Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2012 www.mik.nrw.de Impressum Herausgeber Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 5 40213 Düsseldorf Telefon: 0211/871-01 Telefax: 0211/871-3355 poststelle@mik.nrw.de www.mik.nrw.de Redaktion Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Telefon: 0211/871-2821 Telefax: 0211/871-2980 Kontakt.Verfassungsschutz@mik1.nrw.de www.mik.nrw.de/verfassungsschutz Bestellservice Bestellung.Verfassungsschutz@mik1.nrw.de www.mik.nrw.de/publikationen Stand: 10. Juni 2013 Druck: Silber Druck oHG, Niestetal Fotos: Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vorwort Der Verfassungsschutzbericht 2012 zeigt einmal mehr, dass weiterhin extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen in unserem Land existent sind, die das friedliche Zusammenleben in unserer Demokratie bedrohen. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen nahm sich dieser Herausforderung auch 2012 an. Neuausrichtung des Verfassungsschutzes Dabei ist dem Verfassungsschutz - wie allen Sicherheitsbehörden - bewusst, dass die Aufdeckung der Taten des 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) bedeutet, ein "Weiter so" darf es nicht geben. Fehler und Unzulänglichkeiten vor allem in der Zusammenarbeit der Behörden wurden aufgearbeitet, um daraus Lehren zu ziehen für den Auftrag, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat deshalb die Aufarbeitung des NSU-Komplexes vorbehaltlos unterstützt und den Verfassungsschutz neu ausgerichtet. Denn der Bedrohung durch den Extremismus - und dabei ist es unerheblich, ob dieser von Rechtsextremisten, Salafisten oder anderen extremistischen Strömungen ausgeht - kann man nur mit einem engagierten Verfassungsschutz begegnen. Wir brauchen einen leistungsstarken Verfassungsschutz, der in der Mitte der Gesellschaft verankert ist und der Politik und den zivilgesellschaftlichen Akteuren aufzeigt, durch welche Gefahren die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und das Zusammenleben in der Gesellschaft 1 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bedroht werden. Eine Sicherheitspolitik, die erst ansetzt, wenn sich Gefahren oder gar Straftaten realisiert haben, verkennt, dass bereits im Vorfeld von Gefahren Aufklärung betrieben werden muss, um Gegenstrategien entwickeln zu können. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen dürfen erwarten, dass alles zu ihrem Schutz unternommen und nicht abgewartet wird, bis sich eine Gefahr realisiert hat. Auch wenn es keine absolute Sicherheit gibt, so setzt der Verfassungsschutz NRW alles daran, durch eigene Aufklärung bereits im Vorfeld Straftaten oder gar Anschläge zu verhindern. Neue rechtliche Rahmenbedingungen Der inzwischen vollzogenen inhaltlichen und organisatorischen Neuausrichtung des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen folgte in logischer Konsequenz die Schaffung einer modernen rechtlichen Grundlage. Nordrhein-Westfalen hat nach dem Aufdecken der Taten des NSU als erstes Land sein Verfassungsschutzgesetz novelliert und grundlegende Änderungen vorgenommen. Durch mehr Transparenz und eine intensivere Kontrolle durch das Parlament soll verloren gegangenes Vertrauen in den Verfassungsschutz zurückgewonnen werden. In Nordrhein-Westfalen ist unter anderem klar geregelt, wann der Verfassungsschutz V-Personen einsetzen darf und unter welchen Rahmenbedingungen diese agieren können. Der Schwerpunkt beim Einsatz von V-Personen liegt auf der Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus. Denn davon geht die größte Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere Demokratie aus. Intern ist der immer bedeutender werdenden vorbeugenden Arbeit durch fachliche Information und Angebote zum Ausstieg aus der Szene durch die Einrichtung eines Präventionsreferates Rechnung getragen worden. Dies sind nur einige Beispiele für den Wandel im Verfassungsschutz. Kameradschaftsverbote im Rechtsextremismus In Nordrhein-Westfalen sind den Ankündigungen, im Bereich des Rechtsextremismus verstärkt gegen die Szene vorzugehen, in 2012 auch spürbare Taten gefolgt. Allen voran die Vereinsverbotsverfahren gegen die Kameradschaften aus Aachen, Dortmund, Hamm und Köln haben die rechtsextremistische Szene geschwächt. Durch die Verbote konnte Vereinsvermögen beschlagnahmt, die Logistik der Rechtsextremisten nachhaltig gestört und durch die Auswertung der beschlagnahmten Gegenstände die Grundlage für die Einleitung von Strafverfahren geschaffen werden. Zudem versetzen Vereinsverbote die Versammlungsbehörden zukünftig besser in die Lage, rechtsextre- 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 mistische Aufmärsche, die häufig traditionell am selben Ort und von denselben Personen veranstaltet werden, zu verbieten. Nicht zu unterschätzen ist insbesondere die Wirkung von Vereinsverbotsverfahren in die Zivilgesellschaft hinein. Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, erkennen, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden auch ihre demokratischen Ziele verfolgen und schaffen so Anlass für weiteres Engagement gegen Rechtsextremismus. Die teils jahrelange Arbeit im Vorfeld eines Verbotsverfahrens wird zum Abschluss gebracht und verdeutlicht der Zivilgesellschaft, dass die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Rechtsextremismus schlagkräftig und in ihrer Ausdauer nicht nachlassend sind. Hervorzuheben ist auch die durch die Kameradschaftsverbote hervorgerufene Verunsicherung in der Szene. Sie hat zu einer gestiegenen Nachfrage nach dem Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten geführt. Die Zahl der Neuzugänge im Programm des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes hat sich in 2012 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Das Aussteigerprogramm ist dementsprechend personell verstärkt worden. Bei aller positiven Resonanz auf die Verbote verkennt der Verfassungsschutz jedoch nicht, dass sich die Ideologie in einigen Köpfen zumeist nicht geändert hat. Eine Säule im Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten ist deshalb die ideologische Aufarbeitung des Rechtsextremismus. Hierzu kann es aber erst kommen, wenn die Ausstiegswilligen den ersten wichtigen Schritt in Richtung Ausstieg bzw. Aussteigerprogramm gegangen sind. Diesen schwierigen Weg wollen nicht alle Rechtsextremisten beschreiten. Einige Rechtsextremisten werden, in ihrer Ideologie gefangen, neue politische Betätigungsfelder außerhalb ihrer nun verbotenen Kameradschaft suchen. Aber auch hier gilt, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz diese Bestrebungen aufmerksam beobachtet und handeln wird, sobald eine rechtliche Möglichkeit hierzu gegeben ist. Wachsende salafistische Bedrohung Der zweite Schwerpunkt in der Arbeit des Verfassungsschutzes im Jahr 2012 war erneut die Aufklärung der von salafistischen Bestrebungen ausgehenden Bedrohungen. Salafisten streben eine im fundamentalistischen Sinne "islamische" Gesellschaft und einen "islamischen Staat" bzw. entsprechende Freiräume für sich in dieser Gesellschaft an. Eine solche Gesellschaftsform widerspricht den grundlegenden 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Werten unserer Verfassung, deshalb ist die Bestrebung als politisch extremistisch einzustufen. Dabei unterscheidet der Verfassungsschutz zwei Strömungen: Einerseits die politischen Salafisten, die hauptsächlich durch öffentlichkeitswirksame Missionierungsund Propagandaarbeit in Erscheinung treten. Andererseits die jihadistischen Salafisten, die tatsächlich den militanten Kampf für die Erreichung ihrer Ziele anstreben. In zunehmender Zahl sind diese auch bereit, zur Unterstützung islamistischer Bestrebungen in ausländischen Kampfgebieten ihr Leben einzusetzen. Auch Nordrhein-Westfalen steht weiterhin im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus. Dies haben zuletzt der versuchte Bombenanschlag auf den Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 und der verhinderte Anschlag auf einen rechtsextremistischen Politiker im März 2013 in Leverkusen vor Augen geführt. Hoch ideologisierte Salafisten sind zu Anschlägen bereit. Hier ist fortlaufende Beobachtung und konsequenter Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden über mögliche Gefahrenlagen notwendig. Der Salafismus ist die am schnellsten anwachsende Szene unter den Extremisten und erfordert die besondere Wachsamkeit des Verfassungsschutzes. Ging der Verfassungsschutz in 2011 noch von 500 in Nordrhein-Westfalen politisch aktiven Salafisten aus, so waren 2012 bereits 1.000 Personen diesem Personenpotenzial zuzurechnen. Und die Zahlen sind weiter steigend. Der Verfassungsschutz rechnet etwa zehn Prozent der Salafisten dem gewaltbereiten jihadistischen Spektrum zu. Häufig sind gerade junge Menschen anfällig für die Schwarz-Weiß-Propaganda der Salafisten. Denn vermeintlich einfache Antworten auf schwierige Fragen des Lebens beeindrucken offenbar nach Orientierung suchende Menschen. Junge Muslime, Konvertiten, aber auch zunehmend Frauen werden in der Szene aktiv. Dies macht zugleich deutlich, dass der Salafismus nicht allein als ein sicherheitspolitisches Problem verstanden werden darf; hier ist die demokratische Gesellschaft insgesamt gefragt. Mit dem bundesweiten Verbot des Vereins 'Millatu Ibrahim' mit Hauptsitz in Solingen wurde erstmalig eine islamistische Organisation in Deutschland verboten. Dies ist ein wichtiges Signal in Richtung der Salafisten, dass ihre Weltanschauung nicht geteilt wird und ihr Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln sanktioniert wird. Als besorgniserregend wird in diesem Zusammenhang die Ausreisewelle von Salafisten nach Ägypten und weiter bis in die Kampfgebiete im Bürgerkriegsland Syrien angesehen. Rückkehrer aus den Kampfgebieten sind nicht häufig nur im Umgang mit Waffen geschult, sie 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 stellen auch für die in Deutschland verbliebenen Salafisten anerkannte Führungspersönlichkeiten dar. Auch in anderen Bereichen des Extremismus, z.B. des gewaltbereiten Linksund Ausländerextremismus sowie in der Spionageabwehr müssen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und Aktivitäten gegen das friedliche Zusammenleben der Völker weiterhin aufmerksam beobachtet werden. Dazu gehört auch der Schutz der heimischen Wirtschaft gegen Ausspähaktionen fremder Nachrichtendienste. Diesen Aufgaben und der Abwehr der von den aufgezeigten Bedrohungen ausgehenden Gefahren wird sich der Verfassungsschutz auch in den nächsten Jahren intensiv widmen müssen. Ralf Jäger, MdL Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklungstendenzen .............................................................................13 1.1 Rechtsextremismus ......................................................................................13 1.2 Linksextremismus .........................................................................................16 1.3 Ausländerextremismus .................................................................................19 1.4 Islamismus ....................................................................................................21 2 Rechtsextremismus ....................................................................................25 2.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus ..................................................25 2.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) .....................................25 2.1.2 Bürgerbewegung pro Köln e.V. und Bürgerbewegung pro NRW ..................52 2.1.3 Die Rechte ....................................................................................................78 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus ........................................................92 2.2.1 Neonazis .......................................................................................................92 2.2.2 Rechtsextremistische Skinheads ................................................................109 2.3 Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel ..................................117 2.4 Rechtsextremismus im Internet ..................................................................119 2.5 Diskursorientierter Rechtsextremismus - Revisionismus ...........................122 2.6 Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten...............................................126 3 Linksextremismus ....................................................................................129 3.1 Parlamentsorientierter Linksextremismus ...................................................129 3.1.1 Strömungen und Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE* ................129 3.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ...................................................142 3.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .............................147 3.2 Aktionsorientierter Linksextremismus .........................................................156 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 4 Ausländerextremismus ............................................................................169 4.1 Türkische Organisationen ...........................................................................170 4.1.1 Ülkücü-Bewegung* .....................................................................................170 4.1.2 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.* ....................................................................................172 4.1.3 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front; Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke (DHKP-C) ..................174 4.1.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen ................................178 4.2 Tamilische Befreiungstiger ..........................................................................188 5 Islamismus ................................................................................................195 5.1 Islamistisch motivierter transnationaler Terrorismus mit antiwestlicher Stoßrichtung .........................................................................196 5.1.1 Jihadisten/al-Qaida und ihr Umfeld .............................................................196 5.1.2 Jihadismus im Internet ................................................................................205 5.1.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) ...................................................227 5.1.4 Islamische Jihad Union (IJU) ......................................................................228 5.2 Islamistisch motivierter Terrorismus mit regionaler Ausrichtung .................229 5.2.1 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam)......................................................229 5.2.2 Nordkaukasische Separatisten-Bewegung - NKSB (vormals: Tschetschenische Republik Ichkeriya /Tschetschenische Separatistenbewegung) ..............................................................................230 5.2.3 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) ..............................................................................231 5.2.4 Hizb Allah (Partei Gottes)............................................................................234 5.3 Gewalt befürwortende islamistische Organisationen ..................................237 5.3.1 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) ....................................237 5.3.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) ......................................................................239 5.3.3 Türkische Hizbullah.....................................................................................241 5.4 Salafistische Bestrebungen ........................................................................242 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 5.5 Legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Organisationen ...........251 5.5.1 Tablighi Jama'at* (Gemeinschaft zur Verkündigung - TJ) ..........................251 5.5.2 Muslimbruderschaft (MB) ............................................................................252 5.5.3 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG).............................................254 6 Extremismus in Zahlen.............................................................................263 6.1 Bericht des Landeskriminalamtes ...............................................................263 6.1.1 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK)............................263 6.1.2 Politisch motivierte Kriminalität-Rechts .......................................................269 6.1.3 Politisch motivierte Kriminalität-Links..........................................................271 6.1.4 Politisch motivierte Ausländerkriminalität ....................................................273 6.1.5 Hohe Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus ...........................274 6.2 Mitgliederpotenzial in Nordrhein-Westfalen ................................................274 7 Scientology Organisation ........................................................................277 8 Spionageabwehr .......................................................................................281 8.1 Überblick .....................................................................................................281 8.2 Islamische Republik Iran ............................................................................282 8.3 Volksrepublik China ....................................................................................285 8.4 Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) .......................................288 8.5 Nachrichtendienste der Russischen Föderation .........................................290 8.6 Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) .....................................................................293 8.7 Abwehr von Wirtschaftsspionage................................................................293 9 Über den Verfassungsschutz...................................................................299 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal ..................................................299 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit ......................300 10 Stichwortverzeichnis ................................................................................305 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vorbemerkung Dieser Verfassungsschutzbericht umfasst das Jahr 2012; zeitlich danach liegende Vorfälle und Entwicklungen sind punktuell angesprochen worden, wenn sie von größerer Bedeutung sind. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Nordrhein-Westfalens wurden aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichtes erforderlich sind. Ergänzende Informationen finden Sie im Internet unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz. Grundlagen und Zielsetzung des Verfassungsschutzes Aufgabe des Verfassungsschutzes gemäß SS 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) ist es, bereits im Vorfeld von konkreten Gefährdungslagen Informationen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten, die Bestrebungen oder Tätigkeiten betreffen, : die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder : darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinflussen, oder : die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder : die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind oder : die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht darstellen. Die Verfassungsschutzbehörde sammelt hierzu die für sie relevanten Informationen und wertet sie aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegeben sind oder zumindest gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen1. Weder eine konkrete Gefahr noch eine begangene Straftat sind notwendig, um ihr Tätigwerden zu legitimieren. Es ist nicht Voraussetzung für die Berichterstattung in den Jahresberichten, dass sich die Verdachtsmomente bis zur Einschätzung einer Bestrebung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Der Verfassungsschutz arbeitet zum Schutz der Verfassung und des Gemeinwesens im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten. Er hat bei der Wahrnehmung seines gesetzlichen Auftrags im Wesentlichen Organisationen und Strukturen im Blick. 1 Diesen Fall kennzeichnen wir im Bericht mit einem * hinter dem Organisationsnamen. 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bei einer "Bestrebung" handelt es sich nach SS 3 Abs. 3 VSG NRW um politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der gegen die in SS 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter gerichtet ist. Ein "Personenzusammenschluss" setzt mehrere Personen voraus, die gemeinsam handeln. Einzelpersonen stehen nicht unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes, es sei denn, ihr Verhalten ist auf die Anwendung von Gewalt gerichtet oder von ihnen geht eine erhebliche Gefahr für eines der Schutzgüter des Verfassungsschutzgesetzes aus. Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Im Zentrum steht der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - also der nicht zur Disposition stehende Kern des Grundgesetzes (SS 3 Abs. 4 VSG NRW). Hierzu zählen: : Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; : die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; : das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; : die Ablösbarkeit der Regierung und deren Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; : die Unabhängigkeit der Gerichte; : der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und : die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Auswärtige Belange der Bundesrepublik und Völkerverständigung Daneben beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen, "die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden". Hier geht es beispielsweise um gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus Gewaltaktionen vorbereiten, um eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse im Ausland, insbesondere in ihren Heimatländern herbeizuführen und die dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auch Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, gehören zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW). Der Verfassungsschutz beobachtet international operierende Gruppierungen, die beispielsweise darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. In diesem Fall sind die Angriffe nicht auf die staatliche Ordnung oder die Grenzen eines einzelnen anderen Landes gerichtet, sondern gegen bestimmte (Volks) Gruppen in den betreffenden Staaten. Gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind damit auch Gruppierungen, die die - notfalls gewaltsame - Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete propagieren. Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Bei seiner Tätigkeit stützt sich der Verfassungsschutz in großem Umfang auf offenes Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Radiound Fernsehberichte, Interviews und Parteiprogramme. Sensible Informationen aus geschlossenen Zirkeln werden hingegen häufig mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen. Es werden Vertrauensleute (V-Leute) eingesetzt, Zielpersonen observiert. In besonders gravierenden Einzelfällen erfolgt eine Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zur Aufklärung konspirativ arbeitender verfassungsfeindlicher Organisationen notwendig. Die Beschaffung von Informationen durch den Verfassungsschutz unterliegt der Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums des nordrhein-westfälischen Landtags und bei bestimmten, die Kommunikation oder die Finanzierung von Bestrebungen betreffenden Maßnahmen der Kontrolle durch eine unabhängige Kommission (G 10-Kommission). Typischerweise geben sich extremistische Organisationen in ihren Programmen und öffentlichen Auftritten gemäßigt, um ihre Akzeptanz und ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen. Klartext wird häufig nur in den inneren Zirkeln und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geredet. Darüber muss der Verfassungsschutz verlässliche Informationen erlangen, wenn er sich ein realistisches Bild von den Zielen und den Methoden derartiger Organisationen verschaffen und seinen Auftrag zur Beratung der Politik und Aufklärung der Öffentlichkeit erfüllen will. 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 12 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 1 Entwicklungstendenzen 1.1 Rechtsextremismus2 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) Die aus Thüringen stammende rechtsterroristische Vereinigung, die sich als 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) bezeichnete, hat in einer bundesweiten Mordserie in den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen getötet und darüber hinaus weitere Anschläge und Aktionen durchgeführt. Drei Verbrechen fanden in Nordrhein-Westfalen statt: Am 19. Januar 2001 wurde bei einem Anschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in Köln eine Frau schwer verletzt. Am 9. Juni 2004 explodierte eine Nagelbombe in Köln und verletzte 22 Personen. Am 4. April 2006 wurde in Dortmund ein Kioskbesitzer erschossen. Im Zuge der Aufarbeitung wurden alle einschlägigen Akten des Verfassungsschutzes der letzten 15 Jahre gesichtet. Im Ergebnis enthalten diese keine weitergehenden täteroder tatortbezogenen Erkenntnisse. Allerdings wurde die überregionale Vernetzung der neonazistischen Szenen nochmals verdeutlicht. Als erste Konsequenz wurde der Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder intensiviert. So wurden das Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) geschaffen und eine neue Verbunddatei, die Informationen über gewaltbezogene Rechtsextremisten zusammenführt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat 2011 ein Acht-Punkte-Programm gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus beschlossen. Die darin unter anderem vorgesehene Verstärkung des Kontrolldrucks auf die rechtsextremistische Szene wurde durch die Verbote von neonazistischen Vereinigungen im Mai und August 2012 umgesetzt. Die im Acht-PunkteProgramm ebenfalls vorgesehene Intensivierung der Präventionsarbeit schlägt sich 2012 unter anderem im Ausbau des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten nieder. 2 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) Die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) setzt ihre rechtsextremistische Politik fort, die geprägt ist durch Demokratiefeindschaft, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. In NRW setzt sie zudem stark auf eine islamfeindliche Kampagne, mit der sie Muslime diffamiert und herabsetzt. Insbesondere im Landtagswahlkampf 2012 schürte sie Ängste vor dem Islam. Weiterhin setzte die NPD im Landtagswahlkampf darauf, Zerrbilder von und Ressentiments gegenüber Migranten zu verbreiten. Mit ihren Kampagnen erzielte die NPD lediglich eine geringe Aufmerksamkeit. So erhielt sie bei der Landtagswahl am 13. Mai 2012 mit 0,5 Prozent eines ihrer schlechtesten Ergebnisse bundesweit. Zudem verfehlte sie damit die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung. Auf dem Landesparteitag am 24. September 2012 wurde der Landesvorsitzende Claus Cremer wiedergewählt. Bemerkenswert ist die personelle Stärkung des Parteiflügels im Landesvorstand, der sich für eine enge Zusammenarbeit mit der Neonaziszene ausspricht. Trotz der vom NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel propagierten "seriösen Radikalität" bleibt die Partei in NRW aufgrund eigener struktureller Schwächen auf die Unterstützung der gewaltbereiten Neonaziszene angewiesen. Die NPD führt in NRW weiterhin ein Nischendasein. Dies liegt an der stagnierenden Mitgliederentwicklung auf niedrigem Niveau, finanziellen Schwierigkeiten, dürftigen Wahlergebnissen und internen Streitigkeiten. Durch die Gründung der Partei 'Die Rechte' dürfte der NPD ein zusätzlicher Konkurrent bei Wahlen erwachsen. Zudem wird die NPD vermutlich weniger Unterstützung durch die Neonaziszene erhalten. Am 14. Dezember 2012 hat der Bundesrat beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD zu beantragen. 'Pro Köln e. V.' und 'pro NRW' Bei 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' steht weiterhin die pauschale Herabsetzung und Diffamierung von Minderheiten im Mittelpunkt ihrer Politik. Dies zielt vor allem auf Muslime, die als unerwünschte, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt werden. Insbesondere mit Kampagnen gegen Moscheebauten schüren 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Ressentiments und Ängste. Um der politischen Stigmatisierung zu entgehen, versuchten die pro-Gruppierungen in 2012 das Image einer "Kümmererpar14 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 tei" zu erwecken und griffen verstärkt Kritik gegen den Euro und verbraucherpolitische Themen auf. Im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen konzentrierte sich 'pro NRW' wieder auf eine islamfeindliche Kampagne. Der Parteivorsitzende verkündete für den Wahlkampf die Strategie der "maximalen Provokation", die sich darin niederschlug, vor Moscheen die international bekannten Mohammed-Karikaturen präsentieren zu wollen oder Karikaturen zu zeigen, die 'pro NRW' im Rahmen eines von ihnen ausgeschriebenen "islamkritischen Karikaturenwettbewerbs" zugesandt wurden. Bei der Wahlkampftour unter dem Motto "Freiheit statt Islam" konnte die Partei zu den Kundgebungen vor den Moscheen meistens nur Teilnehmer im zwei-, selten auch einmal im niedrigen dreistelligen Bereich mobilisieren. Nur durch gewalttätige salafistische Gegendemonstrationen konnten die Veranstaltungen von 'pro NRW' eine größere mediale Öffentlichkeit erreichen. Bei der Landtagswahl erzielte die Partei 1,5 Prozent der Zweitstimmen und erhält damit die staatliche Wahlkampfkostenerstattung. 'Die Rechte' Nachdem der Minister für Inneres und Kommunales NRW am 23. August 2012 die Kameradschaften in Hamm, Dortmund und Aachen verboten hatte, gründete sich am 14. September 2012 der Landesverband 'Die Rechte'. In der Folgezeit entstanden in Nordrhein-Westfalen sieben Kreisverbände und ein Bezirksverband. Personell stellt 'Die Rechte' in wesentlichen Teilen eine Auffangorganisation der verbotenen Kameradschaften dar. Sowohl die Führung als auch ein Teil der Mitglieder setzen ihre neonazistischen Aktivitäten in 'Die Rechte' fort. Hinzu kommen ehemalige NPD-Mitglieder, denen der Kurs der NPD zu moderat ist. Ideologisch steht 'Die Rechte' in bruchloser Kontinuität mit den verbotenen Kameradschaften. Kennzeichen sind weiterhin Demokratiefeindschaft, Fremdenfeindlichkeit, Verherrlichung des Nationalsozialismus und Antisemitismus. Insbesondere sticht die hohe Aggressivität hervor, die sich vor allem gegen politische Gegner richtet. Die Partei 'Die Rechte' sieht das Parteienprivileg als Organisationsstrategie. Damit versucht sie sich, staatlichen Maßnahmen zu entziehen und ihre bisherigen neonazistischen Aktivitäten fortzusetzen. So haben Führungspersonen von 'Die Rechte' in Nordrhein-Westfalen mehrere Veranstaltungen angemeldet, die in den letzten Jahren von den verbotenen Kameradschaften durchgeführt wurden. Der Stil der Autonomen Nationalisten wurde bei den ersten von 'Die Rechte' durchgeführten Demonstrationen und Kundgebungen beibehalten. 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Neonazis Die vor allem durch die Autonomen Nationalisten geprägte Neonaziszene in NRW hat sich im letzten Jahr in einem starken Umbruch befunden. Hauptursache dafür waren die Vereinsverbote durch den Minister für Inneres und Kommunales NRW am 10. Mai 2012 bzw. am 23. August 2012 gegen die vier aktivsten Kameradschaften: 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (Köln), 'Nationaler Widerstand Dortmund', 'Kameradschaft Hamm' und 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL). Infolgedessen verließ ein Teil der Mitglieder die Szene. So hat sich die Zahl der Teilnehmer im Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten des Landes Nordrhein-Westfalen verdoppelt. Ein weiterer Teil der Neonazis stellte seine Aktivitäten weitgehend ein. Die entsprechenden politisch motivierten Straftaten sind seitdem rückläufig. Zur Verunsicherung der neonazistischen Szene haben ebenfalls die strafrechtlichen Verfahren gegen den 'Freundeskreis Rade' sowie gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' beigetragen. Letzteres wird in Rheinland-Pfalz durchgeführt, betrifft aber auch führende Neonaziaktivisten aus Nordrhein-Westfalen. Ein Teil der verbotenen Kameradschaften, insbesondere die Führung und ein Teil der Mitglieder der Kameradschaften aus Dortmund, Hamm und Aachen, hat sich in der Partei 'Die Rechte' reorganisiert. Hinzu kommt die lose strukturierte Neonazigruppierung in Wuppertal. Hinsichtlich der Personen, ihrer Ideologie, ihres Erscheinungsbilds und ihrer Aktivitäten steht 'Die Rechte' in der Kontinuität der verbotenen Kameradschaften, kann aber nunmehr den Schutz des Parteienprivilegs aus Art. 21 GG in Anspruch nehmen. 1.2 Linksextremismus3 Strömungen und Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*' 'DIE LINKE*' lässt in der Partei Strömungen und Zusammenschlüsse zu und fördert diese teilweise sogar, bei denen entweder Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung vorliegen oder zumindest den Verdacht begründen. Es handelt sich dabei um die Strömung 'Antikapitalistische Linke*' (AKL) und die Zusammenschlüsse 'Sozialistische Linke*' (SL), 'Kommunistische Plattform' (KPF) und 'Linksjugend ['solid]'. 'DIE LINKE*' sieht diese als wichtigen Bestandteil der Partei an und gewährt ihnen durch die Satzung spezielle Rechte und finanzielle Unterstützung. 3 Siehe hierzu Fußnote 2. 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Gemeinsam ist - in unterschiedlicher dogmatischer Schärfe - diesen Einschlüssen, dass nicht nur das "kapitalistische System" in der Bundesrepublik überwunden werden soll, sondern eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik angestrebt wird, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren ist. Die Strömungen und Zusammenschlüsse haben weiter maßgeblichen Einfluss in der Gesamtpartei. Auf der Landesliste NRW zur Bundestagswahl 2013 gehören von den ersten zehn Kandidaten allein acht der AKL*, SL* oder 'Linksjugend ['solid]' an. Insgesamt bestehen daher in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich dieser Strömungen und Zusammenschlüsse weiterhin Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung oder zumindest Verdachtsmomente dafür. 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) In der 'Deutschen Kommunistischen Partei' (DKP) war die kontrovers geführte innerparteiliche Debatte über die Richtung der Partei zur Verwirklichung des Sozialismus/ Kommunismus auch in 2012 das beherrschende Thema. Um sich als "sozialistische Alternative" zu profilieren, engagiert sie sich in Bündnissen, auch im Kampf "gegen Rechts", der Gewerkschaftsund Betriebsarbeit, der Friedensbewegung und in der Umweltpolitik. Eine wahlpolitische Präsenz wird dabei als nebensächlich angesehen. Das für die DKP enttäuschende Ergebnis bei der Wiederholung der Kommunalwahl 2009 in Dortmund schwächt ihre Ambitionen, auf lokaler Ebene in einer vermeintlichen Hochburg Einfluss zu nehmen. Der "revolutionäre Weg" wird auch durch die Vorfeldjugendorganisation der DKP, die 'Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend' (SDAJ), verfolgt. Im politischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland bleibt die Partei weiterhin bedeutungslos. 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) Die 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) vermittelt den Eindruck von Präsenz in vielen Themenfeldern, die von Arbeiternehmerbis Umweltund Frauenfragen reichen. Hinzu kommt ihr internationales Engagement. Spendeneinnahmen EntwicklungstEndEnzEn 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und Immobilien versetzen die Partei in die Lage, relativ unabhängig zu agieren. Trotzdem führt sie seit Jahren ein politisches Schattendasein. Die MLPD will zur Bundestagswahl 2013 antreten. Dies inszeniert sie als Einbringung einer revolutionär ausgerichteten Partei in die demokratische Auseinandersetzung in einem von ihr abgelehnten pluralistisch-kapitalistischen System. Ihre kommunistische Ausrichtung, die sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes wendet, verhehlt sie dabei nicht. Branchenübergreifende arbeitspolitische Auseinandersetzungen werden von der MLPD genutzt, um durch die Bildung von "Solidaritätsgruppen" Sympathie für ihre politischen Ziele bis hin zum revolutionären Umsturz zu finden. Der seit Gründung der MLPD amtierende Vorsitzende ist der zentrale und unumstrittene ideologische Meinungsführer der Partei. Seine Reden und Interviews in den parteieigenen Medien gelten als Richtschnur für das politische Handeln der Mitglieder. Im politischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland bleibt die Partei weiterhin bedeutungslos. Autonome Szene Antifaschismus und Antikapitalismus waren im Jahr 2012 die Hauptaktionsfelder aktionsorientierter Linksextremisten, insbesondere der autonomen Szene. Deutlicher Schwerpunkt bleibt das Themenfeld Antifaschismus. Das herausragende Ereignis war für die Szene der Protest gegen den sogenannten "Trauermarsch" der rechten Szene in Stolberg, weil wegen der Kameradschaftsverbote und des Demonstrationsverbots für die rechte Szene zum "Antikriegstag" in Dortmund sowie wegen fehlender größerer Kundgebungen der pro-Bewegung im Land rechtsextremistische Aktivitäten bei Demonstrationen rückläufig waren. Allerdings kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen beider Spektren auf Anund Abfahrtswegen zu und von Demonstrationen. Bedenklich ist auch die Gewaltanwendung bei mitunter zufälligen Begegnungen rechter und linker Aktivisten in Großstädten oder bei planmäßigen Bestrafungsaktionen. Im Zusammenhang mit den öffentlichen Diskussionen um den NSU und deren Folgen sind im Jahr 2012 durch die Kampagne "Verfassungsschutz auflösen" die Themenfelder Antifaschismus und Antirepression stärker verschränkt worden. 18 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben immer Auswirkungen auf die Mobilisierungsund Aktionsfähigkeit der linksautonomen Szene. Einen Motivationsschub verschaffte der Szene die Finanzund Wirtschaftskrise in verschiedenen europäischen Ländern, wodurch das Themenfeld Antikapitalismus deutlich in den Vordergrund getreten ist. Die Demonstrationen und Camps vor allem in Frankfurt zeigen dies deutlich. Antikapitalismus war in diesem Jahr aber auch ein Themenschwerpunkt für die linksautonome Szene in Nordrhein-Westfalen. Es gab eine Fülle themenbezogener Informationsveranstaltungen in Szenetreffpunkten. Ebenso beteiligte sie sich an kapitalismuskritischen Demonstrationen, die die Möglichkeit zur Selbstdarstellung und Regelverletzung - auch mit Gewalt - boten. In gleicher Weise versuchen aktionsorientierte Linksextremisten das Engagement der Bundeswehr im Inneren und im Ausland sowie Anwerbemaßnahmen in Schulen und Arbeitsagenturen zu thematisieren und zum Gegenstand verstärkter Aktivitäten zu machen. Mit Störungen von Veranstaltungen, Sachbeschädigungen und spektakulären Aktionen mit intendierter Öffentlichkeitswirkung muss weiterhin gerechnet werden. Der Atomausstieg und fehlende Castor-Transporte haben das Interesse am Themenfeld Antikernkraft in der linksextremistisch-autonomen Szene deutlich abflachen lassen. Die weitere Entwicklung ist von politischen Entscheidungen und in NordrheinWestfalen vor allem von der Diskussion um mögliche Transporte von Jülich nach Ahaus abhängig. Die Polizei als angeblicher "Vertreter des Repressionsapparates" und "Beschützer der Rechten" ist und bleibt - themenfeldübergreifend - im Fokus der linksautonomen Szene. Gewalt gegen die Polizei als Institution und gegen einzelne Polizeibeamte gilt im politischen Kampf weiterhin als gerechtfertigt bis hin zur billigenden Inkaufnahme von Verletzungen. 1.3 Ausländerextremismus4 Ülkücü Bewegung* Die dem türkischen rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnende Ülkücü-Bewegung* entwickelt sich zunehmend zu einer von der Ideologie der sogenannten 'Grauen Wölfe*' geprägten Jugendkultur, die sich vor allem sozialer Netzwerke im Internet 4 Siehe hierzu Fußnote 2. EntwicklungstEndEnzEn 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bedient, um ihre Ideologie zu verbreiten und sich zu organisieren. Nach wie vor ist die im Internet verbreitete verbale Hetze und Aggression häufig gegen Kurden gerichtet. Die in solchen türkisch-nationalistischen Webseiten verbreiteten Inhalte wenden sich aber auch gegen andere Feindbilder, wie beispielsweise Amerikaner, Juden oder Armenier. Die verbale Radikalität der Internetdarstellungen führt zu Provokationen, die bei Aufeinandertreffen von Ülkücü*-Anhängern insbesondere mit Kurden auch in tatsächlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen münden. Neben den bisher bekannten Vereinsstrukturen, die unter anderem unter dem Dach der Föderation der 'Türkisch-Demokratische Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' ('Almanya Demokratik Ülkücü Türk Denekleri Ferderasyonu' - ADÜTDF) organisiert sind, sind inzwischen einige Abspaltungsvereine, vor allem aber auch eine organisationsungebundene Anzahl meist jugendlicher Anhänger, feststellbar. Allen gemeinsam ist ein übersteigertes türkisches Nationalbewusstsein, daneben kommt allerdings auch dem Islam als eine die türkische Identität ergänzende Komponente besondere Bedeutung zu. Je nach Ausrichtung der Gruppierungen stehen dabei islamische, ultranationalistische oder rassistische Inhalte im Vordergrund. DHKP-C Nach wie vor tritt die verbotene 'Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front' (DHKPC) dafür ein, das bestehende türkische Staatssystem im Wege einer bewaffneten Revolution zu zerschlagen und durch ein sozialistisches System zu ersetzen. In den letzten Jahren waren nur vereinzelt militante Aktionen der DHKP-C feststellbar. Im Jahr 2012 kam es in der Türkei allerdings zu zwei von der DHKP-C verübten Selbstmordattentaten, bei denen es Tote und Verletzte gab. In Deutschland wurden insbesondere nach einem der Selbstmordanschläge, der am 11. September 2012 in Istanbul stattgefunden hat, Gedenkveranstaltungen durchgeführt. Auf diesen Veranstaltungen wurden die Selbstmordattentäter als "Revolutionäre, die unter Einsatz ihre Lebens einen Krieg gegen die türkische Regierung führen" bezeichnet. Obwohl die Mitglieder der DHKP-C einem hohen Strafverfolgungsdruck unterliegen, entfalten sie, wenn auch auf niedrigem Niveau, in Deutschland weiterhin Aktivitäten. 20 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 PKK Weiterhin dominieren die Forderung nach erweiterter kultureller und politischer Eigenständigkeit für die kurdische Minderheit in der Türkei sowie die Forderung nach Freilassung bzw. einer Verbesserung der Haftbedingungen von Abdullah Öcalan die Aktivitäten der 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK) in Deutschland. Aktuelle Geschehnisse in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten sind dabei Auslöser für Aktionen und Aktivitäten in Deutschland. Die von der PKK propagierte Doppelstrategie, die einerseits aus bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei bzw. im türkisch-irakischen Grenzgebiet und andererseits aus einem moderaten, d. h. weitgehend auf Gewalt verzichtenden Vorgehen in Europa besteht, wird zumindest offiziell weiterverfolgt. Allerdings waren im Jahr 2012 offenkundig europaweit koordinierte, veränderte, teils militante Aktionsformen erkennbar. Hierzu gehörten insbesondere die auf mediale Aufmerksamkeit ausgerichteten Besetzungsaktionen von Gebäuden sowie Solidaritätskundgebungen und Hungerstreiks. 1.4 Islamismus5 Salafismus Die bei weitem aktivsten und radikalsten Bestrebungen innerhalb des islamistischen Spektrums sind jene mit salafistischer Ausrichtung. In Nordrhein-Westfalen bildete sich 2012 mit der Vereinigung 'Millatu Ibrahim' eine jihadistisch orientierte Plattform, die in sogenannten "Islamseminaren" und im Internet für ihre extremistische und zugleich aggressiv-kämpferische Ideologie warb. Im Zuge des Wahlkampfes zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen kam es zu zahlreichen anti-islamischen und provokativen Kundgebungen durch die rechtsextremistische Partei 'pro NRW' vor Moscheen, bei denen Mohammed-Karikaturen des Kurt Westergaard gezeigt wurden. Bei den meisten dieser Kundgebungen ließ sich niemand provozieren, doch unweit der Moschee der Vereinigung 'Millatu Ibrahim' in Solingen kam es am 1. Mai 2012 zu den ersten tätlichen Angriffen von Salafisten während einer Demonstration unter freiem Himmel. Wenige Tage darauf, am 5. Mai 2012, führte eine Demonstration von Salafisten gegen die Kundgebung einiger 'pro NRW'-Anhänger nahe der König-Fahd-Akademie in Bonn zu überaus heftigen Gewaltausbrüchen durch salafistische Demonstranten. Einer von ihnen verletzte dabei 5 Siehe hierzu Fußnote 2. EntwicklungstEndEnzEn 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 zwei Polizisten schwer und wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Damit zeigte sich die Gewalttätigkeit von hiesigen salafistischen Bestrebungen erstmals deutlich im Zusammenhang mit Demonstrationen. Die Vereinigung 'Millatu Ibrahim' wurde am 14. Juni 2012 verboten und verlor damit auch ihre bisherige Lokalität in Solingen. In der zweiten Jahreshälfte kam es nicht mehr zu einer Fortsetzung von Gewalttätigkeiten seitens 'salafistischer Bestrebungen' auf der Straße. Der Anführer der nunmehr verbotenen 'Millatu Ibrahim' war bereits vor den gewalttätigen Demonstrationen aus Deutschland ausgereist, zahlreiche seiner Anhänger folgten diesem Beispiel in den Wochen und Monaten nach dem Verbot. Ihr Ziel ist es vermutlich, sich bewaffneten salafistischen Gruppierungen im Ausland anzuschließen und sich an deren Kampf in der einen oder anderen Weise - in Kampfhandlungen oder im Internet - zu beteiligen. Trotz des Fortzuges zahlreicher Jihad-orientierter Salafisten aus dem Umfeld von 'Millatu Ibrahim' hat die Propagandatätigkeit dieser Kreise nicht nachgelassen. Neben den jihadistischen Salafisten, die nur etwa 10% aller 'salafistischen Bestrebungen' ausmachen, haben auch die politischen Salafisten, die mit rund 90% die große Mehrheit dieser Bestrebung bilden, ihre Propagandatätigkeit 2012 stetig weiter betrieben. Hier ist vor allem das öffentlichkeitswirksame Koranverteilungsprojekt "LIES!" zu nennen, das 2011 begann und im Jahr 2012 mit leichten Modifikationen fortgesetzt wurde. Jihadismus im Internet Nach wie vor ist das Internet das zentrale Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda. Wie in den Vorjahren wurden auch 2012 wieder zahlreiche Drohbotschaften und Jihad-verherrlichende Videos, Audios und Textdokumente mit vielfältigen Deutschlandbezügen online gestellt. Dabei handelte es sich einerseits um Propaganda ausländischer terroristischer Organisationen und Gruppierungen, andererseits aber auch um Verlautbarungen jihad-salafistischer Akteure, die von Deutschland aus Terrorbotschaften über das Internet verbreiteten. Die Drohund Propagandavideos der Jihadisten zielten darauf ab, maximale Aufmerksamkeit innerhalb der deutschen Bevölkerung einerseits sowie in islamistischen Kreisen andererseits zu erzielen. Sie waren in der Regel technisch aufwendig hergestellt, modern in ihrer Aufmachung und speziell auf ein jugendliches Publikum zuge22 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 schnitten. Vor allem die Forderung, Muslime sollten sich gegen den in Deutschland und der Welt stattfindenden "Krieg gegen den Islam" mit Gewalt zur Wehr setzen, zog sich wie ein roter Faden durch die Drohvideos der Jihadisten. Sie versuchten auf diese Weise, der Propaganda einen religiösen Anstrich zu verleihen und in ihrem Publikum den "Kampfgeist" zu wecken. Charakteristisch für die jihadistischen Drohund Propaganda-Videos des Jahres 2012 war, dass ihre gefährlichen Botschaften anhand einer jugendgerechten Sprache, mit aufwühlenden Bildern, einpeitschenden Reden und häufig unterlegt mit Maschinengewehrsalven und Kampfhymnen (Nashids) zum Ausdruck gebracht wurden. Junge Muslime sollten auf diese Weise gezielt radikalisiert und zur Verübung von Anschlägen motiviert werden. Mitunter wurde auch offen für eine Ausreise in sogenannte "Jihad-Gebiete" geworben. Die deutschlandfeindliche Internet-Propaganda der jihad-salafistischen Szene steigert sich von Aufrufen zum Jihad im Inund Ausland bis hin zur Aufrufen, "ungläubige" Deutsche zu töten. Insbesondere die Ankündigung von 'pro NRW', im Rahmen des Landtagswahlkampfes öffentlich Muhammad-Karikaturen zeigen zu wollen, aber auch andere, von der salafistischen Szene als Zeichen des deutschen "Islamhasses" und der "Islamhetze" gedeuteten Ereignisse, führten zu einer regelrechten jihadistischen Propaganda-Offensive im Internet. Auch die angekündigte Veröffentlichung des vielkritisierten anti-islamischen Schmähfilms "Innocence of Muslims" erregte im Internet die Gemüter. Es wurden Drohbotschaften gegen Deutschland veröffentlicht und in einem Fall sogar in martialischer Sprache zur gezielten Tötung bestimmter Personengruppen in Deutschland aufgerufen. Die Aufforderung zur Ermordung von Anhängern der 'pro NRW' wurde im Mai über das Internet verbreitet und wäre von fanatisierten Salafisten beinahe umgesetzt worden. Im März 2013 deckten die Sicherheitsbehörden in NRW eine mit Waffen und Sprengstoff ausgerüstete Terrorzelle auf, die im Verdacht steht, einen Mordanschlag auf den Vorsitzenden der 'pro NRW' sowie weitere Funktionäre der rechtsextremistischen Bewegung geplant zu haben. Das angeblich "islamfeindliche Klima" in Deutschland beschäftigte in bisher ungekanntem Ausmaß auch ausländische Internet-Propagandisten. Neben der Usbekischen Terrororganisation 'Islamische Bewegung Usbekistan' IBU, deren Sprecher wie gewohnt in deutscher Sprache den Jihad in Deutschland und in den Kampfgebieten predigten, nahmen sich eine Reihe weiterer ausländischer Prediger und Einzelakteure teils in arabischer Sprache dem vermeintlichen "Islamhass" in Deutschland an. Sie riefen im Internet dazu auf, sich gegen Beleidigungen des Propheten und des Islam insgesamt mit Gewalt zur Wehr zu setzen. Die Reaktionen ausländischer Jihadisten kamen nicht überraschend. Im Zuge der gewaltsamen Ausschreitungen von SalafisEntwicklungstEndEnzEn 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ten während des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes von 'pro NRW' war die Propaganda des deutschen jihad-salafistischen Spektrums gezielt darauf gerichtet worden, auch in ausländischen extremistischen Kreisen Aufmerksamkeit zu erzielen und Unterstützung zu erlangen. Im Fokus jihadistischer Internet-Propaganda stehen zunehmend junge Muslime. Eine Vielzahl deutschsprachiger Internet-Veröffentlichungen richtete sich ausdrücklich an ein jugendliches Publikum. Vor allem deutschsprachige Kampfhymnen wurden 2012 verstärkt zur Rekrutierung junger Muslime über das Internet verbreitet. Darin priesen Jihadisten in emotionalisierender Weise die Vorzüge des gewaltsamen Jihads und riefen zur Auswanderung in Kampfgebiete auf. Auch ausländische Terror-Organisationen wie die IBU machten in Internet-Videos Werbung für die "Hijra" (Auswanderung). In ihren Internet-Videos bezeichneten sie den gewaltsamen Jihad als Glaubenspflicht und präsentierten darin das Leben der Mujahidin als abenteuerliches Gemeinschaftserlebnis. Ziel dieser Art von Propaganda ist es, auswanderungswillige deutsche Muslime für die Idee der Teilnahme am Jihad im Ausland zu begeistern und eventuell bestehende Hemmungen und Befürchtungen auszuräumen. Gefährdungsbewertung Islamistischer Terrorismus Nach wie vor besteht in Deutschland eine hohe, abstrakte Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus. Deutschland ist dabei nicht nur Ruheund Rückzugsraum, sondern steht im Zielspektrum islamistischer terroristischer Gruppierungen. Diese Gefährdung kann sich jederzeit durch terroristische Taten konkretisieren. Sie geht insbesondere von jihadistisch motivierten Einzeltätern und Kleinstgruppen aus, die sich ohne großen planerischen und logistischen Aufwand zu Terrorakten entschließen und diese durchführen können. 24 EntwicklungstEndEnzEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 2 Rechtsextremismus6 2.1 Parlamentsorientierter Rechtsextremismus 2.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)7 Bund NRW Gründung 1964 1964 Sitz Berlin Essen Vorsitzender Holger Apfel Claus Cremer Mitglieder 2012 6.0007 700 2011 6.300 700 Publikationen 'Deutsche Stimme', monatlich als Printversion; 'Blickpunkt', monatlich als Online-Ausgabe; diverse lokale Publikationen, unregelmäßig Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen, (Bundesverband, Landesund Kreisverbände) nahezu flächendeckend im Internet vertreten. Ebenso in den sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel Facebook und Twitter. Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit Die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) wurde auf Bundesebene im Jahre 1964 gegründet. Im selben Jahr erfolgte die Gründung der meisten Landesver- 6 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 7 Die rückläufige Entwicklung der NPD-Mitgliederzahlen geht nach (aktuellen) eigenen Angaben der Partei noch über die von den Verfassungsschutzbehörden mit Stand Ende 2012 erstellte Schätzung nach unten hinaus REchtsExtREmismus 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bände, darunter auch in Nordrhein-Westfalen. In der NPD fanden sich unter anderem Politiker der 'Deutschen Partei' (DP) und der 'Deutschen Reichspartei' (DRP) wieder. In den Folgejahren war die NPD bis zum Jahre 1972 in insgesamt sieben Landesparlamenten vertreten. Mit dem Scheitern bei der Wahl zum Deutschen Bundestag im Jahre 1969 mit 4,3% begann ihr Niedergang zu einer politischen Splitterpartei. Erst unter ihrem damaligen Vorsitzenden Udo Voigt gelang ihr im Jahre 2004 in Sachsen der erneute Einzug in ein Landesparlament. Dies konnte sie 2009 - wenn auch mit deutlichen Verlusten - wiederholen. Aktuell ist die NPD auch in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Fraktion im Landtag vertreten, dort ebenfalls in der zweiten Legislaturperiode in Folge. Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei, die das politische System der Bundesrepublik Deutschland beseitigen will und sich dabei einer rassistischen, antisemitischen/ revisionistischen und fremdenfeindlichen Ideologie und entsprechender Parolen bedient. Vielfach bezieht sich die Partei dabei auf die Ideologie der NSDAP. Diese Einschätzung ergibt sich sowohl aus den im NPD-Parteiprogramm formulierten Zielen als auch aus Äußerungen ihrer Funktionäre sowie aus Beiträgen in der Parteizeitung 'Deutsche Stimme' (DS) und der NPD-Homepage. Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies zeigt nicht zuletzt ihre enge Zusammenarbeit mit der gewaltbereiten und ebenfalls rechtsextremistischen Neonazi-Szene. NPD-Verbotsverfahren Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Mordserie des NSU beschlossen die Innenminister des Bundes und der Länder Ende 2011, das vorliegende Material zusammenzustellen und die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotsverfahrens erneut zu prüfen. Der Verfassungsschutz NRW hat sich intensiv in die gemeinsame Materialsammlung von Bund und Ländern eingebracht, die die Verfassungswidrigkeit der Partei belegen soll. Der Verfassungsschutz hat insbesondere Materialien vorgelegt über die Verbindungen der NPD zur NeonaziSzene und zu ihrer Ausländer-, vor allem Islamfeindlichkeit. Die Materialsammlung enthält Beweisstücke zu allen bisher vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen für ein Parteienverbot. Die Innenminister und -senatoren der Länder halten es für geboten, beim Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage der Materialsammlung ein Verbot der NPD zu beantragen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich am 6. Dezember 2012 dafür ausgesprochen, das Verbotsverfahren einzuleiten. 26 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bereits am 14. Dezember 2012 hat der Bundesrat die Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht beschlossen. Reaktion der NPD Am 8. November 2012 stellte die NPD beim Bundesverfassungsgericht ihrerseits einen "Antrag im Parteiverbotsverfahren". Das Bundesverfassungsgericht solle feststellen, dass die NPD nicht verfassungswidrig sei. Hilfsweise solle es feststellen, dass die Antragsgegner Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung die Rechte der NPD aus Art. 21 GG dadurch verletzten, dass sie fortwährend die Verfassungswidrigkeit der NPD behaupteten, ohne einen Verbotsantrag zu stellen und auf diese Weise die Wirkungen eines faktischen Parteiverbots herbeiführten. Weiterhin solle festgestellt werden, dass die Antragsgegner die Rechte der NPD dadurch verletzten, dass sie es unterließen, im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Antragsberechtigung für politische Parteien vorzusehen, deren Verfassungswidrigkeit behauptet wird und die ihre Verfassungskonformität feststellen lassen möchten. Ein derartiges Verfahren sei weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz noch anderer Stelle gesetzlich vorgesehen. Diesen Antrag versucht die NPD in ihrer Öffentlichkeitsarbeit propagandistisch zu nutzen. Der zweite Senat des BVerfG hat mit Beschluss vom 20. Februar 2013 den Antrag der NPD verworfen (2 BvE 11/12). Reaktionen auf der Homepage der NPD auf die Verbotsdiskussion Die NPD lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab Die NPD lehnt die bestehende freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung, wie zum Beispiel die Menschenwürde. Die im Grundgesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als IndiREchtsExtREmismus 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 viduum und ohne Vorbedingungen eine Würde hat, wird von der NPD in Abrede gestellt. Die NPD spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. Diese Auffassung vertritt der Landesvorsitzende der NPD NRW in einem Grußwort vom 23. April 2012: "Der Mensch in seiner nationalen Geborgenheit steht im Mittelpunkt nationaldemokratischen Denkens und Handelns." (Quelle: Homepage NPDLandesverband NRW). Die von der NPD verfolgten Ziele laufen auf einen anderen Staat hinaus, in dem die Prinzipien der durch das Grundgesetz garantierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden sollen. Nachfolgend werden Äußerungen von Führungspersonen der NPD wiedergegeben, die sich grundsätzlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten oder gegen einzelne Bestandteile. Die NPD will das demokratische System beseitigen Welche Zielvorstellungen vom Staatssystem die NPD hat, wird unter anderem in einem am 31. Mai 2011 auf der Homepage des NPD-LV NRW veröffentlichten Positionspapier des Landesvorsitzenden Claus Cremer deutlich. Dieser verwahrt sich ausdrücklich gegen eine Kursänderung der NPD und eine Anpassung an andere europäische rechtspopulistische Parteien. Die NPD müsse nach Cremers Ansicht eine "Weltanschauungspartei" bleiben. Über Jahrzehnte habe die NPD als solche eine bestimmte Ideologie und ein "lebensrichtiges Menschenbild" entwickelt und dieses auch konsequent vertreten. Zu den Elementen dieser sogenannten "Weltanschauungspartei" gehören - unter anderem - der "Reichsgedanke" (die Wiederherstellung des "Deutschen Reiches"), die "Rassentheorie" (in Anlehnung an die Rassentheorie des Dritten Reiches), die von der NPD propagierte "Volksgemeinschaft" (ebenfalls ein Begriff aus der Zeit des Nationalsozialismus) und ein anderes Verständnis von Staat und Demokratie. Letztendlich will sie das bestehende System beseitigen, auch wenn sie selbst meist "nur" von "Überwindung" spricht. Der NRW-Landesvorsitzende Claus Cremer ordnet vor diesem Hintergrund die NPD wie folgt ein: "[...] da sie begreifen werden, dass wir eben nicht ein Teil des zurecht kritisierten Politsystems sind, sondern diesem System diametral gegenüberstehen." (Quelle: Homepage NPD-LV NRW). 28 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Das Positionspapier endet mit einem durch den NPD-Landesvorsitzenden Claus Cremer veröffentlichten Zitat des ehemaligen NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt: "Das Reich ist unser Ziel, die NPD unser Weg." Damit ist in den Augen der NPD zweifellos das Dritte Reich gemeint. Im Rahmen des Wahlkampfes zur Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen 2009 gab die NPD im Rhein-Erft-Kreis einen Flyer heraus, in dem sie äußert: "Das herrschende System hat seine Unfähigkeit, die Probleme unserer Zeit zu lösen, zur Genüge bewiesen. Nun ist es an der Zeit für neue Wege, denn das System ist nicht reformierbar!" Der NPD-Kreisverband Düsseldorf berichtet am 18. März 2012 über eine Protestkundgebung am Dortmunder Hauptbahnhof anlässlich der Exekutivmaßnahmen gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein'. In diesem Bericht drückt die NPD ihre Verachtung gegenüber dem demokratischen System aus und spricht sich für einen völkischen Nationalismus aus: "Damit stellt der nationale Widerstand eine Gefahr für das System dar, zumal er fordert, daß ein Ende der Spirale von weiter krisenhaft um sich greifenden Fehlentwicklungen nur mit der Beseitigung des bestehenden pseudodemokratisch-kapitalistischen und oligarchischen Parteiensystems einhergehen kann. An seine Stelle muß ein nationaler Volksstaat treten." (Quelle: Homepage des NPD-KV Düsseldorf/Mettmann). Die NPD ist fremdenfeindlich Um ihre Ziele zu verdeutlichen, greift die NPD auf bestimmte Schwerpunktthemen zurück. Neben sozialen Fragestellungen ist die Ausländerpolitik ein zentrales Thema für die NPD. Der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte eigens hierzu im August 2008 eine Initiative "Ausländerstopp-NRW" ins Leben gerufen. Dabei werden Ausländer pauschal als kriminell und gewaltbereit diskriminiert und einseitig für die hohe Arbeitslosigkeit und Probleme in den Sozialsystemen verantwortlich gemacht. Die Parteizeitung 'Deutsche Stimme' ist durchsetzt mit Belegen für die Fremdenfeindlichkeit der NPD. Vor allem angebliche Belastungen für die deutschen Sozialsysteme REchtsExtREmismus 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und den Arbeitsmarkt werden thematisiert. Unter der Überschrift "Ein milliardenschweres Minus" wird gehetzt: "77,62 Milliarden Euro ist die Summe, welche die Migration die bundesdeutschen Steuerzahler jährlich kostet. [...] Dafür erhält der Steuerzahler im Gegenzug überproportional viele Kriminelle und integrationsunwillige Menschen [...], die sich zudem rapide vermehren." (DS 2/2009, Seite 18). Aufkleber aus dem Angebot der NPD Im Zuge der Debatte um die Veröffentlichung des Buches "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin legte die NPD mit einer eigenen Kampagne nach: Unter der Überschrift "Millionen Fremde kosten uns Milliarden!" erklärt die NPD: "Sarrazins Thesen vertritt die NPD schon lange - und konsequenter", denn "nur die NPD denkt konsequent zu Ende, wo Sarrazin offenbar Schluckbeschwerden bekommt. Mit noch so vielen Zahlen und richtigen Analysen ist es nämlich nicht getan. Um das Ausländerproblem in Deutschland wirklich in den Griff zu bekommen, werden wir früher oder später nicht darum herum kommen, die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer nicht nur auf dem Papier, sondern auch faktisch herunterzufahren - mit einem breit 30 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 angelegten staatlichen Rückführungsprogramm. Es geht eben nichts über das Original." (DS 10/2010, Titelseite/Leitartikel). In dieselbe Kerbe schlägt der Autor des Artikels "Multikulti implodiert", wenn er die Frage stellt: "Überfremdungsfolgen: Wann brennen bei uns die Städte? Auch bei uns schaut der Staat meist tatenlos zu, wie Einwanderer einen Straßenzug nach dem anderen erobern und 'Parallelgesellschaften' um sich greifen, in der Deutsche nicht mehr geduldet werden." (DS 09/2011, Seite 2). Im Verlauf des Wahlkampfes der NPD zur Landtagswahl 2012 in NRW hatte die NPD die Einrichtung einer "Online-Meldestelle gegen Illegale und kriminelle Ausländer" geplant. Diese Diffamierung von Migranten hat sie nach Angaben ihres Landesvorsitzenden Claus Cremer auf der Webseite der NPD-LV NRW am 11. April 2012 vom belgischen 'Vlaams Belang' kopiert (Quelle: Homepage des NPD-LV NRW). Die NPD ist rassistisch Die Ablehnung von Ausländern und Deutschen mit Migrationshintergrund begründet die NPD "biologisch", das heißt, sie lehnt die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Art. 3 des Grundgesetzes ab und teilt diese demgegenüber in "Rassen" ein. Was darunter zu verstehen ist, wird unter dem entsprechenden Schlagwort auf der Homepage der NPD unter "A-Z" erläutert. Zum Stichwort "Rasse" erklärt die NPD dort: "Die Menschheit wird in drei Groß-Rassen eingeteilt [...]. Die europäische Großrasse wird im Allgemeinen in folgende Unterrassen gegliedert [...]. Rassen entstehen durch Mutation, Isolation und Auslese." Hier zeigt sich einmal mehr die ideologische Nähe der NPD zum Nationalsozialismus. Der als "bedeutender Anthropologe" zitierte Autor Hans F. K. Günther war nicht irgendein Wissenschaftler, sondern der "Rasse"-Ideologe des NS-Regimes - Spitzname "Rassepapst". Auf diesen beruft sich auch ein ehemaliges NPD-Bundesvorstandsmitglied in einem Artikel in der DS 01/2011, Seite 20 mit der Überschrift "Angst und Rasse". Als Beispiel für den dort zitierten "nordischen Menschen" wird ein Bild REchtsExtREmismus 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 aus der Publikation von Hans F. K. Günther abgedruckt. Aus dessen rassistischen Überlegungen, die bereits den Nationalsozialisten als ideologische Grundlage für ihre menschenverachtende Politik dienten, zieht die NPD den Schluss, dass es auch keine Gleichheit (im Sinne des Grundgesetzes) geben könne. In der 'Deutschen Stimme' heißt es hierzu: "Es gibt keine Gleichheit der Menschheit. [...] Wer die Gesetze des Lebens ignoriert, betreibt seinen eigenen Untergang." (DS 08/2009, Seite 3). Weiter fragt die NPD: "Was bleibt von der Rasse? [...] Doch kann es im biologischen oder auch im philosophischen Sinne nie eine allgemeine Gleichheit geben." (DS 04/2009, Seite 18). Aus Anlass der Kommunalwahl 2009 interviewten vermeintlich Schüler im Rahmen der Erstwählerkampagne "Du hast die Wahl!" den Spitzenkandidaten der NPD in Wuppertal. Neben grundsätzlichen Äußerungen wider die freiheitliche demokratische Grundordnung vertrat dieser eine rigoros rassistische Grundhaltung, die auf einem "lebensrichtigen Menschenbild" aufsattelt, welches in einer biologischen Ungleichheit aller Menschen gipfelt. Gleichermaßen in Frage gestellt wird die historisch-politische Existenzberechtigung der Bundesrepublik als Staat sowie das Grundgesetz als Verfassung. "Meine Partei ist geprägt insbesondere von zwei Grundgedanken. Der eine ist das lebensrichtige Menschenbild. [...] Das lebensrichtige Menschenbild unserer Partei unterscheidet sich elementar vom Menschenbild aller andern [...]. Wir sagen, alle Menschen sind gleich geboren und sollten die gleichen Rechte haben, aber sie sind nicht gleich. Sie sind per se nicht gleich. [...] Man darf nicht den Fehler machen, zu sagen, dass diese Werte [...] in diesem Land uneingeschränkt für alle Personengruppen, insbesondere für artfremde Völker gelten. Wir vertreten die Auffassung, erstens, dass das Grundgesetz [...] nur eine momentane von den Siegermächten diktierte Art der Verfassung ist." Neonazis luden am 14. Oktober 2011 zu einer Veranstaltung unter dem Titel "Das Rheinland im Angriff!" ein. Bei dieser Veranstaltung redeten auch Funktionäre der 32 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 NPD. Ein Vertreter des NPD-KV Düsseldorf macht die durch Einwanderung im Wandel begriffene Gesellschaft verächtlich und sieht jedes Mittel gegen diese Entwicklung gerechtfertigt: "Das ist eine geistige Pest, die sich Multikulti nennt und die wir mit allen nur möglichen Mitteln bekämpfen müssen." (Quelle: ein bei YouTube eingestelltes Video). Der Islam als Feindbild und "Türöffner"-Thema Indem die NPD Überfremdungsängste schürt und den Islam mit Islamismus und Terrorismus gleichsetzt, zeichnet die NPD ein verzerrtes Bild der hier lebenden Muslime, insbesondere aus der Türkei. Eine derartige islamfeindliche Zuspitzung ist für rechtsextremistische Parteien typisch und durchzieht in leicht abgeschwächter Weise auch die Propaganda etwa von 'pro Köln'. Die NPD hatte bereits im Jahre 2009 nach der Schweizer Volksabstimmung zu dieser Frage eine "Anti-Minarett-Initiative" mit dem Ziel einer Online-Petition gestartet. In einer Presseerklärung vom 8. Dezember 2009 heißt es: Plakat der NPD "Natürlich war es richtig, die Steilvorlage aus der Schweiz aufzunehmen. [...] Auftakt eines europaweiten Aufstandes gegen die fortschreitende Überfremdung unserer Länder und gegen die schleichende Machtübernahme durch den Islam." (Quelle: NPD-Homepage). Ein sächsischer Landtagsabgeordneter der NPD verweist auf den strategischen Hintergrund: "Im Westen müssen wir das Thema "Islamisierung" noch viel stärker aufgreifen. [...] In strategischer Hinsicht ist pro-Köln in dieser Hinsicht schon ein positives Beispiel". (DS 10/2010, Seite 3+4). Die NPD sieht Deutschland als Ziel und Opfer einer großangelegten Übernahmeaktion islamischer Länder, vor allen der Türkei: REchtsExtREmismus 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Die Facette der psychologischen Kriegsführung basiert auf der Tatsache, daß türkische Regierungskreise im Territorium der Bundesrepublik die zukünftige Westprovinz eines großtürkischen Imperiums sehen; die einzelnen Stadien der Übernahme werden von Ankara aus steuernd begleitet. [...] Deren Vorgehen zeigt, daß die Bundesrepublik von der türkischen Regierung als eine Kolonie angesehen wird, deren fortschreitende Eroberung höchste Priorität hat." (DS 07/2009, Seite 19). In der 'Deutschen Stimme' macht die NPD ihre Position deutlich: "Niemals deutsches Land in Moslem-Hand!" heißt es da. Der Kampf gegen die Islamisierung sei der Türöffner für weitergehende ausländerpolitische Forderungen. Dabei könne man sich die "feinsinnige Unterscheidung in Islam und Islamismus" sparen (DS 02/2010, Seite 11). Dabei greift die NPD auch zu drastischen Formulierungen, die rechtstaatliche Prinzipien wie zum Beispiel das Vorliegen von Hinderungsgründen für eine Abschiebung negieren: "Islamisten-Sumpf trockenlegen! Der Terror-Sumpf muß ausgetrocknet, islamistische Zellen müssen mit der ganzen Härte des Gesetzes ausgeräuchert werden, und kriminelle und terroristische Flyer der NPD Ausländer gehören nicht nach Deutschland, sondern in ihre Heimatländer zurückgeführt - unverzüglich." (DS 04/2011, Seite 2). Der NPD geht es auch darum, dass sich Muslime in Deutschland gar nicht erst zu Hause fühlen: "Je fremder, desto besser [...] Je weniger 'Integration' und Durchmischung, je mehr (beiderseitige) Distanz und getrennte Entwicklung, desto besser die Voraussetzungen den Multikultiwahn einst zu beenden." (DS 04/2010, Seite 5). 34 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "NEIN Ihr gehört nicht dazu! [...] Auch die Feststellung, daß der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist eine Binsenweisheit erster Güte. Nur Verblendete oder Bösartige können das Jahr 1683, als türkische Kulturbereicherer zum letzten Mal vor Wien standen und die Messer wetzten, für den Beginn einer wunderbaren Freundschaft halten. [...] Belassen wir es also dabei, wie es immer war: zwei Völker. zwei Wege, zwei Welten. So fällt das Abschiednehmen leichter, wenn es demnächst so weit ist." (DS 04/2011, Seite 1/Leitartikel). Kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2012 wurde von der NPD aus taktischen Erwägungen im Hinblick auf die Demonstrationen von 'pro NRW' und die massiven Gegenreaktionen durch Salafisten die Anti-Islamkampagne von der NPD erneut aufgegriffen und verstärkt vorangetrieben. Sie verband dabei Islamfeindschaft mit völkischem Nationalismus. So forderte sie in einem Flugblatt: "Salafistische Gefahr stoppen - Deutschland uns Deutschen". Die NPD ist antisemitisch und revisionistisch Obwohl die NPD soziale Themen und den "Islam" in den Vordergrund rückt, weicht sie nicht von ihren "traditionellen" antisemitischen und revisionistischen Positionen ab. In diversen Beiträgen und Interviews verschafft die 'Deutsche Stimme' bekannten Revisionisten eine Plattform zur Verbreitung ihrer Thesen. Es werden nicht nur plumpe antisemitische Äußerungen wiedergegeben, sondern auch der Holocaust bezweifelt (im Grundsatz auch die Zahl der jüdischen Opfer des Völkermordes) und die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geleugnet. Daneben finden sich zudem Ansätze einer Verschwörungstheorie, nach der "jüdische Interessenvertreter" zusammen mit dem "Großkapital der amerikanischen Ostküste" nach Weltherrschaft streben. Beispielhaft für eine Vielzahl einschlägiger Artikel stehen folgende Auszüge: "2004 hatte der Historiker Werner Maser den Mut, festzustellen, dass die bislang vorgelegten 'Beweise' fragwürdig seien. Er erklärte, dass die 'Zeugenberichte über die Anzahl der Öfen, das Fassungsvermögen der Gaskammern und Krematorien, die Anzahl der jeweiligen Vergasungsopfer, die Gassubstanzen, die Dauer der Vergasungen, die Herausnahme der vergasten Opfer und die Verbrennungsvorgänge usw.' sich einfach voneinander [unterscheiden, Anm. der Red.] und erheblich widersprechen. REchtsExtREmismus 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Diese Widersprüche ziehen sich durch die gesamte Historiographie." (DS 03/2009, Seite 23). Unter der Überschrift "Die Ersatzreligion" heißt es in der DS 07/2009 auf Seite 22: "Seit 1945 steht das Christentum in Deutschland im Begriff [...] nach und nach durch die Religion der deutschen 'Alleinkriegsschuld' und des 'Holocaust' abgelöst zu werden. [...] ein kritisches Hinterfragen der Dogmen [wird] nicht geduldet." Einem einschlägig vorbestraften Revisionisten wird in der 'Deutschen Stimme' (09/2009, Seite 3) Raum gegeben, um unter der Überschrift "Die Wahrheit wird sich durchsetzen" zu behaupten: "Alle diese Sachverhalte habe ich in meinem Buch 'Wahrheit für Deutschland. Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges' [...] einwandfrei quellenbelegt nachgewiesen [...]. Erstens die Kriegserklärung 'Judea against Germany' am 24. März 1933, für die Adolf Hitler nicht den geringsten Anlaß geliefert hatte [...]." Und in der Oktoberausgabe der 'Deutschen Stimme' (10/2009) wird zum Beginn des Zweiten Weltkrieges behauptet, dass es bei dem Überfall auf Polen um "Rettung vor Stalins Genickschussbrigaden" gegangen sei und dass der Zweite Weltkrieg im Grunde genommen ein "Freiheitskrieg"8 war. "Auf den Tag vor 70 Jahren beendete der 'Führer' des Großdeutschen Reiches den staatlich inszenierten Terror gegen die deutsche Minderheit in Polen durch die Verkündung, daß ab '5 Uhr 45 zurückgeschossen' werde." Aber nicht nur die Einschätzungen der NPD zu Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch ihre Zukunftsvisionen sind geprägt von Zynismus und rassistischen Vorurteilen: "Der Blick in die Glotze .... wird immer schlimmer: Wie das Fernsehprogramm des letzten öffentlich-rechtlichen Kanals der BRD am 20.1.2031 aussehen könnte 8 Artikel "Es war ein Freiheitskrieg" in DS 02/2010, Seite 23. 36 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 14.00 Uhr Direktübertragung aus der Gedenkstätte Erlenwald [...] spricht Bundespräsident Ngoro Hurabura. Umrahmt wird das Treffen vom Chor der Selbsterfahrungsgemeinschaft Erbschuld. 16.00 Uhr Fatimas Kochshow 16.45 Uhr Jiddisch für Anfänger Folge 9: Der Gang zur Börse [...] 21.45 Uhr Schächten für den Hausgebrauch Praktische Tips und Anleitungen von Rabbi Schlomo Pflaumbaum und Mullah Hussein [...] (Aus einem Beitrag in der DS 02/2011, Seiten 8/9) Die NPD glorifiziert den Nationalsozialismus Die NPD glorifiziert in Beiträgen der 'Deutschen Stimme' den Nationalsozialismus und stellt sich selbst in die Nähe zu rechtskräftig verurteilten Verbrechern des NSRegimes. "Die Alliierten haben sich keinen Gefallen getan Im Mai 1941 flog Rudolf Heß nach England [...]. Die Empörung über die Behandlung und die Sympathie, ja man kann fast sagen die Verehrung, die Heß entgegengebracht wird, ist europäisch [...] kann ich mir wahrlich schlechtere Vorbilder und Idole vorstellen. Kraft tankt man an Beispielen. Heß scheint so eines zu sein." (DS 05/2011, Seite 23). In der 'Deutschen Stimme' 08/2009 posiert der ehemalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt vor einem Plakat, auf dem "Freiheit für Erich Priebke!" verlangt wird. Ihren Gipfel findet die Unterstützung des einschlägig verurteilten Kriegsverbrechers Erich Priebkes in einem Parteitagsbeschluss, der das Bedauern ausrückt, dass diese "vorbildliche Persönlichkeit aus formalen Gründen" nicht als Kandidat der NPD für das Amt des Bundespräsidenten bestimmt werden könne. Der 'Ring Nationaler Frauen' (RNF) bemühte das bekannte Motiv des Autobahnbaus durch das nationalsozialistische Regime: REchtsExtREmismus 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Als der deutsche Sozialstaat noch funktionierte: Autobahn in den Dreißigern [...]." (RNF Berlin, DS 04/2009, Seite 19). An anderer Stelle wurden die sozialen "Errungenschaften" des Dritten Reiches gepriesen, ohne dieses Regime allerdings explizit zu benennen: "Ja zu Deutschland - ja zum Reich! Zur Reichsgründung vor 140 Jahre/Immerwährende Aktualität der Reichsidee Um den Fortbestand des Volkskörpers Es blieb dem 20. Jahrhundert und der "Volksgemeinschaft" der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten, sozialpolitisch zu vollenden, wofür Bismarck den Weg gebahnt hatte." (DS 02/2011, Seiten 22). Aktiv-kämpferische, aggressive Grundhaltung Als weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren müssen - neben den verfassungsfeindlichen Äußerungen der NPD - auch Belege über aktivkämpferische, aggressive Bestrebungen vorliegen. Diese ergeben sich im Wesentlichen aus den strategischen Konzepten der NPD zur Umsetzung ihrer politischen Ziele, den engen Verflechtungen mit der Neonazi-Szene, die Verbindung zu verbotenen Organisationen und der Einstellung zur Gewalt als Mittel im politischen Kampf. Als weitere Belege dienen zahlreiche Strafverfahren gegen führende NPD-Funktionäre. Die NPD spricht vom "Frontalangriff gegen das System" Bei der Wahl der Mittel fordert die NPD eine gewisse "Kreativität", man schließt aber auch einen "Frontalangriff" gegen das System nicht aus: "Wir müssen beweglich und kreativ sein Die DS im Gespräch mit dem scheidenden Geschäftsführer des 'Deutsche Stimme-Verlages': 38 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 O.: Ich für meinen Teil werde nie Yad Vashem betreten! Frage: Die Wortergreifungsstrategie im nationalen Lager sind sehr unterschiedlich - vom Frontalangriff gegen das System bis zur Veränderung durch Mitarbeit [...] Welche Strategie ist die Richtige? O.: Alle Strategien, die zum Erfolg führen, sind richtig. Das "Allheilmittel" ist mir leider nicht bekannt und deshalb soll und muß das nationale Lager viele verschiedene Wege gehen und ausprobieren. Wir müssen hier beweglich und kreativ sein und notfalls auch mit dem Teufel zusammenarbeiten, solange er nicht aus Jerusalem kommt." (DS 01/2010, Seite 3) Vier-Säulen-Konzept Die NPD äußert ihre verfassungsfeindlichen Ziele aber nicht nur verbal, sondern will diese im Rahmen ihres "Vier-Säulen-Säulen-Konzeptes" auch umsetzen. Neben dem ideologischen "Kampf um die Köpfe" zählen dazu der "Kampf um die Straße", der "Kampf um die Parlamente" und der "Kampf um den organisierten Willen". Selbsterklärter Vormachtanspruch der NPD Die NPD sieht sich im rechtsextremistischen Spektrum in einer Führungsrolle, die sie vor allem im Verhältnis zu konkurrierenden Parteien verteidigen will ("Kampf um den organsierten Willen"). In der Vergangenheit war dies vor allem 'pro NRW'. Bereits in 2008 distanzierte sich die NPD-NRW von den pro-Bewegungen. Claus Cremer, der am 15. Juni 2008 gewählte NPD-Landesvorsitzende, sprach in einem Altermedia-Beitrag vom 18. Juni 2008 von einer "pseudonationale[n] Vereinigung, welche es darauf angelegt hat, nationale Wählerschaften zu verunsichern und zu spalten" und konstatierte dementsprechend: "Es wird Zeit, daß auch der nationale Widerstand erkennt, daß die ProTruppe nicht zu ihm gehört, sondern im Grunde gegen ihn arbeitet." In einem Interview mit der Deutschen Stimme (DS Aktuell) vom 12. April 2012 äußerte sich der Landesvorsitzende Claus Cremer gezielt in Abgrenzung der NPD zu 'pro NRW' wie folgt: REchtsExtREmismus 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Im Grunde genommen interessiert mich die sog. 