Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2005 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Impressum Herausgeber: Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Abteilung Verfassungsschutz Postfach 103013 40021 Düsseldorf Haroldstraße 5 40213 Düsseldorf Telefon: 0211/871-2821 Telefax: 0211/871-2980 E-Mail: Kontakt.Verfassungsschutz@im.nrw.de für die Bestellung von Broschüren: Bestellung.Verfassungsschutz@im.nrw.de Internet: www.im.nrw.de/verfassungsschutz Druck: Silber Druck oHG 34266 Niestetal Redaktionsschluss: 20. März 2006 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Vorwort Im Jahr 2005 zogen zwei Themenfelder die besondere Aufmerksamkeit auf sich: Zum einen der anhaltende Terrorismus islamistischer Fundamentalisten. Zum anderen die vermehrten Versuche deutscher Rechtsextremisten, ihre Propaganda hinter einem modernen Gewand zu tarnen und sie so vor allem für Jugendliche interessant zu machen. Die schrecklichen terroristischen Anschläge in London kosteten 56 Menschen das Leben; etwa 700 wurden verletzt. Als Attentäter hat die britische Polizei schnell Täter identifiziert, die aus der zweiten und dritten Generation muslimischer Migranten stammen. Sie waren meist in Großbritannien aufgewachsen und heimisch, schienen weitgehend in die britische Gesellschaft integriert. Die neue Generation von Jihadisten, die aus der eigenen Gesellschaft hervorgehen, bezeichnet man als "home grown terrorists". Über Motive, Ursache und Auslöser der Entwicklung dieser Terroristen weiß man noch wenig. Ihr "know how" beziehen sie zu großen Teilen aus dem Internet, das sie als virtuelles Trainingslager nutzen. Hier liegt sicher eine der größten Herausforderungen für deutsche Sicherheitsbehörden. Die Anschläge in London haben erneut vor Augen geführt, dass die islamistische Bedrohung jederzeit auch uns in Deutschland treffen kann. Deutschland ist Anfang 2006 vom Stellvertreter Bin Ladens, Ayman al-Zawahiri, erstmals wieder namentlich als Gegner benannt worden. Die Gefahr ist bei uns abstrakt. Aber wir nehmen sie sehr ernst! Unsere Sicherheitsbehörden rücken zusammen, um der Gefahr zu begegnen. Im engen Zusammenwirken von Polizei, Justiz, Ausländerbehörden und Verfassungsschutz setzen sie auf das frühzeitige Erkennen und die Abwehr möglicher Anschläge. Im vergangenen Jahr sind wir auf diesem Weg ein gutes Stück weitergekommen. Kom- 1 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 munikationswege und -möglichkeiten bei der Terrorabwehr werden weiter verbessert. Ziel ist es, dass potenziell relevante Informationen so schnell wie möglich weiter geleitet werden. Das zu diesem Zweck eingerichtete "Gemeinsame TerrorismusAbwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin, an dem sich NRW mit eigenen Sicherheitskräften beteiligt, schafft dafür seit rund eineinhalb Jahren gut funktionierende Voraussetzungen. Im Kampf gegen den Terror muss auch unsere Gesellschaft zusammenrücken. Kommunikationsdefizite zwischen den Kulturen müssen ausgeräumt werden. Ein Generalverdacht gegen Muslime darf nicht aufkommen. Die Muslime hier bei uns gehen in ihrer überwältigenden Mehrheit fundamentalistischen Islamisten nicht auf den Leim. Ausdrücklich möchte ich die besonnenen und friedlichen Reaktionen der Muslime unter uns und ihrer Verbände erwähnen, die Verantwortungsbereitschaft und den klaren Willen gezeigt haben, sich im so genannten Karikaturen-Streit nicht von den aufgepeitschten Emotionen anstecken zu lassen. Integration ist keine Einbahnstraße. Einerseits halte ich es für wichtig, Respekt und die Achtung auch vor anderen Religionen zu haben. Andererseits erwarte ich aber auch ein klares Bekenntnis aller, die in unserer Gesellschaft leben wollen, zu unseren freiheitlich-demokratischen Grundwerten. Denn sie haben hier uneingeschränkte Geltung. Daneben ist der Rechtsextremismus nach wie vor eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen für die freiheitliche Demokratie und erfordert unsere besondere Aufmerksamkeit. Während der auf Wahlteilnahme und Parlamentssitze ausgerichtete Teil des Rechtsextremismus - also vor allem die Republikaner und die DVU - bei der Landtagsund Bundestagswahl 2005 wenig Erfolg verbuchen konnte, ist der so genannte völkischrevolutionäre Flügel aus NPD, Neonazis und rechtsextremistischen Teilen der Skinhead-Szene, der sich selbst als "nationaler Widerstand" bezeichnet, weitaus aktiver. Er ist aggressiver geworden - eine signifikante Änderung rechtsextremistischer Agitationsinhalte gehört zur neuen Strategie. Die NPD forciert die Nachwuchswerbung bei Jugendlichen. Auf scheinbar unverfänglichem Weg, mit als Informationsmaterial getarnter Propaganda sollen Kindern und Jugendlichen rechtsextremistische Inhalte und Ansprechpartner schmackhaft gemacht werden. Wenn auch in geringem Umfang - es scheint zu gelingen. Die Zahl der Mitglieder der NPD in NRW ist von ihrem Tiefstand 2002 (500) angestiegen auf inzwischen 750. Besorgniserregend ist dabei der Mitgliederzuwachs bei jüngeren Personen. Die rechtsextremistische Szene ist sichtlich bemüht, demokratiefeindliche und menschenverachtende Inhalte als vermeintlich modern und unterhaltsam zu tarnen 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 und auf diese Weise Jugendliche zu ködern. Unser Verfassungsschutz hält erfolgreich mit dem vielleicht wichtigsten Mittel dagegen: der Aufklärung. Jugendliche müssen vor allen Dingen informiert sein, damit sie rechtsextremistische Propaganda enttarnen können. Sie müssen wissen, welche Strategien hinter der Musik mit rechtsextremistischen Inhalten stecken. Der Verfassungsschutz in NRW kommt mit seinen Informationen bei den Jugendlichen an, vor allem deswegen, weil er jugendgerechte Mittel verwendet. Unser Bildungscomic "Andi", den wir im August 2005 veröffentlicht haben, ist dafür ein Paradebeispiel. Der Comic entlarvt rechtsextremistische Propaganda und wirbt für die Demokratie in einer Sprache, die bei den Jugendlichen ankommt. Der Verfassungsschutz in NRW ist hier einen unkonventionellen Weg gegangen, der bundesweit und international viel Anerkennung gefunden hat. Die Nachfrage bei den Jugendlichen in NRW war und ist groß. Schon nach wenigen Tagen waren über 20.000 Comics angefordert. Weil die Nachfrage so groß ist, haben wir nochmals 100.000 Stück drucken lassen. Jugendliche, das zeigt der Erfolg von "Andi", wollen mehr über das Thema "Rechtsextremismus" wissen. Deshalb sind unsere Verfassungsschützer regelmäßig an Schulen zu Gast und kommen mit den Jugendlichen ins Gespräch. Knapp 100 Vorträge waren es 2005. Die Schulen können zwischen sechs Modulen wählen, etwa dem Thema "Zeichen und Symbole der Szene", "Musik mit rechtsextremistischen Inhalten" oder "Rechtsextremismus im Internet". Ein weiteres Angebot an die Schulen ist ein Theaterstück, das sich mit rechtsextremistischer Gewalt beschäftigt und mit einer Informationsveranstaltung des Verfassungsschutzes verbunden ist. Es ist in Zusammenarbeit mit dem Schulministerium und seiner Stiftung "Partner für Schule" und den Gemeindeunfallversicherungsverbänden entstanden. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" ist das Leitmotiv der Arbeit des Verfassungsschutzes. Hierzu gehört der vorliegende Verfassungsschutzbericht, von dem ich mir wünsche, dass er Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bei Ihrer Auseinandersetzung mit Extremismus unterstützen kann. Dr. Ingo Wolf MdL Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklungen im Extremismus .............................................................. 13 1.1 Rechtsextremismus ..................................................................................... 13 1.2 Linksextremismus ....................................................................................... 18 1.3 Ausländerextremismus ................................................................................ 20 1.4 Islamismus ................................................................................................... 21 1.5 Politisch motivierte Kriminalität ................................................................. 25 2 Thema im Fokus: Die Ideologie der Muslimbruderschaft .................... 29 3 Rechtsextremismus ................................................................................... 41 3.1 Die Republikaner (REP) ............................................................................. 41 3.2 Deutsche Volksunion (DVU) ...................................................................... 45 3.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ................................... 49 3.4 Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland (BfD) ................................................ 55 3.5 Bürgerbewegung pro Köln e.V. (pro Köln) ................................................. 57 3.6 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. ....................................................... 58 3.7 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V. (CH) und Weltbund zum Schutze des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V. (WSL-D) ......................................................................... 59 3.8 Neonazis ...................................................................................................... 61 3.8.1 Neonazis auf Bundesebene ......................................................................... 62 3.8.2 Neonazi-Szene in NRW .............................................................................. 64 3.9 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) .................................................. 68 3.10 Rechtsextremistische Skinheads ................................................................. 69 3.11 Revisionismus ............................................................................................. 74 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 3.12 Die "Neue Rechte" als intellektuelle Strömung innerhalb des Rechtsextremismus ..................................................................................... 78 3.12.1 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (NE) ........................................ 80 3.13 Der Schlesier ............................................................................................... 82 3.14 Rechtsextremismus im Internet ................................................................... 84 3.15 Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten ............................................... 86 4 Linksextremismus ..................................................................................... 89 4.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) .................................................... 89 4.2 Die Linkspartei.PDS - Landesverband Nordrhein-Westfalen .................... 94 4.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ......................... 102 4.4 Linksextremistische Autonome ................................................................. 109 5 Ausländerextremismus ........................................................................... 125 5.1 Türkische Organisationen ......................................................................... 125 5.1.1 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C); Türkische Volksbefreiungspartei/-Front -Revolutionäre Linke (THKP/-C) .............. 125 5.1.2 Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei (MLKP); Kommunistische Partei & Aufbauorganisation (KP-IÖ) .......................... 129 5.2 Kurdische Organisationen: Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL); Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und unterstützende Organisationen .......................................................................... 131 5.2.1 Hintergrund ............................................................................................... 131 5.2.2 Entwicklung der Organisation seit dem Jahr 2000 ................................... 132 5.2.3 Eskalation der Gewalt ............................................................................... 135 5.2.4 Führungsstrukturen des KONGRA-GEL in Europa ................................. 136 5.2.5 Massenorganisationen in Europa .............................................................. 139 5.2.6 Finanzierung .............................................................................................. 140 5.2.7 Medieneinsatz ........................................................................................... 140 5.2.8 Initiativen und Veranstaltungen ................................................................. 142 5.3 Iranische Organisationen ........................................................................... 145 5.3.1 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) .......................................................................... 145 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 5.3.2 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) ............................................... 150 5.4 Extremistische Bestrebungen von Kosovo-Albanern im Bereich der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ........................................... 153 5.4.1 Volksbewegung von Kosovo (Levizija Popullor e Kosover - LPK) ........ 154 5.4.2 Front für nationale Vereinigung (Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar - FBKSh) .................................................................................... 155 5.4.3 Albanische Nationalarmee (Armata Kombetare Shqiptare - AKSh) ........ 156 5.5 Tamilen: Tamilische Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelam - LTTE) .......................................................................................... 157 6 Islamismus ............................................................................................... 163 6.1 Transnationales Terrornetzwerk um Usama Bin Laden (Jihadisten; auch Mudjahedin) ..................................................................................... 163 6.2 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) ................................................... 179 6.3 Tabligh-i Jamaat (Gemeinschaft zur Verkündigung - TJ) ........................ 182 6.4 HAMAS (Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) ............................................................................. 184 6.5 Hizb Allah (Partei Gottes) ......................................................................... 187 6.6 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) ................................ 191 6.7 Muslimbruderschaft (MB ); Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD); Islamisches Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. (IZA) ....................................................................... 193 6.8 Front Islamique du Salut (Islamische Heilsfront - FIS) ........................... 196 6.9 Groupe Islamique Armee (Bewaffnete Islamische Gruppe - GIA) .......... 198 6.10 Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (Gruppe für Predigt und Kampf - GSPC) ..................................................................... 199 6.11 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) ................................. 200 6.12 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti); vormals: Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB), so genannter Kaplan-Verband ...... 213 7 Extremismus in Zahlen ........................................................................... 221 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 7.1 Politisch motivierte Kriminalität - Bericht des Landeskriminalamtes ..... 221 7.1.1 Gesamtentwicklung ................................................................................... 221 7.1.2 Einteilung nach Phänomenbereichen ........................................................ 223 7.1.3 Themenfelder ............................................................................................ 226 7.1.4 Herausragende Sachverhalte ..................................................................... 228 7.2 Bericht des Justizministeriums .................................................................. 230 7.2.1 Verfahren wegen rechtsextremistischer Aktivitäten .................................. 230 7.2.2 Verfahren wegen linksextremistischer Aktivitäten ................................... 230 7.3 Mitglieder in extremistischen Organisationen .......................................... 230 7.3.1 Rechtsextremismus ................................................................................... 230 7.3.2 Linksextremismus ..................................................................................... 231 7.3.3 Ausländerextremismus .............................................................................. 231 7.3.4 Islamistische Organisationen .................................................................... 232 8 Spionageabwehr ...................................................................................... 233 8.1 Überblick ................................................................................................... 233 8.2 Spionageaktivitäten des Iran ..................................................................... 234 8.3 Weitere Staaten des Nahen Ostens/Afrikanische Staaten ......................... 235 8.4 Ferner Osten, China .................................................................................. 236 8.5 Russische Föderation und andere Mitglieder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ..................................................................... 237 8.6 Abwehr von Wirtschaftsspionage ............................................................. 238 8.7 Proliferation .............................................................................................. 243 8.8 Zum Schluss .............................................................................................. 244 9 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen .......................................... 245 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal ................................................ 245 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit ................... 247 10 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... 251 11 Stichwortverzeichnis ............................................................................... 257 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Vorbemerkung Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörde NRW. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Nordrhein-Westfalens wurden aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichtes und der enthaltenen Analysen erforderlich sind. Wenn einzelne extremistische Organisationen in diesem Bericht nicht erwähnt werden, ist dies kein Indiz dafür, dass sie der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht unterliegen. Der Bericht umfasst das Jahr 2005; Redaktionsschluss war der 31. Januar 2006. Danach liegende Vorfälle sind punktuell aufgenommen worden, wenn sie von größerer Bedeutung sind. Grundlagen und Zielsetzung des Verfassungsschutzes bei der Extremismusbekämpfung Die Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist es, im staatlichen Auftrag politisch bedeutsame Informationen zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten, die extremistische und terroristische Bestrebungen oder die Spionagetätigkeit betreffen. Als extremistisch werden solche Bestrebungen bezeichnet, : die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, : den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder : darauf abzielen, die Amtsführung von Verfassungsorganen des Bundes oder eines Landes ungesetzlich zu beeinflussen; : die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder : die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind (SS 3 Absatz 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen - VSG NRW). Die Verfassungsschutzbehörde darf hierzu die für sie relevanten Informationen dann sammeln und auswerten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegeben sind oder auch, soweit Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten gegeben sind. Weder eine konkrete Gefahr noch eine begangene Straftat sind also notwendig, um ihr Tätigwerden zu legitimieren. Für die Berichterstattung in den Jahresberichten ist es auch nicht Voraussetzung, dass sich die Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Der Verfassungs- 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 schutz arbeitet im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten. Er hat im Wesentlichen Organisationen und Strukturen im Auge. Eine "Bestrebung" ist - so sagt es der SS 3 Absatz 3 des VSG NRW - ein "Personenzusammenschluss", setzt also mehrere Personen voraus, die gemeinsam handeln. Einzelne Personen stehen damit nicht unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes, es sei denn, ihr Verhalten ist auf die Anwendung von Gewalt gerichtet, oder von ihnen geht eine erhebliche Gefahr für eines der Schutzgüter des Verfassungsschutzgesetzes aus. Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Es geht also einerseits um den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - also den nicht zur Disposition stehenden Kern des Grundgesetzes (SS 3 Absatz 4 VSG NRW). Hierzu zählt: : Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; : die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt der Rechtsprechung in Gesetz und Recht; : das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; : die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; : die Unabhängigkeit der Gerichte; : der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und : die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Auswärtige Belange der Bundesrepublik und Völkerverständigung Außer dem Schutz der Grundordnung des Grundgesetzes hat der Verfassungsschutz die Aufgabe, Bestrebungen zu beobachten, "die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden". Hier geht es vorwiegend um gewaltbereite extremistische Ausländergruppen, die vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus Gewaltaktionen vorbereiten, um eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse in ihren 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Heimatländern herbei zu führen und die dadurch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Auch Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, gehören zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes (SS 3 Absatz 1 Nr. 4 VSG NRW). In der Sache handelt es sich bei dieser gesetzlichen Regelung um die Klarstellung, dass der Verfassungsschutz diejenigen international operierenden Gruppierungen beobachtet, die beispielsweise darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. Anders als beim typischen Fall des Ausländerextremismus sind die Angriffe hier nicht auf die staatliche Ordnung oder die Grenzen eines einzelnen anderen Landes gerichtet, sondern gegen bestimmte (Volks)gruppen in den betreffenden Staaten. Gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind etwa Gruppierungen, die die - notfalls gewaltsame - Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Ostgebiete propagieren. Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Bei seiner Tätigkeit stützt sich der Verfassungsschutz in großem Umfang - ja sogar weit überwiegend - auf offenes Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Radiound Fernsehberichte, Interviews und Parteiprogramme. Die besonders interessanten und sensiblen Informationen, zum Beispiel aus dem Führungszirkel einer Organisation, werden aber mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen. Es werden Vertrauensleute (V-Leute) eingesetzt, Zielpersonen observiert, Funkverkehr wird überwacht, und in besonders gravierenden Fällen kann auch die Postund Telefonüberwachung angeordnet werden. Wenn es Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, konspirativ arbeitende Organisationen zu bekämpfen und deren Struktur aufzuklären, so ist hierzu eine gewisse Waffengleichheit sicherlich notwendig. Bei der Spionageabwehr und der Extremismusbeobachtung kann auf nachrichtendienstliche Mittel nicht verzichtet werden. Typischerweise geben sich extremistische Parteien und Organisationen in ihren Programmen und öffentlichen Auftritten gemäßigt, um ihre Akzeptanz und ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen. Klartext wird nur in den inneren Zirkeln und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geredet. Darüber muss der Verfassungsschutz verlässliche Informationen erlangen, wenn er sich ein realistisches Bild von den Zielen und den Methoden derartiger Parteien verschaffen und die Öffentlichkeit aufklären will. Nachrichtendienstliche Mittel darf der Verfassungsschutz aber nur im Rahmen genau festgelegter Befugnisse einsetzen. Insbesondere darf er sie nur dann anwenden, wenn er die benötigten Informationen nicht auf andere Weise beschaffen kann. Er muss also 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 stets die Verhältnismäßigkeit prüfen, bevor er mit diesen Mitteln arbeiten darf. Ein besonderes Verfahren oder eine besondere Erlaubnis ist vor allem für die Postund Telefonüberwachung vorgesehen, da dies mit massiven Grundrechtseingriffen verbunden ist. Übermittlung an andere Sicherheitsbehörden und Informationen für die Öffentlichkeit Der Verfassungsschutz verfügt einen großen Bestand von teilweise hochsensiblen Daten. Die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz erlangt, werden im Einzelfall auch an die Polizei weitergegeben, wenn dies der Abwehr beziehungsweise Ahndung schwerer Straftaten dient. Abgesehen von der Weitergabe an andere Sicherheitsbehörden sind die Informationen des Verfassungsschutzes auch die Grundlage für den hier vorliegenden Verfassungsschutzbericht, dessen Zweck in SS 15 VSG NRW festgelegt ist. Die Verfassungsschutzberichte, Broschüren und Informationen im Internet, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen etwa in Schulen, Universitäten oder vor sonstigem Fachpublikum klären über die Themen des Verfassungsschutzes auf. Durch seine nachrichtendienstlichen Mittel verfügt der Verfassungsschutz über Informationen zu Zielen und Methoden seiner Beobachtungsobjekte, die für eine Aufklärung der Öffentlichkeit notwendig sind. Zeitungen oder andere Medien können diese Informationen nicht im selben Maße liefern, weil die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes mit den Mitteln der herkömmlichen Recherche allein nicht zu erlangen sind. Beim Umgang mit extremistischen Organisationen und Bestrebungen zeigt sich das liberale, aber abwehrbereite Konzept der Verfassung ("wehrhafte Demokratie"): Das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Vereinigungsfreiheit, das Demonstrationsrecht - all dies gilt auch für den Extremisten. Allerdings behält der Staat durch den Verfassungsschutz die extremistischen Bestrebungen im Auge. Er ist das Frühwarnsystem, das den Staat in die Lage versetzt, rechtzeitig einzugreifen, wenn die vom Gesetz gezogenen Grenzen überschritten werden. 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 12 Entwicklungen im Extremismus 1 Entwicklungen im Extremismus 1.1 Rechtsextremismus Die Entwicklung des Rechtsextremismus im Jahr 2005 lässt sich im Wesentlichen an Hand von drei Kernaussagen beschreiben: : Der Bestand der so genannten "Volksfront von rechts" wird zukünftig mehr denn je von den Erfolgen bei den kommenden Landtagswahlen abhängen. : Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wie auch bei der Bundestagswahl 2005 konnte die NPD zwar nicht an die Wahlerfolge in Sachsen anknüpfen, gleichwohl werden die Wahlergebnisse von der NPD als Beweis für die Richtigkeit und Wirksamkeit ihrer neuen Strategie gewertet. : Rechtsextremisten haben ihre Bemühungen weiterhin intensiviert, Jugendliche als Zielgruppe für ihre rechtsextremistische Propaganda zu ködern. Das "Volksfront-Bündnis" aus 'Nationaldemokratischer Partei Deutschlands' (NPD), 'Deutscher Volksunion' (DVU) und den so genannten "Freien Kräften" besteht nunmehr seit gut einem Jahr, obwohl der Misserfolg bei der Landtagswahl im Mai 2005 in NRW das Bündnis nicht unberührt gelassen hat. Die so genannte "Volksfront von rechts" ist auch in Zukunft ein stark erfolgsabhängiges Bündnis. "Volksfront von rechts" Unter dem amtierenden Vorsitzenden Udo Voigt hatte es eine Neuausrichtung der NPD gegeben. Während seine Vorgänger (darunter Günther Deckert) ausländerfeindliche und revisionistische - insbesondere antisemitische - Parolen verbreiteten, setzt Voigt auf soziale Themen wie den Protest gegen Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit und die zunehmende Globalisierung. Zudem betont Voigt die Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten: Neben dem Bündnis mit den Neonazis wurde auch die DVU in die "Volksfront von rechts" einbezogen. Die Wahlerfolge in Brandenburg und Sachsen im Jahr 2004 sind Ergebnis dieser Wahlabsprache. An diese Erfolge konnten die rechtsextremistischen Parteien trotz ihrer "Bündelungsstrategie" weder bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai noch bei der Bundestagswahl im September 2005 anknüpfen. Bei der NRW-Wahl erzielte die NPD lediglich 0,9% der Stimmen und verpasste damit die Bedingung für die Wahlkampfkostenerstattung. Auch bei der Bundestagswahl war das Ergebnis von 1,6% der Zweitstimmen bundesweit für die 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 NPD enttäuschend, im Gegensatz zur Landtagswahl NRW profitierten sie damit aber von der staatlichen Parteienfinanzierung. Trotz des schlechten Abschneidens - die NPD hatte gehofft, in den Deutschen Bundestag einziehen zu können - erklärte der Parteivorsitzende Udo Voigt nach der Wahl, die NPD habe ihr: "[b]estes bundesweites Wahlergebnis seit 1969" erreicht. Auch die DVU sieht das Ergebnis der NPD positiv. Insbesondere sei zu erkennen, dass junge Wähler zum Hauptpotenzial der rechten Parteien gehören. Von der DVU wurde deshalb auch erklärt, ihren "Deutschlandpakt" mit der NPD fortsetzen zu wollen. Absprachegemäß werden bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Frühjahr 2006 die DVU und bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2006 die NPD jeweils allein antreten. Dem gegenüber bewerteten die neonazistischen Kräfte, die im Rahmen der "Volksfront von Rechts" die NPD zumindest teilweise im Wahlkampf unterstützt hatten, das Ergebnis eher negativ: "Das war wohl nichts", hieß es auf der Homepage des 'Freien Widerstands'. Nach Ansicht der Gegner der "Volksfront von Rechts" unter den Neonazis ist die erneute Wahlniederlage der NPD einmal mehr ein Beweis dafür, dass eine Zusammenarbeit von NPD und den freien Kräften zum Scheitern verurteilt sei. Diese Kreise lehnen die Teilnahme an Wahlen zugunsten eines - wenn auch nicht offen verkündeten - gewaltsamen Umsturzes ab. Andere Neonazigruppierungen lehnen die Zusammenarbeit mit der NPD nicht ab. So arbeitet die NPD schon seit längerem in Vorpommern mit Neonazis eng zusammen und hofft, mit deren Unterstützung bei der Landtagswahl an die Erfolge in Sachsen anzuknüpfen. Dies ist nicht völlig unrealistisch, da die NPD in Mecklenburg-Vorpommern über ein gewisses Wählerpotenzial verfügt, wie die bei der Bundestagswahl auf Landesebene erreichten 3,5% gezeigt haben. Jugendliche im Fokus rechtsextremistischer Propaganda Zur neuen Strategie der NPD gehört auch eine verstärkte Jugendarbeit bzw. der Einsatz "neuer Medien" (zum Beispiel Musik-CDs und Internet). Über die Erlebniswelt "Musik" versucht sie, Jugendliche für ihre Ideologie zu gewinnen. Anknüpfend an ihre erste Verteilaktion einer Musik-CD im sächsischen und schleswig-holsteinischen Wahlkampf verbreitete die NPD Mitte 2005 zur Bundestagswahl eine weitere MusikCD mit dem Titel "Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker". Die Partei hofft, dass es ihr mit diesen Mitteln gelingt, zumindest vorübergehend junge Menschen an die Partei zu binden. Diese Strategie hat einen gewissen Erfolg. Sowohl auf Bundeswie auch auf Landesebene dürfte der deutliche Anstieg der Mitgliederzahlen - in NRW von 550 auf 750 - nämlich vor allem durch den Zulauf von jüngeren Parteimitgliedern zu erklären sein. Mit der Ausrichtung auf die Jugendlichen zieht die NPD die Konsequenz aus dem Wahlverhalten bei den letzten Wahlen: Bei der Bundestagswahl 14 Entwicklungen im Extremismus 2005 erhielt sie 5,5% der Stimmen der Männer zwischen 18 und 25 und 4,0% der 25bis 35jährigen. Noch erfolgreicher bei jugendlichen Wählern war die NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen im September 2004. Hier erreichte sie bei den 18bis 29jährigen Männern 21%. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wähler der deutschen rechtsextremistischen Parteien überwiegend gefestigte rechtsextremistische Einstellungen besitzen. Es handelt sich hier also nicht - wie häufig geäußert - um überwiegend unideologischen Protest. Da rechtsextremistische Einstellungsmuster bei Jugendlichen nicht häufiger vorkommen als in anderen Altersgruppen, müssen es andere Faktoren sein, die eine Wahlentscheidung für eine rechtsextremistische Partei vor allem für junge Männer attraktiv macht: Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von politischen Einstellungen in Wahlverhalten spielen so genannte Gelegenheitsstrukturen. Hierzu gehören die organisatorische Stärke der Partei, ihre Kandidaten und ihr Image, aber auch die Fähigkeit der etablierten Parteien, Wähler mit rechtsextremistischer Einstellung im demokratischen Parteienspektrum zu binden. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die soziale Akzeptanz der rechtsextremistischen Wahlentscheidung im eigenen Umfeld. Neuere Studien deuten darauf hin, dass Einstellungselemente wie Fremdenfeindlichkeit, die sich zu einem rechtsextremistischen Einstellungsmuster verdichten können, zu einem erheblichen Teil schon in der Kindheit und Jugend entwickelt werden. Um so wichtiger ist es daher, bereits in dieser Altersgruppe einer solchen ideologischen Beeinflussung entgegen zu wirken. Die Bemühungen der Szene, auf Kinder und Jugendliche Einfluss zu nehmen, werden scheitern, wenn junge Menschen in der Lage sind, die menschenverachtende Propaganda des Rechtsextremismus zu entlarven - das heißt, wenn sie beispielsweise mit den Hintergründen der Einwanderung nach Deutschland vertraut sind, sich mit den Werten der parlamentarischen Demokratie befasst haben und über Strategien der rechtsextremistischen Szene informiert sind. Der kürzlich erfolgte Austritt von drei Abgeordneten der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen dürfte die hoffnungsvollen Pläne der Partei auf kommende Wahlerfolge trüben. Noch hat das Bündnis zwischen NPD und DVU Bestand. Schließlich werden bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März 2006 drei NPD-Kandidaten auf der DVU-Landesliste antreten. Dagegen bleibt abzuwarten, wie sich die neonazistischen Kräfte zukünftig dem Bündnis gegenüber verhalten werden. Zeigen die Erosionserscheinungen in Sachsen aus Sicht der Nationalen Kräfte doch einmal mehr, dass der parlamentarische Weg in die Sackgasse führt. Wie schon in der Vergangenheit wird auch hier deutlich, wie fragil die parlamentarischen Vertretungen rechtsextremistischer Parteien in der Praxis sind. 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Trotz partieller Mitarbeit der Neonazis am "Deutschlandpakt" lag auch 2005 der Schwerpunkt ihrer Agitation bei eigenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Die Häufigkeit (24 Demonstrationen in NRW in 2005) und die durchschnittliche Teilnehmerzahl haben sich dabei gegenüber 2004 kaum verändert. Thematisiert wurden - wie im Vorjahr - soziale Fragen; es gab Demonstrationen gegen das "Internationale Kapital", die USA und Israel sowie gegen behauptete "Repressionen gegen Rechts". Auch wenn die Zahl der Teilnehmer nicht hoch war, dienten die Demonstrationspolitik und die öffentlichen Aktionen der Stabilisierung, Mobilisierung und Ausweitung des eigenen Lagers. Es ging darum, historisch-symbolische Orte zu besetzen und Themen und Ziele zu verbreiten. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner sowie mit Polizei und Justiz hat innerhalb der extremen Rechten zu einem neuen Selbstbewusstsein geführt: Sie versteht sich als "nationaler Widerstand" für ein "neues Deutschland". Demonstrationspolitik ist vor allem Machtpolitik. Wie bereits die NPD, hat sich auch die neonazistische Szene verstärkt unter Einsatz des Mediums "Musik" um jugendlichen Nachwuchs bemüht. Da gerade Musik junge Menschen anspricht, ist sie zu einem zentralen Element einer "rechtsextremistischen Erlebniswelt" geworden. Deshalb wollten bereits im Sommer 2004 neonazistische Kreise eine Musik-CD mit rechtsextremistischen Liedern und Texten unter dem Titel "Anpassung ist Feigheit" an Jugendliche verteilen. Dies wurde durch die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutzbehörden verhindert. Aufgrund eines allgemeinen Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Stendal (Sachsen-Anhalt) wegen des strafbaren Inhalts der CD konnte ein großer Teil der produzierten Exemplare von der Polizei sichergestellt werden. Gegen den Auftraggeber zur Erstellung der CD, einen Internetversandhändler, ist zur Zeit ein Strafverfahren anhängig. Einige wenige CDs wurden im Sommer 2005 konspirativ verteilt. Neben dieser Musik-CD haben Neonazis auch eine "Schülerund Jugendzeitung" mit dem Namen "[in'vers]" herausgegeben. Die Zeitschrift enthält keine strafrechtlich relevanten Inhalte und wurde nur in Einzelfällen verteilt. Die professionell erstellte Zeitschrift vermeidet rechtsextremistische Stereotypen und greift aktuelle politische Themen auf. Werbeund Kontaktanzeigen verweisen jedoch zu neonazistischen Organisationen. Offensichtlich sollen Kinder und Jugendliche als Zielgruppe über unverfängliche Themen an rechtsextremistisches Gedankengut herangeführt und so ideologisch vereinnahmt werden. Die genannten Aktivitäten - ebenso die immer professioneller werdenden Internetauftritte rechtsextremistischer Organisationen - zeigen eine neue Qualität rechtsextremistischer "Jugendarbeit". Die Gruppen und Parteien haben erkannt, dass sie Schüler und Jugendliche in der Phase ihrer Selbstfindung erreichen müssen. Ist es erst 16 Entwicklungen im Extremismus einmal gelungen, rechtsextremistisches Gedankengut auch nur in Ansätzen in den Köpfen zu verankern, so kann später darauf aufgebaut und die ideologische Ausrichtung verstärkt und verfestigt werden. Rückschlag für die revisionistische Szene Einen deutlichen Rückschlag hat im Jahr 2005 der klassische Revisionismus hinnehmen müssen. Revisionisten sind bemüht, unter dem Deckmantel einer angeblich seriösen Wissenschaft die Zeit des Nationalsozialismus durch relativierende, verfälschende oder gar leugnende Darstellungen gesellschaftsfähig zu machen. Mehrere führende Vertreter dieser häufig vom Ausland aus tätigen Rechtsextremisten befinden sich inzwischen in Deutschland in Haft. Bereits im März 2005 wurde der Betreiber der rechtsextremistischen Internetpräsenz 'Zundel-Site' von Kanada nach Deutschland abgeschoben und gegen ihn Anklage wegen Volksverhetzung erhoben. Seit November 2005 befinden sich die beiden führenden Vertreter der Stiftung 'Vrij Historisch Onderzoek' (VHO), Germar Rudolf und Siegfried Verbeke, in Haft. Rudolf wurde von den USA ausgeliefert, Verbecke aus den Niederlanden nach Deutschland abgeschoben. Es bleibt abzuwarten, ob die Aktivitäten dieser Personen im Internet und im Verlagswesen von anderen Revisionisten fortgeführt werden. Im Grundsatz hat sich damit die Einschätzung Rudolfs bestätigt, der die Zukunft der Revisionisten vor dem Hintergrund einer nicht abebbenden strafrechtlichen Verfolgung als "eher schlecht" einschätzte. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Mai 2005 über die Verfassungsbeschwerde der 'Jungen Freiheit' gegen die Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1994 und 1995 und die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf und des Oberverwaltungsgerichts Münster entschieden. Beide Entscheidungen hatten die Berichterstattung für rechtmäßig erklärt. Auf Grundlage dieses Beschlusses wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klage der 'Bürgerbewegung Pro Köln' gegen den Verfassungsschutzbericht 2002 in vollem Umfang ab. 'Pro Köln' wollte die Beobachtung und die Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten untersagt wissen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat das Vorliegen von Anhaltspunkten für den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung bestätigt und die Berichterstattung für zulässig erklärt. 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 1.2 Linksextremismus Im Mittelpunkt der politischen Arbeit linksextremistischer Parteien stand die Bundestagswahl im September 2005. Andere Kampagnen ordneten sich unter oder stützten die Bemühungen im Wahlkampf, so beispielsweise örtliche Kampagnen gegen den Einzug rechtextremistischer Parteien in die Parlamente. Die Bundestagswahl war für 'Die Linkspartei.PDS' von enormer Bedeutung, da es ihr mit bundesweit 8,7% der Stimmen gelang, in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag einzuziehen. In NRW erhielt sie fast 530.000 Zweitstimmen und damit 5,2%. Die 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) kandidierte nicht. Elf ihrer Mitglieder waren aber auf den offenen Landeslisten der 'Linkspartei.PDS' nominiert, allerdings auf hinteren Plätzen, so dass ihnen der Einzug in den Bundestag nicht gelang. Darüber hinaus ermöglichte es die 'Linkspartei.PDS' bundesweit insgesamt drei DKP-Angehörigen, als Direktkandidaten für sie anzutreten. Die 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) bekam in Nordrhein-Westfalen nur 5.804 Zweitstimmen (0,1%) und bleibt auch bundespolitisch ohne Bedeutung. Bei den vorangegangenen Landtagswahlen im Mai hatte nur die PDS kandidiert und war mit 72.982 Zweitstimmen (0,9%) deutlich unter ihrem bisherigen Höchstergebnis in Nordrhein-Westfalen bei der Bundestagswahl 1998 mit 131.550 Stimmen geblieben. Dieses Ergebnis verdeutlichte der 'Linkspartei.PDS', dass der Zuspruch in Westdeutschland für den Wiedereinzug in den Bundestag nicht ausreichte und auch eine Kompensation in Ostdeutschland wahrscheinlich nicht in dem erforderlichen Umfang erfolgen würde. Diese Erkenntnis und die vorgezogenen Bundestagswahlen dürften letztlich Auslöser für die gemeinsame Kandidatur von PDS und der - nicht als linksextremistisch eingestuften und damit nicht vom Verfassungsschutz beobachteten - Partei 'Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative' (WASG) gewesen sein. Inzwischen haben die beiden Parteien ein "Kooperationsabkommen III - Rahmenvereinbarung zum Parteibildungsprozess zwischen der 'Linkspartei.PDS' und der WASG" geschlossen. Dieses enthält programmatische Aussagen, die es der 'Linkspartei.PDS' weiterhin ermöglichen, ihre systemüberwindenden Ziele so zu vertreten, wie sie im Parteiprogramm dargestellt sind. Sie scheint auch in dieser Kooperation ihre programmatische Bandbreite aufrechterhalten und durchsetzen zu können. Das Bild der DKP hat sich bei weiterhin geringen Mitgliederzahlen nicht grundlegend gewandelt. Zwar hat sie ihr Bedürfnis dokumentiert, sich zeitgemäß zu geben, indem sie im Frühjahr 2005 einen Programmentwurf in ihrer Zeitung 'unsere zeit' (uz) veröffentlicht und den Mitgliedern bis Anfang 2006 zur Diskussion gestellt hat. Der 18 Entwicklungen im Extremismus Programmentwurf nennt konkrete politische Ziele, für die die DKP "heute kämpft", stellt aber bereits in der Präambel klar, dass die DKP am Sozialismus als unverrückbarem Ziel ihres Handelns festhält. Die MLPD verfolgt weiter ihre formelhafte Revolutionsrhetorik, wonach sich in letzter Konsequenz die Arbeiterklasse zum bewaffneten Aufstand erheben und den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen soll. Auch 2005 knüpfte die Eigenwerbung der Partei an der sozialen Frage an: So unterstützte sie Streiks und beteiligte sich an den begrifflich positiv besetzten "Montagsdemos". Die Jugend-, Frauenund Betriebsarbeit ist nach wie vor Schwerpunkt ihrer politischen Agitation. Autonome Die autonome Szene in Nordrhein-Westfalen blieb - mit wenigen Ausnahmen - lokal fixiert und wurde vorwiegend bei Aktionen der autonomen Antifa gegen rechtsextremistische Kundgebungen und Demonstrationen aktiv. Andere Schwerpunkte verloren an Bedeutung, so dass zum Beispiel das linksextremistische Engagement in der AntiKernkraft-Kampagne bei den Transporten radioaktiver Brennelemente nahezu zum Erliegen kam. Die autonome Szene gab die Steuerung der Protestveranstaltungen an das bürgerliche Spektrum ab. Allerdings waren im Vorfeld des Castor-Transportes nach Gorleben militante Aktionen zu verzeichnen. Die Aktivisten verfolgen in der Regel nur noch partiell autonome Ideale und können sich wegen szene-interner Differenzen nur mit Schwierigkeiten organisieren. Die Szene spaltete sich an der Frage, wie mit der Kriegsschuld Deutschlands umgegangen werden soll und welche Auswirkungen dies auf die Einstellung gegenüber Israel und den USA hat. Hierzu werden zwar ständig Aktivitäten und Gegenaktivitäten entfaltet, es wird aber nicht mehr darüber diskutiert. Vielmehr hat sich der Fundamentalstreit innerhalb der linken Szene zwischen den strikt pro-israelischen so genannten 'Antideutschen' und den klassischen 'Antiimperialisten' weiter verfestigt. 'Antideutsche', die bereits kritische Äußerungen gegenüber Israel als antisemitisch verwerfen und wegen der amerikanischen Unterstützung Israels jede beliebige Maßnahme der USA von vornherein befürworten, stellen einen stetig zunehmenden Anteil der autonomen Aktivisten und sonstigen Szeneaktivisten. Hingegen leisten antiimperialistische, amerikafeindlich eingestellte Gruppierungen einseitige Solidaritätsarbeit mit dem palästinensischen Volk gegen die Besatzung durch Israel, engagieren sich zum Thema Befreiungskampf im Baskenland und rechtfertigen mitunter auch Gewaltverbrechen im Irak als legitimes Mittel gegen die Besatzung durch alliierte Truppen. Es finden internationale Konferenzen mit Vertretern der entsprechenden Widerstandsbewegungen statt. Die erstmals vom 'Deutschen Solida19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 ritätskomitee Freier Irak' durchgeführte "Internationale Irak-Konferenz - über Besetzung, Widerstand und Internationale Solidarität" ließ mit ihrem Solidaritätsaufruf zum Widerstand deutlich werden, dass nicht alle Organisatoren eine friedliche Lösung der Auseinandersetzungen anstreben. Die übrigen Themenfelder blieben untergeordnet, aber nicht frei von vereinzelten militanten Aktionen. Der ohnehin vergleichsweise kleinen Bewegung linksextremistischer deutscher Globalisierungskritiker kann wiederum nur geringe Resonanz attestiert werden. Nur wenige nahmen teil an Demonstrationen zu internationalen Gipfeltreffen oder Foren, zum Beispiel in Gleneagles/Schottland anlässlich des G8-Gipfels, dem Treffen der Staatsund Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen. Allerdings bereitet das linksextremistische Spektrum in Hinblick auf den 2007 in Heiligendamm von Deutschland auszurichtenden G8-Gipfel bereits seit dem Frühjahr 2004 Protestaktionen vor. Bei mehreren Brandanschlägen außerhalb Nordrhein-Westfalens nahmen die jeweiligen Täter, darunter die 'militante gruppe' (mg) aus Berlin, in ihren jeweiligen Taterklärungen auch Bezug auf den G8-Gipfel 2007. Bei den antirassistischen linksextremistischen Gruppen hat sich der Trend zum Rückzug aus der Mitarbeit fortgesetzt. Traditionelle Demonstrationen fanden nicht mehr oder nur unter erheblich reduzierter Teilnahme statt. Auch hier kam es allerdings weiterhin zu vereinzelten militanten Aktionen. 1.3 Ausländerextremismus Der im Nord-Irak gegründete KONGRA-GEL (vormals PKK), der als anhängerstärkste kurdische Organisation im Bundesgebiet gilt, ist seinem Ziel, sich als politischer Ansprechpartner zu etablieren, weder auf europäischer Ebene noch im Nordirak näher gekommen. Organisationsintern hat sich die durch die Trennung von Osman Öcalan im KONGRA-GEL ausgelöste Führungskrise inzwischen zu einer tiefgreifenden Krise der gesamten Organisation entwickelt. Die mehrfachen Umbenennungen und ideologischen Neuausrichtungen sind für die Anhänger kaum nachvollziehbar. Auch der jüngste ideologische Neuansatz mit dem Konzept eines demokratischen Zusammenschlusses der kurdischen Gemeinschaften, die Schaffung des so genannten 'Demokratischen Konföderalismus' ('Koma Komalen Kurdistan' - KKK) hat die Motivationslage und Stimmung in den Kreisen der Anhängerschaft nicht verbessern können. 20 Entwicklungen im Extremismus Die nachlassende Identifikation großer Teile der Anhängerschaft mit der Organisation zeigt sich auch an den zunehmend geringeren Teilnehmerzahlen bei öffentlichen Kundgebungen. Nur soweit es sich um traditionelle Großveranstaltungen mit umfangreichem kulturellem Programm handelt, ist die Mobilisierung von mehreren 10.000 Anhängern noch möglich. In der Türkei setzt die Organisation neben politischen Bemühungen wieder auf Gewalt. Seit der Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch die kurdischen 'Volksverteidigungskräfte' (HPG) kommt es fast täglich zu Zusammenstößen zwischen ihnen und türkischen Sicherheitskräften. Daneben kam es auch zu mehreren Bombenbeziehungsweise Minenanschlägen. Trotz der Gewalteskalation in der Türkei hält der KONGRA-GEL im westlichen Europa an seinem politischen Friedenskurs fest. 1.4 Islamismus Die Sicherheitslage in Europa und in Deutschland rückt immer dann wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, wenn Terroranschläge durch islamistische Extremisten verübt werden und eine hohe Zahl von Opfern zu beklagen ist. Dies war am 11. März 2004 bei den Attentaten auf Nahverkehrszüge in Madrid der Fall und ebenso am 7. Juli 2005, als islamistische Terroristen - wieder auf den öffentlichen Personennahverkehr - mehrere Selbstmordanschläge verübten. Manche Kommentatoren äußern besorgt ihren Eindruck, der Terror rücke immer näher, und stellen die Frage, wann dieser Terror bei uns ankommen könnte. Hierauf lässt sich jedoch keine seriöse Antwort geben. Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland ist und bleibt aber nach übereinstimmender Einschätzung der Sicherheitsbehörden hoch, ohne dass Anhaltspunkte für konkrete Planungen von terroristischen Straftaten bekannt wären. Gründe für eine Gefährdung in Deutschland In den meist über arabische Fernsehsender und/oder Internet verbreiteten Audiound Video-Botschaften Usama Bin Ladens und seines Stellvertreters Ayman al-Zawahiri ist zum Teil auch Deutschland namentlich unter den von 'Al-Qaida' bekämpften Staaten genannt worden. Als Grund hierfür ist vor allem das Engagement Deutschlands für die Durchsetzung von Sicherheit und Frieden sowie einer demokratischen Entwicklung in Afghanistan zu nennen. Dass sich auch die deutschen Soldaten in einer Auseinandersetzung mit den von der Macht vertriebenen afghanischen Taliban befinden, ist auf schreckliche Weise durch einen Selbstmordanschlag auf deutsche 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Soldaten am 14. November 2005, bei dem ein Bundeswehrsoldat ums Leben kam, wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Die Entwicklung des transnationalen islamistisch motivierten Terrorismus wird seit dem 11. September 2001 und den Anschlägen in New York und Washington von den Sicherheitsbehörden und auch von der Öffentlichkeit mit Besorgnis und Wachsamkeit verfolgt. Dass auch hierzulande ein Anschlagsrisiko besteht, zeigen eindeutig jene Fälle, bei denen die deutschen Sicherheitsbehörden durch rechtzeitigen Zugriff die Ausführung eines Anschlags verhindern konnten. Die bisherigen Erfolge sind jedoch keine Garantie dafür, dass auch weiterhin keine Anschläge durchgeführt werden können. Der Umstand, dass auch in anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Dänemark, Frankreich, Italien oder Niederlande islamistische Tatverdächtige bei der Vorbereitung von Anschlägen entdeckt und verhaftet worden sind, zeigt die internationale Dimension der Bedrohung durch den Terrorismus auf. Terroranschläge in London Am Morgen des 7. Juli 2005, einen Tag nachdem man in London die Zusage für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 gefeiert hatte, und während im schottischen Gleneagles die Staatsund Regierungschefs der G8-Staaten tagten, rissen vier Attentäter durch ihre Selbstmordanschläge 56 Menschen mit in den Tod und verletzten etwa 700 Personen. Drei der Anschläge ereigneten sich in U-Bahnen, ein Anschlag wurde in einem Doppeldeckerbus verübt. Zwei Wochen später, am 21. Juli, explodierten wieder Sprengsätze in drei Londoner U-Bahnen und einem Bus. Diesmal detonierten jedoch nur die Zünder, nicht die Sprengladung, so dass keine Menschenleben zu beklagen waren. Der britischen Polizei gelang es schnell, die Attentäter vom 7. Juli zu identifizieren und die vom 21. Juli zu verhaften. Bald wurde deutlich, dass es sich nicht um eingeschleuste Terroristen handelt, sondern um solche, die größtenteils in Großbritannien aufgewachsen und heimisch sind. Dies führte zu der Frage, in welchem Maße eine terroristische Gefährdung von muslimischen Zuwanderern der zweiten und dritten Generation und von Konvertiten ausgehe und wie dieser Gefahr angemessen zu begegnen sei. Zur Benennung dieses Phänomens wurde bald der Begriff "homegrown terrorism" über die Medien eingeführt. Entwicklung des Täterprofils In der Tat ist seit 2001 eine deutliche Veränderung der Täterprofile zu beobachten. Während die Attentäter des 11. September 2001 junge Studenten aus dem Nahen Osten waren, die sich islamistisch radikalisiert hatten, handelte es sich bei den Attentätern von Madrid und London um Nordafrikaner, die lange in Spanien gelebt hatten 22 Entwicklungen im Extremismus und zum Teil einen kleinkriminellen Hintergrund besaßen, beziehungsweise um Briten pakistanischer und jamaikanischer Herkunft, die in zweiter und dritter Generation scheinbar integriert in England lebten. In beiden Fällen entstammten die Attentäter einer aufgrund der kolonialen Vergangenheit Spaniens beziehungsweise Großbritanniens dort zahlreich vertretenen Minorität. Dasselbe ist auch bei dem Islamisten, der im November 2004 den Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo von Gogh begangen hat, festzustellen. Diese Beispiele zeigen, dass Tendenzen zur Radikalisierung unter jungen, in Europa heimischen Muslimen durchaus vorkommen können. Die Sicherheitsbehörden haben daher die Aufgabe, ihren Blick auch auf das neue hinzu gekommene Täterprofil islamistisch motivierter Attentäter zu richten, ohne die bisherigen aus den Augen zu verlieren und ohne einen Generalverdacht gegen muslimische Zuwanderer im Allgemeinen aufkommen zu lassen. Strukturveränderung bei Terrornetzwerken Im Bereich des transnationalen islamistischen Terrorismus ist bereits seit einigen Jahren zu beobachten, dass festgefügte weltweite Netzwerkstrukturen, die einst in den Trainingslagern der 'Al-Qaida' in Afghanistan entstanden waren, immer stärker schwinden und sich statt dessen kleine, lokale, autonome Terrorzellen bilden, die jedoch die Ideologie 'Al-Qaidas' verinnerlicht haben. Die Mittel, mit denen diese islamistische Bewegung, deren Idol und Integrationsfigur Usama Bin Laden ist, ihre Vorstellungen und Ziele propagiert, sind vor allem das Fernsehen und das Internet. Selbst lockere Kontakte zwischen Führung und Terrorzelle sind hierbei nicht mehr notwendig. Das weltweite Terrornetzwerk hat sich mit dieser Dezentralisierung auf die weitgehende Zerschlagung oder zumindest empfindliche Schwächung seiner Führungsund Kommunikationsstruktur eingestellt. Es bleibt de facto handlungsfähig, da die Ziele immer noch durch Führer wie den Bin Laden-Stellvertreter Ayman al-Zawahiri über die Medien angegeben werden. Wann, wo, gegen wen und wie es dann zu einem Anschlag kommt, ist regionalen Terrorzellen überlassen. Diese können sich durch Radikalisierung junger Muslime völlig unvorhersehbar und auch aus verschiedensten Milieus - wie die Anschläge von Madrid und London gezeigt haben - bilden. Die Anschlagsmittel, die bisher zur Anwendung kamen, waren konventionelle Sprengmittel. Es scheint jedoch auch schon Planungen für Anschläge mit Chemikalien gegeben zu haben, zum Beispiel 2002 gegen das Hauptquartier des jordanischen Nachrichtendienstes oder im Januar 2003, als in London sieben Nordafrikaner unter dem Verdacht, Anschläge mit dem Gift Rizin geplant zu haben, verhaftet wurden. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Terroristen auch weiterhin versuchen werden, chemische oder andere Kampfmittel, die viele Menschen schädigen können, 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 bei Anschlägen zu verwenden. Bisher scheint der Einsatz solcher Mittel für die Terroristen jedoch noch nicht im Bereich des technisch Machbaren zu liegen. Von bin Laden zu al-Zarqawi Abgesehen von den Entwicklungen im islamistischen Terrorismus in Europa bestehen festgefügte Strukturen islamistischer Kämpfer in Nord-Afrika und Asien weiterhin fort. Neben Afghanistan, wo die Taliban immer noch über ein militärisches Potenzial verfügen, hat sich zunehmend der Irak zu einer Plattform für den Jihadismus entwickelt. Dort macht vor allem die Terrororganisation von Abu Musab al-Zarqawi durch Entführungen, Hinrichtungen und Bombenanschläge großen Ausmaßes von sich Reden. Seit 2004 gilt al-Zarqawis Organisation als Vertreterin von 'Al-Qaida im Zweistromland'. Trotz umfangreicher militärischer Operationen ist es den US-Streitkräften im Irak und ihren Verbündeten bisher nicht gelungen, al-Zarqawis Organisation nachhaltig zu schwächen. Inzwischen versucht al-Zarqawi auch außerhalb des Irak, Terroraktivitäten zu entfalten. Im April 2004 wurde ein geplanter Anschlag mit vergifteten Sprengsätzen von jordanischen Sicherheitskräften noch rechtzeitig vereitelt, doch am 10. November 2005 wurden durch drei Anschläge dieses Terrornetzwerks in verschiedenen Hotels in der jordanischen Hauptstadt Amman 57 Menschen, darunter die Teilnehmer eines Hochzeitsfestes, getötet und 110 verletzt. Die Taten lösten in der arabischen Welt eine neue Welle des Protestes gegen derartige Terrorakte aus. Die Kritik am islamistischen Terror ist jedoch schon älter. Im letzten Jahr haben vor allem muslimische Intellektuelle begonnen, sich kritisch mit dem Jihadismus, dem gerade in der islamischen Welt überwiegend Muslime zum Opfer fallen, auseinander zu setzen. Diese Kritik wird nun - zumindest für den Moment - auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis fortgeführt. Dass sie jedoch etwas bewirken wird und die Terroristen schwächt, ist vorerst eher nicht zu erwarten. Das nahezu tägliche Morden und Hinschlachten von Zivilisten durch al-Zarqawis Terrororganisation im Irak, wo er insbesondere - aber nicht nur - gegen die Schiiten vorgeht, stößt bei vielen Muslimen mehr und mehr auf Ablehnung, selbst wenn sie ideologisch prinzipiell al-Zarqawis Ansichten teilen, das heißt Israel und die USA als Feinde betrachten. So hat sich schließlich vor einigen Wochen nicht nur al-Zarqawis islamistischer Mentor, al-Maqdisi, von ihm abgewandt, sondern - nach den Anschlägen in Amman - auch seine eigene Familie. Die Abwendung selbst von anti-westlich eingestellten Arabern und/oder Muslimen, könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass der Stellvertreter von Usama Bin Laden, Ayman al-Zawahiri, im Oktober 2005 al-Zarqawi wegen seines blindwütigen Kampfes gegen die Schiiten kritisierte. In den letzten beiden Jahren hatte al-Zarqawi als aktiver Terrorplaner gegenüber Bin Laden und al-Zawahiri zunehmend Profil gewon24 Entwicklungen im Extremismus nen und diese geradezu in den Schatten gestellt. Sein hierdurch erlangter Machtzuwachs kann 'Al-Qaida' nicht unberührt gelassen haben. Darüber hinaus werden aber auch Unterschiede in der strategischen Konzeption zwischen Bin Laden und al-Zawahiri, also der ursprünglichen 'Al-Qaida', auf der einen Seite und Abu Musab al-Zarqawi und seiner 'Al-Qaida im Zweistromland' ('qa'idat al-Jihad fi bilad ar-rafidain') auf der anderen Seite deutlich. Während Erstere der Bekämpfung der westlichen "Kreuzfahrer und Zionisten" den Vorrang geben, bekämpft al-Zarqawi in einem geradezu blinden Aktivismus nahezu alle, die nicht seiner Führung unterstehen. Dabei verhindert sein brutales Vorgehen, dass die antiwestlichen islamistischen Kräfte gemeinsam gegen ihre Gegner vorgehen, und es birgt - aus Sicht der 'Al-Qaida' - die Gefahr, dass immer mehr Muslime sich diesem Terror entgegenstellen. Den Nimbus des "Freiheitskämpfers gegen fremde Besatzung" könnte er jedenfalls auch in der arabischen Welt mehr und mehr einbüßen. Als gefährlichster Terrorist hat er aber inzwischen Bin Laden, von dem in diesem Jahr keine Verlautbarung verbreitet wurde, den Rang abgelaufen. In Verbindung mit al-Zarqawi standen auch die Terroristen der Gruppe 'al-Tawhid', die im Frühjahr 2002 Anschläge auf tatsächliche oder vermeintliche jüdische Einrichtungen in Berlin und Düsseldorf geplant hatten. Durch die Sicherheitsbehörden konnten diese Pläne vereitelt und die Gruppe festgenommen werden. Nachdem zuvor der Prozess gegen ein geständiges Gruppenmitglied abgetrennt worden war, wurden gegen die übrigen vier Beschuldigten Ende Oktober 2005 Freiheitsstrafen zwischen fünf und acht Jahren verhängt. 1.5 Politisch motivierte Kriminalität Im Jahr 2005 sind in Nordrhein-Westfalen 3.456 Vorfälle politisch motivierter Kriminalität zu verzeichnen gewesen und damit eine Zunahme von 468 Fällen (+ 15,7%). Rund 73% (2.545 Fälle) entfielen auf den Phänomenbereich Rechtsextremismus, 372 (10,8%) auf den Phänomenbereich Linksextremismus und 74 (2,1%) auf den Phänomenbereich Ausländerextremismus. 465 (13,7%) Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Absolut prägend für die Gesamtsituation bei der politisch motivierten Kriminalität ist das Fallaufkommen bei den Propagandadelikten (zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien und Zeigen des Hitlergrusses). Fast 60% aller Straftaten entfallen auf diese Delikte. Die seit 2003 erkennbare Steigerung der Anzahl der Propagandadelikte ist damit wesentlich für den Anstieg insgesamt. Sie dürfte von zwei Faktoren bestimmt sein: Zum einen dem gestiegenen Aktionsniveau der rechtsextremistischen Szene und 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 zum anderen der gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus, die zu vermehrten Anzeigen insbesondere von Propagandadelikten führt. Hinzu kommt: Soweit überhaupt Täter ermittelt werden konnten, zeigte sich, dass diese häufig nicht in der rechtsextremistischen Szene verankert waren. Die Taten sind zum Beispiel oft provokantes Verhalten Jugendlicher. Angesichts dieses Befundes muss deshalb die kontinuierliche Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen durch eine intensive Aufklärungsarbeit gerade solcher Jugendlicher erweitert werden, die nicht der rechtsextremistischen Szene angehören. Ihnen muss deutlich werden, dass ein hingeschmiertes Hakenkreuz nicht bloß eine "gelungene Provokation" ist. Sie können damit vielmehr ein Gefühl der Bedrohung bei betroffenen Personengruppen auslösen und den Eindruck fördern, rechtsextremistische Gruppierungen seien fest in der Bevölkerung verankert. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten aus dem rechtsextremistischen Spektrum ist im Vergleich zum Jahr 2004 um 365 Fälle oder rund 16,7% gestiegen. Der Schwerpunkt der dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordneten politisch motivierten Kriminalität liegt bei den Propagandadelikten und den Volksverhetzungen. Zusammen mit den Beleidigungen machen diese Delikte 2.240 Fälle aus und damit rund 88% aller Taten dieses Phänomenbereichs. Die Zahl der politisch motivierten Gewaltdelikte ist um 12 auf 144 Fälle gestiegen, wobei dieser Anstieg vor allem der Zunahme der Körperverletzungsdelikte (+ 13) und der Landfriedensbruchsdelikte (+ 5) geschuldet ist. Propagandadelikte und Volksverhetzungen sind prägend für das statistische Bild der politisch motivierten Kriminalität. Dies wird sichtbar, wenn bei einem Vergleich der Extremismusbereiche diese Delikte - für die eine linksextremistische Täterschaft kaum in Frage kommt - außer Betracht gelassen werden. Dann zeigt sich 2005 eine nahezu gleich hohe Zahl politisch motivierter Straftaten in den Bereichen Rechtsund Linksextremismus. Anders als in den Vorjahren hat die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten um 53 Vorfälle (knapp 17%) zugenommen. Ausschlaggebend war die Zunahme der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und der Landfriedensbruchsdelikte. 187 aller Delikte im Phänomenbereich Linksextremismus standen in Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen - also rund die Hälfte. Insgesamt ist die Zahl der Straftaten in diesem Themenfeld um rund ein Drittel angestiegen. Den Schwerpunkt bildeten hier die Demonstrationen im Rahmen der so genannten Rechts-Links-Konfrontation. Allein im Zusammenhang mit fünf Demonstrationen wurden 106 Straftaten festgestellt. 26 Entwicklungen im Extremismus Gegenüber dem Vorjahr sind die Fallzahlen im Phänomenbereich Ausländerextremismus weiter gesunken (- 7) und liegen 2005 bei insgesamt 74 Fällen. 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 28 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft 2 Thema im Fokus: Die Ideologie der Muslimbruderschaft Die 'Muslimbruderschaft' (MB) ist die älteste und ideologisch einflussreichste Bewegung des politischen Islam. Spätestens seit den 60er Jahren hat die MB auch in Deutschland Fuß fassen können. Wenngleich sich der politische Kampf und die Agitation der MB primär gegen die als unislamisch empfundenen Heimatregierungen richten, beeinflusst ihre Ideologie auch wichtige Organisationen und Repräsentanten des politischen Islam in der Bundesrepublik. Aufgrund der historischen und politischen Entwicklung seit der Gründung der MB in den 20er Jahren kann nicht von einer generell einheitlichen oder zeitlosen Ideologie gesprochen werden. Zu unterschiedlich sind die Denkschulen, die regionalen Differenzen und vor allem die Fortentwicklungen der Ideologie, wie sie sowohl von der Mutterorganisation als auch von radikalen Abspaltungen vorgenommen worden sind. Dennoch lassen sich spezifische Grundmuster und Leitgedanken erkennen, die kennzeichnend für die MB insgesamt sind und im Folgenden skizziert werden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen lässt sich damit eine Art "ideologischer Schnittmenge" erkennen. Der Islam als Ordnungsmodell Gegründet wurde die MB 1928 in Ägypten von dem Volkschullehrer Hassan al-Banna. Er entstammte einem kleinbürgerlichen Umfeld, das fest im Traditionalismus verwurzelt war und in dem der Einbruch des Westens im Nahen Osten als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wurde. Al-Banna erhielt eine umfassende religiöse Erziehung, auf deren Grundlage er unter dem Eindruck der erstarkenden nationalistischen Bewegung Ägyptens seine Grundüberzeugungen entwickelte, die für die Muslimbruderschaft prägend wurden. Al-Banna wurde 1949 von der ägyptischen Geheimpolizei auf offener Straße erschossen, weswegen er in den Reihen seiner Mitstreiter bis heute einen Märtyrerstatus genießt. Die MB ist eine hierarchisch und pyramidal strukturierte Organisation. Sie besteht aus einer beratenden Versammlung (Schura), einer Generalversammlung und einem Exekutivrat. Daneben gibt es Komitees für Mission, Bildung, Jugend usw. An der Spitze steht ein gewählter Repräsentant der MB, der sie nach außen vertritt. Nach eigenen Angaben ist die Organisation heute in mehr als 70 Ländern vertreten. Den politischen und historischen Hintergrund der MB bildeten die Erfahrungen des europäischen Vordringens in den Nahen Osten. Die Erkenntnis in der arabischen 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Welt, dass die westlichen Mächte dem Nahen Osten in nahezu allen Bereichen, sei es Wissenschaft, Technik, Militär oder Verwaltung, überlegen waren, hatte bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert eine breit angelegte intellektuelle und religiöse Debatte angestoßen. Deren zentraler Punkt war die Frage, wie diese Rückständigkeit überwunden werden könnte. Bald kristallisierte sich eine Strömung heraus, die die Antwort in der Rückbesinnung auf die Religion zu finden glaubte. In dieses Feld stieß auch die MB vor. Sie forderte, das "wahre Wesen" des Islam wieder zum Leben erwecken. Damit war zunächst eine Rückorientierung auf die Zeit der ersten islamischen Gemeinde zu Lebzeiten des Propheten Muhammad gemeint. Diese Frühphase, in ahistorischer Weise zum "goldenen Zeitalter" verklärt, wurde idealisiert und sollte fortan richtungsweisend auch für die modernen Muslime sein. Der Niedergang und die Spaltung, die die islamische Gemeinschaft seither erlebt habe, sei nur durch eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und Glaubensfundamente zu überwinden. Nach Auffassung der MB ist der Islam eine untrennbare Einheit von Politik und Religion. Er repräsentiert ein umfassendes System, das sich auf jeden Lebensbereich bezieht und Lösungswege für alle politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme anbietet. Al-Banna schrieb in seinen Erinnerungen: "Die Ausrüstung des Orients ist Sitte und Glauben; wenn er diese beiden verliert, so verliert er alles, wenn er zu ihnen zurückkehrt, so kehrt alles zu ihm zurück. Vor fester Moral, Glauben und Überzeugung bricht die Macht der Unterdrücker zusammen. Daher werden sich die Führer des Ostens um die Festigung seines Geistes und um die Wiedergewinnung seiner verlorenen Moral bemühen, denn dies ist der einzige Weg zu einer echten Renaissance. Diesen Weg aber werden sie nur finden, wenn sie zum Islam zurückkehren und an seiner Lehre festhalten." Koran und Prophetentradition (Sunna) sind die zentralen Referenzpunkte für das "islamische System", das die MB anstrebt. Kurz gefasst beschreibt es der Slogan der MB so: "Der Islam ist die Lösung!" Bereits in den späten 30er Jahren entstanden Ableger der MB in der arabischen Welt, geordnet nach dem zentralistischen Prinzip der Mutterorganisation. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und der kolonialen Epoche bildeten sich in der ganzen islamischen Welt und darüber hinaus Zweigstellen der MB. Diese regionalen Zweige sind zwar ideologisch mit der Organisation in Kairo verbunden, handeln jedoch in weiten Teilen eigenständig. 30 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft Unterdrückung und Radikalisierung: Die 60er bis 70er Jahre In Ägypten erlebte die Mutterorganisation der MB eine sehr wechselvolle Geschichte, die sich auch auf ihre ideologischen Wandlungsprozesse auswirkte. Während sie 1952 zunächst noch den Staatsstreich der "Freien Offiziere" unterstützte, geriet sie schon bald in Konflikt mit der neuen Herrschaft unter dem in der ganzen arabischen Welt bewunderten Präsidenten Jamal Abd al-Nasser. Im Zuge der einsetzenden Verhaftungswelle wurden zahllose Anhänger der Organisation inhaftiert, darunter auch Sayyid Qutb, der zum wichtigsten Vordenker des militanten Islamismus wurde. Obwohl er nicht eindeutig zur Gewalt aufrief, werden seine Werke vielfach als Argumentationshilfen für den militärischen Kampf gegen als ungerecht empfundene Systeme verstanden. Bis heute werden sie viel gelesen. Während seiner Haftzeit, die mit brutalen Folterungen verbunden war, radikalisierte sich sein Denken zusehends. