a mus erpmI Herausg ber: muirets n I d e s L a n d e s N o r e d s th f a i ln - W rfasungAbctheVe ilz P o s t f a c h1 0 3 D ü s 4 0 e l2 d1 o r f Haroldst ße 5 D ü s 4 0 e 2 l1 d3 o r f :nofel T 128 - 7 / 120 elfax: T 0 8 9 2 - 1 7 / 120 :liaM-E e K r o f n a t s k u . gV c h t z @ i. md e n r w B e s dt i l f u ü n r g B r o vs c n h ü e : e Br f sa t lu n g .cV h z @die m n r w I n te r : .w i m d en /r v f a s u n g c h t z Druck: M e I d n if a o - r Pm t G s b H c h k 3 1P 0a d e r b o n Redaktionsschluss: 31. Januar 2005 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Vorwort 2004 war für den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen ein ereignisreiches Jahr. Es war geprägt von den mörderischen Anschlägen islamistischer Terroristen einerseits und dem Erstarken der extremistischen Rechten in Deutschland andererseits. Internationaler Terrorismus Schon die Attentate im November 2003 in Istanbul machten deutlich, dass islamistische Terroranschläge nicht nur dort möglich sind, wo die Netzwerkstrukturen der Islamisten besonders ausgeprägt sind und sie geschützt agieren können. Die Anschläge in Madrid und jetzt in London fanden im Herzen Europas ihre Ziele. Nicht jedes Attentat islamischer Terroristen ist im Kontext des so genannten Jihad zu sehen. Die Abscheu erregenden Morde tschetschenischer Terroristen an Schulkindern in Beslan hatten keinen expliziten islamistischen Hintergrund; sie standen vielmehr im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkonflikt. Die Attentäter vom 11. März 2004 in Madrid und vom 7. Juli 2005 in London handelten ganz im Sinne von bin Ladens Aufruf zum "Kampf gegen die Juden und Kreuzzügler". Dieses Ereignis macht deutlich, dass islamistische Terrorzellen auch in Europa entstehen können und der Terror jedes europäische Land bedroht. Es hat sich hier auf tragische Weise bestätigt, dass Europa als gefährdeter Raum zu sehen ist. Mit zunehmend verschärfter Sicherheitslage ist auch 1 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 in der Türkei zu rechnen, wie die jüngsten Bombenanschläge kurdischer Separatisten zeigen. Dieser globalen Gefahr begegnen wir in enger Kooperation mit unseren nationalen und internationalen Partnern. Es fördert die Schlagkraft bei der Terrorbekämpfung nicht, wenn angesichts der vor uns liegenden Herausforderung das Hauptaugenmerk darauf gelegt wird, zentralistische Großbehörden zu schaffen und dafür tragende Grundsätze der bisherigen Sicherheitsarchitektur verworfen werden. Die Verantwortung der einzelnen Länder in Deutschland und der jeweiligen Innenminister für die Sicherheitspolitik, die Trennung von Verfassungsschutz und Polizei - das ist das wohldurchdachte Fundament, auf dem die Sicherheit aber auch die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger heute noch ruhen. Hier muss sorgfältig ausgelotet werden, welche Möglichkeiten der Kooperation bestehen. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das in Berlin eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ), an dem sich nordrhein-westfälische Verfassungsschützer und Polizisten beteiligen. Eine besorgniserregende Entwicklung zeichnet sich auch im Bereich des kurdischen Extremismus ab. Seitdem der KONGRA-GEL (vormals PKK) im Juni 2004 den einseitig erklärten Waffenstillstand aufgekündigt und den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat, verschärft sich die Sicherheitslage in den von Kurden bewohnten Gebieten in der Türkei. Insbesondere seit Beginn des Jahres 2005 kam es verstärkt zu Kämpfen zwischen den türkischen Streitkräften und dem militärischen Flügel des KONGRA-GEL. Insgesamt ist eine Polarisierung innerhalb der türkischen Gesellschaft zu beobachten, die extremistische Organisationen und Gewaltaktionen begünstigt. Auswirkungen dieser Eskalation auf die türkischen bzw. kurdischen extremistischen Organisationen in NRW sind derzeit nicht erkennbar - ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz NRW bleibt jedoch nötig. Rechtsextremismus Für einen kurzen Moment schien es der extremistischen Rechten in Deutschland im vergangenen Jahr zu gelingen, das jahrzehntelange Schattendasein am Rand der Gesellschaft zu beenden. Als die NPD am 19. September 2004 mit über 9% der Wählerstimmen in den sächsischen Landtag einzog und die DVU ihre Mandate in Brandenburg verteidigte, feierten sich die rechtsextremistischen Parteien selber als die kommende politische Kraft. Man träumte von der "Volksfront von Rechts", die die "nationalen Kräfte" bündeln und das verhasste System erfolgreich bekämpfen könnte. Es wurde allerdings früh sichtbar, dass die rechtsextremistischen Parteien schlussendlich nicht flächendeckend die Kraft haben würden, den Erfolg von Sachsen zu wiederholen. Schon bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September 2004 blieben NPD und REP hinter ihren Erwartungen zurück. Und die nordrhein-westfäli- 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 sche Landtagswahl im Mai 2005 endete für sie im Desaster. Mit jeweils weniger als einem Prozent der Wählerstimmen wurden NPD und REP in ihre Grenzen verwiesen. Diese zuletzt erzielten Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien sind jedoch kein Grund zur Entwarnung: Immerhin sind DVU und NPD in Brandenburg bzw. in Sachsen in die Landtage eingezogen und im Saarland nur relativ knapp gescheitert. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass in Deutschland eine bedeutender Anteil der Wählerinnen und Wähler grundsätzlich bereit ist, rechtsextremistische Positionen zu unterstützen. In dem Maße, wie die etablierten Parteien diese Stimmen nicht mehr binden können, könnten sie dem (rechts-)extremistischen Parteienspektrum zufallen. Rechtsextremistische Einstellungsmuster entstehen nicht über Nacht - und sie können nicht in einer einzigen großen Anstrengung aus der Welt geschafft werden. Den Menschen muss deutlich werden, welche Gefahren von Extremisten für unsere Demokratie ausgehen. Sie müssen den Wert unserer Gesellschaftsordnung für sich erleben können. Information und Demokratieerziehung einerseits, aber auch greifbare Perspektiven für die Menschen - das sind nach meiner Überzeugung die richtigen Mittel im Kampf gegen Extremismus gleich welcher Richtung. Der Verfassungsschutz NRW sieht in der Festigung einer demokratischen Kultur eine seiner wichtigsten Aufgaben. Zu Beginn des neuen Schuljahres, im August 2005, wird deshalb ein Heft veröffentlicht, das sich gezielt an junge Menschen richtet. In diesem Heft - einem Comic im Mangastil - wird den Schülerinnen und Schülern anhand alltäglicher Erlebnisse an einer Schule einerseits gezeigt, wie rechtsextremistische Propaganda funktioniert und andererseits, welcher unmittelbare Wert in so abstrakten Begriffen wie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steckt. In diesem Bemühen werden wir nicht nachlassen. Dr. Ingo Wolf Innenminster des Landes Nordrhein-Westfalen 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklungen im Extremismus ......................................................... 10 1.1 Rechtsextremismus ................................................................................. 10 1.2 Linksextremismus .................................................................................. 14 1.3 Islamismus .............................................................................................. 17 1.4 Ausländerextremismus ........................................................................... 20 1.5 Politisch motivierte Kriminalität ........................................................... 21 1.6 Beteiligung extremistischer Organisationen an Wahlen ........................ 23 1.6.1 Wahlen und 1. Mai 2004: "Volksfront von Rechts"? ............................. 23 1.6.2 Beteiligung linksextremistischer Parteien an der Europawahl 2004 ..... 30 2 Themen im Fokus ................................................................................. 35 2.1 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit ....................... 35 2.2 Menschenverachtung mit Unterhaltungswert ........................................ 39 3 Rechtsextremismus ............................................................................... 55 3.1 Rechtsextremistische Parteien und Organisationen ............................... 55 3.1.1 Die Republikaner (REP) ......................................................................... 55 3.1.2 Deutsche Volksunion (DVU) .................................................................. 60 3.1.4 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) .............................. 63 3.1.5 Junge Nationaldemokraten (JN) ............................................................. 71 3.1.6 Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland (BfD) ........................................... 72 3.1.7 Bürgerbewegung pro Köln e.V. (pro Köln) ............................................ 74 3.1.8 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) ......................................... 76 3.1.9 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. ................................................... 77 3.1.10 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V. (CH) und Weltbund zum Schutze des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V. (WSL-D) ..................... 78 3.2 Neonazis ................................................................................................. 80 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.2.1 Neonazis auf Bundesebene ..................................................................... 80 3.2.2 Neonazi-Szene in NRW .......................................................................... 84 3.2.3 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) ............................................. 89 3.2.4 Europäischer Darstellungsverein für lebendige Geschichte (EDLG) ................................................................................ 90 3.2.5 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) ....................................................................... 90 3.2.6 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) ......................................................... 91 3.3 Rechtsextremistische Skinheads ............................................................ 92 3.3.1 Blood & Honour und Combat 18 ........................................................... 96 3.1.2 Hammerskins .......................................................................................... 97 3.4 Revisionismus ......................................................................................... 98 3.4.1 National Journal ................................................................................... 101 3.4.2 Stiftung Vrij Historisch Onderzoek (VHO) und Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (VffG) ..................... 102 3.4.3 Vereinigung Gesamtdeutsche Politik e.V. (VGP) - (ehem.) DEUTSCHLAND - Schrift für neue Ordnung .................................... 103 3.5 Neue Rechte .......................................................................................... 104 3.5.1 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (NE) ................................. 104 3.5.2 Deutsches Kolleg (DK) ........................................................................ 106 3.6 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebe ........................................ 108 3.6.1 Verlag und Agentur Werner Symanek (VAWS) ................................... 108 3.6.2 Unabhängige Nachrichten (UN) .......................................................... 