'Pro-Gruppierung' genauso wenig wie die verbrauchten Altparteien, da wir unsere eigene Politik in den Vordergrund stellen und der Bevölkerung die NPD als wirkliche Alternative zu den derzeitigen Zuständen in unserer Heimat näherbringen müssen. Zudem bin ich der Meinung, daß 'Pro' durch das herrschende System gern gesehen ist, da der berechtigte Protest der Bürgerinnen und Bürger durch solche Neu-Gruppierungen zersplittert und letztendlich wirkungslos gemacht werden soll. [...] Im Gegensatz zu Pro-NRW ist die NPD keine Ein-Punkt-Partei und wir werden auch dann noch aktiv Politik für Familie, Volk und Heimat machen, wenn die Anderen aufgrund immer stärker werdenden staatlichen Repressionen bereits die Segel gestrichen haben. Wir sind 'Überzeugungstäter'." In einer anderen Stellungnahme des NPD-Landesvorsitzenden Claus Cremer vom 13. Dezember 2010 unter dem Titel "Historische Chance nutzen - Auf dem Weg zur nationalen Einheitspartei!" äußert sich dieser wie folgt zur Verschmelzung mit der DVU und zur Zusammenarbeit mit der Neonazi-Szene: "Doch nicht nur der Zusammenschluß mit der DVU oder die kommenden Wahlen werden zeigen, wie der Weg des nationalen Widerstandes in Zukunft weiter geht. Dies wäre zu kurzfristig gedacht und ausschließlich auf den parlamentarischen Flügel ausgerichtet, was einer umfassenden nationalen Oppositionsbewegung nicht gerecht wird. Ebenso wichtig wie der Weg hin zur nationalen Einheitspartei ist auch die weitere Zusammenarbeit mit den parteiungebundenen Kräften und die Stärkung der diversen Vorfeldorganisationen, denn nur gemeinsam werden wir dazu in der Lage sein in den verschiedenen Lebensbereichen auch Akzente zu setzen." Verflechtungen mit der Neonazi-Szene In den engen Verflechtungen zur Neonazi-Szene und den gemeinsamen Aktivitäten (wie zum Beispiel Demonstrationen und Wahlkämpfe) werden die aktiv-kämpferischen, aggressiven Bestrebungen der NPD auch nach außen deutlich sichtbar. Da die NPD - gerade auch in den westdeutschen Ländern - personell und organisatorisch schlecht aufgestellt ist, ist sie auf das Bündnis mit den Neonazis angewiesen. Dies gilt insbesondere auch für den NPD-Landesverband NRW, der aus eigener Kraft kaum aktionsfähig ist. 40 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 So stellt zum Beispiel NPD-Kreisverband Unna/Hamm seine Nähe zur neonazistischen Szene in der Region offen dar, indem er auf seiner Homepage zahlreiche Neonazi-Seiten verlinkt. Dazu zählen auch die militanten Autonomen Nationalisten Dortmund, deren Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' am 23. August 2012 verboten wurde. Internetauszug des NPD-Kreisverbandes Unna/Hamm Die NPD sieht sich als Teil einer gemeinsamen Bewegung In ihrem politischen Kampf für ein anderes System sieht sich die NPD selbst als "parlamentarischen Arm" des "Nationalen Widerstandes" (DS, 02/2009, Seite 16), als Teil einer gemeinsamen Bewegung von Neonazis und NPD. Deutlich wird dies auch an Zitaten aus Interviews mit zwei führenden Aktivisten der Neonazi-Szene, die in der 'Deutschen Stimme' abgedruckt wurden: REchtsExtREmismus 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Der nationale Widerstand hat einen parlamentarischen und einen außerparlamentarischen Arm. Die Partei verfügt über wirkungsvolle Sprachrohre in den Parlamenten und kann vom Staat erhebliche finanzielle Ressourcen durch Mandate und Wahlkampfkostenrückerstattung schöpfen. Die 'Freien' hingegen verfügen über eine außerordentlich aktivistische Szene, deren idealistische Arbeitskraft unbezahlbar ist." (DS 06/2010, Seite 3) Logo der Publikation 'Deutsche Stimme' "Zur 'Reconquista' der Heimat müssen alle beitragen! Die DS im Gespräch mit dem bayerischen Schulungsund Organisationsleiter [...] über 'Radio FSN', die freie Szene und die Partei Frage: Themenwechsel - Sie arbeiten zur Zeit einen Leitfaden für die künftige Zusammenarbeit zwischen Partei und sogenannten 'Freien Kräften' aus. Was wird drinstehen, und woran hapert es Ihrer Meinung nach? Antwort: [...] Der parlamentarische und der außerparlamentarische Arm haben beide Vorund Nachteile, nur in der idealen Kombination kann hier der größtmögliche Erfolg erzielt werden. [...] Im Jugendbereich haben hier die Freien Kräfte natürlich mehr Möglichkeiten, während der Durchschnittswähler natürlich von der NPD angesprochen werden muß." (DS 06/2011, Seite 3) Dabei begreift sich die NPD als "Speerspitze des Nationalen Widerstandes" (DS 08/2009, Seite 18). Der Begriff des "Nationalen Widerstandes" findet sich in der von Neonazis auf Demonstrationen skandierten Parole "Hier marschiert der Nationale Widerstand!" wieder. Wie eng die Verbindungen sind, zeigen die Reaktionen eines NPD-Funktionärs auf die vom Minister für Inneres und Kommunales in NRW ausgesprochenen Verbote von drei Kameradschaften. Am 23. August 2012, genau an dem Tag, als die Kameradschaften in Aachen, Hamm und Dortmund verboten wurden, postete der Mandatsträ42 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ger der NPD in der Bezirksvertretung Dortmund-Eving folgende Äußerungen in Bezug auf Innenminister Jäger auf seinem Facebook-Profil : "Schönen Gruß an Herrn Juden Jäger, du kannst verbieten was du willst den Nationalen Wiederstand Dortmund wirst du NIEMALS brechen du Hund." Und die Reaktion eines anderen Users: "Wahnsinn was heut abging, das war die endgültige kriegserklärung vom judenstaat." Zusammenarbeit mit Neonazis bei Demonstrationen Dass sich NPD und Neonazis als Teil einer gemeinsamen Bewegung verstehen, dokumentieren sie unter anderem durch gemeinsame Demonstrationen. Diese Beteiligung an Demonstrationen begreift die NPD als Teil ihrer Vier-Säulen-Strategie ("Kampf um die Straße"). Ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit von NPD und Neonazi-Szene in NordrheinWestfalen stellen die wiederkehrenden Demonstrationen im rheinländischen Stolberg (Kreis Aachen) dar. In Gedenken an den 2008 durch einen Täter mit Migrationshintergrund erstochenen Kevin P. finden alljährlich im April organisierte Fackelbzw. Trauermärsche statt, die den Tod des damals 19-Jährigen instrumentalisieren und damit ausländerfeindliche Ressentiments vorantreiben wollen. Am 24. März 2012 gab es im Rahmen eines "bundesweiten Aktionstages gegen staatliche Willkür" nach den Exekutivmaßnahmen gegen das rechtsextremistische 'Aktionsbüro Mittelrhein' (siehe Kapitel "Aktionsorientierter Rechtsextremismus - Neonazis") und Unterstützer auch eine Demonstration in Wuppertal. An der vornehmlich von Neonazis durchgeführten Demonstration nahm unter anderem ein bundesweit bekannter Neonazi-Aktivist teil, der zwischenzeitlich auch zum Bundesvorsitzenden der Partei 'Die Rechte' (siehe Kapitel 'Die Rechte') gewählt wurde. Von Seiten der NPD beteiligten sich die Vorsitzende des NPD-KV Düsseldorf/Mettmann und ihr erster Stellvertreter an der Demonstration. Dabei trat die Vorsitzende offenbar als "Ordner" auf und ihr Vertreter als Redner. REchtsExtREmismus 43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Zusammenarbeit mit Neonazis bei Wahlen Neben der Zusammenarbeit von NPD und Neonazis bei Demonstrationen zeigt sich ebenfalls in der Zusammenarbeit bei Wahlen die enge personelle Verflechtung. Den nach dem "4-Säulen-Konzept" der NPD sogenannten "Kampf um die Parlamente" führt die Partei mit dem Ziel, sich eine Plattform für ihre Hetzpropaganda zu schaffen. Aber auch die finanziellen Zuwendungen an die beiden Landtagsfraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen bilden für die NPD wichtige Ressourcen. Die Zusammenarbeit drückt sich - unter anderem - in der Aufstellung gemeinsamer Kandidatenlisten aus. Aber auch bei den Vorbereitungen (zum Beispiel dem Sammeln von Unterstützungsunterschriften, Durchführen von Infoständen, Verteilen von Propagandamaterial etc.) zu Wahlen spielen Neonazis eine wichtige Rolle. Allein wäre die NPD in Nordrhein-Westfalen hierzu nicht handlungsfähig. Welche Einstellung die NPD tatsächlich zum Parlament bzw. zur Arbeit in den Parlamenten hat, drückt der nachfolgende Sachverhalt aus. Nach der gescheiterten Kandidatur eines führenden Neonazi-Aktivisten als Landratskandidat der NPD bei der Kommunalwahl NRW 2009 veröffentlichte die NPD Erftkreis auf ihrer Homepage www.npd-erftkreis.de eine Erklärung "[...] bleibt unser Frontmann!". Auf der Homepage befindet sich auch ein Bericht über den Neujahrsempfang 2009 der NPD Düren. Dort wird der Obengenannte wie folgt zitiert: "Die Feinde sitzen auch im Parlament. Und dort ist es ganz wichtig, dass wir als Systemalternative klarmachen, dass wir mit denen nichts zu tun haben und auch nichts zu tun haben wollen, sondern dass wir in die Parlamente gehen, um ihnen den Kampf anzusagen". Am 14. Oktober 2011 fand auf Einladung von Neonazis eine Saalveranstaltung mit dem Titel "Das Rheinland im Angriff!" statt, an der auch NPD-Funktionäre als Redner teilnahmen. Nachfolgend wird ein Zitat aus einem Redebeitrag des bei YouTube eingestellten Videos wiedergegeben: "Dann frage ich mich doch, was hat uns die von den westalliierten Kriegsverbrechern gebrachte so genannte Demokratie denn seit 1945 beschert? Sie hat uns gebracht eine Überfremdung, die 16 Millionen fremdrassige Ausländer in unser Land gebracht hat. [...] Und da sollen wir ruhig bleiben. Da sollen wir die Füße still halten. Da sollen wir nach dem Munde der 44 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Medien reden. Nein! National und sozialistisch soll unser Kampf sein, ist unser Aufbruch und das ist unser Ziel. Nieder mit den Demokraten! Nieder mit der Überfremdung!" Der Kreisvorsitzende der NPD-KV Dortmund betonte ausdrücklich in einem Forum der 'Deutschen Stimme' im Mai 2012 die Zusammenarbeit mit der neonazistischen Szene in Dortmund: "[...] Ich verfüge über zahllose kameradschaftlicher und teilweise gar freundschaftlicher Kontakte im freien Umfeld Dortmund. Einige unserer Kandidaten und Mitglieder stammen ursprünglich aus der KS-Dortmund." (Quelle: Homepage 'Deutsche Stimme') Strategie der NPD Angeblich bürgernahe Beratungsund Politikangebote der NPD Im November 2011 präsentierte die NPD NRW eine Infobroschüre mit dem Titel "GEZ-Befreiung leicht gemacht". Diese enthielt Tipps zur Befreiung von Rundfunkund Fernsehgebühren sowie zur Erlangung eines Sozialtarifs bei der Deutschen Telekom. Der eigenen Aussage nach erklärte die NPD, "was das herrschende System lieber unter Verschluß halten würde". An anderer Stelle hieß es: "Behörden und etablierte Parteien verschweigen den Menschen ihre Rechte". Anlässlich ihrer Kampagne gegen "Kinderschänder" führten die 'Jungen Nationaldemokraten' (JN) in NRW diverse Mahnwachen, unter anderem in Viersen, Krefeld und Kempen durch. Im Zusammenhang mit dieser Kampagne veröffentlichten die JN NRW auf der Homepage des JN-Bundesverbandes (die eigene Homepage www.jnnrw.net wurde deaktiviert bzw. umgeleitet) ein sogenanntes "Präventivflugblatt Kinderschutz", mit einem Hinweis auf ein Alarmgerät bzw. ein mobiles GSM-Notrufgerät. Im Mai 2012 stand auf der Homepage des NPD-Landesverbandes NRW noch ein sogenannter "Hartz-IV-Ratgeber" zum Download bereit. Die offenbar bundeseinheitliche Broschüre ist für den LV NRW angepasst worden (Angabe der Kontaktadresse des LV NRW und Adressen der Sozialgerichte in NRW). REchtsExtREmismus 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Jugendorientierte Agitation und Versuch der Einflussnahme auf Jugendliche Neben Hartz-IV-Empfängern, und "Russlanddeutschen" und den Menschen, die sich als "Verlierer" der Globalisierung fühlen, gehören vor allem auch Jungwähler zur Zielgruppe der NPD. Dies zeigt ein Interview der DS mit einem führenden Vertreter der Neonazi-Szene: "Gerade die Jungund Erstwähler sind es doch gewesen, die uns in entscheidendem Maße beispielsweise den Weg in den sächsischen Landtag ebneten. Junge Menschen werden vor allem in ihrer Schulzeit entscheidend geprägt [...]. Wir müssen daher vor allem den Kontakt zur Jugend suchen und diese Leute dort abholen, wo sie sind - vor den Schulhöfen." (DS 06/2010, Seite 3) Aber auch auf den gerade von jungen Menschen stark frequentierten sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter begegnet ihnen die NPD mit ihrer Propaganda. Nicht nur bei Facebook und Twitter, auch ein Plakat, mit dem zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften aufgerufen wurde, erscheint in "jugendgerechtem Outfit" Zu Beginn des Wahlkampfes für die Landtagswahl NRW 2010 veröffentlichte der NPD-LV NRW eine Erklärung "Jungwähler gezielt ansprechen". In dieser Erklärung heißt es: "Während die NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zumeist Stimmen von Jungwählern bekam, war es in NRW schwierig, diese Wählergruppe für sich zu gewinnen bzw. dazu zu bewegen überhaupt zu den Wahlen zu gehen. Deshalb hat der Landesvorstand beschlossen, 46 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 die jungen Erwachsenen vor und im Landtagswahlkampf gezielter anzusprechen. Eine Erstwähler-Kampagne soll in Zusammenarbeit mit der JN ausgearbeitet und zum Beginn des kommenden Jahres gestartet werden." Im Verlauf des Wahlkampfes initiierten NPD-LV NRW und JN auch eine gemeinsame Kampagne "Wir oder Scharia". Für erhebliches mediales Aufsehen sorgte die Tatsache, dass die NPD - nach eigener Erklärung - ein entsprechendes Anschreiben an insgesamt 3.000 Schülervertretungen in NRW versandt hatte. Bemerkenswert ist trotz der Bemühungen der NPD um Jugendliche die bundesweit völlig unterschiedliche Entwicklung der Jugendorganisation der NPD - der 'Jungen Nationaldemokraten' (JN). Während in einigen Landesverbänden aktive und arbeitsfähige Strukturen bestehen, ist der JN-Landesverband Nordrhein-Westfalen seit Jahren eher bedeutungslos. Dies liegt vermutlich an der Existenz starker Gruppen von Autonomen Nationalisten (siehe Kapitel Neonazis), die - sofern sie bestehen - offenbar für jüngere und eher aktionsorientierte Jugendliche attraktiver sind als die Jugendorganisation einer Partei. Eine eigene Schülerzeitung, wie in anderen Landesverbänden, hat die NPD in NRW bislang nicht herausgegeben. Auch eine eigene Version der Schulhof-CD der NPD wurde bislang nicht veröffentlicht. Allerdings wurde ein USBStick als Werbeund Propagandamittel hergestellt, der jedoch nicht zur Verteilung kam. Teilnahme der NPD an Wahlen ("Kampf um die Parlamente") Wahlen in anderen Bundesländern In den vergangenen Jahren nahm die NPD an nahezu allen Landtagswahlen teil. Im Berichtsjahr wurden - außer in Nordrhein-Westfalen - noch in zwei anderen Bundesländern neue Landtage gewählt. Bei der Landtagswahl im Saarland am 4. April 2012 erzielte die NPD ein Ergebnis von 1,2% (-0,3%) und bekam damit die staatliche Wahlkampfkostenerstattung. Bei der Landtagswahl am 6. Mai 2012 in Schleswig-Holstein verfehlte sie mit einem Ergebnis von 0,7% (-0,2%) dieses Minimalziel relativ deutlich. Landtagswahl NRW am 13. Mai 2012 Bei der vorgezogenen Landtagswahl am 13. Mai 2012 erzielte die NPD ein Ergebnis von 0,5%. Damit verfehlte sie erneut deutlich die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung und erzielte wiederum eines ihrer schlechtesten Ergebnisse bundesweit. REchtsExtREmismus 47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Das schlechte Abschneiden hier in Nordrhein-Westfalen hat für die NPD damit schon fast "Tradition". Obwohl sie selbst Medienhetze und mangelnde Darstellungsmöglichkeiten im Wahlkampf als Grund für ihr schlechtes Abschneiden ausmacht, liefert sie selbst die tatsächlichen Gründe, die die Partei in den Augen der meisten Wählerinnen und Wähler diskreditieren. Im Wahlkampf hatte die NPD eine NPD-Plakate aus dem "Meldestelle gegen illegale und Jahr 2012 kriminelle Ausländer" eingerichtet. Über die Möglichkeit, angebliche Straftaten über die NPD an die zuständigen Behörden zu melden, sollten die betreffenden Personen letztendlich abgeschoben werden. Auch aus Anlass der Landtagswahl 2012 in NRW präsentierte die NPD-NRW ein neues Flugblatt mit dem Titel: "Jetzt auch in NRW. ABSCHIEBÄR und NPD fordern: Heimreise statt Einreise!" Das ist der zynische Versuch, das Thema Ausländerfeindlichkeit auf vorgeblich humoreske Weise umzuetzen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es werden wiederum Ressentiments gegenüber Migranten geschürt und der Eindruck einer massiven Überfremdung geschaffen. Vor allem der Islam dient als Zielscheibe. Hier werden folgende Forderungen erhoben: : "Keine weitere Einwanderung nach Deutschland! Deutschland ist kein Einwanderungsland! : Rückführung aller kriminellen, kulturfremden und von Sozialleistungen abhängigen Ausländer in ihre Heimat! Schluß mit der Rundum-Alimentation! : Ausgliederung von Ausländern aus dem Sozialsystem - Deutschland ist kein Schlaraffenland für die ganze Welt! : Verbot von weiteren Moscheen und Minaretten in NRW! Der Islam gehört nicht zu Deutschland! : Verbot der Salafisten und ihrer Missionierungskampagnen!" 48 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die Auswahl ihrer Kampagnenthemen wie : Islamfeindlichkeit : "Raus aus dem Euro" und : Asylmissbrauch verschafft der NPD in NRW kaum Aufmerksamkeit. Die hierzu veröffentlichten Materialien bestätigen eher den Eindruck einer extremistischen Partei, die mit populistischen Themen auf der Suche nach Aufmerksamkeit ist. Das Wahlergebnis von 0,5% für die NPD bei der Landtagswahl zeigt, dass die meisten Wählerinnen und Wähler die NPD durchaus richtig einschätzen können. Plakate der NPD Dortmund aus dem Wahlkampf 2012 zur Wiederholung der Kommunalwahl Wiederholung der Kommunalwahl 2009 in Dortmund Erfolgreicher verlief aus Sicht der NPD die Wiederholung der Kommunalwahl in Dortmund am 26. August 2012. Sowohl der Oberbürgermeister als auch der Rat der Stadt und die Bezirksvertretungen mussten neu gewählt werden. Zwar hat die NPD ihr Wahlziel - den Einzug in Fraktionsstärke in den Rat der Stadt - verpasst, dennoch ist es ihr gelungen, die Zahl ihrer Mandate zu steigern. Verfügte sie vor der Wiederholung nur über ein Mandat im Rat der Stadt, so waren es nach der Wahl zwei. Hinzu REchtsExtREmismus 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 kamen insgesamt drei Mandate in drei Bezirksvertretungen (jeweils ein Mandat). Wie das nachstehende Schaubild verdeutlicht, konnte die NPD mit dem Ergebnis von Dortmund die Zahl ihrer Mandate in etwa stabilisieren. Diese hatte sich nämlich seit der Kommunalwahl 2009 durch Parteiaustritte und Parteiausschlüsse merklich reduziert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die NPD mit ihren landesweit etwa 20 Mandaten nicht viel ausrichtet. Von einer kommunalen Verankerung der NPD kann man jedenfalls nicht sprechen. Veränderungen durch die Wahlwiederholung in Dortmund bzw. Parteiaustritte/-ausschlüsse Organisation und Entwicklung Umzug der NPD-Landesgeschäftsstelle von Bochum nach Essen Nachdem die NPD ihre langjährige Landesgeschäftsstelle in Bochum-Wattenscheid im Zuge einer Zwangsversteigerung räumen musste, hat die Partei ihre neue Landesgeschäftsstelle in Essen-Kray eröffnet. Damit bleibt der Sitz der Partei im Ruhrgebiet. Die Verlegung der Landeszentrale hat für erhebliches Interesse in den Medien und der Politik gesorgt. In diesen Fällen werden die rechtlichen Möglichkeiten umfassend geprüft. Aber letztendlich lässt sich der Erwerb einer Immobilie durch Rechtsextremisten nur in Ausnahmefällen verhindern. 50 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 40. NPD-Landesparteitag am 24. September 2012 in Duisburg Am 24. September 2012 fand in Duisburg der 40. Landesparteitag der NPD statt. Obwohl im Vorfeld des Parteitages intern Kritik am glücklosen Führungsstil des Landesvorsitzenden laut wurde, kam es mangels Gegenkandidaten zu seiner Wiederwahl. Bemerkenswert ist die Wahl von drei Vorstandsmitgliedern aus dem Parteiflügel in der NPD, der sich für eine rückhaltlose Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Neonazi-Szene ausspricht, was auch die Aufnahme führender Neonazi-Aktivisten einschließt. Auch Cremer hatte in der Vergangenheit in einem Interview noch ausdrücklich zur Zusammenarbeit eingeladen. Aber gerade im vergangenen Jahr hatte sich das Verhältnis zur Kameradschafts-Szene extrem verschlechtert. Mit der Wahl der drei neuen Vorstandsmitglieder aus dem Umfeld der Kameradschafts-Szene wird der Landesvorsitzende deutlich geschwächt. Mitgliederentwicklung stagniert ebenso wie Ausbau der Strukturen Im Berichtsjahr verzeichnete die NPD eine Stagnation bei der Mitgliederentwicklung. Während man im Vorjahr vollmundig das 1.000. Mitglied für den Landesverband werben wollte, hat die Partei am Ende des Jahres 2012 gerade annähernd ihren Mitgliederbestand bei etwa 700 gehalten. Während einerseits die Wiederbelebung des Kreisverbandes Wesel/Bocholt und die Gründung eines Stadtverbandes Gelsenkirchen vermeldet wurde, ist der ehemalige Kreisverband Duisburg weiter inaktiv. In den Regierungsbezirken Münster und Detmold deckt jeweils ein einzelner Kreisverband den gesamten Regierungsbezirk ab. Damit kann die NPD keinen Wahlkampf führen und ist auch in diesen Gebieten kaum aktionsfähig. Ausblick Die Krise der NPD hat sich im Berichtsjahr verschärft. Der Zusammenschluss mit der DVU, der sich aufgrund anhängiger Gerichtsverfahren länger hingezogen hatte, als von der NPD erwartet, hat nicht den erhofften Zuwachs an Mitgliedern gebracht. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die NPD nach Abschluss der Fusion auf Bundesebene weniger Mitglieder hat als vorher. Auch finanziell drohen der NPD wegen fehlerhafter Rechenschaftsberichte Rückforderungen bzw. Strafzahlungen durch die Bundestagsverwaltung. Im Landesverband Nordrhein-Westfalen kommen auch strukturelle Probleme hinzu. Ganze Kreisverbände lösen sich auf. Hinzu kommt das ambivalente Verhältnis zur REchtsExtREmismus 51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Neonazi-Szene, welches zwischen Kooperation und Konflikt schwankt. Dabei ist die NPD auf die Unterstützung der Neonazis gerade bei Wahlkämpfen zwingend angewiesen. Zudem betritt mit 'Die Rechte' ein weiterer politischer Konkurrent die Arena. Schon gegen die Bürgerbewegung 'pro NRW' war die NPD ins Hintertreffen geraten. Die Zersplitterung des rechtsextremistischen Parteienspektrums dürfte dazu beitragen, dass den Parteien die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung erschwert wird, weil deshalb womöglich keine der drei Parteien die maßgeblichen Hürden bei den verschiedenen Wahlen überschreitet. 2.1.2 Bürgerbewegung pro Köln e.V. und Bürgerbewegung pro NRW 'pro Köln e.V.' 'pro NRW' Gründung 1996 2007 Sitz Köln Düsseldorf Mitglieder 2012 2012 insgesamt bei 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' ca. 1.000 Vorstand Markus Beisicht, Vorsitzender; Markus Beisicht, Vorsitzender; Judith Wolter, stellvertretende Markus Wiener, GeneralseVorsitzende; kretär; Judith Wolter, SchatzMarkus Wiener, stellvertretenmeisterin der Vorsitzender; Karel Schiele, Schatzmeister Publikation 'PRO KÖLN - Informationen 'PRO NRW - Informationen der Fraktion pro Köln im Rat der Bürgerbewegung pro der Stadt Köln' NRW' Internet Homepage, verantwortlich Homepage, verantwortlich Markus Beisicht Markus Beisicht Rechtsform Verein mit Mandaten im Rat Partei, überwiegend persoder Stadt Köln nenidentisch mit 'pro Köln e.V.', Mandate in Kreistagen und Stadträten 52 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' werden vom Verfassungsschutz beobachtet, weil bei diesen Gruppierungen tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen9. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben sich aus einer Vielzahl von Äußerungen durch Aktivisten von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' und deren Redebeiträge auf Kundgebungen sowie durch Artikel, die zum Teil noch im Archiv ihrer Internetseiten abgelegt sind. Auch Kontakte zu anderen, teilweise rechtsextre- 9 Gegen ihre Erwähnung hat 'pro NRW' Klage erhoben; zum Ausgang des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 28. Mai 2013 folgende Presseerklärung abgegeben: "Klage von "pro NRW" überwiegend ohne Erfolg Mit dem heute in öffentlicher Sitzung verkündeten Urteil hat die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf die Klage der Partei "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") gegen deren Erwähnung in dem Verfassungsschutzbericht 2009 sowie in dem Zwischenbericht 2010 abgewiesen und ihr - soweit sie gegen die Erwähnung der Partei in dem Verfassungsschutzbericht 2010 gerichtet war - teilweise stattgegeben. In der mündlichen Urteilsbegründung führte die Vorsitzende im Wesentlichen aus: Das beklagte Land sei berechtigt gewesen, zum Zwecke der erforderlichen Aufklärung der Öffentlichkeit in dem Verfassungsschutzbericht 2009 sowie in dem Zwischenbericht 2010 über die Klägerin als Verdachtsfall für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Bereich des Rechtsextremismus zu berichten. Darüberhinaus rechtfertige es die Faktenlage grundsätzlich auch, die Klägerin im Verfassungsschutzbericht 2010 als eine Bestrebung darzustellen, die über den bloßen Verdachtsfall hinausgehend als verfassungsfeindlich einzuschätzen sei. Als rechtswidrig zu beanstanden seien allerdings zwei Passagen auf Seite 68 des Verfassungsschutzberichts 2010. Denn die Faktenlage erlaube dem beklagten Land nicht die Darstellung, die Klägerin spreche Muslimen ihr Grundrecht auf freie Religionsausübung generell ab. Hinsichtlich zweier von der Kammer im Verfassungsschutzbericht 2010 überdies gerügter Zitate auf den Seiten 60 und 61 zur Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen hat das beklagte Land bereits in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass diese unrichtig und damit rechtswidrig seien; es hat eine entsprechende Richtigstellung zugesagt. Gegen das Urteil ist Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster möglich. Aktenzeichen: 22 K 2532/11". REchtsExtREmismus 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 mistischen, zumindest aber fremdenfeindlichen Organisationen im Inund Ausland tragen zu dieser Einschätzung bei. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in seiner Entscheidung vom 15. Februar 2011 festgestellt, dass 'pro NRW' Minderheiten, namentlich Ausländer, Migranten und Muslime in menschenrechtswidriger Weise herabsetzt und ausgrenzt und das Ziel verfolgt, gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, in denen die Menschenwürde dieser Minderheiten nicht geachtet wird. Außerdem heißt es im Urteil: "Mit der in ihrem Programm und ihren Veröffentlichungen zum Ausdruck kommenden Herabsetzung der genannten Minderheiten geht die Klägerin (Anm.: 'pro NRW') weit hinaus über die bloße - im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit zweifellos erlaubte - Benennung von (selbst als Missständen empfundenen) allgemeinen gesellschaftlichen Zuständen, konkrete Ablehnung bestimmter Projekte wie Moscheebauvorhaben sowie generelle Kritik an Verfassungswerten." Das Oberverwaltungsgericht Münster hat dieses Urteil mit Beschluss vom 23. Mai 2012 bestätigt10. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' missachten Menschenrechte 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' missachten mit ihren Aussagen und Forderungen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot. Migranten werden durch 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit pauschal herabgesetzt und diffamiert. Entsprechende Aussagen werden ständig wiederholt; im Fokus stehen fast ausschließlich die Themen Migration und Islam, verbunden mit einer drastischen Wortwahl. So wird den Bürgern ein negatives Menschenbild über Migranten und Muslime vermittelt, wobei ausschließlich an deren Nationalität, Religions-, Staatsoder ethnische Zugehörigkeit angeknüpft wird. Eine differenzierte Betrachtung, die andere Aspekte einbezieht, wird fast vollständig ausgeblendet. Bestimmte ethnische und religiöse Gruppen, insbesondere Muslime, werden als 10 Durch redaktionelle Fehler ist die Darstellung der Rechtsprechung im Verfassungsschutzbericht 2010 auf den Seiten 60 und 61 sowie im Verfassungsschutzbericht 2011 auf den Seiten 52 und 53 unrichtig und damit rechtswidrig. 54 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 unerwünschte, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt. Mit dieser Art der Darstellung schüren 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Ablehnung und Angst in der Bevölkerung. Wenn sich 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' immer wieder geradezu demonstrativ zum Grundgesetz bekennen und sich gegen jede Form von Extremismus verwahren, wirkt dies taktisch motiviert. Agitation und Propaganda stehen zumindest in Teilen in offenem Widerspruch zur vordergründig wirkenden Bejahung der Verfassungsgrundsätze des Grundgesetzes. Äußerungen und Aktivitäten haben die tatsächliche Ausrichtung auch in 2012 wieder erkennen lassen. Mit Stereotypen wird häufig ein Bedrohungsszenario gezeichnet, für das einseitig bestimmte Bevölkerungsteile verantwortlich gemacht werden. Wortwahl und Argumentationsmuster lassen ein Menschenbild deutlich werden, das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' schüren Fremdenfeindlichkeit 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' schüren latente Ängste vor Überfremdung und verbreiten fremdenfeindliche Ressentiments. Auf der Homepage von 'pro NRW' wird ein düsteres Bild über heraufziehende Gesundheitsgefahren für die einheimische Bevölkerung durch die Masseneinwanderung gezeichnet: "Längst ausgestorbene Seuchen kommen durch die Masseneinwanderung nach Köln zurück und stellen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Allgemeinheit dar." Außerdem unterstellt 'pro NRW' Einwanderern, bei denen beispielsweise eine Lungentuberkulose diagnostiziert worden sei, eine Verweigerung der "amtlich vorgeschriebenen Behandlung". Als Lösung sieht 'pro NRW' nicht etwa eine gezielte gesundheitliche Aufklärung, sondern fordert: "Renitente Therapieverweigerer gehören in ihre Herkunftsländer abgeschoben". In einer Postkartenaktion gegen den EU-Beitritt der Türkei hetzt 'pro NRW': "eine perspektivlose Jugend will nach Deutschland und nach Europa. Täglich kommen tausende nicht integrierbare Menschen zu uns." Das Thema "Einbürgerung" veranlasste einen Ratsvertreter von 'pro Köln e.V.' zu folgender Äußerung: REchtsExtREmismus 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Wer sich als Türke fühlt, der soll und darf auch Türke bleiben. Der bundesdeutsche Pass ist mehr als ein Bezugsschein für Hartz IV." Pauschal und undifferenziert wird der angebliche Missbrauch der Sozialsysteme durch Migranten beklagt: "Massenzuwanderung, zumeist in unsere sozialen Sicherungssysteme." 11 Der Bundesgeschäftsführer der mit 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' personell eng verbundenen 'Bürgerbewegung pro Deutschland*' befindet in diesem Zusammenhang in einem Interview: "Multikulti ist eben keine Friede-Freude-Eierkuchengesellschaft, sondern eine erbarmungslose Ellenbogengesellschaft, die den Schwachen an den Rand drängt". Die Botschaft, die vermittelt werden soll, ist offensichtlich: Multikultur ist verantwortlich für soziale Probleme in der Gesellschaft. Auf einer Linie mit der NPD liegt die Forderung der Jugendabteilung von 'pro NRW', 'Jugend pro NRW', "Ausbildungsplätze zuerst für Deutsche!" (aus dem Flyer der 'Jugend pro NRW' "Eine starke Rechte für NRW"). Von der NPD ist die Parole "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" seit Jahren bekannt. 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' verbreiten islamfeindliche Vorurteile Eine besondere Form der Fremdenfeindlichkeit stellt die Islamfeindlichkeit dar. So ist der Schwerpunkt der Kampagnen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' darauf angelegt, Vorurteile über Muslime zu verbreiten, um Ängste zu wecken oder zu verstärken. 'Pro NRW' ist teilnehmende Organisation bei der Initiative "Städte gegen Islamisierung". Auf der Homepage beschreibt diese Initiative ihre Ziele wie folgt: "'Städte gegen Islamisierung' widersetzt sich der multikulturellen Ideologie, die dazu führt, dass die hier ansässigen Muslime in zunehmenden Mabe ihre eigenen Werte auch in der Öffentlichkeit befolgen können, was de facto zu einer Institutionalisierung dieser Religion." [fehlendes Satzende im Original]. 11 'Pro NRW'-Homepage, Zugriff am 23. September 2009. 56 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Im Rahmen einer 2010 von 'pro NRW' veranstalteten "Anti-Minarett-Konferenz" war der Fraktionsvorsitzende des 'Vlaams Belang' wie bei zahlreichen anderen Veranstaltungen dieser Art einer der Hauptredner. Er bezeichnete den Islam als "Eroberungsreligion" und als "Raubtier", welches bereit sei, "sich auf das schwächste Opfer zu stürzen". Seine Ausführungen gipfelten in der These: "Wie Aids der physischen Wehrhaftigkeit eines Menschen schadet, so untergräbt die Multikultur die demografische Wehrhaftigkeit eines ganzen Volkes und einer Zivilisation." Hier klingt die ansonsten nur im orthodoxen Rechtsextremismus übliche Analogie eines homogenen Volkskörpers an, der von einer zerstörerischen Kraft von außen - hier "Multikultur" (gemeint sind Menschen mit einer Migrationsbiografie, Anm. der Red.) - zersetzt wird. Menschen anderer Kulturkreise oder Religionszugehörigkeiten werden in diesem Sinne offensichtlich als tödliche Krankheit gesehen, die das Immunsystem des "Volkskörpers" unwiderruflich schädigen. Als Gegenmittel bleibe die "Überlegenheit unsere eigenen Zivilisation zu verteidigen" und die "dritte islamische Invasion" gegen den "Erbfeind Europa" zu stoppen. Weitere Beispiele islamfeindlicher Agitation des 'Vlaams Belang'-Funktionärs: "Es kommt jetzt drauf an, [...] den Islam zurückzudrängen zum Ort, an den er hingehört: der anderen Seite des Mittelmeeres." Und "Wir müssen es wagen Europa für die Europäer einzufordern und warum nicht auch danach streben Istanbul wieder zu Konstantinopel zu machen." Diese Äußerungen wurden von der Anhängerschaft auf einer herausgehobenen Veranstaltung im Jahr 2010 zustimmend aufgenommen. Zudem lud die pro-Bewegung den Funktionär in den letzten Jahren wiederholt ein. Insofern sind die vorgetragenen Positionen der pro-Bewegung zuzurechnen. Die Rede steht im Kontext ihrer langjährigen islamfeindlichen Kampagne, in der der Islam als Bedrohung dargestellt wird. In diesen konkreten Äußerungen stellt der Redner Muslime als unerwünschte Personen REchtsExtREmismus 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 dar. Die Ausführungen lassen sich dahingehend verstehen, dass das politische Ziel ein weitgehend islamfreies Europa ist.12 In 2012 war auf der Homepage von "Städte gegen Islamisierung" in der Rubrik "Aktualität" unter der Überschrift "250 Euro für jeden, der eine Burkaträgerin aufspürt und bei der Polizei zur Anzeige bringt" zu lesen, dass der gleiche 'Vlaams Belang'Funktionär eine Prämie für das Denunzieren von Burkaträgerinnen ausgelobt habe. Dies sei eine noch nie dagewesene Aktion, die "wieder genügend Staub aufwirbeln wird". Auf die Frage, ob dies eine Aktion des 'Vlaams Belang' sei, antwortete er in einem Interview auf der gleichen Seite: "Ja, diese Aktion geht von der Organisation 'Städte gegen Islamisierung' aus, welche der Islamisierung unserer Heimat Einhalt gebieten will und deren Vorsitzender ich bin". Losgelöst von der durchaus kontrovers geführten Diskussion um etwaige Burka-Verbote in europäischen Staaten, handelt es sich bei diesem Aufruf zur Denunziation um ein perfides Beispiel von Diskriminierung und Anstachelung zum Hass. Einer sachlichen Debatte dieser Thematik wird damit jegliche Grundlage entzogen. Kurz vor dem Bekanntwerden dieser "Prämien-Aktion" war der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' Markus Beisicht als Gastredner beim Wahlkampfauftakt des 'Vlaams Belang' in Belgien und unterstrich dort die partnerschaftliche, enge Verbundenheit "für den Erhalt eines aufgeklärten und christlich-abendländisch geprägten Europas" zu arbeiten. Der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' polemisiert auch selbst gegen den Islam und Muslime: "Überall wird vor der islamistischen Herausforderung zurückgewichen: Eine Extrawurst beim Kantinenspeiseplan, Frauenschwimmen und Mädchensport, eine abgesagte Theateraufführung oder Weihnachtsfeier, Au12 Die früheren Bewertungen im Verfassungsschutzbericht 2010 auf der Seite 68, 1. Absatz, 2. Halbsatz sowie im Verfassungsschutzbericht 2011 auf Seite 60, 3. Absatz, 2. Halbsatz "[...] weil eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich diejenige, die den Islam als Religion ausübt, pauschal und undifferenziert von der Wahrnehmung elementarer Grundrechte - darunter der Religionsfreiheit - ausgeschlossen wird." und im Bericht 2010 auf S. 68, 3. Absatz von unten sowie im Verfassungsschutzbericht 2011 und S. 56, 4. Absatz "Diese Äußerungen sprechen Muslimen nicht nur ihr Grundrecht auf freie Religionsausübung ab, sondern negieren ein Existenzrecht und Bleiberecht dieser Bevölkerungsgruppe in ganz Europa. Beides steht in krassem Widerspruch zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung" werden von der Faktenlage nicht getragen und sind daher rechtswidrig. 58 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 gen zu bei kulturellen Besonderheiten, wie 'Zwangsehe' oder 'Ehrenmord', gern mal ein schariakonformes Urteil und schon ist NRW wieder ein bisschen muslimischer." Vor dem Hintergrund der andauernden Integrationsdebatte und der in ihr unter anderem zum Ausdruck kommenden Überfremdungsängste werden diese Themen dazu missbraucht, Islamfeindschaft zu schüren. Dahinter steht der Versuch von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', diese in der Gesellschaft diskutierten Themen zu nutzen, um so die eigenen weitergehenden nationalistischen Sichtweisen und Forderungen über den rechtsextremistischen Rand hinaus bis weit in die Mitte der Gesellschaft zu verbreiten. Der "Kampf" gegen "den Islam" dient dabei als Türöffner. Dies hatte der Vorsitzende von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' in einem Interview freimütig eingeräumt: "Das Thema Islamisierung drückt die Menschen und es liegt uns politisch nahe, also haben wir es uns ausgesucht. [...] Gerade in Großstädten kann man damit punkten! Wir haben die Marktlücke besetzt, und es ist uns der Einbruch in Schichten gelungen, die wir sonst nicht erreicht hätten." Deshalb wird bewusst nicht zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Strömung unterschieden. Vielmehr erfolgt eine diskreditierende Gleichsetzung des Islams, der als "Politreligion" bezeichnet wird, mit Kriminalität und Terrorismus. In einem 'pro NRW'-Flyer "Nein zu Großmoscheen, Minaretten und Muezzinruf! Islamistische Terrorgefahr bekämpfen!" wird diese Gleichsetzung von Islam und Terrorismus wie folgt suggeriert: "Die kulturelle und ethnische Überfremdung unserer Städte steht in einem direkten Zusammenhang mit den Kölner Kofferbomber-Attentätern, der Sauerländer Terrorzelle oder den Duisburger Fanatikern!" Der gleiche Ansatz findet sich in einem Flyer der 'pro NRW'-Fraktion Dormagen: "Durch eine unkontrollierte Masseneinwanderung aus dem außereuropäischen, oftmals islamischen Kulturkreis haben wir jetzt - im wahrsten Sinne des Wortes - eine tickende Zeitbombe mitten in Hackenbroich wie in ganz Dormagen. Direkt unter uns haben sich islamistische Terrorzellen gebildet." REchtsExtREmismus 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auf den Punkt bringt es eine vom Vorsitzenden von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' im Zuge der Diskussion um eine von Salafisten betriebene Einrichtung in Mönchengladbach getroffene Feststellung: "Die Unterscheidung zwischen bösen Salafisten und guten Muslimen ist im Großen und Ganzen Volksverdummung. Auch, wenn das von den Hütern der Political Correctness anders gewünscht ist. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Der Islam an sich ist freiheitsfeindlich und achtet die Menschenrechte nicht. Salafisten wie normale Muslime stellen die Scharia über das Grundgesetz." Für einen als Förderer und Unterstützer der Pro-Bewegung vor allem im letzten NRWLandtagswahlkampf in Erscheinung getretenen deutsch-schwedischen Unternehmer, vorher als NPD-Sponsor und Mitglied der DVU bekannt und zwischenzeitlich zum "Internationalen Sekretär" der pro-Bewegung bestimmt, gipfelte diese Sichtweise in der Forderung: "Wir brauchen [...] in Deutschland eine Rechte, die nicht Israel zum Feind erklärt, sondern den Islam." Der Islam insgesamt wird als Feindbild von 'pro Köln e.V.'/'pro NRW' propagiert, um die Ausgrenzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe und pauschale Schuldzuweisungen an diese zu rechtfertigen. Das Fundament dieses Feindbildes sind Verallgemeinerungen und die Reduzierung auf eine ganze Glaubensgemeinschaft wird so unter Generalverdacht gestellt und verantwortlich gemacht Beispiele für die Verbreitung islamfeindlicher Vorurteile für eine Vielzahl gesellschaftlicher durch 'pro NRW' Missstände und Bedrohungen. Phänomene wie Zwangsheiraten, Ehrenmorde, Jugendgewalt und Terrorismus werden ausschließlich und undifferenziert mit dem Islam in Verbindung gebracht. Besonders deutlich wurde dies schon während einer Wahlkampf-Kundgebung im August 2009 in Köln in der Rede eines damaligen Stadtratskandidaten von 'pro Köln e.V.': 60 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Wer für die Islamisierung dieses Landes ist, der ist ganz klar für die Zwangsheirat egal in welchem Alter, für Ehrenmorde, für die Entrechtung der Frau, für die Beschneidung von Frauen, der ist auch dafür, dass Frauen schlechter behandelt werden als Tiere, der ist dafür, dass Frauen bestraft werden, wenn sie vergewaltigt werden, der ist für Auspeitschung, der ist für Steinigung, für Folterung und Hängen und der ist für die Auslöschung unserer Kultur." "[...] und ich garantiere Ihnen, die Reichskristallnacht wird wiederkommen. Allerdings werden diesmal in Köln Christen und Juden durch die Straßen getrieben, von den Islamisten verfolgt und getötet. Wollt Ihr das wirklich? Wenn Sie die Islamisierung und den Antisemitismus fördern wollen, dürfen Sie nicht pro Köln e.V. wählen, wenn sie Demokratie und die Menschlichkeit wollen, müssen Sie 'pro Köln e.V.' wählen. Sie können am 30. August die Kandidaten in den Orient schicken. Die Fahrkarten dazu kaufen wir, allerdings ist das nur eine Einfachfahrkarte." [Anm: wörtliche Mitschrift]. Der gleiche 'pro Köln e.V.'-Aktivist veröffentlicht 2011 einen "Offenen Brief an die Bundeskanzlerin". Darin erläutert er, warum er Türke werden wolle. Der auf den ersten Blick persiflierend anmutende Brief beinhaltet bei genauer Betrachtung ähnliche islamfeindliche Ressentiments: "Ich möchte Ausländer werden! [...] ich meine einen klassischen Ausländer [...]. Ich möchte Türke werden. Es gibt in diesem Land so viele Türken, [...]. Das tägliche Leben wird einem erheblich erleichtert, wenn man Ausländer ist. Es gibt unermeßliche Vorteile [...] Und wenn ich Türke geworden bin, konvertiere ich zum Islam. Das mache ich deshalb, weil da so viele tolle Dinge drinstehen, z. B. daß man seine Frau züchtigen darf." [Anm. der Red.: Fehler im Original]. Ferner veröffentlichte und verbreitete 'pro Köln e.V.' in 2009 eine DVD mit dem Titel "Hat pro Köln doch recht?". In dem Film wird ein Diagramm eingeblendet, das angeblich auf einer Erhebung des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin beruhen und Aufschluss über Gewaltdelikte in Berlin im Jahr 2003 geben soll. Von insgesamt 15.500 Gewalttaten sollen danach 12.200 von Muslimen, 2.950 von sonstigen Ausländern und lediglich 350 Delikte von Deutschen begangen worden sein. Tatsächlich gibt es REchtsExtREmismus 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 eine solche Statistik des LKA Berlin nicht, auch die verwendeten Zahlen stammen nicht von dort. Die Statistik ist darüber hinaus hochgradig unseriös und in sich unschlüssig, weil nicht zwischen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeiten unterschieden wird, sondern diese in unzulässiger, verfälschender Weise vermengt werden. In der Statistik sind zum Beispiel die deutschen Muslime mit und ohne Migrationshintergrund nicht klar eingeordnet. Die Botschaft, die 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' oder deren Aktivisten zu vermitteln versuchen, ist einfach: Der Islam ist eine Bedrohung für unsere Demokratie und Kultur, diese Religion und ihre Anhänger gehören nicht hierher. Damit wird die Grenze zwischen legitimer Auseinandersetzung mit dem Islam und instrumentalisierender Islamfeindlichkeit mit extremistischen Zügen überschritten. Was dies in letzter Konsequenz bedeutet, formuliert wiederum der zuvor schon genannte deutsch-schwedische Sponsor und "Internationale Sekretär" der pro-Bewegung so: "Wenn ein Türke hier von diesem barbarischen Glauben abschwört und zum Christentum konvertiert, dann ist er kein Problem. Das werden nicht viele sein, so dass Integration unproblematisch wäre. Heutige Integration ist ein Fass ohne Boden, sie ist unbezahlbar und sinnlos." Der Organisator und Versammlungsleiter der "Freiheit-statt-Islam-Tour" zum nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2012 erläuterte in einem Interview mit dem 'pro NRW' nahestehenden Internetportal "freiheitlich.me" seine Einstellung zum Islam wie folgt: "Weil eben 'Allah' nicht Gott ist, ist er ein Götze. [...] Der Islam ist also ein gefährlicher Aberglaube und geradezu ein Teufelswerk, da er Menschen systematisch davon abhält, das wahre Heil und damit Gott zu finden. Aus dieser Sichtweise heraus empfinden wir als Christen keinen Hass gegenüber diesen armen Menschen, die mit ihrer Zugehörigkeit zum Islam ein sicheres Ticket für eine Fahrt in die Hölle gebucht haben". 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' werten Minderheiten ab und grenzen sie aus Die pro-Gruppierungen werten aber nicht nur Muslime pauschal ab und grenzen sie aus, sondern auch andere Minderheiten. Die ethnische Gruppe der Roma und Sinti wird als kriminell und nicht integrierbar dargestellt. Die Interessensverbände der Sinti 62 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und Roma bezeichnet der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', Markus Beisicht am Rande eines Artikels auf der 'pro NRW'-Homepage als "Interessensverbände für organisierte Kriminalität". Der Bundesgeschäftsführer der 'Bürgerbewegung pro Deutschland*' konstatiert in einem Interview eine schleichende Verdrängung zu Ungunsten deutscher Obdachloser. "Diese Verdrängung ist inzwischen auch im Straßenbild sichtbar, was sicherlich auch daran liegt, daß Zigeuner aggressiver betteln". [Anm. der Red.: Fehler im Original]. Neben den abwertenden Äußerungen zu ethnischen Minderheiten agitiert 'pro Köln e.V.' auch gegen sexuelle Minderheiten. Homosexuelle werden subtil verächtlich gemacht und durch diffamierende Formulierungen herabgesetzt. So werden Fördermaßnahmen für Homosexuellen-Projekte abgelehnt und durch eine entsprechende Wortwahl der Lächerlichkeit preisgegeben. Folgende beispielhafte Aussagen in einem Artikel auf der Homepage von 'pro Köln e.V.' sind geeignet, Aversionen und Vorurteile zu schüren: "Homo-Lobbyisten" "ein besonderer Nutzen für das Fortbestehen des Gemeinwesens (Kindernachwuchs!) ist beim besten Willen nicht zu erkennen" "'Wunschlosglücklichmachung' für homosexuelle Senioren" "zusätzliche 40.000 Euro müssen her, um nur ja viele Jugendliche auf den richtigen sexuellen Weg zu bringen".13 Strategie von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Die Pro-Gruppierungen als vermeintliche Bürgerbewegung "gegen die da draußen" 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' stilisieren sich selbst zur "Bürgerbewegung". Der Begriff soll Bodenständigkeit sowie eine politische Kraft suggerieren, die sich aus der Gesellschaft heraus entwickelt und eine stetig steigende Zahl von Mitstreitern anzieht. Die Mitglieder gerieren sich als seriöse Bürger, die aus der "Mitte der Gesellschaft" kommen. Ihre ideologischen Ansätze werden als "rechtspopulistisch", "nonkonform", "gegen die Political Correctness gewandt" oder "freiheitlich" kaschiert. 13 www.pro-koeln-online.de/artikel4/homo-lobby.htm. REchtsExtREmismus 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' versuchen die Bedeutung der "Bewegung" künstlich zu steigern, indem sie Mitgliederzahlen und Teilnehmer bei Veranstaltungen regelmäßig übertrieben darstellen. So haben beispielsweise an der Demonstration gegen die Merkez Moschee in Duisburg im März 2010 nur 150 Personen teilgenommen - entgegen der Ankündigungen von über 2.000. Von den tatsächlichen Teilnehmern gehörte zudem gut ein Drittel zum Anhang der Partei 'Vlaams Belang', die aus Belgien angereist waren. Auch beim "Marsch für die Freiheit" 2011 in Köln nahmen anstatt der angemeldeten 1.000 Teilnehmer (zunächst war sogar von 2.500 die Rede) lediglich um die 300 Personen teil. Anknüpfungspunkt von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' bei ihrer islamfeindlichen Agitation sind Überfremdungsängste und fremdenfeindliche Ressentiments. Neuerdings ist man verstärkt bemüht, sich zusätzliche weitere aktuelle Themenfelder als Kampagnenschwerpunkte zu erschließen. So wurde Mitte 2011 von 'pro NRW' ein "Aktionstag" ausgerufen, an dem in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens unter dem Motto "Raus aus dem Euro" demonstriert wurde. Auch auf Flyern wurde mit diesem Slogan geworben. 2012 kamen weitere, in der Bevölkerung und den Medien diskutierte, streitbare Themen, wie "Benzinoder Strompreise" und "ESM-Rettungsschirm" hinzu. Damit versuchen 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' von ihrem Image als fremdenfeindliche Bestrebung, mit der thematischen Verengung auf die Themen "Ausländer", "Islam" oder "Muslime" weg zu kommen und als "Kümmererpartei" mit dem gleichen strategischen Ansatz wie auch die NPD Interesse bei Bürgern zu wecken, die zwar Rechtsextremismus grundsätzlich ablehnen, aber der sogenannten "Eurorettung" oder der Preispolitik diverser Industriezweige kritisch gegenüberstehen. Einflussnahme der Pro-Gruppierungen auf die Öffentlichkeit 'Pro Köln e.V.' und 'pro NRW' zielen - wie im parlamentsorientierten Rechtsextremismus zum Beispiel auch bei der NPD üblich - auf politischen Einfluss und eine Art Meinungsführerschaft (kulturelle Hegemonie) in der Gesellschaft. Es geht zunächst darum, über die kommunale Ebene (Gemeindeund Stadträte sowie Kreistage) Mandate und damit politischen Einfluss zu gewinnen, um in einem nächsten Schritt in den Landtag einzuziehen und später möglicherweise sogar die Bundespolitik zu erreichen. Jedoch gelingt es ihnen nicht, über die Kommunalpolitik politische Diskussionen und Entscheidungen zu beeinflussen. Sie nutzen die "Kommunalparlamente" eher für symbolische Debatten als für Sacharbeit. 64 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Darüber hinaus nutzen die pro-Gruppierungen intensiv das Internet. Neben den Homepages von 'pro Köln e.V.', 'pro NRW' sowie Präsentationen einzelner Bezirksverbände gibt es Seiten von 'Jugend pro Köln e.V.', 'Jugend pro NRW' und 'Christen pro Köln e.V.'. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Nutzung von sozialen Netzwerken etwa YouTube, Facebook und Twitter sowie der regelmäßige Versand eines Newsletters. Vor allem setzen die pro-Gruppierungen auf provokante außerparlamentarische Aktivitäten, um eine Berichterstattung in den Massenmedien auszulösen. Nach den Anti-Islam-Kongressen 2009, 2010 und 2011 versuchte man eine weitere Steigerung, indem man "islamkritische Karikaturen", die entsprechende Gegenproteste von muslimischen Bürgern auslösen mussten, bei Kundgebungen vor Moscheen zu zeigen. Diffamierung als strategisches Mittel der politischen Auseinandersetzung Im politischen Diskurs bedienen sich 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' häufig einer massiven Polemik. Im Vordergrund steht dabei nicht eine legitime Kritik, sondern die herabsetzende, verächtlich machende Schmähung des politisch Andersdenkenden. Politische Gegner werden als "verbrauchte Altparteien" oder "Blockwarte der Political Correctness" verunglimpft, Polizisten als "uniformierte 'Gralshüter der Political Correctness'" verhöhnt. Das Stilmittel der Polemik begleitet nicht die Argumentation in der Sache, sondern es ersetzt sie. So wird beispielsweise unter der Überschrift "Migrantengezeter zur konstituierenden Sitzung des Kölner Integrationsrates" dessen Vorsitzender als "Berufstürke" diffamiert, der dieses Gremium zur Lösung der eigenen sozialen Frage missbrauche. Die durch das Bundesministerium des Innern (BMI) ins Leben gerufene Islamkonferenz wird als "politische Selbstbefriedigung von Funktionären" beschrieben. Dieses Zusammentreffen sei das geistige Ergebnis der 68er-Gutmenschen-Utopie, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft auf "Rappelkisten-Niveau" regeln wolle. Weiter heißt es: "Der Einzige, der von dieser opulenten Zusammenkunft etwas haben wird, das ist irgendein privilegierter Catering-Service". In einer Rede anlässlich einer Demonstration im November 2011 in Köln bezeichnete der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.', den Kölner Oberbürgermeister als "Salon-Bolschewisten". Bei der gleichen Veranstaltung beschimpfte ein Ratsmitglied von 'pro Köln e.V.', der gleichzeitig Präsident der 'Kommunalpolitischen Vereinigung REchtsExtREmismus 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der PRO-Bewegung*' ist, einen an der Gegendemonstration teilnehmenden Bundestagsabgeordneten der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" als "Gauleiter", "grüne SA" und "Müsli-Nazi". Einen anderen Bundestagsabgeordneten nannte wiederum der Vorsitzende von 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' auf der 'pro NRW'-Homepage "CDUHassprediger aus Bergisch-Gladbach". Gegen die Sicherheitsvorkehrungen der Polizei anlässlich einer sogenannten Mahnwache von 'pro NRW' in Bonn im Herbst 2012 polemisierte der Vorsitzende Markus Beisicht wie folgt: "Die Botschaft ist klar. Islamkritische Veranstaltungen sollen offenbar in Bonn in bester weißrussischer oder nordkoreanischer Tradition praktisch unmöglich gemacht werden". Aktivitäten von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' "Maximale Provokation" - pro NRW-Landtagswahlkampf In Vorbereitung auf die vorgezogene Landtagswahl 2012 in Nordrhein-Westfalen forderte der Vorsitzende von 'pro NRW' auf einer Funktionärskonferenz bei diesem Wahlkampf auf "maximale Provokation" zu setzen. "Wir werden bis an die Schmerzgrenze gehen, um z. B. unsere islamkritische Position zu verdeutlichen und die Themen Überfremdung und Islamisierung auf die Tagesordnung des Wahlkampfes zu bringen", betonte er. Die Mitglieder und Aktivisten seien hoch motiviert und würden den "Deutschlandabschaffern" von CDU, SPD und Co. schlaflose Nächte bereiten. Um dem selbst auferlegten Anspruch auf größtmögliche Provokation zu entsprechen, startete 'pro NRW' im März 2012 einen "islamkritischen Karikaturenwettbewerb". Man kündigte an, die eingereichten Beiträge auf der Wahlkampftour "Freiheit statt Islam" vor Moscheen auszustellen und daneben im Internet zu veröffentlichen. Außerdem werde ein nach dem bekannten dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard benannter Ehrenpreis ausgelobt. Dazu habe man den "mutigen Zeichner der weltberühmten Mohammed-Karikaturen" persönlich eingeladen. Dieser blieb zwar den Veranstaltungen von 'pro NRW' fern, jedoch kam es in Bonn am 5. Mai 2012 zu gewalttätigen Ausschreitungen durch Salafisten, bei denen mehrere Polizisten verletzt wurden. Auslöser der Ausschreitungen war das bewusst provozierende Zeigen der Karikaturen, vor allem der sogenannten "Westergaard-Karikatur". Bereits zuvor war es in Solingen am Rande eines ähnlichen 'pro NRW'-Auftritts zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. 66 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Ziel von 'pro NRW' ist es durch derartige gezielte provokative Aktionen, medial auf sich aufmerksam zu machen. Die Gewalt einzelner Salafisten soll als typisch und prägend für den Islam dargestellt werden und Muslime insgesamt für Terror und Gewalt Einzelner verantwortlich gemacht werden. Karikaturen Die bildliche Darstellung des Propheten ist im islamischen Kulturkreis ein Tabu und wird als Provokation aufgefasst, die unter Extremisten von Ablehnung und Missbilligung bis zu heftigen, sogar gewalttätigen Reaktionen führen kann. Auch wenn die von 'pro NRW' veröffentlichten Karikaturen keine Darstellung des Propheten Mohammed enthalten, Internetauszug der von 'pro NRW' veröffentlichten sind sie dennoch geeignet, bei Karikaturen. Muslimen Irritationen und Verärgerung auszulösen. Hinzu kommt, dass sie Fortsetzung der bisherigen islamfeindlichen Kampagne, den Islam pauschal negativ darzustellen. In Kenntnis der besonderen Problematik der Karikaturen setzt 'pro NRW' sie als Mittel ein, um durch das Herausfordern von Reaktionen eine maximale Medienwirkung zu erreichen. Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 'Pro NRW' konnte auch beim zweiten Antritt zur Landtagswahl in NRW lediglich 1,5% der Zweitstimmen erzielen (2010: 1,4% Zweitstimmen und 0,9% Erststimmen). Damit partizipiert die Partei zwar an der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung, konnte REchtsExtREmismus 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 aber die von ihr vorgegebene Erwartungshaltung nicht erfüllen. Der Gesamtstimmenanteil erhöhte sich um rund 11.000. In ihren "Hochburgen" hat 'pro NRW' Stimmen eingebüßt bzw. sich nicht verbessern können. Die höchsten Ergebnisse erreichte 'pro NRW' mit 4,2% in Remscheid (2010: 3,6%) und je 4,1% in Gelsenkirchen I (2010: 4,3%) und II (2010: 4,1%). Danach folgen Duisburg IV mit 3,2% (2010: 4,6%), Rhein-Erft I (2012: 3,0%; 2010: 3,5%) und Leverkusen mit je 3,0 % (2010: 3,8%). 'Pro Köln' erlitt auch in allen sieben Kölner Wahlkreisen Verluste: 2010 wurden in der "Hochburg" Köln IV noch 3,5% erzielt, nunmehr nur 2,9%. Vor allem blieb man in diesem Wahlkreis auch deutlich hinter dem Ergebnis bei der Kommunalwahl 2009 (7,5%) zurück. Das Wahlergebnis zeigt insgesamt, dass die Strategie der aggressiven und provozierenden Wahlwerbung durch die "Wahlkampftour" und der Darstellung von islamfeindlichen Karikaturen letztlich nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Aktionen in der Öffentlichkeit und Kampagnen gegen Moscheen Das Schlüsselund Schwerpunktthema von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' - vor dem Hintergrund ihrer islamfeindlichen Agitation - ist nach wie vor die Ablehnung von Moscheebauten. Regelmäßig werden Demonstrationen dort angemeldet und durchgeführt, wo der Bau einer Moschee geplant ist. In 2012 fanden neben der Wahlkampf-Tour, die durch 25 Städte Nordrhein-Westfalens führte, noch rund ein halbes Dutzend solcher Demonstrationen statt. Eine dieser Versammlungen wurde in Wuppertal durchgeführt. Die zentrale Aussage einer 'pro NRW'-Aktivistin im Aufruf zur Demonstration lautete: "Wuppertal braucht keinen weiteren orientalischen Tempel der Integrationsfeindlichkeit!". Strategisches Ziel dieser Aktionen ist es, einem Moscheebauvorhaben kritisch gegenüberstehende Bevölkerungsteile für 'pro NRW' zu Das Logo der Kampagne aus dem Internetauftritt von gewinnen. Gegebenenfalls vorhan'pro Köln' dene Anwohnerinitiativen werden unterwandert und für die eigenen Ziele instrumentalisiert, um so - mit Blick auf künftige Wahlen - möglichst neue örtliche 'pro NRW'-Untergliederungen aufzubauen. 68 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 In Remscheid, wo ebenfalls ein Moscheeneubau geplant ist, wurde die "Interessengemeinschaft Remscheid-Mitte" durch einen 'pro NRW'-Funktionär selbst gegründet. Ohne Hinweis auf seine Parteifunktion wirbt der 'pro NRW'-Aktivist im Namen der"IGRemscheid-Mitte" für Unterstützungsunterschriften für ein Bürgerbegehren. Organisation von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Funktionäre, Aktivisten und Unterstützer von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Die Funktionärsebene und weite Teile der Mitglieder beider Gruppierungen sind nahezu identisch. Der Vorsitzende, mehrere seiner Vorstandskollegen und große Teile der Mitglieder kommen aus rechtsextremistischen Parteien oder aus Organisationen, bei denen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen vorliegen bzw. vorlagen. Einige Personen gehörten beispielsweise zur Gruppierung 'Deutsche Liga für Volk und Heimat*' (DLVH)14. Die DLVH* gehörte vor Anfang der 1990er Jahre dem Kölner Stadtrat an und ist vor allem durch die Verbreitung eines "Steckbriefs" aufgefallen, mit dem eine Belohnung für die Ergreifung einer Roma-Frau ausgesetzt worden war, die abgeschoben werden sollte. Das Oberlandesgericht Köln15 hat der Betroffenen ein Schmerzensgeld zugesprochen, weil es in dieser Aktion eine erheblich ins Gewicht fallende Persönlichkeitsverletzung, einen schweren Angriff auf die Ehre und Menschenwürde und eine Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit sah. Andere gehörten der Partei 'Die Republikaner' (REP) an, die bis 2007 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Manfred Rouhs, langjähriger Stadtverordneter von 'pro Köln e.V.', der gleichzeitig Vorsitzender der Partei 'pro Deutschland*'16 ist, war in früheren Jahren bei den 'Jungen Nationaldemokraten', der Jugendorganisation der NPD, zwei Jahre als deren Landesvorsitzender, 1986 Bundestagskandidat für die NPD und, wie er selbst in einem Interview bestätigt, noch bis Januar 1987 Mitglied der NPD. Dass dies kein Einzelfall ist, zeigt ein weiteres Beispiel eines Stadtverordneten aus Ennepetal, der bis September 2010 Mitglied der NPD war und dann zu 'pro NRW' wechselte. Auf der Homepage von 'pro NRW' wurde er als "parteiloser Stadtrat" angekündigt, seine parteipolitische 14 Die DLVH* wurde bis 2000 im Verfassungsschutzbericht NRW erwähnt, ist aber inzwischen - zumindest in Nordrhein-Westfalen - bedeutungslos. 15 OLG Köln, Beschluss vom 9. September 1996; Az.: 15 W 72/96. 16 Bei 'pro Deutschland' bestehen Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen. REchtsExtREmismus 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vergangenheit aber verschwiegen. Inzwischen wurde er zum Geschäftsführer der Mitte 2011 gegründeten, allerdings bisher noch nicht in Erscheinung getretenen 'Kommunalpolitischen Vereinigung der PRO-Bewegung*' (KPV PRO) gekürt. Auch ein 'pro NRW'-Ratsmitglied aus Bonn sowie ein Kandidat für die Landtagswahl 2010 aus Solingen waren vorher in der NPD aktiv. Ein ehemaliger 'pro NRW'-Jugendfunktionär ("Bezirksjugendbeauftragter Rheinland") und 'pro Köln e.V.'-Kandidat bei der Kommunalwahl 2009, der nach eigener Darstellung "nie einen Hehl" aus seiner Gesinnung gemacht habe, hat sich nach seinem Austritt aus 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' der neonazistischen Kameradschafts-Szene zugewandt, wie er selbst im Internet in einem Infoportal17 mitteilte. Ein 'pro NRW'Aktivist, der als Kandidat für die Landtagswahl nominiert war, hat sich nach eigenen Angaben gegenüber einer Solinger Tageszeitung noch 2009 an einem Aufmarsch der 'Freien Nationalisten' beteiligt. Der jüngere Bruder eines 'pro NRW'-Ratsmitglieds, der als Aktivist auf einem Gruppenfoto der 'Jugend der Pro-Bewegung' zu sehen war, hatte laut einem Fernsehbericht in 2009 Kontakte zu den rechtsextremistischen Autonomen Nationalisten und nahm an einem von ihnen mitgetragenen Aufmarsch teil. Bei ihm fand 2010 eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Besitz von pyrotechnischen Materialien statt. Die vorgenannten Beispiele machen deutlich, dass in der Vergangenheit und aktuell 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' eine nicht unerhebliche Zahl von ehemaligen Rechtsextremisten als Funktionäre, Aktivisten oder Unterstützer in ihre Strukturen eingebunden haben. Verbindungen zur Neonazi-Szene Bei mehreren 'pro NRW'-Aktivisten wurden in 2012 Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchgeführt. Im April 2012 kam es in der Neonazi-/Kameradschafts-Szene in Radevormwald und Umgebung zu umfänglichen Hausdurchsuchungen, unter anderem im Fraktionsbüro von 'pro NRW'. Bei der Kameradschaft 'Freundeskreis Rade', die mit zahlreichen Straftaten - von gefährlicher Körperverletzung bis zu Propagandadelikten - in Ver17 logr.org/fnkoeln/2009/08/18/neues-von-den-kolner-problemkindern-richtigstellung-von-reneemmerich/. 70 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bindung gebracht wird, wurden mehr als 20 Durchsuchungsbeschlüsse sowie drei Haftbefehle vollstreckt. Unter den Betroffenen waren auch mehrere Aktivisten von 'pro NRW'. Das bereits an anderer Stelle erwähnte, inzwischen wohl vornehmlich aus taktischen Gründen aus der Partei ausgeschlossene 'pro NRW'-Ratsmitglied und sein jüngerer Bruder, der noch wenige Monate vorher an Veranstaltungen von 'pro NRW' teilgenommen hatte, gehörten ebenso dazu wie einige Personen, die als Sachkundige Bürger für 'pro NRW' im Stadtrat von Radevormwald vertreten waren. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren - Durchsuchungen - Untersuchungshaft Im Oktober 2012 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Ratsfraktion 'Bürgerbewegung pro Köln e.V.' wegen des Verdachts der Erschleichung von Sitzungsgeldern zum Nachteil der Stadt Köln eingeleitet. Die Fraktionsräume von 'pro Köln' wie auch Privatwohnungen des betroffenen Personenkreises wurden durchsucht, ein Ratsmitglied wurde wegen Verdunkelungsgefahr und versuchter Einflussnahme auf aussagebereite Mitbeschuldigte in Untersuchungshaft genommen. 'Jugend pro Köln e.V.' und 'Jugend pro NRW' Sowohl bei 'pro Köln e.V.' als auch bei 'pro NRW' ist eine Jugendabteilung angegliedert. 'Jugend pro NRW' und 'Jugend pro Köln e.V.' sind vornehmlich darauf ausgerichtet, Schüler und Jugendliche anzusprechen und zur Mitarbeit zu bewegen. Dabei gehen sie sehr geschickt auf junge Menschen ein, knüpfen an mögliche negative Erfahrungen und an vereinzelte kulturelle Konflikte mit ausländischen Jugendlichen an und holen Jugendliche mit Sprache ("Hast Du auch den Eindruck, dass in unserem Land einiges schief läuft?") und Themen ("Massenarbeitslosigkeit", "Bildungsmisere", "steigende Überfremdung") dort ab, wo sie die Jugendlichen mit ihren Ängsten und Sorgen vermuten: "Oder willst Du weiter einfach zuschauen, wenn Wehrlose in der Schule oder auf der Straße 'abgezogen' werden und irgendwelchen fiesen Typen ihre Handys und das Pausengeld abliefern müssen? Oder ist es Dir egal, dass viele Mädchen als 'deutsche Schlampen' beschimpft werden, nur weil sie sich schicke Sachen anziehen?" (Auszug aus dem Werbeblatt "'pro Köln' wählen? Ja, natürlich!!!" zur Kommunalwahl 2009). REchtsExtREmismus 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Tatsächlich sind auch diese Kampagnen darauf angelegt, zwischen jungen Deutschen und Ausländern zu polarisieren. Beide Jugendorganisationen betreiben eigene Internet-Homepages, auf denen jeweils ein Jugendbeauftragter vorgestellt wird. Neben der Publikation 'Objektiv' (Herausgeber ist der ehemalige Jugendbeauftragte von 'pro Köln e.V.', der jetzt Jugendbeauftragter des 'pro NRW'-Bezirksverbands Mittelrhein ist), die sich an Schüler und Jugendliche wendet und von der bisher vier Ausgaben erschienen sind, sowie einem Flyer mit dem Titel "Mach mich nicht an, Mehmet", hat 'Jugend pro NRW' ein weiteres Flugblatt ("Lass Dich nicht linken. Komm auf den rechten Weg") veröffentlicht. Darin ist unter anderem die Forderung enthalten: "Maximal 30% Kinder ausländischer Herkunft in den Schulklassen". Andere Themen wie zum Beispiel die Ablehnung von "Großmoscheen" und "Ausländerkriminalität" sind weitgehend deckungsgleich mit denen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW'. Kooperationen von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' Personelle und inhaltliche Überschneidungen zwischen 'pro Deutschland*' und 'pro NRW/pro Köln' Zwischen der Partei 'Bürgerbewegung pro Deutschland*', die bis Mitte 2010 ihren Sitz in Köln hatte und ihn dann nach Berlin verlegte, und 'pro NRW' sowie 'pro Köln e.V.' bestehen nach wie vor enge personelle und vor allem inhaltliche Verbindungen. So war der Vorsitzende, Manfred Rouhs bis April 2011 für 'pro Köln e.V.' Mitglied des Rates der Stadt Köln, zwei seiner 'pro Deutschland*'-Vorstandskollegen sind ebenfalls 'pro Köln'-Aktivisten und gehörten beziehungsweise gehören den Räten der Städte Köln und Bonn an. Ähnlich wie 'pro NRW' setzte auch 'pro Deutschland*" als Berliner Ableger der proBewegung in 2012 auf "maximale Provokation" gegenüber Muslimen, mit dem vordergründigen Ziel, öffentlichkeitswirksam zu sein. Mitte September 2012 zeigte die Partei auf ihrer Homepage den Trailer (14-minütige Kurzversion) des in den USA produzierten so genannten "Mohammed-Films" ("Innocence of Muslims"). Der Film hatte zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen islamisch geprägten Staaten zu diversen Ausschreitungen und Gewalttaten geführt, die sich insbesondere gegen westliche diplomatische Vertretungen und deren Mitarbeiter richteten. Darüber hinaus kündigte 'Pro Deutschland*' an, den Film in voller Länge in Berlin aufführen zu wollen. 72 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Kooperation mit Bündnispartnern aus dem Ausland Die von 'pro Köln e.V.'/'pro NRW' immer wieder betonte Abgrenzung von jeder Form des Extremismus erscheint wenig glaubwürdig. Dies zeigen die Verflechtungen und Bündnisse, die 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' mit Parteien und Organisationen in den europäischen Nachbarländern pflegen. Einige dieser Parteien zählen zum rechtsextremistischen Spektrum. Wie das OVG NRW jüngst in einem Beschluss festgestellt hat, erlauben diese KontakInternetauszug von 'pro Köln' te Rückschlüsse auf die Einstellung und das Verhalten der Aktivisten von 'pro Köln e.V.'/'pro NRW' im Inland. Neben der engen Zusammenarbeit und regelmäßigen Unterstützung durch die rechtsgerichtete belgische Regionalpartei 'Vlaams Belang' - die als Nachfolgeorganisation des rechtsextremistischen 'Vlaams Blok' angesehen werden kann, dessen Programm vom belgischen obersten Gerichtshof als diskriminierend und rassistisch eingestuft wurde - sowie der volksnationalistischen belgischen Gruppierung 'Voorpost', die eine kameradschaftsähnliche Struktur aufweist und bei der personelle Überschneidungen zum 'Vlaams Belang' vorhanden sind, bestehen Kontakte zu separatistischen und fremdenfeindlichen Organisationen in Spanien und Frankreich. So gab der Vorsitzende von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' im Mai 2011 auf der 'pro NRW'-Homepage seine Absicht bekannt, gemeinsam mit Vertretern des 'Vlaams Belang' und einer Delegation von 'pro NRW' an einer Demonstration gegen eine geplante Großmoschee in der Nähe von Antwerpen teilzunehmen: "Erneut demonstrieren wir dann Seit an Seit mit unseren flämischen Freunden gegen die Islamisierung und Überfremdung unserer Heimatländer." Im Frühjahr 2012 wurde - wie 'pro NRW' auf ihrer Homepage berichtet - die europäische Initiative "Frauen gegen Islamisierung" mit Beteiligung der pro-Bewegung, des 'Vlaams Belang', des französischen 'Front National', der österreichischen FPÖ und der rechtsextremistischen 'British National Party' aus Großbritannien gegründet. Die Organisation verstehe sich als Widerstandsbewegung gegen einen Islamismus, der die Frau zur "Hure und Sklavin" mache, heißt es auf der Internet-Seite von 'pro NRW'. Dass die pro-Bewegung Teil dieser Oppositionsbewegung sei, erfülle sie mit Stolz REchtsExtREmismus 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und sei ihr zugleich Verpflichtung. Am Rande der Veranstaltung sei es auch zu einem Meinungsaustausch zwischen dem pro NRW-Vize und dem Vorsitzenden der 'British National Party' gekommen, stellt man abschließend begeistert fest. Unter den Gründungsmitgliedern befand sich auch eine österreichische Nationalratsabgeordnete der FPÖ, die in der Vergangenheit wiederholt durch rassistische und vor allem islamfeindliche Äußerungen aufgefallen ist. Zu dieser Politikerin bestehen seitens 'pro NRW' und ihres Vorsitzenden Beisicht schon seit einigen Jahren enge Beziehungen. Wie der Presse18 zu entnehmen war, wurde sie 2009 in Graz wegen der "Verletzung und Herabwürdigung religiöser Lehren" zu einer Bewährungsund Geldstrafe verurteilt. Das Gericht kam zu diesem Urteil, weil sie bei FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen den Propheten Mohammed verunglimpft habe. Außerdem habe sie in Zusammenhang mit Muslimen bzw. dem Islam die Begriffe "Einwanderungs-Tsunami" und "Feindreligion" verwendet. Der 'pro NRW'-Vorsitzende Beisicht hatte sich bereits 2008 für sie eingesetzt und die "Stigmatisierungskampagne" gegen die FPÖ-Politikerin verurteilt. Der Generalsekretär von 'pro NRW' hatte in 2010 an einer von internationalen Rechtsextremisten besuchten Tagung in Paris teilgenommen. In seinem Grußwort appellierte er an die Teilnehmer: "Nur gemeinsam können wir die Überfremdung stoppen und die etablierten Volksverräter abwählen". Den Wechsel in der Führung der rechtsextremistischen Partei 'Front National' (FN) aus Frankreich nahm der Vorsitzende von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW' zum Anlass, der Tochter des FN-Gründers und vormaligen Vorsitzenden Jean Marie Le Pen zur Nachfolge im Vorsitz zu gratulieren und ihrem Vater "für seine erfolgreiche Arbeit" Respekt auszudrücken. Beisicht sei es wichtig, "dass man in Frankreich wisse, die hämische und hasserfüllte Berichterstattung über die Arbeit des Front National repräsentiere nicht die gesamte politische Szene in Deutschland", ließ 'pro NRW' auf ihrer Homepage vermelden. Verbindungen zum Hetzportal 'kreuz.net - katholische nachrichten' Bei der Internetpräsenz 'kreuz.net - katholische nachrichten', die bis Ende November 2012 online war, handelt es sich um ein Portal, das homophobe, antisemitische und muslimfeindliche Beiträge veröffentlicht und durch überwiegend extrem aggressive Diktion auffällt. Einzelne Inhalte auf dieser Website sind zudem als jugendgefährdend eingestuft. Mediale Aufmerksamkeit erlangte 'kreuz.net' anlässlich des Todes eines 18 Unter anderem: fr-online 23.1.2009; der standard 17. Juni 2009. 74 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bekannten Schauspielers mit der Schlagzeile "Jetzt brennt er in der ewigen HomoHölle". Als Autorin auf 'kreuz.net' findet sich eine 'pro Köln e.V.'/'pro NRW'-Aktivistin, die gleichzeitig Vorstandsmitglied von 'pro Deutschland*' sowie Sprecherin des Arbeitskreises 'Christen pro Köln' ist. Seit 2006 verfasste sie unter ihrem Namen und Angabe ihrer politischen Funktion im Rat der Stadt Köln mehr als zehn Beiträge mit überwiegend homophoben Inhalten, davon alleine vier in 2012. Bei einem Beitrag aus 2008 mit der Überschrift "Wird sich der Kardinal dem Homo-Perversen fügen?" ist als Verfasser der Vorsitzende von 'pro Köln e.V.', Markus Beisicht, angegeben. Vernetzung von 'Jugend pro Köln e.V.' und 'Jugend pro NRW' 2012 wurde ein neuer Jugendbeauftragter für 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' vorgestellt. Der frühere DVU-Aktivist aus Hessen verfügt scheinbar über bundesweite Kontakte und Verbindungen in unterschiedliche Szenen. Dies hat dazu geführt, dass in 2012 verstärkt auch andere Gruppierungen an 'pro NRW'-Versammlungen teilgenommen und sich neue Felder der Zusammenarbeit ergeben haben. So wurde als neue Plattform der 'Ring freiheitlicher Jugend Deutschlands' (RFJ) unter Beteiligung der pro-Bewegung, der 'Republikanischen Jugend' und der 'German Defence League (GDL)' gegründet. Ziel dieses "überparteilichen, politischen Jugendverbandes" soll nach eigener Darstellung sein, die "Einigung im freiheitlichen Spektrum voranzutreiben und die nächste Generation freiheitlicher Politiker in Deutschland auf ihre Aufgaben vorzubereiten". Bei der 'German Defence League' (GDL) handelt es sich nach eigenen Angaben um einen "lockeren Zusammenschluss" nach dem Vorbild anderer internationaler Defence Leagues (z. B. der aus der rechten Hooliganszene hervorgegangene gewaltbereite "English Defence League") die als Ziel "Protestläufe gegen die schleichende Islamisierung Europas" vorgeben und in Deutschland in regionale "Divisions" aufgeteilt sind. Bei den Versammlungen von 'pro NRW', die von der GDL begleitet wurden, fiel deren teilweise martialisches, äußerlich an Autonome Nationalisten erinnerndes Auftreten auf. Bei der Demo in Wuppertal im Oktober 2012 wurden GDL-Aktivisten durch die Polizeikräfte aufgefordert, ihre vermummenden Kopfbedeckungen zu entfernen. Neben eigenen Internetpräsenzen und Portalen auf den bekannten sozialen Netzwerken wurde eine von der 'Jugend der Pro-Bewegung', der 'Republikanischen Jugend' und der 'German Defence League' gemeinsam verfasste Seite ("Hasta La Vista SalaREchtsExtREmismus 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 fista!") ins Internet gestellt, auf der "Aktionen" bekanntgegeben werden sollen. Außerdem wurde das frühere 'pro Köln'-Jugendmagazin-Projekt 'Objektiv' wiederbelebt. In der ersten Ausgabe mit dem Titel "Haupt?chule" [genauso im Original] wird in einem Artikel zur Verbesserung des Bildungssystems in Deutschland unter anderem gefordert: "Kein falsches Mitgefühl mehr mit sozial 'Benachteiligten', mit Faulen oder durch ihren Migrationshintergrund Gehemmten". Internetauszug der gemeinsam von 'Jugend der ProBewegung', 'Repbulikanische Jugend' und der 'German Defecene Leage' verfassten Seite "Hasta La Vista Salafista" Bündnisbestrebungen - Plattform von Rechts Der Vorsitzende Beisicht hatte bereits 2009 in einem Appell dazu aufgerufen, mit "anderen rechtsdemokratischen Parteien, islamkritischen Wählerinitiativen und Gruppen eine politische Plattform von Rechts" ('pro NRW'-Homepage 23. November 2009; Interview mit Beisicht) zu schaffen. Als Forum für überparteiliche Zusammenarbeit "freiheitlicher" Parteien in Deutschland (so die Selbstdarstellung) wurde 2011 die 'Kommunalpolitische Vereinigung der PRO-Bewegung*' (KPV PRO) mit Sitz in Leverkusen gegründet. Diese Einrichtung soll dazu dienen, die eigenen Mitglieder durch Schulungen für die Übernahme und die Wahrnehmung kommunalpolitscher Mandate "fit zu machen" sowie Mandatsträger anderer Parteien anzuwerben. Der KPV PRO*-Vorstand sowie ein zusätzlich installier76 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ter Beirat bestehen aus 'pro NRW' bzw. 'pro Köln e.V.'-Aktivisten. Präsident der Vereinigung ist ein 'pro Köln e.V.'-Ratsmitglied. Eine der ersten Aktionen der KPV PRO* war der Beitritt zum "Städtebündnis gegen Islamisierung", zu dem unter anderem 'pro NRW' und der 'Vlaams Belang' gehören. Neue alte Kontakte und nächste Ziele Seit 2010 fanden mehrere Spitzentreffen zwischen Funktionären von 'pro NRW' und der Partei 'Die Republikaner' (REP)19 statt, verbunden mit gemeinsamen Erklärungen, die sowohl auf der Homepage von 'pro NRW' als auch von der REP-Bundespartei veröffentlicht worden sind. Ziel ist es, spätestens bei der Europawahl 2014 "gemeinsam in neuer Formation" bundesweit anzutreten. Diese Bemühungen scheinen jedoch bisher keinen entscheidenden Schritt vorangekommen zu sein, jedenfalls sind konkrete Ergebnisse der Gespräche zwischen 'pro NRW' und der Partei 'Die Republikaner' (REP) auch in 2012 von keiner der beiden Seiten veröffentlicht worden. Fazit und Ausblick Islamfeindliche Propaganda bleibt das Schwerpunktthema von 'pro Köln e.V.' und 'pro NRW', obschon sie neuerdings versuchen, ihr Themenspektrum um weitere in der Öffentlichkeit angstbesetzte Themen, wie die Eurokrise, zu erweitern. Die Mandatsträger erzielen mit ihrer Arbeit keine Resonanz. Politischen Einfluss versuchen die pro-Gruppierungen vor allem über provokative Protestveranstaltungen und die damit einhergehende Medienöffentlichkeit zu erzielen. Die Anzahl der Mitglieder stagniert. Zudem verlassen immer wieder Aktivisten aus der zweiten Reihe wegen interner Streitigkeiten die pro-Gruppen. Insbesondere im Jugendbereich gelingt es kaum, neue Mitglieder zu rekrutieren. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass im Jugendbereich die demonstrative Abgrenzung zu gewalttätigen und gewaltbefürwortenden Gruppierungen aus dem rechtsextremistischen Spektrum aufgegeben wird, wie die Verbindungen zur 'German Defence League' und die personellen Überschneidungen von 'pro NRW'-Aktivisten sowie der Neonazi-/Kameradschafts-Szene in Radevormwald zeigen. 19 Die Partei 'Die Republikaner' (REP) wird seit Ende 2007 nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet. REchtsExtREmismus 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Es ist zu erwarten, dass angesichts mangelnder personeller Ressourcen 'pro NRW' und 'pro Köln e.V.' ihre Aktivitäten nicht ausweiten werden. Stattdessen werden sie weiterhin Anlässe suchen, um gesellschaftliche Konflikte menschenverachtend zu dramatisieren und mediengerecht zu inszenieren. Aufgrund der großen medialen Resonanz, die die Konfrontation mit salafistischen Gruppen erzielt hat, gilt dies vor allem bezüglich islamfeindlicher Protestevents. 2.1.3 Die Rechte Bund NRW Gründung 2012 2012 Sitz Parchim Dortmund Vorsitzender Christian Worch Dennis Giemsch Mitglieder 2012 150 ca. 130 Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen (Bundesverband, Landesund Kreisverbände) im Internet vertreten. Ebenso in den sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook und Twitter. Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit 'Die Rechte' - Auffangorganisation für in NRW verbotene Kameradschaften Der Landesverband 'Die Rechte' in Nordrhein-Westfalen stellt im Wesentlichen eine Auffangorganisation für einen wesentlichen Teil der im Jahr 2012 verbotenen Kameradschaften dar. So setzt sich die Führung des Landesverbandes aus den Anführern der am 23. August 2012 verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen. Die Kreisverbände in Dortmund und Hamm sind in der Führungsund Mitgliederstruktur weitgehend mit dem 'Nationalen Widerstand Dortmund' (NWDO) und der 'Kameradschaft Hamm' identisch. Die Gründung des Landesverbandes erfolgte am 15. September kurz nach und in Reaktion auf die Verbotsverfügung. Fortsetzung neonazistischer Aktivitäten unter dem Schutz des Parteienprivilegs In dem Landesverband dominieren eindeutig Aktivisten der verbotenen Kameradschaften. Ziel der ehemaligen Kameradschaftsmitglieder in der Partei ist es, ihre 78 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bisherigen Aktivitäten unter dem Schutz des Parteienprivilegs ungebrochen fortzusetzen. Diese verbotenen Kameradschaften bezogen sich ideologisch positiv auf den Nationalsozialismus. Statt Achtung der Menschenwürde in einer freiheitlichen Demokratie traten sie für eine homogene Volksgemeinschaft in einem autoritären Führerstaat ein. Politische Gegner und Fremde bekämpften sie mit Gewalt. Sie versuchten, in ihren regionalen Hochburgen öffentliche Räume zu dominieren, indem sie zu den Mitteln der Einschüchterung und Drohung griffen. In ihren Äußerungen und Aktionen trat der propagierte Antisemitismus sowie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zum Vorschein. 'Die Rechte' richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung 'Die Rechte' bemüht sich, ihre rechtsextremistische Ideologie weitgehend zu verschleiern, um keinen Anlass für Verbotsmaßnahmen zu liefern. Ihr Programm beginnt sie mit einem plakativen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dass das Programm für die 'Die Rechte' nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt, wird daran deutlich, dass sie in weiten Teilen ausgerechnet das frühere Programm der rechtsextremistischen DVU übernimmt, welches 'Die Rechte' "sprachlich wie inhaltlich modernisiert und ergänzt"20 habe. Schon das DVU-Programm bemühte sich, die wahre Zielsetzung der Partei zu verschleiern, war bewusst vage formuliert und sehr kurz. Gleiches gilt für das gegenwärtige Programm der Partei 'Die Rechte'. Allerdings wird die rechtsextremistische Ideologie in der Gesamtheit ihrer öffentlichen Aktivitäten, ihrer Websites und Facebook-Profile sowie der Website 'Dortmundecho' deutlich. Letztere wird nach eigener Aussage von einem Mitglied von 'Die Rechte' betrieben.21 Zudem ist die Website mit der des Kreisverbandes Dortmund von 'Die Rechte' wechselseitig verlinkt und auf der Facebook-Seite des Kreisverbandes Dortmund werden zahlreiche Beiträge von 'Dortmundecho' verlinkt, so dass die Beiträge der Organisation zugerechnet werden können. Trotz der rhetorischen Mäßigung finden sich im Programm Hinweise auf ihre Feindschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So spricht die Partei von der "eigenen, natürlich gewachsenen Ordnung" eines jeden Volkes und stellt so die demokratische Gestaltbarkeit einer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung in Abrede. Stattdessen knüpft sie an die nationalsozialistische Ideologie an und stellt Gesellschaft und Staat als Folge biologischer Notwendigkeiten dar. 20 Website 'Die Rechte'. 