammelten Belege und nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Mordserie des NSU beschlossen die Innenminister des Bundes und der Länder Ende 2011, das vorliegende Material zusammenzustellen und die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotsverfahrens erneut zu prüfen. Der Verfassungsschutz NRW hat sich intensiv in die gemeinsame Materialsammlung von Bund und Ländern eingebracht, die die Verfassungswidrigkeit der Partei belegen soll. Die Behörde hat insbesondere Materialien vorgelegt über die Verbindungen der NPD vor allem zur Neonazi-Szene sowie zu ihrer Ausländer-, insbesondere Islamfeindlichkeit. Die Materialsammlung enthält Beweisstücke zu allen bisher vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen für ein Parteienverbot. Die Innenminister und -senatoren der Länder hielten es daher für geboten, beim Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage der Materialsammlung ein Verbot der NPD zu beantragen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich am 6. Dezember 2012 dafür ausgesprochen, das Verbotsverfahren einzuleiten. Bereits am 14. Dezember 2012 hat der Bundesrat die Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht beschlossen. Am 3. Dezember 2013 wurde der ausführlich begründete und mit einer Materialsammlung sowie Gutachten belegte Antrag durch die Prozessbevollmächtigten des Bundesrates beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Reaktionen der NPD In einer ersten Reaktion am 8. November 2012 auf die politischen Diskussionen zu einem Verbotsantrag stellte die NPD beim Bundesverfassungsgericht ihrerseits einen 62 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Antrag im Parteiverbotsverfahren". Das Bundesverfassungsgericht solle feststellen, dass die NPD nicht verfassungswidrig sei. Hilfsweise solle es unter anderem feststellen, dass die Antragsgegner Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung die Rechte der NPD aus Art. 21 GG dadurch verletzten, dass sie fortwährend die Verfassungswidrigkeit der NPD behaupteten, ohne einen Verbotsantrag zu stellen und auf diese Weise die Wirkungen eines faktischen Parteiverbots herbeiführten. Diesen Antrag versuchte die NPD in ihrer Öffentlichkeitsarbeit propagandistisch zu nutzen. Der zweite Senat des BVerfG hat mit Beschluss vom 20. Februar 2013 den Antrag der NPD verworfen (2 BvE 11/12). Die "Erfurter Erklärung" der NPD Auf einer Bundesvorstandssitzung am 26. und 27. Januar 2013 beschloss der NPDParteivorstand die sogenannte "Erfurter Erklärung". Im Kern der Erklärung wiederholt die NPD den Vorwurf, dass sie durch die sich hinziehende Verbotsdiskussion Schaden nehme. Insofern begrüße auch die NPD die Absicht der Innenminister, das Verbotsverfahren nun auch tatsächlich einzuleiten. Die Organisation der NPD Der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen Der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2012 seinen Sitz von Bochum nach Essen verlegt. Bundesweit ist der LV NRW nur von geringer Bedeutung. Das macht sich in der vergleichsweise schwachen Vertretung im Bundesvorstand deutlich, dem aktuell nur zwei Personen aus NRW als Beisitzer angehören. Die Situation des NPD LV NRW ist seit Jahren von Stagnation der Mitgliederzahlen, schwachen Wahlergebnissen (zumeist die schlechtesten auf Bundesebene) und einem Landesvorstand gezeichnet, der der Partei keine politischen Impulse geben kann. Der seit 2008 amtierende Landesvorsitzende Claus Cremer verfügt innerparteilich nur über geringe Autorität und wenig Ansehen. Mit knapp 650 Mitgliedern ist die Mitgliederzahl gegenüber 2012 leicht rückläufig. Nennenswerte Aktivitäten sind vom Landesverband im Berichtsjahr nicht ausgegangen. Die NPD-Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen Die NPD steht seit Jahren vor erheblichen Problemen mit ihrer Parteiorganisation flächendeckend präsent zu sein. Schon in der Vergangenheit waren die NPD-KreisRechtsextRemismus 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 verbände zum Teil größer als die Verwaltungsgrenzen (Kreis bzw. kreisfreie Stadt). Im Berichtsjahr musste die NPD auch im Regierungsbezirk Münster ihre Aktivitäten - ebenso wie im Regierungsbezirk Detmold - auf einen einzigen Kreisverband konzentrieren. Damit ist die Partei nur noch im Rheinland, im Ruhrgebiet und im Sauerland organisatorisch in nennenswertem Umfang vertreten. Der Selbstauflösung des ehemals aktiven KV Düren und den vergeblichen Versuchen, den KV Wesel/Bocholt zu reaktivieren, steht die erfolgreiche Reaktivierung des seit Jahren inaktiven KV Duisburg im Berichtsjahr 2013 entgegen. Aktuell dürfte die NPD über weniger als 20 aktive Kreisverbände in den insgesamt 54 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW verfügen. Damit ist die NPD auch weiterhin nicht in der Lage, flächendeckende Wahlkämpfe in Nordrhein-Westfalen zu betreiben. Die NPD in Kommunalparlamenten Mit der Wiederholung der Kommunalwahl in Dortmund am 26. August 2012 ist es der NPD gelungen, die Zahl ihrer kommunalen Mandate in etwa zu stabilisieren (wie das nachstehende Schaubild verdeutlicht). Diese hatten sich nämlich seit der Kommunalwahl 2009 durch Parteiaustritte und Parteiausschlüsse merklich reduziert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die NPD mit ihren landesweit etwa 20 Mandaten nahezu keine Aktivitäten entfaltet. Von einer kommunalen Verankerung der NPD kann man jedenfalls nicht sprechen. Durch den Wegfall der 5%-Hürde für den Einzug in kommunale Parlamente wird es der Partei vermutlich leichter fallen, einen Kandidaten über die Liste in den Rat zu entsenden. Dafür genügen ihr - je nach Größe der Kommune - schon Wahlergebnisse von ca. 1%, vorausgesetzt, es gelingt der NPD, auch geeignete Kandidaten aufzustellen. Aktuell ist die NPD lediglich in Dortmund mit mehr als einem Mandatsträger, nämlich mit einer sogenannten Gruppe im Rat vertreten. Damit kommt sie jedoch bereits in den Genuss von erheblichen finanziellen Zuwendungen (ca. 2/3 der finanziellen Zuwendungen an eine Fraktion). Die Strategie der NPD Die NPD äußert ihre oben dargestellten verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur verbal, sondern will diese im Rahmen ihres "Vier-Säulen-Konzeptes" auch umsetzen. Neben dem ideologischen "Kampf um die Köpfe" zählen dazu der "Kampf um die Straße", der "Kampf um die Parlamente" und der "Kampf um den organisierten Willen". Wie die 64 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Beispiel für parteiübergreifende populistische Themen im Facebook-Profil der NPD Dortmund Bürgerbewegung 'pro NRW' versucht die NPD mit vermeintlich populistischen Themen wie Islamfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit und der pauschalen Diskreditierung von Asylsuchenden als Kriminelle bei Wahlen politische Erfolge zu erzielen. Mehrheitlich gelingt ihr dies jedoch nicht. Im Rahmen der Bundestagswahl 2013 verzeichnete die NPD jedoch mit Aktionen gegen Asylunterkünfte sowie gegen Sinti und Roma RechtsextRemismus 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 punktuelle Wahlerfolge. Sowohl in vergangenen Jahren wie auch im Berichtsjahr 2013 setzte hier jedoch der politische Konkurrent der NPD, nämlich die Bürgerbewegung 'pro NRW', die entscheidenden ersten Akzente. Auch inhaltlich gleichen sich die Wahlplakate (zum Beispiel "Maria statt Scharia!") und die politischen Kampagnen beider Parteien gegen den Islam, Asylbewerber und gegen Sinti und Roma. Dabei versucht sich die NPD als Anwalt der tatsächlich oder subjektiv sozial Benachteiligten zu gerieren. In einem Interview mit einem Mitglied des NPD-Parteipräsidiums heißt es: "Die NPD ist die Schutzmacht aller Deutschen, die [...] vom sozialen Abstieg bedroht sind. [...] Volksgemeinschaft = Schutzgemeinschaft Weil das Gros unserer sozial abgehängten Landsleute für eine aktive Opposition gegen das System (noch) nicht zu mobilisieren ist, muß die NPD das Augenmerk zuerst auf diejenigen richten, die wirtschaftlich noch etwas zu verlieren haben. [...] Entscheidend ist die glaubwürdige Positionierung der NPD als Schutzmacht der 'kleinen Leute' [...] Das ist der Weg zum Ziel" (DS 04/2011, Seite 8). Dass ein nicht unerheblicher Teil ihrer Wählerschaft aus Jungund Erstwählern besteht, hat auch die NPD realisiert und ihren Wahlkampf und ihr Politikangebot entsprechend "jugendaffin" ausgerichtet (siehe auch "Öffentlichkeitsarbeit der NPD"). Das Spektrum an "bürgernahen Angeboten" der NPD in NRW (wie zum Beispiel Hartz IV-Beratung) beschränkt sich in NRW weitgehend auf Mahnwachen gegen Kinderschänder und Flugblätter gegen vermeintliche "GEZ-Abzocke". Mit angeblich bürgernahen Angeboten versucht die NPD, sich als "Anwalt der kleinen Leute" zu gerieren. Mit "Türöffner-Themen" möchte die NPD an bestehende Vorurteile und Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen, um hier den Boden für weitreichendere und deutlich extremistischere politische Ziele zu bereiten. In NRW ist diese Strategie im Gegensatz zu anderen Bundesländern allerdings weniger erfolgreich, wie die Wahlergebnisse der NPD belegen. Angeblich bürgernahe Beratungsund Politikangebote der NPD Im November 2011 präsentierte die NPD NRW eine Infobroschüre mit dem Titel "GEZ-Befreiung leicht gemacht". Diese enthielt Tipps zur Befreiung von Rundfunkund Fernsehgebühren sowie zur Erlangung eines Sozialtarifs bei der Deutschen Telekom. Der eigenen Aussage nach erklärte die NPD, "was das herrschende System 66 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lieber unter Verschluß halten würde". An anderer Stelle hieß es: "Behörden und etablierte Parteien verschweigen den Menschen ihre Rechte". Anlässlich ihrer Kampagne gegen "Kinderschänder" führten die 'Jungen Nationaldemokraten' (JN) in NRW bereits im Vorjahr diverse Mahnwachen, unter anderem in Viersen, Krefeld und Kempen durch. Im Zusammenhang mit dieser Kampagne veröffentlichten die JN NRW im Jahre 2012 auf der Homepage des JN-Bundesverbandes (die eigene Homepage www.jn-nrw.net wurde deaktiviert bzw. umgeleitet) ein sogenanntes "Präventivflugblatt Kinderschutz" mit einem Hinweis auf ein Alarmgerät bzw. ein mobiles GSM-Notrufgerät. Die Vernetzung der NPD International hatte die NPD unter ihrem langjährigem Vorsitzenden Udo Voigt gute Kontakte zu den spanischen Falangisten, russischen Rechtsextremisten und zu anderen rechtsextremistischen Parteien in verschiedenen südosteuropäischen Ländern. Diese Kontakte hat die Partei mit dem Vorsitzenden Apfel nicht weiter gepflegt. Statt die zersplitterte Rechte zu einen, wurde Apfel offenkundig zunehmend zu einer Belastung für die NPD. Im Bund sorgte der Kurs der "seriösen Radikalität" des zurückgetretenen Parteivorsitzenden Holger Apfel von Beginn an für Spannungen mit dem Parteiflügel, der der Neonazi-Szene nahe steht. Apfels Kurs wurde von vielen als zu "lasch" empfunden. Andererseits hatte der zurückgetretene Parteivorsitzende unter dem Eindruck der Verbotsvorbereitungen der Verfassungsschutzbehörden im Berichtsjahr 2013 versucht, keine neuen Angriffsflächen zu bieten. Bereits in den letzten Jahren sind der NPD in NRW ihre Bündnispartner aus der Neonazi-Szene zunehmend fremd geworden. Auslöser war die Weigerung des Landesverbandes, einen bekannten Neonazi in die Partei aufzunehmen. Daraufhin hatte sich der ehemals sehr aktive KV Düren selbst aufgelöst und ein weiterer KV-Vorsitzender war zurückgetreten. Gemeinsame Aktivitäten von NPD und Neonazi-Szene finden in NRW kaum noch statt. Mit der Gründung des Landesverbandes NRW der Partei 'Die Rechte' haben sich die Konflikte eher noch verschärft. Eine Ausnahme stellt der NPDKreisverband Unna/Hamm dar, der mit der Partei 'Die Rechte' eng zusammenarbeitet. RechtsextRemismus 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Konflikte der NPD mit anderen Gruppierungen In Dortmund haben die Konflikte zwischen dem örtlichen KV der NPD und dem KV Dortmund der Partei 'Die Rechte' eine neue Qualität erreicht. So wurde versucht, den NPD-Kreisvorsitzenden durch Androhung von Prügel und Farbschmierereien am Haus einzuschüchtern und eine Konkurrenz-Kandidatur der NPD in Dortmund für die Kommunalwahl 2014 zu verhindern. Andererseits besucht der Vorsitzende des NPD KV Unna/Hamm regelmäßig die Veranstaltungen der Partei 'Die Rechte' in Dortmund und fällt damit sowohl seiner Partei als auch seinem Parteifreund in den Rücken. Der NPD-Landesverband bzw. der Landesvorsitzende sind nicht in der Lage, diesen Konflikt zu lösen. Die Aktivitäten der NPD Die Aktivitäten der NPD im Bundestagswahlkampf 2013 Im Vorfeld der Bundestagswahl führte die NPD eine Deutschlandfahrt mit einem umgebauten LKW, ihrem sogenannten "NPD-Flaggschiff", durch große Städte in ganz Deutschland durch, darunter auch 15 größere Städte in NRW. Bei den Zwischenstopps waren durchschnittlich nur 10 - 20 Personen anwesend. Auf Landesebene und in verschiedenen Kommunen gab es zahlreiche dezentrale Aktionen wie Mahnwachen oder Infostände. In NRW wurden nur vergleichsweise wenige Plakate der NPD verklebt. Ursache hierfür dürften die anhaltenden Liquiditätsprobleme des NPD LV NRW sein. Schwerpunktthemen im Bundestagswahlkampf waren Islamfeindlichkeit und Aktionen gegen Asylbewerberheime sowie gegen Sinti und Roma. Aber auch Themen wie "Abschaffung des Euro", "Auslandseinsätze der Bundeswehr" und "Kinderschänder" spielten im Wahlkampf der NPD in NRW eine Rolle. Beispiele von Wahlplakaten der NPD 68 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Demonstrationen und Mahnwachen der NPD Größere Demonstrationen wie zum Beispiel zum 1. Mai oder zu anderen Anlässen hat der NPD LV NRW schon seit mehreren Jahren nicht mehr durchgeführt. Hauptgrund dürfte die eigene Mobilisierungsschwäche und die Abwanderung gerade von aktiven, jüngeren und eher aktionsorientierten Mitgliedern zur Partei 'Die Rechte' sein. Aus Angst vor Gegendemonstrationen meldet die NPD ihre Demonstrationen auch nur noch kurzfristig an und bewirbt sie nicht öffentlich im Internet. Das führt dazu, dass sich die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der NPD auf kleinere Demonstrationen, Mahnwachen und Infostände beschränken. Den von der Partei proklamierten "Kampf um die Straße" überlässt die NPD in NRW weitgehend der Neonazi-Szene. Die "Arbeit" der NPD in Kommunalvertretungen Obwohl die NPD in rund 20 kommunalen Vertretungen sitzt, gehen von den Mandatsträgern weder parteiintern noch nach außen nennenswerte Impulse aus. Dies liegt zum einen an einer weitgehenden politischen Isolation der Rechtsextremisten, andererseits auch an fehlender Kompetenz der meisten der gewählten NPD-Vertreter. Deren Aktivitäten beschränken sich weitgehend auf die Mitnahme der Sitzungsgelder und der Aufwandspauschale sowie auf das nur begrenzt öffentlichkeitswirksame Stellen von eigenen Anträgen bzw. Anfragen, die man eher als "Signalanträge" bezeichnen muss. Einen anderen Zweck, als die reine Selbstdarstellung gegenüber den eigenen Parteimitgliedern, erfüllen diese Anträge zumeist nicht. An anderer Stelle sind sie einfach nur der Ausdruck der rassistischen NPD-Ideologie. Dies macht der nachfolgende Auszug aus einem "Ergänzungsantrag" der NPD in der Bezirksvertretung Dortmund-Eving zum Thema "Entwicklung von Strukturen für gezielte Qualifizierung und Berufsvorbereitung" deutlich: "Die Nationaldemokraten fordern daher bei der Berufsförderung und Qualifikation der Zuwanderer den eingeforderten Respekt vor den kulturellen Sitten und Gebräuchen der Zigeuner auch konsequent umzusetzen, z.B. durch begleitende Qualifizierungsmaßnahmen in den Berufsfeldern 'Bettelei, Betrug, Raub und Diebstahl'". Hierbei handelt es sich nicht um die Entgleisung eines Einzelnen. Beleg hierfür ist, dass der entsprechende Auszug aus dem Antrag - vom Kreisvorsitzenden der NPD in Dortmund signiert - auf der NPD-Homepage eingestellt wurde. RechtsextRemismus 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Öffentlichkeitsarbeit der NPD Die Öffentlichkeitsarbeit der NPD ist ausgesprochen vielfältig. Zur klassischen Öffentlichkeitsarbeit der Partei zählen Infostände, Verteilaktionen, Petitionen, Unterschriftenlisten, Flyer, Plakate oder Spukis. Nicht zuletzt auch diverse Printmedien, darunter die Parteizeitung 'Deutsche Stimme' (DS), die im gleichnamigen Verlag in Riesa erscheint. Von dort wickelt die NPD auch ihren "Materialdienst" ab, über den die Werbeträger der Partei - gegen Entgelt - sowohl an Parteigliederungen als auch an private InteressenLogo der NPD-Publikation 'Deutsche Stimme' ten versandt werden. Als sogenannte "Online-Öffentlichkeitsarbeit" kann man die diversen Homepages der verschiedenen NPD-Teilorganisationen (Bundes-, Landes-und Kreisverbände) benennen oder die Auftritte in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Google+ und der Videoplattform YouTube. Daneben gibt es noch parteiinterne Rundmails und Online-Publikationen. Aus Kostengründen hat der chronisch klamme NPD LV NRW den Schwerpunkt seiner Öffentlichkeitsarbeit auf den Bereich der Online-Präsentation verlagert. Hier kann man in den letzten Jahren auch eine Verschiebung weg von Webseiten der Kreisverbände hin zu Facebook-Auftritten beobachten. Aus Sicht der Partei liegt der Grund in der "unzensierten Diskussionsmöglichkeit" mit den Besuchern der Seite. Die Webseiten einiger Kreisverbände sind schlecht gepflegt, oftmals nicht aktuell und werden vom Landesverband zentral geführt, der mit dieser Aufgabe zum Teil überfordert scheint. Feste und Liederabende der NPD Anders als in abgelegenen ländlichen Gebieten in Ostdeutschland steht das eher bescheidene Freizeitangebot der NPD im dichtbesiedelten Nordrhein-Westfalen in Konkurrenz zu einem breit gestreuten Freizeitangebot privater Anbieter. Hier kann die NPD mit ihren Angeboten keine Personen außerhalb des eigenen Mitgliederpotenzials erreichen. Die vom Landesverband und einigen wenigen Kreisverbänden durchgeführten Grillabende, Sommerund Sommersonnenwendbzw. Wintersonnenwendfeste finden durchweg nur im eigenen Kreis - also unter Ausschluss der Öffentlichkeit - statt. Im Gegensatz zu anderen Landesverbänden organisiert die NPD in NRW auch keine Skinhead-Konzerte, sondern allenfalls sogenannte Liederoder Balladenabende, auf denen eher ein Musikprogramm für das fortgeschrittene Alter geboten wird. Einen größeren Personenkreis spricht sie dabei in der Regel nicht an. 70 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Straftaten von NPD-Mitgliedern Im Berichtszeitraum waren die häufigsten festgestellten Straftaten Propagandadelikte bzw. Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Die eigene Schwäche hält die NPD in NRW offenbar von einem aggressiven Auftreten gegenüber dem politischen Gegner ab, wie dies beispielsweise in anderen Ländern zu beobachten ist. Ausblick Auf Landesebene bereitet sich die NPD intensiv auf die bevorstehende Kommunalwahl am 25. Mai 2014 und die zeitgleich stattfindende Europawahl vor. Bei der Kommunalwahl hofft die NPD, die Zahl ihrer Mandate zumindest halten zu können bzw. in der einen oder anderen Kommune mit besonderen sozialen Belastungen sogar mit einer Gruppe in den Rat einzuziehen. Dies wäre mit höheren finanziellen Zuwendungen verbunden. Erfolge der NPD in einzelnen Kommunen sind in NRW nicht ausgeschlossen. Das Ziel bei der Europawahl mindestens einen Europaabgeordneten zu entsenden, scheint nach dem Wegfall der 3%-Hürde möglich. Das Ergebnis der Bundestagswahl von 1,3% würde hierzu genügen. Der Rücktritt des Parteivorsitzenden Holger Apfel Ende 2013 kam für viele Parteimitglieder zu diesem Zeitpunkt völlig überraschend. Während Apfel für diesen Schritt persönliche Gründe angab, wurden innerparteilich gegen seine Person Vorwürfe eines ungebührlichen Verhaltens erhoben. Zuletzt hatte es in der Partei immer deutlichere Kritik an seinem Kurs der "seriösen Radikalität" gegeben, der vielen Parteimitgliedern, aber vor allem der Neonazi-Szene zu "lasch" erschien. Der durch Apfels Rücktritt ausgelöste Stillstand währte jedoch nur kurz. Relativ schnell wurde der stellvertretende NPD-Vorsitzende Udo Pastörs, der einen deutlich radikaleren Kurs vertritt, zunächst als kommissarischer Parteivorsitzender benannt; Anfang 2014 dann endgültig vom Parteivorstand berufen. Mit den Landtagswahlen unter anderem in Thüringen und Brandenburg, vor allem aber in Sachsen stehen 2014 wichtige Wahlen für die NPD an. Dabei dürfte besonders die Landtagswahl in Sachsen existenziell sowohl für die NPD als auch für den amtierenden Parteivorsitzenden selbst sein. Verfehlt die NPD in Sachsen den Wiedereinzug, dürfte dieser bereits frühzeitig deutlich angeschlagen sein. Gleichzeitig hat die Partei weiterhin mit finanziellen Schwierigkeiten und einer rückläufigen Mitgliederzahl zu kämpfen. Bei einer anhalten Abwanderung gerade der jüngeren und aktionsorientierten Parteimitglieder droht der NPD der Rückfall in RechtsextRemismus 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 die Ära vor der Amtsübernahme von Udo Voigt, die gekennzeichnet war durch einen überalterten Mitgliederbestand und eine Stigmatisierung der NPD als rechtsextremistische Splitterpartei mit Wahlergebnissen auf Bundesebene von deutlich unter 1%. Die größte Herausforderung für die Partei dürfte im Jahr 2014 jedoch die Auseinandersetzung mit dem eingeleiteten NPD-Verbotsverfahren darstellen. Zu lange hatte die Partei offenbar darauf spekuliert, dass das Verfahren am Ende doch nicht eröffnet würde. Dies hat sich nun als Fehleinschätzung erwiesen. Der NPD droht - ausgerechnet im 50. Jahr ihres Bestehens - das endgültige Aus. 3.1.2 Bürgerbewegung pro Köln e.V. und Bürgerbewegung pro NRW 'pro Köln e.V.' 'pro NRW' Gründung 1996 2007 Sitz Köln Düsseldorf Mitglieder insgesamt bei 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' ca. 1.000 Vorstand Markus Beisicht, Vorsitzender; Markus Beisicht, Vorsitzender; Judith Wolter, stellvertretende Markus Wiener, GeneralseVorsitzende; kretär; Judith Wolter, SchatzMarkus Wiener, stellvertremeisterin tender Vorsitzender; Karel Schiele, Schatzmeister Publikation 'PRO KÖLN - Informationen 'PRO NRW - Informationen der Fraktion pro Köln im Rat der Bürgerbewegung pro der Stadt Köln' NRW' Internet Homepage, verantwortlich Homepage, verantwortlich Markus Beisicht Markus Beisicht Rechtsform Verein mit Mandaten im Rat Partei, überwiegend persoder Stadt Köln nenidentisch mit 'pro Köln e.V.', Mandate in Kreistagen und Stadträten Hintergrund von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Die Gruppierungen entstanden im Wesentlichen auf Betreiben ehemaliger Funktionäre und Mitglieder der ebenfalls dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnenden 'Deutschen Liga für Volk und Heimat*' (DLVH) sowie der Partei 'Die Republikaner' 72 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 (REP), die bis 2007 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Der Vorsitzende, mehrere seiner Vorstandskollegen und große Teile der Mitglieder kommen aus rechtsextremistischen Parteien oder aus Organisationen, bei denen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen vorliegen bzw. vorlagen. Bereits 1996 gegründet, erzielte der Verein 'pro Köln e.V.' erstmals bei der Kommunalwahl 2004 Mandate im Rat der Stadt und ist dort bis heute vertreten. Bei der 2007 entstandenen 'Bürgerbewegung pro NRW' handelt es sich um den Versuch einer landesweiten Ausdehnung dieser zunächst lokalen Struktur mit identischer Ideologie, gleichgelagerter Strategie und zum Teil Personenidentitäten der Führungsfunktionäre. Den inhaltlichen Schwerpunkt der beiden pro-Organisationen bildet die Fremdenfeindlichkeit. Sie stellen bestimmte Minderheiten als fremd und nicht integrierbar dar. Begründet wird dies mit pauschalen negativen Zuschreibungen. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' versuchen dabei, Vorurteile zu schüren, Konflikte zu dramatisieren und diese Gruppen als Sündenbock für komplexe gesellschaftliche Probleme zu stigmatisieren. Demgegenüber stellen sie eine einheimische Bevölkerung, die sie ausschließlich positiv skizzieren. Damit konstruieren sie einen Freund-Feind-Gegensatz, mit dem sie die Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden legitimieren. Dies beinhaltet auch, den Angehörigen vorgeblich fremder Gruppen ihre Menschenrechte abzusprechen. Die fremdenfeindliche Propaganda richtet sich vor allem gegen Muslime, Asylbewerber, Türken sowie Sinti und Roma. Die Verhaltensweisen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Die Verhaltensweisen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, weil 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' mit ihren Aussagen und Forderungen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte missachten, insbesondere die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot. Migranten werden durch 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit pauschal herabgesetzt und diffamiert. Entsprechende Aussagen werden ständig wiederholt. Im Fokus stehen weit überwiegend die Themen Migration und Islam, verbunden mit einer drastischen, zum Teil abwertenden Wortwahl. So wird den Bürgern ein negatives Menschenbild über Migranten und Muslime vermittelt, welches ausschließlich an deren Nationalität, Religions-, Staatsoder ethnischen Zugehörigkeit anknüpft. Eine differenzierte Betrachtung, die andere Aspekte einbezieht, wird fast vollständig ausgeblendet. Bestimmte RechtsextRemismus 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 ethnische und religiöse Gruppen, insbesondere Muslime, werden als unerwünschte, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt. Mit dieser Art der Darstellung schüren 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Ablehnung und Angst in der Bevölkerung. Wenn sich 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' immer wieder geradezu demonstrativ zum Grundgesetz bekennen und sich gegen jede Form von Extremismus verwahren, wirkt dies taktisch motiviert. Agitation und Propaganda stehen auch in 2013 zumindest in Teilen in offenem Widerspruch zur vordergründig wirkenden Bejahung der Verfassungsgrundsätze des Grundgesetzes. Mit Stereotypen werden häufig Bedrohungsszenarien gezeichnet, für die einseitig bestimmte Bevölkerungsteile verantwortlich gemacht werden. Wortwahl und Argumentationsmuster lassen ein Menschenbild deutlich werden, das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' sind fremdenfeindlich 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' schüren latente Ängste vor Überfremdung und verbreiten fremdenfeindliche Ressentiments. 'Pro Köln e.V.' überzeichnet in einem Beitrag auf seinem Facebookprofil vom 11. August 2013 Migration drastisch und unterstellt, dass Migranten sich nicht integrieren, sondern die einheimische Bevölkerung dominieren wollen. Zudem wählt der Verein ein kriegerisches Vokabular, um Migration generell in einen negativen Kontext zu stellen: "Man kann ein Land auf zweierlei Art besetzen: DURCH EINMARSCHIEREN Das geht am schnellsten DURCH EINWANDERUNG Das ist am sichersten >> Der Wahnsinn hat Methode << Ungebremste Zuwanderung +++ Ungebremste Zuwanderung" Das Prinzip der Toleranz, welches für das friedliche Zusammenleben in einer freiheitlichen Demokratie wesentlich ist, stellt 'pro Köln e.V.' auf seinem Facebook-Profil am 27. Oktober 2013 als Schwäche dar. Denn es bestünde die Gefahr, dass die vermeintlich Fremden dieses zum Schaden der eigenen Bevölkerung nutzen. "Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land? Nicht mit uns!" 74 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Pro Köln e.V.' bringt Migration am 13. Mai 2013 auf seinem Facebook-Profil ferner in einen Zusammenhang mit einem kruden Untergangsszenario Deutschlands, welches in der rechtsextremistischen Szene populär ist. "Die Siegermächte haben unser Land zerbombt - den Rest besorgen unsere Politiker. Schluss mit Demontage unserer Werte! Schluss mit der Überfremdung!" Die 'Jugend pro NRW' verbreitet auf einem 2013 verteilten Flugblatt das Bild eines sich übergebenden Einhorns in der Optik eines Bilderbuches für Kinder. In karikierender Art und Weise demonstriert die Jugendorganisation, dass sie Migration pauschal ablehnt, weil sie damit ausschließlich negative Aspekte verbindet. Das Bild ist betitelt mit dem Slogan: "Multikulti ist zum kotzen!" Flugblatt der 'Jugend pro NRW' "Multikulti ist zum Kotzen!" Im Text erläutert 'Jugend pro NRW' ihre Vorstellungen, wonach Migration vor allem gefährlich und der Fremde zugleich als Feind anzusehen sei. "Durch die Ideologie des Multikulti werden unter dem Deckmantel von Vielfalt und Völkerverständigung hauptsächlich Konflikte und innergesellschaftliche Zerwürfnisse produziert. [...] RechtsextRemismus 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Wir, die Jugend PRO NRW, stellen uns dieser Entwurzelung entgegen und sprechen offen die Probleme innerhalb der multikulturellen Gesellschaft (z.B. steigende Kriminalität und alltägliche Gewalt) an und lassen Dich mit Deinen Sorgen und Problemen nicht allein!" Mit gleicher Zielsetzung pflegt 'pro NRW' den Stil der zynischen Satire. Auf ihrem Facebook-Profil veröffentlicht sie am 23. September 2013 ein Foto, auf dem links ein Wanderer in den Bergen mit dem Untertitel "Ein Wanderer" abgebildet ist. Rechts sind Salafisten zu sehen, die Polizisten angreifen, Ausschnitt der Facebook-Startseite von 'pro NRW' was mit dem Untertitel "Einwanderer" versehen ist. Die pro-Partei setzt Migranten also mit der kleinen Gruppe gewaltbereiter Salafisten gleich, um erstere in Gänze als potenzielle Gewalttäter zu stigmatisieren. Diesem Argumentationsmuster entspricht eine Parole, die 'pro NRW' am 12. September 2013 auf Facebook postete und mit der sie wieder den Eindruck erweckte, dass Migration eng mit Kriminalität verbunden sei und dieses Problem angeblich zunehme: "Multikulturell bedeutet immer öfter multikriminell!" Konkretisiert wird dies von 'pro NRW' in einem Beitrag am 18. August 2013 auf ihrem Facebook-Profil. Dort dramatisiert sie zukünftige Migration, spricht in einer abfälligen Art und Weise über Migranten und unterstellt ihnen pauschal ein sozial inakzeptables Verhalten. Damit schürt sie Vorurteile gegenüber jeglichen Einwanderern: "Ab 2014 kommen durch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit noch mehr kulturelle Bereicherer nach Deutschland, von einer regelrechten Einwanderungswelle ist die Rede, und die Polizei möchte deren Hauptbeschäftigung (häusliche Gewalt und nächtliche Ruhestörung) jetzt anders organisieren." Auf seiner Webseite beschäftigte sich 'pro NRW' am 1. Juli 2013 bereits mit dem Thema und stellt die gleichen fremdenfeindlichen Behauptungen bezüglich Rumänen und Bulgaren auf. 76 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Die Vorhut ist schon da und 'bereichert' ganze Innenstädte quer durch NRW. Dadurch steigt die Kriminalitätsrate im gleichen Maß, wie die Lebensqualität sinkt." Diese Positionen stellt die pro-Bewegung auch auf ihren öffentlichen Veranstaltungen in den Vordergrund. Am 5. Oktober 2013 sprach der stellvertretende Vorsitzende von 'pro NRW' in Bochum von Migration ausschließlich in einem negativen Zusammenhang und schürt damit Ängste, dass Migranten sich generell kriminell verhalten und damit eine Bedrohung der einheimischen Bevölkerung darstellen. "Und dann bringt diese Masseneinwanderung noch Phänomene, die unserer Gesellschaft schaden. Die Kriminalität durch die Bettelmafia, durch die Klaukids, durch die Asylmafia ist nicht mehr hinnehmbar. Wir sagen: Einbruch, Raub und Überfälle, raus mit allen Kriminellen." Um die negative Darstellung von Migranten als Kriminelle scheinbar zu belegen, greift sich die pro-Bewegung Einzelfälle heraus und legt diese als typisches Verhalten für alle Migranten aus. So problematisiert 'pro NRW' am 16. Juli 2013 gewaltverherrlichende Aussagen eines Musikers mit Migrationshintergrund und generalisiert diese für sämtliche Migranten. Die "multikulturelle Gesellschaft" ist dabei ein Synonym für eine Gesellschaft, in der Migration stattfindet. Eine solche Gesellschaft erklärt die pro-Bewegung zum Feindbild, weil diese sich durch "Hass und Gewalt" auszeichnen würde. Demgegenüber verklärt sie die angeblichen früher herrschenden gesellschaftlichen Zustände, die von "Anstand und Moral" gekennzeichnet gewesen seien. Es wird diffamierend unterstellt, dass durch Migranten Anstand und Moral verloren gegangen seien. Hier zeigt sich ein klares Freund-Feind-Denken, bei dem die Migranten als Feind fungieren. "Die multikulturelle Gesellschaft bedeutet nur Hass und Gewalt. [...] Zudem können wir mit seinem Untergang [des umstrittenen Musikers] gleich die multikulturelle Gesellschaft abschaffen und zurückkehren zu einer bürgerlichen Gesellschaft mit Anstand und Moral." Der Remscheider Kreisverband von 'pro NRW' nimmt einen Zeitungsbericht über eine Schlägerei auf seiner Webseite am 20. Juli 2013 zum Anlass, um Migranten pauschal als gewaltbereit zu diffamieren. Bemerkenswert ist dabei, dass im ursprünglichen Zeitungsartikel nicht von Migranten als Täter die Rede war: RechtsextRemismus 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Denn ausgerechnet auf der durch und durch 'kulturbereicherten' unteren Alleestraße fand die Prügelei statt und - wer hätte das gedacht? - unmittelbar vor einer Döner-Bude. Auch die äußerste Brutalität in der die Kampfhähne -pardon gemeint sind natürlich die 'Männer' - unter anderem mit Eisenstangen aufeinander losgingen und Passanten in Angst und Schrecken versetzten, läßt gewisse Rückschlüsse auf das Temperament der sattsam bekannten Migrantengruppen zu." Neben Kriminalität und Gewalt schreibt die pro-Bewegung Migranten weitere angeblich typische Verhaltensweisen zu, die diese Gruppe in ein schlechtes Licht rücken. Migranten seien vor allem darauf bedacht, die Sozialsysteme in Deutschland auszunutzen und auf Kosten der einheimischen Bevölkerung zu leben. Hier werden Migranten nicht als Bedrohung der Sicherheit, sondern als Bedrohung des ökonomischen Wohlstands stigmatisiert. Die pro-Akteure versuchen dabei gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen und Sozialneid zu erzeugen. Eine solche Rhetorik nutzte der stellvertretende Vorsitzende von 'pro NRW' am 5. Oktober 2013 auf einer Kundgebung in Bochum: Auszug der Facebook-Seite von 'pro NRW'mit ausländerfeindlichen Inhalten "Wir haben Rentner, die müssen mittlerweile nach Pfandflaschen suchen, um über die Runden zu kommen und Migranten gehen im Bioladen einkaufen. Das ist ungerecht. Unser Geld für unsere Leute." 78 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Hier negiert der Redner, dass Migranten sich ihren Wohlstand selbst erarbeitet haben können. Zudem erweckt diese Gegenüberstellung fälschlicherweise den Eindruck, dass die Leistungen an Migranten auf Kosten der Rentenleistungen gehen. Der 'pro NRW' Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe hat im Nachgang zur HochwasserKatastrophe an der Oder im Frühsommer 2013 ein vermeintlich ironisches Statement eines anderen Autors mit zehn fremdenfeindlichen Vorurteilen übernommen und auf seinem Facebookprofil am 16. Juni 2013 gepostet. "Ich möchte an dieser Stelle unseren ausländischen Mitbürgern in aller Form für deren großartigen Einsatz und die selbstlose Hilfe bei der Merkelwetter-Hochwasser-Katastrophe danken. Liebe Zuwanderer, Ihr beispielloses Mitwirken kann gar nicht genug gewürdigt werden, ich möchte es trotzdem mit folgender unvollständiger Aufstellung im Ansatz versuchen: 1.) Dank Ihres Nichterscheinens konnten die deutschen Fachkräfte die Bekämpfung des Hochwassers wirkungsvoll organisieren, ohne von untätig herumstehenden Zuwanderern behindert zu werden. 2.) Dank Ihres Nichterscheinens wurde an den Katastrophenorten ausschließlich Deutsch gesprochen, es gab also keinerlei Verständigungsprobleme. 3.) Dank Ihres Nichterscheinens brauchten die Küchen, welche die Helfer versorgten, keinerlei Rücksicht auf koscher, halal oder andere unverständliche Speisevorschriften zu nehmen, was deren Arbeit sehr erleichtert hat. 4.) Dank Ihres Nichterscheinens gab es keine religionsbedingten Störungen, da keine Gebetsräume eingerichtet und keine Toiletten mit Rücksicht auf Mekka ausgerichtet werden mußten. 5.) Dank Ihres Nichterscheinens mußten keine Bekleidungsvorschriften eingehalten werden, die freiwillig mithelfenden Frauen brauchten weder Kopftuch, noch Burka, noch Niqab zu tragen und waren trotzdem keinerlei sexuellen Belästigungen ausgesetzt. 6.) Dank Ihres Nichterscheinens kam es bei der Hochwasserhilfe weder zu Prügeleien, Messerstechereien oder Totschlägereien. RechtsextRemismus 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 7.) Dank Ihres Nichterscheinens war die Organisation einfach und lief ohne störende Diskussionen ab. Insbesondere fühlte sich keiner der freiwilligen Helfer diskriminiert, wenn er eine unangenehmere Aufgabe übertragen bekam. 8.) Dank Ihres Nichterscheinens werden nun keine Anwälte und Gerichte bemüht, um über Menschenrechte und Wiedergutmachungszahlungen zu befinden. 9.) Dank Ihres Nichterscheinens wissen wir nun definitiv, daß der Islam NICHT zu Deutschland gehört, vor allem dann, wenn es auf Solidarität und Nachbarschaftshilfe ankommt. Oder soll ich es so ausdrücken: Wenn statt des ständigen Nehmens auch einmal das Geben gefordert ist. 10.) Dank Ihres Nichterscheinens wissen wir nun, auf wen wir uns in der Not verlassen können: auf unsere deutschstämmigen Nachbarn. Und wir wissen, wer uns in der Not im Stich läßt: die 'zugewanderten Mitbürger', deren Kultur der unbedingten Ausnutzung des Gastlandes wir besser nicht übernehmen." Obschon die pro-Bewegung oftmals ihre fremdenfeindliche Propaganda mit vermeintlich unaufhebbaren kulturellen Differenzen begründet, präsentiert sie gelegentlich auch biologistisch-rassistische Thesen, wie sie bei der NPD und der Neonazi-Szene vorherrschen. So publizierte 'pro NRW' am 9. Juli 2013 auf seinem Facebook-Profil das Bild eines Esels, der auf einem Heuhaufen liegt. Im Hintergrund liegt ein Pferd auf der Erde. Dieses Bild ist mit folgendem Text untertitelt: "Ein Esel, der in einem Pferdestall geboren wird, ist und bleibt ein Esel." Diese an sich harmlose Aussage erhält ihren Sinn erst durch den Kontext, in dem sie veröffentlicht wurde. Denn das Facebook-Profil von 'pro NRW' beschäftigt sich ansonsten nicht mit biologischen Themen, sondern mit politischen Themen. Insbesondere steht das Thema Migration als vermeintlich zentrales Problemfeld im Vordergrund. In diesem inhaltlichen Kontext stellt dieses Bild eine Metapher dar, die deutlich machen soll, dass die biologische Abstammung die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft bestimmt. Demnach wäre es für einen Menschen mit Migrationshintergrund nicht möglich, Deutscher zu werden, selbst wenn er in Deutschland geboren wäre. Hinzu 80 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 kommt der beleidigende Charakter des Bildes, indem Migranten die Rolle des "Esels" zugewiesen wird, was nach allgemeinem Verständnis eine Herabsetzung bedeutet. Auch 'pro Köln e.V.' begründet seine fremdenfeindliche Propaganda gelegentlich mit biologistisch-rassistischen Argumenten. Auf dem Facebook-Profil postet der Verein am 16. Mai 2013 nachstehende Aussage, in der er das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft als fortwährenden Rassenkrieg beschreibt: "Wer verträgt sich mit wem? Wer auf Multikulti steht, kann ja mal ein Aquarium wahllos mit Fischen besetzen - und gucken, was passiert. Hauptsache schön bunt hat fatale Folgen. Die einen leben auf Kosten der anderen, es gibt Revierkämpfe, Verdrängungsprozesse, da werden Flossen angeknabbert, einige vermehren sich ungleich schneller als die anderen, und nicht wenige werden über kurz oder lang einfach aufgefressen." 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' sind islamfeindlich Eine besondere Form der Fremdenfeindlichkeit stellt die Islamfeindlichkeit dar. So ist der Schwerpunkt der Kampagnen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' darauf angelegt, Vorurteile über Muslime zu verbreiten, um Ängste zu wecken oder zu verstärken. Vor dem Hintergrund der andauernden Integrationsdebatte und der in ihr unter anderem zum Ausdruck kommenden Überfremdungsängste greifen die pro-Bewegungen diese Themen in einer verzerrenden Art und Weise auf, um Islamfeindschaft zu schüren. Dahinter steht der Versuch von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', diese in der Gesellschaft diskutierten Themen zu nutzen, um so die eigenen weitergehenden nationalistischen Sichtweisen und Forderungen über den rechtsextremistischen Rand hinaus bis weit in die Mitte der Gesellschaft zu verbreiten. Der "Kampf" gegen "den Islam" dient dabei als Türöffner. Der Islam insgesamt wird als Feindbild von 'pro Köln e.V.'/'pro NRW' propagiert, um die Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe und pauschale Schuldzuweisungen an diese zu rechtfertigen. Das Fundament dieses Feindbildes sind Verallgemeinerungen. Ein wichtiges Propagandamuster der pro-Bewegung dabei ist, bewusst nicht zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Strömung zu unterscheiden. Basierend auf angeblichen Aussagen von Islamisten beschreibt der stellvertretende Parteivorsitzende von 'pro NRW' und zugleich Ratsmitglied von 'pro Köln e.V.' auf einer Kundgebung in Würselen am 26. September 2013 das Verhältnis des Islam zur Freiheit wie folgt: RechtsextRemismus 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Es gibt auch Punkte, da sind wir mit Menschen aus dem islamischen Kreis - wir sind dialogbereit, wir sind ja immer gesprächsbereit - da sind wir mit Islamisten einig. Nämlich die Islamisten geben uns in einem Punkt Recht, Freiheit und Islam verträgt sich nicht. Im Islam gibt es nur eine Freiheit und die heißt, sich zu unterwerfen." Die heterogene Glaubensgemeinschaft der Muslime wird auf die kleine Gruppe der Islamisten reduziert und daraus abgeleitet, dass der Islam mit der freiheitlichen Demokratie grundsätzlich unvereinbar sei. Die mangelnde Demokratiefähigkeit begründet die pro-Bewegung mit einer angeblichen Verabsolutierung der Scharia oder einer in Gänze unaufgeklärten muslimischen Gemeinschaft. Zum Beispiel sagte der Aachener Kreisvorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende auf einer Kundgebung am 5. Mai 2012 in Aachen. "Wer Moscheen säht, wird Scharia ernten." Diese Mutmaßungen werden verdichtet zu einer vermeintlich grundsätzlichen Feindschaft des Islam gegenüber der Demokratie und einer Bedrohung aller Nicht-Muslime. Beispielsweise verbreitete 'pro NRW' am 27. Juni 2013 auf ihrem Facebookprofil folgende Aussage. "Der Islam ist der größte Feind unserer Demokratie und unserer Freiheit im 21. Jahrhundert sowie hochgradig aggressiv gegenüber andersdenkenden und -glaubenden Menschen. Das ist eine Tatsache." Dieser Sichtweise entspringen auch weitergehende Forderungen, die letztlich darin münden, Muslimen die Ausübung ihrer im Grundgesetz geschützten Religionsfreiheit abzusprechen. In einem Statement auf dem Facebookprofil am 6. August 2013 kritisiert die Partei gar, dass Muslime in Deutschland leben dürfen. "Stoppt den Islam in Deutschland. Der Islam und seine Vertreter sind Feinde der Demokratie. Umso perverser ist es, dass diese Feinde in Deutschland geduldet und sogar finanziell unterstützt werden." Die pro-Bewegung führt aber nicht nur an, dass der Islam mit der Demokratie unvereinbar sei, sondern generell schädlichen Einfluss auf den Charakter habe. Insofern müssten Muslime, sofern sie ihre Religion ausüben, schlechte Menschen sein. Infolge 82 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 dieser holzschnittartigen Freund-Feind-Logik spricht sich die Partei auf ihrem Facebook-Profil am 12. September 2013 dafür aus, den Islam auszugrenzen. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Neue Studie beweist: Der Islam, die Moscheen und die Imame verderben den Charakter!" Auszüge aus dem Facebook-Profil von 'pro NRW' mit islamund ausländerfeindlichen Inhalten RechtsextRemismus 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gelegentlich verschärft die pro-Bewegung diese Ausgrenzungsrhetorik. Sie propagiert am 19. Juni 2013 auf dem Facebook-Profil von 'pro NRW' in abfälliger Art und Weise, dass Muslime aufgrund ihres Glaubens grundsätzlich nicht integrierbar seien und deshalb ausgegrenzt gehören. Sie postuliert damit unaufhebbare Unterschiede von Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft, die unabhängig vom individuellen Verhalten existieren würden. "Ausländer, die sich integrieren und nach freiheitlichen Werten leben möchten, sind herzlich willkommen! Aber diese religiösen Vollpfosten, die einen 'pädophilen Kriegstreiber' anbeten, die wollen wir nicht!" Die Ausgrenzung des Islam und damit von Muslimen begründet 'pro NRW' aber auch mit anderen negativen Verhaltensweisen, die angeblich kulturell verankert seien. So diffamiert die Partei auf ihrem Facebook-Profil am 24. Juli 2013 türkische Muslime als vermeintliche Angehörige einer pädophilen Kultur. Diese entwürdigende Herabsetzung nutzt die pro-Bewegung dazu, deren gewünschte Ausgrenzung zu rechtfertigen. "Die Türken sind und bleiben ganz vorne, wenn es um Kindesmissbrauch geht. Diese pädophile, islamisch-arabische Kultur hat keinen Platz in Deutschland." Ein weiterer Strang der islamfeindlichen pro-Propaganda ist, die Auseinandersetzung, wie muslimischer Glauben in Deutschland praktiziert werden kann und soll, zu überhöhen und Zerrbilder des Islam zu zeichnen. Ein wichtiges Argumentationsmuster ist dabei, Unterschiede zwischen Muslimen und Islamisten zu negieren und die kleine Gruppe der Islamisten als typisch für den Islam darzustellen. Damit will sie letztlich die Einführung jeglicher islamischer Traditionen als Bedrohungsszenario diskreditieren. Dies betrifft immer wieder den Bau von repräsentativen Moscheen, die stets als Beeinträchtigung der einheimischen Bevölkerung beschrieben werden. 'Pro NRW' platzierte auf seinem Facebook-Profil am 8. Mai 2013 ein Bild eines Aktivisten des Bonner Kreisverbandes mit folgender Aussage: "Der Islam tritt in Deutschland durch Machtsymbole und Gewalt auf. Entweder müssen die Muslime das von sich aus ändern oder der Islam aus Deutschland verschwinden." 'Pro Köln e.V.' postet auf seinem Facebook-Profil am 26. Oktober 2013 ein Foto von zwei Jungen im Grundschulalter, die einen Kaftan tragen. Einer der beiden Jungen 84 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 schneidet mit einem Messer anscheinend gerade einer Ziege die Kehle durch. Unter dem Kopf und dem Körper verläuft relativ viel Blut. Neben dem Foto schrieb 'pro Köln e.V.' folgenden Kommentar: "Eure Grausamkeit schmeckt uns nicht! Schon die Kleinsten werden in der islamischen Welt zu Tierquälern gemacht. Wir wollen so etwas in unserer Stadt nicht haben!" 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' machen Muslime zu Sündenböcken. Beispielsweise problematisiert das Ratsmitglied von 'pro NRW' in Ennepetal in einer Anfrage vom Juli 2011 an den dortigen Bürgermeister bezüglich eines Festes einer Kindergarteneinrichtung, dass es zu wenig Würstchen und nicht einmal welche aus Schweinefleisch gegeben habe. Diese Anfrage unterstellt, dass wegen der Muslime nicht-muslimische Kinder zurückstehen mussten. Auch in anderen Zusammenhängen unterstellt die proBewegung wiederholt, dass Muslime gegenüber Nicht-Muslimen bevorzugt würden. Dies dient dazu, Neid gegen diese Bevölkerungsgruppe zu schüren. So veröffentlichte 'pro NRW' am 7. Juli 2013 auf seinem Facebook-Profil folgende Aussage. "Alle Menschen sind gleich, deswegen brauchen Muslime auch keine Ausnahmeregeln!" Dass der Islam nicht nur eine Religion ist, mit der man sich kritisch auseinandersetzen kann, sondern die pro-Bewegung den Islam generell als Feind ansieht, wird in einer Stellungnahme von 22. September 2013 auf dem Facebook-Profil deutlich. "Der Koran ist eine Kriegserklärung an dich, deine Familie, deine Freunde und deine gesamte Art zu leben." Dieses Feindbild begründet die pro-Bewegung vermeintlich damit, dass sie den Islam mit totalitären Ideologien, insbesondere dem Nationalsozialismus gleichsetzt. Damit stellt sie zum einen den religiösen Charakter des Islam in Abrede und bezeichnet ihn als "Politreligion" und kennzeichnet diesen zum anderen als zutiefst ablehnenswert. Eine solche Darstellung dient dazu, die Wahrnehmung von elementaren Grundrechten durch Muslime zu delegitimieren. Auf seinem Facebook-Profil verbreitete 'pro NRW' 2013 diese Gleichsetzung in variierenden Statements. Dort heißt es unter anderem: RechtsextRemismus 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Hinterher zu sagen, wir haben euch gewarnt, ist einfach. Deswegen warnen wir euch schon heute vor dem Islam-Faschismus von morgen." "Der Islam ist eine Ideologie, die jedem Grundund Menschenrecht widerspricht. Der Islam verfolgt das Ziel, unsere Demokratie durch einen Schariastaat abzulösen. Der Islam muss in Deutschland verboten werden." "Die Ideologie des Islam ist Nazi-Ideologie sehr ähnlich. Deswegen muss jede demokratiefeindliche, menschenverachtende Ideologie bekämpft werden und darf keinen Platz in unserer Gesellschaft finden. Es gibt bei diesem Thema keine zwei Meinungen genauso wie es keine guten oder bösen Nazis/Islamisten gibt." "Der Islam ist der Ideologie der Nazis sehr ähnlich und eine Bedrohung für unsere freiheitlichen Grundwerte. Bei Nazis unterscheiden wir auch nicht zwischen Guten und Bösen." "Alle freien Menschen, Deutsche und integrierte Ausländer, müssen sich gemeinsam gegen diese faschistische, gewaltbereite Ideologie, den Islam erheben." Dass der Islam als Religion angesehen wird und damit für Muslime in Deutschland die Religionsfreiheit gilt, kritisiert der stellvertretende Parteivorsitzende am 8. September 2013 auf dem Facebook-Profil von 'pro NRW'. Denn dies würde nur ausgenutzt, um angeblich totalitäre Vorstellungen zu verfolgen. "Der Islam nutzt den Deckmantel der Demokratie, der Religionsfreiheit, der offenen und humanen Gesellschaft um seine Ziele auch in Deutschland zu verfolgen. [...] Der Islam ist keine klassische Religion wie Christen-, Judentum oder Buddhismus. Der Islam ist ein totalitäres System - eine Staatsform mit klaren Ansprüchen an Politik, Wirtschaft, Sozialwesen, Rechtssystem und Militär." Das Feindbild des Islams enthält ferner die Unterstellung, dass der Islam eine gewaltbefürwortende Ideologie sei und deshalb Muslime potentielle Gewalttäter seien. Somit stellen 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Muslime unter Generalverdacht und machen sie verantwortlich für eine Vielzahl gesellschaftlicher Missstände und Bedrohungen. Phänomene wie Zwangsheiraten, Ehrenmorde, Jugendgewalt und Terrorismus werden ausschließlich und undifferenziert mit dem Islam in Verbindung gebracht. Beispiels86 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 weise verbreitete 'pro NRW' im Jahr 2013 mehrfach das Bild einer jungen Frau mit folgender Aussage. "Ich bin nicht bereit, mich von Muslimen vergewaltigen und töten zu lassen, nur um zu zeigen, wie tolerant ich bin." Damit wird eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich diejenige, die sich zum Islam als Religion bekennt, pauschal und undifferenziert abwertend dargestellt. Ferner stellt die pro-Bewegung Toleranz gegenüber Muslimen als Schwäche gegenüber einer feindlichen Gruppe dar. In einer ähnlichen Art und Weise äußert sich der Wuppertaler Kreisverband von 'pro NRW' auf seiner Webseite am 19. Juli 2013 diffamierend über Muslime: "Während man als geneigter Wuppertaler in Zeiten des Ramadan endlich mal wieder ohne Gefahr zu laufen belästigt zu werden, die örtlichen Parkanlagen aufsuchen kann, [...]." Zudem verbindet die pro-Bewegung den Generalverdacht gegenüber Muslimen mit der Unterstellung, dass Muslime bevorzugt behandelt würden und Straftaten angeblich bei diesen nicht verfolgt würden. Am 14. August zeigt 'pro NRW' auf Facebook eine Karikatur. Darauf sieht man, wie zwei Polizisten aus dem Auto drei Männern zusehen, die anscheinend gerade eine christliche Kirche in Brand setzen und dabei "Allah" bzw. "Allahu Akhbar!!" rufen. Der eine Polizist kommentiert dies mit den Worten: "Du hörst doch was sie rufen [...] fahr einfach deeskalierend weiter! Ich will mir meine Personalakte nicht mit einem Eintrag wegen Islamfeindlichkeit versauen!" Über dem Bild steht in einem Banner die Forderung: "Diese Zustände sind nicht mehr hinnehmbar: Recht und Ordnung müssen auch für Muslime gelten!" Auszug aus dem Facebook-Profil von 'pro NRW' RechtsextRemismus 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Sehr drastisch kommentiert der damalige Vertreter der 'pro Köln'-Fraktion im Kulturausschuss der Stadt Köln am 23. Mai 2013 auf seinem Profil bei Google+ ein Attentat auf einen britischen Soldaten durch zwei Islamisten in London. Dies sieht er als typisch für alle Muslime an und spricht pauschal allen Muslimen die Menschenwürde ab und will sie wider jede Rechtsstaatlichkeit ausweisen. "Also ich habe mich ja echt zurückgehalten aber nun ist auch mein Maß absolut voll. Allahu Akbar? Islam? Das ist keine Religion, das sind kranke, asoziale Zombies, schaut Euch das Video im Bericht der Zeit an. Raus mit denen aus Europa und zwar komplett! Sollen sie sich in den islamischen Ländern gegenseitig abschlachten." Die Islamfeindlichkeit findet auch Ausdruck in einer verächtlichen Wortwahl und Darstellung des Islam und von Muslimen generell. Beispielsweise postete 'pro NRW' am 24 September 2013 ein Bild, das auf der linken Seite ein schwarz-weißes Foto mit Frauen zeigt, die vor Trümmern Steine zerschlagen. Überschrieben ist das Bild mit "deutsche Trümmerfrauen". Auf der rechten Seite wird ein farbiges Foto mit verschleierten Frauen abgebildet, die vor Häusertrümmern sitzen und nicht arbeiten. Der Titel lautet "islamische Frauen". Hier werden also die Deutschen pauschal als fleißig und damit positiv dargestellt, während die Muslima generell faul seien. Zudem versucht diese Form der Gegenüberstellung, diese Gruppen als unvereinbar zu skizzieren, so als ob man nur deutsche Frau oder Muslima sein könne. Der Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe verbreitete am 25. Juli 2013 auf seinem Facebook-Profil ein Bild, auf dem eine mit Schwertern und Speeren bewaffnete Horde von Barbaren heranstürmt und dabei "Allahu Akbar" schreit. Betitelt ist das Bild mit dem zynischen Spruch "Die Talente kommen!" Diese vorgeblich ironische Stellungnahme dient letztlich dazu, ein geringschätzendes Bild von Muslimen zu verbreiten. Ferner beschreibt 'pro NRW' Muslime in ihrer Gesamtheit als dumm. So veröffentlichte die Partei im Jahr 2013 mehrfach auf ihrem Facebookprofil folgenden Slogan: "Weisheit des Tages: Hast Du Allah in der Birne, ist kein Platz mehr für's Gehirne." Eine weitere sehr abfällige Darstellung, die die Partei 2013 mehrfach auf dem Facebook-Profil verbreitete, spekuliert darüber, ob Muslime Geschlechtsverkehr mit Tieren 88 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 haben. Dies zielt allein darauf ab, Muslime in ihrer Gesamtheit erheblich zu diskreditieren. "Ob Allah die Ziege und den Esel erschaffen hat, damit sich der Moslem nicht mit seiner Frau beschäftigen muss, wissen wir nicht." 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' sind antiziganistisch Eine weitere Form der Fremdenfeindlichkeit, die die pro-Bewegung vertritt, ist der Antiziganismus. Darunter versteht man die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma. Die heterogene Gruppe der Sinti und Roma wird dabei pauschal negativ beschrieben. Die pro-Bewegung stellt sie insbesondere als kriminell und nicht integrierbar dar. Damit versucht sie die Ablehnung und Ausgrenzung dieser Minderheit zu begründen. Beispielsweise bezeichnet der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', Markus Beisicht, die Interessensverbände der Sinti und Roma in einem Artikel im Juli 2011 auf der 'pro NRW'-Homepage als "Interessensverbände für organisierte Kriminalität". Abwertend sprechen die pro-Organisationen oftmals von "Zigeunern". So erschien auf der Webseite von 'pro NRW' im November 2013 ein Artikel, der diesen Begriff aufgreift und Vorurteile über Sinti und Roma verstärkt. "Bereits das Wort 'Zigeuner' ist dank der politischen Korrektheit aus dem offiziellen Sprachgebrauch nahezu getilgt worden, obwohl es umgangssprachlich nach wie vor weit verbreitet ist. Warum auch eine Gruppe plötzlich anders benennen? Und bedient man typische Klischees, wenn man nach Zigeunerkriminalität frägt?" Die Fraktion von 'pro NRW' im Rat der Stadt Radevormwald stellte am 31. Juli 2013 einen Antrag, in dem sie Ressentiments und Ängste gegenüber Sinti und Roma schürte. Sie unterstellt sämtlichen Angehörigen der Minderheit, dass diese dreckig und kriminell seien. Zudem suggeriert 'pro NRW' in dem Antrag mit dem Begriff "besetzen", dass die bislang in Radevormwald lebenden Sinti und Roma Wohnraum rechtswidrig besetzt hätten. Tatsächlich mieteten die betreffenden Personen die Wohnungen ordnungsgemäß an. "Dem äußeren Anschein und dem Benehmen der Personen nach, handelt es sich um eine sogenannte landfahrende ethnische Minderheit, die offensichtlich dem Volk der Sinti und/oder Roma angehört. [...] So wird in der RechtsextRemismus 89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ortschaft mittlerweile gemunkelt, dass weitere 'südosteuropäische' Migranten im Anmarsch seien und ein weiteres Haus besetzen würden." Auch der Essener Kreisverband von 'pro NRW' beteiligt sich an der Hetzkampagne gegen Sinti und Romas. In einem Flugblatt aus dem Jahr 2013 dramatisiert der Kreisverband etwaige Sozialleistungen an Angehörige dieser Minderheit zu einer Bedrohung der Stadt. Des Weiteren zeichnet die Veröffentlichung abermals ein diskriminierendes Bild dieser Minderheit. "Zudem sind in deren Kulturkreis barbarische Methoden wie die Zwangsverheiratung junger Frauen, sowie die Gewaltanwendung innerhalb von Großfamilien leider oft anzutreffen." Auf einer Kundgebung am 5. Oktober 2013 in Bochum sagte der stellvertretende Parteivorsitzende von 'pro NRW' und Ratsmitglied von 'pro Köln e.V.' "Lieber Geld für die Oma statt für Sinti und Roma." Den gleichen Slogan publizierte die Partei ebenfalls mehrfach auf ihrem FacebookProfil im Jahr 2013. Hier unterstellt der Redner bzw. die Partei fälschlicherweise, dass Sozialleistungen für Sinti und Roma zu Lasten der Leistungen für Rentnerinnen und Rentner gingen. Die Gruppe der Sinti und Roma wird in dieser Kampagne darauf reduziert, angeblich in ihrer Gesamtheit von Sozialleistungen zu leben. Mit der verzerrenden Gegenüberstellung von Gruppen versucht die Partei Sozialneid hervorzurufen und die Gruppe der Sinti und Roma in ihrer Gesamtheit als "Sozialschmarotzer" zu stigmatisieren. Ein wortgleiches Plakat nutzte die NPD in ihrem Bundestagswahlkampf 2013 deutschlandweit. Und auch der Dortmunder Kreisverband der Partei 'Die Rechte' übernahm diesen Slogan zustimmend. Insofern befindet sich die pro-Bewegung mit anderen rechtsextremistischen Organisationen hier im denunziatorischen Gleichklang. Derselbe Parteiaktivist sprach am 5. Oktober 2013 in Essen auf einer weiteren Kundgebung von 'pro NRW'. Dort stellt er Deutsche als Opfer von Fremden dar und nennt diesbezüglich ausdrücklich die Roma als Täter. Letztere thematisiert er ausschließlich in der Rolle als Kriminelle. Damit greift er Vorbehalte gegen diese Minderheit auf und verschärft diese. 90 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Es kann doch nicht sein, dass wir Deutsche im eigenen Land gemobbt werden. Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land. Das können wir nicht zulassen. Und wir sagen klipp und klar: Grenzen zu für Roma-Diebe." Auf einer anderen öffentlichen Veranstaltung am 9. November 2013 in Duisburg griff der stellvertretende Parteivorsitzende wieder das Klischee der Kriminellen auf, um diese Gruppe zu stigmatisieren. Darüber hinaus stellt er der Gruppe der Roma die Heimat gegenüber, um den Eindruck zu erwecken, dass die Roma eine Bedrohung für Deutschland seien und deshalb hier niemals heimisch werden können. "Und das sagen wir ganz klipp und klar: Heimatliebe statt Roma-Diebe." Gelegentlich wird die Minderheit der Sinti und Roma nicht beim Namen genannt, sondern von "Migranten aus Südosteuropa" geredet. Aber auch in diesem Fall diskriminieren die pro-Politiker diese Gruppe, indem sie ihr pauschal ein kriminelles Verhalten unterstellen bzw. dass diese auf Kosten der einheimischen Bevölkerung leben würde. In diesem Sinne verunglimpfte diese Minderheit der Jugendbeauftragte von 'pro NRW' in seiner Rede am 5. Oktober 2013 in Duisburg auf einer Kundgebung. "Für die eigene Bevölkerung hat man kein Geld, aber für Kriminelle, die aus Südosteuropa hierher kommen, für die hat man Geld." In einer ähnlichen Art und Weise propagiert ein Bonner 'pro NRW'-Aktivist in seiner Rede am 5. Oktober 2013 auf einer Kundgebung in Essen abwertende Stereotype über diese Migrantengruppe. Mit Metaphern wie "Heuschreckenplage" überhöht er die tatsächliche Problematik drastisch, erzeugt Schreckensszenarien und enthumanisiert die Diskussion über Migration. "Aber wer kommt den hier nach Deutschland, um Sozialhilfe zu beziehen? Das ist doch nicht die Elite der rumänischen oder der bulgarischen Bevölkerung. Das sind soziale Randgruppen, die dort immer wieder für Unfrieden sorgen und die eine Art Heuschreckenplage - nachdem sie das eine Land beglückt haben nun auch unser Land beglücken [...] und kein rumänischer oder bulgarischer Steuerzahler möchte mit diesen Menschen in einen Topf geschmissen werden. [...] wenn diese sich als Flüchtlinge darstellen, dann kann ich nur sagen, diese Leute flüchten nur vor einer einzigen Sache, nämlich vor ihrer Verantwortung. [...] Denn anstelle dort RechtsextRemismus 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 ehrlich zu arbeiten und Steuern zu zahlen, kommen sie hier nach Deutschland, weil sie gehört haben, dass hier das Kindergeld höher ist." In einer ähnlich diffamierenden Art und Weise spricht der stellvertretende Parteivorsitzende von 'pro NRW' am 9. November 2013 von Sinti und Romas, indem er sie mit dem negativ konnotierten Begriff der "Zigeuner" belegt und sie im Zusammenhang mit der Verwahrlosung eines Stadtteils nennt. Zudem erweckt er mit einer unzutreffend dramatisierenden Beschreibung den Eindruck von No-Go-Areas für die Mehrheitsbevölkerung. Damit wird die Minderheit der Sinti und Roma im Sinne eines im Rechtsextremismus typischen Freund-Feind-Denkens als Feind eingeordnet und damit ihre Menschenrechte delegitimiert. Verstärkt wird dies durch die Wortwahl, wonach sich diese Minderheit "eingenistet" habe, was Assoziationen an Ungeziefer wecken soll. Auszüge des Internet-Auftritts von 'pro NRW' und dem Facebook-Profil der Demos in Duisburg gegen angeblichen Asylmissbrauch 92 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Die etablierte Politik guckt tatenlos zu, wie Rheinhausen immer mehr vermüllt, wie Rheinhausen zur Zigeunerhauptstadt wird. Man hat den Eindruck, man ist mittlerweile in Klein-Bukarest, meine Damen und Herren. Diese ethnischen Minderheiten haben sich hier eingenistet, sie haben hier eine Kolonie geschaffen, einen eigenen Bezirk, in den man sich nicht mehr hereintrauen kann als Einheimischer." 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' diffamieren Asylbewerber Die fremdenfeindliche Politik der pro-Gruppierungen richtet sich im Jahr 2013 zunehmend gegen Asylbewerber. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' greifen fremdenfeindliche Ressentiments auf und beziehen sie auf diese Migrantengruppe. Dabei werden unlautere Absichten und negatives Verhalten von einzelnen Asylbewerbern auf die Gruppe verallgemeinert. Letztlich zielt die pauschal diskreditierende Darstellung von Asylbewerbern darauf ab, die Wahrnehmung des Grundrechts auf Asyl zu delegitimieren. Die Kampagne gegen Asylbewerber hat 'pro NRW' im Frühjahr 2013 durch eine "Volksinitiative gegen Asylmissbrauch" vorangetrieben. Das Instrument der Volksinitiative zielt darauf, ein Thema auf die Sitzung des Landtags zu setzen und so diesen dazu zu zwingen, das betreffende Thema öffentlich zu behandeln. Dazu müssen die Antragsteller Unterschriften von 0,5 Prozent der stimmberechtigen Deutschen in NRW vorweisen, das sind ungefähr 66.000 Personen. Im Zuge dieser Kampagne führte 'pro NRW' im März 2013 in 21 Städten Kundgebungen durch, in denen Führungsaktivisten öffentliche Reden hielten und dabei Unterschriften für die Volksinitiative sammelten. Vorgeblich geht es 'pro NRW' nur um eine Kritik am Missbrauch des Asylrechts. Tatsächlich sprechen sie über die Wohnheime von Asylbewerbern durchweg nur in negativen Kontexten, insbesondere Kriminalität und einem allgemein schlechten Einfluss auf das Wohnviertel. Damit wird den Asylbewerbern ein sozial inakzeptables, insbesondere kriminelles Verhalten pauschal unterstellt. Auch Äußerungen zu einzelnen Wohnheimen von Asylbewerbern zeigten, dass es der pro-Bewegung nicht um die Lösung vermeintliche Missstände geht, sondern darum die Gruppe der Asylbewerber in Gänze kriminelles, insbesondere gewalttätiges Verhalten zu unterstellen. Deutlich wird dies in einem Beitrag von 'pro NRW' auf ihrer Webseite am 23. Juli 2013 mit dem Titel "Bonn: Asylantenheim? Wir sagen NEIN!". Darin heißt es: RechtsextRemismus 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Ein Asylantenheim und der damit verbundene verstärkte Zuzug von Gewaltkriminalität und Eigentumsdelikten (wie überall in Nordrhein-Westfalen zu beobachten) [...]." Der gleiche Redner vertritt diese Behauptung auch auf weiteren Veranstaltungen. Am 9. November 2013 greift er das verunglimpfende Motiv des Kriminellen wieder auf, um damit Asylbewerber zu charakterisieren. "Wir müssen uns das nicht gefallen lassen, dass Menschen unter dem Deckmäntelchen des Asyls nach Deutschland einreisen und hier massenhaft kriminell werden." Die diffamierenden Proteste gegen Asylbewerber verband die pro-Bewegung in dieser Kundgebungstour mit ihren anderen fremdenfeindlichen Kampagnen gegen Muslime sowie Sinti und Roma. Die Pläne zur Kundgebungsserie zeigen, dass es der proBewegung kaum um Kritik am Missbrauch des Asylrechtes ging, sondern sie vielmehr Ressentiments gegenüber Migranten hervorrufen und verstärken will. Es heißt in den Plänen unter anderem: "Duisburg, 12. März 2013 Hier werden wir zwar vor keinem Asylantenheim protestieren, sondern vor einem Gebäude, dass hauptsächlich von Sinti und Roma bewohnt wird. Dieser Wohnblock im Stadtteil Rheinhausen-Bergheim zeigt deutlich, wie sich das Leben für die einheimische Bevölkerung verändern kann. Gewalt, Vandalismus, Vermüllung, Ruhestörung. So sieht hier der Alltag rund um das von manchen Anwohnern als "Zigeunerhochhaus" benannten Gebäudes aus. [...] Düsseldorf, 14. März 2013 Wie in Bochum ist auch in Düsseldorf eine leerstehende Schule als Asylantenheim umgewidmet worden. Hier droht ein ganzer Stadtteil zu kippen, da nicht unweit sich auch noch eine Moschee der radikal-islamischen DITIB sich befindet. [...] Leverkusen, 14. März 2013 Schon vor Jahren gab es große Probleme mit dem bestehenden Heim in der [...]. Organisierte Kriminalität und weitere Straftaten wurden von hieraus begangen. Seit Ende letzten Jahres ist das Heim von Sinti und Roma 94 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 belegt, der Stadtteil Opladen droht zum Kriminalitätsschwerpunkt von Leverkusen zu werden. [...] Mönchengladbach, 16. März 2013 [...] Mönchengladbach droht neben einer Salafistenhochburg zu einer Asylantenhochburg zu werden." Um Vorurteile zu wecken, zeichnen 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' ein verzerrendes Bild von der Lage der Asylbewerber in Deutschland. Die dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern in Kommunen wird oftmals als "Luxusunterbringung" bezeichnet, um Sozialneid gegenüber dieser Gruppe zu schüren und verschiedene Gruppen von Sozialleistungsempfängern gegeneinander auszuspielen. Deutlich wird dies in einer Rede des Geschäftsführers der pro-Fraktion im Kölner Stadtrat vom 12. November 2013. "Doch statt einer grundlegenden Neuausrichtung der Unterbringung und vor allem Duldungspraxis des städtischen Ausländeramtes, übt man sich angesichts dieses Massenzuspruchs einzig in Aktionismus und sucht beinahe schon panisch nach neuen Möglichkeiten, die ankommenden Personen irgendwo und offenbar möglichst kostspielig für die Kölner Steuerzahler unterzubringen. [...] Die Antwort kann nicht sein, freiwillig eine Luxusunterbringung durchzuführen. [...] Für die eigenen Schwachen, für die eigenen Studenten ist kein Geld da [...]. Hier hingegen wird das Geld zum Fenster rausgeworfen." In ähnlicher Weise argumentiert der Jugendbeauftragte von 'pro NRW' bei einer Kundgebung in Essen am 5. Oktober 2013. "Es ist arm, dass in Deutschland Rentner Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen. Es ist arm für Deutschland, dass über zweieinhalb Millionen Kinder in Hartz IV-Verhältnissen aufwachsen. Es ist arm für Deutschland, dass sechseinhalb Millionen Menschen von Hartz IV leben. Diese Leute wissen nicht, wie sie am Ende des Monats über die Runden kommen sollen. Auf der anderen Seite haben wir hier vermeintliche Asylbewerber, denen bezahlen wir die Unterkunft, denen zahlen wir den Strom, die bekommen Sätze in Höhe von Hartz IV, denen zahlen wir RechtsextRemismus 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 die Handyrechnung, denen zahlen wir die Kosten, um zur Schule zu kommen und so weiter." Die Diffamierung von Asylbewerbern forciert die pro-Bewegung in Ihrer Kampagne, indem sie sämtliche abgelehnte Asylbewerber als Asylbetrüger bezeichnet. Beispielsweise veröffentlichte der Essener Kreisverband im November 2013 ein Flugblatt mit folgender Aussage: "Bundesweit liegt der Anteil von Asylbetrügern unter den Bewerbern bei über 98%. Diese vereinnahmen Gelder, Nahrungsmittel und Raum [...]." Wortgleich äußerte sich auch der Bonner Kreisverband am 9. August 2013 auf seiner Webseite zu dem Thema. Mit diesem Negativurteil ruft die pro-Bewegung den Eindruck hervor, dass jeder Asylbewerber, der nicht als politisch Verfolgter anerkennt wird, die Behörden vorsätzlich täuschen wolle, um Sozialleistungen zu erhalten. Dass auch bei Bürgerkriegsflüchtlingen der Asylantrag zwar in der Regel abgelehnt wird, diese aber häufig als Flüchtlinge ein Aufenthaltsrecht erhalten, verschweigen die proAktivisten. Beispielsweise behauptet der Jugendbeauftragte von 'pro NRW' in einer Rede auf einer Veranstaltung am 5. Oktober 2013 in Essen-Frintrop: "Kaum einer dieser Menschen, die hier Asyl beantragen hat auch einen Grund für Asyl. Das heißt, sie sind nicht asylberechtigt, es sind keine Flüchtlinge, keine politischen (sic!) Verfolgten, sondern sie kommen nur hierher, weil sie wissen, dass die deutsche Bevölkerung so naiv ist, bzw. der deutsche Staat diesen Leuten das Geld in den Rachen wirft." Hinzu kommt, dass die Gruppe der Asylbewerber nach Ansicht von 'pro NRW' alle möglichen Probleme in Deutschland verursachen würden. So sagte am 5. Oktober 2013 auf der gleichen Veranstaltung in Essen-Frintrop ein Bonner Aktivist von 'pro NRW': "Und jetzt haben wir hier den Fall, dass um 98% Asylbetrüger mitzufinanzieren und mit aufzunehmen, hier eine Bildungseinrichtung geschlossen wird. Und das kann nicht sein. Wir müssen mehr Geld für unsere Bildung ausgeben. Wir müssen natürlich wirklich verfolgten Menschen helfen. Aber wir können nicht dafür sorgen, dass skrupellose Verbrecher in Deutschland Geld abkassieren." 96 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gerichte bestätigen die Einschätzung, dass 'pro NRW' und 'pro Köln' verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' werden vom Verfassungsschutz beobachtet, weil bei diesen Gruppierungen tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben sich aus einer Vielzahl von Äußerungen durch Aktivisten von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' und deren Redebeiträge auf Kundgebungen sowie durch aktuelle Stellungnahmen auf den jeweiligen Homepages der Organisationen sowie entsprechende Artikel, die zum Teil noch im Archiv ihrer Internetseiten abgelegt sind. Kontakte zu anderen, teilweise rechtsextremistischen, zumindest aber fremdenfeindlichen Organisationen im Inund Ausland tragen zu dieser Einschätzung bei. Auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 15. Februar 201114 festgestellt, dass bei der Klägerin bezogen auf den Berichtszeitraum 2008 gewichtige, die Schwelle eines Verdachts deutlich übersteigende tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihre Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigt 2012 in einem Beschluss15 insoweit zustimmend die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf: "Die vom Gericht über die Klägerin gewonnen Erkenntnisse, insbesondere das Parteiprogramm aus dem Jahr 2007, Veröffentlichungen und Verlautbarungen der Klägerin und ihrer Führungskräfte im Berichtszeitraum 2008 und die Verbindungen der Klägerin zu pro Köln lassen mit einer die Verdachtsschwelle klar überschreitenden Deutlichkeit erkennen, dass Bestimmungsgrund des politischen Handelns der Klägerin der Wille ist, einen Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nämlich die Menschenrechte für bestimmte Personengruppen außer Geltung zu setzen. Indem die Klägerin Minderheiten, namentlich Ausländer, Migranten und Muslime in menschenrechtswidriger Weise herabsetzt und ausgrenzt, verfolgt sie das Ziel, gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, in denen die Menschenwürde dieser Minderheiten nicht geachtet wird." 14 VG Düsseldorf, Urteil vom 15.02.2011, Az.: 22 K 404/09. 15 OVG Münster, Beschluss vom 23.05.2012, Az.: 5 A 837/11. RechtsextRemismus 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat dieses Urteil mit Beschluss vom 23. Mai 201216 bestätigt. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 28. Mai 201317 diese Rechtsprechung hinsichtlich der Klage von 'pro NRW' gegen die Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten des Jahres 2009 und 2010 und im Zwischenbericht 2010 fortgeführt und folgendes festgestellt: "Zudem lassen - in einer Gesamtschau - auch die Verlautbarungen und Aktivitäten der Klägerin bzw. ihrer Funktionäre und Mitglieder in den streitgegenständlichen Berichtszeiträumen 2009 und 2010 mit einer die Verdachtsschwelle klar überschreitenden Deutlichkeit erkennen, dass Bestimmungsgrund des politischen Handelns der Klägerin nach wie vor der Wille ist, einen Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, namentlich die Menschenrechte, konkret die Menschenwürde für bestimmte Personengruppen, außer Geltung zu setzten. Es lässt sich auch in den Berichtszeiträumen 2009 und 2010 eine konstante Weiterverfolgung der von der Klägerin verfolgten politischen Ziele feststellen, die ihrerseits dem Schutzgut des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VGS NRW zuwiderlaufen." Dieses Urteil hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 20. Februar 201418 bestätigt. "Die Gesamtheit der vom Verwaltungsgericht bewerteten Aussagen gibt jedenfalls Anlass für den Verdacht verfassungsfeindlicher Ziele und belegt - für den Verfassungsschutzbericht 2010 - derartige Bestrebungen über den bloßen Verdachtsfall hinaus." Organisatorischer Aufbau von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Die Partei 'pro NRW' und der Verein 'pro Köln e.V.' sind personell, organisatorisch und inhaltlich sehr eng miteinander verknüpft. So wurde 'pro NRW' Ende 2007 aus 'pro Köln e.V.' heraus gegründet, um als Regionalpartei bei Kommunalwahlen außerhalb Kölns und bei Landtagswahlen antreten zu können. Es bestehen durchgängige perso16 OVG NRW, Beschluss vom 23.05.2012, Az.: 5 A 837/11. 17 VG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.2013, Az.: 22 K 2532/11. 18 OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2014, Az.: 5 A 1757/13. 98 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nelle Überschneidungen sowohl im Funktionärsbereich als auch bei den Mitgliedern und Aktivisten. Dies schlägt sich in der Außendarstellung nieder. Markus Beisicht präsentiert sich oftmals als Vorsitzender von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' sowie der pro-Bewegung insgesamt. Zudem finden des Öfteren gemeinsame Kundgebungen und Versammlungen statt. Auch das erstellte Werbematerial nutzen beide Organisationen gelegentlich gemeinsam. Eine 2009 von 'pro Köln e.V.' produzierte DVD mit einem islamfeindlichen Film wurde z.B. auch von der Jugendorganisation 'pro NRW' außerhalb Kölns verteilt. Geprägt von der Ambition einer landesweiten Bedeutung suggeriert 'pro NRW' in der öffentlichkeitswirksamen Eigendarstellung flächendeckend funktionsfähige Strukturen. So verfügt 'pro NRW' laut Internetauftritt über insgesamt acht Bezirksverbände mit 53 angeschlossenen Kreisverbänden, wobei der Kreisverband Köln unmittelbar auf 'pro Köln e.V.' verweist. Tatsächlich entspricht die virtuelle Omnipräsenz nicht dem tatsächlichen Gefüge, zumal der vorhandene Mitgliederbestand diesen Anspruch nicht zu erfüllen vermag. Faktisch handlungsfähige Strukturen mit mobilisierbarem Personenpotenzial bestehen im Rheinland, im Oberbergischen Kreis und punktuell im Ruhrgebiet. Erkennbare Ansätze eines tatsächlichen organisatorischen Unterbaus existieren in Aachen, Bochum, Bonn, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Köln, Leverkusen, Radevormwald und Remscheid. Trotz fortlaufender Bemühungen gelang es 'pro NRW' bislang jedoch nicht, entsprechende Untergliederungen beispielsweise in Düsseldorf oder im Raum Münster zu etablieren. Bedingt durch ein vergleichsweise schwer zu mobilisierendes und tendenziell wenig aktionsaffines Mitgliederpotenzial fokussiert sich 'pro NRW' deutlich auf wenige Führungsfunktionäre, ohne deren Aktivitäten kaum eine anhaltende Dynamik erreichbar wäre. Dieser Umstand beinhaltet eine straffe Ausrichtung der nachgeordneten Gliederungen unterhalb der Bezirksverbände auf die etablierten Personen des Landesvorstandes. Maßgebliche Funktionäre stammen aus rechtsextremistischen Parteien oder aus Organisationen, bei denen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen vorliegen bzw. vorlagen. Der Vorsitzende von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' war früher für 'Deutsche Liga für Volk und Heimat*' (DLVH)19 aktiv. Mehrere Funktionäre, unter anderem die Fraktionsvorsitzende von 'pro Köln e.V.' im Rat der Stadt Köln, kamen aus der Partei 'Die Republikaner' (REP), die bis 2007 vom Ver19 Die DLVH* wurde bis 2000 im Verfassungsschutzbericht NRW erwähnt, ist aber inzwischen - zumindest in Nordrhein-Westfalen - bedeutungslos. RechtsextRemismus 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 fassungsschutz beobachtet wurde. Im Jahr 2010 wechselte ein für die NPD in den Stadtrat von Ennepetal gewählter Politiker zu 'pro NRW'. Inzwischen nimmt er sein Mandat für 'pro NRW' wahr und fungiert als Ansprechpartner für den Bezirksverband Bergisches Land. Ebenfalls war das 'pro NRW'-Ratsmitglied in Bonn und die Kreisvorsitzende in Wuppertal früher für die NPD aktiv. In Witten tritt zur Kommunalwahl 2014 auf dem ersten Platz der 'pro NRW'-Liste ein junger Mann an, der bei der vorherigen Kommunalwahl noch für die NPD kandidierte. Der Jugendbeauftragte von 'pro NRW' war vormals für die DVU aktiv und als die DVU 2011 mit der NPD fusionierte, wechselte der DVU-Landesvorsitzende zu 'pro NRW' und brachte sein Mandat im Stadtrat von Dortmund mit. Vertretung in Kommunalvertretungen Bei der Kommunalwahl 2009 gelang 'pro NRW'/'pro Köln e.V.' der Einzug in 13 Kommunalvertretungen mit insgesamt 45 Mandatsträgern. Obwohl die Gruppierungen damit überall dort, wo sie antraten, relativ erfolgreich waren, konnte 'pro NRW' bei der Landtagswahl in NRW 2012 mit lediglich 1,5% der Zweitstimmen nicht hieran anknüpfen. Zwar partizipierte die Partei an der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung, erfüllte die von ihr vorgegebene Erwartungshaltung jedoch nicht. Fraktionsstärke erreichte 'pro Köln e.V.' 2009 mit fünf Ratsmandaten, 'pro NRW' mit jeweils drei Ratsmandaten in Bergheim, Gelsenkirchen und Leverkusen. In Gelsenkirchen büßte 'pro NRW' diesen Status im Laufe des Jahres 2013 ein, nachdem eine Mandatsträgerin die gemeinsame Fraktion verlassen hat. Strategie von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Die pro-Gruppierungen als vermeintliche Bürgerbewegung "gegen die da draußen" 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' stilisieren sich selbst zur "Bürgerbewegung". Der Begriff soll Bodenständigkeit sowie eine politische Kraft suggerieren, die sich aus der Gesellschaft heraus entwickelt und eine stetig steigende Zahl von Mitstreitern anzieht. Die Mitglieder gerieren sich als seriöse Bürger, die aus der "Mitte der Gesellschaft" kommen. Ihre ideologischen Ansätze werden als "rechtspopulistisch", "nonkonform", "gegen die Political Correctness gewandt" oder "freiheitlich" kaschiert. 