110 3.6.3 Freiheit Wattenscheid ........................................................................... 112 3.6.4 Der Schlesier ........................................................................................ 112 3.7 Rechtsextremismus im Internet ............................................................ 114 3.8 Ausstigerprogramm für Rechtsextremisten ......................................... 118 4 Linksextremismus ............................................................................... 120 4.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ............................................. 120 4.2 Partei des Demokratischen Sozialismus, Landesverband Nordrhein-Westfalen (PDS NRW) ....................................................... 123 4.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) .................... 128 4.4 Linksextremistische Autonome ............................................................ 133 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 4.5 Linksterrorismus .................................................................................. 149 4.5.1 Revolutionäre Zellen (RZ) .................................................................... 149 4.5.2 Rote Armee Fraktion (RAF) ................................................................. 149 4.6 Internet/Neue Medien ........................................................................... 150 5 Ausländerextremismus ....................................................................... 153 5.1 Türkische Organisationen .................................................................... 153 5.1.1 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front (DHKP-C) Türkische Volksbefreiungspartei/-FrontRevolutionäre Linke (THKP/-C) .................................................................................. 153 5.1.2 Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei (MLKP); Kommunistische Partei & Aufbauorganisation (KP-IÖ) ..................... 157 5.2 Kurden: Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL); Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und unterstützende Organisationen ..................................................................................... 159 5.3 Iranische Organisationen ..................................................................... 181 5.3.1 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), Volksmojahedin Iran-Organisation (MEK)..................................................................... 181 5.3.2 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) .......................................... 187 5.4 Extremistische Bestrebungen von Kosovo-Albanern im Bereich der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ......................... 190 5.4.1 Volksbewegung von Kosovo (Levizija Popullor e Kosover - LPK) ................................................... 190 5.4.2 Front für nationale Vereinigung (Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar - FBKSh) .............................................................. 191 5.5 Tamilen: Tamilische Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelam) ..................................................... 193 6 Islamismus ........................................................................................... 196 6.1 Transnationales Terrornetzwerk um Usama Bin Laden (Jihadisten; auch Mujahedin) ............................................................... 196 6.1.1 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) .............................................. 207 6.2 Irakkonflikt ........................................................................................... 209 6.3 Nahostkonflikt ...................................................................................... 211 6.4 Arabische Islamisten ............................................................................ 214 6.4.1 HAMAS (Harakat al Muqawama al Islamiya - Islamische 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Widerstandsbewegung) ......................................................................... 214 6.4.2 Hizb Allah - Partei Gottes .................................................................... 215 6.4.3 Hizb ut-Tahrir - (HuT) ......................................................................... 220 6.4.4 Muslimbruderschaft (MB); Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD); Islamisches Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. (IZA) .................................................................. 222 6.4.5 Front Islamique du Salut - Islamische Heilsfront (FIS) ...................... 224 6.4.6 Groupe Islamique Armee - Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) ..... 226 6.4.7 Groupe Salafiste pour la predication et le combat - Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) ............................................................ 226 6.5 Türkische Islamisten ............................................................................ 227 6.5.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) ............................ 227 6.5.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti); vormals Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB), so genannter Kaplan-Verband .................................................................................... 238 7 Extremismus in Zahlen ...................................................................... 246 7.1 Politisch motivierte Kriminalität ......................................................... 246 7.1.1 Deliktsqualität ...................................................................................... 246 7.1.2 Einteilung nach Phänomenbereichen ................................................... 247 7.1.3 Extremistische Straftaten ..................................................................... 250 7.1.4 Internationale Bezüge ........................................................................... 250 7.1.5 Themenfelder ........................................................................................ 251 7.1.6 Antisemitische und fremdenfeindliche Straftaten ................................ 252 7.1.7 Straftaten zum Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus ............... 252 7.1.8 Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl ............................................................... 253 7.1.9 Herausragende Sachverhalte ................................................................ 253 7.2 Zahl der Mitglieder in extremistischen Organisationen und Gruppierungen .............................................................................. 254 7.2.1 Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen in NRW ................................................................ 254 7.2.2 Mitgleiderzahlen linksextremistische Organisationen und Gruppierungen in NRW ................................................................ 255 7.2.3 Mitgliederzahlen extremistischer Ausländerorganisationen ............... 255 7.2.4 Islamistische Organisationen ............................................................... 256 7.3 Bericht des Justizministeriums ............................................................. 256 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 8 Spionageabwehr .................................................................................. 258 8.1 Spionageabwehr heute .......................................................................... 258 8.2 Die "Rosenholz-Unterlagen" - die Hinterlassenschaft des Nachrichtendienstes der ehemaligen DDR. ................................... 259 8.3 Spionageaktivitäten des Iran ................................................................ 264 8.4 Abwehr von Wirtschaftsspionage ......................................................... 265 8.5 Zum Schluss ......................................................................................... 268 9 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen ..................................... 269 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal ........................................... 269 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit .............. 270 10 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................... 273 11 Stichwortverzeichnis .......................................................................... 279 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Vorbemerkung Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörde NRW. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen wurden aufgenommen, soweit sie für das Verständnis des Berichtes und der enthaltenen Analysen erforderlich sind. Wenn einzelne extremistische Organisationen in diesem Bericht nicht erwähnt werden, ist dies kein Indiz dafür, dass sie der Beobachtung durch den Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht mehr unterliegen. Der Bericht umfasst das Jahr 2004; Redaktionsschluss war der 31. Januar 2005. Danach liegende Vorfälle sind punktuell aufgenommen worden, wenn sie von größerer Bedeutung sind. 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 1 Entwicklungen im Extremismus 1.1 Rechtsextremismus Für das Jahr 2004 können drei Kernaussagen festgehalten werden: : Mit dem so genannten "Deutschlandpakt" haben die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) und die 'Deutsche Volksunion' (DVU) ihre Entschlossenheit zu der von ihnen proklamierten "Volksfront von Rechts" unterstrichen. : Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen konnte die NPD bis auf wenige Ausnahmen nicht an ihre Erfolge in Sachsen anknüpfen. : Rechtsextremisten haben ihre Bemühungen intensiviert, Jugendliche als Zielgruppe für ihre rechtsextremistische Propaganda zu ködern. Bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 19. September zeichneten sich erste Schritte zur Zusammenarbeit von DVU und NPD ab. Die DVU trat nur in Brandenburg, die NPD nur in Sachsen zur Wahl an. Ziel dieser Absprache war es, die rechtsextremistischen Stimmen auf jeweils eine Partei zu bündeln. Am Wahltag veröffentlichte das Parteipräsidium der NPD im Internet eine Erklärung mit der Überschrift "Volksfront statt Gruppenegoismus". Dieses Signal veranlasste drei führende neonazistische Aktivisten in die NPD einzutreten. Schon einen Monat später rief der NPD-Bundesvorsitzende Voigt in seiner Rede auf dem Bundesparteitag der NPD am 30./31. Oktober 2004 zu einem "Kampf um den organisierten Willen" auf. Damit hat die NPD ihrem bisherigen Drei-Säulen-Konzept - "Kampf um die Köpfe, Kampf um die Straße und Kampf um die Parlamente" - eine weitere Säule hinzugefügt. Darüber hinaus verkündete der Bundesvorsitzende in Gegenwart des amtierenden DVU-Vorsitzenden Dr. Gerhard Frey eine weitere Wahlabsprache zur Bundestagswahl 2006 und zur Europawahl 2009. Dabei ist vorgesehen, dass die NPD zur Bundestagswahl 2006 antritt und auf ihrer Liste DVU-Kandidaten aufnimmt, während zur Europawahl 2009 umgekehrt die DVU antritt und NPD-Kandidaten auf ihrer Liste aufnehmen soll. Diese Vereinbarung wurde auf dem Bundesparteitag der DVU am 15./16. Januar 2005 als so genannter "Deutschlandpakt" erneuert. Ergebnis dieser Absprachen war auch, dass nur die NPD bei der Landtagswahl in SchleswigHolstein antrat und ebenfalls bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen kandidieren wird. 10 Entwicklungen im Extremismus Als Zeichen für die "Volksfront von Rechts" wurden auf dem außerordentlichen Landesparteitag des NPD Landesverbandes NRW am 5. und 21. Dezember als Kandidaten für die Landesreserveliste zur Landtagswahl am 22. Mai 2005 führende Neonazis auf die Plätze 8, 10 und 13 gewählt und ein Vertreter der DVU auf