21 Website 'Dortmundecho', Das ist Dortmundecho. REchtsExtREmismus 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die Ablehnung von Menschenrechten und Demokratie zeigt sich auch in der Solidarisierung mit ehemaligen SS-Führern oder gegenwärtigen Rechtsextremisten. So wird in einem Beitrag auf der Website von 'Dortmundecho' am 27. November 2012 die Anklage eines ehemaligen SS-Führers kritisiert, der nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund schwere Kriegsverbrechen begangen haben soll. In die gleiche Richtung zielt eine Solidaritätskundgebung des Kreisverbandes Dortmund am 11. Januar 2013 für einen österreichischen Neonazi einen Tag nach dessen Verurteilung. Die Menschenverachtung der Partei wird in einem Artikel auf der Website des Kreisverbandes Hamm vom 29. Januar 2013 deutlich, in dem es um die Koedukation von geistig behinderten Schülern mit nicht behinderten Schülern geht. Die behinderten Schüler werden als "Klassendümmste" herabgewürdigt und die leitende Idee der Inklusion, niemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen, wird lächerlich gemacht. Einer solchen Sichtweise liegt ein im Nationalsozialismus vertretenes sozialdarwinistisches Gesellschaftsverständnis zugrunde, bei dem das Recht des Stärkeren gilt. 'Die Rechte' ist fremdenfeindlich Im Parteiprogramm werden Migranten überwiegend mit dem Begehen von Straftaten in Zusammenhang gebracht und dadurch fremdenfeindliche Vorurteile geschürt. Zudem wird Zuwanderung in einen Kontext von Asylmissbrauch gestellt, um Migranten pauschal zu diskreditieren. Dabei verzerrt und dramatisiert die Partei bewusst die Situation, wenn sie von "ungezügelter Zuwanderung" schreibt. Sozialleistungen, wie Kindergeld, das im Programm vorgeschlagene Müttergeld oder die soziale Sicherung von Arbeitnehmern, sollen nur Deutschen ausgezahlt werden. Noch deutlicher findet die Fremdenfeindlichkeit Ausdruck in einem Artikel des 'Dortmundecho' vom 27. November 2012. Dort wird in einer dramatisierenden und diffamierenden Art und Weise über tatsächliche oder vermeintliche von Ausländern begangene Straftaten berichtet: Demnach könnten "kriminelle Ausländerbanden auf deutschen Straßen nahezu ungestört ihr Unwesen treiben." Es wird gefordert, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für "osteuropäische Bandenkriminalität" oder "ausländische Intensivtäter" einzurichten. In einem weiteren Artikel am 6. Februar 2013 werden unter der Überschrift "Statistik 2012: Immer mehr Ausländer in Dortmund" Dortmunder Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund pauschal in den Verdacht der Kriminalität und des Missbrauchs von Sozialleistungen gerückt. 80 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auch die mittlerweile im Rechtsextremismus weit verbreitete islamfeindliche Kampagne greift 'Die Rechte' auf. Im Programm lehnt sie "die Einführung des Islamunterrichts an deutschen Schulen strikt ab, da dieser nicht im Einklang mit den abendländischen Werten unserer Kultur steht". Hier wird ein negatives Bild vom Islam konstruiert und damit unterschwellig das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime in Frage gestellt. In die gleiche Richtung zieAufkleber des Kreisverbandes len Werbemittel des Kreisverbandes Rhein-Erft der 'Die Rhein-Erft Rechte', der Minarette gleichsetzt mit Islamismus und Kulturzerfall und damit den Islam sowie die Muslime pauschal herabsetzt. 'Die Rechte' ist geschichtsrevisionistisch Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen wird im Programm als "den Deutschen vielfach zugemutete einseitige Vergangenheitsbewältigung" beschrieben. Welche zweite Seite der Vergangenheitsbewältigung es geben müsse und wer diese den Deutschen zumutet, wird nicht explizit genannt. Die mit dieser Art der Vergangenheitsbewältigung zugewiesene Kollektivschuld führe laut Programm dazu, die internationale Gleichberechtigung Deutschlands zu beeinträchtigen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird als Mittel fremder Mächte zur Schwächung Deutschlands dargestellt - mithin findet durch 'Die Rechte' eine Umkehr von Tätern und Opfern statt. Ebenfalls relativiert 'Die Rechte' die Verbrechen, indem sie nur allgemein nationalsozialistisches Unrecht bedauert und im nächsten Satz daran erinnert, "dass schwere Kriegsverbrechen auch von den Siegermächten begangen wurden". Dies dient dazu, die systematischen Massenvernichtungen in Konzentrationslagern mit vermeintlichen Kriegsverbrechen anderer Staaten auf eine Stufe zu stellen. Dass der zweite Weltkrieg von Deutschland ausging, findet in diesem Zusammenhang im Programm keine Erwähnung. Der Landesverband und die Kreisverbände NRW 'Die Rechte' beteiligten sich in dominierender Rolle am 24. November 2012 am "Trauermarsch Remagen". Die Veranstalter wollten damit an die deutschen Soldaten im Kriegsgefangenenlager Remagen erinnern, "die Opfer eines gezielt betriebenen Massenmordes wurden"22. Mit dieser Formulierung versuchten sie, den planmäßigen Massenmord durch die Nationalso22 Website 'Trauermarsch Remagen', Aufruf. REchtsExtREmismus 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 zialisten in den Konzentrationslagern mit den Toten in den Kriegsgefangenenlagern gleichzusetzen und nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren. 'Die Rechte' ist antisemitisch Der Onlineversandhandel 'Antisem Versand', den der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes NRW betreibt, bringt über seine Webadresse "antisem.it" die antisemitische Einstellung provokativ zum Ausdruck. Zudem stellt das Motto "antisem. it hat es nie gegeben" eine zynische Persiflage auf die strafrechtlich verbotene Leugnung des Holocausts dar. Bei dem Versand kann man unter anderem einen Aufkleber mit der Überschrift "Israel war gestern" bestellen. Die postalische Adresse des Versandes ist mit der Adresse des Kreisverbandes Dortmund identisch. Internetauszug des Onlineversandels 'Antisem Versand' Die Rechte ist aggressiv-kämpferisch Vor allem der Landesverband NRW wird eindeutig von militanten Neonazis dominiert, die durch zahlreiche Gewalttaten in den vergangenen Jahren auffielen. Dies führte auch zum Verbot der Kameradschaften. Mit den Kameradschaftsverboten sind Gewaltstraftaten der betreffenden neonazistischen Szene zurückgegangen. Allerdings gehört die Einschüchterung des politischen Gegners weiterhin zum selbstverständlichen Aktionsrepertoire. So hat der Kreisverband Dortmund am 23. Dezember 2012 Kundgebungen veranstaltet, die vor den privaten Wohnungen des Dortmunder Oberbürgermeisters, des Landesarbeitsund Sozialministers und der stellvertretenden Fraktionschefin der Grünen im Düsseldorfer Landtag stattfanden. Der provokante, auf Beherrschung des öffentlichen Raumes gerichtete, aktionsorientierte Stil der Kundgebungen setzt die Linie der verbotenen Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' fort. Diese Verletzung der Privatsphäre diente nicht dazu, ein politisches 82 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Anliegen öffentlich zu machen, sondern die betroffenen Politiker mitsamt ihrer Familie einzuschüchtern. Auf der Website des Bundesverbandes gibt es einen sogenannten "Links-Melder". Nach den dazu gegebenen Angaben hat das Online-Formular folgende Funktion. "Der Links-Melder ist eine zentrale Meldestelle, an die sich gewendet werden soll, wenn strafbare, linksextremistische Inhalte im Netz entdeckt werden."23 Der legalistische Anstrich des "Links-Melders" erscheint in einem anderen Licht, wenn man bedenkt, dass ein wesentlicher Teil der Mitglieder von 'Die Rechte', insbesondere der Landesverband NRW, aus militanten Neonazikameradschaften stammt, die einen Aktionsschwerpunkt in der Verfolgung, Bedrohung und Bekämpfung ihrer politischen Gegner sehen. Vor diesem Hintergrund ist der "Links-Melder" als Mittel der sogenannten Anti-Antifa-Arbeit zu betrachten, mit der linke Strukturen und Personen ausgeforscht werden sollen, um diese Informationen zu ihrer Bekämpfung zu nutzen. Das bedeutet Bedrohung von Personen bis hin zum Versuch der Vertreibung aus von den Neonazis für sich reklamierten Stadtteilen. Organisation Bundesverband Der Bundesverband der Partei 'Die Rechte' wurde am 27. Mai 2012 in Hamburg gegründet. Zum damaligen Zeitpunkt sah der Gründer, Christian Worch, die Partei laut eigener Aussage, "weniger radikal als die NPD" aber "radikaler als die REPs und die 'PRO-Bewegung' oder ein theoretisch möglicher, aber unwahrscheinlicher Zusammenschluss von beiden als 'REPRO'". Worch hat in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der Neonazi-Szene gespielt und zahlreiche Demonstrationen organisiert. Seine zentrale Stellung im Bundesverband lässt sich daran ablesen, dass der Wohnsitz des Parteivorsitzenden zugleich der Sitz der Partei ist. Die stellvertretende Vorsitzende war davor Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Landesverbandes der rechtsextremistischen DVU bis diese mit der NPD fusionierte. Die beiden Anführer der verbotenen 'Kameradschaft Hamm' und NWDO sind Beisitzer im fünfköpfigen Bundesvorstand, was den Einfluss des Landesverbandes NRW auf die gesamte Organisation verdeutlicht. 23 Website 'Die Rechte'. REchtsExtREmismus 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Inzwischen hat 'Die Rechte' vier Landesverbände. Neben dem in Nordrhein-Westfalen haben sich Ende 2012 und zu Beginn des Jahres 2013 in Hessen, Brandenburg und Niedersachsen Landesverbände und dort auch erste Kreisverbände gegründet. Bei der Führung und den Mitgliedern handelt es sich weit überwiegend um ehemalige NPDoder DVU-Mitglieder. Da 2012 in Niedersachsen die Kameradschaft 'Besseres Hannover' verboten wurde, ist zu erwarten, dass 'Die Rechte', wie in Nordrhein-Westfalen, als Auffangorganisation für militante Neonazis attraktiv wird. Landesverband NRW Am 15. September 2012 wurde in Dortmund der erste Landesverband der Partei 'Die Rechte' gegründet. Zur Gründungsveranstaltung lud ein ehemaliges führendes Mitglied der verbotenen Dortmunder Kameradschaft ein. Der Landesvorstand NRW setzt sich aus vier ehemaligen Mitgliedern der am 23. August 2012 verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen. Auch die enge zeitliche Abfolge weist auf den Zusammenhang von Vereinsverboten und Gründung des Landesverbandes hin. Der Ausbau der Parteistruktur erfolgte etwa einen Monat nach Gründung des Landesverbandes NRW. Am 27. Oktober 2012 wurden zeitgleich vier Kreisverbände sowie ein Bezirksverband der Partei 'Die Rechte' in NRW gegründet. In Dortmund, Hamm, Mülheim a. d. Ruhr, im Rhein-Erft-Kreis ist die Partei seitdem mit Kreisverbänden vertreten sowie im Münsterland mit einem Bezirksverband. Dem Dortmunder Kreisverband steht ein langjähriges Führungsmitglied der Dortmunder neonazistischen Szene vor, der symbolisiert, dass die personelle Kontinuität gewahrt bleibt, auch wenn die Organisationsstrukturen sich ändern. Der Vorsitzende des Hammer Kreisverbandes ist der ehemalige Anführer der verbotenen Kameradschaft Hamm. Die Kreisverbände Mülheim a. d. Ruhr und Rhein-Erft-Kreis werden vor allem von enttäuschten ehemaligen NPD-Mitgliedern gebildet. Die Kreisverbände Aachen und Heinsberg wurden genau am Gründungsdatum der 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL) am 2. Februar 2013 ins Leben gerufen.24 Auch hier ist davon auszugehen, dass Führung und Mitglieder der beiden Kreisverbände der KAL entstammen. Jedenfalls ist mit Andre Plum ein Mitglied der ehemaligen KALFührung auf den ersten Platz der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl 2013 gewählt worden. Ebenfalls dient die Gründung des inzwischen achten Kreisverbandes Wuppertal am 30. Januar 2013 dazu, der 'Kameradschaft Nationale Sozialisten Wup24 Website 'Die Rechte' Kreisverband Aachen und Heinsberg. 84 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 pertal' sich als Parteigliederung zu reorganisieren und einem etwaigen Vereinsverbot zuvorzukommen. Der Kreisverband Wuppertal hat mit dem Gründungsdatum, dem Tag der sogenannten "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, anscheinend bewusst ein symbolisches Datum gewählt. Während der Bundesvorsitzende bislang stets betonte, dass 'Die Rechte' nicht zur Bundestagswahl antrete, hat der Landesverband Nordrhein-Westfalen inzwischen eine Landesliste aufgestellt. Denn für den Landesverband ist es offensichtlich bedeutsam, Parteiaktivitäten zu suggerieren, um sich durch die Inanspruchnahme des Parteienprivilegs davor zu schützen als bloße Ersatzorganisation der verbotenen Kameradschaften bewertet zu werden. Die Landesliste, die nach eigenen Aussagen einen "Querschnitt des Landesverbandes" darstellen soll, wird von einem aktiven Mitglied der verbotenen 'Kameradschaft Aachener Land' angeführt. Auf dem zweiten Platz folgt der ehemalige Anführer der verbotenen Kameradschaft Hamm und auf dem dritten Platz ein Mitglied der Führung des verbotenen NWDO. Den fünften Platz nimmt ein wegen Körperverletzung vorbestraftes Mitglied der Kameradschaft 'Nationale Sozialisten Wuppertal' ein. Der Querschnitt des Landesverbandes entspricht also dem Querschnitt der militanten Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen. Ende 2012 wird von etwa 130 Mitgliedern der 'Die Rechte' in NRW ausgegangen. Da nunmehr diejenigen ehemaligen Mitglieder der verbotenen Kameradschaften, die ihre neonazistische Aktivitäten weiter betreiben wollen, nahezu vollständig in 'Die Rechte' aufgegangen sind, dürfte der Aufbau vorerst zum Abschluss kommen. Weiterer Zuwachs ist im Wesentlichen nur dadurch zu erwarten, dass NPD-Anhänger zu 'Die Rechte' wechseln. Dabei dürfte es sich um NPD-Mitglieder handeln, die mit dem ambivalenten Verhältnis der Landespartei zu den Neonazis nicht einverstanden sind und selber für einen radikaleren Kurs eintreten. Das Parteienprivileg als Organisationsstrategie Am 26. November 2012 erschien auf der Website 'Dortmundecho' ein Artikel, der detailliert beschreibt, wie die Folgen des Vereinsverbotes25 umgangen werden können und wie sich der Parteistatus zugunsten der ehemaligen Mitglieder der verbotenen Vereinigungen auswirkt. Bereits am nächsten Tag hatte die Bundespartei den Beitrag 25 Auf die Folgen der Verbote der 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (Köln), 'Nationaler Widerstand Dortmund', 'Kameradschaft Hamm' und 'Kameradschaft Aachener Land' im Jahr 2012 wird im Kapitel "Aktionsorientierter Rechtsextremismus - Neonazis" ausführlich eingegangen. REchtsExtREmismus 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 auf ihrer Website übernommen. Dieser Artikel verdeutlicht die grundsätzliche Ausrichtung des Landesverbandes, der die parteiförmige Organisation als Strategie versteht, staatlichen Repressionsmaßnahmen zu entgehen. Zudem erläutert der Artikel den ehemaligen Mitgliedern der verbotenen Vereinigungen den Zweck, sich als Partei zu organisieren. Das ist deshalb von Bedeutung, weil die Neonazi-Szene den rechtsextremistischen Parteien bislang distanziert gegenüberstand. Aktivitäten Ein Großteil der öffentlichen Aktivitäten der Partei in Nordrhein-Westfalen spielt sich derzeit noch virtuell ab. Sowohl die Websites als auch die Facebook-Auftritte der einzelnen Kreisverbände aktualisieren die Verbände regelmäßig. Der Kreisverband Dortmund nutzt wie vormals auch die Kameradschaft Dortmund den Kurznachrichtendienst "Twitter". In den Aktualisierungen greifen die Kreisverbände zumeist Themen aus den jeweiligen Regionen auf und stellen sie entsprechend ihrer rechtsextremistischen Ideologie dar. Die einzelnen Internetpräsenzen sind untereinander verlinkt. Gelegentlich werden auch Themen, die nur einen Kreisverband betreffen, auf der Facebook-Seite aller Verbände veröffentlicht. Der Onlineversandhandel 'Antisem Versand' wird vom stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes NRW, Michael Brück, betrieben. Nicht nur der Name der Website "antisem.it" weist provokativ auf seine ideologische Einstellung hin, auch das Material verdeutlicht die Demokratiefeindschaft. Beispielsweise sind dort auch schwarz-weiß-rote Flaggen erhältlich. Diese Flagge des deutschen Reiches wird in der rechtsextremistischen Szene verwendet, um die Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu symbolisieren. Im Quellcode der Website Quellcode der Website antisem.it ist übrigens öffentlich einsehbar, dass die Website eine (Stand: 28. Februar 2013) umprogrammierte Version des Onlineversandhandels 'Resistore' darstellt, den zu Beginn Dennis Giemsch der jetzige Landesvorsitzende von 'Die Rechte' und Anführer der verbotenen Dortmunder Kameradschaft betrieb. Es zeigt sich hier also auch hinsichtlich der technischen Infrastruktur eine ungebrochene Kontinuität von der Dortmunder Kameradschaft zum Kreisverband Dortmund. Dass diese Website mit der eindrücklichen antisemitischen 86 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Positionierung vom Betreiber von den Mitgliedern der 'Die Rechte' so gewollt ist, sieht man daran, dass er auf den dritten Platz der Landesliste für die Bundestagswahl 2013 gewählt wurde. Das Facebook-Profil des Kreisverbandes Hamm und die Website des Kreisverbandes Wuppertal Der Kreisverband Dortmund bei Twitter Auch die Veranstaltungen der 'Die Rechte' veranschaulichen die ungebrochene Kontinuität zu den verbotenen Kameradschaften. 'Die Rechte' setzt genau die Aktivitäten fort, die in den vergangenen Jahren einen gewissen Traditionscharakter in der bundesweiten Neonazi-Szene erlangt und über die sich Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen bundesweit im Rechtsextremismus profiliert haben. Dies zeigte sich beim sogenannten "Trauermarsch" am 24. November 2012 in Remagen, an dem ein Großteil des Dortmunder Kreisverbandes teilnahm. Weiterhin versucht die Partei in NRW die bisherigen in der rechtsextremistischen Szene etablierten Demonstrationen fortzusetzen. Dazu zählen vor allem die Demonstrationen in Stolberg im April, die 1. Mai-Demonstration in Dortmund sowie der nationale Antikriegstag im September in Dortmund. Diese Aktivitäten dienen auch dazu, den Führungsanspruch der ehemaligen Kameradschaftsführer innerhalb der rechtsextremistischen Szene in NordrheinWestfalen und den angrenzenden Bundesländern zu untermauern. Zum 1. Mai 2013 hat Dennis Giemsch eine Veranstaltung für 'Die Rechte' in Dortmund angemeldet. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund der Ereignisse am 1. Mai 2009 in Dortmund. Damals haben Neonazis unter maßgeblicher Beteiligung der verbotenen Kameradschaft Dortmund die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 1. MaiREchtsExtREmismus 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Demonstration des DGB körperlich massiv angegriffen. Zur kommenden Veranstaltung hat 'Die Rechte' bereits eine Kampagnen-Website ins Internet gestellt, auf der sie aktuelle Informationen zur Veranstaltung bekannt gibt und zwei Mobilisierungsvideos veröffentlicht, die im aktionsorientierten Stil des NWDO gehalten sind. Auffällig ist auch, dass sie auf dem Plakat als Veranstalter Mobilisierungsvideo für neben 'Die Rechte' auch die Freien Kräfte, also die die 1. Mai-Demonstration, Neonazi-Szene, nennt. Quelle: Dortmundecho In den letzten Jahren führten Mitglieder der KAL einen sogenannten "Trauermarsch" in Stolberg durch. Der Hintergrund ist eine Auseinandersetzung 2008, bei der das Opfer durch einen Messerstich getötet wurde. Das Gericht verurteilte den Täter zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Die rechtsextremistische Szene versucht entgegen der Ermittlungsergebnisse die Tat als politisch motivierte Tat darzustellen. Es wird darauf hingewiesen, dass der Täter einen Migrationshintergrund hat und das Opfer ein vermeintlicher Sympathisant der rechtsextremistischen Szene war. In diesem Sinne stellt die Szene das Opfer als "Märtyrer der Bewegung" dar. Für den April 2013 hat ein ehemaliges Mitglied der KAL, jetzt Erstplatzierter auf der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl, eine Demonstration angemeldet. Auf der gemeinsamen Website der Kreisverbände Aachen und Heinsberg von 'Die Rechte' bekommt der "Trauermarsch" eine eigene Rubrik, was dessen Bedeutung unterstreicht. Auch hier wird deutlich, dass die beiden Kreisverbände von 'Die Rechte' dazu dienen, die Aktivitäten der KAL ungebrochen fortzusetzen. Gemeinsame Website der Kreisverbände Aachen und Heinsberg Neben diesen beiden großen Veranstaltungen war überwiegend die Stadt Dortmund, in der auch der Landesvorstand der Partei seinen Sitz hat, der Ort für mehrere kleinere Aktionen, wie sie gerade für die verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm typisch waren, um im öffentlichen Raum Präsenz zu zeigen und Gegner einzu88 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 schüchtern. So hielt 'Die Rechte' beispielsweise am 29. Oktober 2012 eine Versammlung unter freiem Himmel mit dem Thema "Für Meinungsfreiheit beim Bürgerdialog" ab, die zeitgleich zu einer Bürgerversammlung unter Mitwirkung des Oberbürgermeisters der Stadt Dortmund erfolgte. Weiterhin wurde am 17. November 2012 eine Informationsveranstaltung vor den Räumlichkeiten des zukünftigen Parteibüros in Dortmund-Huckarde durchgeführt. Am 8. Dezember 2012 wurden Informationsstände in Dortmund abgehalten, bei denen Informationsmaterial an Passanten verteilt wurde. Im Stile der Tätigkeiten des 'Nationalen Widerstandes Dortmund' war auch die Solidaritätskundgebung für einen einflussreichen österreichischen Neonazi am 11. Januar 2013, einen Tag nach dessen Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Vernetzung Die nordrhein-westfälische Neonazi-Szene war in den vergangenen Jahren in der bundesweiten Neonazi-Szene gut vernetzt, was gerade auf die von ihnen organisierten größeren Veranstaltungen zurückzuführen ist. Auch die bisherigen bzw. geplanten Veranstaltungen weisen darauf hin, dass die Kooperation mit anderen rechtsextremistischen Akteuren weiterhin funktioniert. Beim sogenannten "Trauermarsch" am 24. November 2012 beteiligten sich neben dem Kreisverband Dortmund vor allem die NPD. So heißt es auf der Mobilisierungswebsite zur Demonstration: "Die Ansprachen der Vertreter der Dortmunder Rechten und der NPD bei der Zwischenkundgebung auf dem Rückmarsch betonten den gruppenund parteiübergreifenden Charakter der Veranstaltung, [...]"26. Statt Parteienkonkurrenz arbeiten hier also zwei Organisationen der gleichen Szene zusammen. Kampagnen Webseite zum Trauermarsch Remagen 26 Website Trauermarsch Remagen. REchtsExtREmismus 89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auf der Kundgebung zum 1. Mai 2013 in Dortmund, die 'Die Rechte' organisiert, sind als Redner neben dem Bundesvorsitzenden, dem Landesvorsitzenden Nordrhein-Westfalens und dem Kreisvorsitzenden Dortmund ebenfalls ein Mitglied des Bundesvorstandes der NPD sowie ein führender Vertreter der norddeutschen Neonazi-Szene vorgesehen. Überdies rufen bundesweit in der Neonazi-Szene populäre Webseiten zur Teilnahme auf. Auf der Website 'wachtamrhein.info' mit dem Wappen der 'AG Rheinland', ein Netzwerk von neonazistischen Kameradschaften und unstrukturierten Szenen im Rheinland in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen Plakat zur rechtsextremistiund Rheinland-Pfalz, wird gegen die staatlichen Represschen 1. Mai-Veranstaltung sionsmaßnahmen gegen Rechtsextremisten protestiert. 2013 in Dortmund Die herunterzuladenden Protestplakate werden neben der 'wachtamrhein.info' von 'Die Rechte' unterzeichnet. Als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts wird der Spitzenkandidat von 'Die Rechte' auf der nordrhein-westfälischen Landesliste für die Bundestagswahl genannt. Der Protest auf den Plakaten richtet sich insbesondere gegen die Exekutivmaßnahmen am 13. März 2012 gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' in Rheinland-Pfalz, einer Organisation, die sich mit der 'AG Rheinland' personell überschnitt und die die Aktivitäten der Neonazi-Szene im Rheinland koordinierte. Diesem wird von der Staatsanwaltschaft Koblenz die mutmaßliche Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. In diesem Zusammenhang sind auch mehrere Neonazis aus NRW verhaftet worden, die in der 'AG Rheinland' aktiv waren. 'Die Rechte' solidarisiert sich also mit militanten Neonazis. Fazit und Ausblick Die Organisation 'Die Rechte' wendet sich ausdrücklich gegen die Prinzipien und Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dies geschieht in einer aggressiv-kämpferischen Weise; verschärfend kommt die Vielzahl an militanten Neonazis als Mitglieder hinzu. Der nordrhein-westfälische Landesverband und die Mehrzahl seiner Kreisverbände stellt sowohl in ideologischer und personeller Hinsicht als auch bezüglich seiner Aktivitäten eine Weiterführung der verbotenen Kameradschaften dar. Der Landesverband NRW wird von den verbotenen Kameradschaftsstrukturen dominiert. So sind der 90 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Protestplakat und -Aufkleber gegen staatliche Verfolgung von militanten Neonazis von der Webseite wachtamrhein.info Landesvorstand und die Kreisvorstände Dortmund und Hamm nahezu identisch mit den Führungsstrukturen der ehemaligen Kameradschaften Dortmund und Hamm. Die bislang von den Mitgliedern der verbotenen Kameradschaften organisierten Veranstaltungen werden nunmehr unter dem Mantel der Parteizugehörigkeit durchgeführt. Da der Landesverband Nordrhein-Westfalen auch innerhalb der Gesamtpartei eine inhaltlich und personell dominierende Rolle einzunehmen scheint, ist von einer zunehmenden, von NRW ausgehenden, Radikalisierung der Partei auszugehen. Die alten DVU-Kader, die die Partei ursprünglich in erster Linie auffangen wollte, spielen schon jetzt innerhalb der Partei so gut wie keine Rolle mehr. Um das Parteienprivileg nicht zu gefährden, wird 'Die Rechte' einige parteitypische Aktivitäten aufnehmen und beispielsweise bei anstehenden Wahlen antreten, was die Parteienkonkurrenz im Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen verschärfen wird. Darüber hinaus ist bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt festzustellen, dass sich vereinzelt Mitglieder der NPD der Partei 'Die Rechte' zuwenden. Dies lässt sich in den Führungsstrukturen der Kreisverbände Rhein-Erft-Kreis und Mülheim a. d. Ruhr erkennen. Unter Berücksichtigung des diskutierten NPD-Verbotsverfahrens muss davon ausgegangen werden, dass die Partei 'Die Rechte' auch als Auffangbecken für Mitglieder der NPD fungieren könnte. Dies ist zum einen nach einem erfolgreichen Verbot denkbar, jedoch auch schon vorab bei den Mitgliedern der NPD, die einem REchtsExtREmismus 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 möglichen Verbotsverfahren entgehen möchten oder aus Unzufriedenheit mit dem derzeitigen "Kurs" der NPD ohnehin nach einer radikaleren Variante suchen. Die Erkenntnisse sprechen dafür, dass die Partei 'Die Rechte' den Landesverband NRW und einen Teil der hiesigen Kreisverbände nur zu dem Zweck gegründet hat, um unter dem Schutz des Parteienprivilegs die Ziele der verbotenen Kameradschaften fortzuführen. 2.2 Aktionsorientierter Rechtsextremismus 2.2.1 Neonazis Verfassungsfeindlichkeit und Hintergrund Die Neonazi-Szene ist durch ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus sowie durch ihre Gewaltbereitschaft gekennzeichnet. Oftmals sind die lokalen Gruppen in sogenannten Kameradschaften organisiert. In Nordrhein-Westfalen hat das Ministerium für Inneres und Kommunales im Mai und im August gegen die vier aktivsten Kameradschaften ein Verbot verfügt. Dies hat einen Strukturwandel in der Szene ausgelöst. Nachdem das Verbot deren Aktivitäten zunächst erheblich eindämmte, hat sich inzwischen ein Großteil der Führung und Mitglieder der verbotenen Kameradschaften in der Partei 'Die Rechte' reorganisiert, um nunmehr unter dem Schutz des Parteienprivilegs die neonazistischen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Ziele und Ideologie der Neonazis Tradition des historischen Nationalsozialismus Der Neonazismus stellt sich in die Tradition des historischen Nationalsozialismus mit seinem staatlichen Eliteund Führerprinzip und knüpft teilweise an die NSDAP Adolf Hitlers an. Neonazis verfolgen die Errichtung eines "Vierten Reiches", basierend auf den programmatischen Forderungen der NSDAP von 1920. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild, das mit kollektivistischen Vorstellungen für einen autoritären Staatsaufbau einhergeht. Eine der ideologischen Grundaussagen der NSDAP, die von Neonazis geteilt wird, lautet: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur 92 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein" (25-Punkte Programm der NSDAP). Der Einzelne wird vorrangig als Teil einer homogenen Volksgemeinschaft gesehen. Dies schließt auch die Vorstellung von der Höherwertigkeit der eigenen "Rasse", der Minderwertigkeit und dem Ausschluss anderer "Rassen", mithin die politische Bekämpfung jeglicher "Überfremdung" und "artfremder Einflüsse" ein. Hinzu kommen Vorstellungen von einem antidemokratischen, autoritären Führerstaat mit einer Einheitspartei sowie elitäre und zentralistische Elemente der Machtausübung. Neonazismus umfasst dementsprechend alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus darstellen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Mehrparteiensystem, Ausübung der parlamentarischen Opposition und gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte richten. Zielrichtung des Neonazismus ist eindeutig die Beseitigung der bestehenden Rechtsordnung bzw. der vorgenannten Verfassungsgrundsätze. Die unmittelbare Bezugnahme von Neonazis auf die NS-Ideologie lässt sich durch Beispiele belegen. Sowohl im Jahre 2009 als auch im Jahre 2010 beendete ein führender Neonazi aus Dortmund seine Rede anlässlich der Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene zum sogenannten nationalen Antikriegstag mit einem Zitat aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" (11. Kapitel, "Volk und Rasse"): "Meine Rede möchte ich mit einem Zitat eines Deutschen Politikers beenden: 'Alles auf der Erde ist zu bessern. Jede Niederlage kann zum Vater eines späteren Sieges werden. Jeder verlorene Krieg zur Ursache einer späteren Erhebung, jede Not zur Befruchtung menschlicher Energie, und aus jeder Unterdrückung vermögen die Kräfte zu einer neuen seelischen Wiedergeburt zu kommen, solange das Blut rein erhalten bleibt'."27 Auch anlässlich der Demonstration zum sogenannten Antikriegstag im Jahr 2011 in Dortmund wurden durch einen der Organisatoren der Veranstaltung Aussagen mit positivem Bezug auf den Nationalsozialismus getroffen: "Jeder Dortmunder Bürger weiß mittlerweile, dass am ersten Septemberwochenende der nationale Widerstand auf die Straße geht, jeder Mensch 27 Website infoportal.dortmund. REchtsExtREmismus 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 in Dortmund weiß, dass der Nationalsozialismus garantiert nicht mit dem militärischen Ende des Deutschen Reiches 1945 untergegangen ist, sondern dass eine Idee nicht zerstörbar ist, eine Idee, die so untrennbar mit dem Deutschen Volk verbunden ist." Die völkisch-rassistisch geprägte Weltanschauung von Neonazis wird im nachfolgenden Zitat deutlich: "Der nationale Sozialismus ist zugleich Weltanschauung und Lebenshaltung [...]. Er geht vom Menschen in seiner biologischen Eigenart aus und bemüht sich vorurteilslos um die Erkenntnis der Wirklichkeit mit Hilfe eines biologischen, artund naturgemäßen Denkens [...]. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Art aufzubauen, deren Grundlage nicht menschliche Dogmen und ideologische Wahnvorstellungen sind, sondern die Gesetze des Lebens und der Natur. Als biologische Weltanschauung ist der nationale Sozialismus die Übertragung der Naturgesetze in die Welt, die Politik und Geschichte."28 Auch zur Holocaust-Leugnung gibt es Beispiele: "Er ist einer von unzähligen Revisionisten, die die systematische Säuberung von Juden in der Zeit des II. WK [Weltkriegs, Anm. der Red.] bestreiten. Horst Mahler, einst antifaschistisches RAF-Mitglied, ist heute ein politischer Soldat für die Erkämpfung der Wahrheit über den Holodingsbums."29 Freie Kameradschaften und Führerprinzip Aufgrund der vereinsrechtlichen Verbote von neonazistischen Gruppierungen in den 1990er Jahren organisieren sich Teile der bundesweit etwa 5.000 Personen umfassende Neonazi-Szene bewusst ohne unmittelbare vereinsrechtliche Strukturen in sogenannten Freien Kameradschaften. Diese werden in der Regel von einer Führungsperson nach dem "Führerprinzip" geleitet. Die Aktivitäten sind langfristig angelegt. Es werden regelmäßige Kameradschaftstreffen abgehalten und die Mitglieder der Gruppe fahren gemeinsam zu rechten Versammlungen. Wiederkehrend werden größere Feiern ausgerichtet, zu denen Angehörige anderer Kameradschaften aus der 28 Website Freies Netz Köln - Infoportal Nationaler Sozialisten. 29 ehemalige Website KAL. 94 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Region, aber auch Regionen übergreifend eingeladen werden, so dass die Kameradschaften innerhalb der rechtsextremistischen Szene mitunter über das Bundesland hinaus bekannt sind. Hierbei ist der Stellenwert einer Kameradschaft in hohem Maße abhängig davon, welches Ansehen die Führungsperson genießt und über welche Kontakte diese verfügt. Neben den Zusammenschlüssen zu Freien Kameradschaften finden sich auch strukturlose Gruppen oder Zusammenschlüsse, die jedoch keine oder wenig regelmäßigen Aktivitäten entfalten, keinen festen Mitgliederstamm haben und nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Aktionsformen der Neonazis - Autonome Nationalisten Seit etwa 2003, in Nordrhein-Westfalen etwa seit 2005, ist innerhalb der neonazistischen Szene eine noch deutlichere Abkehr von den eher traditionell geprägten Strukturen festzustellen. Mit dem Phänomen der Autonomen Nationalisten trat eine Aktionsform der Neonazis in den Blickpunkt, die in ihrem Auftritt und Habitus sowie ihrer Kleidung stark an linksextremistischen Autonomen orientiert ist und sich der Stilelemente des politischen Gegners bedient. Letztlich wird versucht, klassische Themenfelder des Linksextremismus wie beispielsweise Antikapitalismus oder Antiglobalisierung für eigene Zwecke und die eigene Propaganda zu vereinnahmen. Dabei werden potentielle Interessenten möglichst in ideologisch undogmatischer Weise angesprochen, insbesondere auch per Internet. Dort werden Angebote unter Verwendung von Graffitiund Manga-Stil und sogar englischsprachiger Slogans eingestellt, die den Umgangston der Jugendlichen repräsentieren und somit einen direkteren Zugang ermöglichen. Auffallend in dieser Szene ist der hohe Anteil von Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren sowie eine hohe Fluktuation innerhalb des Personenpotentials. Während in der rechtsextremistischen Szene etablierte Gruppierungen wie die NPD oder die traditionelle Neonazi-Szene mit ihren Kameradschaften Schwierigkeiten haben, junge Menschen zu erreichen, weil sie als rückwärtsgewandt und nicht am Zeitgeist orientiert wahrgenommen werden, setzen die Autonomen Nationalisten dem ein provokantes und selbstbewusstes Auftreten entgegen. Dies schließt auch ein gewaltbejahendes Auftreten dort ein, wo ein vermeintliches Recht auf "Selbstverteidigung" gegen angebliche staatliche Repression oder den politischen Gegner gesehen wird. Das bislang vorherrschende legalistische - also augenscheinlich rechtskonforme - Verhalten, welches insbesondere in der Öffentlichkeit besondere Rechtstreue REchtsExtREmismus 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 vorspiegeln soll, wird verstärkt durch eine kampfbereite Haltung ersetzt, um "aktionsorientierte" junge Männer für die rechte Idee zu gewinnen. Innerhalb von Demonstrationszügen von Rechtsextremisten waren anfangs sogenannte "Schwarze Blöcke" als deutlich von den übrigen Teilnehmern abgrenzbarer Teil feststellbar. Zwischenzeitlich wird jedoch das neue Erscheinungsbild, bestehend aus schwarzen Kapuzenjacken, Sonnenbrillen und schwarzen Kappen, von fast allen Teilnehmern bei Demonstrationen übernommen. Die vormals durch die Blockbildung feststellbare Abgrenzung Autonomer Nationalisten gegenüber anderen Teilnehmern ist aktuell nicht mehr zu erkennen. Eine eigene ideologische Ausrichtung dieser Neonazis ist aber nicht feststellbar. Vielmehr sprechen eigene Veröffentlichungen aus diesem Bereich von Autonomem Nationalismus als eine neue Agitationsform. "Der Autonome Nationalismus bezeichnet eine Agitationsform, welche sich die letzten Jahre innerhalb der nationalen Bewegung entwickelt hat. Eine eigene Weltanschauung o.Ä. ist mit AN nicht gemeint. Der Grundgedanke ist eine Art 'do it yourself'-Aktivist, also jemand, welcher aktiv und vor allem kreativ politische Arbeit betreibt, ohne sich an feste Organisationen binden zu müssen. Dies hat zum einen den Vorteil, dass Strukturen, die offiziell überhaupt nicht existieren, nicht verfolgt oder gar verboten werden können, und zum anderen gibt es dem Aktivisten mehr Freiheit und darauf aufbauend die Möglichkeit, seine eigene Kreativität in seine Aktivitäten ein-fließen zu lassen." (bayerischeruntermain.wordpress.com/ueber-uns/ der-autonome-nationalismus-eine-agitationsform/, 20. Dezember 2010) Im Sinne dieser selbst gegebenen Charakterisierung ist festzustellen, dass in den letzten Jahren eine Vielzahl von ortsbezogenen Gruppierungen unter der Selbstbezeichnung Autonome Nationalisten über das Internet oder durch Einzelaktionen auf sich aufmerksam machen. Nicht in allen Fällen verbirgt sich allerdings dahinter eine real existierende Gruppierung, sondern um die Initiative von Einzelnen, die kaum eine längerfristige Aktivität entfaltet und wenig Personen im Umfeld anspricht. Neonazis in NRW Zu Beginn des Jahres 2012 waren - wie in den Jahren zuvor - etwa 640 Personen in der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen aktiv. Nachdem im Mai und im August 2012 gegen vier maßgebliche rechtsextremistische Neonazi-Vereinigungen Vereins96 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 verbote vollzogen wurden, ist das derzeit aktive Personenpotential zurückgegangen. In der Folge der Verbote sind insofern deutliche Veränderungen feststellbar; die Reaktionen in den Szenen reichen von der Auflösung beziehungsweise dem Zerfall der Personenzusammenschlüsse über eine Lähmung oder eine öffentlich wahrnehmbare Inaktivität der vormaligen Kameradschaften bis hin zur Reorganisation der Führung und einem Teil der Mitglieder innerhalb der im Juni 2012 gegründeten Partei 'Die Rechte'. Damit einhergehend vollziehen sich weitere Veränderungen in der NeonaziSzene - weg von der recht klaren Trennung zwischen parlamentsorientierten und aktionsorientierten Organisationsformen hin zu einer Mischform. Dass sich damit bekennende "Nationale Sozialisten" - auch nach eigener Wahrnehmung - in die Rolle von "Parteimitgliedern" begeben und scheinbar nach den Regeln des ihnen verhassten und von ihnen bekämpften "Systems" handeln, dürfte taktisch bedingt sein und als eine aus der Not der ihnen entzogenen Strukturen geborene Konzessionsentscheidung zu werten sein. Kameradschaftsverbote in NRW In Nordrhein-Westfalen waren bislang sogenannte Freie Kameradschaften in Aachen/ Düren, Köln, Dortmund, Hamm und im Rhein-Sieg-Kreis aktiv. Ferner hat sich im Raum Wuppertal eine Szene etabliert und verfestigt, die die Merkmale einer Kameradschaft aufweist, die aber auch stark durch die Aktionsform der Autonomen Nationalisten geprägt ist. Das Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen hat 2012 die vier aktivsten und auch aggressivsten Kameradschaften verboten. Verbotsverfahren Am 10. Mai 2012 wurde zunächst die 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (KWS) in Köln verboten, weil die Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete und sie nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider lief. Noch im März 2012 waren der Kameradschaftsführer und zwei weitere Aktivisten der Kameradschaft in einem durch die Staatsanwaltschaft Koblenz geführten Strafverfahren in Untersuchungshaft genommen worden, weil sie im Verdacht standen, die mutmaßlich kriminelle rechtsextremistische Vereinigung 'Aktionsbüro Mittelrhein' zu unterstützen. Die strafrechtliche Hauptverhandlung vor dem LG Koblenz war bei Drucklegung noch nicht abgeschlossen. REchtsExtREmismus 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Am 23. August 2012 wurden zeitgleich Verbote dreier Kameradschaften vollzogen. Auch die von diesen Verboten betroffenen Vereinigungen agitierten gegen die verfassungsmäßige Ordnung und ihre Aktivitäten liefen nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider. Die Mitglieder der verbotenen Vereinigungen 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL), 'Kameradschaft Hamm' und Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' (NWDO) verherrlichten den Nationalsozialismus und zeigten eine aggressiv-kämpferische Ausrichtung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Im Zuge der Verbote wurden im Rahmen des polizeilichen Einsatzes insgesamt mehr als 130 Kameradschaftsmitgliedern Verbotsverfügungen zugestellt und mehr als 140 Wohnungen, Vereinsheime und Nebengebäude durchsucht. Beweismaterial in erheblichem Umfang sowie Vereinsvermögen und zahlreiche Waffen aller Art wurden sichergestellt. Aufgrund der Vielzahl der sichergestellten Asservate (mehr als 1.700) dauert die Auswertung noch an. Mit den gegen sie ergangenen Verfügungen wurden die Vereinigungen aufgelöst und ihr Vermögen eingezogen. Ihnen wurde die Weiterbetätigung untersagt und zugleich verboten, Ersatzorganisationen zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen. Klagen gegen die Verbote Gegen die Verbote der KAL und des NWDO wurden jeweils beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster Klage erhoben. Durch die Kameradschaften Köln und Hamm wurde keine Klage gegen die sie betreffenden Vereinsverbote erhoben. Reaktionen auf die Verbote aus der rechtsextremistischen Szene Die rechtsextremistische Szene reagierte sofort und in vielfältigen Formen auf regionaler und länderübergreifender Ebene nach Bekanntwerden der Verbote. Beispielhaft werden einige der zahlreichen Solidaritätsbekundungen und -kundgebungen genannt: Mehrere rechtsextremistische Gruppen aus verschiedenen Bundesländern veröffentlichten auf ihren Websites im Rahmen einer Solidaritätskampagne Spendenaufrufe. Es wurde ein eigens dafür eingerichtetes Konto bei einer Berliner Bank zur finanziellen Unterstützung des Klageverfahrens beim OVG Münster gegen das Verbot des NWDO benannt und um Spenden geworben. 98 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Mit der Einstellung des Videos "Der Widerstand ist ein Hydra" auf YouTube protestiert die rechtsextremistische Szene gegen die Vereinsverbote und das Verbot des Antikriegstags 2012 in Dortmund. Sie skandieren "Trotz Verbot sind wir nicht tot" und zeigen ein Banner mit der Aufschrift "VERBOTEN - NA UND!". Unter dem Titel "1. September 2012 in Hameln" wurde auf YouTube ein weiteres Video über eine nächtliche Solidaritätskundgebung der AG Weserbergland veröffentlicht. Das Video beginnt mit Ausschnitten aus der Fernsehberichterstattung zu den mit den Verbotsverfügungen verbundenen Durchsuchungsmaßnahmen und endet schließlich mit dem Abbrennen von Pyrotechnik hinter einem Banner der AG Weserbergland mit dem Schriftzug "Solidarität ist eine Waffe!". Vereinsverbote in anderen Bundesländern Die Reaktionen bezogen sich teilweise auch auf Vereinsverbote gegen rechtsextremistische Kameradschaften in anderen Bundesländern. So wurde am 19. Juni 2012 die Vereinigung 'Widerstandsbewegung in Südbrandenburg' durch den brandenburgischen Innenminister verboten, am 25. September 2012 erfolgte das Verbot der neonazistischen Vereinigung 'Besseres Hannover' durch den niedersächsischen Innenminister. Auch diese Gruppierungen richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und ihre Aktivitäten liefen nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider. Auswirkungen der Verbote Nach den Verboten konnte eine deutliche Verunsicherung in der rechtsextremistischen Szene beobachtet werden. So hat sich ein Kameradschaftsführer, ein bundesweit bekannter Aktivist der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene, aus der Szene zurückgezogen. Die von ihm ehemals angeführte verbotene 'Kameradschaft Walter Spangenberg' ist zerfallen. Infolge des Vereinsverbotes konnte das Polizeipräsidium Dortmund die Veranstaltungen zum sogenannten achten "Antikriegstag" in Dortmund verbieten. Der NWDO beabsichtigte am 31. August 2012 Veranstaltungen und am darauffolgenden 1. September einen Aufzug mit Kundgebungen durchzuführen. Bei den zwischenzeitlich durchgeführten Demonstrationen wurden deutlich weniger Teilnehmer als in den Vorjahren festgestellt. Während der "harte Kern" der Szene REchtsExtREmismus 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Unbeugsamkeit zur Schau trägt, wurden in der Folge der Verbote die begeisterungsfähigen Mitläufer der Szene offenbar aufund abgeschreckt. Dazu haben neben den Verboten ebenso die strafrechtlichen Exekutivmaßnahmen gegen die mutmaßlich kriminelle Vereinigung "Freundeskreis Rade" beigetragen. Die Strategie, Rechtsextremisten aus der Anonymität heraus zu holen und deren Angriffe auf Freiheitsrechte mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu sanktionieren, zeigt damit erste Erfolge. Infolge der Verbote erhöhte sich auch die Zahl der Teilnehmer am Aussteigerprogramm Rechtsextremismus des Ministeriums für Inneres und Kommunales und verdoppelte die Zahl der Neuzugänge des Vorjahres. Die nordrhein-westfälischen Verbotsmaßnahmen hatten auch Auswirkungen auf die Kameradschaft-Szenen anderer Länder. Die sächsische Kameradschaft 'Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland' (RNJ) verkündete unmittelbar nach den Verboten in Nordrhein-Westfalen auf Facebook ihre Auflösung, wahrscheinlich, um damit drohenden behördlichen Verboten aus dem Weg zu gehen. Neben der Eindämmung neonazistischer Strukturen und Demonstrationen in NRW hat sich ein Teil der verbotenen Kameradschaften in der Partei 'Die Rechte' reorganisiert und die bisherigen Aktivitäten nunmehr unter dem Schutz des Parteienprivilegs fortführt. So stehen sowohl der Landesverband als auch die Kreisverbände Dortmund, Hamm, Aachen und Heinsberg hinsichtlich der Personen, der Aktivitäten, des Auftretens und der Netzwerke in bruchloser Kontinuität mit den verbotenen Kameradschaften Dortmund, Hamm und Aachener Land. Die regionalen Neonazi-Szenen vor und nach den Verboten Szene Raum Köln Im Kölner Raum gingen im Jahr 2012 insbesondere Aktivtäten von der 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (KWS) sowie den 'Autonomen Nationalisten Pulheim' (ANP) aus. 'Kameradschaft Walter Spangenberg' (KWS) Die KWS wurde am 10. Mai 2012 durch den Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen verboten. Anders als die weiterhin im Raum Köln aktiven 'Autonomen Nationalisten Pulheim' (ANP) sah sich die KWS vor allem in 100 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der Tradition der SA. Die Mitglieder der KWS glorifizierten den Nationalsozialismus, lehnten die Rechtsordnung ab und sprachen sich für ein viertes großdeutsches Reich aus. Die Akzeptanz für den Stil und das Verhalten der Autonomen Nationalisten war in dieser Gruppierung eher gering. Die KWS verfügte nur über ein begrenztes eigenes Mobilisierungspotential und war verhältnismäßig stark auf ihren führenden Aktivisten fokussiert. Dieser war bis zum Verbot intensiv um eine Vernetzung der neonazistischen Szenen im Rheinland bemüht. Aus diesem Grund besetzte die Kameradschaft innerhalb der rechtsextremistischen Szene Nordrhein-Westfalens neben anderen Akteuren eine ideologische Schlüsselposition. Insofern konnte nicht nur der Szene im Kölner Raum ein empfindlicher Schlag durch das Verbot versetzt werden. Mittlerweile ist auch bekannt geworden, dass der Führungsaktivist der KWS - wie die meisten anderen Mitglieder - einen Rückzug aus der Szene vollzieht. 'Autonome Nationalisten Pulheim' (ANP) Die 'Autonomen Nationalisten Pulheim' (ANP) sind eine weiterhin aktive Gruppierung, die sich der Aktionsform der Autonomen Nationalisten verschrieben hat und insbesondere in Pulheim und Umgebung durch Flugblattverteilungen, Mobilisierungsaktionen für überregionale rechtsextremistische Demonstrationen und ähnliche Aktionen in Erscheinung tritt. Es handelt sich um eine verhältnismäßig kleine Gruppierung mit etwa zehn Aktivisten, die sich allerdings vermehrt um Vernetzung bemüht. Auch die ANP reagierten auf die Kameradschaftsverbote, indem sie auf einer Internetseite am 28. August 2012 einen Artikel mit dem Thema "Kein Ende der Repressionswelle gegen die nationale Bewegung" einstellten. Inwiefern durch den Rückzug von Kölner Aktivisten und durch zahlreiche Inhaftierungen im Verfahren gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' in Rheinland-Pfalz die Szene sich neu strukturiert und Führungsansprüche geltend gemacht werden, ist weiter zu beobachten. REchtsExtREmismus 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Szene Aachen/Düren/Heinsberg 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL) Die aktionsorientierte rechtsextremistische Szene in den Kreisen Aachen, Düren und Heinsberg wurde in der Vergangenheit durch die militante und gewaltbereite 'Kameradschaft Aachener Land' (KAL) dominiert. Diese feierte im privaten Rahmen am 10. März 2012 in der Nähe von Erkelenz ihr zehnjähriges Bestehen in Anwesenheit von ca. 120 Neonazis aus dem Inund Ausland. Die Feier belegte deutlich die gewachsene überregionale Vernetzung der 'Kameradschaft Aachener Land', unter anderem mit der Kameradschaft 'Jagdstaffel D.S.T.' aus Bayern. Letztere war wegen ihrer hohen Affinität zu Waffen und ihrer Kontakte zu verurteilten Rechtsterroristen Veröffentlichung auf der Homepage aufgefallen. Die deutlich wahrnehmbare Radikalisierung der Kameradschaft Aachener Land der KAL und ihrer Mitglieder, die in den letzten Jahren am 23. August 2012 eine Vielzahl von Straftaten begingen und die im Internet offen den Nationalsozialismus verherrlichten und die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnten, führte schließlich zum Verbot. In der Folge war aber eine deutlich wahrnehmbare Verunsicherung und Zurückhaltung der vormaligen Kameradschaftsmitglieder festzustellen. Durch die Beschlagnahmeund Sicherstellungsmaßnahmen wurde zudem vorläufig der logistische und finanzielle Nährboden entzogen. Öffentliche Auftritte auf Demonstrationen und szeneinterne Veranstaltungen nahmen spürbar ab. Allerdings hat sich zu Beginn des Jahres 2013 ein Teil der vormaligen Kameradschaftsmitglieder der KAL in den neu gegründeten Kreisverbänden der Partei 'Die Rechte' in Aachen und Heinsberg organisiert. Ein Mitglied der ehemaligen Kameradschaft wurde auf den ersten Platz der Landesliste der Partei für die Bundestagswahl gewählt. Internetauszug der inzwischen verbotenen KAL 102 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 'Kameradschaft Alsdorf-Eupen' (KAE) Weiterer Zulauf, insbesondere aus der KAL, zu der in diesem Jahr bekannt gewordenen Alsdorf-Eupen' (KAE) ist derzeit nicht zu beobachten. Bislang gibt es von der KAE in der Öffentlichkeit nur wenige wahrnehmbare Aktivitäten. Beispiel für typische Gewalttaten der Szene Eine Person mit afrikanischem Migrationshintergrund war in Stolberg zu Fuß unterwegs, als ein mit vier Personen besetzter PKW neben dieser hielt. Zwei Täter stiegen aus, beleidigten und schubsten das Opfer, woraufhin dieses stürzte und sich leicht verletzte. Während der Verletzte zu Fuß flüchtete, fuhr kurze Zeit später der PKW unmittelbar auf ihn zu. Bei seiner Flucht zog sich das Opfer weitere Verletzungen zu. Szene Dortmund 'Nationaler Widerstand Dortmund' (NWDO) Die Dortmunder Neonazi-Szene, insbesondere die auch durch Autonome Nationalisten geprägte Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Dortmund' (NWDO) hatte auch im Jahr 2012 noch maßgeblich dafür gesorgt, dass die dortige Szene als führend innerhalb der Kameradschafts-Szene in NRW gesehen wird. Überregionale Kontakte, gemeinsame Schulungen und die Möglichkeit, den Aktivisten der übrigen Kameradschafts-Szenen in Nordrhein-Westfalen entsprechendes Wissen über technische Datensicherung, konspiratives Verhalten und taktisches Vorgehen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zu vermitteln, sicherte der Dortmunder Szene eine Führungsrolle. Darüber hinaus verfügte die Szene über eine besonders hohe Mobilisierungsfähigkeit. Regional und überregional waren Dortmunder Aktivisten mit starker Präsenz bei Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen vertreten, zuletzt in großer Anzahl bei einer Veranstaltung in Remagen am 24. November 2012. Kampagne "R 135 bleibt" Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, insbesondere vermeintliche Linksextremisten, vor allem aber die Kampagne "R 135 bleibt" prägten die Aktivitäten der rechtsextremistischen Kameradschafts-Szene in Dortmund im Jahr 2012. "R 135" war die gewählte schlagwortartige Kurzbezeichnung für die Adresse des KameradREchtsExtREmismus 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 schaftstreffpunkts in der Rheinischen Straße Nr. 135 in Dortmund. Die Vereinsräumlichkeiten waren der Kameradschaft gekündigt worden, nachdem die Stadt Dortmund die Immobilie erworben hatte. Die Kameradschaft drohte im Rahmen der von ihr initiierten Solidarisierungskampagne unverhohlen per Plakatmotiv, auf dem die Aktivisten mit Knüppeln und Schutzschilden bewaffnet zur Verteidigung ihrer Vereinsräume aufriefen. Ein ähnliches Motiv wurde überregional durch Aufkleber verbreitet. Begleitet von einem drohenden Unterton zeigte die Kameradschaft auch so ihre aggressivkämpferische Haltung, die ein Grund für deren Verbot am 23. August 2012 war. Verbot des geplanten achten "Antikriegstags" in Dortmund In engem Zusammenhang mit dem Vereinsverbot wurde der geplante achte Antikriegstag in Dortmund vom Polizeipräsidenten Dortmund verboten. Unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien Welt" wurde überregional zur Teilnahme aufgerufen. Es waren Veranstaltungen am 31. August 2012 geplant, die im Zeichen von rechtsextremistischen Musikgruppen und Aufruf zum Antikriegstag am 1. September 2012 in örtlichen Redebeiträgen stehen sollten. Dortmund Für den 1. September war ein Aufzug mit Kundgebungen beabsichtigt. Für diese Veranstaltung sollten bekannte Personen der rechten Szene aus ganz Deutschland als Redner auftreten. Die Mobilisierung erfolgte hauptsächlich durch Online-Medien. Entsprechende Profile auf Facebook, dem Kurznachrichtendienst Twitter oder einschlägige Internetseiten riefen zur Teilnahme auf und versorgten Interessierte mit Informationen. Der "Antikriegstag" und die damit verbundenen Versammlungen am 31. August und 1. September wurden vom Polizeipräsidium Dortmund verboten. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen in Münster und letztinstanzlich das Bundesverfassungsgericht bestätigten das Verbot. Viele Aktivisten, die sich bereits auf der Anreise nach Dortmund befunden haben, brachen die Reise ab. Vereinzelt bildeten sich Ersatzveranstaltungen, die kurzfristig über das Internet organisiert wurden. 104 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Gegen dieses Verbot formierten sich mehrere Protestveranstaltungen rechtsextremistischer Sympathisanten. Solidaritätsaktion gegen das Verbot des NWDO Eine weitere Reaktion auf das Vereinsverbot vom 23. August zeigte sich in einer Solidaritätsaktion gegen das Verbot des NWDO anlässlich der Auftaktbegegnung der 1. Fußball Bundesliga am 24. August 2012. Im Rahmen des Fußballspiels Borussia Dortmund gegen Werder Bremen zeigte ein Aktivist der rechtsextremistischen Szene Dortmund ein Solidaritätsplakat auf der Zuschauertribüne. Diese Aktion hatte angesichts der Fernsehübertragung mit mehreren Millionen Zuschauern und der anschließenden großen Presseberichterstattung eine erhebliche Außenwirkung. In der Folge der Untersuchungen zu der Solidaritätsaktion mit dem NWDO zeigten sich neonazistische Verbindungen in bestimmte Fußballfan-Szenen. Dort wird versucht, wenn auch zur Zeit noch vereinzelt, Rekrutierungsarbeit für die rechtsextremistische Szene zu leisten. Eine strukturelle Unterwanderung ist bislang nicht erkennbar. Primär liegen die Schnittmengen in der Bereitschaft, sich gewalttätig auseinanderzusetzen. Beispiel für typische Gewalttaten der Szene Im September 2012 kam es im Dortmunder Hauptbahnhof zu einer körperlichen Auseinandersetzung in deren Verlauf drei Täter aus der rechtsextremistischen Szene zwei vermeintliche "Linke" verletzten, indem sie einem Opfer gegen den Kopf traten und dem anderen den Kopf mehrmals gegen eine S-Bahn schlugen. Szene Hamm Bis zum Vereinsverbot am 23. August hat die 'Kameradschaft Hamm' eng mit der Kameradschaft in Dortmund kooperiert. Die 'Kameradschaft Hamm' hat nicht gegen das Verbot geklagt und zeigt als Kameradschaft derzeit keine Aktivität mehr. Allerdings ist der ehemalige Kameradschaftsführer nach dem Verbot zum Vorsitzenden des neu gegründeten Kreisverbandes der Partei 'Die Rechte' in Hamm gewählt worden, außerdem ist er im Bundesvorstand der Partei vertreten. Ein Teil der ehemaligen Kameradschaftsmitglieder ist in den Kreisverband eingetreten. REchtsExtREmismus 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bereich Münster Demonstration am 3. März 2012 "Für eine selbstbestimmte Zukunft unseres Volkes! Raus aus EU, NATO und UNO" Die rechtsextremistische Szene im Bereich Münster hat sich insbesondere bei der Demonstration am 3. März 2012 gezeigt. Unter dem Motto "Für eine selbstbestimmte Zukunft unseres Volkes! Raus aus EU, NATO und UNO" haben etwa 350 Neonazis demonstriert. Die Veranstaltung wurde von einer hohen Zahl von Gegendemonstranten kritisch begleitet. Ansonsten hatte sich die Szene in Münster eher der 'Kameradschaft Hamm' angeschlossen und an dortigen Veranstaltungen teilgenommen oder sich mit den dortigen Aktivisten an überregionalen Demonstrationen beteiligt. Daher hat das Plakat zur DemonstraVerbot der 'Kameradschaft Hamm' auch eine Schwächung tion am 3. März 2012 der Münsteraner Szene bewirkt. Wie in Dortmund und Hamm in Münster gründete sich auch im Bereich Münster ein Kreisverband der Partei 'Die Rechte', der jedoch bislang lediglich im Internet aktiv ist. Szene Wuppertal 'Nationale Sozialisten Wuppertal' (NaSoWpt) Die unter der Eigenbezeichnung 'Nationale Sozialisten Wuppertal' (NaSoWpt) aktive Gruppierung hat - bezogen auf das zweite Halbjahr 2012 - ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Auftritte stark reduziert. Die NaSoWpt sehen ihre Zielsetzung im Wesentlichen in der sogenannten Anti-AntifaArbeit. Anti-Antifa bedeutet, dass zum Beispiel die persönlichen Daten politischer Gegner gesammelt und veröffentlicht sowie deren Aktionen und Veranstaltungen dokumentiert werden. Ein zentrales Ziel ist dabei, den politischen Gegner einzuschüchtern. Am 24. März 2012 organisierte die NaSoWpt die Mobilisierung für eine sogenannte Solidaritätskundgebung für Neonazis, die im Verfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' in Rheinland-Pfalz inhaftiert wurden. Neben 106 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der ideologischen Nähe zu den Inhaftierten sind ein Grund für das Engagement der Wuppertaler Szene auch ihre Kontakte und Verflechtungen mit dem Neonazi-Netzwerk 'AG Rheinland', dessen Führungsperson ein Hauptbeschuldigter in dem Verfahren gegen das 'Aktionsbüro Mittelrhein' ist. Bei Redaktionsschluss dieses Berichtes befand sich der Betreffende noch immer in Untersuchungshaft. Nachdem die Kameradschaftsverbote in Nordrhein-Westfalen ergangen waren, hielten sich die Mitglieder der NaSoWpt zunehmend zurück. Die Internetseite der Gruppierung wurde vom Netz genommen und der Twitter-Account gelöscht. Vor dem Hintergrund eines befürchteten Verbots auch der NaSoWpt gründeten überwiegend dessen Mitglieder am 30. Januar 2013 einen neuen Kreisverband der Partei 'Die Rechte' und übernahmen dessen Führung. Beispiel für typische Gewalttaten der Szene In Wuppertal schlug ein rechtsextremistischer Aktivist im April 2012 mit einer Flasche nach anfänglich verbalen Streitigkeiten mit vermeintlichen Angehörigen der "linken" Szene auf zwei Personen ein. Der Täter schlug dem ersten Opfer die Flasche auf den Kopf, mit der daraufhin zerbrochenen Flasche fügte er dem zweiten Opfer einen sieben Zentimeter langen Schnitt im Gesicht zu. Szene Bergisches Land In Radevormwald wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung Wohnungen durchsucht und Personen vorläufig festgenommen. Der unter dem Namen 'Freundeskreis Rade' agierende Zusammenschluss rechtsextremistischer Jugendlicher und junger Erwachsenen aus dem bergischen Land mit engen Verbindungen zu 'pro NRW' beging in der Region Propagandaund Gewaltstraftaten. Bei Wohnungsdurchsuchungen von Mitgliedern der sich den Autonomen Nationalisten zurechnenden Gruppe fand die Polizei Hiebund Stichwaffen und sogar eine Schusswaffe. Der Prozess gegen mehrere Mitglieder des 'Freundeskreis Rade' wird in 2013 eröffnet. Szene Rhein-Sieg Die in Bad Honnef ansässige Kameradschaft 'Sturm-Rhein-Sieg' wird seit Jahren von einem bundesweit bekannten Neonazi geführt. Die zahlenmäßig kleine Gruppierung lebt vor allem von der Reputation des Kameradschaftsführers in Szene. ÖffentlichREchtsExtREmismus 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 keitswirksame Auftritte sind jedenfalls nicht Bestandteil des Repertoires dieser Gruppierung, vielmehr werden durch die Kameradschaft szeneinterne Veranstaltungen wie beispielsweise Wanderungen durchgeführt. Im Berichtszeitraum haben die ohnehin wenig bekannten Aktionen weiter abgenommen. Auch diese Entwicklung dürfte eine Folge der Kameradschaftsverbote des Jahres 2012 sein. Überregionale Aktivitäten 'AG Rheinland' Die regionalen Neonazigruppierungen arbeiten weiterhin anlassund ereignisbezogen zusammen. Zweck dieses Zusammenschlusses ist es, bestehende persönliche Kontakte untereinander dafür zu nutzen, um die aktionsorientierten Personen der regionalen Kameradschaftsund unstrukturierten Szenen zu mobilisieren, zu bündeln und zu koordinieren. Damit soll innerhalb der Szene wie auch in der Außendarstellung die größtmögliche Wirkung im Kampf gegen das von ihnen abgelehnte demokratische System erzielt werden. Ein Beispiel für neonazistische Vernetzungsstrukturen ist die AG Rheinland, ein bis 2012 aktiver Zusammenschluss der Kameradschaftsund unstrukturierten Szenen in den Bereichen Aachen, Köln, Wuppertal und dem Rhein-Sieg-Kreis mit Bezügen bis in das benachbarte Rheinland-Pfalz. Auf dem "Informationsportal der Aktionsgruppe Rheinland" heißt es dazu unter der Überschrift "Aktiv werden: mitmachen - anpacken - handeln!": "Seit Mitte 2007 haben sich verschiedene nationale Gruppen aus dem Rheinland zusammengeschlossen und leisten vereint Widerstand." (ag-rheinland. info). Bis März 2012 agierten Angehörige dieser Szenen anlässlich von Versammlungen gemeinsam und koordiniert unter den wechselnden Eigenbezeichnungen 'AG Rheinland', "Rheinland" oder "das Rheinland". Der Bereich dessen, was als "das Rheinland" angesehen wird, scheint sich an dem Gebiet der alten preußischen Rheinprovinz zu orientieren. Jedenfalls wurde seit 2011 zunehmend durch das Mitführen der Flagge der preußischen Rheinprovinz bei demonstrativen Aktionen oder das einheitliche Tragen von T-Shirts mit dem Aufdruck des Wappens der Rheinprovinz, Geschlossenheit gezeigt. Ausweislich des Internetauftritts der 'AG Rheinland' werden mit einem eingestellten elektronischen Kontaktformular insbesondere Interessenten aus den Räumen 108 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Aachen, Bergisch Gladbach, Burscheid, Düren, Düsseldorf, Erftstadt, Köln, Leverkusen/Leichlingen, Mettmann, Pulheim, Solingen und Wuppertal umworben. Nach den Exekutivmaßnahmen gegen Mitglieder und Unterstützer des 'Aktionsbüro Mittelrhein' in Rheinland-Pfalz - darunter maßgebliche Akteure der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene aus der 'AG Rheinland' - wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung im März 2012 und den gegen vier in Nordrhein-Westfalen agierenden Neonazivereinigungen ausgesprochenen Vereinsverboten konnte ein deutlicher Rückgang der Aktivitäten festgestellt werden. Zusammenarbeit mit der NPD Auch mit örtlichen NPD-Kreisverbänden findet weiterhin eine Zusammenarbeit der Kameradschaften statt - so beispielsweise in Dortmund/Unna. Jedoch wird dabei darauf geachtet, die Eigenständigkeit in der politischen Arbeit zu betonen. Oftmals rücken ideologische - oder nicht selten auch persönliche - Differenzen in Anbetracht der "gemeinsamen nationalen Sache" dann in den Hintergrund. 2.2.2 Rechtsextremistische Skinheads Entstehung und Entwicklung der Skinhead-Szene Die Skinhead-Szene entstand Ende der 1960er Jahre in Großbritannien. Jugendliche aus der Arbeiterschicht begehrten gegen soziale Missstände und steigende Arbeitslosigkeit infolge der zunehmenden Rationalisierung in der Industrie auf. Ihre Zugehörigkeit zur Subkultur dokumentierten Skinheads durch ihr Äußeres: kahlgeschorene Schädel, Bomberjacken, schwere Arbeitsstiefel und Hosenträger. Die Aktivitäten der Skinheads der ersten Generation waren weitgehend unpolitisch und beschränkten sich im Wesentlichen auf Alkoholkonsum, den Besuch von Konzerten oder Fußballspielen und Gewalt. Die Skinhead-Szene vor allem in Großbritannien machte zunehmend mit immer härteren Gewaltexzessen von sich Reden, und damit nahm auch der gesellschaftliche und staatliche Druck auf die Subkultur zu. Dies hatte zur Folge, dass die erste Skinhead-Welle zu Beginn der 1970er Jahre verebbte. Erst gegen Ende der 70er Jahre lebte die Skinhead-Kultur als Reaktion auf den kommerziellen Ausverkauf des in der Zwischenzeit entstandenen Punk auf. Kleidung, Musik und Verhalten der ersten Skinhead-Generation wurden aufgegriffen. Jedoch REchtsExtREmismus 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 fanden nun viele Jugendliche Zugang zu der Subkultur, die vor allem durch die Gewalt angezogen wurden. Die schlechte wirtschaftliche Situation Großbritanniens und die Verbindung der Themen Einwanderung und fehlende Arbeitsplätze für Jugendliche lösten eine zunehmende Politisierung dieser sogenannten Oi!-Bewegung aus, die durch die rechtsextremistische 'National Front' (NF) genutzt wurde. Ende der 1970er Jahre breitete sich die Skinhead-Subkultur in Europa und in alle Welt aus. Seit der Wiedervereinigung ist diese Szene auch in Deutschland eine bedeutende Größe. Gewalt und Dresscode Nach wie vor nimmt die Öffentlichkeit von der vielschichtigen Skinhead-Szene hauptsächlich den starken rechtsextremistischen Flügel wahr, der sich nicht nur über sein provozierendes Äußeres und eine aggressive Musik definiert, sondern auch über neonazistische Ideologieelemente. Anders als bei den Neonazis zeigen sich diese nicht in erster Linie in einer primär ideologischen Argumentation, sondern auch in spontanen gewalttätigen Aktionen. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute allerdings keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu. Einerseits gibt es viele unpolitische Jugendliche, die ein vermeintlich Skinhead-typisches Aussehen zeigen, ohne dem rechtsextremistischen Teil der Szene anzugehören. Diese Jugendlichen fühlen sich dem unpolitischen Teil der Skinhead-Bewegung - den sogenannten Oi!-Skins zugehörig - dem größeren Teil der Szene. Andererseits verlieren die altbekannten Dresscodes seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Insbesondere für den rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene ist es im Alltag einfacher, nicht durch offensichtliches Tragen von einschlägig bekannten Zeichen oder Haarschnitten eine politische Zuordnung möglich zu machen. Rechtsextremistische Skinhead-Musikszene Die Skinhead-Szene - wie auch jede andere Jugendsubkultur - wird von den szeneinternen Medien geprägt. Hierzu gehört insbesondere die Skinhead-Musik als ein wichtiges und identitätsstiftendes Element, sie wirkt als Integrationsund Aggressionsfaktor. Die mögliche Wirkung der Musik als Mittel der Indoktrination darf dabei nicht verkannt werden. Dass Musik als Medium für die ideologische Beeinflussung von 110 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Jugendlichen verwandt werden soll, wird bereits in einem Zitat des Briten Ian Stuart Donaldson (auch als Ian Stuart bekannt) deutlich: "[Musik] berührt die jungen Leute, die von den Politikern nicht erreicht werden. Viele finden die Politik, parteipolitisch gesehen, langweilig, was teilweise stimmt. Es ist doch viel angenehmer, mit anderen ein Konzert zu besuchen und Spaß zu haben, als in eine politische Versammlung zu gehen." Donaldson, Frontmann der britischen Band 'Skrewdriwer', gründete 1987 die seit Juni 2001 in Deutschland rechtskräftig verbotene 'Blood & Honour'-Organisation zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts durch Musik und zur Festigung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Im September 1993 kam Donaldson mit zwei weiteren Bandmitgliedern bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seitdem wird der schon zu Lebzeiten gefeierte "Skinhead-Führer" in der Szene als Kultfigur verehrt. Skinhead-Konzerte und sonstige Musikveranstaltungen (Liederoder Balladenabende) dienen der ansonsten weitgehend unorganisierten rechtsextremistischen Skinhead-Szene als Treffpunkt, um Pogo zu tanzen und Alkohol zu konsumieren sowie als Orte, an denen Kontakte geknüpft und ausgebaut werden und rechtsextremistische Propaganda verbreitet wird. Dabei üben die konspirative Vorbereitung der Konzerte und das Auftreten von Skinhead-Bands, die zum Teil strafrechtlich relevante Liedtexte darbieten, einen besonderen Reiz gerade auf jugendliche Teilnehmer aus. Auf den Konzerten werden auch Tonträger mit rechtsextremistischen Inhalten sowie MerchandisingArtikel (T-Shirts, Sweat-Shirts mit Bandaufdrucken etc.) verkauft. Die dargebotenen Lieder werden teilweise mit einer besonderen Art der Darstellung (zum Beispiel Zeigen des Hitlergrußes, Sieg-Heil-Rufe, Schwenken der Reichskriegsflagge) zur ideologisch-propagandistischen Interaktion mit der Zuhörerschaft vorgetragen. Darüber hinaus spielen die Bands neben aktuellen, oftmals durch "verschärfte" Passagen angereicherten Stücken auch indizierte Lieder, die innerhalb der Szene bestens bekannt sind. Für eine strafrechtliche Verfolgung der beschriebenen Handlungen fehlt es aber regelmäßig an einer dafür erforderlichen Außenwirkung. Aufgrund von Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden, der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) sowie einer allgemeinen sozialen Ächtung ist inzwischen vermehrt zu beobachten, dass politische Botschaften verhaltener formuliert und strafrechtlich relevante Textpassagen seltener werden. REchtsExtREmismus 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Skinhead-Konzerte können verboten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten bestehen. Das bloße "Skinhead-Sein" mit dem damit verbundenen provokativen Outfit und Verhalten - auch wenn der überwiegende Teil der Gesellschaft dieses ablehnt - begründet noch keine Maßnahmen von Polizei oder Verfassungsschutz. Aber auch eindeutig rechtsextremistische Skinhead-Konzerte können nur unter besonderen Voraussetzungen verboten oder aufgelöst werden. So hat zum Beispiel der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschieden, dass rechtsextreme Skinhead-Konzerte in der Regel unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallen, so dass ihr Verbot oder ihre Auflösung dann nur unter den engen Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes in Betracht kommt (vgl. hierzu Urteil vom 12. Juni 2010, Az: 1 S 349/10). In seiner Begründung führt der VGH Baden-Württemberg aus, dass Skinhead-Konzerte grundsätzlich nicht wie allgemeine Musikkonzerte bewertet werden könnten, da sie dadurch geprägt sind, dass mit der rechtsextremistischen Musik gleichzeitig eine politische Botschaft vermittelt werde, die über den bloßen Unterhaltungscharakter von Musik hinausgehe. Die Teilnahme Gleichgesinnter an einem solchen Konzert ist dann im Zweifel eine Versammlung. Der Art. 8 des Grundgesetzes unterscheide nicht nach dem Inhalt der geäußerten Meinung, weshalb die rechtsextremistische Ausrichtung der in Rede stehenden Veranstaltung für sich gesehen rechtlich irrelevant sei und ein Verbot oder eine Auflösung eines rechten Konzertes nur nach den Bestimmungen des Versammlungsrechts erfolgen darf. Musikveranstaltungen in Nordrhein-Westfalen Im Jahr 2012 konnten in Nordrhein-Westfalen drei Skinhead-Konzerte, zwei Lieder-/ Balladenabende und drei sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen mit Musik festgestellt werden. Mit einer Gesamtzahl von acht haben sich die festgestellten Musikveranstaltungen im Vergleich zum Vorjahr damit halbiert (2011: 16). Eine regionale Konzentration auf bestimmte Veranstaltungsorte war nicht erkennbar. Die genannten Veranstaltungen verlaufen in der Regel ohne Außenwirkung. Ihre Vorbereitung erfolgt in den meisten Fällen konspirativ mit SMS oder E-Mail, mit denen kurz vor dem Konzerttermin ein Vorab-Treffpunkt bekanntgegeben wird. Von diesem werden die Besucher dann sukzessive an den eigentlichen Ort der Veranstaltung herangeführt. Dieses Verhalten der Organisatoren soll sicherstellen, dass geplante Veranstaltungen möglichst ungestört durchgeführt werden können und insbesondere polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld unterbunden werden. Immerhin trägt der Veran112 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 stalter ein finanzielles Risiko - die Verhinderung eines Konzertes durch die Ordnungsbehörden hätte also direkte wirtschaftliche Auswirkungen. Auch im zurückliegenden Jahr erfolgte die Organisation der Veranstaltungen nicht mehr ausschließlich durch Mitglieder der rechtsextremistischen Skinhead-Musikszene. Auch Personen aus dem erweiterten Neonazi-Spektrum versuchten sich an der Konzert-Organisation mit dem Ziel, durch die erwarteten Einnahmen eigene Aktionen zu finanzieren. Die bekannt gewordenen Veranstaltungen verliefen jedoch ebenfalls weitgehend im kleinen Rahmen und zumeist ohne überregionale Mobilisierung. Grundsätzlich stellt die Ausrichtung von Skinhead-Konzerten keine lukrative Finanzierungsquelle für die rechtsextremistische Szene dar. Vielmehr sind diese Veranstaltungen in erster Linie dazu da, den Zusammenhalt der örtlichen Szene zu fördern. Das schließt nicht aus, dass bestimmte Veranstaltungen oder der Auftritt einzelner Szenebands auch Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands anziehen, die für die Teilnahme an dem Ereignis mitunter weite Anfahrten auf sich nehmen. Umgekehrt beteiligen sich aber auch Skinheads aus Nordrhein-Westfalen regelmäßig an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen bundesweit. Im Jahr 2012 wurde bei ca. 25 der bundesweit durchgeführten Konzerte und Lieder/Balladenabende eine Beteiligung aus Nordrhein-Westfalen bekannt - sei es durch den Auftritt einer nordrheinwestfälischen Band, sei es durch Teilnehmer aus Nordrhein-Westfalen. 2011 fanden rund 50 der etwa 160 bundesweit durchgeführten Veranstaltungen (einschließlich der in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Konzerte) mit Teilnehmern aus NordrheinWestfalen statt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Anzahl der Veranstaltungen mit Beteiligung aus Nordrhein-Westfalen somit halbiert. Um möglichen Verboten oder Auflösungen der Veranstaltungen zu entgehen, werden nach wie vor auch Konzerte im benachbarten Ausland durchgeführt und wahrgenommen, insbesondere weil die dortige Rechtslage die Durchführung derartiger Veranstaltungen erleichtert. Zu nennen sind hier insbesondere Belgien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien und Ungarn. Skinhead-Bands in NRW Auch im Jahr 2012 waren etwa 20 namentlich bekannte nordrhein-westfälische Skinhead-Bands aktiv. Dabei sind Bands, die mit Auftritten und CD-Veröffentlichungen aktiv in der Szene tätig sind - hier sind Bandmitglieder in Einzelfällen in organisierte Zusammenhänge eingebunden -, von den Bands zu unterscheiden, die sich als reine REchtsExtREmismus 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Studio-Projekte verstehen und keine Auftritte absolvieren. Außerdem ist in der recht unsteten und schnelllebigen Musikszene die Auflösung und Neugründung von Bands und das Betreiben von Nebenprojekten an der Tagesordnung, so dass hier eine ständige Bewegung herrscht. Eine kontinuierliche und langjährige Aktivität in NordrheinWestfalen kann nur bei wenigen Bands festgestellt werden. Andere zeigen sporadische Aktivitäten mit längeren Phasen der Untätigkeit. Die Band 'Weisse Wölfe*' zog vor allem durch ihre CD "Weisse Wut" und durch personelle Überschneidungen mit der Band 'Oidoxie*' Aufmerksamkeit auf sich. Das wegen dieser CD anhängige Strafverfahren gegen Mitglieder der Band 'Weisse Wölfe*' endete im November 2007 mit einem Freispruch für die Angeklagten. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass weder die Absicht, die im Ausland produzierte CD "Weisse Wut" in Deutschland zu verbreiten, noch die Mitgliedschaft der Angeklagten in der Band zum Zeitpunkt CD-Cover "Weisse Wut" der der Produktion für eine Verurteilung ausreichend belegt Band 'Weisse Wölfe' werden konnte. 2012 waren insbesondere die Bands 'Angry Bootboys', 'Division Germania' und 'Sturmwehr' aktiv. Indizierungsentscheidungen der BPjM Im Jahr 2012 wurden drei CD's nordrhein-westfälischer Skinhead-Bands von der BPjM indiziert und in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufgenommen. Die in der sogenannten "Liste A" der BPjM aufgeführten Tonträger dürfen Kindern und Jugendlichen nicht angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht werden. In der sogenannten "Liste B" werden alle Trägermedien aufgeführt, die nach Auffassung der BPjM über ihren jugendgefährdenden Inhalt hinaus auch strafrechtlich relevante Inhalte haben. Trägermedien der "Liste B" unterliegen damit einem für alle, nicht nur für Kinder und Jugendliche geltenden Verbreitungsverbot. Die BPjM gibt die Indizierung von Trägermedien regelmäßig im Bundesanzeiger bekannt und veröffentlicht sie darüber hinaus in ihrem amtlichen Mitteilungsblatt ("BPjM-Aktuell"). Über Behörden, öffentliche Bibliotheken, Schulen oder Jugendhilfeeinrichtungen, die das "BPjM-Aktuell" kostenfrei beziehen können, ist gewährleistet, dass jede Bürgerin und jeder Bürger, der wissen möchte, ob ein bestimmtes einzelnes Medium indiziert ist, die Möglichkeit hat, ohne Kostenaufwand in einer öffentlichen 114 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bibliothek Einsicht in die Indizierungslisten zu nehmen. Darüber hinaus kann auch eine Anfrage an liste@bundespruefstelle.de gerichtet werden. Skinhead-Zusammenschlüsse in NRW Insgesamt ist der Skinhead-Szene eine straffe Organisationsstruktur fremd. Auch die Bemühungen von 'Blood & Honour', 'Combat 18' oder der 'Hammerskins' haben bislang nicht zu festen Strukturen geführt. Zusammenschlüsse innerhalb der SkinheadSzene - soweit es sie gibt - haben in erster Linie einen engen regionalen Bezug und bestehen aus einer losen Verbindung der örtlich ansässigen Skinheads. Es finden keine regelmäßigen und organisierten Veranstaltungen statt, wie es im Bereich der Kameradschaften üblich ist. Vielmehr gibt es anlassbezogene Treffen, gemeinsame Besuche von Musikveranstaltungen und Partys zu unterschiedlichen Gelegenheiten. Die Einbindung in eine solche regionale Gruppe schließt Aktivitäten in anderen, organisierten Zusammenhängen nicht aus, ist aber nicht Voraussetzung, um einen Zugang zur rechtsextremistischen Szene zu erhalten. Vereinzelt verfügen Skinhead-Bands über ein stabiles Fanpotenzial, welches sich regelmäßig trifft oder mit der Band zu deren Auftritten unterwegs ist und Saalschutz-Aufgaben übernimmt. Diese Fangruppe setzt sich üblicherweise aus Personen des Band-Umfeldes oder auch guten Bekannten mit Bezug zur rechtsextremistischen Szene zusammen. 'Blood & Honour', 'Combat 18' und 'Hammerskins' in NRW 'Blood & Honour' ist eine weltweit aktive Skinhead-Bewegung, die von Ian Stuart Donaldson in England gegründet wurde. Die deutsche Sektion der Organisation, die versucht, die Skinhead-Szene durch neonazistische Musik politisch zu beeinflussen, wurde im September 2000 durch das Bundesministerium des Innern verboten, nachdem festgestellt wurde, dass sich ihre Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die Verbotsverfügung ist seit dem 13. Juni 2001 rechtskräftig. Die immer noch existenten verschiedenen ausländischen 'Blood & Honour'-Strukturen sind dadurch nicht beeinträchtigt, da weitere Verbote im benachbarten Ausland ausgeblieben sind. Für Nordrhein-Westfalen liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse über die Fortführung der verbotenen Organisation vor. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass persönliche Kontakte/Freundschaften der damaligen 'Blood & Honour'-Mitglieder REchtsExtREmismus 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 weiter fortbestehen und einzelne Anhänger nach wie vor aktiv sind. Feste, dauerhafte Organisationsstrukturen sind in NRW aber nicht erkennbar. 