100 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' versuchen die Bedeutung der "Bewegung" künstlich zu steigern, indem sie Mitgliederzahlen und Teilnehmer bei Veranstaltungen regelmäßig übertrieben darstellen. So haben beispielsweise an der Demonstration gegen die Merkez Moschee in Duisburg im März 2010 nur 150 Personen teilgenommen - entgegen der Ankündigung von über 2.000. Von den tatsächlichen Teilnehmern gehörte zudem gut ein Drittel zum Anhang der Partei 'Vlaams Belang', die aus Belgien angereist waren. Auch beim "Marsch für die Freiheit" 2011 in Köln nahmen anstatt der angemeldeten 1.000 Teilnehmer (zunächst war sogar von 2.500 die Rede) lediglich um die 300 Personen teil. Anknüpfungspunkt von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' bei ihrer fremdenfeindlichen Agitation sind Überfremdungsängste und islamfeindliche Ressentiments. Zwischenzeitlich war man verstärkt bemüht, sich zusätzliche weitere aktuelle Themenfelder als Kampagnenschwerpunkte zu erschließen. So wurde Mitte 2011 von 'pro NRW' ein "Aktionstag" ausgerufen, an dem in mehreren Städten NordrheinWestfalens unter dem Motto "Raus aus dem Euro" demonstriert wurde. Auch auf Flyern warb sie mit diesem Slogan. Seit 2012 kommen weitere, in der Bevölkerung und den Medien diskutierte, streitbare Themen wie "Benzinoder Strompreise" und "ESM-Rettungsschirm" hinzu. Damit versuchte die pro-Bewegung von ihrem Image als fremdenfeindliche Bestrebung mit der thematischen Verengung auf die Themen "Ausländer", "Islam" oder "Muslime" weg zu kommen. Als "Kümmererpartei" mit dem gleichen strategischen Ansatz wie auch die NPD möchte sie Interesse bei Bürgern wecken, die zwar Rechtsextremismus grundsätzlich ablehnen, aber beispielsweise der sogenannten "Eurorettung" kritisch gegenüberstehen. Seit 2013 setzt die proBewegung wieder verstärkt auf fremdenfeindliche Kampagnen und variierte diese hinsichtlich Asylbewerber sowie Sinti und Roma. Diffamierung als strategisches Mittel der politischen Auseinandersetzung Im politischen Diskurs bedienen sich 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' häufig einer massiven Polemik. Im Vordergrund steht dabei nicht eine legitime Kritik, sondern die herabsetzende, verächtlich machende Schmähung des politisch Andersdenkenden. Politische Gegner werden als "verbrauchte Altparteien" oder "Blockwarte der Political Correctness" verunglimpft, Polizisten als "uniformierte 'Gralshüter der Political Correctness'" verhöhnt. Das Stilmittel der Polemik begleitet nicht die Argumentation in der Sache, sondern es ersetzt sie. So wird beispielsweise unter der Überschrift "Migrantengezeter zur RechtsextRemismus 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 konstituierenden Sitzung des Kölner Integrationsrates" dessen Vorsitzender als "Berufstürke" diffamiert, der dieses Gremium zur Lösung der eigenen sozialen Frage missbrauche. Die durch das Bundesministerium des Innern (BMI) ins Leben gerufene Islamkonferenz wird als "politische Selbstbefriedigung von Funktionären" beschrieben. Dieses Zusammentreffen sei das geistige Ergebnis der 68er-Gutmenschen-Utopie, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft auf "Rappelkisten-Niveau" regeln wolle. Weiter heißt es: "Der Einzige, der von dieser opulenten Zusammenkunft etwas haben wird, das ist irgendein privilegierter Catering-Service". In einer Rede anlässlich einer Demonstration im November 2011 in Köln bezeichnete der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', den Kölner Oberbürgermeister als "Salon-Bolschewisten". Bei der gleichen Veranstaltung beschimpfte ein Ratsmitglied von 'pro Köln e.V.', der gleichzeitig Präsident der 'Kommunalpolitischen Vereinigung der PRO-Bewegung*' ist, einen an der Gegendemonstration teilnehmenden Bundestagsabgeordneten der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" als "Gauleiter", "grüne SA" und "Müsli-Nazi". Einen anderen Bundestagsabgeordneten nannte wiederum der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' auf der 'pro NRW'-Homepage20 "CDUHassprediger aus Bergisch-Gladbach". Gegen die Sicherheitsvorkehrungen der Polizei anlässlich einer sogenannten Mahnwache von 'pro NRW' in Bonn im Herbst 2012 polemisierte der Vorsitzende Markus Beisicht wie folgt: "Die Botschaft ist klar. Islamkritische Veranstaltungen sollen offenbar in Bonn in bester weißrussischer oder nordkoreanischer Tradition praktisch unmöglich gemacht werden". Vernetzungen Die pro-Bewegung Zwischen der Partei 'Bürgerbewegung pro Deutschland*', die bis Mitte 2010 ihren Sitz in Köln hatte und ihn dann nach Berlin verlegte, und 'pro NRW' sowie 'pro Köln e.V.' bestehen nach wie vor enge personelle und vor allem inhaltliche Verbindungen. So war der Vorsitzende, Manfred Rouhs, bis April 2011 für 'pro Köln e.V.' Mitglied des Rates der Stadt Köln, eine im November 2013 anlässlich der Neuwahl des 20 'Pro NRW'-Homepage, Zugriff am 27.07.2011. 102 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bundesvorstands von 'pro Deutschland*' neu gewählte Beisitzerin war Mitglied von 'pro Köln e.V.', ein ehemaliges Bundesvorstandsmitglied von 'pro Deutschland*' ist Kreisbeauftragter für 'pro NRW' in Duisburg. Ähnlich wie 'pro NRW' setzte auch 'pro Deutschland*' als Berliner Ableger der proBewegung 2013 in provokanter Manier auf das Feindbild Islam, um von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, greift jedoch analog der Strategie von 'pro NRW' zunehmend das Thema "Asylmissbrauch" auf. So erklärte der Generalsekretär von 'pro Deutschland*' und ehemalige Wahlkampfleiter von 'pro Auszug aus dem Internetauftritt von 'pro Deutschland' mit NRW' bei der Landtagswahl Materialangeboten zu verschiedenen Themen 2012: "Überall in Deutschland bereiten sich radikale Islamisten auf den heiligen Krieg vor. Moscheen werden zu unkalkulierbaren Risikofaktoren. Wir demonstrieren vor diesen Moscheen und sagen das, was deutsche Politiker längst hätten sagen müssen: bis hierhin und nicht weiter!" (Homepage von 'pro Deutschland*', abgerufen am 21. August 2013). Im Zusammenhang mit der beworbenen Kampagne "Asylmissbrauch stoppen!" lancierte 'pro Deutschland*' auf ihrer Webseite unter der Überschrift "Wie der Staat vor Asylbetrügern kapituliert" am 26. November 2013 einen Artikel, in dem es heißt: "Jetzt sind sie in Deutschland angekommen und fallen ihren leidensfähigen Gastgebern immer penetranter auf die Nerven." RechtsextRemismus 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Sowohl bei 'pro Köln e.V.' als auch bei 'pro NRW' ist eine Jugendabteilung angegliedert. 'Jugend pro NRW' und 'Jugend pro Köln e.V.' sind darauf ausgerichtet, Schüler und Jugendliche anzusprechen und zur Mitarbeit zu bewegen. Hierzu bedienen sie sich - neben der Nutzung der sozialen Netzwerke - vorwiegend der sporadischen Herausgabe von Flugblättern. Dabei gehen sie inhaltlich geschickt auf junge Menschen ein, knüpfen an mögliche negative Erfahrungen und an Konflikte mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund an und holen diese Altersgruppe sprachlich ("Hast Du es satt, dass niemand deine Probleme ernst nimmt und sich niemand um Dich kümmert?") und thematisch ("Kriminalität", "Bildungsmisere", "steigende Überfremdung") dort ab, wo sie die Jugendlichen mit ihren Ängsten und Sorgen vermuten. In dem 2013 erschienenen Flugblatt "Schluss mit der Gewalt!" heißt es: "Hast Du es satt, dass immer mehr von unserer eigenen Identität zugunsten einer künstlichen Multi-Kulti Identität aufgegeben wird?" "MultiKulti bedeutet multikriminell!" (Auszug aus dem Werbeblatt "Multikulti ist zum Kotzen!", erschienen 2013) "Hast Du es satt, ständig schikaniert zu werden, nur weil Du Deutscher bist?" "Jung, männlich, brutal und im Regelfall nichtdeutscher Herkunft - so werden Intensivstraftäter beschrieben. Oft terrorisieren diese Banden den Schulhof [...]" "Mittlerweile ist es auch schon so, dass es ausreichend ist, Deutscher zu sein, um in der Schule von den Mitschülern drangsaliert und gedemütigt zu werden. Aber es gibt jemanden, der sich für Deine Interessen stark macht!" Tatsächlich sind auch diese Kampagnen darauf angelegt, zwischen jungen Deutschen und Ausländern zu polarisieren, entsprechende Vorkommnisse zu generalisieren und mittels der Art der Schilderung der angeprangerten Missstände eine latente Furcht zu erzeugen. Vermeintliche Lösungsansätze zur Verbesserung der persönlichen Situation dienen ausschließlich dazu, fremdenfeindliche und islamfeindliche Vorurteile zu verstärken. So heißt es in dem Flugblatt "Schluss mit der Gewalt": "[...] für eine bessere Ausbildungssituation, Lehrmittelfreiheit sowie max. 30% Ausländeranteil pro Schulklasse." "[...] für ein Verbot von Islamunterricht an Schulen." 104 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die ursprünglich mit großen Ambitionen als "größte Kölner Schülerund Jugendzeitung" durch einen ehemaligen Jugendbeauftragten von 'pro Köln e.V.' herausgegebene Publikation 'Objektiv' ist auch 2013 nicht erschienen. In ihren bislang lediglich vier Ausgaben orientierte sich die Publikation mit Themen wie zum Beispiel die Ablehnung von "Großmoscheen" und "Ausländerkriminalität" fast ausschließlich an der Öffentlichkeitsarbeit von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.'. Neben den eigenständigen Portalen auf den bekannten sozialen Netzwerken dient die von der 'Jugend der Pro-Bewegung', der 'Republikanischen Jugend' und der 'German Defence League' (GDL) über Facebook betriebene Seite "Hasta Facebooklogo der gemeinsamen Plattform von 'Jugend der ProLa Vista Salafista!" als Bewegung', der 'Republikanischen Jugend' und der 'German Defence Plattform für gemeinsame League' Aktionen. Neben dieser virtuellen Komponente besteht der 'Ring freiheitlicher Jugend Deutschlands' (RFJ) als eine organisierte Form der Zusammenarbeit. Die gemeinsame Agitation wurde in der einmaligen Neuauflage von 'Objektiv' als "freiheitliches Jugendmagazin" Anfang 2012 intensiv beworben. Als Herausgeber fungierte mit dem neuen Jugendbeauftragten für 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' ein ehemaliger DVU-Aktivist aus Hessen. Ziel dieses "überparteilichen, politischen Jugendverbandes" soll nach eigener Darstellung sein, die "Einigung im freiheitlichen Spektrum voranzutreiben und die nächste Generation freiheitlicher Politiker in Deutschland auf ihre Aufgaben vorzubereiten". Bei der 'German Defence League' (GDL) handelt es sich nach eigenen Angaben um einen "lockeren Zusammenschluss" nach dem Vorbild anderer internationaler Defence Leagues (z. B. der aus der rechten Hooligan-Szene hervorgegangene "gewaltbereite" 'English Defence League'), die als Ziel "Protestläufe gegen die schleichende Islamisierung Europas" vorgeben und in Deutschland in regionale "Divisions" aufgeteilt sind. Anhänger der GDL halten sich aktuell bei Veranstaltungen von 'pro NRW' mit einem RechtsextRemismus 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 ursprünglich gewählten martialischen Auftreten zurück, verwenden jedoch häufig eine eigenständige Symbolik. Obwohl auch 2013 keine nennenswerte Ausweitung der Jugendarbeit im Rahmen eigenständiger Projekte zu verzeichnen war, hat sich die bereits 2012 abzeichnende Entwicklung einer Einbindung anderer Gruppierungen aus dem aktionsorientierten Lager durch persönliche Kontakte auf Funktionärsebene fortgesetzt. Obwohl es sich bei diesem Personenkreis nicht um Mitglieder handelt, konnte die pro-Bewegung damit ihr Sympathisantenpotential bei Veranstaltungen geringfügig erhöhen. 'Jugend pro NRW' und 'Freundeskreis Rade' Ende der 2000er Jahre entstand in Radevormwald eine Gruppe Jugendlicher, die sich zunächst bei der 'Jugend pro NRW' engagierte und an Demonstrationen sowie Parteiversammlungen teilnahm. In dieser Zeit radikalisierte sich die Gruppe zunehmend. Ein Großteil engagierte sich seit 2011 zeitgleich in einer kameradschaftsähnlichen Gruppierung unter dem Namen 'Freundeskreis Rade'. Dieser gewann weitere Anhänger hinzu und suchte Anschluss an die neonazistische Szene in NordrheinWestfalen. Angehörige der Gruppierung verübten zahlreiche Gewaltund Propagandadelikte. Im Rahmen von Ermittlungen gegen den 'Freundeskreis Rade' wurden im April 2012 mehrere Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt, darunter auch gegen die lokale Geschäftsstelle von 'pro NRW' in Radevormwald. Im Januar 2014 verurteilte das Landgericht Köln sechs Angehörige des 'Freundeskreis Rade' wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Rädelsführer nahm bis 2011 an Veranstaltungen der 'Jugend pro NRW' teil. Drei weitere Verurteilte waren für die Fraktion 'pro NRW' in Radevormwald bis 2011 bzw. 2012 als sachkundige Bürger oder als Vertreter von sachkundigen Bürgern im Stadtrat tätig. Vernetzungen auf nationaler Ebene Bereits 2009 hatte der Vorsitzende von 'pro Köln e.V./pro NRW' die Absicht bekundet, mit "anderen rechtsdemokratischen Parteien, islamkritischen Wählerinitiativen und Gruppen eine politische Plattform von Rechts" ('pro NRW'-Homepage 23. November 2009; Interview mit Beisicht) zu schaffen. Als Forum für eine überparteiliche Zusammenarbeit "freiheitlicher" Parteien in Deutschland - so die Selbstdarstellung - wurde 2011 die 'Kommunalpolitische Vereinigung der PRO-Bewegung*' (KPV PRO) mit Sitz in Leverkusen gegründet. Diese Einrichtung soll dazu dienen, die eigenen Mitglieder 106 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 durch Schulungen für die Übernahme und die Wahrnehmung kommunalpolitscher Mandate "fit zu machen" sowie Mandatsträger anderer Parteien anzuwerben. Der KPV PRO*-Vorstand sowie ein zusätzlich installierter Beirat bestehen ausschließlich aus 'pro NRW' bzw. 'pro Köln e.V.'-Aktivisten; Präsident der Vereinigung ist ein 'pro Köln e.V.'-Ratsmitglied. Eine der ersten Aktionen der KPV PRO* war der Beitritt zum "Städtebündnis gegen Islamisierung", zu dem unter anderem 'pro NRW' und der 'Vlaams Belang' gehören. Seit 2010 fanden mehrere Spitzentreffen zwischen Funktionären von 'pro NRW' und der Partei 'Die Republikaner' (REP)21 statt, verbunden mit gemeinsamen Erklärungen, die sowohl auf der Homepage von 'pro NRW' als auch von der REP-Bundespartei veröffentlicht worden sind. Ziel war ursprünglich, spätestens bei der Europawahl 2014 "gemeinsam in neuer Formation" bundesweit anzutreten. Diese Bemühungen scheinen jedoch insgesamt erfolglos geblieben zu sein. Auch 2013 wurden keine konkreten Ergebnisse der Gespräche zwischen 'pro NRW' und der Partei 'Die Republikaner' (REP) seitens einer der beiden Seiten veröffentlicht. Nach dem schlechten Abschneiden der unter dem Dach der pro-Bewegung agierenden Partei 'pro Deutschland*' und den daraufhin öffentlich bekannt gewordenen Verwerfungen auf Funktionärsebene zwischen 'pro Deutschland' und 'pro NRW/Pro Köln e.V.', hatte Beisicht in einer entsprechenden Stellungnahme geäußert: "Es wäre sinnvoll, Republikaner, Pro Deutschland und 'Die Freiheit' schnellstmöglich abzuwickeln und diese in eine neue Sammlungsbewegung zu überführen." Diese Forderung dürfte ernstzunehmende Gespräche der ursprünglich geplanten Zusammenarbeit auf Augenhöhe nachhaltig konterkariert haben. Ein gemeinsamer Antritt zur Europawahl von 'pro NRW' und der Partei 'Die Republikaner' scheiterte jedenfalls. Gleichwohl bestehen Verbindungen nach wie vor auf Funktionärsebene. So veranstalte ein "überparteiliches Bündnis" am 21. September 2013 in Köln eine Kundgebung unter dem Motto "Christenverfolgung stoppen - Kopten schützen". Die entsprechende Resolution wurde unter anderem von 'pro Köln'-Funktionären sowie dem Vorsitzenden des bayrischen Landesverbandes der Partei 'Die Freiheit' unterzeichnet. 21 Die Partei 'Die Republikaner' (REP) wird seit Ende 2007 nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet. RechtsextRemismus 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Weiterhin unterzeichnete diese Erklärung ein Publizist, den 'pro NRW' auch als Redner auf seinen "Europaparteitag" im September 2013 nach Leverkusen einlud. Dieser Publizist hatte im April 2011 einen "Aufruf zum allgemeinen Widerstand des deutschen Volkes gemäß Art. 20 Abs. 4 GG" veröffentlicht. In diesem Aufruf zeichnet er das Bild von dramatischen kulturellen Konflikten, die durch die Einwanderung von Muslimen ausgelöst wurden. Er skizziert die deutsche Bevölkerung als ein Kollektiv im Überlebenskampf und legitimiert damit Gewaltanwendung. So fordert der Autor: "Organisiert Euch! Erhebt euch von euren Sofas! Geht auf die Straßen! Greift zu den Waffen, wenn es keine anderen Mittel gibt!". In islamfeindlichen Internetforen und auf Blogs löste er damit ein relativ großes Echo aus und errang damit szeneintern Prominenz. Die pro-Bewegung arbeitet auch intensiv mit einem politischen Aktivisten zusammen, der bis zum Frühjahr 2013 die "Division Köln" der 'German Defence League' (GDL) leitete. Im Januar hatte dieser auf seiner Facebookseite angeregt Bürgerwehren zu gründen, "nicht unbedingt im militärischen Sinne, aber es macht Sinn, sich zu vernetzen und sich auf die kommenden Unruhen in Europa vorzubereiten, auch mit Waffen". Dessen ungeachtet nahm dieser Aktivist an Veranstaltungen der pro-Bewegung im Jahr 2013 teil und veröffentlichte im September 2013 eine gemeinsame Erklärung mit dem Vorsitzenden von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' sowie dem stellvertretenden Vorsitzenden von 'pro NRW'. Am 25. September veröffentlichte die Person auf mehreren Internetpräsenzen einen Beitrag mit dem Titel "Erste Bürgerwehr in Köln nimmt ihren Dienst auf". Darin heißt es in islamfeindlicher Diktion: "Die überwiegende Masse an Verbrechen passiert aus dem islamischen Kulturkreis, was sich mit der islamischen Ideologie erklären lässt". Der Beitrag endet mit einem Aufruf, das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen: "Die Tatsache, dass Politik, Medien und dann in der Folge auch die Polizei die Menschen in diesem Land irgendwo alleine lassen, also ihr eigenes Volk verraten, hat mich schon vor ein paar Jahren motiviert, eine Bürgerwehr zu begründen. Und heute, am 25.09.2013 nahm die erste Kölner Bürgerwehr ihren Dienst auf!". Dieser Aktivist trat noch am 30. November 2013 gemeinsam mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden von 'pro NRW' und dem oben erwähnten Publizisten auf einer Kundgebung in Köln auf. Verbindungen zum Hetzportal 'kreuz.net'/'kreuz-net.info' Bei der Internetpräsenz 'kreuz.net - katholische nachrichten', die Ende 2012 vorübergehend offline war und kurze Zeit später unter 'kreuz-net.info - katholische nach108 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 richten' wieder ans Netz ging, handelt es sich um ein Portal, das homophobe, antisemitische und muslimfeindliche Beiträge veröffentlicht und durch überwiegend extrem aggressive Diktion auffällt. Mediale Aufmerksamkeit erlangte 'kreuz.net' anlässlich des Todes eines bekannten Schauspielers mit der Schlagzeile "Jetzt brennt er in der ewigen Homo-Hölle". Als Autorin auf 'kreuz.net' fand sich eine 'pro Köln e.V.'/'pro NRW'-Aktivistin, die gleichzeitig Vorstandsmitglied von 'pro Deutschland*' sowie Sprecherin des Arbeitskreises 'Christen pro Köln' ist. Seit 2006 verfasste sie unter ihrem Namen und Angabe ihrer politischen Funktion im Rat der Stadt Köln mehr als zehn Beiträge mit überwiegend homophoben Inhalten, davon alleine vier in 2012. Es besteht weiterhin eine erkennbare inhaltliche Nähe zwischen 'pro NRW' und 'kreuz.net'. In dem Artikel "Moslem-Terroranschlag auf ProNRW-Chef Beisicht vereitelt" auf 'kreuz-net.info' vom 22. März 2013 ohne Autorenangabe erfolgt eine undifferenzierte Übernahme der Argumentationsmuster von 'pro NRW' und wird ein Tatverdächtiger als "Türkenmischling" bezeichnet. Der Artikel räumt diversen Funktionären eine Plattform ein. Darüber hinaus heißt es beispielsweise: "Die Bürgerbewegung ProKoeln/Pro NRW setzte sich gegen die Monstermoschee in Köln ein - offenbar aus gutem Grund". Vernetzungen auf internationaler Ebene Die von 'pro Köln e.V.'/'pro NRW' immer wieder betonte Abgrenzung von jeder Form des Extremismus erscheint wenig glaubwürdig. Dies zeigen die Verflechtungen und Bündnisse, die 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' mit Parteien und Organisationen in den europäischen Nachbarländern pflegen. Einige dieser Parteien zählen zum rechtsextremistischen Spektrum. Wie das OVG NRW jüngst in einem Beschluss festgestellt hat, erlauben diese Kontakte Rückschlüsse auf die Einstellung und das Verhalten der Aktivisten von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' in Deutschland. Neben der engen Zusammenarbeit und regelmäßigen Unterstützung durch die rechtsgerichtete belgische Regionalpartei 'Vlaams Belang' - die als Nachfolgeorganisation des rechtsextremistischen 'Vlaams Blok' angesehen werden kann, dessen Programm vom belgischen obersten Gerichtshof als diskriminierend und rassistisch eingestuft wurde - sowie der volksnationalistischen belgischen Gruppierung 'Voorpost', die eine kameradschaftsähnliche Struktur aufweist und bei der personelle Überschneidungen RechtsextRemismus 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zum 'Vlaams Belang' vorhanden sind, bestehen Kontakte zu separatistischen und fremdenfeindlichen Organisationen in Spanien, Frankreich und Schweden. Im Rahmen einer 2010 von 'pro NRW' veranstalteten "Anti-Minarett-Konferenz" war der Fraktionsvorsitzende des 'Vlaams Belang' wie bei zahlreichen anderen Veranstaltungen dieser Art einer der Hauptredner. Er bezeichnete den Islam als "Eroberungsreligion" und als "Raubtier", welches bereit sei, "sich auf das schwächste Opfer zu stürzen". Hier klingt die ansonsten nur im orthodoxen Rechtsextremismus übliche Analogie eines homogenen Volkskörpers an, der von einer zerstörerischen Kraft von außen - hier "Multikultur" (gemeint sind Menschen mit einer Migrationsbiografie, Anm. der Red.) - zersetzt wird. Menschen aus anderen Kulturkreisen oder mit islamischem Glauben werden in diesem Sinne offensichtlich als tödliche Krankheit gesehen, die das Immunsystem des "Volkskörpers" unwiderruflich schädigt. Als Gegenmittel bleibe die "Überlegenheit unserer eigenen Zivilisation zu verteidigen" und die "dritte islamische Invasion" gegen den "Erbfeind Europa" zu stoppen. Diese Äußerungen sprechen Muslimen nicht nur ihr Grundrecht auf freie Religionsausübung ab, sondern legen nahe, dass dieser Bevölkerungsgruppe das Bleiberecht in Europa abgesprochen wird. Beides steht in deutlichem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 'Pro NRW' ist teilnehmende Organisation bei der internationalen Initiative "Städte gegen Islamisierung". Mitglieder sind vor allem Parteien, die sich durch eine fremdenfeindliche, vor allem islamfeindliche Politik auszeichnen. Dazu zählen unter anderem der 'Vlaams Belang' in Belgien, die FPÖ in Österreich, die Plataforma per Catalunya aus Spanien und der MNR aus Frankreich. Auf der Homepage beschreibt diese Initiative ihre Ziele wie folgt: "'Städte gegen Islamisierung' widersetzt sich der multikulturellen Ideologie, die dazu führt, dass die hier ansässigen Muslime in zunehmenden Mabe ihre eigenen Werte auch in der Öffentlichkeit befolgen können, was de facto zu einer Institutionalisierung dieser Religion." [fehlendes Satzende im Original]. Eine besonders markante islamfeindliche Äußerung ist der im Juni 2012 auf der Webseite des Städtebündnisses veröffentlichte Aufruf des oben genannten 'Vlaams Belang'-Politikers, mit dem er eine Art "Kopfgeld" auf Burkaträgerinnen auslobt. 110 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Wer in den kommenden Tagen etwas Zeit hat und sich etwas dazuverdienen möchte, kann sich an Filip Dewinter wenden. Der zahlt nämlich eine Prämie von 250 Euro an jeden, der eine Burkaträgerin aufspürt, eine noch nie dagewesene Aktion, die wieder genügend Staub aufwirbeln wird." Auf die Frage, wer für die Aktion verantwortlich ist, antwortet der Politiker folgendermaßen: "Ist dies eine Aktion des Vlaams Belang?" Filip Dewinter: Ja, dese (sic!) Aktion geht von der Organisation 'Städte gegen Islamisierung' aus, welche der Islamisierung unserer Heimat Einhalt gebieten will und deren Vorsitzender ich bin." Im August 2013 hielt ein führender Vertreter der "Schwedendemokraten" (SD) einen Gastvortrag bei 'pro Köln e.V.' Obwohl die Partei sich ebenfalls medienwirksam von rechtsextremistischen Einflüssen distanziert, treten Funktionäre und Mitglieder kontinuierlich mit eindeutigen Aussagen in Erscheinung. So verlangte beispielsweise 2012 ein Lokalpolitiker der SD in einem europaweit beachteten Interview, den Islam in Schweden zu verbieten und Muslime zu deportieren. Im Februar 2013 trafen sich im Vorfeld eines Vortrages in Bonn führende Funktionäre von 'pro Köln e.V.' mit dem Vorsitzenden der niederländischen "Partei für die Freiheit" Geert Wilders, der laut der Webseite von 'pro Köln e.V.' "einen kompletten Einwanderungsstopp für Personen aus dem muslimischen Kulturkreis nach Europa" forderte. Anlässlich des "Europaparteitages" von 'pro NRW' im September 2013 in Leverkusen beschwor ein Führungsfunktionär des 'Vlaams Belang' "die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit der Patrioten gegen die Gefahren der Islamisierung und außereuropäischen Masseneinwanderung." Versuchter Anschlag auf 'pro NRW'/'pro Köln'-Vorsitzenden Die bisherige thematische Schwerpunktsetzung mit deutlicher Fokussierung auf islamfeindliche Äußerungen in Verbindung mit dem provokativen Zeigen so genannter Mohammed-Karikaturen bei öffentlichen Kundgebungen führte zu Drohungen aus der islamistischen Szene. Diese konkretisierten sich im Frühjahr 2013 zu Anschlagsvorbereitungen auf den Vorsitzenden von 'pro NRW'/'pro Köln e.V.', die die SicherheitsRechtsextRemismus 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 behörden rechtzeitig aufdeckten. Die Tatverdächtigen sind dem islamistisch-salafistischen Spektrum zuzurechnen. Unmittelbar nach Bekanntwerden versuchte 'pro NRW'/'pro Köln e.V.', das Ereignis in pauschalierender Form im Sinne einer Gleichsetzung von Islam und Islamismus für Propagandazwecke medial zu vereinnahmen. Hierbei unterstellte die pro-Bewegung, dass die Darstellung von 'pro NRW'/'pro Köln e.V.' in den Verfassungsschutzberichten im Sinne einer Verleumdungskampagne eine moralische Verantwortung für den möglichen Tathergang begründe. Gleichzeitig wurde die Strategie gezielter provokativer Aktionen verteidigt und eine Fortsetzung angekündigt. "Und egal was passiert, wir kapitulieren nicht [...] wir machen weiter [...]." Bundestagswahl 2013 Der Wahlantritt der Partei 'pro Deutschland*' zur Bundestagswahl mit insgesamt 13 Landeslisten - darunter Nordrhein-Westfalen - wurde durch die Verantwortlichen bei 'pro NRW'/'pro Köln e.V.' unter Hinweis auf den geringen Bekanntheitsgrad der Partei mit ihrem einzigen Landesverband in Berlin sowie das prognostizierbare schlechte Abschneiden ablehnend aufgenommen. Zudem schritt die Entfremdung zwischen 'pro NRW'/'pro Köln e.V.' und der auch intern als Splittergruppe wahrgenommenen Partei 'pro Deutschland*' fort. Die auch in Nordrhein-Westfalen in mehreren Städten durchgeführte Wahlkampftour von 'pro Deutschland*' wurde seitens 'pro NRW'/'pro Köln e.V.' logistisch nicht unterstützt. Die zentrale Botschaft der Partei war analog der Gesamtausrichtung islamfeindlich bestimmt. Hierzu erklärte der unter anderem bereits wegen Volksverhetzung verurteilte22 Generalsekretär von 'pro Deutschland*': "Überall in Deutschland bereiten sich radikale Islamisten auf den heiligen Krieg in Europa vor. Moscheen werden zu unkalkulierbaren Risikofaktoren. Wir demonstrieren vor diesen Moscheen und sagen das, was deutsche Politiker längst hätten sagen müssen: Bis hierhin und nicht weiter!" Das Wahlergebnis von 0,2% (NRW: 0,2%) der Zweitstimmen hat die Position des Vorsitzenden von 'pro Deutschland*' in den internen Auseinandersetzungen nicht zu 22 Urteil des AG Stuttgart, noch nicht rechtskräftig. 112 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 stärken vermocht, gleichwohl beabsichtigt 'pro Deutschland*' die Gründung weiterer Landesverbände. In einer Stellungnahme zum Wahlausgang distanzierte sich Beisicht nochmals von 'pro Deutschland*': "Es war sicherlich bedauerlich, dass Pro Deutschland [...] vorschnell an der Bundestagswahl teilgenommen ha t[...]. Leider wurde durch diese Kandidatur völlig unnötig die Marke PRO beschädigt [...]." Arbeit in kommunalen Vertretungen Die pro-Bewegung strebt mittelfristig eine flächendeckende Ausbreitung in NordrheinWestfalen an. Hierzu beruft sie sich auf die sogenannte Graswurzeltaktik, wonach zunächst in der Bevölkerung Akzeptanz für die entsprechenden politischen Absichten erzeugt und hierauf aufbauend lokale und dann regionale Strukturen erwachsen sollen. Unbeschadet dessen erweckt sie in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass landesweit bereits vorhandene Organisationsbestände vor Ort lediglich einer Aufbauoder Ausbauarbeit zu unterziehen seien. Eine weitere Plattform der öffentlichkeitswirksamen Agitation bilden die Kommunalparlamente. Schwerpunkt der kommunalen Mandatsträgerarbeit von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' bilden neben Köln mit einem verstetigten Funktionärsstamm Leverkusen sowie Radevormwald. Wie auch bei anderen Kleinstgruppen leben die lokalen pro-Organisationen primär vom Engagement, Sendungsbewusstsein und der in der Basis generierten Akzeptanz weniger Führungsfunktionäre. Bedingt durch das eher geringe Aktivistenpotenzial stehen nur wenige Personen zur Verfügung, die für die Partei öffentlich eintreten. Zudem verliert die pro-Bewegung wegen interner Auseinandersetzungen immer wieder Aktivisten. So ist die Arbeit der ehemaligen Fraktion in Gelsenkirchen nach Aufkündigung ihrer Fraktionsmitgliedschaft durch eine 'pro NRW'Mandatsträgerin faktisch zum Erliegen gekommen. Häufig werden inhaltlich nur unzureichend unterfütterte Anliegen bzw. Anträge einzig in provokanter Intention verfolgt, um durch die hieraus entstehende mediale Fokussierung einen maximalen Grad an Aufmerksamkeit zu generieren. Die jeweiligen Reaktionen werden anschließend manipulativ aufbereitet, um bei der öffentlichen Darstellung Empörung über eine angebliche Ungleichbehandlung zu suggerieren. Die RechtsextRemismus 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Arbeit in den Kommunalvertretungen verfolgt daher eher die Absicht zur Führung von Debatten mit Symbolcharakter und weniger tatsächlicher Sacharbeit vor Ort. Plakative Aktionen wie die Beantragung einer Ratssondersitzung - von 'pro Köln e.V.' als "Asylgipfel" bezeichnet - betreffend der Unterbringung von Asylbewerbern und verknüpft mit der Forderung, diese in "kostengünstigen Sammelunterkünften, vorzugsweise ehemaligen Kasernen, stillgelegten städtischen Einrichtungen oder ähnlichem" zu konzentrieren, setzen gelegentlich auf eine Eigendynamik und zielen sowohl auf eine Provokation des politischen Gegners, als auch auf das Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments in der Bevölkerung ab. Obgleich intern als "Vorzeigekreisverband" betrachtet und ebenfalls in Fraktionsstärke mit ihrem Vorsitzenden Beisicht im Rat der Stadt Leverkusen vertreten, vermag 'pro NRW' dort nicht ansatzweise derartige Akzente zu setzen. Begünstigt durch die räumliche Nähe zu Köln findet die Kreisverbandsarbeit Kompensation in der Ausrichtung von übergreifenden Veranstaltungen, zuletzt dem Parteitag im September 2013. In Radevormwald initiierte die dortige Fraktion von 'pro NRW' vorwiegend einige wenige Symbolanträge hinsichtlich des Zuzugs einer Roma-Großfamilie. Der Antrag auf Einberufung des Rates zum Thema "Maßnahmen zur Befriedung der nachbarschaftlichen Situation [...]" wurde unter anderem mit dem Hinweis begründet, "dass diese ethnische Minderheit eine gänzlich andere Vorstellung von nachbarschaftlichem Zusammenleben, von Ordnung und Sauberkeit und von persönlichem Eigentum hat". Weiterhin wurden die hierdurch entstehenden "massiven Beeinträchtigungen der Lebensqualität normaler Anwohner" beklagt. Öffentlichkeitsarbeit 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' streben als Vertreter des parlamentsorientierten Rechtsextremismus eine gesellschaftliche Verankerung durch Beteiligung und Einfluss an gesellschaftlichen Diskursen an. So sollen bereits in der allgemeinen Diskussionskultur anerkannte Begrifflichkeiten im Sinne der eigenen Ideologie neu definiert und in einem laufenden Prozess durch die Allgemeinheit adaptiert werden. Beispielsweise wird der Begriff "Asylant" in der kontinuierlichen Erweiterung um den Zusatzes "Schein-Asylant" oder "Asylbetrüger" mit der Zielrichtung verwendet, diesen in seiner ursprünglichen wertneutralen Definition zu ersetzen. Damit verbunden ist letztlich auch die kollektive Ausgrenzung eines hierzu gehörenden Personenkreises. 114 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bislang ist es der pro-Bewegung indes nicht gelungen, dem Anspruch der Erlangung einer Meinungsführerschaft (kulturelle Hegemonie) durch originäre Arbeit in den Kommunalvertretungen oder durch die Organisation von Kundgebungen und Informationsständen gerecht zu werden. Gelegentlich gelingt es der pro-Bewegung Ereignisse zu initiieren, die auf Widerhall in den Medien stoßen. So meldete 'pro Köln e.V.' eine Teilnahme an der Parade anlässlich des Christopher Street Day (CSD) am 7. Juli 2013 in Köln unter anderem mit der Begründung an, es müsse "in Köln Platz sein für alle friedlichen und rechtschaffenen Bürger, auch wenn sie z.B. einer sexuellen oder politischen Minderheit angehören". Man wolle sich "massiv gegen die lebensgefährliche Bedrohung Homosexueller durch islamische Fanatiker im Inund Ausland richten". Die Aktion fand, wie beabsichtigt, ein bundesweites Medienecho; 'pro Köln e.V.' zog die Anmeldung dann kurze Zeit später zurück und erklärte: "Wir haben mit unserer Anmeldung zum diesjährigen CSD und der anschließenden medialen Debatte darüber politisch viel erreicht. Das Thema der gewaltbereiten Homophobie in islamistischen Kreisen wurde ein Stück weit enttabuisiert und öffentlich diskutiert. PRO KÖLN konnte sich als die islamkritische Bewegung [...] bewähren". Von herausragender Bedeutung für die Öffentlichkeitsarbeit ist auch hier die Nutzung von Onlinemedien. Die pro-Bewegung legt großen Wert auf eine ansprechende Gestaltung ihrer Internetpräsenzen. Seit Dezember 2013 erscheinen die Webseiten aller Kreisverbände und des Landesverbandes in einem modernisierten und einheitlichen Layout. Sowohl die Webseiten als auch Facebook-Profile von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' werden fortlaufend aktualisiert. Darüber hinaus wird ein Newsletter angeboten. Ferner nutzt die pro-Bewegung zunehmend das Videoportal YouTube, um Videos mit ihren Veranstaltungen zu verbreiten, und den Kurznachrichtendienst Twitter. Der Erfolg dieser Form von Öffentlichkeitsarbeit ist ambivalent. Einerseits ist die Anzahl der Unterstützer des Facebook-Profils von 'pro NRW' von Dezember 2012 bis Dezember 2013 von 3.400 auf über 9.200 gestiegen. In einer Verlautbarung bezieht sich 'pro NRW' darauf und skizziert im üblichen übertreibenden Ton die Entwicklung "weiter zur führenden Internetpartei in Nordrhein-Westfalen, was neben der modernen Präsentation auch an den ständig steigen Zugriffszahlen ablesbar ist. Ebenso an dem großen Interesse für PRO NRW auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken". Andererseits gelang es der Partei bislang kaum, die virtuellen Unterstützer in die reale politische Arbeit einzubinden. Jedenfalls blieb das Aktivistenpotenzial im letzten Jahr nahezu unverändert. RechtsextRemismus 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ausblick Auch 2013 konnten 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' weder herausragende kommunalpolitische Akzente setzen noch nennenswerte öffentlichkeitsweite Resonanz erzeugen. Eine Schlüsselfunktion kommt daher wenigen Funktionären und Aktivisten zu, die mit provokanten Protestveranstaltungen versuchen, eine mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Interne Auseinandersetzungen, persönliche Querelen und Austritte stehen einem Aufbau und Ausbau funktionsfähiger Strukturen weiterhin entgegen. Die stagnierende Mitgliederzahl verhindert größere Aktionsformen. Mobilisierbar bleibt lediglich ein geringer, fester Aktivistenstamm. 'Pro NRW' und 'pro Köln e.V.' setzt deswegen die Strategie fort, gesellschaftliche Konflikte fremdenfeindlich zuzuspitzen und möglichst mediengerecht zu inszenieren, ohne an einer konstruktiven Lösung mitzuarbeiten. 'Pro NRW' fokussiert bereits jetzt alle Aktivitäten auf die Kommunalund Europawahl am 25. Mai 2014. Islamfeindlichkeit bleibt dabei weiterhin das zentrale Agitationsfeld von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW'. Bereits am 25. Juni 2013 hatte der Vorsitzende Beisicht hierzu erklärt: "Unser Eurowahlkampf wird dezidiert islamkritisch sein!". Daneben bildet die Fortsetzung der "Anti-Asylkampagne" ein Schwerpunktthema für die anstehende Kommunalwahl in NRW. Der Versuch eines gemeinsamen Antritts mit weiteren Parteien als "freiheitliche Bewegung" unter Führung von 'pro NRW' ist gescheitert; ebenfalls erfolglos blieb die angestrebte dauerhafte Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, die eine "Wahlplattform" zur Europawahl 2014 beinhalten sollte. 'Pro NRW' konnte den eigenen Anspruch nicht einlösen, auf Augenhöhe mit bei Wahlen erfolgreichen fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Parteien aus anderen Ländern zu kooperieren. In der strategischen Planung der "Fraktion der Rechtsparteien im Europaparlament - European Alliance for Freedom" (EAF) ist 'pro NRW' ohne Bedeutung. Aufgrund der kaum vorhandenen bundesweiten Bezüge und als regionale Kleinpartei sind die Chancen von 'pro NRW' trotz fehlender Sperrklausel eher gering, ein Mandat zu gewinnen. Große Erwartungen setzen 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' jedoch in den Kommunalwahlkampf. Regionale Schwerpunkte sind hier neben dem Rheinland das Ruhrgebiet und das Bergische Land. Vereinzelte Meldungen über eine flächendeckende Besetzung von Wahlbezirken täuschen dabei über die vergleichsweise dünne Personaldecke auch in den selbst benannten Hochburgen mit funktionsfähigen Kreisverbänden hinweg. 'Pro NRW' spekuliert auf die Bildung weiterer Fraktionen in einigen Kommu116 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nalvertretungen. Eine tatsächliche Verankerung in den Kommunen ist hiermit jedoch nicht verbunden. 3.1.3 Die Rechte Bund NRW Gründung 2012 2012 Sitz Parchim Dortmund Vorsitzender Christian Worch Dennis Giemsch Mitglieder 2012 500 ca. 260 Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen (Bundesverband, Landesund Kreisverbände) im Internet vertreten. Ebenso in den sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook und Twitter. Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit 'Die Rechte' - Auffangorganisation für in NRW verbotene Kameradschaften Die Gründung des Landesverbandes erfolgte am 15. September kurz nach und in Reaktion auf das Verbot der Kameradschaften Dortmund und Hamm am 23. August 2012. Der Landesverband 'Die Rechte' in Nordrhein-Westfalen stellt eine Auffangorganisation für einen wesentlichen Teil der verbotenen Kameradschaften dar. So setzt sich die Führung des Landesverbandes aus den Anführern der verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen. Die Kreisverbände in Dortmund und Hamm sind in der Führungsund Mitgliederstruktur weitgehend mit dem 'Nationalen Widerstand Dortmund' (NWDO) und der 'Kameradschaft Hamm' identisch. Fortsetzung neonazistischer Aktivitäten unter dem Schutz des Parteienprivilegs Ziel der den Landesverband dominierenden ehemaligen Kameradschaftsmitglieder in der Partei ist es, ihre bisherigen Aktivitäten unter dem Schutz des Parteienprivilegs nach Artikel 21 GG ungebrochen fortzusetzen. Diese verbotenen Kameradschaften bezogen sich ideologisch positiv auf den Nationalsozialismus. Statt Achtung der Menschenwürde in einer freiheitlichen Demokratie traten sie für eine homogene Volksgemeinschaft in einem autoritären Führerstaat ein. Politische Gegner und Fremde beRechtsextRemismus 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 kämpften sie mit Gewalt. Sie versuchten, in ihren regionalen Hochburgen öffentliche Räume zu dominieren, indem sie zu den Mitteln der Einschüchterung und Drohung griffen. In ihren Äußerungen und Aktionen propagierten sie Antisemitismus sowie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. 'Die Rechte' richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung 'Die Rechte' dagegen bemüht sich, ihre rechtsextremistische Ideologie zumindest ansatzweise zu verschleiern, um keinen Anlass für Verbotsmaßnahmen zu liefern. Ihr Programm beginnt sie mit einem plakativen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dass das Programm für die 'Die Rechte' nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt, wird daran deutlich, dass sie in weiten Teilen ausgerechnet das frühere Programm der rechtsextremistischen DVU übernimmt, welches 'Die Rechte' "sprachlich wie inhaltlich modernisiert und ergänzt"23 habe. Schon das DVUProgramm bemühte sich, die wahre Zielsetzung der Partei zu verschleiern, war bewusst vage formuliert und sehr kurz. Gleiches gilt für das gegenwärtige Programm der Partei 'Die Rechte'. Allerdings wird die rechtsextremistische Ideologie in der Gesamtheit ihrer öffentlichen Aktivitäten, ihrer Webseites und Facebook-Profile sowie der Webseite 'Dortmundecho' deutlich. Letztere wird nach eigener Aussage von einem Mitglied von 'Die Rechte' betrieben.24 Zudem ist die Webseite mit der des Kreisverbandes Dortmund von 'Die Rechte' wechselseitig verlinkt und auf der FacebookAuszug aus der Facebookseite von 'Die Rechte' KV Dortmund Seite des Kreisverbandes Dort23 Webseite 'Die Rechte'. 24 Webseite 'Dortmundecho', Das ist Dortmundecho. 118 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 mund werden zahlreiche Beiträge von 'Dortmundecho' verlinkt, so dass die Beiträge der Organisation zugerechnet werden können. Trotz der rhetorischen Mäßigung finden sich im Programm Hinweise auf ihre Feindschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So spricht die Partei von der "eigenen, natürlich gewachsenen Ordnung" eines jeden Volkes und stellt so die demokratische Gestaltbarkeit einer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung in Abrede. Stattdessen knüpft sie an die nationalsozialistische Ideologie an und stellt Gesellschaft und Staat als Folge biologischer Notwendigkeiten dar. Insbesondere richtet sich die Partei gegen den tragenden Pfeiler der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Achtung der Menschenwürde. Die Menschenverachtung durch die Partei wird unter anderem in einem Artikel auf der Webseite des Kreisverbandes Hamm vom 29. Januar 2013 deutlich, in dem es um die Koedukation von geistig behinderten Schülern mit nicht behinderten Schülern geht. Die behinderten Schüler werden als "Klassendümmste" herabgewürdigt und die leitende Idee der Inklusion, niemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen, wird lächerlich gemacht. Einer solchen Sichtweise liegt ein im Nationalsozialismus vertretenes sozialdarwinistisches Gesellschaftsverständnis zugrunde, bei dem das Recht des Stärkeren gilt. Ähnlich menschenverachtend äußert sich der Kreisverband Hamm über Homosexuelle. Aus Anlass eines Wahlkampfauftrittes eines Politikers von Bündnis 90/Die Grünen im September 2013 wird dieser als "ein an Homosexualität erkrankter Schwulen-Lobbyist" bezeichnet und damit dessen sexuelle Orientierung als Krankheit herabgewürdigt. Überdies äußert sich die Partei dezidiert demokratiefeindlich. Auf der Demonstration am 20. September 2013 in Wuppertal einen Tag vor der Bundestagswahl skandierten die Teilnehmer: "BRD heißt Kapitulation. Ruhm und Ehre der deutschen Nation." Rechtsextremisten sprechen von "BRD", wenn sie die rechtsstaatlich verfasste Demokratie in Deutschland meinen. Diese wird durch den Begriff Kapitulation ausschließlich negativ besetzt. Stattdessen befürworten sie einen demokratielosen deutschen Nationalismus. Statt freiheitlicher Demokratie fordern sie einen völkischen Nationalismus, bei dem die ethnische Gemeinschaft überhöht wird und der einzelne Mensch keinen Wert besitzt. Die Floskel "Ruhm und Ehre" ist bei Neonazis beliebt, weil sie einerseits nicht strafbar ist, andererseits Elemente eines Wahlspruches der Hitlerjugend aufRechtsextRemismus 119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nimmt und damit seine Herkunft für Insider ausreichend kenntlich macht. Eine weitere demokratiefeindliche Parole auf der Demonstration lautete: "Polizei und Demokratie, unsere Ketten brecht ihr nie." Hier wird Demokratie gemeinsam mit dem durch die Polizei repräsentierten rechtsstaatlichen Gewaltmonopol als Feindbild beschrieben. Die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie ist auch das zentrale Element in einer Stellungnahme des stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisverbandes Düsseldorf in einer Nachlese zur Bundestagswahl 2013: "Gestern fand in der BRD wieder eine der größten Scheinveranstaltungen und Täuschungen statt, die das Regime vorzuweisen hat. Eine so genannte 'freie' Wahl. Wir hatten alle die Freiheit, zu wählen. Wir durften eine rote demokratische Partei wählen, oder eine schwarze demokratische Partei, oder eine gelbe demokratische Partei, oder eine grüne demokratische Partei u.s.w. Was wir allerdings nicht wählen durften, das war eine nichtBeispiele aus dem Internet: Auszug aus dem Facebookauftritt und ein YouTubeVideoprint eines Wahlwerbespots der Partei 'Die Rechte' zur Bundestagswahl im September 2013 120 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 demokratische Partei. Eine nationalsozialistische Partei z.B. konnten wir auf dem Wahlzettel nicht finden, weil sie verboten ist. So wie jede Partei verboten wird, die das parlamentarisch demokratische System an sich in Frage stellt." In dieser Argumentation ist die Demokratie also kein freiheitliches politisches System, weil sie es ihren rechtsextremistischen Gegnern nicht ermöglicht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen und durch eine nationalsozialistische Diktatur abzulösen. Die rechtsstaatliche Demokratie ist nach Ansicht der Partei 'Die Rechte' auch nicht geeignet, gesellschaftliche Konflikte angemessen zu lösen und müsse schon deshalb überwunden werden. Der Kreisverband Hamm schreibt in einem Beitrag auf seiner Homepage zur Einwanderung von Sinti und Roma: "Allerdings bedarf es zur Lösung dieses Problems eines fundamentalen Wechsels des politischen Systems." Die Ablehnung von Menschenrechten und Feindschaft gegenüber der Demokratie zeigt die Partei weiterhin in der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und der Befürwortung der nationalsozialistischen Diktatur. So führte der Landesverband NRW zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Solidaritätsbekundungen für ehemalige Nationalsozialisten durch. Beispielsweise stand der NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke im Mittelpunkt einer Solidaritätskampagne der Partei. 'Die Rechte' ist fremdenfeindlich Ein weiteres zentrales Element der Politik der Partei 'Die Rechte' stellt die Fremdenfeindlichkeit dar. Das Parteiprogramm bringt Migranten überwiegend mit dem Begehen von Straftaten in einen Zusammenhang und schürt dadurch fremdenfeindliche Vorurteile. Zudem stellt sie Zuwanderung in einen Kontext zum Asylmissbrauch, um Migranten pauschal zu diskreditieren. Sozialleistungen wie Kindergeld, das im Programm vorgeschlagene Müttergeld oder die soziale Sicherung von Arbeitnehmern, sollen nur Deutschen ausgezahlt werden. Diese fremdenfeindlichen Positionen greift der Kreisverband Dortmund in seinem Kommunalwahlprogramm auf und verschärft sie. Das erste Kapitel ist mit dem Titel "Kriminalität und Überfremdung" überschrieben. Es wird unterstellt, dass Migranten generell kriminell seien. Mit dieser vermeintlichen Begründung werden sie aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Die Einwanderungsentwicklung wird mit Begriffen wie "AsyRechtsextRemismus 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lanteninvasion" oder "Invasion aus Osteuropa" dramatisiert. Das Verhältnis zwischen einheimischer Bevölkerung und Migranten wird als Freund-Feind-Konstellation dargestellt, in der die einheimische Bevölkerung durch Migranten bedrängt werde: "Stoppt die weitere Ghettoisierung und schützt die deutsche Restbevölkerung in den sozialen Brennpunkten!" Fremdenfeindlichkeit ist ein wichtiges Mobilisierungselement der Anhängerschaft der Partei 'Die Rechte'. Dies zeigt sich bei Demonstrationsaufrufen, in denen sie die Gewalttat eines Migranten an einem Bürger zu einem Kampf Ausländer gegen Inländer überhöhen und verzerren. Bei einer Demonstration am 9. März 2013 in Soest trug das erste Banner die Aussagen "Er war ja nur ein Deutscher?!" Hier stellen die Rechtsextremisten tatsächliche Gewalttaten in einen fremdenfeindlichen Kontext, in dem sie suggerieren, dass Migranten als Täter vor Gericht bevorzugt behandelt würden und Migranten generell gewalttätig seien. Eine solche Deutung der Ereignisse nutzen Rechtsextremisten, um damit Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe zu schüren. YouTube-Videoprint der Demonstration in Soest am 9. März 2013 Dass die Thematisierung der Kriminalität von Migranten für die Partei 'Die Rechte' nur ein Vehikel ist, um ihrer generellen Fremdenfeindlichkeit Ausdruck zu verleihen, zeigen mehrere Demonstrationen. Dort rufen die Teilnehmer: "Kriminelle Ausländer raus, kriminelle Ausländer raus, kriminelle Ausländer raus, raus, raus und der Rest auch". 122 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Es geht der Partei also im Kern nicht darum, Kriminalität zu bekämpfen, sondern Ausländer auszugrenzen und ihnen die Wahrnehmung ihrer Rechte abzusprechen. Noch deutlicher wird dies bei der unter anderem im März 2013 in Soest skandierten Parole: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" Der Kreisverband Rhein-Erft hat auch Aufkleber und Plakate mit dieser Forderung herausgebracht. Sie bringen parolenhaft die rechtsextremistische Forderung nach einem ethnisch homogenen Deutschland auf den Punkt, in dem Migranten grundsätzlich unerwünscht sind und keine Rechte in Deutschland besitzen. Von dieser fremdenfeindlichen Ideologie ausgehend stellt 'Die Rechte' Bürger mit Migrationshintergrund, die sich für Staat und Gesellschaft engagieren, in einer verächtlichen Art und Weise dar. Bezüglich deutscher Polizisten mit türkischem Migrationshintergrund schreibt der Kreisverband Wuppertal: "Wenn Dich ein Türke in einer deutschen Polizeiuniform im Straßenverkehr anhält und dich kontrolliert, weißt du spätestens dann, daß die Generation deiner Eltern etwas grundlegendes versäumt, bzw. nicht gehandelt hatte. Was auf den ersten Blick lustig aussieht und eigentlich auch nicht wirklich ernstgenommen werden kann, wird leider täglich realer und immer mehr zur traurigen Wirklichkeit." Der Kreisverband Rhein-Erft-Kreis macht in einer Selbstbeschreibung deutlich, dass er für einen ethnischen Nationalismus eintritt. Mit der Forderung nach ethnischer Homogenität verbindet die Partei fremdenfeindliche Positionen, wonach Migration unweigerlich negative Folgen habe. Dies zielt darauf, Migranten zu dämonisieren und die Bevölkerung gegen sie aufzustacheln. "Unserer Partei geht es darum Deutschland als Land der Deutschen und als souveränen Nationalstaat zu erhalten. Sowohl ein multikulturelles Deutschland, als auch ein europäischer Staat, der Deutschland ablösen soll, sind reine ideologische Wunschvorstellungen, die in der Realität zu Chaos, allgemeiner Verarmung und der Vernichtung der europäischen Kulturen führen würden." RechtsextRemismus 123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Die Rechte' ist rassistisch. 'Die Rechte' propagiert offen Rassismus. Dies zeigt sich exemplarisch auf dem Facebook-Profil des Kreisverbandes Hamm. Dort wird ein Wahlplakat der SPD gezeigt, auf dem eine Mutter mit ihrem farbigen Kind abgebildet ist. In dem Kommentar spricht der Kreisverband verächtlich von einem "Mulatten-Kind". Im weiteren Text heißt es: "So sieht das Familienbild der SPD aus. Unseres ist es nicht! [...] Kindergeld nur für deutsche Kinder!" Dem Kind wird aufgrund seiner Hautfarbe abgesprochen, Deutscher sein zu können. Eine solche Argumentation beruht auf einer Kommentar zum SPD-Wahlplakat im Facebiologisch-rassistischen Ideologie. Rassisbook-Profil der Partei 'Die Rechte' Kreisverband Hamm mus spielt bei der Partei 'Die Rechte' eine wichtige Rolle. Bei Demonstrationen skandierten die Teilnehmer Parolen, in denen sie eine vermeintliche Rasse über eine andere stellen und dafür den Einsatz jeglicher Mittel rechtfertigen. "Wir sind weiß, wir sind rot, für die Rasse in den Tod." Den Rassismus vertreten sie im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zudem in Verbindung mit einem völkischen Nationalismus. So lautet eine weitere auf mehreren Demonstrationen gerufene Parole: "Alles für Volk, Rasse und Nation". 'Die Rechte' ist islamfeindlich Auch die mittlerweile im Rechtsextremismus weit verbreitete islamfeindliche Kampagne greift 'Die Rechte' auf. Im Parteiprogramm positioniert sie sich eindeutig: 124 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Wir lehnen die Einführung des Islamunterrichts an deutschen Schulen strikt ab, da dieser nicht im Einklang mit den abendländischen Werten unserer Kultur steht". Hier zeichnet die Partei ein negatives Bild vom Islam und stellt unterschwellig das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime in Frage. Der Kreisverband Hamm berichtet am 16. Oktober 2013 auf seiner Homepage über eine Studie zum Islam in mehreren NRW-Städten. Der Autor verdeutlicht darin einen völkischen Nationalismus. Denn nach seinem Verständnis könne ein Muslim kein Deutscher sein, da er Deutschsein nicht über die Staatsangehörigkeit, sondern über die ethnische Abstammung definiert. Zudem stellt er Deutsche als Opfer dar, die von Muslimen bedrängt würden. Eine solche Opfer-Täter-Zuschreibung fördert und verstärkt fremdenfeindliche Vorurteile gegen Muslime. "Um sich auf den Bevölkerungsaustausch zugunsten der islamischen Einwanderer vorzubereiten, wird zurzeit in Hamm, Ahlen, Lünen und Münster eine Umfrage mit dem Titel 'Islam 2030 - Zukunft gemeinsam gestalten' durchgeführt. Mit der demographischen Entwicklung im Blick wird in der Umfrage gar nicht mehr von 'deutscher' und 'islamischer' Bevölkerung gesprochen, sondern nur noch von 'muslimischer' und 'nichtmuslimischer'. Damit sollen die Deutschen offensichtlich darauf vorbereitet werden, daß sie sich zukünftig im eigenen Land gar nicht mehr als Deutsche fühlen sollen, sondern nur noch als 'Nichtmoslems' - oder, um in der Sprache der Moslems zu sprechen, als 'Ungläubige'." Beispielhaft für diese Islamfeindlichkeit sind auch Werbemittel des Kreisverbandes Rhein-Erft. In diesen werden Minarette gleichsetzt mit Islamismus und Kulturzerfall und damit der Islam sowie die Muslime pauschal herabsetzt. Der diffamierenden Darstellung von Muslimen schließt sich der Kreisverband Wuppertal in einem Artikel vom 8. Juli 2013 auf seiner Webseite an. Der Autor stellt Muslime pauschal als gewalttätige Kriminelle dar und beruft sich dabei auf rassistische Zerrbilder, wonach Muslime niemals Teil der deutschen Gesellschaft sein können, sondern dieser stets feindlich gegenüber stehen. "Denn mittlerweile wirbt die deutsche Polizei massiv um muslimische Bewerber. Begründung: Man hofft dadurch, daß ein muslimischer Polizist ein bißchen besser auf seine Landsbzw. Rassebrüder einwirken kann, RechtsextRemismus 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 wenn diese mal wieder dabei sind ein ehemaliges deutsches Stadtviertel in Schutt und Asche zu legen. Mit anderen Worten: Man hat schon längst vor ein paar Gemüseverkäufern kapituliert. Man traut sich nicht mehr in die eigenen Gebiete rein und überläßt somit gleich vollständig das komplette Viertel den Landräubern, und zwar inklusive Verwaltung und Sicherheitsbehörden." 'Die Rechte' hetzt gegen Asylbewerber Auch die Äußerungen der Partei zu Asylbewerbern sind von Fremdenfeindlichkeit geprägt. Der Kreisverband Dortmund fordert auf seinem Facebook-Profil am 27. Januar 2013 beispielsweise "Asylheime dichtmachen". Diese Forderung zielt letztendlich darauf ab, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. In verschiedenen Beiträgen dramatisiert die Partei den Anstieg an Asylbewerbern als "Asylbewerberflut" und unterstellt Asylbewerbern durchweg ein negatives Verhalten. Insbesondere der Kreisverband Dortmund widmet dieser Abwertung von Asylbewerbern mehrere Artikel auf seiner Webseite. Zudem behauptet der Kreisverband, dass Asylbewerber im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung bevorzugt behandelt würden. Insbesondere stellt er sie als Sündenbock für ein vermeintlich mangelndes Angebot an günstigem Wohnraum dar. Mit solchen Äußerungen schürt die Partei Sozialneid und versucht Asylbewerber auszugrenzen. 'Die Rechte' ist antiziganistisch Die Partei verunglimpft Sinti und Roma. In den meisten Veröffentlichungen verwendet sie deshalb in abfälliger Weise den Begriff "Zigeuner". Der Kreisverband Dortmund ruft auf seinem Facebook-Profil am 29. März 2013 zu einer fremdenfeindlichen Veranstaltung auf und kommentiert dies mit einem Slogan, den auch 'pro NRW' und die NPD für ihre antiziganistischen Kampagnen verwenden. "Morgen raus auf die Straße - lieber Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma." Hier kontrastiert der Kreisverband zwei vermeintliche Gruppen und unterstellt dabei, dass Sozialleistungen für Sinti und Roma mit den Leistungen für Rentnerinnen und 126 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Rentner zusammenhängen. Dass die Mehrzahl der aus EU-Staaten zugewanderten Sinti und Roma keine Sozialleistungen erhält und dass auch aus der Gruppe der Sinti und Roma Rentnerinnen stammen, unterschlägt die verzerrende Darstellung der Partei. Eine ähnlich fremdenfeindlich motivierte Gegenüberstellung stammt vom Kreisverband Hamm auf seiner Webseite am 23. September 2013. Ein Gerichtsurteil, laut dem Migranten unter bestimmten Umständen Anspruch auf Hartz IV haben, stellt der Autor so dar, als ob Sinti und Roma bevorzugt behandelt würden und allesamt die Deutschen lediglich ausnutzen wollten. Damit wird diese Bevölkerungsgruppe pauschal diffamiert. "Geld, für das ein deutscher Facharbeiter hart arbeiten muß - für Zigeuner von der BRD frei Haus geliefert!" 'Die Rechte' ist geschichtsrevisionistisch Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen wird im Programm als "den Deutschen vielfach zugemutete einseitige Vergangenheitsbewältigung" beschrieben. Die mit dieser Art der Vergangenheitsbewältigung zugewiesene Kollektivschuld führe laut Programm dazu, die internationale Gleichberechtigung Deutschlands zu beeinträchtigen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird als Mittel fremder Mächte zur Schwächung Deutschlands dargestellt - mithin findet durch 'Die Rechte' eine Umkehr von Tätern und Opfern statt. Ebenfalls relativiert 'Die Rechte' die Verbrechen, indem sie nur allgemein nationalsozialistisches Unrecht bedauert und im nächsten Satz daran erinnert, "dass schwere Kriegsverbrechen auch von den Internetauftritt zurm Trauermarsch in Remagen am Siegermächten begangen wurden". Dies 23. November 2013 dient dazu, die systematischen MassenRechtsextRemismus 127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 vernichtungen in Konzentrationslagern mit vermeintlichen Kriegsverbrechen anderer Staaten auf eine Stufe zu stellen. Nachdem der Landesverband und die Kreisverbände NRW 'Die Rechte' bereits im November 2012 den sogenannten "Trauermarsch Remagen" dominierten, beteiligten sie sich 2013 abermals in führender Rolle daran. Die Veranstalter wollten damit an die deutschen Soldaten im Kriegsgefangenenlager Remagen erinnern, "die Opfer eines gezielt betriebenen Massenmordes wurden"25. Mit dieser Formulierung versuchten sie, den planmäßigen Massenmord durch die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern mit den Toten in den alliierten Kriegsgefangenenlagern gleichzusetzen und nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren. 'Die Rechte' stellt sich in die Tradition des Nationalsozialismus Neben der Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus wird auch positiv auf das NS-Regime Bezug genommen. Der Kreisverband Dortmund fordert in seinem Kommunalwahlprogramm "Volksgemeinschaft statt Ellbogengesellschaft". Mit dem Begriff der Volksgemeinschaft knüpft er an die gesellschaftspolitische Ideologie im Dritten Reich an, die eine ethnisch und politisch homogene Gemeinschaft befürwortete, in der die Rechte des Einzelnen nichts galten. Diejenigen, die den willkürlichen Kriterien der Zugehörigkeit nicht genügten, grenzte das nationalsozialistische Regime aus und sprach ihnen die Menschenwürde ab, womit es deren Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung legitimierte. Ein positiver Bezug auf den Nationalsozialismus zeigt sich ferner bei Demonstrationen der Partei 'Die Rechte'. Eine typische Parole, wie sie die Teilnehmer beispielsweise auf einer Demonstration in Wuppertal am 20. September 2013 in Wuppertal riefen, lautet: "Deutschland erwache." Dies war ein verbreiteter Schlachtruf im Nationalsozialismus und entstammte dem sogenannten Sturmlied der SA. Eine weitere Parole, die ein "Vorsänger" und die Teilnehmer im Wechsel skandierten, war: "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten, wer macht damit Schluss, nationaler Sozialismus, nationaler Sozialismus, jetzt". Im weiteren Verlauf der Demonstration in Wuppertal stimmte ein Teil der Teilnehmer das Lied "Ein junges Volk steht auf" an. Dabei handelt es sich um das Eröffnungslied des offiziellen Liederbuches der Hitlerjugend und eines der am meisten gesungenen Lieder im Nationalsozialismus. In dem Lied wird der "Heldentod" gepriesen und die 25 Webseite 'Trauermarsch Remagen' 128 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Volksgemeinschaft beschworen. Dass Text und Melodie des Liedes bei vielen Demonstrationsteilnehmern bekannt war und sie mitsangen, weist darauf hin, dass die Partei den Nationalsozialismus befürwortet und sich in dessen Tradition stellt. Auf der Wahlkampfveranstaltung des Kreisverbandes Aachen am 15. September 2013 hielt der ehemalige Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Aachener Land' eine Rede. In dieser empfahl er den Zuhörern für die anstehende Bundestagswahl folgendes Verhalten: "Überlegen Sie sich ganz genau, was sie wählen. Schreiben Sie drauf: 'Seit 8. Mai 1945 alles Scheiße' oder wählen Sie 'Die Rechte'." Damit macht der Redner deutlich, dass er die nationalsozialistische Gewaltherrschaft der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik vorzieht. Für den verurteilten NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke führte die Partei eine Solidaritätskampagne durch. In ihrem Wahlwerbespot zur Bundestagswahl, auf den Facebook-Profilen mehrerer Kreisverbände und mit einem Motto-T-Shirt beim Auftritt vor dem Bundeswahlausschuss forderte sie "Freiheit für Erich Priebke". Die Partei stellte den unter Hausarrest stehenden Priebke, der bis zu seinem Tod im Oktober 2013 keine Reue zeigte, als leuchtendes Vorbild dar. So schrieb der Kreisverband Wuppertal am 30. Juli 2013 auf seiner Webseite über Priebke folgende antisemitisch gespickte Hommage: "Wenn man als deutscher Nationalist gezwungermaßen im Ausland lebt, dort seinen Geburtstag feiert und als 'Geschenk' eine Horde protestierender Juden und Gutmenschen vor der Tür stehen hat, dann hat man eigentlich alles richtig gemacht im Leben. Denn welche andere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens kann das schon von sich behaupten? Richtig, keiner. Somit ist das antideutsche, jüdische Geplärre zu Erich's 100. Geburtstag eigentlich schon so etwas wie eine Auszeichnung." Der Kreisverband Hamm führte am 30. November 2013 eine Veranstaltung mit einem früheren Mitglied der Waffen-SS durch. In dem Bericht des Kreisverbandes auf seiner Webseite heißt es: "Der Redner erwähnte nachdrücklich, daß er seinen Eid, den er als Soldat geschworen hat, bis heute nicht gebrochen hat, was vom Publikum mit RechtsextRemismus 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lebhaftem Applaus und stehenden Ovationen nach Beendigung seines Vortrages beantwortet wurde". Homepage 'Die Rechte' Kreisverband Hamm vom 30. Juni 2013 mit einer Hommage an Erich Priebke Die Eidesformel der SS, auf die der Redner sich bezieht, lautete: "Ich schwöre Dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Deutschen Reiches, Treue und Tapferkeit. Ich gelobe Dir und den von Dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod! So wahr mir Gott helfe!" Der Redner stellt sich damit als ungebrochener Nationalsozialist dar, der weiterhin treu zu Adolf Hitler steht. Diese Haltung stieß bei den Teilnehmern auf ungeteilte Zustimmung. Die Partei knüpft symbolisch an den Nationalsozialismus an. Auf der Demonstration am 31. August in Dortmund trugen Teilnehmer ein Plakat mit dem Slogan "25 PUNKTE GEGEN EURE VERBOTE". Illustriert war das Plakat mit 25 Punkten. Diese auf den ersten Blick Nonsens-Forderung ist eine Reminiszenz an das 25-PunkteProgramm der NSDAP. Zur Kommunalwahl 2014 stellte der Dortmunder Kreisverband 130 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 ein Programm auf, das mit "25 Forderungen zur Dortmunder Kommunalwahl 2014" überschrieben ist. Auf einer Solidaritätskundgebung am 8. November 2013 in Dortmund für die griechische rechtsextremistische Partei "Griechische Morgenröte" beendete ein Redner seinen Beitrag mit einem Zitat, welches von einem "großen Staatsmann" stamme. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus Hitlers "Mein Kampf". Die vorgenannten Beispiele machen deutlich, dass sich die Partei in der Kontinuität des Nationalsozialismus sieht. 'Die Rechte' ist antisemitisch Der Onlineversandhandel 'Antisem Versand', den der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes NRW betreibt, bringt über seine Webadresse "antisem.it" die antisemitische Einstellung provokativ zum Ausdruck. Zudem stellt das auf der Webseite verkündete Motto "antisem.it hat es nie gegeben" eine zynische Persiflage auf die strafrechtlich verbotene Leugnung des Holocausts dar. Bei dem Versand kann man unter anderem einen Aufkleber mit der Überschrift "Israel war gestern" bestellen. Die postalische Adresse des Versandes ist mit der Adresse des Kreisverbandes Dortmund identisch. Dass diese Webseite mit der eindrücklichen antisemitischen Positionierung vom Betreiber von den Mitgliedern der Partei so unterstützt wird, sieht man daran, dass sie ihn auf den dritten Platz der Landesliste für die Bundestagswahl 2013 wählten und er unangefochten im Landesvorstand der Partei sitzt. Der Kreisverband Hamm veröffentlicht einen Schmähbeitrag anlässlich einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht. In dem Artikel behauptet der Autor, die Ausschreitungen und Morde an Juden würden selektiv dargestellt, da angebliche Boykottaufrufe und Morde von Juden nicht erwähnt würden. Er stellt Juden damit als Täter und die Übergriffe auf Juden als eine Reaktion dar. Damit macht er sich die damalige nationalsozialistische Propaganda zu eigen. Im Kommentar zur Bundestagswahl 2013 verbreitet der Kreisverband Düsseldorf am 23. September 2013 auf seiner Webseite die antisemitische Legende von der jüdischen Weltverschwörung, die nur dem Reichtum der Juden verpflichtet sei: "Demokratie bedeutet immer die Herrschaft und Tyrannei einer kleinen weltweit verzweigten Gruppe von Super-Kapitalisten, welche über unerschöpfliche Geldmittel verfügen. Genauere öffentliche Betrachtungen RechtsextRemismus 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 über die ethnischen Hintergründe dieser Gruppe würden in der freien BRD übrigens zu strafrechtlichen Konsequenzen führen." Es ist bei Rechtsextremisten üblich, dass sie die Gruppe der Juden namentlich nicht nennen. Auch mit der Leugnung des Holocausts verschafft sich die Partei Öffentlichkeit. Der Kreisverband Rhein-Erft dokumentiert den Brief einer verurteilten HolocaustLeugnerin auf seiner Webseite am 29. August 2013. Darin leugnet die Autorin die Ermordung von Millionen in Auschwitz. "Der Zentralrat macht sich unglaubwürdig, wenn er weiter auf den beiden großen Lügen beharrt. [...] In Auschwitz seien mehrere Millionen Juden vergast, von den Deutschen. Die Beweise sprechen dagegen. Der Zentralrat hat nichts widerlegt, aber er glaubt weiter." 'Die Rechte' ist aggressiv-kämpferisch Der Landesverband NRW wird von militanten Neonazis dominiert, die in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Gewalttaten auffielen. Dies war auch einer der Gründe, die zum Verbot von vier Kameradschaften in NRW führten. Mit den Kameradschaftsverboten sind Gewaltstraftaten der betreffenden neonazistischen Szene zurückgegangen. Trotz dieser taktischen Anpassung zeigt die Partei in zahlreichen Stellungnahmen und Aktionen ihre aggressiv-kämpferische Haltung. Diese Haltung des Landesverbandes NRW gründet auf einem Freund-Feind-Denken. Danach sind politische Gegner immer auch Feinde, bei denen man alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Bekämpfung einzusetzen habe. Hier schlägt die antidemokratische Ideologie in unmittelbares, auch gewaltsames Handeln um, mit dem die Partei Angst beim politischen Gegner verbreiten und damit in letzter Konsequenz einen demokratischen Diskurs unterbinden möchte. Zu diesen politischen Gegnern zählen sowohl Politiker und Bürger, die sich kritisch mit der Partei 'Die Rechte' beschäftigen, als auch Beamte, die im Sinne der wehrhaften Demokratie repressive Maßnahmen gegen Neonazis veranlassen. Nur um eine strafrechtliche Verfolgung zu vermeiden, beschränken die Parteimitglieder sich überwiegend auf legale Aktionen. Trotzdem versucht die Partei 'Die Rechte', die von ihnen ausgemachten Feinde der Partei einzuschüchtern. Dabei formulieren die Parteiaktivisten die Bedrohungen subtil, so dass die Aussagen einen Interpretationsspielraum lassen. Deshalb sind sie strafrechtlich nicht zu fassen, hinterlassen bei den Adressierten dennoch oftmals die beabsichtige Wirkung. 132 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Vor allem der Kreisverband Dortmund setzt in diesem Zusammenhang auf das Mittel der Belästigung. Personen des öffentlichen Lebens, die sich kritisch über die Partei äußern oder als Staatsbedienstete gegen sie Maßnahmen durchführen, werden in ihrem persönlichen Lebensumfeld belästigt. So hat der Kreisverband Dortmund am 23. Dezember 2012 Kundgebungen veranstaltet, die vor den privaten Wohnungen des Dortmunder Oberbürgermeisters, des Landesarbeitsund Sozialministers und der stellvertretenden Fraktionschefin der Grünen im Düsseldorfer Landtag stattfanden. Diese Verletzung der Privatsphäre diente nicht dazu, ein politisches Anliegen öffentlich zu machen, sondern die betroffenen Politiker mitsamt ihrer Familie einzuschüchtern. 'Die Rechte' begreift diese Aktion als Erfolg und wiederholte sie 2013. Zum Auftakt stellte sie in diesem Jahr in einem Artikel der Webseite 'Dortmundecho.org' steckbriefartig zehn Dortmunder Politiker bzw. zivilgesellschaftlich engagierte Bürger vor, die sich für eine demokratische Stadtkultur einsetzen. Aus dieser Liste konnten die Besucher der Webseite auswählen, welche Personen in der Nähe ihrer privaten Wohnung durch eine Demonstration der Partei in der Vorweihnachtszeit bedrängt werden sollten. Relativ kontinuierlich versucht der Kreisverband bei öffentlichen Veranstaltungen des Dortmunder Oberbürgermeisters und des Dortmunder Polizeipräsidenten Präsenz zu zeigen. Anlässlich des Polizeifestes am 13. Juli in Dortmund veranstaltete der Kreisverband eine Demonstration unter dem Motto "Keine Feier ohne uns" und rief dazu auf, nach einer Kundgebung der Partei das Polizeifest zu besuchen und den Polizisten kritische Auszug aus dem Facebook-Profil der Partei Fragen zu stellen. Zu einer Veranstaltung mit 'Die Rechte' mit dem Aufruf zur Demonstradem Oberbürgermeister mobilisierte der Kreistion gegen den NRW-Polizeitag in Dortmund verband am 26. November 2013 seine Anhänger und dem entsprechenden Plakat auf der mittels eines Artikels auf 'Dortmundecho'. Internetseite von 'Dortmundecho.org' "Wie es sich für eine politisch korrekte Veranstaltung handelt, sind von dem vermeintlichen Bürgerdialog Andersdenkende bereits durch eine Ausschlussankündigung im Vorfeld ausgeladen: Damit soll offenbar verhindert werden, dass insbesondere Nationalisten die Kritik an Überfremdung und Ausbeutung des Stadtteils formulieren könnten - denn auf kritische Argumente reagieren die Verantwortlichen für den Niedergang unserer Heimatstadt Dortmund bekanntlich allergisch. RechtsextRemismus 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Gerade diese Ausladung sollte jedoch ein Ansporn sein, zivilgekleidet seinen Platz in den Reihen des 'Dialoges' zu finden und die SPD-Parteibonzen durch kritische Nachfragen als das zu entlarven, was sie sind: [...]" Neben dem Versuch, im Sinn einer Wortergreifungsstrategie ein Forum für fremdenfeindliche und rassistische Parolen zu finden, werden der Oberbürgermeister und der Polizeipräsident als "Vertreter des feindlichen Systems" auch persönlich bedrängt. Beispielsweise kündigte der Dortmunder Polizeipräsident eine Stadtrundfahrt an, bei der er mit dem Fahrrad unterschiedliche Stadtteile Dortmunds besuchte. Dies nahmen Mitglieder der Partei zum Anlass, ihn an verschiedenen Stellen mit Spruchbändern und Parolen zu empfangen. Insbesondere demonstrierten sie gegen staatliche Maßnahmen zur Verhinderung neonazistischer Aktivitäten. In einem Artikel vom 21. August 2013 auf 'Dortmundecho' beschreibt der Autor, wie Rechtsextremisten den Polizeipräsidenten in einem Dortmunder Stadtteil abpassten. Als dieser sich in einem Lokal einfand, haben sich die beteiligten Aktivisten ebenfalls in dieses Lokal begeben "um der illustren Runde zu signalisieren, dass [...] überall, wo er öffentlich auftreten will, Proteste zu erwarten hat." Den Artikel illustrierte der Autor mit einem Foto des Polizeipräsidenten und seiner Begleiter. Nachdem der Staatsschutz Dortmund mehrfach gegen Neonazis in Dortmund einschritt, führte der Kreisverband eine Kampagne gegen den Staatsschutzleiter durch, bei dem sie dessen Absetzung mit Namen und Bild auf Plakaten, Flyern, Demonstrationsbannern etc. im Stadtgebiet forderten. Im Vorfeld der Bundestagswahl hängten sie entsprechende Plakate als vermeintliche Wahlplakate vor allem in Sichtweite des Polizeipräsidiums Dortmund auf, um Stärke zu demonstrieren und gleichzeitig durch die Personalisierung des Protests den Staatsschutzleiter sowie seine Mitarbeiter einzuschüchtern. Ähnlich erging es der Rechtsdezernentin der Stadt Dortmund, als sie ein vom Kreisverband geplantes Rechtsrockkonzert in einer Halle aus baurechtlichen Gründen untersagte. Umgehend veröffentlichte 'Dortmundecho' am 17. November 2013 einen Artikel, der mit einer indirekten Drohung endete: "Die Namen der Verantwortlichen sind vielseitig, aber sie alle haben eins gemeinsam: Beim Nachhilfeunterricht über Grundrechte und behördliche Neutralität wird niemand vergessen. Wie dieser Unterricht aussehen kann, 134 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 hat sich in der Vergangenheit gezeigt und dürfte in Zukunft ebenfalls anschaulich vorgeführt werden!" Eine besonders unverhohlene Art der Einschüchterung zeigt ein auf 'Dortmundecho' und dem Videoportal YouTube veröffentlichtes Video vom 27. August 2013. An diesem Tag wollte die 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) im Rahmen des Bundestagswahlkampfes in einem Dortmunder Stadtteil, in dem mehrere Aktivisten der Partei 'Die Rechte' wohnen, für Wählerstimmen werben. 