Platz 15. Auf Platz 1 kandidiert der Bundesvorsitzende Udo Voigt, auf Platz 2 der Vorsitzende des Landesverbandes NRW. Die Kandidatenaufstellung zeigt einerseits den Willen der NPD, die proklamierte "Volksfront von Rechts" in die Tat umsetzen zu wollen und andererseits, dass die NPD den Einfluss parteifremder Kräfte begrenzen will. Sollte die NPD - entgegen allen Erwartungen - tatsächlich die 5%-Hürde überspringen, würde sie neun bis zehn Mandate erhalten. Somit kämen nur ein oder zwei Kandidat(en) der Neonazis zum Zuge, nicht jedoch der DVU-Kandidat. Nach der bisherigen Einschätzung und unter Berücksichtigung aktueller Meinungsumfragen dürfte sich das Ergebnis der NPD allerdings nur knapp oberhalb von 1% bewegen. Insgesamt ist in NRW derzeit ein Sog in Richtung NPD festzustellen. Der mit dem Eintritt führender Neonazi-Aktivisten auch aus NRW in die NPD dokumentierte Wille zur engeren Zusammenarbeit beider Gruppierungen umfasst inzwischen fast alle Neonazigruppen in NRW. Er offenbart sich in der Unterstützung durch Neonazis insbesondere in solchen Wahlkreisen, in denen die NPD nur schwach oder gar nicht vertreten ist. Daneben setzen die Neonazis ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen fort. Sie organisierten über 20 Demonstrationen. Zwar lag die Teilnehmerzahl im Regelfall zwischen 50 und 100 und nur im Ausnahmefall deutlich darüber, dennoch erforderten diese Aktivitäten eine ständige Beobachtung und umfangreiche Maßnahmen der Polizei. Die Rechtssicherheit für die Durchführung rechtsextremistischer Demonstrationen wurde im Laufe des Jahres 2004 durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter gefestigt. Schon in der Vergangenheit hatte das Bundesverfassungsgericht in vielen Fällen im Eilverfahren Anordnungen erlassen, mit denen die Durchführung einer Demonstration erlaubt wurde. Durch Beschluss des 1. Senats wurde es - in diesem Fall der NPD - ermöglicht, am 26. Juni in Bochum gegen den Bau einer Synagoge zu demonstrieren. An diesem Beschluss zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtsprechung zu Verboten rechtsextremistischer Versammlungen weiter fortsetzen wird. Die von der NPD proklamierte "Volksfront von Rechts" stößt bei den 'Republikaner' (REP) auf Ablehnung. Dieser Abgrenzungsbeschluss ist allerdings innerhalb der Partei nicht unumstritten, wenngleich sich die Gegner des Beschlusses nicht durchsetzen 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 konnten. Ihre Ablehnungshaltung dokumentierten die 'Republikaner' durch die Aufstellung einer eigenen Landesliste für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Von dem Erfolg bei den Landtagswahlen in Sachsen konnte die NPD bei den Kommunalwahlen 2004 in Nordrhein-Westfalen nicht profitieren. Insgesamt gelang es den rechtsextremistischen Personen und Gruppierungen - bis auf wenige Ausnahmen - nicht, wesentlich mehr als drei Prozent der Stimmen in den Kommunen zu erlangen, in denen sie angetreten waren. Die NPD sieht sich mittlerweile - nicht zuletzt bedingt durch den Wahlerfolg in Sachsen - in einer nationalen Aufbruchstimmung. Sie hat führende Funktionäre in Sachsen eingebunden, um ihre Arbeit zu professionalisieren und die dort entstandene parlamentarische Plattform für ihre bundesweiten Aktivitäten zu nutzen. Das Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein - dort ist die NPD mit 1,9% Stimmenanteil weit hinter ihren Erwartungen geblieben - zeigt allerdings, dass ein Durchmarsch auf breiter Front nicht zu erwarten ist. Auch in NRW fehlt es NPD an einer örtlichen Verankerung, was eine wesentliche Vorbedingung für den Wahlausgang in Sachsen war. Das wirft die Frage auf, ob es der NPD dauerhaft gelingen wird, weiterhin die Klammer zwischen dem aggressiv-neonazistischen und dem deutsch-nationalen Lager bilden zu können, wenn ähnliche spektakuläre Ergebnisse wie in Sachsen ausbleiben. Die ideologischen Differenzen und die früheren Diskussionen um den Führungsanspruch im rechtsextremistischen Lager lassen hier Zweifel entstehen. Rechtsextremisten haben ihre Bemühungen verstärkt, Jugendliche als Zielgruppe für ihre rechtsextremistische Propaganda zu erreichen. Dabei bedienen sie sich vornehmlich des Mediums der Musik. Die besondere Bedeutung der Musik für die rechtsextremistische Szene zeigten zwei Vorgänge: Zum einen das neonazistische "Projekt Schulhof", zum anderen die Wahlkampf-CD der NPD in Sachsen. Es ist inzwischen deutlich zu erkennen, dass rechtsextremistische Gruppierungen in der Lage und bereit sind, moderne Medien wie das Internet und insbesondere die multimedialen Fähigkeiten einer CD intensiv zu nutzen. Ziel ist es dabei, über diese dem Stil von Jugendlichen eher entsprechenden Medien die alten rechtsextremistischen Botschaften zu vermitteln. Unter dem Namen "Projekt Schulhof" haben neonazistische Kräfte eine CD erstellt, die rechtsextremistische Musik und Adressen einschlägiger Gruppierungen enthält. Die CD sollte kostenlos an Jugendliche verteilt werden. Zumindest im ursprünglich geplanten großen Stil wird dies voraussichtlich nicht geschehen, da das Amtsgericht Halle/Saale angeordnet hat, die CD zu beschlagnahmen. Bei dem Versuch, diese zu verteilen, würde die Polizei sofort eingreifen. Mit dem "Project Schoolyard" hat die 12 Entwicklungen im Extremismus Aktion deutscher Rechtsextremisten Nachahmer in den USA gefunden. Nähere hierzu enthält der Beitrag "Menschenverachtung mit Unterhaltungswert" im zweiten Kapitel dieses Berichtes. Die NPD hat während ihres Wahlkampfes in Sachsen eine CD mit dem Titel "Schnauze voll? - Wahltag ist Zahltag" in einer Auflage von vermutlich 25.000 Stück produziert. Wegen des Verdachts strafbarer Inhalte wurde die CD von der Polizei in Sachsen sichergestellt, sie musste allerdings aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Dresden wieder herausgeben werden. Unabhängig davon ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft weiter wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen SS 86 a StGB. Als Besonderheit dieser CD ist anzumerken, dass sie neben den Liedern und der Propaganda auf der CD mit einem so genannten Booklet ausgeliefert wurde. Als Comic wird hier in einigen Bildszenen der Weg eines jungen Schulabgängers dargestellt, warum und wieso er sich der NPD anschließen sollte. Als deutscher Schulabgänger werde er arbeitslos, nur Ausländer erhielten Hilfe und nur die NPD werde dies ändern. Hier hat die NPD ganz deutlich moderne Medien eingesetzt, um junge Menschen zu täuschen und ihr rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. Während die Bemühungen von Rechtsextremisten Jugendliche mittels Musik an ihre Ideologie heranzuführen verstärkt wurden, hat die Anzahl der Skinhead-Konzerte in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2004 weiter abgenommen. Es gab nur vier derartige Veranstaltungen. Weitere Konzerte wurden wegen der behördlichen Maßnahmen bereits im Vorfeld abgesagt beziehungsweise wurden von der Polizei unterbunden. Die Organisatoren rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte täuschen oftmals die Vermieter der Räumlichkeiten über den tatsächlichen Anlass des Treffens und melden eine Hochzeit oder eine Geburtstagsfeier an. Sobald die Vermieter den rechtsextremistischen Hintergrund der Veranstaltung erkennen, treten sie wegen dieser Täuschung vom Vertrag zurück. Im Ergebnis weicht die rechtsextremistische Skinhead-Szene daher zur Durchführung von Konzerten immer häufiger in das angrenzende Ausland aus. An den durchgeführten vier Konzerten in Nordrhein-Westfalen nahmen zwischen 60 und 120 Personen teil. Eine Außenwirkung entfalteten die Konzerte nicht. Neben diesen Konzerten mit dem Live-Auftritt von rechtsextremistischen SkinheadBands fanden sechs bekannt gewordene Liederund Balladenabende statt. Hier lag die Teilnehmerzahl jeweils deutlich unter 100 Personen. Zur Durchführung sind nicht - wie bei den Konzerten - große Räumlichkeiten nötig, so dass die Organisation deutlich leichter ist. Am 25. November 2004 durchsuchte die Polizei nach Hinweisen der Verfassungsschutzbehörde die Wohnungen mehrerer bekannter Rechtsextremisten in Ostwestfalen. Die Betroffenen sind Mitglieder des 'Europäischen Darstellungsverein für lebendige Geschichte' (EDLG). Die Angehörigen dieses Vereins traten bei der Rekonstruk13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 tion historischer Schlachten des Zweiten Weltkrieges (unter anderem in Tschechien) als "Leibstandarte SS Adolf Hitler" in Uniformen der Waffen-SS auf. Bei diesen Aktivitäten wurden auch Waffen eingesetzt, die nach deutschem Waffenrecht nicht ohne Genehmigung geführt werden dürfen. Darüber hinaus wurde bekannt, dass unter anderem der Vorsitzende dieses Vereins, ein bekannter Rechtsextremist, versuchte, unter dem Deckmantel der geschichtshistorischen Aktivitäten rechtsextremistisches, nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen gegen mehrere Personen in mehreren Bundesländern wurden Waffen, Kriegswaffen und Sprengstoff in größerer Menge gefunden. Der Einsatz war zwar nur für die genannten "Kriegsspiele" vorgesehen, dennoch handelt es sich hier um ein nicht akzeptables Gefahrenpotenzial. Im revisionistischen Bereich bemüht sich insbesondere der bekannte Rechtsextremist Mahler weiter, die Zeit des Nationalsozialismus durch relativierende, verfälschende Darstellung wieder gesellschaftsfähig zu machen. Die Zusammenarbeit Mahlers mit der Vorsitzenden des Vereins 'Collegium Humanum - Akademie für Umweltund Lebensschutz e. V.', Haverbeck-Wetzel, hat sich weiter verstärkt. Mahlers Aktivitäten und öffentliche Erklärungen haben dazu geführt, dass das Amtsgericht Berlin-Tiergarten im April 2004 ein - noch nicht bestandskräftiges - Berufsverbot gegen ihn verfügte und im Sommer die Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren wegen Volksverhetzung beschloss, seine Schuldfähigkeit psychiatrisch begutachten zu lassen. Haverbeck-Wetzel wurde wegen Veröffentlichungen in der Vereinszeitschrift des 'Collegium Humanum' wegen Volksverhetzung verurteilt. Insgesamt ist es den revisionistischen Kräften nicht gelungen, ihre Agitation gesellschaftlich zur Geltung zu bringen. 