'Blood & Honour'-Konzerte finden vorwiegend in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz statt. Daneben wird in Großbritannien jährlich in zeitlicher Nähe zum Todestag ein Gedenkkonzert für den am 23. September 1993 verstorbenen Ian Stuart Donaldson organisiert (ISD Memorial). Die Organisation 'Combat 18' gilt als "bewaffneter Arm" von 'Blood & Honour'. Sie wurde Anfang der 1990er Jahre als Schutztruppe gegen Übergriffe linker Gewalttäter in England gegründet. "Combat" bedeutet Gefecht, die Zahl 18 im Namen der Gruppe steht für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets (A und H), die Initialen Adolf Hitlers. Einer der Slogans von 'Combat 18' lautet: "White revolution is the only solution" ("Weisse Revolution ist die einzige Lösung"). Nach dem Unfalltod Ian Stuart Donaldsons kam es zu weitreichenden Zerwürfnissen unter seinen potentiellen Nachfolgern. Mitglieder von 'Combat 18' übernahmen zunehmend die Führung bei 'Blood & Honour'. Auch wenn die Bedeutung von 'Combat 18' aufgrund geringer Mitgliederzahlen inzwischen erheblich gesunken ist, zeigen einzelne Angehörige der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen eine gewisse Faszination für 'Combat 18'. Die Verwendung des Begriffes 'Combat 18' ist offensichtlich mit einem hohen Ansehen in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene verbunden und erfolgt daher wahrscheinlich mit dem Ziel, sich selbst aufzuwerten. Erkennbare verfestigte Strukturen liegen in NRW aber nicht vor. Ein weiteres internationales Skinhead-Netz, die 'Hammerskins', wurde Mitte der 1980er Jahre in den USA gegründet. 'Hammerskins' sind in vielen Ländern mit "Divisionen" vertreten (zum Beispiel 'Hammerskin Division Deutschland'). Durch ihre Unterteilung innerhalb der einzelnen Länder in sogenannte "Chapter" sind sie fester strukturiert als 'Blood & Honour'. Erklärtes Ziel der 'Hammerskins' ist es, weltweit alle weißen und rechtsextremistischen Skinheads in einer "Hammerskin-Nation" zu vereinigen. 'Hammerskins' vertreten rassistische Grundeinstellungen und betrachten sich selbst als Elite der Skinhead-Bewegung. In Nordrhein-Westfalen sind zwar auch im vergangenen Jahr einzelne Aktivitäten im Zusammenhang mit 'Hammerskins' bekannt geworden, jedoch liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse über die Existenz einer 'Hammerskin'-Organisation in Nordrhein-Westfalen vor. 116 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Ausblick Obwohl die bekannte Personenzahl der Skinhead-Szene im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen ist, bleibt sie ein wichtiges Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes. Die Teilnehmer der unterschiedlichen Musikveranstaltungen stammen hauptsächlich aus einer unstrukturierten Szene. Ob durch den Erstkontakt mit der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ein Übergang in organisierte Neonazi-Strukturen stattfindet oder in welche Richtung sich ein vertieftes Engagement entwickelt, ist zumeist völlig offen. Findet ein Jugendlicher zunächst über die lose Struktur der örtlichen Skinhead-Szene einen Zugang zu Konzerten, so können sich hieraus eine Ideologisierung und eine Teilnahme sowie aktive Beteiligung an der rechtsextremistischen Szene ergeben. Dies ist jedoch keine zwangsläufige Entwicklung. Ein herausragendes Engagement rechtsextremistischer Parteien oder der vier im Jahr 2012 verbotenen Kameradschaften bei der Organisation von Skinhead-Konzerten kann bislang nicht festgestellt werden. 2.3 Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel Über die Musik versucht die rechtsextremistische Szene sowohl auf ideologisch Interessierte als auch erlebnisorientierte Mitglieder und Interessenten Einfluss zu nehmen. Die Texte dienen hierbei als Transportmittel für das rechtsextremistische Gedankengut. Rechtsextremistische Musik dient dem Zusammenhalt in der Szene und sorgt für eine Festigung der Ideologie. Gleichzeitig wird sie als Lockmittel zur Nachwuchswerbung eingesetzt. Insbesondere mit der kostenlosen Verteilung sogenannter "SchulhofCDs" an Schüler und Jugendliche versucht die rechtsextremistische Szene immer wieder, diese häufig ideologisch noch nicht gefestigte Zielgruppe zum Einstieg in die rechtsextremistische Szene zu verleiten. Zusammen mit zusätzlichen über Computer lesbare Daten beinhalten einige CDs weitere rechtsextremistisch geprägte Inhalte und Kontaktadressen lokaler und regionaler rechtsextremistischer Gruppierungen. Mit finanzieller und logistischer Unterstützung tragen rechtsextremistische Musikvertriebe regelmäßig zur Realisierung der Produktion der Tonträger bei. Wirtschaftliche Interessen sind nach wie vor eine Hauptmotivation bei der Vermarktung von Musik mit rechtsextremistischen Texten sowie Szene-Artikeln. Viele Inhaber rechtsextremistischer Musik-Vertriebe bestreiten ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Szene-Produkten oder betrachten den Handel als einen lukrativen Nebenverdienst zu ihrem anderweitig erzielten Einkommen. Einige Vertriebe geben an, die Szene mit einem Teil ihrer Verkaufserlöse zu unterstützen. Damit versuchen REchtsExtREmismus 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 sie sich als integraler Bestandteil der Szene darzustellen und den Käufern das Gefühl zu vermitteln, dass sie mit ihrem Kauf gleichzeitig die Bewegung unterstützen. Neben der Hoffnung auf einen guten Ruf als Förderer der Szene dürfte auch die Hoffnung auf eine Erweiterung des Kundenkreises und somit kommerziellen Erfolg eine Rolle spielen. In Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2012 neun (2011: zehn) Vertriebe aus der rechtsextremistischen Musik-Szene aktiv. Sämtliche in Nordrhein-Westfalen ansässigen Händler sowie ein Großteil der in den anderen Bundesländern aktiven Anbieter nutzen weiterhin das Internet als Handelsplattform. Die virtuelle Verkaufsform hat sich bei rechtsextremistischen Vertrieben aus mehreren Gründen durchgesetzt. Neben wirtschaftlich und logistisch bedingten Vorteilen dürfte auch die Tatsache maßgeblich sein, dass sowohl Verkäufer als auch Käufer beim Onlinehandel keine persönlichen Konfrontationen mit dem politischen Gegner befürchten müssen. Durch die anonyme Abwicklung des Kaufvorgangs wird der Handel auch für Interessenten attraktiv, die aufgrund persönlicher Hemmschwellen vor einem Einkauf bislang zurückgeschreckt waren. Ladengeschäfte mit mutmaßlich rechtsextremistischer Produktpalette sind hingegen regelmäßig Ziele linksextremistisch motivierter Aktionen. Hierbei kommt es häufig zu Sachbeschädigungen zum Nachteil der Ladenbesitzer und Gebäudeeigentümer. Ferner sind Läden mit mutmaßlich rechtsextremistischem Warenangebot regelmäßig Ziel von Aufrufen zu öffentlichen Protestdemonstrationen. Gleichwohl bietet auch der Internethandel mit rechtsextremistischen Szeneartikeln für Betreiber und Kunden nicht die Gewähr für eine anonyme Kaufabwicklung, wie wiederholte Veröffentlichungen von Kundendaten nach Hacker-Angriffen gezeigt haben. Warenangebot Neben Tonträgern einschlägiger rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher bieten rechtsextremistische Vertriebe auch Kleidungsstücke, Aufnäher, Buttons und andere Devotionalien an. Ein Großteil des Umsatzes wird neben dem Handel mit Tonträgern mit dem Verkauf szenetypischer Textilien erzielt. Insbesondere das umfangreiche Angebot an Kleidungsstücken mit politischen Parolen findet innerhalb der Szene großen Anklang. Auch Kinderbekleidung mit meist nordischen Motiven und Schriftzügen sowie Unterwäsche mit Szeneparolen sind erhältlich. Der Anteil der Tonträger am Gesamtumsatz ist im Laufe der letzten Jahre zurückgegangen. Die Ursache liegt hauptsächlich in der Vervielfältigung auf privater Ebene (Brennen von CDs sowie Tausch von Musiktiteln über Internet-Tauschbörsen). Die 118 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Besitzer rechtsextremistischer Internet-Vertriebe haben auf diese Entwicklung reagiert und ihre Produktpalette entsprechend erweitert. So gehören inzwischen auch DekoWaffen, Elektroschocker, Zwillen und Stahlkugeln, Pfefferspray, Artikel mit Bezügen zu nordischer Mythologie, Heidentum und Runenkunde, Tarnbekleidung und Sturmhauben sowie übliche Outdoor-Ausrüstung (Zelte, Decken, Schlafsäcke), Rucksäcke, Taschen und Trinkhörner zum Angebot. Bei mehreren Vertrieben können die Kunden zudem ihre Textilien mit individuellen Motiven und Schriftzügen bedrucken oder besticken lassen. 2.4 Rechtsextremismus im Internet Rechtsextremisten verfolgen mit ihrer Präsenz im Internet insbesondere folgende Ziele: : Selbstdarstellung und Propaganda, : Öffentlichkeitsarbeit und Rekrutierung, : szeneinterne Kommunikation, informationelle Vernetzung und Mobilisierung, : kommerzielle Zwecke. Das Internet wird von Rechtsextremisten auf vielfältige Art genutzt. Veröffentlichungen im Netz können mit entsprechenden, häufig kostenlosen Programmen inzwischen auch ohne besonderes technisches Vorwissen optisch ansprechend vorgenommen werden. Mit wenig Aufwand kann so ein großer Adressatenkreis erreicht werden. Auch Mobiltelefone mit Internetzugang werden von Rechtsextremisten für die Verbreitung von Informationen sowie zur Koordination von Aktionen genutzt, zum Beispiel über den Mikroblogging-Dienst 'Twitter'. Alle wesentlichen rechtsextremistischen Parteien einschließlich ihrer Landes-, Kreisund Ortsverbände sowie Publikationen und sonstige rechtsextremistische Organisationen sind im Internet vertreten. Vielfach sind rechtsextremistische Webseiten untereinander verlinkt und erhöhen so ihren Bekanntheitsgrad innerhalb der Szene. Speziell Weblogs - auf Webseiten geführte und öffentlich einsehbare Tagebücher - sind innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums weit verbreitet. Sie ermöglichen eine besonders schnelle und einfache Publikation von Informationen und können dank spezieller Software und Internetdienste schnell und einfach aktualisiert werden. REchtsExtREmismus 119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die inhaltliche Bandbreite rechtsextremistisch motivierter Internetpräsenzen ist umfangreich. Sie reicht von Seiten, die offen strafrechtlich relevante Inhalte zeigen, bis zu Seiten, deren rechtsextremistischer Hintergrund nur schwer erkennbar ist. Insbesondere auf revisionistischen Seiten wird versucht, über ein pseudowissenschaftliches Erscheinungsbild die wahren Absichten - Verharmlosung beziehungsweise Leugnung des Holocaust - zu verschleiern. Ferner machen sich Rechtsextremisten auch aktuelle Themenfelder zu Eigen, die bislang überwiegend von den neuen sozialen Bewegungen besetzt waren. Neben globalisierungsund kapitalismuskritischen Inhalten werden zum Beispiel Umweltund Tierschutzthemen aufgegriffen. Zunehmende Nutzung von Web 2.0-Angeboten Mit etwa 950 deutschsprachigen Homepages ist die Zahl der Internetseiten mit rechtsextremistischen Inhalten im Vergleich zu den Vorjahren leicht gesunken. Trotz dieses Rückgangs hat sich die Bedeutung des Internets für Rechtsextremisten nicht verringert. Vielmehr zeichnet sich der Trend einer teilweisen Verlagerung der Aktivitäten von statischen Homepages in Richtung einer verstärkten Nutzung sozialer Netzwerke und Videoportale ab, welche technisch gleichermaßen die Möglichkeit einer szeneinternen Vernetzung als auch der Ansprache junger Internetnutzer zur Rekrutierung bieten. Hierbei machen sich Rechtsextremisten die ausgebaute Infrastruktur dieser zunächst unpolitischen Netzwerke zu Nutze, innerhalb derer sie unauffällig und aktiv an einen großen Personenkreis herantreten können. Ihre Ideologie legen sie dabei nicht immer auf den ersten Blick erkennbar offen. Mit der Forderung nach harter Bestrafung von "Kinderschändern" erfahren sie mitunter auch Zustimmung nicht-extremistischer Nutzer. Soziale Netzwerke werden ebenfalls für die szeneinterne Vernetzung und Kontaktpflege genutzt. Aufgrund der Möglichkeit, abgeschottet innerhalb geschlossener Nutzergruppen zu kommunizieren, findet hierbei auch ein konspirativer Austausch von Informationen statt. Insbesondere über das größte soziale Netzwerk Facebook sind erhebliche Aktivitäten von Rechtsextremisten zu beobachten. Nachdem Facebook wiederholt rechtsextremistische Nutzerprofile und Gruppen umfangreich gelöscht und gesperrt hat, ist innerhalb der Szene nach "sicheren" alternativen Netzwerken gesucht worden, bei welchen nicht mit einer Löschung oder Sperrung gerechnet werden muss. Teile der Szene sind aus diesem Grund zu dem insbesondere in Osteuropa verbreiteten sozialen Netzwerk "vk.com" gewechselt, während ein von einem Angehörigen 120 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der Neonazi-Szene als Gegenentwurf zu Facebook positioniertes soziales Netzwerk bislang eher geringe Akzeptanz erfahren hat. Szeneinterne Kommunikation findet ferner in einschlägigen Internet-Foren statt. Viele rechtsextremistische Webseitenbetreiber bieten den Besuchern ihrer Homepage eine solche Diskussionsplattform an, über die Szeneanhänger online miteinander kommunizieren können. Exekutivmaßnahmen gegen 'Thiazi'-Forum Zu den bedeutendsten und meist frequentierten deutschsprachigen Foren zählte in den letzten Jahren das 'Thiazi'-Forum, in welchem regelmäßig strafrechtlich relevante Nutzerbeiträge veröffentlicht wurden. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Rostock führten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) mit Unterstützung der Polizeien der Länder und Spezialkräften der Bundespolizei am 14. Juni 2012 in elf Bundesländern Durchsuchungsmaßnahmen gegen die Betreiber des 'Thiazi'-Forums wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch. Hierbei wurden 32 Wohnungen und Geschäftsräume in den elf Bundesländern mit regionalen Schwerpunkten in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg durchsucht. In Nordrhein-Westfalen richteten sich Durchsuchungsmaßnahmen gegen zwei männliche Tatverdächtige aus Hürth und Selfkant. Hauptbeschuldigte der seit 2009 andauernden Ermittlungen sind ein zum Zeitpunkt der Durchsuchungsmaßnahmen 31-jähriger Erzieher sowie eine 30-jährige Hausfrau Homepage des 'Thiazi'-Forums REchtsExtREmismus 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und Mutter, welche seit Jahren Verantwortliche für das 'Thiazi'-Forums gewesen sein sollen. Die insgesamt 26 Beschuldigten im Alter von 22 bis 64 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet sind verdächtig, mehr als 2.400 Liedtexte von Tonträgern und mehr als 1.400 Tonträger zum Download angeboten zu haben. In einer Vielzahl der Liedtexte wird zum Hass gegen Ausländer, Juden und Menschen anderer Hautfarbe aufgestachelt und zu gewalttätigen Übergriffen gegen diese aufgerufen. Ferner werden die genannten Personengruppen in menschenverachtender Weise beschimpft, der Holocaust geleugnet und die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft verherrlicht. Vier Beschuldigte wurden aufgrund von Haftbefehlen festgenommen. Es wurden zahlreiche Computer, Datenträger sowie schriftliche Unterlagen sichergestellt. Darüber hinaus wurden die Inhalte des 'Thiazi'-Forums vom Server gelöscht. Hacker Angriffe auf rechtsextremistische Interpräsenzen In den vorangegangenen Jahren wurden rechtsextremistische Webseiten wiederholt das Ziel von linken Internetaktivisten. In einigen Fällen wurden die Server von Internetseiten einiger neonazistischer Gruppierungen durch sogenannte DDOS-Attacken ("Distributed Denial of Service") kurzzeitig lahmgelegt. Im Januar 2013 betraf dies die Homepage der Partei 'Die Rechte'. Auch andere rechtsextremistische Organisationen sind angegriffenen worden. So luden die Hacker unter anderem mehrere 10.000 E-Mails der NPD, eine Spenderliste der Partei und Kundendaten von rechtsextremistischen Versandhändlern herunter. Eine Vielzahl von Dateien veröffentlichten die Hacker auf der Homepage 'Nazi-Leaks'. Einige Dateien, wie die NPD-Mails, gaben die Aktivisten an Journalisten weiter, die daraus veröffentlichten. Dies verringerte das Vertrauen der rechtsextremistischen Szene in ihre Kommunikationsinfrastruktur. 2.5 Diskursorientierter Rechtsextremismus - Revisionismus Schwerpunktthemen des Revisionismus Zu den weiteren rechtsextremistischen Agitationsschwerpunkten zählt auch das Themenfeld Revisionismus. Zentrales Anliegen von Revisionisten ist die politisch motivierte Umdeutung der Zeit des Nationalsozialismus durch leugnende, relativierende oder verharmlosende Darstellungen mit pseudo-wissenschaftlichem Ansatz. Zielsetzung ist 122 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 dabei vor allem die Rehabilitierung der nationalsozialistischen Ideologie und die Verharmlosung von deren Folgen. Im Mittelpunkt der Versuche revisionistischer Geschichtsumschreibungen stehen eine Verleugnung der deutschen Kriegsschuld und des Holocausts, des Völkermordes an den europäischen Juden. Immer wiederkehrend wird der Versuch unternommen, die Strafverfolgung von Revisionisten als Grundrechtseinschränkung bzw. als Kriminalisierung darzustellen. Insofern sehen sie sich in der Märtyrerrolle und prangern die Bundesrepublik Deutschland als "Unrechtsstaat" an bzw. bezeichnen sie als "System der alliierten Fremdherrschaft", in dem es unter anderem keine Meinungsfreiheit gibt. Beispielhaft für die Aufrechterhaltung der Kriegsschuldleugnung steht ein Vorwort des Herausgebers der zweimonatlich erscheinenden Publikation 'Deutsche Geschichte - Europa und die Welt' (Dr. Gert Sudholt), Ausgabe Nr. 1/2010, Tenor: "Wir sind auf steinigem, aber ehrlichem Weg". Darin wird auf den 20. Jahrgang dieser Zeitschrift eingegangen und in diesem Zusammenhang erklärt: "Auf der Suche nach historischen Wahrheiten prallt der faustisch forschende Publizist immer öfter an Schranken bundesdeutscher Meinungszensur. Schranke bedeutet in diesem Fall die so genannte politische Korrektheit. Sie besteht in jener rechtskräftigen Geschichtsfestschreibung, die einst von den Alliierten gegen Deutschland zum Gesetz erhoben worden war und dann vom verkniffenen deutschen Spießertum untertänig übernommen wurde." Zum Angriff Hitlers auf Russland heißt es in einem Artikel "Von der Zusammenarbeit zur Konfrontation" im Sonderheft von 'Deutsche Geschichte' (Ausgabe 1/2011): "Es ist aber andererseits offenkundig, dass ohne solche sowjetischen Vertragsverstöße, ohne Angriffsdrohung seitens der UdSSR und ohne die seit dem August 1939 anhaltend konsequente Verweigerung von Verhandlungen seitens der Westmächte jene Situation nicht eingetreten wäre, die dieses Unternehmen im Jahr 1941 [Anm. der Red.: gemeint ist das "Unternehmen Barbarossa"] als einen durch die Umstände erzwungenen Angriff erscheinen ließ". In 'Deutsche Geschichte' (Ausgabe 03/2012) wurde ein Gespräch ("Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945") zwischen dem als Historiker vorgestellten Autor des zuvor genannten Artikels und dem Herausgeber des Hefts, Gerd Sudholt veröffentlicht, in dem es um die unter Revisionisten ebenfalls häufig diskutierte Thematik der so geREchtsExtREmismus 123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 nannten "Umerziehung" durch die Alliierten geht. Auf die Anmerkung Sudholts, "Die Elite des Dritten Reiches wurde ab 1945 entweder gehängt, floh außer Landes oder erhielt Berufsverbote", befindet sein Gesprächspartner: "In der Tat fiel der Elitenwechsel nach 1945 zunächst einmal sehr radikal aus". Außerdem seien Begriffe installiert worden, die auf die Gewöhnung an multikulturelle und multiethnische Gesellschaften ausgerichtet seien. Auf der Ebene der Zeitgeschichte habe der Begriff des "Überfalls" eine zentrale Bedeutung erhalten und sei ganz bewusst in den Schulbüchern installiert worden. Weiter führt der als Historiker vorgestellte Autor aus, statt "Deutschland greift 1939 Polen an", sollte "Deutschland überfällt 1939 Polen" propagiert werden. Dies sei erfolgreich umgesetzt worden, "diese Redewendung ist heute geradezu kanonisch geworden", so sein Resümee. Im weiteren Verlauf des Gesprächs beklagt der Historiker die "Tabuisierung der Bewertung von Ereignissen. Die Publikationen der 'Bundeszentrale der politischen Bildung' [Anm. der Red.: Fehler im Original; die Einrichtung heißt richtig: 'Bundeszentrale für politische Bildung'] verschwiegen heute oft, dass der deutsche Angriff auf die UdSSR 1941 oder die Invasion in Norwegen 1940 überhaupt eine politisch-militärische Vorgeschichte auf der Gegenseite hatten". Damit greift er erneut eines der zentralen Themen der Revisionisten, nämlich die Frage der Kriegsschuld auf. Dazu gehören "laut geäußerte Zweifel an der deutschen Alleinkriegsschuld" beziehungsweise Schuldzuweisungen in Richtung "polnischer Verbrechen oder englisch-amerikanischer Kriegsführung". Das Verlagsprogramm der von Sudholt geleiteten Verlagsgesellschaft Berg mbH (Sitz: Bayern) umfasst darüber hinaus Schriften mit revisionistischen Inhalten wie die vorgenannte Publikation sowie umfangreiche Werbung von Buchveröffentlichungen - darunter auch bekannte Autoren aus dem Bereich des Revisionismus -, die über den Verlag der Ehefrau vertrieben werden. Ein weiteres Beispiel für revisionistische Agitationsmuster, und zwar betreffend Kriegsschuldund Holocaustleugnung, findet sich in der Ausgabe Nr. 4, Juli/August 2010 der in Verden (Niedersachsen) im Eigendruck herausgegebenen Zeitschrift 'Stimme des Reiches': "Geplante Unbildung Unsere Kriegsgegner hegten nicht den Wunsch, deutsche Anliegen zu fördern, im Gegenteil. Sie hatten den Krieg zur Vernichtung des Deutschen Reiches und Verknechtung des deutschen Volkes durch Verblödung vom Zaun gebrochen. 124 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Alliierte Greuelpropaganda anstatt wahrer Geschichte Als Erstes litt die Charakterbildung durch allmähliche Übernahme der alliierten Kriegsgreuelpropaganda anstelle der geschichtlichen Wahrheit im Wege eines gezielten Trommelfeuers aller Medien und Bildungseinrichtungen [...]" In dem gleichen Blatt ('Stimme des Reiches', Nr. 1, Januar-Februar 2011) wird die Freilassung des ehemaligen Mitglieds der 'Roten Armee Fraktion' (RAF) und heutigen Rechtsextremisten, Horst Mahler, gefordert, der unter anderem wegen HolocaustLeugnung und Volksverhetzung zu langer Haftstrafe verurteilt ist. Wörtlich heißt es: "Horst Mahler hat von dem grundgesetzlich garantierten Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. [...] Es geht also um mehr, als um die Freilassung eines 'Kriegsgefangenen'. [...] Wer die Freiheitsgrundrechte erhalten will, wer keine Diktatur haben möchte, der kann gar nicht anders, als die Petition für Horst Mahler zu unterzeichnen." Der entsprechende Vordruck für diese Petition lag dem Heft bei. Zu den regelmäßig vertretenen Autoren dieser Publikation zählen neben bekannten Revisionisten auch Aktivisten aus dem 2008 verbotenen Vlothoer Verein 'Collegium Humanum' (CH). Bedeutung des Themenfeldes Revisionismus Das Themenfeld Revisionismus, welches jahrelang zu den rechtsextremistischen Agitationsschwerpunkten zählte, hat vor dem Hintergrund der weltweit erfolgten konsequenten und verschärften Strafverfolgung von Volksverhetzungsdelikten, die schwerpunktmäßig via Internet verbreitet werden, deutlich an Bedeutung verloren. Gründe hierfür sind unter anderem die in Kraft getretenen strafgesetzlichen Änderungen zum SS 130 StGB, durch die die sogenannte "einfache Auschwitz-Lüge" als Volksverhetzung bzw. ein den öffentlichen Frieden störendes Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der national-sozialistischen Gewaltund Willkürherrschaft für strafbar erklärt wurde. Dazu kommen die intensivierte Beschlagnahme von einschlägigen Publikationen, die den Holocaust leugnen, sowie zahlreiche Verurteilungen von Protagonisten der Revisionisten-Szene und die Einziehung der finanziellen Ressourcen. So haben in Nordrhein-Westfalen auch die im Jahre 2008 erfolgten Maßnahmen (wie Beschlagnahme von Gebäude und Vermögenswerten) im Zusammenhang mit den Vereinsverboten des Vlothoer 'Collegium Humanum' (CH) und des 'Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten' (VRBHV) nachhaltig zu REchtsExtREmismus 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 einem Rückgang revisionistischer Agitation und Aktivitäten geführt. Kampagnen sowie die Herstellung und der Vertrieb revisionistischer Schriften gingen erheblich zurück. 2.6 Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten Das gesamtgesellschaftliche Problem Rechtsextremismus macht staatliches Handeln in vielen Bereichen erforderlich. Das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht darauf, das rechtsextremistische Potenzial zu beobachten und in Zusammenarbeit mit der Polizei einem erhöhten Verfolgungsdruck auszusetzen. So ist bereits im Juli 2001 im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Rechtsextremismus ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten gestartet worden. Dieses Programm wurde 2012 weiterentwickelt und verstärkt. Zu den wichtigsten Zielen des Programms zählen: : Verhinderung weiterer Straftaten, : Reduzierung des rechtsextremistischen Personen-Potenzials, : Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene, : Schutz gefährdeter Aussteiger, : Kritische Auseinandersetzung der Aussteiger mit rassistischen, undemokratischen Weltbildern. Damit soll Mitläufern, Aktivisten und Führungspersonen die Möglichkeit eröffnet werden, sich von ihrer Perspektivlosigkeit zu verabschieden und aus den Strukturen der rechtsextremistischen Szene zu lösen. Im Bürgerund Service Center "nrw.direkt" bei der Staatskanzlei hat die Landesregierung eine Kontaktmöglichkeit zum Aussteigerproramm geschaffen. Diese ist unter der Telefonnummer 0211-8371001 oder per E-Mail unter kontakt@aussteiger.nrw.de (www.aussteiger.nrw.de) erreichbar. Auf diese Weise können Ausstiegswillige eine Verbindung zur Ausstiegsbetreuerin und den Ausstiegsbetreuern im Ministerium für Inneres und Kommunales herstellen, die mit jedem Einzelnen ein persönlich zugeschnittenes Ausstiegskonzept entwickeln und bei dessen Umsetzung helfen. Die Unterstützung durch das Programm umfasst Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, bei Qualifizierungsmaßnahmen (beispielsweise bei der Erlangung des Führerscheins oder eines Ausbildungsabschlusses), psychologische Hilfe, Eingliederung in Entziehungsmaßnahmen, die Hilfe bei Familienzusammenführung, Umzugshilfen und Haftbetreuung. 126 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Homepage des Aussteigerprogramms Das Aussteigerprogramm betreut einerseits Personen, die selbst den Kontakt aufgenommen haben, andererseits spricht es aktive Rechtsextremisten und Führungspersonen der Szene an, um sie zum Umdenken und Aussteigen zu bewegen. Bis Ende 2012 ist es durch die gemeinsamen Anstrengungen von Verfassungsschutz, Polizei, Justiz und Kommunen gelungen, über 250 Personen in dem Programm zu betreuen. Mehr als 130 Personen haben den dauerhaften Ausstieg aus dem Rechtsextremismus geschafft. Ende 2012 befanden sich 40 Personen in der Betreuung. Der erhöhte Verfolgungsund Repressionsdruck gegen die rechtsextremistische Szene - zum Beispiel die Verbote von vier neonazistischen "Kameradschaften" in Nordrhein-Westfalen - hat dazu beigetragen, dass 2012 deutlich mehr Personen in das Programm aufgenommen wurden als in den Vorjahren. Die Ausstiegswilligen sind meist arbeitslos und stammen aus belasteten Familiensituationen. Die Mehrheit der Aufgenommenen war bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Betreuungszeitraum liegt zwischen zwei und fünf Jahren. REchtsExtREmismus 127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Durch das Anfang 2012 beschlossene Acht-Punkte-Programm der Landesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde das Aussteigerprogramm personell verstärkt. Direkte Ansprachen von Rechtsextremisten, die ausstiegswillig sein könnten, haben an Bedeutung gewonnen. Durch die Einstellung einer weiblichen Aussteigerbetreuerin kann das Programm ab September 2012 den Bedürfnissen ausstiegswilliger Frauen und Mädchen gezielter Rechnung tragen. Durch Arbeitstagungen, regelmäßigen Informationsaustausch und Netzwerkpflege zwischen Verfassungsschutz, Staatsschutzdienststellen der Polizei, Kommunen und nichtstaatlichen Einrichtungen wird sichergestellt, dass das Aussteigerprogramm sich ständig fortentwickelt und ein erfolgreicher Baustein im Kampf gegen den Rechtsextremismus bleibt. 128 REchtsExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 3 Linksextremismus30 3.1 Parlamentsorientierter Linksextremismus 3.1.1 Strömungen und Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE* 'Antikapitalistische Linke*' (AKL), 'Sozialistische Linke*' (SL) mit dem trotzkistischen Netzwerk 'marx21', 'Kommunistische Plattform' (KPF), 'Linksjugend ['solid]' Der überwiegende Teil der Mitglieder der Partei 'DIE LINKE*' und wesentliche Teile der politischen Forderungen sind nicht als extremistisch anzusehen. Der Verfassungsschutz NRW beobachtet daher nicht die Partei 'DIE LINKE*' als Ganzes, sondern nur die linksextremistischen bzw. die im Verdacht einer linksextremistischen Bestrebung stehenden Strömungen und Zusammenschlüsse in der Partei 'DIE LINKE*'. Dies sind die 'Antikapitalistische Linke*' (AKL), die 'Sozialistische Linke*' (SL) mit dem trotzkistischen Netzwerk 'marx21', die 'Kommunistische Plattform' (KPF) und die 'Linksjugend ['solid]'. Die Rechtsprechung31 hat die Bewertung, dass bei einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei 'DIE LINKE*' verfassungsfeindliche Bestrebungen festzustellen sind, ausdrücklich bestätigt. 'Sozialistische Linke*' (SL) Der im August 2006 ins Leben gerufene Zusammenschluss 'Sozialistische Linke*' (SL) ist nach wie vor eine stark gewerkschaftlich orientierte Strömung innerhalb der 30 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. 31 Urteil des BVerwG v. 21.07.2010, Az.: 6 C 22/09. linksExtREmismus 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Partei 'DIE LINKE*'. Die 'Sozialistische Linke*' mit auf Bundesebene knapp 800 Mitgliedern versteht sich selbst als "Zentrum" zwischen den innerparteilichen Flügeln, das sowohl an links-sozialdemokratische wie auch reformkommunistische Traditionen auf der Grundlage marxistischer Gesellschaftsanalyse anknüpft ("Mit ihrer gewerkschaftlichen Verankerung und ihrem kritischen marxistischen Ansatz stärkt die SL die Kräfte in der LINKEN [...]"32). Verhältnis zum demokratisch-institutionellen System Unklar bleibt in den programmatischen Aussagen der SL* weiterhin, inwieweit mit der Überwindung des "Kapitalismus" eine Wirtschafts-, Gesellschaftsund politische Ordnung angestrebt wird, die den vom Grundgesetz - trotz dessen grundsätzlicher Neutralität in der Frage der Wirtschaftsordnung - gesetzten Logo der 'Sozialistischen Linken*' (SL) Rahmen überschreitet. Insbesondere geht es darum, ob auch demokratische Strukturprinzipien zur Disposition stehen. Die im Gründungsaufruf der SL* enthaltene Forderung nach einer politischen Linken, die "einen neuen Anlauf unternimmt, die Vorherrschaft des Kapitals zu überwinden"33 und "zugleich realistisch und radikal, an die Wurzel gehend"34 agiert, lässt offen, ob ein konkretes Wirtschaftssystem abgelehnt oder zugleich elementare Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates in Frage gestellt werden, also die Überwindung des Wirtschaftssystems mit der Überwindung des ihm zugrundeliegenden demokratischinstitutionellen Systems verbunden wird. 32 "Ein neuer Aufbruch für DIE LINKE - Partei der 99 Prozent", Resolution der Jahresmitgliederversammlung v. 10.2011, www.sozialistische-linke.de/images/dateien/mv11/261011_ein_neuer_aufbruch_fuer_dielinke.pdf, Zugriff am 30.11.2012, S. 9. 33 Gründungsaufruf der 'Sozialistischen Linken*': www.sozialistische-linke.de/ueber-uns/gruendungserklärung, Zugriff am 30.11.2012. 34 Ebenda. 130 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Zwischen legitimer Kapitalismuskritik und Propagierung des Klassenkampfes Die Aussagen zur "Klassengesellschaft" und zum "Klassenkampf" sowie das Denken in "Klassengegensätzen"35 weisen weiterhin auf das auch bei der SL* bestehende Freund-Feind-Muster im Sinne der marxistischen Gesellschaftsanalyse hin. Auch der Verweis auf Lenin bezüglich der Behauptung einer "unter imperialistischen Staaten herrschende(n) Hierarchie"36 deutet auf ein orthodoxes Sozialismusverständnis hin: "Bereits Lenin sprach in seiner Imperialismusschrift die nüchterne und weiterhin gültige Wahrheit aus [...]"37. Die SL* strebt an, 'DIE LINKE*' zu einer "sozialistischen Massenpartei" zu formen. 'marx21' Weitaus deutlicher sind die Äußerungen des innerhalb der SL* agierenden trotzkistischen Netzwerkes 'marx21'. Dogmatisch beruft man sich hier auf sozialistische Klassiker wie Marx und Luxemburg und propagiert Freiheit durch Sozialismus: "Unser Leitfaden sind die Sätze von Karl Marx und Rosa Luxemburg: 'Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein' und 'Kein Sozialismus ohne Demokratie - keine Demokratie ohne Sozialismus'".38 Aussagen von 'marx21' muss sich die SL* zurechnen lassen: "Das marx21-Netzwerk arbeitet in der Strömung der Sozialistischen Linken mit. Trotz regionaler und lokaler Unterschiede vertritt diese Strömung nennenswerte Teile des gewerkschaftsund klassenorientierten Flügels der Partei und verbindet dies mit einer Orientierung auf die Entwicklung der LINKEN als Gesamtpartei."39 Eine Reformierbarkeit des Kapitalismus wird von 'marx21' generell bestritten, stattdessen wirkt man auf seine Überwindung hin: "Angesichts dieser verheerenden 35 "realistisch und radikal - Das Debattenheft der Sozialistischen Linken, Nr. 1 Sommer 2012", Internetversion www.sozialistische-linke.de/images/dateien/rur-debattenheft_nr1_ver3_webersion.pdf, Zugriff am 30.11.2012, S. 50 ff. 36 Ebenda, S. 15. 37 Ebenda, S. 15. 38 "Politische Leitsätze", marx21.de/content/view/194/93/ v. 15.11.2011, Zugriff am 30.11.2012. 39 "Perspektiven für 2012", marx21.de/content/view/1641/93/, Zugriff am 30.11.2012, Nr. 14. linksExtREmismus 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auswirkungen des Kapitalismus ist eine auf die Regulierung des Kapitals beschränkte staatliche Intervention keine ausreichende Antwort. Deshalb vertrauen wir nicht auf die 'Zähmbarkeit' des Kapitalismus, sondern wirken auf seine Überwindung hin."40 Diese Überwindung könne allerdings nicht im vorgegebenen institutionellen Rahmen stattfinden, sondern müsse von einer starken außerparlamentarischen Bewegung unter Führung der Partei 'DIE LINKE*' erfolgen: "DIE LINKE kann wieder in die Offensive kommen, wenn diese [...] parlaInternetauszug von 'marx21' zum Thema mentarische Ausrichtung überwunden "Politische Leitsätze" wird und sie sich auf kommende außerparlamentarische Kämpfe vorbereitet." Ziel ist es, eine "klassenkampforientierte aktive Mitgliederpartei zu entwickeln."41 Die Berufung auf Elemente der marxistischen Gesellschaftsanalyse weist auf ein orthodoxes Sozialismusverständnis hin: "marx21 hat sich zum Ziel gesetzt, DIE LINKE als eine Klassenkampfpartei aufzubauen."42 Und: "Aufgabe unseres Netzwerks ist es, gemeinsam mit unseren aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern in der LINKEN, Debatten für eine klassenkämpferische Perspektive und Praxis zu entwickeln und fortzuführen. Damit kann der Nutzwert der LINKEN für klassenbewusste, kampfbereite Minderheiten in den Betrieben und Gewerkschaften deutlich erhöht werden."43 40 "Politische Leitsätze", marx21.de/content/view/194/93/ v. 15.11.2011, Zugriff am 30.11.2012. 41 "Perspektiven für 2012", marx21.de/content/view/1641/93/, Zugriff am 30.11.2012, Nr. 12. 42 Ebenda, Nr. 15. 43 Ebenda, Nr. 4. 132 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 'Antikapitalistische Linke*' (AKL) Die 'Antikapitalistische Linke*' (AKL) wurde als innerparteiliche Strömung 2006 durch 30 Erstunterzeichner eines Aufrufes "Für eine antikapitalistische Linke" gegründet. Im Gründungsaufruf der AKL* heißt es, "grundlegende Veränderungen der Wirtschaftsordnung" seien "unter den gegebenen Kräfteverhältnissen schwer erreichbar".44 Dies legt nahe, dass die angestrebten "grundlegenden Veränderungen der Wirtschaftsordnung" sowie die Etablierung anderer Kräfteverhältnisse umfassendere Auswirkungen auf die Verfasstheit des demokratischen Staates haben könnten. Der Gründungsaufruf wurde bisher von über 1.850 Personen unterzeichnet. Die AKL* will verhindern, dass die Partei auf ein explizit sozialistisches Ziel verzichtet und einen "regierungsorientierten Pragmatismus" entwickelt.45 Bei ihr bleiben das Verhältnis zur Verfassung und die inhaltliche Tragweite der Forderung "Wir wollen einen Sozialismus für Alle [...] Freiheit durch Sozialismus! - Für eine sozialistische Demokratie"46 unklar. Die AKL* strebt nunmehr eine Umwandlung als anerkannter Zusammenschluss in der Partei 'DIE LINKE*' an. Sie verspricht sich davon, "ihren Einfluss sowohl nach innen in die Linkspartei hinein als auch nach außen in der Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen [zu] stärken".47 Im Rahmen der Umwandlung in einen anerkannten Zusammenschluss innerhalb der Partei 'DIE LINKE*' wird zurzeit an einer gegenüber dem Gründungsaufruf von 2006 aktualisierten Erklärung gearbeitet. In einem Arbeitsentwurf vom 17. Oktober 2012 heißt es: "Darin wirbt sie [die AKL*] dafür, die neue Partei DIE LINKE auf klare sozialistische programmatische Grundlagen zu stellen, die nicht bei einer Reparatur eines prinzipiell ausbeuterischen und zerstörerischen Gesell44 Für eine antikapitalistische Linke, (Gründungsaufruf der AKL*), veröffentlicht im März 2006 auf www.antikapitalistische-linke.de, Zugriff am 30.11.2012. 45 Ebenda. 46 "Es ist Zeit für Widerstand!, Stellungnahme der Antikapitalistischen Linken zur Finanzmarktkrise", veröffentlicht am 7.11.2008 auf www.antikapitalistische-linke.de; Zugriff am 30.11.2012. 47 "Neue AKL-Strukturen beschlossen" v. 17.01.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/460.akl.html, Zugriff am 30.11.2012. linksExtREmismus 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 schaftssystems stehen bleiben, sondern Initiatorin einer neuen demokratischen und sozialistischen Oppositionsbewegung werden."48 Internetauszug des AKL*-Aufrufs vom 17. Oktober 2010 Verhältnis zum demokratisch-institutionellen System Dem Parlamentarismus wird von der AKL* die demokratische Legitimation abgesprochen, wenn von einer "bisher aufwändig gepflegte(n) demokratische(n) Bemäntelung der kapitalistischen Klassenherrschaft"49 gesprochen wird. Und: "Politische Parteien degenerieren zu reinen Klientel-Vereinen".50 48 "Kapitalismus bedeutet Armut, Umweltzerstörung und Krieg Unsere Alternative heißt Sozialismus" Arbeitsentwurf AKL*-Aufruf v. 17.10.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/584. entwurf.html, Zugriff am 30.11.2012. 49 Ebenda. 50 "Kapitalismus bedeutet Armut, Umweltzerstörung und Krieg Unsere Alternative heißt Sozialismus" Arbeitsentwurf AKL*-Aufruf v. 17.10.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/584. entwurf.html, Zugriff am 30.11.2012. 134 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Das Selbstverständnis der AKL* als sozialistische Oppositionsbewegung beinhaltet ein Denken in Freund-Feind-Mustern. Aus dem marxistisch geprägten Geschichtsund Gesellschaftsbild leitet sie den Anspruch ab, alleinige Vertreterin der Interessen einer breiten Bevölkerungsmehrheit zu sein. Dies führt zu einer gewissen Kompromisslosigkeit gegenüber den anderen im Parlament vertretenen Parteien: "DIE LINKE muss weiterhin 'mittendrin' stehen im Widerstand gegen Krieg und Sozialabbau. Dieses 'Mittendrin' hat zur Folge, dass unsere Partei im Bundestag 'allein gegen alle' steht. Das ist alles andere als eine Schande oder ein Manko, da nur DIE LINKE konsequent die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt."51 Der Parlamentarismus wird als Teil und Stütze des kapitalistischen Systems empfunden und deshalb abgelehnt: "Allein das rechtfertigt den Antritt als linke Partei bei Parlamentswahlen auf allen Ebenen, auch wenn der heutige Parlamentarismus keine wirkliche Demokratie und für Linke voller Fallen ist. "52 Dagegen sieht sie sich als unverzichtbar an: "Die parlamentarische Arbeit muss aus ihrer immer mehr zunehmenden Abgehobenheit in der Seifenblase des Parlamentarismus befreit werden. Hierfür ist eine Strömung wie die Antikapitalistische Linke heute unerlässlich."53 51 "Widerständigkeit - Opposition - Antikapitalismus Für einen Kurs zur sozialistischen Massenpartei" - AKL*-Erklärung auf der Bundeskonferenz am 15.1.2012 in Berlin, www.antikapitalistische-linke.de/article/461.widerstaendigkeit.html, Zugriff am 30.11.2012. 52 "Kapitalismus bedeutet Armut, Umweltzerstörung und Krieg Unsere Alternative heißt Sozialismus" Arbeitsentwurf AKL*-Aufruf v. 17.10.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/584. entwurf.html, Zugriff am 30.11.2012. 53 "Widerständigkeit - Opposition - Antikapitalismus Für einen Kurs zur sozialistischen Massenpartei" - AKL*-Erklärung auf der Bundeskonferenz am 15.1.2012 in Berlin, www.antikapitalistische-linke.de/article/461.widerstaendigkeit.html, Zugriff am 30.11.2012. linksExtREmismus 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Orthodox - kommunistisches Weltbild Diese dogmatisch geprägte Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland speist sich aus orthodox-kommunistischen Positionen. Die Gesellschaft wird in Klassen eingeteilt, welche sich feindlich gegenüber stehen: "Das Wesensmerkmal einer kapitalistischen Gesellschaft ist die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der natürlichen Ressourcen durch private Besitzer von Produktionsmitteln. Darin liegt die unaufhebbare Spaltung der kapitalistischen Gesellschaften in Klassen von Produktionsmittelbesitzern und Produktionsmittellosen zu Grunde. Diese beiden Klassen haben keine gemeinsamen Interessen, so sehr sich die Ideologen und Schreiberlinge des herrschenden kapitalistischen Systems auch anstrengen, sie herbeizureden."54 'Kommunistische Plattform' (KPF) Es geht der 'Kommunistischen Plattform' laut ihrer Gründungserklärung darum, "kommunistisches Gedankengut in die Programmatik und die praktische Politik der Partei ein[zu]bringen". Ihr Selbstverständnis formuliert die KPF wie folgt: "Die Kommunistische Plattform ist ein offen tätiger Zusammenschluß von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE. Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der Kommunistischen Plattform. Die Plattform tritt für den Sozialismus als Ziel gesellschaftlicher Veränderungen ein".55 Ideologische Grundlage der KPF mit ihren rund 1.300 Mitgliedern bilden die "Klassiker" des Sozialismus bzw. Kommunismus: "Die auf der Grundlage der Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung erarbeiteten Wesenszüge und objektiven Gesetze des Imperialismus" sind nach Auffassung der KPF auch im 21. Jahrhundert noch gültig, womit die von jenen erarbeite54 "Kapitalismus bedeutet Armut, Umweltzerstörung und Krieg. Unsere Alternative heißt Sozialismus" Arbeitsentwurf AKL*-Aufruf v. 17.10.2012, www.antikapitalistische-linke.de/article/584. entwurf.html, Zugriff am 30.11.2012. 55 www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/, Zugriff: 30.11.2012. 136 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ten Theoriegebäude zur Grundlage allumfassender Erklärungsansätze ökonomischer und politischer Prozesse erklärt und verbindlich gemacht werden.56 Aus Sicht der KPF ist die Vorstellung eines reformierbaren Kapitalismus unvereinbar mit ihrer Forderung, den Kapitalismus zu überwinden und durch eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen: "Unser Ziel ist und bleibt der Sozialismus, in dem die unerlässliche Demokratie ihre Basis in Eigentumsverhältnissen hat, die es gewährleisten, dass die Profitmaximierung nicht mehr das Maß aller Dinge ist."57 Überwindung des demokratisch-institutionellen Systems Durch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Wirtschaftssystem und politischem System offenbart sich das ökonomistisch geprägte Staatsverständnis der KPF. Dies ist insofern von Bedeutung, weil die KPF mit der Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus implizit auch die Überwindung des institutionellen Rahmens, in dem sich der Kapitalismus bewegt, anstrebt: "Wir treten für einen Systemwechsel ein. Der Kapitalismus zeigt sein asoziales weil ausbeuterisches, aggressives und kulturfeindliches Wesen täglich mehr. Letztlich muss er überwunden werden."58 So wird die parlamentarische Demokratie nach wie vor als Ausfluss des Kapitalismus und als Instrument der herrschenden (Kapitalisten-) Klasse zur Unterdrückung der Bevölkerung betrachtet: 56 www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/ mitteilungenderkommunistischenplattform/detail/archiv/2007/juni/zurueck/archiv-2/artikel/ ausbeutung-und-krieg/, Zugriff am 30.11.2012. 57 "28. April 2012. 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz Inhaltliche Schwerpunkte", www.dielinke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/1ta gungder16bundeskonferenz/inhaltlicheschwerpunkte/, Nr. 1, Zugriff am 30.11.2012. 58 Ebenda. linksExtREmismus 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Zugleich verbindet sich unsere politische Alltagsarbeit mit dem Wissen, dass DIE LINKE die Systemfrage stellen muss..."59 weil: "In diesem Land diktiert eine kleine Minderheit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen."60 und: "Mit der ihm eigenen Brutalität produziert der Kapitalismus ohne nachhaltige Gegenwehr zwangsläufig tiefgreifende Menschheitsprobleme."61 Vor ihrem ideologisch-dogmatischen Hintergrund und dem damit verbundenen klaren Bekenntnis zum Kommunismus vertritt die KPF einen absoluten Wahrheitsanspruch und hat demgemäß ein ideologieimmanentes Freund-Feind-Denken: "Die Kräfte der Finsternis sind gefährlich und scheinen unbezwingbar stark. Der Gegner des gesellschaftlichen Fortschritts ist nicht irgendeine spezielle Spielart des Kapitalismus. Es ist das Profitsystem als solches. Deshalb sind wir Antikapitalisten und handeln in der Überzeugung, dass wir gegen die Finsternis kämpfen müssen, auch ohne sagen zu können, dass der Sieg des Lichtes eine Gesetzmäßigkeit ist."62 Verhältnis zur SED-Diktatur in der DDR Nach wie vor verteidigt die KPF die DDR als den "ersten großen Versuch im 20. Jahrhundert, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen".63 Ferner heißt es: 59 Zur Wahlstrategie der Partei 'DIE LINKE*', Beschluss der Bundeskonferenz der 'Kommunistischen Plattform', www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/2tagungder16bundeskonferenz/zurwahlstrategiederparteidielinke/, Nr. 4, Zugriff am 30.11.2012. 60 Ebenda, Nr. 2. 61 Ebenda, Nr. 4. 62 24.11.2012, 2. Tagung der 16. Bundeskonferenz, Bericht des Bundessprecherrates, www.dielinke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/2ta gungder16bundeskonferenz/berichtdesbundessprecherrates/, Zugriff am 30.11.2012. 63 Auf dem Weg zum Erfurter Parteitag, Neun Änderungsanträge zum Leitantrag zum Parteiprogramm, www.die-linke.de/fileadmin/download/zusammenschluesse/kpf/mitteilungen, Oktober 2011, Zugriff am 30.11.2012. 138 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Wir setzen uns für die vorurteilsfreie Analyse des Sozialismus im 20. Jahrhundert ein und unterstreichen unsere Position, dass dieser historisch legitim war und ist."64 So wird gegen die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 auch als "[...] Einverleibung des alternativen, sozialistischen deutschen Staates in die kapitalistische, imperialistische BRD"65 polemisiert. Internetauszug der 'Kommunistischen Plattform' zur "1. Tagung der 16. Bundeskonferenz - Inhaltliche Schwerpunkte" 64 "28. April 2012. 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz Inhaltliche Schwerpunkte", www.dielinke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/1ta gungder16bundeskonferenz/inhaltlicheschwerpunkte, Nr. 1, Zugriff am 30.11.2012. 65 "November 1932: Wird Hitler gestoppt? (Teil 1)", www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/mitteilungenderkommunistischenplattform/detail/ browse/1/zurueck/aktuelle-ausgabe/artikel/november-1932-wird-hitler-gestoppt-teil-1/. linksExtREmismus 139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Verhältnis zu den Grundrechten Dass die KPF die Menschenrechte weiterhin relativiert und nur funktionell betrachtet, wird u. a. bei den Solidaritätsadressen an die sozialistischen Staaten Lateinamerikas deutlich. Ohne Hinweis auf teils massive Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern versichert die KPF Regimen, wie etwa dem in Kuba, ihre Solidarität: "Unsere Solidarität gehört dem sozialistischen Kuba und allen Ländern, die, wie zum Beispiel in Lateinamerika, nach neuen Wegen für eine nichtkapitalistische Entwicklung suchen."66 Ähnlich äußert sie sich zu Venezuela.67 Linksjugend ['solid] Ziel: Grundsätzlicher Systemwechsel und instrumentelles Verhältnis zum Parlamentarismus Einen "grundsätzlichen Systemwechsel" will auch die 'Linksjugend ['solid]', die Jugendorganisation der Partei 'DIE LINKE*', wobei die parlamentarische Demokratie eher als "untaugliches Vehikel" für den Wechsel gesehen wird. Das parlamentarische System wird nur "als Mittel zum Zweck" betrachtet. In ihrem auf dem 1. Bundesparteitag am 5. April 2008 beschlossenen Programm heißt es: "Als SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen kämpfen wir für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat. [...] Die berühmten zwei Gräben Reform oder Revolution bilden für uns keinen Widerspruch. Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel. [...] Wir wollen die Bühne des Parlamentarismus für den Kampf um eine gerechtere Welt nutzen, aber uns nicht der Illusion hingeben, dass dort der zentrale Raum für reale Veränderungen sei."68 66 "28. April 2012. 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz Inhaltliche Schwerpunkte", www.dielinke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/1ta gungder16bundeskonferenz/inhaltlicheschwerpunkte, Nr. 1, Zugriff am 30.11.2012. 67 24.11.2012, 2. Tagung der 16. Bundeskonferenz, Bericht des Bundessprecherrates, www.dielinke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/dokumente/2ta gungder16bundeskonferenz/berichtdesbundessprecherrates, Zugriff am 30.11.2012. 68 Programm der Linksjugend ['solid]. Beschlossen auf dem 1. Bundeskongress am 5. April 2008 in Leipzig, geändert auf dem Bundeskongress vom 20./22. März 2009 in Mannheim, www.linksjugend-solid.de/verband/programm/, Zugriff am 30.11.2012. 140 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Eine Reformierbarkeit des Kapitalismus wird auch von der 'Linksjugend ['solid]' generell bestritten, stattdessen wirkt man auf seine Überwindung hin: "Es muss neben vielen sinnvollen Forderungen also auch darum gehen, über die Absurdität und Brutalität des Systems aufzuklären. Das Wissen darüber, wie Kapitalismus funktioniert und die Erkenntnis, dass der Staat uns nicht 'retten' wird, helfen uns im Widerstand gegen ein menschenverachtendes und umweltzerstörendes System."69 Nach den programmatischen Aussagen der 'Linksjugend ['solid]' geht mit der Überwindung des "Kapitalismus" die Forderung nach einer Wirtschafts-, Gesellschaftsund politischen Ordnung einher, die den vom Grundgesetz gesetzten Rahmen überschreiten dürfte. Die 'Linksjugend ['solid]' fungiert als Schnittstelle zwischen parlamentarischen und außerparlamenLogo der 'Linksjugend ['solid]' tarischen Kräften. Diese Verbindungen reichen bis in die autonome Szene; so bekennt sich 'Linksjugend ['solid]' zur Zusammenarbeit mit dem linksextremistischen Bündnisnetzwerk 'Interventionistische Linke' (IL): "Die Linksjugend['solid] arbeitet mit vielen Linksorientierten Organisationen zusammen sowohl lokal, landesund bundesweit als auch international. Darunter sind zum Beispiel [...] die IL [...]."70 69 "Überblick zum Thema Finanzkapital, Finanzmarkt und Krise, Auszug aus dem Handbuch für eine widerständige Praxis", www.linksjugend-solid.de/themen/finanzkrise/ (Fehler im Original), Zugriff am 30.11.2012. 70 www.linksjugend-solid.de/verband/faqs/, Zugriff am 30.11.2012, Anmerkung: Die 'Interventionistische Linke*' (IL) ist ein Netzwerk mehrerer deutscher, nach eigener Darstellung "linksradikaler und antikapitalistischer" Gruppen, von Einzelpersonen aus diversen Nichtregierungsorganisationen, von Zeitungsredaktionen sowie bundesweiten Kampagnen. Die IL hatte den G 8-Gipfel 2007 als "praktisches Experimentierfeld für unsere Zusammenarbeit" gewählt und war mit ihrem "Schwarzen Block" bei der Großdemonstration am 2.6.2007 in Rostock gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 hauptverantwortlich für Ausschreitungen und zahlreiche Verletzte auf Seiten der Polizei und der Demonstranten. linksExtREmismus 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bewertung des Einflusses der Einschlüsse auf die Gesamtpartei Die Strömungen bzw. Zusammenschlüsse AKL*, SL* (einschließlich 'marx21'), KPF und die 'Linksjugend ['solid]' vertreten in unterschiedlicher dogmatischer Schärfe weiterhin Positionen, die auf eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik abzielen, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren ist. Es soll nicht nur das "kapitalistische System" in der Bundesrepublik überwunden werden, vielmehr wird - in unterschiedlicher Graduierung - weiterhin eine sozialistische Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung angestrebt, die den Kapitalismus in einem "transformatorischen Prozess" überwindet, also über ihn hinausweist. Bereits aufgrund der Aussagen im Parteiprogramm 2011 musste davon ausgegangen werden, dass sich die genannten Einschlüsse in der Programmdiskussion in großen Teilen durchgesetzt und weiterhin den maßgebenden Einfluss in der Partei haben. Dieser Eindruck setzt sich in Nordrhein-Westfalen bei der Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl 2013 fort. Den Strömungen und Zusammenschlüssen gelang es, auf der Landesliste Mitglieder oder ihnen nahestehende Personen als Kandidaten an prominenter Stelle durchzusetzen. So sind von den ersten zehn Kandidaten allein acht der AKL*, SL* oder 'Linksjugend ['solid]' zuzurechnen. 3.1.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Bund NRW Gründung 1968 Bezirke Rheinland-Westfalen und Ruhr-Westfalen Sitz Essen Mitglieder 2012 rd. 3.500 rd. 1.200 2011 rd. 4.000 rd. 1.200 Publikationen unsere zeit (uz), Marxistische Blätter Internet Eigene Homepage Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit der DKP Die 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) ist neben der 'Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands' (MLPD) eine Kernorganisation des orthodox-kommunistischen Linksextremismus. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom 142 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Parteifahne der DKP Bundesverfassungsgericht verbotenen 'Kommunistischen Partei Deutschlands' (KPD), bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum Marxismus-Leninismus und strebt die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. "Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus. Unter der Voraussetzung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und der gesamtgesellschaftlichen Planung der Produktion kann in einem längeren historischen Prozess eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens entstehen, 'worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist'. (K. Marx/F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848). Für dieses Ziel die Arbeiterklasse und die Mehrheit der anderen Werktätigen zu gewinnen - darum geht es der DKP." (Auszug aus dem Programm der DKP, beschlossen auf dem 17. Parteitag der DKP am 8. April 2006) Ziele: Klassenkampf, Revolution, Systemüberwindung Nach ihrer Vorstellung soll die Arbeiterklasse als maßgebende gesellschaftsverändernde Kraft durch einen klassenkämpferisch-revolutionären Akt die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, den Parlamentarismus und den politisch-gesellschaftlichen Pluralismus überwinden. Über die Zwischenstufe des Sozialismus wird eine klassenlose kommunistische Gesellschaft angestrebt, in der alle wesentlichen Antagonismen (Gegensätze), insbesondere der zwischen Kapital und Arbeit, aufgehoben sein sollen. Individualgrundrechte haben hier keinen Platz. linksExtREmismus 143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Arbeitsund Aktionsschwerpunkte der DKP im Jahr 2012: Landtagswahl 2012 Für die Landtagswahl 2012 hat die DKP - wie in 2010 - keine eigene Landesliste aufgestellt. Im Gegensatz zu 2010, als die Partei in Köln und Düsseldorf erfolglos Wahlkreiskandidaten aufstellte, wurden nunmehr auch keine Direktkandidaten aufgestellt. Die Entscheidung, keine eigene Landesliste aufzustellen, wurde durch den Bezirk Rheinland-Westfalen auch mit der Sorge der Schwächung der Partei 'DIE LINKE*' begründet.71 Der Bezirk Rheinland-Westfalen rief daher zur Unterstützung der Landesliste der Partei 'DIE LINKE*' auf,72 weil sie aufgrund ihrer Forderungen nach einem landesweiten Sozialticket, mehr Geld für die Kommunen, Kitas und den Wohnungsbau mit ihr die "größte Schnittmenge"73 sah.74 Zum Wahlauftakt der Partei 'DIE LINKE*' am 13. April 2012 in Düsseldorf war die DKP der Einladung, sich zu beteiligen, gefolgt und hat dadurch ihre Unterstützung unterstrichen.75 Wiederholung der Kommunalwahl 2009 am 26. August 2012 in Dortmund Bei der Wiederholung der Kommunalwahl 2009 in Dortmund am 26. August 2012 trat das durch die DKP getragene Bündnis "Linkes Bündnis Dortmund - Parteilose Linke, DKP und SDAJ an. Mandate konnten - ebenso wie bei der Kommunalwahl 2009 - nicht erreicht werden. Mit 782 Stimmen erhielt das Bündnis 0,5% der Gesamtstimmenzahl (2009: 0,6% bei 1.183 Stimmen). Trotz überörtlicher Unterstützung ist es der Partei nicht gelungen, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren. 71 www.dkp-koeln.de/index.php/dkp-koeln/195-die-dkp-zur-landtagswahl-nrw, Zugriff: 21.12.2012. 72 Ebenda. 73 www.dkp-rheinland-westfalen.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1401:aufr uf-zur-landtagswahl-in-nrw-verteilt&catid=37:partei&Itemid=106, Zugriff: 21.12.2012. 74 dkp-rheinland-westfalen.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1374:zur-aufloesung-des-nrw-landtages&catid=139:medienerklaerung&Itemid=106, Zugriff: 21.12.2012. 75 www.dkp-rheinland-westfalen.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1401:aufr uf-zur-landtagswahl-in-nrw-verteilt&catid=37:partei&Itemid=106, Zugriff: 21.12.2012. 144 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die Schwerpunkte kommunalpolitischer Präsenz und Aktivitäten der DKP liegen im nördlichen Ruhrgebiet; in Bottrop erzielte die Partei bei der Kommunalwahl 2009 5,6% der Stimmen und stellt drei Stadträte. 'unsere zeit' (uz) - Sozialistische Wochenzeitung der DKP Mit der 26. Auflage am 29. Juni 2012 ist mit dem Wechsel der Druckerei die Parteizeitung 'unsere zeit' (uz) umgestaltet worden. Das Layout wurde geändert und die Zeitung neu strukturiert. Ziel sei es, "gesellschaftliche Entwicklungen aus marxistischer Sicht dar[zu]stellen [...] den Gebrauchswert der UZ [zu] erhöhen um damit unseren Anteil an der Formierung einer breiten außerparlamentarischen Bewegung zu verbessern."76 Trotz seit Jahren bestehender finanzieller Schwierigkeiten hält die Partei an ihrem wöchentlich erscheinenden Veröffentlichungsorgan fest. Als wichtiges Medium der politischen Informationsarbeit der DKP ist deren Erhaltung ein zentrales Anliegen der Partei. Die Zeitung dient nicht nur der Verbreitung der Sichtweise der DKP für Mitglieder, Interessierte und Sympathisanten, sondern auch der Kommunikation bei Infoständen, Kundgebungen und Demonstrationen sowie zur Gewinnung von Mitgliedern. Darüber hinaus soll mit themenbezogenen Extra-Ausgaben und dem alle zwei Jahre stattfindenden Pressefest, das turnusmäßig wieder im Jahr 2013 ansteht, Außenwirkung erreicht werden. Richtungsstreit zwischen "Reformern" und "Traditionalisten" in der Partei Seit einigen Jahren schwelt in der DKP ein - für eine orthodox-kommunistische Partei - ungewöhnlich harter und offener Richtungsstreit zwischen "Reformern" und "Traditionalisten". Im Kern geht es um die Frage, sich entweder gegenüber gesellschaftlichen und sozialen Bewegungen stärker zu öffnen und sich an der eher reformorientierten Programmatik und Strategie der Partei 'DIE LINKE*' zu orientieren, oder an der "unverfälschten" Lehre von Marx, Engels und Lenin festzuhalten. Ziel der DKP ist es weiterhin, den Sozialismus/Kommunismus durch eine Umwälzung der herrschenden Machtund Eigentumsverhältnisse mit der Arbeiterklasse als "revolutionärem Subjekt" zu erreichen. 76 'unsere zeit', 26. Auflage vom 29. Juni 2012, S. 1, www.dkp-online.de/uz/4426/4426.pdf, Zugriff: 21.12.2012. linksExtREmismus 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 In einer "Theoretischen Konferenz" im Oktober 2011 konnte wegen der ideologischen Verhärtung beider Flügel keine Annäherung der Positionen erzielt werden.77 20. Parteitag Anfang März 2013 Für Anfang März 2013 hat die DKP ihren 20. Parteitag anberaumt. Im Vordergrund soll die Frage nach dem Profil und der politischen Orientierung der Partei stehen. Die Fronten zwischen "Reformern" und "Traditionalisten" haben sich weiter verhärtet. Auch zwei Fortsetzungsveranstaltungen der "Theoretischen Konferenz" im Berichtszeitraum haben keine erkennbare Annäherung erbracht. Notwendig für die Partei ist es, im Rahmen der Bündnispolitik mit anderen "linken" Kräften die eigene Identität zu bewahren. Die dafür nötige Initiative kann allerdings logistisch und vor allem personell nur in wenigen Ortsgruppen erbracht werden. Dem seit zwei Jahren tätigen Parteivorstand ist es unter Führung der Vorsitzenden Bettina Jürgensen bisher nicht gelungen, den Erwartungen der Mitglieder gerecht zu werden und im Interesse der Einheit der Partei die Flügel zusammen zu führen und zu versöhnen. Der 20. Parteitag wird somit auch ein Prüfstein für die Arbeit der Parteispitze sein. Weitere Arbeitsund Aktionsschwerpunkte der DKP Die DKP hat sich im Jahr 2012 wiederum auf ihren traditionellen Themenfeldern engagiert. Mangels Wahlerfolgen sind dies die sogenannten "außerparlamentarischen Bewegungen" und die Gewerkschaftsund Betriebsarbeit. Darüber hinaus wird weiterhin versucht, aktuelle Themen für sich zu instrumentalisieren, um wahrgenommen zu werden. "Dauerbrenner" sind die der kapitalistischen Herrschaftsund Wirtschaftsordnung als Folge zugeschriebenen tatsächlichen oder vermeintlichen krisenhaften Entwicklungen in Deutschland, Europa und der Welt. Die DKP beteiligte sich im Berichtszeitraum an den jährlichen Liebknecht-LuxemburgLenin-Gedenkfeierlichkeiten im Januar 2012 in Berlin, dem Internationalen Frauentag im März, an Demonstrationen zum 1. Mai sowie an "antifaschistischen" Gegendemonstrationen gegen rechtsextremistische Aufmärsche. 77 Siehe hierzu Verfassungsschutzbericht NRW 2011 vom Juni 2012, S. 128, 129. 146 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 3.1.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Vorsitzender Stefan Engel Neben'Rebell*' und 'Rotfüchse*' (Jugendbzw. Kinderorganisation der organisationen MLPD) VorfeldZahlreiche Gruppierungen mit nomineller Eigenständigkeit organisationen dienen der Partei als struktureller Unterbau, darunter der 'Frauenverband Courage e.V.*') oder kommunale Wahlbündnisse wie 'AUF*'. Mitglieder Bund NRW 2012 ca. 1.900 ca. 650 2011 ca. 2.000 ca. 650 Publikationen 'Rote Fahne' (RF), wöchentliche Auflage ca. 7.500 Internet Die Partei verfügt über eine umfangreiche Internetpräsenz; 'Rote Fahne News' als Online-Nachrichtenmagazin Hintergrund und Verfassungsfeindlichkeit Die 1982 aus dem 'Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands' (KABD) hervorgegangene MLPD bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tse-tung und verbindet nach eigener Aussage "den Kampf um die Forderungen der Arbeiterund Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution". Die Zielsetzung der MLPD ist durch eindeutig verfassungsfeindliche Aussagen und Handlungsweisen geprägt. Ziel: Revolution, Diktatur des Proletariats, Kommunismus Bereits die Präambel in den Parteistatuten verdeutlicht dies: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft".78 78 www.mlpd.de/partei/grundsatze/praambel, Zugriff: 20.12.2012. linksExtREmismus 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die angestrebte Gesellschaftsordnung soll durch eine Revolution erreicht werden, in deren Verlauf sich die "Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei [Anm.: gemeint ist die MLPD] zum bewaffneten Aufstand erheben, [...] den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen, [...] die Diktatur des Proletariats errichten und [...] gegen die Konterrevolution verteidigen" müsse. 79 In einem "15 Punkte Programm" der Partei wird ausgeführt: Es "muss die Herrschaft der internationalen Monopole gestürzt und der Sozialismus aufgebaut werden. Nicht nur in Deutschland: Den vereinigten sozialistischen Staaten der Welt gehört die Zukunft."80 Im Parteiprogramm der MLPD wird dies konkretisiert: "Der Sozialismus stellt eine Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Kommunismus dar." Erforderlich sei ein "systematischer ideologischpolitischer Kampf um das sozialistische Bewusstsein zur Überwindung der bürgerlichen Ideologie".81 Das gesamte Aktionspotenzial der MLPD fußt auf dem geschlossenen marxistisch-leninistischen Weltbild einer klassischen kommunistischen Kaderpartei. Dies zeigt sich auch in der dogmatisch unantastbaren Stellung des seit der Parteigründung amtierenden Vorsitzenden. Bundesweit hat die Partei sieben Landesverbände, davon einen in Nordrhein-Westfalen. Das Hauptaugenmerk ihrer politischen Arbeit legt die Partei neben der Frauenund Jugendpolitik, die sie mit vermeintlich eigenständigen Organisationen umzusetzen versucht, vorwiegend auf die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit sowie die Beteiligung an sozialen Protesten. Da sich die MLPD in einer fortdauernden Verfolgungssituation durch den Staat und seine Organe wähnt, agiert sie auf kommunaler Ebene verdeckt. Hier unterstützt die Partei angeblich unabhängige Personenwahlbündnisse mit der Bezeichnung 'AUF*' (für: "alternativ, unabhängig, fortschrittlich"), die jedoch zum Teil personell mit der MLPD verflochten sind. 79 www.mlpd.de/partei/parteiprogramm, Zugriff: 20.12.2012. 80 www.mlpd.de/search?SearchableText=15+Punkte+Programm, Zugriff: 20.12.2012. 81 www.mlpd.de/partei/parteiprogramm, Zugriff: 20.12.2012. 148 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Arbeitsund Aktionsschwerpunkte der MLPD im Jahr 2012 Die MLPD hat im Land ihren kommunalpolitischen und Aktionsschwerpunkt im Ruhrgebiet. In sieben Räten ist die Partei durch 'AUF*'-Gruppierungen mit ein bis zwei Mandaten vertreten. Beteiligung an Wahlen in Nordrhein-Westfalen Zur Landtagswahl am 13. Mai und zur Kommunalwahl in Dortmund am 26. August 2012 trat die MLPD nicht an. Bei beiden Wahlen rief die MLPD ihre Mitglieder dazu auf, die Partei 'DIE LINKE*' zu unterstützen.82 Einen "grundlegenden Politikwechsel" ohne revolutionären Sturz, wie ihn sich 'DIE LINKE*' innerhalb der parlamentarischen Demokratie vorstelle, hält die MLPD zwar für illusorisch, jedoch vertrete 'DIE LINKE*' in ihrem Wahlprogramm vor allem in der Haushalts-, Sozial-, Umweltund Arbeitspolitik "viele fortschrittliche Forderungen", für die sich die MLPD seit Jahren einsetze.83 Überdurchschnittliche Wahlergebnisse der Partei "DIE LINKE*" bei der Landtagswahl in Stadtteilen von Gelsenkirchen, Essen oder Duisburg rechnet sich die MLPD auch als Beitrag an, da sie in diesen Kommunen stark und gefestigt sei.84 Umweltpolitisches Engagement im internationalen Kontext Durch die Verknüpfung der Umweltthematik mit dem Engagement in der 'Internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen' (ICOR) will die MLPD ihren Kampf gegen das "ausbeuterische kapitalistische System" im internationalen Kontext unterstreichen. Dies hat für die MLPD einen hohen Stellenwert. Parteifahne der MLPD 82 www.mlpd.de/2012/kw18/landesleitung-der-mlpd-nrw-zur-landtagswahl-am-13.-mai-2012/ view und www.rf-news.de/2012/kw34/mlpd-dortmund-unterstuetzt-bei-kommunalwahl-dielinke/, Zugriff: 20.12.2012. 83 www.mlpd.de/2012/kw18/landesleitung-der-mlpd-nrw-zur-landtagswahl-am-13.-mai-2012/ view, Zugriff: 20.12.2012. 84 www.rf-news.de/2012/kw20/landtagswahl-nrw-rot-gruen-gewinnt-roettgen-abgewatscht, Zugriff: 20.12.2012. linksExtREmismus 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Sie nutzt die Thematik auch für ihre propagandistischen Zwecke. Initiiert wurde z.B. eine Unterschriftensammlung für das "Manifest zum Gedenken an das Desaster von Fukushima und zur Forderung nach der Beendigung der Nutzung von Atomenergie",85 die am 11. März, dem Jahrestag der Fukushima-Katastrophe in Japan, begann und bis zum 1. Dezember (Weltklimatag) verlängert wurde.86 Geplant ist die öffentlichkeitswirksame Übergabe der Unterschriften "in geeigneter Form" am 11. März 2013, dem 2. Jahrestag des Atomunfalls in Fukushima.87 Untermauert werden diese Ambitionen der MLPD auch durch bundesweite Veranstaltungen zum Weltklimatag am 1. Dezember 2012, der als "Internationaler Kampftag zur Rettung der natürlichen Umwelt" tituliert wurde.88 Beabsichtigt sei ferner eine "Umweltgewerkschaft" aufzubauen.89 "Europaseminar" und Festakt "30 Jahre MLPD" in Dortmund Am 1./2. November 2012 fanden in Dortmund ein durch MLPD und ICOR organisiertes "Europaseminar" und am 3. November der offizielle Festakt zum 30-jährigen Bestehen der MLPD statt. Im Rahmen des "Europaseminars" wurden unter dem Leitthema "Die EU und die Arbeiterund Volksbewegung in Europa" drei Themenblöcke behandelt: : "Die EU und ihre Entwicklung zu einem imperialistischen Wirtschaftsund Machtblock", : "Europa in der Weltwirtschaftsund Weltfinanzkrise" und : "Die Entwicklung des Stimmungsumschwungs in Europa und der Aufschwung von Massenkämpfen".90 85 www.mlpd.de/2012/kw13/unterschriftensammlung-zur-beendigung-der-nutzung-der-atomenergie-erfolgreich-begonnen, Zugriff: 20.12.2012. 86 www.icor.info/2012-2/icor-ilps-kampagne-verlaengert-2013-jetzt-online-unterschriftenmoeglich, Zugriff: 20.12.2012. 87 Ebenda. 88 www.rf-news.de/2012/kw48/aktionen-und-termine-zum-weltklimatag-und-internationalerkampftag-zur-rettung-der-natuerlichen-umwelt, Zugriff: 20.12.2012. 89 www.mlpd-gelsenkirchen.de/Volksbewegung/umwelt, Zugriff: 20.12.2012. 90 www.mlpd.de/2012/kw32/europaseminar-die-eu-und-die-arbeiter-und-volksbewegung-in-europa, Zugriff: 20.12.2012. 150 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Einladungsflyer der MLPD zum Festakt und Europaseminar in Dortmund Beschlossen wurde ferner eine Resolution zum Tag des länderübergreifenden Generalstreiks am 14. November.91 Das - nach eigenen Angaben - an den zwei Tagen unter Beteiligung internationaler Gäste von 1.250 Besuchern92 besuchte "Europaseminar" unterstreicht die internationalen Vernetzungsansprüche der MLPD und ihres internationalen Zweiges ICOR. Der offizielle Festakt zum 30-jährigen Bestehen der MLPD93 schloss sich am 3. November an das "Europaseminar" an. Bei einer Besucherzahl von parteiseitig mitgeteilten 1.900 Teilnehmern standen die Festreden des Vorsitzenden und weiterer Mitglieder des Zentralkomitees im Vordergrund, in denen unter Rückgriff auf das bekannte Parteivokabular ein positives Fazit der Parteientwicklung gezogen wurde. Eine am 1. September 2011 gestartete Spendenaktion für die MLPD/ICOR mit dem Ziel von 400.000 Euro habe rund 553.000 Euro erbracht, was als großer Erfolg gewertet wurde.94 Die Veranstaltungen untermauern die Organisationsund Mobilisierungsfähigkeit der Partei sowie die finanzielle Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder. 91 www.mlpd.de/2012/kw44/europaseminar-beschloss-resolution-zum-tag-des-laenderuebergreifenden-generalstreiks-am-14-11, Zugriff: 20.12.2012. 92 Ebenda. 93 www.mlpd.de/2012/kw35/grossveranstaltung-30-jahre-mlpd, Zugriff: 20.12.2012. 94 www.rf-news.de/2012/kw44/1.900-feierten-in-der-dortmunder-westfalenhalle-den-30.-geburtstag-der-mlpd/, Zugriff: 20.12.2012. linksExtREmismus 151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 IX. Parteitag in Stuttgart Der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, ging in seiner Rede im Rahmen des Festaktes zum 30-jährigen Bestehen der Partei auf den IX. Parteitag im Oktober 2012 ein, der - so Engel - in Stuttgart stattgefunden habe.95 Ort und Zeit des Parteitages wurden vorher geheim gehalten. Engel teilte zum Verlauf des Parteitags mit, dass er "vom internationalistischen Geist durchdrungen" gewesen sei und "eine zukunftsweisende Ausrichtung" gegeben habe.96 Betont wurde zudem die intensive Diskussionsfreude in der Partei. Arbeitsschwerpunkte für die nächsten Jahre sollen die Jugendarbeit, die Umweltpolitik und die internationalistische Ausrichtung der Partei sein. Engel räumte ferner "schwerwiegende Fehler in der Kaderbehandlung, ja sogar ungerechtfertigte Ausschlüsse aus der Partei" ein, die "korrigiert und aufgearbeitet" werden müssten. "Eine Verfälschung der Kontrolltätigkeit als ein starres, fast panisches Wächtersystem gegen die kleinbürgerliche Denkweise wurde prinzipiell kritisch überprüft und die Lehren daraus gezogen." 97 In einem Interview mit den Parteiorgan 'Rote Fahne'98 im Vorfeld des Parteitages betont Engel, die Parteibasis und die -gliederungen seien im Zuge eines "Aufschwungs der ideologisch-politischen Initiative" intensiv in die Vorbereitung eingebunden worden. Insgesamt seien "tausende Anträge an den Rechenschaftsberichtsentwurf erarbeitet" und mit 1.640 Anträgen auf Kreisund Ortsdelegiertentagen 30% mehr Anträge als beim letzten Parteitag eingebracht und verabschiedet worden. Auch auf Uneinigkeiten, die eingeschränkten Möglichkeiten in der Parteiarbeit sowie auf die nicht vorhandene "revolutionäre Situation", die Niederlagen und Rückschläge unvermeidlich mache, weist Engel hin. 7. Internationaler Automobilarbeiterratschlag Die MLPD beteiligte sich am "7. Internationalen Automobilarbeiterratschlag" in München vom 18. bis 20. Mai 2012,99 einem internationalen Netzwerk von politischen 95 www.mlpd.de/2012/kw49/stefan-engel-zum-stuttgarter-parteitag, Zugriff: 20.12.2012. 96 Ebenda. 97 Ebenda. 98 www.rf-news.de/2012/kw17/grosse-ideologisch-politische-initiative-in-der-parteitagsvorbereitung, Zugriff: 27.12.2012. 99 www.mlpd.de/2012/kw02/17.-bis-20.-mai-in-muenchen-7.-internationaler-automobilarbeiterratschlag, Zugriff: 27.12.2012. 152 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Initiativen, Gewerkschaften, aber auch von linksextremistischen bzw. derart beeinflussten Parteien und Organisationen. Beschlossen wurde - ähnlich der "1. Weltfrauenkonferenz" - die "1. Internationale Automobilarbeiterkonferenz" für 2014/2015 und es wurden internationale Koordinierungsgruppen hierfür gebildet.100 Im gleichen Kontext ist die für den 1. bis 3. März 2013 geplante "1. internationale Bergarbeiterkonferenz" in Peru zu sehen. Die MLPD-nahe und von ihr unterstützte Initiative 'Kumpel für AUF*', nach eigenen Angaben "eine bundesweite kämpferische Bergarbeiterinitiative, die sich für den Erhalt der Arbeitsplätze im Bergbau einsetzt",101 engagiert sich hier ebenfalls.102 Vorfeldund Nebenorganisationen Jugendverband 'Rebell*' und Kinderorganisation 'Rotfüchse*' Die Kinderund Jugendarbeit hat für die MLPD weiterhin einen hohen Stellenwert, dies wurde im Rahmen des IX. Parteitages nochmals unterstrichen. Der Jugendverband 'Rebell*' hat zum "Europaseminar" und zur Jubiläumsveranstaltung der Partei in Dortmund eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel "Ein Rotfuchs ist nie allein" veröffentlicht. Mit der Sammlung sollen das "Leben als Rotfuchs und die damit betriebenen Prinzipien der proletarischen Kindererziehung" beschrieben werden. Die 'Rotfüchse*' sind die Kinderorganisation (ab 6 Jahren) innerhalb des Jugendverbandes 'Rebell*'.103 Beispielhaft für die Kinderund Jugendarbeit der MLPD sind die Freizeitund Unterhaltungsangebote im Rahmen des jährlichen Sommercamps in Truckental (Thüringen),104 das regelmäßig auch von Mitgliedern aus Nordrhein-Westfalen be100 www.iaar.de/de/?id=92&navID=98&view=category&allesVon=275, Zugriff: 27.12.2012. 101 www.auf-gelsenkirchen.de/index.php/auf-ist-aktiv/bergbau/656-solidaritaetserklaerung-vonqkumpel-fuer-aufq, Zugriff: 27.12.2012. 102 www.mlpd.de/2012/kw28/besuch-bei-den-streikenden-kumpel-von-asturien und www.mlpd. de/2012/kw30/spanien-griechenland-staatsgewalt-gegen-arbeiter-2013-internationale-arbeitereinheit-waechst, Zugriff: 27.12.2012. 103 www.rf-news.de/2012/kw43/rebellische-neuerscheinung-zu-30-jahre-mlpd/, Zugriff: 27.12.2012. 104 rebell.info/index.php?option=com_content&task=view&id=853&Itemid=40, Zugriff: 27.12.2012. linksExtREmismus 153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 sucht wird, sowie das Pfingstjugendtreffen. Die Partei macht keinen Hehl daraus, dass Kinder und Jugendliche dadurch an die "proletarische Denkweise" der Partei herangeführt werden sollen.105 Die Vorbereitungen und Planungen zum Pfingstjugendtreffen, das in 2013 wieder in Gelsenkirchen stattfinden soll, sind bereits angelaufen.106 Die besondere Unterstützung durch alle Parteigliederungen ist Teil der Kaderpolitik der MLPD, mit der sie über ihren originären Einflussbereich hinaus in der gesamten Arbeiterklasse und im "linken" Spektrum Interesse und Aufmerksamkeit wecken will. Flyer der MLPD zum Pfingstjugendtreffen in Frauenverband Courage e.V.* Gelsenkirchen Neben der Kinderund Jugendarbeit ist frauenpolitisches Engagement in dem 'Frauenverband Courage*' für die MLPD ein wichtiges Betätigungsfeld zur Verbreitung ihrer Ideologie. Die stellvertretende Parteivorsitzende Monika Gärtner-Engel betonte in Ihrer Veranstaltungsrede "30 Jahre MLPD" in Dortmund die enge Verbindung der Partei zum 'Frauenverband Courage*':107 "Diese Erfolgsgeschichte unserer Frauenarbeit begann mit einer Selbstkritik. Ende der 1980er Jahre hatten wir vor, eine marxistisch-leninistische Frauenorganisation aufzubauen. Willi Dickhut, der Pionier im Parteiaufbau der MLPD, kritisierte das: 'Das ist alles viel zu eng! Die revolutionären Frauen gehören in die Partei. Die dialektische Schlussfolgerung aus den Fehlern der kommunistischen Bewegung mit ihren pseudo-überparteilichen Frauenorganisationen ist die Förderung wirklich überparteilicher Frauenorganisationen!' 105 rebell.info/index.php?option=com_content&task=view&id=24&Itemid=43, Zugriff: 20.12.2012. 106 rebell.info/index.php?option=com_content&task=view&id=892&Itemid=41, Zugriff: 20.12.2012. 107 www.mlpd.de/2012/kw49/stefan-engel-zum-stuttgarter-parteitag, Zugriff: 20.12.2012. 154 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die grundsätzlichen Diskussionen, die er dadurch in der MLPD auslöste, wurden zum Fundament der Frauenarbeit der MLPD. Die MLPD förderte seitdem den Aufbau des überparteilichen Frauenverbands Courage." Der 'Frauenverband Courage*' hat sich an dem am 15./16. September 2012 in Ludwigsburg ausgerichteten "10. Frauenpolitischen Ratschlag" beteiligt,108 der sich "als eine internationale, frauenpolitische und kulturelle Plattform" sieht, "auf der sich Frauenprojekte, -gruppen, -organisationen und Parteien ebenso wie Einzelfrauen austauschen können".109 Mittlerweile sei "der Frauenpolitische Ratschlag die größte Veranstaltung für Frauen und Frauengruppen aus den Betrieben, der Friedensbewegung und der Bewegung der Montagsdemonstrationen."110 An dem linksextremistisch beeinflussten Ratschlag nahmen auch zahlreiche Vertreter nichtextremistischer Gruppierungen und Organisationen teil.111 Im Rahmen des Ratschlages wurden unter anderem grenzüberschreitende Solidaritätsbekundungen und Hilfeleistungen für streikende Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter in Griechenland unterstützt. Durch ein Spendenaufkommen von über 2.715 Euro sei ein Hilfsgüter-Lastwagen ausgestattet worden.112 Ausdruck der internationalistischen Ausrichtung revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) war bereits die Beteiligung des 'Frauenverbands Courage*' an der "1. internationalen Weltfrauenkonferenz" in Venezuela im letzten Jahr.113 108 www.rf-news.de/2012/kw37/frauenpolitischer-ratschlag-verabschiedet-randvoll-beladenenlkw-nach-griechenland/, Zugriff: 27.12.2012. 109 frauenpolitischerratschlag.de/index.php?option=com_content&task=view&id=16&Itemid=29, Zugriff: 27.12.2012. 110 frauenpolitischerratschlag.de/index.php?option=com_content&task=view&id=27&Itemid=40, Zugriff: 27.12.2012. 111 www.verfassungsschutz-bw.de/index.php?option=com_content&view=article&id=1137:nurein-hauch-von-revolutionq-beim-frauenpolitischen-ratschlagq-in-ludwigsburg&catid=201:meld ung&Itemid=327, Zugriff: 27.12.2012. 112 frauenpolitischerratschlag.de/index.php?option=com_content&task=view&id=284&Itemid=84 und www.rf-news.de/2012/kw39/generalstreik-legt-verkehr-in-ganz-griechenland-lahm und rfnews.de/2012/kw37/frauenpolitischer-ratschlag-verabschiedet-randvoll-beladenen-lkw-nachgriechenland/?searchterm=Spenden 2.715, Zugriff: 20.12.2012. 113 Verfassungsschutzbericht NRW 2011, S. 133, 134, abzurufen unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/publikationen/ berichte.html, Zugriff: 27.12.2012. linksExtREmismus 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Beteiligung an der Bundestagswahl 2013 Die MLPD beabsichtigt mit 16 Landeslisten und über 40 Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2013 anzutreten; sie will sich mit den Schlagworten "radikal links", "revolutionär" und als "sozialistische Alternative" profilieren.114 Der Vorsitzende und Spitzenkandidat Stefan Engel führt hierzu aus: "Wir werden unseren Wahlkampf voll in den Dienst der Kämpfe der Arbeiterund Volksbewegung stellen. Unsere Grundlinie ist die Selbstbefreiung der Menschen! Unser Wahlkampf wird davon geprägt, dem herrschenden Antikommunismus die Stirn zu bieten! Was soll daran verbrecherisch sein, wenn wir für die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen eintreten? Plakat der MLPD während Ich bin stolz, Marxist-Leninist zu sein." 115 Die gesetzlich vorder Bundestagswahl 2009 geschriebene Beibringung von rund 40.000 Unterstützerunterschriften bezeichnet die MLPD als "undemokratisch".116 Um dem eigenen Anspruch der flächendeckenden Präsenz der MLPD zur Bundestagswahl auch gerecht werden zu können, appelliert der Parteivorsitzende an "befreundete Organisationen von Migranten, aus der Jugend-, Frauenoder Montagsdemonstrationsbewegung, mit eigenen Kandidatinnen und Kandidaten auf der Liste der MLPD zu kandidieren."117 3.2 Aktionsorientierter Linksextremismus Anhaltspunkte für den Verdacht linksextremistischer Bestrebungen und ideologische Orientierung Die linksautonome Szene ist eine heterogene, alternative Misch-Szene, deren gemeinsame ideologische Basis fundamental-anarchistische und kommunistische 114 www.rf-news.de/2012/kw36/mlpd-kandidiert-in-allen-bundeslaendern-zur-bundestagswahl-2013/, Zugriff: 20.12.2012. 115 Ebenda. 116 Ebenda. 117 www.mlpd.de/2012/kw39/unterstuetzt-die-wahlzulassung-der-mlpd-offene-liste, www.mlpd. de/2012/kw39/faltblatt-30-jahre-btw/view und www.rf-news.de/2012/kw26/horster-mitte-sommerfeste-mit-tausenden-besuchern, Zugriff: 20.12.2012. 