'Die Rechte' mobilisierte umgehend ungefähr zehn Anhänger, die den MLPD-Vertreter dicht umringten und mit höhnischem Beifall sowie Sprechchören begleiteten. Das führte dazu, dass der MLPD-Vertreter den Auftritt abrechen musste. Der kurzfristig anberaumte Aufmarsch der Parteimitglieder ist als Machtdemonstration zu verstehen. Er zeigt, dass die Anhängerschaft in Dortmund öffentliche Räume dominieren und für politische Gegner Angsträume schaffen möchte. Auf der Webseite des Bundesverbandes gibt es einen sogenannten "Links-Melder". Nach den dortigen Erläuterungen habe das Online-Formular angeblich folgende Funktion: "Der Links-Melder ist eine zentrale Meldestelle, an die sich gewendet werden soll, wenn strafbare, linksextremistische Inhalte im Netz entdeckt werden". Der legalistische Anstrich des "Links-Melders" erscheint in einem anderen Licht, wenn man bedenkt, dass ein wesentlicher Teil der Mitglieder von 'Die Rechte', insbesondere der Landesverband NRW, aus militanten Neonazikameradschaften stammt, die einen Aktionsschwerpunkt in der Verfolgung, Bedrohung und Bekämpfung ihrer politischen Gegner sehen. Vor diesem Hintergrund ist der "Links-Melder" als Mittel der sogenannten Anti-Antifa-Arbeit zu betrachten, mit der linke Strukturen und Personen ausgeforscht werden sollen, um diese Informationen zu ihrer Bekämpfung zu nutzen. Das bedeutet Bedrohung von Personen bis hin zum Versuch der Vertreibung aus von den Neonazis für sich reklamierten Stadtteilen. Einer vergleichbaren Strategie folgt die Veröffentlichung eines Briefes von Worch auf der Webseite der Bundespartei am 11. Oktober 2013. Er richtet diesen Brief an einen Politikwissenschaftler, der sich in einem Interview kritisch über die Partei 'Die Rechte' geäußert habe. Der Parteivorsitzende kommentiert darin das Interview. Den letzten Abschnitt beginnt er mit einer verbrämten Drohung: "Sie sollten künftig mit der Wiedergabe falscher Behauptungen ein wenig vorsichtiger sein. Daß ich mich als Freund der Wissenschaften ausgewiesen habe, bedeutet noch lange nicht, dass ich auch Freund aller WissenRechtsextRemismus 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 schaftler bin. Da gibt es einige, denen gegenüber ich weniger freundlich gesinnt bin; in einzelnen Fällen richtig unfreundlich." Danach relativiert er die Aussage, in dem er auf einen vermeintlich verlorenen Rechtsstreit des Wissenschaftlers verweist. Bemerkenswert ist aber, dass die Partei einen solchen Schriftwechsel auf der Webseite der Partei mit der Mailadresse des Kritikers veröffentlicht. Es geht hier nicht um eine Diskussion mit einem Kritiker, sondern darum, diesen an den Pranger zu stellen. Dies soll der eigenen Anhängerschaft vermeintliche eigene Stärke signalisieren und Kritiker einschüchtern. Im Zusammenhang mit Diebstahldelikten in Dortmund unterstellt 'Dortmundecho' am 13. Dezember 2013, dass die Täter Migranten seien. Im Weiteren wird über mögliche Konsequenzen räsoniert und 'Die Rechte' als Alternative zur Polizei positioniert. Damit stellt 'Die Rechte' das demokratisch legitimierte rechtsstaatliche Gewaltmonopol in Frage und bietet sich letztlich als Bürgerwehr an, die zur Selbstjustiz greift. "Allen Dorstfeldern bleibt zu raten, Augen und Ohren offen zu halten und verdächtige Personen der Polizei, aber vielleicht gerade auch den - im Stadtteil bekannten - Aktivisten der nationalen Bewegung zu melden, die sich nicht für vermeintliche 'Bagatelldelikte' schonen und wirkliche Zivilcourage zeigen." Im Mai 2013 veröffentlichte der Kreisverband Hamm auf seinem Facebook-Profil ein Bild mit dem Spruch "Wir hängen nicht nur Plakate". Um sich nicht dem Verdacht des Aufrufs zu Gewalttaten auszusetzen, ironisierte der Autor im Kleingedruckten durch den Zusatz "wir verteilen nämlich auch Flugzettel, machen Infostände und Demonstrationen". Der Kreisverband Aachen übernahm das Bild auf seinem Facebook-Profil verzichtete aber auf eine ironisierende Relativierung. Dass der Kreisverband diese Ankündigung auch durchaus ernst meint, verdeutlichte er auf seiner Wahlveranstaltung am 15. September 2013. Dort äußerte der Kreisvorsitzende und gleichzeitig Spitzenkandidat auf der Landesliste für die Bundestagswahl unverhohlene Sympathien für Gewalttaten gegen demokratische Politiker: "Manch einer meint sicherlich, dass Demokraten Konsequenzen ziehen, indem sie zurücktreten. Aber das sind keine Konsequenzen, die wir uns vorstellen. Jene Politiker, die an diesem volksfeindlichen System mitwirken, sollten Konsequenzen mit Leib und Leben ziehen." 136 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Im Anschluss an die Rede wurde das Lied "Am Puls der Zeit" von der Skinhead-Band Noie Werte gespielt. Mit diesem Lied war, wie durch Presseveröffentlichungen bekannt geworden ist, das zweite Video des NSU unterlegt. Die verbotene 'Kameradschaft Aachener Land', aus der der Kreisverband Aachen überwiegend hervorgegangen ist, zeigte nach dem Bekanntwerden des NSU eine Abbildung der Trickfilmfigur "Rosaroter Panther" und den Schriftzug "Zwickau rulez". Der rosarote Panther ist ein durchgängiges Motiv im ersten Video des NSU, indem die Täter sich zynisch zu den Morden und weiteren Verbrechen bekennen. Zudem war auf dieser Webseite das Lied "Döner-Killer" einer rechtsextremistischen Band eingebunden, das vor dem Bekanntwerden des NSU entstanden ist. Im dem Lied zollt die Band den Tätern Respekt und verhöhnt die Opfer. Gelegentlich legen Mitglieder der Partei jegliche taktische Zurückhaltung bei der Befürwortung von gewaltsamen Aktivitäten ab. In einem Artikel auf der Webseite des Kreisverbandes Wuppertal am 23. Oktober 2013 zur Freilassung des Entführers von Jan-Phillip Reemtsma bedauert der Autor, dass der Täter dem Opfer nicht noch mehr Leid zufügte. Reemtsma gilt bei Rechtsextremisten als Feind, weil ein von ihm privat finanziertes sozialwissenschaftliches Institut die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" entwickelte. Diese Ausstellung ist bei Rechtsextremisten verhasst, weil sie angeblich das Ansehen der deutschen Wehrmacht verunglimpfen würde. "Was uns angeht, so bedauern wir außerordentlich das der Herr Reemtsma nur entführt wurde und wünschen dem Herrn Drach alles gute für die Zukunft. Beim nächsten mal besser machen [...]." Bei den Demonstrationen setzt die Partei 'Die Rechte' den aggressiven, auf Beherrschung des öffentlichen Raumes gerichteten, aktionsorientierten Stil der Kundgebungen der verbotenen Kameradschaften fort. So riefen bei nahezu sämtlichen Demonstrationen der Partei die Teilnehmer in Richtung von Gegendemonstranten: "Linkes Gezeter, neun Millimeter". Auf der Demonstration am 21. September 2013 in Wuppertal wiegelte ein Redner, der früher in der verbotenen 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (Köln) in führender Rolle aktiv war, die Teilnehmer gegen die Gegendemonstranten auf: "Wollen wir uns von solchen Minusmenschen schikanieren lassen?" RechtsextRemismus 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die mit der Bezeichnung "Minusmenschen" zum Ausdruck kommende antihumanistische Einstellung befürworteten die Teilnehmer der Wuppertaler Demonstration und propagierten überdies Gewalt gegen den politischen Gegner. In Sprechchören riefen sie im Laufe der Veranstaltung: "Wir waschen unsere Stiefel mit dem Blut der Antifa". Bereits in dem Mobilisierungsvideo des Neonazi-Rappers MaKss Damage für die Demonstration warb der Kreisverband Wuppertal mit martialischer Propaganda. In dem Lied ruft der Sänger zur "Schlacht von Wuppertal" auf. Bezogen auf den politischen Gegner verbreitet er in dem Lied Gewaltdrohungen: Abbildung aus dem Mobilisierungsvideo "Tränengasdusche" von MaKss Damage "Wir machen weiter und weiter, bis euer Blut in unsere Wupper fließt". 'Die Rechte' propagiert indes nicht nur gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem als Feind deklarierten politischen Gegner, sondern wähnt sich auch in einem "Rassenkrieg". So zitierte ein Redner auf einer Demonstration der Partei am 23. März 2013 in einer niedersächsischen Kleinstadt, an der überwiegend Parteianhänger aus NRW teilnahmen, zustimmend ein Lied, in dem es über die Hautfarbe heißt, dass sie "irgendwann mal die Farbe unserer Uniform in diesem Rassenkrieg sein wird, wenn wir als Weiße in der Mitte Europa uns den Horden aus dem Orient, aus Asien und Afrika entgegenstellen müssen. Dann heißt es nur noch: Wir gegen die ganze Welt!" Auch der Landesvorsitzende von NRW sieht Deutschland in einem Überlebenskampf. Dies ist typisch für die rechtsextremistische Ideologie, die Welt in Freunde und Feinde einteilt und Konflikte immer nur durch Kampf und nie durch Diskussion und Kompro138 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 miss gelöst werden können. So rief der Landesvorsitzende auf einer Solidaritätskundgebung für die griechische rechtsextremistische Partei Goldene Morgenröte: "Wir stehen gemeinsam im Kampf gegen die, die unsere Völker vernichten wollen". Daran knüpft ein weiterer Redner auf der Veranstaltung an und zitiert einen angeblich "großen Staatsmann". Das Zitat stammt aus "Mein Kampf". "Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient sein Leben nicht." Sich eine solche Sichtweise zu eigen zu machen, bedeutet, für Menschenverachtung und Demokratiefeindschaft aktiv einzutreten und zu einem aggressiv-kämpferischen Auftreten aufzurufen. Im Rahmen von Demonstrationen fanden überdies Straftaten statt. Bei der Demonstration in Dortmund am 31. August 2013 warf ein Teilnehmer einen pyrotechnischen Sprengkörper in die Richtung von Gegendemonstranten. Der Täter verletzte damit fünf Personen, darunter einen Polizisten und eine Landtagsabgeordnete. Obschon der Parteivorsitzende sich von der Tat distanzierte, zeigt dies die Gewaltbereitschaft im Sympathisantenumfeld der Partei. Der Täter wurde wenige Tage nach der Veranstaltung in Baden-Württemberg verhaftet, weil er dort eine andere Person mit dem Bau eines Sprengkörpers beauftragt hatte. Eine Aussteigerin aus der Wuppertaler Neonazi-Szene, die in mehreren Prozessen als Zeugin gegen Rechtsextremisten ausgesagt hat, wurde massiv bedroht. Unter anderem bekam sie "Besuch" von ca. zehn Personen, die dem Kreisverband 'Die Rechte' Wuppertal oder ihrem direktem Umfeld zuzurechnen sind. Die Gruppe versuchte die Aussteigerin vor einer Aussage im Koblenzer Prozess gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' einzuschüchtern. Der Aachener Kreisverband ist eng mit der militanten Neonazi-Szene in Bayern verbunden. Bei verschiedenen Treffen trat die vorhandene Gewaltbereitschaft einzelner Aachener Neonazis offen zutage. So beteiligte sich der Aachener Kreisvorsitzende bei einer Gerichtsverhandlung in München an Straftaten gegenüber anwesenden Journalisten. Anlässlich eines Besuchs bayerischer Neonazis in Aachen zu dessen Geburtstagsfeier griffen im Vorfeld einige Neonazis die Teilnehmer einer Antirassismusdemonstration an. RechtsextRemismus 139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Auch gegenüber der politischen Konkurrenz im rechtsextremistischen Lager tritt 'Die Rechte' aggressiv auf. Die Webseite 'Dortmundecho' warnt in einem Artikel vom 1. März 2013 vor dem Dortmunder NPD-Kreisvorsitzenden, bezeichnet ihn als "Polizeizuträger" und druckt verschiedene Lichtbilder von ihm ab. Organisation Bundesverband Der Bundesverband der Partei 'Die Rechte' wurde am 27. Mai 2012 in Hamburg gegründet. Zum damaligen Zeitpunkt sah der Gründer, Christian Worch, die Partei laut eigener Aussage, "weniger radikal als die NPD" aber "radikaler als die REPs und die pro-Bewegung". Seine zentrale Stellung im Bundesverband lässt sich daran ablesen, dass der Wohnsitz des Parteivorsitzenden zugleich der Sitz der Partei ist. Inzwischen hat 'Die Rechte' sieben Landesverbände. Neben dem in Nordrhein-Westfalen haben sich Ende 2012 und im Laufe des Jahres 2013 in Hessen, Brandenburg, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Logo des Bundesverbandes der Partei 'Die Rechte' auf Berlin und Sachsen Landesverbände Facebook bzw. eine Landesgruppe Bremen gegründet. In Hessen gibt es bislang fünf Kreisverbände und in Niedersachsen einen Kreisverband. Während außerhalb NRWs zunächst vor allem ehemalige NPDoder DVU-Mitglieder in die Partei eintraten, wurden die jüngsten Landesverbände vor allem von Neonazis gegründet. Landesverband NRW Der Landesverband NRW wurde am 15. September 2012 in Dortmund als erster Landesverband der Partei 'Die Rechte' gegründet. Zur Gründungsveranstaltung lud ein ehemaliges führendes Mitglied der verbotenen Dortmunder Kameradschaft ein. Der Landesvorstand NRW setzt sich aus vier ehemaligen Mitgliedern der am 23. August 2012 verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen. Auch die enge zeitliche Abfolge weist auf den Zusammenhang von Vereinsverboten und Gründung des Landesverbandes hin. 140 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Der Ausbau der Parteistruktur erfolgte etwa einen Monat nach Gründung des Landesverbandes NRW. Am 27. Oktober 2012 wurden zeitgleich vier Kreisverbände sowie ein Bezirksverband der Partei 'Die Rechte' in NRW gegründet. In Dortmund, Hamm, Mülheim a. d. Ruhr, im Rhein-Erft-Kreis ist die Partei seitdem mit Kreisverbänden vertreten sowie im Münsterland mit einem Bezirksverband. Im Laufe des Jahres 2013 gründeten sich fünf weitere Kreisverbände. Im Bundesverband der Partei 'Die Rechte' besitzt der Landesverband NRW entscheidenden Einfluss. Dies wird einerseits an der Zahl der Mitglieder deutlich und andererseits daran, dass die beiden Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Hamm' und 'Nationaler Widerstand Dortmund' Beisitzer im fünfköpfigen Bundesvorstand sind. Der Landesverband NRW weist Ende 2013 mehr als die Hälfte aller Mitglieder der Partei auf. Weiterhin ist der Landesverband NRW der einzige der inzwischen sieben Landesverbände, der zu der im Jahr 2013 durchgeführten Bundestagswahl mit einer Landesliste angetreten ist. Für den Landesverband ist es offensichtlich bedeutsam, Parteiaktivitäten zu suggerieren, um sich durch die Inanspruchnahme des Parteienprivilegs davor zu schützen, als bloße Ersatzorganisation der verbotenen Kameradschaften bewertet zu werden. Der Landesverband ist zu einem erheblichen Teil identisch mit der militanten Neonazi-Szene in NRW. Die Landesliste führte ein vormalig aktives Mitglied der verbotenen 'Kameradschaft Aachener Land' an. Auf dem zweiten Platz folgte der ehemalige Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Hamm' und auf dem dritten Platz ein Mitglied der Führung des verbotenen 'Nationalen Widerstand Dortmund'. Den fünften Platz nimmt ein Mitglied der Kameradschaft 'Nationale Sozialisten Wuppertal' ein. Das Ergebnis der Bundestagswahl ist für die Partei eher ernüchternd. Sie konnte lediglich 2.288 Stimmen Zweitstimmen erlangen, was zu einem Gesamtergebnis von 0,024% führte. Ende 2013 wird von etwa 260 Mitgliedern der Partei 'Die Rechte' in NRW ausgegangen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Mitgliederzahl somit verdoppelt. Dies lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass im Anschluss an die Verbote der Kameradschaften im Jahr 2012 nicht alle vom Verbot betroffenen Personen unmittelbar in die Partei 'Die Rechte' eingetreten sind. Im Laufe des Jahres traten dann weitere ehemalige Mitglieder der verbotenen Kameradschaften in die Partei ein. Weiterhin wechselten enttäuschte ehemalige NPD-Mitglieder zur Partei 'Die Rechte', die mit dem ambivalenten Verhältnis des NPD-Landesverbandes zu den Neonazis nicht einverstanden sind und selber für einen radikaleren Kurs eintreten. RechtsextRemismus 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Kreisverbände Dem Dortmunder Kreisverband steht ein langjähriges Führungsmitglied der Dortmunder neonazistischen Szene vor, der für die personelle Kontinuität steht. Der Vorsitzende des Hammer Kreisverbandes ist der ehemalige Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Hamm'. Die Kreisverbände Mülheim a. d. Ruhr und Rhein-Erft-Kreis werden vor allem von enttäuschten ehemaligen NPD-Mitgliedern gebildet. Die Kreisverbände Aachen und Heinsberg wurden 2013 genau am Gründungsdatum der 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL) am 2. Februar ins Leben gerufen. Auch hier haben Führung und Mitglieder der beiden Kreisverbände ihre Ursprünge in der KAL. Mit Andre Plum ist ein Mitglied der ehemaligen KAL-Führung auf den ersten Platz der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl 2013 gewählt worden. Auch die Gründung des inzwischen achten Kreisverbandes Wuppertal am 30. Januar 2013 diente der Kameradschaft 'Nationale Sozialisten Wuppertal' dazu, sich als Parteigliederung zu reorganisieren und einem möglichen Vereinsverbot zuvorzukommen. Der Kreisverband Wuppertal hat mit dem Gründungsdatum, dem Tag der sogenannten "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, ebenfalls bewusst ein symbolisches Datum gewählt. Kreisverbände Aachen und Heinsberg Die formal eigenständigen Kreisverbände Aachen und Heinsberg der Partei agieren weitestgehend gemeinsam, wie zum Beispiel an der gemeinsamen Internetpräsenz deutlich wird. Das Gründungsdatum der Kreisverbände dürfte dem offiziellen Gründungsdatum der 2012 verbotenen 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL) am 1. Februar 2002 geschuldet sein. In die Führungspositionen der neuen Kreisverbände wählten die Mitglieder ehemalige Aktivisten der Kameradschaft, deren Strukturen und Aktivitäten sie nunmehr unter dem Schutz des Parteienprivilegs fortführen. Im Jahr 2013 war ein deutlicher Rückgang der Aktivitäten zu verzeichnen. Während der Kreisverband Heinsberg öffentlich nicht wahrnehmbar war, trat der Kreisverband Aachen in der ersten Jahreshälfte lediglich am 16. März 2013 mit der Organisation der sogenannten "Rheinlandtour" unter dem Motto "Gegen die staatliche Verfolgung der Deutschen - Freiheit für alle politischen Gefangenen" in Aachen, Mönchengladbach und Düsseldorf in Erscheinung. Dazu mobilisierte die Partei ca. 80 Aktivisten. Die jährlich im April durch die ehemalige 'Kameradschaft Aachener Land' organisierten Demonstrationen in Stolberg verbot der Aachener Polizeipräsident. Das Oberver142 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 waltungsgericht Münster bestätigte das Verbot, weil die Veranstaltung hinsichtlich des Demonstrationsthemas, der Route, des Ortes und des Termins eine Fortsetzung der Aktivitäten der verbotenen KAL darstellte. Am 31. August 2013 nahmen wenige Aktivisten aus dem Raum Aachen an einer Demonstration zum Jahrestag der KameradschaftsAuszug aus der Internetstartseite der Partei 'Die Rechte' Kreisverband Aachen und Heinsberg verbote in Dortmund teil. Sie führten ein Banner mit dem Aufdruck "Der Aachener Widerstand - Wir sind immer noch da - im nächsten Jahrhundert - Aachens-Rechte.de" mit, womit sie sich offenkundig in die Kontinuität der verbotenen KAL stellten. Im Bundestagswahlkampf führten die beiden Kreisverbände kaum nennenswerte Wahlkampfaktivitäten durch. Die einzige Ausnahme stellt eine am 15. September 2013 in Aachen kurzfristig anberaumte Wahlkampfveranstaltung mit Reden des dortigen Kreisvorsitzenden Aachen dar, der zugleich die Landesliste anführte. Die Partei erreichte bei der Bundestagswahl in den Wahlkreisen Aachen, Düren und Heinsberg 102 Stimmen. In 2013 war eine verstärkte Vernetzung der Aachener Szene mit Organisationen außerhalb des Parteienspektrums, wie etwa der militanten Neonazi-Szene in Bayern oder der Vereinigung 'Europäische Aktion', wahrnehmbar. Bei Treffen mit bayerischen Neonazis zeigte sich die Gewaltbereitschaft in Übergriffen gegen Journalisten bei einem Prozess und gegen Teilnehmer einer Antirassismusdemonstration. Kreisverband Dortmund Der Kreisverband der Partei 'Die Rechte' in Dortmund hat sich im Jahr 2013 als führende Kraft innerhalb des Landesverbandes NRW etabliert. Der Kreisverband zeigt jedoch deutliche Anzeichen einer Ersatzorganisation für die verbotene Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' (NWDO). Einerseits sind die handelnden Personen RechtsextRemismus 143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 im Kreisverband identisch mit den Verantwortlichen der verbotenen Kameradschaft. Andererseits werden Veranstaltungen mit zum Teil gleichem Inhalt, gleichen Parolen und an den gleichen Veranstaltungsorten durchgeführt. Als Parteiveranstaltungen deklariert unterliegen sie dem Parteienprivileg, das sie schützt. Höhepunkt der örtlichen Veranstaltungen im Jahr 2013 waren die Demonstrationen zum 1. Mai, dem ersten rechten Antikriegstag im September und das als Wahlkampfauftakt in die Kommunalwahl 2014 deklarierte Konzert mit dem gleichzeitig der 60. Geburtstag des Kreisvorsitzenden gefeiert werden sollte. Die Stadt Dortmund verbot die Durchführung des Konzertes jedoch aus bauordnungsrechtlichen Gründen. Eine Ersatzveranstaltung führte der Kreisverband daraufhin in Baden-Württemberg durch. Weiterhin stellte das Oberlandesgericht Hamm in einem Verfahren fest, dass der Wahlkampfslogan "Von der Südtribüne in den Stadtrat" nicht verwendet werden darf. Gegen diese Entscheidung hat die Partei weitere Rechtsmittel angekündigt. Der angefochtene Wahlkampfslogan zeigt, dass die Partei versucht, durch die Darstellung örtlicher Themen Wähler zu gewinnen. Kreisverband Hamm Rund vier Monate nach der Gründung führte der Kreisverband Hamm am 1. März 2013 die erste Mitgliederversammlung durch, auf der der ehemalige Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Hamm' zum Vorsitzenden gewählt wurde. Die Mitglieder des Kreisverbandes sind relativ aktiv und auf zahlreichen Veranstaltungen der Partei in NRW präsent, insbesondere ist der Kreisverband eng mit dem Kreisverband Dortmund vernetzt. Der Kreisverband organisierte maßgeblich eine Demonstration am 9. März 2013 in Soest. In Hamm führte er am 20. Juli 2013 eine Demonstration sowie im Laufe des Jahres einige Infostände und kleinere Kundgebungen durch. Der Kreisverband Hamm rief im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 dazu auf, die NPD in Unna mit der Erststimme zu unterstützen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Funktionären der NPD in Unna und Hammer Neonazis, die nun in der Partei 'Die Rechte' aktiv sind, besteht seit langem und ist wechselseitig. Kreisverband Rhein-Erft-Kreis Der Kreisvorsitzende verfügt sowohl über ein Mandat im Kreistag als auch im Stadtrat in Verden (Aller), welches er als Nachrücker ursprünglich für die NPD besetzte. Er 144 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nimmt diese Mandate nunmehr für die Partei 'Die Rechte' war. An Aktivitäten des Kreisverbandes nehmen vor allem Personen teil, die bis Mitte 2012 in der neonazistischen Gruppierung 'Autonome Nationalisten Pulheim' aktiv waren. Der Kreisverband zeigt sich mit seinen Aktionen im lokalen Bereich aktiv. Insbesondere zur Bundestagswahl führte der Kreisverband einige Informationsstände durch, Auszug aus der Internetstartseite der Partei 'Die Rechte' die weitgehend ohne Resonanz Kreisverband Rhein-Erft-Kreis blieben. Ansonsten treten Mitglieder gelegentlich überörtlich mit Teilnahmen an einschlägigen Versammlungen der Partei 'Die Rechte' in Erscheinung. Kreisverband Düsseldorf/Mettmann/Solingen Der Kreisverband ist der erste der Partei 'Die Rechte' in NRW, der Ortsverbände gegründet hat. Zunächst wurde die Gründung der Ortsverbände Mettmann und Solingen, am 8. November 2013 die des Ortsverbandes Neuss-Grevenbroich verkündet. Der Kreisverband setzt sich vor allem aus Mitgliedern des früheren NPD-Kreisverbandes Düsseldorf/Mettmann zusammen, der eng mit den örtlichen Neonazistrukturen verbunden war. Die frühere Vorsitzende und ihre Stellvertreter erklären in einer auf der Webseite am 26. April 2013 veröffentlichten Stellungnahme die Gründe für ihren Wechsel. Sie kritisieren, dass die NPD unter dem damaligen Vorsitzenden Holger Apfel zu wenig die Zusammenarbeit mit den Neonazis suche und sich zu wenig radikal gebe. So heißt es unter anderem: "Der Versuch der Volksfront unter dem Dach der NPD ist als gescheitert zu betrachten. Die Reaktion hat das Ruder dort wieder an sich gerissen, diese Entwicklung müssen wir akzeptieren. Ein weiteres Ankämpfen gegen diese Tatsachen wäre sinnlose Kraftund Zeitverschwendung, die wir uns angesichts der rasant voranschreitenden Überfremdung nicht leisten können. Somit ist es aus unserer Sicht nun notwendig, den Kampf um unser Vaterland und für unser Volk in einer neuen, frischen und unverRechtsextRemismus 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 brauchten Partei weiterzuführen. Was nicht zusammen passt, das sollte getrennte Wege gehen, um sich nicht gegenseitig zu behindern. Dies ist ein notwendiger Prozess auf dem Weg zum Ziel, und nicht etwa eine Spaltung, denn wir sehen in keinem anderen nationalen Deutschen einen Konkurrenten, den es etwa zu bekämpfen gilt." Bezeichnend für das Selbstverständnis des Kreisverbandes ist, dass man sich am 20. April 2013, dem Geburtsdatum Adolf Hitlers gründete. Ende Mai 2013 organisierte der Kreisverband eine Gedenkveranstaltung für Leo Albert Schlageter. Diesen militanten Aktivisten gegen die französische Ruhrbesatzung in den 1920er Jahren stilisierte die nationalsozialistische Propaganda zum "Märtyrer". Bei der Veranstaltung sprachen Führungsaktivisten aus Dortmund, Aachen und Wuppertal. Kreisverband Wuppertal Nach dem Verbot von drei Kameradschaften durch das Ministerium für Inneres und Kommunales NRW am 21. August 2012 befürchtete die Kameradschaft 'Nationale Sozialisten Wuppertal' ebenfalls bald verboten zu werden. Um einem Vereinsverbot zuvorzukommen, reorganisierte man die Kameradschaft als Kreisverband Wuppertal der Partei 'Die Rechte' neu. Der Kreisverband Wuppertal hat mit dem Gründungsdatum, dem 30. Januar 2013, dem Tag der sogenannten "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, anscheinend bewusst ein symbolisches Datum gewählt, um eine positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus zu signalisieren. Als Kreisvorsitzenden wählte man ein früheres Mitglied der 'Kameradschaft Hamm', der bereits wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Der Kreisverband führte am 21. September 2013 unter dem Motto "Gegen linken Terror" in Wuppertal eine Demonstration durch. Dabei sang ein Großteil der Teilnehmer nationalsozialistisches Liedgut. Obwohl der Kreisverband die Veranstaltung vorher intensiv bewarb, blieb die Teilnehmerzahl deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück. Zudem musste die Demonstration wegen einer Blockade der Wegstrecke vorzeitig beendet werden. Vor diesem Hintergrund bewertete die Szene die Veranstaltung als Niederlage. Kreisverband Münster Der Kreisverband Münster tritt faktisch nicht in Erscheinung. Die Internetpräsenz führt er nur sporadisch fort. Einziger öffentlichkeitswirksamer Auftritt der Partei war ein Gefangenenprotest in der JVA Münster. Dabei wurde ein Transparent mit politischer 146 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Aufschrift und dem Hinweis auf die Partei 'Die Rechte' aus dem Fenster gehalten, von außerhalb der JVA fotografiert und in soziale Netzwerke eingestellt. Sonstige Kreisverbände Weitere Kreisverbände existieren in Mülheim und Soest. Deren Kreisvorsitzende sind einschlägige Rechtsextremisten und stammen aus der NPD bzw. Neonazi-Szene. Jedoch haben sie bislang kaum nennenswerte Aktivitäten entfaltet. Auf ihren FacebookProfilen übernehmen sie hauptsächlich Artikel von anderen Kreisverbänden aus NRW bzw. anderen rechtsextremistischen Homepages oder Profilen. Der Soester Kreisverband stellt den ersten Versuch der Partei dar, in einer Region Strukturen aufzubauen, in der bislang keine rechtsextremistische Organisation vor Ort existierte. Kommunale Vertretungen Seit der Gründung des Landesverbandes NRW gab es in Nordrhein-Westfalen noch keine Kommunalwahlen. Ende November 2013 wechselte jedoch ein Bezirksvertreter im Dortmund Stadtbezirk Eving von der NPD zur Partei 'Die Rechte'. Der Betreffende kündigte an, sein Amt nunmehr bis zur nächsten Kommunalwahl im Frühjahr 2014 für die Partei 'Die Rechte' auszuüben. Bislang beteiligte sich der ehemalige NPDBezirksvertreter kaum an der kommunalpolitischen Arbeit. Die einzige nennenswerte Ausnahme stellt ein Antrag des Parteiwechslers dar, in dem er pauschal alle Sinti und Roma als Kriminelle herabwürdigt. Ferner sitzt der Vorsitzende des Kreisverbandes Rhein-Erft im Kreistag und im Stadtrat in Verden (Aller). Strategie Am 26. November 2012 erschien auf der Webseite 'Dortmundecho' ein Artikel, der detailliert beschreibt, wie die Folgen des Vereinsverbotes umgangen werden können und wie sich der Parteistatus zugunsten der ehemaligen Mitglieder der verbotenen Vereinigungen auswirkt. Bereits am nächsten Tag hatte die Bundespartei den Beitrag auf ihrer Webseite übernommen. Dieser Artikel verdeutlicht die grundsätzliche Ausrichtung des Landesverbandes, der die parteiförmige Organisation als Strategie versteht, staatlichen Maßnahmen zu entgehen. Zudem erläutert der Artikel den ehemaligen Mitgliedern der verbotenen Vereinigungen den Zweck, sich als Partei zu organisieren. Das ist deshalb von Bedeutung, weil die Neonazi-Szene den rechtsextremistischen Parteien bislang distanziert gegenüberstand. Um den Parteistatus zu RechtsextRemismus 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 festigen, trat der Landesverband NRW zur Bundestagswahl am 22. September 2013 an. Die Wahlwerbung des Landesverbandes bestand überwiegend aus Solidaritätsbekundungen zu inhaftierten Personen des rechtsextremistischen Spektrums. Dies dient weitestgehend dem Zweck, die eigene Szene davon zu überzeugen, dass niemand vergessen wird und es sich "lohnt" für den gemeinsamen Zweck zu kämpfen. Parteiaktivitäten entfalten die Aktivisten aber nur insoweit, um formal die Anforderungen an eine Partei zu erfüllen und den Status als Partei nicht zu verlieren. So veröffentlichte die Partei am 27. Juli 2013 eine Stellungnahme zum Antritt bei der Bundestagswahl unter dem Titel "Dabei sein ist alles!" Darin führt er aus, dass der Wahlantritt in der Partei umstritten war und man sich nur deswegen dafür entschieden habe, um gegenüber dem Ministerium für Inneres und Kommunales den Parteistatus zu untermauern. "Wir haben uns jedoch im Februar dafür entschieden, weil eine dummschwätzende junge Abgeordnete der Linkspartei meinte, Nordrhein-Westfalens IM (=Innenminister) Jäger (auch bekannt als "Nazi-Jäger") assistieren zu müssen. In einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Böswilligkeit verbreitete sie sich darüber, DIE RECHTE könne ja wohl keine eigenständige Partei sein [...]. Da haben wir eben beschlossen, sowohl dieser Dame als auch IM Jäger den praktischen Beweis zu liefern, daß wir sehr wohl gewillt und imstande sind, uns auf einen Wahlzettel setzen zu lassen." Nach der Bundestagswahl veröffentlichte der Kreisverband Hamm am 23. September 2013 auf seiner Webseite eine "Kurze Nachlese zur Bundestagswahl". Der Autor schreibt, dass das Ergebnis irrelevant sei und die Partei kaum einen Wahlkampf geführt habe. Auch hier betont 'Die Rechte' abermals, dass die Intention für den Wahlantritt darin lag, die Parteieigenschaften formal nachzuweisen. "Bereits vor der Wahl haben wir es an verschiedenen Stellen erwähnt: Bei unserem Wahldebüt kam es uns nicht auf das Ergebnis an. Da uns Anfang des Jahres von verschiedenen staatlichen Stellen und von regimetreuen Medien der Parteistatus abgesprochen worden ist, wollten wir mit unserem Wahlantritt das Gegenteil beweisen. Dies und nichts anderes war das einzige Ziel unseres Antritts zur Bundestagswahl." 148 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ähnlich sieht dies der Kreisverband Rhein-Erft-Kreis in einem Artikel, der auf dessen Webseite am 23. Oktober 2013 veröffentlicht wurde. "Enttäuschung kommt nicht auf, da das Ziel dieser Wahlteilnahme nicht darin lag möglichst viele Stimmen zu erhalten. Viel eher ging es darum unseren Status als Partei zu stärken und unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen." Zugleich machen Mitglieder von 'Die Rechte' auch keinen Hehl daraus, dass sie ihre derzeitigen Aktivitäten unter dem Deckmantel der Partei als Fortsetzung ihrer neonazistischen Aktivitäten begreifen. Beispielsweise skandierten die Teilnehmer auf der Demonstration in Wuppertal am 21. September 2013: "Trotz Verbot sind wir nicht tot". Videoprint der Demonstration im September 2013 in Wuppertal auf YouTube Damit bezogen sie sich auf die Vereinsverbote gegen die vier neonazistischen Kameradschaften im Jahr 2012 und machten offenkundig, dass sie trotzdem weiter wie bisher agieren wollen. Der Kreisverband Aachen trug anlässlich der Demonstration am 31. August 2013 in Dortmund ein Plakat mit folgender Aufschrift: "Der Aachener Widerstand. Wir sind immer noch da!" Die Partei nutzt ihre neonazistischen Strukturen, um sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu profilieren. Dies zeigt sich in inhaltlicher Hinsicht an der RechtsextRemismus 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 sogenannten Anti-Repressionskampagne, auf die die Rechte ihre Propaganda konzentriert. Hierbei stellt die Partei die Ablehnung der Verbote von neonazistischen Kameradschaften sowie der strafrechtlichen Verfolgung von Rechtsextremisten in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Damit zielt die Partei ausschließlich darauf ab, die eigene Anhängerschaft stärker an sich zu binden und Signale der neonazistischen Solidarität an die eigene Szene zu senden. Zu dieser Kampagne gehört es auch, für die kommende Europawahl den zum Zeitpunkt seiner Nominierung in Untersuchungshaft sitzenden Sven Skoda als Spitzenkandidaten zu nominieren. Vernetzung Vernetzung in NRW Innerhalb Nordrhein-Westfalens ist die Partei 'Die Rechte' gut vernetzt. Einerseits bestehen Kontakte zwischen den einzelnen Kreisverbänden, andererseits bestehen zum Teil intensive Kontakte zu den sogenannten freien Kräften, die (noch) nicht in der Partei organisiert sind. Weiterhin pflegen die Kreisverbände Dortmund und Hamm eine rege Zusammenarbeit mit dem NPD-Kreisverband Unna/Hamm. So rief der Kreisverband Hamm am 18. September 2013 dazu auf, den Vorsitzenden des NPDKreisverbandes Hamm/Unna bei der Bundestagswahl mit der Erststimme zu wählen und die Zweitstimme der eigenen Partei zu geben. Im Gegensatz dazu ist das Verhältnis der Dortmunder Kreisverbände der Parteien 'Die Rechte' und der NPD eher als angespannt bis zerrüttet zu bezeichnen. Etliche Akteure der Partei 'Die Rechte' weisen eine Affinität zum Fußball auf. Punktuell pflegen sie Beziehungen zu Ultraund Hooligangruppen. Deutschlandweite Vernetzung Die bisherigen Veranstaltungen der Partei 'Die Rechte' weisen auf vielfältige Kooperationsbeziehungen zu anderen rechtsextremistischen Akteuren hin, insbesondere nach Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Die Kreisverbände Aachen und Heinsberg pflegen Kontakte zur militanten Neonazi-Szene Bayerns. Zu den in Nordrhein-Westfalen angemeldeten Großdemonstrationen am 1. Mai 2013 und 31. August 2013 konnte 'Die Rechte' Neonazis aus mehreren Bundesländern mobilisieren. Zudem nehmen Mitglieder des Landesverbandes regelmäßig an Veranstaltungen außerhalb Nordrhein-Westfalens teil. 150 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Internationale Vernetzung Internationale Verflechtungen des Landesverbandes NRW lassen sich insbesondere in die Niederlande feststellen. Bei nahezu jeder größeren Veranstaltung, die die Partei 'Die Rechte' in Nordrhein-Westfalen organisiert und durchführt, sind niederländische Rechtsextremisten vertreten. Weitere Verflechtungen bestehen nach Griechenland, speziell zur Partei Goldene Morgenröte. Zwischen den Mitgliedern der beiden Parteien kommt es zu regelmäßigen Besuchen untereinander sowie vereinzelten Teilnahmen an Veranstaltungen. Am 1. November 2013 kam es in Griechenland vor dem Parteibüro der Partei Goldene Morgenröte zu einem tödlichen Anschlag auf Mitglieder der Partei, woraufhin der Kreisverband Dortmund mehrfach Solidaritätskundgebungen durchführte. Ebenso verfügen Mitglieder der Partei 'Die Rechte' über Kontakte nach Bulgarien. Laut eines Berichtes auf der Webseite 'Dortmundecho' nahmen Mitglieder der Partei am sogenannten Lukov-Marsch in Sofia am 13. Februar 2013 teil. Am nächsten Tag besuchten sie den Parteiabend der Bulgarischen Partei BGNS (Bulgarischer Nationalbund). Damit setzen sie die Kontakte fort, die bereits der verbotene 'Nationale Widerstand Dortmund' zu den bulgarischen Rechtsextremisten pflegte. Aktivitäten Bundestagswahlkampf Zur Teilnahme an der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag benötigte die Partei 'Die Rechte' 2.000 Unterstützungsunterschriften von Einwohnern aus Nordrhein-Westfalen, die sie bei der Landeswahlleiterin einreichen musste. Der inhaltliche Schwerpunkt des Wahlkampfes lag in der Solidarisierung mit inhaftierten Personen des rechtsextremistischen Spektrums. Dieses Thema griffen sie beim Auftritt einer Parteidelegation beim Bundeswahlausschuss im Juli des Jahres auf. Die drei Vertreter der Partei, allesamt Mitglieder des Landesverbandes NRW, trugen einheitliche T-Shirts mit der Forderung, den in Italien unter Hausarrest stehenden deutschen NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke frei zu lassen. Im Verlauf des Wahlkampfes produzierte die Partei einen Wahlwerbespot, den die öffentlich-rechtlichen Sender im Rahmen ihrer rechtlichen Verpflichtungen ausstrahlten. Der Wahlwerbespot stellte verschiedene Rechtsextremisten vor, die derzeit Haftstrafen wegen szenetypischer Straftaten verbüßen. RechtsextRemismus 151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 In ihren aktiven Kreisverbänden griff die Partei gelegentlich lokale Problemlagen auf, um sie im Sinne ihrer neonazistischen Ideologie zu thematisieren. Am Beispiel des Zuzugs von Sinti und Roma in das Ruhrgebiet wurden Migranten pauschal diskriminiert. Bei der Bundestagswahl erhielt sie lediglich 2.288 Stimmen, was 0,024% der abgegebenen Stimmen entspricht. Die Enttäuschung war nach eigenen Angaben begrenzt, da es der Partei vorgeblich nur darum ging, mit dem Wahlantritt die formalen Anforderungen an eine Partei zu erfüllen. Besondere Aufmerksamkeit der Partei erhielt das am 6. Juli 2013 in Herne geplante Konzert. Dort sollten mehrere rechtsextremistische Musikgruppen spielen. Die Veranstaltung wurde im Internet als Solidaritätsveranstaltung für die verbotene Vereinigung 'Nationaler Widerstand Dortmund' beworben. Dies führte dazu, dass die Polizei das Konzert als Veranstaltung einer verbotenen Organisation auflöste. Im Nachgang nutzte 'Die Rechte' die polizeiliche Maßnahme im Rahmen ihrer sogenannten Anti-Repressionskampagne. So ließ die Partei Plakate mit dem Portrait des für den Polizeieinsatz verantwortlichen Polizisten drucken, hängte diese unter anderem in unmittelbarer Nähe zu der Polizeidienststelle des Beamten auf und forderte die Absetzung des Polizisten. Demonstrationen und Mahnwachen Im Jahr 2013 führte die Partei 'Die Rechte' in NRW eine Reihe von Veranstaltungen durch. Als Organisatoren fungierten sowohl der Landesverband NRW als auch einzelne Kreisverbände. Darüber hinaus meldete der Bundesvorsitzende ebenfalls Veranstaltungen an. Bei den beiden größten Demonstrationen am 1. Mai 2013 und 31. August 2013 in Dortmund gelang es der Partei mit ungefähr 400 bzw. 370 Teilnehmern auch überregional zu mobilisieren. Im Vergleich zu demonstrativen Veranstaltungen in den Vorjahren waren die Teilnehmerzahlen jedoch weiter rückläufig. Trotz eines hohen Grades an Aktionismus ist die Mobilisierungsfähigkeit der Partei 'Die Rechte' im Vergleich zu den verbotenen Kameradschaften zurückgegangen. Der Ablauf dieser Demonstrationen ähnelte dabei stark den Veranstaltungen der verbotenen Kameradschaften in den vergangenen Jahren. Üblicherweise führen Organisatoren bzw. Teilnehmer als Hilfsmittel Lautsprecherfahrzeuge, Transparente und schwarz-weiß-rot gestreifte Fahnen mit. Lediglich bei genauerem Hinsehen werden Hinweise auf die Partei ersichtlich. So führten verschiedene Gruppen in der Regel Transparente oder Banner mit, auf denen die Internetadresse des jeweiligen Kreisverbandes der Partei zu sehen war. Weitere Indizien für eine Parteiveranstaltung lassen sich in der Regel jedoch nicht feststellen. Das gesamte Auftreten des Demonstrati152 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 onszuges, sei es aufgrund der mitgeführten Hilfsmittel oder der skandierten Parolen, knüpft nahtlos an die neonazistischen Aufmärsche an, wie sie die Szene in den Jahren vor den Kameradschaftsverboten durchführte. Abbildung verschiedener YouTube-Videos von Demonstrationen der Partei 'Die Rechte' Die am 7. September 2013 in Dortmund durchgeführte Demonstration unter dem Motto "Erster Rechter Antikriegstag", angemeldet vom Bundesvorsitzenden der Partei 'Die Rechte', erinnerte in ihrer Art und Weise ebenfalls an Kameradschaftsaufzüge der Vergangenheit. Den sogenannten "Anti-Kriegstag" organisierte bislang der 'Nationale Widerstand Dortmund'. Die zunächst angemeldete Teilnehmerzahl von 300 Personen wurde bei weitem nicht erreicht. Letztendlich nahmen lediglich ungefähr 50 Personen teil. Der Bundesvorsitzende meldete für den 20. September 2013, einen Tag vor der Bundestagswahl, eine Demonstration in Wuppertal an. Im Vorfeld veröffentlichte der Kreisverband auf seiner Homepage ein Mobilisierungsvideo. Dieses ist mit dem Lied "Tränengasdusche" des nordrhein-westfälischen Musikers MaKss Damage, der sich RechtsextRemismus 153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 selbst als "Nationalen Rapper" versteht, unterlegt. In dem Lied ruft der Sänger in aggressiv-kämpferischer Weise zum "Kampf um Wuppertal" auf. Die tatsächliche Teilnehmerzahl lag letztendlich bei unter 200 Personen und blieb damit ebenso deutlich hinter der ursprünglich angemeldeten Zahl zurück. Dennoch nehmen die Mitglieder des Landesverbandes NRW der Partei 'Die Rechte' bei überregionalen demonstrativen Veranstaltungen eine exponierte Stellung ein. So dominierten sie beispielsweise die Demonstrationen in Bad Nenndorf (Niedersachsen) am 3. August 2013 und am 3. November 2013 sowie die Demonstration am 23. November 2013 in Remagen (Rheinland-Pfalz). Öffentlichkeitsarbeit Einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit stellen Kundgebungen und die Verteilung von Flyern dar. Weiterhin halten einige Kreisverbände Informationsstände ab, mit denen die Partei versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit ist jedoch das Internet. Der Landesverband sowie nahezu alle Kreisverbände verfügen über eigene Internetauftritte. In einigen Fällen werden diese Auftritte regelmäßig gepflegt (Dortmund, Hamm, Rhein-Erft Kreis) in anderen Kreisverbänden werden die Internetseiten nur sporadisch, teilweise auch gar nicht aktualisiert (Mülheim). Eine Besonderheit stellt der Kreisverband Dortmund dar. Die eigentliche Webseite strukturierte er im Zuge des Kommunalwahlkampfes um und stellt insbesondere die fünf Kandidaten und das Programm für den Wahlkampf vor. Darüber hinaus betreiben die Dortmunder Aktivisten die Webseite 'Dortmundecho'. Dort werden tagespolitische Artikel sowie Ankündigungen zu Veranstaltungen veröffentlicht. Auch nehmen Straftaten, die mutmaßlich von Migranten begangen wurden, einen breiten Raum in der Berichterstattung ein. Dadurch erwecken die Autoren den Eindruck, dass Migranten pauschal kriminell seien. Neben den ursprünglichen Webseiten verfügen die Kreisverbände zusätzlich über Profile in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Durch die Vernetzung in sozialen Netzwerken besteht die Möglichkeit, Sympathisanten unverzüglich zu informieren. Dies nutzen die Parteiaktivisten auch zur Mobilisierung. Eine weitere Nutzung der sozialen Netzwerke erfolgt im Zuge der Liveberichterstattung von Veranstaltungen. So stellt die Partei bei Facebook Bilder von Demonstrationen umgehend ins Internet und versieht diese mit Kommentaren. Ebenso verfährt sie bei der Prozessbeobachtung von Gerichtsverhandlungen gegen angeklagte Neonazis. Mitglieder von 'Die Rechte' 154 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 verwenden den Kurznachrichtendienst Twitter um in Echtzeit über den Verlauf der Verhandlung zu berichten. Partys und Konzerte Einzelne Kreisverbände laden ihre Anhängerschaft zu Veranstaltungen ein, in der Politik, Spaß und Lebensgefühl miteinander verbunden sind. Diese sind Teil einer "Erlebniswelt Rechtsextremismus" und tragen zum Zusammenhalt und der Attraktivität der einzelnen rechtsextremistischen Gruppierungen bei. Neben dieser Art von Veranstaltungen haben die Kreisverbände Aachen und Heinsberg sowie Dortmund am 21. beziehungsweise 22. Oktober 2013 jeweils einen Balladenabend mit dem Frontmann der Rechtsrockband Die Lunikoff Verschwörung durchgeführt. Lunikoff (ehemals Sänger der Band Landser) trat an den zwei aufeinanderfolgenden Abenden vor Mitgliedern und Sympathisanten der Partei auf. Die Veranstaltungen besuchten jeweils ca. 80 Personen. Das erste von der Neonazi-Szene geplante Konzert sollte am 6. Juli 2013 mit den szenebekannten Bands Sleipnir, Codex Frei und Words of Anger stattfinden. Die Organisatoren bereiteten die Veranstaltung äußerst konspirativ vor und bewarben sie nur wenig. Im Vorfeld des Konzertes wurde im Internet ein Flyer veröffentlicht, der die Veranstaltung als Solidaritätsveranstaltung für den im August 2012 verbotenen 'Nationalen Widerstand Dortmund' auswies. Damit hätte es sich um die Fortführung der Aktivitäten einer verbotenen Organisation gehandelt. Die Polizei löste daher das Konzert, das in einer "Partyscheune" in Herne durchgeführt werden sollte, auf. Zum Zeitpunkt der Auflösung befanden sich ca. 350 Personen am Veranstaltungsort. Während der polizeilichen Maßnahme monierte der Veranstalter, dass es sich bei dem Konzert um eine Veranstaltung der Partei 'Die Rechte' handeln würde. Zudem würde der bekannt gewordene Flyer nicht von den Veranstaltern stammen und die Auflösung des Konzertes sei somit nicht rechtmäßig. Als Antwort auf den beschriebenen Polizeieinsatz rief die Partei zu einer Demonstration am 13. Juli 2013 in Dortmund auf. Unter dem Motto "Keinen Tag länger mit euch - Polizeiwillkür gerichtlich ahnden, die Täter abstrafen" sollte die Demonstration zeitgleich mit dem "Polizei-Tag NRW" abgehalten und als Protest gegen die Konzertauflösung verstanden werden. Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen wurden weitere Konzerte schon im Vorfeld ausdrücklich als Parteiveranstaltung ausgegeben. Ein weiteres groß angelegtes Konzert sollte am 16. November 2013 in Dortmund stattfinden. Beworben wurde die Veranstaltung erneut mit szenebekannten Musikgruppen. Geplant waren Auftritte der Bands Die Lunikoff RechtsextRemismus 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Verschwörung, Sachsonia, Words of Anger und Klänge des Blutes. Um mögliche polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld zu erschweren, bezeichneten die Veranstalter das Konzert in erster Linie als Auftaktveranstaltung für den Kommunalwahlkampf des Kreisverbandes Dortmund und nur in zweiter Linie als Geburtstagsfeier des Kreisvorsitzenden. Die von der Partei 'Die Rechte' organisierten Konzerte dienen mehreren Zwecken. Zum einen will man mit solchen Veranstaltungen einen finanziellen Gewinn erzielen. Die erwirtschaftete Summe wird dann in aller Regel wieder für die Aktivitäten der Szene genutzt. Zum anderen nutzen die Aktivisten die Konzerte auch zur Kontaktpflege und der Möglichkeit, Personen, die sich grundsätzlich nicht für Parteiarbeit interessieren, als Sympathisanten oder Unterstützer zu gewinnen. Aktivitäten Der Onlineversandhandel 'Antisem Versand' wird vom stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes NRW, Michael Brück, betrieben. Nicht nur der Name der Webseite "antisem.it" weist provokativ auf seine ideologische Einstellung hin, auch das Material verdeutlicht die Demokratiefeindschaft. Im Quellcode der Webseite ist öffentlich einsehbar, dass die Webseite eine umprogrammierte Version des Onlineversandhandels 'Resistore' darstellt, den zu Beginn Dennis Giemsch, der jetzige Landesvorsitzende von 'Die Rechte' und Anführer der verbotenen Dortmunder Kameradschaft, betrieb. Es zeigt sich hier also auch hinsichtlich der technischen Infrastruktur eine ungebrochene Kontinuität von der Dortmunder Kameradschaft zum Kreisverband Dortmund. Dass diese Webseite mit der ausdrücklichen antisemitischen Positionierung vom Betreiber von den Mitgliedern der 'Die Rechte' so gewollt ist, sieht man daran, dass er auf den dritten Platz der Landesliste für die Bundestagswahl 2013 gewählt wurde. Weiterhin versucht die Partei in NRW die bisherigen in der rechtsextremistischen Szene etablierten Demonstrationen fortzusetzen. Dazu zählen vor allem die Demonstrationen in Stolberg im April, die 1. Mai-Demonstration in Dortmund sowie der nationale Antikriegstag im September in Dortmund. Diese Aktivitäten dienen auch dazu, den Führungsanspruch der ehemaligen Kameradschaftsführer innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Bundesländern zu untermauern. 156 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 In den letzten Jahren führten Mitglieder der KAL einen sogenannten "Trauermarsch" in Stolberg durch. Der Hintergrund ist eine Auseinandersetzung im Jahr 2008, bei der das Opfer durch einen Messerstich getötet wurde. Das Gericht verurteilte den Täter zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Die rechtsextremistische Szene versucht entgegen der Ermittlungsergebnisse die Tat als politisch motiviert darzustellen. Es wird darauf hingewiesen, dass der Täter einen Migrationshintergrund hat und das Opfer ein vermeintlicher Sympathisant der rechtsextremistischen Szene war. In diesem Sinne stellt die Szene das Opfer als "Märtyrer der Bewegung" dar. Für den April 2013 hatte ein ehemaliges Mitglied der KAL, Erstplatzierter auf der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl, eine Demonstration angemeldet. Auf der gemeinsamen Webseite der Kreisverbände Aachen und Heinsberg von 'Die Rechte' bekam der "Trauermarsch" eine eigene Rubrik, was dessen Bedeutung unterstreicht. Auch hier wird deutlich, dass die beiden Kreisverbände der Partei 'Die Rechte' dazu dienen, die Aktivitäten der KAL ungebrochen fortzusetzen. Fazit und Ausblick Der nordrhein-westfälische Landesverband und die Mehrzahl seiner Kreisverbände stellten sowohl in ideologischer und personeller Hinsicht als auch bezüglich seiner Aktivitäten eine Weiterführung der verbotenen Kameradschaften dar. Der Landesverband NRW wird von den verbotenen Kameradschaftsstrukturen dominiert. So sind der Landesvorstand und die Kreisvorstände Dortmund und Hamm nahezu identisch mit den Führungsstrukturen der ehemaligen Kameradschaften Dortmund und Hamm. Die bislang von den Mitgliedern der verbotenen Kameradschaften organisierten Veranstaltungen werden geschützt durch das Parteienprivileg als "Parteiveranstaltungen" durchgeführt. Da der Landesverband Nordrhein-Westfalen auch innerhalb der Gesamtpartei eine inhaltlich und personell dominierende Rolle einnimmt, ist von einer zunehmenden, von NRW ausgehenden, Radikalisierung der Partei auszugehen. Die alten DVU-Kader, die die Partei ursprünglich in erster Linie auffangen wollte, spielen schon jetzt innerhalb der Partei so gut wie keine Rolle mehr. Um das Parteienprivileg nicht zu gefährden, wird 'Die Rechte' einige parteitypische Aktivitäten aufnehmen und beispielsweise bei anstehenden Wahlen antreten, was die Parteienkonkurrenz im Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen verschärfen wird. Darüber hinaus ist bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt festzustellen, dass sich vereinzelt Mitglieder der NPD der Partei 'Die Rechte' zuwenden. Dies lässt sich an den RechtsextRemismus 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Führungsstrukturen der Kreisverbände Rhein-Erft-Kreis und Mülheim a. d. Ruhr erkennen. Unter Berücksichtigung des diskutierten NPD-Verbotsverfahrens muss davon ausgegangen werden, dass die Partei 'Die Rechte' auch als Auffangbecken für Mitglieder der NPD dienen könnte. Dies ist zum einen nach einem erfolgreichen Verbot denkbar, jedoch auch schon vorab bei den Mitgliedern der NPD, die einem möglichen Verbotsverfahren entgehen möchten oder aus Unzufriedenheit mit dem derzeitigen "Kurs" der NPD ohnehin nach einer radikaleren Variante suchen. 3.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 3.2.1 Neonazis Verfassungsfeindlichkeit und Hintergrund Die Neonazi-Szene ist durch ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus sowie durch ihre Gewaltbereitschaft gekennzeichnet. Oftmals sind die lokalen Gruppen in sogenannten Kameradschaften organisiert. In Nordrhein-Westfalen hat das Ministerium für Inneres und Kommunales im Mai und August 2012 gegen die vier aktivsten Kameradschaften ein Verbot verfügt. Dies hat einen Strukturwandel in der Szene ausgelöst. Nachdem das Verbot deren Aktivitäten zunächst erheblich eindämmte, hat sich inzwischen ein größerer Teil der Führung und Mitglieder der verbotenen Kameradschaften in der Partei 'Die Rechte' reorganisiert, um nunmehr unter dem Schutz des Parteienprivilegs die neonazistischen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Ziele und Ideologie der Neonazis Tradition des historischen Nationalsozialismus Der Neonazismus stellt sich in die Tradition des historischen Nationalsozialismus mit seinem staatlichen Eliteund Führerprinzip und knüpft teilweise an die NSDAP Adolf Hitlers an. Neonazis verfolgen die Errichtung eines "Vierten Reiches", basierend auf den programmatischen Forderungen der NSDAP von 1920. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild, das mit kollektivistischen Vorstellungen für einen autoritären Staatsaufbau einhergeht. Eine der ideologischen Grundaussagen der NSDAP, die von Neonazis geteilt wird, lautet: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur 158 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein" (25-Punkte Programm der NSDAP). Der Einzelne wird vorrangig als Teil einer homogenen Volksgemeinschaft gesehen. Dies schließt auch die Vorstellung von der Höherwertigkeit der eigenen "Rasse", der Minderwertigkeit und dem Ausschluss anderer "Rassen", mithin die politische Bekämpfung jeglicher "Überfremdung" und "artfremder Einflüsse" ein. Hinzu kommen Vorstellungen von einem antidemokratischen, autoritären Führerstaat mit einer Einheitspartei sowie elitäre und zentralistische Elemente der Machtausübung. Neonazismus umfasst dementsprechend alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Mehrparteiensystem, Ausübung der parlamentarischen Opposition und gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte richten. Zielrichtung des Neonazismus ist eindeutig die Beseitigung der bestehenden Rechtsordnung bzw. der vorgenannten Verfassungsgrundsätze. Die unmittelbare Bezugnahme von Neonazis auf die NS-Ideologie lässt sich durch Beispiele belegen. Sowohl im Jahre 2009 als auch im Jahre 2010 beendete ein führender Neonazi aus Dortmund seine Rede anlässlich der Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene zum sogenannten nationalen Antikriegstag mit einem Zitat aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" (11. Kapitel, "Volk und Rasse"): "Meine Rede möchte ich mit einem Zitat eines Deutschen Politikers beenden: 'Alles auf der Erde ist zu bessern. Jede Niederlage kann zum Vater eines späteren Sieges werden. Jeder verlorene Krieg zur Ursache einer späteren Erhebung, jede Not zur Befruchtung menschlicher Energie, und aus jeder Unterdrückung vermögen die Kräfte zu einer neuen seelischen Wiedergeburt zu kommen, solange das Blut rein erhalten bleibt'." Auch anlässlich der Demonstration zum sogenannten Antikriegstag im Jahr 2011 in Dortmund wurden durch einen der Organisatoren der Veranstaltung Aussagen mit positivem Bezug auf den Nationalsozialismus getroffen: "Jeder Dortmunder Bürger weiß mittlerweile, dass am ersten Septemberwochenende der nationale Widerstand auf die Straße geht, jeder Mensch in Dortmund weiß, dass der Nationalsozialismus garantiert nicht mit dem militärischen Ende des Deutschen Reiches 1945 untergegangen ist, sonRechtsextRemismus 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 dern dass eine Idee nicht zerstörbar ist, eine Idee, die so untrennbar mit dem Deutschen Volk verbunden ist". Die völkisch-rassistisch geprägte Weltanschauung von Neonazis wird im nachfolgenden Zitat deutlich, welches auf der Webseite von Kölner Neonazis veröffentlicht wurde: "Der nationale Sozialismus ist zugleich Weltanschauung und Lebenshaltung [...]. Er geht vom Menschen in seiner biologischen Eigenart aus und bemüht sich vorurteilslos um die Erkenntnis der Wirklichkeit mit Hilfe eines biologischen, artund naturgemäßen Denkens [...]. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Art aufzubauen, deren Grundlage nicht menschliche Dogmen und ideologische Wahnvorstellungen sind, sondern die Gesetze des Lebens und der Natur. Als biologische Weltanschauung ist der nationale Sozialismus die Übertragung der Naturgesetze in die Welt, die Politik und Geschichte." Auch zur Holocaust-Leugnung gibt es Beispiele. So schrieb die inzwischen verbotene 'Kameradschaft Aachener Land' auf ihrer damaligen Webseite: "Er ist einer von unzähligen Revisionisten, die die systematische Säuberung von Juden in der Zeit des II. WK [Weltkriegs, Anm. der Red.] bestreiten. Horst Mahler, einst antifaschistisches RAF-Mitglied, ist heute ein politischer Soldat für die Erkämpfung der Wahrheit über den Holodingsbums." Freie Kameradschaften und Führerprinzip Aufgrund der vereinsrechtlichen Verbote von neonazistischen Gruppierungen in den 1990er Jahren organisieren sich Teile der bundesweit etwa 5.000 Personen umfassende Neonazi-Szene bewusst ohne unmittelbare vereinsrechtliche Strukturen in sogenannten Freien Kameradschaften. Diese werden in der Regel von einer Führungsperson nach dem "Führerprinzip" geleitet. Die Aktivitäten sind langfristig angelegt. Es werden regelmäßige Kameradschaftstreffen abgehalten und die Mitglieder der Gruppe fahren gemeinsam zu rechten Versammlungen. Wiederkehrend werden größere Feiern ausgerichtet, zu denen Angehörige anderer Kameradschaften aus der Region, aber auch Regionen übergreifend eingeladen werden, so dass die Kameradschaften innerhalb der rechtsextremistischen Szene mitunter über das Bundesland 160 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 hinaus bekannt sind. Hierbei ist der Stellenwert einer Kameradschaft in hohem Maße abhängig davon, welches Ansehen die Führungsperson genießt und über welche Kontakte diese verfügt. Neben den Zusammenschlüssen zu Freien Kameradschaften finden sich auch strukturlose Gruppen oder Zusammenschlüsse, die jedoch keine oder wenig regelmäßigen Aktivitäten entfalten, keinen festen Mitgliederstamm haben und nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Aktionsformen der Neonazis - Autonome Nationalisten Seit etwa 2003, in Nordrhein-Westfalen etwa seit 2005, ist innerhalb der neonazistischen Szene eine noch deutlichere Abkehr von den eher traditionell geprägten Strukturen festzustellen. Mit dem Phänomen der Autonomen Nationalisten trat eine Aktionsform der Neonazis in den Blickpunkt, die in ihrem Auftritt und Habitus sowie ihrer Kleidung stark an linksextremistischen Autonomen orientiert ist und sich der Stilelemente des politischen Gegners bedient. Letztlich wird versucht, klassische Themenfelder des Linksextremismus wie Logo der Autonomen Nationalisten beispielsweise Antikapitalismus oder Antiglobalisierung für eigene Zwecke und die eigene Propaganda zu vereinnahmen. Dabei werden potentielle Interessenten möglichst in ideologisch undogmatischer Weise angesprochen, insbesondere auch per Internet. Dort werden Angebote unter Verwendung von Graffitiund Manga-Stil und sogar englischsprachiger Slogans eingestellt, die den Umgangston der Jugendlichen repräsentieren und somit einen direkteren Zugang ermöglichen. Auffallend in dieser Szene ist der hohe Anteil von Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren sowie eine hohe Fluktuation innerhalb des Personenpotentials. Während in der rechtsextremistischen Szene etablierte Gruppierungen wie die NPD oder die traditionelle Neonazi-Szene mit ihren Kameradschaften Schwierigkeiten haben, junge Menschen zu erreichen, weil sie als rückwärtsgewandt und nicht am Zeitgeist orientiert wahrgenommen werden, setzen die Autonomen Nationalisten dem ein provokantes und selbstbewusstes Auftreten entgegen. Dies schließt auch ein gewaltbejahendes Auftreten dort ein, wo ein vermeintliches Recht auf "Selbstverteidigung" gegen angebliche staatliche Repression oder den politischen Gegner gesehen RechtsextRemismus 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 wird. Das bislang vorherrschende legalistische - also augenscheinlich rechtskonforme - Verhalten, welches insbesondere in der Öffentlichkeit besondere Rechtstreue vorspiegeln soll, wird verstärkt durch eine kampfbereite Haltung ersetzt, um "aktionsorientierte" junge Menschen für die rechte Idee zu gewinnen. Innerhalb von Demonstrationszügen von Rechtsextremisten waren anfangs sogenannte "Schwarze Blöcke" als deutlich von den übrigen Teilnehmern abgrenzbarer Teil feststellbar. Zwischenzeitlich wird jedoch das neue Erscheinungsbild, bestehend aus schwarzen Kapuzenjacken, Sonnenbrillen und schwarzen Kappen, von fast allen Teilnehmern bei Demonstrationen übernommen. Die vormals durch die Blockbildung feststellbare Abgrenzung Autonomer Nationalisten gegenüber anderen Teilnehmern ist aktuell nicht mehr zu erkennen. Eine eigene ideologische Ausrichtung dieser Neonazis ist aber nicht feststellbar. Vielmehr sprechen eigene Veröffentlichungen aus diesem Bereich von Autonomem Nationalismus als eine neue Agitationsform. Beispielhaft ist folgendes Zitat, welches auf der Webseite einer bayerischen Neonazigruppierung 2010 veröffentlicht wurde. "Der Autonome Nationalismus bezeichnet eine Agitationsform, welche sich die letzten Jahre innerhalb der nationalen Bewegung entwickelt hat. Eine eigene Weltanschauung o.Ä. ist mit AN nicht gemeint. Der Grundgedanke ist eine Art 'do it yourself'-Aktivist, also jemand, welcher aktiv und vor allem kreativ politische Arbeit betreibt, ohne sich an feste Organisationen binden zu müssen. Dies hat zum einen den Vorteil, dass Strukturen, die offiziell überhaupt nicht existieren, nicht verfolgt oder gar verboten werden können, und zum anderen gibt es dem Aktivisten mehr Freiheit und darauf aufbauend die Möglichkeit, seine eigene Kreativität in seine Aktivitäten einfließen zu lassen." Im Sinne dieser selbst gegebenen Charakterisierung ist festzustellen, dass in den letzten Jahren eine Vielzahl von ortsbezogenen Gruppierungen unter der Selbstbezeichnung Autonome Nationalisten über das Internet oder durch Einzelaktionen auf sich aufmerksam machen. Nicht in allen Fällen verbirgt sich allerdings dahinter eine real existierende Gruppierung, sondern die Initiative von Einzelnen, die kaum eine längerfristige Aktivität entfaltet und wenig Personen im Umfeld anspricht. 162 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Neonazis in NRW Im Jahr 2013 waren etwa 650 Personen in der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen aktiv. Die Zahl der rechtsextremistischen Aktivisten ist damit relativ konstant geblieben. Allerdings waren in Folge der Kameradschaftsverbote des Jahres 2012 deutliche Veränderungen feststellbar; die Reaktionen in den Szenen reichten von der Auflösung beziehungsweise dem Zerfall der Personenzusammenschlüsse über eine Lähmung oder eine öffentlich wahrnehmbare Inaktivität der vormaligen Kameradschaften bis hin zur Reorganisation der Führung und einem Teil der Mitglieder innerhalb der im Juni 2012 gegründeten Partei 'Die Rechte'. Damit einhergehend vollzogen sich weitere Veränderungen in der Neonazi-Szene - weg von der recht klaren Trennung zwischen parlamentsorientierten und aktionsorientierten Organisationsformen hin zu einer Mischform. Dass sich damit bekennende "Nationale Sozialisten" - auch nach eigener Wahrnehmung - in die Rolle von "Parteimitgliedern" begeben und scheinbar nach den Regeln des ihnen verhassten und von ihnen bekämpften "Systems" handeln, dürfte taktisch bedingt und als eine aus der Not der ihnen entzogenen Strukturen geborene Konzessionsentscheidung zu werten sein. Klagen gegen die Verbote Gegen die Verbote der KAL und des NWDO wurden jeweils beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster Klage erhoben. Durch die Kameradschaften Köln und Hamm wurde keine Klage gegen die sie betreffenden Vereinsverbote erhoben. Strafverfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung 'Freundeskreis Rade' Im April 2012 führten die Sicherheitsbehörden umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen gegen Angehörige der neonazistischen Gruppierung 'Freundeskreis Rade' durch. Dies betraf auch die lokale Geschäftsstelle von 'pro NRW'. Denn der Kern dieser kameradschaftsähnlichen Gruppe engagierte sich zunächst parteipolitisch bei der 'Jugend pro NRW'. Ab 2011 kamen dann die neonazistischen Aktivitäten hinzu. Die Gruppe wuchs rasch an und radikalisierte sich in kurzer Zeit. Sie suchte Anschluss an die neonazistische Szene in Nordrhein-Westfalen, insbesondere an die 'Nationalen Sozialisten Wuppertal', und zeigte sich bei verschiedenen neonazistischen Demonstrationen. Von Januar 2011 bis März 2012 verübten Angehörige des 'Freundeskreis RechtsextRemismus 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Rade' zahlreiche Gewaltund Propagandadelikte, die rechtsextremistisch motiviert waren. Im Januar 2014 verurteilte das Landgericht Köln sechs Mitglieder des 'Freundeskreis Rade' wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Demnach war der Zweck der Gruppe darauf ausgerichtet, Straftaten zu begehen. Das Urteil ist bislang noch nicht rechtskräftig. Ein siebtes Mitglied verurteilte das Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung. Mehrere Strafverfahren gegen weitere Anhänger des 'Freundeskreis Rade' werden vorbereitet. Nach der Razzia bei den Mitgliedern des 'Freundeskreis Rade' sind die Aktivitäten der Gruppe weitgehend zum Erliegen gekommen. Einzelne Mitglieder nahmen jedoch weiterhin an überregionalen neonazistischen Veranstaltungen teil. Ende 2013 wurden wieder Flugblätter mit rechtsextremistischen Botschaften in Radevormwald verteilt. Die Verurteilung der wichtigsten Aktivisten dürfte jedoch beim größeren Teil der Gruppe eine abschreckende Wirkung entfalten. 'Aktionsbüro Mittelrhein' Vor dem Landgericht Koblenz sind seit August 2012 26 Personen angeklagt, denen vorgeworfen wird, als Mitglieder oder Unterstützer des 'Aktionsbüro Mittelrhein' eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Zu den Angeklagten zählen maßgebliche Mitglieder der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene. Das 'Aktionsbüro Mittelrhein' agierte als neonazistische Kameradschaft im Norden von Rheinland-Pfalz. Zugleich betrieb es gewissermaßen die "Geschäftsführung" der 'Aktionsgruppe Rheinland' ('AG Rheinland'). Letztere war eine neonazistische Vernetzungsstruktur, in der sich die Kameradschaften und unstrukturierten Szenen in den Bereichen Aachen, Düsseldorf, Köln, Leverkusen, Pulheim, Solingen, Wuppertal, dem Rhein-Sieg-Kreis und nördliches Rheinland-Pfalz zusammenschlossen. Auf dem "Informationsportal der Aktionsgruppe Rheinland" hieß es dazu unter der Überschrift "Aktiv werden: mitmachen - anpacken - handeln!": "Seit Mitte 2007 haben sich verschiedene nationale Gruppen aus dem Rheinland zusammengeschlossen und leisten vereint Widerstand". Bis März 2012 agierten die Angehörigen dieser Szenen bei Versammlungen gemeinsam und koordinierten sich unter wechselnden Eigenbezeichnungen. Der Bereich dessen, was als "das Rheinland" angesehen wird, scheint sich an dem Gebiet der alten preußischen Rheinprovinz zu orientieren. Jedenfalls wurde seit 2011 zunehmend durch das Mitführen der Flagge der preußischen Rheinprovinz bei Veranstaltungen oder das Tragen von einheitlichen T-Shirts mit dem Aufdruck des Wappens der Rheinprovinz, Geschlossenheit demonstriert. 164 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Führungsmitglieder des 'Aktionsbüro Mittelrhein' wohnten gemeinsam in einem Haus in Bad-Neuenahr-Ahrweiler. Dort trafen sich die Führungsaktivisten der einzelnen neonazistischen Gruppierungen der 'AG Rheinland', um ihre Veranstaltungen zu koordinieren und gemeinsame Aktivitäten zu planen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der sogenannten "Anti-Antifa-Arbeit". Damit ist die Bekämpfung der Autonomen Antifa durch Bedrohungen und Gewalttaten gemeint. Das Netzwerk weitete diese Aktivitäten auch auf andere Personen aus, die ebenfalls als politische Gegner angesehen werden. Nach den Durchsuchungsmaßnahmen und Verhaftungen im März 2012 kamen die Aktivitäten der 'AG Rheinland' weitgehend zum Erliegen. Einige Aktivisten scheinen im Zuge des Gerichtsprozesses aus der neonazistischen Szene ausgestiegen zu sein, andere wiederum haben ihre Aktivitäten wieder aufgenommen. Bei der Demonstration der Partei 'Die Rechte' am 21. September 2013 in Wuppertal war erstmals wieder eine größere Gruppe mit den Rheinland-Fahnen aufgetreten. Zudem traten einige der Angeklagten bei Demonstrationen der Partei 'Die Rechte' oder der neonazistischen Szene als Redner auf. Die Neonazi-Szene in NRW nach den Exekutivmaßnahmen Nach den Verboten der vier in Nordrhein-Westfalen aktiven Kameradschaften im Jahr 2012 sowie den eingeleiteten Strafverfahren ist in der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene eine grundlegende Umstrukturierung festzustellen. Der Großteil der von den Vereinsverboten betroffenen Neonazis ist in die neu gegründete Partei 'Die Rechte' eingetreten, in der die Neonazi-Szene ihre Aktivitäten bei geringerer Mobilisierung fortsetzt. Die übrigen Angehörigen der neonazistischen Szene sind entweder weiterhin in den örtlichen nicht organisierten Gruppierungen aktiv oder haben sich - beeindruckt von den Konsequenzen der Verbotsund Strafverfahren - gänzlich von der Szene abgewandt. Unabhängig von den in rechtsextremistischer Hinsicht regional bedeutsamen Gebieten wie Dortmund, Hamm, Köln und Wuppertal bestehen in Nordrhein-Westfalen verschiedene kleinere Szenen, die vereinzelt durch örtliche Veranstaltungen und Aktionen (z.B. Verteilaktionen rechtsextremistischer Flyer und Aufkleber, Organisation sogenannter Heldengedenken, Graffitiaktionen, Schändungen jüdischer Friedhöfe oder andere strafrechtlich relevante Taten) aufgefallen sind. RechtsextRemismus 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die aufgrund ihrer geringen Anhängerzahl wenig ausgeprägte Handlungsfähigkeit versucht man durch gelegentliche Kooperationen mit Gruppierungen aus umliegenden Gebieten oder durch Annäherung an die Partei 'Die Rechte' wettzumachen. Neben der obligatorischen Teilnahme an Demonstrationen der Partei 'Die Rechte' ließ beispielsweise eine Kleingruppierung eine Führungsperson der Partei auf ihren Flugblättern oder Broschüren als verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes zeichnen. Dies zeigt den maßgeblichen Einfluss der Landesparteiführung der Partei 'Die Rechte' auf den nichtorganisierten aktionsorientierten Rechtsextremismus in NRW. Zur NPD in Nordrhein-Westfalen hingegen wahrt die Neonazi-Szene zunehmend Distanz. Ausgenommen davon ist lediglich der Kreisverbandes Unna/Hamm der NPD. 3.2.2 Rechtsextremistische Skinheads Entstehung und Entwicklung der Skinhead-Szene Die Skinhead-Szene entstand Ende der 1960er Jahre in Großbritannien. Jugendliche aus der Arbeiterschicht begehrten gegen soziale Missstände und steigende Arbeitslosigkeit infolge der zunehmenden Rationalisierung in der Industrie auf. Ihre Zugehörigkeit zur Subkultur dokumentierten Skinheads durch ihr Äußeres: kahlgeschorene Schädel, Bomberjacken, schwere Arbeitsstiefel und Hosenträger. Die Aktivitäten der Skinheads der ersten Generation waren weitgehend unpolitisch und beschränkten sich im Wesentlichen auf Alkoholkonsum, den Besuch von Konzerten oder Fußballspielen und Gewalt. Die Skinhead-Szene vor allem in Großbritannien machte zunehmend mit immer härteren Gewaltexzessen von sich reden, und damit nahm auch der gesellschaftliche und staatliche Druck auf die Subkultur zu. Dies hatte zur Folge, dass die erste Skinhead-Welle zu Beginn der 1970er Jahre verebbte. Erst gegen Ende der 70er Jahre lebte die Skinhead-Kultur als Reaktion auf den kommerziellen Ausverkauf des in der Zwischenzeit entstandenen Punk auf. Kleidung, Musik und Verhalten der ersten Skinhead-Generation wurden aufgegriffen. Jedoch fanden nun viele Jugendliche Zugang zu der Subkultur, die vor allem durch die Gewalt angezogen wurden. Die schlechte wirtschaftliche Situation Großbritanniens und die Verbindung der Themen Einwanderung und fehlende Arbeitsplätze für Jugendliche lösten eine zunehmende Politisierung dieser sogenannten Oi!-Bewegung aus, die durch die rechtsextremistische 'National Front' (NF) genutzt wurde. Ende der 1970er Jahre breitete sich 166 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 die Skinhead-Subkultur in Europa und in alle Welt aus. Seit der Wiedervereinigung ist diese Szene auch in Deutschland eine bedeutende Größe. Gewalt und Dresscode Nach wie vor nimmt die Öffentlichkeit von der vielschichtigen Skinhead-Szene hauptsächlich den starken rechtsextremistischen Flügel wahr, der sich nicht nur über sein provozierendes Äußeres und eine aggressive Musik definiert, sondern auch über neonazistische Ideologieelemente. Anders als bei den Neonazis zeigen sich diese nicht in erster Linie in einer primär ideologischen Argumentation, sondern auch in spontanen gewalttätigen Aktionen. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute allerdings keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu. Einerseits gibt es viele unpolitische Jugendliche, die ein vermeintlich Skinhead-typisches Aussehen zeigen, ohne dem rechtsextremistischen Teil der Szene anzugehören. Diese Jugendlichen fühlen sich dem unpolitischen Teil der Skinhead-Bewegung - den sogenannten Oi!-Skins zugehörig - dem größeren Teil der Szene. Andererseits verlieren die altbekannten Dresscodes seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Insbesondere für den rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene ist es im Alltag einfacher, nicht durch offensichtliches Tragen von einschlägig bekannten Zeichen oder Haarschnitten eine politische Zuordnung möglich zu machen. Skinhead-Zusammenschlüsse in NRW Insgesamt ist der Skinhead-Szene eine straffe Organisationsstruktur fremd. Auch die Bemühungen von 'Blood & Honour', 'Combat 18' oder der 'Hammerskins' haben bislang nicht zu festen Strukturen geführt. Zusammenschlüsse innerhalb der SkinheadSzene - soweit es sie gibt - haben in erster Linie einen engen regionalen Bezug und bestehen aus einer losen Verbindung der örtlich ansässigen Skinheads. Überwiegend finden keine regelmäßigen und organisierten Veranstaltungen statt, wie es im Bereich der Kameradschaften üblich ist. Vielmehr gibt es anlassbezogene Treffen, gemeinsame Besuche von Musikveranstaltungen und Partys zu unterschiedlichen Gelegenheiten. Die Einbindung in eine solche regionale Gruppe schließt Aktivitäten in anderen organisierten Zusammenhängen nicht aus, ist aber nicht Voraussetzung, um einen Zugang zur rechtsextremistischen Szene zu erhalten. Vereinzelt verfügen SkinheadBands über ein stabiles Fanpotenzial, welches sich regelmäßig trifft oder mit der Band RechtsextRemismus 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zu deren Auftritten unterwegs ist und Saalschutz-Aufgaben übernimmt. Diese Fangruppe setzt sich üblicherweise aus Personen des Band-Umfeldes oder auch guten Bekannten mit Bezug zur rechtsextremistischen Szene zusammen. 'Blood & Honour', 'Combat 18' und 'Hammerskins' in NRW 'Blood & Honour' ist eine weltweit aktive Skinhead-Bewegung, die von Ian Stuart Donaldson in England gegründet wurde. Die deutsche Sektion der Organisation, die versuchte, die Skinhead-Szene durch neonazistische Musik politisch zu beeinflussen, wurde im September 2000 durch das Bundesministerium des Innern verboten, nachdem festgestellt wurde, dass sich ihre Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die Verbotsverfügung ist seit dem 13. Juni 2001 rechtskräftig. Die immer noch existenten verschiedenen ausländischen 'Blood & Honour'-Strukturen sind dadurch nicht beeinträchtigt, da weitere Verbote im benachbarten Ausland ausgeblieben sind. Für Nordrhein-Westfalen liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse über die Fortführung der verbotenen Organisation vor. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass persönliche Kontakte und Freundschaften der damaligen 'Blood & Honour'-Mitglieder weiter fortbestehen und einzelne Anhänger nach wie vor aktiv sind. Feste dauerhafte Organisationsstrukturen sind in NRW aber nicht erkennbar. 'Blood & Honour'-Konzerte finden vorwiegend in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz statt. Daneben wird in Großbritannien jährlich in zeitlicher Nähe zum Todestag ein Gedenkkonzert für den am 23. September 1993 verstorbenen Ian Stuart Donaldson organisiert (ISD Memorial). Die Organisation 'Combat 18' gilt als "bewaffneter Arm" von 'Blood & Honour'. Sie wurde Anfang der 1990er Jahre als Schutztruppe gegen Übergriffe linker Gewalttäter in England gegründet. "Combat" bedeutet Gefecht, die Zahl 18 im Namen der Gruppe steht für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets (A und H), die Initialen Adolf Hitlers. Einer der Slogans von 'Combat 18' lautet: "White revolution is the only solution" ("Weisse Revolution ist die einzige Lösung"). Nach dem Unfalltod Ian Stuart Donaldsons kam es zu weitreichenden Zerwürfnissen unter seinen potentiellen Nachfolgern. Mitglieder von 'Combat 18' übernahmen zunehmend die Führung bei 'Blood & Honour'. Auch wenn die Bedeutung von 'Combat 18' aufgrund geringer Mitgliederzahlen inzwischen erheblich gesunken ist, zeigen einzel168 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 ne Angehörige der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen eine gewisse Faszination für 'Combat 18'. Die Verwendung dieses Begriffes ist offensichtlich mit einem hohen Ansehen in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene verbunden und erfolgt daher wahrscheinlich mit dem Ziel, sich selbst aufzuwerten. Erkennbare verfestigte Strukturen liegen in NRW aber nicht vor. Internet-Startseite mit Verlinkungen zu verschiedenen Gruppierungen Ein weiteres internationales Skinhead-Netz, die 'Hammerskins', wurde Mitte der 1980er Jahre in den USA gegründet. 'Hammerskins' sind in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten (zum Beispiel 'Hammerskin Division Deutschland'). Durch ihre Unterteilung innerhalb der einzelnen Länder in sogenannte "Chapter" sind sie fester strukturiert als 'Blood & Honour'. Erklärtes Ziel der 'Hammerskins' ist es, weltweit alle weißen und rechtsextremistischen Skinheads in einer "Hammerskin-Nation" zu vereinigen. 