1.2 Linksextremismus Im Mittelpunkt der politischen Arbeit der linksextremistischen Parteien stand die Teilnahme an der Wahl zum Europäischen Parlament und an den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. In thematischer Hinsicht befasste man sich vor allem mit dem "Sozialabbau" und engagierte sich auch in der Protestbewegung gegen die Reformvorhaben. Bei der Europawahl gelang der 'Partei des Demokratischen Sozialismus' (PDS) der Wiedereinzug in das Europäische Parlament, was nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 und der aufreibenden Programmdebatte zur weiteren Konsolidierung der Partei beitrug. Auf europäischer Ebene gehörte die PDS zu den Mitbegründern einer neuen Linkspartei, in der sich linkssozialistische und (post-)kommunistische Parteien zusammengeschlossen haben. Die bei der Europawahl in Deutschland außerdem an14 Entwicklungen im Extremismus getretene 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) und die trotzkistische 'Partei für soziale Gleichheit' (PSG) blieben bedeutungslos. Bei den NRW-Kommunalwahlen kamen linksextremistische Parteien und Bündnisse auf mindestens 158 Mandate. Hiervon entfielen allein 110 auf die PDS, auf deren offenen Listen wie in der Vergangenheit auch Vertreter anderer linksextremistischer Organisationen (insbesondere DKP-Mitglieder) kandidieren konnten. Die DKP war nur noch in der Lage, in wenigen lokalen Schwerpunkten mit eigenen Kandidaten präsent zu sein. Die 'Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) scheute ein offenes Auftreten und wirkte stattdessen in einigen Wählerbündnissen mit, die sich nach außen als unabhängig darstellten. Der Wegfall der 5%-Sperrklausel machte es möglich, dass in vielen kommunalen Vertretungen nun mehr Personen aus unterschiedlichen Bereichen des linksextremistischen Spektrums Mandatsträger geworden sind. Das Bild der linksextremistischen Parteien hat sich nicht grundsätzlich verändert. Die DKP hält weiterhin theoretisch an ihrem revolutionären Anspruch fest, hat aber wegen struktureller Probleme an organisatorischer und politischer Potenz eingebüßt. Sie war wegen interner dogmatischer Auseinandersetzungen noch immer nicht in der Lage, sich ein neues zeitgemäßes Programm zu geben. Die PDS wird inzwischen wieder durch das Reformerlager dominiert, während der linksextreme Flügel an Einfluss verloren hat. Der nordrhein-westfälische Landesverband hat durch sein positives Abschneiden bei den Kommunalwahlen sein Ansehen in der Gesamtpartei gestärkt und gilt trotz rückläufiger Mitgliederzahlen als deren Hoffnungsträger für den Westaufbau. Die MLPD verfolgt ihre formelartige Revolutionsrhetorik weiter. Sie hat den Parteiaufbau in den Mittelpunkt der politischen Agitation gestellt und engagiert sich aktiv in der Frauen-, Jugendund Betriebsarbeit sowie über die von ihr beeinflussten Wählervereinigungen auch auf der kommunalpolitischen Ebene. Bei den bundesweit durchgeführten "Montagsdemonstrationen" gegen die Reform der Arbeitsund Sozialgesetze hatte die MLPD in zahlreichen bundesdeutschen Städten versucht, dominierenden Einfluss auf Organisation und Ablauf der Veranstaltungen zu gewinnen, was zu einer Spaltung der Protestbewegung führte. Der seit längerem anhaltende Erosionsprozess der autonomen Szene hat sich weiter fortgesetzt. Nachdem im Vorjahr bereits mit der 'Antifaschistischen Aktion Berlin' die größte deutsche Antifagruppe in Lager zerfallen war, haben sich im April 2004 mit der 'Antifa K' in Köln und mit der 'Autonomen Antifa [M]' aus Göttingen weitere bedeutsame Gruppen aufgelöst beziehungsweise gespalten. Dies dürfte zum einen darauf zurück zu führen sein, dass in den 1980er und 90er Jahren entwickelte Lebensund Verhaltensmuster teilweise als überholt angesehen werden; zudem hat der Fundamentalstreit innerhalb der linken Szene zwischen den strikt pro-israelischen so ge15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 nannten "Antideutschen" und den klassischen "Antiimperialisten" unversöhnliche Gegensätze aufgeworfen und zu heftigen internen Auseinandersetzungen geführt. Gerade in Nordrhein-Westfalen übt der antideutsche Ideologieansatz, wonach letztlich kritische Äußerungen gegenüber Israel als antisemitisch zu verwerfen und alle Deutschen insoweit als unverbesserlich anzusehen sind, eine besondere Anziehungskraft auf jugendliche "Antifas" aus. Auch die antirassistische Szene ist in Lager zerfallen und hat die Durchführung gemeinsamer so genannter "Grenzcamps", von denen das letzte im August 2003 in Köln stattgefunden hatte, inzwischen aufgegeben. Noch immer finden aber militante "Bestrafungsaktionen" gegenüber staatlichen Stellen oder den so genannten Profiteuren des als rassistisch bewerteten bürgerlich-kapitalistischen Systems statt. In der heterogenen Antiglobalisierungsbewegung engagieren sich weiterhin auch linksextremistische Organisationen und Personen, ohne aber Dominanz erlangen zu können. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen inzwischen nicht mehr die Proteste gegen die internationalen Gipfeltreffen, sondern vor allem die selbst geschaffenen "Events" der Sozialforen. Vom "4. Weltsozialforum" im Januar im indischen Mumbai (Bombay) war der militante antiimperialistische Flügel der Bewegung ausgeschlossen worden. Beim "3. Europäischen Sozialforum" in London wurde ein Dissens zwischen den traditionellen linken Organisationen und den neueren Basisnetzwerken deutlich. In Deutschland laufen die Vorbereitungen für ein nationales Sozialforum, woran sich ein heterogen zusammengesetztes Spektrum beteiligen will. Eine internationale linksextremistische Kampagne zur Solidarität mit dem irakischen "Widerstand" wird auch von deutschen "Antiimperialisten" unterstützt. Sie propagieren offen die Initiative "10 * für den irakischen Widerstand" und haben inzwischen auch ein 'Deutsches Solidaritätskomitee freier Irak' gegründet. Das gleiche Spektrum betreibt auch einseitige Solidaritätsarbeit für die Sache der Palästinenser und beteiligt sich an gegen Israel gerichtete Veranstaltungen. Nur ein kleiner Teil der Protestbewegung gegen die Nutzung der Kernenergie versteht insbesondere den Widerstand gegen CASTOR-Transporte noch als Kampf gegen das "System". Der CASTOR-Transport im November in das Zwischenlager Gorleben wurde vom Unfalltod eines französischen Aktivisten überschattet. Die so genannte "Militanzdebatte", bei der es um neue Organisationsstrukturen der radikalen Linken und um militante Handlungsoptionen geht, wurde ohne größere Resonanz fortgesetzt. Die 'militante gruppe' versuchte, durch Brandanschläge auf Behörden der Arbeitsund Sozialverwaltung aktionistische Zeichen zu setzen. NRW war hiervon nicht betroffen. 16 Entwicklungen im Extremismus 1.3 Islamismus An der Sicherheitslage und der Bedrohung aus dem Bereich des islamistisch motivierten Terrorismus hat sich keine grundsätzliche Veränderung ergeben. Die Netzwerkstrukturen islamistischer Terroristen sind nach wie vor besonders in arabischen Ländern, Afghanistan und Pakistan sowie in Südostasien und Tschetschenien ausgeprägt. In diesen Gebieten wurden von ihnen auch die meisten Anschläge der Jahre 2002 und 2003 verübt. Bereits die Anschläge vom 15. und 20. November 2003 in Istanbul deuteten jedoch darauf hin, dass islamistische Attentäter den Raum, in dem bis dahin ihre Netzwerkstrukturen besonders ausgeprägt waren und der bis heute von Anschlägen und Überfällen am meisten betroffen ist, verlassen. Während die Anschläge in Russland (in Moskau am 23. Oktober 2002 und in Beslan am 1. September 2004) vor allem im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkonflikt gesehen werden müssen, waren die Terrorakte am 11. März 2004 in Madrid eindeutig in den globalen Jihad einzuordnen. Zwar hat hier nicht Usama Bin Laden direkt Regie geführt, wie beim 11. September 2001 in New York und Washington, doch die Attentäter von Madrid handelten ganz eindeutig im Sinne von bin Ladens Aufruf zum "Kampf gegen die Juden und Kreuzzügler". Dieses Ereignis machte deutlich, dass islamistische Terrorzellen auch in Europa entstehen können und der Terror jedes europäische Land bedroht. Nach wie vor liegen den Sicherheitsbehörden aber keine konkreten Anhaltspunkte für Terroranschläge in Nordrhein-Westfalen vor. Der Tod des palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat am 11. November 2004 wurde mit Trauer auch unter den Anhängern palästinensischer extremistischer Gruppierungen in NRW aufgenommen. Empörung und Wut lösten die gezielten Tötungen der HAMAS-Führer Scheich Yassin (22. März 2004) und Abd al-Aziz Rantissi (17. April 2004) durch israelische Streitkräfte aus. Trotz emotionaler Aufwallung kam es jedoch zu keinen größeren Ausschreitungen gegen israelische, jüdische oder andere Einrichtungen. Hieraus ist zu schließen, dass die Leitung der HAMAS ihre Anhänger dazu anhält, weiterhin gewalttätige Aktionen nur direkt gegen Israel, nicht aber in anderen Ländern zu unternehmen. Anderslautende Meldungen, nach denen die HAMAS in Zukunft auch Ziele außerhalb Israels angreifen wolle, wurden dementiert und haben sich auch nach den Erkenntnissen in NRW nicht bestätigt. Am 3. Dezember 2004 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der Hauptsache über das Verbot des 'al-Aqsa e.V.' entschieden, der Spenden für die HAMAS gesammelt hat. Das Gericht bestätigte das Verbot und stellt fest, dass auch die Spendensammlung für humanitäre Zwecke, die einer insgesamt als terroristisch einzustufenden Organisation zugute kommt, zu unterbinden ist. Im Anschluss an diese Entscheidung sind mutmaßliche Nachfolgevereine von 'al-Aqsa e.V.' durchsucht worden. Auch 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 diese Vereine müssen, wenn sich der Verdacht der Spendensammlung für die HAMAS bestätigt, mit einem Verbot rechnen. Nachdem der als "Kalif von Köln" bekannte Metin Kaplan am 12. Oktober in einer zügig durchgeführten Maßnahme in die Türkei abgeschoben worden war, sind die Anhänger seines seit Dezember 2001 verbotenen 'Kalifatsstaat' nicht mit irgendwelchen Aktionen an die Öffentlichkeit getreten. Intern wird weiterhin versucht, die verbliebenen Strukturen aufrecht zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Anhängerschaft - über eine etwaige Spaltung, Radikalisierung, Abwanderung in andere islamistische Organisationen oder einen Rückzug ins Private - lassen sich derzeit nicht machen. Eine der auffallendsten Entwicklungen im Berichtszeitraum war die beginnende Distanzierung vom Terror in Kreisen des politischen Islam. Insbesondere die exzessive Gewalt der Jihadisten hat islamistische Intellektuelle dazu veranlasst, in aller Öffentlichkeit Position gegen den Missbrauch der islamischen Religion zu beziehen. Als eine islamistische Terrorgruppe Ende August mit der Entführung zweier französischer Journalisten im Irak die Rücknahme des Kopftuchverbots an staatlichen französischen Schulen erzwingen wollte, forderte dies den einhelligen Widerspruch der organisierten Muslime Frankreichs heraus. Islamistische Verbände, die im Vorfeld noch erbittert gegen das Kopftuch-Verbot gekämpft hatten, kritisierten öffentlich die Forderungen der Terroristen. Sie erklärten ihre Solidarität mit den Entführungsopfern und forderten die Einhaltung der französischen Gesetze. Die Imame, die Vorbeter aller führenden Moscheen riefen muslimische Mädchen auf, ihre Tücher vor dem Betreten der Schulgebäude abzunehmen, Pro-Kopftuch-Aktivisten stellten ihre Beratungen zur Umgehung des Kopftuch-Verbots ein, eine verschleierte Muslima bot sich im französischen Fernsehen gar als Austausch für die französischen Geiseln an. Nie zuvor hatte es innerhalb der muslimischen Gemeinde einen so eindeutigen Protest gegen terroristische Gewalt im Namen des Islam gegeben. Der Versuch der Entführer, einen Akt des Terrors mit politischen Forderungen zu verknüpfen, wurde seitens der französischen Muslime als unerlaubte Instrumentalisierung ihrer Religion entlarvt. Der Widerstand der muslimischen Bevölkerung richtete sich aber nicht allein gegen die Pervertierung ihrer Religion. Er war auch eine Absage gegen den Versuch, von außen zu diktieren, nach welchen Regeln und Wertmaßstäben europäische Muslime leben sollen. Zu Beginn des Jahres hatte Ayman al-Zawahiri, der Stellvertreter Bin Ladens, ein Kopftuch-Verbot an französischen Schulen als legitimen Grund für den gewaltsamen Jihad gegen Frankreich bezeichnet. Dieser Auffassung haben die Muslime Frankreichs durch ihr demonstratives Bekenntnis zum französischen Rechtsstaat unmissverständlich widersprochen. Sie haben dem erpresserischen Terrorismus eine 18 Entwicklungen im Extremismus Absage erteilt und sich geschlossen hinter eine westliche Regierung gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass die Ereignisse in Frankreich auf die Haltung der Muslime in anderen europäischen Ländern rückwirken werden. Angesichts der ungezügelten Brutalität islamistischer Terroristen, vor allem im Irak und Israel, werden von Seiten der Nicht-Muslime immer wieder Forderungen erhoben, wonach sich die islamische Welt, einschließlich ihrer Regierungsvertreter und geistlichen Würdenträger, von der Pervertierung und Brutalisierung der islamischen Religion ausdrücklich distanzieren sollten. Auch in Deutschland forderten