156 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Theoriefragmente bilden. Ihr Ideal sieht sie in einem "selbstbestimmten Leben" frei von Herrschaftsverhältnissen. Staatliche gesellschaftliche Normen, Hierarchien und Verbindlichkeiten werden als Unterdrückungsmechanismen ("Repression") betrachtet. Die Szene ist insgesamt eher wenig ideologiefixiert, sondern in erster Linie aktionsorientiert. Gewalt ist dabei ein grundsätzlich akzeptiertes Mittel im Kampf gegen den Staat, vor allem gegen die Polizei, und andere politische Gegner. Diese gezielten und intendierten Grenzüberschreitungen sind mit dem staatlichen Gewaltmonopol und den Grundrechten anderer als Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Daher ist die Beobachtung der linksautonomen Szene durch den Verfassungsschutz geboten. Handlungsmuster und Aktionsformen Die Handlungsmuster und Aktionsformen der autonomen Szene reichen von der offenen politischen Betätigung, zum Beispiel durch Agitation mit Flugblättern, Plakaten, Internetauftritten und sonstigen Veröffentlichungen, Outing-Aktionen von tatsächlichen oder vermeintlichen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene, gezieltem Lahmlegen von Internetseiten bis zu Sachbeschädigungen an staatlichem oder privatem Eigentum und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen politischen Gegner. Zeitund ortsgebundene Auseinandersetzungen mit einer gewissen "Tradition" und politischen Motivation, bei denen es - wie in Berlin und Hamburg -regelmäßig zu schweren Gewalttaten in erheblicher Zahl kommt, gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Auch bilden Autonome anlassbezogen mit zivildemokratischen Spektren Bündnisse, in denen sie für ihre Aktionen mitunter Schutz suchen, insbesondere bei der Mobilisierung gegen rechtsextremistische Veranstaltungen. Auch die Beteiligung der Bundeswehr und der NATO an internationalen Militäreinsätzen ist dauerhaft im Fokus der Szene. Durch spektakuläre Aktionen gegen ihre Einrichtungen und Veranstaltungen, wie der Nachwuchswerbung und der Zusammenarbeit des Militärs mit zivilen Unternehmen, will sie eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung erzielen. Relevante Themenfelder im Jahr 2012 Themenfeld Antifaschismus Ein zentrales Themenfeld der linksautonomen Szene ist der "antifaschistische Kampf". Aktionen der autonomen Antifa, der prägende Teil der aktionsorientierten Szene, zielen vor allem darauf, Veranstaltungen rechtsgerichteter Parteien, OrganilinksExtREmismus 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 sationen oder Gruppierungen - auch mit Gewalt - zu stören oder zu verhindern. Darüber hinaus sind deren Institutionen und Szeneobjekte, wie z.B. Parteibüros oder Treffs, aber auch Einzelpersonen Ziele von Angriffen, die tatsächlich oder vermeintlich der rechtsgerichteten Szene angehören. Für Nordrhein-Westfalen sind die drei Antifa-Feindbilder 'pro NRW', NPD und Neonazis. Die Polizei wird als "staatliches RepressionsinstLogo der Autonomen Antifa rument" begriffen. Bereits die Polizeipräsenz bei Demonstrationen wird von der Szene als "strukturelle Gewalt" empfunden, die "Gegengewalt" als "legitimen revolutionären Akt" im Kampf gegen das bürgerlich-kapitalistische System rechtfertigt.118 Die aus der Verfassung folgende Rechtspflicht, auch Versammlungen der rechtsextremistischen Szene zu gewährleisten, wird als "Schutz der Rechten" durch die Polizei diffamiert. Die Grundrechte der Meinungs-, Versammlungsund politischen Organisationsfreiheit der Anhänger des rechtsgerichteten Spektrums werden negiert, auch wenn Gerichte diese ausdrücklich bestätigt hatten. Themenfeld Antirepression Demonstrationen gegen den Verfassungsschutz am 29. Oktober 2012 und 10. November 2012 in Köln Als Folge der Aufarbeitung der Ereignisse rund um den NSU etablierte sich die bundesweite Kampagne "Verfassungsschutz auflösen", in der neben zivildemokratischen auch linksextremistische Bündnisstrukturen wie die 'Interventionistische Linke*' (IL) mit ihrem Netzwerk eine dominierende Rolle spielen. 118 Konzept der "strukturellen Gewalt" nach dem norwegischen Friedensforscher Galtung: Alles, was Individuen daran hindert, ihre Anlagen und Möglichkeiten voll zu entfalten, ist eine Form von Gewalt, die auf gesellschaftlichen Strukturen, Werten, Normen, Institutionen oder Diskursen sowie Machtverhältnissen beruht. Das Konzept ist Teil der zentralen Legitimationsstrategie linksextremistischer Kampagnen, die Verstöße gegen die Rechtsordnung regelmäßig mit der vorgängigen "Gewalt des Systems" rechtfertigten. 158 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auf Internetplattformen der Szene sowie in nahestehenden Printmedien wurde die Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert, der seit jeher ein "repressives Unterdrückungsinstrument" vor allen gegen "Linke" sei.119 Bereits am 29. Oktober 2012 kam es vor dem Polizeipräsidium Köln durch das linksextremistisch dominierte 'Bündnis Verfassungsschutz auflösen!', in dem sich auch die 'Antifaschistische Koordination Köln und Umland' (AKKU)120 engagiert hat, zu einer mit 70 Personen störungsfrei verlaufenen Kundgebung mit dem Thema "Gegen die Schönfärberei von Verfassungsschutz und Rassismus! Verfassungsschutz auflösen! Institutionellen Rassismus bekämpfen!" Im Rahmen dieser Kampagne fand am 10. November 2012 vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln-Chorweiler eine Demonstration unter dem Motto "Verfassungsschutz auflösen - Rassismus bekämpfen". Obwohl der Anmelder nur mit 500 Teilnehmern gerechnet hatte, nahmen bis zu 1.000 Personen an der Veranstaltung teil. Der Aufzug wurde von gut 500 schwarz gekleideten, dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnenden Demonstrationsteilnehmern angeführt. Im Verlauf der Demonstration wurden bengalisches Licht und Pyrotechnik eingesetzt, während der Zwischenkundgebung unmittelbar vor dem BfV Einsatzkräfte der Polizei mit Glasflaschen und bengalischem Licht beworfen. Zu Verletzungen kam es nicht, es wurden aber Plakat-Aufruf zur Demonstration "VerfasStrafanzeigen wegen Landfriedensbruchs sungsschutz auflösen - Rassismus beund wegen Sachbeschädigung gefertigt. kämpfen" in Köln 119 Ein Beispiel von vielen: Antifaschistische Linke Berlin vom Dezember 2011, www.antifa.de/ cms/content/view/1818/32/, Zugriff: 02.12.2012. 120 www.antifa-koeln.net/index.php/archiv/antifaschismus-neonazismus-a-rechtspopulismus/ neonazismus/item/5-pressemitteilung-des-buendnisses-verfassungsschutz-aufloesen, Zugriff: 01.12.2012. linksExtREmismus 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die hohe Teilnehmerzahl zeigt, dass eine Brücke zum zivildemokratischen Lager geschlagen werden konnte. Die Veranstalter sehen dies als einen Erfolg ihrer Mobilisierungsund Bündnisbemühungen. Solidarität mit verurteiltem linksextremistischem Gewalttäter Bei einer Antifa-Demonstration am 31. März 2012 in Nürnberg griff ein Antifa-Aktivist mit einer Fahne, deren Haltestange am unteren Ende zugespitzt war, mehrere Polizeibeamte an und verletzte dabei einen Polizisten im Bereich der Halsschlagader. Im Rahmen einer weiteren Antifa-Kundgebung wurde der zur Fahndung ausgeschriebene Aktivist am 21. April in Ludwigshafen gefasst und am 14. November in Nürnberg wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruchs zu einer zweieinhalbjährigen Jugendstrafe verurteilt. Bereits während der Untersuchungshaft solidarisierten sich Teile der linksextremistischen Szene mit dem Inhaftierten und demonstrierten auch in Nordrhein-Westfalen für seine Freilassung. In Duisburg gründete sich ein Komitee mit linksextremistischem Hintergrund, das Solidaritätsdemonstrationen organisierte bzw. die Mobilisierung in anderen Bundesländern unterstützte. Themenfeld Antikapitalismus Bedeutungsgewinn als Folge der Finanzund Wirtschaftskrise Das Themenfeld Antikapitalismus hat im Berichtszeitraum für Linksextremisten angesichts der Auswirkungen der Finanzund Wirtschaftskrise in Europa deutlich an Bedeutung gewonnen. Es kam im Jahr 2012 zu mehreren überregionalen Großveranstaltungen mit einer Beteiligung von jeweils mehreren tausend Menschen. Vor allem an den Demonstrationen in der Bankenmetropole Frankfurt beteiligte sich auch ein beträchtlicher Teil autonom-anarchistischer Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen. "Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus" (M31) am 31. März 2012 in Frankfurt Mit dem Kürzel "M31" wurde der "Europäische Aktionstag gegen den Kapitalismus" am 31. März 2012 bezeichnet, an dem Kapitalismuskritiker in mehreren Ländern Europas gegen die Sparund Krisenpolitik der Europäischen Union demonstrierten. 160 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Auch in Nordrhein-Westfalen wurde für den deutschen Demonstrationsort Frankfurt maßgeblich von anarchistischen Zusammenhängen und dem von autonomen Antifa-Gruppierungen dominierten Bündnis '...ums Ganze*!' mobilisiert. Während und nach der Demonstration eskalierte der Protest: Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei mit zum Teil schweren Verletzungen auf beiden Seiten sowie Sachschäden in Millionenhöhe. Über 400 Personen wurden festgenommen. Szeneseitig wurde der Aktionstag als Erfolg gefeiert: "In Frankfurt brachten 6.000 Menschen auf einer großen, kämpferischen Demonstration deutlich ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zum Ausdruck. [...] Der politische Gehalt und die mediale Wahrnehmung eines so umfangreichen Protestes als explizit antikapitalistisch [...] ist ein notwendiger und großer Fortschritt [...]."121 Sachschäden wurden als politisches Signal gewertet und die Körperverletzungen lakonisch als Nebeneffekt dargestellt: "Die Angriffe mit Farbbeuteln und Steinen auf u.a. den Sitz der Europäischen Zentralbank, die Wache der Stadtpolizei und die Arbeitsagentur können wir in Anbetracht der immer brutaler werdenden sozialen Bedingungen nachvollziehen. Wir verstehen diese militanten Aktionen als Ausdruck der Wut über die autoritäre Krisenpolitik in der EU. [...] Das Verletzen von Menschen ist dabei nicht Ziel unserer Politik."122 "Blockupy!"-Aktionstage vom 16. bis 19. Mai 2012 in Frankfurt Bei den vom 16. bis 19. Mai 2012 geplanten "Blockupy!"-Aktionstagen in Frankfurt handelte es sich um eine Aktion sowohl zivildemokratischer Protestinitiativen als auch 121 M31 Rückblick: Große Demo und Riots in FFM" - http://de.indymedia.org/2012/04/327996. shtml - v. 5.4.12; Zugriff: 10.12.2012. 122 Leo Schneider, Pressesprecher des M31-Bündnisses, zitiert nach "M31: Zehntausende gegen Kapitalismus", de.indymedia.org/2012/04/327762.shtml v. 2.4.12, Zugriff: 10.12.2012. linksExtREmismus 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 des linksextremistisch beeinflussten Netzwerks 'Interventionistische Linke*'. In Anlehnung an die Aktionen der "Occupy!"-Bewegung sollten das Bankenviertel in Frankfurt durch Massenblockaden lahmgelegt werden.123 Als Folge der Ereignisse vom "M31" unterbanden die Sicherheitsbehörden jedoch sämtliche Handlungen, die auf eine Blockade öffentlicher Plätze hinausliefen. Aktivisten versuchten dennoch immer wieder, das Verbot von Platzbesetzungen mit über das Bankenviertel und die Innenstadt verAufruf zum "Blockupy"-Aktionstag teilten Kleinaktionen zu unterlaufen, scheiterten jedoch am Einschreiten der Polizei. Insbesondere die Frankfurter 'autonome antifa [f]' hatte sich zuvor geäußert: "Unverhältnismäßig und unzumutbar sind nicht einige kaputte Scheiben oder die geplanten Blockaden der Institutionen autoritärer Krisenverwaltung, sondern eine Politik, die hierzulande und weltweit Armut und Perspektivlosigkeit verschärft. [...] Wir werden der autoritären Krisenpolitik Mitte Mai in Frankfurt [...] eine Niederlage beibringen - egal ob mit oder ohne staatliche Erlaubnis" [...].124 Auch in der autonomen Szene in Nordrhein-Westfalen wurde für eine Beteiligung an Blockaden mobilisiert. Das Echo in der autonomen Szene auf die Aktionstage war zwiespältig. Die Idee und die vielen kleineren Versuche von Platzbesetzungen sowie das "Katz-und-Maus-Spiel" mit der Polizei wurden positiv herausgestellt,125 die Vorstellung eines von "Blockupy!" ausgehenden nachhaltigen Impulses zur Beeinflussung gesellschaftlicher Meinungen wurde aber zurückhaltend beurteilt: "Blockupy war erfolgreich, wenn es ein Anfang gewesen ist. Einen ungehorsamen und radikalen Krisenprotest im Herzen der Bestie, aber ohne 123 "Blockupy Frankfurt!", blockupy-frankfurt.org/de/aufruf/blockpyfrankfurt v. 19.3.12, Zugriff: 10.12.2012. 124 Sahra Brechtel, Sprecherin der 'autonomen antifa [f]', zitiert nach "Jetzt erst Recht!," antifafrankfurt.org/Nachrichten/blockupy-erst-recht.html v. 8.5.12; Zugriff: 10.12.2012. 125 unbekannte Aktivistin, zitiert nach Krsto Lazarevic: "Hier blockiert die Polizei!", in "Jungle World" Nr. 21 v. 24.5.12, S. 8. 162 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 alle Illusionen, dass sie über Nacht und ohne materielle Basis auch in Deutschland zu einer Massenbewegung werden könnten."126 Themenfeld Antirassismus Aus Sicht von Linksextremisten, die sich auf diesem Themenfeld engagieren, sind Europas Grenzen nicht nur an den Außengrenzen spürbar, sondern manifestieren sich in Abschiebemaßnahmen an Flughäfen und Abschiebehaftanstalten. Diese stehen daher seit Jahren im Fokus "antirassistischer" Aktivitäten, wobei nicht der Protest gegen Abschiebungen als solches als extremistisch anzusehen ist, sondern die regelmäßigen, gezielten und intendierten Grenzüberschreitungen, indem z.B. das staatliche Gewaltmonopol und die Rechtsordnung bewusst negiert oder Rechte anderer missachtet werden. Die Ausländerund Einwanderungspolitik der Europäischen Union und Deutschlands wird als "rassistisch" abgelehnt und letztlich auf die strukturellen Herrschaftsund Machtverhältnisse zurückgeführt. Zur Vernetzung und zum Erfahrungsaustausch der Antirassismus-Kampagne finden regelmäßig innerhalb und außerhalb der Europäischen Union Protestcamps statt, aus denen heraus durch spektakuläre Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit für das ansonsten eher weniger im Blickfeld stehende Themenfeld erzielt werden soll. "No Border Camp" (NBC) vom 13. bis 22. Juli 2012 in Köln Vom 13. bis 22. Juli 2012 fand in Köln auf einer Wiesenfläche am Rhein das "No Border Camp" 2012 statt. Personell und logistisch wurde das Camp durch das 'Autonome Zentrum' in Köln-Kalk unterstützt. Das NBC 2012 verlief insgesamt friedlich. Die avisierte Teilnehmerzahl von 500 bis 1.000 Personen wurde zu keiner Zeit erreicht. Maximal wurden ca. 300 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und 260 Schlafzelte auf dem Gelände des Camps gezählt. 126 Christoph Kleine, Aktivist bei 'Avanti! - Projekt undogmatische Linke' und der 'Interventionistischen Linken*': "Volltreffer" in "analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis" Nr. 573 v. 15.6.12, S. 12. linksExtREmismus 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Ideologischer Hintergrund Das NBC wurde als ein Ort sowohl inhaltlicher als auch aktionsorientierter Auseinandersetzung angekündigt.127 Ausgangsprämisse war, dass eine "weiße", von den Industriestaaten Europas und Nordamerikas geprägte und dominierende Kultur existiere, die weltweit Norm und Maßstab gesellschaftlicher Werte darstelle, während die Lebensweisen anderer Kulturen unterprivilegiert seien.128 Danach könne sich diesem Rassismus niemand wirksam entziehen, denn man wäre - stark vereinfacht - entweder Nutznießer oder Ausgebeuteter dieser Struktur.129 Das Camp sollte diese Leitsätze im Sinne des in der autonomen Szene verbreiteten "triple oppression"130 -Ansatzes mit anderen Themenfeldern Plakat zum "No Border Camp" in Köln verknüpfen.131 127 "Rassismus findet in neokolonialen Kontexten weißer Vorherrschaft und weißer Dominanzkultur statt, er setzt weiße als Norm und ist keineswegs schlicht persönliche Einstellung, Vorurteil oder Ressentiment." Aufruf zum No Border Camp Köln/Düsseldorf 2012; noborder.antira. info/de/call/, Zugriff: 22.11.2012. 128 Ebenda. 129 "Rassismus geht alle an, denn wer von Rassismus nicht negativ betroffen ist, wird durch ihn privilegiert." ebd., Zugriff: 22.11.2012. 130 Nach autonomen Verständnis die dreifache Machtausübung bzw. Unterdrückung durch unterschiedliche Privilegierung der Klassen-, Rassenund Geschlechtszugehörigkeit. 131 "Das Camp wird zudem die Chance bieten, rassismuskritische, antikapitalistische, und querfeministische bzw. antipatriarchale Perspektiven zusammenzubringen und so dem Zusammenwirken verschiedener Dominierungsformen ein Zusammenwirken verschiedener Widerstandsperspektiven und -praktiken entgegenzusetzen." noborder.antira.info/de/call/, Zugriff: 22.11.2012. 164 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Fazit: Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit Der eigene ideologische Anspruch konnte nicht eingelöst werden. In einem kritischen "Gesamtbericht" einer teilnehmenden Gruppierung aus Bremen, die auf dem einschlägigen Internetportal "Indydemia" veröffentlicht worden ist, heißt es, dass sich - wie auch schon bei ähnlichen Camps in anderen Städten - am Thema "critical whiteness" ein Konflikt entzündet habe132. Manchen Aktivisten wurde der Vorwurf gemacht, sie seien alleine durch ihre gesellschaftliche Positionierung rassistisch determiniert und sollten sich zunächst mit ihrem eigenen Rassismus auseinandersetzen. In der Folge kam es zu Redeverboten und Zurückweisungen während der Veranstaltungen im Camp. Des Weiteren wurde die campinterne - als autoritär beschriebene - Kommunikation kritisiert133. Über das Klima im Camp werden durch die Szene sehr negative Eindrücke geschildert, sogar von einer "Atmosphäre der Angst und der Beklommenheit134" wurde gesprochen, oder: "'No border 2012' war politisch, sozial und menschlich ein GAU - nicht anders als der Himmel, aus dem es pausenlos schüttete."135 Insgesamt dürfte das NBC 2012 in Köln deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter und teilnehmenden Aktivisten zurück geblieben sein. Die außenwirksamen Aktivitäten wurden in Szenepublikationen hingegen durchaus positiv bewertet.136 Bei den Demonstrationen konnten immerhin bis zu mehrere Hundert Aktivisten und Sympathisanten mobilisiert werden. Ebenso wurde durch die Berichterstattung in den Medien zumindest kurzzeitig eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung erzielt. Dies gilt insbesondere für die Besetzung des französischen Konsulats und der Landesgeschäftsstelle der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Düsseldorf.137 132 "So müssen auch rassismuskritische Menschen, die aus einer weißen Perspektive sprechen, ihre eigene Privilegierung reflektieren und ihre weiße scheinbare "Normalität" aktiv durchbrechen", Zugriff: 22.11.2012. 133 http://de.indymedia.org/2012/07/333015.shtml (Zugriff: 22.11.2012). 134 https://linksunten.indymedia.org/de/node/64268, Zugriff: 02.12.2012. 135 Ebenda. 136 Ebenda; ferner: https://linksunten.indymedia.org/de/node/64268 (Zugriff: 02.12.2012). 137 Z.B. www1.wdr.de/themen/politik/nobordercamp100.html; www.rp-online.de/region-duesseldorf/duesseldorf/nachrichten/polizei-raeumt-gr. und nachrichten.rp-online.de/regional/ demonstranten-besetzen-gebaeude-1.2917935, Zugriffe: 02.12.2012. linksExtREmismus 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Themenfeld Antimilitarismus Internationales Diskussionsund Aktionscamp ("War starts here - Camp") vom 12. - 17. September 2012 gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) der Bundeswehr in der Altmark (Sachsen-Anhalt) Hintergründe zur Kampagne 'War starts here - let's stop it here' Die internationale Kampagne 'War starts here - let's stop it here!' wurde im Zusammenhang mit dem internationalen Antimilitarismuscamp (International Peace Action Camp) vom 22. bis 29. Juli 2011 in Lulea / Schweden initiiert138. Die deutsche linksextremistische Szene thematisiert die Kampagne bereits seit Mitte des Jahres 2011 in diversen Publikationen (z. B. Interim, graswurzelrevolution, autonomes Blättchen) sowie auf eigenen Websites139 und in Internetbeiträgen. Einen aktuellen Schwerpunkt im Zusammenhang mit der Kampagne bildete das Internationale Antimilitarismuscamp gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ)140 der Bundeswehr in der Altmark (Sachsen-Anhalt) vom 12. - 17. September 2012, wofür auf einschlägigen sowie auf eigens eingeFlyer und Schablone für die Kampagrichteten Internetseiten monatelang intensiv gene 'War starts here - let's stop it here' worben wurde, so auch in Nordrhein-Westfalen.141 Im Land fanden Mobilisierungsveranstaltungen in Dortmund und Bielefeld statt. 138 Siehe www.warstartshere.com. 139 Vgl. www.bundeswehr-wegtreten.org, www.dazwischengehen.org, www.info.libertad.de. 140 Bei dem GÜZ handelt es sich um einen nicht umfriedeten Truppenübungsplatz der Bundeswehr mit einer geografischen Ausdehnung von ca. 15 x 35 km, darunter Waldgebiete und Heideflächen. 141 Vgl. warstartsherecamp.dfg-vk.de und warstartsherecamp.org/. 166 linksExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Der Anspruch des Initiators und Veranstalters142 war, "das Camp zu einem zentralen Ort der Bündelung antimilitaristischer Kämpfe [zu] machen. [...] Wir werden unsere unterschiedlichen Analysen und Zugänge diskutieren und gemeinsam praktische Erfahrung im sabotieren des Krieges machen". Für den 15. September 2012 war ein Aktionstag geplant, an dem unter dem Motto: "15. September 2012: Gefechtsübungszentrum Altmark entern, lahmlegen, umgestalten"143 der Übungsbetrieb der Bundeswehr unterbrochen werden sollte. Verlauf des Camps am GÜZ Versammlungen im Umkreis des GÜZ wurden behördlich verboten. Erlaubt wurde lediglich eine friedlich verlaufene Demonstration in der Nähe des GÜZ. Einige hundert, teilweise gewaltbereite Linksextremisten reisten aus mehreren Bundesländern - auch aus Nordrhein-Westfalen - und dem Ausland an. Polizeilich konnten Übergriffe und Anschläge auf Bahnstrecken sowie andere Straftaten zur Lahmlegung des Übungsbetriebes auf dem Truppenübungsplatz verhindert werden. Themenfeld Antikernkraft Das Thema Antikernkraft ist bundesweit zwar kein zentrales Themenfeld der linksautonomen Szene. Gleichwohl instrumentalisiert die Szene es für ihre Zwecke, indem versucht wird, das "bürgerliche" Lager auch für Protestformen zu gewinnen, die den verfassungsrechtlich garantierten Rahmen der Versammlungsfreiheit deutlich überschreiten ('Castor? Schottern!'). Vor allem bei früheren Castor-Transporten nach Gorleben war das Aktionsund Gewaltpotenzial beachtlich, konnte allerdings nur temporär entfacht werden. Im Jahr 2012 fand kein Transport nach Gorleben statt. Bundesweit - auch in Nordrhein-Westfalen - haben die Antikernkraftproteste und damit einhergehende Aktionen von linksextremistischen Akteuren nach dem Ausstiegsbeschluss im Jahr 2011 deutlich nachgelassen. Protestaktionen des weit überwiegend zivildemokratischen Spektrums konzentrieren sich in Nordrhein-Westfalen auf die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau und das Transportbehälter-Zwischenlager in Ahaus (TBA). 142 "Koordinierungskreis Antimilitaristisches Camp Altmark". 143 "Aktionstag", in: www.warstartsherecamp.org;, Zugriff: 27.06.2012. linksExtREmismus 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 168 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 4 Ausländerextremismus144 Der Verfassungsschutz beobachtet im Ausländerextremismus Bestrebungen, die : gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes bzw. eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, : durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder : gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Schwerpunktmäßig liegen die Bestrebungen in den beiden letztgenannten Bereichen. Dabei ist die Tatbestandsvoraussetzung der Gewaltanwendung bzw. deren Vorbereitung schon dann erfüllt, wenn ausländische Gruppierungen von hier aus gewaltsame Aktionen im Heimatstaat unterstützen, etwa durch Aufrufe zur Gewalt oder durch die Beschaffung finanzieller oder sonstiger Mittel. Der Ausländerextremismus ist durch eine Vielzahl von Vereinigungen von unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe geprägt. Den Schwerpunkt bilden in Nordrhein-Westfalen die extremistischen Organisationen aus der Türkei. Die sehr unterschiedlichen Zielrichtungen ausländerextremistischer Organisationen lassen sich im Wesentlichen unterteilen in nationalistische Bestrebungen, linksextremistische Bestrebungen und ethnisch motivierte Autonomiebestrebungen. Dabei sind die Übergänge fließend: So sind einige Organisationen ursprünglich linksextremistischer Ausrichtung nach jahrelanger Entwicklung heute vorrangig von ethnisch begründetem Unabhängigkeitsstreben geprägt. 144 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. AusländERExtREmismus 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 4.1 Türkische Organisationen 4.1.1 Ülkücü-Bewegung* Hintergrund Die Ülkücü-Bewegung* ist dem türkischen rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen. Da das Symbol der Bewegung der "Graue Wolf" (türkisch "Bozkurt") ist, sind ihre Anhänger auch als 'Graue Wölfe*' bekannt. Die Ülkücü-Bewegung* ist heterogen strukturiert und setzt sich insgesamt aus mehreren Dachverbänden, unter anderem der Föderation der 'Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' ('Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Ferderasyonu*' - ADÜTDF), einigen Abspaltungsvereinen sowie einer Anzahl von organisationsungebundenen Anhängern zusammen. Die Ülkücü-Bewegung* bzw. die ihr zuzuordnenden Gruppierungen sind durch ein übersteigertes Nationalbewusstsein gekennzeichnet, das die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert ansieht. Neben dem Türkentum, das an erster Stelle steht, kommt dem Islam als eine die türkische Identität ergänzenden Komponente besondere Bedeutung zu. Je nach Ausrichtung der Gruppierung dominieren islamische, ultranationalistische oder rassistische Inhalte. Das gemeinsame und verbindende Element dieser Bestrebung ist ein auf Hegemonie und imperiale Machtentfaltung ausgerichteter türkischer Nationalismus. Neben den Vereinsstrukturen entwickelt sich zunehmend eine von der Ideologie der 'Grauen Wölfe*' geprägte türkische Jugendkultur, die sich vor allem über die sozialen Netzwerke im Internet organisiert und diese Netzwerke zum Ideologietransfer nutzt. Insbesondere die Hetze und Aggression gegen Kurden wird in diesen Internetaktivitäten sehr deutlich. Ideologischer Hintergrund Kernelemente der Ideologie der Ülkücü-Bewegung*/ der "Grauen Wölfe" sind ein übersteigerter Nationalismus sowie der Glaube an eine ethnische Höherwertigkeit des Türkentums. Damit einher geht eine Abwertung anderer Ethnien. Zum Feindbild gehören all jene Menschengruppen und Institutionen, von denen die Anhänger der Ülkücü-Bewegung* annehmen, dass sie dem Ziel der Machtentfaltung des türkischen Nationalismus entgegenstehen. Die sogenannte türkisch-islamische Synthese wird 170 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 von den Anhängern in der Aussage zusammengefasst: "Islam ist unsere Seele, Türkentum ist unser Leib", was das stark religiös gefärbte Nationalismusverständnis zum Ausdruck bringt. Ein weiteres tragendes Element der Ideologie ist der Panturkismus, dessen politische Ziele zum einen am Osmanischen Reich mit seinem türkisch-islamischen Charakter, zum anderen auf eine Vereinigung aller Türken (turksprachigen Völker) unter der Führung einer großen und mächtigen Türkei ausgerichtet sind. Die Orientierung Kleidungsstücke mit Symbolen der Ülkücü-Bewegung* am Osmanischen Reich bezieht sich auf dessen Ausdehnung und Stärke, allerdings nicht auf dessen ethnische Vielfalt. Die Ülkücü*-Ideologie strebt nach einer Vereinigung aller Turkvölker vom Balkan bis nach Zentralasien. Leitbild ist ein fiktives "Reich Turan" (Panturanismus). Die Idee einer solchen Expansion ist mit dem Gedanken der Völkerverständigung nicht vereinbar. Die Ülkücü*-Ideologie lebt außerdem von der Pflege gemeinsamer Feindbilder, zu denen in unterschiedlichen Kombinationen variable Verschwörungstheorien entwickelt werden. Zu den ideologischen Feinden gehören vor allem Kurden, Amerikaner, Juden und Armenier, aber auch Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten, zum Beispiel Homosexuelle. Für die Verbreitung der Ideologie der Ülkücü-Bewegung* wird insbesondere im Internet auf verschieden Plattformen wie sozialen Netzwerken und Videoportalen geworben. Wenngleich sich die Ülkücü*-Vereine nach außen hin überwiegend legalistisch geben, dulden sie doch zumindest die Verbreitung des extrem nationalistischen Gedankengutes in ihren Reihen. Der sogenannte Ülkücü*-Eid, der auf zahlreichen einschlägigen Web-Seiten nachzulesen ist, macht die Kernaussage der Ideologie deutlich: AusländERExtREmismus 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Ich schwöre bei Allah, dem Koran, dem Vaterland, bei meiner Flagge Meine Märtyrer, meine Frontkämpfer sollen sicher sein Wir, die idealistische türkische Jugend, werden unseren Kampf gegen Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus und jegliche Art von Imperialismus fortführen Unser Kampf geht bis zum letzten Mann, bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut Unser Kampf geht weiter, bis die nationalistische Türkei, bis das Reich Turan erreicht ist Wir, die idealistische türkische Jugend, werden niemals aufgeben, nicht wanken, wir werden siegen, siegen, siegen Möge Allah die Türken schützen und sie erhöhen." 4.1.2 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.* Leitung Sentürk Dogruyol Mitglieder Bund NRW 2012 ca. 7.000 ca. 2.000 2011 ca. 7.000 ca. 2.000 Publikation 'Türk Federasyon Bülteni' ('Bulletin der Türkischen Föderation') Internet türkischsprachige Homepage Der unter der Bezeichnung 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' ('Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu*') bekannte Dachverband ADÜTDF* ist eine der anhängerstärksten Gruppierungen der Ülkücü-Bewegung* außerhalb der Türkei. Durch ihr teilweise extrem nationalistisches Gedankengut verfolgt die ADÜTDF* Bestrebungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung bzw. das friedliche Zusammenleben der Völker richten und erfüllt damit die Voraussetzungen zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW. Logo der ADÜTDF* 172 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Struktur Die ADÜTDF*, die 1978 in Frankfurt/Main als 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.' gegründet wurde, hat sich 2007 in 'Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.*' umbenannt. Zudem wurde eine 'Türkische Konföderation in Europa*' (ATK) als europäische Dachorganisation gegründet. Ihr gehören die nationalen Vereinigungen aus Deutschland und aus weiteren europäischen Staaten an. Die ADÜTDF* gilt als deutsche Vertretung der in der Türkei ansässigen 'Partei der Nationalistischen Bewegung' ('Milliyetci Hareket Partisi' - MHP). 1969 von Alparslan Türkes gegründet, wird sie seit dessen Tod 1997 von Devlet Bahceli geführt. Die MHP, die von 1999 bis 2002 an der türkischen Regierung beteiligt war, konnte bei den zuletzt am 12. Juni 2011 durchgeführten Parlamentswahlen ihren Stimmenanteil von zuvor 14,3% nicht ganz halten und kam nun auf 13,0%. In Deutschland werden etwa 150 Vereine mit rund 7.000 Mitgliedern der ADÜTDF* zugerechnet. Rund 70 Vereine befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Finanzierung Die ADÜTDF* finanziert sich im Wesentlichen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Sponsoring. Internetaktivitäten jugendlicher Ülkücü*-Anhänger Das Internet ist für die Darstellung des türkisch-nationalistischen Gedankengutes insbesondere bei den jugendlichen Anhängern der Ülkücü-Bewegung* erkennbar von großer Bedeutung. In zahlreichen offen zugänglichen Videoportalen, aber auch in einem Netzwerk türkisch-nationalistischer Webseiten präsentieren Jugendliche ihre extremistischen Forderungen und Positionen. Die hier bekannten Videos sind überwiegend in türkischer Sprache aufgezeichnet. Sie enthalten extrem kurden-, homosexuellen-, juden-, armenierund USA-feindliche Aussagen sowie obszöne und beschimpfende Darstellungen. Die verbale Radikalität der Internetdarstellungen ist geeignet, in tatsächliche Gewaltbereitschaft bei Kontakten mit dem "politischen Gegner" zu münden. In den Videos wird gegen das friedliche Zusammenleben der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen gehetzt und damit auch in der Bundesrepublik Deutschland das Entstehen von Parallelgesellschaften mit dem entsprechenden Konfliktpotenzial gefördert. AusländERExtREmismus 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die ADÜTDF* stellt sich selbst als gesetzestreu dar und ihre offiziellen Vertreter haben bereits vor einigen Jahren Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer ideologischen Überzeugungen abgelehnt. Im Jahre 2012 kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen zumeist jugendlichen PKK-Anhängern und Anhängern der Ülkücü-Bewegung*. Auslöser waren dabei wechselseitige Provokationen, die sowohl von kurdischer Seite als auch von Seiten der Ülkücü*-Anhänger ausgingen und sich häufig durch "Gegenaktionen" aufschaukelten. Die Skala der dabei begangenen Straftaten reicht von Sachbeschädigungen (durch Steinwürfe, Werfen von Pyrotechnik gegen Vereinsgebäude oder Jugendtreffs) über versuchte Brandstiftung bis zu einer Messerstecherei und einer schweren Massenschlägerei (etwa 50 Tatbeteiligte aus beiden Lagern), die sich im Anschluss an ein Fußballspiel zwischen einem kurdischen und einem türkischen Fußballverein ereignete. Dabei kam es zu schwerem Landfriedensbruch. Die aufgeführten Straftaten belegen, dass der im Internet auf einschlägigen Seiten geschürte Hass auf beiden Seiten zu erheblicher Gewalteskalation führen kann. Bewertung Aufgrund der Vielfalt und auch der Vielzahl der hier bekannten Internetauftritte liegt die Vermutung nahe, dass die Ülkücü-Bewegung* mit ihren Positionen und Forderungen das Entstehen einer extremistischen, isolierten Jugendbewegung in Deutschland fördert. Insbesondere unter den türkischstämmigen Jugendlichen der zweiten und dritten Migrantengeneration gibt das Erstarken eines übersteigerten türkischen Nationalbewusstseins Anlass zur Sorge, da dies die Integration der Jugendlichen in die Lebensund Gesellschaftsverhältnisse in Deutschland behindert. 4.1.3 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front; Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke (DHKP-C) Leitung Nach dem Tod von Dursun Karatas wurde noch kein Nachfolger benannt Mitglieder Bund NRW 2012 650 200 2011 650 200 Publikationen 'Kurtulus' ('Befreiung'), 'Yürüyüs' ('Der Marsch') Internet mehrsprachige Homepage 174 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Hintergrund Die in der Türkei und Deutschland verbotene 'Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front' ('Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi' - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Die Organisation tritt damit nach wie vor für eine revolutionäre Logo der DHKP-C Zerschlagung der türkischen Staatsund Gesellschaftsordnung ein. In den letzten Jahren kam es in der Türkei vereinzelt zu militanten DHKP-C-Aktivitäten (überwiegend Sachbeschädigungen und Brandanschläge mittels Molotowcocktails). Am 12. Juni und am 11. September 2012 geschahen in der Türkei zwei von DHKP-C-Aktivisten verübte Selbstmordattentate. Bei dem Selbstmordattentat, das am 11. September in Istanbul stattfand, kam neben dem Attentäter ein Polizist ums Leben, zudem wurden sieben Personen verletzt. Darüber hinaus kam es mehrfach zu Festnahmen von Personen, die offenbar Sprengstoffanschläge in der Türkei geplant hatten. Propagandistisch betätigten sich DHKP-C-Anhänger außerdem in verschiedenen Kampagnen, die sich hauptsächlich mit den Inhaftierten der Organisation und der Gefängnispolitik der türkischen Regierung befassen. Nach dem Anschlag vom 11. September in Istanbul kam es an verschiedenen Orten in Deutschland zu Gedenkveranstaltungen, bei denen der Selbstmordattentäter als "Revolutionäre, die unter Einsatz ihres Lebens einen Krieg gegen die türkische Regierung führen" gedacht wurde. Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Mit ihrem Bestreben gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VSG NRW). Wegen der gleichermaßen vorhandenen Gewaltbereitschaft unterliegt auch die weniger bedeutende Abspaltungsgruppe 'Türkische Volksbefreiungspartei/-Front' (THKP/-C) der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Die DHKP-C und die THKP/-C sind Nachfolgeorganisationen der in der Bundesrepublik seit 1983 verbotenen 'Devrimci Sol'. Auch sie sind seit dem 1. Februar 2000 bestandskräftig verboten. Ein Streit zwischen den seinerzeitigen Vorsitzenden begründete die bis heute andauernde Rivalität zwischen beiden Organisationen, ohne AusländERExtREmismus 175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 dass ernsthafte ideologische Differenzen zu erkennen wären. Unter der Bezeichnung DHK-C - 'Devrimci Halk Kurtulus Cephesi' agiert der militärische Arm der DHKP-C. Die politischen Aktivitäten werden seit dem Verbot 1983 konspirativ fortgesetzt. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt. Struktur Deutschland ist neben der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet der DHKP-C. Die Organisation verfügt über feste Strukturen. Dem Deutschlandverantwortlichen sind Gebietsverantwortliche nachgeordnet. Die eingesetzten Funktionäre treten zur Tarnung unter Decknamen auf. Als örtliche oder regionale Basis dienen der DHKP- C Vereine, deren Satzungen keinen Rückschluss auf die Organisation zulassen. In Nordrhein-Westfalen verfügt die DHKP-C über solche Stützpunkte unter anderem in Bielefeld, Dortmund, Duisburg und Köln. Als der verbotenen DHKP-C nahe stehend wird der 'Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei' (TAYAD) angesehen, der in Deutschland auch unter dem Namen jeweiliger regionaler TAYAD-Komitees öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durchführt. Wegen personeller Verflechtungen wird auch bei der 'Anatolischen Föderation' (mit Sitz in NRW), die aus dem 'Verband anatolischer Volkskulturvereine e. V.' hervorgegangenen ist, eine Nähe zur DHKP-C angenommen. Finanzierung Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Verkauf von Publikationen. Medieneinsatz Neben den Publikationen 'Kurtulus' ('Befreiung') und 'Yürüyüs' ('Der Marsch') nutzt die DHKP-C intensiver als die übrigen linksextremistischen türkischen Organisationen das Internet für Aufrufe und politische Erklärungen. Sie verfügt über eine mehrsprachige Homepage. 176 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Aktivitäten Durch verschiedene kleinere Kundgebungen versucht die DHKP-C ihre Anhängerschaft in Deutschland zu aktivieren und über die bestehende Zahl ihrer Anhänger hinaus Resonanz zu erzielen. Hierbei nutzt sie zum Teil aktuelle Themen. So führten am 17. Januar, 24. März und 16. Juni 2012 Anhänger der 'Anatolischen Föderation' Kundgebungen in Köln durch, bei denen unter anderem die angebliche Involvierung des Verfassungsschutzes in die von der rechtsterroristischen Gruppierung 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) begangenen Morde thematisiert wurde. Wie bereits in den Vorjahren thematisiert die Organisation außerdem in verschiedenen Kundgebungen die Haftbedingungen ihrer inhaftierten Funktionäre in Deutschland und stellte diese als Ausdruck staatlicher Repression und "Isolationsfolter" dar. Seit Ende Oktober 2012 organisieren Anhänger der DHKP-C in Deutschland und anderen europäischen Staaten unter dem Motto "Einheitskleidung ist Folter!" verschiedene Protestaktionen für einen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum inhaftierten DHKP-C-Funktionär. Dieser weigert sich, die in der JVA für Häftlinge vorgeschriebene Anstaltskleidung zu tragen. Das Tragen einheitlicher Kleidung wird von der DHKP-C als Aufzwingen einer Uniform bzw. als eine Form von Folter angesehen. In Verlautbarungen hierzu heißt es: "Die Einheitskleidung ist eine Methode, die in reaktionärsten und faschistischsten Ländern angewandt wird." "Die deutsche Regierung foltert den Revolutionären [...], weil er nicht von seinem revolutionären Gedankengut abweicht." Protestkundgebungen zur selben Thematik fanden außerdem vor deutschen diplomatischen Vertretungen in Griechenland, den Niederlanden, in Österreich und in der Türkei statt. Strafverfolgungsmaßnahmen Auch im Jahr 2012 gab es Verurteilungen und die Einleitung von Strafverfahren gegen Funktionäre der DHKP-C. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf verurteilte eine Funktionärin der DHKP-C wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Diese Funktionärin war unter anderem im Jahr 2000 als DHKP-C-Gebietsleiterin Westfalen aufgefallen. Bis zu ihrer Festnahme im November 2008 hatte sie europaweit Funktionärsaufgaben innerhalb der DHKP-C wahrgenommen. AusländERExtREmismus 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf - 5. Strafsenat - findet seit dem 1. Oktober die Hauptverhandlung gegen einen türkischen Staatsangehörigen statt. Ihm wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Er soll zwischen 2007 und 2011 als Mitglied der DHKP-C im Kölner Raum in Propagandaund Schulungsaktivitäten der Organisation und die Sammlung von Spendengeldern eingebunden gewesen sein. Bewertung Die Probleme der DHKP-C in den zurückliegenden Jahren bei der Mitgliedermotivation und bei der Finanzierung der Organisation bestehen fort. Hinzu kommen nach wie vor die konsequente Strafverfolgung und Verhaftung von Führungsfunktionären durch die Sicherheitsbehörden, die die Organisation verunsichern und schwächen. Gleichwohl ist sie in der Lage, zumindest auf niedrigem Niveau Aktivitäten zu entfalten. Dazu können auch von Deutschland aus unterstützte terroristische Aktionen gegen Ziele in der Türkei gehören. 4.1.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); Volkskongress Kurdistans (KONGRAGEL) und unterstützende Organisationen Für die seit dem 26. November 1993 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte PKK ('Arbeiterpartei Kurdistans') sind die westeuropäischen Staaten vorwiegend ein Ruheund Rückzugsraum, in dem die finanzielle und logistische Unterstützung für den bewaffneten Kampf in der Türkei organisiert wird. Die PKK verfolgt damit bereits seit Jahren eine Doppelstrategie, die einerseits aus bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei und andererseits einem zurückhaltenden Vorgehen in Europa besteht. Der aus der PKK ('Partiya Karkeren Kurdistan') hervorgegangene KONGRAGEL ('Volkskongress Kurdistan') setzt dementsprechend seine offizielle Linie des Gewaltverzichts in Westeuropa fort. Aktuell sind allerdings veränderte, teils militante Aktionsformen der PKK-Anhänger feststellbar. Hierzu gehören unter anderem Besetzungsaktionen und Hungerstreiks, die offensichtlich europaweit koordiniert sind. Seit September 2011 kam es dementsprechend in Deutschland und dem benachbarten europäischen Ausland zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen durch PKK-Aktivisten, insbesondere zu Besetzungen von Medienanstalten. Nach wie vor ist das zentrale Anliegen die Forderung nach erweiterter kultureller und politischer Eigenständigkeit der Kurden in der Türkei. Kampfhandlungen in den kurdischen Siedlungsgebieten, Solida178 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ritätsbekundungen mit hungerstreikenden Häftlingen in der Türkei und die Haftsituation Abdullah Öcalans sind geeignete Themen, um PKK-Anhänger zu mobilisieren. Sitz Nord-Irak Europavertretung wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten/CDK 'Koordinasyon Civata Ekolojik - Demokratik a Kurd Li Ewropa' Vorsitz Remzi Kartal Höchstes Generalversammlung Entscheidungsorgan Mitglieder Bund NRW 2012 ca. 13.000 ca. 2.200 2011 ca. 13.000 ca. 2.200 Publikationen 'Serxwebun' (Unabhängigkeit), erscheint monatlich; 'Sterka Ciwan' (Stern der Jugend), erscheint monatlich; 'Newaya Jin' (Erlebnisse der Frauen), erscheint monatlich; 'Kurdistan-Report', Auflage bis 15.000; Tageszeitung 'Yeni Özgür Politika' Medien 'NUCE TV' - TV-Station 'Mesopotamya Broadcast A/S' zuständig u.a. für ROJ-TV, Sitz in Dänemark; 'STERK TV' - Sitz in Norwegen; Guerilla TV - seit 2008, in den Kandilbergen, über Internet zu empfangen; 'Newroz TV' - seit 2007, deckt den iranischen Bereich ab; 'Ronahi TV' (Licht TV) - seit Nov. 2011, ausgerichtet auf die syrischen Kurden. 'ROJ-Gruppe' mit Sitz in Brüssel mit den Fernsehsendern 'ROJTV' mit dänischer Sendelizenz und 'MMC TV', Sendelizenzgeber unbekannt, sowie dem Radiosender 'Denge Mezopotamya' Internet Zahlreiche Internetauftritte über mehrere Server Aktuell Von dem aus der 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK) hervorgegangenen 'Volkskongress Kurdistan' (KONGRA-GEL) gehen in Westeuropa weiterhin keine offen gewalttätigen Aktionen aus. Vielmehr bemüht er sich durch Aktionen, die auf möglichst große mediale Aufmerksamkeit angelegt sind, um die politische Anerkennung seiner Forderungen. Logo der PKK AusländERExtREmismus 179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Thematische Bezugspunkte, die Auslöser für entsprechende Propagandaaktionen gewesen sind, waren in den Jahren 2011/2012 unter anderem folgende Ereignisse: : Bei einem Luftangriff an der Grenze zum Irak wurden am 28. Dezember 2011 im Südosten der Türkei mindestens 35 kurdische Zivilisten getötet. Nach Angaben der türkischen Streitkräfte galt die militärische Offensive mutmaßlichen PKK-Guerillaeinheiten. Die PKK nahm den Einsatz der angeblich aus den USA stammenden Aufklärungsdrohne zum Anlass für Demonstrationen vor US-Vertretungen, unter anderem am 19. Januar 2012 vor dem US-amerikanischen Generalkonsulat in Düsseldorf. Generell führten die zwischen dem militärischen Arm der PKK, den sogenannten 'Volksverteidigungskräften' (HPG), und dem türkischen Militär deutlich verschärften Auseinandersetzungen zu europaweiten Aktionen und lösten Demonstrationen und Proteste, aber auch Spannungen zwischen der PKK nahestehenden Kurden und national gesinnten Türken aus. : Die Situation Abdullah Öcalans ist zentrales Thema der PKK-Agitation und nach wie vor geeignet, seine Anhänger zu mobilisieren. Das seit Ende Juli 2011 bestehende Kontaktverbot zwischen Abdullah Öcalan und seinen Rechtsanwälten bestand bis Ende 2012 fort. Türkische Behörden verwehren in diesem Zeitraum Besuche seiner Anwälte bei Öcalan. Gegen diese wurde zusätzlich ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Wie bereits zum 13. Jahrestag der Verhaftung Öcalans kam es im Zusammenhang mit der Haftsituation Öcalans zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen, darunter eine Schiffsbesetzung sowie zu Besetzungsaktionen bei Medienunternehmen. : Ab dem 12. September 2012 befanden sich etwa 700 Gefängnisinsassen in der Türkei in einem unbefristeten Hungerstreik. Ihre Forderungen waren unter anderem "die Anerkennung der demokratischen Rechte des kurdischen Volkes sowie die Freiheit für den Repräsentanten des kurdischen Volkes, Abdullah Öcalan". Ab dem 5. November 2012 haben sich zahlreiche weitere Gefängnisinsassen (laut Medienberichten etwa 10.000) dem Hungerstreik angeschlossen. Die Hungerstreiks wurden durch zahlreiche europaweite Solidaritätskundgebungen und befristete Hungerstreiks begleitet. In Deutschland kam es über die Kundgebungen hinaus auch zu kurzfristigen Besetzungsaktionen (Besetzung des Fernsehturms in Dortmund durch kurdische Jugendliche am 11. November, Besetzung des Sy180 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 rischen Konsulats in Bonn am 12. November sowie Besetzung des Fernsehsenders RTL in Köln am 13. November). Am 18. November 2012 beendeten die in türkischen Gefängnissen inhaftierten Anhänger ihren Hungerstreik. Ausschlaggebend hierfür war ein Appell Öcalans, in dem dieser erklärte, ein Hungerstreik als politische Aktion solle nicht den Inhaftierten aufgebürdet werden. Nachdem dieser Appell durch einen Bruder Öcalans der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war, teilten die Hungerstreikenden mit, dass sie dem Aufruf Öcalans folgen und ihren Hungerstreik beenden würden. Ziele der PKK und Gründe für die Beobachtung der PKK Die 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK), die heute unter der Bezeichnung 'Volkskongress Kurdistans' (KONGRA-GEL) agiert, wurde im November 1978 in der Türkei gegründet. Sie strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nord-Irak, Teile des westlichen Iran und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. In diesem Gebiet sollen etwa 20 bis 25 Millionen Kurden, davon etwa 12 bis 15 Millionen in der Türkei, leben. Obwohl seitens der PKK immer wieder betont wird, man habe die früheren separatistischen Ziele aufgegeben, bemüht sie sich weiterhin um einen länderübergreifenden Verbund aller Kurden im Nahen Osten. Eine solche Föderation würde die Souveränität der dortigen Staaten betreffen und hat kaum realistische Chancen auf politische Umsetzung. Inwieweit Autonomiebestrebungen in den Ost-Provinzen Syriens auf Grund der dortigen Veränderungen Aussicht auf Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Seit dem 26. November 1993 sind der PKK und ihrer Nebenorganisation 'Nationale Befreiungsfront Kurdistans' ('Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan' - ERNK) die Betätigung in Deutschland verboten. Das Bundesministerium des Innern hat am 30. Juli 2004 festgestellt, dass sich "das gegen die PKK verhängte vereinsrechtliche Betätigungsverbot [...] auch auf den KONGRA-GEL erstreckt". Außerdem wird die PKK in der Liste der Europäischen Union über terroristische Organisationen geführt. Das Verbot umfasst auch weitere Organisationen des KONGRA-GEL, nämlich die ERNK-Nachfolgeorganisation CDK ('KoordA(r)nasyon Civata EkolojA(r)k-DemokratA(r)k a Kurd Li Ewropa', zu Deutsch: 'Koordination der kurdischen ökologisch-demokratischen Gesellschaft in Europa') und die 2005 gegründete KCK ('Koma Civaken Kurdistan') beziehungsweise deren Vorgängerin, die 'Koma Komalen Kurdistan' (KKK). AusländERExtREmismus 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Obwohl in Westeuropa seit Ende März 1996 ein Kurswechsel zu weitgehend friedlichem Verhalten erkennbar ist, stellt die PKK wegen einer Reihe gewalttätiger öffentlicher Aktionen nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar, was ihre Beobachtung auch gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW begründet. Ihre Ziele verfolgt die PKK in den Kampfgebieten insbesondere im türkisch-irakischen Grenzgebiet nach wie vor mit Waffengewalt. Die Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Guerilla-Einheiten dauern an. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grunde eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW erforderlich ist. Die Rolle Abdullah Öcalans Gründungsmitglied und Führer der PKK ist Abdullah Öcalan, der trotz seiner Inhaftierung im Februar 1999 formal bis November 2003 als Generalsekretär an der Spitze der Organisation stand. Erst als im Zuge innerorganisatorischer Veränderungen der KONGRA-GEL als Nachfolgeorganisation der PKK gegründet wurde, trennte man sich auch formal vom ehemaligen Vorsitzenden Abdullah Öcalan und von dem militärischen Flügel, der 'Volksbefreiungsarmee Kurdistans'. Abdullah Öcalan bleibt aber Identifikationsfigur der PKK-Anhänger. Die nach wie vor herausgehobene Position Öcalans belegt auch die unmittelbare Reaktion auf seinen Appell, den Hungerstreik, der bis zum 18. November 2012 von Hungerstreikenden in türkischen Gefängnissen durchgeführt wurde, zu beenden. Die Befolgung dieses Appells zeigt, dass er immer noch höchste Autorität genießt und trotz seiner eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten auch aus der Haft heraus über die Möglichkeit verfügt, zumindest mittelbar maßgeblichen Einfluss auf Vorgehen und Strategie der Organisation auszuüben. Die Bedeutung Öcalans als Leitfigur der PKK belegt auch die von der "Initiative Freiheit für Öcalan" organisierte Bustour, die am 8. September 2012 im Anschluss an das 20. Internationale Kulturfestival in Mannheim startete und von dort im Zeitraum bis zum 24. November 2012 durch insgesamt 67 Städte in acht europäischen Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweden und die Schweiz) führte. Im Rahmen dieser Tour machte der Bus mit einer etwa 50 Personen umfassenden Gruppe auch in insgesamt 36 deutschen Städten zur Durch182 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 führung von Kundgebungen Station. Die Abschlusskundgebung fand am 24. November 2012 vor dem Düsseldorfer Landtag mit etwa 650 Teilnehmern statt. Erkennbares Ziel der Aktion war es, die Haftsituation Öcalans erneut in den Focus medialer Aufmerksamkeit zu bringen. Das Medieninteresse war jedoch vergleichsweise gering und blieb wohl deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Deutschland als Rückzugsgebiet der PKK Der Finanzbedarf der PKK ist nach wie vor erheblich, um die Aktionsfähigkeit der Organisation im Inund Ausland zu erhalten. Die PKK nutzt weiterhin die in Deutschland vorhandenen Strukturen, um Gelder zu generieren, mit denen die Fortführung der militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem militärischen Arm der PKK (HPG) und dem türkischen Militär unterstützen werden können sowie zur Finanzierung der hauptamtlichen Kader und des Propagandaapparates. Wichtigste Geldquelle bleiben die jährlichen Spendensammlungen, die durch regelmäßige Zahlungen von Anhängern und durch Erlöse aus dem Zeitschriftenverkauf ergänzt werden. Der Ertrag aus den Spendensammlungen liegt allein in Deutschland bei mehreren Millionen Euro. Spendensammler, die für das Sammeln der Spenden in den Teilgebieten zuständig sind, erhalten von der Europaleitung der PKK Vorgaben zur Höhe der in den jeweiligen Gebieten erwarteten Spendeneinnahmen. Organisation in Europa Zur politischen Vertretung auf europäischer Ebene und für Propagandazwecke hat der KONGRA-GEL eine Reihe von Organisationen gegründet. Dazu gehört als offizielle Europavertretung die 'Koordination der kurdischen ökologisch-demokratischen Gesellschaft in Europa' ('KoordA(r)nasyon Civata EkolojA(r)k-DemokratA(r)k a Kurd Li Ewropa' - CDK). Sie hat die Aufgabe, die in Europa lebenden Kurden durch Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie Propagandatätigkeit zu informieren und für den - im Sprachgebrauch der PKK - "Befreiungskampf" zu begeistern. Die wichtigsten Nebenbzw. Teilorganisationen, mit denen der KONGRA-GEL in Deutschland vertreten ist, sind die 'Kurdische Frauenbewegung in Europa' (AKKH), ehemals 'Union der freien Frauen' (YJA), und der 'Demokratische Jugendföderalismus Kurdistans' - ('Komalen Ciwan'). Die Partei ist eine straff geführte Kaderpartei. Um unentdeckt zu bleiben, leben ihre führenden Funktionäre - zumindest ab Gebietsleiter aufwärts - konspirativ. Sie wechseln in der Regel täglich ihren Aufenthaltsort, benutzen Decknamen und sind nur AusländERExtREmismus 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 unter Telefonanschlüssen zu erreichen, die auf unverdächtige Personen angemeldet sind. Vornehmlich halten sie sich in Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden auf. Sie widmen ihre Arbeitskraft ausschließlich der Partei. Dabei sind sie für die Verbreitung von Parteibeschlüssen und Reden von Parteifunktionären, den Start und die Steuerung von Kampagnen und für Demonstrationen zuständig. Zudem sind sie verantwortlich für die Spendensammlung und überwachen den Verkauf von Zeitungen und Eintrittskarten für Großveranstaltungen wie dem jährlichen internationalen kurdischen Kulturfestival. Neben der CDK hat die PKK in Europa die Bildung sogenannter Massenorganisationen initiiert. Sie sollen bestimmte Personenund Berufsgruppen als weiteres Unterstützungspotenzial gewinnen, ohne dass aus dem Organisationsnamen unmittelbar eine Verbindung zur PKK hergeleitet werden kann. Folgende Organisationen sind hier bekannt und aktiv: : 'Demokratischer Jugendföderalismus Kurdistans' ('Komalen Ciwan') : 'Föderation der Aleviten Kurdistans' (FEDA, früher: FEK), : 'Föderation der Yezidischen Vereine Kurdistans' (FKE), : 'Islamische Gemeinde Kurdistans' (CIK), : 'Kurdische Frauenbewegung in Europa' (AKKH)', : 'Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.' (YXK) Aktuelle Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Die Betätigung als Funktionär für die PKK verwirklicht den Tatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland (SS 129a/b StGB). Dementsprechend hatten sich im Jahr 2012 erneut mehrere Führungsfunktionäre der Partei in Strafverfahren vor Gericht zu verantworten. Am 24. September 2012 kam es vor dem OLG Düsseldorf zur Anklageerhebung gegen einen KC-Kader sowie in einem weiteren Fall am 8. Oktober vor dem Kammergericht Berlin. Darüber hinaus sind Prozesse gegen KC-Kader vor den Oberlandesgerichten Stuttgart und Hamburg anhängig. Zudem wurde ein KC-Kader auf Grund eines Haftbefehls des BGH aus der Schweiz an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Medieneinsatz Die PKK bedient sich eines verzweigten Mediennetzes, das der Verbreitung von Propaganda in der kurdischen Anhängerschaft der PKK dient. Es umfasst Fernseh184 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und Radiosender und mehrere Zeitungen. Veröffentlichungen dieser Medien werden oft durch die Nachrichtenagentur 'Firat NEWs Agency' (ANF) aufbereitet. Die Medien verbreiten im Wesentlichen Beiträge über die Ziele und Aktivitäten der PKK. In der Zeitung 'Yeni Özgür Politika' finden sich zudem Hinweise auf kleinere regionale Veranstaltungen und ganzseitige Aufrufe zur Teilnahme an Großveranstaltungen. Weitere Zeitungen und Zeitschriften, die Propaganda für die PKK betreiben, sind die 'Serxwebun' ('Unabhängigkeit'), der deutschsprachige 'Kurdistan-Report' und der 'Sterka Ciwan' ('Stern der Jugend'). Auf die weibliche kurdische Anhängerschaft ausgerichtet ist die Zeitschrift 'Newaya Jin' ('Erlebnisse der Frauen'). Zudem wird auf verschiedenen Internetseiten PKK-Propaganda betrieben. Außerdem bieten sie die Plattform für Selbstbezichtigungserklärungen nach Anschlägen an oder werben für Protestveranstaltungen. Daneben nehmen Kontakte und Nachrichten in sozialen Netzwerken immer stärkeren Raum für die Kommunikation zwischen den Anhängern ein. In der Vergangenheit war der mit dänischer Lizenz ausgestattete, in Belgien produzierende PKK-Satellitensender 'ROJ-TV', der sowohl in Europa als auch in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei und im Nahen Osten zu empfangen war, das zentrale Informationsmedium der Organisation. Inzwischen ist dessen Sendetätigkeit nach einem durch das BMI durchgeführten Verbotsverfahren sowie behördlicher Maßnahmen in Dänemark seit Anfang 2012 beendet. Der Bundesminister des Innern hatte zuvor mit Verfügung vom 19. Juni 2008 ein Betätigungsverbot gegen den PKK-Fernsehsender 'ROJ-TV' sowie das Unternehmen 'VIKO Fernseh-Produktion GmbH' als dessen Teilorganisation erlassen und dem in Kopenhagen (Dänemark) ansässigen Unternehmen 'Mesopotamia Broadcast A/S' die Tätigkeit in Deutschland in Bezug auf den PKK-Fernsehsender 'ROJ-TV' verboten. Laut Verbotsverfügung verstößt der Betrieb des Fernsehsenders 'ROJ-TV' gegen deutsche Strafgesetze und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. In den Entscheidungen über die von beiden von Verbot betroffenen Firmen eingereichte Anfechtungsklage stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Februar 2010 fest, dass sich Tätigkeit und Zweck von 'ROJ-TV' gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne des Artikel 9 Abs. 2 Grundgesetz richten. Das BVerwG hat die Verfahren seinerzeit aber aufgrund der dänischen Sendelizenz für 'ROJ-TV' ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung AusländERExtREmismus 185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 vorgelegt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Vorschrift über ein Vereinsverbot in den durch die EG-Fernsehrichtlinie koordinierten Bereich falle. Der Vorlagebeschluss des BVerwG an den EuGH in Luxemburg wurde am 22. September 2011 beschieden. Wie der EuGH entschied auch das BVerwG am 23. Juli 2012, dass Deutschland die Ausstrahlung der Programme von 'ROJ-TV' und deren privaten Empfang in Deutschland zwar nicht verhindern kann, aber das deutsche Vereinsverbot sowie das Verbot, in Deutschland Beiträge für 'ROJ-TV' zu produzieren und Veranstaltungen zu organisieren, bei denen Sendungen in einem öffentlichen Rahmen gezeigt werden, nicht zulässig sind. 'ROJ-TV' darf sich also als verbotener Verein in Deutschland nicht mehr betätigen, auch eine zu seinen Gunsten in Deutschland erfolgende Betätigung ist verboten. Nach der Verurteilung von 'ROJ-TV' durch ein dänisches Gericht in Kopenhagen am 10. Januar 2012 wegen Unterstützung der PKK und der darauf folgenden Beendigung der Zusammenarbeit mit dem französischen Satellitenbetreiber Eutelsat war seit dem 23. Januar 2012 der Empfang von 'ROJ-TV' kurzzeitig bis zum 9. Februar 2012 noch über Internetlivestream möglich. Obwohl 'ROJ-TV' gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat, hat die PKK mit 'STERK TV' und 'NUCE TV' bereits Ersatz für 'ROJ-TV' geschaffen. 'NUCE TV' hat seinen Sitz in Dänemark, 'STERK TV' in Norwegen. 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEK-KOM) Zur Förderung der kulturellen Belange der kurdischen Bevölkerung in Deutschland wurde am 27. März 1994 die 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEKKOM) gegründet. Der Sitz ist Düsseldorf. Gemäß der Vereinssatzung sieht die YEK-KOM ihre Aufgabe in der Pflege der kurdischen Kultur, Sprache und Tradition. Daneben will sie für Völkerverständigung und Freundschaft werben. Nach ihrem Selbstverständnis vertritt YEK-KOM jedoch auch die politischen Interessen der PKK in Deutschland. Die YEK-KOM ist nicht vom Betätigungsverbot gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen erfasst. Der Dachverband sowie die angeschlossenen Vereine haben eine Nähe zur PKK als gemeinsame Grundlage. Als Dachorganisation zahlreicher Mitgliedsvereine in der Bundesrepublik Deutschland ist YEK-KOM in die Strukturen der 'Konföderation kurdischer Vereine in Europa' 186 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 (KON-KURD) eingebunden. YEK-KOM finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge von Vereinen und durch Spenden. Weiterhin arbeiten YEK-KOM-Funktionäre mit Nachdruck an Kontakten und Zugängen zur deutschen Politik, um die kurdischen Interessen dort vorzubringen. Dies geschieht sowohl auf kommunaler als auch auf Landesund Bundesebene. Schließlich werden auch Kontakte zu Vertretern des Europaparlamentes gepflegt. Des Weiteren versucht die Organisation, Mitglieder in aussichtsreicher Position auf den entsprechenden Parteilisten zu platzieren. Ziel ist es, nicht nur Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern aufzubauen, sondern auch durch die Pflege dieser Kontakte den alleinigen Führungsanspruch innerhalb der Kurdischen Volksgruppe nach außen deutlich zu machen. Typische Beispiele hierfür waren im Jahr 2012 die Durchführung einer Kampagne "Tatort Kurdistan" sowie die Einlegung von Petitionen beim Bundestag und bei den Landesparlamenten, mit denen die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert wurde. Veranstaltungen Mit zentral gesteuerten Propagandaaktionen, zu denen sowohl Demonstrationen als auch jährlich wiederkehrende Festivals, aber auch die Durchführung von Podiumsdiskussionen, Unterschriftenaktionen sowie Hungerstreiks und Mahnwachen gehören, versucht die PKK die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Lage der Kurden in den Siedlungsgebieten zu richten; andererseits dienen diese Veranstaltungen dazu, unter den im Ausland lebenden Kurden die Zugehörigkeit zur kurdischen Kultur lebendig zu halten und zu festigen. Zu internationalen oder bundesweiten Großdemonstrationen und Festivals können zum Teil mehr als zehntausend Anhänger mobilisiert werden. Dies waren vor allem das Newroz-Fest am 24. März 2012 in Bonn, das Zilan-Frauenfestival am 16. Juni 2012 in Gelsenkirchen sowie das Mazlum-Dogan (Sport)-Festival am 30. Juni 2012 in Bonn. Mit diesen Großveranstaltungen, die zumindest äußerlich eher Festivalcharakter haben, versucht die Organisation ein breites Feld von Aktivisten aber auch Sympathisanten zu erreichen. Neben den sportlichen Wettkämpfen, dem kulturellen Rahmenprogramm oder ähnlichem werden die Veranstaltungen aber auch für die Verbreitung politischer Reden und Videobotschaften genutzt. Die jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen sind damit fester Bestandteil des Ideologietransfers und zugleich Mittel zur Erreichung eines "Wir-Gefühls" in der kurdischen Community. Zugleich bieten die Veranstaltungen der Organisation die Möglichkeit, Gelder zu akquirieren. AusländERExtREmismus 187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Im Gegensatz zu den vorstehend beschriebenen, weitgehend friedlich verlaufenen Veranstaltungen kam es beim diesjährigen internationalen kurdischen Kulturfestival in Mannheim am 8. September 2012 zu einer massiven gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen jugendlichen Festivalteilnehmern und der Polizei. Polizisten hatten versucht einen Jugendlichen, der eine verbotene PKK-Fahne entrollen wollte, aus einer Personengruppe herauszulösen, um die Fahne zu beschlagnahmen. Daraufhin kam es zu einem Angriff kurdischer Jugendlicher, bei dem 80 Polizisten verletzt wurden. Trotz des von der Organisation propagierten Gewaltverzichts in Europa zeigt dieser Angriff, dass bei vermeintlich als Provokation empfundenen Vorkommnissen insbesondere unter jugendlichen PKK-Anhängern eine Bereitschaft auch zu gewalttätigen Aktionsformen besteht. Dies gilt auch für Konfrontationen zwischen jugendlichen PKK-Anhängern und türkisch-national gesinnten Personen. Bewertung Der militärische Konflikt zwischen türkischen und iranischen Militärkräften auf der einen und der kurdischen Guerilla auf der anderen Seite bestimmt neben dem immer wiederkehrenden Thema "Haftbedingungen von Abdullah Öcalan" die Stimmungslage der Anhängerschaft in Deutschland. Daneben wird das Aktionsverhalten auch durch die aktuellen Lageentwicklungen in der Türkei und den kurdischen Siedlungsgebieten beeinflusst. Im Jahr 2012 war insoweit eine Tendenz zu verändertem, teils auch militantem bzw. gewaltaffinem Verhalten erkennbar. 4.2 Tamilische Befreiungstiger Interessenvertretung 'Tamil Coordination Committee' (TCC) Sitz in Deutschland Oberhausen Mitglieder Bund NRW 2012 ca. 1.000 ca. 300 2011 ca. 1.000 ca. 300 Internet englischsprachige Homepage 188 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Hintergrund Die 'Tamilischen Befreiungstiger' ('Liberation Tigers of Tamil Eelam' - LTTE) propagieren seit 1972 die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Staates "Tamil Eelam" in dem überwiegend von Tamilen bewohnten Nord-Ost-Territorium von Sri Lanka. Flagge der LTTE Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Ein wesentlicher Teil der LTTE-Strategie zur Durchsetzung ihrer Forderung nach einem separaten Staat waren seit 1983 Terroranschläge gegen sri-lankische und indische Ziele im Rahmen eines Guerillakrieges gegen die singhalesische Zentralregierung. Damit verfolgen die in Deutschland lebenden Anhänger der LTTE Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Sie erfüllen damit die Voraussetzungen für die Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW. Die anhaltenden Gewaltaktionen der Organisation in Sri Lanka führten seitens der EU am 29. Mai 2006 zu der Listung der LTTE als terroristische Organisation, verbunden mit der Inaussichtstellung einer entsprechenden Rücknahme, sollte die LTTE nachhaltig der Gewalt abschwören und sich erkennbar für den Friedensprozess einsetzen. Situation nach der militärischen Niederlage der LTTE in Sri Lanka Den jahrzehntelangen Bürgerkrieg auf Sri Lanka konnte die Zentralregierung im Mai 2009 nach der Einnahme der verbliebenen LTTE-kontrollierten Gebiete im Nordosten Sri Lankas für sich entscheiden. Im Rahmen dieser Schlussoffensive wurde der Führer der LTTE, Velupillai Prabhakaran, getötet. Obwohl seit diesem Zeitpunkt keine Fortsetzung der Kämpfe im Untergrund bekannt geworden ist, beendete Staatschef Mahinda Rajapakse erst im August 2011 den seit fast 30 Jahren bestehenden Ausnahmezustand und bezeichnete die 1983 erlassenen Anti-Terror-Gesetze in Sri Lanka als "nicht länger notwendig". Gleichwohl sind nach wie vor mehrere tausend ehemalige Kämpfer der 'Tamil Tigers' auf der Insel interniert. Auf Grund der nahezu vollständig zerstörten Infrastruktur im nordöstlichen Landesteil und der Kampfmittelrückstände durch Minen und Blindgänger ist die humanitäre Situation der weiterhin wirtschaftlich und politisch benachteiligten dort lebenden tamilischen Minderheit vor Ort prekär. Eine Wiedereingliederung der zurückkehrenden Flüchtlinge und die wirtschaftliche AusländERExtREmismus 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Erholung der Region erscheinen auch mittelfristig kaum möglich. Vor diesem Hintergrund besteht die latente Gefahr einer Erstarkung der LTTE und innerhalb der LTTE der Forderung nach Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. Flügelbildung innerhalb der LTTE im Ausland Trotz der militärischen Niederlage und einer anschließenden Phase der Destabilisierung der LTTE sowie ihrer Auslandsorganisationen ist seit Mitte 2010 eine Restrukturierung zu beobachten. Eine Konsolidierung der LTTE-nahen tamilischen Community scheitert jedoch bislang an inhaltlichen Auseinandersetzungen und persönlichen Zerwürfnissen der erkennbaren zwei Hauptströmungen innerhalb der Organisation. Das "LTTE Headoffice", auch "LTTE Hauptquartier" oder "Hauptstelle", sieht sich als Vertreter einer moderaten Fraktion. Erstmalig artikulierte diese Gruppierung im Februar 2011 in einem Internetbeitrag ihren Standpunkt, wonach auf demokratischem Wege eine politische Lösung herbeigeführt werden soll. Das Headoffice unterstützt hierbei das Konzept einer "Transnationalen Regierung" (Transnational Government of Tamil Eelam - TGTE). In allen Staaten mit signifikanter tamilischer Diaspora erfolgten Wahlen zu einem "Parlament" mit Regierungsbildung - das TGTE - und einem Ministerpräsidenten an der Spitze. Das TGTE versteht sich dabei als weltweite, demokratisch legitimierte Vertretung aller Tamilen, die als gleichberechtigter Verhandlungspartner gewaltfrei die Bildung eines unabhängigen "Tamil Eelam" anstrebt. Seitens der Regierung in Sri Lanka wird das TGTE nicht anerkannt, da es sich dabei um die Neuaufstellung der LTTE unter anderem Namen handele. 2011 kam es darüber hinaus zu Richtungsstreitigkeiten innerhalb des TGTE, die sich 2012 fortsetzten. Die "LTTE International Organisation", auch "LTTE Internationale Verbindungsstelle", bildet den so genannten "Hardliner"-Flügel, der sich offen zu einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Sri Lanka bekennt. Hierbei handelt es sich insbesondere um konservative LTTE-Angehörige und altgediente LTTE-Seilschaften, die nicht zuletzt auch an ihren eigenen Posten festhalten. Die "LTTE International Organisation" kann auf die gewachsenen internationalen Strukturen der LTTE-Diaspora, die sogenannten 'Tamil Coordination Committees' (TCC), zurückgreifen und verfügt daher über einen organisatorisch wie personell ausgereiften Unterbau. 190 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Struktur in Deutschland Die LTTE tritt in Deutschland nicht unter ihrem Namen auf. Ihre Ziele und Interessen werden hier durch das 'Tamil Coordination Committee' (TCC) mit Sitz in Oberhausen vertreten. Der LTTE nahestehende Organisationen sind: : 'Tamil Youth Organization*' (TYO), Sitz: Hamm, : 'Tamil Rehabilitation Organization e. V.*' (TRO), Sitz: Wuppertal, : 'Tamil Student Organization e.V.*' (TSV), Sitz: Neuss, : 'Tamilische Bildungsvereinigung e.V.*' (TBV), Sitz: Stuttgart. Die LTTE-Sektion Deutschland wird durch konspirative Zellen gebildet, die sich nach außen völlig abschotten. Hieran hat sich auch nach der militärischen Niederlage in Sri Lanka nichts verändert. Das TCC wird seitens der überwiegenden Mehrheit aller in Deutschland lebenden Tamilen, die eine Nähe zur LTTE aufweisen, als Meinungsführer innerhalb der LTTE betrachtet. Insbesondere die Vertreter der "LTTE International Organisation" können sich daher in der Bundesrepublik vielerorts auch weiterhin erfolgreich auf die vorhandenen LTTE-Strukturen stützen. Insgesamt verfügen die "Hardliner" weiterhin über eine deutlich größere Gefolgschaft als die Vertreter des moderateren Flügels. Finanzierung Bis zu ihrer militärischen Niederlage 2009 bestand das Hauptziel der LTTE im Ausland und damit auch in Deutschland darin, Geld für den "Befreiungskampf" und die Versorgung von Flüchtlingen in der Heimat zu beschaffen. Viele Auslands-Tamilen leisteten einen "Solidaritätsbeitrag" und spendeten regelmäßig für die LTTE. Ohne die regelmäßige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland hätte die LTTE ihren paramilitärischen Apparat in Sri Lanka nicht über Jahrzehnte aufrechterhalten können. Hinsichtlich der Höhe der jährlich akquirierten Finanzmittel konnten keine gesicherten Zahlen erhoben werden. Das klandestine Verhalten der Organisation lässt auch Fragen hinsichtlich der tatsächlichen Freiwilligkeit der finanziellen Unterstützung offen. Infolge der nahezu vollständigen Auflösung ihrer militärischen Strukturen in Sri Lanka wie auch angesichts des Richtungsstreits innerhalb der LTTE, der sich 2012 fortsetzte, haben sich die Gewichte verschoben. Primäres Ziel der Mittelverwendung ist nicht die Finanzierung des bewaffneten Kampfes, sondern die Wiedereingliederung der AusländERExtREmismus 191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 tamilischen Flüchtlinge und die Unterstützung der ehemaligen LTTE-Kämpfer. Die Organisation finanziert sich weiterhin vorrangig durch Spendensammlungen. Intern wird jedoch kritisiert, dass bei den Tamilen auf Sri Lanka nur noch in verschwindend geringem Maße Gelder ankämen und einige Funktionäre im Ausland womöglich Spenden für eigene Zwecke verwenden. Seit 2011 behindern die internen Auseinandersetzungen um ihre zukünftige politische Ausrichtung die effektive Handlungsfähigkeit der LTTE in zunehmendem Maße. Die der LTTE nahe stehenden Organisationen richteten 2012 erneut - unter anderem in Nordrhein-Westfalen - zahlreiche Kultur-, Sportund Gedenkveranstaltungen aus. Durch den Verkauf von Eintrittskarten, Büchern, DVDs und CDs, aber auch die Zahlung von Schulgeld an die TBV*, werden teilweise erhebliche Einnahmen erzielt. Da sich die Mehrzahl der örtlichen Ableger dieser Organisationen ideologisch nach wie vor an den Vorgaben des TCC orientiert, fließt folglich auch das Gros der hier erwirtschafteten Einnahmen dem TCC und damit im Ergebnis der "Hardliner"-Fraktion innerhalb der LTTE zu. Vor diesem Hintergrund besteht weiterhin der Verdacht, dass diese vom TCC eingenommenen Gelder letztlich der Finanzierung der Etablierung eines unabhängigen "Tamil Eelam" unter Anwendung von Gewalt dienen. Herausragende Aktionen in NRW Jedes Jahr am 27. November gedenken die Anhänger der LTTE weltweit in Veranstaltungen zum "Heldengedenktag" der im Kampf für ein unabhängiges "Tamil Eelam" gefallenen Kämpfer der Organisation. Die in Deutschland bisher stets vom TCC organisierten und als Saalveranstaltungen durchgeführten Feierlichkeiten wurden in früheren Jahren von durchschnittlich 5.000 Teilnehmern besucht. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Flügelkämpfe innerhalb der LTTE wurden durch die konkurrierenden Flügel 2012 - wie bereits im Jahr zuvor - jeweils eigene Heldengedenktagfeiern organisiert. An der 2012 zum wiederholten Mal in Dortmund veranstalteten Feier des TCC nahmen ca. 3.000 Personen (Vorjahr: 3.500 Personen) teil. Die Parallelveranstaltung des "LTTE Headoffice" wurde am selben Tag in Essen mit lediglich 300 Personen (Vorjahr: 500 Teilnehmer) durchgeführt. Anmelder war der 'Verein für Souveränität der Tamilen e.V.'. Am 8. November 2012 wurde der hochrangige TCC-Funktionär Parithi in Paris ermordet. Ein Angriff auf Parithi im Jahr zuvor hatte bereits zu erheblichen Spannungen und offenen Schuldzuweisungen der "Hardliner" an die Adresse der Moderaten geführt, so dass Ausschreitungen im Zusammenhang mit den Veranstaltungen in Dortmund 192 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 und Essen nicht ausgeschlossen werden konnten. Unmittelbar nach dem Attentat veröffentlichten jedoch beide LTTE-Flügel Trauerbekundungen und machten die srilankische Regierung für den Vorfall verantwortlich. Die französischen Sicherheitsbehörden bestätigten kurz darauf die Festnahme von zwei Tatverdächtigen sri-lankischer Herkunft. Erkenntnisse zur Tatmotivation liegen bislang noch nicht vor. Die deutschlandweit zentralen Veranstaltungen zum "Heldengedenktag" verliefen daraufhin störungsfrei. Einschätzung und Perspektive Als Folge der Flügelbildung innerhalb der LTTE bemühen sich die Vertreter des "LTTE Headoffice" in Deutschland, die Einflussbereiche der "LTTE International Organisation" und des TCC zu begrenzen. Den jährlich stattfindenden "Heldengedenktag" als die größte und in der Vergangenheit stets vom TCC als Zentralveranstaltung organisierte und durchgeführte LTTE-Veranstaltung durch eine Gegenveranstaltung zu konterkarieren, wird seitens des TCC und der "LTTE International Organisation" als Provokation gewertet und unterbindet vorerst sämtliche Ansätze einer Restitution der LTTE als geschlossene Einheit. Die Aktivitäten der LTTE-nahen Gruppierungen belegen funktionierende Strukturen und ein anhaltend hohes Mobilisierungspotenzial innerhalb der Anhängerschaft. Mit Blick auf die Verbundenheit der Anhänger, die sich den jeweiligen Fraktionen bzw. Flügeln der Organisation zuordnen lassen, ist festzustellen, dass zurzeit die "Hardliner" im Umfeld der "LTTE International Organisation" eindeutig die Mehrheit stellen und damit die Meinungsführerschaft innehaben. Gleichwohl scheint 2012 eine gewisse Beruhigung bei den internen Flügelkämpfen eingetreten zu sein. So wurden im Jahresverlauf keine Hinweise auf nennenswerte Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Gruppen bekannt. Ob dies Ausdruck einer partiellen Annäherung beider Fraktionen ist oder sich lediglich als Momentaufnahme erweist, kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden. In der Vergangenheit verursachten bereits geringfügige Provokationen langanhaltende Auseinandersetzungen. Besonders konfliktbeladen erscheinen dabei der Alleinvertretungsanspruch des TCC sowie die hieraus resultierende Intransparenz in der Verwendung von Finanzhilfen. Die grundlegenden Dissonanzen sowie die persönlichen Differenzen zwischen einzelnen Führungspersonen dürften auch im Rahmen einer temporären Kooperationsbereitschaft von Teilen der jeweiligen Basis oder lokalen Funktionären vorerst nicht auszuräumen sein. AusländERExtREmismus 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Der moderate Flügel scheint auch in 2012 insgesamt in einer Gründungsphase zu verharren und verfügt derzeit weder über konkurrenzfähige Strukturen noch über ein entsprechendes Aktivistenpotenzial, um dem TCC zum aktuellen Zeitpunkt die Deutungshoheit streitig zu machen. Zudem zeichnen sich auch hier divergierende Strömungen im Verhältnis zum TCC ab. Aus hiesiger Sicht ist derzeit nicht zu erkennen, dass die LTTE auf absehbare Zeit dazu in der Lage sein wird, den Konflikt um ihre künftige Ausrichtung zu lösen, um - unter zentraler Führung - ihre weltweite Gefolgschaft mit einer diese einigenden, realistischen Perspektive binden zu können. 194 AusländERExtREmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 5 Islamismus145 Der Islamismus ist eine Form des politischen Extremismus, der in Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland widerspricht. Im Gegensatz zum Islam ist der Islamismus eine politische Ideologie. Er leitet jedoch - anders als säkulare antidemokratische Ideologien wie Marxismus oder Nationalsozialismus - seine politischen Ordnungsvorstellungen aus der Religion ab. Dabei wird eine einseitige und meist rückwärtsgewandte Auslegung der islamischen Quellen vertreten. In vielen Fällen steht eine solche Auslegung dem Grundgesetz mit den dort verbürgten Rechten von Gleichheit, Freiheit und Menschenwürde entgegen. Deshalb müssen Organisationen, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine islamistische Bestrebung erkennen lassen, vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Hierzu gehören nicht nur gewalttätige oder gewaltbereite islamistische Organisationen, sondern auch solche, die auf Gewalt verzichten und stattdessen auf legalem Wege die Verbreitung, Etablierung und letztendliche Durchsetzung ihrer extremistischen politischen Vorstellungen anstreben. Die Mehrheit der hier lebenden Muslime praktiziert ihre Religion friedlich und innerhalb der geltenden Gesetze und Regeln. Lediglich ein sehr kleiner Teil von weniger als einem Prozent wird von den Verfassungsschutzbehörden dem islamistischen Spektrum zugeordnet. Weitgehendes Einvernehmen besteht bei islamistischen Bestrebungen über den Gegner, der der Errichtung der "islamischen Ordnung" im Wege steht. Neben allem, was nicht als islamisch gilt, sind dies insbesondere: der "Westen" mit seinen wirtschaftlichen (Kapitalismus) und politischen (Demokratie) Merkmalen und der Zionismus. Die Feindschaft gegenüber dem Zionismus und Israel führt bei den Anhängern islamistischer Bestrebungen in der Regel zu einem heftigen Antisemitismus. Historische und aktuelle politische sowie militärische Konfrontationen zwischen christlich geprägtem Okzident bzw. humanistisch geprägtem Westen und islamisch geprägtem Orient so145 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies mit der Kennzeichnung (*) ausdrücklich hervorgehoben. islAmismus 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 wie wirtschaftliche und politische Ungleichheiten in islamischen Ländern, die mit dem Westen kooperieren, dienen Islamisten zur Untermauerung ihres Feindbildes. Bei der Aufklärung islamistischer Bestrebungen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ist dem transnationalen islamistischen Terrorismus ein besonderer Stellenwert beizumessen. Doch auch die langfristige Wirkung gewaltfreier islamistischer Bestrebungen darf nicht unterschätzt werden. 