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Wegzeichen", "Soziale Gerechtigkeit im Islam" und sein Korankommentar "Im Schatten des Koran". Qutb zufolge leben die Muslime in einer Zeit der Unwissenheit, und ihr Widerstand muss sich sowohl gegen die westlichen Kolonialisten beziehungsweise Imperialisten richten, als auch gegen die falschen und heuchlerischen Regime der islamischen Welt. Zunächst sollen sich die Muslime nach Qutbs Vorstellungen aus der Gemeinschaft des Unglaubens zurückziehen (Hijra), ebenso wie der Prophet Muhammad die Stadt Mekka wegen seiner Widersacher verlassen musste und mit seiner Anhängerschar nach Medina zog. Darauf aber wird nach Qutb eine Phase des Kampfes folgen, um den Unglauben zu überwinden. Ziel des Kampfes ist die Errichtung einer göttlich legitimierten Herrschaft. Die Muslime, die sich nicht dieser Weltsicht anschließen wollen, einschließlich der Herrscher in der islamischen Welt, werden zu Ungläubigen erklärt (takfir), die bekämpft werden müssen. 1966 wurde Qutb hingerichtet. Seither haben sich zahlreiche militante islamistische Gruppen von seinen Auffassungen inspirieren lassen und sie als Aufruf zur Gewalt verstanden. In der Regierungszeit des folgenden ägyptischen Präsidenten, Anwar al-Sadat, entwickelte sich die Hauptströmung der ägyptischen MB zu einer Gewalt ablehnenden Organisation, die zur Mitarbeit am herrschenden politischen System bereit war. Sie distanzierte sich nun auch vom Prinzip der Gottesherrschaft, wie sie bis dato gefordert worden war, und wandte sich ideologisch stärker Herrschaftsformen zu, die Mitspracherechte für die Bevölkerung vorsehen. Trotz ihrer späteren legalistischen Strategie hatte die MB in Ägypten seit den 40er Jahren auch einen militärischen Geheimapparat herausgebildet. Auf diese Erfahrungen konnten militante Splittergruppen später zurückgreifen. In Ägypten und Israel beziehungsweise den besetzten palästinensischen Gebieten vollzogen sich seit den 70er Jahren zahlreiche Abspaltungen von der MB, die sich sehr viel radikaler gaben 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 und sich dem bewaffneten Kampf verschrieben. Diese Radikalisierung wurde durch verschiedene Faktoren ausgelöst und beeinflusst. Dazu zählten eine wachsende soziale und ökonomische Krise sowie die Auswirkungen der neuen Innenpolitik unter Sadat. Gleichzeitig fanden islamistische Bewegungen wie die MB im saudischen Königshaus großzügige Unterstützer, weil man dort darauf setzte, dass diese dann auch die saudisch-wahhabitische Lehre verbreiten und in ihrem Denken von ihr beeinflusst werden würden. Viele der militanten Gruppierungen, die in dieser Zeit entstanden, hatten ihre geistige Heimat zunächst in den Reihen der MB. Dies trifft auf die in den 70er Jahren entstandenen ägyptischen MB-Ableger 'Jihad Islami' ('Islamischer Jihad'), 'Gama'a Islamiyya' ('Islamische Gemeinschaft') und 'Takfir wa Hijra' ('Exkommunizierung und Auszug') zu; ebenso auf die algerische 'Front Islamique du Salut' (FIS) und die palästinensische HAMAS, die seit den späten 1980er Jahren aktiv sind. Ayman al-Zawahiri, der zweite Mann in der 'Al-Qaida' hinter Usama Bin Laden, war zuvor ein führender Kopf des 'Jihad Islami'. Die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 geht auf das Konto der Gruppierung 'Jihad Islami'. Auch der Gründer der 1952 entstandenen 'Hizb ut-Tahrir' (HuT), Taqhi al Din al-Nabhani, war in der MB aktiv, bevor er seine eigene Gruppierung bildete. Durch den massiven Einsatz repressiver Instrumente gelang es dem ägyptischen Staat, die gewalttätigen MB-Abspaltungen zu zerschlagen, nachdem diese noch in den 90er Jahren mit spektakulären Angriffen gegen die ägyptische Tourismusindustrie und gegen kritische Intellektuelle von sich reden gemacht hatten. Heute werden die arabischen Führungen wie die westlichen Staaten weit stärker vom internationalen Jihadismus bedroht. Dessen Anhänger haben von den ersten Generationen gewalttätiger Islamisten gelernt und gleichzeitig ihre Methodik angepasst sowie ihre Schlagkraft enorm vergrößert. In ihren Verlautbarungen sind Elemente, die dem Gedankengut von Terroristen aus Gruppierungen wie 'Jihad Islami' und 'Gama'a Islamiyya' entstammen, unverkennbar. Personelle Überschneidungen deuten - wie der Fall alZawahiri zeigt - ebenfalls darauf hin, dass in bestimmten Bereichen eine ideologische Nähe zu MB-Splittergruppen besteht oder bestanden hat. "Der Islam ist Religion und Politik" Zentraler Punkt der MB-Ideologie ist die ausdrückliche Bejahung eines politischen Anspruchs der islamischen Religion. Sie stelle ein Ordnungssystem dar, das auf alle Fragen und Probleme des Menschen wie der Gesellschaft eine Antwort bereit halte. Der Islam wird als untrennbare Einheit von Religion und Politik definiert. Grundlage einer solchen islamisch-politischen Ordnung ist das islamische Recht (Scharia), das 32 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft nicht allein als ein Recht, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip begriffen wird. Die Scharia wird dabei als ein für alle Zeiten und Orte gültiges System verstanden, das als Orientierungsrahmen dient. Die Ergebnisse der kritischen Geschichtsforschung widersprechen dieser Auffassung, werden aber von Islamisten wie der MB in aller Regel ignoriert. So handelt es sich bei den in der Sunna dargelegten Aussprüchen und Taten des Propheten Muhammad, die eine wichtige Quelle des islamischen Rechts darstellen, weniger um glaubwürdige historische Berichte über den Propheten, sondern weitgehend um später angefertigte Dokumente. Sie haben damit keinen Anspruch auf Authentizität. Viele Themen und Aussagen, die ursprünglich von Mitgliedern der MB formuliert worden sind, finden sich heute in anderen islamistischen Bewegungen wieder. Ein zentrales Element islamistischer Weltsicht stellt die Forderung nach dem islamischen Staat als Erfüllung göttlichen Willens auf Erden dar. Der islamische Staat - eine Utopie mit eingeschränkten Freiheitsrechten Zur Errichtung eines islamischen Staates ist an erster Stelle die Durchsetzung des islamischen Rechts, der Scharia, vonnöten. Im Idealzustand wären später alle Muslime weltweit in einem Staatsgefüge geeint. Diskussionen und abweichende Meinungen bezüglich der Religionsauslegung sind in diesem Modell wohl gestattet, da Menschen irren können. Jedoch gibt es einen eng gesteckten, selbst definierten Rahmen der Meinungsfreiheit. Die Grenzen der Meinungsfreiheit setzt das islamische Recht und damit der vermeintlich göttliche Wille. Um festzulegen, wie der göttliche Wille im Einzelnen aussieht, dürfen nur die Meinungen der vier sunnitischen Rechtsschulen herangezogen werden. Die Auslegungen der Schiiten werden von der MB abgelehnt. Das demokratische Prinzip der Volkssouveränität hat in diesem Staatsmodell keinen Platz oder ist zumindest eingeschränkt, da Gottes Willen nichts vom Menschen Gemachtes übergeordnet werden darf. Auch das Recht auf Opposition ist in Frage gestellt, wenn sich die Herrschenden im Besitz einer göttlichen und damit unumstößlichen Wahrheit wähnen. Nach außen muss die islamische Ordnung gegen ihre Feinde und Angreifer verteidigt werden. Angesichts der brennenden sozialen Probleme Ägyptens setzt sich al-Bannas Bewegung aber bis heute auch für mehr soziale Gerechtigkeit ein. So besteht die MB auf dem koranischen Verbot von Zinsen und fordert eine gezielte Besteuerung der Wohlhabenden zum Nutzen der Ärmsten. Auch das islamische Pflichtalmosen (Zakat) wird von der MB als Teil der Erneuerung der Sozialpolitik im Sinne einer Gott gewollten Ordnung gesehen. 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Der Jihad: Kampf und Verteidigung Nach al-Banna ist jeder Muslim verpflichtet, der Aufforderung zum Jihad nachzukommen. Dies verstand er nicht nur als kollektive und damit an Institutionen delegierbare Pflicht, sondern als individuelle Aufgabe. Diese Haltung erklärt sich vor allem durch die Opposition gegen den britischen Einfluss in Ägypten zu Lebzeiten alBannas, die ihm als "unislamische Besatzer" galten. Diesen Kampf hielt er für eine wesentliche Aufgabe für die muslimische Gemeinschaft. Nicht immer sollte darunter jedoch eine gewaltsame Auseinandersetzung verstanden werden. Vielmehr kann es sich auch um eine friedliche gesellschaftliche Aufgabe handeln, zu deren Erfüllung jeder einzelne Muslim beizutragen hat. In jedem Fall wird bei diesem Konzept ein Verteidigungsfall unterstellt: Bedroht durch die Einund Übergriffe des Westens und seiner Handlanger sehen sich die Muslime gezwungen, ihren Glauben und ihre Wertvorstellungen zu verteidigen. Dies stellt ein weiteres Grundmuster islamistischen Denkens dar: Die Religion wird politisiert, um politische Auseinandersetzungen zu führen. Das heutige Verhältnis der MB-Mutterorganisation zur Gewalt ist zwiespältig. Während Anschläge wie die des 11. September 2001 scharf verurteilt werden, weil dort Unschuldige getötet worden seien, gelten Selbstmordanschläge und andere Formen des bewaffneten Kampfes im Palästinakonflikt als legitim. Die Auseinandersetzung um Palästina wird als Verteidigungsfall der islamischen Gemeinschaft dargestellt, die den gewaltsamen Jihad rechtfertige. Für die MB sind die palästinensischen Selbstmordattentäter Märtyrer, die für die Sache des Glaubens in den Tod gegangen sind. Der politische Kampf der MB richtet sich zentral gegen die eigenen Regierungen, in denen sie vorrangig Despoten und Handlanger ausländischer Interessen sieht. Sich selbst dagegen betrachtet sie als Widerstandskraft gegen Kolonialismus und Zionismus. Sehr pauschal wird westlicher Lebensstil und die zugrunde liegende politische Ordnung als Ursprung allen Übels und als verabscheuenswert verurteilt. Demgegenüber erscheint die islamische Gesellschaftsvision der MB um so reiner. Das Feindbild des dekadenten und aggressiven Westens Die meisten Schriften der MB konstruieren ein aggressives Feindbild des Westens, seines politischen Systems und seiner regionalpolitischen Ziele. Der Westen betreibe eine gezielte Politik der Spaltung und Unterwerfung der Muslime. Der besondere Zorn der MB trifft Israel und den Zionismus, der die Palästinenser des muslimischen Bodens beraubt habe. Diese Landnahme wird als eine Verlängerung westlicher Interventionspolitik gewertet. 34 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft Nach dem Willen der MB ist die islamische Gemeinde daher der Gegenentwurf zum Westen mit all seinen als negativ gebrandmarkten Eigenschaften und Errungenschaften wie der Trennung von Staat und Religion, dem "Verfall sittlicher Werte" und dem ungebremsten Kapitalstreben. Dennoch leugnet auch die MB nicht, dass der Austausch mit dem Westen notwendig sei und westliche Errungenschaften teilweise übernommen werden müssten. Geistigen Einflüssen aus Philosophie und Politik steht die MB skeptisch bis ablehnend gegenüber. Technische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse der westlichen Welt können dagegen bedenkenlos übernommen werden, solange sie nicht gegen islamische Grundprinzipien verstoßen. Nicht die gewaltsame Revolution, sondern ein evolutionärer Prozess soll den Weg zur islamischen Gesellschaft nach den Vorstellungen der MB ebnen. Darin unterscheidet sie sich ganz wesentlich von den Methoden des islamistischen Terrorismus, wie ihn zum Beispiel Usama Bin Ladens 'Al-Qaida' praktiziert. Bei der MB steht die Bildung und Ausbildung der kommenden Generationen im Mittelpunkt der Strategie. Mittels der Kontrolle des Erziehungsund Bildungssystems soll die vollständige Islamisierung der Gesellschaft erreicht werden. Zu den Regierungen der islamischen Welt hat die MB bis heute zum Teil ein gespanntes oder zumindest ambivalentes Verhältnis. Zeitweise geduldet oder gefördert, ist sie zu anderen Zeiten verfolgt und drangsaliert worden. Trotz oft scharfer Kritik an der nationalen Führung eines Landes ging sie jedoch nie so weit, diese oder ganze Gesellschaften für ungläubig zu erklären, wie dies durch die radikaleren Abspaltungen geschah. Sie verschrieb sich eher der Reform und versuchte durch Überzeugungsarbeit, neue Anhänger zu gewinnen. Dabei spielte auch ihr karitatives Engagement eine wichtige Rolle. Durch die Übernahme von Fürsorgeaufgaben, gerade in ärmeren Regionen und Stadtteilen der Großstädte, konnte sie ihre Idealvorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und islamischer Brüderlichkeit unter Beweis stellen. Dieses soziale Engagement ist heute einer der wichtigsten Pfeiler ihrer Arbeit und sichert ihr in vielen Fällen gesellschaftlichen Respekt. Islamismus als moderne soziale und politische Bewegung Auch wenn die MB und ihre radikalen Abspaltungen von einer "Rückkehr zu den Wurzeln des Islam" sprechen, wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass es sich hier um rein rückwärtsgewandte, anti-modernistische Kräfte handele. Im Gegenteil: Diese Bewegungen - insbesondere die gewalttätigen Organisationen, die aus der MB hervorgegangen sind - interpretieren islamische Quellen neu. Allerdings sind mit deren verzerrenden Interpretationen viele Muslime (einschließlich der MB) nicht einverstanden. Auffassungen wie die Usama Bin Ladens werden von der Mutterorganisation der MB nicht geteilt. 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Das Erscheinungsbild der gegenwärtigen MB ist außerordentlich vielfältig. Über lange Zeit war für die MB die Teilnahme am offiziellen politischen Prozess verpönt und Gegenstand heftiger interner Diskussion. Heute sprechen sich dagegen viele Anhänger eindeutig für eine aktive politische Rolle innerhalb der herrschenden Ordnung aus. In Ägypten entsendet sie politische Vertreter ins Parlament und hat sich ausschließlich der friedlichen politischen Oppositionsarbeit verschrieben. Wenngleich sie dort nicht als politische Partei zu Wahlen antreten darf, kann sie doch unabhängige Kandidaten ins Rennen schicken, die ihr eindeutig zugeordnet werden können. Auch in Jordanien ist die MB vielfältig politisch engagiert und verfügt dort sogar über eine legale politische Partei, die viel Einfluss besitzt. Gemäß ihrer Überzeugung, dass die Bildung der Jugend der Schlüssel zum politischen Erfolg ist, hat die MB in Jordanien in großem Stil Posten im Erziehungsapparat besetzt. In diesen Staaten ist die MB de facto zu einer politischen Partei geworden, die sich ebenso wie andere Parteien pragmatisch an die gegebenen Verhältnisse anzupassen versucht und letztlich Realpolitik unter islamistischem Vorzeichen betreibt. In Syrien dagegen ist die MB seit der blutigen Niederschlagung politischer Unruhen im Jahr 1982 nur noch im Untergrund tätig und wird von den Sicherheitsbehörden scharf verfolgt. Eingeschränkte Rechtsposition: Frauen und religiöse Minderheiten Die Aussagen und Positionen zeitgenössischer Muslimbrüder offenbaren ein heterogenes Meinungsbild. Während die einen kooperationswillig und aufgeschlossen sind, vertreten andere eher rückwärtsgewandte Haltungen und lehnen eine Modernisierung der Bewegung und ihrer ideologischen Positionen ab. Viele Muslimbrüder halten heute demokratische Staatsformen für prinzipiell akzeptabel und haben sich damit von früheren Forderungen nach einem reinen Gottesstaat abgewandt. Sie entwerfen Visionen von einer "islamischen Demokratie", in der es regelmäßige Wahlen und ein Parlament mit oppositionellen Kräften geben soll. Allerdings sind ihre Konzepte einer islamischen Demokratie mit mehr oder weniger starken Einschränkungen der individuellen Freiheitsrechte verbunden. Besonders kritisch ist die Position, die Frauen und religiösen Minderheiten zugebilligt wird. So wird Andersgläubigen wohl als "Schutzbefohlenen" Religionsfreiheit zugesichert, jedoch beinhaltet dies stets eine niedere Rechtsstellung der Minderheiten in Bezug auf die muslimische Mehrheit. Ähnliches gilt für die Gleichstellung der Geschlechter: Frauen und Männer seien gleichwertig vor Gott, nicht aber gleichberechtigt auf Erden. Auch wenn aufgeschlossenere Anhänger der MB Frauen durchaus ein Recht auf Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses zugestehen, gilt dennoch die Familienarbeit und das Mutterdasein als die wichtigste Aufgabe im Leben einer Frau und das eigene Heim als der angemessene Aufenthaltsort. Die Einschränkungen des weiblichen Selbstbestimmungsrechts werden damit 36 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft begründet, dass Frauen aufgrund ihrer körperlichen Besonderheiten für viele Aufgaben ungeeignet seien. Dass auch alle Vordenker der MB die Verschleierung der Frau für ein unumstößliches göttliches Gebot halten, versteht sich nahezu von selbst. Auch die Meinungsfreiheit kann in einer solchen "islamischen Demokratie" nicht vollständig verwirklicht werden. Stattdessen würde - religiös verbrämt - eine Art islamistische Zensur verhängt, die alle gegen islamische Grundwerte verstoßenden Meinungen für illegitim erklärt. Die Muslimbruderschaft in Europa In Europa hat sich in den letzten Jahren ein weit verzweigtes Netzwerk der MB herausgebildet. Durch vielfältige Aktivitäten versuchen Angehörige der MB, ihre Geisteshaltung in den muslimischen Gemeinschaften Europas zu verbreiten. Als europäischer Dachverband der MB fungiert die 'Föderation Islamischer Organisationen in Europa' ('Federation of Islamic Organisations in Europe' - FIOE) mit Sitz in Leicester (Großbritannien). In ihrer Struktur orientiert sich die FIOE an der klassischen Hierarchie der MB. Eine weitere einflussreiche, eng mit der MB verbundene Organisation, ist der 'Europäische Fatwarat' ('European Council for Fatwa and Research' - ECFR) mit Sitz in Dublin, dem mit Yusuf al-Qaradawi eine der herausragendsten geistigen Führungspersönlichkeiten der im Umfeld der MB zu verortenden islamistischen Bewegung vorsteht. An al-Qaradawi wurde erst jüngst die Führerschaft der ägyptischen MB herangetragen, was er jedoch ablehnte. Al-Qaradawis Rechtsauffassungen können im Spektrum der MB durchaus als gemäßigt gelten, doch sind sie häufig mit westlichem Demokratieverständnis nicht in Einklang zu bringen. So vertritt al-Qaradawi die Meinung, dass derjenige todeswürdig sei, der den Islam verlässt (Apostasie). Zwar solle das Urteil erst vollstreckt werden, wenn der umfassende islamische Staat gebildet worden sei, doch lässt er keinen Zweifel daran, dass das Todesurteil auf der Grundlage der Scharia geboten sei. Auch sein viel gelesenes Buch "Erlaubtes und Verbotenes im Islam", das bereits Anfang der 60er Jahre erschien, offenbart ein höchst konservatives und letztlich rückwärts gewandtes Denken. In diesem Band finden sich mehrfach Belege dafür, wie stark sein Denken im Widerspruch zu den Grundwerten unserer Verfassungsordnung steht. Zum Verhältnis von Mann und Frau heißt es in diesem Band von al-Qaradawi beispielsweise: "Wegen seiner natürlichen Fähigkeit und seiner Verantwortung, für seine Familie zu sorgen, ist der Mann der Vorstand von Haushalt und Familie. Er hat Anspruch auf Gehorsam und Zusammenarbeit seitens der Frau, und sie darf sich nicht gegen seine Autorität auflehnen und derart Auseinandersetzungen verursachen. [...] Stellt der 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Ehemann fest, daß bei seiner Frau Ungehorsam und Auflehnung gegen ihn entstehen, sollte er sich aufs Beste bemühen, ihre Haltung durch gute Worte, freundliche Überzeugung und Argumente zu korrigieren. Hilft das nicht, sollte er nicht weiter bei ihr schlafen und versuchen, ihre liebenswürdige weibliche Natur zu erwecken, damit wieder Friede einkehrt [...]. Wenn auch das fehlschlägt, darf er sie leicht mit den Händen schlagen, wobei er das Gesicht und andere empfindliche Stellen zu meiden hat." Ungehorsam und Widerspruch der Ehefrau dürfen demnach mit "leichter Züchtigung" geahndet werden. Dies stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die Menschenwürde dar. In dieser Schrift weist al-Qaradawi auch noch einmal ausdrücklich auf das im islamischen Recht fußende Gebot hin, nach dem eine Muslimin keinen Nichtmuslim zum Ehemann nehmen darf. Auch dieses Gebot ist mit der demokratischen Grundordnung und dem Recht auf Religionsfreiheit nicht vereinbar. Die Muslimbruderschaft in Deutschland In Deutschland stehen verschiedene Islamische Zentren der MB nahe, darunter die "Bilal Moschee" in Aachen, die sich am syrischen Zweig der MB orientiert. Die 'Islamische Gemeinschaft Deutschland' (IGD) kann als nationale deutsche Repräsentantin der MB betrachtet werden (siehe die entsprechenden Abschnitte im hinteren Berichtsteil). Die Beziehungen der IGD reichen durch persönliche Kontakte von Funktionären und gemeinsame Projekte sowohl in den Bereich von islamisch-extremistischen Organisationen arabischstämmiger als auch türkischstämmiger Muslime (IGMG/EMUG). Bei der IGD handelt es sich demnach um eine Organisation mit sehr verzweigten und schwer durchschaubaren Verbindungen in die islamistische Szene in Deutschland. Die IGD ist zudem auch eng mit dem europaweiten Netzwerk der MB verbunden und Mitglied der FIOE. Die ideologische Nähe der IGD zu den Ansichten der MB ist in ihren Veröffentlichungen offensichtlich. Ganz im Sinne der MB-Ideologie heißt es beispielsweise bei der IGD zum Thema Geschlechterbeziehungen: "Im Islam geht es darum, unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Geschlechter Gerechtigkeit zwischen beiden herzustellen. Daher hat Gott Mann und Frau bestimmte Rechte und Pflichten zugewiesen, die ihrer jeweiligen Natur gerecht werden. Wenn sie sich jedoch von ihrer Natur entfernen, kommt dies einer Gleichmachung nahe." Bei gleichzeitiger Übereinstimmung mit den ideologischen Grundlinien ist für die Akteure der MB in Deutschland wie in Europa allerdings festzustellen, dass die in38 Thema im Fokus:Die Ideologie der Muslimbruderschaft haltlichen Diskussionen von anderen Schwerpunkten bestimmt werden. Hier ist insbesondere die Debatte um die Vereinbarkeit des Islam mit einem westlichen Verständnis von Menschenrechten und Demokratie auf offizieller Ebene bedeutsam. Gleichzeitig jedoch zirkulieren in MB-nahen Organisationen in Deutschland wie in Europa weiterhin auch extremistische Positionen, wie sie sich zum Beispiel in den Rechtsgutachten des Europäischen Fatwa-Rates niederschlagen. Auch die deutsche Übersetzung von al-Qaradawis "Erlaubtes und Verbotenes im Islam" ist in vielen islamistischen Moscheegemeinden erhältlich. Die mit der MB verbundenen Organisationen versuchen, durch die Einrichtung und Nutzung europäischer Institutionen wie des ECFR und der FIOE, eine religiöse wie kulturelle Hegemonie über die Muslime in Europa zu erlangen und damit die Deutungskompetenz in Fragen, die den Islam und die Muslime in Europa betreffen. Muslimbruder-Ideologie und demokratischer Rechtsstaat Bei aller Differenzierung hinsichtlich der verschiedenen Denkrichtungen innerhalb der MB ist der Großteil des dort vertretenen ideologischen Gedankenguts unvereinbar mit den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Der absolute Wahrheitsanspruch, den die MB erhebt und den sie auf die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit gründet, steht im Widerspruch zu grundlegenden demokratischen Prinzipien wie dem Meinungspluralismus und der Volkssouveränität. Die von der MB angestrebte Ordnung weist deutliche Züge eines diktatorischen beziehungsweise totalitären Herrschaftssystems auf, das die Selbstbestimmung des Volkes ablehnt sowie die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit der Menschen in Frage stellt. 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 40 Rechtsextremismus 3 Rechtsextremismus1 3.1 Die Republikaner (REP) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NRW Bund Gründung 1984 1983 Sitz Münster Berlin Vorsitzende Ursula Winkelsett Dr. Rolf Schlierer Mitglieder 2005 ca. 850 ca. 6.500 2004 ca. 900 ca. 7.500 Publikationen 'Zeit für Protest' (erscheint ca. alle zwei Monate) Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen - einschließlich ihrer Nebenorganisationen - im Internet vertreten. ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Republikaner' (REP) wurden auf Bundesebene 1983 von den ehemaligen CSUBundestagsabgeordneten Ekkehard Voigt und Franz Handlos sowie dem langjährigen - 2005 verstorbenen - Bundesvorsitzenden Franz Schönhuber gegründet. Der nordrheinwestfälische Landesverband besteht seit dem 1. Dezember 1984. Seit ihrer Gründung bewegen sich die REP zwischen einer national-konservativen Selbsteinschätzung und einem radikalen bis extremistischen Flügel. Dies zeigte sich nach der Ablösung Schönhubers 1994 in einem bis heute andauernden Machtund 1 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies ausdrücklich hervorgehoben. 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Richtungskampf. Seit Amtsantritt des derzeitigen Bundesvorsitzenden ist die Partei verstärkt bemüht, eindeutig extremistische Äußerungen nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen und hält mittels so genannter Unvereinbarkeitsbeschlüsse offiziell betont Abstand zu anderen rechtsextremistischen Parteien. Die politischen Vorschläge der REP zur Lösung von Problemen sind simplifizierend und populistisch. In den letzten Jahren wurde gezielt versucht, die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer als Kostgänger der Sozialsysteme oder gar Kriminelle zu diffamieren. Diese Agitation wird seit der Osterweiterung der EU und dem möglichen Beitritt der Türkei zur EU in allen Wahlkämpfen der REP auf Bundes-, Landesund Kommunalebene bedient. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Auch wenn die REP sich selbst als national-konservative Partei bezeichnen, bestehen nach wie vor tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Dabei spielen insbesondere das Zusammenwirken mit anderen Rechtsextremisten, eine fremdenfeindliche Agitation sowie die Diffamierung von Repräsentanten und Institutionen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine bedeutende Rolle. In den tendenziell ausländerfeindlichen Ausführungen in dem Parteiorgan 'Zeit für Protest' sowie in den Pressemitteilungen zu politischen Themen finden sich aktuelle Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen. In der ausländerfeindlichen Agitation der REP stehen seit den Anschlägen des 11. September 2001 vorwiegend Angehörige des islamischen Glaubens im Mittelpunkt. Mit Schlagwörtern wie "Terror" und "Überfremdung" sowie der unterschwelligen Darstellung von Ausländern als potentiellen Schmarotzern der Sozialsysteme wird ein Sündenbockimage kreiert. In der Ausgabe 3-5/2005 der Parteizeitung wurde zum Beispiel die "Überwachung sämtlicher Moscheen und [ein] Verbot des Baus von islamischen Gotteshäusern" gefordert und außerdem die "Umwandlung des Amtes des Ausländerbeauftragten in Beauftragter für Rückführung", "kein weiterer Zuzug unter anderem aus islamischen Ländern" sowie "feste Ausländerquoten an den Schulen". Hierzu heißt es weiter, der Islam sei eine "menschenverachtende Religion" und "[d]er Islam ist mit der Demokratie und dem westlichabendländischen Wertesystem in unserem Land nicht zu vereinbaren." In Ausgabe 6-7/2005 wird unter der Überschrift "Das Volk wird ausgewechselt" behauptet: "Die Ersetzung des deutschen Staatsvolkes durch eine 'multikulturelle' Mischbevölkerung hat [...] rasante Fortschritte gemacht." In einer entsprechenden Stellungnahme wird ergänzt: "Dann geben in den Einwanderervierteln eben die Imame 42 Rechtsextremismus den Ton an, und sie werden nicht so feinfühlig gegenüber den paar Restdeutschen sein, wie unsere alles umarmenden Multi-Kulti-Apostel." Fortschreitender bundespolitischer Bedeutungsverlust der Partei Der bereits seit geraumer Zeit zu beobachtende Abwärtstrend der Partei hat sich im Jahr 2005 verstärkt. Die jüngsten Wahlniederlagen und innerparteilichen Auseinandersetzungen um eine Neuausrichtung führten unter anderem zur faktischen Auflösung ganzer Landesverbände der REP in Nordund Ostdeutschland. Die Partei erscheint heute wie zu ihren Anfangszeiten wieder als "südwestdeutsches Phänomen". Auch in dem einstmals mitgliederstarken NRW-Landesverband existieren zahlreiche Kreisverbände nur auf dem Papier. In der März-Ausgabe der österreichischen Publikation 'Aula' analysierte der ehemalige, inzwischen verstorbene Bundesvorsitzende der REP - Franz Schönhuber - in einem Interview den aktuellen Zustand der Partei und deren Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren. Hiernach habe die Partei "zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren" und sei "in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Aus einer großen parteipolitischen Hoffnung ist ein bourgeoiser Anpassungsverein geworden, der eigentlich überflüssig ist [...]. Die intellektuelle Potenz der Republikanerspitze liegt zudem weit unter der von Mitgliedern der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag." Die Partei habe "durch innerparteiliche Querelen den naheliegenden Durchbruch" verpasst. Die "Dortmunder Erklärung" Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 hatte es im nordrhein-westfälischen REP-Landesverband vereinzelt Forderungen nach einer Abwahl der Landesvorsitzenden gegeben. Nach dem insbesondere in NRW für die Partei enttäuschenden Wahlergebnis formulierten Parteifunktionäre erstmalig offen in einer so genannten "Dortmunder Erklärung" einen Aufruf zur Abwahl der Landesvorsitzenden. Hierin hieß es, die REP seien auf das Niveau einer "bedeutungslosen Splitterpartei" gesunken. Der Landesvorsitzenden wurde neben dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl vor allem das "verheerende" Ergebnis bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen angelastet. "Eine neue Mannschaft" stehe bereit, die "die notwendigen Veränderungen durchsetzen" wolle. Mit dieser Erklärung dringen die seit langem bestehenden parteiinternen Auseinandersetzungen erstmalig nach außen. Dabei stehen sich die Anhänger der Abgrenzungsstrategie und die Befürworter einer Zusammenarbeit mit dem rechtsextremistischen Parteienspektrum in Form des "Deutschlandpaktes" von NPD und DVU gegenüber. 43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Wahlmaterial der Republikaner 44 Rechtsextremismus Landesparteitag und Neuwahl des Landesvorstandes Anlässlich des Landesparteitages am 30. Oktober 2005 konnte sich die bisherige Landesvorsitzende trotz der "Dortmunder Erklärung" mit circa zwei Dritteln der Stimmen gegen ihre Herausforderer durchsetzen und die strukturelle Neuausrichtung des Landesverbandes vorerst abwehren. Vorrangiges Ziel des Landesverbandes sei nun der mittelfristige Ausbau der Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen. Ausblick Der Partei dürfte es auch weiterhin nicht gelingen, sich im politischen Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern. Die innerhalb der Partei bestehende extremistische Komponente konnte sich trotz wachsender Bemühungen bis heute nicht durchsetzen. Gleichwohl bildet sie nach wie vor ein tragendes Element. Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob diese nicht unerhebliche Minderheit in der Partei weiter geduldet wird oder sich Entwicklungen wie in den nordund ostdeutschen REP-Landesverbänden ergeben. Beide Varianten bergen die Möglichkeit eines fortschreitenden Auflösungsprozesses des Landesverbandes mit entsprechenden Konsequenzen für die Bundespartei. Auf Grund der anhaltend schlechten Wahlergebnisse mehren sich die Stimmen innerhalb der Partei, die eine Kooperation mit NPD und DVU befürworten. Damit offenbart sich eine tiefe Kluft zwischen Teilen der Basis und der offiziell vertretenen Parteilinie, die weiterhin an ihrem Abgrenzungskurs festhält. Ein Beitritt der REP zum so genannten Deutschlandpakt erscheint auf Grund der Absage des Bundesvorsitzenden an eine Kooperation mit der NPD zur Zeit ausgeschlossen. Allerdings könnte diese Position kurzfristig überwunden werden, sollte sich eine Neuausrichtung in den verbliebenen tragenden Landesverbänden der Partei vollziehen. Letzteres erscheint nach wie vor nicht unwahrscheinlich. 3.2 Deutsche Volksunion (DVU) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NRW Bund Gründung 1989 1987 Sitz Dortmund München Vorsitzender Max Branghofer Dr. Gerhard Frey Mitglieder 2005 ca. 1.400 ca. 9.000 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 2004 ca. 1.500 ca. 11.000 Publikation 'National-Zeitung/Deutsche Wochen Zeitung' (NZ), Auflage ca. 41.000; erscheint wöchentlich Internet Die DVU verfügt seit 1997 über eine eigene Homepage. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Deutsche Volksunion' (DVU) wurde im März 1987 in München auf Initiative von Dr. Gerhard Frey unter Einbeziehung des bereits seit 1971 bestehenden Vereins 'Deutsche Volksunion e.V.' als Wahlpartei 'DVU-Liste D' gegründet. Die Umbenennung in 'Deutsche Volksunion' fand im Februar 1991 durch Satzungsänderung statt. Die DVU wird seit ihrer Gründung vom Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey zentralistisch und autoritär geführt und weitestgehend finanziert. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Bei der DVU bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer extremistischen Bestrebung (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Zwar bemüht sich die Partei, ihre wahre Zielsetzung zu verschleiern und hält ihr Parteiprogramm bewusst vage. Gleichwohl finden sich in den Ausführungen der Wochenzeitung 'National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung' (NZ) des DVU-Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey Anhaltspunkte, die einen solchen Verdacht begründen. Die in der Zeitung enthaltenen Äußerungen müssen der Partei wegen der Position des Herausgebers in der Partei zugerechnet werden. Über eine eigene Parteizeitung verfügt die DVU nicht. Kritische Äußerungen oder Distanzierungen gegenüber Beiträgen in der NZ sind aus der DVU nicht bekannt. Die DVU greift im Wesentlichen die typischen rechtsextremistischen Agitationsfelder auf, wobei Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und revisionistische Thesen Schwerpunkte bilden. Häufig werden Themen mit Ausländerund Einwanderungsbezug gewählt und gezielt eingesetzt, um Überfremdungsängste zu schüren. Meist wird mit suggestiven Schlagzeilen in Frageform gearbeitet. Sie zielen darauf, in der Leserschaft bestehende Ressentiments anzusprechen und diese gezielt zu bestärken. So finden sich wiederholt Überschriften, die deutlich zeigen, dass es nicht um die Darstellung von gesellschaftspolitischen Problemen geht. Vielmehr sollen mit der negativen und verzerrenden Berichterstattung über Ausländer diese in ihrer Gesamtheit diskreditiert werden. So heißt es etwa: : "Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!" : "Deutscher, wo bleibt Dein Geld? So viele Milliarden gehen an Ausländer" 46 Rechtsextremismus : "Wie Ausländer die Sozialkassen plündern - Warum für Deutsche kein Geld mehr da ist" : "Bald alle Deutschen arbeitslos? Die Invasion ausländischer Schwarzarbeiter" : "Einladung zur Steuerabzocke für Türken? Für Deutsche gelten schärfere Kriterien" : "Immer weniger Ausländer in Deutschland? Die Auswirkungen der Masseneinbürgerungen". Darüber hinaus finden sich wiederholt Schlagzeilen und Artikel mit subtil antisemitisch gefärbten Botschaften. Darin wird unterstellt, dass das deutsche Volk besonders durch die Juden auf die NS-Vergangenheit festgelegt und so daran gehindert werde, ein gleichberechtigtes Mitglied in der Völkergemeinschaft zu werden: : "Müssen die Deutschen ewig büßen?" : "Was soll aus Deutschland werden? Nationalmasochismus verdunkelt unserem Volk die Zukunft" : "Für Hitler noch mal 100 Milliarden zahlen? Neue Wiedergutmachungs-Rechnung aus Israel" : "Wird Deutschland zweites Israel? Hintergründe der jüdischen Masseneinwanderung" : "Ein Recht auf Einwanderung" - Wie viele Ostjuden kommen noch?". Hintergrund der verfassungsfeindlichen Agitation der DVU ist eine völkisch-nationalistische Ideologie. Die DVU geht von einer allein ethnisch verstandenen deutschen Nation aus, wodurch tendenziell Menschenund Bürgerrechte abgewertet werden. Als politischen Auftrag leitet die DVU daraus die Schaffung eines ethnisch homogenen Deutschlands ab und fordert einen alle Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens einschließenden völkischen Protektionismus sowie die Bekämpfung aller "antideutschen" Bestrebungen. Hier liegen auch die Gemeinsamkeiten für die enge Zusammenarbeit der DVU mit der NPD im so genannten Deutschlandpakt. Die DVU hat ihre Wahlteilnahmen mit der NPD abgesprochen und zeigt damit deutlich, dass sie die gleichen politischen Wählergruppen mit vergleichbaren politischen, rechtsextremistischen Positionen erreichen will. Ausblick Die DVU nahm am 19. September 2005 im Internet unter der Überschrift "Ein Aufwind war's - ein Sturm (noch) nicht" zum Wahlergebnis der NPD bei der Bundestagswahl Stellung. Hierin erklärt die DVU zum weiteren Vorgehen, die Zusammenarbeit von DVU und NPD werde "gemäß dem von beiden Parteien geschlossenen Deutschlandpakt fortgesetzt". 47 "4 Wird Deutschland zum Arm (c) National-Zeit | 'rweitesIsrael? Rechtsextremismus Dennoch erscheint es fraglich, ob der Pakt halten wird, denn nach wie vor gibt es Differenzen zwischen den beiden Parteien, insbesondere in der Frage der Zusammenarbeit mit den Neonazis. Hier bleiben die Ergebnisse der in 2006 stattfindenden Landtagswahlen abzuwarten, insbesondere in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, denn ohne Erfolge dürfte das Bündnis immer brüchiger werden. Erhebliche Unterschiede bestehen auch bei der Organisationsstruktur sowie der Mobilisierungsfähigkeit der Mitglieder und Anhänger beider Parteien. Im Gegensatz zur DVU, deren Untergliederungen überwiegend inaktiv sind, entwickeln die Kreisund Landesverbände der NPD (wenn auch nicht in NRW) teilweise intensive politische Aktivitäten und fördern damit den Bekanntheitsgrad ihrer Partei. Sollte dadurch die DVU im Vergleich zur NPD immer mehr an Attraktivität verlieren, könnte dies das Ende des Deutschlandpakts bedeuten. 3.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NRW Bund Gründung 1964 1964 Sitz Bochum-Wattenscheid Berlin Vorsitzender Stephan Haase Udo Voigt Mitglieder 2005 ca. 750 ca. 6.000 2004 ca. 550 ca. 5.300 Publikationen 'Deutsche Stimme', monatlich Internet Die Bundespartei hat im Berichtsjahr ihre seit März 1996 bestehende Homepage neu gestaltet. Zum Angebot gehören das Parteiorgan 'Deutsche Stimme', Bücher, CDs und diverse Werbematerialien aus dem 'Deutsche StimmeVerlag', ferner das Partei-Programm, Presse-Mitteilungen, Aufrufe zu Demonstrationen und Seiten der NPD-Landesund Kreisverbände. Auch der Landesverband NRW hat seine Homepage in Anlehnung an das Layout der Bundespartei neu gestaltet. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Hintergrund Die NPD strebt die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Sie bekennt sich zum völkischen Kollektivismus, einer dem Nationalsozialismus entnommenen Weltanschauung. Daraus folgt die pauschale Überbewertung der auf Grund ethnischer Zugehörigkeit definierten "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Rechte und Interessen des Einzelnen sowie fremder Nationen und Kulturen. Im aktuellen Parteiprogramm der NPD wird der völkisch-kollektivistische Ansatz erkennbar, wenn es etwa heißt, die "Volksherrschaft" setze die "Volksgemeinschaft" voraus. Diese Überbewertung der "Volksgemeinschaft" und des "Volksganzen" ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren, und sie ist nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil in der Ideologie der NPD, wie eine Äußerung des Parteivorsitzenden Udo Voigt beispielhaft zeigt. Der NPD-Vorsitzende hatte in der Parteizeitung 'Deutsche Stimme' (Ausgabe 3/2005, Seite 9) erläutert, wie seine Vorstellungen von der "Abwicklung der BRD", die er in einem Interview in der 'Jungen Freiheit', Ausgabe 40/2004 vom 24. September 2004 (siehe Jahresbericht 2004) dargelegt hatte, zu verstehen seien. Er stellte fest, "die Volksgemeinschaft ist für uns [Anmerkung: die NPD] die beste Lebensform für ein gedeihliches Zusammenleben vieler Menschen". Diese "Volksgemeinschaft" im Sinne der NPD bedeutet, dass individuelle Freiheitsrechte und die Rechte von Minderheiten zu Gunsten dieser Volksgemeinschaft beschränkt würden. Im Verständnis der NPD kann eine solche Volksgemeinschaft "natürlich" nur aus so genannten "Blutsdeutschen", also Deutschen im Sinne des alten Gesetzes über die Reichsund Staatsangehörigkeit, bestehen. Für Migranten ist in einer solchen Volksgemeinschaft kein Platz. Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung Aktuelle Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen ergeben sich aus den bestehenden Kontakten zu anderen rechtsextremistischen Organisationen sowie aus antisemitischen und revisionistischen Äußerungen. Ferner werden führende Vertreter des Nationalsozialismus glorifiziert. Die Gesamtheit dieser Anhaltspunkte macht die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz erforderlich (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG-NRW), wie die nachstehenden Zitate deutlich machen: : "Die Verschärfung der Bestimmungen zur Einwanderung jüdischer Flüchtlinge aus Russland sollte zum 1. Januar 2005 erfolgen und sah vor, dass nunmehr nicht allein die jüdische Herkunft Nürnberger Art Voraussetzung für die Einreise sein sollte [...]." (aus 'Deutsche Stimme', Ausgabe 2/2005, Seite 6) [Mit dieser Formulierung wird auf die Nürnberger Rassegesetze angespielt, Anm. d. Red.] : In dem Artikel "Erbhof jüdischer Kapitallenker" heißt es zur beabsichtigten Ernen50 Rechtsextremismus nung von Paul Wolfowitz zum Chef der Weltbank: "Denn die Weltmachtstellung jüdischer Kapitalstrategen - gleich welche Staatsangehörigkeit sie zufällig haben - scheint ihrem weltgeschichtlichen Höhepunkt entgegenzutreiben: [...] Vier Herren, die über Wohl und Wehe der Weltwirtschaft entscheiden bzw. entscheiden werden, und alle vier Plutokraten sind jüdischer Herkunft. [...] Deshalb existieren die Erbhöfe der Ostküste in Institutionen der Weltwirtschaft weder zufällig noch sind sie ungefährlich. Hier laufen die Fäden einer völkerfeindlichen Oligarchie zusammen." (aus 'Deutsche Stimme', Ausgabe 5/2005, Seite 2) : Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende erklärte in einem Vortrag im Rahmen des 3. Freiheitlichen Kongresses des 'Deutsche Stimme-Verlages': "Wenn jemand den Friedensnobelpreis verdient hätte, dann Rudolf Heß." Er spielte damit auf den Flug von Heß 1941 nach England an; dieser wird von Rechtsextremisten oft als "Friedensflug" bezeichnet (zitiert nach: 'Deutsche Stimme', Ausgabe 4/2005, Seite 17). : In einem Interview in einer Tageszeitung bestätigte Udo Voigt seine schon zuvor geäußerte Auffassung, dass er Adolf Hitler für einen großen Staatsmann halte, mit der Feststellung: "Nur ein großer Staatsmann kann große Verbrechen begehen." An anderer Stelle äußerte Voigt in dem selben Interview: "Hitler hat natürlich Phantastisches geschafft [...]." : Links auf der Homepage der NPD verbinden diese mit Internetseiten anderer rechtsextremistischer Organisationen, zum Beispiel 'NIT-Rheinland' und 'WiderstandNord'. Teilnahme der NPD an der Landtagsund Bundestagswahl 2005 Die NPD äußert ihre verfassungsfeindlichen Ziele nicht nur verbal, sondern will diese im Rahmen ihres "Drei"beziehungsweise "Vier-Säulen-Konzeptes" umsetzen. Neben dem ideologischen "Kampf um die Köpfe" zählen dazu der "Kampf um die Straße", der "Kampf um die Parlamente" und der "Kampf um den organisierten Willen". Im Jahr 2005 sah die NPD ihren Schwerpunkt in der Teilnahme an Wahlen. Bei der Landtagswahl 2005 in Nordrhein-Westfalen erreichte die NPD lediglich 0,9% der Stimmen und verpasste damit ihr Wahlziel, an der Wahlkampfkostenerstattung teilzuhaben. Allerdings sah die NPD - trotz des schlechten Abschneidens - in dem Wahlergebnis eine deutliche Steigerung gegenüber der Landtagswahl 2000 sowie der Europawahl 2004. Bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die NPD bundesweit insgesamt 1,6% der Zweitstimmen und kann damit Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung beanspruchen. In NRW erreichte sie 0,8% und damit ihr schlechtestes Ergebnis bundesweit. 51 fremu- A I RTTT N P T N P D " V o ll ?'y "sopnen| terac nn "ie En = = en u m u " = 105 Rechtsextremismus "Volksfront von rechts" weiter fortgeführt Am 15. Januar 2005 unterzeichneten die Vorsitzenden der DVU und der NPD, Gerhard Frey und Udo Voigt, auf dem Bundesparteitag der DVU einen Kooperationsvertrag. Diese von den Unterzeichnern als "Deutschlandpakt" bezeichnete Vereinbarung sieht vor, bei zukünftigen Wahlen nicht mehr gegeneinander anzutreten, sondern nur noch eine der beiden Parteien auf dem Wahlzettel erscheinen zu lassen. Damit solle das beiderseitige Konkurrieren um Stimmen beendet werden. Des Weiteren wurde vereinbart, jeweils eine bestimmte Zahl an Mitgliedern der anderen Partei mit auf die Liste der kandidierenden Partei zu setzen. Trotz der schlechten Wahlergebnisse bewertet die NPD das Konzept der "Volksfront von rechts" als erfolgreich und hält, ungeachtet der Vorbehalte, die es in Teilen der Partei gegen die Zusammenarbeit mit der DVU und vor allem mit der Neonazi-Szene gibt, daran fest. NPD steigert Mitgliederzahl deutlich - auch in NRW Die NPD hat ihren Mitgliederbestand 2005 bundesweit um circa 1.000 Mitglieder auf nunmehr etwa 6.000 gesteigert. Auch der aus etwa 25 Kreisverbänden bestehende NPDLandesverband NRW konnte seine Mitgliederzahl deutlich von circa 550 auf etwa 750 Mitglieder steigern. Bemerkenswert an dieser beachtlichen Mitgliedersteigerung ist, dass offenbar überwiegend Personen unter 25 Jahren in die NPD eingetreten sind. So betont ein Angehöriger des NPD-Bundesvorstandes gegenüber der Öffentlichkeit, dass die NPD eine "junge" Partei geworden sei. Diese Entwicklung korrespondiert mit Wahlanalysen, nach denen die NPD vor allem unter den männlichen Jungund Erstwählern überproportional hoch abgeschnitten hat. Auch die vermehrte öffentliche Präsenz der Partei und die Berichterstattung der Medien dürften dazu beigetragen haben, neue Mitglieder zu gewinnen. Ausrichtung auf jüngere Mitglieder und Wähler Nachdem die NPD in der Vergangenheit kaum Jugendarbeit betrieben hatte, hat sie inzwischen deren Bedeutung erkannt und ihr Profil darauf ausgerichtet. Mit zunehmender Professionalität konzentriert sich ihre Parteiarbeit auf diesen Personenkreis und setzt auf die Anziehungskraft "neuer" Medien, wie des Internets und Musik-CDs. Auch wurde im Jahr 2005 die Homepage des NPD-Bundesverbandes neu gestaltet. Die NPD nutzt die gesellschaftliche Verunsicherung der Jugend und versucht, identitätsstiftende Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen. Gerade für männliche Jugendliche erwächst daraus ein Gefühl der Stärke und der Anerkennung in der Gruppe. Allerdings ist es der 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 NPD in NRW bisher nicht gelungen, in der Alltagskultur von Jugendlichen Fuß zu fassen. Zweite Auflage der "Schulhof-CD" der NPD erschienen Ein jugendorientiertes Projekt der NPD, das erhebliche Aufmerksamkeit fand, war die zweite Auflage ihrer "Schulhof-CD" mit dem neuen Titel "Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker", die in einer Auflage von etwa 200.000 Exemplaren hergestellt worden sein soll. Die CD enthält Lieder rechtsextremistischer Skinhead-Bands und Liedermacher sowie das Deutschlandlied. Sie ist nicht identisch mit dem "Projekt Schulhof" der Neonazi-Szene und der in diesen Kreisen aufgelegten CD "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund". Eine strafrechtliche Relevanz des NPD-Tonträgers besteht nicht. Nach einer Pressemitteilung des NPD-Bundesverbandes vom 29. August 2005 kann über die NPD-Homepage der Inhalt der CD kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden. In der Presseerklärung heißt es weiter, rechtzeitig zur Bundestagswahl hätten zahlreiche Schüler über die CD die Möglichkeit erhalten, sich über das Wollen und Wirken der nationalen Bewegung und insbesondere der NPD zu informieren. Die Vervielfältigung der CD und deren Weiterverbreitung sei ausdrücklich erwünscht. Auf Grund der hohen Nachfrage könne es zu Überlastungen des Medienservers kommen. Bereits am 31. August 2005 verteilten mehrere Rechtsextremisten vor einer Schule in Thüringen die ersten Exemplare dieser CD. In NRW kam es in mehreren Städten (unter anderem in Bochum, Krefeld, Neuss, Rheine, Stolberg, Unna und Wesel) zu kleineren Verteilaktionen. Die NPD will nach eigenen Angaben bundesweit 100.000 Exemplare der CD an 200 Schulen beziehungsweise Schulstandorten, vornehmlich in Ostdeutschland, verteilt haben. Verurteilungen führender NPD-Parteifunktionäre aus NRW Am 17. Februar 2005 wurde der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der auf der NPD-Liste für die Landtagswahl auf Platz drei Kandidierende hatte im Juni 2004 während einer Demonstration der NPD in Bochum Menschen jüdischen Glaubens verunglimpft, indem er ihnen unterstellte, "sexuellen Missbrauch von Kindern zu billigen". Das Gericht wertete die Äußerung als "blanke Hetze". Ebenso verurteilt wurde der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Aachen, der für die NPD als Landtagskandidat angetreten war. Das Landgericht Aachen bestätigte am 16. März 2005 ein Urteil des Amtsgerichts Eschweiler wegen vorsätzlicher Körperverlet54 Rechtsextremismus zung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er im Jahre 2003 einen 13-Jährigen verletzt habe und verhängte eine Geldstrafe von 2.100 Euro. Jugendorganisation 'Junge Nationaldemokraten' (JN) kaum noch aktiv Die JN sind gemäß der Satzung integraler Bestandteil der Mutterpartei, inzwischen allerdings zu einem bedeutungslosen Anhängsel verkümmert. Entgegen den Bemühungen der Partei um eine verstärkte Jugendarbeit entfalten die JN kaum noch eigene politische Aktivitäten. In NRW besteht lediglich die Homepage des JN-Landesverbandes. Ausblick Auch wenn die NPD bei den jüngsten Wahlen keine nennenswerten Erfolge erzielen konnte, sieht sie sich nach wie vor in einer Führungsrolle innerhalb des rechtsextremistischen Lagers. Das gilt in abgeschwächter Form auch für den Landesverband NRW, obgleich dieser personell und organisatorisch schlecht aufgestellt ist. Er verfügt über keine flächendeckende Struktur von Kreisverbänden. Es fehlt an qualifizierten Funktionären im Landesverband, vor allem auf der Vorstandsebene der Kreisverbände, und an geeigneten - gesellschaftlich anerkannten - Repräsentanten und Multiplikatoren, um breitere Wählerschichten für die Partei zu erschließen. Die NPD hat deshalb in NRW ihr bundesweit propagiertes Ziel, alle nationalen Kräfte zu bündeln und als Parteiund Systemalternative anzutreten, deutlich verfehlt. Bei den Wählern hat ihr Strategiewechsel nicht verfangen. Die Diskussionen um die Wahlergebnisse der NPD haben gezeigt, dass das VolksfrontKonzept nicht unumstritten ist. Ob es künftig Bestand haben wird, hängt entscheidend vom Abschneiden aller rechtsextremistischen Parteien bei den Landtagswahlen im Jahr 2006 ab. 3.4 Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland (BfD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NRW Bund Gründung 1997 1997 Sitz Siegburg Siegburg Vorsitzende Dr. Helmut Fleck Dr. Helmut Fleck 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Mitglieder 2005 ca. 40 ca. 150 2004 ca. 40 ca. 150 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die Partei 'Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland' (BfD) wurde am 29. Juni 1997 in Kassel auf Initiative des Vorsitzenden des rechtsextremistischen 'Bundes für Gesamtdeutschland' (BGD) und weiterer Rechtsextremisten gegründet. Das BfD bezeichnet sich selbst als "neue rechtskonservative Partei", bietet jedoch nach Ansicht des VG Düsseldorf (Beschluss vom 23. August 2000) hinreichende Anhaltspunkte für die Zielsetzung, tragende Strukturprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - insbesondere die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte - beseitigen oder außer Geltung setzen zu wollen. Das BfD äußert sich deutlich fremdenfeindlich und diffamiert die etablierten Parteien und deren Vertreter als Initiatoren einer gegen deutsche Interessen gerichteten Politik. In Nordrhein-Westfalen ist das BfD nur im Rhein-Sieg-Kreis aktiv. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Nach wie vor bestehen bei dem BfD tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). So wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 15. Juli 2005 die Klage des BfD gegen den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz wegen der Beobachtung und Erwähnung des BfD im Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2001 zurück. Das BfD strebt zwischenzeitlich ein Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Münster an. Die fremdenfeindliche Ausrichtung des BfD zeigt sich beispielsweise in der Behauptung, Ausländer würden bevorzugt, wodurch Vorurteile geschürt werden sollen. So führt das BfD in einem Flugblatt aus: "Deutsche Krankenkassen zahlen Milliarden [...] für mitversicherte Angehörige der Großfamilie im Ausland [...]" und "Nichtversicherte nehmen medizinische Leistungen mit der geliehenen Chipkarte von Bekannten in Anspruch." Dies wird mit der Aussage "Leistungskürzungen bei uns, aber Krankenkassenleistungen ins Ausland" verknüpft. In dem Kurzprogramm der Partei zur Bundestagswahl 2005 ("Programm Zukunft") heißt es weiter: "Deutschland [...] verträgt aus Umweltgesichtspunkten [...] keine weitere Zuwanderung." Hier wird auf perfide Weise der Zuzug von Ausländern als ein ökologisches Problem bezeichnet. 56 Rechtsextremismus Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen Das BfD als Splitterpartei des rechtsextremistischen Spektrums verfügt offiziell über Landesverbände in sechs Bundesländern. Nennenswerte Aktivitäten waren bislang jedoch ausschließlich in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen. Hier beschränkt sich die Gruppierung auf den Raum Siegburg, wo sie ein Mandat im Stadtrat sowie im Kreistag innehat. Bei der Bundestagswahl 2005 kandidierte das BfD ausschließlich in Nordrhein-Westfalen mit einem vernachlässigenswerten Ergebnis. 3.5 Bürgerbewegung pro Köln e.V. (pro Köln) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Köln Mitglieder 2005 2004 ca. 60 ca. 40 Vorstand Markus Beisicht, Vorsitzender; Judith Wolter, geschäftsführende stellvertretende Vorsitzende; Manfred Rouhs, Schatzmeister Publikation 'Pro Köln - Informationen der Fraktion pro Köln im Rat der Stadt Köln'; erscheint vierteljährlich Internet Homepage, verantwortlich Manfred Rouhs :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund 'Pro Köln' ist ein eingetragener Verein, der sich vordergründig mit kommunalpolitischen Themen beschäftigt. Bei der Kommunalwahl am 26. September 2004 erzielte er vier Ratssitze und ist außerdem in allen Bezirksvertretungen der Stadt Köln vertreten. Anhaltspunkte für den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung Es liegen aktuelle tatsächliche Anhaltspunkte vor, die in ihrer Gesamtbetrachtung den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG-NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels) bei 'Pro Köln' begründen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf stellte unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2005 in seinem Urteil vom 21. Oktober 2005 fest, dass bei der Bürgerbewegung 'Pro Köln' hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung vorliegen. 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Dem Verfahren lag eine Klage von 'Pro Köln' gegen das Land NRW wegen der Beobachtung und Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten 2002 bis 2004 zu Grunde. Die in den Veröffentlichungen von 'Pro Köln' enthaltenen Äußerungen begründen nach Auffassung des Gerichts den Verdacht für die Zielsetzung, tragende Strukturprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die Achtung der Menschenwürde aller Teile der Bevölkerung, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Solche Anhaltspunkte sah das Verwaltungsgericht insbesondere in den Bekundungen von 'Pro Köln' hinsichtlich der Stellung von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: "Gerade bei einer Gesamtbetrachtung der Äußerungen stellt die Klägerin Ausländer allgemein und pauschal als Ursache für Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Absenkung des Bildungsniveaus etc. dar und beschreibt sie allgemein als grundsätzlich nicht integrierbar." Weitere gewichtige Anhaltspunkte sah das Gericht in der Zusammenarbeit von 'Pro Köln' mit anderen rechtsextremistischen Organisationen. Das Gericht wies die Klage daher ohne Zulassung der Berufung ab. 'Pro Köln' hat zwischenzeitlich einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim OVG in Münster gestellt. 3.6 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Berlin Vorsitzender Jürgen Rieger Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 40 ca. 150 2004 ca. 45 ca. 150 Publikation 'Nordische Zeitung' (NZ), erscheint vierteljährlich :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Artgemeinschaft' - auch als 'Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.' bekannt - bekennt sich zu "Naturgesetzen", in denen sich das "Göttliche" offenbare. Programmatische Grundlagen der 'Artgemeinschaft' sind das "Sittengesetz" und das "Artbekenntnis", welche so etwas wie ein "Glaubensbekennt58 Rechtsextremismus nis" darstellen. Hauptpunkt des angeblich "in uns" ruhenden germanischen Sittengesetzes ist die "eigene Art", welche mit den Idealen und Rassenmerkmalen gleichgesetzt werden kann, die im Nationalsozialismus als "arisch" definiert wurden. Neben der Wiedererweckung und Verbreitung des "artgemäßen" Glaubens geht es der 'Artgemeinschaft' um die Rekonstruktion einer nach dem Führerprinzip aufgebauten Volksgemeinschaft. Insofern lehnt die Organisation ihr Gedankengut an Elemente der NS-Ideologie an. Diese Elemente unterscheiden die 'Artgemeinschaft' von anderen in Deutschland existierenden neuheidnischen Gruppierungen, die lediglich eine Renaissance der germanischen Mythologie anstreben. Daneben bestehen Verbindungen und personelle Verflechtungen in das gesamte rechtsextremistische Spektrum, insbesondere zu den Neonazi-Kreisen der Kameradschaften sowie zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Sowohl die Ideologie der 'Artgemeinschaft' als auch deren Verflechtungen mit dem Rechtsextremismus bieten tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer extremistischen Bestrebung (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Auf regionaler Ebene ist die Organisation in so genannte Gefährtschaften gegliedert. In Nordrhein-Westfalen besteht zum Beispiel die 'Gefährtschaft Rhein/Maas'. Trotz ihrer geringen Mitgliederzahl hat die 'Artgemeinschaft' durch ihre zahlreichen Kontakte eine gewisse Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene. 3.7 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V. (CH) und Weltbund zum Schutze des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V. (WSL-D) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1963 Sitz Vlotho Vorsitzende Ursula Haverbeck-Wetzel Vereinszeitschrift 'Lebensschutz-Informationen - Stimme des Gewissens' (LSI), erscheint alle zwei Monate :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Hintergrund Das 'Collegium Humanum' (CH) ist ein eingetragener Verein, der seit Jahren seine Bildungsstätte in Vlotho Rechtsextremisten als Tagungshaus anbietet. Darüber hinaus gibt der Verein die Zwei-Monats-Schrift 'Lebensschutz-Informationen - Stimme des Gewissens' (LSI) heraus. Diese Schrift enthält neben Beiträgen der Vereinsvorsitzenden revisionistische Beiträge bekannter Rechtsextremisten. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Nach wie vor bestehen bei der CH tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG-NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Seit der Ausgabe 1/2005 der LSI wird regelmäßig über Aktivitäten des von dem bekannten Holocaustleugner Horst Mahler gegründeten 'Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten' (VRBHV) berichtet. Auffällig ist die zunehmende Berichterstattung über Strafverfahren gegen vermeintlich zu Unrecht verfolgte bekannte Revisionisten. Dabei wird zur Teilnahme an den Prozessterminen oder an Solidaritätstreffen aufgefordert. In der Tagungsstätte Vlotho fanden 2005 unter anderem Veranstaltungen des VRBHV beziehungsweise der 'Reichsbürgerbewegung' um Horst Mahler statt. Die in der Vergangenheit in Vlotho durchgeführten Schulungen des 'Deutschen Kollegs' (DK) gab es 2005 nicht. Anlässlich der Treffen bekannter Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet kam es auch 2005 wiederholt zu Protesten vor dem Vereinsgebäude. Im Gegensatz zu den Vorjahren trat die Vereinsvorsitzende des CH im Berichtszeitraum kaum mehr als Teilnehmerin und/oder Referentin auf Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen in Erscheinung. Die Zusammenarbeit zwischen der Vereinsvorsitzenden und Mahler ist allerdings unverändert intensiv. Aufgrund eines Beitrages in dem Heft 6/2003 der 'Stimme des Gewissens' wurde ein Stammautor der Schrift Anfang 2005 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro rechtskräftig verurteilt. Die Schrift wurde beschlagnahmt. Ungeachtet bereits erfolgter Verurteilungen und laufender Verfahren enthält die Zeitschrift 'Stimme des Gewissens' weiterhin revisionistische Beiträge. So beschwor die Vereinsvorsitzende des CH als Reaktion auf die erneute Verurteilung des Revisionisten Ernst Günter Kögel wegen Volksverhetzung einen "erwachenden Widerstandswillen" (LSI Nr. 5/2005). Es zeichne sich "das Ende der Gegenwart" ab. "Unsere Feinde haben keinerlei Argumente mehr, während uns immer neue, handfeste Tatsachen, Untersuchungsergebnisse und eindeutige Aussagen bekannter Persön60 Rechtsextremismus lichkeiten, darunter auch Juden, zur Verfügung stehen. [...] Ernst Günter Kögel konnte zurecht von sich behaupten, nicht schuldig zu sein. [...] In den Prozessen nach SS130 [StGB] Volksverhetzung sind die Angeklagten die Wahrheitssucher, während viele Staatsanwälte und Richter offenbar einem religiösen Wahn anhängen und ohne Überprüfung die Offenkundigkeit und Singularität eines deutschen Verbrechens gegen alle historischen Tatsachen und gegen alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse herbeten." Kögel sei - so heißt es weiter - ein Symbol für den "Beginn des Befreiungskrieges im 21. Jahrhundert", "Durchhalten und weitermachen ist die Parole, und wir werden gewinnen, wenn nicht heute, so morgen oder übermorgen!" 3.8 Neonazis Hintergrund Der Neonazismus ist ein auffälliger Teil des Rechtsextremismus. Neonazis, die sich selbst als 'Freie Nationalisten' bezeichnen, stehen mit ihrer ideologischen Grundhaltung und ihrer politischen Orientierung in der Tradition des historischen Nationalsozialismus mit seinem Eliteund Führerprinzip. Demzufolge basiert ein wesentlicher Teil ihres politischen Handelns und Denkens auf den programmatischen Forderungen des so genannten "25-Punkte-Programms" aus der Frühzeit der NSDAP von 1920. Wesentlicher Bestandteil dieser Ideologie ist ein rassenbiologisch geprägtes völkisches Menschenbild, aus dem Vorstellungen für einen autoritären Staatsaufbau hergeleitet werden. Das Individuum tritt in seiner Bedeutung hinter die "Volksgemeinschaft" zurück ("Du bist nichts, dein Volk ist alles"). Ein solcher Staatsaufbau ergibt einen autoritären Führerstaat mit einer Einheitspartei sowie elitären und zentralistischen Elementen der Machtausübung. Ausgehend von dieser Ideologie weisen die Aktivitäten der Neonazi-Szene folgende wesentlichen Merkmale auf: : Ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit bis hin zu einer rassistisch geprägten Weltanschauung, das heißt zu einer vorgeblich wissenschaftlich begründeten Unterscheidung und Bewertung der Menschen nach biologischen Merkmalen, : ein übersteigerter Nationalismus, mit dem oft eine Gegnerschaft gegenüber anderen Staaten aufgebaut wird, : Vorstellungen von Staat und Nation, die auf einem "völkischen Kollektivismus" basieren, in dem die Rechte der Individuen nachrangig sind, und 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 : die Orientierung an autoritären und totalitären Politikmodellen (Ein-Parteien-System, Befehl und Gehorsam, Führerprinzip). Damit richten sich die Vorstellungen gegen die tragenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Gewaltenteilung, das Mehrparteiensystem und gegen die Ausübung der parlamentarischen Opposition. Zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung sind die Szeneangehörigen bemüht, ihre wahren politischen Ziele vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. 3.8.1 Neonazis auf Bundesebene Die bundesdeutsche Neonazi-Szene umfasst etwa 4.100 Personen. Ihre Aktivisten organisieren sich in Personenzusammenschlüssen mit kaum erkennbaren Strukturen, so genannten Kameradschaften. Diese werden in der Regel durch einen oder zwei Führungsaktivisten nach dem "Führerprinzip" geleitet. Diese Form des Zusammenschlusses ist die Folge der zahlreichen Verbote neonazistischer Gruppierungen in den Jahren 1992 bis 1995. Die Art der "Organisation" behindert nicht die Aktionsfähigkeit der 'Freien Kameradschaften'. Fast alle Angehörigen der Szene verfügen über gängige Kommunikationsmittel wie Handys, Homepages im Internet und E-Mail-Adressen. Darüber hinaus können sie sich telefonisch bei so genannten 'Nationalen Info-Telefonen' (NIT) oder 'Freien Info-Telefonen' (FIT) über die jeweils anstehenden Aktivitäten der Szene informieren. Die Bedeutung dieser Infotelefone ist wegen der zunehmenden Nutzung von Handys in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Die Mobilisierung, insbesondere für kurzfristig angesetzte Aktionen, erfolgt inzwischen überwiegend durch SMS. Die einzige größere Organisation in der bundesweiten Neonazi-Szene ist die 'Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige' (HNG) mit Sitz in Frankfurt/Main, ein eingetragener Verein. Aufgabe der HNG ist die materielle und ideelle Betreuung inhaftierter Gesinnungsgenossen. Sie besitzt eine organisationsübergreifende und damit integrierende Funktion innerhalb der Neonazi-Szene. Außenwirkung entfaltet sie mit ihrer monatlich erscheinenden Publikation 'Nachrichten der HNG' und mit ihrer Jahreshauptversammlung. Aktionen zum 18. Todestag von Rudolf Heß Erstmals seit dem Jahr 2001 fand die vom Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger für den 20. August 2005 in Wunsiedel/Bayern angemeldete Demonstration unter dem Motto "Gedenken an Rudolf Heß" nicht statt. Ein Eilantrag gegen die Verbotsverfügung des Landrats Wunsiedel hatte beim Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg. Gestützt war 62 Rechtsextremismus das Verbot des Landrats auf die seit dem 1. April 2005 geltende Strafvorschrift des SS 130 Absatz 4 StGB. Danach macht sich strafbar, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass die nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder rechtfertigt wird. Die für die Neonazi-Szene überraschende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führte dazu, dass die rechtsextremistische Szene auf dezentrale Aktivitäten auswich. An einer NPD-Demonstration in Nürnberg unter dem Motto "Arbeit für Deutsche" nahmen etwa 500 Szene-Angehörige teil. Andere Neonazi-Gruppierungen demonstrierten unangemeldet in der Innenstadt von Peine, nachdem eine in Magdeburg vorgesehene Demonstration kurzfristig verboten worden war. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass die für die Neonazi-Szene zentrale Demonstration in Wunsiedel auch 2006 nicht stattfinden wird. Mit dezentralen, bundesweiten "Rudolf-Heß-Veranstaltungen" ist daher zu rechnen. Verbote von neonazistischen Vereinigungen In Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz wurden mehrere Kameradschaften nach dem Vereinsgesetz verboten. Die Behörden sahen die formalen Voraussetzungen für ein Vereinsverbot - insbesondere die Vereinseigenschaft - als erfüllt an, weil die jeweiligen Kameradschaften sich über eine Satzung, die Herausgabe von Broschüren oder die Verabredung und Begehung von Gewalttaten eine feste Gruppenstruktur gegeben hatten. Demgegenüber dürfte ein Verbot von nordrhein-westfälischen Kameradschaften derzeit wenig Erfolg versprechen, da bei ihnen die Merkmale einer Vereinsstruktur fehlen: Es gibt keine Satzung; Broschüren und Ähnliches werden nicht herausgegeben, und es werden auch keine Gewalttaten verabredet und ausgeführt. Gerade der letzte Punkt ist eine Gemeinsamkeit aller Kameradschaften in NRW; in den bekannten Kameradschaften wird - zumindest aus taktischen Gründen - von den jeweiligen Führungspersonen bereits die Diskussion über einen organisierten Gewalteinsatz unterbunden. 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 3.8.2 Neonazi-Szene in NRW Die Zahl der in Nordrhein-Westfalen erkannten Neonazis einschließlich des mobilisierbaren Potenzials hat sich mit 460 Szeneangehörigen gegenüber dem Vorjahr erhöht. Auch 2005 kam es zu vielfältigen öffentlich wirksamen Auftritten, mit denen die Neonazis versuchten, ihr politisches Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Im Jahr 2005 wurden von der neonazistischen Szene in Nordrhein-Westfalen 24 Demonstrationen durchgeführt, davon eine Spontanveranstaltung in Hamm. Die Teilnehmerzahl schwankte - abhängig vom gewählten Thema und insbesondere vom Anmelder - zwischen zehn und 300 Personen. Zehn der Demonstrationen wurden von einem Kölner Neonazi angemeldet und durchgeführt, auch in mehreren Städten des Ruhrgebiets. Räumliche Schwerpunkte waren Essen mit sechs und Hamm mit fünf Demonstrationen, wobei die Hammer Aktivitäten von Angehörigen der Dortmund/Hammer-Kameradschafts-Szene organisiert wurden. Als Demonstrationsthemen wurden von der Neonazi-Szene im Jahr 2005 unter anderem eine behauptete "staatliche Repression" gegen Angehörige der rechtsextremistischen Szene, anti-amerikanische und anti-israelische Propaganda sowie soziale Themen aufgegriffen. In NRW gab es dabei zwei eindeutige Schwerpunkte. Acht Demonstrationen betreffen den Themenbereich "Einforderung von Meinungsfreiheit und Widerstand gegen behauptete staatliche Repression". Sieben Demonstrationen richteten sich gegen "Multikultur" und "Aktivitäten linker Gruppen". Einen weiteren Schwerpunkt bildeten vier Demonstrationen gegen die USA und Israel. Mit ihren Demonstrationen verfolgen die Neonazis mehrere Ziele. Zum einen wollen sie sich in der Öffentlichkeit positionieren und die demokratischen Kräfte damit provozieren. Zum anderen zeigen sie damit auch ihren Machtanspruch, insbesondere, wenn aus nichtigem Anlass eine Serie von aufeinanderfolgenden Demonstrationen angemeldet wird wie in Recklinghausen 2004 und 2005 in Duisburg. Lokale und regionale Neonazi-Gruppierungen In der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene gibt es einerseits die so genannten 'Freien Kameradschaften' oder ähnlich strukturierte Personenzusammenschlüsse, andererseits existieren völlig strukturlose so genannte Misch-Szenen. Kameradschaften bestehen im Kreis Aachen, in Dortmund, im Hochsauerlandkreis/Kreis Siegen, im Rhein-Sieg-Kreis, im Ennepe-Ruhr-Kreis und in Köln. Kameradschaftsähnliche Strukturen existieren in Düsseldorf, Wuppertal, Hamm, Leverkusen und im Kreis Gütersloh. Lokale, unstrukturierte Misch-Szenen gibt es in den Kreisen Borken, Kleve, Wesel, 64 Rechtsextremismus Steinfurt, Mettmann, Herford, Minden-Lübbecke sowie in Hagen/Lüdenscheid, Duisburg und Bielefeld. Diese Misch-Szenen ähneln eher Cliquen und sind zum Teil mit Angehörigen rechtsextremistischer Parteien, der Skinhead-Szene sowie Hooligans vermischt oder von diesen dominiert. Ideologiestreit trennt die Neonazi-Szene in zwei Lager Der seit Jahren bundesweit schwelende Streit innerhalb der Neonazi-Szene zwischen Unterstützern der NPD und absoluten Gegnern dieser Partei besteht auch in der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene. Ein Teil sieht in dem Eintritt führender Aktivisten in die NPD und in der Unterstützung dieser Partei bei Wahlen eine Möglichkeit, ihre politischen Zielvorstellungen auch im parlamentarischen Rahmen zu verfolgen. Ein anderer Teil bewertet die NPD als "Systempartei" und lehnt eine Unterstützung ab. Diese Gruppe stellt zur Durchsetzung ihrer Ziele entscheidend auf die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Demonstrationen ab. Die NPD-orientierten Neonazis werden im Wesentlichen repräsentiert durch Angehörige des 'Aktionsbüros Norddeutschland' und die Führungsaktivisten Thomas Wulff (Mecklenburg-Vorpommern), Thorsten Heise (Thüringen) und Ralph Tegethoff (Rhein-Sieg-Kreis). Die Gegenseite wird im Wesentlichen repräsentiert durch den Hamburger Neonazi Christian Worch sowie die Kameradschaftsszene in Köln. KameradschaftAachener Land Die 'Kameradschaft Aachener Land' ist im Jahr 2001 aus dem Umfeld des NPD-Kreisverbandes Aachen hervorgegangen. Trotz erkennbarer Kontakte zum NPD-Kreisverband Aachen handelt es sich um eine eigenständige, dem neonazistischen Gedankengut verbundene Kameradschaft. Ihre Aktivitäten konzentrierten sich 2005 insbesondere auf die Unterstützung der NPD vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai und der Bundestagswahl im September 2005. Darüber hinaus beteiligten sich die Anhänger der Kameradschaft an regionalen und überregionalen Neonazi-Veranstaltungen. Die Kameradschaft unterhält darüber hinaus gute Kontakte in die Niederlande und nach Belgien. Szene im Hochsauerlandkreis/Kreis Siegen Die Kameradschaft 'Nationaler Widerstand Hochsauerland' beziehungsweise 'Freie Nationalisten Sauerland/Siegerland' zählt etwa 15 Angehörige. Ihre Führungsaktivistin gehört zu den führenden Neonazis in Nordrhein-Westfalen, allerdings waren 2005 kaum Aktivitäten dieser Kameradschaft zu verzeichnen. 