Politiker und Vertreter der Kirchen muslimische Verbände wiederholt dazu auf, die Terrorakte islamistischer Fanatiker öffentlich zu verurteilen. Nach der Ermordung des islamkritischen Filmemachers Theo van Gogh in den Niederlanden durch einen marokkanisch-stämmigen Islamisten Anfang November ist auch in Deutschland eine intensive Diskussion über die Integration von Muslimen, über innerstädtische Ghettos und Parallelgesellschaften entflammt. Die von der 'Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion' (DITIB) seit längerem geplante Demonstration gegen Terror und Gewalt, die am 21. November im Köln stattfand, stieß schon aus diesem Grund auf eine große Resonanz. Über 20.000 Menschen, überwiegend türkische Muslime, beteiligten sich an dem Protestzug unter dem Motto "Hand in Hand gegen Terror im Namen des Islam". Die Distanzierung von Terror und Gewalt und die Verurteilung geistiger Brandstifter durch eine so große Zahl von Demonstranten wurde von Seiten deutscher Politiker als wichtiges Signal zur richtigen Zeit gewertet. In den Ländern des Nahen Ostens kommt die Auseinandersetzung mit dem religiös verbrämten Terror nur zögerlich in Gang. Verschiedentlich haben sich arabische Journalisten mit der ungezügelten Brutalität "islamischer Widerstandskämpfer" befasst und gefordert, dass die islamischen Gesellschaften sich von dieser pervertierten Form der Religion abwenden. Neuen Auftrieb hat die innerislamische "Terror-Debatte" angesichts der Äußerung des im arabischen Raum prominenten ägpytischen Geistlichen Yussuf al-Qaradawi zur Frage der Gewalt im Irak bekommen. Auch er hatte die Entführung der französischen Geiseln im Irak verurteilt und sich für deren Freilassung eingesetzt. Den Widerstand gegen die Besatzung im Irak hatte er vor ägyptischen Journalisten aber als Pflicht bezeichnet und indirekt auch die Tötung amerikanischer Zivilisten gebilligt. Lediglich die Schändung ihrer Leichen sei "unislamisch." Mit dieser Erklärung hatte al-Qaradawi, der sich aufgrund seiner wöchentlichen Auftritte beim Nachrichtensender 'al-Jazeera' in der arabischen Welt größter Popularität erfreut, nicht nur unter muslimischen Gelehrten eine heftige Debatte ausgelöst. Die arabische Tageszeitung 'Al-Hayat' 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 veröffentlichte einen Artikel, in dem die Äußerungen al Qaradawis heftig kritisiert und als zynisch bewertet wurden. Unterdessen mehren sich auch die Stimmen, die angesichts der maßlosen Gewalt im Irak einen "Imageverlust" des Islam weltweit befürchten. Ein Vertreter des sunnitischen 'Rats der Religionsgelehrten' in Bagdad warnte kürzlich, durch die Tötung einer Geisel könnten Entführer unter Umständen zwar ein bestimmtes politisches Ziel erreichen, die islamische Sache insgesamt aber leide darunter, denn das Bild des Islam in der Welt werde nachhaltig beschädigt. Auch der 'Ständige Ausschuss für Dialog der Religionen' der ägpytischen al-Azhar Universität verurteilte die Entführung und Tötung von Geiseln aufs Äußerste. Muhammad Sayyid al-Tantawi, Scheikh der al-Azhar, wurde in der Erklärung mit den Worten zitiert: "Die [...] Tötung von Geiseln, ob Muslime oder Nicht-Muslime, ist mit aller Entschiedenheit abzulehnen." Weitreichender ist die Forderung arabischer Liberaler, die als Manifest auf zwei arabischen Websites Anfang Oktober veröffentlicht wurde. Darin verlangen sie von den Vereinten Nationen, ein internationales Tribunal zur strafrechtlichen Verfolgung solcher Personen, Gruppen und Institutionen einzurichten, die zum Terror aufrufen. Ausdrücklich wird auch die Bestrafung von Personen gefordert, "die durch die Herausgabe von Fatwas [religiöse Rechtsgutachten, Anm. des Verf.] im Namen der Religion den Terrorismus anstacheln." 1.4 Ausländerextremismus Die sich bereits in den Vorjahren abzeichnende Tendenz, dass der Einfluss und die Bedeutung der in der Bundesrepublik anhängerstärksten kurdischen Organisation, der PKK, beziehungsweise deren Nachfolgeorganisation KONGRA-GEL zurückgeht, hat sich auch im Jahre 2004 weiter verfestigt - und dies nicht nur in Europa sondern auch in der Türkei und im Nord-Irak. Im Jahre 2004 wurde die Anhängerschaft der PKK beziehungsweise des KONGRAGEL auf eine harte Probe gestellt. So perspektivlos und gespalten wie in diesem Jahr hat sich die Organisation seit ihrer Gründung im Jahre 1978 noch nicht präsentiert. Der im Jahre 2000 proklamierte Friedenskurs, die Auflösung der PKK im Jahre 2002, die dann folgenden Umbenennungen beziehungsweise Neugründungen konnten von einer großen Zahl der PKK-Anhänger nicht mehr nachvollzogen werden und waren selbst den eigenen Funktionären nur schwer zu vermitteln. Dies führte dazu, dass viele nicht mehr bereit waren, sich für die Partei zu engagieren. 20 Entwicklungen im Extremismus Die Abkehr Osman Öcalans, dem Bruder von Abdullah Öcalan, von der Partei im Jahre 2004, stürzte die Partei sogar noch deutlich tiefer in ihre Krise. Die Differenzen über die weitere Vorgehensweise, die bereits unmittelbar nach der Gründung des KONGRA-GEL in der Führungsspitze aufgetreten waren, führten im Laufe des Jahres 2004 dazu, dass sich Osman Öcalan mit mehreren Funktionären von der Partei absetzte und die Gründung einer neuen Kurdenorganisation mit der Bezeichnung 'Patriotisch Demokratische Partei' (PWD) geplant wurde. Auch wenn eine zunächst für möglich gehaltene Spaltung des KONGRA-GEL abgewendet scheint, ist die Verunsicherung innerhalb der Anhängerschaft deutlich spürbar. Neben den massiven innerparteilichen Problemen steht der KONGRA-GEL durch die seit dem Frühjahr 2004 anhaltenden militärischen Operationen türkischer Streitkräfte gegen Einheiten der kurdischen 'Volksverteidigungskräfte' (HPG) auch unter einem massiven äußeren Druck. Ein seit dem 1. September 1999 geltender "einseitiger" Waffenstillstand der HPG wurde aufgrund der türkischen Militäraktionen zum 1. Juni 2004 aufgehoben. Seitdem reagieren die HPG deutlich offensiver und aggressiver auf Operationen türkischer Sicherheitskräfte. In Europa und damit auch in der Bundesrepublik reagiert der KONGRA-GEL auf für ihn negative Ereignisse und Entwicklungen deutlich zurückhaltender. Sowohl das aus Sicht des KONGRA-GEL enttäuschend verlaufene EU-Gipfeltreffen am 17. Dezember 2004 hinsichtlich der Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei, bei dem der Lösung der "Kurdenfrage" keine besondere Bedeutung beigemessen wurde, als auch die Festnahme des stellvertretenden KONGRA-GEL-Vorsitzenden Remzi Kartal am 22. Januar 2005 in Bayern führten, außer zu demonstrativen Aktionen, zu keinen weiteren Reaktionen. 1.5 Politisch motivierte Kriminalität Im Jahr 2004 sind in Nordrhein-Westfalen knapp 3.000 Vorfälle politisch motivierter Kriminalität zu verzeichnen gewesen und damit eine Zunahme von 150 Fällen (+ 5,3%). Fast 73% (2.180 Fälle) entfielen auf den Phänomenbereich "Rechts", 319 (10,7%) auf den Phänomenbereich "Links" und 81 (2,7%) auf den Phänomenbereich "Ausländer". 408 (13,7%) Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten aus dem rechtsextremistischen Spektrum ist im Vergleich zum Jahr 2003 um über 400 Fälle oder rund 23% gestiegen. Mit einem Plus von 331 Straftaten wirkt sich die Zunahme der Propagandadelikte und Volksverhetzungen bestimmend aus. Auch die Zahl der politisch motivierten Gewaltdelikte ist um 17 auf 132 Fälle gestiegen, wobei dieser Anstieg vor allem der Zunahme 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 der Körperverletzungsdelikte (+ 7) und der Widerstandshandlungen (+ 5) geschuldet ist. Der Schwerpunkt der dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordneten politisch motivierten Kriminalität liegt bei den Propagandadelikten (zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien und Zeigen des Hitlergrusses) und den Volksverhetzungen. Zusammen mit den Beleidigungen machen diese Delikte 1.925 Fälle aus und damit rund 88% aller Taten dieses Phänomenbereiches. Die im Vergleich der Jahre 2003 und 2004 deutliche Steigerung der Anzahl der Propagandadelikte dürfte von zwei Faktoren bestimmt sein: Zum einen dem gestiegenen Aktionsniveau der rechtsextremistischen Szene und zum anderen der gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus, die zur vermehrten Meldung insbesondere von Propagandadelikten führt. Im Bereich der linksextremistisch motivierten politischen Kriminalität setzt sich der Rückgang fort, der in den Vorjahren zu beobachten war. Der Rückgang wäre ohne die Straftaten im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen beziehungsweise der Europawahl (66 Delikte) noch deutlicher ausgefallen. Bei 56 dieser Delikte handelte es sich um Sachbeschädigungen. Die höchste Zuwachsrate ist mit einem Anstieg von 33 Straftaten für diesen Deliktsbereich festzustellen. Die Deliktsschwerpunkte bilden wie in den Vorjahren die Sachbeschädigungdelikte (147) und die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (48). Gegenüber dem Vorjahr sind die Fallzahlen im Phänomenbereich "Ausländer" um 339 Delikte (80,7%) gesunken. Dies ist ausschließlich auf den Rückgang der Verstöße gegen das Vereinsgesetz von 378 auf 25 Delikte (-93,4%) zurückzuführen. Im Jahr 2003 war es zu einer Vielzahl Verfahren gegen mutmaßliche Anhänger des verbotenen 'Kalifatsstaat' gekommen, so dass die dem Phänomenbereich "Ausländer" zugeordneten Fälle erheblich zugenommen hatten. Lässt man diese besondere Situation unberücksichtigt, ergibt sich eine Stagnation der Vorfälle auf niedrigem Niveau. Dem gemeldeten Tötungsdelikt liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 23. September 2004 wurde in Wuppertal in einem türkischen Kulturverein ein 54-jähriger türkischer Staatsangehöriger von mehreren Landsleuten angegriffen und niedergeschossen. Das Opfer erlag am folgenden Tag seinen Verletzungen. Täter und Opfer sind dem Umfeld der 'Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten Leninisten' (TKP/ML) zuzurechnen. 22 Entwicklungen im Extremismus 1.6 Beteiligung extremistischer Organisationen an Wahlen 1.6.1 Wahlen und 1. Mai 2004: "Volksfront von Rechts"? Am 26. September 2004 fanden in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahlen statt, die den rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einen geringen Zuwachs an Stimmen und damit auch an Mandaten in den kommunalen Vertretungen brachten. Vorangegangen waren die Europawahl am 13. Juni 2004 sowie Landtagswahlen im Saarland, in Brandenburg und in Sachsen. Bei der Europawahl blieben die rechtsextremistischen Parteien erfolglos, wobei unter anderem die 'Republikaner' und die NPD mit Stimmenanteilen von über 0,5% in den Genuss von Wahlkampfkostenerstattungen kamen. Erfolge bei Wahlen in Sachsen und im Saarland Bei den Kommunalwahlen in Sachsen am 13. Juni 2004 erzielte die NPD zahlreiche Mandate in Kreistagen, Stadträten und in Gemeindeund Ortsvertretungen. In Dresden zog unter Führung der NPD das 'Nationale Bündnis Dresden' mit 4,0% in den Rat der Landeshauptstadt ein. Spektakulär war der Stimmenanteil von 21,1% in Königstein. Das Wahlergebnis wurde von der Partei als "nationaler Paukenschlag" bewertet. Auch im Saarland erzielte die NPD bei den Kommunalwahlen zum Teil beachtliche Erfolge und erreichte bis zu 9,6%. Bei der Landtagswahl am 5. September verpasste sie mit 4,0% überraschend knapp den Einzug in den Landtag. In einzelnen Wahlkreisen (zum Beispiel Völklingen = 9,7%) hatte die NPD die 5%-Hürde jedoch deutlich übersprungen. Bei der Europawahl drei Monate zuvor hatte sie im Saarland nur 1,7% Stimmenanteil erzielt. Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen Am 19. September trat die DVU in Brandenburg als einzige rechtsextremistische Partei zur Landtagswahl an, am gleichen Tag bei der Wahl in Sachsen nur die NPD. Vorausgegangen war am 23. Juni 2004 eine Absprache der Parteivorsitzenden dieser Parteien über den jeweiligen Wahlantritt mit dem Ziel, nicht gegeneinander anzutreten, um so die rechtsextremistischen Stimmen zu bündeln. Ziel sei es, "im September in beiden Ländern nationale Abgeordnete ins Parlament zu bringen". Zusätzlich gelang es der NPD in Sachsen durch eine "Umarmungstaktik", den Wahlantritt der 'Republikaner' zu verhindern. Unmittelbar vor dem Ende der Ausschlussfrist für die Anmeldung der Wahlvorschläge für die Landtagswahl zog die sächsische Landesvorsitzende der 'Republikaner' die bereits eingereichte Kandidatenliste zurück 23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 und trat etwas später in die NPD ein. Im Ergebnis erzielte die NPD in Sachsen 9,2% der Stimmen (12 Mandate), die DVU in Brandenburg 6,1% (sechs Mandate). Der Landtagswahl in Brandenburg kam aus Sicht der DVU besondere Bedeutung zu, da sie dort bereits mit fünf Abgeordneten im Landtag vertreten war und sich die Frage stellte, ob sie dieses Ergebnis wiederholen kann. Wählerpotential Bei der Landtagswahl in Sachsen überschritt die NPD in 24 von 60 Wahlkreisen die 10%-Marke. Wahlanalysen haben ergeben, dass die NPD überproportional von Jungund Erstwählern, Personen mit niedrigem Bildungsabschluss sowie von Arbeitern und Arbeitslosen gewählt wurde. 60% der befragten NPD-Wähler gaben an, die Partei aus Protest gegen Hartz IV, und 36%, sie wegen der Ausländerthematik gewählt zu haben. Den größten Zugewinn an Stimmen (etwa 65.000 = 55 % der NPD-Stimmen) erhielt die NPD aus dem Bereich der Nichtwähler. Ein weiterer Grund für den Erfolg der NPD dürfte darin liegen, dass es ihr in Sachsen gelungen ist, feste Strukturen aufzubauen und ihre Politik - wie es in der Presse hieß - in die "Mitte der Gesellschaft" zu tragen. Hier hat es die NPD geschafft, ihre Außenseiterrolle zu verlassen. In finanzieller Hinsicht ist das Wahlergebnis in Sachsen für die Partei wegen der Wahlkampfkostenerstattung ein Erfolg. Eine Analyse des Wahlverhaltens zeigt große Gemeinsamkeiten zwischen der Wählerschaft der DVU in Brandenburg und der der NPD in Sachsen auf. In Sachsen erreichte die NPD gerade bei den Arbeitslosen und den unter 30-Jährigen eine gegenüber dem Gesamtergebnis doppelt so große Zustimmung. Besonders hoch war mit 26% der Anteil der männlichen Wähler unter 30 mit Hauptschulabschluss. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich sowohl Wähler der NPD als auch Wähler der DVU wirtschaftlich und sozial benachteiligt fühlen. Beide Parteien konnten sich als Protestwählerpartei profilieren. Wahlabsprache der DVU und der NPD für zukünftige Wahlen Der Erfolg dieser Taktik führte zur Absprache auch für zukünftige Wahlen. Dies verkündeten die Parteivorsitzenden Voigt (NPD) und Frey (DVU) auf dem Bundesparteitag der NPD am 30./31. Oktober 2004 in Leinefelde (Thüringen). Die NPD wird danach bei der Bundestagswahl 2006 antreten und auf ihrer Liste quasi "Huckepack" auch Kandidaten der DVU aufnehmen; im Gegenzug tritt die DVU bei der Europawahl 2009 an und wird auf ihrer Liste NPD-Kandidaten mit aufstellen. Darüber hinaus hat die Absprache als Teil des "Kampfes um den organisierten Willen" (so Voigt auf dem Bundesparteitag der NPD) auch Bedeutung für andere Wahlen. 24 Entwicklungen im Extremismus Auf ihrem Bundesparteitag am 16. Januar 2005 hat die DVU diesem Vorhaben zugestimmt. In einer als "Deutschland-Pakt" bezeichneten Vereinbarung haben der NPDBundesvorsitzende Voigt und der DVU-Vorsitzende Dr. Frey ihre weitere Zusammenarbeit für die kommenden Wahlen auf Europa-, Bundesund Landesebene festgeschrieben. Sie erklärten den "Bruderkampf" für beendet, es würden jetzt die wirklichen Gegner bekämpft. Vereinbart wurde, dass bis zum 31. Dezember 2009 NPD und DVU bei keiner Wahl gegeneinander antreten würden. Zur Bundestagswahl 2006 tritt die NPD an und stellt dabei auch 15 Kandidaten der DVU auf ihrer Liste auf. Bei der Europawahl tritt die DVU an, die auf ihrer Liste sechs bis sieben Kandidaten der NPD aufstellt. Bei den Landtagswahlen tritt die NPD in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an, die DVU in Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg, Thüringen und Brandenburg. Im übrigen tritt die DVU bei anderen Wahlen dann nicht an, wenn die NPD kandidiert. Mit diesem "Deutschland-Pakt" haben DVU und NPD versucht, der Zusammenarbeit einen festen Rahmen zu geben. Verhältnis von DVU und NPD zu den Neonazis Allerdings gibt es weiterhin erhebliche Differenzen zwischen den Parteien. Dr. Frey erklärte am 31. Oktober 2004 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem NPDParteivorsitzenden, beide Parteien seien sich in den Grundzielen einig. Wichtig sei es, bei künftigen Wahlen Erfolge zu erzielen wie in Sachsen und Brandenburg. Trotzdem rief Frey dazu auf, einen "größtmöglichen Abstand zum Nazismus und Neonazismus" zu halten und erklärte: "Wir haben damit nichts zu tun." Dagegen erklärte der NPDParteivorsitzende, der "historische Nationalsozialismus" sei tot, aber "nationalen Sozialisten" stehe es frei, zur NPD zu kommen. NPD-Parteiführung für Zusammenarbeit mit den 'Freien Nationalisten' Bereits in der Februar-Ausgabe der 'Deutschen Stimme' hatte das NPD-Parteipräsidium ein klares Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit 'Freien Nationalisten' abgelegt. Wörtlich heißt es dort: "Ebenso durchsichtig ist der Versuch, in diesem Zusammenhang eine Spaltung der Partei, vor allem aber einen Bruch zwischen der NPD und Teilen des parteifreien nationalen Widerstandes zu provozieren, wo sich zur Verärgerung der Herrschenden und mancher Spaltpilze wieder ein stärkerer Schulterschluss zwischen diesen abzeichnet." Führender Vertreter der Neonazi-Szene beschwört die "Volksfront von Rechts" In einer Gastkolumne in der Mai-Ausgabe der 'Deutschen Stimme' ruft ein führender Vertreter der Neonazi-Szene dazu auf, eine "Volksfront von Rechts" zu schaffen. Unabhängige, freie Kameradschaften seien ebenso wie die Parteiorganisationen hierzu aufgerufen. Man könne die bestehenden Differenzen zwar nicht unter den Teppich 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 kehren, "sie sollten uns aber niemals den Blick für das große Ziel aus den Augen verlieren lassen". Die Wahlkämpfe der nächsten Zeit seien eine gute Gelegenheit, dass auch der parteipolitische Arm "unserer Bewegung" wieder gestärkt werde. Annäherung führender Neonazis an NPD: 1. Mai-Demonstration in Berlin Insofern verwundert es nicht, dass NPD und große Teile der 'Freien Nationalisten' gemeinsam für die Demonstration zum 1. Mai in Berlin mobilisierten. Auf der eigens für diese Demonstration eingerichteten Seite im Internet hieß es von einigen Neonazis: "Die letzten Jahre waren zum Schaden aller im nationalen Widerstand kämpfenden Nationalisten geprägt von sinnlosem Gegeneinander [...]. Alle Nationalisten sind in der schicksalsträchtigen Phase des Überlebenskampfes unseres Volkes gefordert, wieder an einem Strang zu ziehen." Unter dem Motto "Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn! Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre!" nahmen nach Polizeiangaben rund 2.300 (gegenüber 1.300 in 2003) Personen teil, NPD gemeinsam mit 'Freien Nationalisten'. Unter den Teilnehmern befanden sich neben dem NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt und seinem Stellvertreter Holger Apfel auch führende Vertreter der 'Freien Nationalisten' sowie Vertreter befreundeter ausländischer Organisationen. Aus Sicht der NPD Parteiführung war die Demonstration in Berlin ein Erfolg, da erstmals eine so große Teilnehmerzahl erreicht wurde, obwohl parallel hierzu eine von dem Neonazi Christian Worch angemeldete Demonstration in Leipzig stattfand. Die bisherige Ablehnung der Zusammenarbeit mit der NPD hat Worch, nachdem auch die NPD ihrerseits entsprechende Erklärungen abgegeben hat, zumindest für die anstehenden Wahlkämpfe aufgegeben. "Volksfront statt Gruppenegoismus" so lautet das Motto einer im Internet veröffentlichten Erklärung des Parteipräsidiums der NPD vom 19. September 2004. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dieser Erklärung traten drei führende Vertreter des "Nationalen Widerstandes" in die NPD ein und veröffentlichten die Beweggründe für ihren Parteieintritt. Aus Sicht der 'Freien Nationalisten' sei die NPD-Parteiführung aus dem gescheiterten Verbotsverfahren gereift hervorgegangen. Es sei der Wille zu spüren, sich in das Gesamtgefüge einer Bewegung des Widerstandes einzufügen. Mit dieser Argumentation wird offensichtlich versucht, die Zusammenarbeit mit der NPD glaubwürdig auch gegenüber anderen 'Freien Nationalisten' vertreten zu können. Weiter heißt es in dieser Erklärung: "Wir werden [...] alles in unserer Macht stehende unternehmen, um an dem großen Ziel einer umfassenden 'Volksfront von Rechts' zu arbeiten." In der Folgezeit traten weitere Neonazi-Aktivisten und der Sänger einer bekannten Skinhead-Band in die 26 Entwicklungen im Extremismus NPD ein. Damit wurde ein deutliches Zeichen für die enge Zusammenarbeit zwischen der NPD und der Mehrheit der Neonazi-Szene gesetzt. Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 26. September Die Zusammenarbeit der rechtsextremistischen Gruppierungen war in Ansätzen auch bei den Kommunalwahlen am 26. September in Nordrhein-Westfalen zu spüren. An der Wahl beteiligten sich die NPD, die REP, die DVU, der BfD ('Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland'), die Liste 'Pro Köln' in Köln sowie weitere kleinere Gruppierungen. Hinzuweisen ist auf die Zusammenarbeit der 'Republikaner' mit der DVU in Düsseldorf und mit der NPD. In Lüdenscheid konnten Kandidaten der NPD auf 'Republikaner'-Listen antreten. Der von der Bundesund Landesführung der 'Republikaner' vertretene Abgrenzungskurs gegenüber NPD und DVU wurde vor Ort massiv unterlaufen; überhaupt ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit insbesondere mit der NPD an der Basis der 'Republikaner' deutlich ausgeprägter als dies die Bundesführung und die Landesführung in Nordrhein-Westfalen wahr haben wollen. Insgesamt konnten bei den Kommunalwahlen rechtsextremistische Gruppierungen ihre Stimmenanteile und Mandatszahlen deutlich steigern. Rechtsextremisten sind jetzt mit 51 Mandaten in den Räten von 18 Kreisen und kreisfreien Städten sowie neun kreisangehörigen Kommunen vertreten. Den höchsten Stimmenanteil erhielten die REP mit 8,2% in Alsdorf (Kreis Aachen). Im Grundsatz entspricht die Wählerklientel der Rechtsextremisten derjenigen, wie sie bereits für die NPD in Sachsen beschrieben wurde: männliche Jugendliche mit geringen Bildungsabschlüssen und schlechten beruflichen Perspektiven. Die Steigerung der Stimmenanteile und Mandatszahlen darf aber nicht überbewertet werden: Landesweit erhielten rechtsextremistische Gruppierungen 95.000 Stimmen, das sind etwas über ein Prozent. Das Ergebnis lässt auch keinen direkten Rückschluss auf die Landtagswahl im Mai nächsten Jahres zu, weil die Parteien nicht flächendeckend zur Wahl antraten, sondern nur in einem geringeren Teil der Kommunen und Kreise (20 von 54 Kreisen und kreisfreien Städten; 9 von 373 kreisangehörigen Kommunen). Die im Vorfeld der Wahl von den Meinungsforschungsinstituten prognostizierten drei Prozent wurden landesweit nicht erreicht. Insgesamt ist nicht damit zu rechnen, dass Rechtsextremisten bei der Landtagswahl 2005 die 5%-Hürde überspringen. Dies wäre auch dann nicht zu erwarten, wenn alle rechtsextremistischen Gruppierungen gemeinsam antreten würden. 