5.1 Islamistisch motivierter transnationaler Terrorismus mit antiwestlicher Stoßrichtung 5.1.1 Jihadisten/al-Qaida und ihr Umfeld Hintergrund Die Bezeichnung "Jihadisten" (islamistische Terroristen, auch Mujahidin) ist ein Sammelbegriff, unter dem unterschiedlich strukturierte Gruppierungen zusammengefasst werden. Sie bilden organisierte, teilweise aber auch nur lose zusammenhängende Netzwerke von Personen mit ähnlichen Grundüberzeugungen, die sich durch ihre Gewaltorientierung auszeichnen. Sie betrachten sich als Kämpfer für den Islam. Ihr Name leitet sich von dem Begriff "Jihad" ab, den sie einseitig als Aufruf zum gewaltsamen Widerstand gegen alle "Feinde des Islam" auslegen. Jihad-Verherrlichung im Internet Jihadisten verhalten sich in Deutschland - somit auch in Nordrhein-Westfalen - höchst konspirativ. Sie sammeln sich um einzelne - zum Teil lokale - Führungspersönlichkeiten, die wiederum über vielfältige Kontakte zu anderen lokalen und internationalen Jihadisten verfügen. Dadurch entstehen Beziehungsgeflechte, die bei Bedarf aktiviert werden, etwa um logistische oder finanzielle Unterstützung zu leisten. Ideologischer Ausgangspunkt der meisten dieser Gruppierungen ist die von Usama bin Ladin gegründete Organisation 'al-Qaida' (Die Basis). 196 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen Weil sie durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen weltweit agieren und insbesondere die USA und ihre Verbündeten mit Terror bedrohen, gefährden Mitglieder und Unterstützer der Jihadisten-Netzwerke die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Sie gefährden zudem die innere Sicherheit, da terroristische Aktionen gegen Ziele in Deutschland nicht ausgeschlossen sind, so dass sich die Beobachtung inländischer Aktivitäten auch auf SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW stützt. Entwicklungsgeschichte Die Entstehung des Mujahidin-Phänomens geht auf die sowjetische Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 zurück. Der Widerstand gegen die Besatzung (1979 bis 1989) formierte sich unter religiösen Vorzeichen. In Trainingslagern wurden die Freiwilligen auf den Kampf gegen die sowjetische Armee vorbereitet. Dies legte die Basis für eine Terrorausbildung, die die Afghanistankämpfer später auch in ihren jeweiligen Heimatländern einsetzten. Die von Usama bin Ladin gegründete 'al-Qaida' trat in dieser Zeit erstmals in Erscheinung. Ihr Zweck war zunächst die logistische Unterstützung der afghanischen Kämpfer mit Geld, militärischer und religiöser Ausbildung sowie mit freiwilligen Kämpfern überwiegend arabischer Herkunft. Darüber hinaus nahm bin Ladin auch als Kommandeur an Kämpfen gegen die Sowjettruppen teil und wird deshalb von den Mujahidin als Führer und Symbolfigur für den "gerechten Kampf" der Muslime auch nach seinem Tod bis heute verehrt. Die Jihadisten sind vom Hass auf Israel, die USA, ihre westlichen Verbündeten sowie die mit dem Westen kooperierenden Regierungen islamischer Staaten getrieben. Der "Westen" wird pauschal für Unterdrückung, Korruption, Unterentwicklung und den Niedergang "sittlicher (islamischer) Werte" verantwortlich gemacht. Im Februar 1998 bildete sich unter der Führung von 'al-Qaida' ein internationaler Zusammenschluss, die 'Islamische Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler', der Organisationen aus Ägypten, Pakistan, Bangladesh und inzwischen auch aus dem Irak, aus Algerien und Usbekistan angehören. Das Netzwerk von Usama bin Ladin umfasst damit nicht mehr nur arabischstämmige Kämpfer. Bin Ladin bezeichnete es als individuelle Pflicht eines jeden Muslim, Amerikaner und ihre Verbündeten - Zivilisten und Militärpersonal gleichermaßen - zu töten, wo immer sich die Möglichkeit dazu biete, bis die heiligen islAmismus 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Stätten der Muslime von den "Ungläubigen" befreit seien. Nach diesem Aufruf sind zahlreiche Anschläge weltweit verübt worden. Zu den Anschlägen mit einer hohen Zahl von Opfern zählen unter anderem die Terroranschläge am 11. September 2001 in New York/Washington, am 11. März 2004 in Madrid und am 7. Juli 2005 in London. Struktur Das transnationale terroristische Netzwerk 'al-Qaida' unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von anderen islamistischen terroristischen Gruppierungen: Es ist nicht auf ein Territorium begrenzt und hat keine festen Organisationsstrukturen. Usama bin Ladin selbst war in terroristischen Kreisen bis zu seinem Tod im Mai 2011 in erster Linie Symbolfigur und Vorbild. Vor allem bei Jugendlichen, die sich zur jihadistischen Ideologie hingezogen fühlen, wurde er wie ein Popstar verehrt. Dies hat sich auch nach seinem Tod nicht geändert. Die Triebfeder der unzähligen Terrorzellen weltweit ist allerdings nur vordergründig die gleiche Ideologie. Betrachtet man die Konflikte, an denen sich islamistische Terroristen weltweit beteiligen, so fällt auf, dass vom Maghreb über den Nahen Osten und Tschetschenien bis nach Süd-Ost-Asien ganz unterschiedliche Motive den gewaltsamen Kampf bestimmen können. Regional definierte, machtpolitische und ethnische Interessen stehen deutlich im Vordergrund. Die führenden Köpfe der internationalen Terror-Szene versuchen jedoch unterschiedlichste Konflikte im Sinne ihrer Jihad-Ideologie zu deuten. Dabei sind sie in zweierlei Hinsicht erfolgreich: Sie münzen regionale ethnische und/oder soziale Konflikte in religiöse Konflikte um und stellen sie in den Kontext einer globalen Auseinandersetzung zwischen "Glauben" und "Unglauben". Dadurch radikalisieren sie die beteiligten Konfliktparteien in ihrem Sinne. Auf die regionalen Entwicklungen im Rahmen des sogenannten "Arabischen Frühling" versuchen die Jihadisten in ihrem Sinne zu reagieren. Die Träger der revolutionären Bewegungen in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern waren vorrangig Angehörige der gebildeteren städtischen Schichten, die für politische Partizipation und bessere Lebensbedingungen auf die Straße gegangen sind. Durch die Wahlen haben nun vor allem "gemäßigte" Islamisten, insbesondere die verschiedenen regionalen Ausformungen der 'Muslimbruderschaft', das politische Ruder übernommen. Die Jihadisten haben mit ihren Slogans damit derzeit keinen guten Stand mehr bei der von ihnen angestrebten "Befreiung" der Region von "unislamischer Herrschaft", versuchen die Ereignisse aber im Sinne ihrer ideologischen Sicht umzudeuten bzw. fordern in der Folge zur Errichtung einer islamischen Staatsordnung auf. Ob sich Krisenländer, 198 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 wie der Jemen oder Syrien, aber auch Teile von Algerien, mittelfristig zu neuen Rückzugsgebieten von 'al-Qaida'-Terroristen entwickeln, bleibt abzuwarten. Im Bereich des internationalen islamistischen Terrorismus ist bereits seit einigen Jahren zudem zu beobachten, dass ehedem festgefügte globale Netzwerkstrukturen, die einst in den Trainingslagern der 'al-Qaida' in Afghanistan entstanden waren, immer weiter schwinden. Stattdessen hat sich weltweit eine Vielzahl kleiner, lokaler und autonomer Terrorzellen gebildet. Sie haben die Ideologie 'al-Qaidas' verinnerlicht und agieren in ihrem Sinne. 'Al-Qaida' hat durch die "Dezentralisierung des Terrors" die Funktion als Koordinierungsstelle von Anschlägen verloren. Das weltweite Terrornetzwerk musste sich auf die weitgehende Zerschlagung seiner früheren Führungsund Kommunikationsstruktur, vor allem in den Hochburgen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, einstellen. Es bleibt aber in eingeschränktem Maße weiter handlungsfähig, da ideologische Leitlinien und Ziele immer noch durch Führungsfiguren wie Usama bin Ladin und seinen Stellvertreter und Nachfolger Aiman al-Zawahiri über das Internet medienwirksam bekannt gemacht werden können. International hat sich 'al-Qaida' in verschiedene regionale Teilorganisationen gegliedert, die dem Kern-'al-Qaida' ihre Loyalität geschworen haben und im Sinne der ideologischen Ausrichtung wirken. Die bedeutendsten dieser Zweige sind: : 'Al-Qaida im Islamischen Maghreb' (AQM); ging hervor aus der 'Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat' (GSPC), die sich Ende 2006/Anfang 2007 'al-Qaida' angeschlossen hat. In Nordrhein-Westfalen hatte die GSPC Einzelmitglieder, aber keine Strukturen. : 'Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel' (AQAH); ist durch den Zusammenschluss der 'al-Qaida'-Gruppen in Saudi-Arabien und dem Jemen im Januar 2009 gebildet worden. : 'Al-Qaida im Irak' (AQI); wurde nach der Besetzung des Irak durch alliierte Truppen 2003 von Abu Musab al-Zarqawi gegründet. Durch die massive Störung der Zentralstellenfunktion von Kern-'al-Qaida' kommt den drei genannten Teilorganisationen, die vermutlich weitgehend autonom agieren, die Aufgabe zu, den Auftrag zum globalen Jihad aufrecht zu erhalten und umzusetzen. In Nordrhein-Westfalen sind AQAH und AQI nicht vertreten. islAmismus 199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Finanzierung Jihadistenbeziehungsweise Mujahidin-Netzwerke finanzieren sich aus unterschiedlichen Quellen. Spenden, Gewinne aus legalen Geschäften (zum Beispiel aus dem Pkw-Handel) sowie Profite aus illegalen Aktivitäten wie Schmuggel, Waffen-, Diamantenund Drogenhandel, Handel mit gefälschten Pässen oder Kreditkartenbetrug haben große Bedeutung. Für finanzielle Transaktionen werden häufig Bankkonten in sogenannten "off-shore"-Ländern (ohne Bankenaufsicht) oder andere verdeckte Methoden des Geldtransfers genutzt. Entwicklungen in Deutschland und "home-grown"-Netzwerke Seit 2001 haben sich die Profile islamistischer Terroristen deutlich verändert. Längst stellen nicht mehr nur aus dem Ausland eingereiste Attentäter eine Bedrohung für die Sicherheit europäischer Staaten dar. Eine Herausforderung ist die neue Generation islamistisch motivierter Attentäter, die sogenannten home-grown-Terroristen. Der Begriff bezeichnet Zuwanderer der zweiten oder dritten Generation oder auch Konvertiten zum Islam, die in westlichen Gesellschaften aufgewachsen, mit dem westlichen Wertesystem vertraut sind und ohne direkte Weisung aus dem Ausland Terroranschläge durchführen können. Die meist Jugendlichen und jungen Heranwachsenden führen bis zu einem bestimmten Punkt in ihrem Leben einen eher unauffälligen und "typisch deutschen" Lebensstil. Ohne einen zunächst von außen erkennbaren Grund verändern sie sich dann komplett und radikalisieren sich innerhalb kürzester Zeit. Da viele der jungen Leute in Deutschland geboren worden sind und die arabische Sprache gar nicht oder nur unzureichend beherrschen, wird bei ihnen gezielt für den Besuch von Sprachschulen im Ausland geworben. Für eine entsprechende Auslandsreise zum Sprachund Koranstudium wird von nationalen und internationalen salafistischen Netzwerken Unterstützung bei den Formalitäten der Reise angeboten. Sportliche Betätigung - der Besuch von Fitnessstudios und das Erlernen von Kampfsportarten - wird als sehr wichtig angesehen. Es gab interessierte Personen, die sich nachweislich dem gewaltsamen Jihad angeschlossen und eine entsprechende Ausbildung erhalten haben. Entsprechende Reisebewegungen nach Afghanistan und aktuell Syrien sind den Verfassungsschutzbehörden bekannt. In diesen Kreisen besteht ein Personenpotenzial für jihadistische 200 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Propagandaaktivitäten oder sogar Vorbereitungshandlungen für Anschläge auch in Deutschland. Jihadisten haben in Deutschland eine Infrastruktur aufgebaut, die unter anderem zur Versorgung mit gefälschten Papieren, zur Ausstattung mit Mobiltelefonen und zum Sammeln von Spenden genutzt wird. Daneben versuchen einige Jihadisten, junge Muslime für eine Kampfausbildung im Ausland zu motivieren. Sympathisanten und Unterstützer islamistischer Organisationen oder bestimmte Personengruppen, etwa Studenten, werden zum Teil gezielt angesprochen. Dies kann zum Beispiel im Bekanntenoder Freundeskreis geschehen. Auch politische oder religiöse Veranstaltungen bieten unter Umständen die Möglichkeit, Personen für die eigenen Ideen zu gewinnen. So kann etwa das Freitagsgebet in der Moschee zur Verbreitung islamistischer Propaganda missbraucht werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Imam (Vorsteher) einer Moschee den Jihad als militanten Kampf gutheißt oder wenn entsprechende Überzeugungen in die Predigt auch nur latent einfließen. Bei anschließenden Diskussionen unter den Moscheebesuchern können sich im Laufe der Zeit Personenkreise herauskristallisieren, die von der Idee des militanten Jihad angetan sind und für Vorhaben von jihadistischen Rekruteuren und Vermittlern geeignet scheinen. Feststellbar ist allerdings, dass sich Imame in Deutschland nur in verhältnismäßig wenigen - als islamistisch einzuschätzenden - Moscheen entsprechend geäußert haben. Seit einiger Zeit - zuletzt nach dem Verbot des Personennetzwerkes 'Millatu Ibrahim' mit Schwerpunkt in Solingen - sind auch dort die Prediger deutlich zurückhaltender und vermeiden eindeutig islamistische Parolen, teilweise distanzieren sie sich davon in der Öffentlichkeit. Jihadwillige, die sich eine Zeit lang als ausreichend fest in ihrer extremistischen Ideologie und entschlossen genug für militärische Handlungen gezeigt haben, erhalten über Mittelsmänner Möglichkeiten aufgezeigt, über Schleusungswege in Trainingscamps zu gelangen, wo sie neben weiterer religiös-ideologischer Unterweisung eine militärische Ausbildung erhalten können. Die von Deutschland aus operierenden Unterstützer der Terrornetzwerke sind häufig in Straftaten der allgemeinen oder organisierten Kriminalität verwickelt. Durch organisierte Schleusungen und Fälschungsdelikte werden terroristische Zwecke in bestimmten Zielländern unterstützt und lukrative Geschäfte gemacht. Dabei wird in der Regel äußerst professionell, arbeitsteilig und konspirativ vorgegangen. Wie zahlreiche Gerichtsverfahren in den vergangenen Jahren gezeigt haben, wird Deutschland - und damit auch Nordrhein-Westfalen - als Ruheund Rückzugsraum und zur logistischen Vorbereitung von Mitgliedern und Unterstützern der terroristischen Netzwerke genutzt. Spätestens die missglückten islAmismus 201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Anschläge auf zwei Regionalzüge am 31. Juli 2006 und die durch die Festnahmen der "Sauerlandattentäter" im September 2007 erfolgte rechtzeitige Aufdeckung und Verhinderung von Anschlägen zeigen aber auch, dass Anschlagsversuche selbst in Deutschland erfolgen können. Neben der abstrakt hohen Gefährdung für US-amerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen in Deutschland muss heute auch von einer Gefährdung deutscher Interessen im Inund Ausland ausgegangen werden. Seit Anfang 2009 und weiter bis 2011 gibt es eine Reihe von Hinweisen aus inländischem und ausländischem Informationsaufkommen zu geplanten terroristischen Anschlägen der 'al-Qaida' in Europa. Die Hinweise werden durch die Aussagen von Islamisten gestützt, die sich derzeit im Gewahrsam ausländischer Staaten befinden. Das Engagement Deutschlands und der Ausbau der militärischen Verantwortung der Bundeswehr in Afghanistan werden dabei von 'al-Qaida' und anderen, dem globalen Jihad verpflichteten Gruppierungen und Organisationen als herausragendes Argument instrumentalisiert, um den Kampf gegen Deutschland zu rechtfertigen. Aktuelle Entwicklungen Transnationale terroristische Netzwerke verfügen nach wie vor über die Fähigkeit, Terrorakte mit hohen Opferzahlen zu planen und durchzuführen. Die Motivation hat sich durch die weiter andauernde Präsenz von ausländischen Soldaten - insbesondere in Afghanistan - nicht entscheidend abgeschwächt. Eine kaum einschätzbare Gefährdung - auch für Deutschland - geht weiterhin von operativ nicht angebundenen Zellen oder Einzelpersonen aus, die sich durch die Propaganda der Organisationen insbesondere im Internet zu mehr oder weniger durchgeplanten Einzeltaten motivieren lassen. Am 2. März 2011 verübte der 21-jährige Arid U. ein Attentat auf amerikanische Soldaten am Flughafen Frankfurt /Main, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Nur die Ladehemmung der Tatwaffe verhinderte ein größeres Blutbad. Der Anschlag stellt den ersten vollendeten islamistisch-terroristischen Anschlag im Bundesgebiet dar und konkretisiert die von fanatisierten Einzeltätern ausgehende Bedrohung. Der Täter hatte sich offenbar durch ins Internet eingestellte islamistische Videos und Botschaften selbst emotionalisiert/radikalisiert. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt verurteilte den Attentäter zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. 202 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Der sogenannte home-grown-Terrorismus spielt bei der für Deutschland bestehenden terroristischen Bedrohung neben mutmaßlichen Anschlagsplanungen im Ausland nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Über Sprachreisen in islamisch geprägte Länder und das Internet wird weiterhin vor allem bei jungen Menschen für den Jihadismus geworben. Ein im Internet veröffentlichtes Youtube-Video eines IBU-Propagandisten mit der Aufforderung zu Anschlägen in Deutschland Am 29. April 2011 wurden in Düsseldorf und Bochum drei Personen festgenommen. Die Angehörigen der so bezeichneten "Düsseldorfer Zelle" werden verdächtigt, im Auftrag von 'al-Qaida' terroristische Anschläge in Deutschland vorbereitet zu haben. In diesem Zusammenhang wurde am 8. Dezember 2011 in Bochum eine weitere Person festgenommen, der vorgeworfen wird, die Anschlagsplanungen der Zelle fortgeführt zu haben. Im April 2012 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung 'al-Qaida'. Am 25. Juli wurde dort die Hauptverhandlung eröffnet. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, einen Terroranschlag in Deutschland geplant zu haben. Am 19. Oktober 2012 verurteilte das Landgericht Bonn einen türkischen Staatsangehörigen wegen Messerangriffen auf zwei Polizisten im Verlauf gewalttätiger Ausschreitungen von Salafisten bei einer Demonstration in Bonn gegen eine Wahlkampfveranstaltung von 'pro NRW' zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie zu einer islAmismus 203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Zahlung von Schmerzensgeld. Der Angeklagte habe während des Prozesses keinerlei Einsicht oder Reue erkennen lassen. In seinem Schlusswort vor Gericht begründete er sein Handeln mit der Pflicht jedes rechtgläubigen Muslims, die Herabwürdigung des Propheten Mohammed zu unterbinden. Auch nach dem Tod des 'al-Qaida'-Gründers Usama bin Ladin am 2. Mai 2011 muss aufgrund des hohen Symbolwerts bin Ladins für den internationalen Jihadismus weiterhin weltweit - so auch in Deutschland - mit Vergeltungsaktionen von 'al-Qaida' und ihr ideologisch nahestehender Gruppierungen bzw. von fanatisierten Einzelpersonen gerechnet werden. Das Internet gewinnt für den Islamismus Jahr für Jahr weiter in großem Umfang an Bedeutung. Im Jahr 2012 sind mehr Drohund Propagandavideos als im Jahr 2011 im Netz zugänglich gemacht worden. Immer mehr werden auch soziale Netzwerke und Videokanäle gezielt genutzt. Aiman al-Zawahiri meldete sich im Laufe des Jahres mit zahlreichen Botschaften zu Wort: Im Februar wurde eine Videobotschaft Aiman al-Zawahiris, des Nachfolgers von Usama Bin Ladin, mit der Bezeichnung "Vorwärts ihr Löwen von Syrien" veröffentlicht. Darin werden die Muslime im Irak, Jordanien, Libanon und in der Türkei aufgefordert, den "Brüdern in Syrien" zur Hilfe zu eilen. Im März folgte eine weitere Folge der Audiobotschaft "Botschaft der Hoffnung und Freude an unsere Leute in Ägypten". Al-Zawahiri kritisiert darin die politische Lage in Ägypten und fordert dazu auf, sich von westlichen Einflüssen loszusagen. Ebenfalls im März erschien die Videobotschaft "An die Menschen in Pakistan". Darin nimmt al-Zawahiri die Tötung von 24 pakistanischen Soldaten durch einen USamerikanischen Luftangriff im November 2011 zum Anlass, die Pakistaner zu "zivilem Widerstand" nach dem Vorbild der Aufstände in der arabischen Welt gegen die eigene Armee und Regierung aufzufordern. Im Mai 2012 wurden innerhalb von acht Tagen vier Verlautbarungen von Aiman alZawahiri veröffentlicht. Drei davon sollten die Muslime im Jemen, in Saudi Arabien und in Somalia ansprechen. Die vierte Botschaft thematisierte die Verbrennung von Koranexemplaren auf dem amerikanischen Stützpunkt in Bagram/Afghanistan im Februar des Jahres. In der ersten Botschaft wirft er dem neuen jemenitischen Präsidenten vor, die Korruption und Vetternwirtschaft seines Vorgängers weiter fortzusetzen. Er ruft das Volk dazu auf einen Jemen zu errichten, der nach islamischer Gesetz204 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 gebung regiert werde. Dieses Ziel sei nur mit dem bewaffneten Jihad zu erreichen. In der zweiten Verlautbarung kritisiert er die proamerikanische Haltung des saudischen Königs. Al-Zawahiri beklagt die Tatenlosigkeit und den fehlenden Mut des Volkes, sich gegen ihren Herrscher aufzulehnen und ihn zu stürzen und erinnert gleichzeitig an die Menschen in Tunesien, Ägypten und Libyen, die dies geschafft hätten. In dem dritten Aufruf warnt al-Zawahiri vor einer angeblich "kreuzzüglerischen" Allianz gegen Somalia. Diese habe sich durch die Beteiligung von Soldaten aus Kenia, Äthiopien und der Afrikanischen Union gebildet. Die Muslime in Somalia würden jedoch mit einem Sieg aus diesem Kampf hervorgehen und die Allianz werde eine Niederlage erleiden. In der vierten Botschaft zeigten und bestätigen nach seiner Auffassung Koranverbrennungen oder auch die Tötung von Zivilisten den Hass der "Kreuzzügler" und ihrer Verbündeten gegen die Muslime und den Islam. Im Oktober rief Aiman al-Zawahiri in einer zweiteiligen Botschaft mit dem Titel "Kairo und Damaskus sind zwei Tore von Jerusalem" erneut zur Entführung westlicher Staatsangehöriger auf. Darüber hinaus beschäftigt er sich darin mit den Entwicklungen im Nahen Osten, insbesondere mit Syrien und Ägypten. Er fordert die Muslime in den Nachbarländern Syriens auf, die dortigen Muslime mit allen Mitteln zu unterstützen, um gegen das Regime von al-Asad zu kämpfen, und betont, dass die syrischen Muslime den Kampf gegen Säkularismus, Korruption und Unterdrückung in ihrem Land führten. Anschließend appelliert er mehrfach an Muslime in Ägypten, für die Einführung der islamischen Gesetze (Scharia) zu demonstrieren. Die Scharia müsse deutlich in der Verfassung stehen. Die Demonstrationen sollen das Militär dazu zwingen, die Einführung der Scharia zu akzeptieren. 5.1.2 Jihadismus im Internet Das Internet ist nach wie vor das wichtigste Propagandamedium, mit dem der transnationale islamistische Terrorismus (Jihadismus) seine Vorstellungen und Ziele verbreitet. Jihadistische Akteure, die häufig über Landesgrenzen hinweg unerkannt Kontakte halten und Informationen austauschen wollen, setzen das Internet aber auch zum Informationsaustausch und zur verdeckten Kommunikation ein. Insbesondere für terroristische Netzwerke ist das Internet unentbehrlich geworden. Nicht nur im Bereich des Jihadismus ist das Internet von herausragender Bedeutung. Auch im gewaltlosen Islamismus finden Netzwerkbildung und Ideologietransfer im Netz statt. Das Internet ermöglicht eine schnelle, grenzüberschreitende und sichere Kommunikation und eröffnet damit fast unbegrenzte Nutzungsmöglichkeiten. islAmismus 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Viele islamistische Organisationen verfügen über eigene, teils mehrsprachige Homepages, auf denen sie ihre Ideologie verbreiten und Mitglieder werben. Der internen Kommunikation von Islamisten und Jihadisten dient zudem eine Vielzahl einschlägiger Internetforen und "Chatrooms". Von besonderer Bedeutung ist der Austausch über Soziale Online-Netzwerke wie Facebook. Sie ermöglichen es denn Nutzern, unbegrenzt große "Freundeskreise" Gleichgesinnter aufzubauen und sich untereinander auszutauschen. Jihadistische Kreise nutzen ebenso intensiv Videoportale, vor allem zum Austausch von radikalisierendem und Gewalt verherrlichendem Filmmaterial. Die Versorgung mit einschlägigen Martialische Drohungen gegen Audios und Videos wird dem Nutzer durch sogeDeutschland im Internet in jihadistinannte Abonnenten-Dienste erleichtert. Wer einen schen Blogs Video-Kanal abonniert, wird zeitnah über NeuErscheinungen auf diesem Kanal informiert. Dieses Material kann er wiederum auf seinem eigenen Kanal hochladen oder durch Verlinkungen und Postings in sozialen Netzwerken bekannt machen. Auf diese Weise werden radikalisierende Videound Audiodateien in kürzester Zeit und in großem Umfang in Umlauf gebracht. Durch die Bildung großer Freundesund Abonnentenkreise in Videoportalen und sozialen Netzwerken sind im jihadistischen wie auch im sonstigen islamistischen Bereich Netzwerke entstanden, die aufgrund der Reichweite des Internets und des hohen Grades der Anonymisierbarkeit besonders personenstark sind. Allerdings unterliegt der Markt der einschlägigen Video-Kanäle und Facebook-Profile einer hohen Fluktuation. Internet-Auftritte von Gruppierungen und Einzelpersonen, die zum Zwecke der Verbreitung von Jihad-Propaganda eingerichtet wurden, sind manchmal monatelang, manchmal aber auch nur wenige Tage unter der gleichen Adresse erreichbar. Dies macht es zu einer besonderen Herausforderung für den Verfassungsschutz und die Strafverfolgungsbehörden, solche Internet-Auftritte im Blick zu behalten. Gleiches gilt für einschlägige Internetseiten. So sind eine Reihe von deutschsprachigen jihadistischen Webseiten, die sich seit 2011 im Internet etabliert hatten und teils in Verbindung zu dem verbotenen Solinger Salafisten-Verein 'Millatu Ibrahim' standen, 2012 wieder aus dem Internet verschwunden - teils in Folge von 206 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vereinsverboten, teils um unter neuem Namen oder von anderer Stelle, aber mit ähnlichen Inhalten, weiter betrieben zu werden. Vielfältige Nutzungsmöglichkeiten Das Internet eignet sich wie kein anderes Medium zur Verbreitung von Propaganda und zum Ideologietransfer. Jihadisten kommunizieren im Internet verdeckt, betreiben Netzwerkbildung, sammeln Spenden oder rekrutieren Freiwillige für den Jihad. Auch die Vorbereitung auf Kampfeinsätze erfolgt vielfach mit Hilfe des Internets. Anleitungen zum konspirativen Verhalten, zum Bau von Waffen, zur Herstellung von Giften und Sprengsätzen - alle wesentlichen Informationen und Anleitungen zur Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen lassen sich online beziehen. Damit fungiert das Internet als eine Art "virtuelles Trainingslager". Jihadisten nutzen das Internet darüber hinaus zur Selbstinszenierung und zur psychologischen Kriegsführung. Sie verbreiten dort Bekennerschreiben und -videos ebenso wie Bilder und Videos von Bombenanschlägen, von Entführungsund Hinrichtungsopfern. Solche Szenarien erregen weltweit Aufsehen und verbreiten Angst und Schrecken. Auch Internetbotschaften, in denen mit Anschlägen gedroht wird, sollen die Bevölkerung verunsichern. Das erste sogenannte "Droh-Video" eines deutschen 'al-Qaida'-Mitglieds aus dem Jahr 2009 ist vielen noch in Erinnerung. Damals hatte der aus Bonn stammende und mittlerweile bei Kampfhandlungen in Afghanistan ums Leben gekommene Bekkay Harrach den Bundestagswahlkampf zum Anlass genommen, mit Anschlägen auf deutschem Boden im Falle eines fortgesetzten Afghanistan-Engagements Deutschlands zu drohen. Auch in den darauffolgenden Jahren wurden immer wieder Internetbotschaften jihadistischer Gruppierungen mit vielfältigen Deutschlandbezügen bekannt - so auch im Jahr 2012. Ideologietransfer Akteure des internationalen Terrorismus nutzen das Internet exzessiv zur Verbreitung ihrer Jihad-Ideologie. Sie dient den weltweit zersplitterten, autonom agierenden Terrornetzwerken als gemeinsame Basis, als eine Art einigendes Band. Da eine zentrale Befehlsstruktur fehlt, ist die Inspiration und Motivation zur Durchführung immer neuer Anschläge für den Fortbestand des internationalen Terrorismus von existenzieller Bedeutung. Gleichzeitig gilt es, die weltweite Anhängerschaft ideologisch zu justieren. Ein wesentliches Ziel der Internetpropaganda ist es, die Ideologie des gewaltsamen Jihad am Leben zu erhalten. Potenzielle Unterstützer des globalen Jihad müssen auf islAmismus 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 dem "richtigen" Kurs gehalten werden. Gleichzeitig versucht man, viele neue Sympathisanten hinzuzugewinnen. Vor allem Berichte von Gewalt an Muslimen in Krisenregionen, wie Afghanistan, Syrien und den palästinensischen Gebieten sollen der Welt die angeblich systematische Unterdrückung der muslimischen "Umma" (der Glaubensgemeinschaft der Muslime) vor Augen führen. Emotionalisierende Fotos von verletzten oder getöteten Zivilisten, vor allem von Kindern, Frauen und alten Menschen, wecken beim Betrachter Betroffenheit und lassen bei dafür empfänglichen Personenkreisen Terrorakte als eine gerechte und legitime Form des Widerstands gegen die "ungläubigen Aggressoren" erscheinen. Propaganda-Aktivitäten jihadistischer Führungspersonen Dem Ideologie-Transfer dienen neben jihadistischer Literatur, Tonträgern und Videos vor allem Verlautbarungen von Führungsfiguren des internationalen islamistischen Terrorismus. Eine Vielzahl solcher Bild-, Tonund Textdokumente wurden auch 2012 wieder ins Netz gestellt. In der Regel wird darin in Anspielung auf erfolgte Terrorakte oder unter Androhung neuer Anschläge die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt. Im Jahr 2012 machte insbesondere Aiman al-Zawahiri, der nach dem Tod Usama bin Ladins die Führung von 'al-Qaida' übernommen hat, durch eine Vielzahl solcher Internetbotschaften von sich reden. In diesen Videos nahm er zum Teil auch umfassend zu weltpolitischen Ereignissen, insbesondere zu der Umbuchsituation in arabischen Staaten und zu der Lage in Syrien, Stellung und deutete sie im Sinne der Ideologie des globalen kämpferischen Jihads. Nach dem Tod Usama bin Ladins war al-Zawahiri die Rolle zugefallen, die propagandistische Lücke, die durch den Verlust der zentralen Führungsfigur des internationalen islamistischen Terrorismus zu entstehen drohte, zu füllen. Die zahlreichen Internetvideos von al-Zawahiri, die in den vergangenen eineinhalb Jahren im Internet kursierten, können als Versuch einer Kompensation gedeutet werden. Deutschland im Fokus jihadistischer Internet-Propaganda Auch 2012 wies die jihadistische Internetpropaganda wieder vielfältige DeutschlandBezüge auf. In den zahlreichen Verlautbarungen jihadistischer Gruppierungen und Einzelpersonen wurden zum Teil direkte oder indirekte Terrordrohungen gegen Deutschland beziehungsweise Deutsche im Inund Ausland ausgesprochen. In einigen Fällen wurde seitens jihadistischer Akteure sogar offen und direkt zur Tötung von Personen bzw. Personengruppen in Deutschland aufgefordert. 208 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 So rief Yassin C., ein deutschsprachiger Akteur der 'Islamischen Bewegung Usbekistans' (IBU), der aus Nordrhein-Westfalen stammt und aus zahlreichen Internet-Videos der IBU bekannt ist, in deutscher Sprache zur Tötung aller 'pro NRW'-Anhänger in Deutschland auf. Der Auslöser waren Provokationen der Partei anlässlich des NRWLandtagswahlkampfes, insbesondere die Ankündigung, Muhammad-Karikaturen zeigen zu wollen. "Ich soll euch sagen, dass ihr sie alle töten sollt. Ihr sollt die Mitglieder der pro NRW alle töten [...]. Auch die Veröffentlichung des islamkritischen Films "Innocence of Muslim" führte zu vielfältigen Reaktionen im Internet. Die Inhalte des Films wurden seitens jihadistischer wie salafistischer Fanatiker pauschal "den Deutschen" angelastet und als Feindseligkeit der Ungläubigen gegenüber den Muslimen gedeutet. In Internet-Beiträgen leiteten Jihadisten daraus die Pflicht ab, den gewaltsamen Jihad gegen Deutschland zu führen. Auch jihadistische Kreise im Ausland nahmen die Ereignisse in Deutschland in Salafistische Propaganda im Internet. Hier ein Beispiel einer Veröffentlichung in Facebook den Blick und reagierten darauf im Internet. Ein Beispiel dafür ist die Veröffentlichung einer ins Deutsche übersetzten Abhandlung eines führenden ägyptischen Gelehrten, der dem jihad-salafistischen Spektrum zuzurechnen ist. Er forderte die Muslime in seinem Internet-Aufruf dazu auf, gegen "die deutschen Rassisten" vorzugehen und all jene Personen zu töten, die den Propheten Muhammad beleidigen: islAmismus 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Wer den Beleidiger tötet, der wird belohnt, und wer getötet wird, ohne es zu schaffen, den Beleidiger zu töten, der wird zum Schahid [Märtyrer]." Ein beträchtlicher Teil der jihadistische Internet-Propaganda, die sich an Deutschland richtete, wurde 2012 wieder von der 'Islamischen Bewegung Usbekistan' (IBU) in Umlauf gebracht. Neben dem erwähnten Tötungsaufruf veröffentlichte die usbekische Terrororganisation weitere Drohund Rekrutierungsvideos mit vielfältigen Deutschlandbezügen. Mehrfach traten in den Internet-Videos der oben erwähnte deutschsprachige Akteur Yassin C. sowie sein Bruder Munir C. auf, der ebenfalls aus zahlreichen Veröffentlichungen der IBU bekannt ist. Wie bei allen früheren Videoproduktionen der IBU priesen die beiden in deutscher Sprache den Jihad in den Kampfgebieten und forderten deutsche Muslime auf, auszuwandern, um vor Ort für den Islam zu kämpfen. Bei der deutschlandbezogenen Jihad-Propaganda zeigte sich 2012 auch ein durchweg neuer Trend: So gab es neben einer ganzen Reihe Jihad-verherrlichender Internet-Beiträge mit Deutschlandbezügen erstmals auch konkrete Terror-Botschaften gegen Deutsche bzw. Deutschland, die einer gewaltbejahenden, jihad-salafistischen Szene innerhalb Deutschlands entstammten. Insbesondere aus dem Umfeld des im Juni verbotenen Solinger Vereins 'Millatu Ibrahim' wurden jihadistische Verlautbarungen ins Internet gestellt und von dort aus weiterverbreitet. Darin wurde entweder der gewaltsame Kampf der Muslime gegen "die Ungläubigen" in Deutschland gefordert oder deutsche Muslime wurden angehalten, aus Deutschland in sogenannte Jihad-Gebiete auszuwandern. Die Aufrufe aus dem gewaltbejahenden Spektrum der deutschen Salafisten-Szene steigerten sich bis hin zu Mordaufrufen an Personen, die von jihadistischen Akteuren für die Verunglimpfung des Islams bzw. des islamischen Propheten Muhammad verantwortlich gemacht wurden. Nach dem Umzug maßgeblicher Akteure der gewaltverherrlichenden Solinger Salafisten-Szene im Sommer 2012 riss die Flut der von ihnen produzierten Hassund Drohvideos nicht ab. Noch kurz vor Jahresende sorgten Internet-Videos des von Solingen nach Ägypten ausgewanderten Ex-Rappers und Jihad-Salafisten Denis C. für Aufsehen. In einer der jihad-verherrlichenden Produktionen legte er seiner Anhängerschaft die Entführung von Deutschen zur Befreiung des in Deutschland inhaftierten Salafisten nahe, der im Mai in Bonn bei einer Messerattacke zwei Polizisten schwer verletzt hatte. 210 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Reaktionen im jihadistischen Internet auf "Beleidigungen des Propheten Muhammad" Die Auseinandersetzungen zwischen Vertretern von 'pro NRW' und salafistischen Aktivisten in Bonn, Solingen und Köln im Mai 2012, bei denen Salafisten gegen die von ihnen als islamfeindlich empfundenen Aktionen der 'pro NRW' - darunter das Zeigen von Muhammad-Karikaturen und die Ankündigung von Koranverbrennungen - protestierten, wurden zahlreich im Internet kommentiert. Bei vielen Beiträgen war der Wunsch der Verfasser, ihre Adressaten zu emotionalisieren, deutlich zu erkennen. Insbesondere im Bereich der gewaltbejahenden salafistischen Internet-Szene zeugten viele Kommentare sogar von der Absicht, junge Muslime gezielt im Sinne der jihadistischen Ideologie zu radikalisieren und zur Durchführung von gewaltsamen Aktionen zu motivieren. So stieß der Jihad-Salafist Denis C., der vor seiner AuswanPropaganda-Video zur salafistischen Straßengewalt in Solingen und Bonn aus dem Internet auf Youtube derung nach Ägypten der radikalen Solinger Salafisten-Szene angehörte, kurz vor den gewaltsamen Ausschreitungen in Bonn im Internet unverhohlen Drohungen im Falle fortgesetzter "Islam-Hetze" durch staatliche Stellen aus. In einem Internet-Video warnte er: "Besser ihr passt in der Zukunft auf, was ihr machen werdet gegen die Islamhetze, sonst braucht ihr euch nicht wundern, wenn es hier knallt." islAmismus 211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 In einem anderen Video wandte sich der Sprecher direkt an die Bundeskanzlerin, den Bundesinnenminister und den Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen. Er betonte, dass deutsche Staatsbürger in arabischen Ländern aufgrund der angeblichen deutschen Islam-Hetze in Gefahr seien und die Politik dafür sorgen müsse, dass die Karikaturen nicht mehr gezeigt würden. Eine besondere Rolle bei den Demonstrationen von Salafisten in Solingen, Bonn und Köln sowie bei der Verbreitung von Stellungnahmen und Teilnahmeaufrufen spielte das Soziale Netzwerk Facebook. So wurden die Kundgebungen von einschlägigen Nutzern zum Teil als "Öffentliche Veranstaltungen" in Facebook beworben, was sicherlich eine der Ursachen für die hohe Teilnehmerzahl war. Dadurch wurden auch gewaltbefürwortende Kreise auf die Veranstaltungen aufmerksam. Das emotionalisierende und mobilisierende Potenzial des Mediums Facebook machten sich die jihad-salafistischen Aktivisten gezielt zu nutze. In einer regelrechten PropagandaOffensive wurden Videos und Postings veröffentlicht, die der gezielten Radikalisierung ihrer Anhängerschaft dienen sollten. Dabei wurde immer wieder auch die Absicht der salafistischen Szene erkennbar, die Provokationen von 'pro NRW' sowie die gewaltsamen Ausschreitungen in Solingen und Bonn für ihre Propaganda-Zwecke zu instrumentalisieren. So wurden sowohl Fotos von Muhammad-Karikaturen zeigenden 'pro NRW'-Aktivisten als auch von angeblich durch Polizisten malträtierten Salafisten via Facebook verbreitet. Durch das Einbringen dieser Aufnahmen in ausländische Internet-Foren mit globaler jihadistischer Stoßrichtung sollte die vermeintliche IslamFeindschaft der Deutschen weltweit bekannt gemacht werden. Gleichzeitig wurden die Ereignisse in Deutschland propagandistisch verzerrt, indem man sie in den Kontext eines angeblichen globalen Kampfes der Ungläubigen gegen die Muslime zu stellen versuchte. Ihren eigenen Widerstand gegen die Staatsgewalt deuteten die Salafisten in ihren Internet-Veröffentlichungen hingegen als Akt der Verteidigung des Islam und setzten diese Aktionsform mit dem Kampf der Mujahidin in ausländischen Kampfgebieten gleich. Internet-Aufruf zur Tötung von 'pro NRW'-Aktivisten und Medienvertretern Die Reaktionen auf die Auseinandersetzung zwischen salafistischen Akteuren und 'pro NRW' fanden ihren propagandistischen Höhepunkt in der bereits erwähnten Internet-Botschaft des Yassin C., eines bekannten deutschsprachigen Akteurs der IBU. Damit reagierte - wie von den Salafisten beabsichtigt - erstmals eine ausländische terroristische Gruppierung auf die Ereignisse in Deutschland. In der Internet-Veröffentlichung lobte der Sprecher auf Deutsch die salafistischen Aktivisten für die "Ver212 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Ein im Internet veröffentlichtes Youtube-Video mit einem Tötungsaufruf der IBU gegen Mitglieder der 'pro NRW' teidigung des Propheten" und vereinnahmte sie als Teil der globalen jihadistischen Bewegung. Gleichzeitig erklärte er 'pro NRW' den Krieg. Er rief zur gezielten Tötung von 'pro NRW'-Mitgliedern auf und gab konkrete Tipps zum Vorgehen: "So raten wir euch, lauert und sucht einzelne Personen der pro NRW im Geheimdienstverfahren auf! Sammelt genug Informationen, Informationen über ihre Wohnorte, über ihre täglichen Routen, ihre Arbeitsplätze und sonstige Informationen! Und dann, nach guten und ausreichenden Recherchen und einem strategischen Plan, schlagt zu! Schlagt, euch auf Allah verlassend, am Besten im Schutz der Dunkelheit oder des Morgengrauens, zu! Und dabei ist zu bevorzugen, und ich denke, dass ihr die Beweise aus der islamischen Scharia alle kennt, dass ihr sie tötet. Dass ihr euren Propheten rächt, indem ihr sie tötet [...]." Der Sprecher kritisierte auch die deutschen Medien wegen der erneuten Veröffentlichung der Muhammad-Karikaturen und rief schließlich zur Tötung von Medienvertretern auf - konkret erwähnt wurde "Der Spiegel". islAmismus 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 "Abrechnung mit Deutschland" - Reaktionen auf den Film "Innocence of Muslims" Infolge des im Juli 2012 im Internet aufgetauchten Trailers des islamkritischen Films "Innocence of Muslims" kam es massenweise zu teils gewaltsamen Gegenreaktionen in der islamischen Welt. Die Protestwelle erfasste sehr schnell auch das Internet, wo sich die Entrüstung über den Film bis hin zu expliziten Drohungen gegen Deutschland steigerte. So wurden sowohl der Film als auch die angebliche Mitverantwortung der Deutschen an den Schmähungen des Propheten Muhammad intensiv in islamistischen Foren sowie in einschlägigen Facebook-Gruppen diskutiert. Die Diskussionen erregten sogar die Aufmerksamkeit arabischsprachiger Internet-Nutzer. In einem Beitrag, der in einem arabischen jihadistischen Internetforum veröffentlicht wurde, wurde auf das angeblich islamfeindliche Klima in Deutschland hingewiesen und behauptet, die Deutschen hätten unter dem Schutz der Polizei und der Regierung eine regelrechte Hetz-Kampagne gegen den Propheten Muhammad initiiert. Ein Nutzer appellierte an die Muslime, sich an Deutschland, "dem Schwein", zu rächen: "Ich schwöre bei Allah, dass wir uns für die Diffamierung unseres Propheten rächen werden [...]. Ihr werdet die Nachricht in Kürze erfahren. Ihr werdet die Nachricht sehen und nicht hören." Eine weitere konkrete Drohung gegen Deutschland beinhaltete ein pdf-Dokument, das auf einem salafistischen Internet-Blog eingestellt worden war. Bei dem Text mit dem Titel "Abrechnung mit Deutschland" handelte es sich um einen konkreten Aufruf zum Mord an bestimmten Personengruppen in Deutschland. Der Verfasser beschrieb in dem Dokument, wie der Mord an den "Feinden" des Islam durchzuführen sei: "Seid euch bewusst, dass diese Art von Operationen den Operationen gleicht, die wir Mujahidin hier auf dem Boden des Jihad durchführen. Und wir sind der Ansicht, dass wenn Allah euch diese Feinde in eure Hände fallen lässt, ihr ihnen die Köpfe von ihren Körpern trennt, dies filmt, und der Öffentlichkeit zugänglich macht, so dass ganz Deutschland, ja sogar ganz Europa weiß, dass ihre verbrecherischen Spielchen durch die Schwerter des Islam durchkreuzt werden." Als Zielgruppe dieser Racheaktionen werden Schauspieler des kritisierten Films, die 'pro NRW' sowie Politiker und Mitbürger genannt, die das Zeigen des Film und der Karikaturen unterstützt hätten. 214 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vergleichbare Reaktionen auf ein weiteres, im Dezember 2012 veröffentlichtes Internet-Video, das sich in polemischer Weise mit dem Propheten Muhammad befasst, sind bisher ausgeblieben. Dieser Film kann jedoch jederzeit von der jihadistischen Internet-Propaganda aufgegriffen werden, um auch an diesem Beispiel den angeblich weit verbreiteten Islam-Hass des Westens zu demonstrieren. Aufrufe zum "individuellen Jihad" in Deutschland Der "individuelle Jihad" als kämpferischer Einsatz von Einzelpersonen, die unabhängig von Organisationen in ihren Heimatländern Anschläge ausführen sollen, hat in der Jihad-Propaganda ausländischer wie inländischer Akteure an Bedeutung gewonnen. 2011 hatte die 'al-Qaida' in ihrem Jahresvideo betont, dass es zur Verteidigung des Islam nicht zwingend notwendig sei, an Jihad-Schauplätze auszureisen. Vielmehr seien durch Einzeltäter begangene Attentate im Westen von großem Nutzen. Sowohl Soldaten als auch Zivilisten wurden in dem Video als legitime Anschlagsziele bezeichnet. Außerdem wurde dazu aufgerufen, einflussreiche Persönlichkeiten im Westen als Ziele auszuwählen. Auch 2012 propagierten Vertreter ausländischer Jihad-Gruppierung wieder den "individuellen Jihad" in Deutschland. In einer Droh-Botschaft der IBU mit dem Titel "Ja, wir sind Terroristen" forderte der aus zahlreichen deutschsprachigen Veröffentlichungen dieser Terrororganisation bekannte Sprecher Yassin C. Muslime in deutscher Sprache explizit zu Terroranschlägen in Deutschland auf. In dem Video beschwört er sie, dem Frankfurter Attentäter nachzueifern, der 2011 bei einem Anschlag auf US-Soldaten auf dem Frankfurter Flughafen zwei Menschen getötet hatte. Muslime sollten die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um Attentate auf "weiche Ziele" wie Kaufhäuser und Diskotheken zu verüben. Auch seien Brandanschläge und Angriffe auf das Schienennetz der Bahn in Betracht zu ziehen. Der Sprecher erteilt darüber hinaus Ratschläge, wie sich künftige Attentäter gegenüber Polizei und Geheimdiensten verhalten sollten. In eindringlichem Ton ermahnte der Sprecher seine deutschsprachige Anhängerschaft: "Und wenn du es nicht schaffst, Bruder, sie zu töten, dann schade ihrer Wirtschaft und zerstöre ihre Gebäude, und vor allem die staatlichen und die Gebäude, in denen sie den Genuss des irdischen Lebens genießen, wie beispielsweise die Diskotheken, die Einkaufszentren und die Restaurants. Mach ihre Spaßgesellschaft zunichte. Erinnere sie an die ReichsislAmismus 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 kristallnacht, sorge für Schlagzeilen und lass sie in Trauer, lass sie in Trauer und Angst leben [...]." Der Videobotschaft war wenige Wochen zuvor bereits eine Drohbotschaft der IBU vorausgegangen, in der das andere deutschsprachige "Aushängeschild" der IBU, Mounir C., mit einer "Serie von Anschlägen in Deutschland" gedroht hatte. In dem Video wurde die Unterstützung der USA durch die deutsche Regierung kritisiert, womit Deutschland als führend im "Krieg gegen den Islam" gelte und somit ein legitimes Ziel für Anschläge sei. Der Sprecher drohte die Fortsetzung des bewaffneten Jihads gegen Deutschland an, selbst wenn man sich zu einem Abzug von Truppen aus Afghanistan bereit erklären sollte. Die Schuld, die Deutschland bereits auf sich geladen habe, verdiene die Fortführung des gewaltsamen Kampfes. Auch aus dem gewaltbereiten Spektrum der deutschen Salafisten-Szene gab es 2012 Internet-Botschaften, die als Aufruf an Einzelpersonen zur Beteiligung am gewaltsamen Kampf verstanden werden können. So erinnerte jihad-salafistischer Akteur die Muslime in einem Internet-Video an den Jihad als eine angeblich in Vergessenheit geratene Glaubenspflicht. Er mahnte seine Zuhörer: "Wenn der Prophet beleidigt wird, du musst der erste sein, der steht. Du musst der erste sein, der sein Leben gibt für ihn. [...] opfere dein Leben, um die Umma zu beleben." Diese Aussagen wurden später von den Initiatoren des Videos wieder gelöscht, um das Video in einer neuen, abgemilderten Form zu veröffentlichen. Die radikale Version der Botschaft kursiert jedoch weiter im Internet. Sie spricht überdies für die Radikalität und Gefährlichkeit ihrer Urheber, denn ihre Absicht ist es, mit derartigen Internet-Veröffentlichungen ein überwiegend junges Publikum gezielt zu radikalisieren und dazu zu bringen, in eigener Regie Anschläge zu begehen. Jihadistische Kampfhymnen (Nashids) preisen die Ausreise in Jihad-Gebiete Das Bemühen jihadistischer Akteure, junge Muslime für den Kampf in Jihad-Gebieten zu rekrutieren, fand ihren Ausdruck in einer Vielzahl deutschsprachiger Internet-Veröffentlichungen. Wie in den vergangenen Jahren spielten auch 2012 wieder Nashids, sogenannte jihadistische Kampfhymnen, eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung des Jihad-Nachwuchses. Dabei machte sich die Tendenz hin zur Veröffentlichung solcher Kampflieder in deutscher Sprache bemerkbar. So sind im Internet mittlerweile zahl216 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 reiche deutschsprachige Nashids zu finden, die in teils blumiger, emotionalisierender Sprache die Vorzüge des Jihads preisen und die Auswanderung aus den Ländern der "Ungläubigen" anmahnen. In einem im November 2012 im Internet veröffentlichten Nashid beschwört der nach Ägypten ausgewanderte Jihad-Salafist Dennis C. seine Anhänger, es ihm gleich zu tun. In dem Sprechgesang, den er dazu im Internet veröffentlichte, preist er den Märtyrertod und das Paradies und stellt die Frage, wie es seine Anhänger nur länger in Deutschland aushalten könnten, wo dort doch Krieg gegen die Muslime geführt werde: "Wie könnt ihr es dort aushalten, zwischen diesem ganzen Abschaum und Dreck? Wie könnt ihr dort essen und schlafen? Wie könnt ihr diese Luft atmen? Kommt raus! Kommt raus aus diesem Loch!" Auch in zahlreichen anderen Videos und Textdokumenten, die im Internet Verbreitung fanden, wurden Muslime in deutscher Sprache aufgefordert, sich den Mujahidin im Ausland anzuschließen. Eine entsprechende Textbotschaft in deutscher Sprache tauchte im Oktober 2012 im Internet auf. Darin forderte der Verfasser seine "Brüder in Deutschland" auf, sich vom materiellen Luxus zu lösen und ihre Pflicht zum Jihad zu erfüllen. Er kritisierte all jene, die sich mit dem Fasten und dem Rezitieren des Korans zufrieden geben, anstelle aktiv am gewaltsamen Kampf teilzunehmen. Dabei glorifizierte er den Einsatz für den Glauben auf dem Schlachtfeld und suggerierte, dass es sich dabei um eine islamische Pflicht handele, die anderen Glaubenspflichten übergeordnet sei. Auch die IBU bewarb in ihren Internet-Veröffentlichungen wieder die Ausreise in Jihad-Gebiete. In einem im Spätsommer 2012 veröffentlichten Video riefen die beiden bekannten deutschsprachigen Vertreter der Terror-Organisation Yassin und Munir C. zur Ausreise in das "Jihad-Gebiet" Waziristan auf. In dem Video wird dargestellt, dass bestens für die aus allen Teilen der Welt kommenden Auswanderer gesorgt sei, und dass ihnen an nichts fehle. Der Jihad wird als Abenteuer und Gemeinschaftserlebnis präsentiert, wobei insbesondere auf Feste wie Hochzeiten und Geburtstage eingegangen wird. Offenbar sollen Hemmungen und Vorbehalte auswanderungswilliger deutscher Muslime abgebaut werden, um sie auf diese Weise für die Idee der Teilnahme am Jihad im Ausland zu begeistern. islAmismus 217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Deutschlandbezüge in jihadistischen Online-Magazinen Im jihadistischen Bereich hat die Zahl verschiedensprachiger Online-Magazine in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das wohl prominenteste Magazin mit dem Namen 'Inspire' wird von der 'al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel' (AQAH) herausgegeben und ist in englischer Sprache verfasst. Dieses Magazin hat sich die "Verteidigung des Propheten Muhammad" zur Aufgabe gemacht und will - wie der Name sagt - Muslime zu Anschlägen gegen die Feinde des Islam "inspirieren". Es werden Themen rund um den kämpferischen Jihad behandelt. So finden sich in 'Inspire'-Magazinen regelmäßig Bombenbauanleitungen und Tipps für ausreisewillige Jihadisten. Nach dem fehlgeschlagenen Bombenattentat auf dem Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 war in den Medien eine Bombenbauanleitung mit dem Titel "Make a bomb in the kitchen of your Mom" aus der ersten Ausgabe des 'Inspire'-Magazins thematisiert und Vergleiche mit der vermeintlichen Bauweise des aufgefundenen Sprengsatzes angestellt worden. Unabhängig davon, ob sich der oder die Bombenbauer von Bonn beim Bau der Sprengvorrichtung tatsächlich an der Bauanleitung aus 'Inspire' orientierten, stellen online verfügbare Aufsätze und Handbücher zum Bombenbau eine erhebliche Gefahr dar, da sie ein entsprechend radikalisiertes Personenpotenzial inspirieren und motivieren können und sich vielfach auch als konkrete Handlungsvorlage eignen. Jihadistische Online-Magazine hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Themen mit Deutschlandbezügen aufgegriffen, dabei stets unter Hinweis auf das angeblich anti-islamische Wirken der deutschen Politik und die "unrechtmäßige" Präsenz deutscher Truppen in Afghanistan. Noch 2011 erhoben die Taliban in mehreren Ausgaben ihres Online-Magazins 'Assomood' schwere Vorwürfe gegen die Bundeswehr in Afghanistan und bezichtigten sie der willkürlichen Tötung unschuldiger Zivilisten. In diesem Zusammenhang belegten die Taliban Deutschland erstmals mit Nazi-Attributen und sprachen davon, dass die mörderische Gewalt gegen Zivilisten die "wahre Natur" der deutschen Militärpräsenz offenbart habe. 2012 wiesen Beiträge in jihadistischen Online-Magazinen überwiegend indirekte Deutschland-Bezüge auf, insbesondere wenn "der Westen", die NATO oder Europa generell in der Kritik stand. 218 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Jihadistische Medienstellen - Die Rolle der 'Globalen Islamischen Medienfront' (GIMF) Dafür, dass jihadistische Propaganda in großem Stil und auf technisch hohem Niveau hergestellt und im Internet verbreitet wird, sorgen weltweit agierende Medienproduktionsstellen. Immer mehr jihadistische Organisationen und Gruppierungen nennen bestimmte Medienproduktionseinheiten ihr Eigen oder nehmen deren Dienste zur Herstellung von Audio-, Videound Textveröffentlichungen in Anspruch. Wiederum andere Medienstellen haben sich auf den Vertrieb jihadistischer Propaganda spezialisiert. Sie sorgen dafür, dass entsprechendes Material auf einschlägigen Internetforen verbreitet wird. Eine besondere Rolle bei der Verbreitung von jihadistischen Drohbotschaften gegen Deutschland spielt die für die IBU publizierende 'Jund Allah'. Diese hat sich die Unterstützung des "medialen Jihad" auf ihre Fahnen geschrieben. Vielfach kompensieren jihadistische Medienstellen jedoch auch Imageverluste, die terroristische Gruppierungen in Kampfgebieten erleiden. Häufig sollen gesteigerte Aktivitäten im Netz über Popularitätseinbußen bei der Bevölkerung hinwegtäuschen. Innerhalb der deutschsprachigen jihadistischen Szene ist der deutsche Ableger der Medienstelle 'Globale Islamische Medienfront' (GIMF) von besonderer Bedeutung. Die deutsche Sektion der GIMF stellt ihre Veröffentlichungen seit Juni 2012 unter anderem in führenden arabischsprachigen jihadistischen Internetforen ein. Bei den Publikationen der deutschsprachigen GIMF handelt es sich sowohl um Übersetzungen arabischsprachiger jihadistischer Propaganda ins Deutsche als auch um neue, selbst hergestellte Propaganda-Produkte. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurde die überwiegende Zahl maßgeblicher, gegen Deutschland gerichteter Terror-Drohungen in deutscher Sprache unter dem Label der Globalen Islamischen Medienfront veröffentlicht. Eine zentrale Rolle dabei spielten Audios und Videos des radikalen Solinger Salafisten und Ex-Rappers Dennis C., der auch nach seiner Ausreise nach Ägypten Mitte 2012 mit Morddrohungen gegen "Ungläubige" sowie anderen Droh-Botschaften im Internet in Erscheinung trat. Dass GIMF-Veröffentlichungen häufig auch mit dem Logo des im Juni 2012 verbotenen Solinger Vereins 'Millatu Ibrahim' versehen im Internet veröffentlicht wurden, ist einer von mehreren Hinweisen darauf, dass ehemalige Akteure des 'Millatu Ibrahim'-Netzwerkes bei der deutschen GIMF-Sektion die Fäden ziehen. Die zentrale Führungsfigur von 'Millatu Ibrahim' hatte seinerzeit die damalige deutschsprachigen GIMF in Österreich betrieben, bevor sie wegen TerrorismusUnterstützung von einem österreichischen Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. islAmismus 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Selbstinszenierung und psychologische Kriegsführung Terroristen nutzen das Internet auch, um in den eigenen Reihen und beim "Feind" den Eindruck weltweiter Handlungsfähigkeit und ungebrochener Schlagkraft zu erwecken. Fotos und Videos von Kampfhandlungen und Bombenanschlägen sollen die Anhängerschaft in der Überzeugung bestärken, als Teil einer siegreichen Gemeinschaft für eine edle Sache zu kämpfen. Auch eines der letzten im Jahre 2012 bekannt gewordenen Terror-Videos des besagten Ex-Rappers und Jihad-Salafisten zeigte eindrucksvoll, dass das Internet von jihadistischen Akteuren auch dazu genutzt wird, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Bei dem von der 'Globalen Islamischen Medienfront' (GIMF) produzierten Video handelte es sich um eine Lobeshymne auf den Salafisten, der bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und Anhängern von 'pro NRW' in Bonn im Mai 2012 zwei Polizisten mit einem Messer verletzt hatte. In dem Video lobte der Sprecher den Angreifer dafür, dass er die Ehre des Propheten angeblich beschützen und verteidigen wollte. Er legte seinen Glaubensbrüdern nahe, Deutsche gefangen zu nehmen, um Rache zu üben: "Jeder Beleidiger des Gesandten wird geschlachtet, ob fern oder nah. Und wisse oh Bruder, die Deutschen sind auch zum Greifen nah. Wir werden sie gefangen nehmen, bis du frei bist, für deine edle Tat." In der deutschen Öffentlichkeit verfehlte das Video seine Wirkung nicht. Unmittelbar nach seinem Erscheinen auf einem jihadistischen Blog sorgte es für Presseschlagzeilen. Die Medien titelten "Aufruf zu Geiselnahmen an Deutschen" und obwohl es keinerlei Hinweise auf geplante Entführungen von Deutschen gab, entstand auf diese Weise der Eindruck einer konkreten, unmittelbaren Bedrohung. Das Beispiel zeigt, dass sich das Internet, vom Standpunkt jihadistischer Akteure aus, sehr gut zur psychologischen Kriegsführung eignet. Auch ausländische Terrorgruppen nutzen das Internet auf diese Weise. Sie verbreiten online Videos, die in erster Linie dem Ziel dienen, ihre Gegner in Angst und Schrecken zu versetzen und sie zu verunsichern. So führten Mitglieder unterschiedlicher jihadistischer Gruppierungen auch 2012 wieder Geiseln im Internet vor, um Forderungen an die Regierungen der jeweiligen Heimatländer zu stellen. Mit der Zurschaustellung von Gefangenen verfolgen jihadistische Gruppierungen mehrere Ziele. Zum einen soll der Handlungsdruck auf die Gegner erhöht werden. Dies gilt insbesondere 220 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 für die Folterung und Tötung von Gefangenen und Entführungsopfern vor laufender Kamera und die anschließende Zurschaustellung im Netz. Durch die Betrachtung der Gewalthandlungen soll sich beim Gegenüber ein Gefühl der Bedrohung einstellen. Er soll sich schutzlos und unterlegen fühlen, Vertrauen in seine Umgebung verlieren und die Handlungsfähigkeit seiner Regierung in Zweifel ziehen. Anschlagsund Bekennervideos, Fotos von Verletzten und Getöteten, auf denen grausamste Details in Großaufnahme zu sehen waren, kursierten auch 2012 wieder massenhaft im Netz. Zunehmende Professionalisierung Die jihadistische Internet-Szene ist diffus und unübersichtlich. Dies liegt vor allem daran, dass Akteure und Sympathisanten des internationalen Terrorismus regen Gebrauch von den technischen Möglichkeiten des Internets machen. Beim Ideologietransfer via Netz arbeiten Akteure und Sympathisanten des internationalen Terrorismus eng zusammen. Terroristische Gruppen propagieren und rekrutieren entweder auf ihren eigenen Websites oder nutzen dazu fremde jihadistische Seiten. Dort stellen sie zum Beispiel Propagandamaterial von 'al-Qaida' ein oder richten Links zu deren Seiten ein. Der Informationsfluss wird aber zu einem erheblichen Teil von InternetNutzern in Gang gehalten, die selbst keiner bestimmten Gruppe angehören. Häufig verteilen sie Propaganda-Material gleichzeitig sowohl auf ihren eigenen Webseiten, als auch in Blogs und sozialen Online-Netzwerken und Videoportalen, auf denen sie nicht selten mehrere Profile bzw. Kanäle gleichzeitig betreiben. Das Internet dient diesen Nutzern als Fundgrube an jihadistischen Textdokumenten, Audios und Videos. Insbesondere die Verlautbarungen charismatischer jihadistischer Führungspersonen werden von gleichgesinnten Nutzern bearbeitet. Sie schneiden Videos aus Versatzstücken zusammen, ergänzen sie mit teils selbst erstelltem Material und publizieren im Anschluss daran ein Produkt, das den Eindruck erweckt, es sei von jihadistischen "Größen" autorisiert worden. 2012 war im Internet wie schon in den Vorjahren eine rege Übersetzertätigkeit fremdsprachlichen Propagandamaterials ins Deutsche festzustellen. Es wurden nicht nur Textdokumente ins Deutsche übersetzt sondern auch Videos und Audios synchronisiert bzw. mit deutschen Untertiteln versehen. Auch die grafische Aufbereitung von Videomaterial hat vielfach ein hohes Maß an Professionalität erreicht. islAmismus 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Sicherheitsvorkehrungen durch jihadistisch motivierte Internet-Nutzer Ebenso machte sich bei den Sicherheitsvorkehrungen, die islamistische Extremisten im Internet treffen, eine zunehmende Professionalisierung bemerkbar. Im jihadistischen Bereich sind Internetseiten in der Regel nur für einen begrenzten Zeitraum unter ein und derselben Adresse abrufbar. Der häufige Wechsel von Website-Adressen dient vor allem dazu, Spuren im Netz zu verwischen. Bestimmte Webseiten sollen einem Kreis von Insidern vorbehalten bleiben. Solche versteckten Webseiten (Blackboards) können nur durch Kenntnis des konkreten Namens, nicht aber von Suchmaschinen gefunden werden. Eine andere Möglichkeit ist es, den Zugriff auf bestimmte Seiten einzuschränken, beispielsweise durch Kennungen und Passwörter. Darüber hinaus werden alle Möglichkeiten der Verschlüsselung und Kryptografie angewendet, um einschlägige Inhalte unerkannt ins Internet zu stellen. Mittels spezieller Programme können Informationen zum Beispiel in Bildund Musikdateien versteckt werden. Die entsprechende Software kann aus dem Internet heruntergeladen werden. Dass Jihadisten in diesem Bereich häufig einen großen Einfallsreichtum zeigen und bemüht sind, ihr Wissen an Gleichgesinnte weiterzugeben, zeigt der Fall eines mittlerweile 21-jährigen Konvertiten aus Schleswig-Holstein. Gegen ihn hat die Bundesanwaltschaft Ende 2011 wegen Unterstützung zweier ausländischer Terrororganisationen Anklage erhoben. Der Beschuldigte hatte auf seiner Internetseite "Islamic Hacker Union" Anleitungen zum Bombenbau sowie Terrorvideos verbreitet. Auf seiner Webseite beschäftigte er sich darüber hinaus mit Fragen der Verschlüsselung sowie anderen Themen rund um das klandestine Verhalten von Jihadisten im Internet. Der junge Mann wurde 2012 wegen jihadistischer Internet-Propaganda zu über drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Kommunikation in Internetforen und sozialen Netzwerken Internetforen spielen als Medien für den weltweiten Jihad eine herausragende Rolle. Sie werden genutzt, um Propaganda zu verbreiten und verdeckt zu kommunizieren. Die teils passwortgeschützten mehrsprachigen jihadistischen Foren bieten nicht nur die Möglichkeit der Kommunikation in offenen oder geschlossenen Bereichen, sie versorgen ihre Nutzer auch mit aktuellen Informationen und Nachrichten aus der terroristischen Szene und stellen Videound Audiomaterial zum Download bereit. Trotz der wachsenden Bedeutung sozialer Netzwerke haben Internetforen als Kommunikationsplattformen bei jihadistischen Aktivisten einen hohen Stellenwert. Sie ermöglichen den Austausch mit Gleichgesinnten in einem relativ sicheren und nach 222 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 außen abgeschirmten Umfeld. Die Zahl jihadistisch geprägter Internetforen geht in die Hunderte mit steigender Tendenz. Trotz der Vielzahl von Foren spielen innerhalb der gewaltbereiten Islamisten-Szene nur einige wenige Internetforen eine herausragende Rolle. Meist sind es solche, die auch von 'al-Qaida' und ihrer Medienstelle 'As-Sahab' zur Verbreitung von Propaganda genutzt werden. Zu den populärsten arabischsprachigen jihadistischen Foren auch in Deutschland zählten 2012 "Shumukh al-Islam" und "al-Fidaa". Neben 'As-Sahab' steuerte auch das "al-Fajr"-Medienzentrum, eine weitere Medienstelle, die Propaganda unterschiedlicher jihadistischer Organisationen im Internet verbreitet, seine Produktionen auf diese Plattformen. Auch 2012 gab es wie in den Vorjahren sehr kurze bis hin zu monatelangen Phasen, in denen maßgebliche Jihad-Foren nicht online waren. In solchen Fällen wichen jihadistische Internet-Foren häufig kurzfristig auf kleinere, unbedeutendere Foren aus, um Propaganda und Kommunikation in Gang zu halten. Auch im deutschsprachigen Bereich findet der Kommunikationsaustausch jihadistisch gesinnter Einzelpersonen zum Teil in einschlägigen Internetforen statt. Die Zahl maßgeblicher deutschsprachiger Foren jihadistischer Ausrichtung ist jedoch vergleichsweise gering. Internetnutzer greifen darüber hinaus gerne auf spezielle Chat-Programme zurück, die Kommunikation in geschützten Räumen bieten. Darüber hinaus hat die Kommunikation via Facebook und anderer Sozialer Online-Netzwerke in jihadistischen Kreisen stark zugenommen. Auch Videobörsen wie YouTube mit ihren interaktiven Funktionen und Chat-Möglichkeiten sind für Jihadisten beliebte Kommunikationsplattformen. Die Rolle von Frauen in der Jihad-Propaganda Lange Zeit galt das jihadistische Internet als eine ausschließlich Männern vorbehaltene Szene. Der vor wenigen Jahren einsetzende Trend zu mehr weiblichem Engagement in der jihadistischen Internet-Szene hat sich fortgesetzt. Jihadistisch gesinnte Frauen sind heute in großer Zahl in einschlägigen Foren und Chats aktiv. Sie verbreiten Gewalt verherrlichendes Propagandamaterial, werben für das Übersiedeln in Kampfgebiete und rufen zum Jihad gegen "Ungläubige" auf. Besonders deutlich zeigte das eine deutschsprachige Textbotschaft der IBU, die 2011 in einem jihadistischen Internetforum auftauchte und dem Anschein nach von der Ehefrau eines aus Deutschland stammenden IBU-Mitglieds verfasst worden war. Darin ermutigte die Verfasserin muslimische Frauen mit ihren Familien auszureisen, um ihre Männer in den Jihad-Gebieten aktiv und moralisch zu unterstützen. Sie versuchte die Bedenken muslimischer Frauen gegen eine Umsiedlung in die Kampfgebiete zu zerstreuen und appellierte inständig an das religiöse Gewissen ihrer "Schwestern". islAmismus 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Im Interesse einer vermeintlich islamischen Geschlechtertrennung auch im virtuellen Raum bieten einige jihadistische Internet-Foren sogenannte "Schwestern-Räume" an, in denen sich gleichgesinnte Frauen über den Jihad und andere Themen austauschen können. Der Trend zur Trennung von Männern und Frauen im islamistischen Internet zeigt sich auch in den sozialen Netzwerken. Immer mehr Frauen, sei es im salafistischen oder auch jihadistischen Bereich, schotten ihr Internet-Profil bzw. ihren Kanal vom anderen Geschlecht ab, meist mit dem Hinweis darauf, dass es "haram", also religiös verboten sei, andersgeschlechtliche Freundschaften einzugehen, und seien sie auch nur virtuell. Frauen ihrerseits werden in der Propaganda von Jihadisten bevorzugt als wehrlose Opfer der Erniedrigung durch die "Ungläubigen" dargestellt. Dieser Trend hat sich 2012 nochmals verfestigt. Bereits 2011 hatten Internet-Veröffentlichungen zu den Haftbedingungen der deutschen Muslima Filiz G., die 2010 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden war, in der jihadistischen InternetCommunity für Empörung gesorgt. In einer der Erklärungen mit dem Titel "Ein ehrliches Wort und eine vernichtende Botschaft - Das Leiden der standhaften Schwester Umm Saifullah Al-Ansaria durch die deutschen Kreuzzügler" wurde die Behauptung aufgestellt, die Gefangene werde in der Haft gedemütigt und gefoltert. Die Propaganda verfehlte ihre Wirkung nicht. Viele User der einschlägigen Internetforen, auf denen der Beitrag veröffentlicht worden war, schworen Rache an den Deutschen. In einem Fall forderte der Nutzer eines jihadistischen Forums andere User sogar auf, eine Liste mit Namen prominenter Persönlichkeiten in Deutschland zu erstellen, um diese zu "schlachten" - ein Beispiel für das enorme Radikalisierungspotenzial islamistischer Propaganda. Auch 2012 spielte die Inhaftierung der oben erwähnten Jihad-Aktivistin in der deutschsprachigen Jihad-Propaganda wieder eine Rolle. Ihr Schicksal wurde von InternetPropagandisten in zahlreichen Veröffentlichungen als Beispiel für die angebliche Verfolgung und Demütigung von Muslimen durch die "Ungläubigen" herangezogen. Vor allem die vermeintlich schlechten Haftbedingungen der Muslima wurden im Internet thematisiert. Dabei avancierte die Forderung nach ihrer sofortigen Freilassung zu einem Thema, das im Internet kampagnenartig vorangetrieben wurde. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markierte eine Drohbotschaft, die auf einem der bedeutendsten arabischsprachigen jihadistischen Internet-Foren veröffentlicht wurde und sich direkt an die deutsche Bundeskanzlerin richtete. Darin forderte der unbekannte Verfasser Frau Merkel auf, die Gefangene unverzüglich aus deutscher Haft zu entlassen. Anderenfalls müsse die Bevölkerung mit Anschlägen "im Herzen Berlins" rechnen. 224 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Instrumentalisierung von Kindern Wie im Vorjahr benutzten jihadistische Gruppierungen auch 2012 wieder Kinder für ihre Jihad-Propaganda. So sollten beispielsweise ins Internet gestellte Fotos von verwundeten oder getöteten Kindern die angeblichen Gräueltaten der "Ungläubigen" an den Muslimen dokumentieren. Zu diesem Zweck wurden grausame Fotos verletzter oder missgebildeter Kinder in großer Zahl in Umlauf gebracht. Von solchen Darstellungen versprechen sich Jihadisten eine stark emotionalisierende Wirkung. Einige Terrororganisationen warben für ihre Ziele mit Videos und Fotos von bewaffneten Kindern beim Kampftraining. Paradoxerweise versuchen sich jihadistische Gruppierungen in ihren Internet-Veröffentlichungen einen betont kinderfreundlichen Anstrich zu geBild eines bewaffneten Kindes vor der Flagge ben. So werden in Videos verschiedener einer irakischen Terrororganisation im Terrorgruppen immer wieder auch Kinder Internet eingeblendet, die den Jihad preisen oder sich an Waffen probieren. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese zynische Methode der Jihad-Werbung ist ein Video der usbekischen Terrororganisation IBU, das seit einigen Jahren im Netz kursiert. Darin wirbt ein von Kindern umringter Jihadist dafür, mit Frauen und Kindern zu ihm ins Kampfgebiet zu ziehen, da sein Aufenthaltsort sehr "familienfreundlich" sei. In einem anderen Propagandavideo wird der Aufenthalt im Kampfgebiet von einem deutschsprachigen Protagonisten der IBU gar als "Urlaub" bezeichnet. Dazu wird dieser in entspannter Stimmung lachend an einem Wasserfall gezeigt. Auch das im Zusammenhang mit der Ausreise-Propaganda der IBU thematisierte Video, das 2012 im Netz auftauchte, eignet sich als Beispiel für die Instrumentalisierung von Kindern zum Zwecke der Jihad-Propaganda. Das Video zeigt die Lebensumstände der Mujahidin in den Kampfgebieten und soll den Beweis dafür liefern, dass islAmismus 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 sie dort mit Frauen und Kindern ein zufriedenes, abwechslungsreiches Leben führen. Die Kamera zeigt immer wieder auch Kinder, die im Kreise der Mujahidin an Gemeinschaftsspielen teilnehmen und sich scheinbar wohl im Kreise martialisch anmutender, bewaffneter Männer fühlen. Offenbar versuchen Terror-Organisationen wie die IBU anhand solcher Videos Anreize für die Ausreise in Kampfgebiete zu schaffen und damit gezielt jene anzusprechen, die sich aus Sorge um die Zukunft ihrer Familie in den Kampfgebieten bisher nicht zu diesem Schritt entschlossen haben. Gefahr der Selbst-Radikalisierung durch das Internet Durch die Nutzung des Internets können sich Radikalisierungsprozesse beschleunigen und kaum vorhersehbar entwickeln. Eine besondere Gefahr der beschriebenen Propaganda-Aktivitäten ist, dass sie auch auf Einzelpersonen ohne jihadistische Anbindung fanatisierend wirken können. Die Bereitschaft, Anschläge durchzuführen, setzt nicht immer eine gezielte Rekrutierung voraus. Sie kann auch die Folge einer intensiven und einseitigen Beschäftigung mit radikal-islamistischer Propaganda sein, die allein das Internet massenhaft bietet. Die Zahl jihadistischer Propagandaseiten geht in die Tausende und auch die Vernetzung der User von Internetforen und Videokanälen nimmt ständig zu. Gleichzeitig wächst die Gemeinde von Internetnutzern weltweit kontinuierlich, so dass sich künftig nicht nur die jihadistische Propaganda im Netz vervielfachen, sondern auch der Empfängerkreis wachsen wird. Die Verinnerlichung von Internet-Propaganda kann zu einer Selbst-Radikalisierung insbesondere junger Menschen führen. Seit Jahren warnt der Verfassungsschutz vor dem Phänomen des "self-made-Terroristen", der sich durch die Beschäftigung mit Jihad-Propaganda selbst radikalisiert und schließlich selbstständig einen Anschlag plant und durchführt. 2011 ist dieses Szenario in Deutschland erstmals Wirklichkeit geworden. Am 2. März 2011 überfiel ein 22 Jahre alter Mann kosovo-albanischer Abstammung am Frankfurter Flughafen einen US-Militärbus und erschoss zwei Soldaten. Zwei weitere Soldaten verletzte er bei dem Angriff schwer. Der Täter hatte sich in den Wochen vor der Tat mit salafistischer und jihadistischer Internetpropaganda beschäftigt. Nach seinen eigenen Aussagen entschloss er sich nach dem Konsum eines Internetvideos, das Gewalt von US-Amerikanern an Muslimen zeigte, spontan zu der Tat. Er hatte den Film für eine Dokumentation gehalten. Später gab er "Hass auf Amerikaner" als Tatmotiv an. Schon Jahre zuvor war die Selbst-Radikalisierung durch das Internet in Deutschland zu einer realen Bedrohung geworden. So sollen die beiden jungen Männer, die für die 226 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 fehlgeschlagenen Kofferbomben-Attentate in Nordrhein-Westfalen im Juli 2006 verantwortlich sind, gezielt Informationen zum kämpferischen Jihad im Netz gesucht und schließlich auch die Bomben nach einer Anleitung aus dem Internet zusammengebaut haben. Eine solche Radikalisierung vollzieht sich sicherlich nicht allein durch die Betrachtung jihadistischer Internet-Propaganda. Einige andere Einflussfaktoren, etwa soziologische wie Erziehung, Bildung oder Grad der Integration dürften eine wichtige Rolle spielen. Festzuhalten bleibt aber die enorme Sogwirkung jihadistischer Propaganda, die sich in jüngster Zeit ganz bewusst an ein jugendliches Publikum richtet. Akteure des internationalen Jihadismus arbeiten gezielt daran, junge Menschen für den kämpferischen Jihad zu gewinnen. In einer Reihe von Videobotschaften forderten sie auch 2012 wieder junge Muslime in unterschiedlichen Sprachen dazu auf, den gewaltsamen Jihad zu unterstützen. Dabei wurde zum Teil auch gezielt darauf hingewirkt, moralische Bedenken und Zweifel potenzieller Jihadisten zu zerstreuen. Ins Auge fielen auch im Jahr 2012 wieder zahlreiche Veröffentlichungen terroristischer Gruppierungen, die im Kampf gefallene "Märtyrer" zu Helden und Vorbildern der Jugend stilisierten. Ein besonders makabres Beispiel für die Verleitung junger Menschen zu Terror-Akten war ein Video der IBU mit dem Titel "Der Ritter von Toulouse", das im April 2012 im Internet erschien. Darin pries einer der deutschsprachigen Propagandisten der IBU das Attentat des M. Merah, der im März 2012 vor einer Schule in Toulouse/Frankreich drei Kinder und einen Lehrer erschossen hatte. Der Sprecher glorifizierte den Attentäter als "Helden" und stilisierte ihn zum Vorbild für die Muslime. Auch in deutschsprachigen jihadistischen Internet-Botschaften wurden Jugendliche in bislang unbekannter Häufigkeit und Aggressivität zum gewaltsamen Jihad aufgefordert. Ein Netzwerk von Jihad-Salafisten rief teils von Deutschland, teils vom Ausland aus junge Muslime dazu auf, entweder den Jihad in Deutschland zu führen oder zum Zwecke des gewaltsamen Glaubenskampfes in Jihad-Gebiete auszuwandern. 5.1.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) Hintergrund Im Jahr 1998 wurde die 'Islamische Bewegung Usbekistans' ('Islamic Movement of Uzbekistan') gegründet. Sie verfolgt das Ziel, in Usbekistan einen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia zu errichten und bekämpft auch mit terroristischen Mitteln islAmismus 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 das Regime des usbekischen Präsidenten Karimov. Seit einigen Jahren ist die IBU hauptsächlich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aktiv und beteiligt sich dort am Kampf gegen die ISAF-Truppen und die Sicherheitskräfte der afghanischen Regierung. Dabei unterhält sie enge Kontakte zu 'al-Qaida' und den Taliban. Situation in Deutschland Etwa seit Beginn des Jahres 2009 bemüht sich die IBU verstärkt, junge Muslime aus Deutschland zu werben, indem sie im Internet deutschsprachige Videos veröffentlicht. Als Sprecher treten darin regelmäßig die Brüder Yassin und Monir C. auf, die in Nordrhein-Westfalen geboren und aufgewachsen sind. Unter Hinweis auf eine vermeintlich bestehende religiöse Verpflichtung fordern die beiden Brüder deutschsprachige Muslime dazu auf, ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet zu reisen, um sich dort auf Seiten der IBU am Jihad in Afghanistan zu beteiligen. Zwar folgten diesem Aufruf seit 2009 auch einige Personen aus Deutschland, aber nicht allen gelang die Einreise ins Kampfgebiet. Mehrere wurden vorher beispielsweise durch pakistanische Sicherheitskräfte aufgegriffen und an der Fortsetzung ihrer Reise mit dem Ziel eines Anschlusses an die IBU gehindert. Von denjenigen, die ihr Zielgebiet erreicht haben, sind bereits mehrere bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen. 5.1.4 Islamische Jihad Union (IJU) Die 'Islamische Jihad Union' (IJU) spaltete sich 2002 von der IBU ab. Ihre Aktivitäten orientieren sich am international ausgerichteten, globalen Jihad im Sinne von 'al-Qaida', zu der sie ebenso enge Kontakte pflegt wie zu den afghanischen Taliban. Dennoch versteht sich die IJU als eine eigenständige Organisation, die Ausbildungsund Trainingslager im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet Waziristan unterhält. Situation in Deutschland Ihre Mitglieder rekrutiert die IJU sowohl aus den zentralasiatischen Staaten und dem Kaukasus als auch aus der Türkei und Deutschland. Insbesondere in Deutschland lebende türkischstämmige Personen sowie deutsche Konvertiten gehören zur Zielgruppe der Organisation. Neue Mitglieder versucht die Organisation durch Textund Videobotschaften im Internet anzuwerben, die teilweise in türkischer, aber auch in deutscher Sprache verfasst sind. 228 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Am 4. März 2010 wurden die vier Mitglieder der sogenannten Sauerlandgruppe zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Im Auftrag der IJU, der sich drei der vier Verurteilten angeschlossen hatten, plante die Gruppe unter Verwendung selbst herzustellender Sprengmittel Anschläge gegen US-amerikanische Einrichtungen beziehungsweise gegen US-Bürger in Deutschland. 5.2 Islamistisch motivierter Terrorismus mit regionaler Ausrichtung 5.2.1 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) Hintergrund Die 'Ansar al-Islam' ('Unterstützer des Islam') ging 2001 aus der 'Jund al-Islam' ('Armee des Islam') hervor. 'Ansar al-Islam' ist eine ursprünglich nur im Nordosten des Irak aktive kurdisch-islamische Organisation, in der sich eine Reihe kurdischer Splittergruppen zusammen fand. Die Anhänger streben die Errichtung eines islam(ist)ischen Staates vorrangig im Nordirak Logo AL-ANSAR (Medienorganian und kämpften zunächst gegen die dortigen einsation der Ansar al-Islam) flussreichen säkularen Parteien. Im Dezember 2001 übernahm der im norwegischen Exil lebende Mullah Krekar die Führung der Gruppierung. Mittlerweile ist Krekar in seiner Führungsposition von Abdullah al-Shafi abgelöst worden. Die 'Ansar al-Islam' zeichnet im Irak für eine Vielzahl schwerster Terrorakte und Selbstmordanschläge verantwortlich. Ideologie 'Ansar al-Islam' zielt darauf ab, ein islamistisches Kurdistan zu schaffen, das auf einem radikalen Islam nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan beruht. Die Gruppierung versucht, den in ihrem Machtbereich lebenden Menschen den Kontakt zu säkularen Parteien zu verbieten und verleiht ihren Forderungen mit brutalen Gewaltaktionen gegen Andersdenkende Nachdruck. Seit längerer Zeit sieht sich die 'Ansar al-Islam' als Teil des sunnitisch-terroristischen Widerstandes im Irak. Ihr ursprüngliches Ziel, die Errichtung eines eigenen kurdischislami(sti)schen Staates im Nordirak, geriet vorerst in den Hintergrund. Stattdessen islAmismus 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 passte sie sich weitgehend den Zielsetzungen des übrigen Widerstandes an, dessen terroristische Bestrebungen sich primär auf die gewaltsame Vertreibung der Koalitionstruppen aus dem Irak sowie die gewaltsame Beseitigung des irakischen Staates und seiner neugeschaffenen Institutionen erstreckten. Es gibt konkrete Hinweise darauf, dass 'Ansar al-Islam' über Verbindungen zum Terrornetzwerk 'al-Qaida' verfügt. Auch bei der 'Ansar al-Islam' ist eine verstärkte Kommunikation im Internet festzustellen. Situation in Deutschland In Deutschland halten sich etwa 130 Aktivisten überwiegend in Süddeutschland auf. Allerdings konnten vermehrt Umzüge in andere Bundesländer, auch nach NordrheinWestfalen, festgestellt werden. Die Anhänger in Deutschland fungieren weitgehend als logistische Unterstützer für die Kerngruppe im Irak. Sollte sich die Ansar al-Islam zukünftig einer globalisierten Jihad-Agenda zuwenden, könnte von diesen Anhängern auch eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland ausgehen. 5.2.2 Nordkaukasische Separatisten-Bewegung - NKSB (vormals: Tschetschenische Republik Ichkeriya /Tschetschenische Separatistenbewegung) Mit dem Zerfall der UdSSR 1991 und im Zuge der Unabhängigkeit der südkaukasischen Staaten Armenien, Aserbeidschan und Georgien entstand auch im nördlichen Kaukasus, vor allem in Tschetschenien, eine separatistische Bewegung mit dem Ziel einer Loslösung von Russland - die 'Tschetschenische Republik Ichkeriya' (CRI)/'Tschetschenische Separatistenbewegung' (TSB). Nach dem ersten Tschetschenien-Krieg (1994 bis1996), der zwar keine nominelle, aber doch eine de facto Anerkennung der tschetschenischen Selbstverwaltung durch Russland zur Folge hatte, radikalisierten sich die islamistischen Kräfte innerhalb der Separatistenbewegung. Angriffe dieser radikal-islamistischen Kräfte gegen die russische Provinz Daghestan 1999 unter der Führung von Schamil Bassajew führten zum zweiten TschetschenienKrieg, der mit der Besetzung durch russische Truppen und der Einsetzung einer Moskau freundlichen tschetschenischen Regierung endete (2000). Danach ging der Konflikt über in einen Guerillakrieg, bei dem auch Terroraktionen außerhalb Tschetscheniens, wie die Geiselnahmen 2002 im Dubrowka-Theater in Moskau mit über 130 Toten und 2004 in einer Schule in Beslan mit über 330 Toten, verübt wurden. Von dem 2007 ausgerufenen "Kaukasischen Emirat" unter der Führung von Doku Umarow 230 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 spaltete sich der eher säkular orientierte Flügel der Separatisten ab. Der Guerillakrieg in Tschetschenien wird heute mit vergleichsweise geringer Intensität weitergeführt. Ziel des "Kaukasischen Emirats" ist es, die russische Armee mit Gewalt zum Rückzug aus Tschetschenien zu zwingen und im nördlichen Kaukasus einen islamischen Staat zu errichten. Aktivitäten der NKSB in Deutschland Die Unterstützungsaktivitäten für das "Kaukasische Emirat" bestehen vorrangig in der Propaganda für die Bewegung, Spendensammlungen und sonstiger logistischer Hilfe. In Nordrhein-Westfalen verfügt der NKSB nicht über bedeutende Strukturen, aber einzelne und zum Teil herausragende Personen des NKSB sind hier für die Organisation in überregionalen Zusammenhängen aktiv. 