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Szene Dortmund Die unter den Bezeichnungen 'Nationaler Widerstand Ruhrgebiet', 'Nationaler Widerstand der unabhängigen Dortmunder Kameraden' oder 'Kameradschaft Teutonia' agierenden Aktivisten kommen aus dem Großraum Dortmund sowie den angrenzenden Ruhrgebietsstädten. Seit Jahren unangefochtene Führungsfigur ist Siegfried Borchardt ("SS-Siggi") aus Dortmund. Diese Szene schafft es im Einzelfall, bis zu 80 Personen zu mobilisieren. Ihre Aktivisten haben an allen bedeutsamen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der Neonazi-Szene im Jahr 2005 teilgenommen. Im ideologischen Streit innerhalb der Neonazi-Szene tendiert die Dortmunder Szene eher zu der die NPD ablehnenden Gruppe um Worch. Szene im Rhein-Sieg-Kreis Die Neonazis im Rhein-Sieg-Kreis sowie benachbarter Gebiete in Rheinland-Pfalz sind in der 'Freien Kameradschaft Sturm-Rhein-Sieg' organisiert. Sie wird von Ralph Tegethoff geführt, der seit Jahren zu den wichtigsten bundesdeutschen Neonazis zählt. Er gehört auch zu den Führungspersonen auf Bundesebene, die 2004 demonstrativ in die NPD eingetreten sind. Auf öffentlichen Veranstaltungen tritt er bundesweit als Redner auf. Seine etwa 15 Personen umfassende Gruppe trifft sich regelmäßig in einer Gaststätte im benachbarten Rheinland-Pfalz. Kölner Szene Die 'Kameradschaft Walter Spangenberg Köln' wurde 1998 von einem damals 15-jährigen gegründet, der diese auch heute noch führt. Der überzeugte Nationalsozialist gehört inzwischen zu den aktivsten Personen der nordrhein-westfälischen Neonazis mit Kontakten in die bundesweite Szene. Er organisiert nicht nur die meisten öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, sondern tritt auch bundesweit als Redner bei Veranstaltungen der Neonazis auf. Im ideologischen Streit der NeonaziSzene steht er eindeutig auf der Seite von Christian Worch, mit dem er in engem Kontakt steht. Die Angehörigen der Kameradschaft sind größtenteils auch Mitglieder des organisatorisch von der Kameradschaft zu trennenden 'Gau Rheinland' des 'Kampfbundes Deutscher Sozialisten' (KDS); der Führer der Kameradschaft ist gleichzeitig "Gausekretär" dieser Organisation. Mit Urteil des Landgerichts Bochum vom 9. September 2005 wurde der Kameradschaftsführer wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er war im Juni 2004 auf einer NPD-Demonstration in 66 Rechtsextremismus Bochum aufgetreten und hatte dabei gegen das jüdische Volk gehetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da er Revision eingelegt hat. Neue Schrift mit dem Titel 'Grauzone' Im ersten Halbjahr 2005 erschienen die ersten drei Ausgaben der neuen Schrift 'Grauzone', die vom 'Freien Widerstand' herausgegeben wird. In den bisher vorliegenden Ausgaben wird von Vertretern der Neonazi-Szene über geplante, aber auch bereits durchgeführte Demonstrationen und deren Verlauf berichtet. Sie dient der Szene als aktuelles Informationsblatt. Projekt Schulhof Im August 2005 wurde erstmalig die bereits im Jahresbericht 2004 (S. 48 ff.) beschriebene "Projekt Schulhof"-CD der Neonazi-Szene verteilt. Unter anderem wurden CDs an öffentlichen Plätzen, in Nahverkehrsmitteln und vor Schulen verteilt oder ausgelegt. Weitere Exemplare wurden in Briefkästen eingeworfen und an geparkten Fahrzeugen angebracht. Bundesweit konnten mehrere tausend CDs sichergestellt werden. Das Amtsgericht Stendal ließ am 25. August 2005 die von der Staatsanwaltschaft Halle erhobene Anklage gegen den Auftraggeber der CD-Produktion nicht zu. Es begründete die Nichtzulassung damit, dass die CD durch die Meinungsund Medienfreiheit geschützt sei und kein rechtsextremistisches Gedankengut enthalte. Aufgrund der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle hob das Landgericht Stendal die Entscheidung des Amtsgerichts auf und ließ die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem Gericht in Stendal zu. Das Landgericht vertrat die Auffassung, die CD sei ihrem Inhalt nach offensichtlich geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden. Ein Termin zur Eröffnung der Hauptverhandlung steht noch aus. Rechtsextremisten produzieren Schülerzeitung mit dem Namen '[in'vers]' 2005 wurde ein weiteres zielgruppenorientiertes Projekt von Rechtsextremisten bekannt, die "Schülerund Jugendzeitung" mit dem Namen '[in'vers]'. Die Zeitschrift mit einer Auflage von vermutlich 20.000 Exemplaren wurde bisher lediglich in wenigen Einzelfällen verteilt. '[in'vers]' bezeichnet sich als unabhängige, kritische und kreative Schülerund Jugendzeitung und vermeidet es, rechtsextremistische Stereotypen zu verwenden. Es werden tagespolitisch aktuelle Themen wie Umweltschutz, Drogenmissbrauch oder Globalisierungskritik aufgegriffen - also eher "linke Themen". Werbeund Kontaktanzeigen verweisen jedoch zu neonazistischen Organisationen. Offensichtlich sollen Kinder und 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Jugendliche als Zielgruppe über unverfängliche Themen an rechtsextremistisches Gedankengut herangeführt und so ideologisch vereinnahmt werden. Strafrechtlich relevante Inhalte wurden nicht festgestellt. Ausblick Die Angehörigen der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene haben es im Jahr 2005 trotz ihrer vielfältigen öffentlichkeitswirksamen Auftritte und ihrer Unterstützung für die NPD bei der Landtagswahl in NRW und der Bundestagswahl kaum geschafft, sich einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie bleiben eine rechtsextremistische Minderheit, die unter den gesellschaftlich relevanten Gruppierungen keine Rolle spielt. Wegen ihrer immanenten Gewaltbereitschaft und ihrer menschenverachtenden Ideologie wird die Szene weiterhin aufmerksam durch die Verfassungsschutzbehörde beobachtet. 3.9 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) Der am 1. Mai 1999 im brandenburgischen Kremnitz gegründete 'Kampfbund Deutscher Sozialisten' (KDS) ist nach eigener Aussage "ein parteiund organisationsunabhängiger Zusammenschluss auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat". Darüber hinaus sieht er sich als Kampfforum "linker" und "rechter'" Sozialisten. Der KDS ist eine der wenigen neonazistischen Organisationen, die bundesweit vertreten sind und vereinsähnliche Strukturen aufweisen. Im April 2005 erschien erstmalig eine neue Schrift des KDS, das 'Revolutionäre Manifest'. Bekräftigt werden darin die wesentlichen Ziele des KDS: : "Hauptziel unserer Arbeit muss es sein, den Widerstand auf neue Wege zu führen, und einen Weg zu gehen, der auf eine revolutionäre Veränderung abzielt und abzielen muss." : "Wir müssen weg vom national reaktionären Einheitsbrei, hin zu einer offenen sozialistischen, modernen Systemalternative, die sich nicht auf einen Kampf um die Parlamente, sondern auf einen Kampf um die Menschen konzentriert. Wir wollen dieses System nicht reformieren, sondern überwinden." Der tatsächliche Einfluss des KDS ist gering. Weder in der rechtsnoch in der linksextremistischen Szene besteht ein Interesse an der von ihm angestrebten Kooperation. Daran ändern auch die vielfältigen Aktivitäten des bereits genannten Gausekretärs und Führers der 'Kameradschaft Walter Spangenberg Köln' nichts. Zwar ist er selbst inzwischen ein gern gesehener Redner auf neonazistischen Demonstrationen - der KDS ist aber nur eine weitere "Splittergruppe" im neonazistischen Spektrum. 68 Rechtsextremismus Plakat der KDS 3.10 Rechtsextremistische Skinheads Entstehung und Entwicklung der Skinhead-Szene Die Skinhead-Szene entstand Ende der 1960er Jahre in Großbritannien. Jugendliche aus der Arbeiterschicht begehrten gegen vermeintliche soziale Missstände und steigende Arbeitslosigkeit infolge der zunehmenden Rationalisierung in der Industrie auf. Ihre Zugehörigkeit zur Subkultur dokumentierten Skinheads durch kahlgeschorene Schädel, Bomberjacken, schwere Arbeitsstiefel und Hosenträger. Die Aktivitäten der Skinheads der ersten Generation waren weitgehend unpolitisch und beschränkten sich im Wesentlichen auf Alkoholkonsum, den Besuch von Konzerten oder Fußballspielen und Gewalt. Die Skinhead-Szene, vor allem in Großbritannien, machte mit immer härteren Gewaltexzessen von sich reden, und damit nahm auch der gesellschaftliche und staatliche Druck auf die Subkultur zu. Dies hatte zur Folge, dass die erste Skinhead-Welle bereits zu Beginn der 70er Jahre verebbte. Erst gegen Ende der 70er Jahre lebte die SkinheadKultur als Reaktion auf den kommerziellen Ausverkauf des Punk auf. Kleidung, Musik und Verhalten der ersten Skinhead-Generation wurden aufgegriffen. Jedoch fanden viele Jugendliche nun Zugang zu der Subkultur, die vor allem durch die Gewalt angezogen wurden. Die schlechte wirtschaftliche Situation Großbritanniens und die Verbindung der Themen Einwanderung und fehlende Arbeitsplätze für Jugendliche lösten eine zunehmende Politisierung der Szene aus, die durch die rechtsextremistische 'National Front' (NF) genutzt wurde. 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Ende der 1970er Jahre breitete sich die Skinhead-Subkultur in das europäische Ausland und in alle Welt aus. Seit der Wiedervereinigung stellt die Skinhead-Szene in Deutschland eine bedeutende Größe dar. Skinheads und Gewalt Die Ursachen jugendlicher Gewalt sind vielschichtig und waren wiederholt Anlass soziologischer und kriminologischer Untersuchungen. Danach wird die allgemeine Jugendkriminalität durch schwierige Familienverhältnisse, fehlende Erfolgserlebnisse und Misserfolge in Ausbildung und Beruf oder durch gruppendynamische Zwänge begünstigt. Diese Faktoren treffen häufig auch auf rechtsextremistische Straftäter zu. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu, da mittlerweile auch viele unpolitische Jugendliche ein vermeintlich Skinhead-typisches Aussehen zeigen, ohne der Szene anzugehören. Darüber hinaus stellt der unpolitische Teil der Skin-Bewegung, die so genannten Oi!-Skins, einen großen Anteil der Szene. Die Öffentlichkeit nimmt von der vielschichtigen Skinhead-Szene hauptsächlich den starken rechtsextremistischen Flügel wahr, der sich nicht nur über sein provozierendes Äußeres und eine aggressive Musik definiert, sondern insbesondere über neonazistische Ideologieelemente. Anders als bei den Neonazis zeigen sich diese aber nicht in erster Linie in einer primär ideologischen Argumentation, sondern in vielfältigen, zum Teil auch spontanen gewalttätigen Aktionen. Rechtsextremistische Skinhead-Musikszene Die Skinhead-Szene - wie jede Jugendsubkultur - wird von den szeneinternen Medien geprägt. Hierzu gehört insbesondere die Skinhead-Musik als ein wichtiges und identitätsstiftendes Element, sie wirkt als Integrationsund Aggressionsfaktor. Die mögliche Wirkung der "Musik als Mittel der Indoktrination" darf dabei nicht verkannt werden. Dass Musik als Medium für die ideologische Beeinflussung von Jugendlichen verwandt werden soll, wird bereits in einem Zitat des Briten Ian Stuart Donaldson (auch als Ian Stuart bekannt) deutlich: "[Musik] berührt die jungen Leute, die von den Politikern nicht erreicht werden. Viele finden die Politik, parteipolitisch gesehen, langweilig, was teilweise stimmt. Es ist doch viel angenehmer, mit anderen ein Konzert zu besuchen und Spaß zu haben, als in eine politische Versammlung zu gehen." Donaldson, Frontmann der britischen Band 'Skrewdriver', gründete 1987 die inzwischen in Deutschland rechtskräftig verbotene 'Blood & Honour'-Organisation 70 Rechtsextremismus zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes durch Musik und zur Organisation der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Im September 1993 kam Donaldson mit zwei weiteren Bandmitgliedern bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seitdem wird der schon zu Lebzeiten gefeierte "Skinhead-Führer" in der Szene als Kultfigur verehrt. Skinhead-Konzerte und sonstige Musikveranstaltungen ("Lieder-" beziehungsweise "Balladenabende") dienen der ansonsten weitgehend unorganisierten, rechtsextremistischen Skinhead-Szene als Treffpunkt, um Pogo zu tanzen und Alkohol zu konsumieren, als Orte, an denen Kontakte geknüpft und ausgebaut werden und rechtsextremistische Propaganda betrieben und verbreitet wird. Dabei üben die konspirative Vorbereitung der Konzerte und das Auftreten von Skinhead-Bands, die zum Teil strafrechtlich relevante Liedtexte darbieten, einen besonderen Reiz auf gerade jugendliche Teilnehmer aus. Der Vertrieb und Verkauf von Tonträgern und Fanzines (eine Zusammensetzung der Wörter "Fan" und "Magazine") mit rechtsextremistischen Inhalten sowie von Merchandising-Artikeln (T-Shirts, Sweat-Shirts mit Bandaufdrucken etc.) - nicht nur auf Konzerten, sondern auch über das Internet, Szene-Läden oder einschlägige Versandhandel - dient der Szene und rechtsextremistischen Organisationen auch zur Finanzierung. Auch in Nordrhein-Westfalen sind Versandhandel und Szene-Läden ansässig, die einschlägige Artikel im Sortiment haben. Da die angebotenen Artikel auf das spezielle Szenepublikum ausgerichtet sind, sind gerade die Versandhandel meist überregional bekannt. Einzelpersonen aus der rechtsextremistischen Skinhead-Szene versorgen sich bei den bekannteren Versandhandeln mit CDs und Merchandising-Artikeln, um diese anschließend auf Konzerten weiter zu verkaufen. Auf den Konzertveranstaltungen werden die Lieder teilweise durch eine besondere Art der Darstellung (zum Beispiel Zeigen des Hitlergrußes, Sieg-Heil-Rufe, Schwenken der Reichskriegsflagge) zur ideologisch-propagandistischen Interaktion mit der Zuhörerschaft vorgetragen. Die Bands spielen neben aktuellen, oftmals durch "verschärfte" Passagen angereicherten Stücken auch indizierte Lieder, die innerhalb der Szene bestens bekannt sind. Im Verlauf von Skinhead-Konzerten werden auch immer wieder Straftaten begangen, meist so genannte Propagandadelikte (SSSS 86, 86a, 130, 131 StGB). Aufgrund von Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden, der Indizierung durch die 'Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien' (BPjM) sowie einer allgemeinen sozialen Ächtung ist zu beobachten, dass politische Botschaften verhaltener formuliert und strafrechtlich relevante Textpassagen seltener verwandt werden. Skinhead-Konzerte können nach der derzeitigen Rechtslage nur dann verboten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten bestehen. Das 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 bloße "Skinhead-Sein" mit dem damit verbundenen provokativen Outfit und Verhalten - auch wenn der überwiegende Teil der Gesellschaft dieses ablehnt - begründet noch keine Maßnahmen von Polizei oder Verfassungsschutz. Skinhead-Musikveranstaltungen in NRW Im Laufe des Jahres 2005 wurden in Nordrhein-Westfalen insgesamt 14 Musikveranstaltungen unterschiedlichen Charakters (Liederabende, Konzertveranstaltungen sowie private Feiern unter Beteiligung von Skinhead-Bands) bekannt. Die Veranstaltungen verliefen ohne Außenwirkung. Ihre Vorbereitung erfolgte höchst konspirativ unter Nutzung von SMS beziehungsweise E-Mail mit kurzfristiger Bekanntgabe der Veranstaltungsorte. Dieses Verhalten der Organisatoren soll sicherstellen, dass geplante Veranstaltungen nicht kurzfristig verhindert werden können. Trotz der bestehenden Schwierigkeiten bei der Anmietung von Räumlichkeiten und bei der Durchführung von Musikveranstaltungen hat sich die Zahl der Veranstaltungen geringfügig erhöht. Die Organisation von Musikveranstaltungen mit kleinerem Rahmen - sowohl in Bezug auf die Räumlichkeiten als auch auf den Teilnehmerkreis - stellt die Szene offensichtlich vor weniger Probleme als die Organisation von groß angelegten Konzertveranstaltungen. Hinzu kommt bei Letzteren das hohe organisatorische und finanzielle Risiko bei gleichzeitig großer Wahrscheinlichkeit, dass das Konzert verhindert wird. Nach wie vor werden Konzertangebote aus dem benachbarten Ausland gern wahrgenommen, weil die Rechtslage dort die Durchführung derartiger Veranstaltungen erleichtert. Zunehmend wird auch beobachtet, dass Bands aus der Stilrichtung des NS-BlackMetal auf Konzerten der Skinhead-Szene gemeinsam mit Skinhead-Bands auftreten. Zwar ist sich die Szene in ihrer Meinung über eine solche "Vermischung" von MusikStilen nicht immer einig, jedoch gibt es durchaus positive Berichte über Auftritte von Black-Metal-Bands. NS-Black Metal als Stilrichtung greift Themen aus dem historischen Nationalsozialismus auf. Blood & Honour, Combat 18 und Hammerskins in NRW Nach dem rechtskräftigen Verbot im Jahr 2001 sind bis heute keine Aktivitäten in NRW festzustellen, die den Fortbestand von Strukturen der 'Blood & Honour'-Organisation belegen würden. Zwar ist davon auszugehen, dass persönliche Kontakte beziehungsweise Freundschaften der damaligen 'Blood & Honour'-Mitglieder teilweise noch vorhanden sind, jedoch sind Organisationsstrukturen in NRW nicht erkennbar. Die Organisation 'Combat 18' wurde Anfang der 1990er Jahre als Schutztruppe gegen Übergriffe linker Gewalttäter in England gegründet. Nach dem Unfalltod IanStuart Donaldsons übernahmen Mitglieder von 'Combat 18' zunehmend die Führung bei 'Blood & Honour'. Die Bedeutung von 'Combat 18' ist inzwischen aufgrund geringer Mitglie72 Rechtsextremismus derzahlen und erneuter Streitigkeiten zwischen den Führenden der Organisation erheblich gesunken. Einzelne Angehörige der rechtsextremistischen Szene in NordrheinWestfalen zeigen zwar eine gewisse Faszination für 'Combat 18', erkennbare Strukturen liegen aber nicht vor. Die Verwendung des Begriffes 'Combat 18' ist offensichtlich mit einem hohen Ansehen in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene verbunden, und es ist daher wahrscheinlich, dass dessen Verwendung mit dem Ziel erfolgt, das eigene Ansehen aufzuwerten. Die Hammerskins wurden Mitte der 1980er Jahre in den USA gegründet. Erklärtes Ziel ist es, weltweit alle weißen und rechtsextremistischen Skinheads in einer "Hammerskin-Nation" zu vereinigen. Hammerskins vertreten rassistische Grundeinstellungen und betrachten sich selbst als die Elite der Skinhead-Bewegung. In NordrheinWestfalen liegen keine Erkenntnisse über eine Hammerskin-Organisation vor. Skinhead-Zusammenschlüsse in NRW Insgesamt ist der Skinhead-Szene eine straffe Organisationsstruktur eher fremd. Auch die Versuche von 'Blood & Honour', 'Combat 18' oder Hammerskins haben nicht dazu geführt, dass sich dieser Trend in der Szene umgekehrt hat. Zusammenschlüsse in der Skinhead-Szene haben einen sehr engen regionalen Bezug und bestehen in loser Verbindung aus den örtlich ansässigen Skinheads. Es finden keine regelmäßigen und organisierten Veranstaltungen statt, wie es im Bereich der Kameradschaften üblich ist. Vielmehr gibt es anlassbezogene Treffen, gemeinsame Besuche von Musikveranstaltungen und Partys zu unterschiedlichen Anlässen. Eine Einbindung in eine solche regionale Gruppe schließt Aktivitäten in anderen, organisierten Zusammenhängen nicht aus. Im Umfeld von Skinhead-Bands, die über ein festes Fanpotenzial verfügen, findet eine gewisse Gruppenbildung statt. Diese Gruppen setzen sich aus Personen des BandUmfeldes oder auch guten Bekannten mit Bezug zur Szene zusammen und sind zum Beispiel für die Begleitung der Band bei Konzertauftritten zuständig. Zu den bekannteren Skinhead-Bands aus NRW zählen 'Weisse Wölfe' und 'Oidoxie'. Gegen diese beiden Bands sind Ermittlungsverfahren anhängig wegen des Verdachts, CDs und Videos mit volksverhetzenden und nationalsozialistischen Inhalten hergestellt und verbreitet zu haben. Ausblick Die Skinhead-Szene bleibt ein wichtiges Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes. Aus dieser unstrukturierten Szene stammen die Teilnehmer bei den unterschiedlichen Musikveranstaltungen, und hieraus kann sich in letzter Konsequenz der Nachwuchs für 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 die verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen, von den Kameradschaften bis zu den Parteien, rekrutieren. Im Jahr 2005 ist die bekannte Personenzahl dieser Szene gestiegen. Dies erklärt sich zum einen aus den intensiven Versuchen der gesamten Szene, insbesondere für Jugendliche attraktiv zu werden. Zu nennen ist hier zum Beispiel der Versuch, eine kostenlose CD mit Liedern aus dem rechtsextremistisch beeinflussten Musik-Segment zu verteilen. Der Anstieg bei der Zahl der festgestellten szeneangehörigen Personen ist aber insbesondere auf die verstärkte Beobachtung und Erfassung der Angehörigen dieser Szene durch die Verfassungsschutzbehörde zurück zu führen. Die Gesamtzahl der bekannt gewordenen Musikveranstaltungen ist im Jahr 2005 gestiegen. Großveranstaltungen wie beispielsweise im Jahr 2002 mit weit mehr als 500 Teilnehmern fanden aber nicht mehr statt. Die Tendenz geht zu kleineren Veranstaltungen, die teilweise in sehr privatem Rahmen bei geheim gehaltener Vorbereitung durchgeführt werden. Das frühzeitige Erkennen wird dadurch erheblich erschwert. 3.11 Revisionismus Revision beziehungsweise Revisionismus bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes "Änderung einer Meinung nach gründlicher Prüfung". Als Revisionisten bezeichnen sich seit den 1970er Jahren auch Rechtsextremisten, die ein bestimmtes, den Nationalsozialismus verharmlosendes Geschichtsbild propagieren. Bei der Verbreitung ihrer Vorstellungen geben sie sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit. Es handelt sich aber nicht um wissenschaftliche Forschungsergebnisse, das Ziel ist vielmehr, die Geschichtsschreibung über die Zeit des "Dritten Reiches" zu ändern, um das nationalsozialistische System aufzuwerten und seine Ideologieelemente zu entstigmatisieren und zu enttabuisieren. Inhaltlich betrifft dieser Revisionismus insbesondere zwei Themenfelder: : Leugnung der Massenvernichtung europäischer Juden in deutschen Konzentrationslagern; : Leugnung der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die von den Revisionisten vertretene Leugnung der Kriegsschuld, also der Hauptverantwortung der Hitler-Regierung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, hat im Kern zwei Komponenten: Kriegsvorbereitende Maßnahmen der Nationalsozialisten werden als Ausdruck berechtigten Handelns zur Überwindung des Versailler Vertrages angesehen, die Schuld am Kriegsausbruch wird den späteren Gegnern zugewiesen, die 74 Rechtsextremismus die eigentlichen Aggressoren gewesen seien. Diese Leugnung führt dann zur Forderung der territorialen und damit auch politischen Wiederherstellung des Deutschen Reiches (Gebietsrevisionismus). Hierbei werden unterschiedliche Auffassungen vertreten: von der Wiederherstellung der Grenzen von 1937 bis zu einem Deutschen Reich in den Grenzen von 1914 mit der erweiterten Einbeziehung Südtirols, Österreichs, des Sudetenlandes usw. Im Vordergrund der revisionistischen "Geschichtsaufarbeitung" steht aber die Leugnung, zumindest die Relativierung der Massenmorde an den Juden ("Holocaust-Leugnung", "Auschwitz-Lüge"). In diesem Zusammenhang benutzen Revisionisten immer wieder dieselben Argumentationsmuster. Sie leugnen den Gebrauch und die Funktionsfähigkeit von Gaskammern oder bezweifeln die technische Durchführbarkeit der massenhaften Leichenverbrennung. Bei dieser Geschichtsfälschung zu Gunsten des Nationalsozialismus geben Revisionisten vor, die Vergangenheit mit einer seriösen, streng wissenschaftlichen Methodik aufzuarbeiten. So veröffentlichten sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine Reihe von Schriften, die sich auf verfälschte oder fehlinterpretierte Dokumente stützten, um die eigenen Positionen durch so genannte "Kronzeugen" abzusichern. Zu diesen unfreiwilligen "Zeugen" gehören meist seriöse Institutionen, Medien und Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer besonderen Glaubwürdigkeit häufig erwähnt werden. Oft werden Dokumente als Fälschung dargestellt und Zeitzeugen für befangen beziehungsweise Zeugenaussagen für erzwungen erklärt. Die seriöse historische Wissenschaft wird in Teilen oder auch zur Gänze angezweifelt. Dadurch soll gezielt Verwirrung und Skepsis hinsichtlich der Dimension des Holocaust geschürt werden. Erstmalig durch die 1994 in Kraft getretene Änderung des SS130 StGB erlitten diese Aktivitäten der Revisionisten einen herben Rückschlag. Die Gesetzesänderung hatte zur Folge, dass auch die so genannte "einfache Ausschwitz-Lüge" als Volksverhetzung nach SS 130 StGB bestraft wird. Sie ermöglichte zahlreiche Beschlagnahmungen von den Holocaust leugnenden Veröffentlichungen und führte zur Verurteilung von Protagonisten der "Ausschwitz-Lüge", wie etwa Germar Rudolf und Udo Walendy. Seit der Gesetzesverschärfung betreiben daher Revisionisten ihre Agitation nur noch selten in Deutschland, insbesondere die Produktion revisionistischer Schriften erfolgt seither überwiegend im Ausland. Seit Herbst 2002 befindet sich die weltweite Revisionismusarbeit erneut in einer Krise. So konstatierte der bekannte Revisionist Professor Robert Faurisson im Juni 2002 in Los Angeles im Lichte der Geschehnisse vom 11. September 2001 ein erlahmendes allgemeines Interesse am Revisionismus; es sei für den Revisionismus an der Zeit, die Schwerpunkte neu zu setzen. Unumwunden wurde eingeräumt, Angst vor Repression zu haben 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 und selbst bei Gesinnungsgenossen kaum noch Unterstützung zu erhalten. Die Revisionisten seien müde. Auch Germar Rudolf, einflussreichster deutscher Holocaustleugner und eine der zentralen Figuren der internationalen Revisionistenszene, erklärte im September 2003, dass er die Zukunft der Revisionisten vor dem Hintergrund einer nicht abebbenden strafrechtlichen Verfolgung als "eher schwarz" einschätze. So heißt es in einer Erklärung in der Ausgabe 5/2005 der 'Stimme des Gewissens': "Die Prozesse, die in Frankreich und im Ausland wegen des Delikts Revisionismus gegen uns angestrengt wurden, waren besonders belastend, um nicht zu sagen zermürbend. Wir haben bisweilen Entmutigung empfunden und gerieten in Versuchung, jede Verteidigung, welche diesen Namen verdient, für unnütz zu halten." Dass derartige von Revisionisten zum Teil geäußerte Zukunftsängste nicht ohne Grund bestehen, zeigt die intensivierte Überwachung und Sperrung einschlägiger Internetseiten, die zur Volksverhetzung in der Bundesrepublik Deutschland gefestigte Rechtsprechung sowie die weltweit verstärkte juristische Vorgehensweise gegen Revisionisten. Ergebnisse dieser intensivierten Verfolgung sind unter anderem: : Endgültige Ablehnung des von dem in den USA lebenden deutschen Revisionisten Germar Rudolf gestellten Antrags auf politisches Asyl im November 2004 und in der Folgezeit Abschiebung nach Deutschland. Bereits im September 2004 war im Rahmen einer vom Amtsgericht Mannheim angeordneten Exekutivmaßnahme des Bundeskriminalamtes (BKA) unter anderem der deutsche Geschäftspartner und Sachwalter von Rudolf verhaftet und das deutsche Konto von Rudolf gepfändet worden. Bei den beschlagnahmten Geldern soll es sich um Erlöse aus dem Versandgeschäft des revisionistischen Internethandels der belgischen 'Vrij Historisch Onderzoek' (VHO) handeln, über den die Schriften Rudolfs und anderer Holocaustleugner verkauft werden. Durch die Inhaftierung von Rudolf dürfte auch die Zukunft der von der VHO seit 1997 herausgegebenen Publikation 'Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung' (VffG) fraglich sein, die schwerpunktmäßig die Politik des Dritten Reiches rechtfertigt, den Völkermord an den europäischen Juden leugnet und ferner gegen die angeblich ungerechtfertigte Verfolgung der Revisionisten polemisiert. Noch in der Ausgabe 4/ 2004 berichtete Rudolf über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Verlages 'Castle Hill Publishers' (CHP). Sein im November 2004 veröffentlichter Unterstützungsund Spendenaufruf habe so gut wie keine Reaktion bewirkt, die Auflage der VffG sei auf unter 600 Exemplare gesunken. : Das Landgericht Berlin verurteilte am 12. Januar 2005 den Rechtsextremisten Horst Mahler, der seit 1999 in der rechtsextremistischen Szene mit revisionistischer, antise76 Rechtsextremismus mitischer und rassistischer Ausrichtung aktiv ist, wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten ohne Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Insbesondere die revisionistische Einstellung Mahlers führte zu der von ihm am 9. November 2003 initiierten Gründung des 'Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten' (VRBHV). : Der weltweit agierende deutsche Revisionist Ernst Zündel wurde am 1. März 2005 von Kanada nach Deutschland abgeschoben und in die Justizvollzugsanstalt Mannheim verbracht. Bei der Staatsanwaltschaft Mannheim war seit Januar 1996 gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener durch Veröffentlichungen auf seiner Homepage (so genannte 'Zundel-Site') anhängig. Dieses Verfahren wurde nunmehr mit Anklageerhebung im Juni 2005 fortgeführt. Erster Hauptverhandlungstag war am 8. November 2005 vor dem Landgericht Mannheim. Mahler sieht diesen Prozess als richtungsweisend im "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust" und bezeichnete Zündel bereits Anfang des Jahres als "Kriegsgefangenen" und "Symbol für den unbeugsamen Wahrheitswillen des menschlichen Geistes". : Der Mitbegründer der VHO, Siegfried Verbeke, wurde am 4. August 2005 auf Grund eines internationalen Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol festgenommen und im November 2005 nach Deutschland ausgeliefert. Gegen ihn ist wegen des Verdachts der Volksverhetzung im Zusammenhang mit dem Vertrieb rechtsextremistischer Schriften ein Ermittlungsverfahren anhängig. Verbeke war bereits am 26. November 2004 in Belgien festgenommen und am 14. April 2005 vom Berufungsgericht in Antwerpen unter anderem wegen Verstoßes gegen das belgische Antirassismusgesetz zu einer einjährigen Haftstrafe sowie einer Geldstrafe von 2.500 Euro verurteilt worden; ferner wurden ihm die Bürgerrechte für eine Dauer von zehn Jahren aberkannt. Eine Auslieferung an Deutschland war seinerzeit - da Verbeke belgischer Staatsbürger ist - abgelehnt worden. : Der britische Publizist David Irving, der 1993 in Deutschland wegen Leugnung der Massenvergasungen in Auschwitz zu einer Geldstrafe verurteilt und unbefristet ausgewiesen worden war, wurde am 11. November 2005 in Österreich auf Grund eines Haftbefehls des Landgerichts Wien von 1989 in Untersuchungshaft genommen. Revisionist aus NRW verurteilt Der ehemalige Vorsitzende der eher unbedeutenden 'Vereinigung Gesamtdeutsche Politik e.V.' (VGP) mit Sitz in Remscheid, Ernst Günter Kögel, wurde am 11. August 2005 vom Amtsgericht Remscheid wegen Volksverhetzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Gesamtfreiheitsstrafe 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 erfolgte unter Anrechnung einer bereits im November 2004 wegen Volksverhetzung verhängten 15-monatigen Freiheitsstrafe. Da sich Kögel während der Verhandlung erneut erheblich volksverhetzend äußerte, wurde seitens der Staatsanwaltschaft die Einleitung eines weiteren Strafverfahrens angekündigt. Horst Mahler bewertete diesen Prozess mit den Worten: "Die vermeintlichen 'Holocaustleugner' gehen zum Angriff über [...]. Die Front der 'schrecklichen Holocaustjuristen' beginnt zu wanken!!". Durchsuchung des Z-Versands Anfang März 2005 und im Juni 2005 wurden Wohnung und Geschäftsräume eines bekannten Rechtsextremisten und Betreibers des rechtsgerichteten 'Z-Versands' durchsucht. Grund der Durchsuchung war der gegen den Inhaber des Versands bestehende Verdacht, Flugblätter der so genannten 'Reichsbürgerbewegung zur Befreiung Deutschlands' (RBB) verbreitet zu haben. Verfasser der Flugblätter ist der bekannte Rechtsextremist Horst Mahler. Ziel der 'Reichsbürgerbewegung' ist es, über einen "allgemeinen Volksaufstand der Reichsbürger" die "Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches durch einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk" zu erreichen. Die Inhalte der Flugblätter "Das Deutsche Reich wird wieder handlungsfähig" und "Eine Million Flugblätter warten auf den Angriff" begründen den Verdacht der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gemäß SS 90a StGB sowie der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen gemäß SS 86 StGB. Ausblick Trotz verstärkter Exekutivmaßnahmen gegen mehrere Protagonisten ist der Revisionismus nach wie vor ein zentrales Themenfeld rechtsextremistischer Agitation. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die die Ereignisse des Nationalsozialismus erlebt haben. Die Revisionisten nutzen dies und das nach wie oft nur bruchstückhafte Wissen über Faschismus und Nationalsozialismus für ihre Agitation. Dies erfordert auch weiterhin eine intensive Auseinandersetzung mit und Aufklärung über revisionistische Propaganda in allen gesellschaftlichen Bereichen. 3.12 Die "Neue Rechte" als intellektuelle Strömung innerhalb des Rechtsextremismus Die "Neue Rechte" ist eine in den 60er Jahren in Anlehnung an die französische 'Nouvelle Droite' und ihren Vordenker Alain de Benoist entstandene geistig-politische Strömung, die sich als "Gegenmodell" zur Studentenbewegung von 1968, der "Neuen Lin78 Rechtsextremismus ken", verstand. Die Neue Rechte ist eine Strömung innerhalb des Rechtsextremismus, die sich von den rückwärtsgewandten, theoriefeindlichen Vertretern der Alten Rechten abgrenzt und stattdessen insbesondere auf autoritäre und elitäre Denkschulen der "Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik (Carl Schmitt, Ernst Jünger, Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Edgar Julius Jung und andere) zurückgreift. Die Neue Rechte kennzeichnen vor allem ideologische, strategische und strukturelle Merkmale, wie ihr intellektueller Anspruch und der gezielte Versuch, gesellschaftliche Diskurse zu prägen und Begriffe zu besetzen. Mit dieser Strategie der "kulturellen Hegemonie" orientiert sie sich an dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891-1937), der dieses Konzept während seiner elfjährigen Haft im Mussolini-Faschismus entworfen hat. Wie Gramsci will die Neue Rechte zunächst Elitendiskurse prägen, um auf dieser Basis für ihre neurechten Positionen in der breiten gesellschaftlichen Diskussion eine Akzeptanz zu finden und die öffentliche Meinung langfristig zu dominieren. Dabei ist sie auch stets um eine "Erosion der Abgrenzung" bemüht; das heißt, sie verwischt ganz gezielt die Grenzen zwischen dem demokratischen und dem rechtsextremistischen Spektrum. Die Strategie der Neuen Rechten ist somit darauf gerichtet, zuerst die Meinungsführerschaft zu erringen, um damit eine Grundlage für Erfolge rechtsextremistischer Parteien zu schaffen und die rechte Stimmung längerfristig in Wahlanteile, Parlamentssitze und Regierungsverantwortung umzumünzen. Wesentliche ideologische Elemente der Neuen Rechten sind: : Ablehnung des Parlamentarismus und der parlamentarischen Demokratie in Anlehnung an die Theorien der führenden Köpfe der "Konservativen Revolution" aus der Zeit der Weimarer Republik und damit an die geistigen Wegbereiter und Stichwortgeber des Nationalsozialismus; : Rückgriff auf Ideengeber des Faschismus; : Verunglimpfung der Entstehung der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes; : Revisionismus sowie Verharmlosung des NS-Regimes und seiner Verbrechen; : Bestrebungen gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Aktivisten der Neuen Rechten sind in Diskussionsrunden und Gesprächskreisen sowie im Umfeld publizistischer Projekte präsent. Dabei müssen die jeweiligen Gesprächsgruppen und publizistischen Projekte nicht in ihrer Gesamtheit rechtsextremistisch sein, sie bieten aber tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung. In der Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang über die Wochenzeitung 'Junge Freiheit' (JF) berichtet worden. Die Einordnung der 'Jungen Freiheit' als ein solches 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Projekt ist Gegenstand des von der JF angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegen die (erstmalige) Berichterstattung über sie in den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzberichten 1994 und 1995. Nachdem die Verwaltungsgerichte die Klage abgewiesen hatten, verwies das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde der JF hin das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück, ohne die Berichterstattung in den Jahren 1994 und 1995 unmittelbar zu beanstanden. Das Verfahren ist derzeit beim Düsseldorfer Verwaltungsgericht anhängig (siehe hierzu auch den Beitrag im Verfassungsschutzbericht NRW über das Jahr 2004; Kapitel 2.1, Seite 35). 3.12.1 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (NE) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Herausgeber Peter Dehoust und Harald Neubauer Verlag Nation Europa Verlag GmbH Coburg Erscheinungsweise monatlich; Auflage 18.000 Internet Eigene Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Bei dem 'Nation Europa Verlag GmbH Coburg' bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels), die sich auf die Herausgabe der Monatsschrift 'Nation & Europa' gründen. Die Zeitschrift enthält Beiträge, die rechtsextremistische Positionen wiedergeben; sie fungiert damit als publizistische Klammer für das rechtsextremistische Spektrum. Die 'Gesellschaft für freie Publizistik' (GfP) würdigt diese Funktion mit einem Artikel unter der Überschrift "Auf dem richtigen Weg", veröffentlicht von 'Nation & Europa' in der Ausgabe 7-8/2005: "Mit ihrem unnachgiebigen Eintreten für die Interessen unseres Volkes und die Gemeinschaft der europäischen Brudervölker ist NE den Kettenhunden des etablierten Parteienkartells schon lange verdächtig. So hat sich in den Verfassungsschutzberichten die stereotype Formel durchgesetzt, NE sei das 'zur Zeit wichtigste rechtsextremistische Theorieund Strategieorgan in der Bundesrepublik'. Ein solches Urteil darf man wohl als Kompliment werten, kommt es doch von einer Behörde, deren Name schon der reinste Etikettenschwindel ist. Seinen Leserinnen und Lesern im Inund 80 Rechtsextremismus Ausland bietet 'Nation & Europa' zehnmal jährlich auf 80 bis 96 Seiten eine in dieser Kombination einzigartige Lektüre: Theorie und Strategie, bissige und immer treffsichere Kommentare zum gegenwärtigen Geschehen, der 'Schweigespirale' entrissene Nachrichten und Fakten [...]." Wie schon 2004 war auch im Jahr 2005 ein wesentliches Thema das von der NPD propagierte Konzept einer "Volksfront von rechts". In diesem Sinne wird in einem Beitrag unter der Überschrift "9,2 und 1,9 Prozent" in der Ausgabe 4/2005 von NE für eine Einigung des rechtsextremistischen Lagers geworben. Im Zusammenhang mit dem schlechten Abschneiden der Republikaner bei der Landtagswahl NRW 2005 begrüßt der inzwischen verstorbene, ehemalige REP-Bundesvorsitzende Schönhuber in seinem Beitrag unter der Überschrift "Sammelt Euch!" (NE Ausgabe 7-8/2005) die Einigung. Es sei ein "Signal der Hoffnung und Zeichen der Lernfähigkeit, daß es gut zehn Jahre nach dem ersten Versuch nunmehr zwischen NPD und DVU zu einem Wahlbündnis kam. Für ehrliche Patrioten bei den Republikanern, und das sind nicht wenige, gibt es nun einen Weg: dem Treiben der Schlierers und Winkelsetts ein Ende zu bereiten und sich dem nationalen Bündnis anzuschließen." Auch der NE-Herausgeber Neubauer kommt in seinem Beitrag "Kein Grund zur Resignation" (NE 10/2005) zu folgendem Schluss: "Die deutsche Rechte hat nach diesen Bundestagswahlen keinen Grund zum Jubel, muß sich aber auch nicht wie Nation & Europa, ein geprügelter Hund verstecken. [...] Die Republikaner erAusgabe 10/2005 reichten 0,6% und mußten in sämtlichen Bundesländern der NPD den Vortritt lassen. Damit ist der ebenso langjährige wie überflüssige Konkurrenzkampf wohl endgültig entschieden. Es bedarf nun einer weiteren Kräftekonzentration." Bemerkenswert sind kommentierende Beiträge im Zusammenhang mit der Gedenkveranstaltung anlässlich der Bombardierung Dresdens im Jahr 1945. In seinem Beitrag "Streit um Dresden-Gedenken" (NE 2/2005) erhebt der sächsische Landtagsabgeordnete der NPD, Jürgen Gansel, den Vorwurf: "Die toten Juden des Zweiten Weltkriegs werden propagandistisch instrumentalisiert, um dem deutschen Volk die Erinnerung an seine eigenen Opfer zu versperren." Noch viel deutlicher äußert sich der Mitarbeiter der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, Karl Richter, in seinem Beitrag "Die 'Holocaust'-Keule" (NE 3/2005): "Solange es Juden gibt, haben sie ein Problem mit ihrer Umwelt. Daran ist nicht nur der 'Antisemitismus' der Nichtjuden schuld - bei dem es sich korrekterweise um 'Anti81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 judaimus' handelt - sondern mindestens im gleichen Maße der Exklusivitätsanspruch der Juden selbst. Nirgendwo steht freilich geschrieben, daß sich Deutsche mit ihrer Sonderrolle als Dauer-Bösewichte in der neuen Holocaust-Religion abfinden müßten. Der Schuldkult erheischt den Rang einer neudeutschen Staatsdoktrin. Er ist Gift für jedwede aktive Zukunftsgestaltung. Vor dieser Folie wird deutlich, daß und warum die von der NPD im Sächsischen Landtag initiierte Debatte um den 'Bomben-Holocaust' von Dresden richtig und wichtig war." Dank dem "historischen Verdienst" der NPDWortergreifung zeigten sich "Haarrisse" im "Beton der Vergangenheitsbewältigung". 3.13 Der Schlesier :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1948 Herausgeber, Verleger und Chefredakteur Hans-Joachim Ilgner, Recklinghausen Erscheinungsweise wöchentlich; Auflage 12.000 (Eigenangabe) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Nach wie vor bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW; siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Die Zeitschrift dient dem 'Zentralrat der vertriebenen Deutschen e.V.' (ZvD) als Sprachrohr. Der Vorsitzende des ZvD, Herbert Jeschioro, ist Autor zahlreicher Beiträge und Kolumnen im 'Schlesier'. Einer der Themenschwerpunkte der Zeitschrift ist der Versuch der Relativierung der Verbrechen des NS-Regimes. So behauptet ein Stammautor: "Als Entschuldigung für die Vertreibung wird oft angeführt, daß Deutschland den Krieg angefangen hat. Dies kann jedoch nur von Geschichtsanalphabeten und Pisageschädigten geglaubt werden oder von Politikern, die ihren Treueid auf die siegreichen Alliierten geschworen haben." (Ausgabe 26-27/2005) Ein weiterer Autor schreibt: "Je mehr Zeitzeugen ihr biologisches Ende finden, um so dreister werden Lügen über angebliche deutsche Kriegsverbrechen, die sich bei näherem Hinsehen als Vergeltungsmaßnahmen gegen heimtückische Partisanenüberfälle entpuppen." (Ausgabe 23/2005). Und in Ausgabe 18/2005 heißt es: "Die NS-Ideologie war keineswegs originell und das NS-Regime war weder der Erfinder noch das einzige Regime, daß sich 82 Rechtsextremismus solcher Untaten bedient hat. Solche Grausamkeiten werden in vielen Teilen der Welt - auch von Regierungen so genannter zivilisierten Staaten - auch heute noch verübt." 'Der Schlesier' setzte im Jahr 2005 seine rechtsextremistische Agitation gegen die Legitimität des demokratischen Systems in Deutschland fort. Wiederholt wird Deutschland als weisungsgebundener Unrechtsstaat der alliierten Siegermächte dargestellt, der von jahrelanger Umerziehung geprägt sei. So erklärt ein Stammautor die angebliche Umerziehung des "gesamten Volkes als diabolische Attacke nach Maßgabe von Bolschewisten (Berija) und Frankfurter Schule" durch die alliierten Siegermächte: "Durch Dauerberieselung, Einpflanzung eines Dauer-Schuld-Sühnenkomplexes, auch mit Hilfe deutscher Politiker! Verteufelung der gesamten deutschen Geschichte - eine psychische Kastration! Radikale Umkrempelung des gesamten Erziehungswesens, einschließlich des Lehrkörpers! Umschreibung der Lehrbücher, besonders der Geschichte! Vergabe von Lizenzen für Buch-, Zeitschriften und Zeitungsverlage, Film, Theater usw. nur an ganz zuverlässige Ausgesuchte! [...] Es wird der Tag kommen, wo die Vasallen und Geschichtsfälscher unserer Politiker vom Sockel gefegt werden, man wird sich ihrer Namen aber erinnern, mit welcher Heuchelei sie das eigene Volk in den Schmutz gezogen haben. Die Erinnerung wird aber nur Verachtung sein." (Ausgabe 38/2005) Bei einer Klage des ZvD gegen das Innenministerium NRW wegen der angeblich rechtswidrigen und diffamierenden Erwähnung des ZvD im Verfassungsschutzbericht 2003 des Landes NRW benutzt Jeschioro das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde der 'Jungen Freiheit', um gegen den angeblichen Missbrauch des demokratischen Rechtssystems und den Verfassungsschutz zu agitieren. Dies thematisiert er auch in einem Beitrag in der Ausgabe 33/2005 des 'Schlesiers' unter der Überschrift "Zwischen Pest und Cholera": "Nicht zuletzt haben die obersten Hüter unserer grundgesetzlichen Rechtsordnung - auf Grund der Klage der 'Jungen Freiheit' - dafür gesorgt, diesem parteipolitisch geförderten Mißbrauch das Leben schwerer zu machen. Langsam, aber sicher kommt es mit Hilfe unserer obersten Verfassungshüter an den Tag, unter welchem Mißbrauch an unserem freiheitlich demokratischen Rechtssystem manche glaubten, sich widerrechtlich mästen zu können, Rufmord zu betreiben und eines Rechtsstaates unwürdig unschuldige Menschen grundlos beschuldigen zu dürfen. [...] Es sind die Visagen der Täter, die zynisch die Verbrechen an Millionen deutschen Vertriebenen als selbstverschuldet darzustellen versuchen, indem sie leugnen, relativieren und aufrechnen und 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 damit zu Mitteln greifen, für die sie andere verleumderisch in ihre 'Verfassungsschutzberichte' bringen." Auch im Jahr 2005 finden sich Beiträge, die eine wiederholte fremdenfeindliche Agitation zum Inhalt haben. Behauptete fehlende Integrationswilligkeit und -fähigkeit in Deutschland lebender Ausländer werden als Gefahr und Ursache für einen drohenden Untergang des Deutschen Volkes gesehen. So behauptet ein Stammautor: "Die aufgezwungene Immigration als Mittel des Bevölkerungsaustausches ist ein Werk der USBesatzungsmacht, die Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges mit anderen Mitteln." Dies führe zum Untergang des deutschen Staates (Ausgabe 15/2005). Gründe hierfür sind einem weiteren Stammautor zufolge fehlende beziehungsweise verweigerte Integration hier lebender Ausländer, "zumal es schon sehr bedenkliche Auswüchse durch multikulturelle Rituale und perverse familiären unmenschlichen Multi-Kulti-Brauchtum in unserem Land gibt". (Ausgabe 26-27/2005; Fehler im Original) In seinem Beitrag mit dem Titel "Vom Traum einer ausländerfreien Welt" kommt er zu folgendem Schluss: "Das Verderben entwurzelter Zuwanderer in Deutschland sollte nicht länger von unglücklichen Deutschen zwangsfinanziert und damit zwangsertragen werden müssen, nur damit die Doktrinen wie zum Beispiel der afro-asiatischen Mischrasse oder der Ausrottung der Deutschen bedient werden. Der Wahn hat seine Zeit gehabt, er kann gehen, der Mißbrauch der Zuwanderer und der Zwangsbeglückten (gegeneinander) muß jetzt enden! Schluß mit der Zuwanderung und den anderen Tricks gegen die Deutschen." (Ausgabe 1/2005) 3.14 Rechtsextremismus im Internet Das Internet stellt ein wichtiges Kommunikationsund Informationsmittel für Rechtsextremisten dar. Gleichzeitig wird es von ihnen als Propagandaund Selbstdarstellungsplattform genutzt. Der geringe Kostenaufwand für eine Internetveröffentlichung begünstigt auch bei Rechtsextremisten den Trend, das Internet verstärkt zur Publikation von Informationen zu nutzen. Gleichzeitig erhöht die zunehmende Verbreitung von Internetzugängen die Breitenwirkung. Viele Parteien und Organisationen, aber auch Privatpersonen des rechtsextremistischen Spektrums unterhalten eine eigene Homepage. Es gibt etwa 1.000 deutschsprachige Homepages mit rechtsextremistischen Inhalten bundesweit. Die inhaltliche Ausrichtung rechtsextremistisch motivierter Internetpräsenz ist vielschichtig. Sie reicht von Seiten, die offen strafrechtlich relevante Inhalte präsentieren, bis zu Seiten, deren rechtsextremistischer Hintergrund nur schwer erkennbar ist. Insbesondere auf revisionistischen Seiten wird versucht, über ein pseudowissenschaft84 Rechtsextremismus liches Erscheinungsbild die wahren Absichten - Verharmlosung beziehungsweise Leugnung des Holocaust - zu verschleiern. Auch audiovisuelle Elemente finden Einzug in das rechtsextremistische Internetangebot. Einschlägige Szene-Musik und Videoclips - diese insbesondere im Zusammenhang mit der Nachbereitung von Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene - sind inzwischen vermehrt Bestandteile rechtsextremistischer Homepages. Multimediale Elemente sorgen einerseits für eine allgemeine Attraktivitätssteigerung der Seiten, andererseits dient insbesondere das Medium Musik verstärkt auch der Werbung von Szene-Nachwuchs. Rechtsextremistische Vertriebe und Versandhandel im Internet Produzenten und Vertreiber von Szene-Musik nutzen überwiegend das Internet zu Geschäftszwecken. Hauptgründe sind neben geringen logistischen Anforderungen vor allem finanzielle Aspekte wie stark reduzierte Personalund Mietkosten. Hierbei greifen sie aktuelle Trends auf. So werden sowohl Handylogos als auch Handy-Klingeltöne mit Liedern bekannter Szene-Bands gegen Entgelt angeboten. Ferner können Musik-Alben kostenpflichtig im Speicherplatz sparenden MP3-Format heruntergeladen werden. Das Angebot des Versandhandels umfasst neben - teilweise in Eigenproduktion hergestellten - Tonträgern mit Musik rechtsextremistischer Bands und Liedermacher vor allem Textilien und Artikel mit heidnisch-germanischen Bezügen. Ein Großteil der Umsätze entfällt inzwischen auf den Verkauf von Szene-Bekleidung. Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf Hacking-Attacken Im Jahr 2005 wurden vermehrt Hacker-Angriffe auf Internetseiten rechtsextremistischer Musikvertriebe festgestellt. Hierüber wurde auch in Internetforen der rechtsextremistischen Szene diskutiert, insbesondere über die Tatsache, dass die "gehackten" Kundendaten im Internet veröffentlicht worden waren. Einige Nutzer des auch von Protagonisten der rechtsextremistischen Szene genutzten 'Freien Forums' zeigten sich angesichts der Veröffentlichung ihrer Namen und Adressen erheblich verunsichert und befürchteten Übergriffe durch Antifa-Gruppen. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde zum Boykott rechter Internetvertriebe aufgerufen, die ihre Kundendaten auf einem Server ablegen und somit der Gefahr aussetzen, dass diese Daten durch Hacker gestohlen werden können. 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Wiederholte Verbreitung tendenziell rechtsextremistischer Propaganda-Mails Bereits im Vorfeld der Europawahl im Juni 2004 wurde durch das Trojanische Pferd Sober.H eine Flut rechtsextremistischer E-Mails verursacht (siehe Beitrag im Jahresbericht 2004). Seit Mai 2005 wurde erneut eine zeitlich begrenzte Verbreitung von E-Mails mit fremdenfeindlichen Inhalten festgestellt. Die Grundlage für die erneute Flut dieser E-Mails bildete der als "WM-Ticket-Wurm" bekannt gewordene Internetwurm Sober.O, der Anfang Mai 2005 während des TicketVerkaufs für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 für Aufsehen sorgte. Der Nachrichtentext der E-Mail, die den Wurm als Anhang enthielt, täuschte den Empfängern vor, bei der Verlosung der Tickets erfolgreich gewesen zu sein. Eine gefälschte Absenderadresse erweckte den Eindruck, die Mail stamme vom Organisationskomitee beziehungsweise der Fifa. Gleichzeitig wurden im Nachrichtentext Namen und Telefonnummern von Ansprechpartnern des Organisationskomitees genannt, damit die Nachricht glaubwürdig erschien. Durch die Aufforderung, weitere Details zu den Ticketdaten dem Anhang der E-Mail zu entnehmen, wurde der gutgläubige Empfänger veranlasst, die angehängte Datei zu öffnen und damit den eigenen Rechner mit dem Wurm zu infizieren. Der weitere technische Ablauf war mit der bereits im Jahr 2004 erfolgten Aktion vergleichbar: Durch eine Zeitsteuerung lud Sober.O seinen "Nachfolger" Sober.P am 11. Mai 2005 aus dem Internet nach und installierte ihn. Am 15. Mai 2005 startete dann der erneute Massenversand rechtsextremistischer Mails. Die durch Sober.P versandten Mails enthielten Betreffzeilen wie : "Multi-Kulturell=Multi-Kriminell"; : "Verbrechen an der Deutschen Frau"; : "Auslaender bevorzugt"; : "Deutsche Buerger trauen sich nicht [...]"; : "Deutsche werden kuenftig beim Arzt abgezockt"; : "4,8 Millionen Osteuropaeer durch Fischer-Vollmer-Erlass". Die enthaltenen Links verweisen auf rechtsextremistische Internetseiten, aber auch auf Artikel seriöser Nachrichtenquellen. 86 Rechtsextremismus 3.15 Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten Das gesellschaftliche Problem "Rechtsextremismus" macht staatliches Handeln in vielen Bereichen erforderlich. Ein - wenn auch kleiner aber wesentlicher - Baustein in der Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nach wie vor das im Juli 2001 gestartete Aussteigerprogramm. Mit dem Programm sollen die zahlreichen präventiven behördlichen Maßnahmen durch das Angebot an Rechtsextremisten ergänzt werden, die rechtsextremistische Szene mit staatlicher Hilfe wieder verlassen zu können. Einem demokratischen Rechtsstaat kommt nicht allein die Aufgabe zu, ein Abgleiten in die rechtextremistische Szene zu verhindern; er muss auch die Ausstiegswilligen unterstützen. Das Spektrum der Ausstiegshilfen ist breit und richtet sich nach den Anforderungen im Einzelfall. Es umfasst unter anderem intensive Beratungsgespräche, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei Qualifizierungsmaßnahmen (beispielsweise bei der Erlangung des Führerscheins oder eines Ausbildungsabschlusses), psychologische Hilfe, die Eingliederung in Entziehungsmaßnahmen, die Hilfe bei Familienzusammenführung, Umzugshilfen und Haftbetreuung. Die für eine erste Kontaktaufnahme bei der Staatskanzlei geschaltete Hotline wird seit dem Jahr 2003 nachhaltig auch durch das Instrument der aktiven Ansprache ergänzt. Neben dem Verfassungsschutz hat insbesondere die Polizei Rechtsextremisten, die als Mitläufer, Aktivisten oder Führungspersonen der rechtsextremistischen Szene angehörten, auf die Möglichkeit des Ausstiegs hingewiesen. Aufgrund der gemeinsamen Anstrengungen von Verfassungsschutz und Polizei konnten bis Ende des Jahres 2005 insgesamt über 90 überwiegend straffällig in Erscheinung getretene 20bis 30jährige Personen in das Programm aufgenommen werden. Sie sind zumeist arbeitslos und stammen aus belasteten Familienverhältnissen. Einige von ihnen haben die rechtsextremistische Szene endgültig verlassen können. Da ein Viertel der Ausstiegswilligen sich aus der Haft heraus für das Programm beworben haben, führt der Verfassungsschutz verstärkt Vortragsveranstaltungen in Justizvollzugsanstalten durch. Im Vordergrund dieser Veranstaltungen steht das Bemühen, Sozialarbeiter und sonstige Betreuer als Werber für das Aussteigerprogramm zu gewinnen. Neben dem Ausbau der Informationsstränge zu den Kommunen, denen bei der Umsetzung dieses Programms eine bedeutende Unterstützerrolle zukommt, wird an einem regelmäßigen Informationsaustausch im Wege von Arbeitstagungen zwischen Verfassungsschutz, Staatsschutzstellen der Polizei, den Aussteigerbetreuern und der AJS (Arbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz Landesstelle NRW e.V.) gearbeitet. Insgesamt zeigt sich, dass im Kampf gegen den Rechtsextremismus Aufklärung und die intensive Zusammenarbeit verschiedenster öffentlicher Stellen unverzichtbare Bausteine sind. 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 88 Linksextremismus 4 Linksextremismus2 4.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung NRW Bund 1968 1968 Sitz Essen Bez. Ruhr Westfalen Essen Bez. Rheinland Westfalen Leverkusen Vorsitzende Heinz Stehr Bez. Ruhr Westfalen Patrik Köbele Bez. Rheinland Westfalen Anne Frohnweiler Mitglieder 2005 ca. 1.500 weniger als 4.500 2004 ca. 1.500 ca. 4.500 Publikationen 'unsere zeit' (uz), wöchentliche Auflage ca. 8.000; 'Marxistische Blätter', zweimonatliche Auflage ca. 3.000 Internet Homepage des DKP Parteivorstands seit Februar 1997 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) ist die Kernorganisation der als "orthodox kommunistisch" einzuordnenden Richtungen des Linksextremismus. Sie selbst versteht sich seit ihrer Gründung 1968 als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen 'Kommunistischen Partei Deutschlands' (KPD). 2 Zur Erfüllung seiner Funktion als Frühwarnsystem in der wehrhaften Demokratie ist der Verfassungsschutz durch das Verfassungsschutzgesetz NRW berechtigt, über eine Organisation zu berichten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliegen. Für eine Berichterstattung ist es nicht Voraussetzung, dass sich Verdachtsmomente bis zur Einschätzung als "verfassungsfeindlich" verdichtet haben. Soweit nur Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, wird dies ausdrücklich hervorgehoben. 89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Sie bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum Marxismus-Leninismus und strebt unverändert eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. Die DKP verfolgt als taktische Ziele, die kommunistische Weltanschauung in sozialen Bewegungen zu verbreiten, in pluralistischen Bündnissen präsent zu sein und den außerparlamentarischen Kampf zu unterstützen. Damit liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der DKP um eine linksextremistische Bestrebung im Sinne des SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW handelt. Sie hält am Sozialismus als unverrückbarem Ziel des Handelns fest. So spricht bereits die Präambel der inzwischen vorgelegten Ausarbeitung zum Programmentwurf davon, die "Mehrheit des arbeitenden Volkes für den Sozialismus als Ziel zu gewinnen sowie die Arbeiterklasse und die anderen Werktätigen auf den Kampf für dieses Ziel vorzubereiten". Programmdebatte in der DKP hält an Seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sucht die DKP in langwierigen innerparteilichen Diskussionen nach einer programmatischen Antwort auf die eingetretenen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Schwierigkeit einer einvernehmlichen Programmdebatte liegt vor allem in Selbstverständnisfragen, die von westund ostdeutschen Parteimitgliedern unterschiedlich beantwortet wurden. Daher beschloss der Parteivorstand im Juni 2004, eine ihm direkt verantwortliche Autorengruppe zur Programmerarbeitung einzusetzen. Diese hat ihr Arbeitsergebnis dem Parteivorstand anlässlich der 1. Tagung des 17. Parteitags der DKP am 12./13. Februar 2005 in Duisburg übergeben. Wesentliche Grundlagen waren die "Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP" aus dem Jahr 1993, die "Sozialismusvorstellungen" der DKP (Beschluss des 14. Parteitags der DKP vom 22. - 24. Mai 1998 in Hannover) und der Beschluss des 15. Parteitages der DKP vom 2. - 4. Juni 2000 in Duisburg "DKP - Partei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute" (uz Nr. 7 vom 18. Februar 2005). Der Parteivorstand hat die "Ausarbeitung zum Programmentwurf als Diskussionsgrundlage" in der Parteizeitung (uz Nr. 13 vom 1. April 2005) veröffentlicht, um sie in der Partei umfassend zu diskutieren. Eine Beschlussfassung ist für die zweite Tagung des 17. Parteitags am 8. April 2006 vorgesehen. Die Ausarbeitung stellt unter anderem die Themen "Globalisierung", "Transnationales Kontrollregime", "Krieg und neuer Kolonialismus" und "das Klassenprojekt des Neoliberalismus" als Ausprägungen eines heutigen Imperialismus dar. Ein anderes Europa sei möglich, jedoch mache "der imperialistische Charakter der EU-Konstrukti90 Linksextremismus on" jede Erwartung illusorisch, dieses "ohne grundlegenden Umbruch in den gesellschaftlichen Verhältnissen" zu erreichen. Bezogen auf den "deutschen Imperialismus" wird festgestellt: "Militärische Gewalt und Krieg sind wieder Mittel deutscher Außenpolitik. [...] Eine andere Gesellschaftsordnung ist daher nötig - und diese ist der Sozialismus [...] als historische Alternative zum Kapitalismus". Das Scheitern des Sozialismus in den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes sei das "Ergebnis der äußeren und inneren Konterrevolution". Die Ausarbeitung nennt 15 konkrete Ziele, für die die DKP "heute kämpft". Sie umfassen ein weites Spektrum, darunter: Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung, Asyl, direkte Demokratie, Verteidigung demokratischer Rechte, Verbot faschistischer Organisationen, ökologische Reformen, Fortschritte in der Frauenbefreiung, aber auch "Überführung der Banken und Versicherungskonzerne sowie der produktionsund marktbeherrschenden Konzerne in demokratisch kontrolliertes, öffentliches Eigentum". Nach einer Abhandlung über die "Kräfte des Widerstandes und des Fortschritts", zu denen sie neben der "entscheidenden Kraft der Arbeiterklasse" auch die Gewerkschaften und linke Parteien zählt, bilanziert die DKP, dass nur sie als "revolutionäre, kommunistische Partei" die Gesamtinteressen der Arbeiterklasse vertrete. uz-Pressefest 2005 in Dortmund Das Publikationsorgan 'unsere zeit' veranstaltet im Zwei-Jahres-Rhythmus sein "Pressefest" im Revierpark Wischlingen in Dortmund. Für die DKP ist es "das größte Fest der Linken in Deutschland" und eine der wenigen Möglichkeiten, sich einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren sowie die finanzielle Situation zu verbessern. Der Zeitung dient das Fest gleichzeitig dazu, sich bekannt zu machen, neue Abonnenten zu gewinnen und so die Überlebensfähigkeit der Zeitung zu sichern. Im Vorlauf des Pressefestes wurde bereits am 1. September 2004 eine Werbekampagne "Leser Aktion 2004/2005 - Die uz muss Wochenzeitung bleiben!" gestartet. Als Ziel hatte der Parteivorstand festgelegt, bis zum uz-Pressefest 700 Abonnenten hinzuzugewinnen. Das 14. uz-Pressefest vom 24. bis 26. Juni 2005 im Revierpark Wischlingen in Dortmund fand bei besten Witterungsbedingungen einen regen Zuspruch in der Bevölkerung. Zwischen 6.000 und 8.000 Besucher wurden jeweils an den drei Veranstaltungstagen gezählt, so dass sich das Zuschauerinteresse in etwa mit dem Fest im Jahr 2003 vergleichen lässt. Dass die DKP in eigenen Verlautbarungen von insgesamt 50.000 Besuchern spricht, ist demgegenüber als übertrieben anzusehen und eher Bestandteil einer Vermarktungsstrategie. 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 20C Poster und Programm zum Fest der DKP am 24.-26. Juni 2003 in Dortmund 92 Linksextremismus Das breite Kulturprogramm sorgte für einen guten Zulauf, so dass auch Diskussionsveranstaltungen mit Podiumsteilnehmern aus linken Parteien, Gewerkschaften und Initiativen entsprechende Beachtung fanden. Vertreter von 22 kommunistischen und anderen revolutionären Parteien wurden als Gäste ebenso begrüßt, wie über 100 Initiativen, die sich mit Ständen darstellten. Auch wenn an den drei Veranstaltungstagen insgesamt 20.000 Besucher verzeichnet wurden, bleibt doch festzustellen, dass die Mehrzahl der Teilnehmer aus dem bürgerlichen Spektrum stammte und wegen des kulturellen Programms und nicht wegen der politischen Aussagen der DKP gekommen war. Soziale Proteste Die DKP setzt mittlerweile einen Arbeitsschwerpunkt auf die Mitwirkung in der Bewegung gegen die "kapitalistische Globalisierung" und gegen den "Sozialkahlschlag". Laut der "Diskussionsgrundlage des Parteiprogramms der DKP" sieht es die DKP als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Formierung solcher Bewegungen zu leisten und dabei ihre Klassenpositionen über notwendige künftige Entwicklungen zum Sozialismus als gesellschaftliche Alternative einzubringen. Sie sieht sich dabei als integraler Bestandteil dieser Protestbewegung mit der Parteiaufgabe, bei der Organisierung des Widerstands mitzuarbeiten, vereinheitlichend zu wirken und die Eigentumsfrage als Grundfrage der Bewegung hervorzuheben. Entscheidend sei es für sie dabei, neben der eigenen Stärkung zur Verbreiterung der Protestbewegung beizutragen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen zusammenzubringen sowie die Systemfrage zu stellen. Beteiligung an den Wahlen 2005 An der Landtagswahl in NRW am 22. Mai 2005 hat sich die DKP nicht beteiligt, da sie sich bei realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten keine Aussichten auf ein achtbares Ergebnis ausrechnete und in vielen Wahlbezirken sogar Probleme gehabt hätte, die notwendigen Unterstützungsunterschriften für eine Kandidatur zu erhalten. Sie hat punktuell die PDS unterstützt, auf eine förmliche Unterstützung auf Landesebene jedoch verzichtet. Aus denselben Gründen hat die DKP auch von einer Kandidatur bei der Bundestagswahl am 18. September 2005 abgesehen, dabei jedoch zur Wahl der 'Linkspartei.PDS' aufgerufen. Die DKP hat seit 1990 mit Ausnahme der Europawahl 2004 (Ergebnis NRW: 6.769 Stimmen = 0,1%, bundesweit: 37.160 Stimmen = 0,1%) nicht selbstständig an bundesweiten Wahlen teilgenommen. Es bleibe politischer Ansatz der DKP, die Bündelung aller linken Kräfte voranzutreiben und so vor allem über außerparlamentarische Bewegungen einen Politikwechsel anzustreben. Entsprechend hätte die DKP zur Europa93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 wahl 2004 einem Wahlbündnis aller linken Kräfte den Vorrang vor einer Eigenkandidatur gegeben, was aber trotz eigener Bemühungen wieder nicht realisierbar gewesen sei. Deshalb begrüße der Parteivorstand der DKP "den Prozess der Herausbildung eines linken Wahlbündnisses, die Sammlung und Bündelung aller linken Kräfte zu den Bundestagswahlen" und unterstütze und bekräftige dies. Die DKP arbeite "für die Entstehung eines Wahlbündnisses, das über PDS und WASG hinausgeht und Vertreterinnen und Vertreter anderer Organisationen - unter Einschluss der DKP -, sozialer Bewegungen und Einzelpersönlichkeiten umfasst". Ausgehend von diesen Voraussetzungen beschloss der Parteivorstand am 9. Juli 2005 für die Bundestagswahlen: : Die DKP wird zur Wahl eines linken Wahlbündnisses aufrufen. : In die Gespräche mit PDS und WASG sollen zügig Vorschläge für Kandidatinnen und Kandidaten der DKP auf Landesund Ortsebene eingebracht werden. : Die DKP wird keine Landeslisten in Konkurrenz zu dem Wahlbündnis aufstellen. Das schließe nicht aus, vor Ort über Sinn und Machbarkeit einer Aufstellung von Erststimmenkandidatinnen und -kandidaten der DKP zu beraten und gegebenenfalls zu beschließen. 4.2 Die Linkspartei.PDS - Landesverband Nordrhein-Westfalen :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung Oktober 1990 Sitz Düsseldorf (Landesgeschäftsstelle) Vorsitzende/Sprecher Ulrike Detjen, Paul Schäfer Mitglieder 2005 vermutlich mehr als 1.350 2004 ca. 1.250 Publikationen 'Die Linke.PDS LANDESINFO Nordrhein-Westfalen'; Zeitschriften der Parteigliederungen (zum Beispiel Zeitschriften für regionale Bereiche) Internet eigene Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 94 Linksextremismus Hintergrund Die Bewertung der früheren PDS, die heute als 'Die Linkspartei.PDS' firmiert, bedarf in mehrfacher Hinsicht einer differenzierten Betrachtung. Sie ist hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrundes, ihrer politischen Entwicklung, der inneren Strukturen und ihrer gesellschaftlichen Einbettung ein in der deutschen Geschichte einzigartiges Phänomen. Der vielschichtige Charakter macht es unmöglich, die damit zusammenhängenden Fragen in einem einfachen Ja/Nein-Schema zu beantworten. Ein Blick auf die Entwicklung beleuchtet die Ursachen. Logo der 'Linkspartei.PDS' Durch den Verlust ihrer Macht in der Deutschen Demokratischen Republik war die damalige staatsbeherrschende 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands' (SED) genötigt, sich ideologisch, politisch und organisatorisch auf die neue Situation einzustellen. Sie tat dies durch die Wahl einer neuen Parteispitze, ihre Umbenennung in zunächst 'SED-PDS' (für 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus'), später in PDS, den Bruch mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus (in seiner durch die 'Kommunistische Partei der Sowjetunion' geprägten Form), die Aufgabe ihrer bisherigen leninistischen Parteistruktur und eine - zumindest punktuelle - Orientierung auf bestimmte Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. 1993 gab sich die PDS ein Parteiprogramm, dessen wesentliche Ziele die Überwindung des Kapitalismus in der Bundesrepublik und der Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft waren. Um den sich teilweise widersprechenden Zielen der damaligen Parteiflügel und -strömungen Rechnung zu tragen, war das Programm so allgemein gehalten, dass es sowohl Reformern des bestehenden Gesellschaftssystems Raum bot, als auch denjenigen, die gegen das bestehende Gesellschaftssystem Widerstand leisten und es überwinden wollten. In wesentlichen Fragen, insbesondere ob die gesellschaftlichen Veränderungen parlamentarisch oder außerparlamentarisch erreicht werden sollten, legte sich die Partei durch bewusst offen gehaltene Formulierungen im Parteiprogramm nicht fest. 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Seit Ende der neunziger Jahre wurde in der PDS über ein neues Parteiprogramm diskutiert, da das Programm von 1993 zumindest in Teilen nicht mehr der tatsächlichen politischen Entwicklung entsprach (zum Beispiel durch die Beteiligung der PDS an Landesregierungen). Nach kontrovers geführter Diskussion und innerparteilich sehr strittigen Entwürfen wurde das neue Programm im Oktober 2003 verabschiedet. Es zeigt in wichtigen Teilen eine sich entwickelnde Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Es enthält aber auch Aussagen, die widersprüchlich sind oder sehr unterschiedlich interpretiert werden können. Dazu gehört auch die entscheidende Frage, ob die Partei das Grundgesetz inhaltlich tatsächlich akzeptieren möchte oder ob sie nur dessen Begriffe übernimmt, aber mit eigenen Interpretationen füllt. Im Rahmen der Fusion mit anderen Linkskräften änderte die Partei im Juli 2005 ein weiteres Mal ihren Namen; sie nennt sich nunmehr 'Die Linkspartei'. Auf Bundesebene und in den meisten Landesverbänden führt sie die Zusatzbezeichnung 'PDS' ('Die Linkspartei.PDS'). Als Kurzbezeichnung der Partei wurde 'Die Linke' festgelegt. Gründe für eine Weiterbeobachtung der 'Linkspartei.PDS - Landesverband Nordrhein-Westfalen' Abgesehen davon, dass auch das 2003 verabschiedete Parteiprogramm keine Klarheit hinsichtlich der Vereinbarkeit der politischen Fernziele der 'Linkspartei.PDS' mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gebracht hat, liegen in Nordrhein-Westfalen weiterhin die schon in früheren Verfassungsschutzberichten genannten tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht linksextremistischer Bestrebungen im Sinne des SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW vor (siehe Fußnote am Beginn des Kapitels). Dies hat unter anderem das Verhalten ihres Landesverbandes bei der Kommunalwahl 2004 und der Bundestagswahl 2005 gezeigt. Seit seiner Gründungsphase arbeitet der Landesverband oder zumindest Teile desselben mit der 'Deutschen Kommunistischen Partei' (DKP) zusammen. Auch bestehen vereinzelt Doppelmitgliedschaften in der Linkspartei.PDS' und der DKP. Wie schon bei der Kommunalwahl 2004 wurde auch bei der Bundestagswahl 2005 deutlich, dass sich das Verhältnis der Linkspartei.PDS zur DKP nicht wesentlich verändert hat. Die Situation ist regional unterschiedlich und scheint stark von den persönlichen Verhältnissen vor Ort geprägt zu sein; jedenfalls ist eine Abgrenzung des Landesverbandes von eindeutig extremistischen Positionen der DKP aber nicht zu beobachten. Dies gibt der DKP die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam auf die Kandidatur ihrer Mitglieder auf den offenen Listen der 'Linkspartei.PDS' hinzuweisen. 