27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Die einzelnen Parteien und Gruppen in NRW Die DVU hat statt bisher landesweit zwei nun vier Ratsmandate. In Dortmund steigerte sie sich bei 3,1% Stimmenanteil von zwei auf drei Mandate. In Stolberg erreichte sie ebenfalls ein Ratsmandat. Das 'Bündnis für Deutschland' kandidierte nur für den Rat in Siegburg und für den Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises; hier wurde jeweils ein Mandat erzielt. Die NPD ist jetzt in neun Räten (vorher zwei) mit insgesamt zwölf Sitzen (vorher drei) vertreten. In Bochum, Duisburg, Essen und Köln erreichte die NPD nicht die erforderliche Stimmenzahl für ein Mandat, in den übrigen Fällen schwankten die Werte zwischen 1,5% und 3,1%. Dominierendes Thema im Wahlkampf der NPD war der Protest gegen "Hartz IV". Die 'Republikaner' haben die Anzahl ihrer Ratsitze fast verdoppelt auf jetzt 29 Mandate. 1999 hatten sie 17 Mandate errungen. Die Republikaner konnten praktisch überall ihre Stimmenanteile geringfügig steigern und erzielten bis auf Bottrop in allen Kommunen/Kreisen, in denen sie angetreten sind, ein bis drei Mandate. Nur im Märkischen Kreis verloren die Republikaner einen Sitz an die NPD. In Köln konnten sie ihren Sitz zwar halten, verloren aber anscheinend Stimmen an die Gruppierung 'Pro Köln'. In Duisburg erhielten die REP mit 0,8% ein Mandat. Die höchsten Stimmenanteile erhielten sie in der Stadt Alsdorf (Kreis Aachen) mit 8,2%, in der Stadt Herne mit 4,7% und in der Stadt Gelsenkirchen mit 4%. Hier sind sie in Zukunft mit jeweils drei Mandaten vertreten. Die Besonderheit der REP in Alsdorf ist ihre dortige starke Verankerung und ihre durchgängig intensive Öffentlichkeitsarbeit. Im Kreis Aachen mit Schwerpunkt in Alsdorf gibt es einen für die REP mobilisierbaren Aktivistenstamm um den Bundesschatzmeister der REP. Die REP selbst bezeichnen den Kreis Aachen und insbesondere den Ortsverein Alsdorf als ihre "Hochburg". Offensichtlich wurden hier neben den Stammwählern in großem Umfang auch Protestwähler angesprochen. Schwerpunkt im Wahlkampf der REP waren Thesen, die sich allgemein gegen die Zuwanderung (Stichwort "Überfremdung") richten. In Köln erreichte die Gruppierung 'Pro Köln' aus dem Stand 4,7% der Stimmen und vier Sitze; sie hat damit Fraktionsstatus. Das gute Abschneiden von 'Pro Köln' hat lokale Ursachen. Im Gegensatz zu den anderen rechtsextremistischen Gruppen führte 'Pro Köln' einen ausgesprochenen Kommunalwahlkampf, in dem spezifische Kölner Themen (so genannte "Klau-Kids" und der geplante Bau einer "Groß-Moschee") im Vordergrund standen. 'Pro Köln' hat von den Ängsten der Bürger profitiert; in einigen Wahlbezirken (darunter im rechtsrheinischen Kalk und Poll beziehungsweise in Chorweiler) wurden bis zu 9,2% der Stimmen für 'Pro Köln' abgegeben. Bezogen auf 28 Entwicklungen im Extremismus die Stadtbezirke hat 'Pro Köln' nur in der Innenstadt (2,8%), in Rodenkirchen (4%) und in Lindenthal (2,9%) unterdurchschnittlich abgeschnitten. Wählerwanderungen Generell ist bei der Betrachtung der Wählerwanderung zu beachten, dass es sich um Hochrechnungen handelt und die Salden nicht punktgenau für die kleinen rechtsextremistischen Splittergruppen errechnet werden können. Über die "Wahlerfolge" der rechtsextremistischen Gruppierungen lassen sich gleichwohl einige allgemeine Aussagen machen: Diesen Parteien ist es einerseits gelungen, Stimmen bisheriger Nichtoder Ungültig-Wähler zu gewinnen, zum anderen erhielten sie Zulauf von SPD und CDU. Dabei sind die Zugewinne von den etablierten Parteien dort am geringsten, wo bereits bei den Kommunalwahlen 1999 ein größeres rechtsextremistisches Stimmenpotenzial gebunden wurde. Bei der Wahl in Köln waren von den rund 26.000 Stimmen für verschiedene "sonstige Gruppierungen" - darunter 16.500 für 'Pro Köln' - knapp 15.000 vormals CDU-Stimmen und knapp 7.000 Nicht-Wähler. Pro Köln wurde also überwiegend von diesen beiden Wählergruppen gewählt. Aussagen über Geschlecht, Alter und soziale Schicht Landesweite Statistiken über Geschlecht und Altersstruktur der Wähler rechtsextremistischer Gruppierungen liegen bisher nicht vor. Einige Kommunen haben jedoch in Eigenarbeit diese Daten ausgewertet und veröffentlicht. Als Kernsatz kann daraus festgehalten werden: Rechtsextremistische Gruppierungen waren ebenso wie in Sachsen und in Brandenburg bei einer bestimmten Wählerklientel am erfolgreichsten: den jungen männlichen Wählern mit geringen Bildungsabschlüssen und eher schlechten Perspektiven am Arbeitsmarkt. Vermutlicher Grund für die Wahlentscheidung dürfte demnach Protest vor dem Hintergrund von Zukunftsängsten und Perspektivlosigkeit sein. Darüber hinaus korrespondierte ein gutes Abschneiden von Rechtsextremisten mit einer unterdurchschnittlichen Wahlbeteiligung in den jeweiligen Wahlbezirken. Ausblick auf die Landtagswahl 22. Mai 2005 Der Anknüpfungspunkt für das Wahlverhalten ist offensichtlich die persönliche Situation der Wähler. Deshalb muss in der Auseinandersetzung mit den rechtsextremistischen Parteien gerade deren Inkompetenz zur Problemlösung deutlich gemacht werden. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Wahlantritts zweier rechtsextremistischer Parteien bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - der 'Republikaner' und der NPD. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Parteien ein Zweckbündnis bilden werden. Sowohl die 'Republikaner' als auch die NPD haben 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Landeswahllisten aufgestellt und sind bemüht, Kandidaten und eine Landesreserveliste für einen Wahlantritt einzureichen. Die NPD hat dabei auf ihrer Landesliste auch Vertreter der neonazistischen Kameradschaften und der DVU aufgenommen, wenn auch für den Fall eines Einzugs in den Landtag auf wenig erfolgversprechenden Plätzen. Es ist davon auszugehen, dass die NPD die 1%-Hürde überschreiten kann mit dem Ergebnis, dass sie eine Wahlkampfkostenerstattung bekommt. Gleiches gilt für die 'Republikaner'. Auch sie werden - bei einer wertenden Betrachtung der Ergebnisse der Kommunalwahlen - weit von einem Einzug in den Landtag entfernt sein. 1.6.2 Beteiligung linksextremistischer Parteien an der Europawahl 2004 An der Europawahl 2004 haben in Deutschland aus dem linksextremistischen Spektrum die PDS, die DKP und die PSG teilgenommen. Andere Parteien oder Organisationen wie die MLPD verzichteten, weil sie sich aufgrund des Wahlsystems nicht auf ausgewählte lokale Schwerpunkte stützen konnten. Die PDS maß der Europawahl eine für die Partei "entscheidende, in gewisser Hinsicht existenzielle Bedeutung" zu. Ihr gelang auch das erhoffte "Comeback bei bundesweiten Wahlen". Sie konnte ihren Stimmenanteil von 5,8% auf 6,1% verbessern und ist nunmehr im neuen Europaparlament mit sieben statt bisher sechs Abgeordneten vertreten. Aus Sicht des linken Parteiflügels ist es bemerkenswert, dass Stimmengewinnen in allen anderen Bundesländern Verluste in den Ländern gegenüberstehen, in denen die PDS Regierungsverantwortung übernommen hat, also Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Nach dem Ende der Programmdiskussion und der damit verbundenen innerparteilichen Querelen hat der Wiedereinzug in das Europäische Parlament für eine weitere Beruhigung und Stabilisierung der Partei gesorgt. In Nordrhein-Westfalen erreichte die Partei im Vergleich mit der Europawahl 1999 eine Steigerung von 1,3% auf 2,1%, wobei sie bei den absoluten Stimmen in NRW (112.571) aber unter ihrem bisherigen höchsten Stimmenanteil bei der Bundestagswahl 1998 (131.550) blieb. Dies deutet darauf hin, dass es der Partei trotz der für sie günstigen Rahmenbedingungen nicht gelungen ist, wesentliche neue Wählerschichten zu erschließen. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in kreisfreien Städten (z.B. Duisburg 4,3%, Dortmund 3,8%, Oberhausen 3,7%). Im EU-Parlament hat sich die PDS der von sozialistischen und kommunistischen Parteien gebildeten 'Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke' (KVEL/NGL) angeschlossen. Die DKP, die seit 1990 bei Bundestagsund Europawahlen nicht mehr selbständig kandidiert hatte, verkündete im Januar 2004 ihre Entscheidung, mit einer eigenen offenen Bundesliste zur Europawahl antreten zu wollen. Die DKP hätte einem Wahlbündnis aller linken Kräfte den Vorrang vor einer Eigenkandidatur gegeben, jedoch 30 Entwicklungen im Extremismus konnte sie sich im Vorfeld nicht mit der PDS auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Bundesweit erreichte sie mit einem Anteil von 0,1% (37.160 Stimmen) nur den Status einer Splitterpartei. Ein besseres Ergebnis konnte die DKP auch in ihrem Stammland NRW nicht erreichen. Bei einem Stimmenanteil von 0,1% erhielt sie landesweit 6.769 Wählerstimmen, wobei sie auch in ihrer lokalen Hochburg Bottrop nur auf 0,9% kam. Die DKP selbst spricht von einem bescheidenen, aber nicht unerwarteten Ergebnis. Der DKP-Vorstand führte das schwache Abschneiden unter anderem darauf zurück, dass die Medien in der Endphase des Wahlkampfs "Gräuelmärchen über terroristische Kader" der DKP publiziert hätten. Gemeint waren damit veröffentlichte Erkenntnisse der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die durch die Aufarbeitung von Stasiunterlagen weitere Hinweise zu einer Zusammenarbeit von SED und DKP bei der militärischen Ausbildung von DKP-Kadern für Sabotagezwecke in Westdeutschland erlangt hatte. Als einzige trotzkistische Organisation beteiligte sich in Deutschland die 'Partei für soziale Gleichheit' (PSG) an der Europawahl 2004. Die Splittergruppe mit Sitz in Essen ist ideologisch dem 'Internationalen Komitee der Vierten Internationale' (IKVI) in Detroit/USA zuzurechnen. Ihre Liste umfasste sechs Personen, von denen drei aus NRW stammten (zwei aus Duisburg, eine aus Bielefeld); dazu zwei aus Berlin und eine aus Frankfurt. Bundesweit kam die PSG mit 25.795 Wählerstimmen auf einen Anteil von 0,1%. Auch in NRW blieb sie mit 3.816 Stimmen (=0,1%) erwartungsgemäß ohne Bedeutung. Insgesamt spiegelte die Beteiligung der linksextremistischen Kräfte an der Europawahl 2004 die krisenhafte Situation der linken Bewegung wieder. Trotz günstiger Rahmenbedingungen musste die PDS um den Wiedereinzug in das Europäische Parlament bangen. Andere linke Kräfte haben von vornherein verzichtet oder traten nur aus formellen Gründen an. Ergebnisse linksextremistischer Parteien/Bündnisse bei den NRW-Kommunalwahlen 2004 Linksextremistische Parteien und Wahlbündnisse konnten im Vergleich zu den Kommunalwahlen 1999 die Gesamtzahl ihrer Mandate deutlich ausbauen. Zusammen erreichten sie mindestens 158 Mandate (1999: 62 Mandate). Da zudem Einzelpersonen aus dem linksextremistischen Spektrum über ihre Mitwirkung in lokalen Bündnislisten weitere Mandate erzielen konnten, liegt die tatsächlich erreichte Gesamtmandatszahl noch höher. Die von Bewerbern aus dem linksextremistischen Spektrum erlangten Mandate sind folgendermaßen auf die einzelnen kommunalen Ebenen verteilt: 31 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Mandate kreisangehörige Gemeinden 31 Kreise 9 Räte in kreisfreien Städte 54 Bezirksvertretungen in kreisfreien Städte 64 insgesamt 158 Partei des Demokratischen Sozialismus, Landesverband Nordrhein-Westfalen (PDS NRW) Die PDS ist bereits seit 1999 in den Kommunalvertretungen in NRW präsent. Bei den damaligen Kommunalwahlen hatte sie erstmals 51 Mandate erlangt. Bei den Kommunalwahlen 2004 trat die PDS in 38 Kommunen mit zumeist offenen Listen oder mit linken Bündnislisten an. Obwohl in der Gesamtschau kommunalpolitisch weiter ohne großes Gewicht, bedeuten die eindeutig zurechenbaren 108 Mandate (die NRW-PDS spricht unter Berücksichtigung "PDS-naher" Mandate von etwa 120) aus der Sicht des Landesverbands einen Prestigeerfolg, der auch von der Bundes-PDS entsprechend gewürdigt