5.2.3 HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) Mitglieder Bund NRW 2012 300 70 2011 300 70 Internet Englischsprachige Homepage Hintergrund und Ziele Die sunnitische HAMAS ('Bewegung des islamischen Widerstandes') hat sich aus dem palästinensischen Teil der 'Muslimbruderschaft' entwickelt und wurde erstmals öffentlich mit Beginn der ersten Intifada im Jahr 1987 aktiv. Die HAMAS ist neben der 'Fatah' eine der politisch stärksten und einflussreichsten Organisationen unter den Palästinensern. Der Gaza-Streifen wird von ihr politisch und militärisch weitgehend kontrolliert. Als Teil der 'MusLogo der HAMAS limbruderschaft' und einflussreiche Kraft unter den Palästinensern ist die HAMAS mit ihren Strukturen in NordrheinWestfalen als bedeutende Gruppierung anzusehen. islAmismus 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Das erste Ziel der HAMAS ist die "Befreiung" gesamt Palästinas und damit die Vernichtung Israels, dessen Existenzrecht nicht anerkannt wird, auch wenn moderate HAMAS-Politiker dies unter bestimmten Bedingungen hin und wieder in Aussicht stellten. Die HAMAS ist eine terroristische Organisation, verfügt aber neben ihrem paramilitärischen Arm, den 'Izzedin Al-Qassam-Brigaden', auch über eine Partei und ein soziales Hilfswerk. Sie ist für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Gebiet verantwortlich. Die Feindschaft gegenüber Israel wird begleitet von einem virulenten Antisemitismus, der auch in der Charta der HAMAS deutlich zum Ausdruck kommt. Als zweites Ziel verfolgt die HAMAS die Errichtung eines "islamischen Staates", gestützt auf die Ideologie der 'Muslimbruderschaft'. Sie ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von Organisationen, die die 'Muslimbruderschaft' repräsentieren oder ihr nahe stehen. Die HAMAS verfügt über zahlreiche Unterorganisationen, die propagandistische oder logistische Aufgaben erfüllen. Hierzu zählen insbesondere auch Spendensammlungen oder Finanztransaktionen. Die HAMAS lehnt den Alleinvertretungsanspruch der 1964 gegründeten PLO (Palestine Liberation Organisation), einer Vereinigung mehrerer national-palästinensischer Fraktionen, für das palästinensische Volk ab und boykottierte zunächst alle zwischen Israel und der PLO geschlossenen Verträge. Der Konflikt zwischen der 'Fatah'-Partei, der weitaus größten Fraktion innerhalb der PLO, und der HAMAS, der Ende 2006 zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen geführt hatte, mündete in eine politische und territoriale Spaltung der Palästinenser in das von der 'Fatah' regierte Westjordanland und den durch die HAMAS kontrollierten Gazastreifen. Diese Entwicklung gefährdet auch zukünftig die internationalen Bemühungen um eine Entspannung des seit Jahrzehnten bestehenden Nahost-Konfliktes. Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2007 etablierte die HAMAS im Gazastreifen zielgerichtet ein von einer islamistischen Auslegung geprägtes Rechtssystem. Die extremistische ideologische Ausrichtung der HAMAS bestimmt dort inzwischen alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Die aktuelle Situation Für die Anhänger der HAMAS in Nordrhein-Westfalen sind die Ereignisse in Palästina emotional von größter Bedeutung. Aufgrund dessen stehen die Aktivitäten von HAMAS-Anhängern hier in einem direkten Verhältnis zu den Ereignissen in Palästina. 232 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Nach erneutem Raketenbeschuss Süd-Israels aus dem von der HAMAS regierten Gazastreifen wurde am 14. November 2012 bei einem gezielten israelischen Luftangriff der operative Leiter des militärischen Arms der HAMAS ('Izzedin Al-Qassam-Brigaden') getötet. Dies führte in der Folge zu einer erneuten Eskalation des Gaza-Konflikts. Am 21. November 2012 wurde zwischen der HAMAS und Israel ein vorläufiger Waffenstillstand vereinbart, der in der Folgezeit eingehalten und von den HAMASAnhängern in der Bundesrepublik Deutschland als Sieg gefeiert wurde. Nach dem 14. November wurden auch in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Demonstrationen und Mahnwachen angemeldet. Die jeweiligen Anmelder stammten sowohl aus dem Lager der HAMAS-Anhänger, als auch aus dem Personenspektrum der Anhänger säkularer Palästinenserorganisationen, wobei teilweise ein gemeinsames Vorgehen der genannten Gruppierungen zu erkennen war. Die in Nordrhein-Westfalen zum Teil mit mehreren Hundert Teilnehmern durchgeführten Demonstrationen verliefen friedlich. Dies ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass zwischenzeitlich das zuvor erwähnte Waffenstillstandsabkommen geschlossen worden war. Dies führte in einigen Fällen sogar zur Absage von angemeldeten Veranstaltungen; bei den durchgeführten Demonstrationen blieb die Zahl der Teilnehmer zumindest teilweise unter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Für die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, ob das geschlossene Waffenstillstandsabkommen von Dauer ist. Inwieweit die Aufwertung Palästinas zum Beobachterstaat durch die Vereinten Nationen die Situation vor Ort beeinflussen wird, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden. Im Zuge der seit 2011 anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen in Syrien zwischen dem Assad-Regime einerseits und verschiedenen nationalen und islamistischen Kräften - darunter die syrische 'Muslimbruderschaft' - andererseits, distanzierte sich die HAMAS im September 2012 vom Assad-Regime, ihrem langjährigen Verbündeten. In der Folge wurden alle Vertretungen der HAMAS vom syrischen Regime geschlossen, einige Funktionäre, die nicht geflohen waren, wurden verhaftet und zwischenzeitlich exekutiert - wie es hieß. Damit steht die HAMAS im Syrien-Konflikt seit Ende 2012 im Lager der Gegner des Assad-Regimes, somit auch Irans und der 'Hizb Allah'. islAmismus 233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Situation in Deutschland Maßgebliche HAMAS-Führer haben sich in der Vergangenheit mehrfach gegen Gewaltaktionen außerhalb Israels sowie der besetzten palästinensischen Gebiete ausgesprochen. Von daher ist die Gefahr, dass die HAMAS derartige Aktionen in Deutschland durchführen könnte, als eher gering anzusehen. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier - etwa im Zusammenhang mit möglichen israelischen Militäraktionen - zu spontanen Gewaltaktionen gegen israelische, jüdische oder amerikanische Einrichtungen durch stark emotionalisierte jugendliche Palästinenser kommen kann. Obwohl die von der HAMAS zum Zweck der Spendenakquise gegründeten Vereine 'al-Aqsa e.V.' in Aachen und 'Yatim Kinderhilfe e.V.' in Essen in den Jahren 2002 bzw. 2005 verboten worden waren, betreiben HAMAS nahe Kreise auch weiterhin Propaganda und Spendensammlungen. 5.2.4 Hizb Allah (Partei Gottes) Mitglieder Bund NRW 2012 950 350 2011 950 350 Internet Mehrsprachige Homepage Hintergrund Die paramilitärische schiitische 'Hizb Allah' formierte sich 1982 als Reaktion auf den Einmarsch israelischer Truppen im Libanon. Organisatorisch knüpft sie unmittelbar an die iranische Intervention während des libanesischen Bürgerkriegs an. Auf Grund der umfangreichen finanziellen und logistischen Unterstützung durch den Iran entwickelte sich die 'Hizb Allah' schnell zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten. Bis heute verfügt sie über ein umLogo der Hizb Allah fangreiches Waffenarsenal, das auch schweres Kriegsgerät beinhaltet. Regionale Schwerpunkte finden sich traditionell im Bekaa-Tal, im gesamten südlichen Libanon mit lokalen Alleinherrschaftsstrukturen sowie in den Vororten von Beirut. 234 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Ideologie Bedingt durch den iranischen Einfluss strebte die 'Hizb Allah' in den ersten Jahren die Errichtung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Muster auf libanesischem Boden an. Hiervon hat sich die Organisation später zugunsten einer pragmatischen, auf die Festigung ihres Einflusses bedachten Ausrichtung gelöst. Diesem Ziel ist die 'Hizb Allah' durch ihre mittlerweile gesamtgesellschaftliche und politische Verankerung als Widerstandsbewegung im Libanon deutlich näher gekommen. Im Gegenzug musste sie jedoch Teile ihres extremistischen Forderungskataloges aufgeben. Mit ihrer erfolgreichen Teilnahme an der libanesischen Parlamentswahl gelang es der 'Hizb Allah', die angestrebte Etablierung als von der libanesischen Öffentlichkeit wahrgenommene legalistische Organisation zu verstetigen. Ihre Maximen einer Vernichtung des Staates Israel sowie die Errichtung einer "islamischen Herrschaft" über Jerusalem sind allerdings bis heute unverändert. Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich die 'Hizb Allah' auch der Mittel des Terrors. Seit Jahren ist sie für Anschläge im nördlichen Israel verantwortlich und stellt damit eine unmittelbare Bedrohung für den Staat Israel dar. Bei der 'Hizb Allah' handelt es sich um eine international gut vernetzte terroristische Organisation. Situation in Deutschland Deutschland wird in der strategischen Ausrichtung der 'Hizb Allah' als Rückzugsund Ruheraum begriffen. Auf gewaltsame Aktionen wird in Deutschland daher bislang verzichtet. Die Organisation selbst vermeidet seit den Ereignissen des 11. September 2001 umfangreiche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und grenzt sich bewusst von Ausschreitungen und öffentlichen Aufrufen zur Gewalt anderer islamistischer Gruppierungen ab. Auch intern rufen Funktionäre und schiitische Geistliche ihre Anhänger konsequent zur Befolgung der in Deutschland geltenden Gesetze und Regeln auf. Es soll im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterstützung und Finanzierung terroristischer Aktivitäten keine Angriffsfläche für ein Verbot von der 'Hizb Allah' zuzurechnenden Vereinen und Einrichtungen geboten werden. Bis heute ist es der 'Hizb Allah' in Deutschland nicht gelungen, eine effiziente Organisationsstruktur unter ihren Anhängern aufzubauen. Die Gründe hierfür liegen insbesondere in den auch im Jahr 2012 festgestellten internen Streitigkeiten und persönlichen Rivalitäten. Allerdings sind einzelne Führungsfunktionäre in der Lage, auch kurzfristig ein nennenswertes Aktionspotenzial zu mobilisieren. islAmismus 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Etwa 1.000 'Hizb-Allah'-Anhänger und regimetreue Iraner aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen am 18. August 2012 in Berlin an der dort seit 1996 alljährlich stattfindenden Demonstration zum sogenannten Jerusalem-Tag (Al-Quds-Tag) teil. Die Veranstaltung verlief trotz Gegenkundgebungen mit mehreren hundert Teilnehmern friedlich. Der Al-Quds-Tag war 1979 von Ayatollah Khomeini als Gedenktag zur Erinnerung an die "Besetzung" Jerusalems durch Israel ausgerufen worden. Situation in Nordrhein-Westfalen Seit über 20 Jahren ist das 'Islamische Zentrum*' ('Imam-Mahdi-Zentrum') in Münster eine Plattform und Begegnungsstätte für 'Hizb Allah'-Anhänger in Nordrhein-Westfalen und dem Westen Deutschlands. Das 'Islamische Zentrum*' steht in enger Verbindung zu dem iranisch gesteuerten 'Islamischen Zentrum Hamburg*' (IZH) und konnte seine zentrale Bedeutung nach langjähriger rückläufiger Akzeptanz wieder leicht festigen. Dessen ungeachtet schreitet die Regionalisierung mit Gründung eigener Moscheevereine voran. Weitere erkannte Schwerpunkte finden sich im Raum Essen/ Bottrop und Bad Oeynhausen. Die bislang auch in Nordrhein-Westfalen zu beobachtende deutliche Zurückhaltung der 'Hizb Allah' bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen wurde im Zusammenhang mit dem international kontrovers diskutierten Film "Innocence of Muslims" kurzfristig aufgegeben. So fanden entsprechende Demonstrationen am 21.September 2012 in Münster mit etwa 600 Teilnehmern, am 22. September 2012 in Dortmund mit etwa 1.500 Teilnehmern und am 29.September 2012 in Essen mit etwa 500 Teilnehmern statt. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Veranstaltungen, die die Präsenz der 'Hizb Allah' demonstrieren sollten, jedoch gemäß organisationsinterner Zielrichtung und vorgegebenem Verhaltenskodex keinen Konflikt mit Sicherheitsbehörden beinhalteten und friedlich verliefen. Verbotener Sender 'al-Manar' Als wichtige Informationsquelle für die in Deutschland lebenden 'Hizb Allah'-Anhänger fungiert weiterhin der über Satellit zu empfangende Fernsehsender 'al-Manar'. Bereits am 11. November 2008 hatte das Bundesministerium des Innern für das Bundesgebiet ein Betätigungsverbot gegen den Sender erlassen, das auf die Ausstrahlung vom Ausland jedoch keine Auswirkung haben konnte. 236 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Zu den Kernaussagen im Programm und auf der entsprechenden Internet-Homepage des Senders gehören antiisraelische und antijüdische Hetzpropaganda, insbesondere Aufrufe zur Vernichtung des Staates Israel. Terroranschläge werden als "islamischer Widerstand", dabei ums Leben gekommene Attentäter als "Märtyrer" glorifiziert. 5.3 Gewalt befürwortende islamistische Organisationen 5.3.1 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) Mitglieder Bund NRW 2012 300 70 2011 300 70 Hintergrund Die 'Hizb ut-Tahrir' (HuT) wurde 1952 von dem Rechtsgelehrten Scheikh Taqi al-Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und palästinensischen 'Muslimbruderschaft' gegründet. Es handelt sich um eine pan-islamistische Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangiges Ziel der Organisation ist die Wiedereinführung des Kalifats in einem islamiHizb ut-Tahrir-Logo der arabischen Homepage schen Staat (Kalifat bezeichnet die Stellvertretung des Propheten Muhammad, bei der ein Kalif an dessen Stelle die Gemeinschaft der Muslime leitet). Die HuT kennzeichnet ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden gelten - wie Christen - als Ungläubige, deren Lebensform abzulehnen ist und mit denen möglichst kein Kontakt gehalten werden sollte, da sie ein Bündnis eingegangen seien, um den Islam zu zerstören. Struktur Die Partei, die einen streng hierarchischen Aufbau hat, ist heute weltweit aktiv und international vernetzt. Ihre Anhängerschaft verhält sich streng konspirativ abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Neue Mitglieder werden bevorzugt innerhalb der gesellschaftlichen Elite geworben, was sich aus der Kaderstruktur herleitet sowie der Auffassung, dass die Partei eine Vorreiterrolle für den Aufbau des islamischen Staates islAmismus 237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 spielt. Von den Mitgliedern wird strikter Gehorsam erwartet. Positionen und Meinungen, die von der Parteiführung vertreten werden, sind für alle Mitglieder verbindlich. In der Bundesrepublik Deutschland ist die HuT in verschiedene Regionen aufgeteilt; in diesen Regionen existieren streng voneinander abgeschottete Kleinstgruppen (Zellen), die sich durch ein äußerst konspiratives Verhalten auszeichnen. Situation in der Bundesrepublik Deutschland Am 15. Januar 2003 hat das Bundesministerium des Inneren ein Betätigungsverbot gegenüber der Organisation erlassen, das letztinstanzlich am 25. Januar 2006 durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bestätigt wurde. Am 19. Juni 2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Klage der HuT gegen das vom Bundesminister des Inneren ausgesprochene Betätigungsverbot für unzulässig erklärt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und den Sturz von Regierungen in muslimisch ausgerichteten Staaten gefordert hat, um diese durch ein Kalifat, basierend auf den Regeln der Scharia, zu ersetzen. Damit verfolgt die HuT Ziele, die den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention zuwider laufen, so dass sich die Organisation bei ihrer Klage nicht auf das in Art. 11 EMRK bestimmte Recht auf Versammlungsund Vereinigungsfreiheit berufen könne. Trotz des Verbotes ist davon auszugehen, dass die Organisation ihre Aktivitäten in bekannt konspirativer Weise fortsetzen wird. Nach wie vor hat der vermutliche Europaverantwortliche der Organisation seinen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen, was darauf schließen lässt, dass der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Organisation strategische Bedeutung zukommt. Öffentlich wahrzunehmen ist die Organisation durch Verbreitung von Propaganda im Internet. Hierzu bedient man sich in erster Linie im europäischen Ausland befindlicher Server. Öffentliche Auftritte von Führungsfunktionären sind hingegen nicht mehr festzustellen. Dies dürfte vor dem Hintergrund des Betätigungsverbotes mit der Furcht vor möglichen staatlichen Sanktionen in Zusammenhang stehen. Anfang des Jahres warb die HuT auf einer eigens hierfür erstellten Homepage sowie auf der offiziellen deutschsprachigen Internetseite für die am 10. März 2012 in der Nähe von Wien geplante erste Kalifatskonferenz, um vor allem Anhänger in Deutschland und Österreich zu mobilisieren. Die Tatsache, dass die Konferenz kurzfristig 238 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 durch den Veranstalter abgesagt wurde, stellt für die Organisation einen herben Rückschlag dar. 5.3.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz Köln Verbandsführer Metin Kaplan (am 12. Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben) Mitglieder Bund NRW 2012 800 350 2011 800 350 Publikationen 'Ümmet-i Muhammed' ('Die Stimme Muhammeds'), 'Beklenen Asr-i Saadet' ('Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit'), 'Der Islam als Alternative' (D.I.A), 'Barika-i Hakikat' ('Das Aufleuchten der Wahrheit') Fernsehprogramm HAKK-TV Hintergrund Im Jahre 1984 gründete Cemaleddin Kaplan nach der Loslösung von der Milli-Görüs-Bewegung den 'Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V.' (ICCB) in Köln. Im April 1992 rief er den 'Föderativen Islamischen Staat Anatolien' aus, der im März 1994 in den 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Wimpel mit dem Schriftzug des Kalifatsstaats Devleti') umgewandelt wurde und zu dessen Kalif sich Kaplan selbst ernannte. Nach dem Tode von Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 folgte ihm sein Sohn Metin Kaplan als Kalif nach. Diese Nachfolge war jedoch nicht unumstritten. Der Nachfolgestreit endete mit der Ermordung des "Gegenkalifen" in Berlin im Mai 1997, zu der Metin Kaplan angestiftet hatte. Wegen Anstiftung zum Mord wurde Metin Kaplan im November 2000 zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach seiner Entlassung wurde er im Oktober 2004 in die Türkei, die seit längerem seine Auslieferung verlangte, abgeschoben. Nach seiner Abschiebung wurde er in der Türkei wegen Hochverrats zunächst zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Zuge mehrerer Berufungsund Revisionsverfahren wurde die lebenslanislAmismus 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ge Haftstrafe wieder aufgehoben. Am 3. Juli 2010 verurteilte der Oberste Gerichtshof in Istanbul Metin Kaplan schließlich zu 17 Jahren und 6 Monaten Haft. Ideologie Die Anhängerschaft des ehemaligen 'Kalifatsstaats' hängt dem Gedankengut des 'Kalifatsstaat'-Gründers Cemaleddin Kaplan nach wie vor an. In Jahreskalendern oder Broschüren, die innerhalb der Anhängerschaft kursieren, wird immer wieder auf die Lehren Kaplans Bezug genommen und die Errichtung eines "islamischen Staates" propagiert, ohne allerdings die Symbolik der verbotenen Organisation zu verwenden. Im Internet werden von Anhänger verschiedene Seiten betrieben, auf denen die Ideologie ebenfalls verbreitet wird. Verbot des 'Kalifatsstaates' Der 'Kalifatsstaat' propagiert den gewaltsamen Umsturz in der Türkei, um einen "islamischen Staat" mit dem Koran als Verfassung und der Scharia als geltendem Recht zu errichten. Am 12. Dezember 2001 wurde der sogenannte 'Kalifatsstaat' deshalb durch das Bundesministerium des Innern verboten. Er galt in Deutschland bis dahin als die verbal radikalste unter den islamistischen Organisationen. Im November 2002 wurde das Verbot des 'Kalifatsstaat' sowie 17 weiterer Ortsvereine, vier davon in Nordrhein-Westfalen, endgültig bestätigt. Infolge der Abschiebung Metin Kaplans in die Türkei und seiner dortigen Verurteilung kam es zu Richtungsund Nachfolgestreitigkeiten innerhalb der Gruppierung. Diese Auseinandersetzungen mündeten in eine Spaltung der Anhängerschaft in zwei konkurrierende Fraktionen. Aktuelle Entwicklung Weitere Differenzen innerhalb der Anhängerschaft des ehemaligen 'Kalifatsstaats' zeichneten sich 2012 ab, die möglicherweise zu einer erneuten Fraktionsbildung führen könnten. Darüber hinaus war bei Teilen der Anhängerschaft eine Hinwendung zum Salafismus sowie eine fortgesetzte Kooperation mit salafistischen Predigern zu beobachten. Diese Entwicklung korrespondiert mit der ohnehin zu beobachtenden Sympathie für militante salafistisch-islamistische Organisationen im Ausland wie beispielsweise die 'Islamische Bewegung Usbekistan' (IBU), für die - soweit möglich - auch Unterstützung geleistet wird. 240 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 5.3.3 Türkische Hizbullah Mitglieder Bund NRW Leitung Führungsgruppe 2012 350 60 2011 350 60 Publikationen 'Yeni Müjde' ('Neue Frohe Botschaft'), 'Inzar' ('Warnung'), 'Dogru Haber' ('Richtige Nachricht'), 'Kelhaamet' ('Prächtiges Diyarbakir') Internet Mehrere Homepages Hintergrund Anfang der 1980er Jahre bildeten sich unter sunnitischen Kurden in der Türkei Gruppierungen heraus, die für die Errichtung einer auf strikter Befolgung von Koran und Scharia gegründeten "islamischen Herrschaft" eintraten und sich gegen den säkularen türkischen Staat wandten. Aus einer dieser Gruppierungen entwickelte sich die 'Hizbullah' ('Partei Gottes') , die vor allem seit Beginn der 1990er Jahre zur Erreichung ihrer politischen Ziele gegen interne Abweichler, gegen die marxistische kurdische Separatistenorganisation PKK ('Arbeiterpartei Kurdistans'), gegen liberale Journalisten und gegen Vertreter des türkischen Staates Gewalt anwendete. Im Januar 2000 wurde der Anführer der sogenannten 'Türkischen Hizbullah', Hüseyin Velioglu, in Istanbul bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Dieser Vorfall und Exekutivmaßnahmen der türkischen Polizei, bei denen mehrere Funktionäre der Organisation und zahlreiche Mitglieder festgenommen und inhaftiert wurden, führten zu einer empfindlichen Schwächung der 'Hizbullah'. Zugleich wurde aus Papieren und Videoaufzeichnungen, die in ihren Archiven gefunden wurden, deutlich, in welch großem Ausmaß die Organisation Entführungen, Morde und andere Gewalttaten verübt hatte. Ideologie In der 2004 erschienenen Schrift "Kendi dilinden Hizbullah" ("Die Hizbullah in eigener Sprache/aus eigenem Munde") stellt ihr Verfasser, ein 'Hizbullah'-Funktionär, die Verbrechen der Organisation quasi als Akt der Selbstverteidigung hin. Der Autor führt ferner aus, dass auf eine erste Phase, die von 1979 bis 1991 dauerte, und in der die Propagandatätigkeit, Anhängergewinnung, Strukturierung und Schulung im Vordergrund stand, eine zweite Phase folgte, die von 1991 bis 2000 andauerte und durch islAmismus 241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 den bewaffneten Kampf gegen die PKK, interne Abweichler und den türkischen Staat geprägt war. In ihrer Zielsetzung verbindet die 'Hizbullah' eine islamistische mit einer kurdisch-nationalen Agenda. So heißt es in "Kendi dilinden Hizbullah": "Alle Probleme dieses [des kurdischen] Volkes können nur mit dem Islam gelöst werden" (Seite 65). Andererseits sieht die 'Hizbullah' als Ursache aller Probleme die Uneinigkeit der islamischen Welt und die Herrschaft nicht-islamischer Regime an. Dies zu ändern und den Islam zur Herrschaft zu bringen, ist ihr erklärtes Ziel. Zu den Feindbildern der 'Hizbullah', die für die Unterdrückung der Muslime verantwortlich gemacht werden, gehören neben den internen Abweichlern, der 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK) und der Republik Türkei auch die "imperialistischen" und "zionistischen Mächte", also die westliche Staatengemeinschaft und Israel. Die 'Hizbullah' sieht sich als Verteidigerin der Opfer imperialistischer und unislamischer Mächte, die die Kurden und die Muslime in vielerlei Hinsicht unterdrücken würden. Dementsprechend verbreitet sie durch Publikationen und Websites ihre Ideologie, führt - häufig religiöse - Veranstaltungen durch und sammelt Spenden. In diesem Zusammenhang wird ihr auch ein im September 2004 in der Türkei gegründeter karitativer Verein zugerechnet. Aktuelle Entwicklung Nach der einstweiligen Zerschlagung der Führungsstrukturen der 'Hizbullah' durch die türkischen Behörden Anfang 2000 wichen einige Anhänger nach Europa aus, um dem Verfolgungsdruck in der Türkei zu entgehen. Die 'Türkische Hizbullah' hat in den folgenden Jahren auch in Deutschland Strukturen aufgebaut und nutzt diese zur weiteren Konsolidierung ihrer Organisation. Ihr derzeitiges Vorgehen entspricht der ersten Phase des in "Kendi dilinden Hizbullah" beschriebenen Modells. Ein Übergang in die zweite Phase des bewaffneten Kampfes ist bisher nicht zu erkennen. 5.4 Salafistische Bestrebungen Hintergrund Der Salafismus ist seinem Ursprung nach eine religiös-fundamentalistische Strömung des Islam. Die grundlegenden Quellen des Islam - der Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad (die Sunna) - werden strikt und wörtlich ausgelegt. An242 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 passungen der Islamauslegung an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten werden durch Salafisten als "unislamische Neuerungen" (arabisch bid'a) kategorisch abgelehnt und führen - so die Vorstellung - zwangsläufig zum "Unglauben" (arabisch kufr). Situation in Deutschland Die in Deutschland aktiven 'salafistischen Bestrebungen' vertreten eine Ideologie, die sich am Vorbild der muslimischen "Gründerväter" orientiert und eine vermeintlich ideale islamische Gesellschaft erschaffen will. Diese ideale Gesellschaft sei jedoch nur in einem "islamischen Staat", der die Scharia (islamische Rechtsund Lebensordnung) nach der salafistischen Auslegung durchsetzt, möglich. Deshalb wird die Errichtung eines entsprechenden "islamischen Staates" angestrebt. Demokratie wird als ein mit dem Islam unvereinbarer "Irrglaube" abgelehnt. Demokratisch verfasste Gesellschaften und Menschen, die diese befürworten, werden angefeindet. Derartige Bestrebungen werden deshalb nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 VSG NRW beobachtet. Soweit sie gewaltorientiert sind und die Teilnahme am von ihnen als "Jihad" interpretierten bewaffneten Kampf im Ausland propagieren, sind sie auch nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW zu beobachten. 'Salafistische Bestrebungen' werden nach der Wahl ihrer Mittel in zwei Gruppen unterschieden: : Sogenannte "politische Salafisten", die vor allem politische Propaganda, die aus ihrer Sicht islamische Missionierung ist, durchführen. Sie stellen die große Mehrheit der salafistischen Aktivisten und verfolgen ihre Ziele mit weitgehend legalen Mitteln. : Sogenannte "jihadistische Salafisten", denen nur ein kleiner Teil der Szene angehört und die für den von ihnen als "Jihad" bezeichneten bewaffneten Kampf gegen sogenannte "Ungläubige" werben bzw. in konkrete Vorbereitungshandlungen zur Umsetzung von Gewaltakten im Inund Ausland involviert sind. Der Übergang zwischen beiden Phänomenbereichen ist oftmals fließend. Aus dem großen Spektrum der politischen Salafisten werden immer wieder sich radikalisierende Personen festgestellt, von denen eine abstrakte oder tatsächliche terroristische Gefahr ausgeht. islAmismus 243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Soweit die fundamentalistische Islamauslegung des Salafismus nur als religiöse Praxis ohne politische und gesellschaftliche Konsequenzen verstanden wird, gehört das Phänomen nicht in das Beobachtungsspektrum des Verfassungsschutzes. Salafistische Netzwerke und Prediger, die die politische Durchsetzung des von ihnen propagierten Gesellschaftsund Staatsmodells anstreben und/oder dafür zur Gewalt aufrufen, werden als 'salafistische Bestrebungen' bezeichnet und durch den Verfassungsschutz beobachtet. Sie und ihre Anhänger werden im Folgenden auch als "Salafisten" bezeichnet. Ideologische Merkmale Die Grundpfeiler der salafistischen Ideologie sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. : Salafisten verstehen die islamische Religion als Ideologie, Ordnungsund Herrschaftssystem und als unvereinbar mit der im Grundgesetz festgelegten parlamentarischen Demokratie. Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott (Prinzip der göttlichen Souveränität, Arab. hakimiyya) und niemals vom Volke gemacht werden. Daraus folgt die absolute Unvereinbarkeit von Salafismus und dem Demokratiemodell westlicher Prägung. : Salafisten behaupten, dass alle gesellschaftlichen Probleme nur durch eine uneingeschränkte Anwendung von sowie der strikten Ausrichtung des Lebens nach Koran und Sunna gelöst werden können. Dazu zählt die strikte Anwendung der "Scharia" nach salafistischer Auslegung. : Sie betonen die rigide Trennung von Mann und Frau - nicht nur in der Moschee, sondern insgesamt im öffentlichen Raum. Auch die gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen wird grundsätzlich abgelehnt. : Sie grenzen die Frau zudem auf den heimischen Bereich ein; die Berufstätigkeit der Frau wird abgelehnt. Sie soll sich ganz auf den Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren. Frauen sind diesem Wertebild nach nominell gleichwertig, aber keinesfalls gleichberechtigt. : Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus führt sie zur Bildung einer Parallelgesellschaft, die aufgrund der propagierten feindlichen Einstellungen 244 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 gegenüber der übrigen Gesellschaft großes Konfliktpotenzial birgt und somit das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben beeinträchtigen kann. Schließlich kann diese extrem vereinfachende Ideologie zu einer weiteren Radikalisierung und in den Terrorismus führen. Denn letztlich rechtfertigt die Ideologie der 'salafistischen Bestrebungen' Gewalt gegen "Ungläubige", worin nicht-salafistische Muslime eingeschlossen werden. : "Jihad" (als bewaffneter Kampf) und "Märtyrertum" werden zum Teil angepriesen. Bei den "politischen Salafisten" ist das "Jihad"-Verständnis jedoch eher defensiv (Selbstverteidigung der Muslime), bei den "jihadistischen Salafisten" offensiv (Kampf zur Bezwingung der Feinde). Formen salafistischer Propaganda Die Netzwerke 'salafistischer Bestrebungen' zeichnen sich - nicht nur in NordrheinWestfalen - durch rege Werbungsaktivitäten aus. Beispiele hierfür sind Vortragsveranstaltungen in Moscheeräumen oder öffentliche Kundgebungen in Innenstädten. Aus Sicht der Salafisten handelt es sich bei dieser Form der Verbreitung von salafistischer Propaganda um "da'wa-(Missionierungs-)Arbeit". Rein formell betrachtet meint der arabische Begriff "da'wa" den "Aufruf, Gott zu folgen". Diese "Missionierungsarbeit" findet im Rahmen der vom Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit statt. Wie viele andere islamische Begriffe auch wird "da'wa" jedoch von Anhängern 'salafistischer Bestrebungen' in ihrem Sinne umgedeutet und missbraucht. Insofern ist der Begriff "da'wa" in diesem Kontext als "Propaganda" zu verstehen. Zu den vielschichtigen Aspekten der "da'wa-Arbeit" gehört es, neue Anhänger zu gewinnen und Personen, die bereits in der salafistischen Szene Fuß gefasst haben, noch intensiver mit der Ideologie vertraut zu machen. Ein Ausstieg aus der Szene ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nur schwer zu bewerkstelligen, zumal Personen nach einem kompletten Abtauchen in die Ideologie die Kontakte in ihr vormaliges soziales Umfeld und zu ihren Eltern/ihrer Familie oftmals abgebrochen haben - sofern diese nicht ebenfalls in den Salafismus abgetaucht sind. Mittlerweile finden fast täglich deutschlandweit Veranstaltungen mit salafistischen Inhalten statt. Gerade der Besuch von halbund nicht-öffentlichen Vorträgen und Seminaren trägt bei dem angesprochenen jugendlichen Personenkreis dazu bei, weiter in ein salafistisches Milieu abzugleiten. Vordergründig geht es dabei "nur" um die Vermittlung religiöser Inhalte. Tatsächlich findet jedoch Netzwerkbildung und islAmismus 245 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Indoktrinierung der Teilnehmer mit Elementen salafistischer Ideologie statt. Dabei ist zu beachten, dass tatsächlich rein religiöse Aussagen einerseits, aber auch religiös verbrämte extremistische politische Aussagen andererseits getätigt werden. Bei der Verbreitung salafistischer Propaganda spielt das Internet wegen der Möglichkeiten der Interaktion in Internetforen, Videobörsen und sozialen Netzwerken bereits seit einigen Jahren eine zentrale Rolle. Dies betrifft sowohl rein salafistische Webangebote, in überwiegendem Maße aber Plattformen zur Interaktion wie Facebook, Youtube und StudiVZ sowie andere soziale Netzwerke, die keine extremistischen Bezüge aufweisen und als Vehikel für salafistische Propagandaarbeit gebzw. missbraucht werden. Sofern die Grenze zur Strafbarkeit nicht verletzt wird, ist ein ordnungsrechtlicher Eingriff hier nur in den seltensten Fällen möglich. Beispiel salafistischer Propaganda im Internet Aktuelle Entwicklungen Die Beobachtung 'salafistischer Bestrebungen' ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012. Nach den noch am 14. Dezember 2010 erfolgten bundesweiten Durchsuchungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verein 'Einladung zum Paradies' (EZP) mit Sitz in Mönchengladbach hat der Verein am 31. Juli 2011 die Selbstauflösung beschlossen. Ein möglicher Nachfolger-Verein ist nicht bekannt geworden. Die Hauptakteure aus dem Verein und deren Umfeld sind z.T. noch in Deutschland aktiv, z.T. aber auch ins arabisch-sprachige Ausland abgewandert. 'Einladung zum Paradies' ist zwar noch im Internet präsent, hat aber mittlerweile in der salafistischen Szene massiv an Rückhalt und Anhängern verloren. 246 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Schwerpunkt des politischen Salafismus ist nach Selbstauflösung von 'Einladung zum Paradies' das Netzwerk 'Die Wahre Religion' um den in Köln residierenden salafistischen Prediger Ibrahim Abou Nagie. 'Die Wahre Religion' ist bundesweit aktiv und betreibt eine eigene Homepage. Über dort ebenfalls in Erscheinung tretende salafistische Prediger aus Bonn sind zumindest Bezüge zum jihadistischen Salafismus erkennbar. 'Die Wahre Religion' erregte Aufsehen durch die Koranverteilaktion "Lies", deren selbsterklärtes Ziel die Verteilung von 25 Millionen Koranen in Deutschland war. Tatsächlich dürften bislang nicht mehr als 400.000 Korane verteilt worden sein. Ziel der im "Franchise-System" organisierten Aktion (Anleitung durch eine Zentralstelle, Verantwortlichkeit für die Aktionen vor Ort durch autarke lokale Akteure) ist mutmaßlich nicht die tatsächliche Konversion aller in Deutschland lebenden Menschen zum Islam, sondern das Provozieren medialer und staatlicher Reaktionen, die wiederum den Salafisten in die Hände spielen. In der Selbstdarstellung und -wahrnehmung der Salafisten geht es beim Umgang der Behörden und der deutschen Öffentlichkeit mit dem Salafismus um eine vermeintliche "Verfolgung" der Muslime (nicht nur der Salafisten) in Deutschland, die Teil eines globalen Krieges "des Westen" gegen "den Islam" sei. Aktionen von 'pro NRW' durch Zuhilfenahme von Darstellungen des Propheten Muhammad werden von Salafisten in den Zusammenhang eines vermeintlichen Religionsund Zivilisationskrieges gerückt. Die daraus resultierenden Konfrontationen spielen letztendlich beiden extremistischen Gruppen in die Hände. Die Bedeutung der salafistischen Ideologie und ihrer in Einzelfällen radikalisierenden Wirkung gerade auf Jugendliche ist inzwischen ein Thema mit hoher Medienwirksamkeit, so dass die Erweiterung salafistischer Zentren auf politischen wie zivilgesellschaftlichen Widerstand stößt. Daneben ist auch ein zunehmendes Problembewusstsein in muslimischen Gemeinden feststellbar: Viele Moscheevereine, die in der Vergangenheit salafistischen Predigern - aufgrund ihres noch nicht geschärften Problembewusstseins - ein Forum geboten haben, lassen solche Personen ausdrücklich nicht mehr bei sich auftreten. Zentrum eindeutig jihadistisch orientierter Salafisten war eine in Solingen betriebene Moschee, die als Basis für die Vereinigung 'Millatu Ibrahim' fungierte. Weil 'Millatu Ibrahim' bundesweit agierte, hat das Bundesinnenministerium am 14. Juni 2012 ein Verbot der Vereinigung ausgesprochen. 'Millatu Ibrahim' hat Muslime in ganz Deutschland zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung aufgerufen. Unter dem Deckmantel einer vermeintlich missionarischen Ausrichtung und der Betreuung von Strafgefangenen bot die Vereinigung der salafistisch-islamistischen Szene einen Anlaufpunkt, um diese zu stärken und zu radikalisieren. Neben seiner massiven islAmismus 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Missionierungsarbeit via Internet war 'Millatu Ibrahim' vor allem in der gleichnamigen Moschee in Solingen aktiv. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am 1. Mai in Solingen hatten führende Mitglieder der Vereinigung als Wortführer agiert und die dort verübten Gewalttaten als Teil eines religiös motivierten Kampfes glorifiziert. Besorgniserregend sind Anzeichen für eine weitere Radikalisierung innerhalb der Szene. Der vorläufige Wegfall von 'Einladung zum Paradies', die negative Berichterstattung zu der Koranverteilaktion von 'Die Wahre Religion' und die Einleitung eines Prüfverfahrens nach Vereinsrecht sowie das mittlerweile rechtskräftige Verbot von 'Millatu Ibrahim' scheinen zu einer Umorientierung einiger Personen aus der Szene hin zu Propagandisten zu führen, die sich dem "jihadistischen Salafismus" verschrieben haben und sehr offen und unmissverständlich Gewalt im Namen des Islam gutheißen. Die Radikalisierung in dieser Propaganda drückt sich in einer offenen Befürwortung des Jihad und dem Aufruf zu einer Ausreise aus Deutschland bis hin zu direkten Aufrufen zu Anschlägen in Deutschland aus. Als neues Phänomen sind "gewaltorientierte" Salafisten anzusehen, die den Jihad - wie in Bonn und Solingen im Mai 2012 - auch als "Straßenkampf" verstehen. Nicht Logo und deutschsprachiges Youtube-Video mit Jihad-Propaganda des verbotenen Vereins 'Millatu-Ibrahim' aus dem Internet 248 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 bei allen dort festgestellten Personen ist von einer gesicherten Zugehörigkeit zu einer salafistischen Szene auszugehen. Dennoch waren auch szenebekannte Salafisten an den Ausschreitungen beteiligt. Bis dato haben die Anhänger 'salafistischer Bestrebungen' die Teilnahme am politischen Geschehen - auch in Form von Demonstrationen - eher abgelehnt. Soweit sie gewaltorientiert waren, äußerte sich dies meist durch den Versuch der Ausreise in ein Krisenund Kampfgebiet. Ausschreitungen durch Salafisten im Zusammenhang mit einer Demonstration, ähnlich wie dies aus anderen Extremismusbereichen bekannt ist, waren zuvor nicht auf ihrer Agenda und blieben auch danach weitgehend aus. Vom Personenpotenzial ist der Salafismus für eine weitere Radikalisierung und offene Agitation "auf der Straße" jedoch im Prinzip offen. Ob von maßgeblichen salafistischen Predigern eine offene Konfrontation mit dem deutschen Staat eingegangen wird, ist eine Frage, die sich auf Grundlage der derzeit vorliegenden Erkenntnisse nicht beantworten lässt. Festzuhalten ist, dass die radikalsten Rädelsführer seit Sommer 2012 in den Nahen Osten und nach Nordafrika ausgereist sind und dort ihre Propagandaarbeit weiter betreiben bzw. dort ihre Jihad-Fantasien zum Teil in der Realität ausleben. Im Laufe des Jahres 2012 sind rund 20 Personen aus Nordrhein-Westfalen in Länder Nordafrikas ausgereist. Bei einigen muss unterstellt werden, dass sie mittelfristig die Ausbildung in Lagern terroristischer Vereinigungen in der Region anstreben. Primäres Ziel dürfte es sein, sich an Konflikten in den - nach dem arabischen Frühling - im Umbruch befindlichen Ländern und Krisenregionen Afrikas und des Nahen Ostens zu beteiligen. Personen, die anschließend im Umgang mit Sprengstoffen und Waffen geschult wieder nach Deutschland zurückkehren, stellen potenziell eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Personenpotenzial in Nordrhein-Westfalen Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hatte im Jahre 2012 rund 1.000 salafistische Aktivisten erfasst. Gegenüber der Zahl von 2011 stellt dies eine Verdoppelung des Anhängerpotenziales dar. Etwa 900 Personen sind dem ideologischen Spektrum des "politischen Salafismus" zuzuordnen, das keine direkten Bezüge zum Terrorismus aufweist. Etwa 100 Personen sind im Bereich des "jihadistischen Salafismus" zu verorten, der die Umsetzung des "Jihad"-Gedankens in Form von Anschlägen verbal gutheißt und unterstützt. Organisiert ist die Szene in etwa 20 Vereinen und teilweise überregionalen Netzwerken, die in ganz Nordrhein-Westfalen tätig sind, insbesondere über Internetseiten und soziale Netzwerke. islAmismus 249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die Gründe für die offenbar bestehende Attraktivität des Salafismus sind vielfältig. Zu beobachten ist, dass Personen sich überwiegend als Jugendliche oder junge Erwachsene einer 'salafistischen Bestrebung' anschließen. Dabei scheint die Suche nach Orientierung, klaren Werten und Normen, nach Anerkennung durch andere und sozialer Geborgenheit in einer Gruppe eine bedeutende Rolle zu spielen. Mit ihrer rigorosen, wörtlichen Auslegung von Koran und Sunna (Brauch des Propheten), ihrer Abschottung gegenüber der "ungläubigen" Außenwelt und der starken Betonung der eigenen Gemeinschaft der "Rechtgläubigen" erfüllen 'salafistische Bestrebungen' für manche jungen Menschen genau diese Erwartungen. Zudem bieten sie eine neue Identität als "wahrer Gläubiger", der für ein höheres Ziel eintritt und heben so das Selbstwertgefühl. Dies geht oft einher mit der Annahme traditioneller oder imaginierter islamischer Bekleidungsvorschriften, der Annahme eines Szenenamens ("Abu ...") und dem Bruch mit der Familie und dem sozialen Umfeld. Hinter dem Übertritt in eine salafistische Szene bzw. die Konversion in eine solche Szene hinein, scheint mehrheitlich das Bemühen um die Überwindung von Brüchen in der persönlichen Biografie zu stehen. Dies können schwierige Familienverhältnisse, gescheiterte Integrationsgeschichten, der fehlende Übergang in ein berufliches/bürgerliches Leben oder Schicksalsschläge sein, die zu einer Sinnsuche führen. Der Salafismus hat einfache Botschaften und verspricht jedem Gläubigen das Paradies. Die verfassungsfeindlichen politischen Inhalte werden dabei anscheinend nicht von jedem hinter der religiösen Fassade bewusst wahrgenommen und erkannt. Hinzu kommt das Aufblühen salafistischer Bewegungen und Parteien in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, die sich nach dem "Arabischen Frühling" in einem Umbruch befinden. Da der Salafismus eine der wenigen Ideologien war, die unter den jahrzehntelangen säkularen Diktaturen der Region überlebt hat, befinden sich Salafisten durch die neu gewonnenen Freiheiten nun in einem politischen Aufschwung, der auch auf Europa und andere Teile der Welt ausstrahlt. Der Erfolg in Deutschland ist auf lange Sicht auch an den Erfolg bzw. Misserfolg und die Anpassungsfähigkeit salafistischer Bewegungen in der islamischen Welt gebunden. Trotz dieser Verknüpfungen ist in der salafistischen Szene Nordrhein-Westfalens ein Trend zur "Eindeutschung" des Phänomens zu erkennen. : Mindestens 50% der Salafisten sind deutsche Staatsangehörige. : Die Hauptsprache der Salafisten ist mittlerweile ebenfalls deutsch. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Szene multi-ethnisch geprägt ist und sich zu 90% 250 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 aus Migranten der 2., 3. und 4. Generation zusammensetzt, die zwar meist einen islamischen Hintergrund haben, aber kaum noch arabisch, türkisch oder andere Herkunftssprachen fließend beherrschen. Die Muttersprache vieler Salafisten ist darüber hinaus deutsch. : Weitere 10% der Szene sind Konvertiten, mehr als in allen vergleichbaren islamistischen Organisationen, die dem Verfassungsschutz ansonsten bekannt sind : Da die Ursachen für den "Erfolg" salafistischer Botschaften gerade bei jungen Menschen auch in der gescheiterten Integration in die deutsche Gesellschaft zu suchen sind, kann das Zurückdrängen dieser Ideologie nicht alleinige Aufgabe der Sicherheitsbehörden sein. Vielmehr handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. 5.5 Legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Organisationen 5.5.1 Tablighi Jama'at* (Gemeinschaft zur Verkündigung - TJ) Mitglieder Bund NRW 2012 700 100 2011 700 150 Hintergrund Die 'Tablighi Jama'at*' (auch 'Jama'at-i Tabligh'; 'Gemeinschaft zur Verkündigung' - TJ*) wurde 1927 durch den Religionsgelehrten Maulawi Muhammad Ilyas in Indien gegründet. Seit den 1960er Jahren ist sie auch in Deutschland aktiv. Sie ist eine dem Salafismus - als fundamentale religiöse Strömung - nahestehende Bewegung, deren Mitglieder großen Wert auf die wortgetreue Befolgung islamischer Vorschriften und Normen legen. Die Missionierungsarbeit der TJ* richtet sich vor allem an "verirrte Muslime", die nach Meinung der TJ* vom "rechten Weg" abgekommen seien. Eine gezielte Bekehrung Andersgläubiger ist nicht das Ziel ihrer Missionierungsarbeit. Ideologie und Ziele Eine ideologische Nähe der TJ* zu 'salafistischen Bestrebungen' ist deutlich erkennbar. Ihre Ideologie richtet sich gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW gegen die freiheitliislAmismus 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 che demokratische Grundordnung. Dabei reicht der Interpretationsspielraum bis hin zu jihadistischen Vorstellungen. Vor diesem Hintergrund ist die TJ* als extremistische Bewegung einzuordnen, auch wenn sie sich als unpolitische, rein religiöse Bewegung darstellt. Verschiedene Fälle in jüngster Vergangenheit legen den Verdacht nahe, dass die TJ* einerseits islamistisches und jihadistisches Gedankengut in ihren Reihen gutheißt, und andererseits ihre weltweiten Netzwerke von islamistischen Terroristen genutzt werden, und die TJ* dies toleriert. Situation in Deutschland Neben ihrer ursprünglichen Mission, eher weltlich ausgerichtete Muslime im Sinne eines fundamentalistischen Islamverständnisses zu "reislamisieren", zeigt die TJ* in Deutschland auch ein großes Interesse an Personen, die zum Islam konvertiert sind. In diesem Bereich sind die Missionierungsbemühungen nach wie vor intensiv. Dazu gehört auch die aktive Förderung einer Teilnahme an Missionsreisen in eines der Gründerzentren in Pakistan, Indien oder Bangladesch. 5.5.2 Muslimbruderschaft (MB) Mitglieder Bund NRW 2012 1.300 320 2011 1.300 320 Hintergrund Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete 'Muslimbruderschaft' (MB) ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islam. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten, sondern nach eigenen Angaben in 70 Ländern weltweit vertreten. Nach ihrer Ideologie sind die meisten Regime in der muslimischen Welt unislamisch. Ziel der MB ist deren Logo der Muslimbruderschaft Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung - notfalls unter Anwendung von Gewalt. 252 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland Die bedeutendste der 'Muslimbruderschaft' zuzurechnende Organisation in der Bundesrepublik Deutschland ist die 'Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.' (IGD), die aus der 1960 in München von dem ägyptischen Muslimbruder Dr. Said Ramadan gegründeten 'Moscheebau-Kommission e.V.' hervorgegangen ist. Das ursprüngliche Vereinsziel, die Einrichtung einer Moschee, wurde mit dem Bau des 'Islamischen Zentrum München' (IZM) 1973 realisiert. Die IGD gehört zu den Gründungsmitgliedern der 'Föderation islamischer Organisationen in Europa' (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der 'Muslimbruderschaft' in Europa gilt. Seit Ende 2010 hat die IGD ihren Sitz in Köln. Situation in Nordrhein-Westfalen In Nordrhein-Westfalen sind neben der vorgenannten IGD in verschiedenen Städten Vereine mit angeschlossenen Moscheen ansässig, die eine Nähe zur Ideologie der 'Muslimbruderschaft' aufweisen. Die Einrichtungen finanzieren sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen sowie dem Verkauf von Publikationen. Die Spendenbereitschaft der Anhänger ist nach wie vor eher gering, so dass anlässlich von Veranstaltungen ständig zu höherer Spendenbereitschaft aufgerufen wird. Öffentliche Aktivitäten dieser Einrichtungen sind allerdings nur gelegentlich bei größeren Veranstaltungen feststellbar. Dort sind die Verlautbarungen gemäßigt. Vertreter der Organisationen weisen immer wieder darauf hin, dass hier lebende Muslime sich vom islamistischen Terrorismus zu distanzieren und die Gesetze des Gastlandes zu beachten haben. Aktivitäten der MB in der Bundesrepublik Deutschland Die IGD veranstaltete am 16. Juni in München bzw. 17. Juni 2012 in Bonn-Bad Godesberg ihre 32. Jahreskonferenz, die unter dem Motto "Frühling weckt Hoffnung und Willen zur Veränderung" stand. Die Veranstaltung in Bonn-Bad Godesberg wurde von etwa 800 - 1.000 Teilnehmern besucht; dies entspricht der Anzahl der Teilnehmer der letztjährigen Konferenz und setzt damit den im letzten Jahr festgestellten Trend des Wiedererstarkens der Organisation fort. Zweifelsohne war das diesjährige Motto an die Veränderungen in der islamischen Welt, die unter der Bezeichnung "Arabischer Frühling" bekannt wurden, angelehnt. Als Folge hieraus habe sich nach Ansicht des Präsidenten der IGD das Bild der Muslime in der Gesellschaft verändert und VorurteiislAmismus 253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 le beseitigt. Gleichwohl seien die in Deutschland lebenden Muslime weiterhin in der Pflicht, durch Ihr Auftreten das Ansehen des Islams weiter zu verbessern. So oder in vergleichbarer Weise äußerten sich auch andere Redner der Veranstaltung. Kritik wurde, wie schon bei vorangegangenen Veranstaltungen, an der Politik geübt, da es dort an der notwendigen Bereitschaft zum Dialog mit den Muslimen fehle. Ein Schwerpunkt der Veranstaltung war die Situation der notleidenden syrischen Bevölkerung. Es wurde die fehlende Unterstützung der Europäer bemängelt. Auch die 32. Jahreskonferenz zeigt, dass die IGD weiterhin bemüht ist, sich in der Öffentlichkeit als gemäßigte islamische Organisation darzustellen. So wurde von mehreren Rednern Gewalt in jedweder Form abgelehnt. Für die weitere Entwicklung der Organisation in der Bundesrepublik Deutschland werden vermutlich auch die künftigen Machtverhältnisse in ihrem Ursprungsland Ägypten von Bedeutung sein. 5.5.3 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) Sitz Kerpen Generalvorsitzender Kemal Ergün Mitglieder Bund NRW 2012 31.000 8.000 2011 31.000 8.000 Publikationen 'IGMG Perspektif', 'camia' ('Gemeinschaft' - IGMG), 'Milli Gazete' (Deutschlandausgabe IGMG-nah); Fernsehsender 'TV 5' ('Saadet Partisi'-nahestehend) Hintergrund Mit bundesweit etwa 31.000 aktiven Mitgliedern ist die 'Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.' (IGMG) die bei weitem größte der als islamistisch eingestuften Organisationen in Deutschland. Sie ging aus der von dem türkischen Politiker Necmettin Erbakan gegründeten islamistischen 'Milli Görüs'-Bewegung hervor, zu der auch heute noch personelle Verbindungen bestehen. Von Teilen der IGMG-Mitglieder wird die Verbundenheit Logo der IGMG mit Necmettin Erbakan und seiner Ideologie auch weiterhin zum Ausdruck gebracht. Andere Teile der IGMG zeigen eine solche Verbundenheit nicht 254 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 eindeutig, sondern wenden sich der deutschen Gesellschaft zu. In der Gesamtschau ist die IGMG jedoch als Teil der 'Milli Görüs'-Bewegung zu bewerten. Entwicklung 'Milli Görüs'-Bewegung in der Türkei Von 1970 an war Erbakan Führer einer islamistischen politischen Partei in der Türkei, die sich nach Parteiverboten immer wieder unter neuen Namen konstituierte. Neben der Partei wurden im Laufe der Zeit weitere Einrichtungen wie eine parteinahe Zeitung, eine Jugendorganisation, ein Fernsehsender, ein Institut und sonstige Hilfsorganisationen geschaffen, die der Ideologie und den politischen Zielen Necmettin Erbakans verpflichtet sind. Sie alle zusammen bilden die 'Milli Görüs'-Bewegung. Als unumstrittener Führer der Bewegung galt bis zu seinem Tod ihr Gründer Necmettin Erbakan. Außerhalb der Türkei gilt die IGMG als Unterstützerin und Anlaufstelle für die Bewegung. In den frühen 1990er Jahren auf kommunaler Ebene, dann bei den Parlamentswahlen 1995, erzielte die von Erbakan geführte 'Refah Partisi' ('Wohlfahrtspartei' - RP) erhebliche Erfolge. 1995 wurde sie - damals von der 'Milli Görüs' in Deutschland massiv unterstützt - stärkste Partei und Erbakan von 1996 bis Mitte 1997 Ministerpräsident in einer Koalitionsregierung. Durch die gegen die 'Refah Partisi' gerichteten Beschlüsse des seinerzeit vom türkischen Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrats vom 28. Februar 1997 nahm der Druck auf die Regierung Erbakan stark zu und zwang ihn zum Rücktritt im Juni desselben Jahres. Diese gewaltlose Verdrängung von der politischen Macht durch das Militär wird teilweise auch als "postmoderner Putsch" bezeichnet. Innerhalb der 'Milli Görüs'-Bewegung spielt dieses Datum und seine Folgen eine zentrale Rolle. 1998 wurde die RP schließlich verboten; 2000 richtete sich ein Verbot gegen ihre Nachfolgepartei, die 'Fazilet Partisi' ('Tugendpartei' - FP). Danach kam es zu einer Spaltung der 'Milli Görüs'-Bewegung. Die Erbakan und seiner Ideologie treu gebliebenen Anhänger fanden sich in der neu gegründeten 'Saadet Partisi' ('Glückseligkeitspartei' - SP) zusammen. Die SP ist mit Stimmenanteilen von rund ein bis drei Prozent in der türkischen Politik nahezu bedeutungslos geworden. Nach dem Tod Erbakans 2011 wurde Mustafa Kamalak Vorsitzender der SP. Bereits im August 2001 gründete der 'Milli Görüs'-Dissident Tayyip Erdogan die 'Adalet ve Kalkinma Partisi' ('Gerechtigkeitsund Aufschwung-Partei' - AKP), die 2002, 2007 wie auch am 12. Juni 2011 die Parlamentswahlen gewann und allein die Regierung stellen konnte. islAmismus 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Diese Abspaltungen von der 'Milli Görüs' in der Türkei blieben nicht ohne Wirkung auf die Anhängerschaft der IGMG in Europa. Es gab und gibt innerhalb der IGMG durchaus Sympathien für die genannten Dissidenten. Zu einer Spaltung der europäischen bzw. deutschen IGMG haben die Entwicklungen in der Türkei jedoch nicht geführt. Ideologie und Ziele von 'Milli Görüs' Erbakan beschrieb in einem 1990/91 unter dem Titel "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung") veröffentlichten Buch die grundlegenden Ziele der 'Milli Görüs'-Bewegung. Zentrales Element ist die These Erbakans, dass sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder von Menschen geschaffene Ordnungen einerseits und göttlich offenbarte Ordnungen andererseits gegenüber gestanden hätten. Menschliche Gesellschaftsmodelle, die er als "nichtige Ordnung" ("Batil Düzen") bezeichnet, sieht Erbakan durch Unrecht und Ausbeutung gekennzeichnet. In Gott gegebenen Ordnungen herrsche dagegen die Wahrheit und das sich daraus ergebende Recht (Hak). Auf diese Weise überführt er das aus dem Koran entlehnte Gegensatzpaar "Hak" (für Gott/Wahrheit/ Recht) und "Batil" (für Aberglaube/nichtig) auf die politische Ebene und deutet religiöse Begriffe in politische um. Dieser Gegensatz - die gute göttliche Ordnung gegen die schlechte, fehlerbehaftete menschliche Ordnung - durchzieht die Argumentation von 'Milli Görüs' bis heute. Ziel der Bewegung ist es, das demokratische System, das als "westliche" bzw. "bürokratische Ordnung" bezeichnet wird, zu überwinden und durch die "gerechte Ordnung des Friedens und der Verständigung" zu ersetzen, die auf dem Islam basieren soll. Dieses Ziel wird in Etappen angestrebt: Schaffung einer lebenswerten Türkei durch Einführung der gerechten, also islamischen Ordnung, dann die Errichtung einer Groß-Türkei, und schließlich die Etablierung der gerechten Ordnung für die ganze Welt bzw. die gesamte Menschheit. Zur Ideologie gehört auch ein Feindbild, das zunächst durch den Begriff "Batil" beschreiben wird. "Batil", der Aberglaube bzw. "nichtige Ordnung", wird gleichgesetzt mit Imperialismus, der von den westlichen Staaten ausgehe, allen voran den USA. Letztendlich werde dieser aber vom Zionismus gesteuert. Dieses Feindbild mündet in antisemitischen Verschwörungstheorien und Haltungen, die bei Erbakan stets sehr deutlich hervortraten und von vielen seiner Anhänger anscheinend geteilt werden. 256 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 'Milli Görüs' in Deutschland Die Ablehnung der "westlichen Demokratie" und damit auch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die 'Milli Görüs'-Ideologie wie auch eine antisemitische Grundeinstellung ist durch Aussagen des Führers der 'Milli Görüs' und seine programmatischen Schriften belegt. Die IGMG bietet hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte, sie Necmettin Erbakan und der 'Milli Görüs' zuzuordnen und damit auch deren Ideologie und antisemitischen Einstellungen. Dies begründet die Beobachtung der IGMG durch den Verfassungsschutz gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 VSG NRW. Die organisatorischen Wurzeln der 'Milli Görüs' in Deutschland reichen bis in die Mitte der 1970er Jahre zurück. Anfang der 1980er kam es zu einer Krise, als ein erheblicher Teil der damaligen 'Milli Görüs'-Anhänger sich Cemaleddin Kaplan, dem späteren "Kalifen von Köln" und Gründer des 'Kalifatsstaats' zuwandte. Der Streit zwischen Erbakan und Kaplan entzündete sich an der Frage, ob man auf politische Beteiligung innerhalb der herrschenden Ordnung setzen - so Erbakans Strategie -, oder auf eine revolutionäre Umgestaltung der Türkei hinwirken solle, wie Kaplan es nach dem Vorbild der iranischen Revolution vorschwebte. Danach begann eine Neustrukturierung der 'Milli Görüs' in Deutschland durch Angehörige der 1983 in der Türkei gegründeten 'Refah Partisi', die hierfür von Necmettin Erbakan nach Deutschland entsandt worden waren. Die Verbindung zwischen der Bewegung in der Türkei und der 1985 gegründeten 'Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V.' ('Avrupa Milli Görüs Teskilatlari' - AMGT) war dementsprechend eng. Im Zuge einer organisatorischen Neuordnung 1995/96 entstand aus der AMGT die heute bekannte Struktur der 'Milli Görüs' in Europa mit der 'Europäischen Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft' (EMUG) und der 'Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs' (IGMG). Diese Neuorganisation spiegelt vor allem eine Aufgabentrennung wider: die EMUG verwaltet die Immobilien, die IGMG übernimmt Aufgaben im religiösen, kulturellen und sozialen Bereich. Die IGMG selbst stellt die Neuorganisation als entscheidenden Einschnitt dar. Eine neue Generation von Führungskräften sei aufgerückt und 'Milli Görüs' in Deutschland deshalb nicht mehr islamistisch. Richtig daran ist, dass nach 1995 teilweise ein Generationswechsel auch auf der Führungsebene stattgefunden hat. Dennoch waren in den Vorständen von EMUG und IGMG dieselben Personen vertreten, die zuvor den Vorstand der AMGT gebildet hatten. Mittlerweile - so kann man mit guten Gründen annehmen - sind sowohl in den Vorständen wie auch unter den übrigen Mitgliedern islAmismus 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der IGMG etliche, die die ideologischen Vorgaben von Necmettin Erbakan zumindest nicht mehr in Gänze teilen. Doch auch die islamistisch ausgerichteten Erbakan-Anhänger sind nach wie vor auf allen Ebenen zahlreich in der Organisation vertreten und bemühen sich, ihre ideologischen Ziele in und mit Hilfe der Organisation zu verwirklichen. Struktur In Deutschland ist die IGMG organisatorisch in 15 Regionalverbände untergliedert. Die Regionalverbände sind Zusammenschlüsse der Ortsvereine. In NordrheinWestfalen gibt es mit Nord-Ruhr, Ruhr A, Düsseldorf und Köln vier Regionalverbände. Weitere 19 Regionalverbände bestehen in zehn anderen westeuropäischen Staaten sowie in Australien und Kanada. Die Generalzentrale der IGMG befindet sich in Kerpen. Neben dem Generalsekretariat sind die Tätigkeitsbereiche Organisation, Jugend, Frauen, Bildung, Soziale Dienstleistung, religiöse Weisung und Öffentlichkeitsarbeit eigene Abteilungen. Insgesamt gehören der IGMG nach eigenen Angaben 514 Gemeinden in Europa an, davon 323 in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen gibt es rund 110 Ortsvereine der IGMG. Die IGMG gibt die Zahl ihrer Mitglieder mit 87.000 und die Größe der "Freitagsgemeinde" (Besucher der Freitagsgebete in den Moscheen) mit 300.000 an. Aktivitäten Abgesehen von der religiösen Betreuung in den Moscheen, zu den islamischen Festen und Feiern, der Pilgerfahrt oder der Bestattung, bietet die IGMG auch ein breitgefächertes Angebot auf kulturellem, sozialem und pädagogischem Gebiet an. So werden Vortragsveranstaltungen, Gesprächskreise, Kurse für Frauen, Koranlesewettbewerbe und geschlechtergetrennte Ferienlager für Kinder oder Computerkurse angeboten. Auch Sportvereine und Studentenvereinigungen gehören zur IGMG. Sie unterhält darüber hinaus eine Rechtsabteilung, die die Mitglieder in juristischen Fragen, wie der Abmeldung von Mädchen vom Schwimmunterricht in der Schule oder in Einbürgerungsverfahren unterstützt. Publikationen und Medien Die IGMG gibt eine eigene Monatszeitschrift heraus, die 'IGMG Perspektif' sowie seit Oktober 2012 die organisationseigene Publikation 'camia' ('Gemeinschaft'), die in 258 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 türkischer Sprache erscheinen. Einige Artikel in der 'IGMG Perspektif' werden aber immer auch in deutscher Übersetzung abgedruckt. Die Publikation 'camia' erscheint vierzehntägig und wird in allen IGMG-Moscheen kostenfrei ausgelegt. Inhaltlich gliedern sich die Themen im Wesentlichen in Berichte aus der Generalzentrale, den Regionalverbänden, aus den Moscheen sowie aus dem Bereich der Jugendarbeit. Darüber hinaus werden weitere regionale oder für bestimmte Zielgruppen, etwa Kinder, gedachte Publikationen herausgegeben. Auch Materialien und Bücher für einen islamischen Religionsunterricht oder allgemein zum Islam gibt es von der IGMG. Der Internetauftritt der IGMG auf ihrer Homepage ist vielseitig und anspruchsvoll. Hier wird über Aktivitäten der Organisation berichtet. Sie bietet Presseerklärungen und die Möglichkeit, Publikationen der IGMG herunter zu laden. Aktuelle Entwicklung von IGMG und 'Milli Görüs' in Europa Die ideologische Propaganda der 'Milli Görüs' hat sich inzwischen zu einem erheblichen Teil von der IGMG in Europa abgekoppelt. In den 1980er und 90er Jahren machte die IGMG aus der engen Verbundenheit mit dem Führer der 'Milli Görüs', Necmettin Erbakan, keinen Hehl und unterstützte seine Partei und die Bewegung in der Türkei ideell und finanziell recht offen. Dementsprechend wurde auch Erbakans ideologische Weltsicht klar erkennbar vertreten. Heute wird diese Ideologie nicht mehr offen in den Publikationen, Predigten oder auf den Veranstaltungen der IGMG verbreitet. Es gibt jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Verbreitung der 'Milli Görüs'-Ideologie - insbesondere unter der Jugend - über 'Milli Görüs'-Internetforen, Webseiten und soziale Netzwerke stattfindet. Diese sind rechtlich kein Teil der IGMG, dennoch lassen sie eine große Nähe zur Organisation erkennen. Die enthaltenen extremistischen Inhalte sind auf der offiziellen Homepage der IGMG dagegen nicht zu finden. Dies lässt vermuten, dass die IGMG-Zentrale bemüht ist, Erbakans islamistische Ideologie nicht weiter zu verbreiten, sich aber Teile der Anhängerschaft andere Wege suchen, um ihre Sichtweise zu propagieren. IHH-Verbot Am 12. Juli 2010 wurde mit Verfügung des Bundesministers des Innern der in Frankfurt/Main ansässige Verein 'Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V.' (IHH) wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG verboten. Die IHH soll Spendengelder für die Finanzierung von sogenannislAmismus 259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 ten Sozialvereinen, die der HAMAS nahe stehen, missbräuchlich verwendetet haben. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hatte das Vereinsverbot vorläufig außer Kraft gesetzt. Sowohl Kuratorium als auch Vorstand der IHH haben sich bis zu seinem Verbot aus einzelnen Funktionären der IGMG zusammengesetzt. Mit Urteil des BVerwG vom 18. April 2012 wurde die Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern endgültig bestätigt. Bezüge zur Ideologie Erbakans Am 27. Februar 2011 verstarb der Führer der 'Milli Görüs'-Bewegung und Vorsitzende der türkischen 'Saadet Partisi' (SP) Prof. Dr. Necmettin Erbakan in der Türkei. Zum ersten Jahrestag des Todes von Necmettin Erbakan wurden vielerorts in den IGMGOrtsvereinen in Deutschland Gedenkveranstaltungen abgehalten. In NordrheinWestfalen nahmen daran keine Funktionäre der SP teil. In der Freitagspredigt vom 24. Februar 2012 wurde in den IGMG-Moscheen Necmettin Erbakans gedacht und an sein Vorbild erinnert. Am 1. Juli 2012 trat Fatih Erbakan, der Sohn des verstorbenen Necmettin Erbakan und hochrangiger Funktionär der SP in Begleitung seiner Schwester Zeynep Erbakan, der Vorsitzenden der Frauenorganisation der SP-Zentrale sowie zwei weiteren Funktionären der SP in einer Veranstaltung der "Ahde-Vefa" ("Treue zum Schwur")-Plattform in Duisburg auf. Fatih Erbakan, der unter Beifall und den Rufen "Mücahit Erbakan" ("Glaubenskämpfer Erbakan") aufs Podium stieg, sagte in seiner Rede: "Der dritte große Aufschwung innerhalb der zweiten 40-Jahres-Etappe beginnt von Deutschland aus: Woher der Wind nun auch immer wehen mag - die Wahrheit ist gekommen, das Nichtige ist vergangen". Im Weiteren betonte er, dass "unsere Menschen" den Standpunkten "unseres Hodschas Erbakan treu bleiben und ihren Weg fortsetzen". Milli Görüs sei nicht nur eine Wohltätigkeitsorganisation, sondern sei auch zu dem Zweck gegründet worden, die Tyrannei und die Ausbeutung in der Welt zu beenden und in diesem Sinne ihren politischen Kampf zu betreiben. Er fuhr fort: "Auch wir rufen heute aus dem Herzen Europas als Milli-Görüs-Gemeinschaft ganz Europa und der Welt zu: Fürchtet sich etwa Erbakan vor den Plänen des Zionismus? Wenn er ein Mensch ist, dann sagen wir: auf zum Kräftemessen!" (Hürriyet Avrupa vom 3. Juli 2012). An der Veranstaltung nahmen zahlreiche Anhänger der 'Milli Görüs' teil. Funktionäre der IGMG-Generalzentrale nahmen an der Veranstaltung jedoch nicht teil. Weitere Besuche von SP-Funktionären auf offiziellen IGMG-Veranstaltungen wurden in Nordrhein260 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Westfalen nicht registriert. Außerhalb von Duisburg blieb der Besuch Fatih Erbakans in IGMG-Kreisen weitgehend unbeachtet. In der Tageszeitung 'Milli Gazete' vom 13. September 2012 (S. 2) wird berichtet, dass anlässlich der Eröffnung des Arbeitsjahres der IGMG in Bremen ein Funktionär der SP anwesend war und eine Rede hielt. In der organisationseigenen Publikation 'camia' wird über die gleiche Veranstaltung berichtet, allerdings ohne die Anwesenheit und Rede des SP-Funktionärs zu erwähnen ('camia' vom 5. Dezember 2012). Derselbe SP-Funktionär war auch an der Eröffnungszeremonie der neuen Geschäftsstelle des IGMG-Regionalverbandes Nord-Holland am 29. September 2012 in Amsterdam zugegen und sprach zu den Anwesenden. In der örtlichen Berichterstattung wird er mit Namen und Funktion genannt. Der IGMG-Generalvorsitzende Kemal Ergün und weitere Funktionäre der IGMG nahmen an dieser Veranstaltung ebenfalls teil. Hierüber wurde in der 'Milli Gazete' (4. Oktober 2012) und in der 'camia' (19. Oktober 2012) zwar ausführlich berichtet, der SP-Funktionär fand jedoch wiederum keine Erwähnung. Die selten gewordenen Kontakte zu Funktionsträgern der SP, der politischen Vertretung der 'Milli Görüs'-Bewegung, und das weitgehende Unterlassen der Berichterstattung über diese wenigen Besuche könnten als Fortsetzung einer unausgesprochenen Distanzierung von der 'Saadet Partisi' und ihren ideologischen Inhalten gedeutet werden. Eine gewisse Nähe der IGMG zur politischen Bewegung 'Milli Görüs' drückt sich jedoch in ihren Anzeigen in der 'Milli Gazete' aus. Dort sind regelmäßig Kondolenzanzeigen, Genesungsoder Glückwünsche und ähnliche Annoncen sowie Ankündigungen und Verlaufsberichte von regionalen und überregionalen Veranstaltungen der IGMG zu lesen. Auch im Jahr 2012 wurde innerhalb von Organisationen der IGMG für ein Abonnement der 'Milli Gazete' geworben. Verglichen mit den Anstrengungen und der Werbung für die IGMG-eigenen Publikationen erscheint diese Werbung jedoch kaum ins Gewicht zu fallen. Da die 'Milli Gazete' aber entschieden für politische Inhalte auf der ideologischen Linie von Necmettin Erbakan und der 'Saadet Partisi' eintritt, ist davon auszugehen, dass diese Inhalte von Teilen der IGMG nach wie vor mitgetragen werden. Kolumnisten der 'Milli Gazete' hielten auch im Jahr 2012 wieder Vorträge und Seminare in Vereinen bzw. Einrichtungen der IGMG. islAmismus 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Personelle Umgestaltung Seit der Wahl von Kemal Ergün zum Generalvorsitzenden im Jahr 2011 ist ein fortwährender personeller Umbau innerhalb der IGMG-Struktur feststellbar. Inwieweit diese personelle Umstrukturierung innerhalb der IGMG Auswirkungen auf die ideologische Richtung der IGMG hat, kann noch nicht abschließend bewertet werden. Eine eindeutige Abkehr von der Ideologie Erbakans ist bisher von der IGMG-Führung jedenfalls nicht erklärt worden, die Kontakte zur türkischen Regierungspartei AKP scheinen aber weiter ausgebaut zu werden. Ausblick Seit geraumer Zeit sind Teile der IGMG in hervorgehobener Position bemüht, die politische Agenda in den Hintergrund treten zu lassen und die Organisation mehr auf die religiösen Belange zu konzentrieren. Damit einher geht eine allmähliche Loslösung von der 'Saadet Partisi', der Vertreterin von Erbakans politischem und ideologischem Erbe, die jedoch nicht eindeutig ausgesprochen wird. Eine eindeutige Klärung der Haltung der IGMG zu Erbakans politischer "Mission" und seinen ordnungspolitischen Zielen sowie seinen Feindbildern hat somit bis heute nicht stattgefunden. Deshalb wird die IGMG nach wie vor als Teil der von Erbakan gegründeten und inspirierten politischen Bewegung 'Milli Görüs' angesehen. Die beschriebene Entwicklung weist aber in die Richtung einer faktischen Loslösung der IGMG von der Ideologie der 'Milli Görüs'. 262 islAmismus Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 6 Extremismus in Zahlen 6.1 Bericht des Landeskriminalamtes 6.1.1 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) Die Anzahl der bekannt gewordenen Politisch motivierten Straftaten in NordrheinWestfalen im Jahr 2012 ist im Vergleich zum Vorjahr rückläufig. Auch die Zahl der bekannt gewordenen Gewaltdelikte mit politischer Motivation ist im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Nach Phänomenen aufgegliedert verhält sich die Entwicklung inhomogen. Die Fallzahlen in den Bereichen der Politisch motivierten Kriminalität "Links" und "Ausländer" sind gesunken, während die Fallzahlen in den Bereichen "Rechts" und "Sonstige, nicht zuzuordnen" gestiegen sind. Im Jahr 2012 stiegen im 1. Halbjahr die der "rechten" Szene zuzurechnenden Fallzahlen der Propagandadelikte sowie der Sachbeschädigungen deutlich an. Ursächlich hierfür dürfte die nordrhein-westfälische Landtagswahl gewesen sein. Am 3. März 2012 kam es in Münster anlässlich einer Versammlung mit Aufzug der "rechten" Szene unter dem Motto: "Für eine selbstbestimmte Zukunft unseres Volkes! - Raus aus EU, NATO und UNO!" zu insgesamt elf angemeldeten Gegenveranstaltungen der "linken" Szene mit circa 5.500 Teilnehmern. An der Veranstaltung des "rechten" Spektrums in der Innenstadt von Münster nahmen insgesamt 311 Personen teil. Während der Veranstaltung kam es an eingerichteten Sperrstellen mehrfach zu Durchbruchsversuchen der "linken" Szene. Aus einer Gruppe von circa 500 Personen der "linken" Szene heraus wurden Polizeibeamte zudem mit Steinen, Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen beworfen. Insgesamt sind im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen 94 Straftaten bekannt geworden. Der hohe Grad der Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus hält unvermindert an. Er kann sich jederzeit in Form von Anschlägen oder Anschlagsversuchen realisieren. Insbesondere islamkritische Ereignisse im Inund Ausland eignen sich als Tatimpulse für gewaltsame Reaktionen der islamistischen Szene gegen Personen und ExtREmismus in zAhlEn 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Objekte. Diesbezüglich sind öffentlichkeitswirksame Bereiche wie Politik, Medien und Sicherheitsorgane als exponierte Ziele anzusehen. Am 26. Mai 2012 verletzte in Lünen nach gegenseitigen Provokationen zwischen kurdischen und nationalistisch eingestellten Türken eine männliche kurdische Person eine männliche türkische Person durch einen Messerstich in den seitlichen Brustbereich. Die Straftat ist statistisch als versuchtes Tötungsdelikt im Phänomenbereich PMK-Ausländer erfasst. Zwischenzeitlich wurde der Tatverdächtige zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Am 6. November 2012 kam es in einem Mehrfamilienhaus im Bereich der Kreispolizeibehörde Gütersloh zu einer Brandstiftung durch einen 21-jährigen französischen Staatsbürger armenischer Herkunft. Der Täter begründete die Tat mit allgemeinem Frust, der sich auch gegen Ausländer richte. Insoweit wurde die Straftat statistisch als Brandstiftung und versuchter Totschlag im Phänomenbereich PMK-Sonstige erfasst. Aufgrund eines psychologischen Gutachtens des Täters ist die Tat inzwischen nicht mehr der Politisch motivierten Kriminalität zuzurechnen. Am 10. Dezember 2012 stellte eine bislang unbekannte männliche Person eine Sporttasche auf einem Bahnsteig des Bonner Hauptbahnhofs ab und entfernte sich. Der Reißverschluss der Tasche war geöffnet, so dass Drähte, ein längliches Behältnis, Kabel und ein Wecker zu erkennen waren. Der sprengstoffverdächtige Gegenstand wurde entschärft. Nach bisherigem Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen handelte es sich um eine zündfähige Sprengvorrichtung, der jedoch der entsprechende Zünder fehlte. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat ein Ermittlungsverfahren gem. SS 129a StGB eingeleitet. Weniger Straftaten als im Jahr 2011 In Nordrhein-Westfalen wurden für das Jahr 2012 insgesamt 4.624 (2011: 4.888) politisch motivierte Straftaten bekannt. Dies entspricht einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 5,4% (-264 Straftaten). 264 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Grafik 1: PMK im Jahresvergleich von 2001 bis 2012 Propagandadelikte machen mit 2.182 Fällen (2011: 2.134) 47,2% der PMK aus. Grafik 2: PMK im Jahresvergleich von 2001 bis 2012 nach Deliktbereichen Insgesamt wurden 2.811 (2011: 2.838) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 2.407 (2011: 2.394) männlich und 404 (2011: 444) weiblich. ExtREmismus in zAhlEn 265 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Nach Phänomenbereichen unterschieden sind : 3.024 (2011: 3.015) Straftaten der Politisch motivierten Kriminalität-Rechts (PMKRechts), : 963 (2011: 1.301) Straftaten der Politisch motivierten Kriminalität-Links (PMKLinks) und : 201 (2011: 267) Straftaten der Politisch motivierten Ausländerkriminalität (PMKAusländer) zuzurechnen. 436 (2011: 305) Straftaten konnten keinem Phänomenbereich eindeutig zugeordnet werden. Sie wurden als Politisch motivierte Kriminalität-Sonstige/Nicht zuzuordnen (PMK-Sonstige) erfasst. Grafik 3: PMK im Jahresvergleich von 2011 und 2012 nach Phänomenbereichen Die Betrachtung der PMK nach Phänomenbereichen zeigt gegenüber dem Vorjahreszeitraum unterschiedliche Entwicklungen : Anstieg der PMK-Rechts um neun Straftaten : Rückgang der PMK-Links um 338 Straftaten : Rückgang der PMK-Ausländer um 66 Straftaten sowie : Anstieg der PMK-Sonstige um 131 Straftaten. 266 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Von den 4.624 im Jahr 2012 bekannt gewordenen Delikten der Politisch motivierten Kriminalität sind 4.047 (87,5%) als extremistische Straftaten im Sinne des SS 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen einzustufen, weil sie sich beispielsweise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten. Nach Phänomenbereichen unterschieden entfallen von den extremistischen Straftaten : 2.986 (2011: 2.934) auf die PMK-Rechts, : 747 (2011: 1.015) auf die PMK-Links, : 178 (2011: 244) auf die PMK-Ausländer und : 136 (2011: 62) auf die PMK-Sonstige. Insgesamt ist die Anzahl der als extremistisch einzustufenden Straftaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4,9% (-208 Delikte) gesunken. Rückgang der Politisch motivierten Gewaltdelikte In Nordrhein-Westfalen wurden insgesamt 398 (2011: 502) Politisch motivierte Gewaltdelikte (PMK-Gewalt) bekannt. Dies bedeutet einen Rückgang um 20,7% (-104 Straftaten), der sich insbesondere auf die gesunkenen Zahlen bei den Landfriedensbrüchen (von 71 auf 23 Straftaten) und Körperverletzungsdelikten (von 338 auf 291 Straftaten) zurückführen lässt. 280 Gewaltdelikte konnten polizeilich geklärt werden (2011: 339). Insgesamt wurden 762 (2011: 1.063) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 675 (2011: 885) männlich und 87 (2011: 178) weiblich. Die Betrachtung nach Phänomenbereichen (vgl. nachfolgende Tabelle) zeigt folgende Entwicklungen: : Anstieg der Gewaltdelikte PMK-Rechts auf 192 Straftaten (2011: 190) : Anstieg der Gewaltdelikte PMK-Sonstige auf 23 Straftaten (2011: 18) : Rückgang der Gewaltdelikte PMK-Links auf 147 Straftaten (2011: 219) und : Rückgang der Gewaltdelikte PMK-Ausländer auf 36 Straftaten (2011: 75). ExtREmismus in zAhlEn 267 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 PMKPMKPMK-Rechts PMK-Links Ausländer Sonstige Tötungsdelikte 0 (0) 0 (1) 1 (0) 1 (0) Brandund 6 (3) 6 (13) 3 (2) 0 (3) Sprengstoffdelikte Landfriedensbruchdelikte 2 (5) 16 (44) 5 (21) 0 (1) Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luft- 1 (0) 6 (8) 0 (0) 2 (1) und Straßenverkehr Körperverletzungsdelikte 167 (169) 84 (116) 21 (42) 19 (11) Widerstandshandlungen 13 (10) 32 (34) 2 (9) 1 (1) Raub, Erpressung, 3 (3) 3 (3) 4 (1) 0 (1) Freiheitsberaubung Zwischensumme 192 (190) 147 (219) 36 (75) 23 (18) Bedrohungen, Nötigungen 26 (31) 16 (14) 18 (13) 18 (8) Sachbeschädigungen 230 (293) 434 (393) 41 (33) 125 (57) Propagandadelikte 2.020 (1.974) 24 (12) 1 (5) 137 (143) Volksverhetzungen 341 (318) 4 (2) 14 (4) 7 (9) Störungen des 4 (5) 4 (3) 5 (4) 2 (5) öffentlichen Friedens Beleidigungen 148 (134) 81 (84) 20 (10) 50 (40) Verstöße gegen das 1 (0) 0 (0) 36 (83) 0 (0) Vereinsgesetz Verstöße gegen das 16 (38) 188 (515) 9 (16) 5 (5) Versammlungsgesetz Sonstige Straftaten 46 (32) 65 (59) 21 (24) 69 (20) 3.024 963 201 436 Gesamt (3.015) (1.301) (267) (305) Tabelle: PMK nach Deliktgruppen und Phänomenbereichen im Jahresvergleich 2012 und (2011) 268 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 6.1.2 Politisch motivierte Kriminalität-Rechts Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich PMK-Rechts ist mit 3.024 Straftaten (2011: 3.015) im Vergleich zum Vorjahr um 0,3% angestiegen. Grafik 4: PMK-Rechts im Jahresvergleich von 2001 und 2012 Insgesamt wurden 1.314 (2011: 1.363) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 1.176 (2011: 1.232) männlich und 138 (2011: 131) weiblich. 624 (2011: 744) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 840 (2011: 872) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Vorherrschende Themenfelder146 der PMK-Rechts waren "Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus" (Anstieg von 2.290 auf 2.324 Straftaten), "Hasskriminalität" (Anstieg von 743 auf 817 Straftaten) und "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 316 auf 257 Straftaten). Propagandadelikte und Volksverhetzungen machen mit 78,1% (2.361 von insgesamt 3.024 Straftaten) den überwiegenden Anteil der Straftaten aus. Die Anzahl der Propagandadelikte ist (von 1.974 auf 2.020 Straftaten) angestiegen. Die Anzahl der Sachbeschädigungen durch "Rechte" ist von 293 auf 230 Straftaten gesunken. 146 Die Melderichtlinien des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität" sehen Mehrfach-nennungen bei den Oberthemen vor, so dass eine Straftat mehreren Oberthemen zugeordnet werden kann. ExtREmismus in zAhlEn 269 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Dem Unterthema "Autonomer Nationalismus" wurden im Vergleich zum Vorjahr mehr Straftaten zugeordnet (Anstieg von 146 auf 148 Straftaten). Bei den Deliktgruppen machten Sachbeschädigungen und Propagandadelikte mehr als vier Fünftel (122 von 148 Straftaten) der Fallzahlen aus. Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Rechts Die Anzahl der Gewaltdelikte durch "Rechte" ist leicht angestiegen (Anstieg von 190 auf 192 Straftaten). Schwerpunktmäßig handelte es sich um Körperverletzungen (167 Straftaten). Überwiegend waren die Gewaltdelikte den Themenfeldern "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 64 auf 53 Straftaten) und "Hasskriminalität" (Anstieg von 94 auf 105 Straftaten) zuzurechnen. Gewaltdelikte durch "Rechte" wurden mehrheitlich (171 von 192 Straftaten) unabhängig von Versammlungen und im öffentlichen Raum verübt. Acht Gewaltdelikte wurden im Begründungszusammenhang mit demonstrativen Ereignissen begangen. Hasskriminalität durch "Rechte" Die "Hasskriminalität"147 im Phänomenbereich PMK-Rechts ist von 743 auf 817 Straftaten angestiegen. 