'Hammerskins' vertreten rassistische Grundeinstellungen und betrachten sich selbst als Elite der Skinhead-Bewegung. In Nordrhein-Westfalen sind zwar auch im vergangenen Jahr einzelne Aktivitäten im Zusammenhang mit 'Hammerskins' bekannt geworden, jedoch liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse über die Existenz einer 'Hammerskin'-Organisation in NRW vor. RechtsextRemismus 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Fazit und Ausblick Jugendliche Subkulturen befinden sich in einem ständigen Wandel. Die rechtsextremistische Skinhead-Szene befindet sich seit Jahren im Abschwung. Das Image ist schlecht und sie gelten bei Jugendlichen als überholte und unattraktive Jugendkultur. Zugleich machen andere rechtsextremistische Jugendkulturen, in NRW vor allem die Autonomen Nationalisten, den Skinheads erfolgreich Konkurrenz. Insofern bleibt der Nachwuchs aus. Zudem verlassen immer wieder ältere Protagonisten die SkinheadSzene. Diese legen zwar nicht umgehend ihre rechtsextremistischen Einstellungen ab, trotzdem verliert die Szene damit ihre Größe und ihren inneren Zusammenhalt. Dafür spricht auch deren seit mehreren Jahren zu konstatierende Organisationsschwäche. Allein gelegentliche Konzerte in NRW und in angrenzenden Bundesländern bzw. im angrenzenden Ausland schaffen Events, an denen sich die Szene ihrer selbst vergewissert. 3.3 Rechtsextremistische Musik-Szene Die rechtsextremistische Szene - wie auch jede andere Subkultur - wird von szeneinternen Medien geprägt. Hierzu gehören insbesondere rechtsextremistische Musikgruppen, Versandhändler oder auch sogenannte Fanzines. Diese fungieren als wichtige und identitätsstiftende Elemente, unter anderem wirken sie als Integrationsund Aggressionsfaktoren. Dass insbesondere Musik als Medium für die ideologische Beeinflussung von Jugendlichen verwandt werden soll und kann, wird bereits in einem Zitat des Briten Ian Stuart Donaldson (auch als Ian Stuart bekannt) deutlich: "[Musik] berührt die jungen Leute, die von den Politikern nicht erreicht werden. Viele finden die Politik, parteipolitisch gesehen, langweilig, was teilweise stimmt. Es ist doch viel angenehmer, mit anderen ein Konzert zu besuchen und Spaß zu haben, als in eine politische Versammlung zu gehen." Musikalische Vielfalt in der rechtsextremistischen Erlebniswelt Grundsätzlich kann die rechtsextremistische Musik-Szene in verschiedene Strömungen unterteilt werden. Zu den gängigsten Formen der musikalischen Darstellung zählen unter anderem die in der Presse als "Rechtsrock" bezeichnete Musikrichtung, die ihren Ursprung in der Skinhead-Szene hat, sogenannte Liederund Balladenabende, 170 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 die "National Socialist Black Metal" (NSBM)-Bewegung und den in letzter Zeit aufgekommenen "Nationalen Rap". Die bedeutendste Form der musikalischen Darbietung stellt weiterhin die Variante des Skinheadoder Rechtsrock dar. Hierbei stehen weitestgehend hart gespielte Gitarrenakkorde und lauter, nahezu geschriener Gesang im Vordergrund, der beim neutralen Zuhörer als aggressiv aufgefasst werden kann. Bands, die diese Art von Musik spielen, treten regelmäßig auf äußerst konspirativ geplanten Konzertveranstaltungen auf. Szenebekannte Bands aus Nordrhein-Westfalen wie beispielsweise Oidoxie, Weisse Wölfe oder Division Germania beziehungsweise überregionale Bands aus ganz Deutschland wie zum Beispiel Words of Anger oder Die Lunikoff Verschwörung haben sich über Jahre einen Namen in der Szene erspielt. Dies führt dazu, dass Veranstaltungen, die mit solchen Bands beworben werden, auf große Resonanz und damit auf reges Interesse in der Szene stoßen. Dies ist zunächst auf die Musik zurückzuführen. Allerdings spielen neben dem Interesse an Musik weitere Aspekte eine Rolle. Die erfolgreiche Verhinderung von Konzerten durch die Sicherheitsbehörden hat oft direkte finanzielle Auswirkungen. Daher erfolgt die Vorbereitung solcher Events teilweise konspirativ. Damit wird seitens der Veranstalter versucht, den Sicherheitsbehörden keine Gelegenheit zu geben, geplante Veranstaltungen zu verbieten oder aufzulösen. Diese Vorgehensweise dient der Szene auch als Erkennungsmerkmal und weckt die Neugier und Abenteuerlust. Am eigentlichen Veranstaltungsort stehen neben der Musik dann das Treffen Gleichgesinnter, der Konsum von Alkohol, eine spezielle Art des Tanzens, der sogenannte "Pogo", und teilweise das Verbreiten und Ausleben Cover der CD "Wutbürger" der rechtsextremistischen Bands Weisse Wölfe und Oidoxie RechtsextRemismus 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 rechtsextremistischer Propaganda im Vordergrund. Der besondere Reiz gerade für jugendliche Teilnehmer, die neugierig auf die Szene sind, liegt üblicherweise darin, etwas Verbotenes oder sozial Unerwünschtes zu erleben. Die auf den Konzerten gespielten Lieder werden teilweise mit einer besonderen Art der Darstellung (zum Beispiel Zeigen des Hitlergrußes, Sieg-Heil-Rufe, Schwenken der Reichskriegsflagge) zur ideologisch-propagandistischen Interaktion mit der Zuhörerschaft vorgetragen. Darüber hinaus spielen die Bands neben aktuellen, oftmals durch "verschärfte" Passagen angereicherte Stücke, auch indizierte Lieder, die innerhalb der Szene bestens bekannt sind. Für eine strafrechtliche Verfolgung der beschriebenen Handlungen fehlt es aber regelmäßig an einer dafür erforderlichen Außenwirkung. Hauptziel der Veranstalter solcher groß angelegter Konzerte ist es, Gewinn zu erwirtschaften. Dies gilt in der Regel auch für die auftretenden Musikgruppen. Diese bieten ihre Tonträger, T-Shirts und sonstigen Merchandising-Artikel oftmals an eigens hierfür erstellten Verkaufsständen an. Der Verkauf dieser Utensilien trägt zur Finanzierung der Bands mit bei. Im Gegensatz zu den meist rocklastigen, auf Gewinn ausgelegten Konzerten dienen Balladenoder Liederabende dazu, einen eher kleineren Teilnehmerkreis anzusprechen. Häufig werden solche Veranstaltungen von Parteiverbänden oder Freien Kameradschaften mit dem Ziel organisiert und durchgeführt, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Bei den musikalischen Darbietungen handelt es sich zumeist um einen Sänger mit Gitarre, der eher ruhige Stücke präsentiert. Aufgrund des kommerziellen Erfolgs der Musikrichtung "Rap" haben sich zwischenzeitlich auch Tendenzen in den Bereich des sogenannten "Nationalen Rap" entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine Abwandlung des deutschen Sprechgesangs, der von Rechtsextremisten nunmehr genutzt wird, um gezielt Jugendliche anzusprechen. Die Texte werden bewusst aggressiv, kämpferisch und teilweise rechtsextremistisch abgefasst, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen. In Nordrhein-Westfalen ist hier insbesondere der Sänger MaKss Damage zu nennen. Im Jahr 2013 veröffentlichte er mehrere Lieder, zumeist im Internet. Im Zuge einer Demonstration der Partei 'Die Rechte' am 21. September 2013 in Wuppertal verfasste MaKss Damage einen sogenannten "Mobi-Track". Mit dem Lied warben die Organisationen einige Tage für ihre Demonstration. Sie veröffentlichten es auf ihrer Webseite mit dem Zusatz "Kommt alle zur Schlacht von Wuppertal". Die aggressiv-kämpferische Art des Musikstücks geht aus dem Text hervor, in dem es unter anderem heißt: 172 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Abbildungen aus dem Mobilisierungsvideo "Tränengasdusche" von MaKss Damage "Ihr seid zum Glück bald tot / dann übernehmen wir das Ruder [...] wir machen weiter und weiter / bis Euer Blut in unsere Wupper fließt". Musik als rechtsextremistisches Propagandamittel Über die Musik versucht die rechtsextremistische Szene sowohl auf ideologisch Interessierte als auch erlebnisorientierte Mitglieder und Sympathisanten Einfluss zu nehmen. Die Texte dienen hierbei als Transportmittel für rechtsextremistisches Gedankengut. Rechtsextremistische Musik dient dem Zusammenhalt in der Szene und RechtsextRemismus 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 sorgt für eine Festigung der Ideologie. Gleichzeitig wird sie als Lockmittel zur Nachwuchswerbung eingesetzt. Insbesondere mit der kostenlosen Verteilung sogenannter "Schulhof-CDs" an Schüler und Jugendliche versucht die rechtsextremistische Szene immer wieder, diese häufig ideologisch noch nicht gefestigte Zielgruppe zum Einstieg in die rechtsextremistische Szene zu verleiten. Zusammen mit zusätzlichen über Computer lesbare Daten beinhalten einige CDs weitere rechtsextremistisch geprägte Inhalte und Kontaktadressen lokaler und regionaler rechtsextremistischer Gruppierungen. Mit finanzieller und logistischer Unterstützung tragen rechtsextremistische Musikvertriebe regelmäßig zur Realisierung der Produktion der Tonträger bei. Musikveranstaltungen in NRW Im Jahr 2013 konnten in Nordrhein-Westfalen sechs Konzerte, acht Liederbzw. Balladenabende und eine sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen mit Musik festgestellt werden. Mit einer Gesamtzahl von 15 haben sich die festgestellten Musikveranstaltungen im Vergleich zum Vorjahr damit erhöht (2012: acht). Die Erhöhung der Zahlen ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass insgesamt fünf der Veranstaltungen als Parteiveranstaltungen der NPD beziehungsweise der Partei 'Die Rechte' deklariert und durchgeführt wurden. Eines der mitgezählten Konzerte löste die Polizei auf. In den zurückliegenden Jahren hat sich die Organisation von Musikveranstaltungen gewandelt. Früher organisierten nahezu ausschließlich Mitglieder der rechtsextremistischen Skinhead-Musik-Szene Konzerte. Nunmehr versuchen auch Personen aus dem erweiterten Neonazi-Spektrum, insbesondere aber auch die im Jahr 2012 neu gegründete Partei 'Die Rechte' hier Fuß zu fassen mit dem Ziel, durch die erwarteten Einnahmen eigene Aktivitäten zu finanzieren. Neben dem finanziellen Aspekt ist für die Partei 'Die Rechte' zusätzlich von Interesse, einen möglichst großen Adressatenkreis an Gleichgesinnten zu erreichen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 benötigte der Landesverband NRW 2.000 Unterstützerunterschriften, um überhaupt an der Wahl teilnehmen zu dürfen. Mit einem musikalischen Großereignis, wie dem von der Partei am 6. Juli 2013 geplanten Konzert in Herne, lassen sich kurzfristig Personen mobilisieren, die sich bei einer gelungenen Veranstaltung auch dazu bereit erklären, Unterstützungsunterschriften zu leisten, obwohl sie grundsätzlich nicht an Parteiarbeit interessiert sind. Genau dies ist der Grund, warum die Partei 'Die Rechte' dieses Konzert zunächst nicht als Parteiveranstaltung deklarierte, sondern vielmehr als "Fete" ankündigte. Ein für den 16. November 2013 geplantes Konzert wurde nach 174 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der polizeilichen Auflösung der ersten Veranstaltung dann allerdings auch öffentlich als Parteiveranstaltung, nämlich als Wahlkampfauftakt der Partei 'Die Rechte' KV Dortmund, beworben, allerdings mit dem Zusatz "Geburtstagsfeier Siggi Borchardt". Der Hinweis auf die Geburtstagsfeier sollte dazu dienen, Personen, die sich nicht für parteipolitische Aktivitäten interessieren anzusprechen und zu der Veranstaltung zu locken. Erkennbar ist, dass die Partei 'Die Rechte' mit deutlich größerem Zuspruch bei Konzertveranstaltungen als bei den von ihr angemeldeten Demonstrationen rechnet. Für das wie immer konspirativ vorbereitete Konzert am 16. November 2013 kalkulierten die Organisatoren mit einer Teilnehmerzahl zwischen 800 und 1.000 Personen. Durch das Verbot der Nutzung der vorgesehenen Halle und die damit verbundene Verlagerung in ein anderes Bundesland konnten sie die avisierten Einnahmen nicht erzielen. Die räumliche Verlagerung der Veranstaltung bedeutete auch, dass die kommunalpolitische Wirkung in Dortmund nicht erreicht werden konnte. Dennoch führten die Organisatoren die Veranstaltung durch. Dies lässt den Schluss zu, dass die wirtschaftlichen Interessen im Mittelpunkt standen. Neben den beiden - offensichtlich auf Gewinnerzielung - ausgelegten Konzerten führten sowohl die NPD als auch die Partei 'Die Rechte' Lieder-/Balladenabende durch. Der Oberhausener Kreisverband der NPD veranstaltete einen solchen Abend mit dem Liedermacher Frank Rennicke, die Kreisverbände der Partei 'Die Rechte' in Aachen und Heinsberg sowie in Dortmund organisierten jeweils eine solche Musikveranstaltung mit dem Frontmann der Szeneband Die Lunikoff Verschwörung, Michael "Lunikoff" Regener. Beide Musiker sind in der rechtsextremistischen Szene äußerst bekannt und dienen zumeist als Publikumsmagnete. Speziell Regener verehrt man in der Szene quasi als Märtyrer. Seine frühere Band Landser wurde als kriminelle Vereinigung eingestuft und verboten. Im Gegensatz zu seinen damaligen Mitstreitern, die umfassend vor Gericht aussagten, um einer Haftstrafe zu entgehen, schwieg Regener vor Gericht und saß die gegen ihn verhängte Haftstrafe ab. Dies förderte sein Image in der rechtsextremistischen Szene. Denn diese propagiert, nicht mit Behörden des verhassten Systems zusammenzuarbeiten. Seine rechtsextremistische Gesinnung hat sich durch die Haftstrafe nicht geändert. Abgesehen von den beiden geplanten und teilweise auch durchgeführten relativ großen Konzerten der Partei 'Die Rechte' verliefen die übrigen Veranstaltungen weitgehend im kleinen Rahmen und zumeist ohne überregionale Mobilisierung. Grundsätzlich stellt die Ausrichtung rechtsextremistischer Konzerte keine lukrative Finanzierungsquelle für die Szene dar, da stets das Risiko gegeben ist, dass die Sicherheitsbehörden die geplante Veranstaltung untersagen oder auflösen. Da die Veranstalter in RechtsextRemismus 175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der Regel in Vorleistung treten müssen, führen unterbundene Konzerte zu finanziellen Verlusten. Gewinne erzielen die Organisatoren, wenn sie die Veranstaltung wie geplant realisieren können und ihnen eine nennenswerte überregionale Mobilisierung gelingt. Dabei müssen die Besucher für die Teilnahme an dem Ereignis mitunter weite Anfahrten auf sich nehmen und bereit sein, gelegentlich hohe Eintrittspreise zu entrichten. Musikveranstaltungen außerhalb von NRW Rechtsextremisten aus NRW besuchen ebenso Musikveranstaltungen in anderen Bundesländern. Im Jahr 2013 nahmen an etwa 20 durchgeführten Konzerten und Liederbzw. Balladenabenden im Bundesgebiet Bands oder Teilnehmer aus NRW teil. Im Vergleich zum Vorjahr (25 Veranstaltungen mit NRW-Beteiligung) hat sich die Anzahl der Veranstaltungen mit Beteiligung aus Nordrhein-Westfalen somit leicht verringert. Um möglichen Verboten oder Auflösungen der Veranstaltungen zu entgehen, werden nach wie vor auch Konzerte im benachbarten Ausland durchgeführt und wahrgenommen, insbesondere weil die dortige Rechtslage die Durchführung derartiger Veranstaltungen erleichtert. Zu nennen sind hier unter anderem die Niederlande, Belgien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien und Ungarn. Rechtsextremistische Bands in NRW Auch im Jahr 2013 waren etwa 20 namentlich bekannte und der rechtsextremistischen Musik-Szene zuzurechnende Musikgruppen beziehungsweise Musiker aktiv. Dabei sind Bands, die mit Auftritten und CD-Veröffentlichungen aktiv in der Szene tätig sind - hier sind Bandmitglieder zum Teil in rechtsextremistischen Organisationen eingebunden -, von den Bands zu unterscheiden, die sich als reine Studio-Projekte verstehen und keine Auftritte absolvieren. Außerdem ist in der recht unsteten und schnelllebigen Musik-Szene die Auflösung und Neugründung von Bands und das Betreiben von Nebenprojekten an der Tagesordnung, so dass hier eine ständige Bewegung herrscht. Eine kontinuierliche und langjährige Aktivität in Nordrhein-Westfalen kann nur bei wenigen Bands festgestellt werden. Andere zeigen sporadische Aktivitäten mit längeren Phasen der Untätigkeit. Neuerscheinungen von Tonträgern sind nach wie vor eine Einnahmequelle für rechtsextremistische Musikproduktionen. Neben der ursprünglichen CD-Veröffentlichung 176 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nutzen einige Musiker auch verstärkt das Internet um ihre Musik zu verbreiten. Die Möglichkeit, sich anonym ganze Alben innerhalb kürzester Zeit als MP3 auf den Computer laden zu können, hat nicht nur für die Käufer Vorteile. Beispielsweise entfällt für die Bands das Pressen der CDs oder die Gestaltung der CD-Cover. Darüber hinaus nutzen Rechtsextremisten Internetportale wie "YouTube" oder "Myspace" auch als Werbeplattform. Nichtsdestotrotz werden weiterhin aber auch CDs mit rechtsextremistischer Musik produziert - im Jahr 2013 auch von nordrhein-westfälischen Bands. Als Beispiele seien an dieser Stelle unter anderem die Split-CDs "Brüder im Kampf und Brüder im Glauben" der Bands Wutbürger und Oidoxie sowie Europäischer Traum 2 der Formationen Sleipnir und Sturmwehr zu nennen. Es sind ein gewisser Wandel und eine gestiegene Akzeptanz untereinander in der Szene erkennbar. Dies zeigt sich unter anderem an der Bildersprache auf den Covern. Waren früher häufiger Bilder auf den Covern, die dem Skinheadstyle der Anhängerschaft Rechnung trugen, entspricht die heutige Bildästhetik oftmals dem Stil der Autonomen Nationalisten. Beispielhaft sei auf die Dortmunder Band Oidoxie verwiesen. Diese stammt aus der rechtsextremistischen Skinhead-Szene und zeigte auf dem Cover der CD "Weiß und Rein" aus dem Jahr 2001 einen Skinhead vor einem Keltenkreuz. Letzteres ist in der rechtsextremistischen Szene populär, weil es in abgewandelter Form die verbotene 'Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit' (VSBD/PdA) verwendete. Auf dem aktuellen Cover der Split-CD "Brüder im Kampf und Brüder im Glauben" von Oidoxie und Wutbürger hingegen steht im Vordergrund eine vermummte Person im Stil der Autonomen Nationalisten. Rechtsextremistische Lied-Texte Die Bands lassen die Texte der Lieder oftmals vor der Veröffentlichung von einem Rechtsanwalt auf verbotene Inhalte überprüfen, um nicht Gefahr zu laufen, dass die CDs verboten werden, beziehungsweise die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien diese indiziert und damit die Verbreitung erschwert. Die rechtsextremistischen Aussagen sind üblicherweise dennoch eindeutig. In älteren Musikstücken wie zum Beispiel "Geboren in der BRD" der Band Sleipnir heißt es im Refrain des Liedes: "Ich bin geboren in der BRD / ich hasse dieses System / ich schwimme dagegen an". RechtsextRemismus 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Der Text zeigt die Feindschaft gegenüber dem demokratischen Deutschland und macht das Ziel deutlich, die Abschaffung des demokratischen Systems. Gleiches gilt für das Lied "Roh und hart" der Band, Oidoxie, in dem es unter anderem heißt: "Wir haben den Weg des Widerstands gewählt [...] Gott vergibt, wir tun es nicht". Aus diesen Textzeilen ergibt sich, dass die Auseinandersetzung um unterschiedliche politische Vorstellungen nicht im demokratischen Diskurs erfolgen soll, sondern man sich im Kampf gegen das demokratische System wähnt, was auch die Anwendung von Gewalt legitimiert. Die rechtsextremistische Gesinnung bringt die Band auch im Song "Unbelehrbar" zum Ausdruck. Dort heißt es: "Ein nationaler Sozialist / Niemals von seinem Weg weicht / Und sein ganzes Leben steht / im Kampf für das Reich". An dieser Stelle ist der Bezug zur nationalsozialistischen Ideologie erkennbar. Es wird der Kampf für das "Reich" propagiert, womit eine Fortführung des 3. Reichs unter Adolf Hitler gemeint ist. Auch die Band Wutbürger, die mit Oidoxie zusammen die CD "Brüder im Kampf und Brüder im Glauben" produziert hat, singt rechtsextremistische Lieder. Als Textbeispiel sei hier der Refrain des Liedes "Am fernen Horizont" genannt. Dieser bezieht sich eindeutig auf die Ausdehnung Deutschlands im 3. Reich. "Kamerad so lauf mit uns, im gleichen Schritte hinterher, schnell empor zu alten Grenzen, Tradition und noch viel mehr! Über Berge, Wiesen, Wälder zieht es uns den Ahnen gleich - und am fernen Horizont weht die Fahne unseres deutschen Reichs." In einem anderen Lied nimmt Wutbürger Bezug auf die in Deutschland seit geraumer Zeit verbotene Skinhead-Struktur 'Blood & Honour'. Durch subtile Verwendung eines Zahlencodes sowie der Textzeile "Und mein Arm zeigt Richtung Sonne - Nein! Ich lass mich nicht belehr'n", womit der verbotene Hitlergruß gemeint ist, offenbart sie die rechtsextremistische Gesinnung. Die ausgewählten Textzeilen zeigen die ideologischen Ähnlichkeiten der beiden Bands. Auch der Aufruf zum Kampf gegen das System verbindet die Musikgruppen. 178 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Rechtsextremistische Vertriebe Die Vertriebswege rechtsextremistischer Tonträger sind vielfältig. Einerseits bauen viele Bands bei Auftritten eigene Verkaufsstände auf, an denen neben T-Shirts auch die Tonträger erworben werden können. Darüber hinaus existieren Szeneläden die Tonträger verkaufen. In Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2013 zehn (2012: neun) Vertriebe aus der rechtsextremistischen Musik-Szene aktiv. Sämtliche in NordrheinWestfalen ansässigen Händler sowie ein Großteil der in den anderen Bundesländern aktiven Anbieter nutzen weiterhin das Internet als Handelsplattform. Die virtuelle Verkaufsform hat sich bei rechtsextremistischen Vertrieben aus mehreren Gründen durchgesetzt. Neben wirtschaftlich und logistisch bedingten Vorteilen dürfte auch die Tatsache maßgeblich sein, dass sowohl Verkäufer als auch Käufer beim Onlinehandel keine persönlichen Konfrontationen mit dem politischen Gegner befürchten müssen. Durch die anonyme Abwicklung des Kaufvorgangs ist der Handel auch für Interessenten attraktiv, die vor einem Einkauf in Szeneläden bislang zurückgeschreckt waren. Ladengeschäfte mit mutmaßlich rechtsextremistischer Produktpalette sind hingegen regelmäßig Ziele linksextremistisch motivierter Protestaktionen und auch Sachbeschädigungen. Gleichwohl bietet auch der Internethandel mit rechtsextremistischen Szeneartikeln für Betreiber und Kunden nicht die Gewähr für eine anonyme Kaufabwicklung, wie wiederholte Veröffentlichungen von Kundendaten nach HackerAngriffen gezeigt haben. Wirtschaftliche Interessen sind nach wie vor eine Hauptmotivation bei der Vermarktung von Musik mit rechtsextremistischen Texten sowie Szene-Artikeln. Viele Inhaber rechtsextremistischer Musik-Vertriebe bestreiten ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Szene-Produkten oder betrachten den Handel als einen lukrativen Nebenverdienst. Einige Vertriebe geben an, die Szene mit einem Teil ihrer Verkaufserlöse zu unterstützen. Damit versuchen sie sich als integraler Bestandteil der Szene darzustellen und den Käufern das Gefühl zu vermitteln, dass sie mit ihrem Kauf gleichzeitig die Bewegung unterstützen. Neben der Hoffnung auf einen guten Ruf als Förderer der Szene dürfte auch die Hoffnung auf eine Erweiterung des Kundenkreises und somit kommerziellen Erfolg eine Rolle spielen. Neben Tonträgern einschlägiger rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher bieten rechtsextremistische Vertriebe auch Kleidungsstücke, Aufnäher, Buttons und andere Devotionalien an. Ein Großteil des Umsatzes wird neben dem Handel mit Tonträgern mit dem Verkauf szenetypischer Textilien erzielt. Insbesondere das umfangreiche Angebot an Kleidungsstücken mit politischen Parolen findet innerhalb RechtsextRemismus 179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der Szene großen Anklang. Auch Kinderbekleidung mit meist nordischen Motiven und Schriftzügen sowie Unterwäsche mit Szeneparolen sind erhältlich. Der Anteil der Tonträger am Gesamtumsatz ging im Laufe der letzten Jahre zurück. Die Ursache liegt hauptsächlich in der Vervielfältigung auf privater Ebene (Brennen von CDs sowie Tausch von Musiktiteln über Internet-Tauschbörsen). Die Besitzer rechtsextremistischer Internet-Vertriebe haben auf diese Entwicklung reagiert und ihre Produktpalette entsprechend erweitert. So gehören inzwischen auch Deko-Waffen, Elektroschocker, Zwillen und Stahlkugeln, Pfefferspray, Artikel mit Bezügen zu nordischer Mythologie, Heidentum und Runenkunde, Tarnbekleidung und Sturmhauben sowie übliche Outdoor-Ausrüstung (Zelte, Decken, Schlafsäcke), Rucksäcke, Taschen und Trinkhörner zum Angebot. Bei mehreren Vertrieben können die Kunden zudem ihre Textilien mit individuellen Motiven und Schriftzügen bedrucken oder besticken lassen. Fazit und Ausblick Rechtsextremistische Musik ist zum einen ästhetisches Ausdrucksmittel einer Subkultur, die sich für Menschenverachtung und Demokratiefeindschaft ausspricht. Zum anderen ist es ein effektives Mittel rechtsextremistischer Strategen ihre Propaganda Jugendlichen und jungen Erwachsenen nahe zu bringen. Drittens ist rechtsextremistische Musik ein kommerzielles Geschäft von dem Bands, Konzertveranstalter und Vertriebe profitieren. Mit der Modernisierung des Rechtsextremismus hat sich auch deren Musik gewandelt. Die Vielfalt an Musikstilen hat zugenommen. Dies beinhaltete sogar ideologisch widersprüchlich erscheinende Entwicklungen wie "Nationaler Rap". Ebenso ist in der rechtsextremistischen Musik-Szene inzwischen ein Wandel und zunehmende Vielfalt der Cover-Ästhetik und der Selbstpräsentation der Musiker zu konstatieren. Durch die digitale Revolution der letzten 20 Jahre haben sich die Vertriebsbedingungen für rechtsextremistische Musikstücke enorm verbessert und es ist nunmehr möglich, nahezu jederzeit und an jedem Ort solche Musik zu hören. Das Personenpotential der rechtsextremistischen Musik-Szene in NRW verharrt auf einem konstanten Niveau. Die Teilnehmer der unterschiedlichen Musikveranstaltungen stammen bislang hauptsächlich aus einer unstrukturierten Szene. Dies könnte sich ändern, wenn die Partei 'Die Rechte' weiterhin Konzerte organisiert und veranstaltet. Sie wird versuchen, bislang unstrukturierte Szeneangehörige an sich zu binden und damit zu einen. Ob durch den Erstkontakt mit der rechtsextremistischen Musik-Szene ein Übergang in organisierte Neonazi-Strukturen oder unmittelbar in 180 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Parteistrukturen stattfindet oder in welche Richtung sich ein vertieftes Engagement entwickelt, ist zumeist völlig offen. Findet ein Jugendlicher zunächst über die lose Struktur der örtlichen Szene einen Zugang zu Konzerten, so können sich hieraus eine Ideologisierung und eine Teilnahme sowie aktive Beteiligung an der rechtsextremistischen Szene ergeben. Dies ist jedoch keine zwangsläufige Entwicklung. 3.4 Rechtsextremismus im Internet Ziele Rechtsextremisten verfolgen mit ihrer Präsenz im Internet insbesondere folgende Ziele: : Selbstdarstellung und Propaganda, : Öffentlichkeitsarbeit und Rekrutierung, : szeneinterne Kommunikation, informationelle Vernetzung und Mobilisierung, kommerzielle Zwecke. Schwerpunktverlagerung zu Web 2.026-Anwendungen/sozialen Netzwerken Die Schwerpunkte der Internetnutzung haben sich bei Rechtsextremisten in den letzten Jahren verlagert. Statische Webseiten, welche noch bis vor wenigen Jahren das Erscheinungsbild der rechtextremistischen Szene im Internet prägten, haben an Bedeutung verloren und werden fast nur noch von Parteien und Organisationen betrieben. Zunehmend beliebter geworden sind Web 2.0-Anwendungen und -Dienste, welche einen schnellen Informationsfluss sowie eine umfassende Vernetzung und Interaktion innerhalb der Szene ermöglichen. Aktionsorientierte rechtsextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen verbreiten ihre Informationen und Nachrichten überwiegend über schnell zu aktualisierende Mediendienste wie Weblogs sowie über große kommerzielle soziale Netzwerke und Multimediaplattformen. 26 Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, insbesondere des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur Verfügung. Der Begriff postuliert in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine neue Generation des Webs und grenzt diese von früheren Nutzungsarten ab. Die Verwendung des Begriffs nimmt jedoch zugunsten des Begriffs Social Media ab (Quelle: Wikipedia). RechtsextRemismus 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Als das weltweit größte soziale Netzwerk gilt Facebook mit über einer Milliarde Mitgliedern. Auch bei Rechtsextremisten gehört Facebook - trotz wiederholter Löschungsaktionen rechtsextremistischer Profile und Nutzergruppen durch die Betreiber - weiterhin zu den populärsten sozialen Mediendiensten. Dies liegt insbesondere daran, weil Versuche der Szene, alternative Plattformen zu etablieren, in der Vergangenheit wiederholt mangels ausreichender Szeneresonanz fehlgeschlagen sind. Auch der vorwiegend in Osteuropa beliebte und innerhalb der Szene lange Zeit als Geheimtipp gehandelte Facebook-Konkurrent vk.com wurde bisher trotz weniger strenger Inhaltskontrollen nicht in großem Rahmen als Ausweichplattform angenommen. Stattdessen besitzen etliche Nutzer Doppelmitgliedschaften in beiden genannten sozialen Netzwerken, wobei sie sich in ihren Profilen bei vk.com erheblich radikaler präsentieren als bei Facebook. Auch Mikroblogging-Dienste wie Twitter werden zur schnellen Weitergabe von Informationen an einen großen Empfängerkreis genutzt. Häufig verweisen die auf maximal 140 Textzeichen begrenzten Kurznachrichten (so genannte "Tweets") auf Inhalte von Webseiten oder innerhalb sozialer Netzwerke veröffentlichte Beiträge. Bei öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen wie Demonstrationen setzen die Organisatoren regelmäßig Tweets zur Information und gezielten Steuerung der Teilnehmer ein. Für alle maßgeblichen Smartphone-Plattformen sind zudem mobile Apps27 der bezeichneten Dienste erhältlich, welche die unkomplizierte Nutzung und dauerhafte Erreichbarkeit auch unterwegs gewährleisten. Darüber hinaus existiert eine große Zahl weiterer Kommunikationsdienste, welche von vornherein für die Nutzung auf mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets konzipiert wurden. Besonders populär sind Messenger wie WhatsApp, welche neben komfortablen Kommunikationsmöglichkeiten ebenfalls den Versand von Dateien und Standortmitteilungen anbieten. Darüber hinaus können Nutzer geschlossene Benutzergruppen erstellen, in welchen nur eingeladene Personen miteinander kommunizieren können. Diese Gruppenfunktion wird daher auch von Rechtsextremisten genutzt. Technische Abschottung der Szene Innerhalb der rechtsextremistischen Szene haben technische Anwendungen zur Verschlüsselung von Daten und Kommunikationsinhalten erheblich an Bedeutung 27 Kurzform für Applikation (engl.: application). Hiermit wird Anwendungssoftware für Mobilgeräte und mobile Betriebssysteme bezeichnet. 182 RechtsextRemismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 gewonnen. Während bei der Kommunikation über E-Mail Kryptografiesysteme wie PGP und GnuPG28 bereits seit längerem zum Einsatz kommen, verschlüsseln Rechtsextremisten inzwischen vermehrt Computerlaufwerke mit Programmen wie TrueCrypt. Auch auf mobilen Geräten werden zunehmend Textnachrichten und auch Gespräche mit frei erhältlicher Software verschlüsselt. Szeneintern finden Schulungen zur Absicherung technischer Geräte statt. Ferner sind auf einschlägigen Szeneseiten Anleitungen zur Verschlüsselung von Nachrichten und Laufwerken abrufbar. 28 Pretty Good Privacy (sinngemäß "Ziemlich gute Privatsphäre"), GNU Privacy Guard. RechtsextRemismus 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 184 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 4 Linksextremismus29 4.1 Parlamentsorientierter Linksextremismus 4.1.1 Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*' 'Antikapitalistische Linke*' (AKL), 'Sozialistische Linke*' (SL) mit dem trotzkistischen Netzwerk 'marx21', 'Kommunistische Plattform' (KPF), 'Linksjugend ['solid]' Der überwiegende Teil der Mitglieder der Partei 'DIE LINKE*' und wesentliche Teile der politischen Forderungen sind nicht als extremistisch anzusehen. Der Verfassungsschutz NRW beobachtet daher nicht die Partei 'DIE LINKE*' als Ganzes, sondern nur die linksextremistischen bzw. die im Verdacht einer linksextremistischen Bestrebung stehenden Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*'. Dies sind die 'Antikapitalistische Linke*' (AKL), die 'Sozialistische Linke*' (SL) mit dem trotzkistischen Netzwerk 'marx21', die 'Kommunistische Plattform' (KPF) und die 'Linksjugend ['solid]'. 'Antikapitalistische Linke*' (AKL) Die 'Antikapitalistische Linke*' (AKL) mit bundesweit 467 Mitgliedern30 wurde als innerparteiliche Strömung 2006 durch 30 Erstunterzeichner eines Aufrufes "Für eine antikapitalistische Linke" gegründet. Im damaligen Gründungsaufruf der AKL* hieß es, "grundlegende Veränderungen der Wirtschaftsordnung" seien "unter den gegebenen 29 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 30 Delegiertenschlüssel des 4. Parteitages; Beschluss des Parteivorstandes v. 13./14.04.2013. linksExtrEmismus 185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Kräfteverhältnissen schwer erreichbar".31 Diese Aussagen legen nahe, dass die angestrebten "grundlegenden Veränderungen der Wirtschaftsordnung" sowie die Etablierung anderer Kräfteverhältnisse umfassendere Auswirkungen auf die Verfasstheit des demokratischen Staates haben könnten. Bei der AKL* bleibt die Tragweite der Formulierung "Die AKL will Forderungen durchsetzen, die das kapitalistische System in Frage stellen, angreifen und letztlich überwinden."32 unklar. Ihr nach wie vor zwiespältiges Verhältnis zum demokratischen Verfassungsstaat, insbesondere im Hinblick auf den Parlamentarismus, wie auch ihr Abstellen auf klassenkämpferische Gegensätze stellen gewichtige Anhaltspunkte für deren extremistische Ausrichtung dar. Die AKL* wandelte sich im Berichtszeitraum von einer Strömung zu einem anerkannten Zusammenschluss in der Partei 'DIE LINKE*'. Sie verspricht sich davon, "ihren Einfluss sowohl nach innen in die Linkspartei hinein als auch nach außen in der Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen [zu] stärken".33 Vor dem Hintergrund dieser Stärkung der innerparteilichen Stellung der AKL* beschloss die Bundesmitgliederversammlung am 9. November 2013 in Hannover einen neuen Grundlagentext zum politischen Selbstverständnis mit dem Titel "Kapitalismus bedeutet Krieg, Umweltzerstörung und Armut - für eine antikapitalistische Linke"34, der den alten Gründungsaufruf der AKL* von 2006 ablöst. 31 Für eine antikapitalistische Linke, (Gründungsaufruf der AKL*), veröffentlicht im März 2006 auf www.antikapitalistische-linke.de; Abruf am 17.12.2013. 32 Aufruf zur Neugründung der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der LINKEN, www.antikapitalistische-linke.de/article/584.kapitalismus-bedeutet-krieg-umweltzerstoerung-und-armutfuer-eine-antikapitalistische-linke.html; Abruf am 17.12.2013. 33 "Neue AKL-Strukturen beschlossen" v. 17.01.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/ 460.akl.html; Abruf am 17.12.2013. 34 Siehe Fußnote 32. 186 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Auszug aus dem Internetauftritt zur Neuaufstellung der Strömung 'Antikapitalistische Linke' in der Partei 'DIE LINKE*' Die AKL* will weiterhin verhindern, dass die Partei auf ein explizit sozialistisches Ziel verzichtet und wendet sich gegen einen "regierungsorientierten Pragmatismus": "Die AKL hat seit Beginn der Parteigründungsdebatte [...] dazu beigetragen, dass dem regierungsund parlamentsfixierten 'Pragmatismus' in der LINKEN erfolgreich ein antikapitalistisches Programm mit sozialistischem Ziel entgegengestellt wurde, [...]".35 Verhältnis zum demokratisch-institutionellen System Das Verhältnis zum demokratischen Verfassungsstaat ist für die AKL* weiterhin ambivalent. Ein klares Bekenntnis dazu lässt sich in den offiziellen Verlautbarungen der AKL* nicht feststellen. Dass das Parlament als demokratisch legitimiertes Organ implizit eher instrumentell betrachtet wird, lässt sich an der Kritik der AKL* an der vermeintlichen "zunehmende[n] Verparlamentarisierung von Partei und Politik der LINKEN" und "eine[r] ausgeprägte[n] Kultur der Stellvertreterpolitik, verbunden mit Illusionen in die Macht der Parlamente" 36 feststellen. Dem gegenüber attestiert sich die AKL* ihre eigene Unverzichtbarkeit: "Um dem Druck der bürgerlichen Gesellschaft, die auf Mandatsträger_innen und hauptamtliche Funktionär_innen besonders stark wirkt, und der Korrumpierungsgefahr entgegenzuwirken, ist die AKL als politische Strömung und 35 Aufruf zur Neugründung der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der LINKEN www.antikapitalistische-linke.de/article/584.kapitalismus-bedeutet-krieg-umweltzerstoerung-und-armut-fuereine-antikapitalistische-linke.html; Abruf am 02.12.2013. 36 Es gibt nur eine Richtung: Nach links; www.antikapitalistische-linke.de/article/737.html; Abruf am 17.12.2013 linksExtrEmismus 187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Opposition gegen alle Anpassungstendenzen an Kapitalismus und Sachzwanglogik in der LINKEN weiterhin unerlässlich"37. So fragwürdig für die AKL* der demokratische Verfassungsstaat ist, umso eindeutiger sind die Rufe nach Überwindung der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik: "Wir erklären offen: Unsere Alternative heißt Sozialismus. Damit meinen wir eine Gesellschaft, in der nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln, Marktkonkurrenz, Profitgier und Krieg herrschen, sondern die Menschen und ihre täglichen Interessen und Bedürfnisse. In gleichberechtigter Kooperation aller Mitglieder der Gesellschaft muss die Wirtschaft demokratisch und entsprechend der Bedürfnisse der Menschen mit Respekt vor der Umwelt gestaltet werden. Voraussetzung dafür sind die Überführung der Banken und Konzerne in demokratisch verwaltetes Gemeineigentum und eine Demokratisierung und Wählbarkeit und Abwählbarkeit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verwaltungsstrukturen."38 Aus diesen Formulierungen lässt sich das Postulat planwirtschaftlicher Strukturen sowie eine Anlehnung an das Rätemodell kommunistischer Prägung als deterministischer Ausweg aus dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der vorhandenen Politikund Gesellschaftsordnung ableiten. Marxistisches Weltbild Dass die AKL* das politische System der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und dem Gedankengut orthodox-kommunistischer Positionen verhaftet ist, ergibt sich aus der positiven Bezugnahme führender Kommunisten, historisch aufgeladener Begriffe und entsprechender Szenarien: "Die AKL hat deshalb mehr als andere Strömungen in der LINKEN das Recht, sich auf die Kräfte der Novemberrevolution und ihre bekanntesten Köpfe, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu berufen.[...] Die AKL sieht ihre Aufgabe innerhalb der LINKEN deshalb auch zu einer gehörigen Portion darin, diesen Irrealos [Anm.: gemeint ist die Annäherung von Spitzen37 Siehe Fußnote 32. 38 Siehe Fußnote 32. 188 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 leuten der Partei an die SPD und die Grünen] ein Konzept der radikalen, oder wie es bei Marx, Lenin, Luxemburg, und Liebknecht hieß, der revolutionären Realpolitik entgegen zu stellen."39 Schlüssel zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umgestaltung ist bei der AKL* die Frage nach den Eigentumsverhältnissen, welche im Sinne von Karl Marx als konstituierend für die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse angesehen werden: "Die Ursache der aktuellen Finanzund Wirtschaftskrise liegt im kapitalistischen Produktionsverhältnis selbst begründet. Dieses basiert auf Ausbeutung, Privateigentum an Produktionsmitteln, Existenz von gesellschaftlichen Klassen, Konkurrenz, Zerstörung der Natur und Profitmaximierung. Heute erleben wir eine tiefe und weltweite Systemkrise des Kapitalismus, die alle zerstörerischen Seiten dieser Produktionsverhältnisse offenkundig macht."40 Aus dem marxistisch geprägten Geschichtsund Gesellschaftsbild leitet sie den Anspruch ab, Vertreterin der Interessen einer breiten Bevölkerungsmehrheit zu sein und die zentrale politische Auseinandersetzung außerhalb der parlamentarischen Strukturen zu führen: "Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der gesellschaftlichen Machtund Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann."41 Die Programmatik der AKL* weist auch Anzeichen für einen - kommunistischer Denklogik immanenten - allumfassenden Wahrheitsanspruch auf. Insbesondere ist dies dann der Fall, wenn sie Veränderungen in der Gesellschaft in ihrem Sinne nur über den radikal-revolutionären Weg als möglich ansieht: "Die AKL ist davon überzeugt, dass auch heute eine wirkliche und dauerhafte Veränderung der Gesellschaft in Richtung umfassender Demo39 Siehe Fußnote 36. 40 Siehe Fußnote 32. 41 Siehe Fußnote 32. linksExtrEmismus 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 kratie nur in solchen Kämpfen zur Selbstermächtigung der Millionen von Menschen entstehen wird und nur als tiefer Bruch mit den alten Zuständen stattfinden kann. [ ... ] Die Vorstellung eines großen Teils der Partei DIE LINKE und der Mehrheit der politischen Strömungen in ihr, dass solche Veränderungen in kleinen Schritten, mittels parlamentarischer Initiativen und Koalitionen mit anderen Parteien erfolgen, ist völlig wirklichkeitsfremd."42 'Sozialistische Linke*' (SL) Der im August 2006 ins Leben gerufene Zusammenschluss 'Sozialistische Linke*' (SL) mit bundesweit 823 Mitgliedern43 ist nach wie vor eine stark gewerkschaftlich orientierte Strömung innerhalb der Partei 'DIE LINKE*'. Die SL* versteht sich selbst als "Zentrum" zwischen den innerparteilichen Flügeln, das sowohl an links-sozialdemokratische wie auch reformkommunistische Traditionen auf der Grundlage marxistischer Gesellschaftsanalyse anknüpft ("Mit ihrer gewerkschaftlichen Verankerung und ihrem kritischen marxistischen Ansatz stärkt die SL die Kräfte in der LINKEN [...]"44). Verhältnis zum Wirtschafts-, Gesellschaftsund politischen System der Bundesrepublik Unklar bleibt in den programmatischen Aussagen der SL* weiterhin, inwieweit mit der Überwindung des "Kapitalismus" eine Wirtschafts-, Gesellschaftsund politische Ordnung angestrebt wird, die den vom Grundgesetz - trotz dessen grundsätzlicher Neutralität in der Frage der Wirtschaftsordnung - gesetzten Rahmen überschreitet: "DIE LINKE muss zum einen Sprachrohr für den Protest gegen die herrschenden Verhältnisse sein und das Bedürfnis nach einer grundlegend veränderten Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zum Ausdruck brin42 Es gibt nur eine Richtung: Nach links; www.antikapitalistische-linke.de/article/737.html; Abruf am 02.12.2013. 43 Delegiertenschlüssel des 4. Parteitages; Beschluss des Parteivorstandes v. 13./14.04.2013. 44 "Ein neuer Aufbruch für DIE LINKE - Partei der 99 Prozent", Resolution der Jahresmitgliederversammlung v. 10.12.2011, www.sozialistische-linke.de/images/dateien/mv11/261011_ein_ neuer_aufbruch_fuer_dielinke.pdf, S. 9; Abruf am 17.12.2013. 190 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 gen, die nicht mehr vom kapitalistischen Streben nach maximalem Profit beherrscht wird."45 Offen bleibt, ob auch demokratische Strukturprinzipien zur Disposition stehen. Die im Gründungsaufruf der SL* enthaltene Forderung nach einer politischen Linken, die "einen neuen Anlauf unternimmt, die Vorherrschaft des Kapitals zu überwinden"46 und "zugleich realistisch und radikal, an die Wurzel gehend"47 agiert, lässt offen, ob ein konkretes Wirtschaftssystem abgelehnt oder zugleich elementare Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates in Frage gestellt werden, also die Überwindung des Wirtschaftssystems mit der Überwindung des ihm zugrundeliegenden demokratischinstitutionellen Systems verbunden wird. Ein weiteres Beispiel in diesem Kontext ist die diffuse programmatische Aussage: "Nur wenn die arbeitende Klasse im weiten Sinne, die eine breite Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, in zunehmendem Maße diese Gemeinsamkeit ihrer Interessen erkennt und dies politisch wirksam wird, ist es möglich, eine andere Entwicklungsrichtung durchzusetzen und so auch Ausgangsbedingungen für weitergehende demokratisch-sozialistische Umgestaltungen zu schaffen."48 Zwischen legitimer Kapitalismuskritik und Propagierung des Klassenkampfes Dass die SL* sich typischer Begriffe, Argumentationsmuster und Denklogiken mit ausgeprägter Nähe zu marxistisch-kommunistischen Positionen bedient und das marxistischer Gesellschaftsanalyse typische Denken in Freund-Feind-Kategorien an den Tag legt, zeigen ebenso folgende Aussagen: "Es muss der LINKEN also immer auch darum gehen zu fördern, dass so etwas wie ein Klassenbewusstsein der Lohnabhängigen sich wieder 45 "Klasse ohne Mehrheit? - Das Debattenheft der Sozialistischen Linken"; Nr. 2 - Frühjahr 2013; S. 40. 46 Gründungsaufruf der 'Sozialistischen Linken*': www.sozialistische-linke.de/ueber-uns/gruendungserklärung; Abruf am 17.12.2013. 47 Siehe Fußnote 46. 48 "Klasse ohne Mehrheit? - Das Debattenheft der Sozialistischen Linken"; Nr. 2 - Frühjahr 2013; S. 40. linksExtrEmismus 191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 verstärkt herausbildet. Nur so, im Ergebnis von Klassenkämpfen und veränderten Kräfteverhältnissen werden die Konzepte, gesellschaftlichen Akteure und Mehrheiten für Alternativen zum Kapitalismus entwickelt."49 "Der Zusammenbruch der DDR und des realsozialistischen Staatensystems haben diesem kapitalistischen Vormarsch weiteren Spielraum gegeben und die Defensive der ArbeiterInnenbewegung und der Linken verstärkt."50 "Für die kapitalistischen Klassen war die neoliberale Konterrevolution sehr erfolgreich. Der Fall der Profitrate51 wurde aufgehalten und ein Stück weit umgekehrt."52 'marx21' Innerhalb der SL* agiert das trotzkistische Netzwerk 'marx21'. Dogmatisch beruft man sich u.a. auf sozialistische Klassiker wie Marx und Luxemburg und propagiert Freiheit durch Sozialismus: "Unser Leitfaden sind die Sätze von Karl Marx und Rosa Luxemburg: 'Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein' und 'Kein Sozialismus ohne Demokratie - keine Demokratie ohne Sozialismus53". Aussagen von 'marx21' muss sich die SL* zurechnen lassen: "Wir arbeiten in der politischen Strömung 'Sozialistische Linke' mit und stärken mit ihr die Orientierung auf die Interessen 49 Siehe Fußnote 48. 50 "Klasse ohne Mehrheit? - Das Debattenheft der Sozialistischen Linken"; Nr. 2 - Frühjahr 2013; S. 37. 51 In der Mehrwerttheorie nach Marx führt der zunehmende Einsatz von "konstantem Kapital" (Maschinen, Rohstoffe etc.) tendenziell zu einer Verringerung der Löhne und damit zur Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse. Dieser aus einer mathematischen Relation zwischen Mehrwert, Kapital und Lohn von Marx hergeleitete "Fall der Profitrate" führe sukzessive zu einem Stocken der Märkte, dem Verfall von Profiten und Preisen, neuen Preisanstiegen, Unternehmenskonzentrationen und letztlich zu einer Akkumulation des Elends der Arbeiterklasse. 52 Siehe Fußnote 50. 53 "Politische Leitsätze", http://marx21.de/content/view/194/93/; Abruf am 17.12.2013. 192 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften54". Eine Reformierbarkeit des Kapitalismus wird von 'marx21' generell bestritten, stattdessen wirkt man auf seine Überwindung hin: "Angesichts dieser verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus ist eine auf die Regulierung des Kapitals beschränkte staatliche Intervention keine ausreichende Antwort. Deshalb vertrauen wir nicht auf die 'Zähmbarkeit' des Kapitalismus, sondern wirken auf Politische Leitsätze des 'marx21'-Netzwerkes seine Überwindung hin55". Diese Überwindung könne allerdings nicht im vorgegebenen institutionellen Rahmen der Bundesrepublik stattfinden, sondern müsse durch eine starke außerparlamentarische Bewegung unter Führung der Partei 'DIE LINKE*' erfolgen: "Eine solche Gesellschaft lässt sich nicht bloß durch Parlamentsbeschlüsse herbeiführen, da die Kapitalistenklasse und der Staatsapparat weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle agieren."56 Und: "[...] wirkt das marx21 Netzwerk darauf hin, DIE LINKE zu einem Instrument für den Klassenkampf zu entwickeln. Wir wollen mithelfen, DIE LINKE auf kämpferischer Basis zu einer aktivistischen sozialistischen Massenpartei aufund umzubauen."57 Im Ergebnis lässt sich daher auch bei 'marx21' eine Nähe zu kommunistischen Positionen feststellen, die mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht in Einklang zu bringen sind. 54 Siehe Fußnote 53. 55 Siehe Fußnote 53. 56 "Strategie für eine klassenkämpferische und antikapitalistische LINKE: Das strategische Dreieck"; http://marx21.de/content/view/1981/93/; Abruf am 17.12.2013. 57 Siehe Fußnote 56. linksExtrEmismus 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Kommunistische Plattform' (KPF) Es geht der 'Kommunistischen Plattform' mit ihren bundesweit 1.210 Mitgliedern58 laut ihrer Gründungserklärung darum, "kommunistisches Gedankengut in die Programmatik und die praktische Politik der Partei ein[zu]bringen". Ihr Selbstverständnis formuliert die KPF wie folgt: "Die Kommunistische Plattform ist ein offen tätiger Zusammenschluß von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE. Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der Kommunistischen Plattform. Die Plattform tritt für den Sozialismus als Ziel gesellschaftlicher Veränderungen ein".59 Orthodox - kommunistisches Weltbild Ideologische Grundlage der KPF bilden die "Klassiker" des Sozialismus bzw. Kommunismus: "Die auf der Grundlage der Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung erarbeiteten Wesenszüge und objektiven Gesetze des Imperialismus" 60 sind nach Auffassung der KPF auch im 21. Jahrhundert noch gültig. Die von Marx, Engels, LeAuszug aus dem Internetauftritt der Partei 'DIE LINKE*' von nin erarbeiteten Theoriegebäude der 'Kommunistischen Plattform' werden damit für die KPF zur Grundlage allumfassender Erklärungsansätze ökonomischer und politischer Prozesse und verbindlich gemacht. 58 Delegiertenschlüssel des 4. Parteitages; Beschluss des Parteivorstandes v. 13./14.04.2013. 59 www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/; Abruf am 17.12.2013. 60 www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/ mitteilungenderkommunistischenplattform/detail/archiv/2007/juni/zurueck/archiv-2/artikel/ ausbeutung-und-krieg/; Abruf am 17.12.2013. 194 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Überwindung des demokratisch-institutionellen Systems Durch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Wirtschaftssystem und politischem System offenbart sich das ökonomistisch geprägte Staatsverständnis der KPF. So wird darauf bestanden, dass "DIE LINKE die Systemfrage stellen muss. Mit der ihm eigenen Brutalität produziert der Kapitalismus ohne nachhaltige Gegenwehr zwangsläufig tiefgreifende Menschheitsprobleme."61 Dies ist insofern von Bedeutung, weil die KPF mit der Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus implizit auch die Überwindung des institutionellen Rahmens, in dem sich der Kapitalismus bewegt, anstrebt: "Unser perspektivisches Ziel ist und bleibt der Systemwechsel hin zum demokratischen Sozialismus. Auf diesem Wege arbeiten wir in der LINKEN [...]."62 Verhältnis zur SED-Diktatur in der DDR Nach wie vor verteidigt die KPF die DDR als den "ersten großen Versuch im 20. Jahrhundert, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen"63, wenn auch im Berichtszeitraum diesbezügliche Äußerungen ambivalenter erscheinen mögen: "Bei allen Schwächen, die wir nicht wegwischen wollen, wird sich herausstellen, die DDR war der bisher beste Staat der deutschen Geschichte."64 61 "KPF-Mitteilungen" www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattformder-partei-die-linke/dokumente/2-tagung-der-16-bundeskonferenz/zur-wahlstrategie-derpartei-die-linke/; Abruf am 17.12.2013. 62 "KPF-Mitteilungen" www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattformder-partei-die-linke/dokumente/nicht-hinter-vorgehaltener-hand/; Abruf am 17.12.2013. 63 "Auf dem Weg zum Erfurter Parteitag, Neun Änderungsanträge zum Leitantrag zum Parteiprogramm, www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische-plattform-der-partei-die-linke/mitteilungen-der-kommunistischen-plattform/detail/archiv/2011/oktober/zurueck/ archiv-2/artikel/auf-dem-weg-zum-erfurter-parteitag/; Abruf am 17.12.2013. 64 "KPF-Mitteilungen" Nr. 6 aus 2013, S. 33, Printfassung. linksExtrEmismus 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Linksjugend ['solid]' Einen "grundsätzlichen Systemwechsel" will auch die 'Linksjugend ['solid]', die mit bundesweit ca. 4.650 aktiven Mitgliedern65 die Jugendorganisation der Partei 'DIE LINKE*' ist und sich selbst als einen "kämpferische[n] und sozialistische[n] Jugendverband" charakterisiert.66 Instrumentelles Verhältnis zum Parlamentarismus Die parlamentarische Demokratie wird eher als "untaugliches Vehikel" für den Systemwechsel gesehen. Das parlamentarische System wird nur "als Mittel zum Zweck" betrachtet. In ihrem auf dem 1. Bundesparteitag am 5. April 2008 beschlossenen Programm heißt es: "Als SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen kämpfen wir für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat. [...] Die berühmten zwei Gräben Internetauszug der 'Linksjugend ['solid]' Reform oder Revolution bilden für uns keinen Widerspruch. Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel. [...] Wir wollen die Bühne des Parlamentarismus für den Kampf um eine gerechtere Welt nutzen, aber uns nicht der Illusion hingeben, dass dort der zentrale Raum für reale Veränderungen sei."67 Überwindung des Kapitalismus und der bestehenden Gesellschaftsordnung Eine eindeutige Bejahung des demokratischen Verfassungsstaates lässt sich auch in den Verlautbarungen von 'Linksjugend ['solid]' nicht feststellen, dafür Aussagen nach 65 Siehe Fußnote 58. 66 www.linksjugend-solid-nrw.de/files/linksjugend/material/krise_0.png; Abruf am 17.12.2013. 67 Programm der 'Linksjugend ['solid]'. Beschlossen auf dem 1. Bundeskongress am 5. April 2008 in Leipzig, geändert auf dem Bundeskongress vom 20./22. März 2009, www.linksjugend-solid.de/verband/programm/, Abruf am 17.12.2013. 196 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Überwindung der Gesellschaftsordnung: "Nein zu Profitlogik und Kapitalismus, für sozialistische Demokratie."68 Eine Reformierbarkeit des Kapitalismus wird auch von der 'Linksjugend ['solid]' generell bestritten, stattdessen wirkt man auf seine Überwindung hin: "Die Überwindung des Kapitalismus hin zu einer kooperativen Wirtschaft, [...]."69 Nach den programmatischen Aussagen der 'Linksjugend ['solid]' geht mit der Überwindung des "Kapitalismus" die Forderung nach einer Wirtschafts-, Gesellschaftsund politischen Ordnung einher, die den vom Grundgesetz gesetzten Rahmen überschreiten dürfte: "Das Ziel kann also nur die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sein (nicht nur die Verstaatlichung), [...]."70 Aus diesen Formulierungen lässt sich ebenfalls das Postulat einer sozialistischen Planwirtschaft ableiten. 'Linksjugend ['solid]' als Schnittstelle zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften Die 'Linksjugend ['solid]' fungiert zudem weiterhin als Schnittstelle zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften. Diese Verbindungen reichen bis in die linksautonome Szene; so bekennt sich 'Linksjugend ['solid]' unverändert zur Zusammenarbeit mit dem im Verdacht linksextremistischer Bestrebungen stehenden Bündnisnetzwerk 'Interventionistische Linke*' (IL): "Die Linksjugend['solid] arbeitet mit vielen linksorientierten Organisationen zusammen sowohl lokal, landesund bundesweit als auch international. Darunter sind zum Beispiel [...] die IL [...]."71 68 www.linksjugend-solid-nrw.de/files/linksjugend/material/wohnen_0.png; Abruf am 17.12.2013. 69 "Kein Kommunismus ist auch keine Lösung" - Reader, S. 7, www.linksjugend-solid.de/wpcontent/uploads/2013/08/ kommunismus-reader.pdf; Abruf am 17.12.2013. 70 "Kein Kommunismus ist auch keine Lösung" - Reader, S. 6, www.linksjugend-solid.de/wpcontent/uploads/2013/08/ kommunismus-reader.pdf; Abruf am 17.12.2013. 71 www.linksjugend-solid-nrw.de/faq; Abruf am 17.12.2013, Anmerkung: Die 'Interventionistische Linke*' (IL) ist ein Netzwerk mehrerer deutscher, nach eigener Darstellung "linksradikaler und antikapitalistischer" Gruppen, von Einzelpersonen aus diversen Nichtregierungsorganisationen, von Zeitungsredaktionen sowie bundesweiten Kampagnen. Die IL* war mit ihrem "Schwarzen Block" bei der Großdemonstration am 02.06.2007 in Rostock, gegen den G8Gipfel in Heiligendamm 2007 hauptverantwortlich für Ausschreitungen und zahlreiche Verletzte auf Seiten der Polizei und der Demonstranten. linksExtrEmismus 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bewertung des Einflusses der Einschlüsse auf die Gesamtpartei Die Zusammenschlüsse AKL*, SL* (einschließlich 'marx21'), KPF und die 'Linksjugend ['solid]' vertreten in unterschiedlicher dogmatischer Schärfe weiterhin Positionen, die auf eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik abzielen, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind. Es soll nicht nur das "kapitalistische System" in der Bundesrepublik überwunden werden, vielmehr wird - in unterschiedlicher Graduierung - weiterhin eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung angestrebt. KPF und 'Linksjugend ['solid]' sind weiterhin als linksextremistische, AKL*, SL* (einschließlich 'marx21') als im Verdacht einer linksextremistischen Bestrebung stehende Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*' anzusehen. 4.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Bund NRW Gründung 1968 1968 Sitz Essen Bezirke Rheinland-Westfalen und Ruhr-Westfalen Mitglieder 2013 rd. 3.500 rd. 1.200 2012 rd. 3.500 rd. 1.200 Publikationen UZ - Unsere Zeit, Marxistische Blätter Internet Eigene Homepage Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit der DKP Die 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) ist neben der 'Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands' (MLPD) eine Kernorganisation des orthodox-kommunistischen Linksextremismus. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen 'Kommunistischen Partei Deutschlands' (KPD), bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum Marxismus-Leninismus und strebt die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. "Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus. Unter der Voraussetzung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und der gesamtgesellschaftlichen Planung der Produktion kann in einem längeren historischen Prozess eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens ent198 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 stehen, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist". (K. Marx/F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848). "Für dieses Ziel die Arbeiterklasse und die Mehrheit der anderen Werktätigen zu gewinnen - darum geht es der DKP." 72 Ziele: Klassenkampf, Revolution, Systemüberwindung Nach ihrer Vorstellung soll die Arbeiterklasse als maßgebende gesellschaftsverändernde Kraft durch einen klassenkämpferisch-revolutionären Akt die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, den Parlamentarismus und den politisch-gesellschaftlichen Pluralismus überwinden. Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen. Über die Zwischenstufe des Sozialismus wird eine klassenlose kommunistische Gesellschaft angestrebt, in der alle wesentlichen Antagonismen (Gegensätze), insbesondere der zwischen Kapital und Arbeit, aufgehoben sein sollen. Individualgrundrechte haben hier keinen Platz. Arbeitsund Aktionsschwerpunkte der DKP im Jahr 2013 20. Bundesparteitag in Mörfelden-Walldorf am 2./3. März 2013 Auf dem 20. Bundesparteitag hat eine unerwartet große Mehrheit der Delegierten die bisherige Führung der Partei abgewählt.73 Hintergrund dafür war der bereits seit einigen Jahren ungewohnt heftig ausgetragene Streit zwischen dem orthodox-kommunistischen und dem reformerischen Flügel der Partei. Der gegen die bisherige Vorsitzende Bettina Jürgensen, die dem reformerischen Flügel zuzurechnen ist, angetretene stellvertretende Vorsitzende Patrik Köbele erhielt 92 von 152 Delegiertenstimmen und löste Jürgensen nach nur einer Wahlperiode ab. Damit hat sich die orthodox-kommunistische Strömung in der Partei klar durchgesetzt. Der Richtungswechsel setzte sich auch bei den weiteren Wahlen zum Parteivorstand fort.74 72 Auszug aus dem Programm der DKP, beschlossen auf dem 17. Parteitag der DKP am 08.04.2006; www.dkp-online.de/programm/; Abruf am 16.12.2013. 73 www.dkp-online.de/uz/4510/s0102.htm; Abruf am 26.11.2013; www.kommunisten.de/index. php?option=com_ content&view=article&id=3947:dkp-waehlte-neue-fuehrung-der-20-parteitag-der-dkp-wird-im-herbst-fortgesetzt&catid= 109:20-parteitag-2013&Itemid=272; Abruf am 30.12.2013. 74 Siehe Fußnote 73. linksExtrEmismus 199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Auseinandersetzung um die Besetzung des Parteivorstands erforderte für die inhaltliche Beschlussarbeit einen dritten Tag am 25. Mai 2013 in Hannover. Im Mittelpunkt stand der noch vom früheren Parteivorstand eingebrachte Leitantrag "Antworten der DKP auf die Krise", der bereits im Vorfeld für kontroverse Diskussionen gesorgt hatte und nach intensiver Diskussion mit deutlicher Mehrheit verabschiedet wurde.75 In typisch kommunistischer Dialektik werden darin nach einer kapitalismuskritischen Krisenanalyse auf der Basis des von Marx, Engels und Lenin begründeten wissenschaftlichen Sozialismus der Klassenkampf und der notwendige Weg in Richtung Sozialismus/Kommunismus propagiert. Weiterhin werden die wichtigsten aktuellen Handlungsfelder der Partei (Soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung, Demokratie, Selbstbestimmung, Antifaschismus, ökologischer Umbau etc.) definiert. Im Ergebnis enthält der Leitantrag deutliche orthodox-kommunistische Akzente.76 Beschlossen wurde ferner, zur Bundestagswahl 2013 nicht anzutreten77, aber an der Europawahl 2014 mit einer eigenen Liste teilzunehmen.78 Internetauszug zum dritten Tag des DKP-Parteitages am 25. Mai 2013 75 http://news.dkp.de/2013/06/antworten-der-dkp-auf-die-krise-sind-eine-gute-leitlinie/; Abruf am 30.12.2013. http://news.dkp.de/2013/05/20-parteitag-der-dkp-beendet/; Abruf am 30.12.2013. 76 DKP-Informationen Nr. 5/2013 - 6. Juni 2013; www.dkp-online.de/pv/dkp-info/info0513.pdf; Abruf am 30.12.2013 77 www.kommunisten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3947:dkp-waehlteneue-fuehrung-der-20-parteitag-der-dkp-wird-im-herbst-fortgesetzt&catid=109:20-parteitag2013&Itemid=272; Abruf am 30.12.2013. 78 http://theoriepraxis.wordpress.com/2013/10/21/dkp-tritt-zur-eu-parlamentswahl-2014-an/; Abruf am 30.12.2013. 200 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Selbst die linksextremistische und der DKP ideologisch nicht sehr nahestehende 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) setzte sich mit den Personaldebatten der DKP auseinander, in dem sie darauf hinwies, dass der neue Vorsitzende Köbele im Jahr 2011 neben anderen auch Mao Tsetung und Stalin als "große Theoretiker", deren Beiträge zu den Grundlagen der DKP zählen würden, bezeichnet habe (UZ, 9. Dezember 2011, S. 14).79 Ansonsten wird der alte ideologische Grundsatzstreit zwischen beiden Parteien (die Entstalinisierung 1956 wird durch die MLPD als "Verrat am Sozialismus in der Sowjetunion und nachfolgend auch der DDR" gebrandmarkt) betont, aber im Hinblick auf die neue Parteiführung gleichwohl die Frage eines zukünftigen möglichen "gemeinsamen Kampfs" aufgeworfen.80 Gewerkschaftspolitische Konferenz und Kommunalpolitisches Seminar Im Nachgang zum Parteitag führte die DKP im Herbst eine "Gewerkschaftspolitische Konferenz" durch, um ihr Selbstverständnis und das Verhältnis zu den Gewerkschaften zu bestimmen.81 Die Konferenz wird wie folgt resümiert: "[...] Die Defizite in der Politik, in der Orientierung und Anleitung durch die Vorstände der Partei wurden offen benannt. Die Mehrheit der Rednerinnen und Redner mahnten die Einhaltung bewährter Grundsätze kommunistischer Gewerkschaftspolitik an und forderte die Umsetzung programmatischer und politischer Positionen der DKP durch alle Gliederungen ein. [...]."82 Ebenso wurde ein "Kommunalpolitisches Seminar" zur Festigung des einheitlichen ideologisch-politischen Auftretens der DKP durchgeführt. Hierzu stellt die DKP zusammenfassend fest: "[...] Auf der einen Seite ging es um die vertiefende Frage nach dem politischen, historischen und ideologischen Fundament der Kommunalpolitik. Bei der Suche nach den Antworten wurde bei Marx, Engels, Lenin und Luxemburg an die Tür geklopft. [...] Wie Kommunalpolitik heute konkret unter Klassengesichtspunkten gemacht wird, zeigte [...] mit packenden Beispielen. [...] deckte auf, wie die Kom79 www.mlpd.de/2013/kw11/dkp-parteitag-vertagt-sich-bis-herbst; Abruf am 19.03.2013. 80 Siehe Fußnote 79. 81 http://news.dkp.de/2013/09/gewerkschaftspolitische-konferenz-der-dkp/; Abruf am 30.12.2013. http://news.dkp.de/2013/08/ gewerkschaftspolitik-der-dkp/; Abruf am 30.12.2013. 82 http://dkp-europa.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4710:kom munisten-und-einheitsgewerkschaft&catid=104:meinungen&Itemid=249; Abruf am 30.12.2013. linksExtrEmismus 201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 munen derzeit für Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit (SOS) sorgen, wie innerhalb der Stadtverwaltung Entmündigung und Erniedrigung Einzug gehalten haben - etwa durch Streifendienst und Quartierkümmerer -, wobei die Vollstrecker prekär gehalten werden. [...]." 83 Bundestagswahl 2013 am 22. September 2013 Gemäß ihrem Parteitagsbeschluss hat die DKP - wie bereits 2009 - nicht mit eigenen Landeslisten an der Bundestagswahl teilgenommen. Einige Einzelkandidaturen gab es in Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin.84 Die DKP rief mit dem Slogan "Wählt den Weg des Widerstands" zur Unterstützung der Partei 'DIE LINKE*' mit der Zweitstimme auf, mit deren Wahlprogramm sie im Wesentlichen konform geht und die sie als Partner im Klassenkampf betrachtet.85 XXI. Bundeskongress der 'Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend*' (SDAJ) und deren Verhältnis zur DKP Die formell eigenständige 'Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend*' (SDAJ) ist de facto die Jugendorganisation der DKP und gilt traditionell als deren Kaderschmiede. Der innerparteiliche Streit der DKP hatte auf die SDAJ* abgefärbt86, es bestand sogar die Gefahr einer Abspaltung innerhalb der SDAJ*87. Zum XXI. Bundeskongress der SDAJ* in Eschborn (Hessen) im Oktober 2013 versicherten sich Partei und Jugendorganisation ihrer gegenseitigen Unterstützung. Der neue Parteivorsitzende Köbele, der von 1989 bis 1994 Vorsitzender der SDAJ* war, skizzierte das Verhältnis von SDAJ* und DKP in seinem Grußwort als "[...] ein Kampfbündnis von zwei Organisationen auf dem Boden einer gemeinsamen Weltanschauung, der Ideen von Marx und Engels 83 http://news.dkp.de/2013/10/kommunalpolitisches-seminar-der-dkp/; Abruf am 30.12.2013. 84 Ergebnisse der 6 Einzelkandidaturen: Baden-Württemberg (1 x 0,1%), Brandenburg (3 x 0,2%;1 x 0,3%) und Berlin (1 x 0,1%). 85 http://news.dkp.de/2013/08/waehlt-den-weg-des-widerstands/ und UZ-Extra zu den Bundestagswahlen; Abruf am 30.12.2013. 86 www.redglobe.de/deutschland/opposition/dkp-parteitag-2013/6597-dkp-parteitag-diskussionum-die-sdaj; Abruf am 30.12.2013. 87 DKP-Informationen Nr. 4/2013 - 15. Mai 2013, S. 5; siehe www.dkp-online.de/pv/dkp-info/ info0413.pdf; Abruf am 30.12.2013; www.arbeitermacht.de/rm/rm43/dkp.htm; Abruf am 30.12.2013. 202 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 und Lenin. [...]".88 Der SDAJ*-Vorsitzende Paul Rodermund führte in seiner Antrittsrede aus: "[...] In all diesen Kämpfen den ideologischen, ökonomischen und politischen Klassenkämpfen sind wir nicht allein. Mit der DKP haben wir eine starke Partnerin an der Seite, die die zentrale Unterstützung unseres Verbandes auf ihrem 20. Parteitag noch einmal eindrücklich bekräftigt hat. [...]."89 Internetauszug zum Thema 21. Bundeskongress der SDAJ 88 http://news.dkp.de/2013/10/sdaj-und-dkp-tun-den-monopolen-weh/; Abruf am 30.12.2013. 89 www.sdaj-netz.de/blog/2013/10/referat-des-neuen-bundesvorsitzenden/; Abruf am 30.12.2013. linksExtrEmismus 203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Pressefest der 'UZ - unsere Zeit' Wochenzeitung der DKP Trotz der Jubiläen "45 Jahre DKP"90 und "50 Jahre Marxistische Blätter"91 im Jahr 2013 wurde der turnusmäßige Termin des Pressefestes nicht eingehalten. 2011 überlagerte die innerparteiliche Zerrissenheit der DKP das Pressefest. Sowohl die große politische und symbolische Bedeutung des Festes für die DKP, als auch die Außenwirkung vor allem im linksorientierten Spektrum, stehen allerdings in der Partei außer Frage. So konnte der Parteivorstand am 18. November 2013 nach einem Aufruf zur Vorfinanzierung des Festes nach Spendeneingängen von rd. 45.000 Euro die Durchführung des Pressefestes am 27. Juni 2014 in Dortmund bekannt geben.92 Internetauszug mit der Chronik zum 45-jähigen Jubiläum der DKP Fazit und Ausblick Mit dem Wechsel an der Spitze der Partei sollte offenbar ein Signal gesetzt werden, sich wieder stärker an den klassisch-orthodoxen Lehren von Marx, Engels und Lenin zu orientieren. Einheit der Partei, Kaderbewusstsein und zentrale Steuerung dürften in Zukunft daher wieder einen höheren Stellenwert gewinnen. Der Führungsstil der neuen Parteiführung war bereits kurz nach dem Parteitag im Sinne einer Kaderpartei auf allen Organisationsstufen erkennbar zentralistischer. Der 90 http://news.dkp.de/2013/09/heute-vor-45-jahren-neukonstituierung-der-dkp-eine-chronik/; Abruf am 30.12.2013. www.kommunisten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4622:herzlichenglueckwunsch-45-jahre-dkp&catid=42:inland&Itemid=90; Abruf am 30.12.2013. 91 http://news.dkp.de/2013/11/50-jahre-marxistische-blaetter/; Abruf am 30.12.2013. www.neue-impulse-verlag.de/marxistischeblaetter.html; Abruf am 30.12.2013. 92 http://news.dkp.de/2013/11/startschuss-zum-uz-pressefest-2014/; Abruf am 30.12.2013. 204 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Parteivorstand unterstreicht die neue Richtung auch durch das von ihm autorisierte neue Nachrichtenportal 'news.dkp.de'.93 Das Portal 'www.kommunisten.de' wird durch den reformerischen Flügel fortgeführt. Die geringe Organisationsdichte und Mitgliederzahl, mangelnder Zulauf sowie die Überalterung der Parteimitglieder waren sicherlich Gründe, um auf die Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 zu verzichten. Die Sammlung von 4.000 Unterstützerunterschriften für die Teilnahme an der Europawahl 2014 mit einer eigenen Liste erscheint der Partei offenbar machbar. Ihren Schwerpunkt wird die DKP jedoch auf die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 25. Mai 2014 legen, schon um ihre wenigen Mandate in den Stadträten94 zu verteidigen und um ein Mindestmaß an politischer Einflussnahme vor Ort zu behalten. Schon aufgrund ihrer wahlpolitischen Bedeutungslosigkeit will sich die DKP als antikapitalistische, antimilitaristische und antiimperialistische Alternative mit systemkritischen Anspruch vor allem außerhalb von Parlamenten profilieren. Der "außerparlamentarische Kampf" in der gewerkschaftlichen und bündnisbasierten Opposition hat daher hohen Stellenwert, um die Partei öffentlichkeitswirksam zur Geltung zu bringen und linksorientierte Kräfte zu bündeln. Klassische Themen wie Kapitalismuskritik, Antifaschismus und soziale Gerechtigkeit, "moderne" Forderungen wie ökologischer Umbau, mehr Demokratie und Selbstbestimmung werden dabei mit kommunistischer Ideologie verknüpft. Abzuwarten bleibt, ob es der neuen Parteiführung gelingen wird, den in der Partei nach wie vor vorhandenen Graben zwischen revolutionär-kommunistischer Orthodoxie einerseits und Reformorientierung im politischen System der Bundesrepublik andererseits zu überwinden, durch eine Kampagne die Mitgliederzahl zu erhöhen95 und insbesondere neue - und jüngere - Mitglieder für die Parteiarbeit zu gewinnen. 93 www.redglobe.de/deutschland/medien/6093-dkp-startet-onlineportal?tmpl=com; Abruf am 13.05.2013. 94 Im NRW ist die DKP derzeit im Stadtrat von Bottrop, ansonsten durch Einzelpersonen in Wählerbündnissen in Gladbeck und Bochum vertreten. 95 http://news.dkp.de/2013/10/sdaj-und-dkp-tun-den-monopolen-weh/; Abruf am 30.12.2013. linksExtrEmismus 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 4.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Vorsitzender Stefan Engel Nebenorganisationen 'Rebell*' und 'Rotfüchse*' (Jugendbzw. Kinderorganisation der MLPD) Vorfeldorganisationen Zahlreiche Gruppierungen mit nomineller Eigenständigkeit dienen der Partei als struktureller Unterbau, darunter der 'Frauenverband Courage e.V.*' oder kommunale Wahlbündnisse wie 'AUF*' u.a. Mitglieder Bund NRW 2013 ca. 1.900 ca. 650 2012 ca. 1.900 ca. 650 Publikationen 'Rote Fahne' (RF), wöchentliche Auflage ca. 7.500 Internet Die Partei verfügt über eine umfangreiche Internetpräsenz; 'Rote Fahne News' als Online-Nachrichtenmagazin Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit Die 1982 aus dem 'Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands' (KABD) hervorgegangene MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-tung und verbindet nach eigener Aussage "den Kampf um die Forderungen der Arbeiterund Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution". Die Zielsetzung der MLPD ist durch eindeutig verfassungsfeindliche Aussagen geprägt. Ziel: Revolution, Diktatur des Proletariats, Kommunismus Bereits die Präambel in den Parteistatuten verdeutlicht dies: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des 206 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft."96 Die angestrebte Gesellschaftsordnung soll durch eine Revolution erreicht werden, in deren Verlauf sich die "Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei [Anm.: gemeint ist die MLPD] zum bewaffneten Aufstand erheben, [...] den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen, [...] die Diktatur des Proletariats errichten und [...] gegen die Konterrevolution verteidigen" müsse.97 In einem "15 Punkte Programm" der Partei wird ausgeführt: Es "muss die Herrschaft der internationalen Monopole gestürzt und der Sozialismus aufgebaut werden. Nicht nur in Deutschland: Den vereinigten sozialistischen Staaten der Welt gehört die Zukunft".98 Im Parteiprogramm der MLPD wird dies konkretisiert: "Der Sozialismus stellt eine Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Kommunismus dar." Erforderlich sei ein "systematischer ideologischpolitischer Kampf um das sozialistische Bewusstsein zur Überwindung der bürgerlichen Ideologie".99 Das gesamte Aktionspotenzial der MLPD fußt auf dem geschlossenen marxistisch-leninistischen Weltbild einer klassischen kommunistischen Kaderpartei. Dies zeigt sich auch in der dogmatisch unantastbaren Stellung des seit der Parteigründung amtierenden Vorsitzenden. Neben Nordrhein-Westfalen verfügt die Partei in sechs weiteren Bundesländern über einen Landesverband. Das Hauptaugenmerk ihrer politischen Arbeit legt die Partei neben der Frauenund Jugendpolitik, die sie mit vermeintlich eigenständigen organisatorischen Gruppen umzusetzen versucht, vorwiegend auf die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit sowie die Beteiligung an sozialen Protesten. Da sich die MLPD in einer fortdauernden Verfolgungssituation durch den Staat und seine Organe wähnt, agiert sie auf kommunaler 96 www.mlpd.de/partei/grundsatze/praambel; Abruf am 20.12.2013. 97 www.mlpd.de/partei/parteiprogramm; Abruf am 20.12.2013. 98 www.mlpd.de/search?SearchableText=15+Punkte+Programm; Abruf am 20.12.2013. 99 www.mlpd.de/partei/parteiprogramm; Abruf am 20.12.2013. linksExtrEmismus 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ebene verdeckt. Hier unterstützt die Partei angeblich unabhängige Personenwahlbündnisse mit der Bezeichnung 'AUF*' (für: "alternativ, unabhängig, fortschrittlich"), die jedoch personell mit der MLPD verflochten sind. Arbeitsund Aktionsschwerpunkte der MLPD im Jahr 2013: Bundestagswahl am 22. September 2013 Die MLPD beteiligte sich bundesweit mit 41 Direktkandidatinnen und Direktkandidaten an der Bundestagswahl 2013.100 Sie erhielt 12.904 Erstimmen (2009: 17.512) und 24.219 Zweitstimmen (2009: 29.261), in Nordrhein-Westfalen 4.599 Erstimmen (2009: 6.636) und 4.600 Zweitstimmen (2009: 4.268).101 Mit dem Leitspruch "radikal links, revolutionär - für den echten Sozialismus" wollte sich die MLPD zum einen von der Partei 'DIE LINKE*' abgrenzen und zum anderen auf sich als revolutionäre sozialistische Alternative aufmerksam machen.102 Ihr Potential als "Partei der Massen" sieht sie durch einen medialen Boykott eingeschränkt und sich zudem als Opfer des "moWahlplakat der MLPD dernen Antikommunismus."103 So erkläre sich u.a. die Differenz durch den Wegfall von Spontanwählern und die damit verbundenen Erwartungen zwischen den gesammelten rd. 43.000 Unterstützerunterschriften zur Wahlzulassung und dem erzielten Ergebnis.104 100 www.rf-news.de/2013/kw31/mlpd-in-allen-16-bundeslaendern-zur-bundestagswahl-zugelassen/; Abruf am 29.07.2013. 101 www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_13/ergebnisse/bundesergebnisse/; Abruf am 27.12.2013. 102 www.rf-news.de/2013/kw39/pyrrhussieg-fuer-kanzlerin-merkel; Abruf am 24.09.2013. 103 Siehe Fußnote 102. 104 Siehe Fußnote 102. 208 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bereits die Sammlung der Unterstützerunterschriften sieht sie als "bürokratische Wahlbehinderung."105 Die Partei sieht ihren Wahlkampf trotz der Stimmenverluste wegen ihrer vielfältigen Aktivitäten (Unterstützung der Direktkandidatinnen und Direktkandidaten, Demonstrationen, Plakatierungsund Verteilaktionen, Infostände, Kontakte mit der Öffentlichkeit) als erfolgreich an.106 Besonders betont sie dies für Gelsenkirchen, dem Sitz der Partei. Den dortigen "Erfolg" schreibt sie ihrer "systematischen Kleinarbeit" zu.107 Hervorzuheben ist die Auftaktveranstaltung in Kassel (Hessen) am 17. August 2013, an der nach Parteiangaben 2.000 Personen teilgenommen haben sollen.108 Im Wahlkampf hat die MLPD - nach eigener Darstellung - mit mehreren Migrantenorganisationen zusammengearbeitet.109 Der Bundestagswahlkampf war gekoppelt an die Kampagne "Offensive für den echten Sozialismus - gegen den modernen Antikommunismus."110 Der MLPD-Vorsitzende Engel kritisierte in seiner Rede im Rahmen der Abschlusskundgebung der sogenannten "Liebknecht-Luxemburg-Demonstration" in Berlin am 13. Januar 2013 in diesem Kontext das politisch linke Spektrum, das sich vom Maoismus und Stalinismus distanziert. Er verstieg sich sogar zu der Aussage: "[...] Denn der Kommunismus ist die Ideologie der Freiheit!"111 105 Siehe Fußnote 100. www.rf-news.de/2012/kw51/neues-interview-mit-dem-vorsitzenden-dermlpd-stefan-engel; Abruf am 14.01.2013. www.mlpd.de/2012/kw39/unterstuetzt-die-wahlzulassung-der-mlpd-offene-liste/image/image_view_ fullscreen; Abruf am 19.03.2013. 