96 Linksextremismus Mitgliederpublikationen der PDS 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Im Landesverband arbeiten seit der Gründungsphase an maßgeblichen Stellen Personen mit, deren politischer Werdegang in der westdeutschen dogmatischen 'Neuen Linken' begann. Es kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende politische Strukturen weiter wirksam sind. Mal arbeitet der gesamte Landesverband NRW, mal arbeiten Teile von ihm bei bestimmten politischen Themenfeldern kontinuierlich mit linksextremistischen Gruppierungen zusammen. Letztere müssen teilweise dem gewaltbereiten Spektrum zugerechnet werden. Bis heute hat sich der Landesverband NRW der 'Linkspartei.PDS' nicht von eindeutig linksextremistischen Zusammenschlüssen in seinen Reihen getrennt. Diese scheinen aber innerhalb der Partei die Minderheit zu bilden. Auch hat zum Beispiel in Gelsenkirchen die 'Die Linkspartei.PDS' weiterhin keine Berührungsängste gegenüber der MLPD. Seit der Kommunalwahl bilden ihre zwei Vertreter im Stadtrat eine gemeinsame Fraktion mit den über die Liste 'Auf Gelsenkirchen' in den Rat eingezogenen MLPD-Mitgliedern. Um die beabsichtigte Fusion umzusetzen, schlossen die 'Linkspartei.PDS' und die WASG im Dezember 2005 ein Kooperationsabkommen III. In ihm werden wichtige, aus den bisherigen Zielen der 'Linkspartei.PDS' übernommene Inhalte festgeschrieben. Die Partei, die durch die geplante Fusion geschaffen werden soll, strebt - in Anlehnung an Karl Marx - eine Gesellschaft an, "in der die freie Entwicklung einer und eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist". Nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang, dass nach Marx diese angestrebte Gesellschaftsform eine vorherige revolutionäre Umgestaltung voraussetzt. Zur Politik der neuen Partei sollen "Widerstand und Protest ebenso zählen wie der Anspruch auf Mitund Umgestaltung und die Entwicklung über den Kapitalismus hinaus weisender gesellschaftlicher Alternativen". Wie in der 'Linkspartei.PDS' sollen auch in Zukunft "alle Menschen einen Platz haben, die gegen die gegenwärtigen Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand leisten, sie verändern und schrittweise überwinden wollen". Die bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit der politischen Ziele der 'Linkspartei.PDS' mit dem Grundgesetz werden durch das Kooperationsabkommen III somit nicht entkräftet. Organisation des Landesverbandes Nach den von der Bundespartei veröffentlichten Angaben liegt die Mitgliederzahl des Landesverbandes seit 1999 bei rund 1.200. Zum Stand 31. Dezember 2004 gab die Partei als vorläufige Zahl für NRW 1.234 Mitglieder an. In der Vergangenheit waren die Informationen zur Mitgliederzahl häufig widersprüchlich und wurden nachträglich korrigiert. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich der für 2005 behauptete Mitgliederzuwachs bestätigen lässt. Die Organisationsstruktur des Landesverbandes hat sich auch 98 Linksextremismus 2005 kaum geändert. Der Landesverband gliedert sich in 38 Kreisverbände (2004: 36), 16 Basisgruppen (2004: 16), eine Ortsgruppe (2004: keine) und eine Gliederung ohne Organisationsbezeichnung (2004: zwei). Nicht alle Kreisverbände können als handlungsfähig bezeichnet werden. Im Berichtszeitraum war die Partei nicht in der Lage, eine landesweit flächendeckende arbeitsfähige Struktur aufzubauen. Selbstkritisch stellte die Spitze des Landesverbandes nach der Bundestagswahl fest, das Resultat sei durch keine entsprechende Parteistruktur untermauert. Als Ergebnis der Wahl wird die Partei die Zahl ihrer Anlaufpunkte in NRW weiter erhöhen können. Zu den nach der Kommunalwahl eingerichteten Büros kommen weitere Büros der neuen Bundestagsabgeordneten. Die personellen und materiellen Möglichkeiten der Bundestagsfraktion und die Wahlkampfkostenerstattung werden den Handlungsspielraum der 'Linkspartei.PDS' auch in NRW deutlich verbessern. Direkte und starke bundespolitische Bedeutung - die Landtagswahl 2005 Ziel der 'Linkspartei.PDS' bei der Landtagswahl 2005 war es, durch ein gutes Wahlergebnis die Ausgangslage für die Bundestagswahl 2006 zu verbessern. Für eine Rückkehr in den Bundestag in Fraktionsstärke hätte sie unter Berücksichtigung des erhöhten Zuspruchs in Ostdeutschland circa 2% der abgegebenen Wählerstimmen in NRW erlangen müssen. Obwohl sie linksextremistische Konkurrenz mangels Kandidatur von DKP und MLPD nicht fürchten musste, waren die Voraussetzungen für die 'Linkspartei.PDS' nicht optimal. Da sie nur in 116 Wahlkreisen Kandidaten aufstellen konnte, war ein Verlust von Wählerstimmen vorgezeichnet. Zudem konnte sie wegen vorangegangener Querelen nicht mit der offiziellen Unterstützung der DKP rechnen. Darüber hinaus kandidierte mit der Programm der PDS NRW zur neugegründeten WASG erstmalig eine Partei im Landtagswahl 2005 linken politischen Spektrum, die in Teilen dieselben Wählerkreise ansprach. Sie ist allerdings nicht als linksextremistisch einzustufen und wird daher nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Letztlich blieb 'Die Linkspartei.PDS' mit 72.982 Stimmen (0,9%) deutlich unter ihrem bisherigen Höchstergebnis (Bundestagswahl 1998: 131.550 Stimmen) und damit hinter ihrem ursprünglichen Wahlziel zurück. Demgegenüber fiel das Ergebnis der konkurrierenden WASG mit 2,2% eindeutig besser aus. 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Neuwahlen - der Zwang zur gemeinsamen Kandidatur Aus dem Ergebnis der Landtagswahl in NRW konnten weder PDS noch WASG eine sichere Ausgangsbasis für die Bundestagswahl ableiten. Die PDS konnte nicht davon ausgehen, dass der anhaltend fehlende Zuspruch in Westdeutschland im Osten kompensiert würde, während das aus dem Stand erzielte achtbare Ergebnis für die WASG keine Garantie zum bundesweiten Überspringen der 5%-Hürde darstellte. Eine mögliche Zusammenarbeit hätte demgegenüber in der Summe bereits bei der Landtagswahl in drei Kreisen mehr als 5% sowie in weiteren 21 Wahlkreisen mehr als 4% erzielt. Schon vor der Wahl hatten einzelne PDS-Politiker vergeblich versucht, die Diskussion über eine gemeinsame Kandidatur im Jahr 2006 anzustoßen. Solche Gespräche wurden durch die Ankündigung von vorgezogenen Bundestagswahlen im September 2005 und die gleichzeitig in Aussicht gestellte Mitarbeit prominenter Politgrößen doch noch in Gang gesetzt. Schnelle Einigung der bisherigen Konkurrenten Im Ergebnis löste die Landtagswahl in NRW eine Debatte aus, die einen ausgeprägten politischen Anpassungswillen offenbarte. Während im Landtagswahlkampf das Bekenntnis der WASG-Vertreter zu einem reformistischen Konzept - die Folgen des Kapitalismus zu begrenzen und zu beherrschen - im Gegensatz zur bis heute gültigen, auf Kapitalismusüberwindung gerichteten Programmatik der PDS stand, vereinbarten die beiden Parteien innerhalb weniger Wochen eine gemeinsame Kandidatur zur Bundestagswahl. Die PDS ermöglichte es WASG-Mitgliedern, aber unter anderem auch DKP-Mitgliedern, auf ihren offenen Listen für den Bundestag zu kandidieren. Im Gegenzug verzichtete die WASG auf eine eigenständige Kandidatur und sagte die Unterstützung der 'Linkspartei.PDS' zu, die aus formalrechtlichen Gründen allein nach außen auftrat und die damit verbundenen Entscheidungen traf. Mit der vereinbarten Unterstützung gelang es der PDS faktisch, bisher unerreichte Wählerpotentiale im Westen auf Umwegen zu erschließen. Dieses Vorgehen führte in beiden Parteien zu kontroversen Diskussionen, die bis Dezember 2005 nicht abgeschlossen waren. Innerhalb der 'Linkspartei.PDS' kritisierten Mitglieder des eher dogmatischen Flügels diese Entwicklung, weil sie die Preisgabe sozialistischer Werte befürchteten. Trotz der nicht geklärten Kritikpunkte sprachen sich aber in beiden Parteien mehr als zwei Drittel der Entscheidungsberechtigten für eine gemeinsame Kandidatur aus und begannen in einigen Landesteilen, insbesondere im Ruhrgebiet, sich politisch und organisatorisch zu vernetzen. 100 Linksextremismus Die Bundestagswahl 2005 Inhaltlich war das Wahlprogramm der 'Linkspartei.PDS' eine angepasste Kurzform des Parteiprogramms mit dem Versuch, sich in der Sozialund Wirtschaftspolitik als einzige wirklich systemkritische Opposition darzustellen. Mit 8,7% bundesweit lag die Partei knapp über den eigenen Erwartungen und avancierte in neun Wahlkreisen (fünf in NRW, vier im Saarland) zur drittstärksten Kraft. Auf Landesebene erreichte sie mit 5,2% (529.967 Zweitstimmen) etwa das Vierfache ihres bisher besten Wahlergebnisses und stellte sieben der 54 Bundestagsabgeordneten. Den größten Zuspruch verzeichnete 'Die Linkspartei.PDS' im Ruhrgebiet, schwach schnitt sie im ländlichen Bereich ab. Die sieben NRW-Abgeordneten wollen ihre Büros in NRW einrichten und intensiv mit außerparlamentarischen Gruppen zusammenarbeiten, so dass das Wahlergebnis zur finanziellen, personellen und organisatorischen Stärkung der 'Linkspartei.PDS' in NRW führt. Ob auch der NRW-Landesverband politisch an Bedeutung gewinnt, bleibt abzuwarten. Prognosen zur weiteren Entwicklung Im "Kooperationsabkommen III - Rahmenvereinbarung zum Parteibildungsprozess zwischen Linkspartei.PDS und WASG" sind programmatische Aussagen enthalten, die es der 'Linkspartei.PDS' ermöglichen, ihre systemüberwindenden Ziele aus dem Parteiprogramm weiterhin fest zu schreiben. So gibt sie auch in diesem Papier weiterhin den Auszug aus dem schon erwähnten Karl-Marx-Zitat, das dem vollständigen Wortlaut nach eine revolutionäre Umgestaltung voraussetzt. Neben Widerstand und Protest werden der Anspruch auf Mitund Umgestaltung der Gesellschaft sowie die Entwicklung über den Kapitalismus hinaus weisender gesellschaftlicher Alternativen zu Bestandteilen der zukünftigen Entwicklung gezählt. Eine Leitungsfunktionärin präzisiert die derzeitige Politik der 'Linkspartei.PDS' folgendermaßen: "Es ist nicht entscheidend, ob wir in der Regierung oder Opposition sind, entscheidend ist die Haltung. Die sollte nicht staatstragend, sondern staatsverändernd sein. [...] Darüber hinaus sollte Regierungsbeteiligung auch im Dienste der Weichenstellung für eine grundlegende Transformation der Gesellschaft stehen [...]." Es scheint der 'Linkspartei.PDS' auch in der Kooperation zu gelingen, ihre programmatische Bandbreite aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Dies ist der Versuch, nach 15 erfolglosen Jahren doch noch erhebliche Teile der westdeutschen Linken für das eigene Ziel eines Sozialismus zu mobilisieren. Nach Aussage ihres Bundesgeschäftsführers geht es für ihn um die Stärkung der Partei. Die Fusionsdiskussion sei als "Angebot für Menschen" zu verstehen, eine politische Partei inhaltlich und strukturell mitzugestalten. Ob sich die ins Auge gefasste Zielgruppe über diese "Kooperation" letztlich für die 'Linkspartei.PDS' vereinnahmen lässt, bleibt indes abzuwarten. 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Jedenfalls besteht zwischen den kooperierenden Parteien Einigkeit, in organisatorischer Hinsicht Doppelmitgliedschaften zu tolerieren und bei Wahlen nur eine von beiden Parteien antreten zu lassen sowie inhaltlich der Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen eine besondere Bedeutung beizumessen. Durch eine Interessenvertretung im Rahmen der neu gewonnenen Möglichkeiten soll diesen Bewegungen mehr politischer Einfluss verschafft werden, so dass insoweit zukünftig mit verstärkten Aktivitäten zu rechnen ist. Sollten sich 'Die Linkspartei.PDS' und die WASG auf eine überzeugende Fusionslösung einigen können, würde dies die Verhältnisse im linken und linksextremistischen Spektrum der Bundesrepublik auf Jahre grundlegend und tiefgreifend verändern. 4.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Vorsitzender Stefan Engel Nebenorganisationen 'Rebell' (Jugendorganisationen der MLPD);'Rotfüchse' (Kinderorganisation der MLPD) Vorfeldorganisationen Frauenverband 'Courage','Solidarität International' (SI),Kommunale Wahlbündnisse 'AUF','Verein zur Förderung internationaler Jugendtreffen' in Gelsenkirchen,'Verein zur Förderung der Bewegung von Frauen und Mädchen für Frieden, Brot und Rosen' in Gelsenkirchen, 'Verein zur Förderung des CourageZentrums Gelsenkirchen','Vermögens-VerwaltungsVerein' (VVV) in Gelsenkirchen, Mediengruppe 'Neuer Weg' in Gelsenkirchen Schulungs'Arbeiterbildungszentrum' (ABZ) mit Einrichtungen in und Freizeitzentren Gelsenkirchen, Alt-Schwerin, Stuttgart und Berlin; Ferienlager in Truckenthal/Thüringer Wald Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 650 ca. 2.300 2004 ca. 650 ca. 2.000 102 Linksextremismus Publikationen 'Rote Fahne' (RF), wöchentliche Auflage ca. 7.500;' Lernen und Kämpfen' (LuK), Mitgliederund Funktionärsschrift, vierteljährliche Auflage von 1.000 Internet Homepage seit etwa Mai 1997; 'Rote Fahne News' als Online-Nachrichtenmagazin :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 1982 aus dem 'Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands' (KABD) hervorgegangene 'Marxistisch Leninistische Partei Deutschlands'(MLPD) bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tsetung und verbindet nach eigener Aussage "den Kampf um die Forderungen der Arbeiterund Volksbewegungen mit dem Ziel der internationalen sozialistischen Revolution". Dabei sieht sie "in der Arbeiterklasse den Träger einer sozialistischen Gesellschaft". Die Zielsetzung der MLPD ist durch eindeutig verfassungsfeindliche Aussagen geprägt. Bereits die Präambel in den Statuten der MLPD zeigt deutlich die Ausrichtung der Partei: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". Der angestrebte "revolutionäre Sturz" kann nach Ansicht des MLPD-Vorsitzenden Stefan Engel nur durch eine Revolution erfolgen, deren letzter Abschnitt der "bewaffnete Aufstand" ist. Dabei soll sich die "Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei [Anmerkung: gemeint ist die MLPD] zum bewaffneten Aufstand erheben, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen, die Diktatur des Proletariats errichten und gegen die Konterrevolution verteidigen" ('Rote Fahne' Nr. 30/00 vom 21. Juli 2000: "Der Charakter der Revolution"). Damit liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der MLPD um eine linksextremistische Bestrebung im Sinne des SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW handelt. Alle Aktivitäten der Partei oder einzelner Funktionsträger lassen sich nur erklären, wenn man das in sich geschlossene marxistisch-leninistische Weltbild der MLPD als klassischer kommunistischer Kaderpartei berücksichtigt, das diesem Handeln zu Grunde liegt. Daraus resultiert, dass analog zu dem antagonistischen Gegensatz der MLPD-Ideologie zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) ein wertneutrales, die FdGO tolerierendes Verhalten in der gesellschaftlichen oder politischen Praxis ausgeschlossen werden kann. Politische Tätigkeiten und Bestrebungen der Partei oder ihrer Anhänger sind immer darauf gerichtet, die gesellschaftliche Situation 103 E n, . ER IK ir zeA: u Fi alle lal u, ' lan: a 23 gReeghieen a: & 4 Randialsx is A OT Be 27 re i Linksextremismus zugunsten einer revolutionären Veränderung im Sinne der MLPD umzugestalten. Dies gilt auch beim Engagement in Jugendgruppen, Gewerkschaften, Betriebsgruppen etc. Die Kaderstruktur zeigt sich auch in der Stellung des seit der Parteigründung amtierenden Vorsitzenden Stefan Engel. Mit Veröffentlichungen in der Schriftenreihe 'Revolutionärer Weg', dem theoretischen Organ der MLPD, und mehrseitigen Interviews, die er periodisch dem Parteiblatt 'Rote Fahne' gewährt, gibt er die dogmatische Richtschnur für die MLPD vor. Sie dienen der innerparteilichen Indoktrination der Mitglieder und der ideologischen Sprachregelung. Aufgrund ihrer ideologischen Formelhaftigkeit und sektiererischen Struktur ist die MLPD aber selbst im linksextremistischen Spektrum weitgehend isoliert. Dies scheint ihr auch bewusst zu sein. So wurde für den VII. Parteitag (Mai 2004 in Magdeburg) mit der Losung "Den Parteiaufbau in den Mittelpunkt" als politisches Ziel vorgegeben, die "relative Isolierung" der MLPD durchbrechen zu wollen. Dies bedeute unter anderem, die Mitglieder für die marxistisch-leninistische Betriebsund Gewerkschaftsarbeit, für die revolutionäre Frauenarbeit, die Jugendarbeit und die kommunalpolitische Arbeit auszubilden. Jugendarbeit Die Jugendarbeit ist ein Schwerpunkt der politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten der MLPD. Mit der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit sieht sie sich vor der Lösung einer historischen Aufgabenstellung. Die Jugend sei die kämpferische Vorhut der verschiedenen gesellschaftlichen Bewegungen. Bei ihr sei der Abnabelungsprozess von den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen besonders ausgeprägt. Die Jugend sei deshalb am aufgeschlossensten für die MLPD, ihren Jugendverband 'Rebell' und die revolutionäre Perspektive des Sozialismus. Vor diesem Hintergrund ist auch die Durchführung der Pfingstjugendtreffen zu sehen. Das in zweijährigem Turnus veranstaltete und für die Jugendund Öffentlichkeitsarbeit der MLPD sehr wichtige 12. Pfingstjugendtreffen (PJT) fand am 14./15. Mai 2005 mit circa 12.000 Teilnehmern in Gelsenkirchen statt. Nach Angaben der MLPD nahmen 24.000 Personen daran teil (zum Vergleich: 11. PJT 2003 nach Eigenangaben 21.000 Teilnehmer, PJT 2001 etwa 8.000-10.000 Teilnehmer - nach Eigenangaben 14.000). Das Pfingstjugendtreffen dient der Zusammenkunft und dem geselligen Miteinander der eigens hierzu nach Gelsenkirchen zusammengezogenen Parteimitglieder und ihrer Kinder sowie befreundeter Organisationen aus dem Ausland. 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Der zahlenmäßige Zuspruch des als Volksfest in Gelsenkirchen organisierten PJT ergibt sich allerdings vornehmlich aus den bürgerlichen Besuchern und lässt insoweit keine Rückschlüsse auf eine politisch-ideologische Ansprache der Massen zu. Zeitgleich mit dem PJT veranstaltete die 'Gelsenkirchener Bürgerbewegung Montagsdemonstration' eine Demonstration und Kundgebung unter dem Motto "Jung und Alt - Weg mit Hartz IV", zu der bundesweit mobilisiert worden war. Die seitens der Veranstalter erwartete Teilnehmerzahl von 10.000 wurde allerdings nur zur Hälfte erreicht; dies, obwohl das PJT der MLPD traditionsgemäß mit einer Demonstration startet und insoweit maßgeblich auf die Teilnehmer des PJT abgezielt worden war. Soziale Proteste Für die MLPD bietet die soziale Frage einen Ansatz zu vielfältigen Aktivitäten wie Streikunterstützungen oder der Beteiligung an den "Montagsdemonstrationen". Sie sieht Chancen, öffentlich wahrgenommen zu werden, ihre selbst im linken Lager bestehende Isolierung zu überwinden und mit Hilfe des positiv besetzten Begriffes "Montagsdemo" für ihre Ziele zu werben. Nach Einschätzung des Parteivorsitzenden Stefan Engel handelt es sich um eine neue Massenbewegung gegen die Regierung, an der auch neu sei, dass die MLPD darin fest verankert sei und an vielen Orten sogar eine führende und organisierende Rolle einnehme. Vorschlag der MLPD für ein Transparent Die Einflussnahme der MLPD auf die Organisation der Proteste wurde von vielen anderen linken Gruppen kritisch und ablehnend gesehen. Wegen des Hegemoniestre106 Linksextremismus bens und der Kompromissunfähigkeit der MLPD kam es in einigen Städten zu Spaltungen unter den Organisatoren und zu mehreren eigenständigen Demonstrationen. Beteiligung an den Wahlen 2005 An der Landtagswahl am 22. Mai 2005 hat die MLPD nicht teilgenommen, da sie die Strategie einer verdeckten Kandidatur über angeblich unabhängige Wählervereinigungen bei einer landesweiten Wahl nicht realisieren konnte, aus ihrer Sicht also eine Beteiligung nicht sinnvoll war. Nach den Festlegungen des Magdeburger Parteitags vom Mai 2004 ist vielmehr die systematische Kommunalpolitik ein neues Feld der Strategie und Taktik zur Einbeziehung der Massen in den politischen Kampf, zumal die Kommunen schwächstes Kettenglied im Staatsapparat der Monopole seien. Die Förderung überparteilicher Personenwahlbündnisse sei die hauptsächliche und geeignetste Form marxistisch-leninistischer Kommunalpolitik. Bei der Bundestagswahl am 18. September 2005 kandidierte die MLPD dagegen flächendeckend. Nachdem sie ihren Mitgliedern bei der letzten Bundestagswahl einen "aktiven Wahlboykott" empfohlen hatte, hat die MLPD ihre Taktik inzwischen geändert. Da sich die MLPD für die führende Kraft beim Thema "Soziale Proteste" hielt, hat sie folgerichtig mit Briefen vom 24. Mai 2005 der PDS und der WASG die Beteiligung an einem linken Wahlbündnis angeboten. Nachdem dieses Angebot abgelehnt beziehungsweise nicht darauf geantwortet wurde, hat sie trotzig eine eigenständige Kandidatur durchgeführt. Auf ihrer Wahlkampfwebsite heißt es dazu: "Hunderttausende hätten sich ein breites linkes Bündnis zur Bundestagswahl gewünscht. Die MLPD war dazu bereit. Warum wurde dies von den Führungen von WASG und PDS abgelehnt? Ein linkes Bündnis ohne Revolutionäre ist wie eine Fußballmannschaft ohne Mittelstürmer! [...] Also: Keine Halbheiten! Links wählen heißt MLPD wählen." Mit 5.804 Zweitstimmen (0,1%) in NRW ist die Partei weiterhin politisch ohne Bedeutung. Ihr bestes Wahlkreisergebnis mit 509 Zweitstimmen (0,4%) erreichte sie in Gelsenkirchen. In allen anderen Wahlkreisen schwankten die Ergebnisse zwischen 0,0 und 0,2%. Landesweit erreichte die Partei 3.645 Erststimmen in 15 Wahlkreisen. Auch hier lag Gelsenkirchen mit 624 Stimmen an erster Stelle, Schlusslicht bei den Erststimmen bildete der Wahlkreis Düsseldorf I mit 188 Stimmen. Bundesweit stimmten 45.166 Wähler (0,1%) für die MLPD, die ihr Ergebnis gleichwohl - und nur aus ihrer ideologischen Sicht verständlich - als Achtungserfolg betrachtet. 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Wahlmaterial der MLPD 108 Linksextremismus MLPD geht gerichtlich gegen vermeintliche Repressionen vor Die MLPD sieht sich einer ständigen Verfolgung durch den "kapitalistischen Staat" der Bundesrepublik und seiner Organe ausgesetzt. So wird erklärbar, warum die Partei versucht, ihre Ziele und Methoden zu verschleiern. In einem zivilrechtlichen Verfahren beim Landgericht Essen gegen den Herausgeber der 'Buerschen Zeitung' in Gelsenkirchen wehrte sich das dortige 'Arbeiterbildungszentrum e.V.' (ABZ) gegen die Einschätzung, eine von der MLPD dominierte und für verfassungsfeindliche Ziele dieser Partei instrumentalisierte Einrichtung zu sein. Das ABZ bezeichnete dies als eine "Unterstellung" des Verfassungsschutzes und als Fortsetzung einer "Diffamierungskampagne". Das ABZ wurde im Jahr 1986 als 'Arbeiterbildungszentrum Horst e.V.' errichtet und wird in erster Linie für allgemeine Schulungszwecke der Mitglieder, Kurse zur Ideologievermittlung, parteiinterne Funktionärstreffen auch außerhalb des offiziellen Programms und für gesellige Veranstaltungen zur sozialen Betreuung der Mitgliedschaft genutzt. Ausweislich des Programms des ABZ stammt ein großer Anteil der Referenten aus dem Kaderbereich der MLPD. Die 'Buersche Zeitung' hatte im Oktober 2004 berichtet, dass der Katalog für Schulfahrten der Deutschen Bahn AG "Schacht III im Arbeiterbildungszentrum" als Beherbergungsbetrieb in Gelsenkirchen aufführt. Die Deutsche Bahn AG hatte daraufhin diesen Beherbergungsbetrieb aus ihrem Angebot genommen. Das ABZ klagte gegen den Herausgeber der Zeitung auf Unterlassung der Behauptung einer Verbindung zur MLPD und machte Schadensersatz geltend, musste aber in der Hauptsache eine Klageabweisung hinnehmen. In den Urteilsgründen führte das Landgericht Essen aus, dass es sich bei der Äußerung, das ABZ sei ein Schulungszentrum der MLPD, um eine - dem Beweis zugängliche - Tatsachenbehauptung handelt. Weiter wird ausgeführt, dass die enge Zusammenarbeit mit der MLPD unbestritten zu den Prinzipien des Vereins gehört. 4.4 Linksextremistische Autonome Autonome und ihre Themenfelder Die Spaltungsund Auflösungserscheinungen der vergangenen Jahre innerhalb der autonomen Szene sind vorläufig zum Abschluss gekommen. Im Verlauf einer Entwicklung, die zur Verbürgerlichung vieler "Alt-Autonomer" geführt hat, haben sich neue Gruppierungen gebildet, die nur noch Teile des autonomen Lebensgefühls für 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 sich in Anspruch nehmen. Die ohnehin ideologiearme und im Kern auf der Kultivierung von "Anti-Haltungen" basierende Ideenwelt der Autonomen wird auch in Szenepublikationen nur noch selten hinterfragt. Lediglich zu der szeneinternen Auseinandersetzung um die Befürwortung oder Ablehnung der unterschiedlichen Interessen im Hinblick auf die Konfliktherde im Nahen und Mittleren Osten werden ständig neue Stellungnahmen verlautbart und Aktivitäten beziehungsweise Gegenaktivitäten entfaltet. Eine wirkliche Diskussion findet jedoch nicht statt, da die Lagerbildung in diesem Themenfeld von den Gruppierungen selbst als weitgehend erledigt angesehen wird. In der linksextremistischen beziehungsweise autonomen Szene werden typische Feindbilder - der Staat und seine Institutionen, der globale Kapitalismus und die Strukturen der rechtsextremistischen Szene in Deutschland - gepflegt. In einigen wesentlichen Punkten unterscheiden sich die Gruppierungen jedoch deutlich: : Antiimperialistische, amerikafeindlich eingestellte Gruppierungen der autonomen Szene solidarisieren sich mit dem palästinensischen Volk im Widerstand gegen die Besatzung durch Israel und verharmlosen mitunter selbst Gewaltverbrechen im Irak als legitimes Mittel gegen die Besatzung durch alliierte Truppen. : Antideutsche Gruppierungen stufen den Islam als rückschrittliche Kultur ein und sehen - vor allem mit Blick auf die deutsche Schuld an den Massenmorden im Zweiten Weltkrieg - den Staat Israel als westlich-zivilisatorische Errungenschaft gegen den Vormarsch arabisch-islamischer Herrschaftsansprüche. Daher befürworten sie rückhaltlos sämtliche Maßnahmen Israels gegen die Palästinenser sowie ohne Ausnahme alle Handlungen der alliierten Streitkräfte beziehungsweise Besatzungsmächte im Irak und befürworten beispielsweise auch einen vernichtenden Schlag gegen den Iran. Es gibt nur wenige Gruppierungen innerhalb der autonomen Szene, die es bisher vermieden haben, sich einer der beiden Überzeugungen anzuschließen. In der Szene ist eine Situation entstanden, die gruppenübergreifende Aktivitäten kaum möglich macht. Vor jeder Überlegung zu solchen Aktivitäten steht zwanghaft die Frage, zu welcher der beiden gegensätzlichen Denkrichtungen die beteiligten Gruppen gehören. Nicht immer führt dies zum gegenseitigen Ausschluss von Aktivitäten, stellt aber zumindest ein schwerwiegendes Hemmnis bei konkreten Absprachen und Planungen dar. Das entstehende Vakuum wird zwar seit Jahren von einigen Gruppierungen beklagt, kann aber auch wegen abweichender Positionen in anderen Grundfragen nicht ausgefüllt werden. Die unterschiedlichen Ansichten über elementare Prinzipien (Militanzde110 Linksextremismus batte, Organisierungsfrage, Sexismusvorwürfe) der autonomen Lebenswelt, zu denen seit langem keine ernsthaften Diskussionen mehr erfolgen, führen gerade wegen der individuellen Selbstbestimmtheit in der autonomen Szene zu einer Unverbindlichkeit, die einvernehmliche Lösungen verhindert und daher letzten Endes in Beliebigkeit und Desinteresse mündet. Das fehlende Gerüst fördert einerseits die Festigung des aus mehreren Ideologiefragmenten gebildeten Phänomens der 'Antideutschen' und leistet andererseits einer Zerfaserung der übrigen Szene in einzelne, von einander abgetrennte Themenbereiche linker Politik Vorschub. Als Effekt konzentriert sich die autonome Szene in Nordrhein-Westfalen vor allem auf regionale Antifa-Aktionen. Dabei sind vermehrte Rechts-/Links-Konfrontationen und die stetige Zunahme der Nutzung von Internet und elektronischen Netzwerken zu beobachten. Andere Themenfelder spielen eine untergeordnete Rolle. Es bleibt abzuwarten, ob im Hinblick auf Gipfelveranstaltungen auch globalisierungskritische Tendenzen wieder in den Fokus der Autonomen rücken werden. Die Darstellungen und Bewertungen in den folgenden Themenfeldern beschränken sich ausschließlich auf die Beteiligung und Agitation von linksextremistischen Gruppierungen. Antifa-Aktionen als Folge rechter Aufmärsche Mit der steigenden Zahl von Demonstrationen des rechtsextremistischen Spektrums hat sich auch die Zahl der Gegenveranstaltungen erhöht. An diesen Aktivitäten nehmen sowohl bürgerliche "Bündnisse gegen rechts", die mit ihrer Ablehnung einen Gegenpol zu rechtsextremistischen Tendenzen bilden wollen, als auch Linksextremisten teil. Das rechte Spektrum stellt für Linksextremisten einen wesentlichen Kristallisationspunkt ihrer Feindbilder dar. Vor allem linksautonome Gruppierungen reagieren fast wie im Reflex auf die Aktionen der rechten Szene. Rechtsextremisten wollen dabei bewusst linke Übergriffe provozieren, um sich einerseits ihren Anhängern und Sympathisanten gegenüber in einer Opferrolle zu präsentieren und andererseits ihre Angreifer als undemokratische Störer und Unruhestifter bloßstellen zu können. Autonome Antifa-Gruppierungen spielen ihnen dabei durch vermehrte Angriffe auf Kundgebungsteilnehmer und zunehmende Auseinandersetzungen mit der Polizei in die Hände. Die Zusammenarbeit autonomer Gruppierungen mit gewerkschaftlichen und kirchlichen Kreisen hat jedoch nachgelassen und beschränkt sich lediglich darauf, Gegenkundgebungen des bürgerlichen Spektrums als Plattform für eigene Aktivitäten zu nutzen. 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Bei einer Reihe von Veranstaltungen versuchten Gegendemonstranten, die Kundgebungen des rechten Spektrums durch direkte Auseinandersetzungen, Rangeleien mit Polizeibeamten oder den Einsatz von Wurfgeschossen zu stören. Linke Szeneangehörige blockierten den Zugweg rechter Demonstranten, sie durchbrachen Polizeiabsperrungen mit dem Ziel der Konfrontation rechter und linker Szeneangehöriger und störten die Anund Abfahrt rechter Kundgebungsteilnehmer. Dennoch verliefen die Kundgebungen in Nordrhein-Westfalen durch den entsprechenden Einsatz von Polizeikräften weitgehend ohne nennenswerte Probleme. Bereits im Vorfeld der Kundgebungen wurde dagegen seitens des rechten Spektrums versucht, zur Ausforschung der gegnerischen Taktik an Vorbereitungsund Informationsveranstaltungen der autonomen Szene teilzunehmen oder diese zu stören, was mitunter in Handgreiflichkeiten der beiden verfeindeten Lager ausartete. Im Anschluss an eine Gedenkkundgebung am 2. April 2005 in Dortmund mit über 2.000 Teilnehmern randalierten ca. 200 der Kundgebungsteilnehmer aus dem Milieu der Antifaund Punk-Szene in der Fußgängerzone der Innenstadt. Anlass der Kundgebung war der Tod eines Punks, der am 28. März 2005 im Verlauf einer Auseinandersetzung von einem Angehörigen der rechten Szene durch Messerstiche getötet worden war. Im Berichtszeitraum kam es auf beiden Seiten immer wieder zu Prügeleien, bei denen den vermeintlichen oder tatsächlichen Gegnern zum Teil schwere Verletzungen zugefügt wurden. Daneben gab es Angriffe auf Informationsstände einer rechtsextremistischen Partei während der Wahlkampfphasen vor der Landtagswahl und der Bundestagswahl. Im Zusammenhang mit den Übergriffen auf rechte Szeneangehörige oder Infostände hat die Polizei mehrere Antifa-Aktivisten in Gewahrsam genommen. Die Antifa-Szene startete daraufhin in einigen Städten Antirepressions-Kundgebungen, die sich gegen die "Kriminalisierung" der Aktivisten wendeten. Überregionale Ereignisse waren für die Antifa-Szene in Nordrhein-Westfalen ohne Bedeutung. Die Vorbereitungen für eine Beteiligung an Aktionen gegen einen rechtsextremistischen Aufmarsch im Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß am 20. August 2005 in Wunsiedel verliefen im Sande, weil die rechte Kundgebung verboten wurde und Ersatzkundgebungen vergleichsweise unbedeutend ausfielen. Auch das 'Antifaschistische Jugendcamp' vom 6. bis 9. Juli 2005 in Oberhausen konnte - im Gegensatz zum Vorjahr - keine überregionale Wirkung entfalten. Lediglich bei den Veranstaltungen gegen die Gedenkfeier des 'Kameradenkreises Gebirgstruppe e.V.' am 14. und 15. Mai 2005 in Mittenwald (in Szenekreisen 'Pfingsttreffen der Gebirgsjäger' genannt) waren Antifa-Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen neben bürgerlichen Gruppen und Kirchenorganisationen vertreten. 112 Linksextremismus Antifa-Angriffe im Internet Abgesehen von der Zunahme von Auseinandersetzungen bei Kundgebungen der rechtsextremistischen Szene oder bei Gegenaktionen von Antifa-Aktivisten, konnte sich eine weitere Spielart der Rechts-/Links-Konfrontationen im Berichtszeitraum stärker etablieren: Die Zahl gegenseitiger Angriffe auf den Versandhandel und die Kommunikationsplattformen der verfeindeten Spektren im Internet stieg rapide an. Mittlerweile wird es geradezu als Sport angesehen, die Internetseiten des politischen Gegners zu "hacken", das heißt: durch Eindringen in fremde Rechnersysteme deren Dateninhalte auszulesen und zu löschen, Seiteninhalte zu zerstören und - zumindest vorübergehend - andere Inhalte an ihre Stelle zu setzen. Vom 8. bis 13. Mai fand eine "hackthenazis-Aktionswoche" statt, in der mehrere Internetseiten der rechtsextremistischen Szene gehackt wurden. Am 1. Oktober wurde schließlich in das bisher wichtigste Internetportal der rechtsextremistischen Szene - das Forum 'Freier Widerstand' - eingebrochen. Es handelt sich um eine HackingAktion mit einer neuen Dimension und Qualität. Im Unterschied zu den bereits erfolgten Hackings verschafften sich die Verantwortlichen nicht den Zugang zu Bestelldaten rechter Onlinevertriebe, sondern zu persönlichen Mitteilungen in einem geschlossenen Forum. Etwa einen Monat war die Website nicht zu erreichen. Mittlerweile sind die Inhalte allerdings fast vollständig wieder hergestellt. Antideutsche erhalten weiter Zulauf Die Antideutschen stellen in Nordrhein-Westfalen einen stetig zunehmenden Teil der autonomen Szene. Sie lehnen Deutschland nach der Wiedervereinigung wegen seiner neuen Rolle in der Weltund Europapolitik vor dem Hintergrund des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges ab. Mit ihrem verengten Verständnis von Antifaschismus, das mit einer strikt proisraelischen und proamerikanischen Haltung einhergeht, bilden sie einen deutlichen Kontrapunkt zu anderen linken Gruppierungen, die propalästinensisch, globalisierungskritisch und/oder antiamerikanisch eingestellt sind. Die Aktionen gegen das rechtsextremistische Spektrum lassen sich in NordrheinWestfalen vermehrt auf autonome Gruppierungen mit antideutschen Zügen zurückführen. Der szeneinterne Konflikt zwischen Antideutschen und den übrigen Gruppierungen der autonomen Szene schwelt weiter, wobei die Auseinandersetzung vermehrt in Szenepublikationen oder im Internet stattfindet. Auf lokaler und regionaler Ebene verstärkt sich über gemeinsame Mobilisierungskampagnen die Tendenz zur Tolerierung der gegensätzlichen Lager. Rangeleien zwischen antideutschen und antiimperialistischen Autonomen am Rande von Kundgebungen mit Israel/Palästinaoder IrakBezug dauern hingegen an. 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Neben den Auseinandersetzungen innerhalb der linken Szene verstören die Antideutschen vor allem das bürgerliche Spektrum. Ihre Aktivitäten aus Anlass der offiziellen Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 60 Jahren, bei denen sie provokativ die Abschaffung Deutschlands beziehungsweise dessen erneute Bombardierung forderten, stießen auf völliges Unverständnis. Anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens zog es, wie in den Vorjahren auch, Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen zu den dortigen Aktionen der Antideutschen. Antifa-Kundgebungen (beispielsweise die Kundgebung "Antifa is not a crime!" am 17. September in Lippstadt) wurden durch Sprüche wie "Von der Saar bis an die Neiße - Bomben drauf und weg die Scheiße!" zu antideutschen Demonstrationen umfunktioniert Antirassismus Linksextremistische antirassistische Gruppen bekämpfen weiterhin die aus ihrer Sicht rassistischen Strukturen des kapitalistischen Staates. Der Trend des Vorjahres, dass sich viele Aktivisten aus Frustration, Überarbeitung oder persönlichen Gründen aus der Mitarbeit zurückzogen, setzte sich fort. So erklärte sich 2005 nach einer enttäuschenden Beteiligung im Vorjahr keine Gruppe bereit, die traditionelle bundesweite Demonstration vor der Abschiebehaftanstalt Büren zu organisieren. An der jährlichen Kundgebung vor der Frauenabschiebehaftanstalt in Neuss am 21. November beteiligten sich nur noch etwa 100 Demonstranten. Auch eine 2003 begonnene Kampagne gegen Abschiebeflüge der Firma LTU lief ergebnislos Ende 2004 aus. Allerdings versuchten einzelne Gruppen erneut, durch militante Aktionen Entscheidungen von Behörden zu beeinflussen. So bewarfen Unbekannte am 10. Juni das Haus des Leiters der Abteilung für Ausländerangelegenheiten in Hamburg mit Steinen und Farbflaschen. In einer auch in der autonomen Szenezeitung 'Interim' (Ausgabe 618 vom 16. Juni 2005) abgedruckten Erklärung verknüpften die Täter ihre Aktion unter der Überschrift "Kampf den Ausländerbehörden!" mit der Abschiebepraxis in Hamburg. In NRW ist allerdings keine militante Aktion verübt worden. Neben der Unterstützung und Beratung illegal in Deutschland lebender Flüchtlinge konzentrierten sich in NRW die Aktionen zunehmend auf die Themenbereiche Abschiebung und Abschiebelager. Dabei stellten häufig Flüchtlinge einen großen Teil der Demonstranten. Beispielhaft können folgende Demonstrationen genannt werden: : Aktivisten aus dem Ruhrgebiet und Köln beteiligten sich an der bundesweiten "Aktionstour gegen das europäische Lagersystem" am 24. und 25. September. Kundgebungen mit etwa 300 Teilnehmern fanden vor so genannten "Ausreisezentren" in Bramsche/Niedersachsen und in Mecklenburg-Vorpommern statt. 114 Linksextremismus : Deutsche und ausländische Flüchtlingsgruppen organisierten eine "NRW-Karawane-Tour 2005" mit Aktionen am 30. August in Bielefeld, 2. September in Solingen, 3. September in Köln, 10. September in Ratingen und 17. September in Düsseldorf. An den einzelnen Kundgebungen beteiligten sich zwischen 35-150 Personen. : Am 3. Oktober besetzten etwa 50 Aktivisten eines 'Bündnisses gegen Abschiebungen OWL' symbolisch das Hermannsdenkmal und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift "Abschiebungen stoppen!". Antiglobalisierung Die ohnehin vergleichsweise kleine Bewegung linksextremistischer deutscher Globalisierungskritiker erzielte auch im Jahr 2005 durch ihre Aktionen nur geringe Resonanz. Die folgenden Großereignisse fanden zudem im Ausland statt. So berichteten überwiegend linke Publikationen über das 5. Weltsozialforum vom 26. bis 31. Januar in Porto Alegre/Brasilien, während die Proteste gegen das G8-Treffen am 2. Juli in Gleneagles/Schottland von den Selbstmordanschlägen in London am 7. Juli überschattet wurden. Ein europaweiter Aktionstag am 19. März anlässlich eines informellen EU-Gipfels am 22./23. März sowie Proteste zum Abschluss der EU-Ratspräsidentschaft Luxemburgs am 16./17. Juni fanden ebenfalls keine Resonanz in der Öffentlichkeit. Großereignisse und deren Bedeutung für die Bewegung Mit der Veröffentlichung eines Arbeitspapiers unter anderem in dem überregionalen autonomen Szeneblatt 'Interim' (Ausgabe Nr. 617 vom 2. Juni 2005) versuchte die dem anarcho-sozialrevolutionären Netzwerk 'Peoples Global Action' (PGA) zugerechnete 'glocal group hanau' eine Diskussion über den Sinn von Gegengipfeln anzustoßen. Die Gruppe kommt zu dem Ergebnis, dass eine Fixierung der Bewegung ausschließlich auf große Events ebenso scheitere wie das alleinige Verharren in lokalen Aktivitäten. Wer meine, durch immer größer werdende Demonstrationen anlässlich von Gipfelereignissen entweder ein Einlenken "der da oben" oder den "großen, finalen Knall" erzwingen zu können, unterschätze die Komplexität der gesellschaftlichen Organisierung ebenso wie die "Aufstandsbekämpfung des Staates". Andererseits führten ausschließlich lokale Aktivitäten letztlich ins völlige Sektierertum. So habe beides seinen Wert: "Die meiste Zeit in unserem politischen Handeln stehen wir - gelegentlich sogar gewollt - isoliert da. Unsere Erfahrung ist es ja auch, dass eine große Menge von uns in einem bestimmten Alter schließlich resigniert, aus politischer und persönlicher Perspektivlosigkeit. Die Erfahrungen und Inspirationen auf Gipfeln können da als 'Tankstelle' genutzt werden für die lokalen und alltäglichen Kämpfe." 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Die erhoffte öffentliche Resonanz blieb aber erneut aus. So stellte eine Gruppe Berliner Aktivisten in der 'Interim' (Ausgabe Nr. 622 vom 15. September 2005) zu Recht fest, dass die Diskussion darüber, "was wir denn eigentlich politisch zusammen wollen (außer action) in Schottland, aber auch davor und danach, kaum stattfand". Auf dem 5. Weltsozialforum in Porto Alegre beteiligten sich 150.000 Personen an über 2.000 Foren, um einen symbolischen Gegenpunkt zu dem immer zeitgleich in Davos/ Schweiz stattfindenden Weltwirtschaftsforum zu bilden, den Erfahrungsaustausch der unterschiedlichsten Gruppen und Bewegungen zu organisieren und zur Verständigung über Probleme und mögliche Lösungsversuche beizutragen. Wegen der Vielzahl der teilnehmenden Gruppen mit teilweise sich widersprechenden Zielen war der einzige Konsens dieser Veranstaltung: "Kampf dem US-Imperialismus, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond". 80% der Teilnehmer kamen aus Brasilien; aus Deutschland waren hauptsächlich Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen ('non-governmental organization' - NGO), Gewerkschaften und linken Parteien nach Brasilien gereist. Um mehr Aktivisten aus armen Ländern, insbesondere von der Südhalbkugel, die Teilnahme an internationalen Treffen zu ermöglichen, entschied sich das Organisationskomitee, im nächsten Jahr anstelle einer großen Veranstaltung dezentrale Foren auf verschiedenen Kontinenten durchzuführen sowie das nächste Weltsozialforum 2007 in Afrika abzuhalten. Die Kosten von etwa neun Millionen Dollar trugen neben der brasilianischen Regierung und verschiedenen internationalen NGOs auch einige große brasilianische Unternehmen. Das zeitgleich stattfindende 35. Jahrestreffen des 'World Economic Forum' (WEF) mit seinen mehr als 2.000 hochrangigen Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft führte bereits im Vorfeld zu Aktivitäten von Globalisierungsgegnern. Am 8. Januar wurde in einer Ausbildungsanlage der Kantonspolizei in Zürich ein Brand gelegt, bei dem ein Sachschaden von mehr als 250.000 Schweizer Franken entstand. In Basel, Zürich und Winterthur wurden in der Zeit vom 24. bis 26. Januar von Globalisierungskritikern Sachbeschädigungen von insgesamt 60.000 Schweizer Franken begangen. Unbekannte Täter bewarfen Gebäudefassaden von international tätigen Konzernen mit Farbbeuteln und beschossen ein Bankgebäude mit Pyrotechnik. Für die Zeit des Kongresses war aus den Reihen der WEF-Gegner zu zahlreichen Gegenveranstaltungen in den Schweizer Städten Bern, Biel, Davos, Chur, Basel, Winterthur und Zürich aufgerufen worden. An einer nicht angemeldeten "Anti-WEF-Demonstration" am 29. Januar in Basel wollten sich circa 400 Personen des internationalen Anti-Globalisierungsspektrums beteiligen, die zum größten Teil bereits bei ihrer Ankunft am Bahnhof von der Polizei kontrolliert wurden. Insgesamt war ein Rückgang der Protestaktionen gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, es wurden allerdings mehr als 214 Personen in Gewahrsam genommen. 116 Linksextremismus Vom 2. bis 8. Juli richteten sich in mehreren schottischen Städten vielfältige Proteste gegen das Treffen der Staatsund Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen (G8-Treffen), welches vom 6.-8. Juli in Gleneagles (Perthshire, Schottland) stattfand. Höhepunkt der Proteste war die Großdemonstration "Make Poverty History" am 2. Juli in Edinburgh, zu der eine breite Koalition von Kirchengruppen und NGOs aufgerufen hatte. Nach Angaben der britischen Behörden nahmen daran - bei friedlichem Verlauf - etwa 150.000 Personen teil, darunter auch ein etwa 300-500 Personen umfassender, mutmaßlich international zusammengesetzter 'Schwarzer Block'. Am 6. Juli versuchten mehrere Hundert militante Globalisierungskritiker - zum Teil erfolgreich - Zufahrtswege von Edinburgh nach Gleneagles zu blockieren beziehungsweise in die weiträumig um das Tagungsgelände errichtete Absperrung einzudringen. Im Internet rühmten sich militante Kreise damit, etwa zehn verschiedene Streckenabschnitte "mehr oder weniger erfolgreich" blockiert, Absperreinrichtungen niedergerissen und dabei "Bullen nicht nur mit Wurfgeschossen, sondern auch mit Knüppeln und Eisenstangen bearbeitet" zu haben. Im Verlauf der Proteste in Schottland kam es zu insgesamt mehr als 400 freiheitsentziehenden oder beschränkenden Maßnahmen, von denen auch circa 40 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit (zwei aus NRW) betroffen waren. Darunter waren Angehörige des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums sowie einzelne Personen, die von der Polizei als "Gewalttäter Sport" eingeschätzt werden. Insgesamt dürften sich etwa 200-300 Aktivisten aus Deutschland an den Protesten in Schottland beteiligt haben. Die Protestaktionen trugen hauptsächlich zwei große Netzwerke: zum einen die 'G8-Alternatives', ein lokales Bündnis linker Gewerkschafter, Friedensaktivisten und verschiedener trotzkistischer Gruppen, sowie das nicht nur auf Großbritannien beschränkte Netzwerk 'Dissent!', das einen Querschnitt des gesamten undogmatischen linksextremistischen beziehungsweise anarchistischen Spektrums abbildete. Im Hinblick auf den 2007 in Heiligendamm von Deutschland auszurichtenden G8Gipfel begann das linksextremistische Spektrum bereits im Frühjahr 2004 mit der Organisation von Protestaktionen. Seit Mitte des Jahres 2005 haben sich zwei überregionale Strukturen innerhalb des linksextremistischen Spektrums herausgebildet, die eine Mobilisierung gegen diesen Gipfel vorantreiben. Die 'Interventionistische Linke' (IL) beabsichtigt die Bildung eines Gesamtbündnisses unter möglichst breiter Beteiligung. Angesprochen werden sollen linke, linksextremistische, trotzkistische, kirchliche, parteinahe, gewerkschaftliche Gruppen, aber auch die 'Linkspartei' und 'ATTAC'. Das andere Bündnis ist als deutschsprachiger Ableger des maßgeblich von militanten britischen Globalisierungskritikern zur Vorbereitung von Protesten gegen das G8-Treffen im Juli 2005 in Gleneagles (Schottland) initiierten Netzwerkes 'Dissent!' entstanden. Es ordnet sich dem im deutschen Linksextremismus nach wie vor nicht etablierten Netzwerk 'Peoples Global Action' (PGA) zu. Daneben beschäftigen 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 sich kleinere regionale Bündnisse und auch militante Kleingruppen mit dem bevorstehenden Gipfel. So nahmen seit Juli 2005 bei mehreren Brandanschlägen außerhalb Nordrhein-Westfalens die jeweiligen Täter, darunter die 'militante gruppe' (mg) in Berlin, in ihren Taterklärungen jeweils Bezug auf den G8-Gipfel 2007. Mobilisierung gegen Sozialabbau Die im August 2004 relativ spontan entstandenen so genannten "Montagsdemonstrationen" wurden von einem Großteil der Autonomen ignoriert. Stattdessen mobilisierten einzelne Gruppen in der Hoffnung, Unterstützung bei vielen Hartz IV-Beziehern zu finden, für die bundesweite Aktion "Agenturschluss - Arbeitsagenturen und Personalservice Agenturen am 3. Januar lahm legen!". In mehreren Städten kam es zu Aktionen vor Arbeitsagenturen, teilweise mit kleineren Sachschäden; in NRW in Aachen, Bielefeld, Bonn, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Münster, Oberhausen und Wuppertal. Die Teilnehmerzahlen lagen zwischen acht und 100, größtenteils um die 50 Personen. Das Ziel, eine Zusammenarbeit mit Arbeitsloseninitiativen zu erreichen und Arbeitslose zu mobilisieren, wurde größtenteils nicht erreicht. Die Aktionen blieben weiterhin überwiegend "szeneintern" und ohne Öffentlichkeitswirksamkeit. Thematisch verlegte man sich inzwischen auf die Überwachung von "Ein-Euro-Jobs" unter dem Motto "Workfare ist not fair! Gegen Lohndumping und Zwangsdienste - Ein-Euro-Jobs stoppen!". Für den 25. April und 20. Mai plante man bundesweite Aktionstage, an denen in NRW aber lediglich in Köln Aktionen bekannt wurden. An beiden Tagen suchten etwa 40 Aktivisten, die neben der autonomen Szene und autonomen Selbsthilfeprojekten überwiegend dem Umfeld der anarchistischen 'Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union' (FAU) zuzurechnen sind, mehrere Anbieter von "EinEuro-Jobs" in Köln auf. Das unmittelbare Eintreffen der Polizei verhinderte, dass die Demonstranten die Gebäude betreten konnten. Es entwickelten sich lediglich Wortgefechte mit der Leitung der Einrichtungen und den betroffenen Beschäftigten, die ihre Arbeit verteidigten. Im Internet bekannte sich eine unbekannte Gruppe 'Aktiv gegen Zwangsdienste' dazu, das Gebäude des Caritasverbandes Köln am 18. Mai besprüht und mit Farbbeuteln beworfen zu haben. In Köln dränge die Caritas ihre Einrichtungen bereits jetzt dazu, "auf Biegen und Brechen" Zwangsdienste bereitzustellen. Weitere demonstrative Aktionen gegen die Kölner Caritas folgten. Für den 5. September mobilisierte die globalisierungskritische Szene für einen "bundesweiten dezentralen Aktionstag" gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung. Dieser sollte unter dem Motto "Hartzschluss" an die Aktion "Agenturschluss" anknüpfen, in deren Rahmen am 3. Januar in zahlreichen deutschen Städten Aktionen vor Arbeitsagenturen mit zumeist demonstrativem Charakter stattgefunden hatten. 118 Linksextremismus Während "Agenturschluss" größtenteils von Personen der autonomen Szene organisiert worden war, beteiligte sich die autonome Szene hier nicht. Im Oktober 2004 schlossen sich in der autonomen Szene Berlins Aktivisten unter dem Namen 'Die Überflüssigen' für Aktionen mit sozialpolitischem Bezug zusammen. Dabei tragen sie rote Kapuzenpullis und weiße Gesichtsmasken. Ihr Konzept wurde inzwischen auch von Aktivisten aus anderen Bundesländern übernommen. So zündeten am 16. November 2005 mit roten Jacken bekleidete und maskierte Personen am Grundstück von Bundesminister Clement in Bonn-Bad Godesberg Rauchfackeln an und deponierten Rauchmelder. Auf einem zurückgelassenen Transparent stand: "Unsere Antwort auf den ganzen Scheiss: schwarz fahren, klauen gehen, blau machen". Auf Flugblättern begründeten die Täter ihr Handeln damit, dass Clement verantwortlich für die "Sozialschmarotzer-Hetze" aus seinem Ministerium sei. Die Aktion wurde inzwischen im Internet auf der Homepage der Gruppe 'Die Überflüssigen' sowie bei 'Indymedia' publiziert. Insgesamt bleibt festzustellen, dass die gewaltbereite linksextremistische Szene im Zusammenhang mit dem Thema "Sozialabbau" wie schon in den Vorjahren innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung unbedeutend ist und sich lediglich auf öffentlichkeitswirksame Einzelaktionen beschränkt. Szeneintern wird jedoch bedauert, die Anti-Hartz-Proteste des letzten Jahres nicht zur Erweiterung des Unterstützerbereiches genutzt zu haben. So erfolgte in der 'Interim' (Ausgabe 614 vom 7. April 2005) eine selbstkritische Diskussion: Durch monatelange Debatte sei der Anschluss verpasst und die Spitze der Montagsdemonstrationen einzelnen "Linksruck-Funktionären" überlassen worden, die häufig wenig mehr verträten als sich selbst. Die wenigen undogmatischen Linken hätten durch ihren in "Manier der Achtziger-Jahre-Autonomen" gebildeten Demoblock so gut wie jeden "Nichtkapuzi-Träger" vergrault. Auch den Organisatoren der Hartz IVProteste habe wegen "übertriebenen Aktionismus" eine zumindest mittelfristige Protestperspektive gefehlt. Wünschenswert wäre die Radikalisierung der Proteste gewesen. Der Autor fragt selbstkritisch, wie ein gesellschaftlicher Wandel überhaupt erreicht werden solle. Die Gruppe 'FelS-Sozial-AG' stellt in derselben Ausgabe fest, dass die bisherigen Projekte des eigenen politischen Lagers vor allem ein studentisches Milieu ansprächen, man aber nicht in der Lage sei, in die Proteste der Arbeitslosen oder durch Existenzangst Verunsicherten hineinzuwirken. Dies sei vor allem Ausdruck einer organisatorischen Schwäche und der mangelnden Öffnung der Szene für außenstehende Interessierte. Ein anderer Autor bilanziert, dass sich viele allzu wohl im eigenen geschlos119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 senen Block fühlten und den Sinn von Demonstrationen mehr im Vorzeigen eigener Stärke als im Vermitteln von Botschaften sähen. Antiimperialistische Solidarität im Bereich des Nahen und Mittleren Ostens Ausgangspunkt der politischen Arbeit der antiimperialistisch orientierten Linksextremisten ist die Solidarität mit den aus ihrer Sicht unterdrückten Völkern und revolutionären Befreiungsbewegungen. Als international Hauptverantwortliche imperialistischer Bestrebungen werden die USA und Israel als angeblicher Brückenkopf der USA im Nahen Osten gesehen. In Folge der fortgesetzten Besatzung des Irak und des unverändert andauernden Nahostkonflikts setzte sich das Engagement deutscher Linksextremisten im Bereich des "Antiimperialismus" in 2005 kontinuierlich fort. Unter Beteiligung des im Juli 2004 in Köln gegründeten 'Deutschen Solidaritätskomitees Freier Irak' fand im März 2005 die 'Internationale Irak-Konferenz - Über Besatzung, Widerstand und Internationale Solidarität' in Berlin statt, die den Krieg im Irak thematisierte und zur Solidarität mit dem Widerstandskampf aufrief. Der Aufruf ließ deutlich werden, dass eine friedliche Lösung der Auseinandersetzungen im Irak zumindest für einen Teil der Organisatoren nur vordergründiges Ziel war. "Wenn wir gegen Imperialismus und Neoliberalismus sind, müssen wir nicht nur den Widerstand im Irak unterstützen, wir müssen selbst zum Widerstand im Irak werden." Die Konferenz sollte gegen das US-amerikanische Engagement im Irak polemisieren: "Der Widerstand des irakischen Volkes gegen Aggression, Besatzung und Rekolonialisierung durch die USA und ihre Verbündeten ist der legitime Kampf gegen die demütigende Realität der Fremdherrschaft und gegen Lebensbedingungen, die sich mit dem Krieg noch weiter verschlechtert haben". So fand denn auch die Äußerung eines Vertreters des irakischen Widerstands, dass nur bewaffneter Widerstand die USA aus dem Irak vertreiben könne, Zuspruch unter den Konferenzteilnehmern: "Wir arbeiten daran, den Widerstand immer weiter zu verbessern - von Nord bis Süd, von Ost bis West. Die Abstimmung untereinander wird jeden Tag effektiver, bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Besatzer aus dem Lande vertrieben haben." Mit dem 'Solidaritätskomitee Freier Irak' inhaltlich und personell verbunden sind unter anderem die 'Antiimperialistische Koordination' (AIK) und der in Duisburg ansässige Verein 'Initiativ e. V. - Verein für Demokratie und Kultur von unten', die bereits Mitte 2003 durch ihre Kampagne "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand" auffielen. Mit der Kampagne sollte der Widerstand im Irak in all seinen Erscheinungsformen sowohl politisch als auch materiell unterstützt werden, wobei man zumindest billigend in Kauf nahm, dass Spendengelder auch in die Hände terroristischer Widerstandsgruppen im Irak gelangen könnten. 120 Linksextremismus Der Sprecher des Solidaritätskomitees, der auch Gründungsmitglied ist, formulierte: "Wir sind mit dem irakischen Widerstand in allen seinen legitimen und politischen und militärischen Formen solidarisch [...]" Eine weitere für Oktober 2005 unter Beteiligung der AIK geplante 'Internationale Irak-Konferenz' in Rom fand nicht statt. Der Grund waren nicht erteilte Einreisevisa für Teilnehmer aus dem Irak, zu deren Handlungsoptionen auch terroristische Mittel gehören. Sie wurde von den Organisatoren daraufhin in ein 'Internationales Protesttreffen. Frieden für den Irak - Unterstützt den gerechten Widerstand des irakischen Volkes' umbenannt. Es sollte zur Vorbereitung einer nun zu einem späteren Zeitpunkt stattfindenden 'Internationalen Irak-Konferenz' an einem bislang unbekannten Ort dienen. Wie anlässlich der Irak-Konferenz im März vereinbart, fand zum fünften Jahrestag der palästinensischen Intifada am 24. September 2005 in Köln der von einem 'Initiativ'Aktivisten angemeldete Aktionstag gegen Krieg und Besatzung unter dem Slogan "Schluss mit der Besatzung in Palästina, Irak, Afghanistan" statt. In der von einem Bündnis palästinensischer, deutscher und türkischer Organisationen durchgeführten Demonstration, deren Teilnehmerzahl weit hinter der des Vorjahres zurückblieb, wurde die Situation in Palästina mit der des Iraks auf eine Stufe gestellt und ein Zusammenhang zwischen nach Ansicht der Organisatoren bestehender israelischer Apartheidsund Vertreibungspolitik sowie US-amerikanischer Imperialismuspolitik thematisiert. Deutschland wurde von den Demonstranten als zentrale Drehscheibe für Waffen und Truppentransporte der USA in den Irak und nach Israel angeprangert. Wegen ihrer uneingeschränkten Solidarität mit den Palästinensern bieten Antiimperialisten und deren Aktivitäten immer wieder Angriffsfläche für Gegenaktionen so ge121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 nannter 'Antideutscher', die mit ihrer proisraelischen und proamerikanischen Haltung einen deutlichen Kontrapunkt bilden. So fand zeitgleich zur Intifada-Demonstration eine Gegenkundgebung unter dem Motto "Fence out Terror! Solidarität mit Israel!" auf der Kölner Domplatte statt, in deren Verlauf es zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der gegnerischen Lager kam. Das Motto der Veranstaltung - "Zäune gegen Terror" - nimmt auf den von israelischer Seite errichteten Betonwall gegen palästinensische Siedlungsbereiche Bezug. Neben einer Vielzahl weiterer kleinerer Kundgebungen, Mahnwachen, Demonstrationen und Informationsveranstaltungen mit Bezügen zu Palästina und Irak engagierte sich 'Initiativ e. V.' zum Thema Befreiungskampf des Baskenlandes und lud zu einer Reise ins Baskenland vom 24. März bis 2. April 2005 ein, die in Zusammenarbeit mit der baskischen ETA-nahen Internationalismusorganisation 'Askapena' geplant worden war. Dazu die Sprecherin von 'Initiativ': "Wir möchten unsere Solidarität mit dem baskischen Volk und seinem Kampf für das Selbstbestimmungsrecht praktisch werden lassen." Kaum noch autonome Aktivitäten in der Anti-Kernkraft-Bewegung Die Anti-Kernkraft-Bewegung unterliegt keiner generellen Beobachtung. Bisher engagierten sich in der Anti-Kernkraft-Bewegung sowohl traditionelle Umweltorganisationen und lokale Bürgerinitiativen als auch linksextremistische Gruppierungen. Letztere verknüpften ihren Protest gegen den Einsatz von Kernenergie mit einer generellen Kritik am staatlichen System und seinen Institutionen. Die autonomen Kernkraftgegner nahmen bei ihren Protesten die Gefährdung anderer Personen in Kauf oder suchten die gezielte Auseinandersetzung mit der Staatsmacht. Demgegenüber schlug das bürgerliche Spektrum eine Taktik ein, die hauptsächlich auf eine Einbeziehung der Medien abzielte und die vom kontinuierlichen Bestreben bestimmt war, ihrem Anliegen eine sympathische Darstellung zu verschaffen. Militantautonome Handlungsmuster fanden in diesem Rahmen keinen Platz. Diese neue Vorgehensweise zog jetzt auch wieder Personen und Gruppierungen an, die bisher dem autonomen Spektrum zugerechnet wurden. Hier ergab sich die Möglichkeit von Aktionen, die den Einsatz vieler Sicherheitskräfte und eine umfangreiche Medienberichterstattung nach sich zogen, ohne sich dem Druck der Strafverfolgung aussetzen zu müssen. Eine linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-Kernkraft-Bewegung ist inzwischen nur noch in geringem Umfang feststellbar. Die Versuche, Umweltorganisa122 Linksextremismus tionen und Bürgerinitiativen für staatfeindliche Zielsetzungen zur instrumentalisieren, sind auf ein kaum wahrnehmbares Niveau abgefallen. Ein Beleg für diese Tendenz war ein Transport von 18 Behältern mit abgebrannten Brennelementen aus dem Forschungszentrum Rossendorf bei Dresden in das Transportbehälterlager Ahaus im Münsterland. Es handelte sich um den ersten innerdeutschen Transport dieser Größenordnung, der ausschließlich auf dem Straßenweg durchgeführt wurde. Der Transport fand in drei Schritten mit je sechs Behältern an drei Terminen statt. Obwohl auch schon im Vorfeld mit Stilmitteln der autonomen Szene für Widerstandshandlungen gegen den Transport mobilisiert worden war (zum Beispiel am 23. April für eine Kundgebung in Bad Oeynhausen) und trotz des im Verlauf der drei Termine stark ansteigenden Interesses am Protest und Widerstand, war augenfällig, dass es sich bei den praktizierten Widerstandsformen um weitgehend friedliche Aktionsmuster handelte. Die Handlungskonzepte der Aktivisten schlossen im Extremfall auch "symbolische Aktionen" und "zivilen Ungehorsam" wie das Überrennen von Absperrungen, den Versuch von Fahrbahnbesetzungen sowie Weg123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 tragenlassen ein. In Verbindung mit weit über tausend Demonstranten reichten diese Aktionen aus, um das Anliegen der Kernkraftgegner wirkungsvoll in den Medien zu präsentieren. Auch bei einem Rückführungstransport von zwölf Castor-Behältern von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague (Frankreich) in das Transportbehälterlager Gorleben fand nur eine geringe Einflussnahme von Linksextremisten statt, die mitunter auf Ablehnung der an den Protestaktionen beteiligten Organisationen und Initiativen stieß. Die Beteiligung von Kernkraftgegnern aus dem Umfeld der autonomen Szene (darunter auch Personen aus Nordrhein-Westfalen) an Widerstandsaktivitäten im Wendland blieb mit etwa 100-200 Aktivisten auf dem Vorjahresniveau. Im Vorfeld des Transports wurden jedoch mehrere militante Aktionen durchgeführt: : Am 28. September wurde ein Brandanschlag auf 130 Wohncontainer im Landkreis Lüchow-Dannenberg verübt, die auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände standen und bei Castor-Einsätzen für die Unterbringung von Polizeikräften genutzt wurden. Es entstand ein Sachschaden von circa drei Millionen Euro. : Mehrere Hakenkrallenanschläge in den Wochen vor dem Transport, unter anderem in Hagen, wurden mit dem Tod französischen Aktivisten Sebastien Briat begründet, der bei einer Aktion gegen einen Castor-Transport im vergangenen Jahr vom Transportzug überrollt wurde und verstarb. Eine Selbstbezichtigungserklärung zu den Anschlägen endet mit den Worten: "Wut und Trauer in Widerstand! Für die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse!" Diese Aktionen weisen zumindest für Castor-Transporte nach Gorleben auf das fortgesetzte Interesse autonomer Kernkraftgegner hin, sich mit Gewaltaktionen in die AntiKernkraft-Bewegung einzubringen. 124 Ausländerextremismus 5 Ausländerextremismus 5.1 Türkische Organisationen 5.1.1 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C); Türkische Volksbefreiungspartei/-Front -Revolutionäre Linke (THKP/-C) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Leitung Funktionärsgruppe um den Vorsitzenden Dursun Karatas Mitglieder NRW Bund 2005 200 650 2004 200 650 Publikationen 'Devrimci Sol' ('Revolutionäre Linke'); seit Mai 'Yürüyüs' ('Marsch'), vorher 'Ekmek ve Adalet' ('Brot und Gerechtigkeit'); 'Tavir' ('Haltung'); 'Kerbela' (nach einem Ort im Irak); 'Kültür Adasi' ('Kulturinsel') Internet mehrsprachige Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die in der Türkei und Deutschland verbotene 'Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front' ('Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi' - DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Hierzu bedient sie sich in der Türkei auch terroristischer Methoden. So war die Organisation im Vorfeld des NATO-Gipfels im Juni 2004 in Istanbul für die Bombenexplosion in einem Linienbus mit vier Toten und zahlreichen Verletzten verantwortlich. Im Juli 2004 wurde nach Angaben der türkischen Sicherheitskräfte durch Erschießung eines mutmaßlichen Attentäters ein Anschlag auf das Justizministerium in Ankara vereitelt; der Täter soll Mitglied der DHKP-C gewesen sein. In Deutschland wurden von der Organisation, allerdings letztmalig 1998, Gewaltaktionen gegen Anhänger des Oppositionsflügels und Spendenerpressungen verübt. Mit ihrem Bestreben gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 3 VSG NRW). 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Wegen der gleichermaßen vorhandenen Gewaltbereitschaft unterliegt auch die unbedeutendere Abspaltungsgruppe 'Türkische Volksbefreiungspartei/-Front' (THKP/-C) der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Die DHKP-C und die THKP/-C sind Nachfolgeorganisationen der in der Bundesrepublik seit 1983 verbotenen 'Devrimci Sol' und als solche am 13. August 1998 durch das Bundesministerium des Innern verboten worden. Die gegen das Verbot angestrengte Klage wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 1. Februar 2000 zurückgewiesen. Ein Streit zwischen den seinerzeitigen Vorsitzenden verfestigt bis heute die Rivalität zwischen beiden Organisationen, ohne dass ernsthafte ideologische Differenzen zu erkennen wären. Unter der Bezeichnung DHK-C - 'Devrimci Halk Kurtulus Cephesi' agiert der militärische Arm der DHKP-C. Die politischen Aktivitäten werden seit 1983, als die 'Devrimci Sol' verboten wurde, konspirativ fortgesetzt. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisation gesetzt. Struktur Deutschland ist neben der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet der DHKP-C. Die Organisation verfügt über feste Strukturen. Dem Deutschlandverantwortlichen sind Gebietsverantwortliche nachgeordnet. Die eingesetzten Funktionäre treten zur Tarnung unter Decknamen auf und werden häufig ausgetauscht. Als örtliche oder regionale Basis dienen der DHKP-C Vereine, deren Satzung keinen Rückschluss auf die Organisation zulassen. In NRW verfügt die DHKP-C über solche Stützpunkte unter anderem in Bielefeld, Dortmund, Duisburg und Köln. Finanzierung Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Verkauf von Publikationen. Wie in den Vorjahren konnte das Ziel der Spendenkampagne bei weitem nicht erreicht werden. Über Spendengelderpressungen konnten in den letzten Jahren keine Erkenntnisse gewonnen werden. Medieneinsatz Die Zeitschrift 'Vatan' ('Heimat') wurde im März 2002 - nachdem sie gut zwei Jahre erschienen war - eingestellt; stattdessen wurde die Zeitschrift 'Ekmek ve Adalet' ('Brot und Gerechtigkeit') veröffentlicht. Entgegen der Behauptung der DHKP-C hat das Landgerichts Bamberg mit Urteil vom 11. Januar 2005 wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz rechtskräftig festgestellt, dass es sich bei dieser Publikation um die 126 Ausländerextremismus Nachfolgepublikation der Zeitschrift 'Vatan' und somit um eine Publikation der DHKP-C handelt. Das Urteil wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 2005 bestätigt. Zwei Tage zuvor war über das Internet und in der Zeitschrift bekannt gegeben worden, dass die 'Ekmek ve Adalet' eingestellt worden sei. Seit Mai 2005 erscheint eine neue wöchentliche Zeitschrift unter dem Namen 'Yürüyüs' (Demonstration, Marsch). Neben den regelmäßig erscheinenden Publikationen nutzt die DHKP-C intensiver als die übrigen linksextremistischen türkischen Organisationen das Internet für Aufrufe und politische Erklärungen. Sie verfügt über eine mehrsprachige Homepage. Aktuelle Themen und Aktivitäten Am 23. April 2005 fand anlässlich des 11. Jahrestages der Parteigründung eine Gedenkveranstaltung in s'Hertogenbosch (Niederlande) statt, an der etwa 1.500-2.000 Personen teilnahmen. Ein Großteil war aus Deutschland angereist. Es wurde zum Kampf gegen Imperialismus und Faschismus in der Türkei aufgerufen. Weiter wurde an die Hungerstreiktoten der letzten Jahre erinnert. An der Vorjahresveranstaltung nahmen etwa 3.000 Personen teil. In einer Interneterklärung (Nr. 34) thematisiert die DHKP, der politische Arm der DHKP-C ihre 35-jährige Geschichte. Mit Stolz wird verkündet, dass die Organisation in einem Land, in dem nicht einmal die Systemparteien lange überlebten, seit 35 Jahren ihrer Linie treu geblieben sei. Weiter heißt es: "Es gibt nur einen Ausweg, dieses System zu verändern, die Imperialisten aus der Türkei zu vertreiben und die Regierung zu stürzen. Die Probleme können durch die Revolution gelöst werden [...]. Wir sagen, dass dieses System verändert werden kann und dafür ein Volkskampf unabdingbar ist." Neben innenpolitischen Fragestellungen in der Türkei, insbesondere den so genannten "Isolationshaftzellen", nimmt sich die Organisation zunehmend sozialpolitischer Themen der deutschen Politik an. 127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Fortsetzung der Aktionen im Zusammenhang mit dem Todesfasten Am 20. Oktober 2000 nahmen Gefangene linksextremistischer Organisationen den Bau von Einzelzellen anstelle der bisherigen Großraumzellen für teilweise über 100 Gefangene zum Anlass, mit einem Hungerstreik, dem so genannten "Todesfasten", zu beginnen. Seit Mitte 2002 ist die DHKP-C die einzige Organisation, die noch am Todesfasten festhält. Mittlerweile sind 120 Personen durch den Hungerstreik beziehungsweise durch damit zusammenhängende Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften verstorben. Nachdem Anhänger des der DHKP-C nahe stehenden 'Solidaritätsvereins mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei' (TAYAD)3 beim Verteilen von Flugblättern im Schwarzmeergebiet festgenommen wurden, fanden unter dem Motto "Schluss mit dem Terror gegen TAYAD in der Türkei" am 15. April 2005 in Düsseldorf (14 Teilnehmer) und Berlin und außerdem am 19. April 2005 in Hamburg Protestaktionen von TAYAD-Anhängern in Deutschland statt. Aus Anlass des Selbstmordes eines in türkischer Haft befindlichen Anhängers kam es am 30. Mai 2005 in Düsseldorf und Frankfurt zu Spontandemonstrationen. Die Anzahl der Teilnehmer war mit zehn beziehungsweise 15 Personen gering. Hierzu hieß es in einer Interneterklärung der DHK-C (Nr. 347) unter der Überschrift "Der 119. Held im Todesfasten", dieser habe in dem nunmehr im fünften Jahr anhaltenden "Widerstand der politischen Gefangenen" gegen die Isolation in den "F-Typ-Gefängnissen" der ganzen Türkei zeigen wollen, dass man das "Recht auf Widerstand gegen Isolationshaft und faschistische Gesetze" nicht unterdrücken könne. Am Jahrestag des Beginns des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen am 20. Oktober 2000 veranstaltete das 'TAYAD-Komitee' eine Demonstration vor dem Landtag in Düsseldorf. Die Demonstration wurde auf der Homepage des 'TAYAD-Komitees' wie folgt angekündigt: "Wir werden vor den Parlamenten von mehreren europäischen Städten Demonstrationen veranstalten." An der störungsfrei verlaufenen Veranstaltung in Düsseldorf nahmen nur 17 Personen teil. Weitere Veranstaltungen in Stuttgart und Berlin erzielten eine noch geringere Beteiligung. Kampagne "Gemeinsam gegen Rechtsraub" Am 18. und 25. Februar 2005 demonstrierten 15 beziehungsweise 20 Anhänger der der DHKP-C nahestehenden 'Anatolischen Föderation' vor dem Landtag in Düsseldorf gegen den Sozialabbau in Deutschland, gegen Hartz IV und die Arbeitslosigkeit. 