83,4% der Delikte im Themenfeld "Hasskriminalität" (681 von 817 Straftaten) waren Volksverhetzungen (331 Straftaten), Propagandadelikte (170 Straftaten), Beleidigungen (128 Straftaten) und Sachbeschädigungen (52 Straftaten). Dem Unterthema "Fremdenfeindlichkeit" wurden mehr Delikte als im Vorjahreszeitraum zugeordnet (Anstieg von 549 auf 636 Delikte). Die Anzahl der fremdenfeindlich motivierten Gewaltdelikte ist von 87 auf 100 Straftaten angestiegen. Antisemitische Straftaten Die Anzahl der antisemitischen Straftaten ist von 242 auf 216 gesunken. Bei den Deliktgruppen machten, wie in den Vorjahren, Volksverhetzungen (119 Straftaten), Propagandadelikte (45 Straftaten) und Sachbeschädigungen (26 Straftaten) mit 88% 147 Der Hasskriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft oder aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind. 270 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 (190 von 216 Straftaten) den überwiegenden Anteil der Fallzahlen aus. Die Anzahl der antisemitischen Gewaltdelikte ist von 10 auf 9 Straftaten gesunken. Es handelte sich dabei um sechs Körperverletzungen, zwei Widerstandshandlungen und ein Landfriedensbruchdelikt. Alle antisemitischen Gewaltdelikte sind dem Täterkreis der PMKRechts zuzuordnen. Von den 216 antisemitischen Straftaten entfallen : 197 Delikte auf die PMK-Rechts (2011: 229) : 13 Delikte auf die PMK-Ausländer (2011: 3) : 2 Delikte auf die PMK-Links (2011: 2) und : 4 Delikte auf die PMK-Sonstige (2011: 8). 6.1.3 Politisch motivierte Kriminalität-Links Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK-Links ist mit 963 Straftaten (2011: 1.301) im Vergleich zum Vorjahr um 26,0% gesunken. Grafik 5: PMK-Rechts im Jahresvergleich von 2001 und 2012 Insgesamt wurden 626 (2011: 1.046) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 484 (2011: 825) männlich und 142 (2011: 221) weiblich. 388 (2011: 755) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 289 (2011: 483) der Tatverdächtigen waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. ExtREmismus in zAhlEn 271 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Hauptsächliche Themenfelder der PMK-Links waren im Jahr 2012 "Antifaschismus" (Rückgang von 978 auf 636 Straftaten), "Konfrontation mit dem politischen Gegner" (Rückgang von 787 auf 579 Straftaten) und "Innenund Sicherheitspolitik" (Rückgang von 374 auf 268 Straftaten). Fast zwei Drittel der Straftaten der PMK-Links (622 von 963 Straftaten) waren Sachbeschädigungen (434 Delikte) und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (188 Delikte). Die Anzahl der Sachbeschädigungen ist im Vergleich zum Vorjahr angestiegen (von 393 auf 434 Straftaten). Der in den Vorjahren beobachtete Trend, dass in der "linken" Szene vermehrt Sachbeschädigungen in Form von Farbschmierereien mit antifaschistischen Parolen, wie beispielsweise "Nazis raus", und Parolen gegen die Polizei begangen werden, setzte sich fort. Die Auseinandersetzung mit den "Rechten" bildete wie im Vorjahr den Schwerpunkt innerhalb der PMK-Links. Die Fallzahlen der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz gingen zurück (von 515 auf 188 Straftaten). Auch der Anteil der Straftaten bei demonstrativen Ereignissen am Gesamtstraftatenaufkommen der PMK-Links lag im Jahr 2012 mit 41,4% (399 von 963 Delikten) unter dem Niveau des Vorjahres (2011: 58,9%). Der Rückgang der Fallzahlen um 338 (von 1301 im Vorjahr auf 963 Straftaten) lässt sich zurückführen auf den Rückgang an Veranstaltungen der "rechten" Szene und den sich daraus üblicherweise entwickelnden Konfrontationsdelikten bei der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und/oder der Polizei. Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Links Die Anzahl der Gewaltdelikte durch "Linke" ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken (von 219 auf 147 Straftaten). 63,9% der Gewaltdelikte (94 von 147 Straftaten) wurden bei demonstrativen Ereignissen verübt. Die Zahl der Körperverletzungen ist ebenso zurückgegangen (Rückgang von 116 auf 84 Straftaten) wie die Zahl der Landfriedensbrüche (von 44 auf 16 Straftaten). Die Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte stehen fast ausschließlich im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen (55 von 59 Straftaten). Der Auftrag der Polizei, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen und die Durchführung der Demonstration zu gewährleisten, wird bewusst ideologisch umgedeutet und als Schutz 272 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der "Rechten" interpretiert. Die Anwendung von Gewalt gegen Polizeibeamte wird so als legitimes Mittel im "Kampf gegen Rechts" gerechtfertigt. 6.1.4 Politisch motivierte Ausländerkriminalität Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich PMK-Ausländer ist im Vergleich zum Vorjahr um 24,7% zurückgegangen (von 267 auf 201 Straftaten). 55 Straftaten wurden im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen begangen, davon 26 Verstöße gegen das Vereinsgesetz. Grafik 6: PMK-Ausländer im Jahresvergleich von 2001 und 2012 Insgesamt wurden 566 (2011: 246) Tatverdächtige ermittelt. Davon waren 490 (2011: 175) männlich und 76 (2011: 71) weiblich. 152 (2011: 133) waren zur Tatzeit zwischen 14 und 24 Jahre alt. 200 (2011: 119) waren bereits zuvor kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Hauptsächliche Themenfelder waren "Befreiungsbewegungen/Inter-nationale Solidarität" (Rückgang von 193 auf 93 Straftaten), "Innenund Sicherheitspolitik" (Rückgang von 161 auf 89 Straftaten) sowie Konfrontation/politische Einstellung (Anstieg von 59 auf 64 Straftaten). ExtREmismus in zAhlEn 273 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Phänomenologisch handelte es sich bei den Straftaten der PMK-Ausländer mehrheitlich um Sachbeschädigungen (41 Straftaten), Verstöße gegen das Vereinsgesetz148 (36 Straftaten) - meist durch das Zeigen von Flaggen der verbotenen PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen bei Demonstrationen - und um Körperverletzungen (21 Straftaten). Gewaltkriminalität im Phänomenbereich PMK-Ausländer Die Anzahl der Gewaltdelikte der PMK-Ausländer hat sich mehr als halbiert (von 75 auf 36 Straftaten). 38,9% der Gewaltdelikte (14 von 36 Straftaten) wurden im Begründungszusammenhang mit der in Deutschland verbotenen PKK begangen (Rückgang von 58 auf 14 Straftaten). Dabei handelte es sich um ein sechs Körperverletzungsdelikte, zwei Erpressungen, zwei Landfriedensbrüche, zwei Branddelikte, ein Tötungsdelikt und eine Freiheitsberaubung. 6.1.5 Hohe Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus Die dem Themenfeld "Islamismus/Fundamentalismus" im Jahr 2012 zuzuordnenden Straftaten sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf insgesamt 29 bekanntgewordene Fälle (2011: 20) angestiegen. Dem Bereich der Gewaltdelikte sind sechs Straftaten zuzuordnen, drei Körperverletzungsdelikte, zwei Landfriedensbruchdelikte und eine Widerstandshandlung. Insgesamt wurden 233 Tatverdächtige ermittelt, davon allein 87 bzw. 125 Tatverdächtige der islamistischen Szene im Zusammenhang mit den gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen der Wahlkampftour der "Bürgerbewegung pro NRW" in Solingen und Bonn. 6.2 Mitgliederpotenzial in Nordrhein-Westfalen Die Angaben zu den Parteien und Organisationen umfassen grundsätzlich alle Mitglieder. Damit ist nicht verbunden, dass jedes Mitglied als extremistisch eingeschätzt wird. Die Angaben zum Mitgliederpotenzial sind gerundet und zum Teil geschätzt. 148 Bei Straftaten gemäß SS 20 Abs. 1 VereinsG (Zeigen von Kennzeichen verbotener Vereine oder Parteien) ist nach den "Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität" für jeden Tatverdächtigen ein Fall zu erfassen. 274 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen Organisation/Gruppierung 2012 2011 NPD 700 700 pro Köln e.V./pro NRW 1.000 1.000 Die Rechte 130 - Neonazistische Kameradschaften einschl. regionale Szenen** 640 640 Militante Rechtsextremisten einschl. Skinheads 1.350 1.350 Sonstige 150 150 abzüglich Doppelmitgliedschaften -310 -180 Summe 3.660 3.660 Tabelle: Mitgliederpotenzial extremistischer Organisationen ** In der Gesamtzahl sind die sogenannten Autonomen Nationalisten enthalten. Mitgliederzahlen linksextremistischer Organisationen und Gruppierungen Organisation/Gruppierung 2012 2011 Gewaltorientierte Linksextremisten einschl. Autonome 780 780 DKP 1.200 1.200 MLPD 650 650 Summe 2.630 2.630 Tabelle: Mitgliederzahlen linksextremistischer Organisationen Mitgliederzahlen extremistischer Organisationen von Ausländern Organisation/Gruppierung 2012 2011 ADÜTDF* 2.000 2.000 DHKP-C 200 200 KONGRA-GEL bzw. PKK 2.200 2.200 LTTE 300 300 Summe 4.700 4.700 Tabelle: Mitgliederzahlen extremistischer Ausländerorganisationen ExtREmismus in zAhlEn 275 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Mitgliederzahlen islamistischer Organisationen Organisation/Gruppierung 2012 2011 HAMAS 70 70 Hizb Allah 350 350 Tablighi Jama'at* 100 150 Hizb ut-Tahrir 70 70 MB/IGD 320 320 IGMG 8.000 8.000 Kaplan-Verband 350 350 Türkische Hizbullah 60 60 Salafistische Bestrebungen 1.000 500 Summe 10.320 9.870 Tabelle: Mitgliederzahlen islamistischer Organisationen 276 ExtREmismus in zAhlEn Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 7 Scientology Organisation Bund NRW Sitz München: ('Scientology Kirche Düsseldorf: ('Scientology Deutschland e.V.'*) Kirche' und Celebrity Center*) Mitglieder 3.500-4.500 Ca. 600 Publikationen 'Kompetenz' (Verbreitung in NRW), 'Freiheit' (bundesweite Verbreitung), 'Impact', 'Scientology News', 'Source', 'Celebrity', 'Freewinds', 'OT-Universe', 'The Auditor', 'Advance' (international Verbreitung) Internet umfassendes mehrsprachiges Angebot * Es handelt sich jeweils um rechtlich selbständige, in eine internationale Struktur eingebundene Organisationen, die über das kontinentale Verbindungsbüro in Kopenhagen beziehungsweise vom Managementzentrum in Los Angeles gesteuert werden. Der 'Scientology Organisation' gehören in Deutschland ca. 3.500 bis 4.500 Mitglieder an. Somit ist die Mitgliederzahl auf der Bundesebene im Vergleich zum Jahr 2011 rückläufig. In Nordrhein-Westfalen stagniert die Mitgliederzahl und bleibt auf dem Stand von 2011. Beobachtung der 'Scientology-Organisation' Die 'Scientology-Organisation' steht seit 1997 im Blickfeld des Verfassungsschutzes. Die Beobachtung der 'Scientology Kirche Deutschland e.V.' (SKD) und der 'Scientology Kirche Berlin e.V.' (SKB) durch den Verfassungsschutz wurde mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster im Februar 2008 als rechtmäßig erachtet (Urteil vom 12. Februar 2008, Az.: 5A 130/05). Die Auseinandersetzung mit der Organisation und der scientologischen Lehre zeigt, dass durch die Beeinflussung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die 'Scientology-Organisation' eine Führung in der Gesellschaft anstrebt und letztlich das Ziel verfolgt, weltweit die Regierungsgewalt auszuüben. Die Lehre beinhaltet auch die Einschränkung wesentlicher Grundund Menschenrechte, zum Beispiel der Meinungsfreiheit oder der Gleichberechtigung. sciEntology oRgAnisAtion 277 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 So finden sich in den Texten vom Scientology Gründer L. Ron Hubbard, die die 'Scientology Organisation' als verbindlichen Teil ihrer Lehre ansieht, wiederholt Aussagen, die implizieren, dass die Menschenund Bürgerrechte in einer scientologischen Gesellschaft nicht allen Menschen gleichermaßen zustehen sollen. Nicht-Scientologen und Kritiker der 'Scientology Organisation' sind sogenannte "Aberrierte" beziehungsweise "unterdrückerische Personen". Sie werden in zahlreichen Ausführungen diffamiert und von Scientologen sogar als Kriminelle bezeichnet. Diesen "Aberrierten" sollen Menschenund Bürgerrechte verwehrt werden. Erstrebenswerte gesellschaftliche Ziele sehen laut Hubbard zum Beispiel wie folgt aus: "Nur wenn man eine Gesellschaft von nichtaberrierten Menschen hat, eine Kultur, aus der alle Unvernunft entfernt wurde, dann, und nur dann kann der Mensch für seine Handlungen wirklich verantwortlich sein ... Beispiel eines Flyers der Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem NichtaScientology Organisation berrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann." (Hubbard, Dianetik - Ein Leitfaden für den menschlichen Verstand, 2007, S. 481 ff.) Ein Beispiel für die Missachtung des Grundrechts auf Gleichbehandlung unter anderem durch die gesellschaftliche Diskriminierung von Nicht-Scientologen zeigt folgendes Zitat: "Eines Tages wird es vielleicht ein viel vernunftgemäßeres Gesetz geben, das nur Nichtaberrierten erlaubt zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen." (Hubbard, Dianetik - Ein Leitfaden für den menschlichen Verstand, 2007, S. 372) In der Gesellschaft stellt Scientology eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar, da unter dem Deckmantel der Angebote zur Lebenshilfe und -bewältigung eine Abhän278 sciEntology oRgAnisAtion Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 gigkeit erzeugt werden soll. Zudem müssen Wirtschaftsunternehmen, sonstige Einrichtungen oder Parteien einen Reputationsverlust befürchten, falls eine Kooperation oder enge Verbindung zur 'Scientology-Organisation' eingegangen und bekannt wird. Aufbau der Organisation Die 'Scientology-Organisation' ist strikt hierarchisch aufgebaut und verfügt über Strukturen mit totalitärem Anspruch. Sie wird weltweit aus den USA gesteuert. Alle Einrichtungen unterstehen dem obersten Management in Los Angeles und somit dem Hubbard-Nachfolger David Miscavige. Auf der Hierarchie in der unteren Ebene befinden sich die 'Orgs' (Abkürzung für Organisation) und die 'Celebrity Center'. Diese sind als Niederlassungen offen für die Bürgerinnen und Bürger in den Landeshauptstädten erkennbar. Einflussnahme auch auf Kinder und Jugendliche Nebenund Tarnorganisationen der 'Scientology-Organisation' sind unter anderem die Bewegungen 'Jugend für Menschenrechte', 'Sag nein zu Drogen-sag ja zum Leben', 'The Way To Happiness' und die 'Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte' (KVPM). Sie sind nicht immer als Teil der 'Scientology-Organisation' zu erkennen. Es werden bewusst Themen aufgegriffen, die in hohem Maß die Werte von jungen Menschen ansprechen. Alle Kampagnen werden mittels moderner und jugendorientierter Kommunikationsmethoden durchgeführt und beworben. Damit wird passgenau versucht, mit Jugendlichen in Kontakt zu treten und auf diese Weise an die 'Scientology-Organisation' zu binden. Gerade aufgeschlossene und engagierte Jugendliche können sich mit den angebotenen Inhalten und der Darbietungsform identifizieren. Insbesondere die Bewegungen 'Sag nein zu Drogen - Sag ja zum Leben', 'Jugend für Menschenrechte' und 'Der Weg zum Glücklichsein' haben Jugendliche als ihre Zielgruppe entdeckt. Im Frühjahr 2012 ist die Nebenorganisation 'The Way To Happiness Foundation' in den Fokus gerückt. Über sie sollten Broschüren mit dem Titel 'Der Weg zum Glücklichsein' an Schulen in NRW verteilt werden und mittels Postsendungen unter anderem Exemplare des Films 'Der Weg zum Glücklichsein' ihren Weg in Schulbibliotheken finden. Dies ist aber nicht gelungen. sciEntology oRgAnisAtion 279 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Außerdem versucht die 'Scientology-Organisation' bundesweit über die Organisationen 'Applied Scholastics' (Nachhilfe) und das 'Zentrum für individuelles und effektives Lernen' (ZIEL) Kontakt zu Kindern und Jugendlichen herzustellen und sie auf diesem Weg an sich zu binden. Die 'Scientology-Organisation' unterhält nicht nur unzählige, für Jugendliche attraktiv gestaltete Homepages, sondern geriert sich auch kinderund jugendgerecht, entweder offen oder verdeckt, in diversen Social Networks wie Facebook oder auch auf Twitter, Youtube und sonstigen Blogs und Foren etc. Der Umgang der 'Scientology Organisation' mit Kindern kann als besonders problematisch bewertet werden. Sie werden speziellen, nicht altersgerechten Verfahren unterzogen. Es muss befürchtet werden, dass Kinder, die an derartigen Maßnahmen teilnehmen, seelische Schäden davon tragen. In Deutschland sind scientologische Schulen verboten. Eltern, die ihre Kinder dennoch in diesem Sinn erziehen lassen möchten, schicken ihren Nachwuchs in der Regel zu scientologischen Internaten im Ausland. Prävention durch den Verfassungsschutz Zur Minimierung der mit der Organisation einhergehenden Gefahren betreibt der Verfassungsschutz eine intensive Präventionsarbeit. Jährlich werden Unternehmen, Wirtschaftsverbände und sonstige Einrichtungen besucht und ausführlich beraten. Dieses Beratungsangebot kann je nach Wunsch Sensibilisierungs,und Informationsvorträge oder Einzelgespräche beinhalten und richtet sich an alle interessierten Firmen, Unternehmen und Personen. Auch telefonische Auskünfte und Hinweise sind möglich. 280 sciEntology oRgAnisAtion Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 8 Spionageabwehr 8.1 Überblick Auch im Jahr 2012 stand für die Spionageabwehr der Wirtschaftsschutz besonders im Vordergrund. Durch Wirtschaftsspionage entstehen nach wie vor in Deutschland jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Nicht nur die Dax-30-Konzerne, d.h. die sogenannten global Player, sondern gerade auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen mit ihren hochinnovativen Produkten und ihrem speziellen Know-how sind permanent von Wirtschaftsspionage betroffen. Aber nicht nur umsatzstarke größere sowie kleine und mittelständische Unternehmen sind massiv von Wirtschaftsspionage bedroht. Die zahlreichen renommierten nordrhein-westfälischen Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Technologieund Gründerzentren stehen ebenso im Fokus von Angreifern. Betroffen sind nicht nur bestimmte Branchen, Industrien oder Fachbereiche. Der Trend, dass Wirtschaftsspione bevorzugt durch illegale, technische Angriffe auf das Unternehmens-Know-how und die sensiblen Unternehmensdaten erfolgt, verstärkt sich weiter. Da die technischen Angriffsmethoden immer ausgeklügelter werden und die Angreifer in der Regel nicht lokalisiert werden können, ist eine wirksame Prävention nach wie vor der beste Schutz vor derartigen Angriffen. Der Verfassungsschutz NRW hat auch im Jahr 2012 seine umfangreiche Präventionsarbeit mit zahlreichen Vorträgen vor Multiplikatoren fortgesetzt und eine Vielzahl von Betrieben, Unternehmen und Einrichtungen über konkrete Gefahren und wirksame Schutzkonzepte sensibilisiert. Der Fokus der Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes wurde dabei insbesondere auf die aktuelle Gefährdung des Unternehmens-Know-hows durch die vermehrte Nutzung neuester Technologien und die Perfektionierung bereits bekannter Spionagemethoden gelegt. So wurde ein besonderes Augenmerk auf die aktuellen Fortentwicklungen des Social Engineering, aber auch auf die verstärkte Nutzung von Social Networks als Spionagewerkzeuge gelegt. In diesem Zusammenhang wurden auch die besonders ernstzunehmenden Gefahren durch eine verstärkte Nutzung von privaten Geräten wie Smartphones oder Tablets am Arbeitsplatz in Unternehmen (Bring Your Own Device - BYOD) beleuchtet. Oft minimieren diese Geräte den Sicherheitsstandard von Unternehmen besorgniserregend. Die Berater des Verfassungsschutzes haben zudem den aktuellen Trend, dass Unternehmen zunehmend die Vorteile des Cloud Computing nutzen, in die Beratungen einbezogen, indem sie die sich hieraus ergebenden Gefahren anschaulich verdeutlichen. spionAgEAbwEhR 281 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Aber auch im Rahmen der klassischen Spionage klärte der Verfassungsschutz in den Schwerpunktländern China, Russland und Iran über Beschaffungsziele, Strukturen und Methoden fremder Nachrichtendienste und der jeweiligen Ausspähung der Oppositionellen auf. Wie aktuell das Thema Oppositionellenausspähung ist, zeigt die Verurteilung eines Syrers durch das Kammergericht Berlin zu drei Jahren und drei Monaten Haft, weil er von Mitte 2009 bis Februar 2012 Informationen über syrische Oppositionelle für den militärischen Geheimdienst Syriens gesammelt hat. Auch im Jahr 2012 stellt die Aufklärung und Beratung im Zusammenhang mit proliferationsrelevanten Geschäften einen Schwerpunkt der Arbeit der Spionageabwehr dar. Die Bemühungen von Ländern aus Krisengebieten, sich illegal Materialien zum Bau von A, B und C-Waffen zu beschaffen, bestehen unvermindert fort. Zum einen nimmt dabei der Verfassungsschutz die unübersichtlichen und komplexen Firmenund Personengeflechte der agierenden Einkäufer in den Blick und zum anderen berät er gerade die in Nordrhein-Westfalen zahlreich vertretenden Unternehmen, die mit poliferationsrelevanten Gütern handeln. Zudem wurde auch 2012 die Praxis fortgesetzt, Einrichtungen im Bereich Wissenschaft und Forschung, die an der Entwicklung entsprechender Technologien beteiligt sind, besonders zu sensibilisieren, um einen unzulässigen Know-how-Transfer zu unterbinden. 8.2 Islamische Republik Iran Der iranische Staat hat sich seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 intensiv der verschiedenen Nachrichtendienste bedient, um die Staatsmacht zu sichern. Bereits seit seiner Wahl 2005 hat der Präsident Mahmoud Ahmadinejad diese Instrumente genutzt. Die Dienste ihrerseits haben ihren Einfluss immer weiter ausgebaut und es ist davon auszugehen, dass ihre Mitglieder fast alle wichtigen Schlüsselpositionen im Land besetzen. Die wichtigsten Dienste sind : der Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden, in Farsi auch Sepah Pasdaran genannt, das Revolutionary Guards Intelligence Department (RGID), das als Inlandsabwehrdienst und Auslandsaufklärungsdienst fungiert, : das "Ministry of Information and Security" (Mois/VEVAK) - zuständig für die gesamte Informationsbeschaffung und 282 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 : die "Security and Intelligence Organisation of the Army" für militärische Angelegenheiten. Die Ziele dieser Nachrichtendienste richten sich - wie in den letzten Berichtsjahren bereits beschrieben - u.a. auf die Aufklärung der gesamten deutschen Innen-, Außen-, Wirtschaftsund Sicherheitspolitik sowie auf die Beobachtung und Infiltrierung der in Deutschland lebenden Oppositionellen. Zur Sicherung der eigenen Position ist es ein erklärtes Ziel des Staates, die Bürger vor "schädlichen Einflüssen" anderer Staaten zu schützen. Insbesondere soll ein "Schutz" vor oppositionellen Bestrebungen erfolgen. Nicht zuletzt deshalb schreiten die Bemühungen des Iran, die Internetnutzer vom westlichen Ausland abzuschotten, weiter voran. Alle Internetportale im Iran stehen unter Kontrolle des Staatsapparates. Dies ermöglicht eine umfassende Internetzensur. Einzelne Webseiten oder Wege über Facebook und Youtube sind gänzlich gesperrt beziehungsweise über Sperrwörter nicht zugänglich. Das Regime hat bereits vielen Versicherungen, Banken, Behörden und sogar Universitäten vorgeschrieben, nur noch die iranischen Internetdienstleister zu nutzen. Am 18. September 2012 verkündete der iranische Minister für Kommunikation und Informationstechnik Reza Taghipour: "Die Verbindung von 42.000 öffentlichen Einrichtungen zum internationalen Netz wird abgeschnitten. Allerdings gibt es in dieser Phase des nationalen Intranets noch keine breite Erreichbarkeit für die Öffentlichkeit". Auf dem Weg zum nationalen Internet, dem sogenannten "Halal Internet", wurden im Berichtszeitraum immer mehr offizielle Webseiten von Servern aus dem Ausland in den Iran verlegt. Immer häufiger - und nicht nur vor Parlamentswahlen - dokumentiert das Regime, dass es in der Lage ist, seine Bürger, aber vor allem seine Kritiker in der Kommunikation erheblich zu behindern oder diese auch völlig unterbinden kann. Der Iran gehört zu den sogenannten proliferationsrelevanten Ländern. Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Waffenträgersysteme einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows verstanden. Auch im Jahr 2012 hat der Iran trotz verschärfter Sanktionen des UN-Sicherheitsrates und der EU (EU-Verordnung Nr. 1263/2012 vom 27. Dezember 2012) gegen den spionAgEAbwEhR 283 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Widerstand einer großen Mehrheit der Völkergemeinschaft sein Atomund Trägertechnologieprogramm fortgesetzt. Der Iran hat zwar eigene technische Fortschritte in der Weiterentwicklung seiner Programme gemacht, trotzdem muss er weiterhin Produkte auf dem Weltmarkt beschaffen. Daher war im Jahr 2012 unter anderem die Bekämpfung der Proliferation ein Schwerpunkt der Spionageabwehr NRW in der Ländersachbearbeitung Iran. Bei den begehrten Produkten handelt es sich oft nur um für sich gesehen unbedenkliche Komponenten wie zum Beispiel Karbonfasern, Druckgeber, Vakuumpumpen pp., die aber zum Beispiel unverzichtbar für den Bau sogenannter Gasultrazentrifugen und damit für den Betrieb einer Urananreicherungsanlage sind. Die iranischen Urananreicherungsanlagen in Natanz und Fordow gelten als Herzstück des iranischen Nuklearprogramms. Aufgrund der führenden Position deutscher Maschinenbauer auf dem Weltmarkt und früheren deutsch-iranischen Kooperationen stehen die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere auch Nordrhein-Westfalen im Fokus iranischer Beschaffungsaktivitäten. In Nordrhein-Westfalen hat sich eine große Anzahl iranischer Firmen niedergelassen, die gänzlich oder zu Teilen im Besitz des iranischen Staates sind. Die verschärften Sanktionen haben das Einkaufsund Beschaffungsverhalten des Iran wesentlich beeinflusst. Eine direkte Beschaffung relevanter Produkte ist de facto unmöglich, da das Risiko der Entdeckung und eines sich daraus ergebenden Ausfuhrverbots zu groß geworden ist. Um dennoch an die notwendigen Produkte zu gelangen, sind zahlreiche iranische Einrichtungen beziehungsweise iranische Staatsbürger in die Beschaffung von Produkten involviert. Diese wiederum verfügen über eine große Anzahl von Tarnfirmen, die weltweit als Beschaffer zahlreicher Produkte in Erscheinung treten. Um diese illegale Produktbeschaffung zu verschleiern, werden vom Iran weltweit fortlaufend neue Firmen gegründet und damit auch neue Lieferwege in den Iran geschaffen. In der Regel wird der tatsächliche Einsatz eines Produktes im Iran beim Kauf verschleiert, indem gegenüber dem Produktverkäufer und/oder gegenüber den zuständigen Behörden falsche Angaben über den Verwendungszweck oder den Endverbleib des Produkts gemacht werden. In einer Vielzahl der Fälle erfolgt die Ausfuhr über Drittländer (sogenannte Umgehungsausfuhren) unter Einschaltung im Ausland ansässiger iranischer Personen beziehungsweise Tarnfirmen. 284 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die Spionageabwehr NRW konnte auch im Jahr 2012 von verschiedenen Personen beziehungsweise Firmen aus NRW ausgehende Anfragen beobachten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für das iranische Nuklearprogramm gestellt worden sind. Diesen Hinweisen wird in Zusammenarbeit mit anderen Stellen nachgegangen. Ferner liegen der Spionageabwehr NRW Erkenntnisse über die Kontakte von einigen iranischen Firmen beziehungsweise deren verantwortlichen Personen zu offiziellen staatlichen Stellen des Iran in der Bundesrepublik Deutschland vor. Der immer konspirativer werdenden Vorgehensweise des Iran bei der Produktbeschaffung begegnet die Spionageabwehr NRW mit einer engen Zusammenarbeit und einem intensiven Informationsaustausch mit anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie dem Zollkriminalamt, der Bundespolizei, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sowie anderen westlichen Nachrichtendiensten. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufklärung von Organisationen, Strukturen, Methoden, Zielobjekten oder nachrichtendienstlichen Angehörigen. Daneben liegt ein weiterer Schwerpunkt der Spionageabwehr NRW in der Prävention. Verantwortliche Personen von relevanten Firmen in NRW werden für die Problematik illegaler Ausfuhren in den Iran sensibilisiert. Dies ist ein wichtiger Baustein, um es den Firmen zu ermöglichen, proliferationsrelevante Geschäfte zu erkennen und von vornherein zu verhindern. 8.3 Volksrepublik China In China war das herausragende politische Ereignis des Jahres 2012 der 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), der am 8.November 2012 in Peking begann und mit der Wahl einer neuen Führungsriege endete. Neuer Generalsekretär der KPCh und Vorsitzender der Militärkommission des Zentralkomitees ist XI Jinping, Er wird die nächsten zehn Jahre die Politik Chinas bestimmen. Weiterhin bleibt es das Ziel der chinesischen Regierung, sich als die führende Wirtschaftsmacht an der Weltspitze zu etablieren. Es ist aus den Personalien der neuen Führung abzulesen, dass sich daran auch nach der Wahl der neuen Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nichts ändern wird, denn viele weitere Komiteemitglieder sind ausgewiesene Wirtschaftsfachleute und Ökonomen. Aber die Folgen der Finanzkrise haben sich in China auch im Jahr 2012 fortgesetzt und zu einem weiteren Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums auf zuletzt 7,4%, gegenüber 9,2% in 2011, für das Jahr 2012 geführt. Weiterhin lautete 2012 das ehrspionAgEAbwEhR 285 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 geizige Ziel der KPCh, dass die chinesische Wirtschaft bereits 2020 nicht mehr von ausländischen Technologien abhängig sein soll. Daher gibt es weiterhin intensive Beschaffungsbemühungen der chinesischen Nachrichtendienste im Ausland, um die chinesische Wirtschaft zu unterstützen. Diese Bemühungen zeigen sich in der Regel in einer Wirtschaftsspionage durch Ausspähen von sensiblen Daten bei Unternehmen und unautorisierten Abzug wissenschaftlich-technischen Know-hows. Im Fokus der chinesischen Nachrichtendienste steht hier in Deutschland insbesondere auch Nordrhein-Westfalen, da es ein Wirtschaftsschwerpunktland mit vielen innovativen Produkten und ein Bundesland mit vielen Standorten von Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen und Technologieund Gründerzentren ist. Da China auch den Anspruch erhebt, seinen politischen und militärischen Einfluss über den asiatischen Raum hinaus auszubauen, stehen auch Rüstungstechnologien, z.B. für die Marine im Fokus oder Informationen über politische Vorhaben und Handlungsstrategien bei nationalen und internationalen Organisationen sowie der NATO. Hauptangriffsziele sind neben den Rechnersystemen vor allem menschliche Informationsträger in den genannten Organisationen. Daneben sind zwei weitere wichtige Ziele der KPCh, bei deren Durchsetzung sie auf chinesische Nachrichtendienste setzt, die politische und soziale Stabilität sowie die Wahrung der territorialen Integrität. Ausfluss daraus ist unter anderem die Ausforschung und Beobachtung der Oppositionellenszene. Die chinesische Führung prägte dafür den Begriff der "Fünf Gifte". Darunter fallen : die Demokratiebewegung : die Anhänger eines unabhängigen Taiwan : die Anhänger eines unabhängigen Tibet : die Falun-Gong Praktizierenden und : die turkstämmigen (muslimischen) Uiguren. Diese Gruppen sind sowohl in China als auch im Ausland im Fokus chinesischer Nachrichtendienste. So fand in der Vergangenheit zwar eine Annäherung zwischen China und Taiwan statt. Eine Unabhängigkeit Taiwans wurde dabei jedoch regelmäßig ausgeschlossen. Des Weiteren ist eine Konzentrierung von Streitkräften in den autonomen Teilgebieten Tibet und dem hauptsächlich von Uiguren bewohnten Gebiet Xinjiang zu beobachten, in denen es immer wieder zu Ausschreitungen oder Selbstverbrennungen kommt, die teilweise gewalttätig niedergeschlagen werden. 286 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die aufgeführten Gruppen gefährden nach Ansicht der chinesischen Führung die Einheit und Stabilität des Staates. Durch Infiltration der Gruppen oder über Quellen gelingt es den Nachrichtendiensten, Mitglieder auszuforschen und Einblick in die Strukturen zu nehmen. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen den chinesischen Sicherheitsbehörden, in China gegen die Bestrebungen vorzugehen. Es wird von in Deutschland lebenden Mitgliedern dieser Gruppen immer wieder berichtet, dass auch Druck auf in China lebende Angehörige ausgeübt wird. Die Mitte und Ende des Jahres 2011 vor Gerichten in Niedersachsen und Bayern erfolgten Verurteilungen von mehreren chinesischen Spionen, die im Auftrag der chinesischen Staatssicherheit hier lebende Oppositionelle ausgeforscht haben, zeigt, mit welcher Intensität die chinesischen Nachrichtendienste auch in der Bundesrepublik aktiv sind. In Nordrhein-Westfalen besteht eine aktive Falun-Gong Gemeinde. Die Anhänger führen zur Stärkung von Körper und Geist sogenannte "Übungen" aus, um ihrer Lebensphilosophie und -weise Rechnung zu tragen. Ihre Anhänger praktizieren ihre Qi-Gong-Übungen zum Teil offen, zum Teil verdeckt, aus Angst vor Verfolgung in der Heimat und vor Repressalien chinesischer staatlicher Stellen. Sie treten in den Zentren vieler deutscher Städte anlässlich von chinesischen Staatsbesuchen oder bei größeren Veranstaltungen mit China-Bezug häufig mit Mahnwachen und Infoständen in Erscheinung. Dabei nehmen die eigentlichen Übungen einen kleinen Raum ein, während sie deutlich auf die empfundene Verfolgung und Foltersituation ihrer Anhänger in China hinweisen oder für einen Austritt aus der KPCh werben. Bei diesen Auftritten werden sie von chinesischen Nachrichtendienstlern regelmäßig beobachtet. Das "East Turkestan Information Centre" (ETIC), ist als Vertretung der Uiguren des World Uigur Congress (WUC) in Duisburg ansässig. Die Aufklärung der Oppositionellenausspähung durch chinesische Nachrichtendienste ist eine der wesentlichen Aufgaben der nordrhein-westfälischen Spionageabwehr. In den Kernbereichen Politik, Wirtschaft, Militär, aber vor allem in der weltweiten Bekämpfung der staatsfeindlichen Gruppen der "fünf Gifte", lässt sich die chinesische Staatsführung durch eine als unverzichtbar angesehene Arbeit der Nachrichtendienste unterstützen. Die Nachrichtendienste der VR China wurden in den Verfassungsschutzberichten 2010 und 2011 bereits ausführlich beschrieben. Die Arbeit wird hinsichtlich Intensität und Umfang mit intensivem personellen Einsatz unverändert fortgesetzt. Neben dem zivilen Nachrichtendienst "Ministry of State Security" (MSS), zuständig als "SpionaspionAgEAbwEhR 287 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 geabwehrinstitution" auch für die Bekämpfung möglicher Gefährder der territorialen Einheit oder der inneren Ordnung, vor allem der "Fünf Gifte", sind zu nennen: : das "Ministry of Public Security" (MPS), als "Ministerium für die öffentliche Sicherheit" zuständig für Fragestellungen des Internets und der Prüfung der Aktivitäten von Ausländern in China und im Ausland, : die militärische Auslandsaufklärung des "Military Intelligent Department" (MID), um die eigenen Streitkräfte zu schützen und im Ausland bedeutsame Informationen zu deren Streitkräften zu erhalten, : sowie das unmittelbar an das Zentralkomitee der KPCh angebundene "Büro 610" mit der Aufgabe der Aufklärung und Bekämpfung von Falun Gong. Die nordrhein-westfälische Spionageabwehr führt Sensibilisierungsgespräche mit Kontaktpersonen erkannter Nachrichtendienstoffiziere. Aber auch in Fällen, in denen Privatpersonen oder Behördenvertreter einen nachrichtendienstlichen Hintergrund vermuten, steht die Spionageabwehr für ein Gespräch hilfreich zur Verfügung. 8.4 Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) Im April 2012 ist der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un an die Spitze der Arbeiterpartei gewählt worden und übernahm damit die Funktion des Ersten Sekretärs und Staatsführers. Die derzeitige Entwicklung des Landes lässt den Schluss zu, dass die in der Vergangenheit von seinem Vorgänger Kim Jong Il verfolgte rücksichtslose Machtpolitik von seinem Sohn Kim Jong Un in gleicher Linie weitergeführt wird. Zur Stützung des Regimes und zur Realisierung der gesteckten Ziele zum Beispiel in der Rüstung unterhält Nordkorea diverse Nachrichtendienste, die ebenfalls unmittelbar oder mittelbar dem Staatsführer Kim Jong Un unterstellt sind. Die Nachrichtendienste unterhalten für eine Informationsbeschaffung in Deutschland Legalresidenturen an der nordkoreanischen Botschaft in Berlin. Aktivitäten entfaltet besonders das sogenannte "Büro für allgemeine Aufklärung" ,das vom Ministerium für Volksstreitkräfte geführt wird. Es ist für die wissenschaftlichen Bereiche der militärischen Technik und den Know-how-Transfer zuständig. Für ideologische Aspekte zur Förderung der nordkoreanischen Politik auch im Ausland, inklusive Ausspähung von hier lebenden Oppositionellen oder Unterstützung 288 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 von Kritikern der unliebsamen Anrainerstaaten, ist die "Abteilung Vereinigungsfront", geleitet von der nordkoreanischen Arbeiterpartei zuständig. Das "Ministerium für Staatssicherheit (MfSS)" wird geführt vom nationalen Verteidigungskomitee und ist verantwortlich für alle allgemeinen Sicherheitsfragen einschließlich Angelegenheiten der Botschaftsmitarbeiter. Nordkorea hat angekündigt, sich wieder an den seit 2009 ausgesetzten Sechs-Parteien-Gesprächen beteiligen zu wollen und die umstrittene Anreicherung von waffenfähigem Uran gegen Lebensmittellieferungen aus den USA zunächst einstellen zu wollen. Inwieweit dies aber der tatsächlichen Intention des Machthabers Kim Jong Un und der Militärführung des Landes entspricht , bleibt abzuwarten. Daneben sind aber auch erste Ansätze für wirtschaftliche Reformen in begrenzten Bereichen erkennbar. So haben sich als Reaktion auf frühere Hungersnöte zum Beispiel im Agrarbereich erste Märkte mit Kleinstunternehmern gebildet. Ob die Entwicklung des Landes in dieser Hinsicht voranschreitet, ist derzeit aber noch völlig offen. Zur Finanzierung der Rüstungsvorhaben und des Ausbaus des Atomprogramms setzt Nordkorea aufgrund des durch den Weltsicherheitsrat verhängten Waffenund Luxusgüterembargos verstärkt auf den illegalen Verkauf von Rüstungsgütern. Damit entfalten diese Geschäfte unmittelbare Proliferationsrelevanz. Der hohe Standard der westlichen Technik ist aber unabdingbar für einen gewünschten Rüstungsfortschritt. Daher ist Wachsamkeit insbesondere bei der Bestellung und Lieferung ausfuhrbehinderter Waren von oder nach Nordkorea gefordert, denn verschleierte Endabnehmer oder Lieferungen über Drittländer müssen zu Beginn einer Geschäftsbeziehung durchschaut werden. Eventuelle Zweifel auch der Unternehmen an der Endverwendung, umständliche unlogische Lieferwege oder unübliche Zahlungsvorgänge über Drittstaaten müssen Anlass für Misstrauen und konkrete Nachfragen sein. Der Verfassungsschutz NRW geht im Rahmen seiner Tätigkeit konkreten Verdachtsfällen nach und sensibilisiert im Rahmen seiner Präventionsarbeit im Bereich des Wirtschaftsschutzes die nordrhein-westfälischen Unternehmen hinsichtlich der Gefahren dieser Umgehungsgeschäfte. Aufgrund des bereits 2009 auf Basis der UN-Resolution 1874 vom Europäischen Rat getroffene Beschlusses über restriktive Maßnahmen gegen die Demokratische Volksrepublik Korea, erhielten auch im Jahr 2012 nordkoreanische Wissenschaftler kein Einreisevisum für die Bundesrepublik Deutschland. Damit konnten Wissenschaftler das für das Atomwaffenprogramm dringend benötigte wissenschaftliche Know-how spionAgEAbwEhR 289 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 auch nicht über ein Gaststudium und ähnliches an nordrhein-westfälischen Universitäten und Hochschulen erwerben. Als Folge muss davon ausgegangen werden, dass das Regime weiterhin verstärkt auf verdeckte Art und Weise versuchen wird, die fehlenden Informationen zu beschaffen. In Betracht kommt die Ausnutzung von vermeintlich harmlosen Kontakten, bei denen auf raffinierte Art und Weise verdeckt spezielle wissenschaftliche Erkenntnisse und wichtiges Know-how abgeschöpft werden. Auch dieser Aspekt fließt in die Beratungsund Aufklärungsarbeit bei nordrheinwestfälischen Unternehmen mit ein. 8.5 Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die beispielhaft angeführten Schlagzeilen nur des Jahres 2012 zeigen eindringlich die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste. "Agententhriller von historischen Dimensionen" (Die Welt vom 14. November 2012) "Niederlande: Diplomat als russischer Spion unter Verdacht" (RIA NOVOSTI vom 2.4.2012 - de.ria.ru) "Prozess in Kopenhagen: Professor soll für Moskau spioniert haben" (RIA NOVOSTI vom 18. April 2012 - de.ria.ru) "Russischer Spion auf britischem U-Boot entlarvt" (RIA NOVOSTI vom 13. November 2012 - de.ria.ru) "Mutmaßlicher russischer Spion in Kanada bekennt sich schuldig" (RIA NOVOSTI vom 10. Oktober 2012 - de.ria.ru "Ramstein: Verrat bei der NATO" ( Focus Nr. 44/2012) Die Festnahme von zwei mutmaßlichen russischen Agenten Mitte 2012, die viele Jahre unerkannt und unter einer Legende hier lebten, zeigt, dass auch die Methode der so genannten "Illegalen" weiterhin von den russischen Nachrichtendiensten genutzt wird. Das Gerichtsverfahren gegen die Angeklagten hat im Dezember 2012 begonnen. 290 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Die im europäischen Vergleich anhaltend hohe Zahl von nachrichtendienstlichem Personal in den Legalresidenturen in der Bundesrepublik verdeutlicht ein hohes Interesse an Informationen aus Deutschland. Legalresidenturen sind getarnte Stützpunkte fremder Nachrichtendienste, insbesondere in den diplomatischen und konsularischen Vertretungen oder bei Medienagenturen, von wo aus das nachrichtendienstliche Personal von bereit gestellten Tarndienstposten aus die geheimdienstlichen Aktivitäten entwickeln. Die russischen Nachrichtendienste beschaffen im Inund Ausland für die eigene Regierung Informationen und Güter zur Vorbereitung und Realisierung politischer Vorhaben. Sie sind elementarer Bestandteil der russischen Sicherheitsarchitektur. Die russischen Nachrichtendienste sind mit teilweise überschneidenden Zuständigkeiten seit einigen Jahren dreigeteilt gegliedert in einen Inlands-, Auslandsund den militärischen Nachrichtendienst. Zuvor verfügte das Land nach der Auflösung der Sowjetunion und seinem damaligen einzigen Nachrichtendienst KGB über bis zu acht unterschiedliche Nachrichtendienste. Die personenstarken Dienste, deren Aufgabenund Organisationsstrukturen wie in der Beschreibung im Jahresbericht 2011 weitestgehend gleich blieben, sind nach wie vor auch in Deutschland aktiv. Hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihren ausländischen Aktivitäten stehen weiterhin : der Föderale Sicherheitsdienst - FSB, : der Zivile Auslandsnachrichtendienst - SWR, sowie : der Militärische Auslandsnachrichtendienst - GRU im Vordergrund. In Russland werden die ausländischen Beschaffungsbemühungen der Nachrichtendienste von einem stetigen Ausbau ihrer gesetzlichen Befugnisse begleitet. So trat beispielsweise am 1. Dezember 2012 ein neues Gesetz in Kraft, welches es staatlichen Stellen ermöglicht, über die bisherigen Zugriffsmöglichkeiten hinaus die Kommunikation eines jeden Internet-Nutzers in Russland zu überwachen. Dieses neue, offiziell vorrangig der strafrechtlichen Vorbeugung dienende Gesetz ermöglicht es, E-Mails mitzulesen oder in jedes andere über das Internet übertragene Datenpaket hineinzusehen. Bereits seit Jahren müssen alle Internetprovider dem Inlandsnachrichtendienst FSB Zugänge zur Verfügung stellen. Mit diesem neuen Gesetz wird die ohnehin schon starke Kontrolle noch einmal verschärft. Es wird inzwischen offen spekuliert, inwieweit der FSB in die Koordination der unterschiedlichen Internet-Kontrollmechanismen einbezogen werden soll. Es ist zu vermuten, dass der FSB auch spionAgEAbwEhR 291 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 die neuen Möglichkeiten der Kommunikationsüberwachung für nachrichtendienstliche Zwecke nutzt. Nach wie vor richten sich die Beschaffungsbemühungen der Nachrichtendienste auf die klassischen Zielbereiche, Politik, Militär und Wirtschaft. Durch seine politische und wirtschaftliche Bedeutung gehört Deutschland zu den Schwerpunkten der russischen Auslandsaufklärung. Die politische Bedeutung Nordrhein-Westfalens innerhalb der Bundesländer und seine Stellung als herausragender Wirtschaftsstandort stellt das Land in den Fokus der russischen Nachrichtendienste. Dabei sind die Interessengebiete weit gefächert. Es interessieren sowohl nationale politische Strategien, als auch solche innerhalb der Gremienstrukturen der Europäischen Union. Hierbei mit besonderem Augenmerk auf die Energiepolitik, sowie auf den Umgang mit der Wirtschaftsund Finanzkrise. Wirtschaftlich will Russland in den nächsten drei Jahren zu einer der fünf größten Volkswirtschaften aufsteigen. Dieses Ziel ist gekoppelt mit dem Vorhaben, die derzeit schwache russische Rüstungsproduktion wieder zu einem herausragenden Wirtschaftsund Handelsfaktor zu machen und gleichzeitig Russland als militärischen Machtfaktor wieder zu etablieren. Wie für alle Nachrichtendienste gilt auch für die Arbeit der russischen Nachrichtendienste, dass der überwiegende Teil der interessanten Informationen offen über das Internet und andere Medien, durch den Besuch von Messen, sowie anlässlich von gegenseitigen Delegationsbesuchen und durch Gespräche mit Informationsund Wissensträgern beschafft werden kann (Open Source). Für einen geringeren Teil setzen die Nachrichtendienste ihre verdeckten Methoden ein. Auch im Jahr 2012 wurden wieder zahlreiche Kontaktversuche russischer Nachrichtendienstoffiziere zu Gesprächspartnern in NRW aus Politik und Wirtschaft bekannt. Das Spektrum reicht dabei von der Herbeiführung und Kultivierung zunächst unverdächtiger Kontakte mit dem Ziel einer direkten oder indirekten Abschöpfung der Kontaktpersonen bis hin zu einer konspirativen Vorgehensweise, zum Beispiel einer Legende. In Ausnahmefällen werden auch kompromittierende Materialien erstellt, mit denen Informationsund Wissensträger erpressbar werden. Zudem nutzen sie modernste Technik, z.B. bei elektronischen Angriffen auf Rechnersysteme, um Schadsoftware (Trojaner) einzuschleusen. Ziel ist letztlich der Verratsfall, mit dem die relevanten Informationen oder die benötigten Güter erlangt werden. In Nordrhein-Westfalen führt die Spionageabwehr auf Wunsch Sensibilisierungsgespräche mit Gesprächspartnern zum Beispiel aus der Wirtschaft durch, die für Nachrichtendienstoffiziere interessant sein könnten. 292 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 8.6 Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) Die Nachrichtendienste in den einzelnen Staaten der GUS, zu denen neben Russland die Ukraine, Weißrussland (Belarus) und Kasachstan gehören sowie die Länder Armenien, Aserbaidschan, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan und Usbekistan haben ihren Fokus in der Regel vorrangig auf die Innere Sicherheit und Spionageabwehr ihrer jeweiligen Länder gelegt. Sie sind in der Bundesrepublik - mit Ausnahme Russlands - nur mit geringem nachrichtendienstlichen Personal vertreten. Soweit sie überhaupt einen Auslandsnachrichtendienst betreiben, ist dieser nicht auf Deutschland ausgerichtet. Da die Nachrichtendienste über gegenseitige Abkommen und Kontakte, insbesondere zur russischen Föderation verfügen, besteht für sie die Möglichkeit, von den jeweiligen Erkenntnissen des Anderen zum Beispiel über ausländische Politik, Wirtschaft oder Technik zu profitieren. Die Zusammenarbeit reicht vom allgemeinen Informationsaustausch bis hin zu ganz konkreter Zusammenarbeit. Es ist davon auszugehen, dass zum Beispiel Informationen über Einund Ausreisen ausländischer Staatsangehöriger ausgetauscht werden. Deshalb besteht für Personen, die für die russischen Nachrichtendienste von Interesse sein könnten, auch bei einer Einreise in andere GUS-Staaten die Gefahr, in das Blickfeld der dortigen Nachrichtendienste zu geraten. Die nordrhein-westfälische Spionageabwehr geht davon aus, dass bei bestimmten Konstellationen nachrichtendienstliche Aufträge eines GUS-Staates auch durch den Nachrichtendienst eines andern GUS-Staates wahrgenommen werden können. 8.7 Abwehr von Wirtschaftsspionage Von Wirtschaftsspionage spricht man immer dann, wenn die Spionage gegen Unternehmen staatlich gesteuert ist. Noch vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass jedes dritte Unternehmen bereits Opfer eines Spionageversuchs wurde. Das sind alleine in Nordrhein-Westfalen ca. 280.000 Unternehmen, die meisten kleine und mittelständische. Inzwischen belegen neue Untersuchungen, dass statistisch gesehen sogar jedes zweite Unternehmen angegriffen wurde. Dabei stellt gerade Nordrhein-Westfalen als bedeutender Wirtschaftsstandort ein bevorzugtes Angriffsziel dar. Sowohl große Dax Unternehmen als auch kleine und spionAgEAbwEhR 293 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 mittelständische Unternehmen, die innovative Produkte herstellen und teilweise über weltweit einzigartiges Know-how verfügen, haben hier ihren Sitz. Die Angreifer gehen mit den Zeichen der Zeit, das heißt, fast alle Angriffe auf das Unternehmens-Know-how erfolgen technisch. Die Fortführung der einzelnen technischen Angriffsvarianten, die in den letzten Verfassungsschutzberichten dargestellt wurden, ist auch im Berichtszeitraum zu beobachten. Die Durchführung auf Grund neuer technischer Möglichkeiten wird dabei aber immer professioneller. Nationen, deren Nachrichtendienste deutsches Unternehmens-Know-how ausspionieren, verfügen in der Regel über entsprechende finanzielle Ressourcen und technischen Sachverstand, um technischen Innovationen auszuspionieren, sie dann frühzeitig einzusetzen oder sie sogar selbst zu entwickeln. Aber bei allen High-Tech Angriffen stellt oftmals das unbesonnene menschliche Verhalten die eigentliche Schwachstelle in der Sicherheitsarchitektur eines Unternehmens dar. Dabei schaffen Beschäftigte diese Sicherheitslücken in der Regel nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig. So werden Anhänge von E-Mails leichtfertig geöffnet, fremde USB-Sticks an Unternehmensrechnern angeschlossen, Daten aus Bequemlichkeit nicht verschlüsselt: die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Immer öffnen sich damit den Angreifern Tür und Tor zum begehrten Unternehmens-Know-how. Angreifer schalten sehr häufig einer technischen Angriffsvariante das sogenannte Social Engineering vor. Das heißt, der Angreifer versucht über zwischenmenschliche Beeinflussung, oftmals das Vortäuschen einer falschen Identität, um an vertrauliche Informationen zu kommen. So gibt sich ein Angreifer beispielsweise telefonisch als Systemadministrator oder Sicherheitsverantwortlicher aus, täuscht Computerprobleme und Zeitdruck vor, um sein Opfer so zu verunsichern, dass dieses letztendlich die gewünschten Informationen preisgibt. Oftmals gibt ein derartiger Angreifer auch vor, über Betriebskenntnisse zu verfügen. Im Zeitalter des Internets und insbesondere von Social Networks, stellt es niemanden mehr vor große Herausforderungen, sich derartige Informationen zu beschaffen. Oft geben gerade Social Networks sehr detailliert über Unternehmensinterna und "Vorlieben" der Beschäftigten Auskunft, die gezielte Angriffe ermöglichen. Aber Social Networks bergen mittlerweile große Gefahren, erfolgreich ausspioniert zu werden und stellen somit für fremde Nachrichtendienste ein immer größeres Betätigungsfeld dar. Der Angreifer kann sich legendiert einer Zielperson nähern, Voraussetzung ist lediglich, dass er über einen gut gestalteten Account in diesem Social Network verfügt. Ist dann erst einmal ein Vertrauensverhältnis hergestellt, beginnt in 294 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 der Regel die Ausforschung. Beispiele aus der Praxis haben gezeigt, dass eine professionell angelegte Ausspähung sehr erfolgreich sein kann. Auch im Jahr 2012 gab es sehr viele technische Innovationen und Entwicklungen, mit denen sich Unternehmen insbesondere aus Sicherheitsgründen auseinandersetzen mussten. Eine Sicherheitslücke entsteht vermehrt durch die Nutzung von privaten Smartphones und Tablets im Unternehmen. Viele gerade jüngere Beschäftigte möchten auf den Einsatz ihres privaten Gerätes auch im Beruf nicht verzichten (Stichwort: "Bring your own device" BYOD). Auf den ersten Blick eine für das Unternehmen positive Ausgangssituation. Der finanzielle Aufwand für die Anschaffung neuer Geräte erfolgt nicht durch das Unternehmen, sondern durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nachteilig an dem Prozedere ist aber, dass die Geräte nicht den hohen Sicherheitsanforderungen des Unternehmens entsprechen und dass zwangsläufig Unternehmensdaten auf die privaten Geräte der Beschäftigten gelangen. Die Herausforderung zur Umsetzung der Unternehmenssicherheit besteht darin, diese Daten wirksam gegen Angriffe von außen zu sichern. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen könnte man die Nutzung privater Smartphones verbieten. Dies ist aber unrealistisch und hätte für Unternehmen als Arbeitgeber insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen die Folge, dass viele High Potenzials nicht für das Unternehmen gewonnen werden können (Recruiting Images). Wirksamen Schutz bietet eine Unternehmensvereinbarung, durch die alle privat genutzten Geräte einheitliche Sicherheitskriterien einhalten müssen (sogenannte Device-policy), also verbindliche technische Sicherheitsprozesse für diese Geräte festgelegt werden. Eine weitere technische Entwicklung, der sich Unternehmen stellen müssen, ist der Umgang mit der Cloud. Die Vorteile von Cloud Computing liegen für Unternehmen auf der Hand. Eigene Ressourcen können geschont und Risiken ausgelagert werden. Gerade im Zeitalter der "Shareconomy", also des Teilens von Wissen, bieten CloudLösungen vielfache Vorteile. Doch bei einer Bewertung solcher Prozesse aus der Sicht der Abwehr von Wirtschaftsspionage sind besondere Vorkehrungen zu treffen. Daten, die sich in einer Cloud befinden, verlassen physikalisch das Unternehmen. Die Daten, die entscheidende Teile des Unternehmens-Know-how beinhalten, das heißt zu den ca. 5% unbedingt schützenswerten Unternehmensdaten gehören, dürfen das Unternehmen an sich nicht verlassen, unabhängig davon, wie seriös und professionell der Cloudanbieter ist. Denn hier gilt ein Grundsatz: Haben Unternehmensdaten das Unternehmen einmal verlassen, kann das Unternehmen selbst letztendlich nicht mehr spionAgEAbwEhR 295 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 für deren Sicherheit garantieren. Auch die Frage, in welchem Land sich die Server befinden, auf denen die Daten gespeichert werden, spielt für die Einhaltung der Datensicherheit eine wesentliche Rolle. Unternehmer müssen deshalb sorgfältig abwägen, welche Daten so schützenswert sind, dass sie nicht verlagert werden sollten. Der Schutz gegen Wirtschaftsspionage kann nur durch ein ganzheitliches Sicherheitskonzept erfolgen, bestehend aus organisatorischen-, awarenessund technischen Maßnahmen. Unternehmenssicherheit ist mehr als lediglich IT Sicherheit. Die Gefahren für Unternehmen, ausspioniert zu werden, nehmen auf Grund immer neuer technischer Angriffsmöglichkeiten deutlich zu, wobei die Angriffsmethoden zunehmend professioneller werden. Diesem Wandel muss das Sicherheitskonzept eines Unternehmens Rechnung tragen. Sicherheit ist kein statischer, sondern ein fortlaufender Prozess. Daher muss auch ein bestehendes Sicherheitskonzept ständig evaluiert werden. Immer neue technische Innovationen müssen permanent auch unter dem Blickwinkel aktueller oder künftiger potentieller Angriffsszenarien bewertet und mit entsprechenden angepassten Sicherheitsmaßnahmen flankiert werden, um einen Informationsabfluss zu verhindern. Der Verfassungsschutz NRW gibt dabei durch Sensibilisierungsvorträge Hilfestellungen. Diese zeigen aus Sicht einer Sicherheitsbehörde auf, welchen Bedrohungen Unternehmen aller Branchen und Größenordnungen durch Wirtschaftsspionage ausgesetzt sind und informieren über die wichtigsten Angriffsstrategien fremder Nachrichtendienste. Im Jahr 2012 hielten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes NRW 210 Vorträge vor ca. 6.500 Multiplikatoren, davon wurden 30 Vorträge bei Industrieund Handelskammern sowie größeren Unternehmerverbänden gehalten. Auf Wunsch besucht der Verfassungsschutz NRW auch Unternehmen vor Ort, um dort entweder mit einem Vortrag zu sensibilisieren oder aber konkrete Hilfestellungen beispielsweise bei der Erstellung eines Sicherheitskonzeptes zu geben. Diese Besuche fanden im Jahr 2012 vorwiegend bei kleinen und mittelständischen Unternehmen statt, zudem wurde bei einem DAX 30 Konzern eine hausinterne Awarenesskampagne durch den Verfassungsschutz NRW begleitet. Die Sicherheitspartnerschaft NRW : das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (Abteilung für Verfassungsschutz und Polizeiabteilung), 296 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 : das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, : der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V. und : die Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e.V. setzt ihre erfolgreiche Präventionsarbeit zum Schutz der Unternehmen in NRW fort. Ein besonderes Aktionsprogramm wurde mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vorbereitet, in welchem die Sicherheitspartnerschaft NRW die "Allianz für Cyber-Sicherheit" des BSI zugunsten nordrhein-westfälischer Unternehmen unterstützt. Weil Cybercrime und Wirtschaftsspionage eine ernstzunehmende Bedrohung für Unternehmen sind, hat das BSI und der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) die "Allianz für Cyber-Sicherheit" ins Leben gerufen. Sie stellen Unternehmen im Rahmen dieser Allianz ihr umfangreiches Informationsangebot zur aktuellen Bedrohungslage, neuesten Angriffs-Analysen, Empfehlungen zum Schutz vor Cyber-Angriffen und zu konkreten Sofortmaßnahmen im Falle von Cyber-Angriffen zur Verfügung. Herr Staatssekretär Dr. Krüger begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 9. Sicherheitstages NRW in Oberhausen Die Sicherheitspartnerschaft NRW hat Anfang 2013 eine Veranstaltungsreihe in verschiedenen Regionen des Landes initiiert, in der sie gemeinsam mit dem BSI den spionAgEAbwEhR 297 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 nordrhein-westfälischen Unternehmen die neuesten Erkenntnisse und Abwehrstrategien zur Gefährdungssituation von elektronischen Attacken vorstellt. In den Veranstaltungen wird außerdem dafür geworben, regionale "Erfahrungskreise" unmittelbar vor Ort zu gründen, damit sich Unternehmer vor Ort auch unmittelbar über ihre Erfahrungen und Maßnahmen austauschen können. Durch die Veranstaltungen ist es bereits gelungen, eine fortlaufende aktuelle Analyse und Erarbeitung spezifischer Schutzmöglichkeiten in Nordrhein-Westfalen zu etablieren und die Teilnehmer hinsichtlich der zahlreichen Facetten dieses bedeutsamen Themas zu sensibilisieren. Darüber hinaus hat der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen das Angebot der "Allianz für Cyber-Sicherheit" in sein Präventionsangebot aufgenommen und macht es nordrhein-westfälischen Unternehmen in zahlreichen Vortragsveranstaltungen unmittelbar vor Ort zugänglich. Mit einem breiten Angebot informierten der Verfassungsschutz NRW neben anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auf der weltgrößten Sicherheitsmesse "Security Essen 2012" zum Thema Abwehr von Wirtschaftsspionage. Die Nachfragen der Messebesucher zeigten, wie groß das Aufklärungsund Sicherheitsbedürfnis gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen ist. Es wurde auch deutlich, dass nicht alle Möglichkeiten für einen umfassenden Unternehmensschutz genutzt werden und dass oft ein erheblicher Nachholbedarf in punkto Unternehmenssicherheit besteht. Der Kontakt zu unseren Ansprechpartnern im Falle eines Verdachts auf Spionageaktivitäten oder zur Nutzung unserer umfangreichen Hilfsangebote für Unternehmen kann über E-Mail unter der Adresse: kontakt.verfassungsschutz@mik1.nrw.de oder telefonisch unter der Rufnummer 0211 - 871 2821 erfolgen. 298 spionAgEAbwEhR Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 9 Über den Verfassungsschutz 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal Entsprechend dem föderalen Aufbau gibt es in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eine Verfassungsschutzbehörde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln nimmt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene wahr. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sind gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Verfassungsschutzbehörde für das Land Nordrhein-Westfalen ist das Ministerium für Inneres und Kommunales (SS 2 Abs. 1 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen - VSG NRW). Für den Verfassungsschutz ist die Abteilung 6 zuständig. Im Jahr 2012 standen für ihre Aufgaben 335 Stellen sowie Sachund Investitionsmittel von 4,3 Millionen Euro zur Verfügung. Verarbeitung personenbezogener Daten Die Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten unter anderem in Dateien verarbeiten. Dies erfolgt vor allem mit Hilfe zweier Instrumente: Der "Personen-Informations-Datei" der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen zur eigenen Aufgabenerfüllung und dem "Nachrichtendienstlichen Informationssystem Wissensnetz" (NADIS WN) der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, welches das bisherige System NADIS im Juni 2012 abgelöst hat. Unter der Gesamtprojektleitung des BfV wurde innerhalb von drei Jahren ein zukunftsorientiertes IT-System auf Basis eines kommerziellen Softwareprodukts mit spezifischen Anforderungen der Sicherheitsbehörden entwickelt. Das zentrale System wird im BfV mit Sitz in Köln betrieben und sowohl vom BfV als auch den 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz genutzt. Eingestellt werden Daten zu Personen, über die Erkenntnisse im Zusammenhang mit politischem Extremismus vorliegen und zu Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind. Diese Sicherheitsüberprüfungen machen gut 90% aller NADIS-Einträge aus Nordrhein-Westfalen aus. VERfAssungsschutz in nRw 299 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 NADIS WN enthält in der Regel lediglich personenbezogene Grunddaten wie Name, Vorname, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Anschrift, außerdem einen Hinweis auf die Behörde, die den Datensatz in die Datenbank eingestellt hat. Die Einstellung darüber hinausgehender Daten ist nur zulässig zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, von rechtsextremistischen Bestrebungen oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten. 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit Informierte, aufgeklärte und demokratische Bürgerinnen und Bürger treten für die Demokratie und gegen ihre Gegner ein und tragen so dazu bei, unsere Demokratie und ihre Grundwerte zu schützen und zu stärken. Die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren und aufzuklären, gehört schon seit Jahren zu den Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" ist nicht nur ein Arbeitsauftrag, sondern ein besonderes Anliegen. Damit die Öffentlichkeit Anzeichen für Extremismus erkennen kann, setzt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz auf eine intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmaterialien an. Dazu gehören Vorträge an Schulen, Tagungen, Broschüren und ein ständig erweitertes Informationsangebot im Internet. Jahresbericht Einen wichtigen, alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfassenden Aufklärungsbeitrag liefert der seit 1978 regelmäßig erscheinende Jahresbericht. Die Jahresberichte dienen inzwischen Gerichten und Behörden als Nachschlagewerk zum Extremismus. Sie werden aber auch von der interessierten Öffentlichkeit stark nachgefragt. Online-Handbuch des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen Der Verfassungsschutz nutzt seit Jahren die Möglichkeiten des Internets, um der drastischen Zunahme extremistischer Angebote ein qualifiziertes Gegengewicht entgegenzustellen. Die Homepage unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz informiert über den Verfassungsschutz und seine Aufgaben. Die Seiten informieren nicht nur über die Grundlagen des Verfassungsschutzes und zeigen, welche Kontrollmechanismen es gibt, sondern beinhalten auch Detailinformationen über die Gefahren des 300 VERfAssungsschutz in nRw Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Rechts-, Linksund Ausländerextremismus, informieren über Islamismus, Spionageabwehr und Geheimschutz. Insgesamt werden gut 200 Stichworte zum gesamten politischen Extremismus und zur Spionageabwehr erläutert. Die Ideologieelemente, die die einzelnen Extremismusbereiche kennzeichnen, werden ebenso dargestellt wie historische Entwicklungen. Falls es darum geht, was "national befreite Zonen" sind oder was hinter 'al-Qaida' steckt, steht die Antwort bei uns im Internet. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ist auch per E-Mail erreichbar (kontakt. verfassungsschutz@mik1.nrw.de). Auf diesem schnellen Weg können nicht nur Publikationen bestellt, sondern auch Fragen gestellt, Kritik geübt und Anregungen geben werden. Publikationen Wer Informationen zu den aktuellen Themenschwerpunkten des Verfassungsschutzes sucht, findet Berichte und Broschüren über den islamischen Extremismus und ein breites Angebot zur Aufklärung über den Rechtsextremismus, darunter die Broschüre "Musik, Mode, Markenzeichen", die sich etwa mit Outfits und Codes rechtsextremistisch orientierter Jugendlicher beschäftigt. Sie zeigt, anhand welcher Symbole, Musik oder Kleidungsstücke eine rechtsextremistische Orientierung erkannt werden kann und geht der Frage nach, was strafbar ist und welche Bands rassistische Propaganda verbreiten. Diese und andere Dokumente sind - jeweils in ihrer aktuellen Fassung - auch in der Publikationssammlung im Internet unter www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/publikationen.html abgelegt. Aufklärung mit einem Comic - "Andi" ist ein voller Erfolg Im September 2005 schlug der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen mit dem Bildungscomic "Andi 1 - Tage wie dieser" einen neuartigen Weg ein, um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gerade unter Jugendlichen in NordrheinWestfalen zu fördern. Der Andi-Comic zeigt, was Grundrechte, Rechtsstaat, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Schulalltag konkret bedeuten. Durch die Konfrontation mit Widersprüchen zeigen die Helden des Comics, dass hinter rechtsextremistischen Parolen oft die historische Verklärung von Verbrechen, gefährliche Selbstdarsteller und Geschäftemacher stecken. Der Anhang zum Comic erklärt rechtsextremistische Zeichen und Symbole. VERfAssungsschutz in nRw 301 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Im Oktober 2007 wurde mit dem Band "Andi 2 - Andis Freund Murat hat Stress" der zweite Teil der Reihe "Comic für Demokratie, gegen Extremismus" veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht diesmal Murat, der Basketballkumpel von Andi und Bruder von Ayshe. Murat gerät - auch aus Wut über die vielen Absagen bei seinen Bemühungen um eine Ausbildungsstelle - an einen extremistischen Prediger. Dieser schafft es, Murat von seinen alten Freunden zu entfremden und ihn von islamistischen Hassparolen zu überzeugen. Erst das beherzte Eingreifen von Ayshe bringt ihn wieder zur Vernunft. Im November 2009 schließlich kam mit dem Band "Andi 3 - Voll die Randale" das dritte Heft der Reihe in das Angebot. Ben trifft alte Freunde, die in der linksautonomen Szene aktiv sind und schließt sich ihnen an. Als er aber mit ansehen muss, wie deren Protest gegen eine Neonazi-Demo in Gewalttätigkeit umschlägt, von der zudem unbeteiligte Dritte betroffen sind, wendet er sich demokratischen Protestformen zu. Die Rückmeldungen auf alle drei "Andi"-Hefte sind bis heute weit überwiegend sehr positiv. Dies wird einerseits deutlich in der ungebrochen hohen Nachfrage nach den Comics, andererseits in zahlreichen Rückmeldungen von Jugendlichen und Lehrkräften sowohl schriftlich als auch vor Ort in Veranstaltungen. Hier wird hervorgehoben, 302 VERfAssungsschutz in nRw Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 dass "Andi" die komplexen Themen Extremismus und Demokratie jugendgerecht aufbereitet und dies mit hoher inhaltlicher Qualität verbindet. Logischer Schritt - "Andi" als App Die Zielgruppe der "Andi"-Comics sind Jugendliche und Schüler zwischen 14 und 18 Jahren. In dieser Altersgruppe bleiben Textwüsten oft wirkungslos. In Zeiten, wo fast jeder Jugendliche und Schüler ein Handy besitzt, war es ein logischer Schritt eine kostenlose mobile Version anzubieten, um die möglicherweise im Unterricht thematisierten Andi-Comics auch in der Freizeit länger präsent zu halten. Die Apps stehen für iPhone, Windows Phone und Android Betriebssystem zur Verfügung. Aussteigerprogramm Die Angebote zum Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene werden nochmals intensiviert. Dazu wird das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten ausgeweitet und die Zahl der Aussteigerbetreuer verstärkt. Die Anzahl der bisher im Aussteigerprogramm betreuten Personen soll durch aktive Ansprachen nochmals erhöht werden. Mussten sich bisher Ausstiegswillige selber an die Hotline des Landes NordrheinWestfalen oder aber an die Polizeidienststellen wenden, so sollen Rechtsextremisten zukünftig aktiv durch Aussteigerbetreuer angesprochen werden. Darüber hinaus wird sich das Aussteigerprogramm zukünftig auch "Szenefrauen" und Frauen von Ausstiegswilligen widmen. Der Verfassungsschutz NRW hat außerdem im Internet eine Informationsseite unter www.aussteiger.nrw.de eingerichtet. Nach wie vor können sich Ausstiegswillige bei der HelpLine "Aktiv gegen Rechts" 0211 837-1001 melden. VERfAssungsschutz in nRw 303 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vortragsund Diskussionsveranstaltungen Zur Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen gehört auch die Teilnahme an Vortragsund Diskussionsveranstaltungen für Multiplikatoren, Bildungseinrichtungen verschiedener Art und auf Einladung in Schulen sowie bei Verbänden und Stiftungen. Im Vordergrund stehen Vorträge zum Rechtsextremismus und zum Islamismus sowie zur Nutzung des Internets in diesen Phänomenbereichen. Die Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf mehreren Ebenen und damit gesamtgesellschaftlich erfolgt. Daher muss das Wissen des Verfassungsschutzes insbesondere für die Meinungsbildung bei den Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Aus diesem Grund wurde der Verfassungsschutz durch wissenschaftliche Mitarbeiter verstärkt. Das Wissen des Verfassungsschutzes ist in den vorgestellten Aufklärungsmaterialien für die Öffentlichkeit aufbereitet worden. Informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger können sich wirksamer für unsere Demokratie engagieren beziehungsweise extremistischen Bestrebungen entgegentreten und so dazu beitragen, dass ein gesamtgesellschaftliches Klima entsteht, das von Toleranz und Zivilcourage geprägt ist. Dies ist der beste Verfassungsschutz. 304 VERfAssungsschutz in nRw Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 10 Stichwortverzeichnis A Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Volkskongress Kurdistans Abou Nagie, Ibrahim 247 (KONGRA-GEL) 21, 174, 178 ff., Advance 277 241 f., 274 f. AG Rheinland 90, 107 ff. As-Sahab 223 Aktionsbüro Mittelrhein 16, 29, 43, 90, Assomood 218 97, 101, 106, 109 AUF 147 ff., 153 al-Aqsa e.V. 234 autonome antifa [f] 162 al-Manar 236 Autonome Nationalisten (AN) 15 f., 41, al-Qaida 196 ff., 202 ff., 207 f., 215, 47, 70, 75, 95 ff., 100 ff., 107, 275 218, 221, 223, 228, 230, 301 Autonome Nationalisten al-Qaida auf der Arabischen Pulheim (ANP) 100 f. Halbinsel (AQAH) 199, 218 Autonomes Zentrum (AZ) 163 al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQM) 199 B al-Takfir wal Hijra 24 Bahceli, Devlet 173 analyse & kritik (ak, ehem. Banna al-, Hassan 252 'Arbeiterkampf') 163 Barika-i Hakikat 239 Anatolische Föderation 176 f. Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), Angry Bootboys 114 siehe Tamilische Befreiungstiger Ansar al-Islam - Anhänger (TCC) des Islam 229 f. Beisicht, Markus 52, 58, 63, 66, 74 ff. Antikapitalistische Linke Beklenen Asr-i Saadet 239 (AKL) 16 f., 129, 133 ff., 142 Besseres Hannover 84, 99 Antisem Versand 82, 86 bin Ladin, Usama 196 ff., 204, 208 Apfel, Holger 14, 25 Blood & Honour 111, 115 f. Applied Scholastics 280 British National Party 73 Brück, Michael 86 305 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Bürgerbewegung pro Deutsche Volksunion Deutschland 56, 63, 69, 72, 75 (DVU) 40, 51, 60,75, 79, 83 f., 91 Bürgerbewegung pro Köln e.V., siehe pro Devrimci Halk Kurtulus Cephesi Köln (DHK-C ) 176 Bürgerbewegung pro NRW, siehe pro Devrimci Sol 175 NRW DIE LINKE - Landesverband Büro 610 288 Nordrhein-Westfalen (DIE LINKE.NRW) 16, 129 ff., 144 f., 149 C Die Republikaner (REP) 69, 77 camia (Gemeinschaft) 254 Die Wahre Religion 247 f. Celebrity Center 277, 279 Division Germania 114 Christen pro Köln e.V. 65, 75 Dogru Haber 241 Collegium Humanum - Akademie für Donaldson, Ian Stuart 111, 115 f. Umwelt und Lebensschutz Dormundecho 79 f., 85 e.V. (CH) 125 Combat 18 115 f. E Cremer, Claus 14, 25, 28 ff., 39 f., 51 Einladung zum Paradies (EZP) 246 ff. Engel, Stefan 147, 152, 156 D Ergün, Kemal 254 Demokratischer Kurdischer Konföderalismus (KKK) 181 F Denge Mezopotamya 179 Fatah-Partei 231 f. Der Islam als Alternative (D.I.A.) 239 Federalnaja Slushba Besopasnosti Deutsche Geschichte - Europa (Inlandsnachrichtendienst - und die Welt 123 FSB) 291 Deutsche Kommunistische Firat (Ajansa Nuceyan a Firate - Partei (DKP) 17, 142 ff., 275 ANF) 185 Deutsche Liga für Volk und Föderation der Aleviten Kurdistans Heimat (DLVH) 69 (FEDA früher FEK) 184 Deutsche Partei (DP) 26 Föderation der Türkisch-DemokraDeutsche Reichspartei (DRP) 26 tischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) 20, 170 ff., 275 Deutsche Stimme (DS) 25 f., 29 ff. 306 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Föderation der Yezidischen Globale Islamische Medienfront Vereine Kurdistans (FKE, (GIMF) 219 f. früher YEK) 184, 186 f. Glückseligkeitspartei - Saadet Föderation Islamischer OrganisaPartisi (SP) 254 tionen in Europa (FIOE) 253 graswurzelrevolution 166 Föderation kurdischer Vereine in Graue Wölfe, siehe Ülkücü-Bewegung Deutschland (YEK-KOM) 186 f. H Föderativer Islamischer Staat Anatolien 239 HAKK-TV 239 Frauenverband Courage e.V. 147, 154 HAMAS 231 ff., 276 Freewinds 277 Hammerskins 115 f. Freie Kameradschaften 16, 41, 70, 78, Harakat al-Muqawama Al Islamiya - Be82 ff., 95, 97 ff. wegung des islamischen WiderstanFreie Kameradschaft des, siehe HAMAS Sturm-Rhein-Sieg 107 Harrach, Bekkay 207 Freie Nationalisten 70 Heß, Rudolf 37 Freies Netz Köln - Infoportal Hizb Allah - Partei Gottes 233 ff., 276 Nationaler Sozialisten 94 Hizb ut-Tahrir - Islamische Freiheitliche Partei Österreichs Befreiungspartei (HuT) 237 f., 276 (FPÖ) 73 home-grown-Netzwerke 200, 203 Freundeskreis Rade 16, 70, 100, 107 I Front National (FN) 73 f. IGMG Perspektif 254 G Ilyas, Maulawi Muhammad 251 Gärtner-Engel, Monika 154 Imam-Mahdi-Zentrum 236 Gemeinsames Abwehrzentrum Impact 277 Rechtsextremismus (GAR) 13 Inspire 218 German Defence League (GDL) 75, 77 Interim 166 Giemsch, Dennis 78, 86 f. Internationale Koordination RevolutioGlawnoje Raswedywatelnoje närer Parteien und Organisationen Uprawlenije (Militärischer Auslands(ICOR) 149 ff., 155 nachrichtendienst - GRU) 291 Interventionistische Linke (IL) 141, 158, 162 307 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Inzar 241 Jungle World 162 Islamische Bewegung Usbekistans Jürgensen, Bettina 146 (IBU) 23 f., 209 ff., 223, 225, 227 ff. K Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 253 f., 276 Kalifatsstaat 239 f. Islamische Gemeinschaft MillA(r) Kameradschaft Aachener Land Görüs e.V. (IGMG) 254, 276 (KAL) 16, 84 f., 88, 94, 98 ff. Islamische Jihad Union (IJU) 228 f. Kameradschaft Alsdorf-Eupen Islamisches Zentrum Hamburg (KAE) 103 (IZH) 236 Kameradschaft Hamm 16, 78, 83 ff., Islamisches Zentrum München 98, 105 f. (IZM) 253 Kameradschaft Walter Spangenberg Islamisches Zentrum, siehe Imam-MahdiKöln 16, 85, 97, 99 f. Zentrum Kaplan, Cemaleddin 239 f. Islamische Weltfront für den Jihad Kaplan, Metin 239 f. gegen Juden und Kaplan-Verband 276 Kreuzzügler 197, 205, 224 Karatas, Dursun 174 Izzedin Al-Qassam-Brigaden 232 f. Kartal, Remzi 179 Kelhaamet 241 J Know-how 281 ff., 294 f. Jagdstaffel D.S.T. 102 Koma Civaken Kurdistan (KCK) 181 Jihad 22 ff., 196 ff., 243, 245, 248 f. Kommission für Verstöße der Jihadisten 22 ff., 196 ff., 206 ff., Psychiatrie gegen Menschen218, 222 ff. rechte (KVPM) 279 Jugend der Pro-Bewegung 70, 75 Kommunalpolitische Vereinigung Jugend für Menschenrechte 279 der PRO-Bewegung Jugend pro Köln e.V. 65, 71, 75 (KPV PRO) 66, 70, 76 Jugend pro NRW 56, 65, 71 f., 75 Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 285 ff. Jund al-Islam 229 Kommunistische Partei Jund Allah 219 Deutschlands (KPD) 143 Junge Nationaldemokraten Kommunistische Plattform (JN) 45, 47, 69 (KPF) 16, 129, 136 ff. 308 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Kommunistischer Arbeiterbund MMC TV 179 Deutschlands (KABD) 147 Moscheebau-Kommission e.V. 253 Konföderation kurdischer Vereine Mujahidin-Netzwerke (Jihadisten) 200 in Europa (KON-KURD) 187 Muslimbruderschaft Koordination der kurdischen ökolo(MB) 198, 231 ff., 252 f., 276 gisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 179 ff. N Krekar, Mullah 229 Nabhani al-, Taqhi al Din 237 kreuz.net - katholische nachrichten 74 f. Nationaldemokratische Partei DeutschKurdische Frauenbewegung in lands, siehe NPD Europa (AKKH) 183 f. Nationale Befreiungsfront Kurdistan-Report 179, 185 Kurdistans (ERNK) 181 Kurtulus 174 ff. Nationaler Widerstand Dortmund L (NWDO) 16, 41, 78, 82 ff., 88, 98 f., 103, 105 Linkspartei, siehe DIE LINKE. Nationale Sozialisten Wuppertal M (NaSoWpt) 85, 106 f. National Front (NF) 110 Mahler, Horst 94, 125 Nationalsozialistischer Untergrund marx21 129 ff., 142 (NSU) 13, 18, 26, 158, 177 Marxistische Blätter 142 Nazi-Leaks 122 Marxistisch-Leninistische Partei Neonazi-Szene 26, 38, 40 ff., 51 f., 70, Deutschlands (MLPD) 17 f., 142, 77, 80, 83 ff., 103, 107, 147 ff., 275 109, 113, 117, 121, 302 Military Intelligence Department Newaya Jin 179, 185 (MID) 288 Newroz 179, 187 Millatu Ibrahim 21 f., 201, 206, 210, 219, 247 f. Nordkaukasische SeparatistenBewegung (NKSB) 230 f. Milli Gazete 254 NPD 14 f. 25 ff., 56, 60, 64, 69, 83 ff., Milli Görüs-Bewegung 254 89 ff., 95, 109, 122, 158, 275 Ministry of Public Security (MPS) 288 NUCE TV 179, 186 Ministry of State Security (MSS) 287 Miscavige, David 279 309 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 O Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKP-C) 20, 174 ff., 275 Objektiv 72, 76 Ring freiheitlicher Jugend Öcalan, Abdullah 21, 179 ff., 188 Deutschlands (RFJ) 75 Oidoxie 114 Ring nationaler Frauen (RNF) 37 f. Oi!-Skins 110 ROJ-Gruppe 179 P ROJ-TV 179, 185 f. Palästinensische BefreiungsRote Armee Fraktion (RAF) 94, 125 organisation (PLO) 232 Rote Fahne 147, 152 Partei der Nationalistischen Rotfüchse 147, 153 Bewegung (MHP) 173 Rouhs, Manfred 69, 72 Plum, Andre 84 Rudolf, Germar 37 Prabhakaran, Velupillai 189 S pro Deutschland 56, 63, 69, 72, 75 pro Köln e.V. 14, 33, 52 ff., 275 Sag nein zu Drogen - Sag ja zum Leben 279 PRO KÖLN - Informationen der Fraktion pro Köln im Rat der Salafismus 21 ff., 35, 48, 60, 66 f., Stadt Köln 52 203, 206, 210 ff., 216 ff., 227, 240 ff. Proliferation 283 f. Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC), siehe al-Qaida pro NRW 14 f., 21 ff., 35, 39, 52 ff., im Islamischen Maghreb (AQM) 107, 158, 203, 209, 211 ff., 220, 247, 275 Schiele, Karel 52 PRO NRW - Informationen der Scientology Kirche Bürgerbewegung pro NRW 52 Berlin e.V. (SKB) 277 Scientology Kirche R Deutschland e.V. (SKD) 277 Ramadan, Said Dr. 253 Scientology News 277 Rebell 147, 153 Scientology Organisation (SO) 277 ff. Republikanische Jugend 75 Serxwebun 179, 185 Resistore, siehe Antisem Versand 86 Shafi al-, Abdullah 229 Revolutionäre Nationale Skinhead-Bands 111 ff. Jugend Vogtland (RNJ) 100 Skinhead-Konzerte 111 ff., 117 310 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Skinhead-Szene 109 ff., 275 The Auditor 277 Slushba Wneschnej Raswedki Thiazi-Forum 121 f. (Ziviler AuslandsnachrichtenTschetschenische Republik Ichkeriya dienst - SWR) 291 (CRI)/Tschetschenische SeparaSolidaritätsverein mit den politischen tistenbewegung (TSB) 230 Gefangenen und deren Familien Türk Federasyon Bülteni 172 in der Türkei (TAYAD) 176 Türkische Hizbullah 241 f. Source 277, 292 Türkische Hizbullah (TH) 241 f., 276 Sozialistische Einheitspartei Türkische Konföderation Deutschlands (SED) 138 in Europa (ATK) 173 Sozialistische Linke Türkische Volksbefreiungspartei/ (SL) 16 f., 129 ff., 142 -Front THKP/-C 175 Sterka Ciwan 179, 185 TV 5 254 Stimme des Reiches 124 f. U Sturmwehr 114 Sudholt, Gert Dr. 123 f. Ülkücü-Bewegung 19 f., 170 ff. Ümmet-i Muhammed 239 T Union der freien Frauen (YJA), siehe Tablighi Jama'at - Gemeinschaft Kurdische Frauenbewegung der Verkündigung und Mission in Europa (AKKH) (TJ) 251 f., 276 unsere zeit (uz) 142, 145 Taliban 218, 228 f. V Tamilische Befreiungstiger (TCC) 188 ff., 275 Velioglu, Hüseyin 241 Tamilische Bildungsvereinigung Verband der islamischen Vereine und e.V. (TBV) 191 f. Gemeinden e.V. (ICCB), siehe Tamil Rehabilitation Organization Kalifatsstaat e.V. (TRO) 191 Verband der Studierenden aus Tamil Student Organization e.V. Kurdistan e.V. 184 (TSV) 191 Verein zur Rehabilitierung der wegen Tamil Youth Organization 191 Bestreitens des Holocaust Tamil Youth Organization e.V. Verfolgten (VRBHV) 125 (TYO) 191 Vlaams Belang 31, 56 ff., 64, 73, 77 311 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2012 Vlaams Blok 73 Voigt, Udo 26, 29, 37 Volkskongress Kurdistans, siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Volksverteidigungskräfte (HPG) 180, 183 Voorpost 73 W wachtamrhein.info 90 Weisse Wölfe 114 Widerstandsbewegung in Südbrandenburg 99 Wiener, Markus 52 Wolter, Judith 52 Worch, Christian 78, 83 Y Yassin, Ahmed 209 ff., 215, 217, 228 Yatim Kinderhilfe e.V. 234 Yeni Müjde 241 Yeni Özgür Politika 179, 185 Yürüyüs 174, 176 Z Zarqawi al-, Abu Musab 199 Zawahiri al-, Ayman 199, 204 f., 208 Zentrum für individuelles und effektives Leben (ZIEL) 280 Zentrum für individuelles und effektives Lernen 280 Zilan-Frauenfestival 187 312 Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen herausgegeben. 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