106 Siehe Fußnote 102. 107 Siehe Fußnote 102. 108 www.rf-news.de/2013/kw34/turbulenter-wahlkampfauftakt-der-mlpd-offensive-fuer-denechten-sozialismus-201elive 201c-in-kassel/; Abruf am 09.12.2013. www.mlpd-essen.de/ waehlerinitiative-horst-dotten/drum-mlpd-waehlen; Abruf am 09.12.2013. 109 Siehe Fußnote 102.; www.rf-news.de/2009/ kw40/berlin-begeisterndes-internationales-kulturfest; Abruf am 27.12.2013. 110 Siehe Fußnote 102. 111 www.mlpd.de/2013/kw03/201ewir-sagen-dem-modernen-antikommunismus-den-kampfan201c; Abruf am 18.01.2013. linksExtrEmismus 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 16. Internationales Pfingstjugendtreffen des Jugendverbandes 'Rebell*' Am 18./19. Mai 2013 fand in Gelsenkirchen das traditionell alle zwei Jahre von dem Jugendverband 'Rebell*' der MLPD und seiner Kinderorganisation 'Rotfüchse*' ausgerichtete Pfingstjugendtreffen statt. Obwohl die MLPD von 4.000 am ersten Tag112 und 9.000 Besucher am zweiten Tag berichtete113 ,war die Besucherzahl im Gegensatz zu 2011 geringer. Wie vor zwei Jahren waren auch in diesem Jahr Infostände parteinaher Organisationen aufgebaut. Internetauszug 'Rote Fahne-News' zum Pfingstjugendtreffen 2013 in Gelsenkirchen Internationales Engagement Der 2010 gegründete 'Internationale Zusammenschluss revolutionärer Parteien und Organisationen' (ICOR) umfasst weltweit 45 Parteien und Organisationen aus 32 112 www.rf-news.de/2013/kw20/bereits-ueber-4.000-teilnehmer-beim-internationalen-pfingstjugendtreffen-in-gelsenkirchen-meine-erwartungen-werden-gerade-voll-erfuellt; Abruf am 28.05.2013. 113 www.lokalkompass.de/bochum/politik/ueber-9000-besucher-beim-internationalen-pfingstjugendtreffen-in-gelsenkirchen-d298206.html; Abruf am 27.12.2013. 210 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ländern.114 Das Ziel der ICOR ist, durch ein politisches Netzwerk die internationale proletarische Revolution voran zu bringen und auf revolutionärem Weg national wie international das aus kommunistischer Sicht imperialistische, ausbeutende und unterdrückende (Welt-)Herrschaftssystem umzustürzen. Hauptkoordinator der ICOR ist der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel. Mit ihrem Engagement in der ICOR will die MLPD ihre internationale Ausrichtung gemäß dem "Kommunistischen Manifest" unterstreichen. Im Rahmen ihres internationalen Engagements mit politisch bzw. weltanschaulich nahestehenden Organisationen115 koordinierte und unterstützte die MLPD bereits im Jahr 2011 maßgeblich den Aufbau der internationalen Frauenbewegung zur "1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen" in Venezuela116 und den "Internationalen Automobilarbeiterratschlag" in München in 2012117. Eine "1. Internationale Bergarbeiterkonferenz", hat - nach eigener Darstellung - mit fast 500 Vertretern aus 25 Nationen Anfang März 2013 in Peru stattgefunden.118 Auch hier war der MLPD-Vorsitzende Engel "internationaler Hauptkoordinator" für die Vorbereitung der Konferenz. Laut Engel sei "[...] Hauptziel der Konferenz [...] die schrittweise Vereinigung der internationalen kämpferischen und klassenkämpferischen Bergarbeiterbewegung. [...]".119 114 www.rf-news.de/2013/kw34/201emit-der-offensive-die-revolutionaeren-potentialeerweitern201c; Abruf am 14.08.2013. 115 www.minersnet.org/index.php?view=article&catid=80%3Ainfo&id=1; Abruf am 10.12.2013, z.B. wo bei den Teilnehmern der Bergarbeiterkonferenz der Bezug zum Klassenkampf und zum "echten Sozialismus" hergestellt wird. 116 www.rf-news.de/2011/kw38/23.09.11-veranstaltung-zur-weltfrauenkonferenz; Abruf am 27.12.2013. 117 www.rf-news.de/2012/kw21/veranstaltungen-mit-internationalen-gaesten-des-iaar/; Abruf am 27.12.2013. 118 www.rf-news.de/2013/kw10/erste-weltkonferenz-der-bergarbeiter-ging-erfolgreich-zu-ende/; Abruf am 27.12.2013. 119 www.rf-news.de/2013/kw08/internationale-bergarbeiterkonferenz-stoesst-in-peru-auf-grossesmedienecho/; Abruf am 27.12.2013. linksExtrEmismus 211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Der für den 6./7. Oktober 2013 geplante "3. Internationale Umweltratschlag" musste aus organisatorischen Gründen in das Jahr 2014 verschoben werden.120 Ziel ist die Gründung einer internationalen Umweltgewerkschaft.121 Entzug der Gemeinnützigkeit für den 'Frauenverband Courage e.V.*' Dem 'Frauenverband Courage e.V.*' wurde im Dezember 2012 durch das Finanzamt Wuppertal-Elberfeld wegen der Erwähnung des Vereins im Verfassungsschutzbericht 2010 des Landes NRW der steuerrechtliche Status der Gemeinnützigkeit aberkannt. Der wesentliche Rechtsgrund dafür war, dass es bei dem Verband Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung gibt. Gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit wurden Rechtsmittel eingelegt. Dagegen initiierte 'Courage e.V.*' im Berichtsjahr eine massive Protestkampagne durch Solidaritätsaufrufe122, Unterschriftensammlungen123, einen Offenen Brief an die Landesregierung124 sowie Protestaktionen vor dem Finanzamt Wuppertal-Elberfeld125. 120 http://umweltratschlag.de/index.php/de/dokumentation/nachrichten/meldungen-von-derkoordinierungsgruppe/306-infobrief-8-verschiebung-des-3-umweltratschlages; Abruf am 10.12.2013. www.rf-news.de/2013/kw26/3.-internationaler-umweltratschlag-gewinnt-kontur/; Abruf am 25.06.2013. 121 www.mlpd.de/2013/kw46/taifun-201ehaiyan201c-2013-fukushima-2013-fracking-2013-giftmuell-untertage-aufbau-einer-internationalen-widerstandsfront-zur-rettung-der-umwelt-2013jetzt/image/image_view_fullscree; Abruf am 05.12.2013. 122 Beispiele: www.rf-news.de/2013/kw48/25.-november-frauen-erheben-sich-gegen-gewalt-anfrauen; Abruf am 26.11.2013. http://fvcourage.de/index.php?option=com_content&view=articl e&id=434:medienecho-und-solidaritaetsbekundungen-zur-aberkennung-der-gemeinnuetzigke it&catid=40:aktuelles&Itemid=27; Abruf am 27.12.2013. 123 www.fvcourage.de/index.php?option=com_content&view=article&id=407:qverfassungsschutzdarf-nicht-ueber-gemeinnuetzigkeit-einscheidenq&catid=40:aktuelles&Itemid=27; Abruf am 27.12.2013. 124 http://fvcourage.de/index.php?limitstart=5; Abruf am 27.12.2013. 125 http://fvcourage.de/index.php?option=com_content&view=category&id=36&layout=blog&Item id=41; Abruf am 27.12.2013. 212 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Kampagne wurde durch die MLPD und ihr nahestehende Organisationen massiv unterstützt und begleitet.126 Der 'Frauenverband Courage e.V.*' ist seit jeher eine Vorfeldorganisation der MLPD. Bereits die Gründung des Verbandes im Jahr 1991 wurde von der MLPD wesentlich initiiert. Seitdem nimmt die Partei gezielt ideologisch, personell und organisatorisch Einfluss auf 'Courage e.V.*', um Frauen für ihre politischen Ziele und ihre Ideologie im Sinne eines Sozialismus/Kommunismus nach den Vorstellungen der Partei zu gewinnen. 'Courage e.V.*'Ortsgruppen in Deutschland arbeiten seit Jahren eng mit der Internetauszug des 'Frauenverbandes Courage e.V.' MLPD und ihr nahestehenden Organisationen sowie mit dem durch die MLPD beeinflussten Wahlbündnis 'AUF*' zusammen127 (gemeinsame Veranstaltungen, Demonstrationen, Kundgebungen, Pfingstjugendtreffen etc.). Bekräftigt wurde die historische Verbindung zwischen der MLPD und 'Courage e.V.*' zuletzt im Rahmen der offiziellen Festakts zum 30jährigen Bestehen der MLPD am 3. November 2012 in Dortmund. Dort führte die stellvertretende Parteivorsitzende Monika GärtnerEngel zur Frauenarbeit der MLPD und zum geschichtlichen Ursprung des 'Frauenverbandes Courage e.V.*' aus: 126 Beispiele: www.mlpd.de/2013/kw39/gemeinnuetzigkeit-des-frauenverbands-courage-2013-kein-thema-fuer-hannelore-kraft; Abruf am 27.12.2013. www.mlpd.de/2013/kw49/neue-attackegegen-gemeinnuetzigkeit-von-courage; Abruf am 27.12.2013. www.essen-steht-auf.de/html/ aktuelles.html; Abruf am 27.12.2013. 127 Beispiel: www.rf-news.de/2013/kw48/25.-november-frauen-erheben-sich-gegen-gewalt-anfrauen; Abruf am 26.11.2013. linksExtrEmismus 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "[...] Dem trägt die MLPD mit einer nunmehr über 20-jährigen systematischen marxistisch-leninistischen Frauenarbeit Rechnung. [...] Ende der 1980er Jahre hatten wir vor, eine marxistisch-leninistische Frauenorganisation aufzubauen. [...] Die revolutionären Frauen gehören in die Partei. [...] Die grundsätzlichen Diskussionen, die er (Anm.: gemeint ist Willi Dickhut, Mitbegründer der MLPD) dadurch in der MLPD auslöste, wurden zum Fundament der Frauenarbeit der MLPD. Die MLPD förderte seitdem den Aufbau des überparteilichen Frauenverbands Courage." 128 Auch der 'Frauenverband Courage e.V.*' stellte sich - gemeinsam mit kommunistischen bzw. derart beeinflussten Organisationen - im Rahmen des Festaktes vor.129 In den Parteiorganen der MLPD (Homepage www.mlpd.de, 'rf-news', 'Rote Fahne') wird seit Jahren sowohl über grundsätzliche frauenpolitische Positionen der Partei als auch über gemeinsame Veranstaltungen mit 'Courage e.V.*' und anderes mehr berichtet. Die enge Verbindung zwischen der MLPD und 'Courage e.V.*' zeigt sich z. B. auch daran, dass die Partei auf ihrer Homepage aus Schriftverkehr zwischen dem Frauenverband und dem Finanzamt zitiert: "Am 14. November 2013 verschärfte das Finanzamt die Auseinandersetzung. Es lehnte den Einspruch von Courage vom 3. Januar 2013 gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ab. Die Begründung:'"[...] das Bestehen einer personellen und ideologischen Verflechtung (mit der MLPD) wird nicht widerlegt'. Nicht genug, dass damit die Beweislast umgekehrt und der Frauenverband gezwungen werden soll, die manipulierten Unterstellungen des NRW-Geheimdienstes zu widerlegen, Courage sei eine 'Vorfeldorganisation der MLPD' [...]."130 Rechtsvertreter des Frauenverbands ist Peter Weispfennig; Mitglied des Zentralkomitees der MLPD, des zentralen Führungsgremiums der Partei. 131 128 www.mlpd.de/2012/kw49/stefan-engel-zum-stuttgarter-parteitag; Abruf am 20.12.2012. 129 www.rf-news.de/2012/kw44/mlpd-unser-geburtstagsfest-zum-hat-begonnen; Abruf am 05.11.2012. 130 www.mlpd.de/2013/kw49/neue-attacke-gegen-gemeinnuetzigkeit-von-courage; Abruf am 27.12.2013. 131 http://www1.wdr.de/themen/politik/courage100.html; Abruf am 27.12.2013. www.mlpd.de/partei/reprasentanten-der-mlpd/peter-weispfenning-mitglied-im-zk; Abruf am 27.12.2013. 214 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Umweltpolitisches Engagement Die MLPD hat Umweltpolitik auf ihrem IX. Parteitag in 2012 zu ihrer "zweitwichtigsten Kampflinie für die Vorbereitung der internationalen Revolution" gemacht.132 Daher unterstützt sie den Aufbau einer überparteilichen und kämpferischen Umweltgewerkschaft in Deutschland, deren Gründung "und [...] Gewinnung von mindestens 5.000 Initiatoren bis Herbst 2014" geplant ist.133 Ihr als überparteilich deklariertes Engagement im Umweltschutz dürfte vor allem auch der Gewinnung neuer, insbesondere junger Mitglieder dienen. In diesem Kontext sind die Jugendarbeit und das turnusmäßige Pfingstjugendtreffen für die Partei von großer Bedeutung. Für den kontinuierlichen Parteiaufbau haben die internationale Ausrichtung, Frauenund Nachwuchsarbeit sowie Umweltschutzpolitik in vermeintlich überparteilichen und unabhängigen Selbstorganisationen und Bündnissen nicht nur im Wahljahr für die MLPD hohe Priorität. Im Übrigen engagiert sich die Partei in arbeitspolitischen oder -rechtlichen Einzelfällen in "Solidaritätskreisen", die Mitglieder zudem traditionell auch in Betriebsräten bzw. Gewerkschaften. Fazit und Ausblick Die Vorbereitung und das Ergebnis der Bundestagwahl 2013 zeigen, dass die MLPD zwar Stimmenanteile deutlich über ihrer Mitgliederzahl erzielen kann. Jedoch wird sie - wie bei vorherigen Wahlen auch - überregional im politischen Spektrum kaum wahrgenommen. Mit ihrer eindeutig revolutionär-kommunistischen Positionierung im Wahlkampf und dem Verlust von bundesweit jeweils rund 5.000 Erstund Zweitstimmen hat die Partei - selbst bei Betrachtung nur des linken Wählerspektrums - eine klare Standortbestimmung erfahren. Insgesamt ist und bleibt die MLPD wahlpolitisch weiterhin bedeutungslos. Gleichzeitig manifestiert sie durch die Teilnahme an den Wahlen ihren Parteienstatus in dem von ihr abgelehnten politischen System. Ihre Aktionsschwerpunkte sieht sie, einer kommunistischen Kaderpartei entsprechend, außerhalb von Parlamenten. Geradezu verfolgt und eingeschränkt sieht sich die MLPD durch einen von ihr diagnostizierten "modernen Antikommunismus", den sie explizit auf sich bezieht. 132 Siehe Fußnote 114. 133 Siehe Fußnote 114. linksExtrEmismus 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die MLPD tritt zur Europawahl am 25. Mai 2014 an mit dem Motto "Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt!". Spitzenkandidaten sind Peter Weispfenning (Internationalismus-Verantwortlicher und ZK-Mitglied der MLPD) und Lisa Gärtner (Vorsitzende des Jugendverbands 'Rebell*'). Die MLPD betont, als Mitglied der revolutionären Weltorganisation ICOR zu kandidieren.134 Der Wahlantritt der MLPD dürfte auch im Kontext des vom Parteivorsitzenden seit Jahren ausgemachten "Richtungstrend nach links"135 zu sehen sein, in dem die Partei im Zusammenschluss mit den Parteien und Organisationen der ICOR Europa eine klare sozialistische Alternative anbieten will. Wichtiger dürften für die MLPD allerdings die ebenfalls am 25. Mai 2014 stattfindenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen sein. Maßgeblich von ihr beeinflusste Wahlbündnisse (zumeist 'AUF*' oder mit anderem Namen) sind in den Räten der Städte Gelsenkirchen, Essen, Mülheim, Solingen, Bergkamen, Neukirchen-Vluyn und Witten vertreten. Hier gilt es für die Partei, ihren aktuellen Status zu verteidigen bzw. auszubauen. 4.2 Aktionsorientierter Linksextremismus Anhaltspunkte für den Verdacht linksextremistischer Bestrebungen und ideologische Orientierung Die linksautonome Szene ist eine heterogene, alternative Misch-Szene, deren gemeinsame ideologische Basis fundamental-anarchistische und kommunistische Theoriefragmente bilden. Ihr Ideal sieht sie in einem "selbstbestimmten Leben" frei von Herrschaftsverhältnissen. Staatliche und gesellschaftliche Normen, Hierarchien und Verbindlichkeiten werden als Unterdrückungsmechanismen ("Repression") betrachtet. Die Szene ist insgesamt eher wenig ideologiefixiert, sondern in erster Linie aktionsorientiert. Gewalt ist dabei ein grundsätzlich akzeptiertes Mittel im Kampf gegen den Staat, vor allem gegen die Polizei, und andere politische Gegner. Diese gezielten und intendierten Grenzüberschreitungen sind mit dem staatlichen Gewaltmonopol und den Grundrechten anderer als Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Daher ist die Beobachtung der linksautonomen Szene durch den Verfassungsschutz geboten. 134 www.rf-news.de/2013/kw51/mlpd-kandidiert-zur-europawahl-2014-rebellion-gegen-die-euist-gerechtfertigt; Abruf am 30.12.2013. 135 Siehe Fußnote 114. 216 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Handlungsmuster und Aktionsformen Die Handlungsmuster und Aktionsformen der autonomen Szene reichen von der offenen politischen Betätigung, zum Beispiel durch Agitation mit Flugblättern, Plakaten, Internetauftritten und sonstigen Veröffentlichungen, Outing-Aktionen von tatsächlichen oder vermeintlichen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene, gezieltem Lahmlegen von Internetseiten bis zu Sachbeschädigungen an staatlichem oder privatem Eigentum bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen politischen Gegner. Zeitund ortsgebundene Auseinandersetzungen mit einer gewissen "Tradition" und politischen Motivation, bei denen es - wie in Berlin und Hamburg - regelmäßig zu schweren Gewalttaten in erheblicher Zahl kommt, gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Auch bilden Autonome anlassbezogen mit zivildemokratischen Spektren Bündnisse, in denen sie für ihre Aktionen mitunter Schutz und Unterstützung suchen, insbesondere bei der Mobilisierung gegen rechtsextremistische Veranstaltungen. Auch die Beteiligung der Bundeswehr und der NATO an internationalen Militäreinsätzen ist dauerhaft im Fokus der Szene. Durch spektakuläre Aktionen gegen ihre Einrichtungen und Veranstaltungen, wie der Nachwuchswerbung und der Zusammenarbeit des Militärs mit zivilen Unternehmen, will sie eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung erzielen. Im Zuge der Wirtschaftsund Finanzkrise ist in den letzten Jahren der antikapitalistische Aspekt wieder deutlicher in den Vordergrund getreten. Auseinandersetzungen im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2013 Während des Bundestagswahlkampfes kam es bundesweit vielfach zu Sachbeschädigungen, Beleidigungen und auch körperlichen Angriffen gegen Wahlhelfer, Funktionäre und Einrichtungen der Parteien NPD, 'Die Rechte', 'pro Deutschland*' und der Euro-kritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die AfD wird in der linksextremistischen Szene nahezu gleichermaßen als Feindbild angesehen wie rechtsextremistische Parteien. Am 10. September 2013 veröffentlichte das linksextremistische Internetportal 'Indymedia' einen Beitrag mit dem Titel "AfD Hamburg intern geleakt", wonach das parteiinterne "nichtöffentliche Mitgliederhandbuch der AfD Hamburg mit der internen Organisationsstruktur" samt E-Mailund Telefonkontakten auf der Webseite veröffentlicht worden sei.136 Anlass für Aktionen der Szene bildeten darüber hinaus sowohl die sechswöchige "Deutschlandfahrt" der NPD, die thematisch unter dem Motto "Asylflut und Europa136 https://linksunten.indymedia.org/node/94849; Abruf am 07.01.2014. linksExtrEmismus 217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 wahn stoppen - NPD in den Bundestag!" stand und dabei auch durch 15 Städte in Nordrhein-Westfalen führte, als auch die Veranstaltungsreihe von 'pro Deutschland*' unter dem Motto "Zuwanderung stoppen - Islamisierung verhindern", die schwerpunktmäßig an Orten durchgeführt wurde, welche einen unmittelbaren Bezug zu muslimischen Einrichtungen bzw. Gotteshäusern sowie autonomen Szenetreffs aufwiesen. Beide Parteien provozierten zum Teil erhebliche Gegenreaktionen des linksautonomen Spektrums; es kam zu Flaschenwürfen, Beschädigungen an Infoständen, Wahlplakaten und Parteieinrichtungen. Darüber hinaus wurden auch Wahlplakate von im Bundestag vertretenen Parteien beschädigt. Themenfeld Antifaschismus Ein zentrales Themenfeld der linksautonomen Szene ist der "antifaschistische Kampf". Aktionen der autonomen Antifa, der prägende Teil der aktionsorientierten Szene, zielen vor allem darauf ab, Veranstaltungen rechtsgerichteter Parteien, Organisationen oder Gruppierungen - auch mit Gewalt - zu stören oder zu verhindern. Darüber hinaus sind deren Institutionen und Szeneobjekte wie z.B. Parteibüros oder Treffs Ziele von Angriffen, aber auch Einzelpersonen, die tatsächlich oder vermeintlich der rechtsgerichteten Szene angehören. Für Nordrhein-Westfalen sind dies die drei Antifa-Feindbilder 'pro NRW', NPD und Neonazis. Die Polizei wird als "staatliches Repressionsinstrument" begriffen. Bereits die Polizeipräsenz bei Demonstrationen wird von der Szene als "strukturelle Gewalt" empfunden, die "Gegengewalt" als "legitimen revolutionären Akt" im Kampf gegen das bürgerlich-kapitalistische System rechtfertigt.137 Die aus der Verfassung folgende Rechtspflicht, auch Versammlungen der rechtsextremistischen Szene zu gewährleisten, wird als "Schutz der Rechten" durch die Polizei diffamiert. Die Grundrechte der Meinungs-, Versammlungsund politischen Organisationsfreiheit der Anhänger dieses Spektrums werden negiert, auch wenn Gerichte diese ausdrücklich bestätigt hatten. Insbesondere folgende Ereignisse aus dem Jahr 2013 sind in diesem Kontext erwähnenswert: 137 Konzept der "strukturellen Gewalt" nach dem norwegischen Friedensforscher Galtung: Alles, was Individuen daran hindert, ihre Anlagen und Möglichkeiten voll zu entfalten, ist eine Form von Gewalt, die auf gesellschaftlichen Strukturen, Werten, Normen, Institutionen oder Diskursen sowie Machtverhältnissen beruht. Das Konzept ist Teil der zentralen Legitimationsstrategie linksextremistischer Kampagnen, die Verstöße gegen die Rechtsordnung regelmäßig mit der vorgängigen "Gewalt des Systems" rechtfertigten. 218 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Proteste gegen das rechtsextremistische Spektrum in Stolberg und Aachen am 5. und 6. April 2013 Aufgrund polizeilicher Verbote, die gerichtlich bestätigt wurden, fanden in diesem Jahr keine Aufmärsche der rechtsextremistischen Szene in Stolberg statt. An friedlich verlaufenen Demonstrationen des zivildemokratischen Spektrums, an denen sich nur vereinzelt Linksautonome beteiligten, nahmen am 5. April 2013 ca. 170 und am 6. April 2013 bis zu 500 Personen teil. Eine nicht angemeldete Ersatzversammlung der Partei 'Die Rechte' am 6. April 2013 in der Aachener Innenstadt wurde vom linksextremistischen Spektrum zeitgleich in sozialen Netzwerken thematisiert. Daraufhin sammelten sich etwa 50 Szeneangehörige an der polizeilichen Kontrollstelle. Versuche dieser Gruppe, an die Rechtsextremisten zu gelangen, konnten polizeilich unterbunden werden. Gegen Rechtsextremisten, die später mit Flugblättern angetroffen wurden, richtete sich eine spontane Gegendemonstration des linksextremistischen Spektrums, die nach wenigen Minuten ohne besondere Vorkommnisse beendet wurde. Vereinzelt kam es zum Aufeinandertreffen rivalisierender Gruppen beider Szenen. Eskalationen konnten jedoch durch die Polizei verhindert werden. Aktionen gegen Demonstrationen der rechtextremistischen Szene in Dortmund vom 30. August bis 8. September 2013 Die jährliche Demonstration zum "Antikriegstag"138 in Dortmund, die bis zu deren Verbot am 23. August 2012 von der Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' organisiert wurde, hatte für das rechtsextremistische Spektrum bundesweit große Bedeutung und traf auf massiven Protest sowohl zivildemokratischer als auch linksextremistischer Spektren aus dem Inund Ausland. Insbesondere für die Antifa-Szene war und ist dies ein wichtiger Fixpunkt ihrer "Antifaschismusarbeit". In der Zeit vom 30. August bis 8. September 2013 kam es zu mehreren rechtsextremistischen Veranstaltungen und entsprechenden Gegenveranstaltungen des zivildemokratischen und linksextremistischen Spektrums. Gegen die Hauptveranstaltung 138 "Nationaler Antikriegstag" (AKT): Der von der DDR mit dem Namen "Weltfriedenstag" ins Leben gerufene und in der Bundesrepublik so bezeichnete "Antikriegstag" erinnert an den Angriff der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939, mit dem der Zweite Weltkrieg ausgelöst wurde. Der AKT ist ein Beispiel für die Strategie des rechtsextremistischen Spektrums, sich ursprünglich der politisch linken Szene vorbehaltene demonstrative Anlässe anzueignen. linksExtrEmismus 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der Partei 'Die Rechte' am 31. August 2013 mit 370 Teilnehmern protestierte das linksextremistisch beeinflusste Bündnis 'Dortmund stellt sich quer!*' (DSSQ) mit 200 Teilnehmern. Obwohl sich die Mehrheit der dem zivildemokratischen Spektrum zuzurechnenden Gegendemonstranten friedlich artikulierte, nahmen auch etwa 350 Teilnehmer aus dem Umfeld des linksautonomen Spektrums an den Gegenaktivitäten teil. Dabei kam es zu Sitzblockaden und körperlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wegen versammlungstypischer Straftaten wurden diverse Strafverfahren eingeleitet und mehrere Personen festgenommen. Auch am 7. September 2013 wurden linksautonome Aktivisten von der Polizei daran gehindert, eine weitere Kundgebung der Partei 'Die Rechte' in Dortmund anzugreifen. Demonstrationen und Aktionen gegen eine Versammlung der Partei 'Die Rechte' in Wuppertal am 21. September 2013 Am Vortag der Bundestagswahl reisten linksautonome Gegendemonstranten aus mehreren nordrhein-westfälischen Städten nach Wuppertal, um gegen eine Demonstration der Partei 'Die Rechte' zu protestieren. An verschiedenen Punkten der Stadt musste die Polizei ein Aufeinandertreffen von Personen des linksautonomen Spektrums mit den Rechtsextremisten verhindern. Rechts-Links-Auseinandersetzung an der Ruhruniversität in Bochum am 2. Dezember 2013 Am 2. Dezember 2013 stürmten an der Ruhruniversität in Bochum etwa 15 bis 20 maskierte Personen einen mit ca. 200 Personen gefüllten Saal, in dem gerade eine juristische Lehrveranstaltung stattfand. Die Akteure waren vermummt. Die Aktivisten verteilten Flyer, auf denen ein Foto des als Teilnehmer der Veranstaltung anwesenden Dortmunder Rechtsextremisten und stellvertretenden Landesvorsitzenden der Partei 'Die Rechte', Michael Brück, zu sehen war. In der Folge kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen fünf Personen leicht verletzt wurden. Der anwesende Professor wurde mit Teleskopschlagstöcken bedroht, nachdem er einen der Aktivisten festhalten konnte. Nach ihrer Flucht konnte die Polizei vier beteiligte Personen im Bereich des Hauptbahnhofes festnehmen. In der Szene wurde die Aktion später kontrovers diskutiert. 220 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Protestaktionen gegen die Demonstration der rechtsextremistischen Szene in Remagen (Rheinland-Pfalz) am 23. November 2013 Die rechtsextremistische Szene ruft seit einigen Jahren zu einer Demonstration zum Gedenken an die Ereignisse in einem von den Alliierten in Remagen betriebenen Kriegsgefangenenlager ("Rheinwiesenlager") auf. Sowohl im rechtsals auch linksextremistischen Spektrum wurde die Mobilisierung 2013 in erheblichem Maße von Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen initiiert. Bei beiden Spektren war die Mobilisierung stärker als im Vorjahr. Den ca. 230 Rechtsextremisten standen etwa 350 dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnende Aktivisten gegenüber, ein Großteil davon kam aus Nordrhein-Westfalen. Der Veranstaltungsleiter und Anmelder der Gegendemonstration kam aus dem Raum Aachen. Mehrfach versuchten Linksautonome die Demonstration der Rechtsextremisten zu stören und an die Aufzugsstrecke zu gelangen. Hier kam es zu Übergriffen gegen Polizeibeamte. Themenfelder Antikapitalismus, Antirepression, Antirassismus, Antipatriarchalismus, Ökoanarchismus Bisher reagierte die linksextremistische, insbesondere die linksautonome Szene mit wenigen Ausnahmen auf Anlässe, die von außen gesetzt wurden. Gab es Veranstaltungen des rechtspopulistischen oder rechtsextremistischen Spektrums, staatliche Abschiebemaßnahmen, Räumungen besetzter Häuser oder Entwicklungen im Ausland, wurden Protestkundgebungen inszeniert oder sich an zivildemokratischem Protest beteiligt. Dies hat sich auch im Berichtszeitraum nicht geändert. Mit Blick auf die auslösenden Ereignisse war jedoch besonders auffällig, dass die auch innerhalb der linksextremistischen Szene kritisierte "Ein-Punkt-Bewegung", bei der sich Aktivisten lediglich auf einen Themenschwerpunkt wie beispielsweise Antirassismus oder Antifaschismus fokussieren, zugunsten einer umfassenderen Systemkritik häufig aufgegeben wurde. Die Kritik richtete sich dabei an das System als solches und mündete nicht selten in Auseinandersetzungen mit eingesetzten Polizeikräften. linksExtrEmismus 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Blockupy-Aktionstage" in Frankfurt vom 28. Mai bis 1. Juni 2013 Bei den "Blockupy-Aktionstagen" vom 28. Mai bis 1. Juni 2013 in Frankfurt, an denen sich auch Gruppierungen aus dem Umfeld der linksextremistischen Szene aus nahezu sämtlichen größeren Städten Nordrhein-Westfalens beteiligten, wurde die Kapitalismuskritik thematisch mit den Bereichen Antirassismus, Antimilitarismus und Antirepression (Protest gegen staatliche Unterdrückung) verbunden.139 Zusätzlich wurde von "antifaschistischen" Gruppierungen der linksautonomen Szene an die zum Teil massiven und gewalttätigen Auseinandersetzungen in anderen Ländern sowie die NSU-Morde angeknüpft.140 Im Nachgang wurden polizeiliche Maßnahmen sowie die ordnungsbehördlichen Auflagen, die ein gezieltes Lahmlegen der Innenstadt von Frankfurt verhindern sollten, mit Übergriffen von Sicherheitskräften im Ausland und dem dort teilweise tödlichen Schlagabtausch in eine Reihe gestellt. Protestund Solidaritätsaktionen unter "antirepressiver" Perspektive zu den Themen Türkei, Kurden und "Revolutionäre Aktionszellen" (RAZ) Bei bundesweiten Kundgebungen im Nachgang der "Blockupy-Aktionstage" wurden die in etwa zeitgleich stattfindenden Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Besetzung des Gezi-Parks in Istanbul ebenfalls thematisiert. Am 15. Juni 2013 solidarisierten sich in Münster linksextremistische Gruppierungen mit den Forderungen der Demonstranten in der Türkei gegen Repression und Willkürherrschaft.141 Der weiter andauernde Konflikt in der Türkei führte auch am 13. September 2013 zu einer Kundgebung in Duisburg, bei der die türkische Polizei für die Eskalation der Gewalt in Istanbul verantwortlich gemacht wurde.142 Solidaritätsaktionen und -demonstrationen sind ein traditionell wichtiges Element des linksextremistischen Spektrums, um die Verbundenheit mit den betroffenen Personen und Gruppen auszudrücken und sich gleichzeitig selbst in Szene zu setzen. Vor dem Hintergrund der Ermordung von drei Aktivistinnen der Arbeiterpartei Kurdistans 139 https://blockupy-frankfurt.org/wp-content/uploads/2013/02/blockupy-aufruf-3-.pdf; Abruf am 07.01.2014. 140 http://umsganze.org/rebel-with-a-cause/; Abruf am 07.01.2014. 141 http://eams.blogsport.eu/antifaschismus/demosamstag-in-munster-csd-und-occupygezi/; Abruf am 07.01.2014. 142 www.rote-antifa.org/international/207-solidarität-mit-den-in-der-türkei-bei-den-aktuellen-protesten-gefallenen-13-09-2013.html; Abruf am 07.01.2014. 222 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 in Paris kam es am 10. Januar 2013 in Essen zu einer spontanen Solidaritätsbekundung unter Beteiligung linksautonomer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppierungen. Die hierbei thematisierte Verfolgung der Kurden und die Inhaftierung von Abdullah Öcalan wurden in einen antirepressiven und antimilitaristischen Begründungszusammenhang gestellt.143 Die Inhaftierung eines Szeneangehörigen, der in Nürnberg anlässlich einer Antifa-Demonstration ein Jahr zuvor Polizeibeamte mit einer Fahnenstange angegriffen und schwer verletzt hatte, bildete einen weiteren Anknüpfungspunkt für eine Demonstration am 20. April 2013 in Duisburg.144 Am 25. Mai 2013 fand zudem eine Solidaritätskundgebung gegen Durchsuchungsmaßnahmen bei mutmaßlichen Anhängern der für Brandund Sprengstoffanschläge verantwortlichen "Revolutionären Aktionszellen" (RAZ) im Bundesgebiet statt. Das Motto der Demonstration lautete: "Gegen jede Repression gegen linke Strukturen! Weg mit dem Paragrafen 129!" Protestkundgebung gegen den G8-Gipfel in Enniskillen (Nordirland) Der G8-Gipfel in Enniskillen (Nordirland) bot Anlass zu einer Protestkundgebung am 15. Juni 2013 in Köln, an der sich neben Teilnehmern aus dem Umfeld der linksautonomen Szene auch Gruppierungen aus dem ausländerextremistischen Spektrum beteiligten. Gegen die Gipfelveranstaltung wurde zum organisierten und militanten Kampf bis hin zur Revolution aufgerufen und auf den bevorstehenden G8Gipfel 2015 in Deutschland hingewiesen: "Fight for revolution! Fight G8! No war, but class war! [...] Unser Widerstand muss entschlossen und militant gegen die Politik der Imperialisten vorgehen; wir müssen alle Mittel des Kampfes, alle Mittel der Organisierung ausnutzen, um ihnen gute Gründe zu geben, Plakat zur Protestkundgebung Angst zu haben und sich zu verstecken. [...] Der Progegen den G8-Gipfel test gegen den G8-Gipfel in Nordirland ist für uns der Startschuss für die Proteste 2015 in Deutschland. Wenn wir gemeinsam und entschlossen unseren Kampf gegen die imperialistischen Mächte 143 www.rote-antifa.org/international/176-weltweite-proteste-nach-anschlag-auf-drei-kurdischegenossinnen-in-paris.html; Abruf am 07.01.2014. 144 www.rote-antifa.org/antifa/186-bundesweiter-deniz-aktionstag.html; Abruf am 07.01.2014. linksExtrEmismus 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 organisieren, werden sie sich auch 2015 wieder aus gutem Grund verstecken und verschanzen. Uns ist es egal, in welchem Land, in welcher Ecke sie sich verstecken - wir sind da und greifen sie an, für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung!" 145 Proteste und Hausbesetzungen im Kontext der Gentrifizierungsproblematik Im Zusammenhang mit der Gentrifizierungsdiskussion begegneten sich die linksextremistischen Themenfelder Antikapitalismus und Antirepression. Mit dem Begriff Gentrifizierung ist die städtebauliche Aufwertung und Umgestaltung von Stadtteilen durch Privatinvestoren gemeint, die häufig einhergehen mit einer Verteuerung des Wohnraums und der Veränderung des sozialen Umfeldes für die bisherigen Anwohner. Aus diesem Grund engagieren sich sowohl zivildemokratische Institutionen als auch Gruppierungen der linksextremistischen Szene mit der Forderung nach selbstverwalteten Zentren, bezahlbarem Wohnraum auch in Innenstadtlage und stärkerer Unterstützung von Projekten der Alternativkultur. Demonstrationen zu dieser Thematik fanden in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens statt, z.B. in Duisburg, Bonn und Köln, die häufig als "Tanzdemos" angelegt waren und zum Teil mehrere Hundert Teilnehmer unter Beteiligung der autonomen Szene anzogen. Auszug der Internetseite linksunten.indymedia.org zu den Wohnungsbeschädigungen in Bonn 145 http://g8nordirland.blogsport.de/images/flyerlang.pdf; Abruf am 07.01.2014. 224 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Daneben erfolgten auch mehrtägige Hausbesetzungen in Köln und Essen unter Beteiligung von Gruppierungen aus dem Umfeld der linksautonomen Szene. Diese besaßen ebenfalls eher demonstrativen Charakter, um dem eigenen Anliegen eine größere Publizität zu verleihen. In Bonn wurde jedoch ein erst kurz zuvor grundsaniertes Gebäude mit hochpreisigen Wohnungen durch Täter aus dem Umfeld der linksautonomen Szene erheblich beschädigt. Die Täter nahmen Bezug auf die frühere Nutzung als subkulturelle Anlaufstelle und warfen der lokalen Szene vor, sie habe sich "still und leise [...] der kapitallogik gefügt!" 146. "Autonome Zentren" als Orte mit hoher Symbolkraft Selbstverwaltete Zentren stehen nicht zwangsläufig, aber mitunter eben auch unter maßgeblicher Einflussnahme der linksautonomen Szene. In Wuppertal fanden im April 2013 eine Reihe von Informationsveranstaltungen zum 40-jährigen Bestehen des dortigen 'Autonomen Zentrums' statt, während in Münster das "Don Quichote" auch nach seinem Umzug einen Treffpunkt für Veranstaltungen der anarchistisch-autonomen Szene bildet. Gleich zwei Autonome Zentren in Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2013 in der Diskussion wegen möglicher Räumungen. Im Gegensatz zur frühzeitigen Einigung der Betreiber des 'Autonomen Zentrums Aachen' und der Stadtverwaltung kam es in Köln zu einer "gather and resist"-Kampagne, in deren Verlauf es zu mehreren Sachbeschädigungen und Farbschmieraktionen kam, die sich gegen Politiker richteten.147 Das Gebäude des 'Autonomen Zentrums' in Köln-Kalk wurde verbarrikadiert und durch Aktivisten beschützt. Letztlich erklärten sich diese nach Gesprächen mit der Stadt bereit, in ein anderes von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestelltes Gebäude umzuziehen. Sicherheitsund Justizbehörden als "Repressionsinstrumente des Staates" Polizei, Verfassungsschutz und Gerichte als staatliche Garanten für die öffentliche Sicherheit stellen für die linksextremistische Szene ein besonderes Feindbild dar. Anlässe wie die "Internationale Polizeifachmesse" in Münster (IPOMEX) im April 2013 oder die zeitgleiche Großkundgebung zum Auftakt des NSU-Prozesses in München bilden daher willkommene Gelegenheiten für Linksextremisten, sich an zivildemokratischem Protest zu beteiligen oder diesen sogar maßgeblich mit zu organisieren. Blieb die Auf146 http://linksunten.indymedia.org/de/node/100250; Abruf am 07.01.2014. 147 https://linksunten.indymedia.org/de/node/90071; Abruf am 07.01.2014. linksExtrEmismus 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 merksamkeit für den IPOMEX-Protest auf die Region beschränkt, wurde für die Großkundgebung in München in allen Landesteilen Nordrhein-Westfalens mobilisiert. Als begleitende Aktion wurde in Köln das Büro der Staatsanwaltschaft verwüstet, die mit den Ermittlungen zu den dem NSU zur Last gelegten Anschlägen befasst war.148 Aber nicht nur demonstrative Aktionen, sondern auch Informationsveranstaltungen - wie beispielsweise die "Anti-Knast-Tage" vom 15. bis 17. November 2013 im "Autonomen Jugendzentrum Bielefeld"149 - werInternetauszug mit dem Aufruf zur Teilnahme an den zur Agitation genutzt. den Anti-Knast-Tagen in Bielefeld Solidarität mit Flüchtlingen und Protest gegen Abschiebungen Die Verbindung der Themenfelder Antirepression und Antirassismus gewann im Laufe des Jahres 2013 innerhalb der linksextremistischen Szene zunehmend an Bedeutung. Bereits im Jahr 2012 war eine Protestform ins Leben gerufen worden, bei der Asylbewerber aus dem ganzen Bundesgebiet in einer Bustour durch deutsche Städte zogen, um die Abschaffung der Residenzpflicht, ein Bleiberecht für Flüchtlinge ("refugees") und die Schließung von Abschiebehaftanstalten zu fordern. Auch in der ersten Jahreshälfte 2013 unterstützten Teile der linksextremistischen Szene diesen Protest mit einer gewaltsam verlaufenen Aktion in Köln, flankiert von Solidaritätsaktionen für "refugees"-Hungerstreiks.150 Seit mehreren Jahren schon mobilisieren linksextremistische Gruppierungen regelmäßig für Störungsversuche bei Abschiebemaßnahmen am Flughafen Düsseldorf. So wurde der dortige Flugbetrieb mehrfach anlässlich geplanter Rückführungsmaßnahmen u.a. serbischer Staatsangehöriger behindert. 50 deutsche Aktivisten - auch aus Nordrhein-Westfalen - nahmen zudem an einem vom 148 https://linksunten.indymedia.org/de/node/83661; Abruf am 07.01.2014; siehe auch Themenfeld Antimilitarismus. 149 http://infoladenanschlag.wordpress.com/anti-knast-tage/; Abruf am 07.01.2014. 150 https://linksunten.indymedia.org/de/node/94982; Abruf am 07.01.2014. 226 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 3. bis 10. August in Nassaukade bei Rotterdam (Niederlande) durchgeführten "NoBorder-Camp" teil. In der zweiten Jahreshälfte waren es insbesondere die Flüchtlingstragödien von Lampedusa, die den Protest gegen Maßnahmen der "Europäischen Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen" (Frontex) wieder verstärkt in den Fokus auch linksextremistischer Kritiker rückten. Bei Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen mit in der Spitze etwa 300 Personen im Münster am 16. November engagierten sich neben zivildemokratischen Institutionen auch linksautonome Gruppierungen in maßgeblichen Umfang. An einer bundesweiten "Lampedusa"-Demonstration in Hamburg am 2. November nahmen mehrere Tausend Personen teil. In Duisburg fand im August eine Bürgerversammlung statt, in der die Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils ihre Probleme und Befürchtungen mit einer dortigen Großimmobilie diskutierten, in der überwiegend Südosteuropäer leben. Teilnehmer der Veranstaltung wurden durch dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnende Personen zunächst als "Nazis" beleidigt und nach Beendigung der Veranstaltung mit Latten angegriffen und verletzt. Im Nachgang kam es zu mehreren Kundgebungen. Aktionen der rechtsextremistischen Partei 'pro NRW', die das Thema aufgriff und vor Ort für ihre Zwecke instrumentalisierte, und andere Veranstaltungen des rechten Spektrums im Land, die mit der Thematik Ausländer, Migranten und Flüchtlinge im Zusammenhang standen, führten regelmäßig zu Gegenaktivitäten der linksautonomen Szene. Beteiligung Linksautonomer aus NRW an Großdemonstrationen in Hamburg Auch an den beiden bundesweiten Großdemonstrationen in Hamburg am 2. November und 21. Dezember beteiligten sich Linksautonome aus Nordrhein-Westfalen. Obwohl es thematisch auch um den Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union, des Bundes und der Länder ging, wurde die vor allem am 21. Dezember - mit großem Gewaltpotential ausgetragene - Auseinandersetzung mit der Polizei um den Fortbestand des autonomen Szenetreffpunkts mit hohem Symbolwert ("Rote Flora") zum eigentlichen Demonstrationsschwerpunkt. Suche nach selbstbestimmtem Leben, Antisexismus, Protest gegen Abtreibungsgegner Teile der linksautonomen Szene engagieren sich nicht nur auf den Aktionsfeldern Antifaschismus, Antikapitalismus und Antirassismus, sondern verstehen sich im Sinne linksExtrEmismus 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 eines von gesellschaftlichen Zwängen freien, selbstbestimmten Lebens häufig auch als Avantgarde einer emanzipierten, antisexistischen Bewegung. In diesem Zusammenhang werden die seit 2008 unter anderem in Münster stattfindenden überkonfessionellen Gebetszüge von Abtreibungsgegnern unter dem Motto "1000 Kreuze für das Leben" regelmäßig auch zum Anlass für Gegenaktivitäten unter maßgeblicher Beteiligung der linksautonomen Szene genutzt. Neben zivilgesellschaftlichen Institutionen waren es hauptsächlich lokale Gruppierungen der "Autonomen Antifa" aus Münster, die zu einer Gegendemonstration am 9. März 2013 aufriefen. Es kam zu Störversuchen vermummter Gegendemonstranten, bei dem eine unmittelbare Konfrontation zwischen den Protagonisten der verschiedenen Überzeugungen durch polizeiliche Maßnahmen verhindert wurde. Der am Vortag stattfindende "Internationale Kampftag zur Befreiung der Frau" und die damit verbundenen, in zeitlicher Nähe liegenden Veranstaltungen, die unter anderem in Duisburg, Essen und Köln auch von Teilen der linksextremistischen Szene mit organisiert wurden, blieben hingegen ohne nennenswerte öffentliche Resonanz. Themenfeld Antimilitarismus Die Bundeswehr dient aus linksextremistischer Sicht der Aufrechterhaltung kapitalistischer und imperialistischer Interessen im Ausland. Standorte und öffentliche Auftritte der Bundeswehr bilden deshalb eine willkommene Reibungsfläche für Gegenaktivitäten. Die Aktionspalette reicht dabei von demonstrativen Veranstaltungen z.B. gegen Bundeswehrgelöbnisse und Störversuchen von Werbemaßnahmen der Bundeswehr bei Messen, in Schulen oder bei Arbeitsagenturen bis hin zu Sachbeschädigungen bei zivilen Partnerfirmen der Bundeswehr, wie z.B. Logistikdienstleistern. Demonstrationen und Aktionen im Zusammenhang mit dem NATO-Einsatz der Bundeswehr in Kunduz (Afghanistan) Einen Schwerpunkt linksextremistischer Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen bildete in diesem Jahr die Auseinandersetzung mit dem am 4. September 2009 im Rahmen des NATO-Einsatzes der Bundeswehr in Kunduz (Afghanistan) auf Befehl eines deutschen Offiziers erfolgten Luftangriff auf einen Tanklastzug, bei dem 142 Menschen zu Tode kamen. Im Fokus linksextremistischer Verbalattacken und Aktionen standen dabei insbesondere der Offizier sowie die von Beteiligten bzw. Verwandten von Opfern der militärischen Aktion angestrengten Schadenersatzprozesse am Verwaltungsgericht Köln in 2012 und Landgericht Bonn 2013. Mehrfach kam es zu Demonstrationen 228 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 und Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien. Besonders hervorgetan hat sich hier die linksextremistische Gruppierung 'Antikapitalistische Aktion Bonn' (AKAB), die im Stile eines Steckbriefs eine Belohnung von 100 Euro für Informationen zum Wohnort des Offiziers auslobten. Gegen das Gerichtsgebäude in Köln wurden am 4. Jahrestag des Angriffs Farbbeutel geworfen. Das linksextremistische Internetportal 'linksunten.indymedia.org' veröffentliche daraufhin eine Tatbekennung.151 Ebenso wurde an dem Gebäude des Landgerichts Bonn in der Nacht des 17. April 2013 vor der an diesem Morgen stattfindenden Verhandlung eine ähnliche Aktion verübt. Auszug der Internetseite der AKAB mit Bildern von Aktionen gegen die Prozesstage in Bonn und Köln 151 www.linksunten.indymedia.org/de/node/94346; Abruf am 23.12.2013. linksExtrEmismus 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die AKAB rief zur Demonstration am selben Tag vor dem Gericht auf, an der 15 Personen teilnahmen. Am 30. Oktober veranstaltete die AKAB eine Demonstration vor dem Landgericht Bonn mit etwa 120 Teilnehmern des linksextremistischen und zivildemokratischen Spektrums. Im Vorfeld kam es erneut zu Plakatierungsaktionen. Syrienkonflikt Angesichts der Diskussion um ein militärisches Eingreifen der NATO in den Syrienkonflikt riefen die 'Rote Aktion Köln' (RAK) und die 'Rote Antifa NRW' im Internet für den Tag des Beginns von Angriffen der NATO auf Ziele in Syrien ("Tag X") zu Protestaktionen in Bonn, Köln Essen und Duisburg auf.152 Am Samstag nach "Tag X" sollte es dann zu einer NRW-weiten Demonstration vor dem US-Generalkonsulat in Düsseldorf kommen. Aufgrund der erreichten politischen Lösung zur Zerstörung des syrischen Chemiewaffenarsenals und des daraufhin ausbleibenden NATO-Militäreinsatzes fanden letztlich keine Demonstrationen statt. "War starts here"-Kampagne Im Rahmen der Kampagne "War starts here"153 wurde - wie bereits im Vorjahr - durch ein "WarStartsHere-Camp" gegen das Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in der Altmark (Sachsen-Anhalt) protestiert. Hieran beteiligten sich wiederum Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen. Auch diesmal kam es zu Sachbeschädigungen: In zeitlicher und örtlicher Nähe wurde auf einem Kasernengelände ein Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge mit Millionenschaden verübt. Es wird zunehmend erkennbar, dass sich das Camp zu einem festen Termin für die Antimilitarismus-Kampagne entwickelt. 152 rote-antifa.org; Abruf am 06.01.2014. 153 www.warstartshere.com. 230 linksExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 5 Ausländerextremismus154 Der Verfassungsschutz beobachtet im Ausländerextremismus Bestrebungen, die : gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes bzw. eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, : durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder : gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Schwerpunktmäßig liegen die Bestrebungen in den beiden letztgenannten Bereichen. Dabei ist die Tatbestandsvoraussetzung der Gewaltanwendung bzw. deren Vorbereitung schon dann erfüllt, wenn ausländische Gruppierungen von hier aus gewaltsame Aktionen im Heimatstaat unterstützen, etwa durch Aufrufe zur Gewalt oder durch die Beschaffung finanzieller oder sonstiger Mittel. Der Ausländerextremismus ist durch eine Vielzahl von Vereinigungen von unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe geprägt. Den Schwerpunkt bilden in Nordrhein-Westfalen die extremistischen Organisationen aus der Türkei. Die sehr unterschiedlichen Zielrichtungen ausländerextremistischer Organisationen lassen sich im Wesentlichen unterteilen in nationalistische Bestrebungen, linksextremistische Bestrebungen und ethnisch motivierte Autonomiebestrebungen. Dabei sind die Übergänge fließend: So sind einige Organisationen ursprünglich linksextremistischer Ausrichtung nach jahrelanger Entwicklung heute vorrangig von ethnisch begründetem Unabhängigkeitsstreben geprägt. 154 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. ausländErExtrEmismus 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 5.1 Türkische Organisationen 5.1.1 Ülkücü-Bewegung* Hintergrund Die Ülkücü-Bewegung* ist dem türkischen rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen. Da das Symbol der Bewegung der "Graue Wolf" (türkisch "Bozkurt") ist, bezeichnen sich ihre Anhänger auch als 'Graue Wölfe*'. Die Ülkücü-Bewegung* ist heterogen strukturiert und setzt sich insgesamt aus mehreren Dachverbänden, unter anderem der Föderation der 'Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' ('Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Ferderasyonu*' - ADÜTDF), einigen Abspaltungsvereinen sowie einer Anzahl von organisationsungebundenen Anhängern zusammen. Symbol der Ülkücü-Bewegung Die Ülkücü-Bewegung* bzw. die ihr zuzuordnenden Gruppierungen sind durch ein übersteigertes Nationalbewusstsein gekennzeichnet, das die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert ansieht. Neben dem Türkentum, das an erster Stelle steht, kommt dem Islam als eine die türkische Identität ergänzende Komponente besondere Bedeutung zu. Ausrichtung der Gruppierungen Grundsätzlich lassen sich die zur Ülkücü-Bewegung* zählenden Gruppierungen in drei Hauptströmungen einteilen: : Die erste Strömung richtet ihre Ideologie vorwiegend nach dem Alt-Türkentum aus. Sie ist stark rassistisch geprägt. Sie ist in der Türkei in Form kleinerer Gruppen oder Zusammenschlüsse organisiert. : Die zweite Strömung baut ihr ideologisches Gerüst auf dem Türkentum auf. Sie glorifiziert das Türkentum, ist islamisch geprägt und hat säkulare Züge. Diese Strömung ist in der Türkei als Partei 'Milliyetci Hareket Partisi' (MHP) sowie als 232 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Massenorganisationen (Ülkü-Ocaklari) organisiert. Auch im Ausland verfügt diese Strömung über Massenorganisationen wie z.B. die ADÜTDF. : Die dritte Strömung orientiert sich stärker am Islam. Sie ist in der Türkei als Partei mit dem Namen Büyük Birlik Partisi (BBP) organisiert. Je nach Ausrichtung der Gruppierung dominieren islamische, ultranationalistische oder rassistische Inhalte. Das gemeinsame und verbindende Element dieser Bestrebung ist ein auf Hegemonie und imperiale Machtentfaltung ausgerichteter türkischer Nationalismus. Internetaktivitäten Neben den Vereinsstrukturen entwickelt sich zunehmend eine von der Ideologie der 'Grauen Wölfe*' geprägte türkische Jugendkultur, die sich vor allem über die sozialen Netzwerke im Internet organisiert und diese Netzwerke zum Ideologietransfer nutzt. Das Internet ist für die Darstellung des türkisch-nationalistischen Gedankengutes insbesondere bei den jugendlichen Anhängern der Ülkücü-Bewegung* erkennbar von großer Bedeutung. In zahlreichen offen zugänglichen Videoportalen, aber auch in einem Netzwerk türkisch-nationalistischer Webseiten präsentieren Jugendliche ihre extremistischen Forderungen und Positionen. Die Botschaften und Videos sind überwiegend in türkischer Sprache aufgezeichnet. Sie enthalten extrem feindselige Aussagen gegen Kurden, Armenier, Juden und die USA sowie gegen Homosexuelle. Dies geht einher mit obszönen und beschimpfenden Darstellungen. Insbesondere die Hetze und Aggression gegen Kurden wird in diesen Internetaktivitäten sehr deutlich. Die verbale Radikalität der Internetdarstellungen ist geeignet, in tatsächliche Gewaltanwendung bei Kontakten mit dem "politischen Gegner" zu münden. Tragende ideologische Elemente Kernelemente der Ideologie der Ülkücü-Bewegung*/der 'Grauen Wölfe*' sind ein übersteigerter Nationalismus sowie der Glaube an eine ethnische Höherwertigkeit des Türkentums. Damit einher geht eine Abwertung anderer Ethnien. Zum Feindbild gehören all jene Menschengruppen und Institutionen, von denen die Anhänger der Ülkücü-Bewegung* annehmen, dass sie dem Ziel der Machtentfaltung des türkischen Nationalismus entgegenstehen. Die sogenannte türkisch-islamische Synthese wird von den Anhängern in der Aussage zusammengefasst: "Islam ist unsere Seele, TürausländErExtrEmismus 233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 kentum ist unser Leib", was das stark religiös gefärbte Nationalismusverständnis zum Ausdruck bringt. Ein weiterer ideologischer Ansatz ist der Panturkismus, dessen politische Ziele zum einen am Osmanischen Reich mit seinem türkisch-islamischen Charakter, zum anderen auf eine Vereinigung aller Türken (turksprachigen Völker) unter der Führung einer großen und mächtigen Türkei ausgerichtet sind. Die Orientierung am Osmanischen Reich bezieht sich auf dessen Ausdehnung und Stärke, allerdings nicht auf dessen ethnische Vielfalt. Die Ülkücü*-Ideologie strebt nach einer Vereinigung aller Turkvölker vom Balkan bis nach Zentralasien. Leitbild ist ein fiktives "Reich Turan" (Panturanismus). Die Idee einer solchen Expansion ist mit dem Gedanken der Völkerverständigung nicht vereinbar. Die Ülkücü*-Ideologie lebt außerdem von der Pflege gemeinsamer Feindbilder, zu denen in unterschiedlichen Kombinationen variable Verschwörungstheorien entwickelt werden. Zu den ideologischen Feinden gehören vor allem Kurden, Amerikaner, Juden und Armenier, aber auch Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten, zum Beispiel Homosexuelle. Für die Verbreitung der Ideologie der Ülkücü-Bewegung* wird insbesondere im Internet auf verschieden Plattformen wie sozialen Netzwerken und Videoportalen geworben. Wenngleich sich die Ülkücü*-Vereine nach außen hin überwiegend legalistisch geben, dulden sie doch zumindest die Verbreitung des extrem nationalistischen Gedankengutes in ihren Reihen. Der sogenannte Ülkücü*-Eid macht die Kernaussage der Ideologie deutlich: "Ich schwöre bei Allah, dem Koran, dem Vaterland, bei meiner Flagge Meine Märtyrer, meine Frontkämpfer sollen sicher sein Wir, die idealistische türkische Jugend, werden unseren Kampf gegen Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus und jegliche Art von Imperialismus fortführen Unser Kampf geht bis zum letzten Mann, bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut Unser Kampf geht weiter, bis die nationalistische Türkei, bis das Reich Turan erreicht ist Wir, die idealistische türkische Jugend, werden niemals aufgeben, nicht wanken, 234 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 wir werden siegen, siegen, siegen Möge Allah die Türken schützen und sie erhöhen." 5.1.2 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.* Leitung Sentürk Dogruyol Mitglieder Bund NRW 2013 ca. 7.000 ca. 2.000 2011 ca. 2.000 ca. 7.000 Publikation 'Türk Federasyon Bülteni' ('Bulletin der Türkischen Föderation') Internet türkischsprachige Homepage Der unter der Bezeichnung 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' ('Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu*') bekannte Dachverband ADÜTDF* ist eine der anhängerstärksten Gruppierungen der Ülkücü-Bewegung* außerhalb der Türkei. Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF* Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG) beziehungsweise das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1) richten und erfüllt damit die Voraussetzungen zur Beobachtung Logo der ADÜTF* durch die Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW. Struktur Die ADÜTDF*, die 1978 in Frankfurt/Main als 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.' gegründet wurde, hat sich 2007 in 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' umbenannt. Zudem wurde eine 'Türkische Konföderation in Europa*' (ATK) als europäische Dachorganisation gegründet. Ihr gehören die nationalen Vereinigungen aus Deutschland und aus weiteren europäischen Staaten an. Die ADÜTDF* gilt als deutsche Vertretung der in der Türkei ansässigen 'Partei der Nationalistischen Bewegung' ('Milliyetci Hareket Partisi' - MHP). 1969 von Alparslan Türkes gegründet, wird sie seit dessen Tod ausländErExtrEmismus 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 1997 von Devlet Bahceli geführt. Die MHP, die von 1999 bis 2002 an der türkischen Regierung beteiligt war, konnte bei den zuletzt am 12. Juni 2011 durchgeführten Parlamentswahlen ihren Stimmenanteil von zuvor 14,3% nicht ganz halten und kam nun auf 13,0%. In Deutschland werden etwa 150 Vereine mit rund 7.000 Mitgliedern der ADÜTDF* zugerechnet. Rund 70 Vereine befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Finanzierung Die ADÜTDF* finanziert sich im Wesentlichen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Sponsoring. Entwicklungen im Jahr 2013 Am 16. November 2013 fand in Oberhausen der 28. Kongress der ADÜTDF* statt. Zu der Veranstaltung konnten circa 12.000 - 13.000 Personen mobilisiert werden. An dem Kongress nahm der Vorsitzende der türkischen 'Partei der nationalistischen Bewegung' (MHP) teil. In seiner Rede kritisierte er, dass der türkische Ministerpräsident Gespräche zur Frage der Situation der Kurden in der Türkei führe. Er betonte, dass die türkische Nation einen Zerfall und eine Teilung der Türkei nicht zulassen werde. Die ADÜTDF* stellt sich selbst als gesetzestreu dar und ihre offiziellen Vertreter haben bereits vor Jahren Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer ideologischen Überzeugungen abgelehnt. Die in ihrem Jahreskongress gehaltenen Reden belegen aber, dass sie an dem von ihr propagierten Ziel eines nationalistisch geprägten türkischen Staates, bei dem jeder Gedanke an autonome Bestrebungen innerhalb dieses Staates ausgeschlossen ist, festhält. Während es im Jahr 2012 noch zu einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen zwischen zumeist jugendlichen PKK-Anhängern und Anhängern der Ülkücü-Bewegung* kam, waren vergleichbare Vorfälle im Jahr 2013 eher selten. Generell birgt ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppierungen aber nach wie vor ein Potential zu situativ ausbrechender Gewalt. Bewertung Aufgrund der Vielfalt und auch der Vielzahl der hier bekannten Internetauftritte liegt die Vermutung nahe, dass die Ülkücü-Bewegung* mit ihren Positionen und Forderungen das Entstehen einer extremistischen, isolierten Jugendbewegung in Deutschland 236 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 begünstigt. Insbesondere unter den türkischstämmigen Jugendlichen der zweiten und dritten Migrantengeneration gibt das Erstarken eines übersteigerten türkischen Nationalbewusstseins Anlass zur Sorge. Auch wenn der ganz überwiegende Teil des Aggressionspotentials sich lediglich im Internet oder in Sozialen Netzwerken erkennen lässt, sind die dort verbreiteten Ideologien ein Beleg dafür, dass die propagierten Ziele von Diskriminierung geprägt sind und damit dem Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen. 5.1.3 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C) Leitung Nach dem Tod von Dursun Karatas wurde noch kein Nachfolger benannt Mitglieder Bund NRW 2013 650 200 2012 650 200 Publikationen 'Kurtulus' ('Befreiung'), 'Yürüyüs' ('Der Marsch') Internet mehrsprachige Homepage Aktuelle Entwicklungen Die in der Türkei und Deutschland verbotene sowie auf der EU-Liste der Terrororganisationen aufgeführte 'Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front' ('Devrimci Halk Kurtulus PartisiCephesi' - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Auf der ideologischen Grundlage des MarxismusLogo der DHKP-C Leninismus propagiert sie einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. Die Organisation tritt damit für eine revolutionäre Zerschlagung der türkischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein und führt hierzu in der Türkei auch terroristische Aktionen durch. Beginnend am 12. Juni 2012 verübte der militärische Arm der DHKP-C, die 'Revolutionäre Volksbefreiungsfront' (DHKC) in der Türkei mehrere Selbstmordattentate. So bekannte sich die DHKC neben dem Anschlag im Juni 2012 zu zwei weiteren bewaffneten Überfällen auf Polizeiwachen in Ankara, die im September und Dezember 2012 stattfanden. ausländErExtrEmismus 237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Den vorläufigen Höhepunkt der gewalttätigen Aktivitäten stellt der Selbstmordanschlag in einem Eingangsgebäude der US-amerikanischen Botschaft am 1. Februar 2013 in Ankara dar, bei dem ein Wachmann und der Attentäter getötet sowie mehrere Personen verletzt wurden. Der Attentäter hatte sich vor der Tat einige Jahre in Deutschland aufgehalten, zuletzt in Köln. Nachdem seine Ausweisung betrieben wurde, hatte er sich ins Ausland abgesetzt. Ausweislich der sogannten Bekennung 402, die am 2. Februar 2013 auf einer auch ansonsten für DHKP-C Propaganda genutzten Internetseite veröffentlicht wurde (Anmerkung: die DHKP-C versieht Bekennerschreiben mit fortlaufenden Nummerierungen), hatte die Tat folgenden ideologischen Hintergrund: "Hier ist Anatolien, Amerika hau ab, du bist der Feind der Völker auf der Welt! [...] Wir werden euch in euren Stützpunkten treffen, wir werden unter dem Dach eurer Stirn explodieren" [...]. Seit den 70ern beginnend bei der THKP-C bis heute ist Amerika als Hauptfeind der Weltvölker immer unser primäres Ziel gewesen. Rechenschaft von Amerika zu verlangen war deshalb gegenüber den unterdrückten Weltvölkern unsere revolutionäre internationalistische Aufgabe. "[...] Amerika ist der Mörder der Völker! Ihr werdet euch vor dem Zorn der Völker nicht retten können!" Nach dem Angriff auf Libyern hat die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton gesagt: "Ich kann ihnen versichern, dass die amerikanischen Botschaften die sichersten Orte auf der Welt sind. Sie irrt sich! [...] Wir warnen auch Erdogan, den amerikanischen Knecht!" Die zitierten Passagen belegen nicht nur eine ausgeprägte internationalistische und antiamerikanische Grundhaltung, sondern vor allem, dass die DHKP-C, die bis zum Jahr 2011 ein zumindest moderateres Aktionsverhalten gezeigt hat, nach wie vor eine von Gewaltbereitschaft geprägte Organisation ist, die seit dem Jahr 2012 offenbar die Intensivierung des bewaffneten Kampfes betreibt. In Deutschland und Westeuropa entfaltet die DHKP-C demgegenüber vorrangig propagandistische Aktivitäten und nutzt sie als Rückzugsgebiet. Bei sich hier aufhal238 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 tenden Funktionären der DHKP-C besteht nach Erteilung einer entsprechenden Strafverfolgungsermächtigung Strafbarkeit gemäß SS 129 a i. V. m. SS 129b StGB wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Im Rahmen einer konzertierten Aktion von Bundesanwaltschaft und den Generalstaatsanwaltschaften Düsseldorf und Hamburg führten Beamte des Bundeskriminalamtes und mehrerer Landespolizeien am 26. Juni 2013 umfangreiche Exekutivmaßnahmen gegen Strukturen der DHKP-C durch. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden im Bundesgebiet, darunter auch in Nordrhein-Westfalen und im angrenzenden Ausland, Wohnungen und Vereinsräume durchsucht und mehrere Haftbefehle gegen mutmaßliche Funktionäre der DHKP-C in Vollzug gesetzt. In Deutschland betätigten sich DHKP-C-Anhänger außerdem in verschiedenen Kampagnen, die sich hauptsächlich mit den Inhaftierten der Organisation und der Gefängnispolitik der türkischen Regierung befassen. Nach dem Anschlag vom 1. Februar 2013 in Ankara kam es zu Aktionen, bei denen der Selbstmordattentäter als "Revolutionäre" oder Märtyrer" gedacht wurde. Gründe für die Beobachtung der DHKP-C und ihrer Abspaltungsgruppen Mit ihrem Bestreben gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VSG NRW). Wegen der gleichermaßen vorhandenen Gewaltbereitschaft unterliegt auch die weniger bedeutende Abspaltungsgruppe 'Türkische Volksbefreiungspartei/-Front' (THKP/-C) der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Die DHKP-C und die THKP/-C sind Nachfolgeorganisationen der in der Bundesrepublik seit 1983 verbotenen 'Devrimci Sol'. Auch sie sind seit dem 1. Februar 2000 rechtskräftig verboten. Ein Streit zwischen den seinerzeitigen Vorsitzenden begründete die bis heute andauernde Rivalität zwischen beiden Organisationen, ohne dass ernsthafte ideologische Differenzen zu erkennen wären. Unter der Bezeichnung DHK-C - 'Devrimci Halk Kurtulus Cephesi' agiert der militärische Arm der DHKP-C. Die politischen Aktivitäten werden seit dem Verbot 1983 konspirativ fortgesetzt. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt. ausländErExtrEmismus 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Struktur Deutschland ist neben der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet der DHKP-C. Die Organisation verfügt über feste Strukturen. Dem Deutschlandverantwortlichen sind Gebietsverantwortliche nachgeordnet. Die eingesetzten Funktionäre treten zur Tarnung unter Decknamen auf. Als örtliche oder regionale Basis dienen der DHKP-C Vereine, deren Satzungen keinen Rückschluss auf die Zugehörigkeit zur Organisation zulassen. In Nordrhein-Westfalen verfügt die DHKP-C über solche Stützpunkte unter anderem in Bielefeld, Dortmund, Duisburg und Köln. Als der verbotenen DHKP-C nahe stehend wird der 'Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei' (TAYAD) angesehen, der in Deutschland auch unter dem Namen jeweiliger regionaler TAYAD-Komitees öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durchführt. Weitere propagandistische Aktivitäten entfaltet die 'Anatolische Föderation' (mit Sitz in NRW), die aus dem 'Verband anatolischer Volkskulturvereine e.V.' hervorgegangenen ist. Finanzierung Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Verkauf von Publikationen. Medieneinsatz Neben den Publikationen 'Kurtulus' ('Befreiung') und 'Yürüyüs' ('Der Marsch') nutzt die DHKP-C intensiver als die übrigen linksextremistischen türkischen Organisationen das Internet für Aufrufe und politische Erklärungen. Sie verfügt über eine mehrsprachige Homepage. Aktivitäten Durch verschiedene kleinere Kundgebungen versucht die DHKP-C ihre Anhängerschaft in Deutschland zu aktivieren und über die bestehende Zahl ihrer Anhänger hinaus Resonanz zu erzielen. Hierbei nutzt sie zum Teil aktuelle Themen. Vom 9. August bis zum 2. September 2013 führten beispielsweise Anhänger der 'Anatolischen Föderation' einen Hungerstreik zum Thema: "Protest gegen die Verhaftung 240 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 der Vorsitzenden und der Mitglieder der Anatolischen Föderation" mit einer durchgängigen Beteiligung von weniger als zehn Personen durch. Wie bereits in den Vorjahren thematisierte die Organisation außerdem in verschiedenen Kundgebungen die Haftbedingungen ihrer inhaftierten Funktionäre in Deutschland und stellte diese als Ausdruck staatlicher Repression und "Isolationsfolter" dar. Weiterhin organisierten Anhänger der DHKP-C in Deutschland unter dem Motto "Einheitskleidung ist Folter!" verschiedene Protestaktionen für einen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum inhaftierten DHKP-C-Funktionär. Dieser weigerte sich, die in der JVA für Häftlinge vorgeschriebene Anstaltskleidung zu tragen. Das Tragen einheitlicher Kleidung wird von der DHKP-C als Aufzwingen einer Uniform bzw. als eine Form von Folter angesehen. In Verlautbarungen hierzu heißt es: "Die Einheitskleidung ist eine Methode, die in reaktionärsten und faschistischsten Ländern angewandt wird. Die deutsche Regierung foltert den Revolutionären [...], weil er nicht von seinem revolutionären Gedankengut abweicht." Strafrechtliche Verfahren gegen DHKP-C Funktionäre Auch im Jahr 2013 gab es Verurteilungen und die Einleitung von Strafverfahren gegen Funktionäre der DHKP-C. Vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf findet beispielsweise nach Rückverweisung durch den Bundesgerichtshof seit dem 6. Mai 2013 die Hauptverhandlung gegen einen türkischen Staatsangehörigen wegen Verdachts des Mordes statt. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 1993 als Mitglied der 'Devrimci Sol' von Deutschland aus einen Anschlag in der Türkei beauftragt zu haben. Bewertung Wie in den zurückliegenden Jahren hat die DHKP-C in Deutschland weiterhin Probleme, ihre Mitglieder zu motivieren und die Organisation hinreichend zu finanzieren. Die konsequente Verfolgung und Verhaftung von Führungsfunktionären durch die Sicherheitsbehörden verunsichern und schwächen die Organisation. Die Tat vom 1. Februar 2013 in Ankara zeigt aber, dass die DHKP-C das Personal für ihre Anschläge auch unter ihren Mitgliedern in Deutschland rekrutiert. ausländErExtrEmismus 241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 5.1.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); Volkskongress Kurdistans (KONGRAGEL) und unterstützende Organisationen Sitz Nord-Irak Europavertretung wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten/CDK 'Koordinasyon Civata Ekolojik - DemokratA(r)k a Kurd Li Ewropa' Vorsitz 'Volkskongress Kurdistan' Hacer Zagros und Remzi Kartal (KONGRA-GEL) 'Vereinigte GemeinschafAbdullah Öcalan, Präsident Cemil Bayik und Bese Hozat, ten Vorsitzende Kurdistans' (KCK) Höchstes Generalversammlung der KONGRA GEL Entscheidungsorgan Mitglieder Bund NRW 2013 ca. 13.000 ca. 2.200 2012 ca. 13.000 ca. 2.200 Publikationen unter anderem 'Serxwebun' (Unabhängigkeit), erscheint monatlich; 'Sterka Ciwan' (Stern der Jugend), erscheint monatlich; 'Newaya Jin' (Erlebnisse der Frauen), erscheint monatlich; 'Kurdistan-Report', Auflage bis 15.000; Tageszeitung 'Yeni Özgür Politika' Fernsehsender 'NUCE TV' (bis August 2013); aktuell 'Sterk TV' und 'Mednuce' Internet Zahlreiche Internetauftritte über mehrere Server Ziele der PKK und Gründe für die Beobachtung Die 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK), die heute unter der Bezeichnung 'Volkskongress Kurdistans' (KONGRA-GEL) agiert, wurde im November 1978 in der Türkei gegründet. Sie strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nord-Irak, Teile des westlichen Iran und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. In diesem Gebiet sollen etwa Logo der PKK 20 bis 25 Millionen Kurden, davon etwa 12 bis 15 Millionen in der Türkei, leben. 242 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Obwohl seitens der PKK immer wieder betont wird, man habe die früheren separatistischen Ziele aufgegeben, bemüht sie sich weiterhin um einen länderübergreifenden Verbund aller Kurden im Nahen Osten. Eine solche Föderation würde die Souveränität der dortigen Staaten betreffen und hat kaum realistische Chancen auf politische Umsetzung. Seit dem 26. November 1993 ist der PKK und ihren Nebenorganisationen die Betätigung in Deutschland verboten. Das Bundesministerium des Innern hat am 30. Juli 2004 festgestellt, dass sich "das gegen die PKK verhängte vereinsrechtliche Betätigungsverbot [...] auch auf den KONGRA-GEL erstreckt". Außerdem wird die PKK in der Liste der Europäischen Union über terroristische Organisationen geführt. Das Verbot umfasst auch weitere Organisationen des KONGRA-GEL, wie z.B. die ERNKNachfolgeorganisation CDK ('KoordA(r)nasyon Civata EkolojA(r)k-DemokratA(r)k a Kurd Li Ewropa', zu Deutsch: 'Koordination der kurdischen ökologisch-demokratischen Gesellschaft in Europa') und die 2005 gegründete KCK ('Koma Civaken Kurdistan') beziehungsweise deren Vorgängerin, die 'Koma Komalen Kurdistan' (KKK). Obwohl in Westeuropa seit Ende März 1996 ein Kurswechsel zu weitgehend friedlichem Verhalten erkennbar ist, stellt die PKK wegen ihrer fortwährenden Bereitschaft, zu aktionsorientiertem Verhalten zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar, was ihre Beobachtung gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW begründet. Ihre Ziele verfolgt die PKK in den Kampfgebieten aktuell insbesondere in Syrien nach wie vor mit Waffengewalt. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grunde eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW erforderlich ist. Aktuelle Entwicklungen und deren Bezüge zu Aktionen in Nordrhein-Westfalen Von dem aus der PKK hervorgegangenen KONGRA-GEL gehen in Westeuropa weiterhin keine gewalttätigen Aktionen aus. Vielmehr bemüht er sich auch in Nordrhein-Westfalen durch Aktionen, die auf möglichst große mediale Aufmerksamkeit angelegt sind, um die politische Anerkennung seiner Forderungen. Gewalttätig, quasi militärisch und offensiv kämpferisch, agieren die PKK und ihre bewaffneten Guerillaverbände, insbesondere die 'Volksverteidigungskräfte' (HPG), in den kurdischen Siedlungsgebieten. Neben der Türkei gehören dazu die nordirakische Grenzregion und kurdische Gebiete in Syrien (auch "Rojava" = Westkurdistan genannt). EntwickausländErExtrEmismus 243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 lungen in den Heimatregionen rufen nach wie vor unmittelbare Reaktionen bei den in Nordrhein-Westfalen lebenden PKK-Anhängern hervor. Ende 2012 kam es wie bereits mehrfach in der Geschichte der PKK zur Aufnahme von Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK-Führung im Nordirak sowie mit Abdullah Öcalan. Diese Sondierungsgespräche wurden im Frühjahr 2013 fortgesetzt. Anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes am 21. März 2013 wurde eine Botschaft Abdullah Öcalans verbreitet, in der er zur Beendigung des Kampfes in der Türkei aufruft und an die PKK-Kämpfer appelliert, sich aus der Türkei zurückzuziehen. Die Fortsetzung der Waffenruhe und der schrittweise Rückzug aus dem türkischen Staatsgebiet waren jedoch von vorneherein mit der Erwartung verknüpft, dass die türkische Regierung verbindliche gesetzliche Schritte (unter anderem Änderungen der Verfassung und der türkischen Antiterrorgesetze) und Reformen einleite, um eine Lösung der Kurdenfrage herbeizuführen. Nachdem sich in der Folgezeit der Friedensprozess nicht erkennbar weiterentwickelte, warnte die PKK-Führung vor einem Scheitern desselben und setzte ein erstes Ultimatum zum 15. Oktober 2013. Sie drohte zugleich eine Aufhebung des ausgerufenen Waffenstillstandes an. Darüber hinaus wurde im September 2013 der im Frühjahr begonnene Rückzug der PKKKämpfer aus der Türkei vorläufig ausgesetzt. Ein vom türkischen Ministerpräsidenten am 30. September 2013 vorgestelltes "Demokratisierungspaket" wurde von der PKK als nicht ausreichend bewertet. Elementare kurdische Forderungen hätten keine Berücksichtigung gefunden. Der Co-Vorsitzende des KCK Exekutivrates Cemil Bayik drohte Ende Oktober 2013 damit, dass der bewaffnete Kampf wieder aufgenommen werden könne. In der Zeitschrift 'Yeni Özgur Politika' wird Bayik am 23. Oktober 2013 wie folgt zitiert: "Entweder sie akzeptieren substanzielle Verhandlungen mit der Kurdischen Freiheitsbewegung oder in der Türkei bricht Bürgerkrieg aus." Der Verlauf der Friedensverhandlungen wurde von den PKK-Anhängern in Deutschland aufmerksam beobachte. Es kam zu Saalveranstaltungen sowie zu Demonstrationen, in denen eine Aufhebung des PKK-Verbots gefordert wurde. Sollte es zu einem Scheitern des Friedensprozesses kommen, wird die PKK-Führung die Schuld hierfür dem türkischen Staat anlasten. Eine vergleichbare Strategie - die Verknüpfung eines Friedensangebots mit für die Türkei letztlich nicht annehmbaren Forderungen sowie eine anschließende Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes - war bereits in der 244 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Vergangenheit, zuletzt in den Jahren 2004 und 2007, typisch für das Vorgehen der PKK. Sie nutzt diese Situation, um erneute Kampfhandlungen zu rechtfertigen und ihren Anhängern propagandistisch zu verdeutlichen, dass sie in ihrer Unterstützung des Kampfes der PKK nicht nachlassen dürfen. Parallel zu den Friedensverhandlungen in der Türkei haben sich die Kämpfe in der syrisch-türkischen Grenzregion intensiviert. Beteiligt sind die Partei der demokratischen Union (PYD), der militärische Arm der syrischen PKK Organisation, sowie islamistische Gegner des Assad-Regimes. Da der PYD und somit auch der PKK im Gebiet Rojava ein begrenzter Aufbau einer kurdischen Selbstverwaltung gelungen ist, nutzt sie Kampfhandlungen in diesem Gebiet wie auch bei vielen anderen der beschriebenen Themenfelder als Aufhänger für Solidaritätsveranstaltungen. Kundgebungen zum Thema "Rojava/Syrien" fanden ab Anfang August 2013 unter anderem in Bonn, Duisburg, Siegen und Köln mit jeweils mehreren Hundert Teilnehmern statt. Propagandistisch begleitend beschuldigte die PKK die Türkei, in Rojava einen Stellvertreterkrieg zu führen. Sie beliefere die gegnerischen Gruppen mit Waffen. Die Ermordung von drei Aktivisten der PKK im Kurdistan Informationsbüro in Paris am 9. Januar 2013 führte zu großer Betroffenheit unter den Anhängern der Organisation. Bei den Opfern handelte es sich um Sakine Cansiz, eine hochrangige Funktionärin der PKK, Fidan Dogan, eine Vertreterin des Kurdistan Nationalkongresses (KNK), und Leyla Saylemez, eine Funktionärin der PKK Jugendorganisation 'Komalen Ciwan'. Ein mutmaßlicher Täter wurde am 17. Januar 2013 von der französischen Polizei festgenommen. Die PKK-Führung hat diese Morde auf das schärfste verurteilt und propagiert unter anderem die Auffassung, dass der türkische Geheimdienst mit Unterstützung französischer Stellen für die Morde verantwortlich sei. Unmittelbar nach den Morden fand in Paris eine große Gedenkveranstaltung mit rund 15.000 Teilnehmern statt. Unmittelbare Reaktionen waren auch Gedenkveranstaltungen in Deutschland beispielsweise in Dortmund am 14. Januar 2013 mit rund 300 Teilnehmern und in Bochum am 19. Januar 2013 mit rund 1.100 Teilnehmern. In Bochum lautete das Motto "Aufzug zur Solidarität mit der Bevölkerung Syriens und zur Verurteilung des Mordes an drei kurdischen Politikerinnen in Paris". Eine anhaltende Emotionalisierung der PKK-Anhängerschaft zeigt sich an der Dauermahnwache vor dem französischen Generalkonsulat in Düsseldorf, die seit März 2013 wöchentlich gleichbleibend durchgeführt wird. Sie steht unter dem Motto "Morde an kurdischen Rebellen in Paris/Aufklärung". ausländErExtrEmismus 245 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Beispiele verdeutlichen, dass Kampfhandlungen oder Ereignisse mit Bezügen zur PKK weiterhin geeignet sind, kurzfristig die PKK-Anhängerschaft zu mobilisieren. Die PKK untermauert dabei stets den nach ihrem Selbstverständnis bestehenden Alleinvertretungsanspruch in der kurdischen Frage. Aktionsverhalten der PKK-Jugendorganisation 'Komalen Ciwan' Während das Jahr 2012 von zahlreichen medienwirksamen Besetzungsaktionen und Spontandemonstrationen gekennzeichnet war, hat sich der Friedensprozess in der Türkei in einem deutlich rückläufigen Aktionsverhalten der 'Komalen Ciwan' im Jahr 2013 gespiegelt. Offenkundig haben entsprechende Vorgaben der Organisation eine deutliche Zurückhaltung bei offen aggressivem Aktionsverhalten bewirkt. Allerdings kommt es nach wie vor bei meist anlassunabhängigem Zusammentreffen von nationalistischen Türken mit jugendlichen PKK-Anhängern zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Rolle Abdullah Öcalans Gründungsmitglied und Führer der PKK ist Abdullah Öcalan. Trotz seiner Inhaftierung im Februar 1999 bekleidet er herausragende Positionen innerhalb der PKK-Strukturen, aktuell das Amt des Präsidenten der KCK. Abdullah Öcalan bleibt letztlich die tragende Identifikationsfigur der PKK-Anhänger. Die Situation Abdullah Öcalans ist weiterhin ein wichtiges Thema der PKK-Agitation und nach wie vor geeignet, seine Anhänger zu mobilisieren. Die Bedeutung seiner Person wird unter anderem daran deutlich, dass die türkische Regierung Öcalan offenbar als Verhandlungspartner im vorstehend beschriebenen Friedensprozess akzeptiert hat. Die Befolgung seines Appells zum Rückzug der Guerillakämpfer aus der Türkei zeigt, dass er immer noch höchste Autorität genießt und trotz seiner eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten aus der Haft heraus zumindest mittelbar maßgeblichen Einfluss auf Vorgehen und Strategie der Organisation ausüben kann. 246 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Deutschland als Rückzugsgebiet der PKK Der Finanzbedarf der PKK ist erheblich, um die Aktionsfähigkeit der Organisation im Inund Ausland aufrecht zu erhalten. Die PKK nutzt weiterhin die in Deutschland vorhandenen Strukturen, um Gelder zu generieren, mit denen die Fortführung der militärischen Auseinandersetzungen in den kurdischen Gebieten unterstützt werden können sowie zur Finanzierung der hauptamtlichen Kader und des Propagandaapparates. Wichtigste Geldquelle sind organisierte Spendensammlungen, die durch regelmäßige Zahlungen von Anhängern und durch Erlöse aus dem Zeitschriftenverkauf ergänzt werden. Der Ertrag aus den Spendensammlungen liegt allein in Deutschland bei mehreren Millionen Euro. Spendensammler sind Kader, illegale Aktivisten und Funktionäre, die für das Sammeln der Spenden in den Teilgebieten zuständig sind. Sie erhalten von der Europaleitung der PKK Vorgaben zur Höhe der in den jeweiligen Gebieten erwarteten beziehungsweise aufzubringenden Spendeneinnahmen. Zusätzlich zur jährlichen Spendenkampagne wurde im Jahr 2013 eine Sonderspendenkampagne zur Unterstützung der in kurdischen Siedlungsgebieten tätigen PYD durchgeführt. Allen Kurden sollte deutlich gemacht werden, dass sie die "Rojava-Revolution" in finanzieller Hinsicht unterstützen müssten. Die "Rojava-Revolution" wurde von der PKK-Führung zudem als Erfolgsmodell des Guerillakampfes herausgestellt. Für ihre Guerillaaktivitäten rekrutiert die PKK Nachwuchs in Westeuropa. Immer wieder werden Fälle bekannt, dass auch in Deutschland junge Männer und Frauen für den Kampf angeworben werden. Organisation in Europa Zur politischen Vertretung auf europäischer Ebene und für Propagandazwecke hat der KONGRA-GEL eine Reihe von Organisationen gegründet. Dazu gehört als offizielle Europavertretung die 'Koordination der kurdischen ökologisch-demokratischen Gesellschaft in Europa' ('KoordA(r)nasyon Civata EkolojA(r)k-DemokratA(r)k a Kurd Li Ewropa' - CDK). Sie hat die Aufgabe, die in Europa lebenden Kurden durch Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie Propagandatätigkeit zu informieren und für den - im Sprachgebrauch der PKK - "Befreiungskampf" zu begeistern. Die wichtigsten Nebenbzw. Teilorganisationen, mit denen der KONGRA-GEL in Deutschland vertreten ist, sind die ausländErExtrEmismus 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Kurdische Frauenbewegung in Europa' (AKKH), ehemals 'Union der freien Frauen' (YJA), und der 'Demokratische Jugendföderalismus Kurdistans' - ('Komalen Ciwan'). Führende Funktionäre - zumindest ab der Ebene der Gebietsleiter aufwärts - leben konspirativ. Sie wechseln in der Regel täglich ihren Aufenthaltsort, benutzen Decknamen und sind nur unter Telefonanschlüssen zu erreichen, die auf unverdächtige Personen angemeldet sind. Vornehmlich halten sie sich in Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden auf. Sie widmen ihre Arbeitskraft ausschließlich der Partei. Dabei sind sie für die Verbreitung von Parteibeschlüssen und Reden von Parteifunktionären, den Start und die Steuerung von Kampagnen und für Demonstrationen zuständig. Zudem sind sie verantwortlich für die Spendensammlung und überwachen den Verkauf von Zeitungen und Eintrittskarten für Großveranstaltungen, wie dem jährlichen internationalen kurdischen Kulturfestival. Neben der CDK hat die PKK in Europa die Bildung sogenannter Massenorganisationen initiiert. Sie sollen bestimmte Personenund Berufsgruppen als weiteres Unterstützungspotential gewinnen, ohne dass aus dem Organisationsnamen unmittelbar eine Verbindung zur PKK hergeleitet werden kann. Folgende Organisationen sind hier bekannt und aktiv: : 'Demokratischer Jugendkonföderalismus Kurdistans' ('Komalen Ciwan') : 'Föderation der Aleviten Kurdistans' (FEDA, früher: FEK), : 'Föderation der Yezidischen Vereine Kurdistans' (FKE), : 'Islamische Gemeinde Kurdistans' (CIK), : 'Kurdische Frauenbewegung in Europa' (AKKH)', : 'Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.' (YXK). Aktuelle Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Die Betätigung als Funktionär für die PKK verwirklicht den Tatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland (SS 129a/b StGB). Dementsprechend hatten sich im Jahr 2013 erneut mehrere Führungsfunktionäre der Partei in Strafverfahren vor Gericht zu verantworten: : Am 23. Januar 2013 kam es vor dem OLG Düsseldorf zur Anklage gegen einen türkischen Staatsangehörigen, dem die Tätigkeit als Seritleiter (Gebietsleiter) der PKK sowie die zeitweilige Leitung des für die Finanzen der PKK zuständigen Europabüros vorgeworfen wird. 248 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Am 15. April 2013 verurteilte das OLG Düsseldorf einen türkischen Staatsangehörigen wegen seiner Kadertätigkeit in der PKK-Jugendorganisation sowie wegen der Beteiligung an der Rekrutierung Jugendlicher für die PKK. Medieneinsatz Die PKK bedient sich eines Mediennetzes, das der Verbreitung von Propaganda in der kurdischen Anhängerschaft der PKK dient. Es umfasst Fernsehund Radiosender und mehrere Zeitungen. Veröffentlichungen dieser Medien werden oft durch die Nachrichtenagentur 'Firat NEWs Agency' (ANF) aufbereitet. Die Medien verbreiten im Wesentlichen Beiträge über die Ziele und Aktivitäten der PKK. Neben dem Fernsehsender 'Ster TV' hat am 25. November 2013 mit 'Mednuce' ein neuer kurdischer Fernsehsender seinen Sendebetrieb - zunächst im Testbetrieb - aufgenommen. In Zeitungen wie 'Yeni Özgür Politika' finden sich zudem Hinweise auf kleinere regionale Veranstaltungen und ganzseitige Aufrufe zur Teilnahme an Großveranstaltungen. Weitere Zeitungen und Zeitschriften, die Propaganda für die PKK betreiben, sind die 'Serxwebun' ('Unabhängigkeit'), der deutschsprachige 'Kurdistan-Report' und der 'Sterka Ciwan' ('Stern der Jugend'). Die Zeitschrift 'Newaya Jin' ('Erlebnisse der Frauen') ist auf die weibliche kurdische Anhängerschaft ausgerichtet. Zudem wird auf verschiedenen Internetseiten PKK-Propaganda betrieben. Insbesondere für die Anhänger der Jugendorganisation 'Komalen Ciwan' bietet das Internet eine wichtige Plattform, um Aktionen und politische Anliegen schnell publik zu machen. Das Netz wird zudem für Schmähungen und Provokationen nationalistischer Türken genutzt. 