3 TAYAD ist eine thematisch der DHKP-C nahe stehende Gefangenenorganisation 128 Ausländerextremismus Die Teilnehmer führten Transparente und Flugblätter mit dem Slogan "Gemeinsam gegen Rechtsraub" mit. Beide Veranstaltungen verliefen ohne Störungen. Sie sind Teil der Kampagne "Gemeinsam gegen Rechtsraub," mit der die 'Anatolische Föderation' bundesweit zu zahlreichen Infoständen, Kundgebungen etc. aufgerufen hatte. Zum Abschluss der Kampagne demonstrierten rund 150 Anhänger am 5. März 2005 in Köln. Die 'Anatolische Föderation' vermied bei allen Veranstaltungen eine inhaltliche Nähe zur DHKP-C. In einer Interneterklärung vom 28. August 2005 rief sie dazu auf, bei der Bundestagswahl am 18. September 2005 "Parteien zu wählen, die gegen Hartz IV, Agenda 2010 und sozialen Abbau sind". Die etablierten Parteien wurden scharf und polemisch kritisiert. Am 1. Oktober 2005 demonstrierten etwa 90 türkische Linksextremisten in Köln gegen die für den 3. Oktober geplante Aufnahme von Beitrittsgesprächen zwischen der EU und der Türkei. In einer Rede wurde die EU als "Bedrohung für die demokratischen Rechte und Freiheiten" und als "aggressives imperialistisches Bündnis" dargestellt. Nach Meinung der Linksextremisten wird die Ausbeutung der Bevölkerung verschlimmert und infolgedessen das Leben der Bevölkerung weiter erschwert. Bewertung Die Probleme bei der Mitgliedermotivation und bei der Finanzierung bestehen fort. Es bleibt abzuwarten, ob die DHKP-C durch die Erweiterung des politischen Spektrums auf sozialpolitische Themen in Deutschland, gegebenenfalls im Zusammenwirken mit Vertretern der deutschen Linken, eine Stärkung erfahren kann. 5.1.2 Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei (MLKP); Kommunistische Partei & Aufbauorganisation (KP-IÖ) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Leitung Ausländerkomitee Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 250 ca. 600 2004 ca. 250 ca. 600 Publikationen 'Yeni Atilim' ('Neuer Vorstoß'); 'Partinin Sesi' ('Stimme der Partei');'Internationales Bulletin' :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Die 'Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei' (MLKP) vertritt die Lehren des Marxismus-Leninismus und strebt den revolutionären Umsturz des türkischen Staates und den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. Diese Zielsetzung begründet die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Bei der MLKP handelt es sich um einen 1994 entstandenen Zusammenschluss der 'Türkischen Kommunistischen Partei (Marxisten-Leninisten)-Bewegung' (TKP(ML)H) und der 'Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung' (TKIH). Bereits im September des Folgejahres kam es zu internen ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der MLKP, die zur Abspaltung der 'Kommunistischen Partei & Aufbauorganisation' (KP-IÖ) führten. Struktur Die MLKP bedient sich in Deutschland ihrer Basisorganisationen 'Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland' (AGIF) und der 'Kommunistischen Jugendorganisation' (KGÖ). Ortsvereine/Komitees bestehen unter anderem in Bielefeld, Duisburg, Hagen und Dortmund. Finanzen Die MLKP finanziert sich durch eine regelmäßig im Herbst beginnende Spendenkampagne und durch Mitgliedsbeiträge. Über Spendengelderpressungen liegen keine Erkenntnisse vor. Aktivitäten Nennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktionen haben im Berichtszeitraum nicht stattgefunden. Lediglich zu politisch brisanten Themen wurden Verlautbarungen verbreitet. Bewertung In Deutschland ist die MLKP seit einigen Jahren nicht mehr gewalttätig in Erscheinung getreten. Anders in der Türkei, wo sie zuletzt im September 2004 für einen Sprengstoffanschlag verantwortlich war. 130 Ausländerextremismus 5.2 Kurdische Organisationen: Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL); Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und unterstützende Organisationen Seit dem 26. November 1993 in Deutschland vom Bundesminister des Innern mit einem Betätigungsverbot belegt. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Nord-Irak Europavertretung wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten Vorsitz Zübeyir Aydar und 6 Stellvertreter Höchstes Entscheidungsorgan Generalversammlung Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 2.000 ca. 11.500 2004 ca. 2.000 ca. 11.500 Publikationen 'Özgür Politika' ('Freie Politik'), Tageszeitung (erschienen bis September 2005), Auflage bis 20.000;'Serxwebun' ('Unabhängigkeit'), erscheint monatlich, Auflage bis 20.000;'Kurdistan-Report', erscheint zweimonatlich, Auflage bis 15.000. Fernsehsender 'ROJ TV' :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 5.2.1 Hintergrund Die 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK), die heute unter der Bezeichnung 'Volkskongress Kurdistans' (KONGRA-GEL) agiert, wurde im November 1978 in der Türkei gegründet. Gründungsmitglied und Führer der PKK war Abdullah Öcalan, der auch nach seiner Festnahme im Februar 1999 formal noch bis November 2003 als Generalsekretär an der Spitze der Organisation stand. Die Partei ist eine straff organisierte und zentralistisch geführte Kaderorganisation, deren marxistisch-leninistische Programmatik im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr durch kurdisch-nationales Gedankengut überlagert wurde. Programmatisches Ziel der Organisation war die Errichtung eines eigenen kurdischen Nationalstaates, der die Gebiete Südostanatoliens, den Nord-Irak, Teile des westlichen Irans und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Dieses Ziel steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozialen, kulturellen und völkerrechtlichen Situation der 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 etwa 20 bis 25 Millionen Kurden, deren Hauptsiedlungsgebiet in den Staaten Türkei, Irak, Iran, Syrien und Gebieten der früheren Sowjetunion liegt. Die größte kurdische Volksgruppe, etwa 10 bis 12 Millionen Menschen, lebt in der Türkei. Die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Kurden wird mit 500.000 bis 600.000 beziffert. Seit dem 26. November 1993 ist der PKK und ihrer Nebenorganisation 'Nationale Befreiungsfront Kurdistans' ('Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan' - ERNK) die Betätigung in Deutschland verboten. Nachdem der Rat der Europäischen Union bereits im Mai 2002 die 'Arbeiterpartei Kurdistans' als terroristische Organisation bewertet hatte, beschloss er am 2. April 2004, auch die Nachfolgeorganisation 'Volkskongress Kurdistans' sowie dessen Vorgängerorganisation, den 'Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans' (KADEK), in die so genannte "EU-Terrorliste" aufzunehmen. Das Bundesministerium des Innern hat in einer Stellungnahme vom 30. Juli 2004 festgestellt, dass sich "das gegen die PKK verhängte vereinsrechtliche Verbot [...] auch auf den KONGRA-GEL erstreckt". Obwohl seit Ende März 1996 ein Kurswechsel zu friedlichem Verhalten erkennbar ist, stellt die PKK wegen einer Reihe gewalttätiger öffentlicher Aktionen im Frühjahr und Sommer 1999 und wegen der fortlaufenden innerorganisatorischen Gewalttaten nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW). Die Aufkündigung des "einseitigen" WaffenFahne des KONGRA-GEL stillstandes durch die 'Volksverteidigungskräfte' (HPG) zum 1. Juni 2004 gegenüber der Türkei und die danach zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Guerilla-Einheiten und terroristischen Anschläge zeigen, dass die Organisation auch weiterhin bereit ist, ihre Ziele in der Türkei mit Gewalt durchzusetzen. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grunde eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW erforderlich ist. 5.2.2 Entwicklung der Organisation seit dem Jahr 2000 Seit dem Jahr 2000 bemüht sich die PKK fortlaufend, sowohl in organisatorischer wie inhaltlicher Hinsicht, um eine Neuausrichtung ihrer Politik, die mit zahlreichen Umbenennungen der Organisation und ihrer Teilund Nebenorganisationen einhergeht. So wurde zum Beispiel die in Europa tätige Propagandaorganisation der PKK, die 'Nationale Befreiungsfront Kurdistans' (ERNK), im Januar 2000 aufgelöst und zunächst 132 Ausländerextremismus durch die 'Kurdische Demokratische Volksunion' (YDK) ersetzt. Im Juni 2004 wurde die YDK ihrerseits aufgelöst und durch die 'Civata Demokratik Kurdistan' (CDK) ersetzt. Auch der militärische Flügel der PKK, die 'Volksbefreiungsarmee Kurdistans', wurde im Januar 2000 aufgelöst; an ihre Stelle traten die 'Kurdischen Volksverteidigungskräfte' (HPG). Der entscheidende äußerliche programmatische Bruch mit der "alten" PKK erfolgte mit den Beschlüssen des 7. Außerordentlichen Parteikongresses im Januar 2000, als die Partei das Ziel der Gründung eines eigenständigen kurdischen Staates aufgab, zugunsten einer politischen Lösung der kurdischen Frage mit demokratischen Mitteln. Als neue Zielsetzung wurden verstärkte demokratische und kulturelle Rechte der Kurden in den jeweiligen Siedlungsgebieten im Iran, Irak, in Syrien und der Türkei proklamiert. In Folge stellte die PKK im April 2002 alle Aktivitäten unter ihrem Namen ein und gründete den 'Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistan' (KADEK), der die in den verschiedenen kurdischen Siedlungsgebieten zu gründenden Parteien koordinieren sollte. Bereits ein Jahr später wurde der KADEK wieder aufgelöst und am 15. November 2003 die Gründung des 'Volkskongress Kurdistan' (kurdisch: KONGRA-GEL) bekannt gegeben. Mit ihm versuchte die Organisation einen erweiterten zivilgesellschaftlichen Ansatz mit einem neuen ökologischen Aspekt. Man wollte in den kurdisch besiedelten Ländern auf Dauer als demokratische und ökologische Partei anerkannt werden. Mit der Gründung des KONGRA-GEL war auch die formale Trennung vom ehemaligen Vorsitzenden Abdullah Öcalan und von dem militärischen Flügel, den 'Kurdischen Volksverteidigungskräften' (HPG), vormals 'Volksbefreiungsarmee Kurdistans', verbunden. Ohne formelles Amt wurde Abdullah Öcalan zur "Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes" und die HPG als organisatorisch autonom, aber dem politischen Willen des Volkskongresses unterstellt, erklärt. Über den jüngsten Versuch einer ideologischen Neuausrichtung in Anpassung an die veränderten Verhältnisse, die Schaffung des 'Demokratischen Kurdischen Konföderalismus' ('Koma Komalen Kurdistan' - KKK), berichtete die 'Özgur Politika' (ÖP) am 5. Juni 2005. Mit der (übersetzt) "Versammlung der Gemeinschaften Kurdistans" soll ein System für die fortschreitende Demokratisierung des KONGRA-GEL und zur Lösung der Kurdenfrage in der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien geschaffen werden. Es gehe weiterhin nicht um die Schaffung eines eigenen Staatswesens. Angestrebt werden - so die Aussage von Abdullah Öcalan - "tiefgreifende demokratische Reformen" in den Staaten mit kurdischen Volksgruppen, die den Kurden dort größere Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Im Rahmen dieser Neuausrichtung wird 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 auch erstmals eine alle Teilund Nebenorganisationen erfassende innerorganisatorische Demokratisierung angestrebt. Die konkreten Ziele und die Umsetzung des Konzepts einer staatenübergreifenden demokratischen kurdischen Bürgerschaft ohne eigenes Territorium sind weiter unklar, ebenso wie das Verhältnis zwischen KONGRA-GEL und KKK. Teilweise werden die Bezeichnungen KKK und KONGRA-GEL gleichbedeutend verwendet. Krise in der Organisation Fahne Koma Komalen Kurdistan - KKK Bereits unmittelbar nach der Gründung des KONGRA-GEL kam es zu erheblichen Differenzen innerhalb der Führungsspitze über die weitere Vorgehensweise. Hintergrund der Führungskrise war die Verunsicherung der Funktionäre über den weiteren Kurs der Organisation bzw. die Ablehnung und Zweifel am Erfolg des so genannten Friedenskurses. Dies führte dazu, dass sich im Februar 2004 mehrere Funktionäre, darunter Osman Öcalan, der Bruder des Parteigründers Abdullah Öcalan, von der Organisation absetzten. Im Mai 2004 berichtete die dem KONGRA-GEL nahe stehende Tageszeitung 'Özgür Politika' von der Bildung eines "Komitees für den Wiederaufbau der PKK". Die so genannte "neue PKK" sollte nach eigenen Angaben als reine Kader(schulungs-)organisation angelegt sein und den ideologischen Mittelpunkt der Bewegung um Abdullah Öcalan darstellen. Nach einjähriger Vorbereitung durch das 'Komitee für den Wiederaufbau der PKK' wurde Anfang April 2005 die Gründung der so genannten 'neuen PKK' bekannt gegeben, die in übereinstimmender Zielsetzung mit dem KONGRAGEL vorrangig im Nahen Osten wirken soll. In der Gründung der 'neuen PKK' ist der Versuch zu sehen, die eigenen Funktionäre in der Anbindung an die Organisation zu stabilisieren und über den Namen die Identifzierung mit der "alten Partei" wiederherzustellen. Unter der Führung Osman Öcalans war bereits im August 2004 im Nord-Irak eine neue Kurdenorganisation mit dem Namen 'Partiya Welatperez'e Demokratik' (PWD), zu deutsch 'Patriotisch-Demokratische Partei', gegründet worden. Allerdings konnte sich die PWD - genauso wie die unter dem KONGRA-GEL im Nord-Irak gegründete Partei - nicht etablieren. Beide blieben gegenüber den zwei im Nord-Irak an der Regierungsverantwortung beteiligten kurdischen Parteien, der 'Patriotischen Union 134 Ausländerextremismus Kurdistans' (PUK) und der 'Demokratischen Partei Kurdistans' (DPK/I), bedeutungslos. Aus der Führungskrise ist inzwischen eine durchgreifende Organisationskrise geworden. Zielrichtung der mehrfachen Umorganisationen und Umbenennungen ist zum einen die breitere Basis des politisch-ideologischen Ansatzes, weg von der kurdischen Parteiorganisation hin zu einer anerkannten demokratischen individualgesellschaftlichen politischen kurdischen Bewegung. Zum anderen steckt darin auch der Versuch, der Stigmatisierung der PKK als Terrororganisation zu entgehen. Der Erfolg erscheint in beiderlei Zielrichtungen - auch mittelfristig - zumindest zweifelhaft. Das Bemühen um Anerkennung als demokratische politische Kraft blieb bis heute auch in Europa erfolglos. Bisheriges Ergebnis der Neuausrichtungen ist stattdessen eine, auch unter den Anhängern in NRW, deutlich nachlassende Identifikation der Kurden mit der Organisation, die stets den Alleinvertretungsanspruch aller Kurden für sich reklamiert hat. Weite Kreise der Anhängerschaft können die mehrfachen Umbenennungen und inhaltlichen Neuerungen nicht nachvollziehen, was innerorganisatorisch zu erkennbaren Motivationsproblemen führt. Sowohl bei der Besetzung von Funktionärsposten als auch bei der Mobilisierung von Anhängern zur Mitarbeit auf Vereinsebene oder zur Teilnahme an Veranstaltungen gibt es zunehmend Probleme. 5.2.3 Eskalation der Gewalt Kampfhandlungen in der Türkei Während die Organisation in Westeuropa bisher ihren äußeren Friedenskurs konsequent verfolgt, kommen im Südosten der Türkei wieder die 'Volksverteidigungskräfte' (HPG) zum Einsatz. Mit der Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstandes durch die HPG zum 1. Juni 2004 ist im Südosten der Türkei eine Eskalation der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen der türkischen Armee und kurdischen Guerillaeinheiten getreten, die vermehrt Todesopfer auf beiden Seiten fordert. Neben militärischen Zusammenstößen gab es zudem terroristische Anschläge, unter anderem auf Züge. Anschläge der 'Freiheitsfalken Kurdistans' In den Städten und touristischen Zentren in der Türkei ist eine Stadtguerilla tätig, welche sich 'Freiheitsfalken Kurdistans' (TAK) nennt. Diese berufen sich bei ihren Aktionen auf Abdullah Öcalan, agieren aber nach eigenen Angaben unabhängig vom KONGRA-GEL. Ziel ihrer Aktionen ist es, die Wirtschaftskraft der Türkei zu schwächen. Die Organisation übernahm die Verantwortung für einen Bombenanschlag am 23. Juni 2005 auf eine Bandagenfabrik in der Provinz Kocaeli (Izmit), bei dem 20 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Menschen verletzt wurden. Für die Organisation, die bereits im Sommer 2004 mehrere Anschläge in Touristenorten verübt hatte, war dies der 2. Anschlag in diesem Jahr. Sie hatte zuvor am 30. April 2005 im türkischen Badeort Kusadasi eine Bombe gelegt, die bei dem Versuch, sie zu entschärfen, detonierte, einen Polizisten tötete und vier weitere Personen verletzte. Am 29. Juni 2005 erklärte ein Sprecher der 'Freiheitsfalken' gegenüber der 'Mesopotamischen Nachrichtenagentur' (MHA), dass die Angriffe der TAK auf zivile und militärische Ziele so lange andauern TAK-Symbol (Freiheitsfalke) werden, wie die militärischen Operationen gegen die Kurden fortgesetzt würden. Die TAK-Mitglieder seien bereit, sich für ihre Zwecke aufzuopfern. Mehrere Bombenexplosionen im weiteren Verlauf des Jahres wurden ebenfalls der TAK zugeschrieben, obwohl eine eindeutige Bekennung nicht erfolgte. 5.2.4 Führungsstrukturen des KONGRA-GEL in Europa Höchstes Entscheidungsorgan im KONGRA-GEL ist die Generalversammlung, während die praktische Führung von einem 40-köpfigen Exekutivrat unter dem Vorsitz von Zübeyir Aydar und einem Disziplinarausschuss mit elf Personen ausgeübt wird. In Europa wird der KONGRA-GEL durch die 'Civata Demokratik Kurdistan' (CDK) vertreten. Die CDK ist eine Nachfolgeorganisation der 'Nationalen Befreiungsfront Kurdistans', die 1985 als Propagandaorganisation der PKK gegründet worden war. Sie hat die Aufgabe, die in Europa lebenden Kurden durch Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie Propagandatätigkeit zu informieren und für den Befreiungskampf zu begeistern. Die weisungsberechtigten Funktionäre der CDK benutzen wechselnde Aufenthaltsorte, vornehmlich in Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Bis auf einige wenige Funktionäre unterliegt die Führungsriege - auch in Deutschland - einem ständigen Funktionswechsel. In der Regel finden alle sechs bis zwölf Monate Rotationen statt. Im Nachgang zu dem jährlichen Kongress der CDK in Frankreich wurde 2005 eine Vielzahl von regionalen und überregionalen Kadern ausgetauscht. Die Funktionärswechsel finden auch über die jeweilige Führungsebene hinaus statt. Um unentdeckt zu bleiben, wechseln die Funktionäre - zumindest vom Gebietsleiter an aufwärts - täglich ihren Aufenthaltsort, benutzen Decknamen und sind in der Regel nur unter Telefonanschlüssen, die auf unverdächtige Personen angemeldet sind, zu erreichen. Es ist ihnen nicht gestattet, eine feste Beziehung mit einem Partner, egal ob innerhalb oder außerhalb der Organisation, einzugehen, da dies die Arbeit erschweren 136 Ausländerextremismus und zeitlich einschränken würde. Der KONGRA-GEL ist in Deutschland durch Nebenbzw. Teilorganisationen, unter anderem durch die 'Freiheitspartei der Frauen Kurdistans' (PAJK) und die 'Bewegung der freien Jugend Kurdistans' (TECAK) vertreten. Auch deren Funktionäre sind konspirativ tätig. Innerorganisatorische Neuerungen Auf der Grundlage der auf der 3. Generalversammlung des KONGRA-GEL im Mai 2005 beschlossenen Prinzipien des "demokratischen Konföderalismus" sollen auch die Arbeitseinheiten in der Organisation neu strukturiert werden. Dabei sollen neue, per Volksentscheid gegründete Volksräte und Volkskomitees, die in die vorhandenen Strukturen integriert werden sollen, besondere Bedeutung erhalten. Auch bei der CDK ist die Umsetzung der Volksdemokratie vorgesehen. So sollen laut 'Özgür Politika' die regionalen Einheiten des KONGRA-GEL so genannte Volksräte bilden, welche an den Entscheidungsprozessen innerhalb der Strukturen des CDK beteiligt werden. 'Özgür Politika' zufolge haben sich bereits die Frauenorganisation 'Freiheitspartei der Frauen Kurdistans' (PAJK) und die Jugendorganisation 'Bewegung der freien Jugend Kurdistans' (TECAK) nach diesen Prinzipien umstrukturiert. Die Frauen haben sich unter dem neuen Dachverband 'Verband der stolzen Frauen' ('Koma Jinen Bilind' - KJB) und die Jugendorganisationen unter dem Dachverband 'Demokratische Jugend' (DEM-GENC) zusammengeschlossen. Regionalstruktur Regional ist der KONGRA-GEL in Deutschland in drei Regionen ("Saha") - Nord, Mitte und Süd - mit zusammen 23 Gebieten ("Bölge") gegliedert. Die Saha Mitte mit sieben Gebieten ist annähernd mit Nordrhein-Westfalen deckungsgleich. Diese sieben Gebiete, welche sich wiederum in Teilgebiete ("Alan") auf der Ebene von kreisfreien Städten und Kreisen unterteilen, werden durch die größeren Städte Bielefeld, Bonn, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Köln und Essen gekennzeichnet. Zum Gebiet Bielefeld gehört außerhalb NRWs noch Osnabrück. Dem Gebiet Bonn ist das Teilgebiet Koblenz zugeordnet, während das nordrhein-westfälische Teilgebiet Siegen dem hessischen Gießen zugeordnet ist. Die Organisationsstruktur ist straff, eine Demokratisierung bis auf die Vereinsebene hat trotz gegenteiliger Bekundungen des KONGRA-GEL und der versuchten flächendeckenden Einführung der Volksräte bisher nicht stattgefunden. Es sind keine Veränderungen der bereits unter der PKK kadermäßig aufgebauten regionalen Strukturen festgestellt worden. Die satzungsgemäß geforderte Demokratisierung der Strukturen des KONGRA-GEL hat sich somit in NRW bisher nicht durchgesetzt. 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Strukturen des Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA-GEL) in Nordrhein-Westfalen (einschließlich des dem Gebiet Bielefeld zugeordneten Teilgebiets Osnabrück (NI) und des dem Gebiet Gießen (HE) zugeordneten Teilgebiets Siegen (NW)) Regionen: Gebiete: Teilgebiete (Städte, Kreise): (Saha) (Bölge) (Alan) Bielefeld, Detmold, Gütersloh, Herford, Bielefeld Osnabrück (NI) Bonn Bonn, Euskirchen, Siegburg, Troisdorf Essen Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Witten, Hattingen, Velbert Dortmund Dortmund, Hagen, Hochsauerlandkreis, Lünen, Olpe (teilweise) Mitte Düsseldorf, Grevenbroich, Krefeld, Düsseldorf Mönchengladbach, Neuss, Remscheid, Solingen, Wuppertal Duisburg Duisburg, Emmerich, Mettmann, Wesel Aachen, Bergisch-Gladbach, Bergheim, Düren, Köln Gummersbach, Heinsberg, Köln, Leverkusen, Olpe (teilweise) Süd Giessen Siegen, Koblenz (RP) 138 Ausländerextremismus Die Parteikader haben in der Regel keinen eigenen Wohnsitz oder eine feste Beschäftigung. Sie widmen ihre Arbeit ausschließlich der Partei. Dabei sind sie für die Verbreitung von Parteibeschlüssen und Reden von Parteifunktionären, den Start und die Steuerung von Kampagnen (beispielsweise den Unterschriftskampagnen) und für Demonstrationen zuständig. Sie sind insbesondere verantwortlich für die Sammlung von Spenden und überwachen den Verkauf von Zeitungen und Eintrittskarten für Großveranstaltungen wie dem Kurdistanfestival. Wie in den Vorjahren mussten sich auch 2005 mehrere Funktionäre in Strafgerichtsverfahren wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz oder Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verantworten. 5.2.5 Massenorganisationen in Europa Neben der CDK hat der KONGRA-GEL in Europa so genannte Massenorganisationen gebildet. Sie sollen der Partei über Einzelorganisationen für bestimmte Personenund Berufsgruppen gezielt weitere Mitglieder zuführen, ohne dass aus dem Organisationsnamen unmittelbar die Verbindung zum KONGRA-GEL hergeleitet werden kann. Folgende Organisationen sind hier bekannt: : 'Verband der patriotischen Arbeiter aus Kurdistan' (YKWK), : 'Verband der StudentInnen aus Kurdistan' (YXK), : 'Union der Journalisten aus Kurdistan' (YRK), : 'Union der kurdischen Eltern' (YEKMAL), : 'Union der Lehrer aus Kurdistan' (YMK), : 'Union der Schriftsteller aus Kurdistan' (YNK), : 'Union der kurdischen Juristen' (YHK), : 'Union der Kinder aus Kurdistan' (YZK), : 'Islamische Bewegung Kurdistans' (HIK oder KIH), : 'Föderation der Aleviten Kurdistans' (FEK), : 'Union der Yeziden aus Kurdistan' (YEK). Föderation kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) Die am 27. März 1994 in Bochum gegründete 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEK-KOM) hat seit dem 1. September 1999 ihren Sitz in Düsseldorf. Gemäß den Vereinsunterlagen sieht sie ihre Aufgabe in der Pflege der kurdischen Kultur, Sprache und Tradition. Daneben will sie für Völkerverständigung und Freundschaft werben. YEK-KOM, die in die Strukturen der 'Konföderation kurdischer Vereine in Europa' (KON-KURD) eingebunden ist, ist in der Bundesrepublik die Dachorganisation zahlreicher ihr angeschlossener Mitgliedsvereine. Sie verfügt über eine eigene Internetsei139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 te, auf der auch die bundesweit existierenden Mitgliedsvereine, davon 17 Vereine in Nordrhein-Westfalen, aufgeführt sind. YEK-KOM finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge von Vereinen und durch Spenden. Am 12. und 13. November führte die Föderation in Dortmund ihren 12. Jahreskongress durch. In geheimer Wahl wurde ein neuer Vorstand, bestehend aus 15 Personen, gewählt. 5.2.6 Finanzierung Der Finanzbedarf des KONGRA-GEL ist nach wie vor erheblich, um die Aktionsfähigkeit der Organisation in der Türkei und im Ausland zu erhalten. Wichtigste Geldquelle bleibt die jährliche Spendensammlung, die durch regelmäßige Zahlungen von Anhängern und Erlöse aus dem Zeitschriftenverkauf ergänzt wird. Im Zuge der Spendenkampagne 2004/2005, die insgesamt einen schleppenden Verlauf nahm, wurden in NRW 1,8 Mio Euro eingenommen. Damit wurden die angestrebten 2,5 Mio Euro deutlich verfehlt. Nachdem es in den letzten Jahren nur vereinzelt Hinweise auf verbale Bedrohungen bei Spendenunwilligen gab, sind in diesem Jahr vermehrt Gewalttaten im Zusammenhang mit der Spendenkampagne bekannt geworden. In dem Fall der Erpressung eines türkischen Geschäftsmannes in Essen, der zur Zahlung einer Spende in sechsstelliger Höhe veranlasst werden sollte, hat das Landgericht Dortmund im Oktober die Täter verurteilt, in einem Fall zu einer Haftstrafe von zwei Jahren. 5.2.7 Medieneinsatz Die Printmedien sind ein wichtiges Propagandainstrument für die Organisation. Zunehmend gewinnt die Verbreitung von Informationen über elektronische Medien, wie das Internet, an Bedeutung. Herausragend ist ein der Organisation nahestehender Fernsehsender. Tageszeitung 'Özgür Politika' In Deutschland veröffentlichte die KONGRA-GEL-nahe Tageszeitung 'Özgür Politika' seit 1994 Artikel über die Ziele und Aktivitäten der Organisation. Außerdem finden sich in der Zeitung Hinweise auf kleinere Veranstaltungen und ganzseitige Aufrufe zur Teilnahme an Großveranstaltungen. 140 Ausländerextremismus Im Rahmen vereinsrechtlicher Maßnahmen erließ das Bundesministerium des Innern am 5. September 2005 eine Verbotsverfügung gegen den Herausgeber der Zeitung, den 'E. Xani Verlag' aus Neu-Isenburg in Hessen. Dabei wurden die Verlagsräume sowie weitere Medienbetriebe und zahlreiche Privatwohnungen durchsucht. Verantwortliche des KONGRA-GEL und ihm nahestehende Organisationen protestierten gegen die Maßnahmen. Das Präsidium des KONGRA-GEL sah in der Maßnahme ein "Indiz für ein neues internationales Konzept gegen die Kurden in Zusammenarbeit mit der Türkei". Die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern wurde zwischenzeitlich vom Bundesverwaltungsgericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren außer Vollzug gesetzt. Gleichwohl erscheint die 'Özgür Politika' nicht mehr. Seit dem 23. Oktober wird die dadurch entstandene Informationslücke für die kurdische Leserschaft in Europa durch die bis dahin nur in der Türkei vertriebene Tageszeitung 'Ülkede Özgür Gündem' ('Freie Tagesordnung im Land') gefüllt. Weitere Printmedien Weitere Zeitungen und Zeitschriften, die Propaganda für den KONGRA-GEL betreiben, sind die 'Serxwebun' ('Unabhängigkeit'), der 'Kurdistan-Report', der 'Sterka Ciwan' ('Stern der Jugend') und 'Özgür Genclik' ('Freie Jugend'). Die auf die weibliche kurdische Anhängerschaft ausgerichtete Zeitschrift 'Jina Serbilind' ('Die stolze Frau') wurde nach zehnjähriger Erscheinungszeit im Februar 2005 eingestellt. Fernsehsender Bereits seit März 1995 werden kurdische Fernsehsender für eine schnelle und umfassende Information über politische Ereignisse aus der Türkei, insbesondere aus den überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten, und die Verbreitung organisationseigener Botschaften genutzt. Seit März 2004 ist mit 'ROJ TV' ein neuer kurdischer Fernsehsender in Betrieb. Er arbeitet mit einer dänischen Sendelizenz. Programmgestaltung und Sendeinhalte blieben im Vergleich mit den kurdischen Sendern 'MED-TV' und 'MEDYA-TV', denen die Sendelizenz entzogen bzw. nach gerichtlicher Auseinandersetzung endgültig versagt wurde, im Wesentlichen unverändert. Nach wie vor überwiegen kulturelle Beiträge. In den Nachrichtenbeiträgen kommen jedoch vorrangig Vertreter des KONGRA-GEL zu Wort. Nachrichtenagenturen Verlautbarungen des KONGRA-GEL wurden in der Vergangenheit über die kurdische Nachrichtenagentur MHA ('Mezapotamya Haber Ajansi') verbreitet. Die in Frankfurt 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 ansässige Agentur war über die 'Welat Press Verlag GmbH' ebenfalls von den vereinsrechtlichen Maßnahmen des Bundesministeriums des Innern betroffen. Einer Meldung in der 'Ülkede Özgür Gündem' vom 26. Oktober 2005 zufolge setzt die Nachrichtenagentur 'Firat' ('Ajansa Nuceyan a Firate' - ANF) die Arbeit der MHA mit ihren früheren Mitarbeitern fort. Internet Seit Anfang 2004 sind mehrere "offizielle" Homepages des KONGRA-GEL und seiner Untergliederungen erreichbar. Die mehrsprachigen Internetseiten bieten neben aktuellen Nachrichten zu verschiedenen kurdischen Themen auch Informationen und weiterführende Links zu kurdischen Organisationen an. Insgesamt besteht ein Netzwerk von fast zwei Dutzend inhaltsähnlicher Internetseiten. 5.2.8 Initiativen und Veranstaltungen Mit Unterschriftskampagnen, Demonstrationen und Festivals wird versucht, einerseits die Aufmerksamkeit auf die Lage der Kurden in den Siedlungsgebieten zu richten; andererseits dienen sie dazu, unter den im Ausland lebenden Kurden die kurdische Kultur am Leben zu halten. Zu Großdemonstrationen und Festivals können zum Teil mehrere zehntausend Anhänger mobilisiert werden. Unterschriftenund Solidaritätskampagne Europaweit werden seit dem 14. Juli 2005 unter dem Motto "Freiheit für Öcalan" bzw. "Ich akzeptiere Öcalan als den politischen Willen des kurdischen Volkes" Unterschriften gesammelt, die dem Europarat sowie anderen internationalen Einrichtungen überreicht werden sollen. Neben Unterschriftensammlungen in kurdischen Vereinen wurden in NRW, unter anderem in Duisburg, Informationsstände zur Unterschriftensammlung betrieben. Die Kampagne soll noch bis zum März 2006 fortgeführt werden. Demonstrationen für Abdullah Öcalan Aus Anlass des 6. Jahrestages der Festnahme des "kurdischen Volksführers" führten unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - eine demokratische Lösung der Kurdenfrage" etwa 9.000 Anhänger des KONGRA-GEL am 12. Februar 2005 in Straßburg eine friedlich verlaufene Großdemonstration und Kundgebung mit musikalischem Rahmenprogramm sowie Redebeiträgen verschiedener kurdischer Organisationen durch. Die Teilnehmer kamen aus mehreren europäischen Ländern, überwiegend jedoch aus Deutschland. Neben dieser zentralen Großveranstaltung fanden in verschiedenen anderen europäischen Städten sowie in der Türkei weitere Demonstrationen von Kurden zum selben Thema statt. 142 Ausländerextremismus Während es in Istanbul und Diyarbakir anlässlich dieser Demonstrationen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften mit Verletzten auf beiden Seiten kam, verliefen mehrere kleine Veranstaltungen, unter anderem in Köln, Duisburg und Dortmund, ohne Zwischenfälle. Am 9. Oktober jährte sich der Tag der Ausweisung Öcalans aus Syrien. Dieser Tag ist nach Auffassung der KONGRA-GEL der Beginn des "internationalen Komplotts", der schließlich zur Festnahme und Verurteilung Öcalans im Jahr 1998 führte. Am 8. und 9. Oktober wurden deshalb bundesweit, so auch in Duisburg und Köln, Demonstrationen und Mahnwachen abgehalten. An einem Fackelzug in Köln nahmen etwa 200 Personen teil. Bei den ausnahmslos friedlichen Veranstaltungen wurde die Verbundenheit mit dem inhaftierten Gründer der PKK betont. Reaktionen auf Exekutivmaßnahmen Nach der kurzzeitigen Verhaftung von Remzi Kartal, einem der insgesamt sechs stellvertretenden Vorsitzenden des KONGRA-GEL, am 22. Januar 2005 in Nürnberg kam es zu verschiedenen bundesweiten Aktionen. Zu einer von der YEK-KOM angemeldeten Demonstration am 28. Januar vor dem Düsseldorfer Landtag versammelten sich etwa 150 Personen. Außerdem waren die vereinsrechtlichen Maßnahmen gegen die 'Özgur Politika' Anlass für Demonstrationen, so unter anderem in Essen, Duisburg und Düsseldorf. Die angemeldeten Kundgebungen verzeichneten allgemein nur ein mäßiges Teilnehmerinteresse und verliefen friedlich. An einer Kundgebung in NRW vor dem Landtag am 13. September, die mit 200 bis 300 Teilnehmern angemeldet war, nahmen nur etwa 80 Personen teil. Kurdische Festivals Newroz-Feierlichkeiten Anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes ("Newroz") führten Anhänger des KONGRA-GEL am 19. und 20. März 2005 mehrere Veranstaltungen durch. Anstelle einer zentralen Großveranstaltung wurden neben drei Hallenveranstaltungen in Essen, Hamburg und Frankfurt zahlreiche Newroz-Feiern auf örtlicher Ebene organisiert. Die friedlich verlaufenden Kundgebungen und Veranstaltungen wurden meist durch die örtlichen Vereine der YEK-KOM ausgerichtet. Die Newroz-Feier in Nordrhein-Westfalen fand am 19. März in der Gruga-Halle in Essen statt. Veranstalter war die YEK-KOM. Nach Angaben der Polizei nahmen etwa 4.500 Personen teil. Unter ihnen befand sich auch der Vorsitzende des KONGRA143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 GEL, Zübeyir Aydar. In seiner Begrüßungsrede forderte er die Europäische Union, insbesondere Deutschland, auf, den KONGRA-GEL von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen. 2. Internationales Zilan-Frauenfestival Am 18. Juni 2005 fand im Amphitheater in Gelsenkirchen das "2. Internationale ZilanFrauenfestival" statt. Die Veranstaltung unter dem Motto "Frauen wollen Frieden und Gerechtigkeit - für eine ökologisch-demokratische Welt" wurde von dem KONGRAGELnahen 'Kurdischen Frauenbüro für Frieden' (KFBF-CENI) organisiert. Das diesjährige Festival wurde zwei am 31. Mai 2005 infolge eines Verkehrsunfalls im Nordirak verstorbenen KONGRA-GEL-Aktivistinnen gewidmet. An der friedlich verlaufenen Veranstaltung nahmen etwa 3.500 Personen teil. Insbesondere wurde die andauernde und zunehmende Gewalt gegen Frauen, die Natur und das soziale Leben thematisiert. Am "1. Zilan-Festival" im Jahr zuvor hatten laut eigenen Angaben etwa 5.000 Personen teilgenommen. 8. Mazlum Dogan Jugendund Sportfestival Die YEK-KOM war auch Veranstalter des am 15./16. Juli im Kölner Südstadion durchgeführten "8. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival". An der Veranstaltung, die unter dem Motto stand "Lasst uns unseren Widerstand im Lichte des Demokratischen Konföderalismus weiterentwickeln, lasst uns die Freiheit APO's durchsetzen" nahmen etwa 3.500 - überwiegend jüngere - Personen teil, die vorwiegend aus Deutschland und den Beneluxstaaten anreisten. Die sportlichen Wettkämpfe wurden durch musikalische und folkloristische Beiträge eingerahmt. Es wurden Parolen skandiert wie "Wir sind die PKK, wir sind nicht am Ende, wir sind hier" und "Mit der Liebe Mazlum Dogans senden wir Grüße nach Imrali". Es wurden Fahnen mit dem Konterfei Öcalans und verschiedener kurdischer Plakat zum 8. Mazlum Dogan Jugend-, Organisationen gezeigt. Kulturund Sportfestival am 16. Juli 2005 im Südstadion in Köln 144 Ausländerextremismus 13. Internationales Kurdisches Kulturfestival Die größte Festivalveranstaltung war das am 3. September 2005 durchgeführte "13. Internationale Kurdische Kulturfestival". Die Veranstaltung, die zum fünften Mal in Köln stattfand, stand unter dem Motto "EU - Türkei: Auch wir sind Verhandlungspartei - Lösung der kurdischen Frage, Freiheit für Abdullah Öcalan". Nach Angaben der Polizei und nach eigener Einschätzung nahmen etwa 40.000 Besucher aus Deutschland und dem benachbarten Ausland teil. Die Veranstalter gehen von bis zu 100.000 Teilnehmern aus. Wie in den Vorjahren wurde die Veranstaltung von Vorstandsmitgliedern der YEK-KOM angemeldet. Das Programm bestand aus vielfältigen kulturellen und folkloristischen Darbietungen sowie politischen Redebeiträgen. Die Eröffnungsrede hielt der Vorsitzende der YEK-KOM. Weitere Ansprachen hielten der Vorsitzende der 'Konföderation Einladung zum 13. Internationalen Kurdischen der kurdischen Vereine in Europa' Kultur Festival am 3. September 2005 im Rhein und einer der Anwälte Abdullah Energie Stadion in Köln Öcalans, die beide die Haftbedingungen Öcalans und das angebliche Desinteresse des türkischen Staates an einer Lösung der Kurdenfrage kritisierten. Das Festival, das einen familiären Charakter hatte und ohne nennenswerte Vorkommnisse verlief, wurde von dem KONGRA-GEL nahen Fernsehsender 'ROJ TV' live übertragen. 5.3 Iranische Organisationen 5.3.1 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Berlin, Köln Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 400 ca. 900 2004 ca. 400 ca. 900 Publikationen 'Mojahed', 'Iran Liberation' 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Fernsehsender 'Iran NTV', Sitz London Internet diverse mehrsprachige Homepages :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Auf Betreiben der 1965 gegründeten 'Volksmodjahedin Iran-Organisation' ('Modjahedin-E-Khalq' - MEK) entstand 1981 in Paris im Zusammenschluss mit mehreren kleineren iranischen Oppositionsgruppen der 'Nationale Widerstandsrat Iran' (NWRI). Der NWRI vertritt die 'Volksmodjahedin' in Deutschland. Ziel der 'Volksmodjahedin' ist der Sturz des iranischen Regimes. Zu diesem Zweck unterhalten sie im Irak die 'Nationale Befreiungsarmee' (NLA), die als militärischer Arm der Organisation fungiert. Damit werden Bestrebungen verfolgt, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Die MEK gilt als die schlagkräftigste und militanteste iranische Oppositionsgruppe und nimmt für sich in Anspruch, die "einzige demokratische Alternative" zum iranischen Regime zu sein. Sie ist eine streng hierarchische Kaderorganisation mit ursprünglich revolutionär-marxistischer Ausprägung, vermischt mit Elementen des schiitischen Islam. Nach dem Sturz des Schah von Persien, an dem die MEK maßgeblich beteiligt war und dem folgenden, schließlich verlorenen Machtkampf gegen Khomeini, wurde die Organisation 1981 im Iran verboten. Die MEK-Führung musste ins Ausland fliehen. Im Pariser Exil gründete Massoud Radjavi den durch die MEK dominierten 'Nationalen Widerstandsrat Iran'. Seine Ehefrau Maryam Radjavi wurde 1993 durch den NWRI zur "Exilpräsidentin" gewählt. Mitte 2002 ist die MEK in die Liste der terroristischen Organisationen der Europäischen Union aufgenommen worden, der NWRI als politischer Arm ist von dieser Maßnahme nicht betroffen. In ihrem Kampf gegen die iranische Führung verfolgt die MEK eine Doppelstrategie: Neben der politischen Agitation und den Geldbeschaffungsmaßnahmen durch den NWRI führten die bewaffneten Kräfte der Organisation - die NLA - zu Zeiten der Herrschaft Saddam Husseins von irakischen Massoud und Maryam Radjavi 146 Ausländerextremismus Stützpunkten aus militärische Aktionen gegen staatliche iranische Einrichtungen und Repräsentanten aus. Die NLA ist eine von weiblichen Kämpferinnen dominierte Rebellenarmee, die vom Irak unter Saddam Hussein zumindest logistisch unterstützt wurde. Die MEK bzw. der NWRI bemühten sich in den vergangenen Jahren, die iranische Führung im westlichen Ausland zu diskreditieren. Die Organisation sieht in militanten Störaktionen, insbesondere bei Staatsbesuchen von Mitgliedern der iranischen Staatsführung in Deutschland, legitime Protestmittel. Struktur Der NWRI unterhält neben der offiziellen Deutschlandvertretung in Berlin ein Büro in Köln. Er bedient sich zur Durchführung seiner propagandistischen und finanziellen Aktivitäten zahlreicher Vereine, die seinem Einflussbereich zugerechnet werden können. Hierzu zählen unter anderem: : 'Verein der Iraner in Wuppertal, Sympathisanten des nationalen Widerstandsrates Iran e.V.', : 'Kunstund Kulturfreunde e.V.', Bonn, : 'Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V.' (HMI), Dortmund, : 'Menschenrechtsverein für Migranten e.V.', Aachen, : 'Menschenrechtsverein für ExiliranerInnen e.V.', Düsseldorf, : 'Frauen gegen Fundamentalismus für Emanzipation - Köln e.V.' (FFE) (aufgelöst in 2005). Finanzierung Symbol NWRI In der Vergangenheit setzte der NWRI auf Symbol groß angelegte Spendenkampagnen MEK zur Finanzierung der in Europa aufgebauten Organisationsinfrastruktur, aber auch zur Finanzierung der NLA im Irak. Die Spendenkampagnen wurden hauptsächlich von Tarnvereinen für vorgeblich humanitäre Zwecke organisiert. Auch im Jahr 2005 wurden mehrfach Straßensammlungen durchSymbol geführt. Weiterhin bezieht die MEK EinnahNLA men aus dem Vertrieb der organisationseigenen Publikation 'Mojahed'. 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Aktuelle Entwicklung Seit Ende des Irak-Krieges im Mai 2003 befinden sich etwa 3.850 entwaffnete NLAAngehörige im einzig noch verbliebenen MEK-Camp "Ashraf" in der Nähe von Bagdad unter US-Aufsicht. Durch die multinationalen Truppen im Irak wurde den im Camp befindlichen NLAAngehörigen der Status von "geschützten Personen" nach den Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention zuerkannt. In der Konsequenz ist eine Auslieferung der NLA-Kämpfer an den Iran ausgeschlossen. Vereinzelt wurde im Jahr 2005 durch Agenturmeldungen die freiwillige Rückkehr von NLA-Angehörigen in den Iran bekannt, es handelte sich in erster Linie um Familienzusammenführungen. Initiativen und Veranstaltungen Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des 'Nationalen Widerstandrates Iran' (NWRI) als politischen Flügels der MEK waren in 2005 durch drei Schwerpunkte geprägt: : Der Forderung nach Streichung der MEK/NLA von der EU-Terrorliste; : dem Bemühen um die politische Aufwertung des NWRI am Sitz der Europazentrale in Auvers-sur Oise (Frankreich) und : der Präsentation angeblicher Enthüllungen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm. Der NWRI legte im Jahr 2005 den Schwerpunkt auf Großveranstaltungen im europäischen Ausland, insbesondere in Frankreich, und den USA, an denen auch NWRIAnhänger aus NRW teilnahmen. Auf diesen Veranstaltungen, die zum Teil mehrere tausend Teilnehmer mobilisierten, wurde die Menschenrechtssituation im Iran thematisiert und die Streichung der MEK von den Listen terroristischer Organisationen gefordert. Auch gegen die iranische Atompolitik wurde protestiert und ein Stopp des "Kuhhandels" der westlichen Staaten mit dem Iran gefordert. Weltweit wurde für eine Demonstration am 10. Februar 2005 in Berlin anlässlich des 26. Jahrestages der iranischen Revolution mobilisiert. Die geringe Teilnehmerzahl von etwa 1.500 Demonstranten ist auf ein zunächst ergangenes Veranstaltungsverbot zurückzuführen, das etliche Teilnehmer von der Anreise abgehalten haben dürfte. Am 9. Mai 2005 fand in Berlin eine zentrale Veranstaltung für Anhänger des NWRI statt. Veranstalter war der in Dortmund ansässige NWRI-nahe Verein 'Hilfswerk für 148 Ausländerextremismus Menschenrechte im Iran'. An der friedlichen und als "Bundeskongress von DeutschIranern" deklarierten Veranstaltung, zu der europaweit mobilisiert wurde, nahmen laut Angabe des Veranstalters etwa 950 Personen teil. Neben NWRI-Vertretern sprachen auch verschiedene Parlamentarier zu den Teilnehmern. In den Redebeiträgen wurde die "Demokratische Wende im Iran durch Unterstützung von Maryam Radjavi" sowie das "Asylrecht für Iraner" thematisiert. Anlässlich des 6. Jahrestages der Niederschlagung der Studentenbewegung im Iran am 9. Juli 1999 demonstrierten rund 300 Anhänger des NWRI am 9. Juli 2005 am Kölner Neumarkt. In Redebeiträgen wurden die bekannten Themen wie Streichung der MEK von Terrorlisten, außenpolitische Isolierung Irans und Unterstützung Maryam Radjavis gefordert. Zugleich wurde die Verletzung elementarer Menscherechte durch die islamische Republik Iran scharf angeprangert sowie vor der Gefahr atomarer Aufrüstung durch den Iran gewarnt. Im August wurden drei Protestkundgebungen durch NWRI-Sympathisanten in NRW abgehalten. Die erste am 6. August 2005 in Köln mit etwa 80 Teilnehmern, die zweite am 13. August 2005 in ebenfalls in Köln mit etwa 50 Personen und die dritte am 18. August 2005 in Bonn mit etwa 25 Teilnehmern. Zwei weitere kleinere Protestkundgebungen von NWRI-Anhängern (etwa 35 Personen) fanden auf der Kölner Domplatte am 8. Oktober 2005 und am 2. November 2005 mit der bekannten Thematik statt. Medieneinsatz Die Organisation bediente sich auch im Jahr 2005 verstärkt elektronischer Medien. Das TV-Programm des NWRI-Senders 'Iran NTV' wird nicht nur über Satellit, sondern ebenso über das Internet übertragen. Neben den offiziellen Websites des NWRI beziehungsweise der MEK gibt es eine Vielzahl von Homepages, die aufgrund des Angebotes den beiden Organisationen zugeordnet werden können. Diese werden nicht nur zur Verbreitung von Propaganda genutzt, sondern dienen auch als Kommunikationsplattform für Mitglieder. Die Angebote sind hauptsächlich in Farsi, aber auch auf Englisch, Französisch und Deutsch verfügbar. Die Print-Ausgabe des 'Mojahed', des periodisch erscheinenden Presseorgans der MEK, ist ebenfalls online verfügbar. Im Vorfeld von Großveranstaltungen des NWRI werden Internetseiten eingerichtet, die allein der Werbung für diese Veranstaltungen dienen. Die Veranstaltungen selbst werden häufig mit Live-Reportagen begleitet und anschließend mit umfangreichen Bildergalerien im Internet dokumentiert. 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Bewertung Der NWRI beziehungsweise die MEK befinden sich weiterhin in einer unsicheren Lage. Die NLA als bewaffneter Arm der MEK ist durch die Aufsicht der US-Armee neutralisiert. Die Einstufung auch des NWRI als terroristische Organisation in den USA und die Polizeiaktion in Frankreich in 2003 haben den NWRI stark irritiert und finanziell geschwächt. Insbesondere nach der im Juni 2005 erfolgten Wahl des konservativen, klerikalen Kräften zugewandten Politikers Mahmud Ahmadinedschad zum neuen iranischen Staatspräsidenten sieht sich der NWRI in seinem Werben um die Unterstützung von Politikern aus dem westlichen Ausland bestärkt und preist sich selbst als "Dritte Option". Durch die Unterstützung des NWRI und der MEK sei die Chance gegeben, einen Wechsel des Regierungssystems und die Demokratisierung des Iran herbei zu führen. Zumindest in den Medien haben die Enthüllungen des angeblichen illegalen Atomwaffenprogramms der Islamischen Republik durch den NWRI ein großes Echo gefunden. Der NWRI, beziehungsweise die MEK, wird weiter bestrebt bleiben, als einzige legale iranische Widerstandsgruppe politisch akzeptiert zu werden und von den Terrorlisten sowohl der USA als auch der EU genommen zu werden. 5.3.2 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Köln Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 120 ca. 250 2004 ca. 120 ca. 250* Publikation 'WPI Briefing' Internet mehrsprachige Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: *Im vorangegangenen Bericht waren für das Jahr 2004 irrtümlich 400 Personen angegeben worden. Bei der 'Arbeiterkommunistischen Partei Iran' (API) handelt es sich um eine Abspaltung der 'Kommunistischen Partei Irans' (KPI), die Ende 1991 gegründet wurde. Sie tritt auch unter der Bezeichnung 'Kommunistische Arbeiterpartei Irans' sowie unter den Namen 'Auslandsorganisation der Arbeiterkommunistischen Partei Iran - Sektion Deutschland' und 'Exilregierung der iranischen Arbeiterpartei' auf. 150 Ausländerextremismus Die Ziele der API sind die Errichtung eines Arbeiterstaates und die Realisierung des ökonomischen und politischen Programms des Arbeitersozialismus im Iran. Die Organisation sieht den revolutionären Umsturz der Islamischen Republik Iran als Voraussetzung dafür an. Die API bejaht die Anwendung von Gewalt und verfolgt damit Bestrebungen, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Hintergrund Nach dem Parteiprogramm des Jahres 1994 handelt es sich bei der API um eine kommunistische Partei marxistischer Prägung, die sich die Aufgabe gestellt hat, die soziale Revolution der Arbeiterklasse zur Beseitigung des kapitalistischen Systems zu organisieren und eine neue Gesellschaft auf der Basis ökonomischer und sozialer Gleichheit sowie politischer Freiheit und freier geistiger und materieller Entfaltung der Menschen aufzubauen. Die API bezeichnet sich als eine "antireligiöse und anti-islamische Partei". In Deutschland trat die Partei in der Vergangenheit im Zusammenhang mit zahlreichen, größtenteils friedlich verlaufenden Veranstaltungen in Erscheinung. Allerdings besetzten im August des Jahres 1999 API-Anhänger die Räume des 'Westdeutschen Rundfunks' in Köln. Weiterhin kam es im April 2000 anlässlich einer mehrtägigen politischen Diskussionsveranstaltung in Berlin zu gewalttätigen Störungen durch Anhänger der API, die zum Abbruch der Veranstaltung führten. Entwicklung der Organisation nach dem Tod von Mansour Hekmat Vorsitzender der Organisation war bis zu seinem Tod im Juli 2002 Mansour Hekmat. Seit dem 4. Kongress der API vom 12.-13. Dezember 2003 ist Hamid Taghvaie der Parteivorsitzende. Am 24. August 2004 kam es zu einer Spaltung innerhalb der API. Einige Mitglieder des Zentralkomitees unter der Führung von Koroosh Modaresi, der 2003 selbst für eine kurze Übergangszeit Parteivorsitzender war, kündigten aufgrund länger andauernder unüberbrückbarer programmatischer Differenzen an, die Partei zu verlassen. Die abgespaltene Gruppe hat eine neue Partei mit dem Namen 'Arbeiterkommunistische Partei Iran-Hekmatist' (API-Hekmatist) gegründet. Auf dem 5. Parteitag der API vom 18.-19. September 2004 wurden die Spaltung der Partei und die ideologischen Gründe der Trennung thematisiert. Der API-Vorsitzende warf der neuen Gruppierung vor allem vor, das ideologische Erbe des Parteigründers Mansour Hekmat zu verraten, indem diese von der marxistischen Lehre abweiche und 151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 nicht mehr den revolutionären Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft als Vorrausetzung für die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung fordere. Stattdessen erwäge die API-Hekmatist zur Ablösung des islamischen Regimes eine Zusammenarbeit mit anderen politischen Gruppierungen. Diese Haltung wird von der API als bürgerlich-rechtsgerichtet gebrandmarkt. Im Gegensatz dazu wird die orthodox-marxistische Einstellung der API vom Vorsitzenden der API-Hekmatist - Modaresi - als obsolet und nicht zukunftsfähig abgelehnt. Beide Parteien sehen sich als einzige legitime Nachfolger des Parteigründers. Strukturen Die API wird von einem Zentralkomitee und einem Politbüro geleitet. Mit der 'Organisation der Jungen Kommunisten Deutschland' verfügt die API über eine eigene Jugendorganisation. Mit folgenden Organisationen bestehen strukturelle und ideologische Verflechtungen: : 'Hambastegi - Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrationsräte , Verband Deutschland e.V.' (IFIR) in Berlin. Der Kölner Verein 'Hambastegi - Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge' ist Mitglied der bundesdeutschen Sektion der IFIR; : 'Internationale Kampagne zur Verteidigung von Frauenrechten im Iran e.V.', Hauptsitz in Köln; : 'Internationales Komitee gegen Steinigung', Hauptsitz in Köln. Die Spaltung der API spiegelte sich in der IFIR wider. Auf der Homepage der 'APIHekmatist' ist ein Schreiben vom 29. September 2004 veröffentlicht, nach dem mehrere Mitgliedsvereine ihren Austritt aus der IFIR erklären und eine neue 'Internationale Organisation Iranischer Flüchtlinge' gründen wollen. Initiativen und Veranstaltungen Für die Öffentlichkeit waren vor allem eine Vielzahl Demonstrationen wahrnehmbar, die die API bzw. zugehörige Organisationen veranstalteten: : Die IFIR führte am 11. Februar 2005 vor dem Landtag in Düsseldorf mit etwa 65 Personen eine friedlich verlaufene Kundgebung "Gegen die Asylpolitik der Bundesregierung" durch. : Am 16. April 2005 veranstaltete die IFIR in Aachen eine Demonstration gegen die Abschiebung abgelehnter iranischer Asylsuchender mit circa 70 Teilnehmern. : Durch die 'Internationale Kampagne zur Verteidigung von Frauenrechten im Iran' 152 Ausländerextremismus wurde am 8. September 2005 vor dem kanadischen Konsulat in Düsseldorf ein Protest gegen die beabsichtigte Einführung von Scharia-Gerichtshöfen für moslemische Immigranten mit circa 50 Teilnehmern organisiert. : In Dortmund wurde am 28. September 2005 eine Demonstration gegen eine im Iran drohende Hinrichtung mit etwa 50 Teilnehmern abgehalten. : Am 28. November 2005 demonstrierte die API in Bochum mit 35 Personen anlässlich des Besuchs des iranischen Vizepräsidenten im Rahmen einer Kulturausstellung. Darüber hinaus veranstalteten die API und die ihr nahe stehenden Organisationen durchgängig eine Vielzahl kleinerer Demonstrationen und Kundgebungen mit Schwerpunkt in Köln. Die 'Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran' und das 'Internationalen Komitee gegen Steinigung' veranstalteten circa 90 Kundgebungen zum Thema Menschenrechtsverletzungen im Iran. Die Demonstrationen verliefen durchweg friedlich. Medieneinsatz Die API nutzt das Internet intensiv, um ihre Themenfelder, wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterschaft im Iran, den Antiimperialismus und den Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung, zu propagieren. Seit dem Jahr 2004 wird auch täglich ein Radiosowie einmal in der Woche ein Fernsehprogramm ausgestrahlt. Bewertung Nach der Spaltung der API und der ihr nahe stehenden IFIR ist die Organisation personell und finanziell geschwächt. Die Präsidentschaftswahl im Iran bietet der API und der API-Hekmatist die Möglichkeit, ihr Profil als anti-islamische Partei zu schärfen. 5.4 Extremistische Bestrebungen von Kosovo-Albanern im Bereich der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien Auch in Nordrhein-Westfalen sind Gruppierungen aktiv, deren Anhänger auf dem Balkan unter Anwendung von Gewalt die Vereinigung der überwiegend von Albanern bewohnten Gebiete mit der Republik Albanien anstreben. Dies betrifft in SerbienMontenegro den Süden der Teilstaaten Serbien und Montenegro, Teile des Kosovo sowie des Presovo-Tals, den daran angrenzenden Teil Nord-Mazedoniens und außerdem Gebiete in Nord-Griechenland. 153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 In NRW richten sich die Aktivitäten dieser Gruppierungen auf Geldsammlungen zur Unterstützung ihrer Ziele auf dem Balkan. Sie verfolgen damit Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und erfüllen die Voraussetzungen zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 und 4 VSG NRW. 5.4.1 Volksbewegung von Kosovo (Levizija Popullor e Kosover - LPK) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 30 ca. 140 2004 ca. 30 ca. 140 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bei der 'Volksbewegung von Kosovo' ('Levizija Popullor e Kosover' - LPK) handelt es sich um eine linksextremistische, separatistische Partei, welche als Sammelbecken ehemaliger UCK-Kämpfer gilt. Hintergrund Die Anfänge der LPK reichen in das Jahr 1982 zurück, in dem die 'Volksbewegung' im ehemaligen Jugoslawien als leninistisch-marxistische Bewegung gegründet wurde. Die Aktivitäten in Deutschland beschränkten sich bisher hauptsächlich auf die Unterstützung des kosovo-albanischen Befreiungskampfes. In den vergangenen Jahren unterstützte die LPK drei albanische Befreiungsarmeen: Von 1996 bis 1999 die 'Ushtria Clirimtare e Kosoves' ('Kosovo-Befreiungsarmee' - UCK), von Frühjahr 2000 bis Mai 2001 die in Südserbien agierende 'Befreiungsarmee von Presovo, Medvedja und Bujanovac' (UCPMB), sowie zuletzt die 'Nationale Befreiungsarmee Mazedoniens' (diese verwendet, wie die 'Kosovo-Befreiungsarmee', das Kürzel UCK, allerdings als Abkürzung für 'Ushtria Clirimtare Kombetare'). Die LPK organisierte zu diesem Zweck groß angelegte Spendenkampagnen, die mit der Rückkehr der kosovo-albanischen Flüchtlinge bereits im Jahre 2001 deutlich reduziert waren. Die Funktionäre der LPK in Deutschland sind für bestimmte Regionen zuständig und sollen in den allgemeinen albanischen Arbeiterund Kulturvereinen für die Sache der LPK werben und zu Spenden aufrufen. Obwohl die Aktivitäten der Funktionäre im 154 Ausländerextremismus Berichtszeitraum eher rückläufig waren, strebt die LPK, die derzeit in Deutschland nur eine Sektion unterhält, den Aufbau einer eigenen Deutschland-Vertretung an. 5.4.2 Front für nationale Vereinigung (Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar - FBKSh) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 20 ca. 50 2004 ca. 20 ca. 50 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die politische Bewegung 'Front für nationale Vereinigung' ('Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar' - FBKSh) wurde am 13. Februar 2002 in Tirana (Albanien) gegründet. Sie ist die Nachfolgeorganisation des im Jahre 2000 gegründeten 'Komiteti Kombetar per Clirimin dhe Mbrojtjen e Tokave Shqiptare' ('Nationalkomitee für die Befreiung und Verteidigung der albanischen Territorien' - KKCMTSh). Ihr erklärtes Ziel ist die Vereinigung aller albanischen Siedlungsgebiete. Vorsitzender der FBKSh ist der in Mazedonien lebende GaWappen FBKSh furr Adili. Eine weitere Führungsperson ist der mittlerweile in Albanien lebende politische Sekretär Idajet Beqiri. Beide Funktionäre lebten zunächst in Westeuropa, wurden aber aufgrund internationaler Haftbefehle festgenommen, nach Albanien ausgeliefert und dort unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Hass verurteilt. Nach Verbüßen der Haftstrafen sind beide in begrenztem Umfang wieder politisch tätig. Eine Einreise nach Westeuropa bleibt ihnen aufgrund bestehender Einreiseverbote verwehrt. Regionale Schwerpunkte der Bewegung in Deutschland liegen in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen. In der Vergangenheit trat insbesondere Idajet Beqiri in Nordrhein-Westfalen bei mehreren Saalveranstaltungen in albanischen Arbeiterund Kulturvereinen als Redner auf und warb um Mitglieder für seine politische Bewegung und um Spenden. Wesentliche Erfolge konnte er nicht erringen. Auch der Aufbau eines Funktionärsnetzes war nur begrenzt erfolgreich. Am 15. Dezember 2003 wurde er an der Grenze zur Schweiz aufgrund des genannten Haftbefehls vom deutschen Bundesgrenzschutz verhaftet und am 15. Juni 2004 an Albanien ausgeliefert. Mitglieder der Vorstände für Europa und den Bereich der Bundesrepublik Deutschland wohnen auch 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 in Nordrhein-Westfalen und sind hier aktiv. Mehrere Funktionärstreffen auf Europaebene haben in NRW stattgefunden. 5.4.3 Albanische Nationalarmee (Armata Kombetare Shqiptare - AKSh) Die 'Albanische Nationalarmee' ('Armata Kombetare Shqiptare' - AKSh) wurde am 15. Dezember 1999 als eine militärische Organisation gegründet. Sie agiert als militärischer Arm der FBKSh und operiert größtenteils auf dem Balkan in überwiegend albanisch besiedelten Gebieten. Dieser extremistisch-terroristischen Gruppierung gehören Mitglieder und Anhänger der ehemaligen UCK des Kosovo und Mazedoniens und militaristisch orientierte Mitglieder einiger albanischer und mazedonischer Parteien an. Die AKSh ist zum erstenmal im Frühjahr 2000 mit Propagandaaktionen und Anschlägen auf Polizeiposten im Norden MazedoWappen AKSh niens in Erscheinung getreten. Seitdem zeichnet sie, nach eigenen Veröffentlichungen im Internet, für mehrere Überfälle auf weitere Polizeiposten im Norden Mazedoniens, im Grenzgebiet zum Kosovo und im südserbischen Tal von Presovo verantwortlich. Als letzte Aktion ist der Überfall auf den Grenzposten in Debellde am 13. Oktober 2003 bekannt geworden. Anfang 2003 hat die AKSh im Internet öffentlich zum bewaffneten Kampf aufgerufen. Die Übergangsverwaltung der UN im Kosovo ('United Nations Interim Administration Mission in Kosovo' - UNMIK) hat mit einer Verwaltungsdirektive am 17. April 2003 die AKSh zu einer terroristischen Organisation erklärt. Vorausgegangen war ein am 13. April 2003 durch die AKSh verübter Anschlag auf eine Eisenbahnbrücke bei Zvecan. Nach den Unruhen im März 2004 im Norden des Kosovo traten uniformierte AKSh-Mitglieder dort in einigen Dörfern auf. Eine daraus gefolgerte Urheberschaft dieser Unruhen in Kosovska Mitrovica konnte nicht bestätigt werden. Kämpfer der AKSh konnten in Nordrhein-Westfalen nicht festgestellt werden. Die AKSh wird allerdings überwiegend mit Geldern unterstützt, die von in Westeuropa, vor allem in Deutschland und der Schweiz, lebenden Albanern an Unterstützungsfonds und Unterstützungsvereine gespendet werden. In NRW konnten ebenfalls Aktivitäten zugunsten eines Fonds und eines Unterstützungsvereins festgestellt werden. Einschätzung und Perspektive Sowohl im Kosovo als auch in Deutschland, und somit auch in NRW, hat die LPK weiter an Bedeutung verloren. Bei den kosovarischen Parlamentswahlen am 25. Oktober 2004 errang sie lediglich 0,65% (2001: 0,56%) der Stimmen. Daher versuchen auf 156 Ausländerextremismus dem Balkan Mitglieder der LPK verstärkt, in anderen Organisationen, Gruppierungen und Parteien mit unterschiedlicher, teils extremistischer Ausrichtung, den Gedanken eines Großalbanien mit politischen, teilweise auch terroristischen Mitteln fortzuführen. Auch der FBKSh gelang es im Jahre 2005 nicht, ihre Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland weiter auszubauen. Die Schwächung durch die Festnahme ihres politischen Sekretärs Idajet Beqiri im Jahre 2003 hat die Organisation bis heute nicht kompensieren können. Insgesamt wurde die Stimmungslage der Kosovo-Albaner im Jahr 2005 ganz überwiegend von der anstehenden Entscheidung zur Statusfrage des Kosovo bestimmt. Verschiedene maßgebliche Staaten hatten sich darauf geeinigt, im Jahre 2005 Bewegung in die ungeklärte Statusfrage zu bringen. Durch die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom Juni 1999 wurde das Kosovo bis zu einer endgültigen Regelung zu einem Protektorat der Vereinten Nationen erklärt, das durch die NATOgeführte Sicherheitstruppe KFOR ('Kosovo Force') und die Übergangsverwaltung UNMIK ausgeübt wird. Obwohl die Resolution die ausdrückliche Verpflichtung zur "Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität Jugoslawiens" (jetzt "Serbien und Montenegro") enthält und dem Kosovo lediglich "substanzielle Autonomie und Selbstverwaltung" nach einer Periode internationaler Überwachung versprochen wurde, verlangen die Führer der albanischen Mehrheitsbevölkerung die Eigenstaatlichkeit. Unabhängig davon, mit welchem Ergebnis die im November 2005 aufgenommenen Statusverhandlungen enden, gehen Anhänger der FBKSh und AKSh davon aus, dass im Kosovo mit (gewalttätigen) Auseinandersetzungen zu rechnen ist. 5.5 Tamilen: Tamilische Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelam - LTTE) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Deutsche Sektion Oberhausen Mitglieder NRW Bund 2005 ca. 300 ca. 800 2004 ca. 280 ca. 750 Internet englischsprachige Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Hintergrund Die 'Tamilischen Befreiungstiger' ('Liberation Tigers of Tamil Eelam' - LTTE) streben seit 1972 die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Staates "Tamil Eelam" auf dem überwiegend von Tamilen bewohnten Nord-Ost-Territorium von Sri Lanka an. Zur Durchsetzung ihrer Ziele führt die LTTE seit 1983 einen erbitterten Guerillakrieg gegen die singhalesische Zentralregierung und verübt Terroranschläge gegen srilankische und indische Ziele. Damit verfolgen die in Deutschland lebenden Anhänger der LTTE Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; sie erfüllen damit die Voraussetzungen nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW. Der von den LTTE geführte Guerillakrieg hat bereits mehr als 60.000 Menschen das Leben gekostet. Auch bei ihren Terroranschlägen nehmen die LTTE den Tod von Zivilisten in Kauf. Fahne der LTTE Struktur Die LTTE-Sektion Deutschland wird durch konspirative Zellen gebildet, die sich nach außen völlig abschotten. Die der LTTE nahestehenden Organisationen sind: : 'Tamil Rehabilitation Organization e. V.' (TRO), Sitz: Wuppertal; : 'Tamil Coordination Comitee' (TCC), Sitz: Oberhausen; : 'Tamil Student Organization e.V.' (TSV), Sitz: Neuss; : 'Tamil Youth Organization e.V.' (TYO), Sitz: Hamm; : 'Tamilischer Bildungsverband e.V.' (TBV), Sitz: Stuttgart. Aktivitäten Die Aktivitäten der LTTE beziehungsweise ihr nahe stehender Organisationen haben sich im zurückliegenden Jahr erkennbar intensiviert. Deutlich wird dies an den zahlreichen tamilischen Veranstaltungen, die teilweise eine erhebliche Teilnehmerzahl zu verzeichnen haben. Im Folgenden einige Beispiele: : 10. April 2005: "FREEDOM"-Veranstaltung der LTTE in Essen mit etwa 1.500 Teilnehmern : 22. Mai 2005: Tamilisches Tempelfest in Hamm mit etwa 10.000 Teilnehmern : 11. Juni 2005: Leichtathlethik-Sportfest des TSV in Hamm mit etwa 750 Teilnehmern : 11./12. Juni 2005: Hungerstreikaktion der TYO in Düsseldorf mit etwa 300 - 400 158 Ausländerextremismus Teilnehmern : 18. Juni 2005: 15. Jahresfest des TBV in Hattingen mit etwa 800 Teilnehmern : 19. Juni 2005: Hindu-Fest in Hamm-Uentrop mit mehr als 10.000 Teilnehmern : 10. Juli 2005: Fußballturnier des TSV in Dortmund mit etwa 1.000 Teilnehmern : 30. Juli 2005: "Black-Tigers Remember Day" in Wuppertal mit etwa 500 Teilnehmern : 18. September 2005: Gedenkveranstaltung in Essen mit etwa 1.000 Teilnehmern : 29. Oktober 2005: "20 Jahre TRO", Veranstaltung in Wuppertal mit etwa 400 Teilnehmern : 10. Dezember 2005: "Heldengedenktag" in Essen mit 3.000 Teilnehmern Darüber hinaus fand am 24. Oktober 2005 in Brüssel eine Großdemonstration der LTTE gegen eine Entscheidung des EUMinisterrates mit rund 15.000 Teilnehmern statt. Dieser hatte entschieden, politische Delegationen der LTTE in den Mitgliedsstaaten nicht mehr zu empfangen. Finanzierung Demo in Brüssel am 24. Oktober 2005 Das Hauptziel der LTTE im Ausland und damit auch in Deutschland ist es, Geld für den Befreiungskampf in der Heimat zu beschaffen. Ohne die regelmäßige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland wären die LTTE nicht in der Lage, kontinuierlich für ihre Ziele einzutreten und den militärischen Apparat in Sri Lanka aufrecht zu erhalten. Über die Höhe der Gelder, die von den LTTE jährlich für den Kampf, aber auch für die Versorgung von Flüchtlingen in der Heimat akquiriert werden, liegen keine gesicherten Angaben vor. Das weltweite tamilische Netzwerk arbeitet wie ein internationales Unternehmen und unterhält humanitäre Hilfsorganisationen, Menschenrechtsbüros, Fernsehund Radiosender, verlegt Zeitungen und Zeitschriften, ist auf unzähligen Homepages im Internet präsent und verfügt über die entsprechenden Bankverbindungen, um die erforderlichen finanziellen Transaktionen durchzuführen. Daneben finanziert sich die Organisation durch Spendensammlungen. So leisten viele Auslands-Tamilen einen "Solidaritätsbeitrag" und spenden regelmäßig für die LTTE. In jüngster Zeit gab es vermehrt Hinweise darauf, dass auf Spendenunwillige Druck ausgeübt wurde. 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Ferner werden von den der LTTE-nahe stehenden Organisationen zahlreiche Kultur-, Sportund Gedenkveranstaltungen ausgerichtet, die durch den Verkauf von Eintrittskarten, Büchern, Videos und Musikkassetten teilweise erhebliche Einnahmen erzielen. Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Südasien, von der Sri Lanka und dort vor allen Dingen das überwiegend von Tamilen bewohnte Nord-Ost-Territorium betroffen war, veränderte sich in NRW das Aktionsverhalten der LTTE und der ihr nahe stehenden TRO. Die wesentliche Aufgabe der in Wuppertal ansässigen TRO besteht darin, in der Bundesrepublik Gelder für humanitäre Zwecke zu sammeln. In diesem Zusammenhang wurden in der Vergangenheit fast ausschließlich die in Deutschland lebenden Tamilen angesprochen und zu entsprechenden Spenden aufgefordert. In der Öffentlichkeit trat die TRO bis zur Flutkatastrophe in Asien so gut wie nicht in Erscheinung. Seit Anfang Januar führte die TRO in zahlreichen nordrhein-westfälischen Städten mit großem (finanziellen) Erfolg öffentliche Sammlungen durch. Zudem nutzte sie das Interesse der Medien und machte in der örtlichen Presse auf ihre humanitären Ziele aufmerksam. Prozess zur friedlichen Lösung des Konflikts auf Sri Lanka Nach dem Regierungswechsel im Dezember 2001 zeichnete sich in Sri Lanka nach 18 Jahren Bürgerkrieg eine Entspannung der politischen Lage ab. Der einseitig erklärte Waffenstillstand der LTTE führte auf der Grundlage der unter Vermittlung der norwegischen Regierung begonnenen Friedensverhandlungen am 23. Februar 2002 zu einem Waffenstillstandsabkommen zwischen der srilankischen Regierung und der LTTE, das bisher von beiden Seiten weitgehend eingehalten wird. Das Waffenstillstandsabkommen basiert im Wesentlichen auf einem Konzept, das eine weitgehende Selbstbestimmung in den überwiegend von Tamilen bewohnten Gebieten und eine föderale Struktur innerhalb eines geeinten Sri Lanka vorsieht. Die Friedensverhandlungen wurden aber im April 2003 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Konfliktparteien ausgesetzt. Einschätzung und Perspektive Im letzten Halbjahr 2005 hat sich die politische Lage in Sri Lanka deutlich destabilisiert. Konnte man im ersten Halbjahr 2005 noch darauf hoffen, dass sich die srilankische Regierung und die LTTE - insbesondere auch um die im Rahmen der TsunamiKatastrophe zugesagten internationalen Hilfsgelder in Anspruch nehmen zu können - auf irgendeine Weise arrangieren und den Versuch machen würden, den Friedenskurs fortzusetzen, muss derzeit eher befürchtet werden, dass die Lage eskaliert und der bereits brüchige Waffenstillstand aufgekündigt wird. 160 Ausländerextremismus Bedeutsam für den weiteren Friedensprozess wird es sein, wie sich der am 17. November 2005 gewählte neue Präsident Sri Lankas, Mahinda Rajapakse, hinsichtlich der Tamilenfrage verhalten und ob er gegebenenfalls Impulse für die Fortsetzung der Friedensverhandlungen setzen wird. 