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEK-KOM) Zur Förderung der kulturellen Belange der kurdischen Bevölkerung in Deutschland wurde am 27. März 1994 die 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEKKOM) gegründet. Der Sitz ist Düsseldorf. Gemäß der Vereinssatzung sieht die YEK-KOM ihre Aufgabe in der Pflege der kurdischen Kultur, Sprache und Tradition. Daneben will sie für Völkerverständigung und Freundschaft werben. Nach ihrem Selbstverständnis vertritt YEK-KOM jedoch auch die politischen Interessen der PKK in Deutschland. Die YEK-KOM ist nicht vom Betätigungsverbot gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen erfasst. Der Dachverband sowie die angeschlossenen Vereine haben eine Nähe zur PKK als gemeinsame Grundlage. ausländErExtrEmismus 249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Als Dachorganisation zahlreicher Mitgliedsvereine in der Bundesrepublik Deutschland ist YEK-KOM in die Strukturen der 'Konföderation kurdischer Vereine in Europa' (KON-KURD) eingebunden. YEK-KOM finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge von Vereinen und durch Spenden. Weiterhin arbeiten YEK-KOM-Funktionäre mit Nachdruck an Kontakten und Zugängen zur deutschen Politik, um die kurdischen Interessen dort vorzubringen. In diesem Zusammenhang wird unter anderem versucht, Politiker in die Organisationsstrukturen des Dachverbandes einzubeziehen sowie Mitglieder in aussichtsreicher Position auf entsprechenden Parteilisten zu platzieren. Die Organisation agiert dabei auf kommunaler sowie auf Landesund Bundesebene. Sie pflegt zudem Kontakte zu Vertretern des Europäischen Parlaments. Veranstaltungen Mit zentral gesteuerten Propagandaaktionen, zu denen sowohl Demonstrationen als auch jährlich wiederkehrende Festivals, aber auch die Durchführung von Podiumsdiskussionen, Unterschriftenaktionen sowie Hungerstreiks und Mahnwachen gehören, versucht die PKK die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Lage der Kurden in den Siedlungsgebieten zu richten; diese Veranstaltungen dienen aber auch dazu, unter den im Ausland lebenden Kurden die Zugehörigkeit zur kurdischen Kultur lebendig zu halten und zu festigen. Zu internationalen oder bundesweiten Großdemonstrationen und Festivals können zum Teil mehrere zehntausend Anhänger mobilisiert werden. Dies waren vor allem das Newroz-Fest am 23. März 2013 in Bonn sowie das Kurdistan Festival am 21. September 2013 in Dortmund. Mit diesen Großveranstaltungen, die zumindest äußerlich eher Festivalcharakter haben, versucht die Organisation ein breites Feld von Aktivisten, aber auch Sympathisanten zu erreichen. Dementsprechend hoch sind die Teilnehmerzahlen. Am Newroz-Fest nahmen rund 9.000, in Dortmund 24.500 Personen teil. Die jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen werden für die Verbreitung von politischen Reden und Videobotschaften genutzt und sind damit fester Bestandteil des Ideologietransfers mit dem Ziel, das "Wir-Gefühl" in der kurdischen Community zu stärken. Zugleich bieten die Veranstaltungen der Organisation die Möglichkeit, Gelder zu akquirieren. 250 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bewertung Aus Sicht der PKK stellt der vorläufige Rückzug ihrer Guerillaeinheiten aus dem türkischen Staatsgebiet eine einseitige Vorleistung dar, der bislang kein adäquates Angebot des türkischen Staates zur Lösung der Kurdenfrage gegenübersteht. Der Ausgang des Friedensprozesses bleibt damit offen und die Gesamtlage ist, je länger die PKK an ihren Maximalforderungen festhält, von fortschreitender Instabilität gekennzeichnet. Bei einem Scheitern des Friedensprozesses könnte die PKK ihre Anhängerschaft jederzeit wieder zum bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten aufrufen, um Erfolge wie in Rojawa zu erzielen. Ein verstärktes Aktionsverhalten mit Spontandemonstrationen und medienwirksamen Besetzungsaktionen könnten eine Folge sein, da die PKK in der Lage ist, ihre Anhänger auch in Deutschland kurzfristig zu mobilisieren. 5.2 Tamilische Befreiungstiger Interessenvertretung 'Tamil Coordination Committee' (TCC) Mitglieder Bund NRW 2013 ca. 1.000 ca. 300 2012 ca. 1.000 ca. 300 Internet englischsprachige Homepage Ziele Die im Jahr 1972 gegründete Organisation 'Tamilische Befreiungstiger' ('Liberation Tigers of Tamil Eelam' - LTTE) strebt die Errichtung eines von Sri Lanka unabhängigen, sozialistischen, tamilischen Staates im überwiegend von Tamilen bevölkerten Norden und Osten der Insel an. Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Logo der LTTE Ein wesentlicher Teil der LTTE-Strategie zur Durchsetzung ihrer Forderung nach einem separaten Staat waren seit 1983 Terroranschläge gegen sri-lankische und indische Ziele im Rahmen eines Guerillakrieges gegen die singhalesische ZentralausländErExtrEmismus 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 regierung. Damit verfolgen die in Deutschland lebenden Anhänger der LTTE Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Sie erfüllen damit die Voraussetzungen für die Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW. Die anhaltenden Gewaltaktionen der Organisation in Sri Lanka führten seitens der EU am 29. Mai 2006 zu der Listung der LTTE als terroristische Organisation. Aktivitäten der LTTE Den jahrzehntelangen Bürgerkrieg auf Sri Lanka konnte die Zentralregierung im Mai 2009 nach der Einnahme der verbliebenen LTTE-kontrollierten Gebiete im Nordosten Sri Lankas für sich entscheiden. Bei dieser Schlussoffensive wurde der Führer der LTTE, Velupillai Prabhakaran, getötet. Auch vier Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs bestehen die entgegengesetzten Positionen der LTTE und des Staates Sri-Lanka fort. Bei der jährlichen Protestveranstaltung des europäischen 'Tamil Coordination Committees' (TCC) am 4. März 2013 in Genf wurde auch in diesem Jahr gefordert, dass sich das sri-lankische Militär aus den von Tamilen bevölkerten Gebieten Sri-Lankas zurückziehen und das dortige Verbot der LTTE aufgehoben werden soll. Die Forderung nach einem unabhängigen tamilischen Staat "Tamil Eelam" wird ebenfalls weiter aufrechterhalten. In einer Resolution wurde gefordert, die angeblichen Menschenrechtsverletzungen während des 30-jährigen Bürgerkriegs zu untersuchen. Dies betreffe insbesondere die intensivierten Kampfhandlungen des Jahres 2009, die in die militärische Niederlage der LTTE mündeten. Aus Anlass des vierten Jahrestages der militärischen Niederlage der LTTE am 18. Mai 2013 führten Anhänger der Organisation in mehreren deutschen Städten Veranstaltungen zum sogenannten "War Crimes Day" durch. Träger der Veranstaltungen waren der 'Volksrat der Eelam Tamilen Deutschland' (VETD) und die 'Tamilische Jugendorganisation' (TYO). Das Internet wurde zur Mobilisierung genutzt. An der größten in Düsseldorf durchgeführten und friedlich verlaufenen Veranstaltung beteiligten sich rund 850 LTTE-Anhänger. Es wurden vermeintliche Kriegsverbrechen der sri-lankischen Armee thematisiert. Der 27. November ist der Geburtstag des im Jahr 2009 getöteten LTTE-Führers Velupillai Prabhakaran. An diesem "Heldengedenktag" erinnern die Anhänger der Orga252 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 nisation weltweit in Veranstaltungen an die eigenen im Kampf für ein unabhängiges "Tamil Eelam" gefallenen Kämpfer. Eine entsprechende Großveranstaltung mit rund 3.500 Teilnehmern fand am 27. November 2013 in Dortmund statt. Die alljährliche Durchführung derartiger Gedenkveranstaltungen ist weiterhin wichtigster Identifikationspunkt für die LTTE-Anhänger. Flügelbildung innerhalb der LTTE Trotz der militärischen Niederlage und einer anschließenden Phase der Destabilisierung der LTTE sowie ihrer Auslandsorganisationen ist seit Mitte 2010 eine Restrukturierung zu beobachten. Eine Konsolidierung der LTTE-nahen tamilischen Community scheitert jedoch bislang an inhaltlichen Auseinandersetzungen und persönlichen Zerwürfnissen der beiden erkennbaren Hauptströmungen innerhalb der Organisation. Das "LTTE Headoffice", auch "LTTE Hauptquartier" oder "Hauptstelle", sieht sich als Vertreter einer moderaten Fraktion. Erstmalig artikulierte diese Gruppierung im Februar 2011 in einem Internetbeitrag ihren Standpunkt, wonach auf demokratischem Wege eine politische Lösung herbeigeführt werden soll. Das Headoffice unterstützt hierbei das Konzept einer "Transnationalen Regierung" (Transnational Government of Tamil Eelam - TGTE). In allen Staaten mit signifikanter tamilischer Diaspora erfolgten Wahlen zu einem "Parlament" mit Regierungsbildung - das TGTE - und einem Ministerpräsidenten an der Spitze. Das TGTE verstand sich dabei als weltweite, demokratisch legitimierte Vertretung aller Tamilen, die als gleichberechtigter Verhandlungspartner gewaltfrei die Bildung eines unabhängigen "Tamil Eelam" anstrebt. Die "LTTE International Organisation", auch "LTTE Internationale Verbindungsstelle", bildet den so genannten "Hardliner"-Flügel, der sich offen zu einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Sri Lanka bekennt. Die "LTTE International Organisation" kann auf die gewachsenen internationalen Strukturen der LTTE-Diaspora, die sogenannten 'Tamil Coordination Committees' (TCC), zurückgreifen und verfügt daher über einen organisatorisch wie personell ausgereiften Unterbau. Seit 2011 war feststellbar, dass die internen Auseinandersetzungen um ihre zukünftige politische Ausrichtung eine effektive Handlungsfähigkeit der LTTE in zunehmendem Maße beeinträchtigten. Insbesondere der von beiden Seiten proklamierte Alleinvertretungsanspruch und die behauptete Unvereinbarkeit der politischen Positionen ausländErExtrEmismus 253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 führte innerhalb der tamilischen Anhängerschaft zu einer deutlichen Verunsicherung. Nicht zuletzt diesem Umstand dürfte es geschuldet sein, dass im Jahr 2013 keine konkurrierenden Veranstaltungen beispielsweise zum Heldengedenktag durchgeführt worden sind. Insofern verdichten sich die Anhaltspunkte dafür, dass die "Flügelbildung" aufgegeben wird und die Bemühungen um eine Festigung der Handlungsfähigkeit in der Anhängerschaft derzeit im Vordergrund stehen. Struktur in Deutschland Die LTTE tritt in Deutschland nicht unter ihrem Namen auf. Ihre Ziele und Interessen werden hier durch das 'Tamil Coordination Committee' (TCC) vertreten. Der LTTE nahestehende Organisationen mit Sitz in NRW sind u.a.: : 'Tamil Youth Organization*' (TYO), : 'Tamil Rehabilitation Organization e.V.*' (TRO), : 'Tamil Student Organization e.V.*' (TSV). Die LTTE-Sektion Deutschland wird nach wie vor durch konspirative Zellen gebildet, die sich nach außen völlig abschotten. Das TCC wird tendenziell von der Mehrheit der in Deutschland lebenden Tamilen, die eine Nähe zur LTTE aufweisen, als Meinungsführer innerhalb der LTTE betrachtet. Insbesondere die Vertreter der "LTTE International Organisation" können sich daher in der Bundesrepublik vielerorts auch weiterhin erfolgreich auf die vorhandenen LTTE-Strukturen stützen. Finanzierung Bis zu ihrer militärischen Niederlage 2009 bestand das Hauptziel der LTTE im Ausland und damit auch in Deutschland darin, Geld für den "Befreiungskampf" und die Versorgung von Flüchtlingen in der Heimat zu beschaffen. Viele Auslands-Tamilen leisteten einen "Solidaritätsbeitrag" und spendeten regelmäßig für die LTTE. Ohne die regelmäßige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland hätte die LTTE ihren paramilitärischen Apparat in Sri Lanka nicht über Jahrzehnte aufrechterhalten können. Hinsichtlich der Höhe der jährlich akquirierten Finanzmittel konnten keine gesicherten Zahlen erhoben werden. Das klandestine Verhalten der Organisation lässt auch Fragen hinsichtlich der tatsächlichen Freiwilligkeit der finanziellen Unterstützung offen. 254 ausländErExtrEmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bewertung Im Jahr 2013 scheint eine gewisse Beruhigung bei den internen Flügelkämpfen eingetreten zu sein. So wurden im Jahresverlauf keine Hinweise auf nennenswerte Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Gruppen bekannt. Insbesondere der Verzicht auf konkurrierende Veranstaltungen führt zu der Einschätzung, dass es zu einer Zusammenführung der bislang konkurrierenden Flügel und damit letztlich zu einer strategischen Neuausrichtung kommen kann. Es bleibt abzuwarten, ob es der LTTE gelingt, den Konflikt um ihre künftige Ausrichtung zu lösen und - unter zentraler Führung - ihre weltweite Gefolgschaft mit einer diese einigenden, realistischen Perspektive zu binden. ausländErExtrEmismus 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 256 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 6 Islamismus155 Als Islamismus wird eine politische extremistische Ideologie bezeichnet, in der - anders als bei säkularen antidemokratischen Ideologien wie Marxismus oder Nationalsozialismus - die demokratiefeindlichen politischen Ordnungsvorstellungen und damit einhergehende Feindbilder mit einer Religion, dem Islam, begründet werden. Der Islam und das Eintreten für islamische Interessen sind jedoch nicht extremistisch. Den Vorstellungen von Islamisten liegt ein fundamentalistisches Verständnis des Islam zugrunde. Die Verfassungsschutzbehörden haben die gesetzliche Aufgabe, Bestrebungen und Tätigkeiten zu beobachten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder Spionage für eine fremde Macht zum Ziel haben. Deshalb müssen Personengruppen und Organisationen, die tatsächliche Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, sich im Sinne eines oder mehrerer der genannten Punkte zu betätigen, vom Verfassungsschutz beobachtet werden, auch dann, wenn sie dies auf religiöse, islamische Argumente stützen. Hierzu gehören nicht nur gewalttätige oder gewaltorientierte islamistische Organisationen, Netzwerke und Personenzusammenschlüsse, sondern auch solche, die auf Gewalt verzichten und auf legalem Weg die Verbreitung, Etablierung und Durchsetzung extremistischer politischer Vorstellungen anstreben. In der islamistischen Ideologie werden die islamische Offenbarungsschrift und die Überlieferungen aus früheren islamischen Epochen als Muster für die anzustrebende Staatsund Gesellschaftsordnung angesehen. Formen einer demokratischen politischen Willensbildung in der Gesellschaft werden dabei gänzlich oder in wesentlichen Teilen abgelehnt. Bestimmten Menschengruppen werden beispielsweise aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung im 155 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. islamismus 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 deutschen Grundgesetz verbürgte Rechte abgesprochen. Die Überzeugung, auf der Grundlage unfehlbarer göttlicher Bestimmungen zur Gestaltung von Staat und Gesellschaft ermächtigt zu sein, öffnet dabei das Tor für politischen Totalitarismus. Ein weiteres Merkmal islamistischer Bestrebungen ist das Vorliegen bestimmter Feindbilder. Als Feind gilt grundsätzlich, wer oder was sich aus Sicht der islamistischen Ideologie der Errichtung einer "islamischen Ordnung" in den Weg stellt. Dies sind insbesondere der "Westen" mit seinen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Merkmalen (Kapitalismus, Demokratie, Wertepluralismus) und der Zionismus. Die Feindschaft gegenüber dem Zionismus und Israel führt bei den Anhängern islamistischer Bestrebungen in der Regel zu einer strikt antisemitischen Haltung. Zur steten Untermauerung ihres Feindbildes dienen Islamisten historische und aktuelle politische sowie militärische Konfrontationen zwischen christlich geprägtem Okzident und islamisch geprägtem Orient sowie wirtschaftliche und politische Ungleichheiten in islamischen Ländern, die mit dem Westen kooperieren. Soweit bei islamistischen Bestrebungen Vorstellungen über die Ausgestaltung des angestrebten "islamischen Staates" und der "islamischen Ordnung" bestehen, variieren diese untereinander zum Teil erheblich. Die Methoden, mit denen dieses Ziel verfolgt wird, unterscheiden sich ebenfalls stark voneinander. Die besondere Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes gilt der Aufklärung gewaltorientierter islamistischer Bestrebungen und solcher, die dem transnationalen islamistischen Terrorismus den geistigen Boden bereiten. Er arbeitet in diesem Bereich sehr eng mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Es darf jedoch nicht unterschätzt werden, dass auch gewaltlose islamistische Bestrebungen langfristig extremistische Vorstellungen in der Gesellschaft verbreiten können. Die Kraft der demokratischen Gesellschaft, ihrerseits diese Bestrebungen mit demokratischen Vorstellungen zu beeinflussen, muss sich entsprechend entwickeln können. Der Verfassungsschutz bietet der Gesellschaft die notwendigen Informationen, um mit solchen Bestrebungen in eigener Verantwortlichkeit zielund handlungssicher umzugehen. 258 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 6.1 Islamistisch motivierter transnationaler Terrorismus 6.1.1 Al-Qaida und von ihr inspirierte jihadistische Gruppierungen 'Al-Qaida' ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington der Inbegriff eines gegen die Staaten der westlichen Welt gerichteten Terrorismus mit islamistischer Motivation. Der Kern der 'al-Qaida' ist im afghanischpakistanischen Grenzgebiet verortetet. Daneben agieren Unterund Nebenorganisationen, die die Ideologie, Ziele und Methoden 'al-Qaidas' teilen, in verschiedenen Regionen. Diese Gruppierungen Jihadistische Propaganda aus Syrien in sozialen selbst bezeichnen ihren Kampf als "Jihad" Netzwerken: Twitter und ihre Kämpfer als "Mujahidin" und vereinnahmen damit islamische Begriffe. In Anlehnung an den von 'al-Qaida' und ihr nahestehenden Gruppierungen verwendeten Begriff "Jihad" werden diese Kämpfer auch verbreitet "Jihadisten" genannt. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Organisationsformen und Strukturen eint die "jihadistischen" Gruppierungen das Bestreben, ihr politisches Ziel, die Errichtung eines "islamischen Staates", mit Gewalt und Terror zu verfolgen. Sie betrachten alle demokratischen Staaten und Gesellschaften, auch wenn diese islamisch geprägt sind als Feinde, da sie der Verfolgung ihres Ziels im Wege stehen. Von diesen jihadistisch eingestellten, 'al-Qaida'-affinen Personengruppen geht derzeit die größte tatsächliche Gefahr für die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen aus. Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Jihadistische Gruppierungen und Netzwerke haben bereits mehrfach Deutschland und Personengruppen in Nordrhein-Westfalen mit Gewalttaten gedroht. Ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist deshalb gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW geboten. Darüber hinaus stellen sie durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen weltweit eine terroristische Bedrohung dar und gefährden somit die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, weshalb sie auch nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW zu beobachten sind. islamismus 259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Hintergrund Die Entstehung des Mujahidin-Phänomens geht auf die sowjetische Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 zurück. Der Widerstand gegen die Besatzung (1979 bis 1989) formierte sich unter religiösen Vorzeichen. In Trainingslagern wurden die Freiwilligen auf den Kampf gegen die sowjetische Armee vorbereitet. Dies legte die Basis für eine Terrorausbildung, die die Afghanistankämpfer später auch in Form von Aufständen und Umsturzversuchen gegen bestehende Regierungen und Herrschaftssysteme in ihren jeweiligen Heimatländern zum Einsatz brachten. Die von Usama bin Ladin gegründete 'al-Qaida' trat in dieser Zeit erstmals in Erscheinung. Ihr Zweck war zunächst die logistische Unterstützung der afghanischen Kämpfer mit Geld, militärischer und religiöser Ausbildung sowie mit freiwilligen Kämpfern überwiegend arabischer Herkunft. Darüber hinaus nahm bin Ladin auch als Kommandeur an Kämpfen gegen die Sowjettruppen teil und wird deshalb von den Mujahidin als Führer und Symbolfigur für den "gerechten Kampf" der Muslime auch nach seinem Tod verehrt. Die Jihadisten sind vom Hass auf Israel, die USA, ihre westlichen Verbündeten sowie die mit dem Westen kooperierenden Regierungen islamischer Staaten getrieben. Der "Westen" wird pauschal für Unterdrückung, Korruption, Unterentwicklung und den Niedergang "sittlicher (islamischer) Werte" verantwortlich gemacht. Im Februar 1998 bildete sich unter der Führung von 'al-Qaida' ein internationaler Zusammenschluss, die 'Islamische Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler', der Organisationen aus Ägypten, Pakistan, Bangladesch sowie inzwischen auch aus dem Irak, aus Algerien und Usbekistan angehören. Das Netzwerk von Usama bin Ladin umfasst damit nicht mehr nur arabischstämmige Kämpfer. Bin Ladin bezeichnete es als individuelle Pflicht eines jeden Muslim, Amerikaner und ihre Verbündeten - Zivilisten und Militärpersonal gleichermaßen - zu töten, wo immer sich die Möglichkeit dazu biete, bis die heiligen Stätten der Muslime in Saudi-Arabien von den "Ungläubigen" befreit seien. Nach diesem Aufruf sind zahlreiche Anschläge weltweit verübt worden. Zu den Anschlägen mit einer hohen Zahl von Opfern zählen unter anderem die Terroranschläge am 11. September 2001 in New York/ Washington, am 11. März 2004 in Madrid und am 7. Juli 2005 in London. Die Triebfeder der unzähligen 'al-Qaida'-nahen Terrorzellen weltweit ist allerdings nur vordergründig die gleiche Ideologie. Betrachtet man die Konflikte, an denen sich islamistische Terroristen weltweit beteiligen, so fällt auf, dass vom Maghreb über den 260 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Nahen Osten und Tschetschenien bis nach Süd-Ost-Asien ganz unterschiedliche Motive den gewaltsamen Kampf bestimmen können. Regional definierte, machtpolitische und ethnische Interessen stehen deutlich im Vordergrund. Die führenden Köpfe der internationalen Terror-Szene versuchen jedoch unterschiedlichste Konflikte im Sinne ihrer Jihad-Ideologie zu deuten. Dabei sind sie in zweierlei Hinsicht erfolgreich: Sie münzen regionale ethnische und/oder soziale Konflikte in religiöse Konflikte um und stellen sie in den Kontext einer globalen Auseinandersetzung zwischen "Glauben" und "Unglauben". Dadurch radikalisieren sie die beteiligten Konfliktparteien in ihrem Sinne. Struktur Das transnationale terroristische Netzwerk 'al-Qaida' unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von anderen islamistischen terroristischen Gruppierungen: Es ist nicht auf ein Territorium begrenzt und hat überwiegend keine festen Organisationsstrukturen, sondern basiert vielmehr auf "Treueeiden" von lokalen Jihadisten gegenüber regionalen Anführern. Seit die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Verbündeten 2002 ihren massiven Kampf gegen 'al-Qaida' begonnen haben, sind ehedem festgefügte Netzwerkstrukturen, die in den Trainingslagern von 'al-Qaida' in Afghanistan entstanden waren, stark beeinträchtigt worden. Stattdessen haben sich weltweit lokale und autonome Terrororganisationen und Terrorzellen gebildet, die die Ideologie 'al-Qaidas' verinnerlicht haben, in ihrem Sinne agieren und den Anschluss nominell über die erwähnten "Treueeide" herstellen. Kern-'al-Qaida' in Afghanistan/ Pakistan und sein heutiger Anführer, Aiman al-Zawahiri, sind vermutlich nicht mehr Planungsund Kommandozentrale für Anschläge weltweit. Als symbolische Leitung des globalen "Jihad" spielt Kern-'al-Qaida' aber weiterhin eine wichtige Rolle. International hat sich 'al-Qaida' in verschiedene regionale Teilorganisationen gegliedert, die Kern-'al-Qaida' ihre Loyalität geschworen haben und im Sinne der ideologischen Ausrichtung wirken. Die bedeutendsten dieser Zweige sind: : 'Al-Qaida im Islamischen Maghreb' (AQM); ging hervor aus der 'Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat' (GSPC), die sich Ende 2006/Anfang 2007 'al-Qaida' angeschlossen hat. In Nordrhein-Westfalen hatte die GSPC Einzelmitglieder, aber keine Strukturen. islamismus 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : 'Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel' (AQAH); ist durch den Zusammenschluss der 'al-Qaida'-Gruppen in Saudi-Arabien und dem Jemen im Januar 2009 gebildet worden. : 'Al-Qaida im Irak' (AQI); wurde nach der Besetzung des Irak durch alliierte Truppen 2003 von Abu Musab al-Zarqawi gegründet. Nach dem Tod ihres Gründers im Juni 2006 benannte sich die Organisation in 'Islamischer Staat im Irak' (ISI) um. Seit Frühjahr 2013 erhebt ISI Anspruch auf Syrien und nennt sich 'Islamischer Staat im Irak und in der Levante / bzw. Syrien / bzw. Groß-Syrien' (ISIL, ISIS, ISIG). : 'Jabhat al-Nusra li-ahli al-Sham' ('Unterstützungsfront für das syrische Volk') oder kurz 'Jabhat al-Nusra' (JaN); formierte sich Ende 2011 aus Mitgliedern des ISI in Syrien als eine weitere 'al-Qaida'-Organisation. Im April 2013 erklärte der ISI die 'Jabhat al-Nusra' (JaN) zu einem Teil des ISI und gab die Vereinigung der beiden Organisationen unter dem Namen ISIS (siehe oben) bekannt. Die 'Jabhat al-Nusrah' ihrerseits lehnte die Vereinnahmung durch ISI ab und erklärte daraufhin Aiman al-Zawahiri und damit Kern-'al-Qaida' die Treue. Der Streit um die Eigenständigkeit von 'Jabhat al-Nusra' oder ihre Abhängigkeit von ISI war bis Ende 2013 auch durch die Vermittlungsbemühungen von al-Zawahiri nicht beizulegen. Das 2013 zu Tage getretene Unvermögen Kern-'al-Qaidas', die eigenen Interessen gegenüber dem 'Islamischen Staat im Irak und in Syrien' durchzusetzen, lässt eine massive Beeinträchtigung ihrer Führungsund Koordinierungsfunktion erkennen. Die vier genannten Teilorganisationen scheinen in ihren Regionen weitgehend autonom zu agieren und selbst bei Entscheidungen über die Struktur der Gesamtorganisation scheint Kern-'al-Qaida' nicht mehr die unangefochtene Autorität zu besitzen. Diese seit einiger Zeit zu beobachtende "Zerfaserung" internationaler terroristischer Strukturen macht diese unberechenbarer und damit zumindest nicht ungefährlicher. 6.1.2 Jihadistische und politische 'salafistische Bestrebungen' in NordrheinWestfalen 'Salafistische Bestrebungen' teilen im Grundsatz die Ideologie 'al-Qaidas', die auf einer fundamentalistischen Islamauslegung basiert. Nach der Wahl ihrer Mittel werden sie in zwei Gruppen unterschieden: 262 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Die "politischen Salafisten" betätigen sich vor allem propagandistisch und streben nach der Errichtung eines "islamischen Staates", der die Befolgung der fundamentalistischen Vorstellungen allgemein durchsetzt. : Die "jihadistischen Salafisten", denen der kleinere Teil der Szene angehört, streben danach, den "islamischen Staat" mit Gewalt zu erkämpfen und werben insbesondere dafür, sich jihadistischen Gruppierungen in Kampfgebieten anzuschließen. Sie bezeichnen diesen bewaffneten Kampf als "Jihad" gegen die "Ungläubigen" (kuffar) und stellen ihn in den Mittelpunkt ihrer Ideologie. Sie werden daher verbreitet auch als "Jihadisten" bezeichnet. Zurzeit sind ihre besonderen Anstrengungen auf Syrien gerichtet. Der Übergang zwischen den "politischen" und "jihadistischen Salafisten" ist fließend. Aus dem Spektrum des politischen Salafismus, dem ca. 90% der Salafisten in Nordrhein-Westfalen zuzurechnen sind, radikalisieren sich immer wieder Personen und wenden sich dem Jihad-orientierten Salafismus zu. Hintergrund Salafismus ist seinem Ursprung nach eine religiös-fundamentalistische Strömung innerhalb des sunnitischen Islam, die sich am Vorbild der muslimischen "Gründerväter", der sogenannten "rechtschaffenen Vorfahren" (arabisch "al-salaf as-salih", daraus abgeleitet ist der Begriff "Salafismus"), orientiert. Die grundlegenden Quellen des Islam - der Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad (die Sunna) - werden strikt und wörtlich ausgelegt. Anpassungen der Beispiel für einen salafistischen Islamauslegung an veränderte gesellschaftliche Informationsstand und politische Gegebenheiten werden durch Salafisten als "unislamische Neuerungen" (arabisch "bid'a") kategorisch abgelehnt und führen, wie auch jede Zusammenarbeit mit Nicht-Muslimen, zwangsläufig zum "Unglauben" (arabisch "kufr"). Diese religiös-fundamentalistische Strömung unterliegt, wie auch fundamentalistische Strömungen anderer Religionen, nicht als solche der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. islamismus 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Bestrebungen, die auf der Basis salafistischer Vorstellungen argumentieren und die Merkmale islamistischer Bestrebungen aufweisen, also einen "islamischen Staat" anstreben, in dem diese Vorstellungen allgemeinverbindlich umgesetzt werden, werden als 'salafistische Bestrebungen' bezeichnet. Sie lehnen Demokratie als einen mit dem Islam unvereinbaren "Irrglauben" ab. Demokratisch verfasste Gesellschaften und Menschen, die diese befürworten, werden von ihnen angefeindet. Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Diese 'salafistischen Bestrebungen' werden vor dem vorstehend beschriebenen Hintergrund nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 VSG NRW beobachtet. Soweit sie gewaltorientiert sind und sie die Teilnahme am von ihnen als "Jihad" interpretierten bewaffneten Kampf im Ausland propagieren, werden sie zudem nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW beobachtet. Ideologische Merkmale Die salafistische Ideologie hat insbesondere folgende wesentliche Merkmale: : Salafisten verstehen die islamische Religion als Ideologie und die Scharia als gottgegebenes Ordnungsund Herrschaftssystem. Demokratie ist in ihren Augen eine falsche "Religion". Das Gesetz kann der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volke. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung ist damit unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. : Salafisten behaupten, dass alle gesellschaftlichen Probleme nur durch eine uneingeschränkte Anwendung von Koran und Sunna sowie eine entsprechend strikte Ausrichtung des Lebens gelöst werden können. Dazu zählt die konsequente Anwendung der "Scharia" nach salafistischer Auslegung. : Die rigide Trennung von Mann und Frau - nicht nur in der Moschee, sondern insgesamt im öffentlichen Raum - wird betont. Auch die gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen wird grundsätzlich abgelehnt. : Frauen werden auf den heimischen Bereich eingegrenzt; Berufstätigkeit von Frauen wird abgelehnt. Sie sollen sich ganz auf den Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren. Frauen sind nach diesem Wertebild nominell gleichwertig, aber keinesfalls gleichberechtigt. 264 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : "Jihad" im Sinne eines bewaffneten Kampfes und "Märtyrertum" werden von einem Teil der 'salafistischen Bestrebungen' offen propagiert. Bei den "politischen Salafisten" ist das "Jihad"-Verständnis jedoch eher defensiv (Selbstverteidigung der Muslime), bei den "jihadistischen Salafisten" offensiv (Kampf zur Bezwingung der "Feinde"). Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus führt sie zur Bildung einer Parallelgesellschaft, die aufgrund der propagierten feindlichen Einstellungen gegenüber der übrigen Gesellschaft ein großes Konfliktpotenzial birgt und somit das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben beeinträchtigen kann. Diese extrem vereinfachende Ideologie der 'salafistischen Bestrebungen' kann zu einer weiteren Radikalisierung führen und in Terrorismus münden, denn sie rechtfertigt Gewalt gegen "Ungläubige", worunter neben Nicht-Muslimen auch nicht-salafistische Muslime verstanden werden. Formen salafistischer Propaganda Die Netzwerke 'salafistischer Bestrebungen' zeichnen sich - nicht nur in Nordrhein-Westfalen - durch rege Werbungsaktivitäten aus. Beispiele hierfür sind Vortragsveranstaltungen in Moscheeräumen oder öffentliche Kundgebungen in Innenstädten. Aus Sicht der Salafisten handelt es sich bei dieser Form der Verbreitung von salafistischer Propaganda um "da'wa-Arbeit". Rein formell betrachtet meint der arabische Begriff "da'wa" den "Aufruf, Gott zu folgen". Diese "Missionierungsarbeit" findet zumeist im Rahmen der vom Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit statt. Wie viele andere Werbung mit demokratiefeindlichen Flyern im Internet islamische Begriffe wird "da'wa" jedoch von Anhängern 'salafistischer Bestrebungen' in ihrem Sinne umgedeutet und missbraucht. Insofern ist der Begriff "da'wa" in diesem Kontext als "Propaganda" zu verstehen. islamismus 265 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Zu den vielschichtigen Aspekten der "da'wa-Arbeit" gehört es, Anhänger zu gewinnen und Personen, die bereits in der salafistischen Szene Fuß gefasst haben, noch intensiver mit der Ideologie vertraut zu machen. Ein Ausstieg aus der Szene ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nur schwer zu bewerkstelligen, zumal Personen nach einem kompletten Abtauchen in eine salafistische Parallelwelt die Kontakte in ihr vormaliges soziales Umfeld und zu Eltern und Familie oftmals abbrechen und sich eine "Ersatzfamilie" schaffen. Gerade der Besuch von halbund nicht-öffentlichen Vorträgen und Seminaren trägt beim angesprochenen jugendlichen Personenkreis dazu bei, weiter in ein salafistisches Milieu abzugleiten. Vordergründig geht es bei den Veranstaltungen "nur" um die Vermittlung religiöser Inhalte. Tatsächlich dienen sie jedoch der Netzwerkbildung und der Indoktrinierung der Teilnehmer mit Elementen salafistischer Ideologie, wobei rein religiöse Aussagen einerseits, aber auch religiös verbrämte extremistische politische Aussagen andererseits getätigt werden. Die Rolle des Internets Bei der Verbreitung salafistischer Propaganda spielt das Internet wegen der Möglichkeiten zur Interaktion in Internetforen, Videobörsen und sozialen Netzwerken bereits seit einigen Jahren eine zentrale Rolle. Dies betrifft sowohl Webangebote mit speziell salafistischen Inhalten, als auch im überwiegenden Maße öffentliche Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter sowie andere soziale Netzwerke ohne extremistische Bezüge, die als Vehikel für salafistische Propagandaarbeit gebzw. missbraucht werden. Sofern die Grenze zur Strafbarkeit nicht verletzt wird, ist ein ordnungsrechtlicher Eingriff nur in sehr seltenen Ausnahmefällen möglich. Salafistische Internet-Angebote Eine besondere Rolle bei der Verbreitung der salafistischen Ideologie und der Gewinnung neuer Anhänger spielen sogenannte "da'wa-Seiten". Dabei handelt es sich um deutschsprachige Internetpräsenzen, die dem Namen nach "zum Islam einladen" wollen, de facto aber der Verbreitung einer strikt rückwärtsgewandten und in Teilen verfassungsfeindlichen salafistischen Islamauffassung dienen. Manche dieser Seiten werben dafür, ihren Nutzern den "authentischen" und "einzig wahren" Islam nahebringen zu wollen. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass solche Internetan266 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 gebote von einem einseitigen, intoleranten Religionsbegriff geprägt sind. Dieser lässt nur eine einzige, die salafistische Lesart des Islam zu. Während noch vor einigen Jahren überwiegend salafistische Gruppierungen und Vereine "Da'wa-Seiten" unterhielten, richten heute immer mehr Einzelpersonen in eigener Initiative salafistische Internetpräsenzen ein. Sie nutzen diese, um Propaganda über die eigene Webseite zu verbreiten und beispielsweise selbst erstellte Videos und Texte zu veröffentlichen. Die besondere Anziehungskraft, die solche Seiten auf Jugendliche ausüben, ist auch auf die Art ihrer Gestaltung zurückzuführen. Salafistische Internetpräsenzen erfüllen alle Ansprüche an moderne, jugendgerechte Internetangebote. Sie sind modern in der Aufmachung, grafisch anspruchsvoll gestaltet und interaktiv. Einige salafistische Webseites sind aufgrund ihrer Inhalte oder ihres Namens wie beispielsweise "Dawa News" oder "Die wahre Religion" vergleichsweise schnell als salafistisch zu entlarven. Andere Internetpräsenzen erscheinen auf den ersten Blick als "neutrale" IslamInformationsseiten. Ihre salafistische Ausrichtung offenbart sich erst bei genauerer Betrachtung. Soziale Netzwerke und Videoportale haben eine zentrale Bedeutung für die Propagandaarbeit der Salafisten. Die über diese Plattformen bestehenden Möglichkeiten der Visualisierung und Interaktion werden innerhalb der Szene intensiv genutzt. Predigten, Mitschnitte von Veranstaltungen und Kundgebungen sowie anderes Propaganda-Material werden auf einschlägigen Kanälen großer Videoportale hochgeladen und einem großen Nutzerkreis zur Verfügung gestellt. Durch Verlinkungen und einfache Möglichkeiten, Inhalte zu teilen, werden Videound Audiodateien in kürzester Zeit und in großem Umfang in Umlauf gebracht. Zudem haben sich auf Social Media Plattformen, die dem Austausch von Informationen dienen, im Berichtsjahr viele neue einschlägige Nutzerprofile etabliert, die durch das Einstellen von Postings, Fotos und Videos zur Verbreitung der salafistischen Ideologie beitragen. Die große Reichweite und der hohe Grad der Anonymisierbarkeit haben die Entstehung großer Freundesund Abonnentenkreise in diesen Angeboten begünstigt und damit zum Anwachsen besonders personenstarker Netzwerke im salafistischen Bereich geführt. Diese Personennetzwerke versorgen sich gegenseitig mit salafistischem Material, das vor allem auf junge, noch ungefestigte Menschen eine radikalisierende Wirkung haben kann. Salafistisch orientierte Frauen nutzen in gleicher Intensität wie Männer die Möglichkeiten der Kommunikation und des Informationsaustauschs in den sozialen Netzwerken. Sie richten beispielsweise in Facebook spezielle "Schwesternräume" und "FrauenGruppen" ein, zu denen nur Musliminnen virtuellen Zutritt haben sollen. Innerhalb der islamismus 267 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 vielfach nach außen abgeschotteten Bereiche agieren Frauen strikt nach salafistischen Prinzipien, verbreiten Propaganda und suchen nach Gleichgesinnten. Im Bereich der Internet-Propaganda sind gewaltfreie salafistische "Da'wa-Seiten" häufig nur einen Mausklick von gewaltverherrlichenden, jihadistischen Inhalten entfernt. Der Übergang ist oft fließend. Wird besonders emotionalisierende, gewaltverherrlichende Propaganda von Jugendlichen ungefiltert und unreflektiert über das Internet konsumiert, kann dies durchaus eine radikalisierende Wirkung entfalten. Den Verfassungsschutzbehörden sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen sich Internetnutzer durch den Konsum salafistischer Propaganda in vergleichsweise kurzer Zeit tatsächlich radikalisiert haben. Eine solche Radikalisierung kann sich darin zeigen, dass junge Leute selbst islamistisches Material im Internet verbreiten, im Extremfall aber auch darin, dass sie sich für den Jihad im Ausland anwerben lassen oder sogar selbst Anschläge planen. Personenpotenzial in Nordrhein-Westfalen Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2013 rund 1.500 salafistische Aktivisten erfasst. Dies bedeutet einen Anstieg um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Etwa zehn Prozent der Personen, also bis zu 150 Aktivisten in NordrheinWestfalen, sind im Bereich des besonders gewaltbereiten jihadistischen Salafismus zu verorten. Salafistische Aktivisten sind in lokalen Szenen und überregionalen Netzwerken organisiert. Sie sind in ganz Nordrhein-Westfalen tätig und kommunizieren über Internetseiten und soziale Netzwerke sowie im Jahr 2013 auch wieder vermehrt bei überregionalen Veranstaltungen. Die Gründe für die offenbar bestehende Attraktivität des Salafismus sind vielfältig. Es ist zu beobachten, dass sich überwiegend Jugendliche oder junge Erwachsene einer 'salafistischen Bestrebung' anschließen. Dabei scheint die Suche nach Orientierung, klaren Werten und Normen, Anerkennung durch andere sowie sozialer Geborgenheit in einer Gruppe eine bedeutende Rolle zu spielen. Mit ihrer rigorosen, wörtlichen Auslegung von Koran und Sunna, ihrer Abschottung gegenüber der "ungläubigen" Außenwelt und der starken Betonung der eigenen Gemeinschaft der "Rechtgläubigen" erfüllen 'salafistische Bestrebungen' für manche jungen Menschen genau diese Erwartungen. Zudem bieten sie eine neue Identität als "wahrer Gläubiger", der für ein höheres Ziel eintritt, und heben auf diese Weise das Selbstwertgefühl anschlusswilliger Personen. Der Beitritt zu entsprechenden Gruppierungen ist oft verbunden mit der Annahme traditioneller oder imaginierter islamischer Bekleidungsvorschriften, der Ver268 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 leihung eines Szenenamens ("Abu ...", "Umm...") sowie dem Bruch mit der Familie und dem bisherigen sozialen Umfeld. Hinter dem Übertritt in eine salafistische Szene beziehungsweise die Konversion in eine solche Szene hinein scheint mehrheitlich das Bemühen um die Überwindung von Brüchen in der persönlichen Biografie zu stehen. Dies können schwierige Familienverhältnisse, gescheiterte Integrationsgeschichten, der fehlende Deutschsprachige Drohvideos im Internet Übergang in ein berufliches und bürgerliches Leben oder Schicksalsschläge sein, die zu einer Sinnsuche führen. Der Salafismus hat einfache Botschaften und verspricht jedem Gläubigen das Paradies. Die verfassungsfeindlichen politischen Inhalte werden anscheinend nicht von jedem hinter der religiösen Fassade bewusst wahrgenommen und erkannt. Begünstigend wirkt zudem das Aufblühen salafistischer Bewegungen und Parteien in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, die sich nach dem "Arabischen Frühling" in einem Umbruch befanden beziehungsweise in Teilen immer noch befinden. Der Salafismus ist eine der wenigen Ideologien, die unter den jahrzehntelangen säkularen Diktaturen der Region überlebt hat. Salafisten befinden sich durch die neu gewonnenen Freiheiten daher nun in einem politischen Aufschwung, der auf Europa und andere Teile der Welt ausstrahlt. Der Erfolg in Deutschland ist auf lange Sicht auch an den Erfolg beziehungsweise Misserfolg und die Anpassungsfähigkeit salafistischer Bewegungen in der islamischen Welt gebunden. In Bezug auf Syrien war 2013 eine massenhafte Mobilisierung zu beobachten, die von der Sammlung von Spendengeldern und Hilfsmaterialen bis hin zur Ausreise und Teilnahme an Kampfhandlungen gegen das Assad-Regime reichten. Sofern dabei die Stärkung salafistischer Organisationen in Syrien und das Ideal der Errichtung eines auf Scharia basierenden Gottesstaates im Vordergrund standen, ist von einer salafistischen Motivation auszugehen. Trotz dieser Verknüpfungen ins Ausland ist in der salafistischen Szene NordrheinWestfalens gleichzeitig ein Trend zur "Eindeutschung" des Phänomens zu erkennen. Dies hat im Wesentlichen folgende Gründe: : Mindestens 75 Prozent der Salafisten sind deutsche Staatsangehörige. islamismus 269 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Die Hauptsprache unter den Salafisten ist mittlerweile ebenfalls deutsch. Dies hängt wesentlich damit zusammen, dass die Szene multi-ethnisch geprägt ist und sich zu 90 Prozent aus Migranten der zweiten, dritten und vierten Generation zusammensetzt, die zwar meist einen islamischen Hintergrund haben, aber kaum noch Arabisch, Türkisch oder andere Herkunftssprachen fließend beherrschen. Die Muttersprache vieler Salafisten ist Deutsch. : Zehn Prozent der Szene sind Konvertiten; das sind mehr als in allen vergleichbaren islamistischen Organisationen, die dem Verfassungsschutz ansonsten bekannt sind. Die Ursachen für das Verfangen salafistischer Botschaften gerade bei jungen Menschen sind auch in einer unzureichenden Integration in die deutsche Gesellschaft zu suchen. Daher muss das Zurückdrängen dieser Ideologie als eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft mit ihren zivilen Einrichtungen betrachtet werden. Salafistische Netzwerke in Nordrhein-Westfalen Die Beobachtung 'salafistischer Bestrebungen' ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013. In zahlreichen nordrheinwestfälischen Städten haben sich starke salafistische Szenen entwickelt. Zu den maßgeblichen salafistischen Vereinen und Zusammenschlüssen werden gezählt: : 'Einladung zum Paradies' Nach den am 14. Dezember 2010 erfolgten bundesweiten Durchsuchungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verein 'Einladung zum Paradies' (EZP) mit Sitz in Mönchengladbach hat der Verein am 31. Juli 2011 die Selbstauflösung beschlossen. Die Hauptakteure aus dem Verein und deren Umfeld sind in Deutschland teilweise noch aktiv. Das Label EZP ist in der Szene noch bekannt, es liegen jedoch keine Hinweise auf direkte Nachfolgestrukturen vor. : 'Die Wahre Religion' Das Netzwerk 'Die Wahre Religion' um den in Köln lebenden salafistischen Prediger Ibrahim Abou Nagie bildet einen weiteren Schwerpunkt des politischen Salafismus. 'Die Wahre Religion' ist bundesweit aktiv und betreibt ein eigenes Web-Angebot. Über dort ebenfalls in Erscheinung tretende salafistische Prediger aus Bonn sind zumindest Bezüge zum jihadistischen Salafismus erkennbar. 'Die Wahre Religion' erregte Aufsehen durch die unter dem Titel "Lies!" durchgeführte 270 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Aktion zur Verteilung von gedruckten Korantexten. Ziel der nach dem Vorbild von Franchise-Systemen organisierten Aktion (Anleitung durch eine Zentralstelle, Verantwortlichkeit für die Aktionen vor Ort durch autarke lokale Akteure) ist mutmaßlich nicht die tatsächliche Konversion aller in Deutschland lebenden Menschen zum Islam, sondern das Provozieren medialer und staatlicher Reaktionen. Diese sollen wiederum den Salafisten in die Hände spielen. Nach Selbstwahrnehmung und Darstellung der Salafisten geht es beim Umgang der Behörden und der deutschen Öffentlichkeit mit dem Salafismus um eine vermeintliche "Verfolgung" der Muslime (nicht nur der Salafisten) in Deutschland. Diese sei Teil eines globalen Krieges "des Westens" gegen "den Islam". Aktionen zur Verteilung des Korans haben im Jahr 2013 weiterhin stattgefunden. Sie haben jedoch sowohl in der medialen Berichterstattung als auch in der Szene an Bedeutung eingebüßt. Stattdessen ist im Diskurs von 'Die Wahre Religion' das Thema Syrien stark in den Vordergrund gerückt. : 'Helfen in Not e.V.' Der 2013 gegründete Verein 'Helfen in Not' (HiN) mit Sitz in Neuss bezeichnet sich als Hilfsverein zur Unterstützung notleidender Muslime. Im Vordergrund seiner Aktivitäten steht die Hilfe für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen in Syrien. Im Berichtsjahr machte HiN durch zahlreiche Benefizveranstaltungen auf sich aufmerksam, bei denen für notleidende Muslime in Syrien, aber auch in anderen Gebieten gesammelt wurde. Bei Benefizveranstaltungen des Vereins traten regelmäßig Prediger auf, die fest in der salafistischen Szene verwurzelt sind. Dazu gehörten auch Prediger, die dem gewaltaffinen Spektrum des Salafismus zuzuordnen sind. HiN führte mehrere Hilfskonvois mit medizinischen Gütern und Kleidung nach Syrien durch. In diesem Zusammenhang traten ebenfalls Personen des salafistischen Spektrums in Erscheinung, die die Konvois begleiteten oder organisatorisch in die Abwicklung der Transporte eingebunden waren. Der Vorsitzende und der Vorstand des Vereins 'Helfen in Not' sind dem Verfassungsschutz seit geraumer Zeit als Anhänger einer extremistischen, islamistischen Ideologie bekannt. : 'Ansaar Düsseldorf e.V.'/'Ansaar International' Bei dem im Jahr 2012 in Düsseldorf gegründeten Verein 'Ansaar Düsseldorf' handelt es sich dem eigenen Verständnis nach um einen Hilfsbund zur Unterstützung notleidender Glaubensgeschwister im Inund Ausland. Der Verein führt auch die Bezeichnung 'Ansaar International'. Er ist fest mit der deutschen Salafisten-Szene verwoben. 'Ansaar Düsseldorf' unterstützt Hilfsprojekte für bedürftige Muslime weltweit. Innerhalb Deutschlands verfügt die Organisation über mehrere sogenannte "Ansaar International Teams", die im Namen des Vereins Spenden sammeln, Werislamismus 271 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 beaktionen durchführen und im Internet mit eigenen Facebook-Auftritten für sich werben. Mitglieder von 'Ansaar Düsseldorf e.V.' treten regelmäßig an Informationsständen zum Islam und bei Aktionen zur Verteilung des Koran in Erscheinung. Der derzeitige Schwerpunkt der Vereinsarbeit liegt auf der humanitären Hilfe für Syrien. Im Berichtszeitraum machte der Verein ebenfalls durch die Organisation und Durchführung von Hilfskonvois nach Syrien auf sich aufmerksam. Spendengelder wurden unter anderem durch zahlreiche Benefizveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet und im benachbarten Ausland eingenommen. Bei den Veranstaltungen traten meist auch aus den Medien bekannte salafistische Prediger auf. : 'Millatu Ibrahim' Die Vereinigung ''Millatu Ibrahim', die aus jihadistisch orientierten Salafisten bestand, nutzte als Zentrum ihrer Aktivitäten eine Solinger Moschee. Am 14. Juni 2012 ist 'Millatu Ibrahim' verboten worden. Da die Vereinigung bundesweit agiert hatte, erließ das Bundesministerium des Innern dieses Verbot. 'Millatu Ibrahim' hatte Muslime in ganz Deutschland zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung aufgerufen. Direkte Nachfolgeorganisationen von 'Millatu Ibrahim' sind bislang nicht bekannt geworden. Einige ehemalige Mitglieder der Vereinigung sind ausgereist und halten sich Ende 2013 mutmaßlich in Syrien auf. Reste der vormaligen Szene sind nach wie vor in Nordrhein-Westfalen ansässig. : 'Tauhid Germany' Unter der Bezeichnung 'Tauhid Germany' (zeitweise auch 'Tauhid Deutschland') firmiert eine Gruppe, die sich zur Verbreitung salafistischer Propaganda im Internet zusammengeschlossen hat. Sie verfügt neben einer eigenen Webseite über Online-Auftritte bei Facebook und YouTube. Neben Predigten in deutscher Sprache finden sich auf diesen Plattformen unter anderem Beiträge von arabischsprachigen Gelehrten, die der salafistischen Szene als Vorbild dienen. Viele der bei 'Tauhid Germany' eingestellten Videos und Postings lassen starke Bezüge zum Jihadismus erkennen. So werden dort Beiträge und Videos eingestellt, die den gewaltsamen Jihad verherrlichen und zum Hass gegen sogenannte "Ungläubige" aufrufen. Akteure von 'Tauhid Germany' haben im Berichtsjahr vereinzelt durch sogenannte "Da'wa"-Stände in deutschen Innenstädten auf sich aufmerksam gemacht. : 'Ansarul Aseer' Unter der Bezeichnung 'Ansarul Aseer' (arabisch: Helfer des Gefangenen) verbirgt sich eine Gruppe von Salafisten, die unter diesem Namen eine Internetpräsenz sowie Facebookund Twitter-Kanäle zur Unterstützung muslimischer Inhaftierter 272 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 betreiben. Die meisten der auf den Seiten vorgestellten Gefangenen sind dem jihadistischen Spektrum zuzurechnen. Sie verbüßen wegen der Unterstützung von Terrorismus zum Teil mehrjährige Haftstrafen in deutschen und ausländischen Gefängnissen. Die Nutzer der Internetpräsenzen von 'Ansarul Aseer' werden aufgefordert, mit den Gefangenen per E-Mail oder Brief in Kontakt zu treten, um sie moralisch aufzubauen. Daneben werden über die Internetpräsenzen von 'Ansarul Aseer' Neuigkeiten über gefangene "Geschwister" im Inund Ausland verbreitet, darunter Informationen über Haftentlassungen, laufende Verfahren und Verurteilungen. Beispiele für "Markenzeichen" salafistischer Vereine und Netzwerke in Nordrhein-Westfalen Der syrische Bürgerkrieg in der salafistischen Propaganda Für die salafistische Propaganda ist der Bürgerkrieg in Syrien seit nunmehr zwei Jahren von außerordentlich großer Bedeutung. Die Notlage der muslimischen Bevölkerung, die Einbindung verschiedener Glaubensrichtungen in den Konflikt sowie die Rolle der internationalen Staatengemeinschaft dienen Salafisten als Projektionsfläche zur Entfaltung ihrer propagandistischen Aktivitäten. islamismus 273 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Aktivitäten des politisch-salafistischen Spektrums Zu beobachten ist, dass sich weite Teile des politisch-salafistischen Spektrums im Berichtsjahr mit der Syrien-Thematik beschäftigten. Dazu gehörte beispielsweise, dass die Rolle der Bürgerkriegsparteien in entsprechenden Internetveröffentlichungen einseitig und im Lichte der salafistischen Ideologie gedeutet wurde. Eine von Salafisten häufig zum Ausdruck gebrachte Hoffnung ist, dass in Syrien am Ende die "Gläubigen" über die "Ungläubigen" siegen mögen und schließlich ein "islamischer Staat" etabliert werde. Im Bereich des politischen Salafismus wurde der syrische Bürgerkrieg im Berichtsjahr, wie bereits dargestellt, zum Anlass genommen, Gelder und Sachspenden für die notleidende Bevölkerung zu sammeln. Es gründeten sich zahlreiche, teils miteinander kooperierende Vereine und Initiativen, in denen Einzelpersonen und Personennetzwerke der salafistischen Szene Hilfsprojekte für Syrien ins Leben riefen. Vereine wie 'Helfen in Not' oder 'Ansaar Düsseldorf' organisierten neben umfangreichen Spendensammlungen Hilfstransporte und begleiteten entsprechende Konvois in das syrische Kriegsgebiet. Darüber hinaus führten diese und andere salafistische Vereine in nordrhein-westfälischen Großstädten zahlreiche Benefizveranstaltungen durch, deren Einnahmen als "Spenden für Syrien" deklariert wurden. Diese Aktionen wurden auf salafistischen Internetpräsenzen sowie mit Hilfe von Videos und Flyern im Vorfeld intensiv beworben, um maximale öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Video-Mitschnitte von Benefizaktionen wurden im Nachgang ins Internet eingestellt, um die Veranstaltungen als Erfolge und als Zeichen des Zusammenhalts der "umma" (arabisch: muslimische Gemeinschaft) zu feiern sowie ein positives Image der Salafisten zu fördern. Der Verfassungsschutz beobachtet Veranstaltungen dieser Art, bei der in der Regel szenebekannte salafistische Prediger auftreten, mit großer Aufmerksamkeit. Von Interesse sind insbesondere die propagandistische Außenwirkung und die in diesem Rahmen stattfindende Netzwerkpflege. Darüber hinaus geben die Inhalte der Vorträge Aufschluss über die aktuelle Ausrichtung der Protagonisten und ihrer Anhänger. Als Tendenz zeigt sich, dass die Abgrenzung zwischen den Predigern des politischen Salafismus einerseits und des jihadistischen Salafismus andererseits immer weniger deutlich erkennbar ist. So traten bei Benefizaktionen in der Vergangenheit Prediger aus dem jihad-salafistischen Spektrum auf. Die Möglichkeit, dass sich Jugendliche aufgrund der stark emotionalisierenden und mobilisierenden Ansprachen einzelner 274 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Prediger radikalisieren und eine eigene aktive Beteiligung am bewaffneten Kampf in Syrien in Erwägung ziehen, ist gegeben. Rekrutierung für den Jihad in Syrien Die gesteigerten Propaganda-Aktivitäten der salafistischen Szene haben im Berichtszeitraum für einen erheblichen Anstieg der Anhängerzahlen im Salafismus gesorgt. Darüber hinaus haben eine offensive Werbung und Rekrutierung für die Beteiligung am kämpferischen Jihad in Syrien dazu geführt, dass immer mehr junge Leute von der Idee angesteckt worden sind, in der Ausübung einer vermeintlichen Glaubenspflicht aktiv und kämpferisch gegen die angeblichen Feinde des Islams vorzugehen. Einige haben offensichtlich kurzfristig den Entschluss gefasst, in den bewaffneten "Jihad" nach Syrien zu ziehen. Insbesondere junge Männer und Frauen, die sich durch die Rhetorik von Jihad-Propagandisten angesprochen fühlen, lassen sich verleiten. Von den 240 Personen, die bis Ende 2013 aus dem gesamten Bundesgebiet mit jihadistischer Motivation in Richtung Syrien gereist sind, stammten rund 100 aus Nordrhein-Westfalen. Das Alter dieser Personen liegt überwiegend zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren. Ein Teil dieser Personen verbrachte Hilfsgüter ins Krisengebiet, ein anderer Teil hielt sich im Kampfgebiet auf und ein dritter Teil nahm mutmaßlich aktiv an Kampfhandlungen teil. Die Personen der ersten Gruppe pendeln Deutschsprachige pro-jihadistische Propaganda im Syrienkonflikt islamismus 275 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zwischen Deutschland und Syrien beziehungsweise der Türkei, um laufend weitere Hilfsgüter zu überbringen. Aus der zweiten und dritten Gruppe sind einige Personen ebenfalls mehrfach ausgereist und wieder zurückgekehrt. Eine besondere Gefahr für die Sicherheit in Deutschland stellen sogenannte Syrien-Rückkehrer der dritten Gruppe dar. Sie haben mutmaßlich im Rahmen von Schulungen islamistisch-terroristischer Gruppen den Umgang mit Waffen und Sprengstoffen trainiert und Kampferfahrung erworben. Ihr psychischer Zustand und ihre weiteren Absichten sind kaum einschätzbar. Das Gefahrenpotenzial dieser Personen ist vor diesem Hintergrund als sehr hoch einzuschätzen. Innerhalb der salafistischen Szene genießen die Aktivisten aller drei Gruppen aufgrund ihres "Einsatzes für den Islam" hohes Ansehen und können auf ihr Umfeld weiter radikalisierend wirken. Durch das Wirken deutscher Jihadisten in Syrien wird der Bürgerkrieg dort weiter angefacht und die Tätigkeit humanitärer Hilfsorganisationen vor Ort erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht. Ausreise-Propaganda im Internet Die Rekrutierung für den gewaltsamen Jihad in Syrien hat inzwischen eine Eigendynamik entwickelt. Je mehr Personen nach Syrien auswandern, desto präsenter sind sie in den Medien. Verantwortlich dafür ist die gezielte Inszenierung von aus Deutschland ausgereisten Kämpfern, die von jihadistischen Gruppierungen in Internetveröffentlichungen und Videos als Helden und Vorbilder glorifiziert werden. Zahlreiche solcher Rekrutierungsvideos in deutscher Sprache sind in den vergangenen Monaten im Internet aufgetaucht. Darin preisen kämpfende syrische Einheiten sowohl die "Muhajirun" (arabisch: Auswanderer) als auch die im Kampf gefallenen "Schuhada" (arabisch: Märtyrer). Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs tauchen in Internetveröffentlichungen dieser Art vermehrt Protagonisten aus Deutschland auf. Sie werden bei Kampfhandlungen gezeigt, sie werben selbst aktiv jihadistischen Nachwuchs für Kampfhandlungen im Bürgerkriegsgebiet an oder ihr "Märtyrer-Tod" wird in entsprechenden Videos verkündet. Ende 2013 wurde beispielsweise aufgrund eines Internet-Videos der Tod eines ehemaligen Fußballspielers der deutschen Bundesliga bekannt. Der junge Mann hatte nach seiner Hinwendung zu jihad-salafistischen Kreisen seine Fußballkarriere beendet und sich zur Ausreise nach Syrien entschlossen. Dort ist er mit großer Wahrscheinlichkeit bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen. Ein weiteres tragisches Beispiel für die Entwicklung eines jungen Konvertiten vom radikalisierten Salafisten zum "Märtyrer" im syrischen Bürgerkrieg: Ein 23-jähriger Mann 276 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 aus Nordrhein-Westfalen meldete sich im Herbst 2013 erstmalig in Internet-Videos von der syrischen Front. Er pries den Jihad und warb um Unterstützer aus Deutschland. Später verbreitete sich, ebenfalls im Internet, die Nachricht von seiner Tötung bei einem Bombenangriff. Unmittelbar nach Bekanntwerden seines Todes wurde er in einem jihadistischen Propaganda-Video als "Märtyrer" verherrlicht. Die deutsche Salafisten-Szene huldigte ihm ebenfalls im Internet mit persönlichen Stellungnahmen und Kommentaren. Ende November 2013 wurde eine deutschsprachige Veröffentlichung aus der VideoReihe einer syrischen Terrororganisation mit dem Titel "Fenster zum Land der Schlachten" bekannt. Darin ruft ein aus der Dinslakener Szene stammender Salafist mit dem Szenenamen Abu Usama al-Almani (in deutlicher Anspielung an Usama bin Ladin) seine "Glaubensbrüder" in Deutschland zur Ausreise nach Syrien und zur aktiven Teilnahme am Jihad auf: "Hier gibt's bald Schulen für Kinder. Ihr könnt hier gut leben. Hier könnt ihr euren Islam frei praktizieren. [...] Allah hat versprochen, auch wenn du auswanderst und dich der Tod ereilt, dir zu vergeben. Der Mujahid ist der Beste aller Menschen!" Das Video wurde über mehrere Internetkanäle veröffentlicht, die dem 'Islamischen Staat im Irak und in Groß-Syrien' (ISIG) zuzurechnen sind. Der Sprecher gibt darin bekannt, dass er einen "Treueeid" auf den Führer der 'al-Qaida'-nahen ISIG abgelegt habe. Daher kann eine Nähe zu dieser Organisation angenommen werden. Gesicherte Hinweise auf eine Zugehörigkeit des Deutschen zur ISIG gab es jedoch bis dato nicht. Rekrutierungsversuche in Deutschland Im Jahr 2013 wurde in der nordrhein-westfälischen Salafisten-Szene wiederholt zur Unterstützung des bewaffneten Jihad in Syrien aufgerufen. Szenebekannte, dem Jihad zugeneigte Prediger verhielten sich jedoch eher vorsichtig. Sie waren offensichtlich darum bemüht, explizite Aufforderungen zur Unterstützung des Jihad zu vermeiden. Im Internet gab es hingegen deutliche, meist anonymisierte Aufrufe, sich dem Jihad in Syrien anzuschließen. Ein besonders drastisches Beispiel hierfür war das Video eines jungen Mannes aus Nordrhein-Westfalen, der unverhohlen seinen Respekt gegenüber Kämpfern aus Deutschland zum Ausdruck brachte und seine Glaubensbrüder zur Nachahmung aufrief. Durch ihre Einreise nach Syrien hätten einige islamismus 277 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 seiner "Brüder" bewiesen, dass sie Männer und "Löwen" seien. Zitat aus dem auf der Plattform YouTube eingestellten Video "Assadullah al-Almani - Bis der Kopf fliegt?": "[...] dass ihr aufsteht und [...] kämpft für diese Umma [arabisch: Islamische Gemeinschaft] und dafür alles opfert und nicht wie wir [...], die hier noch sitzen in Deutschland und wie Heuchler sich verstecken und Angst haben vor dem Taghut [arabisch: Götzendiener], vor dem Verfassungsschutz, vor dem Staatsschutz [...]. Wacht auf! Steht auf! Rückt aus! Rückt aus fi sabil Allah [arabisch: Auf dem Weg Gottes]. Allah sagt es im Koran." Rekrutierung von Deutschen durch die Medienstelle SHAMCENTER An der Verbreitung von deutschsprachiger Jihad-Propaganda aus Syrien beteiligen sich mehrere vom Ausland aus operierende Medienstellen. Hinter ihnen stehen Salafisten, die vermutlich vor allem aus Deutschland stammen. Daneben versorgen diverse Facebook-Kanäle Jihad-Interessierte in deutscher Sprache mit Neuigkeiten von der syrischen Front. Bei der Verbreitung von deutschsprachiger jihad-salafistischer Propaganda aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet hat sich im Berichtsjahr eine neue Medienstelle namens SHAMCENTER hervorgetan. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss überwiegend deutschsprachiger "Medienaktivisten", die organisationsunabhängig schwerpunktmäßig via Facebook Nachrichten und Propaganda direkt Videoprint eines Propagandavideos des SHAMCENTER auf YouTube 278 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 von der syrischen Front liefern. Ihre Publikationen veröffentlichte SHAMCENTER im Berichtsjahr zum größten Teil in Kooperation mit der GIMF ('Globale Islamische Medienfront'), die sich seit Jahren dem medialen Jihad in deutscher Sprache widmet. SHAMCENTER propagiert den "Social Jihad" und versteht darunter eine neue vernetzte und unmittelbare Form des medialen Jihad. Die Zielgruppe von SHAMCENTER sind deutsche Muslime und Konvertiten. Sie werden ausdrücklich zur Auswanderung und Beteiligung am Jihad in Syrien aufgefordert. Darüber hinaus wirbt SHAMCENTER bei Deutschen dafür, den Jihad in Syrien durch Spenden zu unterstützen. Zur Rekrutierungsstrategie von SHAMCENTER gehört es, das Leben in Syrien für Ausreisewillige in ein besonders positives Licht zu rücken und mögliche Vorbehalte, etwa gegen ein Leben mit Familie im Kriegsgebiet, zu entkräften. Dabei wird stets darauf hingewiesen, dass es in der Kriegsregion eine familienfreundliche Infrastruktur gebe und Familien dort alles Lebensnotwendige vorfänden. Wie stark die Lebensbedingungen der zum Kampf Ausgewanderten propagandistisch verklärt werden, zeigt ein Video, mit dem SHAMCENTER kurz nach seiner Gründung Muslime aus Deutschland zu rekrutieren versuchte. Darin wird Denis Cuspert, einer der ehemaligen führenden Akteure des 2012 in Deutschland verbotenen Netzwerkes 'Millatu Ibrahim' gezeigt. Er ruft in heiterer Stimmung an einem Wasserfall hockend deutsche Muslime dazu auf, ihm nach Syrien in den Jihad zu folgen. Auch in einer Reihe weiterer Internet-Veröffentlichungen wirbt Cuspert für den bewaffneten Jihad, darunter auch mit Nashids, die als jihadistische Kampfhymnen für die salafistische Propaganda von zentraler Bedeutung sind. In einem dieser Gesänge bringt Cuspert den Wunsch zum Ausdruck, als Selbstmordattentäter zu sterben: "Ich wünsch mir den Tod und kann ihn nicht erwarten, bewaffnet mit Bomben und Granaten. Ich stürme in das Gebäude rein, drück auf den Knopf, al-Jannah al-Jannah [arabisch: das Paradies, das Paradies] [...]. Ich steige in meinen Laster ein, drück auf den Knopf, al-Jannah al-Jannah. In die Kaserne der Kreuzzügler, drück auf den Knopf, al-Jannah al-Jannah. [...]. Ich zünd' den Knopf inmitten der Menge, drück auf den Knopf, al-Jannah al-Jannah. Mitten im Zentrum oder in der U-Bahn, drück auf den Knopf, al-Jannah al-Jannah." (YouTube-Video "Al-Jannah al-Jannah") islamismus 279 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Um auch Frauen von der Notwendigkeit der Auswanderung nach Syrien (al-Sham) zu begeistern, existiert seit einigen Monaten ein Webblog namens "Muhajira" (arabisch: Auswanderin), der vom SHAMCENTER ins Leben gerufen wurde. Darin berichtet eine sich offensichtlich in Syrien aufhaltende Frau eines jihadistischen Kämpfers von ihren Erfahrungen vor Ort. Sie ermutigt Glaubensschwestern, ihr nach Syrien zu folgen, um einen "Beitrag zum Jihad" zu leisten. Anders als in Deutschland könne sie jetzt in Syrien ihren Glauben frei und ohne Diskriminierungen leben: "Nun bin ich hier. Auf dem Boden des Jihad, dem Boden der Ehre, in Bilad ash-Sham [arabisch: Land Syrien]. Ich schüttel den Kopf [...] was für eine Ehre! Früher haben wir die Videos des Mujahidin [arabisch: JihadKämpfer] mit hungrigen Herzen und Augen angeschaut und heute dürfen wir Muhajirin [arabisch: Auswanderer] sein. [...] Endlich darf ich frei sein, meinen Niqab [arabisch: Ganzkörper-Schleier] so tragen, wie ich will, ohne Spott zu hören und zu sehen. Wenn ich will trage ich noch weitere 2-3 Niqabs. Keiner kann mir hier was. Für meine Meinung, dass der Jihad die beste Ibada [arabisch: Gottesdienst] nach der Schahada [arabisch: Glaubensbekenntnis] ist, wird mich hier keiner verurteilen und verfolgen." (Webblog "Muhajira") Der Blog "Muhajira" ist ein Bespiel für eine Romantisierung des Jihad in Syrien, die auch von Frauen selbst im Internet betrieben wird. Dabei wird Syrien als angenehmer, sicherer Ort dargestellt, an dem Frauen gemäß den Regeln der Scharia leben und die Zeit des frühen Islams zu Lebzeiten des Propheten wiederaufleben lassen können. SHAMCENTER hat sich innerhalb der salafistischen Szene zudem einen Namen als Kontaktstelle zu dem oben erwähnten Denis Cuspert gemacht. Von Cuspert, der sich laut eigener Internetveröffentlichungen im syrischen Kampfgebiet aufhält, veröffentlichte SHAMCENTER im Berichtsjahr immer wieder Fotos und Nachrichten, insbesondere nach einer schweren Verletzung, die er sich mutmaßlich bei einem Luftangriff durch syrische Truppen im Raum Aleppo zugezogen hat. Ende 2013 scheinen die Verantwortlichen von SHAMCENTER die Medienpräsenz zugunsten einer neuen Medienstelle namens 'Rahma' (arabisch: Barmherzigkeit) aufgegeben zu haben. Mit dem Label dieser Medienstelle erschien Ende 2013 ein ausführliches Interview, in dem Cuspert seine Entwicklung zum "Mujahid" nachzeichnet und Muslimen in Deutschland die Auswanderung nach Syrien nahelegt. Außerdem wurde auf der Facebook-Präsenz SHAMCENTER eine neue Videoreihe von 'Rahma' angekündigt. Darin soll Cuspert 280 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 die Gelegenheit gegeben werden, Muslime in deutscher Sprache für die Unterstützung der Glaubensbrüder in Syrien zu gewinnen. Im ersten Video dieser Serie erklärt Cuspert vor laufender Kamera, dass er sich nicht nur zum Kämpfen in Syrien aufhalte, sondern auch karitative und missionarische Aufgaben wahrnehme. Auch daran zeigt sich, dass die Übergänge von Da'wa-orientiertem zum gewaltorientierten Salafismus fließend sind und nach der Auffassung von Jihad-Salafisten sogar zusammengehören: "Meine lieben Geschwister und auch an die Kuffar [arabisch: Ungläubige], wisset, wir sind hier nicht nur um zu schlachten, sondern wir sind hier, um zu arbeiten, Da'wa zu machen, den islamischen Staat aufzubauen und zu unterstützen, damit unsere Geschwister in Frieden leben können. Denn: Ihr wollt uns nicht in Deutschland, und wir wollen nicht in Deutschland bleiben, und deshalb sind wir ausgewandert. [...] Und jetzt könnt ihr auch zufrieden sein, dass ich nicht mehr bei euch im Lande bin und inshallah werden noch mehr Brüder nachziehen, und dann habt ihr eure Ruhe, dann könnt ihr von mir aus in eurem Kufr [arabisch: Unglaube] versinken, oder - wenn Allah euch rechtleitet - seid ihr hier herzlich willkommen." (YouTube-Video "Rahmah - Und die Dawa geht weiter in Sham") Drohungen gegen Deutschland Martialische Drohungen gegen deutsche Staatsbürger und Interessen, wie sie in den vergangen Jahren seitens jihadistischer Organisationen zahlreich im Internet veröffentlicht wurden, waren im Berichtszeitraum nur noch vereinzelt festzustellen. Die jihadistische Internet-Propaganda stand 2013 ganz im Zeichen des syrischen Bürgerkriegs. Der thematische Schwerpunkt jihadistischer Verlautbarungen lag auf der Rekrutierung von Deutschen für den Jihad und nicht auf Anschlagsdrohungen. Vor allem zwei ausgesprochen martialische Drohbotschaften mit hohem Radikalisierungspotenzial fielen dennoch ins Auge. Dabei handelte es sich um ein Nashid, im Sinne eines Kampfgesangs, sowie um ein Posting bei Facebook. In dem Nashid mit dem Titel "Die Umma" (arabisch: Islamische Gemeinschaft) droht ein aus Nordrhein-Westfalen stammender Sprecher mit dem Pseudonym "Abu Azzam al-Almani" damit, die Köpfe von Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel rollen zu lassen: islamismus 281 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 "Unsere Truppen sind schon da. Welch eine Freude, nur für uns, nicht für euch. Ihr werdet bluten, eure Köpfe werden rollen [...], ein Schwerthieb, ein Tyrann und ein Mujahid, der seine Rechnung begleicht. [...] Diese Löwen zerstören die Feinde Allahs und wir erhoffen uns, am Sieg Anteil zu haben. Oh Allah, gib dem deutschen Volk was es verdient, zerstöre sie von innen heraus und lehre es fürchten [...]." (YouTube-Video "Die Umma") Vermutlich vom gleichen Autor stammte ein Text mit dem Titel "Die Wirklichkeit des Islam", der auf einem einschlägigen Facebook-Profil eingestellt wurde. Darin droht der Autor der Bundeskanzlerin Merkel sowie allen "Ungläubigen" mit der Rückkehr von Mujahidin nach Deutschland und der Durchführung von Anschlägen. Er kündigt darüber hinaus an, Deutsche und Österreicher als Geiseln nehmen zu wollen oder zu töten: "Sollte ein Deutscher oder Österreicher in meine Hände fallen, so werde ich mit diesen [...] unsere ehrenwerten Vorreiter Abu Usama al-Gharib, Abu Rayan und Abu Sayfullah freipressen oder ihn hinrichten und damit fortfahren bis zur Befreiung unserer Brüder und aller weiteren gefangenen Brüder und Schwestern." (Facebook-Posting vom 3. November 2013) Der im Nashid erwähnte Abu Usama al-Gharib alias Mohamed Mahmoud reiste als führendes Mitglied der im Juni 2012 verbotenen Personenvereinigung 'Millatu Ibrahim' zunächst nach Ägypten aus. Später wurde er beim Versuch des Grenzübertritts Ende März 2013 in der Türkei verhaftet. Er befindet sich in türkischer Haft. Von dort aus ist es ihm einige Male gelungen, Propaganda-Botschaften und indirekte Drohungen gegen Deutschland in das Internet einzustellen. Seine Bedeutung für die deutschsprachige jihadistische Propaganda ist im Berichtsjahr jedoch deutlich zurückgegangen. Die letzte Internetverlautbarung, die größere öffentliche Aufmerksamkeit erzielte, war ein Video aus März 2013 mit dem Titel "Unter meinen Füßen". Es zeigt ihn beim Verbrennen seines österreichischen Passes. Im Video richtet er indirekte Drohungen gegen Deutschland und kündigt an, "das zerstörerische Feuer des Hasses in die Länder der Kreuzfahrer zu tragen". Für die deutschsprachige jihadistische Szene hat Mahmoud weiterhin Vorbildcharakter. Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass 282 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 auf einer führenden deutschsprachigen Internet-Plattform 'Tauhid' regelmäßig Neuigkeiten und Grußbotschaften von ihm verbreitet werden. Indirekte Drohungen gegen Deutschland beinhalteten außerdem zahlreiche InternetVideos zweier aus Bonn stammender Brüder mit den Kampfnamen Abu Ibrahim und Abu Adam. Die beiden warben in den vergangenen Jahren im Namen der Terrororganisation 'Islamische Bewegung Usbekistan' (IBU) in deutscher Sprache für den Jihad und stießen vielfältige Drohungen gegen Deutschland aus. Internet-Veröffentlichungen, in denen sie ab Mitte 2013 auftraten, trugen keine Organisationskennung der IBU und ihrer Medienstelle mehr. Welcher Organisation die beiden Jihadisten aus Deutschland nunmehr angehören, ist unklar. Für ihre jihadistisch eingestellte, deutsche Anhängerschaft scheint dies unerheblich zu sein. Sie sorgt mit unvermindertem Eifer dafür, dass neue Botschaften ihrer beiden Idole im Internet verbreitet werden. Terroristische Gefahren durch salafistische "Homegrown"-Netzwerke Am 13. März 2013 nahm die Polizei vier Personen fest, die unter dem Verdacht standen, einen Anschlag auf den Vorsitzenden von 'pro NRW' zu planen. Bei durchgeführten Wohnungsdurchsuchungen wurden unter anderem Waffen und Munition sowie Ammoniumnitrat, das sich zur Herstellung von Sprengstoffen eignet, sichergestellt. Das Verfahren gegen die vier Beschuldigten wurde vom Generalbundesanwalt übernommen. Er beauftragte das Bundeskriminalamt mit der Durchführung von Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung, der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der Verabredung zum Mord sowie weiterer Straftaten. Inzwischen liegen deutliche Verdachtsmomente vor, nach denen ein Mitglied dieser Terrorzelle den Anschlagsversuch am 10. Dezember 2012 im Bonner Hauptbahnhof zu verantworten hat. Dort war eine selbstgebaute Bombe in einer Tragetasche auf dem Bahnsteig abgestellt worden. 6.1.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) Die 'Islamische Bewegung Usbekistans' (IBU) wurde 1998 gegründet. Sie verfolgt das Ziel, in Usbekistan einen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia zu errichten, und bekämpft auch mit terroristischen Mitteln das Regime in Usbekistan. Seit über zehn Jahren ist die IBU hauptsächlich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aktiv und beteiligt sich dort an der Seite von Taliban und 'al-Qaida' am Kampf gegen die islamismus 283 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 von der ISAF unterstützte afghanische Regierung. Die Beobachtung der IBU erfolgt auf Grundlage von SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW. Seit 2009 bemüht sich die IBU, junge Muslime aus Deutschland zu werben, indem sie deutschsprachige Propagandavideos im Internet veröffentlicht. Als Sprecher treten darin regelmäßig zwei aus Nordrhein-Westfalen stammende Brüder, die sich Abu Ibrahim und Abu Adam nennen, auf. Zu Anfang verfing diese Werbung noch. Einige Personen aus Nordrhein-Westfalen unternahmen den Versuch, sich der IBU in Pakistan anzuschließen und sich auf Seiten der Organisation am Jihad in Afghanistan zu beteiligen. Es gelang jedoch nicht allen, die IBU zu erreichen. Einige wurden auf dem Weg durch pakistanische Sicherheitskräfte aufgegriffen und wieder nach Deutschland abgeschoben. Von denjenigen, die ihr Zielgebiet erreicht haben, sind bereits mehrere bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen. Seit 2013 hat sich der Fokus Jihad-orientierter Salafisten deutlich in Richtung Syrien verschoben. Das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet und damit die IBU spielten kaum noch eine Rolle. Die Videos der beiden bekannten deutschsprachigen Sprecher der IBU werden darüber hinaus inzwischen unter einem neuen, nicht sicher zugeordneten Label veröffentlicht. In Nordrhein-Westfalen sind Strukturen der IBU derzeit nicht erkennbar. 6.1.4 Islamische Jihad Union (IJU) Die 'Islamische Jihad Union' (IJU) spaltete sich 2002 von der IBU ab. Ihre Aktivitäten orientieren sich noch stärker am international ausgerichteten, globalen Jihad im Sinne von 'al-Qaida', zu der sie ebenso enge Kontakte pflegt wie zu den afghanischen Taliban. Dennoch versteht sich die IJU als eine eigenständige Organisation, die Ausbildungsund Trainingslager im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet Waziristan unterhält. Ihre Mitglieder rekrutiert die IJU sowohl aus den zentralasiatischen Staaten und dem Kaukasus als auch aus der Türkei und Deutschland. Insbesondere in Deutschland lebende türkischstämmige Personen sowie deutsche Konvertiten gehören zur Zielgruppe der Organisation. Neue Mitglieder versucht die Organisation durch Textund Videobotschaften im Internet anzuwerben, die teilweise in türkischer, aber auch in deutscher Sprache verfasst sind. 284 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Am 4. März 2010 wurden die vier Mitglieder der sogenannten Sauerlandgruppe zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Im Auftrag der IJU, der sich drei der vier Verurteilten angeschlossen hatten, plante die Gruppe unter Verwendung selbst herzustellender Sprengmittel Anschläge gegen US-amerikanische Einrichtungen beziehungsweise gegen US-Bürger in Deutschland. Die IJU wird nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 VSG NRW beobachtet. Strukturen der IJU sind derzeit in Nordrhein-Westfalen nicht erkennbar. 6.2 Islamistisch motivierter Terrorismus mit regionaler Ausrichtung 6.2.1 Islamistische kurdische Netzwerke/Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) 'Islamistische kurdische Netzwerke', die früher auch die Bezeichnung 'Ansar al-Islam' (AAI) führten, sind ursprünglich eine im Nordosten des Irak aktive islamistische Gruppierung, in der sich verschiedene kurdische Splittergruppen zusammen fanden. Die Anhänger streben die Errichtung eines islamischen Staates vorrangig im Nordirak an. Im Dezember 2001 übernahm der im norwegischen Exil lebende Mullah Krekar die Führung der Gruppierung. Mittlerweile ist Logo AL-ANSAR (MedienorganiKrekar in seiner Führungsposition von Abdullah alsation der Ansar al-Islam) Shafi abgelöst worden. Die AAI zeichnet im Irak für eine Vielzahl schwerster Terrorakte und Selbstmordanschläge verantwortlich. Ideologisch orientiert sich diese Gruppierung an den Vorstellungen von 'al-Qaida'. Sie ist jedoch nicht in gleicher Weise dem globalen Jihad-Gedanken verpflichtet. Die Ausrichtung entspricht eher jener der Taliban in Afghanistan. Die Gruppierung versucht, den in ihrem Machtbereich lebenden Menschen den Kontakt zu säkularen Parteien zu verbieten und verleiht ihren Forderungen mit brutalen Gewaltaktionen gegen Andersdenkende Nachdruck. Es gibt konkrete Hinweise darauf, dass die 'Islamistischen kurdischen Netzwerke' über Verbindungen zum Terrornetzwerk 'al-Qaida' verfügen. islamismus 285 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Beobachtung der 'Islamistischen kurdischen Netzwerke' erfolgt gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW. Anders als in früheren Jahren liegen derzeit jedoch keine Hinweise auf Aktivitäten von Anhängern dieser Bestrebung in Nordrhein-Westfalen vor. 6.2.2 Nordkaukasische Separatisten-Bewegung (NKSB), vormals: Tschetschenische Republik Ichkeriya/Tschetschenische Separatistenbewegung Mit dem Zerfall der UdSSR 1991 und im Zuge der Unabhängigkeit der südkaukasischen Staaten Armenien, Aserbeidschan und Georgien entstand im nördlichen Kaukasus, vor allem in Tschetschenien, eine separatistische Bewegung mit dem Ziel einer Loslösung von Russland. Sie trägt den Namen 'Tschetschenische Republik Ichkeriya' (CRI)/'Tschetschenische Separatistenbewegung' (TSB). Nach dem ersten Tschetschenien-Krieg (1994 bis 1996) radikalisierten sich die islamistischen Kräfte innerhalb der Separatistenbewegung. Angriffe dieser radikal-islamistischen Kräfte gegen die russische Provinz Dagestan 1999 führten zum zweiten Tschetschenien-Krieg, der mit der Besetzung durch russische Truppen und der Einsetzung einer Moskau freundlichen tschetschenischen Regierung endete (2000). Danach ging der Konflikt über in einen Guerillakrieg, bei dem auch Terroraktionen außerhalb Tschetscheniens verübt wurden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Geiselnahmen 2002 im Dubrowka-Theater in Moskau mit über 130 Toten und 2004 in einer Schule in Beslan mit über 330 Toten. Von dem 2007 ausgerufenen "Kaukasischen Emirat" unter der Führung von Doku Umarow spaltete sich der eher säkular orientierte Flügel der Separatisten ab. Das "Kaukasische Emirat" hat das Ziel, die russische Armee mit Gewalt zum Rückzug aus Tschetschenien zu zwingen und im nördlichen Kaukasus einen islamischen Staat zu errichten. Aktivitäten der NKSB in Nordrhein-Westfalen Die Unterstützungsaktivitäten für das "Kaukasische Emirat" bestehen vorrangig in der Propaganda für die Bewegung, Spendensammlungen und sonstiger logistischer Hilfe. In Nordrhein-Westfalen verfügt die NKSB nicht über feste Strukturen, aber einzelne und zum Teil herausragende Personen der NKSB sind hier für die Organisation in überregionalen Zusammenhängen aktiv. Die NKSB wird nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW beobachtet. 286 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Es zeigen sich vermehrt auch Beteiligungen von Tschetschenen an einzelnen salafistischen Aktionen, wie Koranverteilungen, Islamseminaren und Spendensammlungen. Ob sich ein Teil der NKSB-Anhänger künftig verstärkt dem salafistischen Spektrum zuwenden und dort Fuß fassen wird, bleibt abzuwarten. Erste Tendenzen einer Entwicklung in diese Richtung sind jedoch erkennbar. 6.2.3 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Bund NRW 2013 300 70 2012 300 70 Internet Englischsprachige Homepage Hintergrund Die sunnitische HAMAS ('Bewegung des islamischen Widerstandes') hat sich aus dem palästinensischen Teil der 'Muslimbruderschaft' entwickelt und wurde erstmals öffentlich mit Beginn der ersten Intifada im Jahr 1987 aktiv. Die HAMAS ist die politisch stärkste und einflussreichste Organisation unter den Palästinensern. Der Gaza-Streifen wird von ihr politisch und militärisch weitgehend kontrolliert. Als Teil der 'Muslimbruderschaft' und einflussreiche Kraft unter den Palästinensern ist die HAMAS mit ihren Strukturen in Nordrhein-Westfalen als bedeutende GrupLogo der HAMAS pierung anzusehen. Die HAMAS ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von Organisationen, die die 'Muslimbruderschaft' repräsentieren oder ihr nahe stehen. Sie verfügt über zahlreiche Unterorganisationen, die propagandistische oder logistische Aufgaben erfüllen. Hierzu zählen insbesondere auch Spendensammlungen oder Finanztransaktionen. Die HAMAS lehnt den Alleinvertretungsanspruch der 1964 gegründeten PLO (Palestine Liberation Organisation), einer Vereinigung mehrerer national-palästinensischer Fraktionen, für das palästinensische Volk ab und boykottierte zunächst alle zwischen Israel und der PLO geschlossenen Verträge. Der Konflikt zwischen der 'Fatah'-Partei, der weitaus größten Fraktion innerhalb der PLO, und der HAMAS, der Ende 2006 zu islamismus 287 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen geführt hatte, mündete in eine politische und territoriale Spaltung der Palästinenser in das von der 'Fatah' regierte Westjordanland und den durch die HAMAS kontrollierten Gazastreifen. Diese Entwicklung gefährdet auch zukünftig die internationalen Bemühungen um eine Entspannung des seit Jahrzehnten bestehenden Nahost-Konfliktes. Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2007 etablierte die HAMAS im Gazastreifen zielgerichtet ein von einer islamistischen Auslegung geprägtes Rechtssystem. Die extremistische ideologische Ausrichtung der HAMAS bestimmt dort inzwischen alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Ideologie Das zentrale Ziel der HAMAS ist die "Befreiung" gesamt Palästinas und damit die Vernichtung Israels, dessen Existenzrecht nicht anerkannt wird, auch wenn moderate HAMAS-Politiker dies unter bestimmten Bedingungen hin und wieder in Aussicht stellten. Die HAMAS ist eine terroristische Organisation, verfügt aber neben ihrem paramilitärischen Arm, den 'Izzedin Al-Qassam-Brigaden', auch über eine Partei und ein soziales Hilfswerk. Sie ist für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Gebiet verantwortlich. Die Feindschaft gegenüber Israel wird begleitet von einem offenen Antisemitismus, der auch in der Charta der HAMAS deutlich zum Ausdruck kommt. Als zweites Ziel verfolgt die HAMAS die Errichtung eines "islamischen Staates", gestützt auf die Ideologie der 'Muslimbruderschaft'. Die HAMAS wird deshalb gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. 'Palestinian Return Center' (PRC) Das HAMAS-nahe PRC führte am 18. Mai 2013 in Brüssel die 11. "Palestinians in Europe Conference" durch, an der etwa 2.000 - 3.000 Personen teilnahmen. Zu der Veranstaltung war unter dem Motto "Signs of Return blüht auf" eingeladen worden. Nach Angaben des Veranstalters wurde die Konferenz in diesem Jahr vom Generalsekretariat des PCR und der Palästinensischen Versammlung in Deutschland organisiert. Als offensichtliche Folge der Einbindung des deutschen Ablegers in die Organisation war festzustellen, dass der überwiegende Teil der Veranstaltungsteilnehmer aus Deutschland stammte. Auf seiner Homepage gab das PRC im Anschluss eine zwölf Punkte umfassende Abschlusserklärung heraus, die sich umfänglich mit der Situation der Palästinenser befasst. 288 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Situation in Deutschland Am 3. November 2013 fand in Bochum die Jahresversammlung der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland (PGD) mit etwa 500 Teilnehmern statt. In den einzelnen Reden wurde die Situation der Palästinenser insgesamt dargestellt, wobei im Besonderen die Umstände, unter denen palästinensische Flüchtlinge derzeit in Syrien leben, thematisiert wurden. Obwohl die von der HAMAS zum Zweck der Spendenakquise gegründeten Vereine 'al-Aqsa e.V.' in Aachen und 'Yatim Kinderhilfe e.V.' in Essen in den Jahren 2002 beziehungsweise 2005 verboten worden sind, betreiben der HAMAS nahestehende Kreise auch weiterhin Propaganda und Spendensammlungen. Maßgebliche HAMAS-Führer haben sich in der Vergangenheit mehrfach gegen Gewaltaktionen außerhalb Israels und der besetzten palästinensischen Gebiete ausgesprochen. Von daher ist die Gefahr, dass die HAMAS derartige Aktionen in Deutschland durchführen könnte, als eher gering anzusehen. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier - etwa im Zusammenhang mit möglichen israelischen Militäraktionen - zu spontanen Gewaltaktionen gegen israelische, jüdische oder amerikanische Einrichtungen durch stark emotionalisierte jugendliche Palästinenser kommen kann. 6.2.4 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Bund NRW 2013 950 350 2012 950 350 Internet Mehrsprachige Homepage Hintergrund Die schiitische 'Hizb Allah' formierte sich 1982 als Reaktion auf den Einmarsch israelischer Truppen im Libanon. Organisatorisch knüpft sie unmittelbar an die iranische Intervention während des libanesischen Bürgerkriegs an. Auf Grund der umfangreichen finanziellen und logistischen Unterstützung durch Iran entwickelte sich die 'Hizb Allah' schnell zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten. Bis heute verfügt sie über ein umfangreiches Waffenarsenal, das auch schweres Kriegsgerät islamismus 289 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 beinhaltet. Regionale Schwerpunkte finden sich traditionell im Bekaa-Tal, im gesamten südlichen Libanon mit lokalen Alleinherrschaftsstrukturen sowie in den Vororten von Beirut. Ideologie Bedingt durch den iranischen Einfluss strebte die 'Hizb Allah' in den ersten Jahren die Errichtung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Muster auf libanesischem Boden an. Hiervon hat sich die Organisation später zugunsten einer Logo der Hizb Allah pragmatischen, auf die Festigung ihres Einflusses bedachten Ausrichtung gelöst. Diesem Ziel ist die 'Hizb Allah' durch ihre mittlerweile gesamtgesellschaftliche und politische Verankerung als Widerstandsbewegung im Libanon deutlich näher gekommen. Im Gegenzug musste sie jedoch Teile ihres extremistischen Forderungskataloges aufgeben. Mit ihrer erfolgreichen Teilnahme an der libanesischen Parlamentswahl gelang es der 'Hizb Allah', die angestrebte Etablierung als von der libanesischen Öffentlichkeit wahrgenommene legalistische Organisation zu verstetigen. Ihre Maxime einer Vernichtung des Staates Israel sowie der Errichtung einer "islamischen Herrschaft" über Jerusalem sind allerdings bis heute unverändert. Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich die 'Hizb Allah' auch der Mittel des Terrors. Seit Jahren ist sie für Anschläge im nördlichen Israel verantwortlich und stellt damit eine unmittelbare Bedrohung für den Staat Israel dar. Bei der 'Hizb Allah' handelt es sich um eine international gut vernetzte terroristische Organisation. Aufnahme der 'Hizb Allah'-Miliz in die EU-Terrorliste Die Außenminister der Europäischen Union haben am 22. Juli 2013 beschlossen, die 'Hizb Allah'-Miliz, den militärischen Arm der Organisation, auf die EU-Terrorliste zu setzen. Begründet wird die Entscheidung mit dem Anschlag im bulgarischen Burgas im Juli 2012, bei dem sechs Menschen ums Leben gekommen sind und für den die 'Hizb Allah' verantwortlich gemacht wird. Durch die Aufnahme in die EU-Terrorliste können unter anderem Konten der Gruppierung gesperrt und damit eine etwaige Terrorfinanzierung unterbunden werden. Ebenso wird jede Art von finanzieller Unterstützung der 'Hizb Allah' damit verboten. 290 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 'Hizb Allah' unterstützt Assad-Regime Im Mai 2013 gab die 'Hizb Allah' ihre offizielle Zurückhaltung auf und intervenierte im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten des Assad-Regimes. Aufgrund der Unterstützung der 'Hizb Allah'-Milizen konnte das Regime eine Schlacht um die strategisch wichtige Stadt Kusair für sich entscheiden. Generalsekretär Hassan Nasrallah rechtfertigte die Intervention mit dem Hinweis darauf, dass man nicht zuschauen werde, wie Extremisten gemeinsam mit den USA und anderen westlichen Staaten Syrien das Rückgrat brechen würde. Im Hintergrund dürfte Iran für das Vorgehen der 'Hizb Allah' verantwortlich sein. Die 'Hizb Allah' wird gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. Situation in Deutschland Deutschland wird in der strategischen Ausrichtung der 'Hizb Allah' als Rückzugsund Ruheraum begriffen. Auf gewaltsame Aktionen wird in Deutschland daher bislang verzichtet. Die Organisation selbst vermeidet seit den Ereignissen des 11. September 2001 umfangreiche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und grenzt sich bewusst von Ausschreitungen und öffentlichen Aufrufen zur Gewalt anderer islamistischer Gruppierungen ab. Auch intern rufen Funktionäre und schiitische Geistliche ihre Anhänger konsequent zur Befolgung der in Deutschland geltenden Gesetze und Regeln auf. Es soll im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterstützung und Finanzierung terroristischer Aktivitäten keine Angriffsfläche für ein Verbot von der 'Hizb Allah' zuzurechnenden Vereinen und Einrichtungen geboten werden. Bis heute ist es der 'Hizb Allah' in Deutschland nicht gelungen, eine effiziente Organisationsstruktur unter ihren Anhängern aufzubauen. Die Gründe hierfür liegen insbesondere in den auch im Jahr 2013 festgestellten internen Streitigkeiten und persönlichen Rivalitäten. Allerdings sind einzelne Führungsfunktionäre in der Lage, auch kurzfristig ein nennenswertes Aktionspotenzial zu mobilisieren. Etwa 800 Personen, überwiegend 'Hizb-Allah'-Anhänger und regimetreue Iraner, nahmen am 3. August 2013 in Berlin an der dort seit 1996 alljährlich stattfindenden Demonstration zum sogenannten Jerusalem-Tag (Al-Quds-Tag) teil. Die Veranstaltung verlief trotz Gegenkundgebungen weitgehend störungsfrei. Der Al-Quds-Tag war 1979 von Ayatollah Khomeini als Gedenktag zur Erinnerung an die "Besetzung" Jerusalems durch Israel ausgerufen worden. islamismus 291 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Situation in Nordrhein-Westfalen Seit über 20 Jahren ist das 'Islamische Zentrum*' ('Imam-Mahdi-Zentrum*') in Münster eine Plattform und Begegnungsstätte für 'Hizb Allah'-Anhänger in Nordrhein-Westfalen und dem Westen Deutschlands. Das 'Islamische Zentrum*' steht in enger Verbindung zu dem iranisch gesteuerten 'Islamischen Zentrum Hamburg*' (IZH) und konnte seine zentrale Bedeutung nach langjähriger rückläufiger Akzeptanz wieder leicht festigen. Dessen ungeachtet schreitet die Regionalisierung mit Gründung eigener Moscheevereine voran. Weitere erkannte Schwerpunkte finden sich im Raum Essen/ Bottrop und Bad Oeynhausen. Der Syrienkonflikt ist für eine zunehmende Verunsicherung hier ansässiger 'Hizb Allah'-Anhänger verantwortlich. Einerseits sorgen sie sich um die im Libanon verbliebenen Familienangehörigen, andererseits befürchten sie, Angriffen von hier lebenden Salafisten ausgesetzt werden zu können. Zumindest ist in den Vereinen, die der 'Hizb Allah' nahe stehen, eine erhöhte Wachsamkeit festzustellen. Hinweise darauf, dass sich hier ansässige 'Hizb Allah'-Anhänger aktiv am Syrienkonflikt beteiligen wollen, oder auf gewalttätige Aktionen in Nordrhein-Westfalen liegen bislang nicht vor. 6.3 Gewalt befürwortende islamistische Organisationen 6.3.1 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) Mitglieder Bund NRW 2013 300 70 2012 300 70 Hintergrund Die 'Hizb ut-Tahrir' (HuT) wurde 1952 von dem Rechtsgelehrten Scheikh Taqi al-Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und palästinensischen 'Muslimbruderschaft' gegründet. Es handelt sich um eine pan-islamistische Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangiges Ziel der Organisation ist die Wiedereinführung des Kalifats in einem islamiHizb ut-Tahrir-Logo der arabischen Homepage 292 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 schen Staat (das letzte Kalifat wurde 1924 von Kemal Atatürk abgeschafft). Die HuT kennzeichnet ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden gelten - wie Christen - als Ungläubige, deren Lebensform abzulehnen ist und mit denen möglichst kein Kontakt gehalten werden sollte, da sie ein Bündnis eingegangen seien, um den Islam zu zerstören. Am 15. Januar 2003 hat das Bundesministerium des Inneren ein Betätigungsverbot gegenüber der Organisation erlassen, das letztinstanzlich am 25. Januar 2006 durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bestätigt wurde. Am 19. Juni 2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Klage der HuT gegen das vom Bundesminister des Inneren ausgesprochene Betätigungsverbot für unzulässig erklärt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und den Sturz von Regierungen in muslimisch ausgerichteten Staaten gefordert hat, um diese durch ein Kalifat, basierend auf den Regeln der Scharia, zu ersetzen. Damit verfolgt die HuT Ziele, die den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention zuwider laufen, so dass sich die Organisation bei ihrer Klage nicht auf das in Art. 11 EMRK bestimmte Recht auf Versammlungsund Vereinigungsfreiheit berufen könne. Die 'Hizb ut-Tahrir' wird gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. Struktur Die Partei, die einen streng hierarchischen Aufbau hat, ist heute weltweit aktiv und international vernetzt. Ihre Anhängerschaft verhält sich streng konspirativ abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Neue Mitglieder werden bevorzugt innerhalb der gesellschaftlichen Elite geworben, was sich aus der Kaderstruktur herleitet sowie der Auffassung, dass die Partei eine Vorreiterrolle für den Aufbau des islamischen Staates spielt. Von den Mitgliedern wird strikter Gehorsam erwartet. Positionen und Meinungen, die von der Parteiführung vertreten werden, sind für alle Mitglieder verbindlich. In der Bundesrepublik Deutschland ist die HuT in verschiedene Regionen aufgeteilt; in diesen Regionen existieren streng voneinander abgeschottete Kleinstgruppen (Zellen), die sich durch ein äußerst konspiratives Verhalten auszeichnen. islamismus 293 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ideologie In einem im März 2013 veröffentlichten Interview mit einem Sprecher des "Medienbüros von Hizb ut-Tahrir im deutschsprachigen Raum" wird deutlich, dass die Organisation weiterhin ihre Mitglieder von einer Integration in die westliche Gesellschaft abhalten will. Zentrale Werte wie das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der Minderheitenschutz werden abgelehnt. Stattdessen bemüht sich der Sprecher, die moralische Überlegenheit einer strengen Auslegung des Islam zu propagieren und die Ungültigkeit von "Menschenhand" geschaffener Gesetze zu rechtfertigen. In der Konsequenz sollen Muslime in der westlichen Gesellschaft Integrationsverweigerer sein. Situation in Nordrhein-Westfalen Trotz des Verbotes ist davon auszugehen, dass die Organisation ihre Aktivitäten in bekannt konspirativer Weise fortsetzt. Nach wie vor hat der vermutliche Europaverantwortliche der Organisation seinen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen, was darauf schließen lässt, dass der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Organisation strategische Bedeutung zukommt. Öffentlich wahrzunehmen ist die Organisation durch Verbreitung von Propaganda im Internet. Hierzu bedient man sich in erster Linie im europäischen Ausland befindlicher Server. Öffentliche Auftritte von Führungsfunktionären sind hingegen nicht mehr festzustellen. Dies dürfte vor dem Hintergrund des Betätigungsverbotes mit der Furcht vor möglichen staatlichen Sanktionen in Zusammenhang stehen. 294 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 6.3.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz Köln Verbandsführer Metin Kaplan (am 12. Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben) Mitglieder Bund NRW 2013 750 300 2012 800 350 Publikationen Ehemals: 'Ümmet-i Muhammed' ('Die Stimme Muhammeds'), 'Beklenen Asr-i Saadet' ('Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit'), 'Der Islam als Alternative' (D.I.A), 'Barika-i Hakikat' ('Das Aufleuchten der Wahrheit') Fernsehprogramm HAKK-TV Hintergrund Im Jahre 1984 gründete Cemaleddin Kaplan nach der Loslösung von der Milli-Görüs-Bewegung den 'Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V.' (ICCB) in Köln. Im April 1992 rief er den 'Föderativen Islamischen Staat Anatolien' aus, der im März 1994 in den 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Devleti') umgewandelt wurde und zu dessen Kalif sich Kaplan selbst Wimpel mit dem Schriftzug des Kalifatsstaats ernannte. Nach dem Tode von Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 folgte ihm sein Sohn Metin Kaplan als Kalif nach. Diese Nachfolge war jedoch nicht unumstritten. Der Nachfolgestreit endete mit der Ermordung des "Gegenkalifen" in Berlin im Mai 1997, zu der Metin Kaplan angestiftet hatte. Wegen Anstiftung zum Mord wurde Metin Kaplan im November 2000 zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach seiner Entlassung wurde er im Oktober 2004 in die Türkei, die seit längerem seine Auslieferung verlangte, abgeschoben. Nach seiner Abschiebung wurde er in der Türkei wegen Hochverrats zunächst zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Zuge mehrerer Berufungsund Revisionsverfahren wurde die lebenslange Haftstrafe wieder aufgehoben. Am 3. Juli 2010 verurteilte der Oberste Gerichtshof in Istanbul Metin Kaplan schließlich zu 17 Jahren und 6 Monaten Haft. islamismus 295 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Ideologie Der Gründer des ehemaligen 'Kalifatsstaats', Cemaleddin Kaplan, forderte die Wiedererrichtung des Kalifats in der Türkei und die Einführung der Scharia als gottgegebener Staatsund Rechtsordnung. Die Demokratie und eine Gesetzgebung durch das Volk lehnte er als "Götze" (tagut) beziehungsweise "Götzendienst" strikt ab. Demokraten betrachtete er als Ungläubige. Die USA, westliche Staaten und Israel sowie die Juden und die zionistische Bewegung gehören zu den besonders betonten Feindbildern. In der expliziten Ablehnung der Demokratie und der Diffamierung als "Götzendienst" bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Kaplan-Ideologie der 1980er und 1990er Jahre und dem Salafismus nach der Jahrtausendwende. Tatsächliche Anhaltspunkte weisen darauf hin, dass die Anhänger des ehemaligen 'Kalifatsstaats' die Ideologie von Cemaleddin Kaplan auch heute noch innerhalb festgefügter Personenzusammenschlüsse vertreten. Diese Personenzusammenschlüsse mit Bezug zum ehemaligen 'Kalifatsstaat' werden gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. Verbot des 'Kalifatsstaates' Am 12. Dezember 2001 wurde der sogenannte 'Kalifatsstaat' durch das Bundesministerium des Innern verboten. Er galt in Deutschland bis dahin als die verbal radikalste unter den islamistischen Organisationen. Im November 2002 wurde das Verbot des 'Kalifatsstaat' sowie 17 weiterer Ortsvereine, vier davon in Nordrhein-Westfalen, endgültig bestätigt. Infolge der Abschiebung Metin Kaplans in die Türkei und seiner dortigen Verurteilung kam es zu Richtungsund Nachfolgestreitigkeiten innerhalb der Gruppierung. Diese Auseinandersetzungen mündeten in eine Spaltung der Anhängerschaft in zwei konkurrierende Fraktionen. Aktuelle Entwicklung In Jahreskalendern oder Broschüren, die innerhalb der Anhängerschaft kursieren, wird immer wieder auf die Lehren Kaplans Bezug genommen. Es wird die Errichtung eines "islamischen Staates" oder Kalifats propagiert, ohne allerdings die Symbolik der verbotenen Organisation zu verwenden. Im Internet werden von Anhängern verschiedene Seiten betrieben, auf denen die Ideologie ebenfalls verbreitet wird. 296 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Differenzen innerhalb der Personenzusammenschlüsse mit Bezug zum ehemaligen 'Kalifatsstaat' setzten sich auch 2013 fort. Eine weitere Fraktionsbildung ist nicht auszuschließen. Darüber hinaus haben sich Teile der Anhängerschaft noch stärker dem Salafismus zugewendet und können zurzeit eher den 'salafistischen Bestrebungen' als dem ehemaligen 'Kalifatsstaat' zugerechnet werden. Diese Entwicklung korrespondiert mit der schon früher beim 'Kalifatsstaat' zu beobachtenden verbalen Radikalität und der Sympathie für militante Organisationen im Ausland wie beispielsweise die 'Islamische Bewegung Usbekistan' (IBU), für die - soweit möglich - Unterstützung geleistet wird. 6.3.3 Türkische Hizbullah Mitglieder Bund NRW Leitung Führungsgruppe 2013 350 60 2012 350 60 Publikationen 'Yeni Müjde' ('Neue Frohe Botschaft'), 'Inzar' ('Warnung'), 'Dogru Haber' ('Richtige Nachricht'), 'Kelhaamet' ('Prächtiges Diyarbakir') Internet Mehrere Homepages Hintergrund Anfang der 1980er Jahre bildeten sich unter sunnitischen Kurden in der Türkei Gruppierungen heraus, die für die Errichtung einer auf strikter Befolgung von Koran und Scharia gegründeten "islamischen Herrschaft" eintraten und sich gegen den säkularen türkischen Staat wandten. Aus einer dieser Gruppierungen entwickelte sich die 'Hizbullah' ('Partei Gottes'). Diese wendete vor allem seit Beginn der 1990er Jahre zur Erreichung ihrer politischen Ziele Gewalt gegen interne Abweichler, gegen die marxistische kurdische Separatistenorganisation PKK ('Arbeiterpartei Kurdistans'), gegen liberale Journalisten und gegen Vertreter des türkischen Staates Gewalt an. Zur Unterscheidung von der im Libanon beheimateten 'Hizb Allah' wird diese als 'Türkische Hizbullah' bezeichnet. Im Januar 2000 wurde ihr Anführer, Hüseyin Velioglu, in Istanbul bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Diese und weitere Exekutivmaßnahmen der türkischen Polizei, bei denen mehrere Funktionäre der Organisation und zahlreiche Mitglieder festgenommen und inhaftiert wurden, führten zu einer empfindlichen Schwäislamismus 297 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 chung der 'Hizbullah'. Zugleich wurde aus Papieren und Videoaufzeichnungen, die in ihren Archiven gefunden wurden, deutlich, in welch großem Ausmaß die Organisation Entführungen, Morde und andere Gewalttaten verübt hatte. Ideologie In der 2004 erschienenen Schrift "Kendi dilinden Hizbullah" ("Die Hizbullah in eigener Sprache/aus eigenem Munde") stellt ihr Verfasser, ein 'Hizbullah'-Funktionär, die Verbrechen der Organisation als Akte der Selbstverteidigung dar. Der Autor führt ferner aus, dass auf eine erste Phase, die von 1979 bis 1991 dauerte, und in der die Propagandatätigkeit, Anhängergewinnung, Strukturierung und Schulung im Vordergrund stand, eine zweite Phase folgte, die von 1991 bis 2000 andauerte und durch den bewaffneten Kampf gegen die PKK, interne Abweichler und den türkischen Staat geprägt war. In ihrer Zielsetzung verbindet die 'Hizbullah' eine islamistische mit einer kurdisch-nationalen Agenda. So heißt es in "Kendi dilinden Hizbullah": "Alle Probleme dieses [des kurdischen] Volkes können nur mit dem Islam gelöst werden" (Seite 65). Andererseits sieht die 'Hizbullah' als Ursache aller Probleme die Uneinigkeit der islamischen Welt und die Herrschaft nicht-islamischer Regime an. Dies zu ändern und den Islam zur Herrschaft zu bringen, ist ihr erklärtes Ziel. Zu den Feindbildern der 'Hizbullah', die für die Unterdrückung der Muslime verantwortlich gemacht werden, gehören neben den internen Abweichlern der 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK) und der Republik Türkei auch die "imperialistischen" und "zionistischen Mächte", also die westliche Staatengemeinschaft und Israel. In einem Manifest der 'Hizbullah' von Januar 2012 wurden diese Positionen erneut bekräftigt. Die 'Hizbullah' sieht sich als Verteidigerin der Opfer imperialistischer und unislamischer Mächte, die die Kurden und die Muslime in vielerlei Hinsicht unterdrücken würden. Dementsprechend verbreitet sie durch Publikationen und Webseites ihre Ideologie, führt - häufig religiöse - Veranstaltungen durch und sammelt Spenden. In diesem Zusammenhang wird ihr auch ein im September 2004 in der Türkei gegründeter karitativer Verein zugerechnet. Aufgrund ihrer Ideologie und Ziele, zu deren Durchsetzung sie bereits Gewalt und Terror als Mittel eingesetzt hat, wird die 'Türkische Hizbullah' nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. 298 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Aktuelle Entwicklung Nach der einstweiligen Zerschlagung der Führungsstrukturen der 'Hizbullah' durch die türkischen Behörden Anfang 2000 wichen einige Anhänger nach Europa aus, um dem Verfolgungsdruck in der Türkei zu entgehen. Die 'Türkische Hizbullah' hat in den folgenden Jahren auch in Deutschland Strukturen aufgebaut und nutzt diese zur weiteren Konsolidierung ihrer Organisation. Die Organisation sammelt in Deutschland Spenden, vertreibt Publikationen und lädt oftmals aus religiösen oder kulturellen Anlässen zu Veranstaltungen ein. Ihr derzeitiges Vorgehen entspricht der ersten Phase des in "Kendi dilinden Hizbullah" beschriebenen Modells. Ein Übergang in die zweite Phase des bewaffneten Kampfes ist bisher nicht zu erkennen. 6.4 Legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Organisationen 6.4.1 Muslimbruderschaft (MB) Mitglieder Bund NRW 2013 1.300 320 2012 1.300 320 Hintergrund Die 'Muslimbruderschaft' (MB) wurde 1928 von Hasan alBanna (1906 - 1949) in Ägypten gegründete. Sie ist damit die älteste und zugleich einflussreichste Bewegung des modernen politischen Islam. Nach eigenen Angaben ist sie weltweit in mehr als 70 Ländern vertreten, wobei nicht immer die Bezeichnung "Muslimbruderschaft" verwendet wird. Hierarchisch organisiert verfügt die MB vor allem in Ägypten über ein Geflecht von Unternehmen sowie religiösen, karitativen und sozialen Einrichtungen. Sie ist aufgrund ihrer Bildungsorientierung zudem in Logo der Muslimbruderschaft Berufsverbänden stark vertreten. Im Laufe ihrer Geschichte zeigte die MB ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt. Sowohl beim Kampf gegen die britische Herrschaft in Ägypten und Palästina als auch zeitweise bei ihrer Auseinandersetzung mit den vom Militär gestellten ägyptischen islamismus 299 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Präsidenten gab es Phasen, in denen die Organisation zum Mittel der Gewalt gegriffen hat. Bereits al-Banna nannte Jihad und Märtyrertod in den fünf Leitsätzen der MB. Der erst spät zur MB gestoßene Sayid Qutb (1906 -1966) entwickelte diese Ansätze unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit Präsident Gamal Abdel Nasser zu einer militanten Ideologie weiter. Auf diese haben sich militante Abspaltungen und später jihadistische Gruppierungen wie 'al-Qaida' gestützt. Die Hauptströmung der MB lehnte Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele seit den ausgehenden 1970er Jahren ab. Gewaltsamer "Widerstand" gegen "Besatzer", was sich auf den Widerstand der Palästinenser gegen Israel bezieht, wird jedoch gutgeheißen. Die MB verfolgte ihr Ziel der Umgestaltung Ägyptens zu einem "islamischen Staat" stattdessen mit gesellschaftlichen und politischen Mitteln, gründete Parteien und nahm an Wahlen teil. Im Zuge des "arabischen Frühlings" konnte die MB in Ägypten nach Parlaments(2011) und Präsidentschaftswahlen (2012) erstmals die Regierung und den Präsidenten, Mohammed Mursi, stellen. Die sehr stark auf die Festigung der gewonnenen Macht ausgerichtete Politik Präsident Mursis führte im Juli 2013 zum Eingreifen des Militärs und zu seinem Sturz. Am 23. September 2013 wurde die MB in Ägypten erneut verboten und am 25. Dezember 2013 zur Terrororganisation erklärt. Auslöser für letztere Maßnahme war ein Terroranschlag, der vom Militär der MB zur Last gelegt wird. Die Organisation distanziert sich jedoch von diesem Anschlag und verurteilt ihn ausdrücklich. Ideologie und Ziele Das erste Ziel der MB war bei ihrer Gründung 1928 das Abschütteln der de facto bestehenden britischen Herrschaft über Ägypten, das 1882 von Großbritannien aus geostrategischen Gründen (Kontrolle über den Suez-Kanal) besetzt worden war und 1922 nur nominell zu einem selbständigen Königreich wurde. Zu diesem Ziel, das mit dem Abzug der britischen Truppen 1946 weitgehend erreicht wurde, traten sehr bald weitere Ziele hinzu. Die Organisation strebt die Bildung einer islamischen Gesellschaft sowie die Errichtung eines "islamischen Staates" auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung, an. Al-Bannas Leitsätze lauteten: "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Märtyrertod auf dem Pfad Gottes ist unsere größte Hoffnung." Als Parole der MB gelangte der Satz "der Islam ist die Lösung" (al-Islam huwa'l-hall) zu allgemeiner Bekanntheit. Schließlich sollten alle islamischen Länder in einem föderalen Kalifenreich vereint sein. 300 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Heute betonen Sprecher und offizielle Webseites der MB eher das Eintreten der Bruderschaft für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, verbunden mit islamischen Werten. In der heutigen MB sind sicherlich pragmatische, moderne und auch demokratische Ansätze erkennbar, die MB-nahe 'Freiheitsund Gerechtigkeits-Partei' (FJP) tritt jedoch nach wie vor dafür ein, dass die Scharia als von Gott geschaffene Rechtsordnung die Grundlage von Gesetzbebung und Rechtsprechung in allen Bereichen sein müsse. Dies zeigt, dass die Ideologie, die die Einführung einer gottgegebenen islamischen Staatsund Rechtsordnung fordert, nach wie vor von großer Bedeutung innerhalb der MB ist. Situation in Nordrhein-Westfalen Die bedeutendste der 'Muslimbruderschaft' zuzurechnende Organisation in der Bundesrepublik Deutschland ist die 'Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.' (IGD), die aus der 1960 in München von dem ägyptischen Muslimbruder Dr. Said Ramadan gegründeten 'Moscheebau-Kommission e.V.' hervorgegangen ist. Die IGD gehört zu den Gründungsmitgliedern der 'Föderation islamischer Organisationen in Europa' (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der 'Muslimbruderschaft' in Europa gilt. Seit Ende 2010 hat die Organisation ihren Sitz in Köln. Die IGD wird aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte einer engen Verbindung mit der MB nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW beobachtet. In Nordrhein-Westfalen sind neben der IGD in verschiedenen Städten Vereine mit angeschlossenen Moscheen ansässig, die eine Nähe zur Ideologie der 'Muslimbruderschaft' aufweisen. Die Einrichtungen finanzieren sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen sowie dem Verkauf von Publikationen. Die Spendenbereitschaft der Anhänger ist nach wie vor eher gering, so dass anlässlich von Veranstaltungen ständig zu höherer Spendenbereitschaft aufgerufen wird. Öffentliche Aktivitäten dieser Einrichtungen sind allerdings nur gelegentlich bei größeren Veranstaltungen feststellbar. Dort sind die Verlautbarungen gemäßigt. Vertreter der Organisationen weisen immer wieder darauf hin, dass hier lebende Muslime sich vom islamistischen Terrorismus zu distanzieren und die Gesetze des Gastlandes zu beachten haben. Aktivitäten der MB in Nordrhein-Westfalen Die IGD veranstaltete am 15. Juni 2013 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg ihre 33. Jahreskonferenz unter dem Motto "Islamische Spiritualität - Bereicherung fürs islamismus 301 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Leben". An der Konferenz nahmen etwa 700 - 800 Personen teil. Es waren prominente Gastredner aus dem Ausland eingeladen, die der Ideologie der Muslimbruderschaft nahe stehen. Neben zahlreichen Reden und Grußworten fand eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Muslime vor der Wahl" statt, bei der unter anderem die Arbeit des Verfassungsschutzes kritisiert wurde. Wesentlicher Kritikpunkt war, dass bis heute keine wirklichen Konsequenzen aus dem NSU-Skandal gezogen worden seien. In Folge der Amtsenthebung des ägyptischen Präsidenten Mursi am 3. Juli fanden in verschiedenen deutschen Städten, unter anderem in Köln, Pro-Mursi-Demonstrationen von MB-Anhängern statt. Die Veranstaltungen verliefen in der Regel störungsfrei. Auf ihrer Homepage veröffentlichte die IGD am 27. Juli 2013 einen offenen Brief an die Bundesregierung mit der Aufforderung, den Umsturz in Ägypten als "Militärputsch" zu werten. Nach wie vor ist das Bemühen der IGD feststellbar, sich als gemäßigte islamische Organisation darzustellen. Für die weitere Entwicklung dürfte von Bedeutung sein, wie sich der politische Prozess im Ursprungsland der MB, in Ägypten, fortsetzt. 6.4.2 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) Sitz Kerpen Generalvorsitzender Kemal Ergün Mitglieder Bund NRW 2013 31.000 8.000 2012 31.000 8.000 Publikationen 'IGMG Perspektif', 'camia' ('Gemeinschaft' - IGMG), 'Milli Gazete' (Deutschlandausgabe IGMG-nah); Fernsehsender 'TV 5' ('Saadet Partisi'-nahestehend) Internet Mehrsprachige Homepage Hintergrund Mit bundesweit etwa 31.000 aktiven Mitgliedern ist die 'Islamische Gemeinschaft MillA(r) Görüs e.V.' (IGMG) die bei weitem größte der als islamistisch eingestuften Organisationen in Deutschland. Sie ging aus der von dem türkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründeten islamistischen 'Milli Görüs'-Bewegung hervor. Von Teilen der IGMG-Mitglieder wird die Verbundenheit mit Necmettin Erbakan und seiner Ideologie auch weiterhin zum Ausdruck gebracht. Andere Teile der IGMG zeigen eine solche 302 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Verbundenheit nicht eindeutig, sondern wenden sich der deutschen Gesellschaft zu. In der Gesamtschau ist die IGMG jedoch weiterhin als Teil der 'Milli Görüs'-Bewegung zu bewerten. Entwicklung 'Milli Görüs'-Bewegung in der Türkei Von 1970 an war Erbakan Führer einer islamistischen politischen Partei in der Türkei, die sich nach Parteiverboten immer wieder unter neuen Namen konstituierte. Neben der Partei wurden im Logo der IGMG Laufe der Zeit weitere Einrichtungen wie eine parteinahe Zeitung, eine Jugendorganisation, ein Fernsehsender, ein Institut und sonstige Hilfsorganisationen geschaffen, die der Ideologie und den politischen Zielen Necmettin Erbakans verpflichtet sind. Sie alle zusammen bilden die 'Milli Görüs'-Bewegung. Als unumstrittener Führer der Bewegung galt bis zu seinem Tod ihr Gründer Necmettin Erbakan. Außerhalb der Türkei gilt die IGMG als Unterstützerin und Anlaufstelle für die Bewegung. In den frühen 1990er Jahren auf kommunaler Ebene, dann bei den Parlamentswahlen 1995, erzielte die von Erbakan geführte 'Refah Partisi' ('Wohlfahrtspartei' - RP) erhebliche Erfolge. 1995 wurde sie - damals von der 'Milli Görüs' in Deutschland massiv unterstützt - stärkste Partei und Erbakan von 1996 bis Mitte 1997 Ministerpräsident in einer Koalitionsregierung. Durch die gegen die 'Refah Partisi' gerichteten Beschlüsse des seinerzeit vom türkischen Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrats vom 28. Februar 1997 nahm der Druck auf die Regierung Erbakan stark zu und zwang ihn zum Rücktritt im Juni desselben Jahres. Diese gewaltlose Verdrängung von der politischen Macht durch das Militär wird teilweise auch als "postmoderner Putsch" bezeichnet. Innerhalb der 'Milli Görüs'-Bewegung spielen dieses Datum und seine Folgen eine zentrale Rolle. 1998 wurde die RP schließlich verboten; 2000 richtete sich ein Verbot gegen ihre Nachfolgepartei, die 'Fazilet Partisi' ('Tugendpartei' - FP). Danach kam es zu einer Spaltung der 'Milli Görüs'-Bewegung. Die Erbakan und seiner Ideologie treu gebliebenen Anhänger fanden sich in der neu gegründeten 'Saadet Partisi' ('Glückseligkeitspartei' - SP) zusammen. Die SP ist mit Stimmenanteilen von rund ein bis drei Prozent in der türkischen Politik nahezu bedeutungslos geworden. Nach dem Tod Erbakans 2011 wurde Mustafa Kamalak Vorsitzender der SP. Bereits im August 2001 gründete der 'Milli Görüs'-Dissident Recep Tayyip Erdogan die 'Adalet ve Kalkinma Partisi' ('Gerechtigkeitsund Aufschwung-Partei' - AKP), die islamismus 303 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 2002, 2007 und am 12. Juni 2011 die Parlamentswahlen gewann und allein die Regierung stellen konnte. Diese Abspaltungen von der 'Milli Görüs' in der Türkei blieben nicht ohne Wirkung auf die Anhängerschaft der IGMG in Europa. Es gab und gibt innerhalb der IGMG durchaus Sympathien für die AKP. Zu einer Lossagung von der SP oder einer Spaltung der IGMG haben die Entwicklungen in der Türkei jedoch nicht geführt. Ideologie und Ziele von 'Milli Görüs' Erbakan beschrieb in einem 1990/91 unter dem Titel "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung") veröffentlichten Buch die grundlegenden Ziele der 'Milli Görüs'-Bewegung. Zentrales Element ist die These Erbakans, dass sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder von Menschen geschaffene Ordnungen einerseits und göttlich offenbarte Ordnungen andererseits gegenüber gestanden hätten. Menschliche Gesellschaftsmodelle, die er als "nichtige Ordnung" ("Batil Düzen") bezeichnet, sieht Erbakan durch Unrecht und Ausbeutung gekennzeichnet. In Gott gegebenen Ordnungen herrsche dagegen die Wahrheit und das sich daraus ergebende Recht (Hak). Auf diese Weise überführt er das aus dem Koran entlehnte Gegensatzpaar "Hak" (für Gott/Wahrheit/ Recht) und "Batil" (für Aberglaube/nichtig) auf die politische Ebene und deutet religiöse Begriffe in politische um. Dieser Gegensatz - die gute göttliche Ordnung gegen die schlechte, fehlerbehaftete menschliche Ordnung - durchzieht die Argumentation von 'Milli Görüs' bis heute. Ziel der Bewegung ist es, das demokratische System, das als "westliche" beziehungsweise "bürokratische Ordnung" bezeichnet wird, zu überwinden und durch die "gerechte Ordnung des Friedens und der Verständigung" zu ersetzen, die auf dem Islam basieren soll. Dieses Ziel wird in Etappen angestrebt: Schaffung einer lebenswerten Türkei durch Einführung der gerechten, also islamischen Ordnung, dann die Errichtung einer Groß-Türkei, und schließlich die Etablierung der gerechten Ordnung für die ganze Welt beziehungsweise die gesamte Menschheit. Zur Ideologie gehört auch ein Feindbild, das zunächst durch den Begriff "Batil" beschrieben wird. "Batil", der Aberglaube beziehungsweise "nichtige Ordnung", wird gleichgesetzt mit Kapitalismus und Imperialismus, der von den westlichen Staaten ausgehe, allen voran den USA. Letztendlich würden aber die USA, Kapitalismus und Imperialismus vom Zionismus gesteuert. Dieses Feindbild mündet in antisemitischen Verschwörungstheorien und Haltungen, die bei Erbakan stets sehr deutlich hervortraten und von vielen seiner Anhänger anscheinend geteilt werden. 304 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die Ablehnung der "westlichen Demokratie" und damit auch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die 'Milli Görüs'-Ideologie sowie eine antisemitische Grundeinstellung ist durch Aussagen des Führers der 'Milli Görüs' und seine programmatischen Schriften belegt. Die IGMG bietet tatsächliche Anhaltspunkte, die auf eine Verbindung zur politischen Bewegung Necmettin Erbakans und der 'Milli Görüs' und damit auch zu deren Ideologie und antisemitischen Einstellungen schließen lassen. Dies begründet die Beobachtung der IGMG durch den Verfassungsschutz gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW. 'Milli Görüs' in Deutschland Die organisatorischen Wurzeln der 'Milli Görüs' in Deutschland reichen bis in die Mitte der 1970er Jahre zurück. Anfang der 1980er kam es zu einer Krise, als ein erheblicher Teil der damaligen 'Milli Görüs'-Anhänger sich Cemaleddin Kaplan, dem späteren "Kalifen von Köln" und Gründer des 'Kalifatsstaats' zuwandte. Danach begann eine Neustrukturierung der 'Milli Görüs' in Deutschland durch Angehörige der 1983 in der Türkei gegründeten 'Refah Partisi', die hierfür von Necmettin Erbakan nach Deutschland entsandt worden waren. Die Verbindung zwischen der Bewegung in der Türkei und der 1985 gegründeten 'Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V.' ('Avrupa Milli Görüs Teskilatlari' - AMGT) war dementsprechend eng. Im Zuge einer organisatorischen Neuordnung 1995/96 entstand aus der AMGT die heute bekannte Struktur der 'Milli Görüs' in Europa mit der 'Europäischen Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft' (EMUG) und der 'Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs' (IGMG). Diese Neuorganisation spiegelt vor allem eine Aufgabentrennung wider: Die EMUG verwaltet die Immobilien, die IGMG übernimmt Aufgaben im religiösen, kulturellen und sozialen Bereich. Die IGMG selbst stellt die Neuorganisation als entscheidenden Einschnitt dar. Eine neue Generation von Führungskräften sei aufgerückt und 'Milli Görüs' in Deutschland deshalb nicht mehr islamistisch. Richtig daran ist, dass nach 1995 teilweise ein Generationswechsel auch auf der Führungsebene stattgefunden hat. Dennoch waren in den Vorständen von EMUG und IGMG dieselben Personen vertreten, die zuvor den Vorstand der AMGT gebildet hatten. Mittlerweile deutet vieles darauf hin, dass etliche Mitglieder der IGMG - auch in den Vorständen - die Ideologie Necmettin Erbakans nicht mehr teilen. Es ist derzeit jedoch noch eine enge Verbindung zu Erbakans 'Saadet Partisi' erkennbar. islamismus 305 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Struktur In Deutschland ist die IGMG organisatorisch in 15 Regionalverbände untergliedert. Die Regionalverbände sind Zusammenschlüsse der Ortsvereine. In NordrheinWestfalen gibt es mit Nord-Ruhr, Ruhr A, Düsseldorf und Köln vier Regionalverbände. Weitere 19 Regionalverbände bestehen in zehn anderen westeuropäischen Staaten sowie in Australien und Kanada. Die Generalzentrale der IGMG befindet sich in Kerpen. Neben dem Generalsekretariat sind die Tätigkeitsbereiche Organisation, Jugend, Frauen, Bildung, Soziale Dienstleistung, religiöse Weisung und Öffentlichkeitsarbeit eigene Abteilungen. Insgesamt gehören der IGMG nach eigenen Angaben 514 Gemeinden in Europa an, davon 323 in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen gibt es rund 110 Ortsvereine der IGMG. Die IGMG gibt die Zahl ihrer Mitglieder mit 87.000 und die Größe der "Freitagsgemeinde" (Besucher der Freitagsgebete in den Moscheen) mit 300.000 an. Aktivitäten Abgesehen von der religiösen Betreuung in den Moscheen, zu den islamischen Festen und Feiern, der Pilgerfahrt oder der Bestattung, bietet die IGMG auch ein breitgefächertes Angebot auf kulturellem, sozialem und pädagogischem Gebiet an. So werden Vortragsveranstaltungen, Gesprächskreise, Kurse für Frauen, Koranlesewettbewerbe und geschlechtergetrennte Ferienlager für Kinder oder Computerkurse angeboten. Auch Sportvereine und Studentenvereinigungen gehören zur IGMG. Sie unterhält darüber hinaus eine Rechtsabteilung, die die Mitglieder in juristischen Fragen, wie zum Beispiel in Einbürgerungsverfahren unterstützt. Publikationen und Medien Die IGMG gibt eine eigene Monatszeitschrift heraus, die 'IGMG Perspektif', sowie die organisationseigene Publikation 'camia' ('Gemeinschaft'), jeweils in türkischer Sprache. Einige Artikel in der 'IGMG Perspektif' werden regelmäßig auch in deutscher Übersetzung abgedruckt. Die Publikation 'camia' erscheint vierzehntägig und wird in allen IGMG-Moscheen kostenfrei ausgelegt. Inhaltlich gliedern sich die Themen im Wesentlichen in Berichte aus der Generalzentrale, den Regionalverbänden, aus den Moscheen, aus dem Bereich der Jugendarbeit sowie zu Themen aus dem religiösen Kontext. Darüber hinaus werden weitere regionale oder für bestimmte Zielgruppen, etwa Kinder, gedachte Publikationen herausgegeben. Materialien und Bücher für 306 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 einen islamischen Religionsunterricht oder allgemein zum Islam gibt es ebenfalls von der IGMG. Die Webseite der IGMG gestaltet sich vielseitig und anspruchsvoll. Es wird über Aktivitäten der Organisation berichtet, Presseerklärungen werden verbreitet und es besteht die Möglichkeit zum Download von Publikationen der IGMG. Aktuelle Entwicklung von IGMG und 'Milli Görüs' in Europa In den 1980er und 1990er Jahren machte die IGMG aus der engen Verbundenheit mit dem Führer der 'Milli Görüs', Necmettin Erbakan, keinen Hehl und unterstützte seine Partei und die Bewegung in der Türkei ideell und finanziell. Dementsprechend wurde auch Erbakans ideologische Weltsicht klar erkennbar vertreten. Heute wird diese Ideologie nicht mehr in den Publikationen, Predigten oder auf den Veranstaltungen der IGMG verbreitet. Es gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Verbreitung der 'Milli Görüs'-Ideologie - insbesondere unter der Jugend - über 'Milli Görüs'-Internetforen, Webseiten und soziale Netzwerke stattfindet. Diese sind rechtlich kein Teil der IGMG, dennoch lassen sie eine große Nähe zur Organisation erkennen. Die enthaltenen extremistischen Inhalte sind auf der offiziellen Webseite der IGMG dagegen nicht zu finden. Dies lässt vermuten, dass die IGMG-Zentrale bemüht ist, Erbakans islamistische Ideologie nicht weiter zu verbreiten, sich aber Teile der Anhängerschaft andere Wege suchen, um ihre Sichtweise zu propagieren. Bezüge zur Ideologie Erbakans Am 19. Mai 2013 führte die IGMG ihren Familientag "Tag der Brüderlichkeit und Solidarität" (Kardeslik ve Dayanisma Günü) im belgischen Hasselt durch. Die Großveranstaltung besuchten rund 20.000 Personen aus ganz Europa. Erstmalig nahmen an der Veranstaltung neben mehreren hochrangigen Funktionären der 'Saadet Partisi' (SP) Politiker der türkischen Regierungspartei 'Adalet ve Kalkinma Partisi' ('Gerechtigkeitsund Aufschwung-Partei' - AKP) teil, darunter auch der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei. Dieser hielt ebenso wie die Generalvorsitzenden von IGMG und SP eine Rede. Die Teilnahme von Politikern der AKP wurde von Teilen der IGMGMitglieder sowie seitens der SP deutlich kritisiert. islamismus 307 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Im Laufe des Jahres 2013 konnten Kontakte zwischen Funktionären der IGMG und der AKP, zum Beispiel durch Teilnahme an AKP-Veranstaltungen in der Türkei und in Deutschland, festgestellt werden. Ebenso besuchten 2013 Mitglieder und Funktionäre der IGMG vereinzelt Veranstaltungen der SP in der Türkei. Die selten gewordenen Kontakte zu Funktionsträgern der SP, der politischen Vertretung der 'Milli Görüs'-Bewegung, und das weitgehende Unterlassen der Berichterstattung über diese wenigen Besuche könnten als Fortsetzung einer unausgesprochenen Distanzierung von der 'Saadet Partisi' und ihren ideologischen Inhalten gedeutet werden. Eine gewisse Nähe der IGMG zur politischen Bewegung 'Milli Görüs' drückt sich jedoch in Anzeigen aus, die sie in der 'Milli Gazete' veröffentlicht. Dort sind regelmäßig Annoncen wie Kondolenzanzeigen und Genesungsoder Glückwünsche sowie Ankündigungen und Verlaufsberichte von regionalen und überregionalen Veranstaltungen der IGMG zu lesen. Verglichen mit den Anstrengungen und der Werbung für die IGMG-eigenen Publikationen erscheint diese Berichterstattung jedoch kaum ins Gewicht zu fallen. Die 'Milli Gazete' tritt jedoch entschieden für politische Inhalte auf der ideologischen Linie von Necmettin Erbakan und der 'Saadet Partisi' ein. Daher ist davon auszugehen, dass diese Inhalte von Teilen der IGMG nach wie vor mitgetragen werden. Kolumnisten der 'Milli Gazete' hielten auch im Jahr 2013 Vorträge und Seminare in Vereinen beziehungsweise Einrichtungen der IGMG. Am 27. Februar 2011 verstarb der Führer der 'Milli Görüs'-Bewegung und Vorsitzende der türkischen 'Saadet Partisi' (SP) Prof. Dr. Necmettin Erbakan in der Türkei. Zum zweiten Jahrestag seines Todes wurde vielerorts in den IGMG-Ortsvereinen in Deutschland unter dem Motto "Önden Gidenler" ("Die Vorreiter") der Pioniere und Wegbereiter in der islamischen Geschichte, darunter Necmettin Erbakans, gedacht. Funktionäre der SP nahmen hieran nicht teil. Seit geraumer Zeit ist aus den Reihen der IGMG-Mitglieder Kritik am Führungsstil des IGMG-Vorstands sowie an einer fehlenden Zusammenarbeit mit der SP zu verzeichnen. Darüber hinaus bestehen Anhaltspunkte für wachsenden Unmut innerhalb der SP an der Führung der IGMG. Am 23. März 2013 fand in Bielefeld eine von Lobbyisten der SP organisierte Veranstaltung zum zweiten Jahrestag des Todes Necmettin Erbakans statt. Mehrere hoch308 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 rangige Funktionäre der SP nahmen daran teil. Funktionäre der IGMG-Generalzentrale waren nicht anwesend. Die Veranstaltung wurde durch die IGMG-Generalzentrale nicht kommentiert. Fatih Erbakan, Sohn des verstorbenen Necmettin Erbakan und hochrangiger Funktionär der SP, gründete in der Türkei die 'Erbakan Vakfi' ('Erbakan-Stiftung'). 'Erbakan Vakfi' hat unter anderem das Ziel, das geistige Erbe von Necmettin Erbakan zu pflegen. 2013 formierte sich eine 'Europa-Vertretung der Erbakan-Stiftung' ('Erbakan Vakfi Avrupa Temsilciligi'). Die 'Erbakan-Stiftung Europa-Vertretung' organisierte mehrere Veranstaltungen unter anderem in Duisburg und Solingen mit Fatih Erbakan als Hauptredner. Die Veranstaltungen fanden einen vergleichsweise geringen Publikumszuspruch. Funktionäre der IGMG-Generalzentrale nahmen nicht teil. Die 'Saadet Partisi' initiierte vermutlich 2013 die Gründung einer 'Saadet Partisi Almanya Temsilciligi' ('SP - Deutschland-Vertretung'). Vorsitzender der Vertretung ist ein ehemaliger IGMG-Gebietsleiter aus Süddeutschland. Die 'SP - Deutschland-Vertretung' baut derzeit offensichtlich Strukturen in Nordrhein-Westfalen sowie im gesamten Bundesgebiet auf. 'Saadet Partisi' versucht vermutlich, schwindenden Einfluss in Europa durch Aufbau einer eigenen Organisationsform aufzufangen, neue Mitglieder insbesondere aus den Reihen der IGMG zu gewinnen sowie Wählerpotenzial für die anstehenden Kommunalwahlen 2014 in der Türkei zu erschließen. Funktionsträger der 'Erbakan-Stiftung' und der 'SP - Deutschland-Vertretung' in Nordrhein-Westfalen haben in der Vergangenheit zum Teil Funktionen innerhalb der IGMG ausgeübt. Die vorgenannten neuen Organisationsstrukturen sind formal kein Bestandteil der IGMG. Personelle Umgestaltung Seit der Wahl von Kemal Ergün zum Generalvorsitzenden im Jahr 2011 ist ein fortwährender personeller Umbau innerhalb der IGMG-Struktur feststellbar. Inwieweit diese personelle Umstrukturierung innerhalb der IGMG Auswirkungen auf die ideologische Richtung der IGMG hat, kann noch nicht abschließend bewertet werden. Eine eindeutige Abkehr von der Ideologie Erbakans ist bisher von der IGMG-Führung jedenfalls nicht erklärt worden. Die Kontakte zur türkischen Regierungspartei AKP scheinen jedoch weiter ausgebaut zu werden, während die zur SP zwar nicht abgebrochen werden, aber doch abzukühlen scheinen. islamismus 309 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Strafverfahren gegen IGMG-Führung Wegen des Vorwurfs des Spendenbetrugs und von Steuerstraftaten sind gegen mehrere Verantwortliche der Führungsebene der IGMG strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Das Landgericht Köln hat die von der Staatsanwaltschaft Köln erstellte Anklageschrift angenommen. Der Tatvorwurf und die zu erwartende öffentliche Hauptverhandlung stellen eine erhebliche Belastung für die Arbeit der IGMG dar. Ausblick Seit geraumer Zeit sind Teile der IGMG in hervorgehobener Position bemüht, die politische Agenda in den Hintergrund treten zu lassen und die Organisation mehr auf die religiösen Belange zu konzentrieren. Damit einher geht eine allmähliche Loslösung von der 'Saadet Partisi', der Vertreterin von Erbakans politischem und ideologischem Erbe, die jedoch nicht eindeutig ausgesprochen wird. Eine eindeutige Klärung der Haltung der IGMG zu Erbakans politischer "Mission" und seinen ordnungspolitischen Zielen sowie seinen Feindbildern hat somit bis heute nicht stattgefunden. Ebenso ist die Haltung der IGMG zu den sich neu formierenden Organisationen, beispielsweise zur 'SP - Deutschland-Vertretung', derzeit nicht eindeutig. Die IGMG scheint nach wie vor eng verbunden mit der von Erbakan gegründeten und inspirierten politischen Bewegung 'Milli Görüs'. Die Verbandspolitik der IGMG-Führung zielt anscheinend darauf ab, einerseits einen offenen Bruch mit 'Milli Görüs' und ihren politischen Vertretern wie SP und 'ErbakanStiftung' zu vermeiden, andererseits diese - soweit möglich - zu ignorieren und ihnen keinerlei Unterstützung zu gewähren. Die Unzufriedenheit der Erbakan-Anhänger führte bereits dazu, dass man sich neben der IGMG neue Organisationsformen schuf. Die Nichtbeachtung durch die IGMG sorgte 2013 für weiteren Unmut. Die beschriebene Entwicklung weist somit in die Richtung einer allmählich fortschreitenden faktischen Loslösung der IGMG von der Ideologie der 'Milli Görüs' und ihren Protagonisten. 310 islamismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 7 Scientology Organisation (SO) Bund NRW Sitz München Düsseldorf 'Scientology Kirche Deutsch'Scientology Kirche' und 'Celand e.V.'* lebrity Center' Mitglieder Bund NRW 2013 4.000 ca. 500 2012 4.500 ca. 600 Publikationen 'Kompetenz' (Verbreitung in NRW), 'Freiheit' (bundesweite Verbreitung), 'Impact', 'Scientology News', 'Source', 'Celebrity', 'Freewinds'; 'OT-Universe', 'The Auditor', 'Advance' (Internationale Verbreitung) Internet Weit gefächertes mehrsprachiges Angebot * Es handelt sich jeweils um rechtlich selbständige, in eine internationale Struktur eingebundene Organisationen, die über das kontinentale Verbindungsbüro in Kopenhagen beziehungsweise vom Managementzentrum in Los Angeles gesteuert werden. Beobachtung der 'Scientology Organisation' Der Verfassungsschutz beobachtet die 'Scientology-Organisation' (SO) seit 1997. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2008 (OVG Münster, Urteil vom 12.02.2008, 5A 130/05) die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der 'Scientology Kirche Deutschland e.V.' (SKD) und der 'Scientology Kirche Berlin e.V.' (SKB) durch den Verfassungsschutz bestätigt. Somit bestätigt das Gericht die Auffassung des Verfassungsschutzes, das tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kläger bzw. ihre Mitglieder nach wie vor Bestrebungen verfolgen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Da die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen worden war, erhob SO zunächst eine Nichtzulassungsbeschwerde. Sie wurde jedoch mit einem am 28. April 2008 beim OVG Münster eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen. Die Organisation ist weiterhin streng hierarchisch aufgebaut und wird nicht nur aus den USA gesteuert, sondern auch durch die enorme Finanzkraft und die dortigen politischen Einflussmöglichkeiten gestützt. Nach wie vor ergibt sich aus ihren Publikationen, dass wesentliche Grundund Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung sciEntology organisation 311 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 abgeschafft bzw. eingeschränkt würden, wenn eine nach ihrer Vorstellung gestaltete Gesellschaft geschaffen würde. Dabei bilden die ständig neu aufgelegten Schriften des SO-Gründers L. Ron Hubbard (1911 - 1986) die Grundlage für die Ideologie und Zielsetzung der gesamten Organisation - die Einführung einer scientologischen Zweiklassengesellschaft: "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen."156 Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sieht daher keinen Anlass, die Beobachtung der 'Scientology Organisation' einzuschränken und in der Aufklärungsarbeit nachzulassen. Mitgliederzahlen der 'Scientology Organisation' 2013 gehörten der 'Scientology Organisation' in Deutschland etwa 4.000 Mitglieder an (2012: bis zu 4.500). Ebenso wie auf Bundesebene war auch die Zahl der Mitglieder in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Bericht des Vorjahres leicht rückläufig. Stagnierte die Zahl im Vorjahr noch, so hat sie sich in 2013 von circa 600 im Jahr 2012 auf etwa 500 Mitglieder verringert. Das Expansionsbestreben der Organisation ist allerdings weiter ungebrochen. So konnte im Dezember 2013 festgestellt werden, dass im Rahmen einer Veranstaltung in den USA durch den Anführer der Organisation, David Miscavige, das "Goldene Zeitalter der Tech, Phase II" ausgerufen wurde. Hierbei soll es sich um ein neu gestaltetes "Ausbildungsprogramm" handeln. Ob sich durch dieses Programm neue Mitglieder rekrutieren lassen, wird im Jahr 2014 im Fokus stehen. 156 (Anm.: Aberration ist nach der Lehre von L. Ron Hubbard das Abweichen von der Scientology Linie), Clears, die ihr Leben in einer nichtaberrierten Kultur führen: "[...] Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte vor dem Gesetz verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele." (Hubbard, "Dianetik - Ein Leitfaden für den menschlichen Verstand", Ausgabe 2007, S. 482 f.) 312 sciEntology organisation Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Auszug der Startseite des Internetauftritts von Scientology Beeinflussung der Politik In der Öffentlichkeit ist die SO bestrebt, sich als unpolitische und demokratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Auch wenn sie nicht am Prozess der politischen Willensbildung teilnimmt, dürfte die angestrebte Veränderung der Gesellschaft hin zu einer scientologischen Gemeinschaft in den Augen der Organisation ohne eigene politische Einflussnahme nicht zu erreichen sein. So sind 'Ideale Orgs' (SO-Abkürzung für Organisation) und 'Celebrity Center' in Düsseldorf, in Berlin und in Zentren angesiedelt, in denen wichtige politische Entscheidungen in Europa getroffen werden, zum Beispiel in unmittelbarer Nähe der Europäischen Kommission in Brüssel. Gerade dort wird intensive Lobbyarbeit geleistet. Es werden immer wieder Gespräche angeboten, schriftliche Eingaben getätigt und Infomaterial, wie Bücher, Broschüren und DVDs verschickt. sciEntology organisation 313 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Beeinflussung der Wirtschaft Die 'Scientology Organisation' verfügt über einen eigenen Wirtschaftsverband namens 'World Institute of Scientology Enterprises' (WISE) sowie eigene Organisationsund Managementstrategien. Durch geschicktes und verdecktes Marketing nähert sich 'Scientology' Firmen, insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen. Auf diese Art und Weise soll sukzessive die Infiltration der Wirtschaft betrieben und die Macht der Organisation ausgebaut werden. Die Mitglieder des WISE-Verbandes, Unternehmer und Selbstständige, haben sich über Lizenzverträge verpflichtet, die Managementtechniken von L. Ron Hubbard anzuwenden und zu verbreiten. In den scientologischen Strategien zur Übernahme von Unternehmen existieren Anweisungen über die genaue Vorgehensweise bei der Infiltration. Dazu zählt beispielsweise die frühe Übernahme von geeigneten Positionen innerhalb eines unabhängigen Unternehmens, um dort auf raffinierte Weise die Technologie einzuführen und weitere Scientologen zu etablieren. "[...] Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, die Position als Vorsitzende des Frauenverbandes, als Personalchef einer Firma, [...], als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft - irgendeine Schlüsselposition. [...] handhaben und verbessern Sie die Leute, denen Sie begegnen, [...]." (Hubbard-Kommunikationsbüro, HCO-Bulletin vom 10. Juni 1960) Zugehen auf Privatpersonen Die erste Begegnung mit der Organisation erfolgt in der Regel über den persönlichen Kontakt mit Mitgliedern, im Rahmen von Informationsund Buchständen in Fußgängerzonen, aber auch durch die immer stärkere Präsenz über das Internet und die neuen Medien wie Twitter, Facebook und Co., welche vorzugsweise junge Menschen ansprechen sollen. Unter dem Deckmantel der vermeintlichen Aufklärung über Menschenrechte und der Förderung von Toleranz und Frieden sowie als Initiative gegen Drogen nähern sich ihre Tarnorganisationen wie zum Beispiel 'Jugend für Menschenrechte' und 'Sag nein zu Drogen - Sag ja zum Leben', mit ihren sehr professionellen Internetpräsenzen jungen Menschen, um sie für die Organisation zu gewinnen. Sie treffen damit die 314 sciEntology organisation Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Jugendlichen dort an, wo sie einen großen Teil ihrer Freizeit verbringen. Das Angebot zur Kontaktaufnahme der Jugendlichen mit 'Scientology' ist dabei ebenso einfach wie schnell. Oft reicht bereits eine E-Mail oder das Ausfüllen eines Kontaktformulars. Da 'Scientology' unter dem Deckmantel zahlreicher Tarnorganisationen auftritt, ist den Jugendlichen in vielen Fällen nicht bewusst, dass sie mit dieser Organisation kommunizieren. Auch die Einflussmöglichkeiten von Erziehungsberechtigten sind deshalb häufig eingeschränkt. Verstärkt zu beobachten war im vergangenen Jahr auch die Durchführung von kostenlosen Online-Kursen der 'Scientology Organisation'. Gerade in diesem Rahmen kann scheinbar anonym über einen E-Mail-Account Kontakt zu der Organisation aufgenommen werden. Der persönliche Umgang mit Scientologen ist anfangs nicht erforderlich, wird jedoch zu einem späteren Zeitpunkt zur Notwendigkeit. Auch hier ist es für Erziehungsberechtige nur schwer möglich, Einfluss zu nehmen. Nicht nur Menschen, die sich in einer individuellen Lebenskrise befinden und das Bedürfnis nach Hilfe und Gesprächspartnern haben, werden von den Angeboten der Organisation oftmals angesprochen. Auch Menschen, die ihre Persönlichkeit selbst oder ihre persönlichen Fähigkeiten weiter entwickeln wollen, werden durch einen kostenlosen, pseudowissenschaftlichen "Persönlichkeitstest" OCA (Oxford Capicity Analysis) angesprochen. Dieser Test besteht aus gut 200 Fragen und zeigt im Ergebnis vermeintliche persönliche Defizite im Bereich der Kommunikation und des Verhaltens auf. Diese können dann vorgeblich durch eine Teilnahme an kostenpflichtigen Kursen der 'Scientology Organisation' behoben werden. Der Erfolg dieser sogenannten "Weiterentwicklung" hängt davon ab, ob weitere Kurse und Auditings157 absolviert werden. Im Ergebnis soll dabei letztlich der "geklärte Mensch" (Clear) stehen. Dieses System der aufeinander aufbauenden Kurse, für deren Abschluss das Mitglied ein Zertifikat erhält, wird bei der 'Scientology Organisation' "Die Brücke zur völligen Freiheit" genannt. Ergänzung finden diese Kurse in einer Vielzahl von Büchern, CD, DVD und Heimkursen. Auf den ersten Kontakt mit SO und dem Absolvieren von Kursen erfolgt vielfach dann eine stärkere Einbindung und Identifizierung mit der Organisation. Zumeist erfolgt diese durch eine schrittweise Zuweisung von Aufgaben, Festoder Teilzeitanstellungen sowie durch einen zunehmenden Gruppendruck. Durch gezielte sukzessive Abschottung vor Kontakten mit der Familie und dem bisherigen sozialen Umfeld gelangen 157 Anm.: Mischung einer "verhörähnliche Sitzung" und eines psychotechnischen Verfahrens sciEntology organisation 315 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Menschen in einen Kreislauf, der einhergeht mit der fortschreitenden Identifizierung mit den Zielen der Organisation. Im Ergebnis kann dieser Prozess dazu führen, dass jegliche Kritik und Zweifel an der SO ausschaltet werden. Präventionsangebot des Verfassungsschutzes Um vor den Risiken und Gefahren der SO frühzeitig zu warnen, betreibt der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen intensive Präventionsarbeit. Hierzu werden entsprechende Informationsmaterialien zur Verfügung gestellt sowie bei Bedarf Sensibilisierungsund Informationsvorträge bis hin zu Einzelgesprächen für alle interessierten Firmen, Unternehmen und Personen angeboten. Darüber hinaus werden Ausstiegswillige oder besorgte Familienangehörige auch an die vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Sekten-Info NRW e.V. in Essen verwiesen, wo eine umfangreiche Betreuung angeboten werden kann. 316 sciEntology organisation Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 8 Spionageabwehr Schwerpunkte des Verfassungsschutzes NRW im Bereich der Spionageabwehr waren im Jahr 2013 weiterhin : die Aufklärung von Aktivitäten fremder Nachrichtendienste, insbesondere der Staaten China, Russland und Iran sowie : die Aufklärung und Beratung von Unternehmen, Verbänden und Organisationen im Zusammenhang mit Wirtschaftsspionage und proliferationsrelevanten Geschäften. Ab Anfang Juni 2013 gerieten zudem aufgrund zahlreicher Berichterstattungen in den Medien bis dahin nicht bekannte nachrichtendienstliche Aktivitäten des US-amerikanischen Nachrichtendienstes National Security Agency (NSA) sowie des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. 8.1 Erkenntnisse über nachrichtendienstliche Aktivitäten 8.1.1 Volksrepublik China Es sind bisher keine Anzeichen dafür erkennbar, dass die chinesische Führung auf den bestehenden personalstarken Sicherheitsapparat zur Stabilisierung ihres Machtanspruches absehbar verzichtet. Er leistet weiterhin seinen Beitrag zur Erhaltung der inneren Ordnung. Im Vordergrund steht dabei die nachdrückliche Bekämpfung oppositioneller Kräfte im Inund Ausland, die von der chinesischen Führung als die "Fünf Gifte" bezeichnet werden. Hierzu gehören die Demokratiebewegung, die Anhänger eines unabhängigen Taiwan, die Anhänger eines unabhängigen Tibet, die Falun GongPraktizierenden und die turkstämmigen (muslimischen) Uiguren. Sie stellen in den Augen der chinesischen Führung weiterhin die größte Gefahr für die innere Stabilität des Landes dar. Zuständig für die Bekämpfung der "Fünf Gifte" ist nach wie vor der zivile Nachrichtendienst "Ministry of State Security" (MSS). Wesentliche Aufgaben des "Ministry of Public Security" (MPS), als "Ministerium für die öffentliche Sicherheit" sind die Überwachung des Internets und die Überprüfung von Aktivitäten von Ausländern in China. Die militärische Auslandsaufklärung sowie der Schutz der eigenen Streitkräfte liegt in der Hand des "Military Intelligence Department" (MID). spionagEabwEhr 317 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Daneben ist das unmittelbar an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) angebundene "Büro 610" für die Aufklärung und Bekämpfung von Falun Gong zuständig. Bei Falun Gong handelt es sich um eine spirituelle Meditationsbewegung, die in China entstand und dort - im Gegensatz zur Einschätzung ihrer Aktivitäten in Deutschland - als Gefahr für die innere Ordnung wahrgenommen wird. Auch in Nordrhein-Westfalen besteht eine aktive, bundesweit vernetzte Falun GongGemeinde. Sie wird vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht beobachtet, da von ihr hier keine erkennbaren Gefahren ausgehen und sie daher nicht als extremistisch eingestuft wird. Die Angehörigen treten anlässlich von chinesischen Staatsbesuchen oder bei größeren Veranstaltungen mit China-Bezug in den Zentren vieler deutscher Städte immer wieder mit Mahnwachen und Infoständen in Erscheinung. So feierten Anhänger im Mai 2013 in Düsseldorf den 21. Jahrestag der Veröffentlichung der Lehren von Falun Gong sowie den 62. Geburtstag ihres Mentors Li Hongzhi. Anfang Juni 2013 nahmen sie am 17. Bielefelder Carnival der Kulturen teil. Chinesische Nachrichtendienste nutzen diese Veranstaltungen regelmäßig zur Beobachtung. Gleichzeitig unterstützen die Nachrichtendienste nach wie vor nachhaltig die Anstrengungen Chinas, seine wirtschaftliche Vormachtstellung im asiatischen Raum auszubauen. Dazu zählt das Ziel, bis zum Jahr 2020 nicht mehr von ausländischen Technologien abhängig zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Dienste weiterhin intensiv bemüht, durch Wirtschaftsspionage sensible Daten über entsprechende Produkte und das dahinterstehende Know-how zu beschaffen. Während der russische Auslandsnachrichtendienst ausdrücklich den gesetzlichen Auftrag hat, "die wirtschaftliche Entwicklung und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes durch Beschaffung von wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Informationen durch die Organe der Auslandsaufklärung zu fördern", weist in der Volksrepublik China bereits die Zahl der Angehörigen der Nachrichtendienste (mehrere Hunderttausend) und der organisatorische Aufbau auf die Zielrichtung der Auslandsaufklärung hin. Es gibt jeweils eigene Arbeitsbereiche für die verschiedenen Aufklärungsfelder und Wirtschaftsräume, zum Beispiel Westeuropa und damit auch Deutschland. Nordrhein-Westfalen mit seinen hochinnovativen kleinen und mittleren Unternehmen sowie seinen vielen Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen und Technologieund Gründerzentren steht dabei besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Neben der klassischen Methode russischer oder iranischer Nachrichtendienste, zum Beispiel Angehörige ihres Nachrichtendienstes mit Hilfe von diplomatischen und konsularischen Vertretungen, sogenannten Legalresidenturen, 318 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zu tarnen, bedienen sich chinesische Nachrichtendienste für den illegalen Wissenstransfer zum Teil auch der Hilfe hier dauerhaft lebender Chinesen oder von Gastwissenschaftlern, Studenten und Praktikanten, die sich vorübergehend in Deutschland aufhalten. Zahlreiche Hinweise lassen zudem den Schluss zu, dass chinesische Nachrichtendienste nach wie vor bemüht sind, mit Hilfe "elektronischer Angriffe" Informationen zu beschaffen. Die nordrhein-westfälische Spionageabwehr führt Sensibilisierungsgespräche mit Kontaktpersonen erkannter Nachrichtendienstoffiziere. In Fällen, in denen Privatpersonen oder Behördenvertreter einen nachrichtendienstlichen Hintergrund vermuten, steht die Spionageabwehr ebenfalls für Gespräche, auf Wunsch auch vertraulich, zur Verfügung. 