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 162 Islamismus 6 Islamismus 6.1 Transnationales Terrornetzwerk um Usama Bin Laden (Jihadisten; auch Mudjahedin) Hintergrund Hinter der Bezeichnung "Jihadisten" (islamische Glaubenskämpfer; auch Mudjahedin) verbirgt sich keine zentral und straff gesteuerte Organisation, es handelt sich vielmehr um unterschiedlich strukturierte, teilweise nur lose Zusammenhänge und Verbindungen von Personen mit ähnlichen Grundüberzeugungen, die sich durch ihre Gewaltorientierung auszeichnen und auch als terroristische Netzwerke bezeichnet werden. Sie betrachten sich als Kämpfer für den Islam. Ihr Name leitet sich von "Jihad" (heiliger Kampf) ab, den sie einseitig als Aufruf zum gewaltsamen Widerstand gegen alle "Feinde des Islam" deuten. Die weitaus wichtigere Bedeutung des Begriffs Jihad in der islamischen Theologie, das Ringen jedes Einzelnen um einen gottgefälligen Lebensweg, wird hingegen ausgeblendet. Die Aktivitäten der Jihadisten vollziehen sich höchst konspirativ. Kleine Gruppen von Jihadisten sammeln sich um einzelne - zum Teil lokale - Führungspersönlichkeiten, die wiederum über vielfältige Kontakte zu anderen lokalen und internationalen Jihadisten verfügen. Dadurch entstehen effiziente Netzwerke von Beziehungen, die bei Bedarf jederzeit aktiviert werden können, um etwa logistische und finanzielle Unterstützung zu leisten. Keimzelle dieser Gruppierungen ist die von Usama Bin Laden geLogo Al-Qaida gründete Organisation 'Al-Qaida' (Die Basis). Auch einzelne, unorganisierte gewaltbereite Fanatiker, so genannte "non-aligned Mudjahedin", stellen ein Bedrohungspotenzial dar, denn sie sind durch gemeinsame militärische und ideologische Kampfausbildung in Afghanistan und Pakistan und/oder durch gemeinsamen Kampfeinsatz, zum Beispiel in Bosnien, Tschetschenien oder Kaschmir, ebenfalls in das Netzwerk eingebunden. Die einzelnen Mitglieder unterschiedlicher Zellen kennen einander nicht. So soll gewährleistet werden, dass nicht die gesamte Struktur offengelegt wird, falls den Sicherheitsbehörden ein Schlag gegen eine einzelne Zelle gelingt. 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Von den Mitgliedern und Unterstützern der Jihadisten-Netzwerke gehen nicht nur Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW), weil sie weltweit agieren und insbesondere die USA und ihre Verbündeten mit Terror bedrohen. Sie gefährden auch die innere Sicherheit, da terroristische Aktionen gegen Ziele in Deutschland nicht ausgeschlossen werden können. Entwicklungsgeschichte Die Entstehung des Mudjahedin-Phänomens geht auf die sowjetische Invasion in Afghanistan im Jahr 1979 zurück. Der Widerstand gegen die Besatzung (1979 bis 1989) formierte sich unter religiösen Vorzeichen. Neben Afghanistan entwickelte sich vor allem Pakistan zu einem zentralen Ausgangspunkt militanter islamistischer Gruppierungen. Auch aus arabischen Staaten trafen in wachsender Zahl Unterstützer für die Sache der antisowjetischen islamischen Kämpfer in Afghanistan ein. In speziellen Trainingslagern wurden die Freiwilligen auf den Kampf gegen die sowjetische Armee vorbereitet; gleichzeitig wurde hier die Basis für eine Terrorausbildung gelegt, die die Afghanistankämpfer später in ihren jeweiligen Heimatländern für den Einsatz nutzten. Die von Usama Bin Laden gegründete 'Al-Qaida' wurde erstmals während des Widerstandes der Mudjahedin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan bekannt. Ihr Zweck war zunächst die logistische Unterstützung der afghanischen Kämpfer mit Geld, militärischer und religiöser Ausbildung sowie mit freiwilligen Kämpfern überwiegend arabischer Herkunft. Darüber hinaus tat sich Bin Laden auch in vorderster Front als Kommandeur hervor und wird seitdem von den Mudjahedin als herausragender Führer und Symbolfigur für den "gerechten Kampf" der Muslime verehrt. Nach dem Ende des Afghanistan-Krieges kehrte Bin Laden in sein Heimatland SaudiArabien zurück, wo er bald zu einem gefürchteten Kritiker des saudischen Herrscherhauses wurde. Ihm wurde deshalb 1994 die saudische Staatsangehörigkeit entzogen. Bin Laden attackierte insbesondere die US-amerikanische Militärpräsenz in SaudiArabien, die durch den Golfkrieg um Kuwait entstanden war. Die arabische Halbinsel beherbergt mit Mekka und Medina die beiden wichtigsten islamischen Heiligtümer. Die Präsenz amerikanischer Truppen wertete Bin Laden wie viele andere Muslime als Gotteslästerung. Nach einer Zwischenstation im Sudan, wo er ebenfalls militante Glaubenskämpfer ausbildete, kehrte er 1996 nach Afghanistan zurück. Dort bildete er in den folgenden Jahren unter dem Schutz der Taliban in eigenen Camps Jihadisten aus, die gleichsam wie eine islamistische Fremdenlegion überall dort für Islam kämpften, wo sie sich gebraucht fühlten (unter anderem in Bosnien, Tschetschenien und Kaschmir). 164 Islamismus Die Jihadisten sind von einem unversöhnlichen Hass auf Israel, die USA, ihre westlichen Verbündeten sowie die mit dem Westen kooperierenden Regierungen islamischer Staaten getrieben. Der "Westen" wird pauschal für Unterdrückung, Korruption, Unterentwicklung und den "Niedergang sittlicher Werte" verantwortlich gemacht. Im Februar 1998 bildete sich unter der Führung von 'Al-Qaida' ein internationaler Zusammenschluss, die 'Internationale Islamische Front für den Kampf gegen Juden und Kreuzfahrer', der Organisationen aus Ägypten, Pakistan, Bangladesh und inzwischen auch Usbekistan angehören. Das Netzwerk von Usama Bin Laden umfasst damit nicht mehr nur Araber. Bin Laden bezeichnete es als individuelle Pflicht jedes Muslims, Amerikaner und ihre Verbündeten - Zivilisten und Militärs - zu töten, wo immer sich die Möglichkeit dazu bietet, bis die heiligen Stätten der Muslime von den Ungläubigen befreit seien. Infolge dieses Aufrufs sind seitdem zahlreiche Anschläge in aller Welt verübt worden, die schrecklichsten waren die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA, am 11. März 2004 in Madrid und 7. Juli 2005 in London. Struktur Das transnationale terroristische Netzwerk unterscheidet sich in wesentlichen Merkmalen von anderen terroristischen Gruppierungen: Es ist nicht auf ein Territorium begrenzt und hat keine festen Organisationsstrukturen. Längst muss davon ausgegangen werden, dass 'Al-Qaida' nur noch bei einem Bruchteil der terroristischen Anschläge weltweit direkt involviert ist. Nach ihrer Vertreibung aus Afghanistan seit Ende 2001 haben sich viele Mudjahedin/ Jihadisten an Kämpfen in anderen Krisengebieten beteiligt oder regionale Organisationen radikalisiert und neue Strukturen aufgebaut. In der Folge umfasst das Netzwerk des internationalen islamistischen Terrorismus heute einen geographisch größeren Raum. In immer mehr Ländern der Welt werden Zellen entdeckt und sind Mitglieder im Untergrund tätig. Das Netzwerk ist auch dichter geworden, denn die Zahl regionaler und lokaler Terrorzellen wächst anscheinend unkontrollierbar weiter. Dabei speisen sich die Aktivitäten der unzähligen Terrorzellen nur vordergründig aus der selben Ideologie. Betrachtet man die Konflikte genauer, an denen sich islamistische Terroristen weltweit beteiligen, so fällt auf, dass vom Maghreb über den Nahen Osten und Tschetschenien bis nach Süd-Ost-Asien ganz unterschiedliche Motive den gewaltsamen Kampf bestimmen können. Regional definierte, machtpolitische und ethnische Interessen stehen deutlich im Vordergrund. Die führenden Köpfe der internationalen Terrorszene machen sich die Vielzahl der Konflikte, an denen Muslime beteiligt sind, zu Nutze und stülpen ihnen die vermeintlich gemeinsame Ideologie des weltweiten Jihad über. Dabei sind sie in zweierlei Hinsicht erfolgreich: sie münzen regionale ethnische und/oder soziale Konflikte in religiöse Konflikte um und stellen 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 sie in den Kontext einer globalen Auseinandersetzung zwischen Glauben und Unglauben. Dadurch radikalisieren und indoktrinieren sie die jeweiligen Konfliktparteien in ihrem Sinne. Da das Netzwerk aus vielen voneinander abgeschotteten Zellen besteht, ist es umso schwerer zu bekämpfen. Es funktioniert ähnlich wie das Internet: Ein globales Netz aus unzähligen lokalen Stellen, die untereinander verknüpft sind, zugleich aber ohne zentrale Schaltstelle unabhängig funktionieren können. Kontrolliert werden kann das Netzwerk ebenso schwer wie das Internet. So wie jede gesperrte Webseite alsbald an anderer Stelle wieder erscheinen kann, werden entdeckte Zellen durch neue ersetzt. Nutzung des Internet Durch den weltweiten Anti-Terrorkampf hat 'Al-Qaida' zwar viel von ihrer personellen und operativen Leistungskraft verloren, dafür aber an symbolischer Stärke gewonnen. Das transnationale Terrornetzwerk gleicht die infolge des internationalen Antiterrorkampfes erschwerten Rahmenbedingungen zumindest teilweise durch das Internet aus. Zugute kommen ihm dabei der nahezu weltweit ungehinderte Internetzugang, die mangelnde Kontrollierbarkeit der Datenströme, die weitgehend anonymisierbaren Kommunikationswege sowie die vielfältigen Recherchemöglichkeiten. Wie alle Extremisten haben auch die geistigen Führer 'Al-Qaidas' ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein und Mitteilungsbedürfnis. Bedingt durch ihre Fluchtbewegungen sind Verlautbarungen über öffentlich zugängliche Medien wie das Internet oder die Instrumentalisierung kommerzieller Fernsehsender die einzige Möglichkeit, ihre Ansichten, Aufforderungen und Drohungen publik zu machen. Das Internet wird als Plattform für multimedial aufbereitete Propaganda, als Drohkulisse und zur Rekrutierung genutzt. Seit 2004 haben vor allem Online Magazine eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Jihad-Propaganda. Die bekanntesten Online-Magazine waren bislang 'Saut AlJihad' ('Stimme des Jihad') und 'Mu'askar Al-Battar' ('Ausbildungslager Al-Battar') aus Saudi-Arabien, die seit Herbst 2003 im Internet veröffentlicht wurden. Beide Publikationen erschienen bis November 2004 regelmäßig in 14-tägigem Rhythmus, bis sie ohne weitere Erklärungen eingestellt wurden. Hintergrund waren vermutlich Exekutivmaßnahmen der saudischen Sicherheitsbehörden, nach denen auch die Organisation 'Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel' als geschwächt galt. Ende April 2005 erschien jedoch eine neue Ausgabe von 'Saut Al-Jihad' (Nr. 29), was auf die Existenz noch intakter Teilstrukturen der Gruppe deuten könnte oder einen solchen Eindruck erwecken soll. Das etwa 50 Seiten umfassende Magazin enthält unter anderem Artikel von 'Al-Qaida'-Mitgliedern wie al-Utaibi, der im Jahr 2004 den getöteten Führer der 'Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel', Abdelaziz al-Muqrin, ersetzt hat. 166 Islamismus Auch die Organisation 'Al-Qaida für den Jihad im Zweistromland' von Abu Musab alZarqawi, dem Drahtzieher des Terrors im Irak, veröffentlichte im März 2005 ihr erstes eigenes Online-Magazin mit dem Titel 'Dhurwat Al-Sinam' ('Spitze des Kamelhöckers'). In mehreren Artikeln des Magazins wird zum bewaffneten Kampf gegen Ungläubige im Irak und in anderen islamischen Ländern aufgerufen. Darüber hinaus werden demokratische Regierungssysteme ganz allgemein diffamiert und diskreditiert. In den meisten Online-Magazinen wird über Waffenkunde, Militärwissenschaft, praktische Kampfausbildung, Fitnessprogramme und Überlebenstraining informiert. Es werden aber auch religiöse und ideologische Unterweisungen gegeben. Beiträge über "Kidnapping" befassen sich mit unterschiedlichen Gründen für Entführungen, wie die Erfüllung bestimmter Forderungen, Erpressen von Lösegeldern oder Informationsgewinnung. Es werden verschiedene Arten von "Kidnapping" wie Entführung und Geiselnahmen beschrieben. Geiselnahmen, heißt es dort, seien grundsätzlich erfolgreich, auch wenn beispielsweise bei der Geiselnahme durch "tschetschenische Brüder" in einem Theater in Moskau im November 2003 nicht alle Ziele erreicht worden seien. Wichtig sei, das Anliegen der Mudjahedin in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu tragen. Im Themenkomplex "Freilassung/Übergabe von Geiseln" wird auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, Geiseln zu Propagandazwecken zu töten. Die theoretischen und taktischen Anleitungen werden durch Videos ergänzt, die zeigen, wie Autos als mobile Bomben hergerichtet oder Entführungsopfer ausgespäht werden. Auch die Enthauptung von Geiseln wird demonstriert. Potenziellen JihadKämpfern eröffnet sich somit ein virtuelles Trainingslager. Bereits seit längerer Zeit kursieren im Internet "Terrorhandbücher" mit Anleitungen zum Umgang mit Sprengstoff und zum Bau einer Bombe. Die zunehmende Verbreitung terroristischen Wissens durch Handbücher und Internet-Anleitungen lässt sich als Indiz für die zunehmende Professionalisierung potenzieller Attentäter und zugleich als Reaktion auf mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten werten, nachdem in Afghanistan im Zuge der militärischen Interventionen die früheren Ausbildungslager zerstört wurden. Das Gefährdungspotential kann hierdurch noch verstärkt werden, da gewaltbereite Islamisten auf diese Art weltweit an terroristisches Grundwissen gelangen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, durch Aufenthalte in Mudjahedin-Ausbildungslagern erkannt zu werden. Finanzierung Die Mudjahedin-Netzwerke finanzieren sich aus unterschiedlichen Quellen. Es handelt sich einerseits um Spenden. Andererseits haben Gewinne aus legalen Geschäften 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 (zum Beispiel aus Großund Einzelhandelsgeschäften oder dem PKW-Handel) sowie Profite aus illegalen Aktivitäten wie Schmuggel, Waffen-, Diamantenund Drogenhandel, Handel mit gefälschten Pässen oder Kreditkartenbetrug zunehmende Bedeutung. Für finanzielle Transaktionen werden zum einen häufig Bankkonten mit dem Umweg über so genannte "off-shore"-Länder (ohne Bankenaufsicht) genutzt, zum anderen bedient man sich der "Hawala"-Methode. Hierbei übergibt der Einzahlende unter Nennung des Auszahlungsortes eine bestimmte Geldsumme an eine Vertrauensperson, die ihm wiederum ein Kennwort nennt. Diese Kennung gibt der Einzahler an den Empfänger weiter, dem ein entsprechender Betrag dann an der angegebenen Stelle von einer vertrauenswürdigen Person aus dem Hawala-System ausgezahlt wird. Dieses System funktioniert über Kontinente hinweg. Keineswegs alle Transaktionen des Hawala-Systems betreffen illegale Vorgänge; vielmehr ermöglicht diese Art der Finanzabwicklung eine schnelle und unbürokratische Überweisung von Geldern in solche Regionen, in denen ein Bankensystem nicht weit verbreitet ist. Damit ist es aber auch möglich, Geldbeträge in unbegrenzter Höhe zu bewegen, ohne dass sie über Konten von nach westlichem Muster arbeitenden Banken wandern und von den Sicherheitsbehörden zurückverfolgt werden können. Aktuelle Entwicklung Die größte Bedrohung der inneren Sicherheit Deutschlands geht nach wie vor vom islamistischen Terrorismus aus. Es handelt sich dabei um eine hohe abstrakte Gefährdung, da es zwar keine Hinweise auf konkrete Anschlagsziele oder Operateure gibt, ein Terrorakt aber zu keiner Zeit und an keinem Ort ausgeschlossen werden kann. Auch vier Jahre nach den Militärschlägen der USA in Afghanistan ist der Verbleib von Usama Bin Laden und seines Stellvertreters Ayman al-Zawahiri, eines ehemaligen Anführers des ägyptischen 'Jihad Islami', ungeklärt. Obwohl die Anstrengungen der Sicherheitsbehörden im weltweiten Kampf gegen den islamistischen Terrorismus zu zahlreichen Fahndungserfolgen seit dem 11. September 2001 geführt haben (insbesondere die Anfang Mai 2005 durch pakistanische Sicherheitskräfte erfolgte Festnahme von Abu Faradsch al-Libi, der laut US-amerikanischen Berichten als Nummer drei der 'Al-Qaida' gilt) und obwohl mehrere Personen getötet wurden, die auf der Liste der 26 meistgesuchten Terroristen Saudi-Arabiens standen, kann von einer nachhaltigen Zerschlagung des Terrornetzwerks nach wie vor nicht ausgegangen werden. Bis zum 11. März 2004 hatten sich die Anschläge aus dem 'Al-Qaida'-Netzwerk in erster Linie gegen westliche (hauptsächlich US-amerikanische, britische und israelische) Ziele im Nahen Osten, in Afrika und in Südostasien gerichtet. Anschlagsvorbereitungen von Mudjahedin-Gruppen in Europa hatten ein deutlich niedrigeres Niveau im Hinblick auf Wirkung, Komplexität und Konspiration in der Planung. Dementsprechend konnten Vorbereitungshandlungen in Europa überwiegend in einem frühen 168 Islamismus Ayman al-Zawahiri steht an zweiter Stelle der meist gesuchten Terroristen in USA und wird mit diesem Fahndungsaufruf weltweit gesucht. 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Stadium durch die Sicherheitsbehörden vereitelt werden. Mit 'Al-Qaida' verbundene oder ihr nahestehende Mudjahedin-Gruppen haben mit den Anschlägen von London vom 7. Juli 2005 erneut bewiesen, dass sie trotz eines hohen Fahndungsdrucks auch in Europa in der Lage sind, mit größerem Koordinationsaufwand verbundene Anschläge unentdeckt vorzubereiten und durchzuführen. Die weltweiten Anschläge auf Wohnanlagen, Restaurants, Hotels, Banken sowie Anschläge auf öffentliche Verkehrsmittel lassen befürchten, dass auch künftig solche kaum zu schützenden "weichen Ziele" im Visier der Jihadisten stehen werden. Das terroristische Netzwerk verfügt nach wie vor über die Fähigkeit, Terrorakte mit hohen Opferzahlen zu planen und durchzuführen; die Motivation hat sich durch die weiter andauernde Präsenz amerikanischer Soldaten im Irak verstärkt. Terroranschläge in London Am Morgen des 7. Juli 2005 detonierten in London innerhalb einer Stunde Sprengsätze in drei U-Bahnzügen und einem Doppeldeckerbus. Dabei kamen 56 Menschen ums Leben, 700 Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Urheber der Anschläge waren islamistische Selbstmordattentäter. Zwei Wochen nach diesen Attentaten, am 21. Juli, war London erneut Schauplatz eines Anschlagsversuchs. Diesmal zündeten die in Rucksäcken versteckten Bomben jedoch nicht, so dass Menschen nicht zu Schaden kamen. Großbritannien ist bereits seit Jahren im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus. Dem wichtigsten europäischen Koalitionspartner der Amerikaner im Irak-Krieg war in Videound Audiobotschaften von Usama Bin Laden und anderen führenden 'AlQaida'-Mitgliedern immer wieder offen gedroht worden. Trotz hoher Sicherheitsstandards und großer Wachsamkeit der Sicherheitsdienste konnten die Terrorangriffe nicht verhindert werden. Ein Jahr nach den verheerenden Anschlägen von Madrid am 11. März 2004 ist es islamistischen Terroristen ein zweites Mal gelungen, eine europäische Metropole mit synchronisierten Anschlägen zu attackieren. Dank rascher Fahndungserfolge befinden sich die an den fehlgeschlagenen Attentaten des 21. Juli beteiligten Personen in britischer Haft. Von Al-Qaida inspiriert Im Zusammenhang mit den Anschlägen des 7. Juli 2005 in London war zunächst über eine Täterschaft der 'Al-Qaida' spekuliert worden. Später wurde bezweifelt, dass die Attentäter in die Terrororganisation eingebunden waren beziehungsweise auf deren ausdrückliche Weisung hin handelten. Tatsächlich gibt es für eine Urheberschaft der 'Al-Qaida' bis heute keine sicheren Beweise. Vieles spricht aber dafür, dass sich die Attentäter bei der Planung und Durchführung der Anschläge von 'Al-Qaida' inspirie170 Islamismus ren ließen. Dafür spricht die Vorgehensweise (Selbstmordattentate), die Zielauswahl (weiche Ziele, vergleichbar mit den Anschlägen in Madrid) und die Durchführung (nahezu gleichzeitige Explosion von vier Bomben). Im September veröffentlichte der arabische Fernsehsender 'Al-Jazeera' das Bekennervideo von Mohammad Sidique Khan, der als Anführer der vier Selbstmordattentäter gilt. Darin wird deutlich, dass sich die Attentäter die Ideologie der 'Al-Qaida' zu eigen gemacht hatten und sich dazu berufen fühlten, im Sinne der Terrororganisation zu handeln. Khan erklärt in der Videobotschaft Usama Bin Laden und seinem Stellvertreter Ayman al-Zawahiri die Gefolgschaft und bezeichnet seine Tat als Rache für die Leiden muslimischer Glaubensbrüder, die der Westen zu verantworten habe: "Bevor ihr nicht aufhört, meine Leute zu bombardieren, zu vergasen, einzusperren und zu foltern, werden wir diesen Kampf nicht stoppen. Wir sind im Krieg, und ich bin Soldat." Das zusammen geschnittene Videoband enthält außerdem eine Botschaft alZawahiris, der die Attentate als einen Schlag ins Gesicht des "arroganten Kreuzritterstaats Großbritannien" bezeichnet. Hieran wird die "neue" Arbeitsund Funktionsweise der 'Al-Qaida' besonders deutlich: Die Terrororganisation inspiriert und animiert Nachahmungstäter zu Terrorakten, ohne direkte Verbindungen zu ihnen haben zu müssen und verbucht im Gegenzug spektakuläre Anschläge als eigene "Erfolge". Auf diese Weise arbeiten 'Al-Qaida' und ihr unbekannte Kleinzellen Hand in Hand. Die Anschläge von Madrid im März 2004 folgten dem gleichen Muster. Obwohl 'AlQaida' nicht die Regie geführt hatte und die Attentäter autonom handelten, bekannte sich die Organisation wenig später zu den Anschlägen. Verselbstständigung des Terrors Durch die zwei Anschlagsserien von London ist die Gefahr der Verselbstständigung des islamistischen Terrorismus auf besonders drastische Weise deutlich geworden. Es waren keine organisatorisch angebundenen und etablierten Terrorgruppen, die Befehlen aus dem Ausland gehorcht haben, sondern anscheinend Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten, die in eigener "Mission" handelten. So soll sich insbesondere die Gruppe der gescheiterten Attentäter nach den Ereignissen des 7. Juli 2005 kurzerhand zu Selbstmordattentaten verabredet haben, um auf die Situation im Irak "aufmerksam zu machen". Bedrohung durch "homegrown"-Netzwerke Die Attentate von Madrid und London verdeutlichen, dass so genannte "homegrown"Netzwerke bei der Bedrohung in Europa mittlerweile eine herausragende Rolle spielen. Potenzielle Terroristen werden nicht mehr zwangsläufig von außen eingeschleust, sondern leben unter Umständen schon seit vielen Jahren vor Ort. Die Attentäter von 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 London waren zum größten Teil britische Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Von den vier Selbstmordattentätern des 7. Juli 2005 waren drei pakistanischer Herkunft, ein Täter stammte aus Jamaika. Sie alle besaßen einen britischen Pass, waren zum Teil in Großbritannien aufgewachsen und schienen durch Ausbildung und Berufstätigkeit gesellschaftlich integriert. Auch der Mörder des islamkritischen niederländischen Filmemachers van Gogh wurde als Angehöriger der zweiten Zuwanderergeneration in den Niederlanden geboren, galt lange als gut integriert, entwickelte aber später einen unbändigen Hass auf alle "Ungläubigen", der ihn zum Attentäter werden ließ. Die Wandlung der jungen Männer zu islamistischen Gewalttätern wirft viele Fragen auf. Etwa danach, welchen Einflüssen sie ausgesetzt waren und wie sich die Fanatisierung der Männer von ihrer Umwelt unbemerkt vollziehen konnte. Auch hierzulande muss von einem zahlenmäßig kaum erfassbaren inländischen Potenzial junger Menschen ausgegangen werden, die sich in "homegrown"-Netzwerken zusammenschließen könnten. Die Aufmerksamkeit richtet sich insbesondere auf solche Mitglieder der zweiten oder dritten Einwanderergeneration, die sich - von der Ideologie der 'AlQaida' eingenommen und durch persönliche Frustrationserlebnisse bestärkt - radikalisieren (lassen) könnten, um sich schließlich dem islamistischen Terrorismus zuzuwenden. Eine andere Variante des Terrorismus wurde bei einem Selbstmordanschlag am 9. November 2005 nahe Bagdad erkennbar. Eine 38-jährige Frau aus Belgien, die zum Islam konvertiert war, riss durch ihre Tat sechs Menschen mit in den Tod. Die Ermittlungen in Belgien führten zu einem Netzwerk, das systematisch Islamisten nach Arabien geschleust haben soll. Diese Personenkreise stellen ein Milieu dar, von dem bei einer entsprechenden Motivationslage auch Anschläge auf Ziele des europäischen Heimatstaates verübt werden können. Propagandaoffensive Auch 2005 waren zahlreiche Aktivitäten 'Al-Qaidas' im Propagandabereich zu verzeichnen. Hauptsächlich der Stellvertreter von Usama Bin Laden, Ayman al-Zawahiri, sowie der Drahtzieher des Terrors im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, griffen bekannte Themen in Variationen auf. Hierunter fielen vor allem die Besetzung des Irak und der Demokratisierungsprozess im Land sowie der Widerstand gegen die westliche Welt (USA und ihre Verbündeten). Insbesondere wurde die muslimische Jugend aufgerufen, Widerstand zu leisten. Abu Musab al-Zarqawi werden zwei im Januar ins Internet eingestellte Audiobotschaften zugeschrieben. In der ersten Aufnahme anlässlich des islamischen Opferfestes werden die "Gotteskrieger aus Falludscha" und Usama Bin Laden gelobt und wei172 Islamismus tere Anschläge angedroht. In der zweiten Aufnahme stellt sich der Sprecher selbst als al-Zarqawi vor und kündigt einen gnadenlosen Krieg gegen die Demokratie und die Wahlen im Irak an. Die Demokratie sei ein "bösartiges Herrschaftssystem", weil es die Fahndungsaufruf des FBI allein Gott zustehende Macht dem Volke übertrage. Der Redner stellte die Wahlen im Irak als eine Verschwörung der USA und der schiitischen Muslime im Irak dar, die nur dazu diene, das Land unter die Kontrolle der Schiiten zu bringen. Er stellte mit Zitaten aus dem Koran gestützte Thesen gegen die Demokratie auf; unislamisch seien unter anderem freie Meinungsäußerung, die Trennung von Staat und Religion und das Parteiwesen. Zudem wurde ein Video veröffentlicht, das die Enthauptung zweier irakischer Lastwagenfahrer zeigt. Sowohl die Audiobotschaften als auch das Video sollten die Iraker von der Teilnahme an den Wahlen im Januar abhalten. Schon in der Vergangenheit hatten al-Zarqawi, Usama Bin Laden und andere irakische Terroristen potenziellen Wählern mit dem Tod gedroht. 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Am 17. Februar 2005 trat die Organisation 'Al-Qaida für den Jihad im Zweistromland' mit einer Erklärung im Internet in Erscheinung, in der sie bekundet, dass ihr Kampf erst enden werde, wenn die "Feinde Gottes den Irak verlassen haben" und ein islamischer Staat errichtet sei. Die Botschaft schloss an Erklärungen und Anschlagsdrohungen im zeitlichen Umfeld der Parlamentswahlen im Januar an. Auch nach den Wahlen führte die Organisation ihren Kampf gegen jegliche Form von Demokratie fort. Nahezu jeden Tag erklärte sie sich verantwortlich für neue Anschläge im Irak - sei es gegen "Besatzungstruppen", irakische Polizeieinheiten oder Schiiten. Der arabische Fernsehsender 'Al-Jazeera' strahlte am 20. Februar eine Videobotschaft des Bin Laden-Stellvertreters Ayman al-Zawahiri aus. In einem leeren Raum sitzend, hinter ihm eine an die Wand gelehnte Kalaschnikow, forderte er die westlichen Staaten auf, ihre Angriffe auf den Islam zu beenden. Die Sicherheit der Menschen in den westlichen Staaten hänge davon ab, dass sie den Islam respektierten und ihre aggressive Haltung gegenüber Muslimen aufgäben. Al-Zawahiri drohte dem Westen mit zehntausenden Toten und dem Zusammenbruch seiner Wirtschaft. Er kritisierte zudem die umstrittene Inhaftierung von Terrorverdächtigen auf dem US-Militärstützpunkt "Guantanamo Bay" auf Kuba. Ende Mai meldete sich al-Zarqawi mit einer als authentisch eingeschätzten Audiobotschaft zu Wort, nachdem Gerüchte und Spekulationen über schwere Verwundungen beziehungsweise seinen Tod für Aufregung gesorgt hatten. Die Bedeutung der Botschaft lag weniger in ihrem Inhalt als in der Tatsache, dass er zeitnah auf widersprüchliche Vermutungen bezüglich seines Verbleibs reagierte. Im Juni wurden Teile einer neuen Videobotschaft von al-Zawahiri ausgestrahlt. Er betont darin, dass Veränderungen in der islamischen Welt nicht mit friedlichen Mitteln herbeigeführt werden könnten und fordert unter expliziter Nennung Pakistans, SaudiArabiens und Ägyptens die Araber zum Kampf gegen die mit den USA kooperierenden Regierungen im Nahen Osten auf. Al-Zawahiri kritisiert die amerikanischen Reformvorstellungen und stellt die drei Hauptpunkte des Reformkonzeptes der 'AlQaida' dagegen: Einführung der Scharia als einzige Quelle der Rechtsprechung, Befreiung der islamischen Gebiete von Besatzungstruppen und Freiheit der islamischen Umma, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Der Sender 'Al-Jazeera' strahlte dann am 1. September 2005 ein Video mit Ayman alZawahiri und Mohammad Siddique Khan, einem der Londoner Selbstmordattentäter vom 7. Juli, aus. Al-Zawahiri bekennt sich darin nicht explizit im Namen von 'AlQaida' zu den Anschlägen, sondern kritisiert muslimische religiöse Führer in Großbritannien wegen ihrer Unterstützung des britischen Premierministers und droht erneut der westlichen Welt. Hingegen bezeichnet sich Khan als von 'Al-Qaida' inspiriert und 174 Islamismus stellt Bin Laden, al-Zawahiri sowie al-Zarqawi als Helden dar. Aus diesem Video konnte eine operative Einflussnahme 'Al-Qaidas' auf die Anschlagsplanungen von London nicht abgeleitet werden. Auch das später erfolgte Bekenntnis al-Zawahiris zu den Londoner Anschlägen in einer Botschaft vom 19. September kann nicht als Beweis für eine operative Einbindung der 'Al-Qaida'-Führung in die Anschläge dienen. Ebenfalls im September 2005 berichtete der Sender 'Al-Jazeera' über eine bis dahin unbekannte Gruppierung 'Organisation Al-Qaida in Nordeuropa'. In ihrer Internetverlautbarung kritisierte sie die Unterdrückung der Muslime und rechtfertigte den Jihad. Ein spezifisches Ziel ihrer angedrohten Anschläge wurde nicht genannt. Der aus dem Umfeld der 'Al-Qaida' stammende "Internet-Fernsehsender" 'Saut alKhilafah' ('Stimme des Kalifats') publizierte seit Mitte September in unregelmäßigen Abständen Videobeiträge im Stil westlicher Nachrichtensendungen zu Themen wie Jihad, internationale Mudjahedin, Palästina und Irak. Ein vermummter und bewaffneter Sprecher verlas dabei aktuelle Nachrichten und Verlautbarungen von entsprechenden Jihad-Gruppierungen aus der ganzen Welt. Zusätzlich wurden kleine Filmbeiträge eingeblendet, beispielsweise Berichte zu Anschlägen im Irak oder eine Darstellung der Hurrikanschäden in den USA als Strafe Gottes für die US-Regierung. Am 23. Oktober 2005 sendete 'Al-Jazeera' einen Ausschnitt aus einer Videobotschaft von alZawahiri, in dem der 'Al-Qaida'-Vize alle Muslime und insbesondere die islamischen HilfsorLogo des Senders ganisationen zur Unterstützung der Erdbebenop'Stimme des Kalifats' fer in Pakistan aufruft. Die Botschaft zielte darauf ab, 'Al-Qaida' quasi auch als Solidargemeinschaft der Muslime zu positionieren und damit zusätzliche Anhänger und Finanzquellen in bislang eher kritischen Schichten zu gewinnen. Aktivitäten in Deutschland und Nordrhein-Westfalen Zu dem Netzwerk der Jihadisten in Deutschland gehören Kleingruppen und Einzelpersonen aus verschiedenen Organisationen und so genannte 'non-aligned Mudjahedin', die keiner bestimmten Organisation zuzurechnen sind. Diese Unterstützernetzwerke unterhalten eine ausgedehnte Infrastruktur, unter anderem zur Versorgung mit gefälschten Papieren, zur Ausstattung mit Mobiltelefonen und zum Sammeln von Spenden. Daneben versuchen sie, junge Muslime für eine Kampfausbildung zu rekrutieren. 175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Videoausschnitt "Nachrichtensprecher" der 'Stimme des Kalifats' Die Rekrutierung von Unterstützern der Jihadisten erfolgt zum einen über die Medien. Flugblätter, Videound Audiobänder, CDs, Radio, Fernsehen und Internet sind dazu geeignet, radikale Botschaften unter ein breites Publikum zu streuen. Sympathisanten und Unterstützer islamistischer Organisationen oder bestimmte Personengruppen, etwa Studenten, werden zum Teil auch gezielt angeworben. Dies kann durch eine Ansprache - zeitund ortsunabhängig - im Bekanntenoder Freundeskreis geschehen. Dagegen bieten politische oder religiöse Veranstaltungen unter Umständen die Möglichkeit, mehrere Personen gleichzeitig für die eigenen Ideen zu gewinnen. So kann das Freitagsgebet in der Moschee zur Verbreitung islamistischer Propaganda missbraucht werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Imam der Moschee den Jihad als militanten Kampf gutheißt oder wenn Gastimame entsprechende Überzeugungen in ihre Predigt einfließen lassen. Bei anschließenden Diskussionen unter den Gläubigen können sich im Laufe der Zeit Personen herauskristallisieren, die von der Idee des militanten Jihad angetan sind und für Vorhaben der Jihadisten geeignet scheinen. Feststellbar ist allerdings, dass sich die Imame seit einiger Zeit deutlich zurückhaltender äußern und islamistische Parolen bei öffentlichen Auftritten zu vermeiden versuchen. Wenn Mudjahed-Anwärter sich eine Zeitlang als ausreichend fest im Glauben und entschlossen genug für den militanten Jihad gezeigt haben, werden einige von ihnen über Umwege in ein Trainingscamp entsandt, wo sie neben weiterer religiöser Unterweisung eine militärische Ausbildung erhalten. Art und Qualität der religiösen Ausbildung können dabei erheblich variieren, ebenso wie die Fähigkeiten der Mudjahed176 Islamismus Anwärter. Für den Einsatz in westlichen Ländern sind vor allem solche Personen interessant, die sich einigermaßen sicher und unauffällig im Westen bewegen können. Nachdem die großen Ausbildungslager in Afghanistan aufgegeben werden mussten, mehren sich Hinweise auf kleinere - zum Teil mobile - Trainingscamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, in Indonesien, im Sudan, im Jemen sowie in schwarzafrikanischen Staaten mit hohem islamischen Bevölkerungsanteil wie Niger, Mali und Tschad. Nicht alle Terror-Zellen müssen sich jedoch aus ehemaligen Kämpfern zusammensetzen. Wie das Madrider und das Londoner Beispiel zeigen, können sich auch Personen - ohne eine entsprechende Schulung durchlaufen zu haben - durch eigenen Entschluss dem Netzwerk zugehörig fühlen und in seinem Sinne handeln. Am 6. April 2005 endete vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen einen tunesischen Staatsangehörigen, der im Verdacht stand, mit Gleichgesinnten aus dem Umfeld einer Berliner Moschee eine terroristische Vereinigung gegründet und Sprengstoffanschläge vorbereitet zu haben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz (illegale Einreise), unerlaubten Waffenbesitzes, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung verurteilt. Es kam - entgegen der Anklage - zu keiner Verurteilung nach SS 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen), da es das Gericht als nicht hinreichend sicher ansah, dass der Angeklagte Mitstreiter für den Jihad beziehungsweise für konkrete Anschläge in Deutschland angeworben hat. Allerdings machte das Gericht in seiner Urteilsbegründung deutlich, dass der Angeklagte nicht als harmloser Asylsuchender eingereist sei, sondern mit der Absicht, hier Sprengstoffanschläge durchzuführen. In einer Neuauflage des weltweit ersten Prozesses um die Terroranschläge vom 11. September 2001 hat das Hanseatische Oberlandesgericht am 19. August 2005 Mounir El Motassadeq zu sieben Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Wegen des zweiten Anklagepunktes, der Beihilfe zum Mord, wurde er nicht verurteilt. El Motassadeq war in erster Instanz zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden, da das Gericht es damals als erwiesen ansah, dass er Mitglied der so genannten Hamburger Zelle um den Attentäter Mohamed Atta war. Zuvor hatte am 9. Juni der Bundesgerichtshof den Freispruch im Strafverfahren gegen Abdelghani Mzoudi bestätigt. Der als Terrorhelfer der Anschläge des 11. September 2001 angeklagte Mzoudi war vom Hanseatischen Oberlandesgericht mit Urteil vom 5. Februar 2004 vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Der BGH wies in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass weder die ungewöhnliche Schwere des Tatvorwurfs noch das gesteigerte Interesse an der Ahndung des 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Terroranschlags eine Preisgabe rechtsstaatlicher Prinzipien rechtfertigten. Mzoudi verließ wenige Tage später freiwillig die Bundesrepublik Deutschland. Am 26. Oktober 2005 verkündete das Oberlandesgericht Düsseldorf die Urteile im zweiten Prozess gegen Mitglieder einer deutschen Zelle der 'al-Tawhid'-Gruppe. Den zuletzt in Beckum, Essen, Krefeld und Hamburg wohnhaften vier Angeklagten, darunter der mutmaßliche Kopf der in Deutschland agierenden Zelle, wurde zur Last gelegt, als Mitglieder einer Zelle der 'al-Tawhid'-Gruppe Anschläge in Düsseldorf und Berlin geplant und vorbereitet zu haben. Die Gruppierung soll Spenden gesammelt, Schleusungen von "Kämpfern" organisiert und Passfälschungen begangen haben. Mit zunehmender Intensität soll sie dann Anschläge in Deutschland geplant haben. In den Prozess wurden abgehörte Gespräche eingebracht, die der weltweit gesuchte Terrorist al-Zarqawi mit Angehörigen dieser 'al-Tawhid'-Zelle geführt hatte. Al-Zarqawi gilt als operativer Führer der 'al-Tawhid'. Die Angeklagten wurden unter anderem wegen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit bandenmäßiger Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen zu Freiheitsstrafen von sechs bis acht Jahren verurteilt. Nach Feststellung des Gerichts haben die Angeklagten auf Anweisung von al-Zarqawi in Deutschland Anschläge auf jüdisch-israelische Ziele vorbereitet und Kampfgenossen im Ausland mit Falschpapieren versorgt. Die Existenz einer terroristischen Vereinigung (deutsche Zelle der 'alTawhid') gemäß SS129a StGB wurde in dem Urteil zweifelsfrei festgestellt. Die von Deutschland aus operierenden Unterstützer des Terrornetzwerkes sind häufig in Straftaten der allgemeinen oder organisierten Kriminalität verwickelt. Durch organisierte Schleusungen und Fälschungsdelikte werden terroristische Zwecke in bestimmten Zielländern unterstützt und lukrative Geschäfte gemacht. Dabei geht man in der Regel äußerst professionell, arbeitsteilig und konspirativ vor. Am 12. Januar 2005 fanden in fünf Bundesländern polizeiliche Durchsuchungen statt, darunter auch in NRW. Es wurden gegen zwölf Personen Haftbefehle erlassen und weitere zwölf Personen vorläufig festgenommen. Sie alle sollen islamistische Netzwerke mit Urkunden, Vermögensund Schleusungsdelikten unterstützt haben. Bei den Durchsuchungen wurden unter anderem Propagandamaterial, Blanko-Pässe und Fälschungsutensilien sichergestellt. Ein Schlag gegen einen professionellen Schleuser gelang im Rahmen von Exekutivmaßnahmen in Mainz und Bonn am 23. Januar 2005. Dem in Mainz Festgenommenen wird vorgeworfen, Selbstmordattentäter für die derzeitigen Schwerpunkte des Jihad rekrutiert zu haben. Ein von ihm angeworbener Palästinenser, der in Bonn festgenommen wurde, war mit der Vorbereitung eines Selbstmordattentats beschäftigt und sollte zu gegebener Zeit in den Irak geschleust werden. Die Hauptverhandlung gegen drei 178 Islamismus Angeklagte soll im Mai 2006 vor dem Staatsschutzsenat beim Oberlandesgericht Düsseldorf beginnen. Der Prozess ist auf eine Dauer von ein bis zwei Jahren angesetzt. Am 2. Februar 2005 wurden bei Durchsuchungen in NRW und einigen anderen Bundesländern - Schwerpunkt war in Bayern - mehrere Personen festgenommen, die beschuldigt werden, durch Sammeln von Spendengeldern und das Beschaffen weiterer Geldmittel in strafbarer Weise radikal-islamistische Aktivitäten im Ausland finanziell zu unterstützen. In Deutschland befindet sich nach wie vor ein zahlenmäßig nicht konkret zu bezifferndes Potenzial islamistischer Kämpfer mit vielfältigen Verbindungen in alle Teile der Welt. Es muss davon ausgegangen werden, dass Deutschland - und auch NRW - als Ruhe-, Rückzugsund Vorbereitungsraum und zur Logistikbeschaffung von Mitgliedern und Unterstützern des terroristischen Netzwerks genutzt wurde und auch weiterhin wird. Es ist auch nicht auszuschließen, dass in Deutschland Ziele für Anschläge ins Visier genommen werden. Neben der abstrakt hohen Gefährdung für USamerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen können etwa das deutsche Engagement in Afghanistan oder die deutschen Unterstützungsleistungen für den Aufbau im Irak ein Motiv auch für Anschläge gegen hiesige Ziele bilden. 6.2 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) Hintergrund Bei 'Ansar al-Islam' ('Unterstützer des Islam') handelt es sich um eine ursprünglich nur im Nordosten des Irak aktive kurdisch-irakische Organisation, die zunächst gegen die sehr viel einflussreicheren säkularen, nicht religiös ausgerichteten Parteien im Nordirak kämpfte. Die Anhänger stammen aus verschiedenen Splittergruppen, die sich die Verwirklichung des islamischen Glaubens und eine dem Koran entsprechende Lebensweise auf einem eigenen kurdischen Staatsgebiet zum Ziel setzen. Die 'Ansar al-Islam' ging aus der 'Jund al-Islam' ('Armee des Islam') hervor, der Abspaltung einer islamisch-kurdischen Dachorganisation. Im Dezember 2001 übernahm der im norwegischen Exil lebende Mullah Krekar die Führung der Gruppierung und änderte den Namen in 'Ansar al-Islam'. Mittlerweile ist Krekar in seiner Führungsposition von Abdullah al-Shafi abgelöst worden. Die 'Ansar al-Islam' zeichnet im Irak für eine Vielzahl schwerster Terrorakte bis hin zu Selbstmordanschlägen verantwortlich. In einer am 27. Januar 2005 über eine islamistische Homepage verbreiteten Erklärung warnte die Terrorgruppe vor einer Teilnahme an den bevorstehenden ersten freien irakischen Parlamentswahlen. Unverhohlen drohte sie, Wahllokale seien selbstver179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 ständlich Ziele von Angriffen durch Mudjahedin. Um die Angst in der Bevölkerung weiter zu schüren, wurde - korrespondierend zu der als "finale Warnung" bezeichneten Botschaft - am gleichen Tag über dieselbe Homepage ein dreiminütiges Video ausgestrahlt. Dieses zeigte die zerstörerische Wirkung einer detonierenden Bombe in einem als Wahllokal vorgesehenen Gebäude. Ideologie 'Ansar al-Islam' zielt darauf ab, ein islamistisches Kurdistan zu schaffen, das auf einem radikalen Islam nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan beruht. Die Gruppierung versucht daher, den in ihrem Machtbereich lebenden Menschen den Kontakt zu säkularen Parteien zu verbieten und verleiht ihren Forderungen mit brutalen Gewaltaktionen gegen Andersdenkende Nachdruck. Von den Anhängern und Unterstützern der 'Ansar al-Islam' gehen daher Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG). Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass 'Ansar al-Islam' über Verbindungen zum Terrornetzwerk 'Al-Qaida' verfügt. Diese Verbindungen sollen noch aus gemeinsamen Kampferfahrungen in Afghanistan bestehen. Nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes in Afghanistan sollen Taliban und 'Al-Qaida'-Mitglieder bei 'Ansar al-Islam' im Nordirak Schutz gesucht haben, bevor diese durch den Einmarsch der Koalitionstruppen unter US-Führung im Irak ihrerseits unter Druck geriet. Dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi werden ebenfalls enge Bindungen zu 'Ansar al-Islam' nachgesagt. Finanzierung Finanzielle Unterstützung erhält die Organisation möglicherweise aus Staaten der Golfregion und anderen islamischen Ländern. Gelder werden aber auch durch Spendensammlungen in Westeuropa beschafft. Mitglieder und Sympathisanten der 'Ansar al-Islam' kommen als Reisende - auch als Geschäftsleute - in verschiedene europäische Länder, um Geld in Moscheen und Islamischen Zentren zu sammeln, technische Ausrüstung zu beschaffen, Propaganda zu betreiben und Mitglieder zu werben. Aktivitäten in Deutschland und NRW Die 'Ansar al-Islam' verfügt über ein sich über fast ganz Europa erstreckendes Netz aus Mitgliedern, Sympathisanten und Unterstützern, die sich dem Sammeln von Geldern und der Rekrutierung von Freiwilligen für Aktivitäten im Irak widmen. In Deutschland verfügt 'Ansar al-Islam' über keine festen Strukturen. Festnahmen in Italien im November 2003 (so genannte Mailänder Zelle), in Hamburg und München im Dezember 2003 haben das Netzwerk zwar beschädigt, aber nicht zerreißen können. 180 Islamismus In Deutschland beschränkt sich die 'Ansar al-Islam' bisher hauptsächlich auf unterstützende Logistiktätigkeiten und Geldbeschaffung. Es sollen sich etwa 100 Aktivisten in Deutschland aufhalten, die meisten in Süddeutschland. Der Generalbundesanwalt hat im Dezember 2003 ein Strukturverfahren gegen Angehörige der 'Ansar al-Islam' gemäß SS 129b StGB eingeleitet. Teil umfangreicher Ermittlungen waren Durchsuchungen der Polizei am 14. Juni 2005 in fünf Bundesländern, darunter auch in NRW. Gegen drei festgenommene Personen wurde Haftbefehl erlassen. Ihnen wird vorgeworfen, vom Bundesgebiet aus für die 'Ansar al-Islam' Geld, das der Finanzierung von Terroranschlägen gedient haben soll, gesammelt und transferiert zu haben. Am 31. Mai 2005 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen einen im Dezember 2003 festgenommenen Iraker wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ('Ansar al-Islam') nach SS129b StGB. Es ist der erste Prozess nach dem neuen SS129b StGB, der erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden war. Der Angeklagte soll die 'Ansar al-Islam' vor allem von München aus in den Bereichen Logistik, Finanzierung und Rekrutierung organisiert und unterstützt haben. Im Prozessverlauf hat der Angeklagte lediglich eingeräumt, aus "humanitären Gründen" Landsleute in den Westen geschleust und Geld gesammelt zu haben. Im November, am 47. Verhandlungstag, hat der Angeklagte überraschend signalisiert, umfassend zu den Anklagepunkten auszusagen. Am 3. Dezember 2004 wurden in Augsburg, Berlin und Stuttgart drei mutmaßliche Mitglieder der 'Ansar al-Islam' verhaftet. Wegen eines geplanten Anschlages auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Dr. Iyad Allawi während seines Deutschlandbesuches im Dezember 2004 hat der Generalbundesanwalt nun am 10. November vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Anklage gegen sie erhoben. Die Anklage lautet auf Rädelsführerschaft und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz und Verabredung eines Verbrechens. Auch wenn die in Deutschland lebenden Anhänger und Unterstützer der 'Ansar al-Islam' überwiegend logistische Aufgaben ausführen, können - wie diese Anschlagsplanungen zeigen - auch terroristische Handlungen in Deutschland von hier lebenden 'Ansar al-Islam'-Anhängern nicht ausgeschlossen werden. 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 6.3 Tabligh-i Jamaat (Gemeinschaft zur Verkündigung - TJ) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 150 500 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Tabligh-i Jamaat' (auch 'Jamaat-i Tabligh'; 'Gemeinschaft zur Verkündigung' - TJ) wurde im Jahr 1927 durch den Religionsgelehrten Maulawi Muhammad Ilyas, Anhänger der so genannten Deoband-Schule, in Indien gegründet. Seit den 60er Jahren ist die 'Tabligh-i Jamaat' auch in Deutschland aktiv. Sie ist eine pietistische, sunnitisch-orthodoxe Bewegung, deren Mitglieder großen Wert auf die Ausübung orthodoxer Vorschriften und die Befolgung der islamischen Riten legen. Das Zentrum der 'Tabligh-i Jamaat' befindet sich in Lahore (Pakistan), allerdings wird Raiwind (Pakistan) als geistiges Zentrum bezeichnet. Die 'Tabligh-i Jamaat' soll in der Umgebung von Raiwind noch weitere Ländereien besitzen. Die europäische Zentrale befindet sich in Großbritannien (Dewsbury, Leeds). Als deutsches Zentrum gilt Friedrichsdorf (bei Frankfurt/M.). Die 'Tabligh-i Jamaat' beharrt auf der völligen Einhaltung muslimischer Traditionen und Gebote. Durch ein beispielgebendes frommes Leben und die selbstlose Missionsarbeit der Mitglieder soll der Islam weltweit verbreitet werden, wobei als Endziel eine islamische Ordnung angestrebt wird. Diese Zielsetzung richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn die Bewegung an sich als friedfertig gilt, steht sie aufgrund verschiedener Beispielsfälle im Verdacht, durch ihre netzwerkartigen Strukturen den internationalen Terrorismus zumindest mittelbar zu fördern und durch die streng religiöse Anleitung der Mitglieder den geistigen Nährboden für die Rekrutierung von Jihad-Kämpfern zu bereiten. Strukturen Die 'Tabligh-i Jamaat' verfügt trotz der Vergabe von Führungsfunktionen nur auf Zeit und der Ablehnung von Hierarchien über organisatorische Strukturen. Jeder Kontinent hat ein eigenes Unterzentrum, welches als "Markaz" bezeichnet wird. In Deutschland erfolgt die Leitung durch eine vierköpfige "Shura", der nur Emire angehören können. Die Emire übernehmen im vierteljährlichen Turnus die Führung für die 'Tabligh-i Jamaat'-Deutschland. Die Entscheidung über den aktuellen Führer fällt während der vierteljährlichen Deutschlandtreffen ("Maschwara"). Die monatliche Durchführung 182 Islamismus der 3-Tages-Mission ("Jamaat") ist eine Pflicht für jedes Mitglied. Neben dem 3- Tages-Jamaat gibt es noch den 40-tägigen Jamaat, der überwiegend in Missionsgruppen absolviert wird. Der 4-monatige Jamaat ist die aufwendigste Missionsreise und kann die Anhänger auch ins Ausland führen. Die Emire der 'Tabligh-i Jamaat'-Shura erhalten ihre Zielvorgaben direkt von den führenden 'Tabligh-i Jamaat'-Funktionären aus Pakistan. Diese besuchen auch in regelmäßigen Abständen die einzelnen Deutschlandgruppen, um die Arbeit zu kontrollieren und eventuelle Streitigkeiten zwischen den jeweiligen Gruppen in Deutschland zu schlichten. Aktuelle Entwicklungen Durch die teilweise weltweiten Missionsreisen hat die 'Tabligh-i Jamaat' ein großes Netzwerk an Kontakten aufbauen können, das auch für terroristische Zwecke nutzbar gemacht und missbraucht werden kann. Einzelpersonen wie der "amerikanische Taliban" John Walker Lindh oder der als "Schuhbomber" bekannt gewordene Brite Richard Reid haben über die 'Tabligh-i Jamaat' den Weg zu Organisationen wie der 'Al-Qaida' und somit zum internationalen Terrorismus gefunden. Ebenso ist bekannt, dass in den Medressen (religiöse Ausbildungszentren) der 'Tabligh-i Jamaat' in Pakistan gezielt nach möglichen Rekruten für "Arabische Mudjahedin" gesucht wird. Die Bewegung bietet sich damit als eine Art Sprungbrett für radikal islamistisch orientierte Personen an. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den ersten Anschlägen am 7. Juli 2005 in London konnte festgestellt werden, dass drei der Attentäter aus Leeds stammen. Alle drei haben Aufenthalte in Pakistan absolviert. Dabei konnte einem Attentäter ein Aufenthalt in Lahore in einer Koranschule nachgewiesen werden, einem weiteren ein Aufenthalt in Afghanistan. Der Wohnort 'Leeds' sowie die Pakistan-Aufenthalte, insbesondere in einer Koranschule in Lahore, wo sich auch das Zentrum der 'Tabligh-i Jamaat' befindet, deuten auf eine mögliche Verbindung zur 'Tabligh-i Jamaat' hin. Auch im Rahmen des 'Al-Tawhid'-Prozesses beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteilsverkündung am 26. Oktober 2005) wurden aufgrund einer Zeugenaussage unmittelbare Kontakte von 'Tabligh-i Jamaat'-Anhängern zu 'Al-Qaida' und Usama Bin Laden deutlich. In NRW ist die 'Tabligh-i Jamaat' besonders in Köln, Düsseldorf, Bochum und Krefeld aktiv. Die Organisation verfügt kaum über eigene Moscheen und weicht daher überwiegend auf türkische Moscheen aus. 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 6.4 HAMAS (Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 70 300 2004 70 300 Internet Englischsprachige Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die HAMAS ('Bewegung des islamischen Widerstandes') ist heute eine der einflussreichsten und stärksten Organisationen unter den sunnitischen Palästinensern, die sich den kompromisslosen Kampf gegen Israel zur "Befreiung" des gesamten historischen Palästina und die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Gebiet Palästinas zum Ziel gesetzt hat. Damit gehen von den in Deutschland lebenden Anhängern Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Hintergrund und Ziele Unter den islamistischen Organisationen in Deutschland ist insbesondere die HAMAS sowie die aus dem Libanon gegen Israel operierende schiitische 'Hizb Allah' (Partei Gottes) von Bedeutung. Daneben sind säkulare palästinensische Gruppierungen wie die 'Volksfront für die Befreiung Palästinas' (PFLP) und die 'Demokratische Front für die Befreiung Palästinas' (DFLP) zu nennen. Der Gründer der HAMAS, Scheich Ahmed Yassin, wurde im März 2004 von der israelischen Logo - HAMAS Armee getötet, ebenso wie im nachfolgenden Monat dessen Nachfolger Abd al-Aziz Rantissi. Besonders der gewaltsame Tod des an den Rollstuhl gefesselten palästinensischen Führers Yassin sorgte weltweit für Kritik an dem israelischen Vorgehen im Konflikt mit den Palästinensern. In einer von den 'Izz al-Din al-Qassam-Brigaden', dem militärischen Flügel der HAMAS, veröffentlichten Stellungnahme wurden "100 Vergeltungsschläge, die die gesamte verbrecherische 184 Islamismus Einheit zum Erzittern bringen werden" als Rache für den Tod der HAMAS-Führer angedroht. Es sei das Schicksal jedes HAMAS-Aktivisten, als "Märtyrer" zu sterben. Öffentlich aktiv wurde die sunnitische extremistische HAMAS erstmals mit Beginn der ersten Intifada im Jahre 1987. Sie hat sich aus dem palästinensischen Teil der 'Muslimbruderschaft' entwickelt. Die HAMAS bekämpfte den Staat Israel mit terroristischen Mitteln, wobei insbesondere die zahlreichen Selbstmordattentate zu nennen sind. Sie lehnt den Alleinvertretungsanspruch der PLO ab und boykottierte zunächst alle zwischen dem Staat Israel und der PLO geschlossenen Verträge. Für die Hardliner innerhalb der Organisation ist ein Friedensschluss mit dem Staat Israel offensichtlich auch heute noch undenkbar. Bei den in mehreren Etappen durchgeführten Kommunalwahlen am 23. Dezember 2004 sowie 27. Januar und 5. Mai 2005 im Gaza-Streifen und im Westjordanland eroberte die HAMAS gut ein Drittel der Mandate und stärkte damit weiter ihre politische Position. Die HAMAS hat sich in der Folge mit der palästinensischen Regierung zumindest befristet auf einen Gewaltverzicht verständigt. Dieser steht aber unter anderem unter der Bedingung, dass weitere Gefangene aus israelischer Haft entlassen werden. Die palästinensische Regierung soll damit weitere Zeit für Verhandlungen mit Israel erhalten. Am 12. September 2005 zogen die letzten noch verbliebenen israelischen Soldaten aus dem Gaza-Streifen ab. Die Palästinenser feierten den Abzug, wurden jedoch von Israel davor gewarnt, künftig vom Gaza-Streifen aus Anschläge auf Israel vorzubereiten. Seit dem 25. November 2005 kontrollieren palästinensische Behörden die Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten bei Rafah. Bei der feierlichen Eröffnung war neben Mahmoud Abbas auch HAMAS-Führer Mahmud Sahar anwesend. Im Januar 2006 erreichte die HAMAS bei der Wahl zum palästinensischen Parlament die absolute Mehrheit der Sitze. Diesen Wahlerfolg bewerten Beobachter weniger als eine Entscheidung für den militanten Extremismus, sondern sehen darin in erster Linie eine Reaktion des palästinensischen Volkes auf das Versagen der von der Fatah-Bewegung gestellten Regierung und die immer wieder erhobenen Korruptionsvorwürfe gegenüber der Verwaltung. Die neue politische Machtposition der HAMAS dürfte den Weg zum Frieden im Nahen Osten noch schwieriger gemacht haben. In Deutschland sind bislang keine eigenen Strukturen der in Israel und den palästinensischen Gebieten aktiven Gruppierungen 'Tanzim' ('Bewaffnete Gruppe der 'al-Fatah') und den so genannten 'Al-Aqsa-Brigaden' festzustellen. Diese Gruppierungen, 185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 die neben HAMAS für zahlreiche Selbstmordanschläge in Israel verantwortlich sind, genießen gleichwohl unter den hier lebenden Palästinensern Sympathie. Nach Anschauung der die Intifada unterstützenden Organisationen sind der Staat Israel und seine politischen Repräsentanten die eigentlichen "Terroristen", denen mit aller Härte zu begegnen sei. Gleichwohl besteht bei den hier lebenden Palästinensern ein großes Interesse an der Beendigung des Konflikts, da eine weiter eskalierende Gewalt die wirtschaftliche Not der Palästinenser vergrößern wird. Nach wie vor liegen keine Hinweise darauf vor, dass von Anhängern hier aktiver palästinensischer islamistischer und säkularer extremistischer Organisationen zu Anschlägen in Deutschland aufgerufen wird beziehungsweise diese befürwortet werden. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere stark emotionalisierte jugendliche Palästinenser spontane Gewaltakte gegen israelische, jüdische oder amerikanische Einrichtungen begehen könnten. Internationale Verbindungen und Finanzierung Trotz religiös-konfessioneller Unterschiede besteht eine gewisse Zusammenarbeit zwischen der sunnitisch geprägten HAMAS und der schiitischen 'Hizb Allah' im Südlibanon, die aus der gemeinsamen Feindschaft gegen Israel herrührt. Gleiches gilt auch für die Beziehungen der HAMAS zur Islamischen Republik Iran. Zum Zeichen der Verbundenheit mit den Palästinensern und ihrem Kampf um Jerusalem hatte Ayatollah Khomeini bereits 1979 den "Jerusalem-Tag", den "Ghods-Tag", ausgerufen, der jährlich im Fastenmonat Ramadan begangen wird. Die HAMAS ist zudem eingebunden in ein weltweites Netzwerk von Organisationen, die die 'Muslimbruderschaft' repräsentieren oder ihr nahe stehen. Neben Organisationen, die vor allem propagandistisch oder auch logistisch im Sinne der HAMAS tätig sind, gibt es solche, die überwiegend Spendensammlungen und Finanztransaktionen zugunsten der HAMAS durchführen. 'Al-Aqsa e.V.', 'Yatim Kinderhilfe e.V.' In die Finanzierung der HAMAS war der in Aachen ansässige Verein 'Al-Aqsa e.V.' eingebunden. Deshalb wurde der Verein, der sich selbst als humanitäre Hilfsorganisation für Palästina bezeichnete und für zivile Projekte und Einrichtungen um Spenden warb, am 31. Juli 2002 durch das Bundesministerium des Innern verboten. Mit Urteil vom 3. Dezember 2004 hat das Bundesverwaltungsgericht das Verbot des Vereins bestätigt. Der Verein verstoße mit den Spendensammlungen für die HAMAS gegen die friedliche Verständigung des israelischen und des palästinensischen Volkes. Die HAMAS sei eine Organisation, bei der soziale Aktivitäten nicht von dem militärischem Bereich geschieden werden könnten. 186 Islamismus Am 5. September 2005 hat das Bundesministerium des Innern den 'Yatim Kinderhilfe e.V.' mit Sitz in Essen als Ersatzorganisation des 'Al-Aqsa e.V.' verboten. Da der Verein keine Klage erhob, hat das Verbot zwischenzeitlich Bestandskraft erlangt. Trotz der endgültigen Vereinsverbote kann jedoch angenommen werden, dass sich Nachfolgeorganisationen der Spendensammlung annehmen werden. Die von den in Deutschland lebenden HAMAS-Anhängern ausgehende Gefahr ist eher als gering anzusehen. Wiederholt wurden von maßgeblichen HAMAS-Führern Gewaltaktionen außerhalb Israels und der besetzten palästinensischen Gebiete abgelehnt. 6.5 Hizb Allah (Partei Gottes) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 350 900 2004 350 800 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die schiitische libanesische 'Hizb Allah' hat sich unter anderem die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islam" über Jerusalem zum Ziel gesetzt. Sie stellt damit eine Bedrohung für den Norden Israels dar. Seit Jahren ist sie für Terroranschläge in dieser Region verantwortlich. Sie hat bislang keine gewaltsamen Aktionen in Deutschland durchgeführt, nutzt Deutschland und NRW jedoch als Ruheund Rückzugsraum. Öffentlich tritt sie wenig in Erscheinung. Die in Nordrhein-Westfalen lebenden 'Hizb Allah'-Anhänger werden auf der Grundlage des SS 3 Absatz 1 Nr. 3 und Nr. 4 VSG NRW vom Verfassungsschutz beobachtet. Hintergrund Die 'Hizb Allah' wurde 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon auf Betreiben Irans gegründet. Sie entwickelte sich auf Grund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und in den Logo - Hizb Allah Vororten von Beirut. Die 'Hizb Allah' strebte zunächst jahrelang die Errichtung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Vorbild im Libanon an. Inzwischen ist diese Forderung jedoch zugunsten einer pragmatischeren Haltung in den Hintergrund getreten. Eingebunden in die politischen 187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 und gesellschaftlichen Strukturen des Libanon strebt sie heute vor allem danach, ihre Möglichkeiten der Einflussnahme zu festigen und zu verstärken. Die 'Hizb Allah' hat sich als politische Kraft im Libanon etabliert. Sie ist seit 1992 im Parlament vertreten und hat ein soziales Netzwerk aufgebaut. Bei den Parlamentswahlen, die vom 29. Mai bis 19. Juni 2005 in mehreren Etappen stattfanden, erhielt die schiitische Liste von 'Hizb Allah' und 'Amal' 35 der 128 Sitze im libanesischen Parlament. In der neuen Regierung stellt die 'Hizb Allah' erstmals einen Minister. Mittlerweile versteht die 'Hizb Allah' sich auch als Schutzmacht der Palästinenser und steht in Kontakt mit palästinensischen Gruppen. Der Kampf gegen Israel und für die muslimische Souveränität über Jerusalem gehört aber weiterhin zu ihren über die nationalen Interessen hinausgehenden Zielen. Geistliche Autorität der 'Hizb Allah' ist Sheihk Hussein Fadlallah, politischer Führer ist der Generalsekretär Hassan Nasrallah. Ideologie Die islamische Republik Iran hat für die 'Hizb Allah' als ideologisches Vorbild lange Zeit eine herausragende Rolle gespielt. Die wichtigsten schiitischen Geistlichen des Libanon haben sich zeitweise in der irakischen Stadt Nadjaf aufgehalten, wo auch Ajatollah Khomeini in den 60er Jahren im Exil lebte. Aufgrund der besonderen religiösen Bedeutung der schiitischen Pilgerorte und Lehrinstitutionen im Irak gab es traditionell enge Verflechtungen zwischen den schiitischen Theologen und Denkern, aber auch den islamistischen Aktivisten aus dem Iran, dem Irak und dem Libanon. Unter ihnen waren die späteren politischen und geistlichen Führer der 'Hizb Allah'. Die dort entwickelten Ideen und Visionen waren richtungsweisend für die schiitischen religiösen wie politischen Bewegungen in der ganzen Region. Der Iran finanzierte zudem einen Großteil der militärischen und zivilen Aktivitäten der 'Hizb Allah'. Vom iranischen Staatsmodell, wie es unter Ajatollah Khomeini geprägt wurde und wie es die Partei zunächst auch für den Libanon propagierte, hat sich die 'Hizb Allah' mittlerweile gelöst. Trotz der religiösen Unterschiede zwischen schiitischem und sunnitischem Islam finden sich übereinstimmende Aussagen in der politischen Argumentation der 'Hizb Allah' und dem sunnitischen Islamismus. Finanzierung Aufgrund der ideologischen Nähe zum Iran war es in den Jahren des libanesischen Bürgerkrieges (1975-1990) vor allem die finanzielle Unterstützung aus Teheran, die den Erfolg der 'Hizb Allah' ermöglichte. Daneben leistet Syrien als Schutzmacht wichtige Hilfe für die Partei. Eine weitere wichtige wirtschaftliche Quelle stellt der Drogenanbau in der von der 'Hizb Allah' kontrollierten Bekaa-Ebene dar. Der Anbau von Drogen dort ist auch nach dem Ende des Bürgerkriegs nicht vollständig eingestellt 188 Islamismus worden. Außerdem betreibt die 'Hizb Allah' legale Wirtschaftsunternehmen, aus denen sie Gewinne für ihre Arbeit abschöpfen kann und finanziert sich zudem über Spenden im Ausland lebender Anhänger. Struktur in Deutschland Bereits seit 1991 versucht die 'Hizb Allah'-Führung, von Beirut aus in der Bundesrepublik Deutschland eine effiziente Organisationsstruktur unter ihren Anhängern aufzubauen. Diese Bestrebungen sind jedoch nach wie vor nicht abgeschlossen. Auch im Jahr 2005 dauerten interne Streitigkeiten und Rivalitäten zwischen den hier lebenden Anhängern an. Hinsichtlich der personellen Zusammensetzung des Führungsgremiums in Deutschland bestehen ebenfalls Meinungsverschiedenheiten, so dass bisher keine von allen Anhängern akzeptierte Führung etabliert werden konnte. Als eine Begegnungsstätte dient den 'Hizb Allah'-Anhängern das 'Islamische Zentrum' ('Imam-Mahdi-Zentrum') in Münster-Hiltrup, in dem neben schiitischen Libanesen, die allerdings nicht alle der 'Hizb Allah' zuzurechnen sind, Iraker, Afghanen und Pakistani verkehren. Bereits 1988 wurde als Trägerverein des Zentrums der 'Fatime Versammlung e.V.' in Münster gegründet. Das 'Imam-Mahdi-Zentrum' steht in enger Verbindung zu dem iranisch gesteuerten 'Islamischen Zentrum Hamburg' und stellt eine Anlaufstelle für 'Hizb Allah'-Anhänger im Westen Deutschlands dar. Da sich dort auch Anhänger der ebenfalls schiitischen libanesischen 'Amal'-Bewegung und Anhänger der irakischen 'DA'WA-Partei' sowie des 'Obersten Rates für die Revolution im Irak' treffen, kommt es immer wieder zu Interessenkollisionen, gelegentlich auch zu tätlichen Auseinandersetzungen. In jüngster Zeit hat das 'Imam-Mahdi-Zentrum' jedoch aufgrund rückläufiger Besucherzahlen an Bedeutung verloren. Die Aktivitäten der 'Hizb Allah' haben sich teilweise auf andere Orte verlagert, an denen zum Teil auch eigene Moscheevereine unterhalten werden. Mehrmals im Jahr kommen 'Hizb Allah'-Funktionäre zu Besuchsreisen in die Bundesrepublik Deutschland und überbringen Botschaften und Anweisungen des Generalsekretärs der Organisation und informieren über die aktuelle politische Linie. Aktuelle Entwicklung In der Folge des 11. September 2001 reduzierte die 'Hizb Allah' ihre öffentlichen Aktivitäten deutlich. 'Hizb Allah'-Funktionäre forderten ihre Anhänger immer wieder dazu auf, öffentlich keine Freude über die Anschläge in den USA zu zeigen und die in Deutschland geltenden Gesetze und Regeln zu beachten. Die Anhänger sind in letzter Zeit öffentlich kaum mehr in Erscheinung getreten. Hierzu hat sicherlich auch die Diskussion über ein mögliches Verbot von 'Hizb Allah'-Vereinen und -Einrichtungen beigetragen. 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Im Jahr 2005 gingen die Besucherzahlen als Folge des spürbaren Desinteresses und der Inaktivität der Mitglieder in den der 'Hizb Allah' zuzurechnenden Vereinen und Einrichtungen weiter zurück. Darunter haben das Spendenaufkommen und die Summe der Mitgliedsbeiträge gelitten, was die künftigen Aktionsmöglichkeiten der Vereine und Einrichtungen weiter reduzieren dürfte. Zu den Feierlichkeiten zum Ashoura-Fest und dem Ramadan reisten - wie in den Vorjahren auch - Geistliche aus dem Libanon und dem Irak zur Betreuung der 'Hizb Allah'-Gemeinden ein. Die Ashoura-Feierlichkeiten fanden in der Zeit vom 9. bis 18. Februar 2005 statt und gehören zu den höchsten schiitischen Feiertagen. Die Veranstaltungen waren - wie in den Vorjahren - teilweise gut besucht. Die Predigten befassten sich überwiegend mit religiösen Themen; mit politischen Äußerungen hielten sich die Prediger zurück. Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafiq Hariri fiel am 14. Februar 2005 in Beirut einem Autobombenanschlag zum Opfer. Die Verantwortung für den Mord an dem sunnitischen Politiker wird bis heute dem syrischen Geheimdienst zugeschrieben, unter anderem, da Hariri sich gegen die weitere Präsenz syrischer Streitkräfte im Libanon ausgesprochen hatte. Unmittelbar nach dem tödlichen Anschlag kam es in Beirut zu Massenprotesten, bei denen der Abzug der Syrer verlangt wurde. Am 8. März 2005 organisierte die 'Hizb Allah' in Beirut eine pro-syrische Großdemonstration, an der etwa 1,5 Millionen Menschen teilnahmen. Diese Veranstaltung war eine Demonstration der Stärke der 'Hizb Allah' als politischer Kraft im Libanon. Sie richtete sich gegen die Politik von USPräsident Bush und Israels Premierminister Scharon. Die USA wurden als "Quelle allen Terrors" bezeichnet. 'Hizb Allah'-Generalsekretär Hassan Nasrallah forderte in einer Rede jedoch auch den Abzug der syrischen Militärund Geheimdienstkräfte sowie die Aufklärung der Umstände des Mordes an Hariri. Gleichzeitig bedankte er sich bei Syrien für dessen Engagement zur Stabilisierung des Landes. In Nordrhein-Westfalen kam es am 1. März 2005 in Düsseldorf aus Anlass des Mordes an dem ehemaligen libanesischen Regierungschef zu einer friedlichen Demonstration von Personen überwiegend libanesischer Herkunft. Sie stand unter dem Motto "Souveränität, Demokratie und Freiheit für den Libanon" und richtete sich ebenfalls gegen die syrische Präsenz im Libanon. 'Hizb Allah'-Anhänger beteiligten sich an der alljährlichen Demonstration zum Jerusalem-Tag (Ghods-Tag), der jeweils am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan begangen wird. Seit 1996 finden diese Veranstaltungen in Berlin in Anlehnung an die Ausrufung durch Ayatollah Khomeini im Jahr 1979 statt. Dabei soll an die "Beset190 Islamismus zung" Jerusalems durch Israel erinnert werden. Die Veranstaltung fand 2005 am 29. Oktober mit circa 330 Teilnehmern (Vorjahr: 800) statt. Die Teilnehmer - darunter viele Frauen und Kinder - führten Transparente mit Aufschriften wie "Wir wollen Frieden auf der ganzen Welt" oder "Palästina hat auch ein Existenzrecht" mit. Zugleich wurde von einem Sprecher jegliche Art von Terror und Gewalt verurteilt. 6.6 Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei - HuT) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 70 300 2004 70 250 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Mit einer äußerst radikalen Agitation gegen den Staat Israel richten sich die Bestrebungen der Anhänger der 'Hizb ut-Tahrir' ('Islamische Befreiungspartei' - HuT) gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (SS 3 Absatz 1 Nr. 4 VSG NRW). Die HuT wurde 1952 von dem Rechtsgelehrten Scheikh Taqi al-Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und der palästinensischen 'Muslimbruderschaft', gegründet. Es handelt sich um eine pan-islamistische Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangiges Ziel der Organisation ist die Wiedereinführung des Kalifats in einem islamischen Staat. Die Organisation unterhielt in der Vergangenheit eine deutschsprachige Homepage, auf der sie sich selbst wie folgt charakterisierte: "Hizb ut-Tahrir ist eine politische Partei, deren Ideologie der Islam ist. Politik ist ihre Tätigkeit und der Islam ihr ideologisches Fundament. Sie arbeitet innerhalb der islamischen Umma (Gemeinde, Anm. d. Redaktion) und mit ihr, damit diese den Islam zu ihrer Angelegenheit erhebt und Logo - Hizb ut-Tahrir sie von der Partei zur Wiedererrichtung des Kalifats und der Regentschaft mit dem, was Allah offenbart hat, geführt wird. 'Hizb ut-Tahrir' ist ein politischer Block. Er ist nicht spiritueller, wissenschaftli191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 cher, erzieherischer oder karitativer Natur. Die islamische Idee bildet die Seele seines Körpers, seinen Kern und sein Lebensgeheimnis". Die Partei ist in allen arabischen Ländern verboten, insbesondere deshalb, weil sie dort existierende Herrschaftsordnungen ablehnt und alle arabischen Herrscher als Ungläubige ansieht. Im Gegensatz zur Auffassung anderer islamistischer Organisationen kann es für die HuT die Durchsetzung der wahren islamischen Ordnung erst nach Errichtung des Kalifats geben. Die HuT kennzeichnet ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden gelten - wie Christen - als Ungläubige, deren Lebensform abzulehnen ist. Struktur Die Partei, die einen streng hierarchischen Aufbau hat, ist heute weltweit aktiv und international vernetzt. Ihre Anhängerschaft verhält sich streng konspirativ. Neue Mitglieder werden bevorzugt innerhalb der gesellschaftlichen Elite geworben, was sich aus der Kaderstruktur herleitet sowie aus der Auffassung, dass die Partei eine Vorreiterrolle für den Aufbau des islamischen Staates spielt. Von den Mitgliedern wird strikter Gehorsam erwartet; Positionen und Meinungen, die von der Parteiführung vertreten werden, sind für alle Mitglieder verbindlich. In der Bundesrepublik Deutschland teilt sich die HuT in verschiedene Regionen auf. In diesen Regionen existieren streng von einander abgeschottete Kleinstgruppen (Zellen), die sich durch ein hohes Maß an Konspiration auszeichnen. Aktivitäten der Hizb ut-Tahrir in Deutschland und NRW Bis Mai 2005 waren zwei europäische Führungsfunktionäre der Organisation in NRW ansässig. Dies lässt darauf schließen, dass der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Organisation strategische Bedeutung zugemessen wird. Einer der beiden Führungsfunktionäre verlegte seinen Wohnsitz im Mai 2005 zurück nach Österreich. Hintergrund dürfte das gegen ihn wegen Volksverhetzung eingeleitete Ermittlungsverfahren sein, das am 30. November 2005 vor dem Amtsgericht Duisburg-Hamborn verhandelt werden sollte. In der Vergangenheit traten Führungsfunktionäre der HuT öffentlich an deutschen Universitäten auf, um dort ihre Anhängerschaft für ihre Ideen zu gewinnen. Anlässlich dieser Auftritte war regelmäßig eine radikale Agitation gegen den Staat Israel festzustellen, die bis zur Forderung nach dessen Vernichtung ging. Außerdem wurden immer wieder Internetund Flugblattveröffentlichungen bekannt, in denen unter anderem die Notwendigkeit des Kampfes der Kulturen beschrieben wurde. Deren Verfasser vertre192 Islamismus ten die Auffassung, dass die islamische und die westlich-kapitalistische Kultur nicht miteinander vereinbar seien, was letztlich dazu führt, dass der Jihad in der Bedeutung eines bewaffneten Kampfes als notwendiges Mittel zur Verbreitung des Islam angesehen wird. Gleichwohl waren bis heute trotz dieser gewaltbefürwortenden Einstellungen keine gewalttätigen Aktivitäten der Organisation in Deutschland feststellbar. Seit dem Verbot der Organisation durch das Bundesministerium des Innern mit Wirkung vom 15. Januar 2003 sind öffentliche Aktivitäten der HuT kaum noch feststellbar. Die handelnden Personen scheinen strafrechtliche Maßnahmen zu befürchten. Grundlage des Verbots war die antijüdische, antiisraelische und antiwestliche Agitation der HuT, womit sie die Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die Verbotsgründe hat das Bundesverwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2005 bestätigt. In einer ihr zuzurechnenden Zeitschrift sowie in verschiedenen Flugblättern habe die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und zu seiner gewaltsamen Beseitigung aufgerufen. Das Gericht stellte zudem fest, dass es sich bei der Organisation nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handele. Gegen den Gerichtsentscheid wurde seitens der HuT eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt, in der das Gericht am 25. Januar 2005 seine zuvor gefällte Entscheidung bestätigt hat. 6.7 Muslimbruderschaft (MB ); Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD); Islamisches Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. (IZA) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 320 1.300 2004 320 1.300 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Ziel der 'Muslimbruderschaft' (MB) ist die Ablösung der als unislamisch geltenden Regime in den muslimischen Staaten, notfalls auch mit Gewalt. Somit gefährden ihre Anhänger durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete 'Muslimbruderschaft' ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islam. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten verbreitet, sondern nach eigenen Angaben in 70 Ländern weltweit vertreten. Nach ihrer Ideologie sind die meisten Regime in der muslimischen Welt unislamisch. Ziel der MB ist die Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Ideologie und Ziele der MB werden in Kapitel 2 dieses Berichtes näher analysiert. Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland Zu den Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland gehört die 'Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.' (IGD), die aus der 1960 in München von dem ägyptischen Muslimbruder Dr. Said Ramadan gegründeten 'Moscheebau-Kommission e.V.' hervorgegangen ist. Das ursprüngliche Vereinsziel, die Errichtung einer Moschee, wurde mit dem Bau des 'Islamischen Zentrums München' (IZM) 1973 realisiert. Die IGD unterhält eine eigene deutschsprachige Homepage. Die IGD gehört zu den Gründungsmitgliedern der 'Föderation Islamischer Organisationen in Europa' (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Sie unterhält in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Islamische Zentren; in Nordrhein-Westfalen sind ihr die Islamischen Zentren Köln und Münster zuzurechnen. Daneben gibt die IGD an, sich mit den Islamischen Zentren Wuppertal, Bonn, Gelsenkirchen, Siegen, Solingen, Düsseldorf, Iserlohn und Bielefeld zu koordinieren. Das vom ehemaligen Führer der syrischen Muslimbruderschaft, Professor Issam el Attar, gegründete 'Islamische Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V.' (IZA) spaltete sich 1981 von der IGD ab. Seine Anhängerschaft nennt sich nunmehr 'Islamische Avantgarden'. Dem IZA sind als Unterorganisationen die 'Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e.V.' (UMSO) und die 'Union für die in Europäischen Ländern arbeitenden Muslime e.V.' (UELAM) zuzurechnen. Finanzen Die Organisationen finanzieren sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen sowie dem Verkauf von Publikationen. Allerdings geht die Spendenbereitschaft der Anhänger seit Jahren immer weiter zurück; die Mitglieder werden ständig zu höherer Spendenbereitschaft aufgerufen. 194 Islamismus Aktivitäten der MB in Deutschland Öffentliche Aktivitäten der 'Muslimbruderschaft' sind in der Bundesrepublik Deutschland nur gelegentlich festzustellen. Sie äußern sich in politischer Agitation, insbesondere gegen den Staat Israel. Gewalttätige Aktionen von Anhängern der 'Muslimbruderschaft' waren in Nordrhein-Westfalen bislang nicht zu verzeichnen. Vielmehr wird seitens exponierter Vertreter der Organisation immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich vom islamistischen Terrorismus distanziere und der Islam keine Grundlage für solches Handeln biete. Am 3. Dezember 2005 fand in der Leverkusener DopatkaHalle die 27. Jahreskonferenz der IGD statt, die unter dem Motto " Muslime in Deutschland - Mittendrin und doch Logo - daneben?!" stand. Hauptthema der Veranstaltung, an der Muslimbruderschaft bis zu 3.000 Personen teilnahmen, war die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft. Von den Vorsitzenden der IGD, der FIOE und des 'Islamrates' wurde die Eingliederung der Muslime in die Gesellschaft und ihre Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben befürwortet, wobei vor einer Verschmelzung mit anderen Gruppen gewarnt wurde. Kritik wurde laut an der pauschalen Verurteilung der Muslime durch die Medien nach islamistischen Terrorakten und den unzureichenden staatlichen Bemühungen zur Integration von Ausländern; letzteres zeige sich etwa in den nach wie vor bestehenden Vorurteilen deutscher Behörden. Nach Meinung des Vorsitzenden des 'Zentralrats der Muslime in Deutschland' wird die integrative Kraft muslimischer Organisationen von maßgebenden Politikern nicht ausreichend gewürdigt. Im Bemühen um Dialog und Zusammenarbeit dürfe man jedoch nicht nachlassen. Wie bereits in den Vorjahren war der ägyptische Fernsehprediger Amr Khaled die Attraktion des Programms. In seinem Vortrag ging er schwerpunktmäßig auf die Rolle der Frau im Islam ein, wobei er betonte, dass die Unterdrückung der Frau nicht mit Religion und Koran zu rechtfertigen sei. Verschiedene Organisationen nutzten die Konferenz zum Spendenaufruf und zur Selbstdarstellung an Büchertischen und Infoständen. 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 6.8 Front Islamique du Salut (Islamische Heilsfront - FIS) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2005 80 250 2004 80 350 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die FIS wurde 1988 als nationaler algerischer Zweig der 'Muslimbruderschaft' gegründet und im Frühjahr 1989 als erste islamische politische Partei zugelassen. Der Ideologie der FIS zufolge sollen Staat und Gesellschaft strikt an der Scharia ausgerichtet sein. Als sich bei den Wahlen Ende 1991 ein Sieg der FIS abzeichnete, wurden die Wahlen vom algerischen Regime annulliert, und das Militär ergriff die Macht. Die FIS wurde Anfang 1992 verboten; ihre Gründer und Führer, Abbassi Madani und Ali Belhadj, wurden inhaftiert. Zur Verfolgung ihrer Ziele bediente sich die FIS im Widerstand gegen die algerische Regierung bis 1997 ihres bewaffneten Arms, der 'Armee Islamique du Salut' (AIS). Die FIS gefährdet die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch ihre hier lebenden Anhänger insoweit, als sie durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen die Verhältnisse in ihrem Heimatland verändern will (SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW). Struktur Angesichts der Verhaftungen 1992 in Algerien floh eine kleine Gruppe der FIS-Führungsebene ins Exil. So leben der Leiter der ehemaligen 'Exekutivinstanz der FIS im Ausland' (IEFE) sowie einige Söhne des FIS-Gründers Madani in Nordrhein-Westfalen. Logo - Islamische Seitens der FIS-Auslandsvertretung wird ein Kurs der Heilsfront Aussöhnung mit dem algerischen Regime verfolgt, der jedoch nicht bei allen FIS-Anhängern Unterstützung findet. So gründete sich 1997 aus den Reihen so genannter Hardliner eine neue Auslandsvertretung, der 'Koordinationsrat der FIS' (CCFIS), dessen Gefolgsleute unter ihrem in der Schweiz lebenden kommissarischen Leiter die Rückkehr zur kompromisslosen Durchsetzung der politischen Ziele der FIS fordern. 196 Islamismus Im Rahmen eines vom CCFIS vorbereiteten Kongresses wurde 2002 die Auflösung der beiden konkurrierenden Flügel der Auslands-FIS beschlossen, wobei die Legitimität des Kongresses sowohl von der algerischen FIS als auch von Teilen der AuslandsFIS bestritten wurde. Es hat den Anschein, dass es gegenwärtig keine funktionierende Auslandsvertretung der FIS gibt. Wie dieses Machtvakuum zukünftig ausgefüllt werden wird, kann nicht prognostiziert werden. Entscheidend dürfte jedoch sein, wie sich die Verhältnisse in Algerien weiter entwickeln. Aktuelle Entwicklung Am 14. August 2005 gab der algerische Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika vor führenden Vertretern der Nation bekannt, dass Ende September 2005 eine Volksabstimmung über das Projekt einer 'Charta für Frieden und nationale Aussöhnung' durchgeführt werden sollte. Die wesentlichen Punkte der Charta sind: : Die Einstellung der Strafverfolgungen gegen alle Personen, die ihre bewaffneten Aktionen beendet und sich den Behörden gestellt haben; : Die Einstellung der Strafverfolgung von Personen, nach denen im Inund dem Ausland gefahndet wird oder die in Abwesenheit verurteilt wurden und die sich den Behörden freiwillig stellen wollen; : Die Begnadigung inhaftierter oder verurteilter Personen aufgrund terroristischer Übergriffe (außer im Falle von kollektiv begangenen Massakern, Vergewaltigungen und Bombenattentaten auf öffentlichen Plätzen) ; : Die Strafumwandlung und der Straferlass für alle weiteren Personen, die auf Grund terroristischer Übergriffe rechtskräftig verurteilt wurden, sich in Haft befinden oder nach denen gefahndet wird und die nicht von den oben genannten Maßnahmen über Begnadigung und Einstellung der Strafverfolgungen betroffen sind; : Das Verbot der Ausübung jeglicher politischer Aktivität für jeden Verantwortlichen für die Planung und die Durchführung einer Politik, die den Jihad (Heiligen Krieg) gegen die Nation und die Institutionen der Republik fordert; : Der Staat übernimmt ersatzweise die Verantwortung für das Schicksal der im Rahmen der nationalen Tragödie vermissten Personen; : Der Staat verpflichtet sich, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um den Anspruchsberechtigten zu ermöglichen, diese schmerzhafte Schicksalsprüfung in aller 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Würde zu überwinden; Bei dem Referendum stimmten 97% der Beteiligten für den Plan der Regierung von Präsident Bouteflika und damit auch für eine Amnestie für viele islamistische Extremisten. Verhaftung eines FIS-Führers Die Festnahme des Mitbegründers und ehemaligen stellvertretenden Führers der FIS, Ali Belhadj, am 27. Juli 2005 in Algier hat zu keinen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten geführt. Anlass der Festnahme soll ein Interview mit dem Fernsehsender 'AlJazeera' gewesen sein, in dem Belhadj die Entführung von zwei algerischen Diplomaten in Bagdad durch die Irakische 'Al-Qaida'-Gruppierung dahingehend kommentierte, dass er die 'Mudjahedin' in ihrem Kampf gegen die US-amerikanischen Truppen im Irak unterstütze. Auf die von den Entführern angekündigte Ermordung der Diplomaten angesprochen soll Belhadj gesagt haben, er könne den 'Mudjahedin' nicht vorschreiben wie sie vorzugehen hätten. Aktuelle Situation der FIS-Anhänger in Deutschland Die in Deutschland lebenden Anhänger der FIS verhalten sich weiterhin ruhig. Eine aktive Organisation ist nicht erkennbar. Die weitere Entwicklung wird von der Lage in Algerien abhängen. Jedenfalls bietet der eindeutige Ausgang des Referendums die Chance für eine nationale Versöhnung und einen Schlussstrich unter die Bürgerkriegsära. 6.9 Groupe Islamique Armee (Bewaffnete Islamische Gruppe - GIA) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Einzelmitglieder und Aktivisten in Deutschland :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die GIA entstand 1994 als militante Abspaltung der FIS. Sie agiert seitdem autonom und wird von streng gläubigen Salafisten dominiert. Ihr Ziel ist die Errichtung eines weltweiten "Gottesstaates" auch mit terroristischen Mitteln, wobei als erstes Ziel das "unislamische" algerische Regime beseitigt werden soll. Die GIA schreckt nicht vor Massakern an der Zivilbevölkerung zurück. Hierbei gehen örtliche Führer der GIA (so genannte "Warlords") in Algerien wahllos gegen alles nach ihrer Auffassung Ungläubige und Abtrünnige vor, wobei ein politisches Konzept inzwischen nicht mehr er198 Islamismus kennbar ist. Die weitere Entwicklung und Bedeutung der Organisation dürfte im Wesentlichen vom Ausgang des Versöhnungsprozesses in Algerien abhängen. Aktuelle Aktivitäten In NRW sind nur wenige GIA-Anhänger bekannt, deren Gewaltbereitschaft nicht zu unterschätzen ist, gleichwohl Logo - GIA sind bislang gewalttätige Aktivitäten nicht feststellbar. Anzeichen für eine Gefahr von Anschlägen durch Angehörige der GIA in Deutschland liegen derzeit nicht vor. Einzelne Anhänger der Gruppierung haben sich allerdings zwischenzeitlich dem terroristischen Netzwerk um Usama Bin Laden angeschlossen. 6.10 Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (Gruppe für Predigt und Kampf - GSPC) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Einzelmitglieder in Deutschland :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Ein ehemaliger Gebietsemir der GIA, Hassan Hattab, gründete 1998 die GSPC. Sie ist heute die schlagkräftigste algerische Terrorgruppe und besteht aus unzähligen Kleinund Kleinstgruppen. Im Gegensatz zur FIS lehnt die GSPC eine Aussöhnung mit dem algerischen Regime strikt ab. Inzwischen soll das Operationsgebiet der GSPC über die Landesgrenzen Algeriens hinaus ausgedehnt worden sein. Kleingruppen und Einzelmitglieder der GSPC haben sich inzwischen auch den Jihadisten im Netzwerk um Usama Bin Laden angeschlossen. Innerhalb des nordafrikanischen Unterstützer-Netzwerkes der 'Al-Qaida' soll die GSPC eine herausragende Rolle spielen. Dass sie ihre Aktivitäten nicht allein im Heimatland Algerien entfaltet, ist durch zahlreiche Verhaftungen in verschiedenen europäischen Ländern in der jüngeren Vergangenheit belegt. Nachdem die GSPC bereits im Jahr 2003 für die Entführung der Sahara-Touristen verantwortlich war und für ihre Freilassung ein hohes Lösegeld erpresst hatte, veröffentlichte sie im Juni 2004 eine "Kriegserklärung" gegen alles Fremde in Algerien. Die Gewaltaktionen der GSPC in Algerien werden von Europa aus durch illegale Aktivitäten wie Schleusungen, Materialtransfers und die Beschaffung gefälschter Papiere unterstützt. Ziel ist es, den Mitgliedern der Gruppe Reisebe199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 wegungen zu ermöglichen oder ihnen einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Aktuelle Aktivitäten In NRW verfügt die GSPC über keine ausgeprägten Strukturen. Bisher sind lediglich Einzelmitglieder bekannt geworden. Der überwiegende Teil der GSPC-Anhänger ist aber in europaweit agierende Netzwerke zur finanziellen und logistischen Unterstützung der in Algerien und im Ausland operierenden Gesinnungsgenossen eingebunden. 6.11 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Kerpen Generalvorsitzender Yavuz Celik Karahan (Osman Döring) Mitglieder NRW Bund 2005 7.200 26.500 2004 7.200 26.500 Publikationen 'IGMG Perspektive', ehemals: 'Milli Görüs & Perspektive' (IGMG);'Milli Gazete' (Deutschlandausgabe IGMGnah) Fernsehsender TV 5 (SP-nahestehend) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die 'Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.' (IGMG) ist die größte in Deutschland aktive islamistische Organisation. Wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, ist sie Teil der Bewegung "Milli Görüs", die Ende der 1960er Jahre von dem türkischen Politiker Prof. Dr. Necmettin Erbakan ins Leben gerufen wurde. Zu dieser Bewegung rechnet man nicht nur die von Necmettin Erbakan direkt oder mittelbar geführten politischen Parteien in der Türkei, sondern auch die Zeitung 'Milli Gazete', den Fernsehsender 'TV 5' und die Jugendstiftung 'Genclik Vakfi'. In Logo - IGMG Europa, vor allem in Deutschland, wird Milli Görüs durch die IGMG und ihre Nebenorganisationen vertreten. Die Ziele der Milli Görüs-Bewegung wurden von Erbakan in einer Art Manifest mit dem Titel "adil düzen" ("Gerechte Ordnung") niedergelegt. Darin wird die westliche 200 Islamismus Zivilisation als "nichtige Ordnung" ("batil düzen") bezeichnet, die auf Gewalt beruhe und Unrecht, Ausbeutung und viele andere negative Auswirkungen für die Menschen zur Folge habe. Ziel der Bewegung ist es, diese "nichtige Ordnung" zu überwinden und durch die in "adil düzen" skizzierte islamistische Ordnung zu ersetzen. Unter den Begriff "nichtige Ordnung" werden aber nicht nur die westlich geprägte Verfassung und die Gesetze der Republik Türkei gefasst, gegen die sich Erbakans Bewegung zuvorderst wandte, sondern beispielsweise auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dies bringt die IGMG, die von Erbakan als "Armeekorps" bezeichnete europäische Milli Görüs, in einen fundamentalen Gegensatz zur deutschen Verfassungsordnung. Die Bestrebung richtet sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, weshalb ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz gemäß SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW geboten ist. Hintergrund und Entwicklung Die IGMG entstand im Jahr 1995 durch eine Neugliederung von Milli Görüs-Vereinen in Deutschland. Aus der Organisation 'Avrupa Milli Görüs Teskilatlari' (AMGT) ging die 'Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft' (EMUG) hervor. Ein Bonner Milli Görüs-Verein wurde in IGMG umbenannt. AMGT-Ortsvereine wurden nachträglich teilweise in IGMG-Ortsvereine umbenannt. Nach 1995 wurden neue Vereine als IGMG-Ortsvereine gegründet. Dabei waren die Satzungen der Ortsvereine nahezu identisch. In den neuen Vorständen von EMUG und IGMG waren dieselben Personen vertreten, die zuvor im Vorstand der AMGT gesessen hatten. Auch wenn nur die EMUG formaljuristische Nachfolgerin der AMGT ist, zeigen die personellen Verflechtungen, die Beibehaltung der Bezeichnung "Milli Görüs" sowie die tatsächliche Fortführung der religiösen, kulturellen, sozialen und politischen Aktivitäten durch die IGMG deutlich, dass 1995 innerhalb der Bewegung lediglich eine organisatorische Trennung in einen wirtschaftlichen (EMUG) und einen ideellen (IGMG) Bereich stattgefunden hat. Die IGMG ist das Sammelbecken der in Europa lebenden Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung. Als europäischer Zweig der Milli Görüs unterstützt sie die anderen Teile der Bewegung (die türkische 'Saadet Partisi', 'Milli Gazete' etc.) nach Kräften. Überdeutlich wurde dies bei den türkischen Parlamentswahlen Ende 1995, als die von Necmettin Erbakan geführte 'Refah Partisi' ('Wohlfahrtspartei') massiv gefördert wurde, was viel dazu beitrug, dass sie als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging. Führungspersonen der Milli Görüs-Bewegung aus Deutschland erhielten danach Abgeordnetenmandate als Angehörige der 'Refah Partisi'. Einige Monate später konnte Erbakan mit Hilfe der 'Partei des rechten Weges' eine Koalitionsregierung bilden (Juni 1996), die jedoch nach einem Jahr wieder auseinanderbrach. Die 'Refah Partisi' wurde schließlich vom türkischen Verfassungsgericht im Januar 1998 verboten. Als 201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 sich das Verbot abzeichnete, gründete man - sozusagen als Auffangbecken - die 'Fazilet Partisi' ('Tugendpartei'), zu der dann auch fast alle 'Refah'-Abgeordneten übertraten. Spaltung der Milli Görüs in der Türkei Nach dem Verbot der 'Fazilet Partisi' im Juni 2001 brach die zuvor in einen "traditionalistischen" Flügel um Necmettin Erbakan und einen "reformorientierten" Flügel gespaltene Milli Görüs in der Türkei auseinander. Der "reformorientierte" Flügel organisierte sich in der am 14. August 2001 gegründeten 'Adalet ve Kalkinma Partisi' ('Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei' - AKP), die aus den Parlamentswahlen vom 3. November 2002 als Siegerin hervorging und seitdem die türkische Regierung stellt. Anfangs herrschte bei den Beobachtern und Kommentatoren große Skepsis, ob sich die AKP von den ideologischen Vorgaben Necmettin Erbakans würde lösen können. Bei manchen Beobachtern dauert diese Skepsis an. Von der Ideologie der Milli Görüs hat sich jedoch zumindest die Führung der AKP klar distanziert. Dies und die deutliche westliche Ausrichtung der AKP insbesondere in der Wirtschaftsund Außenpolitik, führte zu erbosten Reaktionen der weiterhin an der Milli Görüs-Ideologie festhaltenden Anhänger Erbakans, die bis hin zu Verschwörungstheorien reichen. Necmettin Erbakan und seine Anhängerschaft gründeten nach der Spaltung als neue politische Plattform im Juli 2001 die 'Saadet Partisi' (SP). Diese Partei ist bei den Parlamentswahlen vom November 2002 und auch bei späteren Kommunalwahlen mit nur etwas über 2% beziehungsweise 4% der Stimmen bedeutungslos geblieben. Viele Beobachter hatten deshalb zunächst angenommen, der in der Türkei vollzogene Umbruch in der Milli Görüs würde sich auch auf die europäische Milli Görüs auswirken. Diese Erwartung hat sich jedoch nicht bewahrheitet. In der IGMG sind manche in Richtung AKP weisende Tendenzen erkennbar. Dennoch haben sich die IGMG und ihre Nebenorganisationen bisher nicht glaubwürdig von Erbakan und seiner islamistischen Weltanschauung, die mit den Grundsätzen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist, gelöst. Struktur In der gesamten Milli Görüs-Bewegung gilt Necmettin Erbakan als unumstrittener Führer. Er verfügt über eine erhebliche, wenn nicht gar unanfechtbare Autorität. Auch heute benötigt die Führungsspitze in Deutschland seine Zustimmung, um bei einem großen Teil der Anhänger als legitim zu gelten. Angesichts dessen ist selbst bei ideologischen Differenzen nicht zu erwarten, dass die Führung der europäischen Milli Görüs sich von Erbakan und seiner Ideologie distanziert. Die IGMG steht nach wie vor zur ideologischen Grundlage der Milli Görüs, Erbakans Weltanschauung. 202 Islamismus Die Europazentrale der IGMG befindet sich in Kerpen. In Deutschland ist die IGMG organisatorisch in 16 Regionalverbände untergliedert. Die Regionalverbände sind Zusammenschlüsse der Ortsvereine. In Nordrhein-Westfalen gibt es mit Ruhr-Nord, Ruhr A, Düsseldorf und Köln vier Regionalverbände. Der IGMG gehören in Nordrhein-Westfalen rund 100 Ortsvereine an, die ihren Mitgliedern neben der religiösen Betreuung auch ein breitgefächertes Angebot auf kulturellem, sozialem und pädagogischem Gebiet unterbreiten. Neben Vortragsveranstaltungen werden Gesprächskreise, Kurse für Frauen, Koranlesewettbewerbe und geschlechtergetrennte Ferienlager für Kinder oder Computerkurse angeboten. Neben einer Frauen-, Jugendund Studentenabteilung unterhält die IGMG eigene Sportvereine. Ferner organisiert die IGMG Pilgerfahrten nach Mekka. Außerdem hat sie nach einem Streit und gerichtlicher Auseinandersetzung mit dem Leiter des 'Muslimischen Sozialbundes e.V.' (MSB), zu dem auch die 'Bestattungskostenvereinigung' (BKUV) gehört, mit dem 'Cenaze Fonu' einen eigenen Bestattungsfond eingerichtet. Des Weiteren unterstützt die IGMG türkische Muslime in juristischen Fragen. Sie unterhält eine eigene Rechtsabteilung, die sich nach eigenem Bekunden mit Diskriminierungsfällen befasst. In letzter Zeit gewinnt die Unterstützung der Mitglieder bei Einbürgerungsverfahren zunehmend an Bedeutung. Finanzierung Die Organisation finanziert sich aus monatlichen Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Erträgen aus Immobilien. Medien und Aussagen Die IGMG bedient sich verschiedener Medien, um ihre Botschaften und Aktivitäten zu verbreiten. In der monatlich erscheinenden Verbandszeitschrift 'IGMG Perspektive' (bis Januar 2005 noch 'Milli Görüs & Perspektive') werden allgemeine, die Muslime betreffende Angelegenheiten und Probleme thematisiert. Die türkische Tageszeitung 'Milli Gazete', die mit einer Europaausgabe in Deutschland erscheint, ist von der IGMG formal unabhängig, kann jedoch als ein Sprachrohr der gesamten Milli-GörüsBewegung bezeichnet werden. Mit dem türkischen Fernsehsender 'TV 5' verfügt die Milli-Görüs-Bewegung über einen eigenen Fernsehsender. In einem Artikel in der 'Milli Gazete' vom 29. Oktober 2005 wird deutlich, dass die 'Milli Gazete' und der Fernsehkanal Teil der Bewegung sind. In dem Artikel wird von einer Reihe von Seminaren berichtetet, die von der Stuttgarter Vertretung der Zeitung organisiert worden seien und die als Treffpunkt von Lesern und Autoren dienten. Der langjährige Redaktionsleiter der Zeitung in der Tür203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 kei und Moderator bei 'TV 5', Ekrem Kiziltas, traf mit den Lesern in Stuttgart und anderen Städten der Region zusammen. Der Sender kann über Satellit in Europa empfangen werden. Zur Finanzierung des Fernsehkanals 'TV 5' wurden die IGMG-Mitglieder dazu angehalten, zu spenden beziehungsweise Anteile zu erwerben. Die Bereitschaft der IGMG-Mitglieder, den Fernsehkanal 'TV 5' mitzufinanzieren, dürfte aber nach den Erfahrungen mit einem früher unter dem Einfluss der Milli Görüs stehenden Sender eher gering sein. Die IGMG ist mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. Die auch in deutscher Sprache angebotenen Internetseiten wurden kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA massiv überarbeitet. Seit dem Frühjahr 2002 ist die Homepage umfassender und in neuem Design gestaltet. Sie bietet Presseerklärungen der Organisation und die Möglichkeit, Publikationen der IGMG herunter zu laden. Die Ziele der IGMG werden in der neuen Fassung auf die "umfassende Organisation des religiösen Gemeindelebens" und die "gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften" eingegrenzt. Ferner kann hier das Internetradio der IGMG empfangen werden. Die 'Milli Gazete' als Medium der Milli Görüs-Bewegung In der Europaausgabe der 'Milli Gazete' nimmt die Berichterstattung über die IGMG, die 'Saadet Partisi' wie überhaupt das Thema Milli Görüs breiten Raum ein. In dieser Zeitung werden jedoch nicht nur überregionale und allgemeine Themen der Bewegung behandelt, vielmehr wird regelmäßig auch umfänglich über lokale, regionale und bundesweite Veranstaltungen (Mitgliederversammlungen, Eröffnungsfeiern von Moscheen, Jugendfeste, Sommerferienkurse u.v.a.) der IGMG berichtet. Des Weiteren finden sich dort auch Annoncen der IGMG, die zu Veranstaltungen der Organisation einladen und für einen Besuch werben. Die Artikel offenbaren eine derart detaillierte Kenntnis der Veranstaltungen, ihrer Teilnehmer und Termine, wie sie von einer außenstehenden, organisationsunabhängigen Publikation kaum zu erwarten wäre. Weder die Homepage der IGMG noch die Vereinszeitschrift 'IGMG Perspektive' bieten derartige Informationen über die verschiedenen IGMG-Veranstaltungen. Die Europaausgabe der 'Milli Gazete' stellt damit unbestreitbar die Hauptinformationsquelle über das Vereinsleben dar. So entsteht der Eindruck, es handele sich bei ihr um die eigentliche Verbandspublikation. Ferner wird innerhalb der IGMG und auch auf ihren Veranstaltungen für das Abonnement der 'Milli Gazete' geworben. So erschien beispielsweise am 19. September 2005 ein umfassender Bericht über eine Koranrezitationsveranstaltung der IGMG in Duisburg. Abgebildet wird unter anderem ein Stand der 'Milli Gazete'. Nach Darstellung 204 Islamismus der 'Milli Gazete' führte die Zeitung eine Abonnentenkampagne durch, die nach eigenem Bekunden auf größtes Interesse stieß. Laut 'Milli Gazete' vom 13. Oktober 2005 versammelten sich die Vorsitzenden des IGMG-Gebietes Freiburg in der dortigen neuen Zentrale. An der Versammlung nahm auch ein Vertreter der 'Milli Gazete' teil. Die immer wieder zu beobachtende Teilnahme von Politikern der 'Saadet Partisi' an Veranstaltungen der IGMG weist deutlich darauf hin, dass sich die Organisation nach wie vor als Teil der Milli Görüs-Bewegung versteht und sich nicht von der Mutterorganisation gelöst hat. Damit aber gewinnen auch die Inhalte der Zeitung Aussagekraft hinsichtlich der IGMG. Beispielhaft sei hier auf eine Annonce vom 30. August 2005 in der 'Milli Gazete' hingewiesen: Sie wirbt für eine Veranstaltung der IGMG-Jugendorganisation mit dem Gebietsvorsitzenden des Gebietes Ruhr Nord, dem Jugendvorsitzenden Ruhr Nord sowie Prof. Arif Ersoy. Ersoy ist der ehemalige Bürgermeister der Stadt Corum und Parteifunktionär der 'Saadet Partisi'. Laut 'Milli Gazete' vom 24./25. September 2005 war Prof. Arif Ersoy auch Gast eines "prächtigen Jugendfestes" der IGMG-Gemeinde Bielefeld und zugleich Leiter des Seminars "Die Bedeutung der Jugend im Islam". Mit dieser Veranstaltung wurde zugleich das Arbeitsjahr 2005/2006 eingeleitet. In der 'Milli Gazete' vom 29. September 2005 erschien ein Artikel mit der Überschrift "Wir danken den Mitarbeitern von Milli Görüs von Herzen", aus dem die enge Verbundenheit der Zeitung mit Necmettin Erbakan und seiner Weltanschauung hervor geht: "Gestern hat unsere Zeitung erneut einen neuen Rekord aufgestellt und eine Auflage von 600 000 Exemplaren erreicht. Wenn wir den Grund für diesen Anstieg, den wir sehr bedeutend finden, erforschen, sehen wir, was die Türkei braucht. Das Buch, das Sie mit der gestrigen 'Milli Gazete' zusammen erworben haben, ist eine Abbildung der heutigen Türkei. Der Führer der Milli Görüs, Prof. Necmettin Erbakan hat vor drei Jahren den heutigen Zustand klar vor sich gesehen und bewertet." In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren der IGMG gegen das Land BadenWürttemberg auf Unterlassung von im Verfassungsschutzbericht 2001 getroffenen Äußerungen stellte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 16. Mai 2003 (Aktenzeichen 18 K 4179/02) fest: "Im Übrigen dürfte der Antragsgegner für die 'Milli Gazete' durch Vorlage entsprechender Artikel [...] belegt haben, dass deren Inhalte sich mit den vom Antragsteller propagierten Zielen und Programmen - unter anderem der Einführung der Scharia als 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Rechtssystem - decken. Übereinstimmung mit den Zielen des Antragstellers besteht auch hinsichtlich der antisemitischen Haltung, was in den vorgelegten Artikeln [...] einerseits und den im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2001 auf den Seiten 150-152 zitierten Äußerungen von Gastrednern des Antragstellers andererseits zum Ausdruck kommt." An dieser Einschätzung des Zusammenhangs von IGMG, Milli Görüs und 'Milli Gazete' hat sich bis heute nichts geändert. Die politische Ausrichtung von Milli Görüs In der Verbandszeitschrift 'IGMG Perspektive' von März 2005 wurde unter anderem das Thema Euro-Islam in mehreren Artikeln auf türkisch und deutsch angesprochen. Darin wurde der in die öffentliche Debatte um die Zukunft des Islam in Europa eingebrachte Vorschlag zur Entwicklung eines so genannten Euro-Islam klar zurückgewiesen. In den Artikeln wird zudem deutlich, dass man an der Einheit von Islam und Scharia, dem islamischen Recht, sowie der Einheit der gesamten islamischen Gemeinschaft, der Umma, festhält. Dabei wird durchaus auf die Entwicklungsfähigkeit der Scharia und die Möglichkeit, sie an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anpassen zu können, verwiesen. Dies wird jedoch nicht konkretisiert. Die Verfasser gehen anscheinend davon aus, dass zwischen dem eigenen Scharia-Verständnis und der deutschen Verfassungsordnung keine Unvereinbarkeiten existieren. Diese Auffassung ist jedoch höchst fragwürdig. Die IGMG vertritt in Bezug auf die Scharia die Haltung des 1997 in Dublin eingerichteten 'European Council for Fatwa and Research' ('Europäischer Rat für islamische Rechtsgutachten' - ECFR), in dem sie auch als Mitglied vertreten ist. Das Scharia-Verständnis dieses Fatwa-Rats orientiert sich an den klassischen vier sunnitischen Rechtsschulen und folgt damit einer konservativen Lehrmeinung, die insbesondere in Bezug auf die Körperstrafen - beispielsweise bei Abfall vom Glauben (Apostasie) - der deutschen Verfassung klar entgegensteht. In der mit Milli Görüs eng verbundenen Tageszeitung 'Milli Gazete' finden sich immer wieder Aussagen, die deutlich machen, dass unter der stets propagierten Ideologie von Milli Görüs die Herrschaft des Islam - nach einem traditionell konservativen Verständnis - zu verstehen ist. In der 'Milli Gazete' vom 11. Oktober 2005 heißt es beispielsweise in einer Kolumne mit der Überschrift "Die einzige Rettung ist der Islam": "Die Rettung und das Glück der muslimischen Völker ist gebunden an ihre gänzliche Islamisierung. Was heißt aber Islamisierung? Für uns heißt Islamisierung, die zum islamischen Glauben, seiner Moral, der Lebensführung und der Politik gehörenden Fundamente des Islam vollständig anzuwenden. Wer sich als Muslim bezeichnet, muss 206 Islamismus den Fundamenten der von ihm angenommenen Religion entsprechend fühlen, denken und handeln. Tut er dies nicht, richtet er sich also nicht vollkommen nach der Moralund Lebensrichtlinie des Islam, so bringt die Bezeichnung als Muslim dem Menschen keinen Gewinn und kein Glück. Die Politik des Muslims Da die politischen Einrichtungen bei den Muslimen aus der Solidarität heraus entstanden sind, sind auch beide (nämlich die Einrichtungen und die Solidarität) jeweils Vertreter der gegenseitigen Hilfe. Deshalb kann es in der islamischen Gemeinschaft nur einen Grund für die Schaffung von politischen Einrichtungen geben, und der ist: "Dafür zu sorgen, dass die islamische Moral und die Ordnung der Gemeinschaft in immer vollkommenerer Weise praktiziert werden. Politische Herrschaft bedeutet demnach nichts anderes, als diese Moral und Ordnung jeden Augenblick wachsam zu beschützen." Hier ist nicht von einer Weiterentwicklung der auf den Fundamenten Koran und Sunna (Brauch des Propheten) beruhenden Scharia die Rede, ganz im Gegenteil: Gefordert wird eindeutig, dass der Staat mit seinen Einrichtungen für die Aufrechterhaltung der strikt an den islamischen Fundamenten orientierten Lebensführung der Menschen Sorge zu tragen hat. Dies ist nichts anderes als die Forderung nach einer islamistischen Herrschaft. Offen bleibt, wer in einem solchen Staat konkret die islamische Lebensführung zu bestimmen hätte und was mit denjenigen geschehen sollte, die sich nicht daran halten, beispielsweise als Muslime kein Kopftuch tragen, voreheliche geschlechtliche Beziehungen eingehen oder sich vom Islam abwenden. Für die letzten beiden Punkte sind die in der klassischen Scharia vorgesehenen Strafen - Steinigung beziehungsweise Tötung - nicht verfassungskonform. In der 'Milli Gazete' vom 21. November 2005 wird in einer Kolumne, in der es um religiöses Wissen geht, nebenbei auf die von islamistischen Kreisen stets betonte Zusammengehörigkeit von Religion und politischer Ordnung verwiesen und ein umfassender Hegemonieanspruch vertreten: "Was bedeutet Islam? Es ist eine Religion und eine Weltordnung, [...]. Wenn die Bestimmungen des Islam richtig angewendet werden, herrscht auf Erden Frieden, finden die Menschen Ruhe und können in Sicherheit leben." Dies ist ein Beispiel dafür, dass islamistische Argumentationsmuster auch in Artikeln, Schriften oder Reden untergebracht werden, die sich ansonsten nur mit religiösen Themen befassen. 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 In den Artikeln der 'Milli Gazete' kommen auch die Ziele der Milli Görüs-Bewegung immer wieder zum Ausdruck. In der Ausgabe vom 7. November 2005 ist unter der Rubrik "Brief von der Milli Gazete" zu lesen: "Gott möge uns helfen, dass wir die Unterdrückung, die über die islamische Gemeinschaft hereingebrochen ist, aufheben. Er möge uns seinen Beistand nicht versagen, damit die kapitalistische Ordnung, die die Menschheit im Würgegriff hält, zusammenbricht, und die gesamte Menschheit die gerechte Ordnung, die die göttliche Bestimmung ist, erlangt." Gerade Politiker der 'Saadet Partisi' und andere Funktionäre der Milli-Görüs in der Türkei und Europa halten sich mit deutlichen Äußerungen zur angestrebten islamistischen Ordnung in der Öffentlichkeit aus rechtlichen Gründen oder mit Rücksicht auf ihre Außenwirkung zurück. Anstatt von der islamischen Weltordnung oder der "Gerechten Ordnung" zu sprechen, wird Gerechtigkeit an sich gefordert und der Nationalstolz der Menschen angesprochen. Die 'Milli Gazete' vom 26. Oktober 2005 zitiert Recai Kutan, den Vorsitzenden der 'Saadet Partisi' (SP), mit den Worten: "Das einzige Rezept, um unser Land zu retten, ist die 'Saadet Partisi'. Denn 'Milli Görüs' ist sowohl eine ideologische Einstellung, die die Rechtmäßigkeit hoch hält, als auch die einzige Adresse für eine lebenswerte Türkei, eine neue Großtürkei und eine auf gerechten Fundamenten gegründete neue Welt." Die genannten Punkte werden von Funktionären und in den Medien der Milli Görüs immer wieder betont. Ihnen zugrunde liegt das Thema der Gerechtigkeit, welches nach Überzeugung der Milli Görüs-Anhänger nur durch eine "islamische Ordnung" zu gewährleisten ist, wie sie in Erbakans Manifest "Gerechte Ordnung" ("adil düzen") skizziert wurde. Gerechtigkeit ist deshalb ein Schlüsselbegriff für die Bewegung, der in den verschiedensten Varianten und Zusammenhängen eingeflochten und stets in der einen oder anderen Weise mit dem Islam in Verbindung gebracht wird. Auf dem IGMG-"Familientag" 2005 in Kerpen kam der IGMG-Vorsitzende darauf folgendermaßen zu sprechen: "Wir sind Menschen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, den Begriff 'Gerechtigkeit' in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen, von der Geburt bis wir wieder zu unserem Herrn zurückkehren. Gerecht zu sein ist nicht nur ein Prinzip, das wir im Sinn haben müssen, wenn wir eine Sache zu entscheiden haben. Von uns angefangen bis hin zum Umgang mit sämtlichen Geschöpfen sollte Gerechtigkeit in ihrer Gesamtheit eine Haltung sein, mit der wir uns ausstatten. Die Welt von heute aber dreht sich mit Auffassungen, die auf Ungerechtigkeiten gegründet sind, die Frauen und Männer von ihrer Schöpfungsebene fortreißen." 208 Islamismus Trotz der Unverfänglichkeit der Aussage wird dem Zuhörer deutlich gemacht: Hier stehen wir, die Anhänger einer Bewegung, die für Gerechtigkeit eintritt und diese ganzheitlich auf unserer religiösen Grundlage verficht. Auf der anderen Seite stehen die Anhänger des heute herrschenden Systems, das auf Ungerechtigkeit gegründet ist. Dieses spiegelt genau die von Necmettin Erbakan vertretene ideologische Einstellung wider, die Islam mit Staat und Politik verbindet und durch die Befolgung der religiösen Bestimmungen Gerechtigkeit auf allen Gebieten verspricht. Die Gegner der angestrebten, auf der Religion beruhenden "Gerechten Ordnung", sind die Verfechter der materialistischen Systeme, des Kapitalismus und des Kommunismus. Als die angeblich heimlichen Drahtzieher dieser ungerechten Ordnungen werden die Freimaurer und der Zionismus ausgemacht, die oft bei den in extremistischen Kreisen kursierenden Verschwörungstheorien als zusammenhängend betrachtet werden. Feindbilder der Milli Görüs In der 'Milli Gazete' vom 21. November 2005 wird unter den Überschriften "Vor den Wahlen können sie nicht fliehen" und "Die Milli-Görüs-Herrschaft ist ein Muss" ein Vortrag eines Kolumnisten der Zeitung folgendermaßen zusammengefasst: "Die Milli-Görüs-Bewegung ist das erste ernsthafte Unterfangen, die Macht der Freimaurer, die die türkische Politik unter ihr Monopol gebracht haben, zu brechen." Weiter heißt es: "'Heute hat sich leider die AKP-Regierung auf die Seite der Imperialisten geschlagen', sagte Emre, und betonte, um die Spielchen, die mit dem Mittleren Osten und mit unserem Land getrieben werden, zu durchkreuzen, gibt es kein anderes Mittel als die Vertreter der Milli Görüs an die Regierung zu bringen." In einem Kommentar in der 'Milli Gazete' vom 25. Juni 2005 erklärte ein Kolumnist, Milli Görüs sei die "Adresse des Widerstands gegen den Imperialismus - die Zuflucht für all diejenigen, die in der Region Unterdrückung erfahren - der Herd, der gegen den wilden Kapitalismus die Zivilisation der Barmherzigkeit errichtet und darbietet". Nach wie vor werden hinter nahezu jeder Entwicklung, die von der Milli Görüs abgelehnt wird, Freimaurer oder "zionistische Kräfte" vermutet. Nachdem erstmals eine Frau als Imamin in New York ein islamisches Freitagsgebet geleitet hat, gab es allenthalben empörte Reaktionen in der islamischen Welt, wurde hier doch mit einer alten Tradition gebrochen, nach der das Freitagsgebet nur von einem Imam geleitet werden könne. Dem Vorgang an sich kann man aus traditioneller religiöser Sicht kritisch gegenüber stehen. Bezeichnend für die Einstellung der Milli Görüs ist jedoch, dass für diese Aktion in der 'Milli Gazete' vom 1. April 2005 "zionistische Kräfte" und "Krypto-Juden" verantwortlich gemacht wurden, die nur das Ziel hätten, dem Islam zu schaden. 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Anzumerken ist, dass Funktionäre der IGMG sich weiterhin von solchen und anderen antisemitischen Verschwörungstheorien oder gar Verunglimpfungen distanzieren. Diese Distanzierung wird jedoch vor allem gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht und nicht innerhalb der IGMG thematisiert. Dies ist vermutlich auch deswegen schwierig, da antisemitisches Gedankengut auch in den Schriften Necmettin Erbakans auftaucht. Zu dieser ambivalenten Haltung der IGMG beim Thema Antisemitismus passt, dass die Führungsebene einerseits betont, entsprechende Schriften in keiner IGMG-Moschee zu dulden, bei einer Durchsuchung einer IGMGMoschee in München im Jahr 2004 aber noch solche Bücher und Schriften sichergestellt wurden. Initiativen und Veranstaltungen Auch verschiedene Veranstaltungen der IGMG geben Anhaltspunkte dafür, dass die Verbindungen zur 'Milli Gazete', zur 'Saadet Partisi' in der Türkei und zum Fernsehsender 'TV 5' sehr eng sind, und man bei der IGMG vom europäischen Zweig der Milli Görüs sprechen kann. Am 25. März 2005 veranstaltete die IGMG in Bergisch-Gladbach unter dem Titel "Die Botschaft des Koran" eine Koranlesung mit Rezitatoren aus verschiedenen Ländern. Gleiche Veranstaltungen haben auch an anderen Orten zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden, darunter in Duisburg. Für den Besuch der Veranstaltungen wurde in der 'Milli Gazete' geworben. Am 9. April 2005 fand die 10. Jahreskonferenz der IGMG-Jugendorganisation in Genk/Belgien in der Limburg-Halle statt, zu der etwa 8.000 Besucher gekommen sein sollen. Nach der Berichterstattung der 'Milli Gazete' vom 15. April 2005 soll auf der Veranstaltung auch ein Gast aus der Türkei vertreten gewesen sein. Der ehemalige türkische Ministerpräsident Prof. Dr. Necmettin Erbakan soll telefonisch live an der Veranstaltung teil genommen haben und sich in seiner Ansprache an die Jugend gewandt haben. Dabei soll er von der Jugend gefordert haben, sich aktiv in der IGMG zu betätigen und sich in der Führungsebene einzubringen. Am 14./15. Mai 2005 fand in der IGMG-Zentrale in Kerpen das diesjährige Familienfest statt. In dem im Internet auf der Homepage der IGMG veröffentlichten Programm wurden unter anderem Prof. Arif Ersoy, der als Mitarbeiter am ideologischen Manifest "adil düzen" gilt, das Vorstandsmitglied der 'Saadet Partisi', Prof. Numan Kurtulmus und Prof. Dr. Ihsan Süreyya Sirma, der unter anderem Artikel für die 'Milli Gazete' schreibt, als Redner angekündigt. 210 Islamismus Am 24. September 2005 fand in Leverkusen in der Wilhelm-Dopatka-Halle eine erweiterte Gebietsvorsitzendenversammlung der IGMG statt. In einem Artikel der 'Milli Gazete' vom 27./28. September 2005 wird die Veranstaltung erwähnt. Danach habe ein Funktionär der 'Saadet Partisi', der gleichzeitig der Geschäftsführer von 'TV 5' ist, eine Rede gehalten. Es sei darauf hingewiesen worden, dass das Programm für diese Veranstaltung in Zusammenarbeit und unter maßgeblicher Mithilfe von Erbakan entstanden sei. Bei der Erwähnung des Namens Erbakan seien Sprechchöre laut geworden, die dem "Hoca" huldigten. Einflussnahme auf andere Institutionen Die IGMG verfolgt ihre Ziele nicht nur mit Mitteln ihrer eigenen Organisation. Sie bedient sich zusätzlich einiger Nebenorganisationen und nimmt Einfluss auf andere Institutionen. Im Mai 1990 wurde die IGMG (seinerzeit noch unter der Bezeichnung AMGT) Mitglied des 'Islamrates', den sie seitdem eindeutig dominiert. Seit Anfang 2002 steht der ehemalige Generalsekretär der IGMG an dessen Spitze. Der 'Islamrat', dem auch kleinere nicht-extremistische Organisationen angehören, bezeichnet sich als der größte Spitzenverband der Muslime in Deutschland. Die Aktivitäten des 'Islamrates' lassen direkte Bezüge zu den Bestrebungen der IGMG erkennen. Durch betont moderates Auftreten in der Öffentlichkeit bemüht sich die IGMG weiterhin, zahlreiche Kontakte zu politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Institutionen zu knüpfen und sich auch in Gremien zu etablieren, in denen demokratische, den Pluralismus bejahende Gruppierungen mitarbeiten. Immer wieder versucht die Organisation, sich als islamischer Ansprechpartner für Institutionen und Behörden der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren. Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der IGMG In den Urteilen zu drei Einbürgerungsstreitigkeiten aus dem Jahr 2005 wurde die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden, dass es sich bei der IGMG um eine Organisation handelt, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, nachdrücklich bestätigt (Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 18. Mai 2005 - 6 E 2225/04(2); Verwaltungsgericht Darmstadt vom 25. Mai 2005 - 5 E 1819/03 (2) und Oberverwaltungsgericht Koblenz vom 24. Mai 2005 - 7A 10953/04). Das Oberverwaltungsgericht Koblenz stellte in dem Urteil fest, dass die IGMG trotz gegenteiliger Bekundungen nicht nur die Beseitigung der laizistischen Gesellschaftsordnung der Türkei zum Ziel habe, sondern darüber hinaus auch die Errichtung einer islamischen Ordnung auf Grundlage der Scharia in den Staaten anstrebe, in denen Muslime leben. Damit verstoße die IGMG gegen das in Art. 20 GG verankerte Demokratieprinzip. Mangels eines reformatorischen Ansatzes seien die Absichten der 211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 IGMG insgesamt und trotz gegenteiliger Bekundungen im Kern gegen das in der Verfassung verankerte Demokratieverständnis und damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Aus den vorgelegten Erkenntnisquellen schließt der Senat des Weiteren, dass "die IGMG, im Gegensatz zu gewaltbereiten islamistischen Organisationen, unter Ausnutzung der von der Verfassung selbst gebotenen Gestaltungsund Mitwirkungsmöglichkeit die Grundordnung und damit die Verfassung der Bundesrepublik überwinden will." Diese Einschätzung gründet nach Auffassung des Gerichtes auf der ideologischen Ausrichtung der IGMG und der Weltanschauung der Milli Görüs. Zur Verbreitung ihrer Ansichten bediene sich die Milli Görüs-Bewegung verschiedener Medien, unter anderem der Zeitung 'Milli Gazete'. Diese sei zwar formal von der Milli Görüs/IGMG unabhängig, ihrer Sache jedoch eng verbunden. Sie sei keine unabhängige Zeitung, sondern "vielmehr Sprachrohr der Bewegung und Verbreiter ihrer Ideologie." Ihre Verlautbarungen können, so das Gericht, als "repräsentativ für das Islamund Politikverständnis der Milli Görüs und damit der IGMG angesehen werden. Dieser Rückschluss ergibt sich für den Senat aus den Äußerungen Necmettin Erbakans zur 'Milli Gazete' und der Einschätzung der Zeitung selbst einschließlich ihres Erscheinungsbildes." Diese Einschätzung des Gerichts stimmt mit der des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes vollkommen überein. Ausblick Bei der IGMG handelt es sich zweifellos um eine Organisation der Milli Görüs-Bewegung, die eine islamistische Herrschaftsordnung anstrebt. Innerhalb der IGMG lassen sich aber durchaus auch Bestrebungen erkennen, die bereit sind, sich von der islamistischen Ideologie zu lösen. Wie verbreitet diese Bereitschaft ist, muss derzeit noch dahingestellt bleiben. Von Seiten der IGMG, aber auch von einigen Wissenschaftlern, wird immer wieder darauf verwiesen, dass vor mehreren Jahren ein Generationswechsel innerhalb der IGMG-Führungsebene stattgefunden habe. Die jüngere Generation habe nichts mehr mit der früher verfolgten islamistischen Ideologie zu tun. Hiergegen spricht jedoch, dass beispielsweise der Gründer und Führer der Milli Görüs, Necmettin Erbakan, bei der IGMG-Jugendveranstaltung in Genk/Belgien live zugeschaltet wurde. Auch die Besuche führender Funktionäre der 'Saadet Partisi', von Mitarbeitern und Kolumnisten der 'Milli Gazete' sowie des Senders 'TV 5' auf den Veranstaltungen der IGMG wie umgekehrt die Kontakte von Delegationen der IGMG, die bei ihren Türkeibesuchen gerade die Institutionen und Personen aufsuchen, die zu Milli Görüs gehören, deuten daraufhin, dass die IGMG sich nach wie vor weder personell noch ideologisch von der Milli Görüs-Bewegung, ihren extremistischen politischen Auffassungen und den religiös verbrämten Zielen gelöst hat. 212 Islamismus 6.12 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti); vormals: Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB), so genannter Kaplan-Verband :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Köln Verbandsführer Metin Kaplan (am 12. Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben) Mitglieder NRW Bund 2005 350 750 2004 350 750 Publikationen 'Ümmet-i Muhammed' ('Die Stimme Muhammeds'); 'Beklenen Asr-i Saadet' ('Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit'); 'Der Islam als Alternative' (D.I.A.); 'Barika-i Hakikat' ('Das Aufleuchten der Wahrheit') Fernsehprogramm HAKK-TV :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Der im Dezember 2001 durch das Bundesinnenministerium verbotene 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Devleti') galt in Deutschland als die verbal radikalste unter den islamistischen Organisationen. Der bis zu dessen Abschiebung in die Türkei unter der Führung des selbsternannten Kalifen Metin Kaplan stehende 'Kaplan-Verband' propagiert den revolutionären Sturz des laizistischen türkischen Staatssystems, um an dessen Stelle einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Damit verfolgt der Verband Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und erfüllt die Voraussetzungen nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 VSG NRW für eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Man muss davon ausgehen, dass Anhänger des Verbandes die Tätigkeiten auch nach dem Verbot fortsetzen. Ungeachtet des auf die Türkei gerichteten Zieles lehnen die auf Dauer in Deutschland lebenden 'Kalifatsstaats'-Anhänger die grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab, so dass sich die Beobachtung auch auf SS 3 Absatz 1 Nr. 1 VSG NRW stützt. Hintergrund Der 'Kalifatsstaat' ging aus dem 'Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V.' (ICCB) hervor, der 1984 von dem als "Khomeini von Köln" bekannt gewordenen Cemaleddin Kaplan gegründet wurde. Anlässlich einer Anti-Rushdie-Demonstration im März 1989 unterstützte Cemaleddin Kaplan die "Todes-Fatwa" Khomeinis. Als 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 seine politischen Ziele propagierte er, der Koran müsse Grundlage der Staatsverfassung für die gesamte Menschheit sein und der Islam müsse in einem einzigen, weltumfassenden Staat zum Träger der Weltherrschaft, Weltpolitik und Weltzivilisation gemacht werden. Im April 1992 rief Cemaleddin Kaplan auf einer Großveranstaltung in Koblenz den 'Föderativen Islamstaat Anatolien' (A.F.I.D) aus, der im März 1994 in dem in Köln proklamierten 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Devleti') aufging. Cemaleddin Kaplan erklärte sich selbst zum "Kalifen der islamischen Nation" und schwor seine Anhänger auf bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem "Kalifen" ein. Nach dem Tod von Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 in Köln wurde die Nachfolgefrage als "Kalif" zugunsten seines Sohnes Metin "Müftüoglu" Kaplan entschieden. Verurteilung und Abschiebung des Metin Kaplan Im Sommer 1996 ließ sich der "Gebietsjugendemir" von Berlin, der sich Hoffnungen auf die Nachfolge von Cemaleddin Kaplan gemacht hatte, ebenfalls zum Kalifen ausrufen. Darauf reagierte Metin Kaplan mit einer Fatwa (islamisches Rechtsgutachten), die in der Verbandszeitung 'Ümmet-i Muhammed' vom 19. Juli 1996 wie folgt wiedergegeben wurde: "Was passiert mit einer Person, die sich, obwohl es einen Kalifen gibt, als einen zweiten Kalifen verkünden lässt? Dieser Mann wird zur Reuebekundung gebeten. Wenn er nicht Reue bekundet, dann wird er getötet." Im Mai 1997 wurde der "Gegenkalif" von drei maskierten, bisher unbekannten Tätern in seiner Wohnung in Berlin erschossen. Im November 2000 wurde Kaplan wegen Anstiftung zum Mord zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anerkennung von Metin Kaplan als Asylberechtigter wurde 2002 aufgrund der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe widerrufen. Bereits im Februar 2003 hatte die Stadt Köln eine Ausweisungsverfügung gegen Metin Kaplan erlassen, gegen die Kaplan den Rechtsweg beschritten hatte. Am 5. Oktober 2004 lehnte das Verwaltungsgericht Köln die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs von Metin Kaplan gegen die Abschiebungsandrohung der Stadt Köln ab. Es führte in seiner Begründung unter anderem aus, Kaplan sei, "unabhängig davon, ob von ihm aktuell die konkrete Gefahr strafrechtlich relevanter Verfehlungen ausgeht, als Identifikationsfigur für den islamischen Extremismus anzusehen; seine umgehende Entfernung ist zwingend geboten". Nachdem die Entscheidung am 12. Oktober 2004 veröffentlicht war, wurde Metin Kaplan unter dem Widerstand einer kleinen Gruppe von Anhängern in einem Kölner Internetcafe festgenommen und vom Flughafen Düsseldorf nach Istanbul ausgeflogen, wo ihn sofort nach der Landung dortige Sicherheitskräfte festnahmen. 214 Islamismus Metin Kaplan -- Der Kalif von Köln Hochverratsprozess in der Türkei In der Türkei wurde Metin Kaplan wegen Hochverrats der Prozess gemacht. Ihm wurde vorgeworfen, zum gewaltsamen Sturz der türkischen Regierung aufgerufen zu haben, um einen Gottesstaat zu errichten. Kaplan soll 1998 einen Terroranschlag auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara befohlen haben, bei dem die dort zum Nationalfeiertag versammelte türkische Staatsspitze mit einem mit Sprengstoff beladenen Kleinflugzeug angegriffen werden sollte. In dem Prozess, der im April 2005 begann, wies Metin Kaplan die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück, allerdings ohne Erfolg. Das Gericht verurteilte Metin Kaplan am 20. Juni 2005 zu lebenslanger Haft. Am 30. November 2005 wurde die Entscheidung eines Berufungsgerichtes in Ankara bekannt: Das Urteil sei aufgrund von Verfahrensfehlern aufgehoben worden. Ein Termin für die Neuverhandlung steht noch nicht fest. Verbot des Kalifatsstaates Nach dem Wegfall des Religionsprivilegs durch Änderung des Vereinsgesetzes war der 'Kalifatsstaat' am 8. Dezember 2001 vom Bundesministerium des Inneren verboten worden. Die Verbotsverfügung umfasste neben dem 'Kalifatsstaat' die 'Stichting Dinaar aan Islam' (Hauptsitz in den Niederlanden, Nebensitz Köln) sowie 17 Teilorganisationen (Ortsvereine), davon vier in NRW. Bei polizeilichen Durchsuchungen in den Vereinsräumen und bei Funktionären wurde weiteres Beweismaterial sichergestellt. Nach Auswertung dieses Beweismaterials wurden mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 16. September 2002 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 16 weitere Teilorganisationen, davon fünf in NRW, verboten. Zur Begründung heißt es, diese Vereine seien derart in den 'Kalifatsstaat' eingegliedert, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieser Vereinigung anzusehen seien. Im November 2002 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot. In seiner Begründung führte das Gericht aus, der 'Kalifatsstaat' verstoße gegen die im Grundgesetz verankerten Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde. Die Organisation verstehe sich als real existierender Staat mit eigener Staatsgewalt unter Führung des "Kalifen", dessen Grundlage ausschließlich der Wille Allahs sei. Der 'Kalifatsstaat' beanspruche für sich im Unterschied zu anderen Religionsgemeinschaften das Recht zur Gewaltanwendung. Auch die Klagen mehrerer verbotener Vereine, die bestritten hatten, Teilorganisationen des 'Kalifatsstaates' zu sein, lehnte das Bundesverwaltungsgericht im April 2003 ab. Die gegen das Verbot gerichtete Verfassungsbeschwerde des 'Kalifatsstaates' und der 'Stichting Dinaar aan Islam' hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde mit Beschluss vom 2. Oktober 2003 nicht zur Entscheidung an, da die Beschwerde einen verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf nicht erkennen lasse und im Übrigen keine Aussicht auf Erfolg habe. Neue Ermittlungsverfahren Auch nach dem Verbot wurden Aktivitäten aus den Reihen des 'Kalifatsstaates' festgestellt, die zu Ermittlungsverfahren führten. So leitete der Generalbundesanwalt am 8. April 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen den 'Kalifatsstaat' wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Verbot ein. Da die verbandseigene Zeitung 'Ümmet-i Muhammed' Nr. 409/2001 auch nach dem Verbot veröffentlicht und die ebenfalls verbandseigene Sendung 'HAKK-TV' weiterhin gesendet wurde, bestand der Verdacht, dass namentlich zunächst nicht bekannte Personen den organisatorischen Zusammenhalt des 'Kalifatsstaates' verbotswidrig aufrechterhalten und sich weiter als Mitglieder im Sinne der Organisation betätigt hatten. Im Zuge dieses und weiterer Ermittlungsverfahren wurden Durchsuchungen durchgeführt, unter anderem bei Beziehern der Zeitschrift 'Beklenen Asr-i Saadet'. In der überwiegenden Zahl der Fälle wurden die Verfahren allerdings eingestellt, da die Tatvorwürfe der Unterstützung beziehungsweise Fortführung des verbotenen Vereins nicht belegt werden konnten. 216 Islamismus Struktur Als Sitz des "exterritorialen 'Kalifatsstaates'" wird bis "zur Befreiung Istanbuls" Köln betrachtet. Die örtlichen Mitgliedsvereine des Verbandes unterstanden so genannten Gebietsemiren, die Weisungen des "Kalifen" weitergaben und ihm rechenschaftspflichtig waren. Alle Mitglieder des 'Kalifatsstaates' mussten einen "Treueschwur" ablegen und waren dem "Kalifen" zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Die Mitgliederzahl, die Anfang der 90er Jahre in NRW noch auf etwa 1.500 geschätzt wurde, sank inzwischen auf etwa 350. Ideologie Die Ideologie des 'Kalifatsstaates' ist eindeutig gegen die Demokratie und den Säkularismus, das heißt die Trennung von Religion und Staat, gerichtet, die mit den Prinzipien des Islam als unvereinbar angesehen werden. So wurde in der Verbandszeitung - wie bereits zuvor 1999 - vor den türkischen Parlamentswahlen 2002 zum Wahlboykott aufgerufen. Neben Demokratie und Säkularismus gelten vor allem das mit dem "Westen" verbündete Judentum und der Zionismus als Hauptfeinde. Finanzierung Der Verband finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, dem Verkauf von Publikationen, Erträgen aus Immobilien und vermutlich dem Handel mit Lebensmitteln. Zum Zeitpunkt des Verbotes wurde das Vermögen des Verbandes auf über eine Million DM geschätzt. Beim Vollzug der Verbotsverfügungen wurden mehrere hunderttausend DM sichergestellt. Ein Großteil der verbliebenen Gelder dürfte bei der in den Niederlanden errichteten 'Stichting Dinaar aan Islam' liegen. Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte am 26. Januar 2006 die Rechtmäßigkeit der vom Bundesinnenministerium im Rahmen des Verbotes des 'Kalifatsstaates' erlassenen Verfügungen zur Einziehung des Vereinsvermögens. Das Gericht wies die Klage von 10 Personen ab, die kurze Zeit vor dem Vereinsverbot das Grundstück der damaligen Vereinszentrale in Köln für einen bar entrichteten Kaufpreis von 600.000 , erworben hatten. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts haben die Kläger beim Abschluss des Kaufvertrages mit dem 'Kalifatsstaat' zusammengewirkt, um Vermögenswerte dem bevorstehenden Zugriff des Staates zu entziehen. Medieneinsatz Der 'Kalifatsstaat' verbreitete sein Gedankengut über die wöchentlich erscheinende verbandseigene Zeitung 'Ümmet-i Muhammed' sowie über 'HAKK-TV', eine Fernsehsendung, die wöchentlich ausgestrahlt wurde. Der 'Kalifatsstaat' nutzt auch das Internet zu Propagandazwecken. Die ehemalige Homepage wurde zwar verboten, 217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 dann jedoch unter einer neuen Adresse auch mit deutschen Seiten wieder eröffnet. Seit 2004 existiert wieder eine Internetseite des 'Kalifatsstaates', die über einen Server aus den Niederlanden betrieben wird. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift 'Ümmet-i Muhammed' erschien kurz nach dem Verbot. Als Nachfolgepublikation wurde ab Anfang 2002 die Wochenzeitschrift 'Beklenen Asr-i Saadet' ('Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit') bekannt, die nach Inhalt und Aufmachung der Verbandszeitung entsprach. Ein Impressum war nicht angegeben. Nach einer bundesweiten Durchsuchungsaktion am 11. Dezember 2003 erschien auch diese Zeitschrift nicht mehr. Des Weiteren wurde ab März 2002 das in deutscher Sprache erscheinende Hochglanzmagazin 'Der Islam als Alternative' (D.I.A.) als neue Publikation unter der Postfachadresse des 'Kalifatsstaates' vertrieben. Diese Publikation wurde unaufgefordert zugesandt; beispielsweise wurden Hochschulen und Studentenvertretungen angeschrieben. Das professionell gemachte Monatsheft in deutscher Sprache agitierte nicht so eindeutig antidemokratisch und antisemitisch, wie man es von der 'Ümmet-i Muhammed' her kannte. Die letzte bekannt gewordene Ausgabe ist von November 2003. Seit dem wurde ein Erscheinen der Zeitschrift nicht mehr festgestellt. Möglicherweise ist auch dies eine Reaktion auf die Durchsuchungen im Dezember 2003. Ab März 2004 erhielten mehrere ehemalige Empfänger der 'Beklenen Asr-i Saadet' erstmals die in Abständen von zwei bis vier Wochen erscheinende Zeitschrift 'Barika-i Hakikat' ('Das Aufleuchten der Wahrheit') per Post aus den Niederlanden zugesandt. Absender oder Impressum waren auch hier nicht angegeben, allerdings fand sich der Hinweis auf eine Internetseite, die jeweils die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift enthielt. Die in türkisch verfasste 'Barika-i Hakikat' bezeichnet sich selbst als "religiöse, politische, wirtschaftliche und kulturelle Zeitung". Sie machte zunächst den Eindruck einer allgemein religiös-konservativen Publikation ohne extremistische Inhalte, enthielt in den weiteren Ausgaben aber mehr und mehr Beiträge, die auf eine Nähe zum 'Kalifatsstaat' hinwiesen. Seit Ende 2004 ist die Zeitschrift nicht mehr erschienen. Es wird aber weiterhin eine Internetseite der Zeitschrift betrieben, die hauptsächlich Texte und Tondokumente von Cemaleddin und Metin Kaplan enthält, sowie ausführlich über den in der Türkei geführten Prozess gegen Metin Kaplan berichtet. Reaktionen/Ausblick Das Verbotsverfahren und die nachfolgenden Maßnahmen haben die Organisationsstruktur des Verbandes nachhaltig erschüttert. Bedeutung und Mitgliederzahl des 'Kalifatsstaates' haben danach stark abgenommen. Gleichwohl versuchen einige Getreue weiterhin, den vorhandenen Rest zusammenzuhalten und gemeinsam Frei218 Islamismus tagsgebete sowie Koranschulungen nach ihren Vorgaben durchzuführen. Die Auswirkungen der Abschiebung und der Verurteilung Metin Kaplans in der Türkei auf seine wenigen getreuen Anhänger können noch nicht abgeschätzt werden. Ob die verbliebenen 'Kalifatsstaats'-Anhänger ihren organisatorischen Zusammenhalt endgültig verlieren oder ob und wie sie sich neu orientieren werden, ist derzeit nicht vorauszusagen. 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 220 Extremismus in Zahlen 7 Extremismus in Zahlen 7.1 Politisch motivierte Kriminalität - Bericht des Landeskriminalamtes Die nachfolgenden Daten basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes NordrheinWestfalen (LKA). Die Angaben über die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) bilden die Fälle ab, die der Polizei in Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2005 bekannt geworden sind. 7.1.1 Gesamtentwicklung Für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 wurden dem LKA insgesamt 3.456 Straftaten (einschließlich Versuche) gemeldet, die der politisch motivierten Kriminalität zuzuordnen sind. Bei 278 (8,4%) der Straftaten handelte es sich um politisch motivierte Gewaltkriminalität (PMK-Gewalt). 2.039 (59,0%) Straftaten sind den Propagandadelikten gem. SSSS 86, 86a Strafgesetzbuch (StGB) zuzurechnen. In sieben Verfahren gemäß SSSS129, 129a oder 129b StGB ermittelten das Bundeskriminalamt (BKA) beziehungsweise das LKA NRW gegen in Nordrhein-Westfalen ansässige Personen. Im Jahr 2004 wurden im Vergleich dazu 2.988 Delikte gemeldet. Dies entspricht einem Anstieg um 468 Delikte (15,7%). Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf das Ansteigen der Propagandadelikte von 1.664 auf 2.039 (22,5%), der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz von 77 auf 150 (94,8%), der Gewaltdelikte von 214 auf 278 (29,9%), bei gleichzeitigem Rückgang der übrigen Delikte von 1.033 auf 985 (-4,3%) zurückzuführen. ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Deliktsgruppen 2005 2004 Tötungsdelikte (einschließlich Versuche) 0 1 Brand-/Sprengstoffdelikte 7 4 Landfriedensbruchdelikte 42 18 Gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr etc. 9 2 Körperverletzungsdelikte 173 151 Widerstandshandlungen 34 29 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Raub/Erpressung/Freiheitsberaubung 13 9 Sexualdelikte 0 0 Zwischensumme Gewaltdelikte 278 214 Bedrohungen/Nötigungen 47 61 Sachbeschädigungen 264 302 Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB 2039 1664 Volksverhetzungen 389 409 Störung des öffentlichen Friedens 4 16 Beleidigungen 125 108 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 17 25 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 150 77 Sonstige Straftaten 143 112 Summe Gesamt 3456 2988 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Tabelle 1: Politisch motivierte Kriminalität nach Deliktsgruppen im Jahresvergleich Gewaltdelikte 144 (51,8%) der 278 bekannt gewordenen Gewaltstraftaten sind dem Phänomenbereich Rechtsextremismus, 96 (34,5%) dem Phänomenbereich Linksextremismus und 15 (5,4%) dem Phänomenbereich Ausländerextremismus zuzuordnen. Bei 23 Fällen (8,3%) war eine Zuordnung nicht möglich. Im Jahr 2004 wurden dem LKA im Vergleich dazu 214 Delikte gemeldet. Dies entspricht einer Erhöhung um 64 Delikte (29,9%). Die Zahl der Gewaltstraftaten ist in allen Extremismusbereichen gestiegen. Der zahlenmäßig größte Zuwachs entfiel mit 30 Delikten auf den Linksextremismus. 75 von 96 Taten - also fast 80% der im Phänomenbereich Linksextremismus festgestellten Gewaltstraftaten - standen im Zusammenhang mit Demonstrationen. Unter den Gewaltstraftaten nehmen Körperverletzungsdelikte (überwiegend aus dem rechtsextremistischen Bereich) eine herausragende Stellung ein (173 Vorfälle), gefolgt von Landfriedensbruchsdelikten und Widerstandshandlungen. 222 Extremismus in Zahlen 7.1.2 Einteilung nach Phänomenbereichen Von den 3.456 Fällen der politisch motivierten Kriminalität entfielen 2.545 auf den Phänomenbereich Rechtsextremismus; das sind 73,6%. 372 (10,8%) entfielen auf den Phänomenbereich Linksextremismus und 74 (2,1%) auf den Ausländerextremismus. 465 (13,5%) Fälle waren keinem der Phänomenbereiche zuzuordnen. Für den Anstieg der Gesamtzahl ist der Rechtsextremismus mit einem Plus von 365 Fällen wesentlich verantwortlich. Der Anteil von "Links" (+53) und der Anstieg der Fallzahlen, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren (+57) war deutlich geringer. Im Ausländerextremismus war ein leichter Rückgang zu verzeichnen (-7 Fälle). Tabelle 2: Politisch motivierte Kriminalität nach Deliktsgruppen und Phänomenbereichen im Jahresvergleich Phänomenbereich Rechtsextremismus Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordneten Delikte um 365 Straftaten (16,7%) gestiegen. Dies entspricht 78,0% der Gesamtzunahme. Der Anstieg ist zum überwiegenden Teil auf den Anstieg der Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB um 316 Delikte zurückzuführen. Bei der Bewertung dieses Anstiegs ist zu berücksichtigen, dass die Zahl der insgesamt gemeldeten Verstöße gegen die SSSS 86 und 86a StGB starken Schwankungen unterliegt. 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Auffällig ist unter anderem die monatliche Verteilung: In den ersten fünf Monaten 2005 lagen die Fallzahlen immer über dem Mittelwert von 212; in den folgenden sieben Monaten lagen sie immer darunter. In einigen Fällen lagen örtlich und zeitlich begrenzte Tatserien vor. In anderen Fällen führten verstärkte Maßnahmen des BGS an Bahnhöfen zu einer Aufhellung des Dunkelfeldes. Auffällig ist der Rückgang (-63) vom Mai auf Juni 2005. Mai und Juni 2005 waren hauptsächlich zwei Ereignisse längerfristig im Fokus der Öffentlichkeit: Die Ankündigung von Neuwahlen zum Deutschen Bundestag und der Fußball Confederations Cup (15.-29. Juni) in Deutschland. Beide Ereignisse dürften sich - zeitlich versetzt - auf das Meldeaufkommen ausgewirkt haben. Verstärkt wurde dieser Abwärtstrend durch die circa zwei Wochen früher (7. Juli) beginnenden Sommerferien. Die Deliktsschwerpunkte lagen im Phänomenbereich Rechtsextremismus wie in den Vorjahren bei den Verstößen gegen SSSS 86, 86a StGB (1.805), Volksverhetzungs(372) und Körperverletzungsdelikten (127). In der Entwicklung von 2001 bis 2005 ist im Phänomenbereich "Rechts" ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist bis zum Jahr 2003 die erweiterte Auslegung des Extremismusbegriffes im Rahmen der bundeseinheitlichen Bewertung von politisch motivierten Straftaten seit dem 1. Quartal 2002. Demnach sind Straftaten gemäß SS 86a StGB, bei denen keine Tatsachen für oder gegen eine extremistische Begehungsweise vorliegen, dem Verfassungsschutz als Prüffälle zur Bewertung vorzulegen. Der Verfassungsschutz des Landes NRW bewertete diese Prüffälle gemäß eines gemeinschaftlichen Beschlusses aller Verfassungsschutzbehörden der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich als extremistisch. Eine extremistische Straftat muss aber immer einem der drei Phänomenbereiche zugeordnet werden. Dies führte hinsichtlich der Verstöße gegen den SS 86a StGB zu einer deutlichen Verschiebung zum Phänomenbereich "Rechts". Phänomenbereich Linksextremismus Gegenüber dem Vorjahr ist die Fallzahl für den Phänomenbereich Linksextremismus um 53 Delikte (16,6%) gestiegen. Hauptsächlich ist diese Entwicklung bestimmt durch den Anstieg bei den Verstößen gegen das Versammlungsgesetz um 31 Delikte (64,6%) und den Anstieg der Gewaltdelikte um 30 Delikte (45,5%). Prägend für diese Entwicklung sind die Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen. Hier stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr von 139 auf 187 Delikte (34,5%) und der prozentuale Anteil von 43,6% auf 50,3%. Die Deliktsschwerpunkte bilden wie in den Vorjahren die Sachbeschädigungdelikte (108) und die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (79). 