8.1.2 Russische Föderation Die russische Föderation verfügt weiterhin über die drei im Bericht des Jahres 2012 näher beschriebenen, personalstarken Nachrichtendienste FSB (Föderaler Sicherheitsdienst), SWR (Ziviler Auslandsnachrichtendienst) und GRU (Militärischer Auslandsnachrichtendienst). Sie sind wesentliche Eckpfeiler der russischen Sicherheitsarchitektur. Neben der Beschaffung von Informationen zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit ist die nachrichtendienstliche Aufklärung im Ausland durch die genannten Dienste ein wichtiger Faktor zur Vorbereitung politischer Entscheidungen. Die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen sind aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung nach wie vor wichtige Ziele nachrichtendienstlicher Aktivitäten Russlands. Bei den breitgefächerten Zielen der Spionage stehen die Bereiche, die Einfluss auf russische Interessen nehmen können, traditionell im Vordergrund. Deshalb liegt ein besonderer Fokus der russischen Spionage weiterhin auf der Bündnisund Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Für Russland, als großem Lieferanten fossiler Brennstoffe, sind daneben aktuelle energieund wirtschaftspolitische Entscheidungen der Regierung von besonderem Interesse. Die Umsetzung der Energiewende in Deutschland kann beispielsweise direkte wirtschaftliche Auswirkungen in Russland haben. Ein Großteil der Informationsbeschaffung durch die russischen Nachrichtendienste erfolgt über offen zugängliche Quellen. Dazu zählen die Auswertung von Medien und spionagEabwEhr 319 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Internet, der Besuch von Messen sowie Gespräche anlässlich gegenseitiger Delegationsbesuche. Daneben setzen die russischen Nachrichtendienste weiterhin auf die klassischen Methoden. Insbesondere die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation, sogenannte Legalresidenturen, dienen der Tarnung ihrer Angehörigen in Deutschland. Das gilt ebenso für einige russischen Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland, darunter auch in Nordrhein-Westfalen, haben. Die Bedeutung dieser Einrichtungen kann an der nach wie vor hohen Personalstärke abgelesen werden. Die Einrichtungen dienen Angehörigen russischer Nachrichtendienste in erster Linie dazu, unter Legende offizielle Kontakte zu einer Vielzahl von Gesprächspartnern aus den Bereichen Politik und Wirtschaft wahrzunehmen. Hinweise auf derartige Kontaktversuche haben sich im Berichtsjahr 2013 auch in NordrheinWestfalen ergeben. Zur Verschleierung nachrichtendienstlicher Tätigkeiten dient ebenso der Einsatz von sogenannten Illegalen. Es handelt sich dabei um Personen, die als Nachrichtendienstoffiziere von der Zentrale unter einer Falschidentität eingeschleust werden und - häufig über viele Jahre - in der Bundesrepublik Deutschland unauffällig leben. Unter diesem Deckmantel führen sie zum Teil aufwendige nachrichtendienstliche Operationen aus. In diesem Zusammenhang ging 2013 in Stuttgart der Prozess gegen ein 2011 festgenommenes Ehepaar zu Ende. Die Angeklagten, die seit mehr als 20 Jahren als "Illegale" in Deutschland lebten, wurden wegen eines besonders schweren Falls der geheimdienstlichen Agententätigkeit zu sechs bzw. fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt158. Bei beiden handelt es sich nach den Ermittlungen um russische Staatsangehörige, deren tatsächliche Identität allerdings bis heute unbekannt blieb. Als "Illegale" nahmen sie eine Scheinidentität an und operierten im Auftrag des SWR, ohne im Schutz ihrer Botschaft zu stehen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit führten sie einen niederländischen Diplomaten als sogenannte Quelle und erlangten klassifizierte NATO-Erkenntnisse. Zur Sensibilisierung vor den Gefahren nachrichtendienstlicher Tätigkeit führt der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen auf Wunsch - unabhängig von konkreten Verdachtsfällen - Informationsveranstaltungen durch. Im Einzelfall berät er auch vertraulich, wenn sich Anhaltspunkte für den Verdacht eines Angriffs durch einen fremden Nachrichtendienst ergeben. 158 OLG Stuttgart, Urteil v. 02.07.2013, Az. 4b - 3 StE 5/12. 320 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 8.1.3 Islamische Republik Iran Bei den iranischen Nachrichtendiensten handelt es sich vor allem um den zivilen Inund Auslandsnachrichtendienst "Ministry of Information and Security" (MOIS) sowie den Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden, das "Revolutionary Guards Intelligence Department" (RGID). Aufklärungsschwerpunkt von MOIS und RGID ist die Überwachung und Bekämpfung der iranischen Opposition im Inund Ausland. Darüber hinaus spielen klassische Spionageziele wie Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft ausländischer Staaten eine bedeutende Rolle. In Nordrhein-Westfalen, wie im gesamten Bundesgebiet, gehen die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Iran vor allem vom MOIS aus. Beobachtungsschwerpunkt ist dabei die Exil-Opposition, insbesondere die in Nordrhein-Westfalen stark vertretene 'Volksmodjahedin Iran-Organisation' (MEK) beziehungsweise deren politischer Arm, der 'Nationale Widerstandsrat Iran' (NWRI). Dabei versucht das MOIS, die Exil-Opposition durch Infiltration zu überwachen oder durch gezielte Propaganda zu diskreditieren. Neben der Ausspähung Oppositioneller zeigt das MOIS Interesse an Vertretern der deutschen Politik und Wirtschaft sowie an Personen mit Zugang zu diesen Bereichen. Der Spionageabwehr liegen vereinzelte Hinweise auf Kontaktaufnahmen durch den iranischen Nachrichtendienst vor, die im Rahmen von Reisen deutscher oder deutsch-iranischer Staatsangehöriger in den Iran erfolgt sind. Darüber hinaus geht ein Großteil der nachrichtendienstlichen Aktivitäten in Deutschland von der Legalresidentur des MOIS an der Iranischen Botschaft in Berlin aus. Diese unterhielt auch im Berichtsjahr Kontakte zu Personen in Nordrhein-Westfalen. Langfristige nachrichtendienstliche Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen pflegt das MOIS allerdings auch durch persönliche Treffen im Ausland, vor allem im Iran. Insgesamt konnte im Berichtsjahr eine Zunahme nachrichtendienstlicher Aktivitäten des Iran in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Vorjahr festgestellt werden. 8.1.4 Berichterstattung in den Medien über nachrichtendienstliche Aktivitäten der USA und Großbritanniens Anfang Juni 2013 begannen zunächst zwei internationale Presseorgane mit ihrer Berichterstattung über bis dahin nicht öffentlich bekannte nachrichtendienstliche Aktivitäten des US-amerikanischen Nachrichtendienstes "National Security Agency" (NSA). Die Berichterstatter stützten sich dabei auch auf geheim eingestufte Dokumente, die ihnen nach eigenen Angaben vorlagen beziehungsweise die sie einsehen konnten. spionagEabwEhr 321 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Die NSA verfüge nach diesen Dokumenten unter anderem über einen unmittelbaren Zugriff auf die Kommunikation und die gespeicherten Daten bei einer Reihe großer, weltweiter Telekommunikationsanbieter. Allein in Deutschland überwache sie systematisch rund 500 Millionen Kommunikationsverbindungen monatlich. Sie nutze dazu ein Programm, das in Kurzform mit "PRISM" bezeichnet wurde. Auch das britische "Government Communications Headquarters" (GCHQ) überwache die Internetkommunikation, die über transatlantische Seekabel erfolgt. In Kurzform wurde dieses Programm als "Tempora" bezeichnet. Nach weiteren Presseberichten seien auch ein Mobilfunktelefon der Bundeskanzlerin sowie weitere Politiker überwacht worden. Auch die internen Computersysteme der diplomatischen Vertretungen der Europäischen Union in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York sollen nachrichtendienstlich infiltriert worden sein. Die Presseveröffentlichungen erfolgten zunächst ohne Angabe der Quelle. Nach kurzer Zeit gab Edward Snowdon, ein ehemaliger Mitarbeiter US-amerikanischer Nachrichtendienste und Mitarbeiter einer der NSA nahestehenden Beratungsfirma, in einem Interview bekannt, er habe den Medien die entsprechenden Dokumente zukommen lassen. Daraufhin erging gegen Edward Snowdon in den USA ein Haftbefehl. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Honkong auf. Zwischenzeitlich soll er nach Angaben seines Anwaltes für die Dauer eines Jahres Asyl in Russland erhalten haben. Bis zum Ende des Jahres 2013 gab es zahlreiche weitere Veröffentlichungen ausländischer und deutscher Medien über bis dahin nicht bekannte mutmaßliche Aktivitäten auch anderer westlicher Nachrichtendienste. Die von Medien gegen die Aktivitäten westlicher Nachrichtendienste erhobenen Vorwürfe waren unter anderem Gegenstand zahlreicher parlamentarischer Anfragen, darunter auch im Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen. An der Beantwortung dieser Anfragen war der Verfassungsschutz NRW beteiligt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zur Aufklärung der Presseveröffentlichungen eine Sonderauswertungsgruppe eingesetzt. Die Ermittlungen zur Erstellung des Abschlussberichts dauern noch an. Die Bundesregierung hat nach Bekanntwerden der Presseveröffentlichungen damit begonnen, die Vorwürfe unter Beteiligung der betroffenen Staaten aufzuklären. Ein abschließendes Ergebnis steht noch aus. Der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen verfügt über keine eigenen Informationen zu den in den Medien gegenüber der NSA und anderen Nachrichtendiensten erhobenen Vorwürfen, insbesondere über technische Details zu den Angriffen. Die Landesregierung hat das Bundesministerium des Inneren zudem wiederholt 322 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 auch zu der Frage angeschrieben, inwieweit dort Erkenntnisse zu einer Überwachung der Parlamentskommunikation oder der Kommunikation der Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen durch ausländische Nachrichtendienste vorliegen. Diese Schreiben sind jeweils in der Weise beantwortet worden, dass dem Bundesministerium des Inneren keine Erkenntnisse vorliegen. 8.2 Abwehr von Wirtschaftsspionage Der Schutz vor Wirtschaftsspionage war auch im Jahr 2013 ein Schwerpunkt der Arbeit des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Unter Wirtschaftsspionage versteht man dabei die staatlich gelenkte oder gestützte Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben, die von Nachrichtendiensten fremder Staaten ausgeht. Von Konkurrenzausspähung, die umgangssprachlich auch als Industriespionage bzw. Betriebsoder Werksspionage bezeichnet wird, spricht man hingegen, wenn die Ausforschung eines Unternehmens durch einen Wettbewerber erfolgt. Eine exakte Grenzziehung zwischen den beiden Formen illegaler Informationsbeschaffung wird dabei zunehmend schwieriger. Insbesondere in den Fällen, in denen Angreifer die mit der Globalisierung verbundene Digitalisierung der Kommunikation für ihre Zwecke missbrauchen, sind häufig nur wenige Anhaltspunkte dafür vorhanden, wer tatsächlich hinter dem Angriff steht. Nach auf Befragungen von Unternehmen basierenden Untersuchungen wird geschätzt, dass in der Bundesrepublik Deutschland jährlich Schäden zwischen 20 und 50 Milliarden Euro durch Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität entstehen. Dabei gehen die Sicherheitsbehörden von einem erheblichen Dunkelfeld aus. Die Ursache liegt darin, dass betroffene Unternehmen in vielen Fällen sowohl versuchte als auch erfolgreiche Angriffe entweder gar nicht feststellen oder aber aus Sorge vor Imageverlusten die von ihnen identifizierten Angriffe weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz mitteilen. Belastbare absolute Zahlen zum wirtschaftlichen Schaden liegen deshalb nicht vor. Er könnte sich in Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 760.000 Unternehmen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags belaufen. Es geht aber nicht allein um finanzielle Schäden. Das ausgespähte und gestohlene Know-how kann für die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen wesentlich sein. Der Diebstahl von Konstruktionsplänen für ein neues Bauteil kann beispielsweise im schlimmsten Fall die Insolvenz für das betroffene Unternehmen zur Folge haben. Ein Produkt kann vor dem "Erfinder" auf den Markt kommen, erwartete Gewinne können ausbleiben und jahrelange Entwicklungsarbeit spionagEabwEhr 323 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 mit entsprechend hohen Kosten nicht refinanziert werden und das Kapital für zukünftige Investitionen kann in einer solchen Situation fehlen. Darüber hinaus kann die Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Branche beeinträchtigt werden, so dass auch der Allgemeinheit durch den Wegfall von Arbeitsplätzen oder geringere Steuereinnahmen ein Schaden entsteht. Fremde Nachrichtendienste haben das Ziel, auf unterschiedlichen Wegen Informationen abzuschöpfen und Know-how zu beschaffen, um der eigenen Volkswirtschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen oder technologische Lücken zeitnah zu schließen. Grundsätzlich sind alle Wirtschaftsbereiche, Unternehmen und Branchen von Wirtschaftsspionage bedroht, die erfolgreich im nationalen und vor allem im internationalen, globalen Wettbewerb stehen. Besonders betroffen sind bundesweit die Forschungsund Entwicklungsabteilungen von Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luftund Raumfahrt, Satellitentechnik, Maschinenbau, Medizinund Mikrotechnologie, erneuerbare Energien wie Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren, Biotechnologie sowie Chemie. Zu den großen Unternehmen kommen in NordrheinWestfalen und in den Regionen die sogenannten "hidden champions" hinzu. Dies sind kleine und mittlere Unternehmen mit hoch innovativer Technik und Produkten, die häufig auf dem Weltmarkt an der Spitze stehen, in der Öffentlichkeit aber weniger bekannt sind. Sie stellen beispielsweise elektronische Bauteile wie Steckverbindungen her oder produzieren Zubehörteile für Autos oder für Rüstungsgüter. Aber auch kleine Unternehmen mit neuen Marktideen ("Start Ups") und einem Potenzial für große Marktchancen sind für Wirtschaftsspionage von Interesse. Im Fokus von Wirtschaftsspionage stehen neben innovativer Technik und Erkenntnissen aus Forschung und Entwicklung auch Kundendaten, Marketingpläne sowie sensible Betriebsund Geschäftsdaten von Unternehmen nahezu sämtlicher Branchen. Dazu gehören zum Beispiel Informationen über Herstellungsverfahren, Konstruktionsunterlagen, Spezialwerkzeuge und Steuerungssysteme, Forschungsergebnisse, Produktideen, Personaldaten, Kundenund Lieferantenbeziehungen, Lagerbestände, Verkaufsstrategien, Absatzund Vertriebswege, Budgetplanungen, Kalkulationsunterlagen und Investitionsvorhaben sowie Unternehmensstrategien der nächsten Jahre. Gerade Forschungsergebnisse gewinnen zunehmend an Bedeutung. Sie ersparen der heimischen Wirtschaft zum einen eigene kostenintensive Forschung und Entwicklung, zum anderen ermöglichen die daraus entstehenden Wettbewerbsvorteile insbesondere, sich gegenüber Konkurrenzunternehmen mit eigenen Produkten am Markt zu etablieren und zu behaupten. 324 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Besondere Sensibilisierung für Gefahren technischer Angriffe Der seit längerem festgestellte Trend, dass Wirtschaftsspione bevorzugt illegale, technische Angriffe nutzen, um Informationen über das Know-how von Unternehmen und deren sensiblen Daten zu erlangen, setzte sich 2013 fort. In Nordrhein-Westfalen sind eine Vielzahl innovativer und hochspezialisierter kleinund mittelständischer Unternehmen sowie renommierte Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen und Technologieund Gründerzentren angesiedelt. Das Land steht daher weiterhin im Fokus der Angreifer. Wirtschaftsspione nutzen dabei insbesondere technische Schwachstellen, die sich immer wieder im Zusammenhang mit der rasanten Entwicklung und weltweiten Nutzung moderner Kommunikationsmittel ergeben. Diese Angriffe sind für die Betroffenen häufig nicht oder nur schwer erkennbar, da die Angreifer immer subtilere Methoden wählen und diese fortwährend perfektionieren. Im Einzelfall nutzen Wirtschaftsspione aber auch gezielt die Argund Sorglosigkeit der Mitarbeiter von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen im Umgang mit modernen Medien aus, um an sensible Informationen zu gelangen. Eine wirksame Prävention gegen derartige Angriffe ist nach wie vor der beste Schutz. Der Verfassungsschutz NRW hat deshalb auch im Jahr 2013 seine umfangreiche Präventionsarbeit mit zahlreichen Vorträgen vor Multiplikatoren fortgesetzt. Eine Vielzahl von Unternehmen und Einrichtungen wurden so über konkrete Gefahren und für wirksame Schutzkonzepte sensibilisiert. Neben Berichten über die aktuelle Gefährdungslage und die klassischen Methoden der Wirtschaftsspionage hat der Verfassungsschutz NRW dabei auch ein besonderes Augenmerk auf die Gefahren gelegt, die sich aus der zunehmenden Nutzung sozialer Netzwerke für Spionagezwecke ergeben. Problemfeld Soziale Netzwerke Das sogenannte Social Web bietet Nachrichtendiensten Ansatzpunkte für klassische Methoden der Wirtschaftsspionage, beispielsweise dem Ausnutzen unbesonnenen oder fahrlässigen menschlichen Verhaltens. Social Networks sind in diesem Zusammenhang für die Dienste eine "wahre Fundgrube". Mitarbeiter in Unternehmen legen oft unbewusst eine Vielzahl von Informationen über sich, ihren Arbeitsplatz, über ihre Position im Unternehmen, ihr berufliches Wissen, aber auch über ihre Arbeitskollegen, Freunde und Bekannten offen. Nachrichtendienste finden in diesen Daten wesentliche Ansatzpunkte, um zunächst eine vermeintliche zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. Mit zunehmender Dauer dieser Beziehung versuchen sie, unter Vortäuschen falscher Tatsachen, zum Beispiel über gemeinsame "Vorlieben", das Vertrauen spionagEabwEhr 325 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 des Angegriffenen zu gewinnen. Diese Methode, die als Social Engineering bezeichnet wird, ist häufig der erste Ansatzpunkt, um technische Angriffe vorzubereiten. E- Mails, in denen man sich über gemeinsame "Vorlieben" austauscht, werden genutzt, um in deren Anhängen verborgene "Spionagesoftware" zu übermitteln. Unbedarft geöffnet ermöglichen sie Nachrichtendiensten mit Hilfe dieser Software unbemerkt in Firmennetzwerke einzudringen und sensible Daten abzugreifen. Häufig bleiben diese Angriffe für die betroffenen Unternehmen bis zum Eintritt eines wirtschaftlichen Schadens zunächst unentdeckt. Unternehmensverantwortliche sollten deshalb mit ihren Beschäftigten sogenannte Social Media Guidelines vereinbaren, die Art und Umfang der Kommunikation mit Unternehmensthemen für alle Beteiligten verbindlich regeln. Sicherheitslücken in Standardsoftware Technische Angriffsversuche konzentrieren sich häufig auf bisher unbekannte Schwachstellen in Standardsoftware, die millionenfach auf Computern in der ganzen Welt eingesetzt wird. Nachrichtendienste, die über entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen sowie den notwendigen technischen Sachverstand verfügen, setzen im Einzelfall auf eigene, speziell für einen Angriff entwickelte Schadprogramme. Zunehmend erfolgen Angriffe aber auch automatisiert. Sie werden wie "mit einer Schrotflinte" auf eine möglichst große Anzahl von mit dem Internet verbundenen Rechnern gerichtet. Zunächst geht es darum, die Schwachstellen dieser Systeme zu erkennen, um sie anschließend zielgerichtet für die eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Inzwischen sollen täglich in deutlich sechsstelliger Höhe neue Varianten von Viren, Trojanern und Würmern entdeckt werden. Ob es sich dabei in der Mehrzahl um kriminelle Machenschaften oder auch um gezielte nachrichtendienstliche Operationen handelt, lässt sich nur schwer einschätzen. Die große Anzahl dieser gefährlichen Schadprogramme macht es jedoch zunehmend schwieriger, geeignete Schutzlösungen zu entwickeln und vor allem der Wirtschaft rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Herausforderung für die Unternehmenssicherheit Die Möglichkeiten digitaler Kommunikation und Vernetzung werden ständig weiterentwickelt. Insbesondere die mobile Kommunikation - zum Beispiel mit Hilfe von Smartphones oder Tablet-PCs - wird dabei immer wichtiger. Diese Entwicklungen nehmen zunehmend Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen. Gleichzeitig steigen damit die Herausforderungen an eine wirksame Umsetzung der Unternehmenssicherheit. Aus Sicht des Verfassungsschutzes sollten deshalb Daten, die entscheidende Teile des 326 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Unternehmens-Know-hows beinhalten, nicht in einem Firmennetz abgelegt werden, das an das Internet angeschlossen ist. Regelmäßig dürfte der Umfang dieser Daten nicht mehr als 5 Prozent betragen. Diese auch als "Kronjuwelen" eines Unternehmens bezeichneten Informationen sollten vielmehr in besonderer Weise vor einem unberechtigten Zugriff geschützt werden. Hierzu bedarf es eines umfassenden und ganzheitlichen Sicherheitskonzepts, das sowohl organisatorische und technische, als auch bewusstseinsbildende (Stichwort "Awareness") Maßnahmen beschreibt und verbindlich festlegt. Vertrauliche Unterstützung durch den Verfassungsschutz Trotz teilweiser hoher drohender oder tatsächlich eingetretener wirtschaftlicher Schäden durch versuchte oder erfolgreiche Spionageangriffe verzichten Unternehmen immer noch darauf, sich im Einzelfall an den Verfassungsschutz zu wenden. Sie befürchten vor allem Imageschäden oder Reputationsverluste. Um derartige Befürchtungen zu minimieren, sichert der Verfassungsschutz betroffenen Unternehmen Vertraulichkeit im Umgang mit entsprechenden Informationen zu. Im Fokus der Aufklärung von Spionageangriffen steht dabei für den Verfassungsschutz, Erkenntnisse über das methodische Vorgehen der Angreifer und deren Ziele zu gewinnen. Diese werden unter Wahrung der Vertraulichkeit ausgewertet und fließen in anonymisierter Form in neue Sicherheitskonzepte zum Schutz der heimischen Wirtschaft ein. Digitale Angriffe auf Computernetzwerke von Firmen hinterlassen häufig nur wenige, schwer zu identifizierende oder nur kurzfristig zu sichernde digitale Spuren. Wird ein entsprechender Angriff festgestellt, verzichten Unternehmen manchmal auf eine professionelle Beweissicherung. Gründe dafür liegen in erster Linie darin, dass das Firmennetzwerk umgehend wieder zur Verfügung stehen muss, um zum Beispiel einen Produktionsausfall zu vermeiden. Eine Schadensminderung oder eine Identifizierung des Angreifers als wesentliche Vorsorge zur Vermeidung künftiger Fälle wird dadurch erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Der Verfassungsschutz empfiehlt deshalb, zusätzlich zu einem ganzheitlichen Sicherheitskonzept einen Notfallplan zu erstellen, in dem Eskalationsstufen und Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens beschrieben sind. Ergänzend sollte die Expertise der Sicherheitsbehörden auf Landesund Bundesebene umgehend hinzugezogen werden. Darüber hinaus geht der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen jedem konkreten Verdachtsfall konsequent nach und ermittelt dazu auch vor Ort. Er steht dazu allen Unternehmen zum Beispiel bei spionagEabwEhr 327 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 : Verdacht eines Angriffs auf Informationsund Kommunikationstechnik, : Anhaltspunkten für Know-how-Verlust, : Sicherheitsvorfällen in Auslandsniederlassungen und auf Geschäftsreisen, : untypischen Einbruchsdelikten, : Spionageverdacht gegen Mitarbeiter und Fremdpersonal sowie : unerklärlichen Auftragsrückgängen oder unerklärlichem Verlust von Marktanteilen als Ansprechpartner zur Verfügung. Prävention durch Information Bereits 2001 wurde in Nordrhein-Westfalen eine Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftskriminalität in Nordrhein-Westfalen gegründet. In dieser öffentlichen Partnerschaft haben : das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (Verfassungsschutz und Polizei), : das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, : der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V. und : die Vereinigung der Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e.V. die Absicht erklärt, gemeinsam gegen Wirtschaftskriminalität vorzugehen. Im aktuellen Berichtszeitraum hat diese Sicherheitspartnerschaft gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen in wirtschaftlichen Schwerpunktregionen durchgeführt. Die Teilnehmer erhielten aktuelle Informationen zur Bedrohungslage, zu neuen Angriffstechnologien, Empfehlungen zum Schutz der eigenen Wettbewerbsvorteile sowie zur planvollen und erfolgreichen Sicherung von Spuren digitaler Angriffe auf die Unternehmensnetzwerke. Zusätzlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen 2013 insgesamt 197 überwiegend mittelständische Unternehmen für die Gefahren der Wirtschaftsspionage sensibilisiert. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz versteht sich dabei als Dienstleister, der Prävention durch Information anbietet. Durch die Veranstaltungen konnten rund 4.800 Multiplikatoren erreicht werden. Vielen Teilnehmern war dabei bisher nicht bekannt, dass der Verfassungsschutz auf Anfrage kostenfrei bei öffentlichen Veranstaltungen und in Unternehmen vor Ort 328 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 im Rahmen eines Vortrages oder einer individuell abgestimmten Maßnahme sensibilisiert und unterstützt. Der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich deshalb für 2014 das Ziel gesetzt, seine Sensibilisierungsund Beratungsangebote weiter zu verstärken. Der Kontakt zu den Ansprechpartnern des Wirtschaftsschutzes beim Verfassungsschutz NRW kann bei Verdacht auf Spionageaktivitäten oder zur Nutzung eines kostenlosen Sensibilisierungs-/Beratungsangebotes, auf Wunsch auch vertraulich, telefonisch unter der Rufnummer 0211 - 871 2821 oder per E-Mail an die Adresse kontakt.verfassungsschutz@mik1.nrw.de erfolgen. 8.3 Aufklärung und Abwehr von Proliferation Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Waffenträgersysteme einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows verstanden. Bei proliferationsrelevanten Staaten wie Iran, Nordkorea, Syrien oder Pakistan steht zu befürchten, dass Massenvernichtungswaffen in Konflikten eingesetzt oder als politisches Druckmittel genutzt werden. Wesentliche Entwicklungen in 2013 Trotz des erheblichen Drucks der internationalen Staatengemeinschaft unternahm insbesondere der Iran im Jahr 2013 weiterhin zahlreiche proliferationsrelevante Anstrengungen, seine Nuklearund Raketenprogramme kontinuierlich voranzutreiben. Im Berichtszeitraum war das Land erneut absoluter Bearbeitungsschwerpunkt der nordrhein-westfälischen Proliferationsbekämpfung. Die Spionageabwehr konnte im Berichtsjahr insgesamt 71 Beschaffungsversuche beobachten, die definitiv oder mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zugunsten iranischer Programme zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen erfolgten. Damit befinden sich die Werte weiterhin auf einem konstant hohen Niveau (2012: 69). In über 95 Prozent der Fälle spionagEabwEhr 329 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 erfolgte keine Auslieferung von Waren, da die Spionageabwehr rechtzeitig Warnungen an die betroffenen Unternehmen aussprechen konnte oder bereits sensibilisierte Firmen verdächtige Anfragen als solche erkannten und nicht bedienten. Obwohl Iran im Berichtsjahr weitere Fortschritte bei seinen nuklearrelevanten Produktionsanlagen gemacht hat, ist das Land bei der Weiterentwicklung des Programms bei weitem noch nicht autark. Die Beschaffung entsprechender Produkte sowie die Aneignung des erforderlichen Know-hows erfolgt häufig in westlichen Industrienationen. Aufgrund der oftmals führenden Stellung der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft in vielen proliferationsrelevanten Bereichen sowie dem auch historisch bedingt hohen Ansehen deutscher Produkte im Iran, steht die Bundesrepublik im besonderen Fokus iranischer Beschaffungsstellen. Dies gilt verstärkt auch für Nordrhein-Westfalen, da hier nicht nur eine Vielzahl relevanter Unternehmen und Forschungseinrichtungen firmiert, sondern auch eine beachtliche Anzahl von Unternehmen, die in iranischem Staatseigentum stehen oder sehr staatsnah agieren. Wie in den Vorjahren wandten sich Einkäufer aufgrund der strengen deutschen Exportkontrollvorschriften in den seltensten Fällen direkt aus dem Iran an die betroffenen Unternehmen. Stattdessen wurden umfangreiche Beschaffungsnetzwerke unter Einbindung von Firmen in Drittstaaten (sogenannte Umgehungsausfuhren) genutzt. Ziel ist stets, das liefernde Unternehmen über den eigentlichen Endverwender sowie den geplanten Verwendungszweck zu täuschen. Gegenstand iranischer Anfragen waren 2013 primär sogenannte Dual-use-Güter159, vor allem Vakuumund Messtechnik, aber auch wichtige Anlagenteile zur Aufrechterhaltung oder Modernisierung von in Nuklearanlagen betriebenen Maschinen und Anlagen. So gelang es der Spionageabwehr im Berichtsjahr beispielsweise, in der iranischen Urankonversionsanlage in Isfahan eingesetzte Schlüsseltechnik zu identifizieren und hierfür benötigte Ersatzteillieferungen aus Nordrhein-Westfalen zu verhindern. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) sind in der Urananreicherungsanlage in Natanz inzwischen 15.420 Gasultrazentrifugen des Typs IR-1 sowie etwa 1.000 Zentrifugen des deutlich leistungsfähigeren Typs IR-2 installiert. Zudem konnten bis November 2013 über 10.000 Kilogramm leichtangereichertes Uran mit einem Anreicherungsgrad von bis zu 5 Prozent sowie knapp 159 Produkte, die sowohl zivile als auch militärische beziehungsweise nukleare Relevanz aufweisen. 330 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 190 Kilogramm hochangereichertes Uran mit einem Anreicherungsgrad von bis zu 20 Prozent hergestellt werden. Für die Nutzung des Urans in einem Nuklearsprengkopf ist jedoch ein Anreicherungsgrad von mehr als 80 Prozent erforderlich. Allerdings ist der Anreicherungsprozess für einen Anreicherungsgrad von 5, 20 oder 80 Prozent nahezu identisch. Dies versetzt den Iran damit grundsätzlich in die Lage, die Anlage in Natanz auch militärisch zu nutzen. Neben Natanz verzeichneten auch die Urananreicherungsanlage in Fordow und der Schwerwasserreaktor in Arak, mit dessen Hilfe nuklearwaffenfähiges Plutonium gewonnen werden könnte, Fortschritte beim Bau oder bei technischen Installationen. Auf diplomatischer Ebene konnte nach der Wahl des iranischen Präsidenten Ruhani eine Annäherung zwischen dem Iran und dem Westen beobachtet werden. Am 25. November 2013 konnte in Verhandlungen zwischen Iran und den Vetomächten des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland (sogenannte 5+1 Gruppe) eine Vereinbarung erzielt werden, in der sich der Iran zu einer Beschränkung seiner Urananreicherung sowie zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit der IAEO verpflichtet. Im Gegenzug werden bislang eingefrorene Gelder des Iran teilweise freigegeben sowie Exportbeschränkungen in verschiedenen Bereichen aufgehoben. Die Vereinbarung gilt zunächst für einen Zeitraum von sechs Monaten. Ungeachtet dessen bleiben die Exportbeschränkungen gegen das Nuklearsowie die Trägertechnologieprogramme von Lockerungen ausgenommen. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Syrien bleibt abzuwarten, inwiefern das Land auch künftig als proliferationsrelevant einzustufen ist. Trotz der Sicherung der Chemiewaffenbestände sowie eines Rückbaus entsprechender Produktionsstätten durch die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) im Oktober 2013 dürfte das Land weiterhin über eine hohe Anzahl leistungsfähiger Waffenträgersysteme verfügen. Informationsund Aufklärungsangebote Neben der Bearbeitung konkreter Verdachtsfälle und der Identifizierung von Beschaffungsnetzwerken führte die Spionageabwehr im Berichtsjahr erneut zahlreiche Sensibilisierungsgespräche mit nordrhein-westfälischen Unternehmen und Einrichtungen im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Ziele dieser Gespräche sind die Aufklärung und die frühzeitige Unterbindung möglicher Proliferationsgeschäfte sowie die Verhinderung unzulässigen Know-how-Transfers. Die Gesprächspartner werden auf die Gefahren illegaler Lieferungen sowie Methoden bei proliferationsrelevanten BespionagEabwEhr 331 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 schaffungen hingewiesen. Grundsätzlich steht die Spionageabwehr in diesem Bereich jedem Bedarfsträger für ein vertrauliches Gespräch zur Verfügung. Bei der Proliferationsbekämpfung steht die nordrhein-westfälische Spionageabwehr in einem intensiven Informationsaustausch mit anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Bundesnachrichtendienst sowie dem Zollkriminalamt und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. 332 spionagEabwEhr Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 9 Prävention, Aussteigerprogramme Der Verfassungsschutz beteiligt sich aktiv an Maßnahmen zur Extremismusprävention in Nordrhein-Westfalen. Dazu zählt die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über Ideologien, Strukturen und Strategien verfassungsfeindlicher Organisationen und Parteien bei. Diese Aufklärung ist ein zentrales Element der Arbeit des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes und beugt extremistischen Aktivitäten vor, indem die Wachsamkeit der demokratischen Öffentlichkeit gestärkt und somit das Fundament einer wehrhaften Demokratie gefestigt wird. Weiterhin erarbeitet der Verfassungsschutz NRW Aussteigerund Präventionsprogramme in den Bereichen Rechtsextremismus und Islamismus. Seit mehr als zehn Jahren ist das nordrhein-westfälische Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten in der Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium für Inneres und Kommunales angesiedelt und leistet Hilfe für Rechtsextremisten, die diese Szene verlassen und neue Wege gehen möchten. Mit dem Ziel, Radikalisierungsprozesse zu vermeiden, die zur Beteiligung an islamistischen, insbesondere gewaltbereiten salafistischen Aktivitäten führen können, entsteht zurzeit das Präventionsprogramm "Wegweiser", ein gemeinsames Projekt des Ministeriums für Inneres und Kommunales mit Partnern aus Kommunen und freien Trägern. Seit Mitte April 2013 werden die Präventionsmaßnahmen sowie das Engagement in Aussteigerund Präventionsprogrammen im neuen Referat "Prävention, Aussteigerprogramme" des Verfassungsschutzes NRW gebündelt. Aufklärung nimmt extremistische Propaganda in den Fokus Zum Themenfeld Rechtsextremismus führt der Verfassungsschutz Aufklärungsveranstaltungen in allen Landesteilen durch - im Jahr 2013 über 100 Veranstaltungen zu diesem Thema mit rund 4.700 Teilnehmenden. Etwa 60 Prozent der Veranstaltungen richteten sich an ein Fachpublikum - überwiegend an Beschäftigte von Justizund Sicherheitsbehörden oder an pädagogische Fachkräfte in Schulen und der außerschulischen Jugendbildung. Rund 40 Prozent der Veranstaltungen fanden im Rahmen von Unterrichtsreihen oder Projekttagen für Schülergruppen statt. Hierzu zählen die Präventionstage 2013 "Für Demokratie - gegen Rechtsextremismus", die die Landeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Ministerium für Inneres und Kommunales sowie dem Schulministerium NRW für Schülerinnen und Schüler ab der 9. Klasse veranstaltet hat. Eine bewährte Zusammenarbeit findet mit vielen Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) statt. Auf Einladung hält der prävEntion, ausstEigErprogrammE 333 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Verfassungsschutz NRW dort Vorträge oder führt halboder ganztägige Workshops durch, in denen sich Lehramtsanwärterinnen und -anwärter mit Inhalten und Werbestrategien rechtsextremistischer Jugendmedien auseinandersetzen, insbesondere mit rechtsextremistischer Musik und Internetvideos. Die Methoden und Muster, mit denen sich Rechtsextremisten an Jugendliche wenden, standen 2013 auch im Blickpunkt dreier Studientage mit jeweils 100 bis 140 Teilnehmenden und einem breiten Workshopangebot an Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung in Bielefeld, Dortmund und Hamm. Auf Einladung der ZfsL hat der Verfassungsschutz NRW die Studientage mitgestaltet. Die Behörde beteiligt sich außerdem an Diskussionsund Informationsveranstaltungen diverser Bildungsträger und anderer zivilgesellschaftlicher Stellen. Dies können zum Beispiel Politische Stiftungen sein, Volkshochschulen, Universitäten, Parteien oder kirchliche Einrichtungen. Besondere Akzente der Präventionsarbeit lagen 2013 auf Informationen für Beschäftigte des nordrhein-westfälischen Strafvollzugs sowie für Vertreterinnen und Vertreter der Sportvereine und -verbände. Aktuelle Entwicklungen in der rechtsextremistischen Szene standen im Mittelpunkt von Informationsveranstaltungen für Vertreterinnen und Vertreter aller Justizvollzugsanstalten in NRW, zu denen das Ministerium für Inneres und Kommunales und das Justizministerium NRW gemeinsam eingeladen hatten. Zu den Schwerpunkten zählten die modernisierten Erscheinungsbilder der rechtsextremistischen Szene, ihre Bemühungen, zu Strafgefangenen Kontakt zu halten, um den Ausstieg zu verhindern, und insbesondere das Aussteigerprogramm NRW. Dieses ist seit geraumer Zeit mit vielen JVA in regelmäßigem Kontakt. Es bietet auch Strafgefangenen Begleitung und Unterstützung an, wenn sie eine neue Perspektive entwickeln und die rechtsextremistische Szene dauerhaft verlassen möchten. Die Veranstaltungen richteten sich unter anderem an die Ansprechpartnerinnen und -partner der Justizvollzugsanstalten zum Thema Rechtsextremismus sowie an Vertreterinnen und Vertreter des Sozialdienstes der JVA (Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter). Der Verfassungsschutz NRW hat sich darüber hinaus an mehreren Veranstaltungen beteiligt, um zum Themenfeld "Sport und Rechtsextremismus" zu informieren und zu sensibilisieren. Sportvereine und -verbände sind wichtige Akteure der Rechtsextremismusprävention, indem sie Zugehörigkeit, Respekt und Fairplay vermitteln. Andererseits zeigen sich spezifische Problemfelder des Sports, wie zum Beispiel Schnittmengen zwischen Rechtsextremismus und gewaltbereiten Fan-Szenen. Der Verfassungsschutz NRW informierte zu diesem Thema im November 2012 auf der 334 prävEntion, ausstEigErprogrammE Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Sitzung der Ständigen Konferenzen der Verbände und Bünde im Landessportbund. Auf dieser Sitzung und auf seiner Mitgliederversammlung im Februar 2013 hat sich der Landessportbund deutlich gegen Rechtsextremismus positioniert und weitere Maßnahmen beschlossen. Hierzu zählen Informationsangebote, die allen Sportvereinen in NRW zu diesem Thema zur Verfügung stehen. Mit diesem Ziel hat der Verfassungsschutz NRW im Juli 2013 Mitarbeiter des Landessportbundes fortgebildet, die seither über die Vereine sowie die Stadtund Kreis-Sportbünde als Referenten zum Thema Rechtsextremismus angefragt werden können. Zum Themenfeld Islamismus haben Aufklärungsveranstaltungen des Verfassungsschutzes vor allem für Sicherheitsbehörden und pädagogische Fachkräfte in Schulen und außerschulischer Jugendbildung stattgefunden. Der Schwerpunkt lag dabei insbesondere auf Inhalten und Entwicklungen der salafistischen Szene. : So finden seit Dezember 2013 auch Veranstaltungen für Vertreterinnen und Vertreter der Justizvollzugsanstalten zum Thema Islamismus und dem Präventionsprogramm Wegweiser statt. : Der Verfassungsschutz NRW ist Kooperationspartner der im Dezember 2013 wieder aufgelegten Informationsreihe "Zwischen Islam und Islamismus?! Lebenswelten junger Musliminnen und Muslime" der Landeszentrale für politische Bildung NRW. Die Reihe richtet sich an Lehrkräfte und informiert über die Themen Islam und Islamismus sowie die Unterschiede zwischen beiden Bereichen. Dabei werden auch pädagogische Interventionsmöglichkeiten vorgestellt und diskutiert. : Zudem nehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes an zahlreichen Veranstaltungen von Kommunen und anderen Akteuren als Referenten teil und bringen ihr Fachwissen ein. Auch bei größeren überregionalen Veranstaltungen bringt der Verfassungsschutz regelmäßig seine Expertise ein und stellt sich einer kritischen Öffentlichkeit, so z.B. bei der Fachtagung: SALAFISMUS IN DEUTSCHLAND - Erscheinungsformen und Ansätze für die Präventionsarbeit im Jugendbereich am 21.06.2013 im Rathaus Köln. : Der Verfassungsschutz war außerdem im Rahmen der Islamismusprävention Kooperationspartner des dreijährigen Modellprojekts "Ibrahim trifft Abraham" in Düsseldorf, welches vom Bundesfamilienministerium bis zum Jahr 2013 gefördert wurde. Ziel des Projektes war, die Dialogund Toleranzfähigkeit von Jugendlichen zu stärken und sie zu befähigen, islamistische Eindeutigkeitsangebote zu identifizieren und zu hinterfragen. Das Projekt verfolgte dabei einen interreligiösen prävEntion, ausstEigErprogrammE 335 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 (und auf Partizipation ausgerichteten) Ansatz und richtete sich an Jungen mit Migrationshintergrund, die zum Teil aus bildungsbenachteiligten Familien kamen. Wichtiger Bestandteil des Projekts waren die Arbeit in moderierten Dialoggruppen sowie gemeinsame Freizeitaktivitäten. Dazu gehörten vor allem Besuche in unterschiedlichen Gotteshäusern wie der Synagoge in Düsseldorf sowie der neuen Moschee und des Doms in Köln. Die Jugendlichen haben anschließend in Form von jährlichen Wettbewerben Bildungsangebote für Gleichaltrige zu dem Motto "Ibrahim trifft Abraham" entworfen, um diese über das Gelernte zu informieren. Die besten Wettbewerbsbeiträge wurden von einer Jury ausgewählt und umgesetzt. So hat unter anderem ein Vorschlag gewonnen, bei einem Flashmob mit Hilfe von Leuchtmitteln die Symbole der drei großen Religionen Christentum, Judentum und Islam zunächst einzeln und dann als ein großes Peace-Zeichen zu legen und ein Video von der Aktion bei Facebook einzustellen. Raus aus der rechtsextremistischen Szene - das Aussteigerprogramm hilft Bereits seit Juli 2001 gibt es in Nordrhein-Westfalen ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten. Dieses wurde im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Rechtsextremismus gestartet und arbeitet seither erfolgreich mit Ausstiegswilligen, die Unterstützung bei ihrer Abkehr von der rechtsextremistischen Szene benötigen. Durch das im Jahr 2012 beschlossene Acht-PunkteProgramm der Landesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde das Aussteigerprogramm personell weiter verstärkt und die Aktivitäten ausgeLogo des Aussteigerprogramms für weitet. Das Aussteigerprogramm betreut nach wie vor Rechtsextremisten Personen, die selbst den Kontakt aufgenommen haben, spricht aber inzwischen auch Rechtsextremisten aktiv an, die ausstiegswillig sein könnten, um eine Distanzierung von der Szene zu fördern und die Unterstützung des Aussteigerprogramms anzubieten. Das Programm wendet sich an alle, die Kontakte zur rechtsextremistischen Szene unterhalten: an Führungspersonen, Aktivisten und Mitläufer. Unterstützung im Ausstiegsprozess leisten sowohl männliche Ausstiegsbetreuer als auch eine Ausstiegsbetreuerin. Damit kann den besonderen Bedürfnissen ausstiegswilliger Mädchen und Frauen im Bedarfsfall Rechnung getragen werden. Bis Ende 2013 haben 286 Personen der rechtsextremistischen Szene Kontakt zum Aussteigerprogramm aufgenommen. Aus unterschiedli336 prävEntion, ausstEigErprogrammE Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 chen Gründen entsteht nicht aus jedem Erstkontakt ein intensiver Betreuungsprozess. Insgesamt haben mehr als 130 Personen, die im Aussteigerprogramm NRW zum Teil über mehrere Jahre betreut wurden, die rechtsextremistische Szene endgültig verlassen. Im Jahr 2013 wurden durch das Aussteigerprogramm NRW kontinuierlich zwischen 40 und 45 Personen bei ihrem Ausstiegsprozess begleitet. Den Ausstiegswilligen soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich aus den in sich geschlossenen Strukturen ihres rechtsextremistischen Umfelds zu lösen und der Perspektivlosigkeit den Rücken zu kehren. Die einzige Voraussetzung für eine Aufnahme in das Programm ist der ernsthafte Wille zum Ausstieg und der damit verbundene glaubhafte Wunsch nach Veränderung - von den Ausstiegswilligen wird nicht erwartet, Informationen über ihr rechtsextremistisches Umfeld preiszugeben. Im Bürgerund Service Center nrw.direkt der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei ist die "Helpline"-Nummer zur telefonischen Kontaktaufnahme eingerichtet, aber auch über E-Mail kann Verbindung mit dem Aussteigerprogramm aufgenommen werden. Die Ausstiegsbetreuer oder die Ausstiegsbetreuerin reagieren schnell und unbürokratisch auf die eingehenden Kontaktwünsche. Häufig sind die Ausstiegswilligen arbeitslos, stammen aus belasteten Familiensituationen, sind strafrechtlich in Erscheinung getreten oder haben Alkoholund/oder Drogenprobleme. Mit jedem Einzelnen entwickelt das Team des Programms ein persönlich zugeschnittenes Ausstiegskonzept und begleitet die Umsetzung. Dabei spielt einerseits die Stabilisierung der Lebenssituation nach der Abkehr vom bisherigen Umfeld eine große Rolle. In diesem Stadium sind praktische Hilfestellungen wichtig, wie zum Beispiel Hilfe bei Behördengängen, bei der Arbeitsplatzsuche, bei Qualifizierungsmaßnahmen, bei Umzug, Familienzusammenführung und Haftbetreuung oder auch bei der Kontaktaufnahme zu Suchtberatungen und psychologischen Einrichtungen. In vielen Fällen sind auch Anti-GewaltTrainings dringend notwendig. Darüber hinaus sind Tattoos mit eindeutigen rechtsextremistischen, zum Teil strafbaren Symbolen und Codes, die aus der aktiven Zeit in der Szene stammen, ein häufiges Problem von Aussteigern. In allen Fällen sucht das Team mit dem Klienten nach geeigneten Lösungen. Auf der anderen Seite sind die Aufarbeitung der bislang verinnerlichten ideologischen Einstellungen und Denkmuster und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Verhaltensweise mindestens ebenso wichtige Aufgaben im Ausstiegsprozess. Hierzu werden in intensiven Gesprächen szenetypische Argumentationen aufgearbeitet und der Grundstein für Verständnis und Akzeptanz demokratischer Werte gelegt. Das prävEntion, ausstEigErprogrammE 337 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Aussteigerprogramm verfolgt mit seiner Arbeit das Ziel, rechtsextremistisches Personenpotenzial zu reduzieren, einschlägige Straftaten zu verhindern, die rechtsextremistische Szene zu verunsichern, gefährdete Aussteiger zu schützen und die kritische Auseinandersetzung des Ausstiegswilligen mit rassistischen und anderen undemokratischen Denkmustern zu führen. Das Aussteigerprogramm NRW ist in Netzwerke eingebunden, die den kontinuierlichen Austausch von Informationen und Erfahrungen sicherstellen, Fortbildungsmöglichkeiten anbieten und Impulse geben, um das Programm fortzuentwickeln. Das Programm ist einerseits an regelmäßigen Arbeitstagungen im Netzwerk der staatlichen Aussteigerprogramme des Bundes und der Länder beteiligt. Andererseits bestehen feste Kontakte zu den Staatsschutzdienststellen der Polizei, zu Fachstellen der Kommunen und zu nichtstaatlichen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Die Arbeit des Aussteigerprogramms NRW ist im Jahr 2006 zum ersten Mal evaluiert worden - es wird zurzeit eine weitere Evaluation durch ein externes wissenschaftliches Institut vorbereitet, die 2014 beginnen wird. Diese Evaluation ist für das Aussteigerprogramm ein wichtiger Schritt, um seine Arbeit durch den Blick von außen zu prüfen, Verbesserungspotenziale zu erkennen und dafür Sorge zu tragen, dass das Aussteigerprogramm NRW ein erfolgreicher Baustein im Kampf gegen den Rechtsextremismus bleibt. Präventionsprogramm "Wegweiser" will Radikalisierung im extremistischen Salafismus vorbeugen Der gewaltbereite Salafismus ist zurzeit die am stärksten wachsende Szene innerhalb des Extremismus. Das stellt insbesondere Eltern oder das Umfeld vor Fragen. Sie beobachten zum Beispiel Veränderungen bei Jugendlichen, sind sich aber unsicher, ob tatsächlich eine Radikalisierung vorliegt. Oder sie benötigen konkrete Unterstützung für eine Person, die bereits Kontakte zur salafistischen Szene hat und wieder herausgelöst/herausgeholt werden soll. Allen, die Fragen zu den Themen Salafismus und Radikalisierung haben oder Unterstützung suchen, will das Präventionsprogramm Wegweiser eine Anlaufstelle bieten. Der Verfassungsschutz setzt mit Wegweiser den an die Landesregierung gerichteten Auftrag um, ein "Aussteigerprogramm für islamistische Extremisten" zu entwickeln. 338 prävEntion, ausstEigErprogrammE Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Wegweiser geht dabei über klassische Aussteigerprogramme hinaus und wird zu einem früheren Zeitpunkt der Radikalisierung tätig. Während sich das NRW-Programm gegen Rechtsextremismus an Personen Logo des Aussteigerprogramms Wegweiser richtet, die bereits fester Bestandteil der Szene sind, will Wegweiser vor allem verhindern, dass sich junge Menschen überhaupt erst radikalisieren oder nach ersten Kontakten in salafistischen Kreisen verbleiben. Kurz gesagt: Wegweiser will den Ausstieg vor dem eigentlichen Einstieg in die Szene erreichen. Es gibt vielfältige Ursachen und Auslöser, warum jemand anfällig für salafistische Ideologie geworden ist, z.B. Schulprobleme, fehlende soziale Kontakte, kein Ausbildungsplatz oder Diskriminierungserfahrungen. So ist auch die Einschaltung vieler verschiedener Stellen für eine erfolgreiche Problemlösung und ein Herauslösen aus dem salafistischen Umfeld erforderlich. Eine konkrete Hilfe gelingt am besten vor Ort durch dort ansässige Experten, die die jeweiligen Gegebenheiten und relevanten Stellen in ihrer Stadt gut kennen. Zu einem solchen Expertennetzwerk gehören u.a. kommunale Behörden, freie Träger der Jugendund Bildungsarbeit, Sozialverbände, die örtliche Polizei, bestehende Initiativen, Schulen sowie Moscheegemeinden. Daher ist Wegweiser kein alleiniges Projekt des Verfassungsschutzes NRW, sondern wird gemeinsam mit den Kommunen und dortigen Akteuren durchgeführt. Zunächst werden in den drei Modellkommunen Bochum, Bonn und Düsseldorf Wegweiser-Anlaufstellen eingerichtet. Dabei wird kein fertiges Konzept vorgegeben, sondern die konkrete Umsetzung obliegt den verschiedenen Akteuren vor Ort. So können die jeweiligen besonderen Gegebenheiten der Städte berücksichtigt werden. In den Anlaufstellen stehen den Ratsuchenden ausgebildete Ansprechpartner zur Verfügung, die fundierte Kenntnisse in den Bereichen Beratung und Extremismus haben. Die Ansprechpartner werden je nach Problemstellung gemeinsam mit den erforderlichen Experten aus dem örtlichen Netzwerk individuelle Lösungen entwickeln und konkrete Umsetzungsschritte begleiten. Die Angebote der Anlaufstellen richten sich neben dem besorgten Umfeld möglicherweise radikalisierter Personen ausdrücklich auch an alle, die allgemeine Informationen über extremistischen Salafismus und Radikalisierung benötigen. So können zum prävEntion, ausstEigErprogrammE 339 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Beispiel Referenten für Veranstaltungen und Fortbildungen vermittelt oder Informationsmaterialien zur Verfügung gestellt werden. Im weiteren Prozess soll nach einer Evaluierung von Wegweiser ein landesweites Präventionsund Unterstützungsangebot aufgebaut werden. Beim Verfassungsschutz sind zudem eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse eingerichtet worden, über die sich Ratsuchende direkt mit den für Wegweiser zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Verbindung setzen können. Hier können auch Ansprechpartner vor Ort vermittelt werden. Eine Kontaktherstellung zu Wegweiser beim Verfassungsschutz ist auch über die Erreichbarkeiten von nrw.direkt bei der Staatskanzlei gewährleistet. WEGWEISER ist so zu erreichen: Telefon 0211-871-2728 info@wegweiser.nrw.de Sammelbände geben Impulse für die Extremismusprävention Zwei Sammelbände, die Fragen der Rechtsextremismusund der Islamismusprävention in den Fokus nehmen und mit maßgeblicher Beteiligung des Verfassungsschutzes NRW entstanden sind, sind zur Jahreswende 2012/2013 erschienen bzw. werden es in diesem Jahr. So haben die Landeszentrale für politische Bildung, der Verfassungsschutz NRW und jugendschutz.net - die gemeinsame Stelle der Länder für Jugendschutz im Internet - eine völlig überarbeitete Neuausgabe der Publikation "Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe - Methoden - Praxis der Prävention" veröffentlicht. Im Fokus stehen moderne, jugendaffine Mittel, mit denen Rechtsextremisten Jugendliche umwerben: CDs, Comics, Schülerzeitungen, Internetseiten, Profile und Clips in Online-Communitys. Das Medienpaket richtet sich an pädagogische Fachkräfte 340 prävEntion, ausstEigErprogrammE Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 und umfasst einen Sammelband und eine CD-ROM mit Materialien für die Bildungsarbeit. Der Praxisteil enthält 22 Projektskizzen mit Impulsen für Aufklärungsprojekte in Schule und außerschulischer Jugendbildung. Die Publikation hat inzwischen eine sehr positive Resonanz gefunden. Neben der Landeszentrale für politische Bildung NRW haben fünf weitere Landeszentralen und die Bundeszentrale für politische Bildung die Neuausgabe in ihre Publikationsprogramme aufgenommen. Im Frühjahr 2014 erscheint darüber hinaus eine Publikation mit dem Titel "Integration versus Salafismus", die auf die Veranstaltung "Orientierungen und Identitäten muslimischer Jugendlicher - zwischen Abkehr und Hinwendung zur demokratisch-pluralistischen Gesellschaft" zurückgeht. Diese Tagung hatten das Ministerium für Inneres und Kommunales, das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW sowie der Fachbereich Interkulturelle Orientierung/Kommunales Integrationszentrum (ehemals RAA) der Stadt Essen gemeinsam durchgeführt. In dem Band werden zunächst Identitäten und Orientierungssuche von Jugendlichen aus einer allgemeinen und wissenschaftlichen Perspektive betrachtet. Der zweite Teil widmet sich der Ideologie und den Propagandaformen des politischen Salafismus mit dem Schwerpunkt Internet. Darüber hinaus werden unterschiedliche Projekte aus dem Bereich der Integrationsarbeit vorgestellt. Der Band gibt Impulse, wie pädagogische Arbeit der spezifischen Suche junger Musliminnen und Muslime nach Orientierung und Identität gerecht werden und auf diese Weise Integration in die demokratische Gesellschaft gefördert werden kann. Das Buch ist die erste Publikation, die in einem interdisziplinären und praxisnahen Ansatz Wissenschaft, Sicherheitspolitik und Integrationspolitik verzahnt und die Thematik aus diesen verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Informationen zu weiteren Publikationen des Verfassungsschutzes NRW finden Sie im Abschnitt 10.2 (Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit). prävEntion, ausstEigErprogrammE 341 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 342 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 10 Über den Verfassungsschutz 10.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal Entsprechend dem föderativen Aufbau gibt es in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eine Verfassungsschutzbehörde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln nimmt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene wahr. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sind gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Verfassungsschutzbehörde für das Land Nordrhein-Westfalen ist das Ministerium für Inneres und Kommunales (SS 2 Abs. 1 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen - VSG NRW). Für den Verfassungsschutz ist die Abteilung 6 zuständig. Im Jahr 2013 standen für ihre Aufgaben 336 Stellen sowie Sachund Investitionsmittel von 4,3 Millionen Euro zur Verfügung. Verarbeitung personenbezogener Daten Die Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten unter anderem in Dateien verarbeiten. Dies erfolgt vor allem mit Hilfe zweier Instrumente: Der "Personen-Informations-Datei" der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen zur eigenen Aufgabenerfüllung und dem "Nachrichtendienstlichen Informationssystem Wissensnetz" (NADIS WN) der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, welches das bisherige System NADIS im Juni 2012 abgelöst hat. Unter der Gesamtprojektleitung des BfV wurde innerhalb von drei Jahren ein zukunftsorientiertes IT-System auf Basis eines kommerziellen Softwareprodukts mit spezifischen Anforderungen der Sicherheitsbehörden entwickelt. Das zentrale System wird im BfV mit Sitz in Köln betrieben und sowohl vom BfV als auch den 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz genutzt. Eingestellt werden Daten zu Personen, über die Erkenntnisse im Zusammenhang mit politischem Extremismus vorliegen und zu Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind. Diese Sicherheitsüberprüfungen, deren Notwendigkeit sich aus fachgesetzlichen Vorgaben ergibt und deren DurchfühvErfassungsschutz in nrw 343 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 rung der betroffenen Person bekannt ist, machen gut 90% aller NADIS-Einträge aus Nordrhein-Westfalen aus. 10.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit Informierte und über mögliche Gefahren durch Extremismus aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger treten für die Demokratie und gegen ihre Gegner ein und tragen so dazu bei, unsere Demokratie und ihre Grundwerte zu schützen und zu stärken. Die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren und aufzuklären, gehört schon seit Jahren zu den Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" ist nicht nur ein Arbeitsauftrag, sondern ein besonderes Anliegen. Damit die Öffentlichkeit Anzeichen für Extremismus erkennen kann, setzt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz auf eine intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmaterialien an. Dazu gehören Vorträge vor allem für Multiplikatoren, Tagungen, Broschüren und ein ständig erweitertes Informationsangebot im Internet. Auf Einladung kommen Experten des Verfassungsschutzes zu fachspezifischen Themen auch in Unternehmen, Kommunen und Schulen. Jahresbericht Einen wichtigen, alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfassenden Aufklärungsbeitrag liefert der seit 1978 regelmäßig erscheinende Jahresbericht. Die Jahresberichte dienen inzwischen Gerichten und Behörden als Nachschlagewerk zum Extremismus. Sie werden dem Landtag zur Unterrichtung über Entwicklungen vorgelegt und auch von der interessierten Öffentlichkeit stark nachgefragt. Online-Handbuch des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen Der Verfassungsschutz nutzt seit Jahren die Möglichkeiten des Internets, um der Zunahme extremistischer Angebote ein qualifiziertes Gegengewicht entgegenzustellen. Die Homepage unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz bietet Informationen über den Verfassungsschutz und seine Aufgaben an. Die Seiten informieren über die Grundlagen des Verfassungsschutzes und zeigen, welche Kontrollmechanismen es gibt. Sie informieren darüber hinaus über die Gefahren des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über Islamismus, Spionageabwehr und Geheimschutz. Insgesamt werden gut 200 Stichworte zum gesamten politischen Extremismus und 344 vErfassungsschutz in nrw Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 zur Spionageabwehr erläutert. Die Ideologieelemente, die die einzelnen Extremismusbereiche kennzeichnen, werden ebenso dargestellt wie historische Entwicklungen. Falls es zum Beispiel darum geht, was "national befreite Zonen" sind oder was hinter 'al-Qaida' steckt, steht die Antwort bei uns im Internet. Der Verfassungsschutz NRW ist auch per E-Mail erreichbar (kontakt.verfassungsschutz@mik1.nrw.de). Auf diesem schnellen Weg können nicht nur Publikationen bestellt, sondern auch Fragen gestellt, Kritik geübt und Anregungen geben werden. Publikationen Wer Informationen zu den aktuellen Themenschwerpunkten des Verfassungsschutzes sucht, findet Berichte und Broschüren z.B. über den Islamismus und ein breites Angebot zur Aufklärung über den Rechtsextremismus, darunter die Broschüre "Musik - Mode - Markenzeichen", die sich etwa mit Outfits und Codes rechtsextremistisch orientierter Jugendlicher beschäftigt. Sie zeigt, anhand welcher Symbole, Musik oder vErfassungsschutz in nrw 345 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Kleidungsstücke eine rechtsextremistische Orientierung erkannt werden kann und geht der Frage nach, was strafbar ist und welche Bands rassistische Propaganda verbreiten. Diese und andere Dokumente sind - jeweils in ihrer aktuellen Fassung - auch in der Publikationssammlung im Internet unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz abgelegt. Aufklärung mit einem Comic - "Andi" ist ein voller Erfolg Im September 2005 schlug der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen mit dem Bildungscomic "Andi 1 - Tage wie dieser ..." einen neuartigen Weg ein, um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gerade unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen zu fördern. Der Andi-Comic zeigt, was Grundrechte, Rechtsstaat, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Schulalltag konkret bedeuten. Durch die Konfrontation mit Widersprüchen zeigen die Helden des Comics, dass hinter rechtsextremistischen Parolen oft die historische Verklärung von Verbrechen, gefährliche Selbstdarsteller und Geschäftemacher stecken. Der Anhang zum Comic erklärt rechtsextremistische Zeichen und Symbole. Im Berichtsjahr wurde "Andi 1" neu aufgelegt und um eine aktuelle Darstellung der rechtsextremistischen Bestrebung der "autonomen Nationalisten" ergänzt. Im Oktober 2007 wurde mit dem Band "Andi 2 - Andis Freund Murat hat Stress" der zweite Teil der Reihe "Comic für Demokratie, gegen Extremismus" veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht diesmal Murat, der Basketballkumpel von Andi und Bruder von Ayshe. Murat gerät - auch aus Wut über die vielen Absagen bei seinen Bemühungen um eine Ausbildungsstelle - an einen extremistischen Prediger. Dieser schafft es, Murat von seinen alten Freunden zu entfremden und ihn von islamistischen Hassparolen zu überzeugen. Erst das beherzte Eingreifen von Ayshe bringt ihn wieder zur Vernunft. Im November 2009 schließlich kam mit dem Band "Andi 3 - Voll die Randale" das dritte Heft der Reihe in das Angebot. Ben trifft alte Freunde, die in der linksautonomen Szene aktiv sind und schließt sich ihnen an. Als er aber mit ansehen muss, wie deren 346 vErfassungsschutz in nrw Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Protest gegen eine Neonazi-Demo in Gewalttätigkeit umschlägt, von der zudem unbeteiligte Dritte betroffen sind, wendet er sich demokratischen Protestformen zu. Die Rückmeldungen auf alle drei "Andi"-Hefte sind bis heute weit überwiegend sehr positiv. Dies wird einerseits deutlich in der ungebrochen hohen Nachfrage nach den Comics, andererseits in zahlreichen Rückmeldungen von Jugendlichen und Lehrkräften sowohl schriftlich als auch vor Ort in Veranstaltungen. Hier wird hervorgehoben, dass "Andi" die komplexen Themen Extremismus und Demokratie jugendgerecht aufbereitet und dies mit hoher inhaltlicher Qualität verbindet. Logischer Schritt - "Andi" als App Die Zielgruppe der "Andi"-Comics sind Jugendliche und Schüler zwischen 14 und 18 Jahren. In dieser Altersgruppe bleiben Textwüsten oft wirkungslos. In Zeiten, wo fast jeder Jugendliche und Schüler ein Handy besitzt, war es ein logischer Schritt eine kostenlose mobile Version anzubieten, um die möglicherweise im Unterricht thematisierten Andi-Comics auch in der Freizeit länger präsent zu halten. Die Apps stehen für iPhone, Windows Phone und Android Betriebssystem zur Verfügung. vErfassungsschutz in nrw 347 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 348 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 11 Stichwortverzeichnis A AUF 22, 206, 208, 213, 216 Autonome Nationalisten (AN) 19 f., Abou Nagie, Ibrahim 270 145, 161 f., 170, 177 Adam, Abu 283 f. Autonome Nationalisten Advance 311 Pulheim (ANP) 145 AG Rheinland 164 f. Autonomes Zentrum Aachen 225 Aktionsbüro Mittelrhein 20, 46, Autonomes Zentrum Köln-Kalk 225 139, 164 f. Autonomes Zentrum Wuppertal 225 al-Aqsa e.V. 289 Avrupa Milli Görüs Teskilatlari al-Muhajirun - Die Auswanderer/ - Vereinigung der neuen WeltEmigranten 276 sicht in Europa e.V. (AMGT) 305 al-Qaida 259 ff., 277, 283 ff., 300, 345 al-Qaida auf der Arabischen B Halbinsel (AQAH) 262 Bahceli, Devlet 236 al-Qaida im Irak (AQI) 262 Banna al-, Hassan 299 f. al-Qaida im Islamischen Barika-i Hakikat 295 Maghreb (AQM) 261 Bayik, Cemil 242, 244 Anatolische Föderation 240 Befreiungstiger von Tamil Eelam Ansaar Düsseldorf e.V./ (LTTE), siehe Tamilische Ansaar International 271, 274 Befreiungstiger (TCC) Ansar al-Islam - Anhänger Beisicht, Markus 72, 89 f., 102, des Islam 285 106 ff., 113 ff. Ansarul Aseer 272 Beklenen Asr-i Saadet 295 Antikapitalistische Aktion bin Ladin, Usama 260, 277 Bonn (AKAB) 229 f. Blood & Honour 167 ff., 178 Antikapitalistische Linke (AKL) 20, Borchardt, Siegfried 175 185 ff., 198 Brück, Michael 156, 220 Antisem Versand 131, 156 Bürgerbewegung pro Deutschland 17, Apfel, Holger 17, 19, 43 f., 67, 71, 145 102 f., 107, 109, 112 f., 217 f. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Bürgerbewegung pro Köln e.V., Volkskongress Kurdistans siehe pro Köln (KONGRA-GEL) 24, 38, 236, Bürgerbewegung pro NRW, 242 ff., 297 f. siehe pro NRW 349 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Büro 610 318 Dogruyol, Sentürk 235 Donaldson, Ian Stuart 168, 170 C Dormundecho 118, 133 ff., 147, 151, 154 camia (Gemeinschaft) 302, 306 Dortmund stellt sich quer! (DSSQ) 220 Celebrity Center 311, 313 E Christen pro Köln e.V. 109 Combat 18 167 f. Einladung zum Paradies (EZP) 270 Cremer, Claus 43 ff., 60 ff. Engel, Stefan 206, 209, 211, 213 Cuspert, Denis 279 f. Erbakan, Necmettin 302 ff. Erbakan Vakfi Avrupa Temsilciligi D (Europa-Vertretung der Demokratischer Jugendföderalismus Erbakan-Stiftung) 309 Kurdistans (KOMALEN Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung) 309 f. CIWAN) 245 ff. Ergün, Kemal 302, 309 Demokratischer Kurdischer Europäische Aktion 143 Konföderalismus (KKK) 243 Europäische Moscheebauund UnterDer Islam als Alternative (D.I.A.) 295 stützungsgemeinschaft (EMUG) 305 Deutsche Kommunistische F Partei (DKP) 21, 198 ff. Deutsche Liga für Volk und Fatah-Partei 287 Heimat (DLVH) 72, 99 Federalnaja Slushba Besopasnosti Deutsche Partei (DP) 43 (Inlandsnachrichtendienst - FSB) 319 Deutsche Reichspartei (DRP) 43 Firat NEWs Agency (ANF) 249 Deutsche Stimme (DS) 43 f., 47 ff., Föderation der Aleviten Kurdistans 52 ff., 66, 70 (FEDA früher FEK) 248 Deutsche Volksunion (DVU) 100, 105, Föderation der Türkisch-Demokra118, 140, 157 tischen Idealistenvereine in Devrimci Halk Kurtulus Deutschland e.V. (ADÜTDF) 232 ff. Cephesi (DHK-C) 239 Föderation der Yezidischen Vereine Devrimci Sol 239, 241 Kurdistans (FKE, früher YEK) 248 ff. DIE LINKE - Landesverband Föderation Islamischer OrganisaNordrhein-Westfalen (DIE LINKE. tionen in Europa (FIOE) 301 NRW) 20, 185 ff., 202, 208 Föderation kurdischer Vereine in Die Republikaner (REP) 72, 99, 107 Deutschland (YEK-KOM) 249 f. Die Wahre Religion 270 Föderativer Islamischer Division Germania 171 Staat Anatolien 295 Dogru Haber (Richtige Nachricht) 297 350 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Frauenverband Courage e.V. 22, Hizb Allah - Partei 206, 212 ff. Gottes 42, 289 ff., 297 Freewinds 311 Hizb ut-Tahrir - Islamische Freie Kameradschaften 117, 129, 137, Befreiungspartei (HuT) 42, 292 ff. 140 ff., 156, 160 f., 164, 219 Hozat, Bese 242 Freiheitliche Partei Österreichs I (FPÖ) 110 Freiheitsund GerechtigkeitsIbrahim, Abu 283 f. Partei (FJP) 301 Ideale Orgs 313 Freundeskreis Rade 20, 106, 163 f. IGMG Perspektif 302, 306 Imam-Mahdi-Zentrum 292 G Impact 311 Gärtner-Engel, Monika 213 Internationale Koordination RevolutioGerechtigkeitsund Entwicklungsnärer Parteien und Organisationen partei - Adalet ve Kalkinma Partisi (ICOR) 22, 210, 216 (AKP) 303 f., 307 ff. Interventionistische Linke (IL) 197 German Defence League Inzar (Warnung) 297 (GDL) 105, 108 Islamische Bewegung Giemsch, Dennis 117, 156 Usbekistans (IBU) 283 f., 297 Glawnoje Raswedywatelnoje Islamische Gemeinde Kurdistans Uprawlenije (Militärischer Auslands(CIK) 248 nachrichtendienst - GRU) 319 Islamische Gemeinschaft in Globale Islamische Medienfront Deutschland e.V. (IGD) 42, 301 f. (GIMF) 279 Islamische Gemeinschaft MillA(r) Glückseligkeitspartei - Saadet Görüs e.V. (IGMG) 42, 302 ff. Partisi (SP) 302 ff. Islamische Jihad Union (IJU) 284 f. Graue Wölfe, siehe Ülkücü-Bewegung Islamischer Staat im Irak (ISI) 262, 277 Islamischer Staat im Irak und in H der Levante/bzw. Syrien/bzw. GroßHAKK-TV 295 Syrien (ISIL, ISIS, ISIG) 262, 277 HAMAS 42, 287 ff. Islamisches Zentrum Hamburg Hammerskins 167 ff. (IZH) 292 Harakat al-Muqawama Al Islamiya - Islamisches Zentrum, Bewegung des islamischen Widersiehe Imam-Mahdi-Zentrum standes, siehe HAMAS Islamische Weltfront für den Helfen in Not (HiN) 271, 274 Jihad gegen Juden und Heß, Rudolf 59 Kreuzzügler 260, 279 351 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Islamistische kurdische Netzwerke Kommunalpolitische Vereinigung der (früher Ansar al-Islam - AAI) 285 f. PRO-Bewegung (KPV PRO) 102, 106 Izzedin Al-Qassam-Brigaden 288 Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 318 J Kommunistische Partei Deutschlands Jabhat al-Nusra li-ahli al-Sham (Unter(KPD) 198 stützungsfront für das syrische Volk) Kommunistische Plattform oder Jabhat al-Nusra (JaN) 262 (KPF) 20, 185, 194 f., 198 Jihad 26 f., 40, 259 ff., 268, Kommunistischer Arbeiterbund 272, 275 ff., 300 Deutschlands (KABD) 206 Jihadisten 259 ff., 276, 283 Konföderation kurdischer Vereine Jugend der Pro-Bewegung 105 in Europa (KON-KURD) 250 Jugend für Menschenrechte 314 Koordination der kurdischen ökologischJugend pro Köln e.V. 104 demokratischen Gesellschaft in Jugend pro NRW 75, 104, 106, 163 Europa (CDK) 242 f., 247 f. Junge Nationaldemokraten (JN) 50, 67 Krekar, Mullah 285 Jürgensen, Bettina 199 kreuz-net.info 108 f. K kreuz.net - katholische nachrichten 108 f. Kalifatsstaat 295 ff. Kurdische Frauenbewegung in Kamalak, Mustafa 303 Europa (AKKH) 248 Kameradschaft Aachener Land Kurdistan-Report 242, 249 (KAL) 129, 137, 141 ff., 157, 160, 163 Kurtulus 237, 239 f. Kameradschaft Hamm 117, 141 ff. Kurz & Knapp 54 Kameradschaft Walter L Spangenberg Köln 137 Kaplan, Cemaleddin 295 f., 305 Linkspartei, siehe DIE LINKE. 148, 186 Kaplan, Metin 295 f. linksunten.indymedia.org 217, Kaplan-Verband 42 225 f., 229 Karatas, Dursun 237 M Kartal, Remzi 242 Kelhaamet 297 Mahler, Horst 160 Kelhaamet (Prächtiges Diyarbakir) 297 marx21 185, 192 f., 198 Know-how 318, 323 ff. Marxistische Blätter 198, 204 Köbele, Patrik 199 ff. Marxistisch-Leninistische Partei Koma Civaken Kurdistan (KCK) 242 ff. Deutschlands (MLPD) 21 f., 135, 198, 201, 206 ff. 352 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Mednuce 242, 249 Noie Werte 137 Military Intelligence Department Nordkaukasische Separatisten(MID) 317 Bewegung (NKSB) 286 f. Millatu Ibrahim 40, 272, 279, 282 NPD 16 ff., 22, 43 ff., 80, 90, 100 f., Milli Gazete 302, 308 126, 140 ff., 150, 157, 161, Milli Görüs-Bewegung 302 ff. 166, 174 f., 217 f. Ministry of Public Security (MPS) 317 NUCE TV 242 Ministry of State Security (MSS) 317 O Miscavige, David 312 Moscheebau-Kommission e.V. 301 Objektiv 105 Muslimbruderschaft (MB) 42, 287 f., Öcalan, Abdullah 24, 223, 242 f., 246 292, 299 ff. Oidoxie 171, 177 f. Oi!-Skins 166 f. N Özgür Politika, siehe Yeni Özgür Nabhani al-, Taqhi al Din 292 Politika 242, 249 Nasrallah, Hassan 291 P Nasser al-, Jamal Abd 300 Nationaldemokratische Partei Palästinensische BefreiungsorgaDeutschlands, siehe NPD nisation (PLO) 287 Nationale Befreiungsfront Kurdistans Palestinian Return Center (PRC) 288 (ERNK) 243 Partei der Nationalistischen Nationaler Widerstand Bewegung (MHP) 232, 235 f. Dortmund (NWDO) 117, 141, 143, Pastörs, Udo 17, 43 f., 71 151 ff., 163, 219 Plataforma per Catalunya 110 Nationaler Widerstandsrat Iran Plum, Andre 142 (NWRI) 321 Prabhakaran, Velupillai 252 Nationale Sozialisten Wuppertal pro Deutschland 17, 102 f., 107, 109, (NaSoWpt) 141 f., 146, 163 112 f., 217 f. National Front (NF) 166 pro Köln e.V. 18, 51, 72 ff., 81 ff., 95 ff. Nationalsozialistischer Untergrund PRO KÖLN - Informationen der (NSU) 13, 62, 137, 222, 225, 302 Fraktion pro Köln im Rat der Neonazi-Szene 17, 20, 44, 60, 62, 67, Stadt Köln 72 69, 71, 80, 138 ff., 147, 150, Proliferation 329 155, 158 ff., 174, 180, 347 pro NRW 18, 40, 53 f., 65, 72 ff., Newaya Jin 242, 249 126, 163, 218, 227, 283 Newroz 250 PRO NRW - Informationen der news.dkp.de 200 ff. Bürgerbewegung pro NRW 72 353 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Q Schiele, Karel 72 Scientology Kirche Berlin e.V. Qutb, Sayyid 300 (SKB) 311 R Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 311 Rahma 280 Scientology News 311 Ramadan, Said Dr. 87, 301 Scientology Organisation (SO) 311 ff. Rebell 206, 210, 216 Serxwebun 242, 249 Refah Partisi - Wohlfahrtspartei Shafi al-, Abdullah 285 (RP) 303, 305 Skinhead-Bands 137, 167 Republikanische Jugend 105 Skinhead-Konzerte 70 Resistore, siehe Antisem Versand 156 Skinhead-Szene 166 ff., 177 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiSleipnir 155, 177 Front (DHKP-C) 237 ff. Slushba Wneschnej Raswedki Ring freiheitlicher Jugend (Ziviler AuslandsnachrichtenDeutschlands (RFJ) 105 dienst - SWR) 319 f. Ring nationaler Frauen (RNF) 59 Solidarität International (SI) 262 Rote Aktion Köln (RAK) 230 Solidaritätsverein mit den politischen Rote Antifa NRW 230 Gefangenen und deren Familien Rote Armee Fraktion (RAF) 160 in der Türkei (TAYAD) 240 Rote Fahne 206, 214 Source 311 Rote Fahne News 206 Sozialistische Einheitspartei Rotfüchse 206, 210 Deutschlands (SED) 195 Rouhs, Manfred 102 Sozialistische Linke (SL) 20, 185, Rudolf, Germar 59 190 ff., 198 S Sterka Ciwan 242, 249 Ster TV 249 Saadet Partisi Almanya Temsilciligi Sturmwehr 177 (SP - Deutschland-Vertretung) 309 f. Sag nein zu Drogen - Sag ja zum T Leben 314 Tablighi Jama'at - Gemeinschaft der Salafismus 16, 18, 25 ff., 53 f., 76, Verkündigung und Mission (TJ) 42 263 ff., 281, 284, 292, 296 f., 338 ff. Taliban 283 ff. Salafistische Bestrebungen 25, 262, Tamilische Befreiungstiger (TCC) 251 ff. 264 f., 268, 270, 297 Tamil Rehabilitation Organization Salafistische Gruppe für Predigt und e.V. (TRO) 254 Kampf (GSPC), siehe al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQM) 354 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 Tamil Student Organization e.V. Vlaams Belang 48, 101, 107, 109 ff. (TSV) 254 Vlaams Blok 109 Tamil Youth Organization e.V. Voigt, Udo 17, 44, 46, 59, 67, 72 (TYO) 252, 254 Volkskongress Kurdistans, siehe Tauhid Germany 272 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) The Auditor 311 Volksmodjahedin (MEK) 321 Tschetschenische Republik Ichkeriya Volksrat der Eelam Tamilen (CRI)/Tschetschenische SeparatistenDeutschland (VETD) 252 bewegung (TSB) ); siehe NordkaukaVolksverteidigungskräfte (HPG) 243 sische Separatisten-Bewegung (NKSB) Voorpost 109 Tugendpartei - Fazilet Partisi (FP) 303 W Türk Federasyon Bülteni 235 Türkische Hizbullah 297 ff. Weisse Wölfe 171 Türkische Hizbullah (TH) 42, 297 ff. Wiener, Markus 72 Türkische Konföderation in Wohlfahrtspartei, siehe Refah Partisi Europa (ATK) 235 Wolter, Judith 72 Türkische Volksbefreiungspartei/ Worch, Christian 117, 135, 140 -Front THKP/-C 239 X TV 5 302 U Y Ülkücü-Bewegung 232 ff. Yatim Kinderhilfe e.V. 289 Ümmet-i Muhammed 295 Yeni Müjde 297 Union der freien Frauen (YJA), siehe Yeni Müjde (Neue Frohe Botschaft) 297 Kurdische Frauenbewegung in Europa Yeni Özgür Politika 242, 249 (AKKH) Yürüyüs 237, 240 unsere zeit (uz) 199, 204 Z V Zagros, Hacer 242 Velioglu, Hüseyin 297 Zarqawi al-, Abu Musab 262 Verband anatolischer VolkskulturZawahiri al-, Ayman 261 f. vereine e.V. 240 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB), siehe Kalifatsstaat Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V. (YXK) 248 355 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 356 Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern oder Wahlhelferinnen und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für die Landtags-, Bundestagsund Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Eine Verwendung dieser Druckschrift durch Parteien oder sie unterstützende Organisationen ausschließlich zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder bleibt hiervon unberührt. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Der Inhalt dieser Broschüre wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 5 40213 Düsseldorf Telefon: 0211/871 - 01 Telefax: 0211/871 - 3355 poststelle@mik.nrw.de www.mik.nrw.de