224 Extremismus in Zahlen Phänomenbereich Ausländerextremismus Gegenüber dem Vorjahr sind die Fallzahlen im Phänomenbereich Ausländerextremismus um 7 Delikte (-8.6%) gesunken. Der Schwerpunkt der Delikte lag bei den Verstößen gegen das Vereinsgesetz. In der langfristigen Entwicklung ist - mit Ausnahme der Sondersituation in 2003 - die Tendenz im Phänomenbereich Ausländerextremismus rückläufig. Grund hierfür ist der kontinuierliche Rückgang der Verstöße gegen das Vereinsgesetz. Mit Ausnahme von 2003 (in diesem Jahr wurden 339 Verstöße gegen das Vereinsgesetz durch Anhänger des verbotenen Kaplanverbandes festgestellt) handelte es sich hauptsächlich um Verfahren gegen Mitglieder der PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Delikte, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren Bei diesen Delikten ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 57 Straftaten (14,0%) zu verzeichnen. Dies ist hauptsächlich auf den Anstieg der Verstöße gegen SS 86a StGB um 56 Straftaten (33,1%) zurückzuführen. Der Deliktsschwerpunkt lag, wie in den Vorjahren, bei den Verstößen gegen SS 86a StGB (225) und den Sachbeschädigungsdelikten (92). Zwischen 2001 und 2003 ist ein stetiger Rückgang der Fallzahlen zu beobachten. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist die bereits erläuterte erweiterte Auslegung des Extremismusbegriffes im Rahmen der bundeseinheitlichen Bewertung von politisch motivierten Straftaten seit dem 1. Quartal 2002. Erst 2004 ist wieder eine Steigerung zu verzeichnen. Extremistische Straftaten Insgesamt wurden 2.594 (75,1%) Straftaten als extremistisch gemeldet. Davon entfielen 2.416 (93,1%) auf den Phänomenbereich "Rechts" und 112 (4,3%) auf den Phänomenbereich Linksextremismus. Im Bereich des Ausländerextremismus wurden 66 (2,6%) Fälle extremistischer Straftaten verzeichnet. Extremistische Straftaten 2.594 112 66 # Rechts # Links # Ausländer Internationale Bezüge Bei 129 (3,7%) aller politisch motivierten Straftaten wurde ein internationaler Bezug festgestellt. Davon entfielen 60 (61,9%) auf den Ausländerextremismus, 41 (9,3%) auf 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 den Rechtsextremismus und 9 (9,3%) auf den Phänomenbereich Linksextremismus. 19 (19,5%) Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. 7.1.3 Themenfelder Insgesamt lagen die thematischen Schwerpunkte der Straftaten wie in den Vorjahren in den Bereichen Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus mit 2.031 Nennungen und Hasskriminalität mit 782 Nennungen. Ursächlich hierfür ist die zahlenmäßige Dominanz des Phänomenbereichs Rechtsextremismus, dem diese Themenfelder hauptsächlich zuzuordnen sind. Im Phänomenbereich Linksextremismus lag der Schwerpunkt bei den Themen Antifaschismus (178), Konfrontation/Politische Einstellung (177) und Innenund Sicherheitspolitik (139). Im Ausländerextremismus bewegten sich die meisten Delikte, wie in den Vorjahren, in den Themenfeldern Innenund Sicherheitspolitik (35) und Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität (30). Bei den Delikten, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren, lagen die Schwerpunkte bei den Themenfeldern Innenund Sicherheitspolitik (99), Konfrontation/politische Einstellung (77) und Ökologie/Industrie/Wirtschaft (70). Zu beachten ist, dass bei der Zuordnung von Delikten zu einzelnen Themenfeldern eine Mehrfachnennung nicht nur möglich, sondern, sofern zutreffend, ausdrücklich erwünscht ist. So wurden zum Beispiel bei Delikten, die dem Themenfeld Hasskriminalität zugeordnet worden sind, sehr häufig andere Themenfelder mitgenannt. Die Gesamtzahl aller genannten Themenfelder übersteigt somit zwangsläufig die Gesamtzahl der gemeldeten Delikte. Antisemitische und fremdenfeindliche Straftaten 1 Bei den 212 Straftaten, die (zumindest auch) aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wurden (antisemitische Straftaten), handelt es sich zum überwiegenden Teil (199) um Straftaten aus dem Phänomenbereich "Rechts". In acht Fällen war die Straftat dem Phänomenbereich "Ausländer", in einem Fall dem Phänomenbereich "Links" und in vier weiteren Fällen keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Insgesamt ist hier ein Rückgang von 14 Straftaten (-6,2%) zu verzeichnen. Antisemitische Straftaten 212 18 4 # Rechts # Links # Ausländer # nicht zuzuordnen 226 Extremismus in Zahlen Von den 611 fremdenfeindlichen Straftaten entfielen 549 auf den Phänomenbereich "Rechts", 22 auf den Phänomenbereich "Ausländer" und eine auf den Phänomenbereich "Links". 39 Straftaten waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Damit stieg die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 59 Straftaten (10,7%). Gegenläufig ist der Trend bei den Gewaltdelikten. Hier gingen die Fallzahlen um neun Delikte (-10,0%) zurück. Fremdenfeindliche Straftaten 549 1 22 39 # Rechts # Links # Ausländer # nicht zuzuordnen In 54 Fällen waren die Taten sowohl fremdenfeindlich als auch antisemitisch motiviert. Die Deliktsschwerpunkte lagen bei Volksverhetzung (124 antisemitisch, 276 fremdenfeindlich) und Verstößen gegen SSSS 86, 86a StGB (50 antisemitisch, 139 fremdenfeindlich). Straftaten im Zusammenhang mit der Landtagsbeziehungsweise Bundestagswahl Insgesamt wurden 197 Straftaten gemeldet, die im Zusammenhang mit der Landtagswahl (130) und Bundestagswahl (67) standen. Bei dem überwiegenden Teil der Straftaten (74) handelte es sich um Sachbeschädigungsdelikte. 77 Delikte konnten keinem Phänomenbereich, 64 dem Phänomenbereich "Rechts" und 56 dem Phänomenbereich "Links" zugeordnet werden. Damit standen 2005 insgesamt 35 Straftaten (21,6%) mehr im Zusammenhang mit Wahlen als 2004 (Kommunalund Europawahl). Entscheidend für die eher geringe Fallzahl im Zusammenhang mit der Bundestagswahl war die kurze Wahlkampfzeit, die zudem überwiegend in die Sommerferien von NRW fiel. Gegenüber der letzten Bundestagswahl gingen die Fallzahlen um mehr als die Hälfte zurück. Straftaten im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen 319 Straftaten standen im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 83 (35,2%) Delikte. Dabei entfielen 187 Delikte auf den Phänomenbereich Linksextremismus und 81 auf den Phänomenbereich Rechtsextremismus. Den Schwerpunkt bildeten hier die Demonstrationen im 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Rahmen der sogenannten Rechts-Links-Konfrontation. Allein im Zusammenhang von fünf Demonstrationen wurden 106 Straftaten festgestellt. Fazit Die Entwicklung der Gesamtfallzahlen der letzten fünf Jahre entspricht einer Kurve, die in den Jahren 2002 bis 2004 auf einem niedrigen Niveau verläuft. Mit 3.456 Delikten im Jahr 2005 wird dieses niedrige Niveau verlassen und sich dem Spitzenwert von 3.619 Delikten aus dem Jahr 2001 angenähert. Für die Fallzahlenentwicklung 2005 war wegen ihrer zahlenmäßigen Dominanz, wie zumeist auch in den Vorjahren, die Entwicklung im Rechtsextremismus entscheidend. Bestimmt wurde diese hauptsächlich durch die Zunahme bei den so genannten Propagandadelikten in den ersten fünf Monaten des Jahres 2005. Mitgetragen wurde diese Entwicklung auch durch kleinere zeitliche und/oder örtliche Häufungen. Die Auswertung insbesondere der ungeklärten Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB hat aber auch gezeigt, wie abhängig die Fallzahlenentwicklung vom Fokus der Öffentlichkeit ist. Richtet sich die Aufmerksamkeit über längere Zeit auf andere Ereignisse, sinkt das Meldeaufkommen. Die Entwicklung im Phänomenbereich Linksextremismus ist überwiegend ausgerichtet an der Entwicklung des Demonstrationsgeschehen von Rechtsextremisten. Je mehr diese Demonstrationen durchführen, desto mehr ist mit unfriedlichen Gegendemonstrationen durch Linksextremisten zu rechnen. Das Themenfeld Sozialpolitik hat bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Es ist anzunehmen, dass mit weiteren sozialen Verschlechterungen dieses Themenfeld an Bedeutung gewinnen wird. Mit anderen Mobilisierungsthemen der "linken Szene" ist 2006 nicht zu rechnen. Die Entwicklung der Gewaltdelikte wurde 2005 hauptsächlich durch die Entwicklung im Phänomenbereich Linksextremismus bestimmt. Dies wird sich 2006 fortsetzen. 7.1.4 Herausragende Sachverhalte : Leichlingen, 19. Januar 2005: In den frühen Abendstunden steckte ein 14-jähriger Jugendlicher im Hausflur einer Asylbewerberunterkunft einen Kinderwagen in Brand. Dadurch entzündeten sich auch die Eingangstür und die Starkstromverkabelung an der Decke. Das Feuer konnte durch Anwohner gelöscht werden. Personenschaden entstand nicht. Der Jugendliche ist hinsichtlich seiner pyromanischen Veranlagung bekannt. Mit beigetragen bei der Auswahl seines Tatortes hat auch eine gewisse fremdenfeindliche Haltung des Jugendlichen, die auf Probleme mit ausländischen Klassenkameraden zurückzuführen ist. 228 Extremismus in Zahlen : Dortmund, 28. März 2005: In den frühen Abendstunden kam es im Gleisbereich einer U-Bahnhaltestelle zu einem Tötungsdelikt zum Nachteil eines Angehörigen der linken Szene. Dieses Delikt wird in der linken Szene als "rechte" Straftat angesehen. Der Beschuldigte wurde vom LG Dortmund zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung wies das LG Dortmund aus, dass es sich nicht um eine politisch motivierte Straftat handelte. : Winterberg, 15. April 2005: In der Nacht wurde eine mit Schießpulver und Metallteilen gefüllte Bierflasche durch die Fensterscheibe einer Asylunterkunft geworfen, wobei die Flasche nicht explodierte. Es entstand kein Personenschaden. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. : Bielefeld, 20. Mai 2005: In den späten Abendstunden wurde der Tierunterstand der Biologischen Station Bielefeld/Gütersloh von bisher unbekannten Tätern in Brand gesetzt. Durch die eintreffende Feuerwehr konnte das Feuer gelöscht werden. Dieser Brand steht im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Straftaten, die ihren Anfang mit der geplanten Trassenverlegung und dem Weiterbau der A 33 seit dem Jahr 1999 haben. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. : Wuppertal, 27. Juli 2005: In der Nacht wurden in der Nähe eines Bahnhofs zwei Container in Brand gesetzt. Personenschaden ist nicht entstanden. Das vor Ort gefundene Bekennerschreiben ist der linksextremistischen Szene zuzuordnen. : Marl, 16. August 2005: Durch ein offenes Fenster wurde ein Molotowcocktail in die Wohnung eines srilankischen Staatsangehörigen verbracht. Dem Geschädigten gelang es, den Molotowcocktail zu löschen. Personenschaden ist nicht entstanden. Als Hintergrund ist ein Zusammenhang mit einer Spendengelderpressung zu sehen. Die Ermittlungen dauern noch an. : Lerngerich, 26. September 2005: In der Nacht wurde im Eingangsbereich einer Asylunterkunft Feuer gelegt. Das Feuer konnte durch Polizeibeamte gelöscht werden, bevor weiterer Sachbeziehungsweise Personenschaden entstanden ist. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 7.2 Bericht des Justizministeriums 7.2.1 Verfahren wegen rechtsextremistischer Aktivitäten Bei den Staatsanwaltschaften des Landes sind im Jahr 2005 insgesamt 3.352 einschlägige Verfahren neu anhängig geworden. In dieser Zeit ist in 661 Verfahren gegen 831 Personen Anklage erhoben beziehungsweise Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden. Rechtskräftig verurteilt wurden 243 Personen; 36 Angeklagte wurden freigesprochen. Gegen 163 Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt beziehungsweise die Untersuchung auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. 7.2.2 Verfahren wegen linksextremistischer Aktivitäten Wegen Straftaten, deren Ursprung dem Bereich des Linksextremismus zuzuordnen ist, haben die Staatsanwaltschaften im Berichtszeitraum insgesamt 1.021 Verfahren neu eingeleitet. Im Jahr 2005 ist in 96 Verfahren gegen 101 Personen Anklage erhoben beziehungsweise Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden. 24 Angeklagte wurden rechtskräftig verurteilt; vier angeklagte Personen wurden freigesprochen. Gegen 40 Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt beziehungsweise die Untersuchung auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. 7.3 Mitglieder in extremistischen Organisationen 7.3.1 Rechtsextremismus Die Mitgliederzahl der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen (einschließlich rechtsextremistischer Skinheads) betrug Ende 2005 in NordrheinWestfalen 4.910 (2004: 4.310). :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2005 2004* DVU (einschließlich DVU e.V. und Aktionsgemeinschaften) 1.400 1.500 REP 850 900 NPD (einschl. JN) 770 570 Neonazistische Kameradschaften 230 Extremismus in Zahlen einschließlich mobilisierbares Potential 460 340 Militante Rechtsextremisten einschließlich Skinheads** (einschließlich registrierter Szenen) 1.250 850 Sonstige 300 340 Doppelmitgliedschaften -120 -190 Summe 4.910 4.310 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Tabelle 3: Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen * Die Personenpotentiale 2004 sind nur bedingt vergleichbar, da 2005 eine genauere Differenzierung vorgenommen wurde. ** In der Gesamtzahl sind circa 380 Personen enthalten, die organisationsunabhängig sind, aber mit rechtsextremistischem Gewaltbezug (Körperverletzung, Androhung von Gewalt) auffällig wurden. 7.3.2 Linksextremismus Die Mitgliederzahl der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen betrug Ende 2005 in Nordrhein-Westfalen 4.000 (2004: 3.900). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2005 2004 Militante Linksextremisten/Autonome 500 500 DKP 1.500 1.500 Linkspartei.PDS > 1.350 1.250 MLPD 650 650 Summe 4.000 3.900 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Tabelle 4: Mitgliederzahlen linksextremistischer Organisationen 7.3.3 Ausländerextremismus Die Mitgliederzahl der im Verfassungsschutzbericht erwähnten extremistischen Ausländerorganisationen betrug Ende 2005 in Nordrhein-Westfalen 3.320 (2004: 3.000). 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2005 2004 DHKP-C 200 200 MLPK u. KP-IÖ 250 250 KONGRA-GEL beziehungsweise PKK 2.000 2.000 NWRI 400 400 API 120 120 LPK 30 50 FBKSh 20 20 LTTE 300 280 Summe 3.320 3.300 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Tabelle 5: Mitgliederzahlen extremistischer Ausländerorganisationen 7.3.4 Islamistische Organisationen Die Mitgliederzahl der islamistischen Organisationen betrug Ende 2005 in NordrheinWestfalen 8.590 (2004: 8.440). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2005 2004 HAMAS 70 70 Hizb Allah 350 350 Hizb ut-Tahrir 70 70 MB/IGD/IZA 320 320 Tabligh-i Jamaat (TJ) 150 - FIS 80 80 IGMG 7.200 7.200 Kaplan-Verband 350 350 Summe 8.590 8.440 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Tabelle 6: Mitgliederzahlen islamistischer Organisationen 232 Spionageabwehr 8 Spionageabwehr 8.1 Überblick Die erfolgreiche Arbeit der Spionageabwehr in einem Verfassungsschutzbericht darzustellen, ist schwierig, weil die interessanten Informationen und Details als "Vertraulich" beziehungsweise "Geheim" eingestuft sind und deshalb nicht zur Veröffentlichung freigegeben sind. Die folgenden Schlagzeilen aus Presseveröffentlichungen des Jahres 2005 zeigen aber: Spionage gibt es immer noch! "US-Behörden decken chinesischen Spionagering auf" (Die Welt 7. November 2005) "Festnahme wegen mutmaßlicher Spionage" (GBA 10/2005) "Praktikantin wegen Spionage verhaftet" (Spiegel online 5. Mai 2005) "Russische Geheimdienste bekommen Zugang zu Datenbanken über Fernmeldeteilnehmer" (Internetzeitung Russland, RU vom 01. September 2005) Solche sichtbaren Erfolge kann die Spionageabwehr aber in der Regel nur dann öffentlich präsentieren, wenn die Fälle bereits weit zurückliegen und keine Gefahr mehr für geheime Mitarbeiter und/oder Informanten besteht. Hinzu kommt, dass der Arbeitsalltag der Spionageabwehr meist weniger spektakulär verläuft, als es in einschlägigen Büchern oder Filmen vermittelt wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spionageabwehr wenden zwar im Einzelfall so genannte "nachrichtendienstliche Mittel" wie Observation, EinschleuMini-Spionagekamera sung von geheimen Mitarbeitern und Vertrauensleuten, Telefonund Video-Überwachung an. Aber mit Schlapphut, Trenchcoat und Sonnenbrille kommen sie nicht daher, wie es manchen Lesern vielleicht aus den genannten Klischees vor Augen ist. Die überwiegende Arbeit der Beschäftigten der Spionageabwehr besteht aus dem Zusammentragen kleinster Puzzleteilchen, um aktuelle Lagebilder über die Aufklä233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 rungsaktivitäten fremder Nachrichtendienste in unserem Land erstellen zu können. Dabei stehen insbesondere Informationen über Angriffsziele, Personalstärke, Strukturen und Arbeitsweisen (zum Beispiel Werbungsmethoden, Ausbildung, nachrichtendienstliche Hilfsmittel, Verbindungswege etc.) der fremden Nachrichtendienste im besonderen Fokus der Spionageabwehr. Auch im Jahr 2005 hat sich bestätigt, dass die klassischen Ausspähungsziele der fremden Nachrichtendienste nach wie vor in den Bereichen Militär, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik liegen. Insbesondere China, Russland und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion sind in der Nachrichtenbeschaffung auf den vorgenannten Feldern nach wie vor aktiv und zwar trotz - im Einzelfall - erheblicher Annäherungsbemühungen an westliche Staaten auf anderen Gebieten, beispielsweise bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Ausforschen von Regimegegnern in der Bundesrepublik Deutschland ist für Länder wie zum Beispiel Iran und Syrien ebenso aktuell wie die Beschaffung von ausfuhrbehinderten und proliferationsrelevanten Produkten und Know-how. Letztgenannte Beschaffungsbemühungen stehen auch im zentralen Interesse der Nachrichtendienste von Ländern wie Nordkorea, Pakistan und Indien. Neben der eigentlichen Abwehr von Spionage, die die Aufklärung von Verdachtsfällen, die Aufnahme von Gegenoperationen und die methodische Auswertung der Strukturen, Ziele und Arbeitsweisen fremder Nachrichtendienste zum Inhalt hat, ist die Spionageabwehr des Landes Nordrhein-Westfalen bereits seit 2001 auch intensiv in die vorbeugende Bekämpfung von Wirtschaftsspionage und in den Wirtschaftsschutz eingebunden. Einzelheiten zur Sicherheitspartnerschaft Nordrhein-Westfalen, die am 26. Oktober 2001 in Düsseldorf mit dem Ziel der Verbesserung des Informationsaustausches zwischen der Wirtschaft und den Sicherheitsbehörden geschlossen wurde, sind insbesondere dem Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002, den nachfolgenden Verfassungsschutzberichten und den Ausführungen im Internet des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes unter www.im.nrw.de/wirtschaftsspionage zu entnehmen. 8.2 Spionageaktivitäten des Iran Wie schon seit einigen Jahren ist die Beobachtung und Abwehr von nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Iran ein Schwerpunkt der NRW-Spionageabwehr. Im zurückliegenden Jahr beschäftigte die innenund außenpolitische Entwicklung dieser Nation die internationale Staatengemeinschaft ununterbrochen. 234 Spionageabwehr Durch die Präsidentschaftswahlen im Sommer gelangte - auch für westliche Beobachter überraschend - der als streng konservativ bekannte Teheraner Bürgermeister Ahmadinedschad an die Macht. Zusammen mit der konservativen Parlamentsmehrheit aufgrund der Wahlen vom Februar 2004 besteht international Einigkeit darüber, dass nunmehr die Vorgaben der klerikalen Führung buchstabengetreu umgesetzt werden. Dies wird besonders deutlich bei der Absicht der Führung, atomwaffenfähiges Plutonium für Forschungen zu erhalten. Mit Blick auf die dortigen innenpolitischen Verhältnisse misstraut die internationale Gemeinschaft dem Iran und befürchtet den Bau einer Atombombe. Verstärkt werden diese Befürchtungen durch die permanente Weiterentwicklung einer weitreichenden Trägerrakete, die bereits jetzt die ersten Ziele in Südeuropa bedroht. Auch die wiederholten anti-isrealischen Äußerungen des neuen Präsidenten vertiefen den Eindruck, dass vom Iran eine wachsende Bedrohung ausgeht. Deshalb ist die Erkennung und Verhinderung iranischer Einkaufsbemühungen für ihre Atomwaffenund Raketenprogramme ein Aufklärungsschwerpunkt der Spionageabwehr. Zur Erfüllung dieser Aufgabe findet ein reger Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden auf Bundesund Landesebene statt. Dies führte auch in 2005 zu neuen Ermittlungsverfahren, in die die nachrichtendienstlich gewonnenen Informationen flossen. Die nachrichtendienstliche Aufklärungsarbeit wird unterstützt durch die Sensibilisierung der Wirtschaft. Dadurch soll unter anderem verhindert werden, dass die Aufmerksamkeit bei den in Frage kommenden deutschen Exportfirmen nachlässt und es zu einer falschen Gefahreneinschätzung kommt. 8.3 Weitere Staaten des Nahen Ostens/Afrikanische Staaten Viele Nachrichtendienste aus Ländern des nahen Ostens und Afrikas entfalten Aktivitäten innerhalb Deutschlands. Ihnen geht es dabei um die Ausforschung und Überwachung in Deutschland lebender Landsleute. Dabei gilt das besondere Interesse der Nachrichtendienste hier lebenden Oppositionellen, Studenten und in erster Linie islamistischen Bestrebungen, die als Bedrohung für das eigene Regime in der Heimat angesehen werden. Die Nachrichtendienste versuchen dabei, Hinweisgeber einzuschleusen, um Informationen über Strukturen, Arbeitsweisen und geplante Aktionen dieser Kreise zu erlangen. 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Nachrichtendienste dieser Länder verstärkt versuchen, über Tarnorganisationen Kontakte zu hier ansässigen Firmen herzustellen, um unter Umgehung der deutschen Ausfuhrbestimmungen Güter und Know-how für bestehende Waffenprogramme zu beschaffen. 8.4 Ferner Osten, China Die Aktivitäten der zivilen und militärischen chinesischen Nachrichtendienste, des 'Ministeriums für Staatssicherheit' (MSS) und des 'Militärischen Informationsdienstes' (MID), zielen heute insbesondere auf die Informationsbeschaffung aus den Bereichen Rüstung, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Insofern steht NordrheinWestfalen als bedeutender Wirtschafts-, Wissenschaftsund Messestandort im besonderen Fokus der chinesischen Nachrichtendienste. Zur Ausforschung wenden die chinesischen Nachrichtendienste unterschiedliche Methoden an. Beispielsweise werden chinesische Delegationen bei Reisen zu Messen, Unternehmen oder Forschungseinrichtungen von geheimen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes begleitet. Diese Agenten versuchen dann vor Ort durch Gesprächsabschöpfung oder auf anderen Wegen an wertvolle Informationen zu gelangen. Eine weitere methodische Variante zur Beschaffung von Know-how, ohne hierfür Zeit und erhebliche Forschungsund Entwicklungskosten aufzuwenden, ist die Abschöpfung im Rahmen von Joint Ventures oder anderen Kooperationen mit hiesigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Durch den Einsatz von chinesischen Beschäftigten, Praktikanten, Diplomanden und Austauschwissenschaftlern, die für den Nachrichtendienst arbeiten, wird versucht, sensible Unternehmensdaten und Forschungsergebnisse auszuforschen. Neben dem Know-how aus Wirtschaft und Wissenschaft sind die chinesischen Nachrichtendienste auch an den Aktivitäten der hier lebenden oppositionellen Auslandschinesen interessiert. Diese werden durch nachrichtendienstliche Mitarbeiter beobachtet oder unterwandert, die häufig mit den chinesischen Legalresidenturen (Botschaft, Generalkonsulate) verbunden sind. Darüber hinaus stellt die Kontrolle und Beeinflussung der hier ansässigen chinesischen Studentenorganisationen einen Schwerpunkt nachrichtendienstlicher Tätigkeit der chinesischen Nachrichtendienste dar. 236 Spionageabwehr 8.5 Russische Föderation und andere Mitglieder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) "Liebesgrüße aus Moskau - Ein russischer Konsul spionierte über Jahre die Bundeswehr aus" (Spiegel vom 18. April 2005) "Russlands Späher tarnen sich gern als Kaufleute" (Westdeutsche Zeitung vom 8. Februar 2005) "In flagranti erwischt - Trotz aller Freundschaftsschwüre schickt Präsident Putin immer mehr Spione in den geheimen Deutschland-Einsatz" (Focus vom 31. Januar 2005) Auch diese Schlagzeilen der deutschen Presse aus dem letzten Jahr machen deutlich, dass ungeachtet der positiven Entwicklung der politischen Beziehungen zur Russischen Föderation die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor ein wichtiges Ausspähungsziel für die russischen Nachrichtendienste ist. An der steigenden und im europäischen Vergleich hohen Anzahl der Nachrichtendienstoffiziere, die auf Tarndienstposten in den Auslandsvertretungen Russlands (Botschaften, Konsulate, Handelsvertretungen, staatliche Medien und Firmen) eingesetzt werden, ist das große Interesse erkennbar. Wie schon in früheren Berichten erwähnt, werden die Nachrichtendienste der Russischen Föderation seit 2003 kontinuierlich und konsequent umstrukturiert. Der Inlandsgeheimdienst 'Föderaler Sicherheitsdienst' (FSB) wurde durch Erweiterung des Aufgabengebiets, Ausstattung mit Exekutivbefugnissen und weiteren Kompetenzen sowie durch die Erhöhung der Personalund Finanzressourcen derart aufgewertet, dass die russische Presse bereits von der "Wiedergeburt des KGB" schrieb. Traditionell gehören Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Forschung zu den klassischen Aufklärungszielen der russischen Nachrichtendienste. Der Schwerpunkt der Aufklärungsaktivitäten richtet sich jedoch stets nach dem aktuellen Informationsbedürfnis der russischen Staatsführung. So ist zum Beispiel der Standpunkt der deutschen Politik zum Tschetschenienkonflikt als Aufklärungsziel hinzugekommen und gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die auf offenen und geheimen Wegen beschafften Informationen sollen den Nachrichtendiensten und damit der russischen Regierung helfen, frühzeitig politische, wirtschaftliche und militärische Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland zu bewerten, um bei Bedarf handeln und Einfluss nehmen zu können. 237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Ein schneller Zugang zu deutschem, auch ausfuhrbeschränktem Know-how ist für die Modernisierung der Wirtschaft Russlands sehr hilfreich. Der per Gesetz ermöglichte uneingeschränkte Zugang der Nachrichtendienste zu praktisch allen nationalen und internationalen Internetund E-Mailverbindungen und die Nutzung modernster Technik schaffen dafür gute Voraussetzungen. Der Nachrichtenbeschaffung dient auch die Abschöpfung bestimmter Personengruppen. So müssen zum Beispiel Dolmetscher, Journalisten, Wissenschaftler oder Behördenangehörige, die aufgrund ihrer Tätigkeiten einfachen und ungehinderten Zugang zu wichtigen Informationen bekommen, davon ausgehen, im Interessenfeld sowohl des FSB als auch der Auslandsnachrichtendienste SWR (ziviler Auslandsnachrichtendienst) und GRU (militärischer Auslandsnachrichtendienst) zu stehen. Ebenso ist bekannt, dass in einigen Fällen Geschäftsreisende und Angehörige deutscher Vertretungen bei einem zeitlich begrenzten Aufenthalt in der Russischen Föderation dort vom Inlandsnachrichtendienst FSB ausgeforscht und angesprochen, teilweise sogar unter Druck gesetzt werden. Auch in allen anderen Republiken der GUS existieren Nachrichtenund Sicherheitsdienste. Die Sicherheitsorgane der GUS verfügen mittlerweile aufgrund gegenseitiger Abkommen über enge Kontakte, in deren Rahmen sie Informationen austauschen und die Zusammenarbeit fördern. Wie in der Russischen Föderation werden zurzeit auch in den anderen Republiken der GUS die Sicherheitsorgane teilweise umstrukturiert. So verfügt zum Beispiel die Ukraine seit Oktober 2004 über einen eigenständigen Auslandsnachrichtendienst. Faltblatt "Verhaltenstipps bei Geschäftsreisen" der 8.6 Abwehr von Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage Neben aktuellen Informationen zum Thema Wirtschaftsspionage bietet dieser Abschnitt auch Hinweise für den wirksamen Know-how-Schutz in Unternehmen. Unternehmen stellen sich viel zu selten die Fragen: 238 Spionageabwehr Spionage : was hat das mit mir zu tun? : ist das überhaupt ein Problem für mich, gegebenenfalls für mein Unternehmen? : rechnet sich eine Beschäftigung mit diesem Thema? Ein Blick auf aktuelle Untersuchungen renommierter Beratungsunternehmen zeigt aber, dass Know-how-Verlust eine weit verbreitete Erscheinung ist. Das Wirtschaftsberatungsunternehmen KPMG hat in seiner letzten Studie zu diesem Thema herausgearbeitet, dass etwa 20% der Wirtschaftskriminalität in den Bereich Informations-/Datendiebstahl und Spionage fallen. PriceWaterhouseCoopers grenzt die Zahl weiter ein und stellt in einer Untersuchung aus dem Jahr 2003 fest, dass es sich nur bei einem Prozent der dort festgestellten Delikte um Spionage handelt. Angesichts dieser Zahl - ein Prozent - könnte man das Problem als so minimal ansehen, dass eine weitere Beschäftigung damit nicht lohnenswert erscheint. Wie die Studie von PriceWaterhouseCoopers aber sehr eindrucksvoll belegt, verursacht dieses eine Prozent alleine 30% der Schäden der gesamten Wirtschaftskriminalität. Nimmt man den Bereich der Produktpiraterie hinzu, der sicherlich auch nicht ohne fremdes Know-how arbeiten kann, erreicht man sogar einen Wert von insgesamt 57% Schadensanteil im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Gegen diese Werte fallen andere Positionen, wie Schäden durch Betrug beziehungsweise Untreue und Cybercrime kaum ins Gewicht. Zugleich macht die Folgestudie des Unternehmens aus 2005 deutlich, dass die Wirtschaftskriminalität im Bereich der Industriespionage/Produktpiraterie - also insbesondere der Verlust von Know-how aus Unternehmen - zwischen 2003 und 2005 von 8% auf 13% gestiegen ist. Dass hieran auch die Nachrichtendienste fremder Staaten einen nicht unerheblichen Anteil haben, bestätigt sich in der täglichen Arbeit der Spionageabwehr NordrheinWestfalen. Während früher die Macht eines Staates, seine Rolle und seine Stimme im Geschehen der Weltpolitik in erster Linie von seiner militärischen Stärke abhing, leben wir heute in einem globalen System, in dem wirtschaftliche Stärke der Grundstein für Macht und Wohlstand bedeutet. Es gilt mehr denn je der Satz von Richard Nixon: "Ökonomische Macht ist der Schlüssel zu den anderen Formen der Macht." Daher 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 stehen heute vor allem die Wirtschaft und die Wissenschaft eines Landes im Visier nachrichtendienstlicher Aufklärung. Die Erfahrungen der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen zeigen, dass zu viele Unternehmen in der Vergangenheit ihre Augen vor dieser neuen Bedrohung verschlossen haben. Häufig scheint das rheinische Lebensmotto: "Et es no immer joot jejange!" zu gelten. Wenn man aber erst dann auf den Know-how-Schutz aufmerksam wird, wenn der Schadensfall bereits eingetreten ist, können die Auswirkungen nur noch eingedämmt, aber nicht mehr verhindert werden. Wie kann ich mein Unternehmen schützen? Hier setzt die nordrhein-westfälische Spionageabwehr mit ihrem individuellen Präventionsangebot an. Dieses richtet sich vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen, denen Beratung und Unterstützung durch persönliche Ansprechpartner angeboten werden. In Abgrenzung zu privatwirtschaftlichen Beratungsgesellschaften konzentriert sich die Spionageabwehr auf ein exklusives Teilsegment, das aus behördlichen Quellen gespeist wird. Diese werden für die Unternehmen zusammengefasst und aufbereitet, und die Ergebnisse werden der Wirtschaft kostenfrei und unbeeinflusst durch kommerzielle Interessen zur Verfügung gestellt. Unser Ziel ist es, die Sensibilität für das Thema Spionage und Know-howAbfluss zu verstärken. Das möchten wir erreichen, indem wir den Unternehmen eine realistische Situationseinschätzung ermöglichen und Informationen zur Verfügung stellen, die in die Erarbeitung eines Sicherheitsprogramms für ihre Firma einbezogen werden können. Weitere Informationen finden Sie im Internet in unserem Online-Informationsund Servicepool unter: www.im.nrw.de/wirtschaftsspionage. Auf dieser Webseite finden 240 Spionageabwehr Sie auch den bundesweit einzigen Online-Test "Wirtschaftsspionage - ist mein Unternehmen gefährdet?" sowie die Online-Checkliste "Anhaltspunkte für proliferationsrelevante Geschäfte". Resümee Wirtschaftsspionage (staatlich gelenkt oder gestützt) und Konkurrenzausspähung (durch konkurrierende Unternehmen) oder eine Kombination dieser Bedrohungen gefährden den durch herausragendes Know-how geprägten Wirtschaftsstandort Deutschland. Obwohl ein wirksamer Schutz hiergegen nur unter Berücksichtigung unternehmensspezifischer Gesichtspunkte zu erreichen ist, kann aber schon die Beachtung einiger "goldener" Regeln hilfreich sein: : Nicht warten bis der Spionagefall eingetreten ist; : Aktuelle Informationen bei kompetenten Partnern einholen; : Informationsschutz als Bestandteil der Firmenstrategie festschreiben; : Sicherheitskonzept ganzheitlich anlegen, regelmäßig analysieren und gegebenenfalls aktualisieren; : Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen kontrollieren, Sicherheitsverstöße sanktionieren; : Schutzmaßnahmen auf den Kernbestand zukunftssichernder Informationen konzentrieren; : Frühwarnsystem zur Erkennung von Know-how-Verlust installieren; : Auffälligkeiten und konkrete Hinweise konsequent verfolgen. Bei der Implementierung eines angepassten Sicherheitsmanagements im Unternehmen möchte die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen Sie unterstützen. Wenn Sie an ausführlicheren Auskünften oder an einem Gespräch mit uns interessiert sind, nehmen Sie Kontakt mit uns auf: Herr Backes Telefon: 0211/ 871-2916 E-Mail: werner.backes@im.nrw.de 241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Herr Helbig Telefon: 0211/ 871-2737 E-Mail: juergen.helbig@im.nrw.de Herr Karden Telefon: 0211/ 871-2334 E-Mail: wilfried.karden@im.nrw.de Herr Vesper Telefon: 0211/ 871-2885 E-Mail: reinhard.vesper@im.nrw.de oder Innenministerium NRW Abteilung 6 - Stichwort "Wirtschaft" Haroldstraße 5 Telefon: 0211/871-2821 40213 Düsseldorf E-Mail: abteilung-vi@im.nrw.de Bilanz und Ausblick Die wiederum signifikant gestiegenen Beratungsanfragen aus nordrhein-westfälischen Betrieben zeigen, dass die Angebote der Spionageabwehr NRW einen Beitrag zur Unternehmenssicherheit leisten und für viele Firmen eine valide Informationsgrundlage für ihre innerbetrieblichen Sicherheitskonzeptionen darstellen. Um die Information der heimischen Wirtschaft und die Kommunikation mit den Unternehmen weiter auszubauen und damit die Sicherheit des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen weiter zu steigern, richtet die Spionageabwehr NRW in 2006 erstmalig eine Wirtschaftsschutztagung für Unternehmen in Nordrhein-Westfalen aus. Die Veranstaltung soll den Firmen und Unternehmen eine Plattform bieten, auf der sie relevante Erkenntnisse des Verfassungsschutzes erhalten, um so eine zielgerichtete und effektive innerbetriebliche Prävention betreiben zu können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten aktuelle Informationen und Lagebilder über die Themenbereiche: : Ausländerextremismus : Linksextremismus 242 Spionageabwehr : Rechtsextremismus : Wirtschaftskriminalität : Wirtschaftsspionage/Proliferation. Die eintägige Veranstaltung wird am 11. Mai 2006 im Innenministerium NordrheinWestfalen stattfinden. 8.7 Proliferation Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dafür erforderlichen Knowhows, sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen, die so genannte Proliferation, zu verhindern, ist ein Ziel des restriktiven deutschen Ausfuhrrechtes. Im Rahmen der präventiven Firmenberatungen zeigen die exportierenden Unternehmen Nordrhein-Westfalens ein großes Interesse an Informationen zu diesem Themenbereich. Aus diesem Grunde wurde die Checkliste "Anhaltspunkte für ein proliferationsrelevantes Geschäft" entwickelt und - als weiteres Medienangebot - zusammen mit grundsätzlichen Informationen - in einen Flyer eingearbeitet. Dieser kann von Interessierten als pdf-Datei heruntergeladen oder kostenfrei bestellt werden (www.im.nrw.de/sch/606.htm). Als ein weiteres Angebot wurde ein interaktiver Test zur Ermittlung des Informationsmaterial zur Wirtschaftsspionage eigenen Gefährdungspotenzials in das Informationsund Serviceportal der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen eingebunden und kann nun dort abgerufen werden. (www.im.nrw.de/sch/606.htm --> Proliferation) Zu diesem Problemkreis können Unternehmen als weitere Informationsquelle die Frühwarnschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit über die nordrhein-westfälische Spionageabwehr beziehen. Firmen, welche sich für diese Infor243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 mation interessieren, werden - nach einem Gespräch - in einen Verteiler aufgenommen und erhalten automatisch die jeweilige Aktualisierung. Weitere Angebote, neben den länderbezogenen Informationen der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen, wurden - in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie - in das von dort betreute Portal www.nrw-export.de eingestellt. So sind dort zum Beispiel Informationen zu den EU-Sanktionslisten vorhanden. Durch dieses Maßnahmenbündel konnten die durch den Austausch mit der Wirtschaft kommunizierten Bedürfnisse zu Informationsund Unterstützungsleistungen weiter ausgebaut werden. 8.8 Zum Schluss Auch in diesem Jahr bitten wir Sie wieder um Ihre Unterstützung. Sollten Sie Kenntnis von Spionageversuchen haben oder den Verdacht beziehungsweise Anhaltspunkte dafür haben, zögern Sie bitte nicht, den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen zu informieren. Wir sind für ein vertrauensvolles Gespräch wie folgt erreichbar: Telefon: 0211/871-2821 E-Mail: abteilung-vi@im.nrw.de 244 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen 9 Verfassungsschutz in NordrheinWestfalen 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal Entsprechend dem föderativen Aufbau gibt es in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eine Verfassungsschutzbehörde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln nimmt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene wahr. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sind gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Verfassungsschutzbehörde für das Land Nordrhein-Westfalen ist seit 1949 das Innenministerium (SS 2 Absatz 1 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen - VSG NRW). Für den Verfassungsschutz ist die Abteilung 6 des Innenministeriums zuständig. Im Jahr 2005 standen für Aufgaben des Verfassungsschutzes 374 Stellen sowie Sachund Investitionsmittel von 4,9 Millionen Euro zur Verfügung. 245 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Verarbeitung personenbezogener Daten Die Verfassungsschutzbehörde NRW darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten unter anderem in Dateien verarbeiten. Dies erfolgt vor allem mit Hilfe zweier Instrumente: Der "Personen-Informations-Datei" der Verfassungsschutzbehörde NRW zur eigenen Aufgabenerfüllung und dem "Nachrichtendienstlichen Informationssystem" (NADIS) der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesamt für Verfassungsschutz beziehungsweise den Landesverfassungsschutzbehörden die für deren Aufgabenerfüllung erforderlichen Daten. Zum Zweck der gegenseitigen Unterrichtung haben die Verfassungsschutzbehörden nach SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) eine gemeinsame Datenbank, das so genannte "Nachrichtendienstliche Informationssystem" errichtet, die beim Bundesamt für Verfassungsschutz geführt wird. Alle Verfassungsschutzbehörden dürfen Daten in das NADIS einstellen und von dort abrufen. Aus Datenschutzgründen kann aus dem NADIS nur erkannt werden, ob über eine Person Erkenntnisse vorliegen, nicht aber, was bekannt ist. Das NADIS enthält lediglich personenbezogene Grunddaten wie Name, Vorname, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Anschrift, außerdem einen Hinweis auf die Behörde, die den Datensatz in die Datenbank eingestellt hat. Texte oder Kürzel, die etwas über die Erkenntnisse der für die Einstellung verantwortlichen Verfassungsschutzbehörde aussagen, gehören nicht dazu. Hat eine andere Verfassungsschutzbehörde ein Interesse an Sachinformationen, so muss sie im Einzelfall bei der Behörde nachfragen, die den Datensatz eingestellt hat. Das NADIS ist also eine Hinweisdatei, aus der lediglich zu entnehmen ist, ob - und gegebenenfalls wo - über eine bestimmte Person Akten, also Aufzeichnungen über Sachverhalte, vorliegen. Das NADIS ist aufgrund seiner Konzeption nicht in der Lage, den "gläsernen Menschen" zu schaffen. NADIS-Speicherungen Nordrhein-Westfalen hatte Ende des Jahres 2005 rund 50.400 Personen im NADIS gespeichert. Ungefähr 64% der Erfassungen erfolgten im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen. Sicherheitsüberprüft und daraufhin im NADIS gespeichert werden Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind. Die Zahl derjenigen gespeicherten Personen, die mit Erkenntnissen über extremistische beziehungsweise terroristische Aktivitäten oder mit Agententätigkeit in Zusammenhang gebracht werden, beträgt circa 36% aller Speicherungen oder rund 18.200. 246 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen Gemeinsames Terrorrismusabwehrzentrum (GTAZ) Das Bundesministerium des Innern hat am 14. Dezember 2004 in Berlin das GTAZ eingerichtet. Mit dem GTAZ wird das Ziel verfolgt, den internationalen Terrorismus durch ein enges Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden und einen beschleunigten Informationsaustausch wirksamer zu bekämpfen. An dem Zentrum beteiligen sich alle für die Terrorismusbekämpfung relevanten Sicherheitsbehörden: das Bundeskriminalamt, Bundesamt für den Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, die Landeskriminalämter, die Landesämter für Verfassungsschutz, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt und der Generalbundesanwalt. Nordrhein-Westfalen ist im GTAZ kontinuierlich durch Verbindungsbeamte des Landeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes vertreten. 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit Informierte, aufgeklärte und demokratische Bürgerinnen und Bürger treten für die Demokratie und gegen ihre Gegner ein und tragen so dazu bei, unsere Demokratie und ihre Grundwerte zu schützen und zu stärken. In diesem Sinne sind aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger der eigentliche Verfassungsschutz. Die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren und aufzuklären, gehört schon seit Jahren zu den Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" ist für uns jedoch nicht nur ein Arbeitsauftrag, Aufklärungsarbeit ist ein besonderes Anliegen. Damit die Öffentlichkeit Anzeichen für Extremismus erkennen kann, setzt der NRW-Verfassungsschutz auf eine intensive Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmaterialien an. Dazu gehören Vorträge an Schulen, Broschüren und ein ständig erweitertes Informationsangebot im Internet. 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Jahresbericht/Zwischenbericht Einen wichtigen, alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfassenden Aufklärungsbeitrag liefern der seit 1978 regelmäßig im Frühjahr erscheinende Jahresbericht und der im Herbst herausgegebene Zwischenbericht. Die Berichte dienen inzwischen Gerichten und Behörden als Standardnachschlagewerke. Sie werden aber auch von der interessierten Öffentlichkeit stark nachgefragt. Online-Handbuch des Verfassungsschutzes NRW Der Verfassungsschutz NRW nutzt seit Jahren die Möglichkeiten des Internets, um der drastischen Zunahme extremistischer Angebote ein qualifiziertes Gegengewicht entgegenzustellen. Seit Ende 2003 erfahren Internet-Nutzer unter www.im.nrw.de/verfassungsschutz, was sie schon immer vom beziehungsweise über den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz wissen wollten. Das "Online-Handbuch" stellt Wissenswertes über den Verfassungsschutz und seine Aufgaben überschaubar in sieben Kapiteln dar. Wir informieren nicht nur über die Grundlagen des Verfassungsschutzes und zeigen, wer uns kontrolliert, sondern auch über die Gefahren des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus, über Islamismus, Spionageabwehr und Geheimschutz. Insgesamt erläutern wir gut 200 Stichworte zum gesamten politischen Extremismus und zur Spionageabwehr. Die Ideologieelemente, die die einzelnen Extremismusbereiche kennzeichnen, werden ebenso kompakt und verständlich dargestellt wie historische Entwicklungen. Falls Sie also zum Beispiel wissen wollen, was "national befreite Zonen" sind oder was hinter der 'Al-Qaida' steckt, besuchen Sie uns im Internet. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ist für Sie auch per E-Mail erreichbar (kontakt.verfassungsschutz@im.nrw.de). Auf diesem schnellen Weg können Sie nicht nur Publikationen, Poster und Flyer bestellen, sondern auch Fragen stellen, Kritik üben und Anregungen geben. Aktuelle Publikationen Wer Informationen zu den aktuellen Themenschwerpunkten des Verfassungsschutzes sucht, findet Berichte und Broschüren über den 'Islamischen Extremismus' und ein breites Angebot zur Aufklärung über den Rechtsextremismus, darunter die Broschüre 'Musik, Mode, Markenzeichen', die sich unter anderem mit Outfits und Codes rechts248 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen extremistisch orientierter Jugendlicher beschäftigt. Sie zeigt, anhand welcher Symbole, Musik oder Kleidungsstücke eine rechtsextremistische Orientierung erkannt werden kann und geht der Frage nach, was strafbar ist und welche Bands rassistische Propaganda verbreiten. Diese und andere Dokumente sind - jeweils in ihrer aktuellen Fassung - unter www.im.nrw.de/verfassungsschutz abgelegt. Aufklärung mit einem Comic - "Andi" ist ein voller Erfolg Im September 2005 nutzte der Verfassungsschutz NRW mit dem Bildungscomic "Andi - Tage wie dieser" einen neuartigen Weg, um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gerade unter den Jugendlichen in NRW zu fördern. Der "Andi"-Comic zeigt, was Grundrechte, Rechtsstaat, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Schulalltag konkret bedeuten. Durch die Konfrontation mit Widersprüchen zeigen die Helden des Comics, das hinter rechtsextremistischen Parolen oft die historische Verklärung von Verbrechen, gefährliche Selbstdarsteller und Geschäftemacher stecken. Der Anhang zum Comic erklärt rechtsextremistische Zeichen und Symbole. Der Comic ist von nordrhein-westfälischen Schulen rege nachgefragt worden. Aber auch weit über die Landesgrenzen hinaus wurde er bestellt. Dieser Zuspruch - die erste Auflage von 100.000 Stück war nach vier Monaten vergriffen - zeigt uns, dass wir mit dem Comic den Bedarf an den Schulen und Jugendeinrichtungen getroffen haben. Die Rückmeldungen zeigen, dass Lehrerinnen und Lehrer einen "leichten" und fundierten Zugang zum Thema gesucht haben, den sie im Unterricht vertiefen können. 249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Vortragsund Diskussionsveranstaltungen Selbstverständlich informiert der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit nicht nur schriftlich. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehört auch die Teilnahme an Vortragsund Diskussionsveranstaltungen in Schulen und Bildungseinrichtungen, bei Verbänden und Stiftungen. Aktuell werden Vorträge zum Rechtsextremismus und zum Rechtsextremismus im Internet stark nachgefragt. Die Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf mehreren Ebenen und damit gesamtgesellschaftlich erfolgt. Daher muss das Wissen des Verfassungsschutzes insbesondere für die Meinungsbildung bei den Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Aus diesem Grund wurde der Verfassungsschutz durch wissenschaftliche Mitarbeiter verstärkt. Das Wissen des Verfassungsschutzes ist in den vorgestellten Aufklärungsmaterialien für die Öffentlichkeit aufbereitet worden. Informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger können sich wirksamer für unsere Demokratie engagieren beziehungsweise extremistischen Bestrebungen entgegentreten und so dazu beitragen, dass ein gesamtgesellschaftliches Klima entsteht, das von Toleranz und Zivilcourage geprägt ist. Dies ist der beste Verfassungsschutz. 250 Abkürzungsverzeichnis 10 Abkürzungsverzeichnis A ABZ Arbeiterbildungszentrum A.F.I.D. Föderativer Islamstaat Anatolien AGIF Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland AIK Antiimperialistische Koordination AIS Arme Islamique du Salut (Islamische Heilsarmee) AKSh Armata Kombetare Shqiptare (Albanische Nationalarmee) AKP Adalet ve Kalkinma Partei (Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei) AMGT Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa ANF Ajansa Nuceyan a Firate API Arbeiterkommunistische Partei Iran AUF Alternativ, unabhängig, Fortschrittlich B BfD Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland BGD Bund für Gesamtdeutschland BKUV Bestattungskostenvereinigung BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien C CCFIS Koordinationsrat der FIS im Ausland CDK Civata Demokratik Kurdistan CH Collegium Humanum - Akademie für Umweltund Lebensschutz CHP Castle Hill Publisher D DEM-GENC Demokratische Jugend DFLP Demokratische Front für die Befreiung Palästinas DHK-C Devrimci Halk Kurtulus Cephesi DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/ -Front) D.I.A. Der Islam als Alternative DK Deutsches Kolleg DKP Deutsche Kommunistische Partei DPK/I Demokratische Partei Kurdistans/Irak 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 DVU Deutsche Volksunion E ECFR Europäischer Rat für islamische Rechtsgutachten EMUG Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft ERNK Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union FBKSh Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar (Front für nationale Vereinigung) FdGO Freiheitliche Demokratische Grundordnung FEK Föderation der Aleviten Kurdistans FFE Frauen gegen Fundamentalismus für Emanzipation - Köln e.V. FHI Flüchtlingshilfe Iran e.V. FIOE Föderation der Islamischen Organisation in Europa FIT Freies Info-Telefon FIS Front Islamique du Salut (Islamische Heilsfront) FP Fazilet Partisi (Tugendpartei) G GTZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum GfP Gesellschaft für freie Publizistik e.V. GIA Group Islamique Arme (Bewaffnete Islamische Gruppe) GSPC Groupe salafiste pour la predication et le combat (Gruppe für Predigt und Kampf) H HAMAS Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya (Islamische Widerstandsbewegung) HIK Islamische Bewegung Kurdistans (auch KIH), vormals YDK HMI Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V. HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. HPG Volksverteidigungskräfte HuT Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei) I ICCB Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi (Kaplan-Verband) IEFE Exekutivinstanz der FIS im Ausland IFIR Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrationsräte IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. 252 Abkürzungsverzeichnis IHR Institute for Historical Review IL Interventionistische Linke IZA Islamisches Zentrum Aachen IZM Islamisches Zentrum München J JF Junge Freiheit JN Junge Nationaldemokraten K KABD Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands KADEK Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan (Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) KDS Kampfbund Deutscher Sozialisten KFBF-CENI Kurdisches Frauenbüro für Frieden KFOR Kosovo Force KGÖ Kommunistische Jugendorganisation KIH siehe HIK KJB Koma Jinen Bilind KKCMTSh (Komiteti Kombetar per Clirimin dhe Mbrojtjen e Tokave Shqiptare) Nationalkomitee für die Befreiung und Verteidigung der albanischen Territorien KKK Koma Komalen Kurdistan (Demokratischer Kurdischer Konföderalismus) KNK Kurdischer Nationalkongress KONGRA-GEL Kongra Gele Kurdistan (Volkskongress Kurdistans) KON-KURD Konföderation kurdischer Vereine in Europa KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPI Kommunistische Partei Irans KP-IÖ Kommunistische Partei - Aufbauorganisation L LPK Levizija Popullor e Kosover (Volksbewegung von Kosovo) LSI Lebensschutz-Information LT T E Liberation Tigers of Tamil Eelam (Tamilische Befreiungstiger) LuK Lernen und Kämpfen M MB Muslimbruderschaft MEK Modjahedin-E-Khalq (Volksmodjahedin Iran-Organisation) METV Mezopotamya Broadcasting A/S (Mesopotamien TV) 253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 mg militante gruppe MHA Mezapotamya Haber Ajansi (Mesopotamischen Nachrichtenagentur) MLKP Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MSB Muslimischer Sozialbund e.V. N NE Nation & Europa NF National Front NGO non-governmental organization NIT Nationales Info-Telefon NLA Nationale Befreiungsarmee (Irak) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung; auch Nordische Zeitung O ÖP Özgur Politika P PAJK Freiheitspartei der Frauen Kurdistans PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PFLP Volksfront für die Befreiung Palästinas PGA Peoples Global Action PJT Pfingstjugendtreffen PKK Partya Karkaren Kurdistane (Arbeiterpartei Kurdistans) PLO Palästinensische Befreiungsorganisation PUK Patriotische Union Kurdistans PWD Patriotische-Demokratische Partei R RBB Reichsbürgerbewegung zur Befreiung Deutschlands REP Die Republikaner RF Rote Fahne RP Refah-Partei (Wohlfahrtspartei) S SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SI Solidarität International SP Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei) 254 Abkürzungsverzeichnis T TAYAD Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei TBV Tamilischer Bildungsverband e.V. TCC Tamil Coordination Comitee TECAK Bewegung der freien Jugend Kurdistans THKP/-C Türkische Volksbefreiungspartei/Front - Revolutionäre Linke TJ Tabligh-i Jamaat - Gemeinschaft zur Verkündigung TKIH Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung TKP(ML)-H Türkische Kommunistische Partei (Marxisten-Leninisten)-Bewegung TRO Tamil Rehabilitation Organization TSV Tamil Student Organization e.V. TYO Tamil Youth Organization e.V. U UCK Kosovo-Befreiungsarmee UCPMB Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac UE-LAM Union für die in europäischen Ländern arbeitenden Muslimen e.V. UNMIK United Nations Interim Administration Mission in Kosovo UMSO Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e.V. uz unsere zeit V VffG Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung VGP Vereinigung Gesamtdeutsche Politik VHO Stiftung Vrij Historisch Onderzoek VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VVV VermögensVerwaltungsVerein W WASG Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit WEF World Economic Forum WSL-D Weltbund zum Schutz des Lebens; Bundesverband Deutschland e.V. Y YDK Kurdische Demokratische Volksunion YEK Union der Yeziden aus Kurdistan YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland YEKMAL Union der kurdischen Eltern YHK Union der kurdischen Juristen 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 YKWK Verband der patriotischen Arbeiter aus Kurdistan YMK Union der Lehrer aus Kurdistan YNK Union der Schriftsteller aus Kurdistan YRK Union der Journalisten aus Kurdistan YXK Verband der StudentInnen aus Kurdistan YZK Union der Kinder aus Kurdistan Z ZvD Zentralrat der vertriebenen Deutschen 256 Stichwortverzeichnis 11 Stichwortverzeichnis A Arbeiterkommunistischen Partei Iran. Siehe API Ab jetzt.. Bündnis für Deutschland. Arbeiterpartei Kurdistans. Siehe PKK; Siehe BfD Siehe auch KONGRA-GEL Abbas, Mahmoud 183 Armee Islamique du Salut (AIS) 194 Adalet ve Kalkinma Partisi - Artgemeinschaft 57 f. Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei. Atta, Mohamed 175 Siehe AKP ATTAC 115 adil düzen 198 f., 208 el Attar, Issam 192 Adili, Gafurr 153 AUF 100 Ahmadinedschad, Mahmud 148 Aula 42 AKP 200 Auslandsorganisation der ArbeiterAktionsbüro Norddeutschland 64 kommunistischen Partei Iran Aktiv gegen Zwangsdienste 116 - Sektion Deutschland 148 Al-Aqsa e.V. 184 f. Avrupa Milli Görüs Teskilatlari. Siehe Al-Aqsa-Brigaden 184 AMGT Al-Jazeera 169, 172 f., 196 Aydar, Zübeyir 129, 134, 142 Al-Qaida 21 ff., 32, 35, 161 ff., al-Aziz, Abd 182 178, 181, 196 f. al-Tawhid 25, 176 B Albanische Nationalarmee (AKSh) 154 f. al-Banna, Hassan 29 f., 33 f., 192 Allawi, Iyad 179 Barika-i Hakikat 211, 216 Amal 186 f. Befreiungsarmee von Presovo, AMGT 199, 209 Medvedja und Bujanovac Anatolische Föderation 126 f. (UCPMB) 152 Anatolischen Föderation 127 Befreiungstiger von Tamil Eelam. Ansar al-Islam 177 ff. Siehe LTTE Antideutsch 19, 109, 120 Beisicht, Markus 56 Antifaschistisches Jugendcamp 110 Beklenen Asr-i Saadet 211, 214, 216 Antiimperialisten 19 Belhadj, Ali 194, 196 Antiimperialistische Koordination de Benoist, Alain 77 (AIK) 118 Beqiri, Idajet 153, 155 API 148 ff. Bestattungskostenvereinigung API-Hekmatist 149 ff. (BKUV) 201 Arbeit & soziale Gerechtigkeit Bewegung der freien Jugend - Die Wahlalternative. Siehe WASG Kurdistans (TECAK) 135 Arbeiterbildungszentrum (ABZ) 100, 107 BfD 54 ff. Arbeiterbildungszentrum Horst e.V. 107 bin Laden, Usama 21, 23 ff., 32, 35, Arbeiterkommunistische Partei Iran161 ff., 181, 197 Hekmatist. Siehe API-Hekmatist 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 Blood & Honour 69, 71 f. Deutschen Solidaritätskomitee Borchardt, Siegfried 65 Freier Irak 19 Bouteflika, Abdelaziz 195 f. Devrimci Sol 123 f. Buersche Zeitung 107 DHK-C 124, 126 Bundes für Gesamtdeutschland (BGD) 55 DHKP 125 Bürgerbewegung pro Köln e.V. DHKP-C 123 ff. Siehe Pro Köln Dhurwat Al-Sinam 165 Die Linke.PDS LANDESINFO C Nordrhein-Westfalen 92 Castle Hill Publishers (CHP) 75 Die Linkspartei.PDS 18, 91 ff., 115 Cenaze Fonu 201 Die Republikaner. Siehe REP Charta für Frieden und nationale Die Überflüssigen 117 Aussöhnung 195 Dissent! 115 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) DKP 18 f., 87 ff., 94, 97 f. 131, 134 f., 137 Donaldson, Ian Stuart 69 ff. Collegium Humanum - Akademie für Döring, Osman. Umwelt und Lebensschutz Siehe Karahan, Yavuz Celik e.V. (CH) 58 f. DVU 13 ff., 42, 44 ff., 48, 52, 80 Combat 18 71 f. DVU-Liste D 45 Courage 100 E D E. Xani Verlag 139 D.I.A. 211, 216 Ekmek ve Adalet 123 ff. DA'WA-Partei 187 Engel, Stefan 100 ff. Deckert, Günther 13 Erbakan, Necmettin 198 ff. Dehoust, Peter 79 ERNK 130 Demokratische Front für die Befreiung Ersoy, Arif 203, 208 Palästinas (DFLP) 182 Europäische Moscheebauund UnterDemokratische Jugend (DEM-GENC) 135 stützungsgemeinschaft (EMUG) 199 Demokratische Partei Kurdistans Europäischer Rat für islamische (DPK/I) 133 Rechtsgutachten (ECFR) 37, 39, 204 Demokratischer Kurdischer Exekutivinstanz der FIS im Konföderalismus (KKK) 20, 131 f. Ausland (IEFE) 194 Der Islam als Alternative. Siehe D.I.A. Exilregierung der iranischen Arbeiterpartei. Der Schlesier 81 Siehe Kommunistische Partei Irans (KPI) Detjen, Ulrike 92 F Deutsche Kommunistische Partei. Siehe DKP Fadlallah, Hussein 186 Deutsche Solidaritätskomitees Freier Irak118 Fatah-Bewegung 183 Deutsche Stimme 48 ff.0 Fatime Versammlung e.V. 187 Deutsche Volksunion. Siehe DVU Faurisson, Robert 74 Deutsche Volksunion e.V. 45 Fazilet Partisi (FP) 200 Deutschen Kollegs (DK) 59 FelS-Sozial-AG 117 258 Stichwortverzeichnis Firat 140 Gefährtschaft Rhein/Maas 58 FIS 32, 194 ff. Gelsenkirchener Bürgerbewegung Fleck, Helmut 54 Montagsdemonstration 104 Föderaler Sicherheitsdienst (FSB) 235 f. Genclik Vakfi 198 Föderation der Aleviten Kurdistans Gerechte Ordnung (adil düzen) 206 f. (FEK) 137 Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei - Föderation der Arbeitsimmigranten in Adalet ve Kalkinma Partisi. Siehe AKP Deutschland (AGIF) 128 Germanische Glaubens-Gemeinschaft Föderation Islamischer Organisationen wesensgemäßer Lebensgestaltung in Europa (FIOE) 37 f., 192 f. e.V. Siehe Artgemeinschaft Föderation kurdischer Vereine in Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) 79 Deutschland (YEK-KOM) 137 ff. GIA 196 f. Föderativen Islamstaat Anatolien glocal group hanau 113 (A.F.I.D) 212 Glückseligkeitspartei. Siehe Saadet Frauen gegen Fundamentalismus für Partisi (SP) Emanzipation - Köln e.V. (FFE) 145 Grauzone 66 Freie Info-Telefone (FIT) 61 Groupe Islamique Armee. Siehe GIA Freie Kameradschaft Sturm-Rhein-Sieg 65 Groupe Salafiste pour la Predication Freie Kameradschafte 63 et le Combat (GSPC) 197 f. Freie Nationalisten 60, 64 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union H (FAU) 116 Haase, Stephan 48 Freier Widerstand 14, 66, 111 HAKK-TV 211, 214 f. Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei. HAMAS 182 ff. Siehe FAP Hambastegi - Internationale Föderation Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei. Siehe iranischer Flüchtlinge (IFIR) 150 f. FAP Hammerskins 71 f. Freiheitsund Demokratiekongress Harakat Al-Muqawama Al Islamiya Kurdistans. Siehe KONGRA-GEL - Bewegung des islamischen früher: Arbeiterpartei Kurdistands (PKK) Widerstandes. Siehe HAMAS Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 133 f. Hattab, Hassan 197 Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) Haverbeck-Wetzel, Ursula 58 135 Heise, Thorsten 64 Frey, Gerhard 45, 52 Hekmat, Mansour 149 Frohnweiler, Anne 87 Heß, Rudolf 61, 62, 110 Front für nationale Vereinigung Hilfsorganisation für nationale politische (FBKSh) 153 ff. Gefangene und deren Angehörige Front Islamique du Salut. Siehe FIS e.V. Siehe HNG G Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V. (HMI) 145 f. G8-Alternatives 115 Hizb Allah 182 ff. Gama'a Islamiyya 32 Hizb ut-Tahrir. Siehe HuT Gansel, Jürgen 80 HNG 61 Gau Rheinland 65 homegrown-Netzwerke 170 259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 HuT 32, 189 ff. Islamisches Zentrum. Siehe Imam-MahdiZentrum I Islamisches Zentrum Aachen (IZA). Siehe IGD 38, 191 ff. Islamische Avantgarden IGMG 38, 198 ff. Islamisches Zentrum Hamburg 187 Ilgner, Hans-Joachim 81 Islamisches Zentrum München (IZM) 192 Ilyas, Maulawi Muhammad 180 Islamrat 193, 209 Imam-Mahdi-Zentrum 187 Izz al-Din al-Qassam-Brigaden 183 Indymedia 117 J Initiativ e. V. - Verein für Demokratie und Kultur von unten 118 ff. Jeschioro, Herbert 81 f. Interim 112 ff., 117 Jihad 25, 32, 34, 161, 164 ff., 172 Internationale Irak-Konferenz 119 ff., 191, 195 Internationale Islamische Front für Jihad Islami 32, 166 den Kampf gegen Juden und Jihadisten 161 ff., 168, 174, 197 Kreuzfahrer 163 Jina Serbilind 139 Internationale Kampagne zur Junge Nationaldemokraten (JN) 54 Verteidigung von Frauenrechten Jund al-Islam 177 im Iran e.V. 150 f. Junge Freiheit (JF) 17, 49, 78, 82 Internationale Organisation Iranischer Flüchtlinge 150 K Internationales Bulletin 127 KADEK. Siehe KONGRA-GEL Internationales Komitee gegen Kalifatsstaat 211 ff. Steinigung 150 f. Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. 110 Internationales Protesttreffen. Frieden für Kameradschaft Aachener Land 64 den Irak - Unterstützt den gerechten Kameradschaft Teutonia 65 Widerstand des irakischen Volkes 119 Kameradschaft Walter Spangenberg Interventionistische Linke (IL) 115 Köln 65, 67 [in'vers] 16 Kampfbundes Deutscher Sozialisten. Iran Liberation 143 Siehe KDS Iran NTV 144, 147 Kanal 7. Siehe TV 5 Irving, David 76 Kaplan, Cemaleddin 211 f., 216 Islamische Avantgarden 191 f. Kaplan, Metin 211 ff. Islamische Befreiungspartei. Siehe HuT Kaplan-Verband 211 Islamische Bewegung Kurdistans Karahan, Yavuz Celik (Osman Döring) 198 (HIK oder KIH) 137 Karatas, Dursun 123 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Kartal, Remzi 141 e.V. Siehe IGD KDS 65, 67 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Kerbela 123 e. V. Siehe IGMG Khaled, Amr 193 Islamische Heilsfront - Front Islamique du Khan, Mohammad Sidique 169, 173 Salut. Siehe FIS Know-how 232 ff. Islamische Widerstandsbewegung. Siehe Köbele, Patrik 87 HAMAS 260 Stichwortverzeichnis Kögel, Günter Ernst 59 f., 76 M Kommunistische Arbeiterpartei Irans. Siehe Kommunistische Partei Irans (KPI) Madani, Abbassi 194 Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ) Mahler, Horst 59, 75 ff. 128 al-Maqdisi 24 Kommunistische Partei & Marxistisch-Leninistische Partei Aufbauorganisation. Siehe KP-IÖ Deutschlands. Siehe MLPD Kommunistische Partei der Marxistische Blätter 87 Sowjetunion (KPdSU) 93 MB 29 ff., 193 ff. Kommunistische Partei MED-TV 139 Deutschlands (KPD) 87 MEDYA-TV 139 Kommunistische Partei Irans (KPI) 148 MEK 143 ff. Kommunistischer Arbeiterbund Menschenrechtsverein für Deutschlands (KABD) 101 ExiliranerInnen e.V. 145 Konföderation kurdischer Vereine Menschenrechtsverein für in Europa (KON-KURD) 137, 143 Migranten e.V. 145 KONGRA-GEL 20, 129 ff. Mesopotamische Nachrichtenagentur Koordinationsrat der FIS (CCFIS) 194 (MHA) 134, 139 Kosovo-Befreiungsarmee - militante gruppe (mg) 20, 116 UCK 152, 154 Milli Gazete 198 ff. KP-IÖ 127 ff. Milli Görüs 198 ff. Kültür Adasi 123 MLKP 127 f. Kunstund Kulturfreunde e.V. 145 MLPD 18 f., 96 f., 100 ff. Kurdische Demokratische Modaresi, Koroosh 149 f.0 Volksunion (YDK) 131 Mojahed 143, 145, 147 Kurdische VolksverteidigungsMoscheebau-Kommission e.V. 192 kräfte (HPG) 131 El Motassadeq, Mounir 175 Kurdisches Frauenbüro für Mu'askar Al-Battar 164 Frieden (KFBF-CENI) 142 Mudjahed-Anwärter 175 Kurdistan-Report 129, 139 Mudjahedin 161 ff., 173, 178, 196 Kurtulmus, Numan 208 al-Muqrin, Abdelaziz 165 Kutan, Recai 206 Musab, Abu al-Zarqawi 165, 170 f., 178 Muslimbruderschaft. Siehe MB L Muslimischer Sozialbund e.V. (MSB) 201 Mzoudi, Abdelghani 176 Lebensschutz-Informationen - Stimme des Gewissens (LSI) 58 f. N Lernen und Kämpfen 101 Liberation Tigers of Tamil Eelam. al-Nabhani, Taqhi al Din 32, 189 Siehe LTTE Nachrichten der HNG 61 al-Libi, Abu Faradsch 166 Nasrallah, Hassan 186 LTTE 155 ff. al-Nasser, Jamal Abd 31 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (NE) 79 f. Nation Europa Verlag GmbH Coburg 79 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 National Front (NF) 68 Özgür Politika 129, 132, 135, 138 f. National-Zeitung/Deutsche Wochen Zeitung (NZ) 45 P Nationaldemokratische Partei Partei des Demokratischen Sozialismus, Deutschlands. Siehe NPD Landesverband NordrheinNationale Befreiungsarmee (NLA) 144 ff. Westfalen. Siehe Die Linke.PDS Nationale Befreiungsarmee Partei des rechten Weges 199 Mazedoniens 152 Partei Gottes. Siehe Hizb Allah Nationale Befreiungsfront Partinin Sesi 127 Kurdistans 130, 134 Patriotisch-Demokratische Partei Nationale Info-Telefone (NIT) 61 (PWD) 132 Nationaler Widerstand der unabhängigen Patriotische Union Kurdistans (PUK) 132 Dortmunder Kameraden 65 Peoples Global Action (PGA) 113, 115 Nationaler Widerstand Hochsauerland 64 PKK 20, 129ff., 141 f., 223, 230 Nationaler Widerstand Ruhrgebiet 65 Siehe auch KONGRA-GEL Nationaler Widerstandsrat Iran. Pro Köln 17, 56 Siehe NWRI Proliferation 241 Nationalkomitee für die Befreiung und Verteidigung der albanischen Q Territorien (KKCMTSh) 153 Neonazi-Szene 48, 52 f., 60 ff. al-Qaradawi, Yusuf 37 ff. Neubauer, Harald 79 f. Qutb, Sayyid 31 Neue Rechte 77 f. Neuer Weg 100 R Newroz 141 Radjavi, Maryam 144, 147 Nichtige Ordnung (batil düzen) 199 Radjavi, Massoud 144 NIT-Rheinland 50 Ramadan, Said 192 non-aligned Mudjahedin 161, 174 Rebell 100, 103 Nordische Zeitung (NZ) 57 Refah Partisi 199 Nouvelle Droite 77 Reichsbürgerbewegung zur Befreiung NPD 13 ff., 42 ff., 62, 64 ff,, 80 Deutschlands (RBB) 59, 77 NWRI 143, 144 ff. Reid, Richard 181 REP 40 ff., 80 O Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Obersten Rates für die Revolution Front. Siehe DHKP-C im Irak 187 Revolutionärer Weg 103 Öcalan, Abdullah 129 ff., 140 ff. Revolutionäres Manifest 67 Öcalan, Osman 20, 132 Richter, Karl 80 Oidoxie 72 Rieger, Jürgen 57, 61 Organisation Al-Qaida in Nordeuropa 173 ROJ TV 129, 139, 143 Organisation der Jungen Rote Fahne 101, 103 Kommunisten Deutschland 150 Rotfüchse 100 Özgür Genclik 139 Rouhs, Manfred 56 Özgur Politika 131, 141 Rudolf, Germar 17, 74 f. 262 Stichwortverzeichnis Russischer militärischer AuslandsnachTamil Youth Organization e.V. (TYO) 156 richtendienst 236 Tamilische Befreiungstiger. Siehe LTTE Russischer ziviler AuslandsnachTamilischer Bildungsverband e.V. richtendienst (SWR) 236 (TBV) 156 f. Tanzim 184 S Tavir 123, 126 Saadet Partisi 199 ff. Tegethoff, Ralph 64 f. Sahar, Mahmud 183 Tugendpartei. Siehe Fazilet Partisi Saut Al-Jihad 164 Türkische Kommunisti+sche ArbeiterSaut al-Khilafah 173 bewegung (TKIH) 128 Schäfer, Paul 92 Türkische Kommunistische Partei Schlierer, Rolf 40 (Marxisten-Leninisten)-Bewegung Schönhuber, Franz 42, 80 (TKP(ML)-H) 128 Schwarzer Block 115 Türkische Volksbefreiungspartei/-Front SED-PDS 93 THKP/-C 124 Serxwebun 129, 139 TV 5 198 ff., 208 ff. al-Shafi, Abdullah 178 U Sirma, Ihsan Süreyya 208 Skinhead-Band 53, 70 ff. Ülkede Özgür Gündem 139 f. Skinhead-Konzerte 70, 71 Ümmet-i Muhammed 211 ff. Skinhead-Szene 58, 64, 68 ff. Union der Journalisten aus Skrewdriver 69 Kurdistan (YRK) 137 Solidarität International (SI) 100 Union der Kinder aus Kurdistan Solidaritätsvereins mit den politischen (YZK) 137 Gefangenen und deren Familien Union der kurdischen Eltern in der Türkei (TAYAD) 126 (YEKMAL) 137 Sozialistische Einheitspartei Union der kurdischen Juristen Deutschlands (SED) 93 (YHK) 137 Stehr, Heinz 87 Union der Lehrer aus Kurdistan Sterka Ciwan 139 (YMK) 137 Stichting Dinaar aan Islam 213 ff. Union der Schriftsteller aus Kurdistan Stimme des Gewissens 59, 75 (YNK) 137 Union der Yeziden aus Kurdistan T (YEK) 137 Tabligh-i Jamaat 180 ff. Union für die in Europäischen Taghvaie, Hamid 149 Ländern arbeitenden Muslime Takfir wa Hijra 32 e.V. (UE-LAM) 192 Taliban 178 Union Muslimischer StudentenTamil Coordination Comitee (TCC) 156 organisationen in Europa Tamil Rehabilitation Organization e.V. (UMSO) 192 e.V. (TRO) 156, 158 unsere zeit (uz) 18, 87 ff. Tamil Student Organization al-Utaibi 165 e.V. (TSV) 156 f. 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2005 V W van Gogh, Theo 23, 170 Walendy, Udo 74 Vatan. Siehe Ekmek ve Adalet Walker Lindh, John 181 Verband der islamischen Vereine und WASG 18, 92, 96 ff., 105 Gemeinden e.V. (ICCB). Weisse Wölfe 72 Siehe Kalifatsstaat Welat Press Verlag GmbH 140 Verband der patriotischen Arbeiter Weltbund zum Schutze des Lebensaus Kurdistan (YKWK) 137 Bundesverband Deutschland Verband der stolzen Frauen (KJB) 135 e.V. (WSL-D) 58 Verband der Student/Innen aus WiderstandNord 50 Kurdistan (YXK) 137 Winkelsett, Ursula 40 Verbeke, Siegfried 17, 76 Wohlfahrtspartei. Siehe Refah Partisi Verein der Iraner in Wuppertal, Wolter, Judith 56 Sympathisanten des nationalen Worch, Christian 64 f. Widerstandsrates Iran e.V. 145 WPI Briefing 148 Verein zur Förderung der Bewegung von Wulff, Thomas 64 Frauen und Mädchen für Frieden, Brot und Rosen 100 Y Verein zur Förderung des CourageYassin, Ahmed 182 Zentrums Gelsenkirchen 100 Yatim Kinderhilfe e.V. 184 f. Verein zur Förderung internationaler Yeni Atilim 127 Jugendtreffen 100 Yürüyüs 123 f. Vereinigung Gesamtdeutsche Politik e.V. (VGP) 76 Z Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust VerfolgZ-Versand 77 ten (VRBHV) 59, 75 al-Zarqawi, Abu Musab 24 f., 172 f., 176 Vermögens-Verwaltungs-Verein al-Zawahiri, Ayman 21, 23 f., 32, (VVV) 100 166, 169 ff. Vierteljahreshefte für freie Zeit für Protest 40 f. Geschichtsforschung (VffG) 75 Zentralrat der Muslime in Voigt, Udo 13 f., 48 ff. Deutschland 193 Volksbewegung von Kosovo (LPK) 152 ff. Zentralrat der vertriebenen Volksfront für die Befreiung Deutschen e.V. (ZvD) 81 f. Palästinas (PFLP) 182 Zilan-Frauenfestival 142 Volkskongress Kurdistans: Zündel, Ernst 76 Siehe KONGRA-GEL Zundel-Site 17, 76 Volksmodjahedin Iran-Organisation. Siehe MEK Volksverteidigungseinheiten (HPG) 21, 130, 133 Vrij Historisch Onderzoek (VHO) 17, 75 264 Hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für die Landtags-, Bundestagsund Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. 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