worden ist. Ihr Landessprecher kommentierte das Abschneiden, mit der jetzigen kommunalen Verankerung der PDS sei eine "erheblich verbesserte Ausgangssituation für die Stärkung linker Oppositionspolitik in NRW" erreicht worden. Ihre besten Ergebnisse gelangen der Partei in Oberhausen 6%, Duisburg 5,2%, Velbert 4,3%, Windeck 3,67%, Moers 3,62% und Wuppertal 3,6%. Die PDS ist damit in sechs Städten (Bochum, Düren, Duisburg, Moers, Oberhausen, Wuppertal) und im Kreistag Düren mit Fraktionsstatus präsent. Im Gegensatz zu früheren Wahlen konnte die PDS für sie sehr gute Ergebnisse sowohl in mittleren und kleinen Städten als auch in Großstädten erreichen, die nicht Universitätsstädte sind. Nach den wenigen vorliegenden Wahlanalysen wurde die PDS überwiegend von Männern gewählt (Spitzenwert in der Altersgruppe 45-60 Jahre). Die besten Ergebnisse erzielte sie in der Regel im Kernbereich der Städte (Studentenviertel) sowie in Vierteln mit eher sozialschwachen Bewohnern und solchen mit geringer Wahlbeteiligung (zumeist deckungsgleich). Deutsche Kommunistische Partei Die DKP konnte aufgrund ihrer Überalterung, den inzwischen fehlenden Parteistrukturen und ihren heute nur noch schwer vermittelbaren politischen Zielen nur noch 32 Entwicklungen im Extremismus punktuell in einigen alten Hochburgen eigenständig kandidieren. Sie konzentrierte ihre Aktivitäten auf das "rote Dreieck" Bottrop - Gladbeck - Essen und die Verteidigung ihres Sitzes in der Bezirksvertretung Düsseldorf-Gerresheim sowie auf die Kreisvertretung für den Ennepe-Ruhr-Kreis (insoweit erfolglos). Dabei erreichten ihre als DKP-Vertreter auf dem Stimmzettel erkennbaren Repräsentanten insgesamt sieben Ratsund drei Bezirksvertretungsmandate. In der Hochburg Bottrop kam die DKP auf immerhin 6,5% (Kommunalwahlen 1999: 4,4%) und steigerte die absoluten Stimmen deutlich (von 2.263 auf 3.425); damit stieg ihre Mandatszahl von drei auf jetzt vier. Die DKP ist stolz darauf, dass Kommunistinnen und Kommunisten nicht nur auf vielen Stimmzetteln zu finden, sondern auch gewählt worden sind. Zu den "Kommunisten auf den Stimmzetteln" gehörten auch DKP-Mitglieder, die auf den offenen Listen der PDS kandidierten. Im Ergebnis führt dies dazu, dass unter dem Signum PDS weitere zehn DKP-Mitglieder Mandate erlangten. In anderen NRW-Kommunen hat die DKP lokale Bündnislisten unterstützt und darüber in Einzelfällen auch eigene Mitglieder als Kandidaten etablieren können. Nach Eigenangaben der Partei sind auf diese Weise weitere fünf Mandate durch DKP-Mitglieder gewonnen worden, so dass bei der Kommunalwahlen 2004 insgesamt von 24 (1999: 18) der DKP zurechenbaren Mandaten ausgegangen werden kann. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Die bei der Wählerschaft und im linken Spektrum stigmatisierte MLPD hatte bewusst darauf verzichtet, bei den Kommunalwahlen unter dem eigenen Signum zu kandidieren. Nach dem erfolgreichen Beispiel des angeblich überparteilichen Personenwahlbündnis 'AUF' Gelsenkirchen (die Abkürzung steht für aktiv - unabhängig - fortschrittlich) förderte sie stattdessen sich nach außen unabhängig gebende lokale Wählervereinigungen. Im Wahlkampf bestritt sie ihre Einflussnahme, um die Wahlbündnisse nicht durch die Nähe zur MLPD zu diskreditieren. Nach diesem Erfolgsmuster kandidierten MLPD-beeinflusste lokale Bündnisse in Bergkamen, Essen, Gelsenkirchen, Herten, Solingen, Leverkusen, Mülheim a.d.Ruhr, Neukirchen-Vluyn und Witten. Dabei wurden insgesamt 19 Mandate (Rat = 14, Bezirksvertretung = 5) erlangt, die nicht in jedem Falle von MLPD-Mitgliedern wahrgenommen werden. Das beste Ergebnis erzielte eine Wählervereinigung in Neukirchen-Vluyn mit 5,3%. Hier hat nunmehr ein langjähriges Mitglied des Zentralkomitees der MLPD einen Sitz im Stadtrat. In Gelsenkirchen ist mit Monika Gärtner-Engel, der Ehefrau des MLPDParteivorsitzenden, ein weiteres prominentes Mitglied des Zentralkomitees erneut in den Stadtrat eingezogen. Das beste Einzelergebnis eines MLPD-Mitglieds erzielte in Gelsenkirchen ein Arzt, der in seinem Wahlkreis auf 10,2% der Stimmen kam und er33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 neut in der dortigen Bezirksvertretung präsent ist. Der Parteivorsitzende Stefan Engel kam in seinem Gelsenkirchener Wahlkreis auf 5,1%. Nach den Kommunalwahlen feierte die MLPD die Erfolge der Wahlbündnisse, die "im Gegenwind aus resignativen Stimmungen unter den Massen, Totschweigen in der Presse bis hin zu Lügen und Hetze, ausgehend vom deutschen Geheimdienst, dem so genannten Verfassungsschutz, durchgekämpft" worden seien. Linksextremistisch beeinflusste Wahlbündnisse In zahlreichen NRW-Kommunen traten linke beziehungsweise linksalternative lokale Wahlbündnisse an, die in unterschiedlichem Maße linksextremistisch dominiert oder beeinflusst waren. Die erfassten Wahlbündnisse, die als maßgeblich linksextremistisch beeinflusst angesehen werden können, erreichten zusammen 19 Mandate (Rat = 15, Bezirksvertretung = 4). Die durch die 'Demokratische Linke Wülfrath' mit 16,8% der Stimmen erreichten sechs Mandate rechnet die PDS ihrem Einflussbereich zu. Die Wahlbündnisse in Aachen ('Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag') und Köln ('gemeinsam gegen sozialraub') entsenden mit 0,8% (Aachen) beziehungsweise 0,6% (Köln) der Stimmen jeweils einen Vertreter der trotzkistischen Gruppierung 'Sozialistische Alternative Voran' (SAV) in die dortigen Stadträte. Gesamtbewertung Die Ergebnisse der linksextremistischen Parteien und Gruppierungen kamen nicht überraschend. Sie hatten im Wahlkampf auf die Proteststimmung gegen die Reform der Arbeitsund Sozialgesetzgebung gesetzt, waren in mehr Kommunen angetreten und haben - bei höherer Mobilisierung der eigenen Anhänger - von der relativ geringen Wahlbeteiligung profitiert. Hierbei konnten sie in einigen alten Hochburgen auf ihre "Stammwähler" zurückgreifen. Es machte sich offenbar auch bemerkbar, dass nach dem Wegfall der 5%-Sperrklausel viele Wähler ihre Stimme für eine kleine Partei nicht mehr als "verloren" ansehen. Die aus der Übernahme von Mandaten und dem teilweisen Einzug als Fraktion folgende logistische und finanzielle Unterstützung sichert jetzt in vielen Fällen die organisatorische Infrastruktur und damit die weitere politische Existenz vor Ort. 34 Themen im Fokus 2 Themen im Fokus 2.1 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seiner Entscheidung* über die Verfassungsbeschwerde der Berliner Wochenzeitung 'Junge Freiheit' (JF) grundlegende Ausführungen zur Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereichs der Pressefreiheit gemacht. Es hat entschieden, dass der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen auch über Presseorgane berichten darf und Maßstäbe für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung eines Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen eines Presseverlags aufgestellt. Hintergrund des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht Auslöser der Entscheidung war eine Verfassungsbeschwerde der Berliner Wochenzeitung 'Junge Freiheit' (JF). Die Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen hatte in ihren Jahresberichten 1994 und 1995 über diese Wochenzeitung berichtet, weil etliche Beiträge tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen enthielten. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hatte eine Klage der JF gegen die Berichterstattung der Jahre 1994 und 1995 mit Urteil vom 14. Februar 1997 abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Berufung gegen dieses Urteil nicht zugelassen. Die 'Junge Freiheit' erhob am 23. Juni 2001 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Sie sah in der Berichterstattung und in den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen einen Verstoß gegen die Meinungsund Pressefreiheit. Der Beschluss des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht hob mit Beschluss vom 24. Mai 2005 die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auf und verpflichtete das VG Düsseldorf, die Klage der JF unter Beachtung der Ausführungen des Gerichts neu zu entscheiden. Eine Entscheidung in der Sache erfolgte nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss nicht festgestellt, dass die Berichterstattung in den Jahren 1994 und 95 in jedem Falle unzulässig war. Die Berichterstattung der Folgejahre war nicht Gegenstand des Verfahrens. * BVerfG, 1 BvR 1072/01 vom 24.5.2005 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 In dem Beschluss verdeutlicht das Bundesverfassungsgericht den Maßstab, an dem die Berichterstattung über Presseorgane zu messen ist. Und es machte mehrere grundsätzliche Aussagen, die die Position der Verfassungsschutzbehörde stärken. Der Verfassungsschutz darf auch über organisationsunabhängige Presseorgane berichten. Diese für die Arbeit des Verfassungsschutzes bedeutsame Frage hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr eindeutig im Sinne der wehrhaften Demokratie beantwortet. In seinem Beschluss führt das Gericht aus, dass die Berichterstattung durch die Verfassungsschutzbehörde im Verfassungsschutzbericht zwar grundsätzlich ein Eingriff in die in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) gewährte Pressefreiheit ist . Wörtlich heißt es hierzu: Durch die Erwähnung eines Presseorgans im Verfassungsschutzbericht würden die Herausgeber "zwar nicht gehindert, ihre Zeitung weiter herzustellen und zu vertreiben sowie auch künftig Artikel wie die beanstandeten abzudrucken. Ihre Wirkungsmöglichkeiten werden jedoch durch den Verfassungsschutzbericht nachteilig beeinflusst." Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht könnte sich nämlich nachteilig auf die Zeitung auswirken, weil sie negativen Einfluss auf potenzielle Leser, Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber haben kann. "Eine solche mittelbare Wirkung der Verfassungsschutzberichte kommt einem Eingriff in das Kommunikationsgrundrecht gleich." Ein solcher Eingriff in die Pressefreiheit könne aber durch allgemeine Gesetze zugelassen werden, wie es der SS 15 Abs. 2 Verfassungsschutzgesetz NRW (VSG NRW) ist. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des SS 15 Abs. 2 VSG NRW vor, der die Veröffentlichung von Verfassungsschutzberichten regelt, kann dies einen Eingriff in die Pressefreiheit rechtfertigen. Die Berichterstattung ist zulässig, wenn hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Berichterstattung nach SS 15 Abs. 2 VSG NRW i.V.m. SS 3 VSG NRW zulässig, wenn hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorliegen. Wenn die Verfassungsfeindlichkeit nicht erwiesen ist, sondern lediglich ein Verdacht vorliege, so "muss dessen Intensität hinreichend gewichtig sein", um bei der erforderlichen Abwägung die nachteiligen Auswirkungen der Veröffentlichung auf die Betroffenen zu rechtfertigen. Dagegen reiche es nicht aus, wenn die Anhaltspunkte nur einen möglichen Verdacht begründen. 36 Themen im Fokus Auch Meinungsäußerungen können Anhaltspunkte bieten, die den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit stützen. Das BVerfG stellt in diesem Zusammenhang ausdrücklich fest, dass auch Meinungsäußerungen den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung begründen können. Allerdings "reicht hierfür die bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus". Denn Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen sei ebenso erlaubt wie die "Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern". Lassen sich aber aus den Meinungsäußerungen Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden. Zur Begründung des Verdachts kann auf einzelne Artikel abgestellt werden, auch wenn sie nicht von Redaktionsmitgliedern, sondern von Dritten stammen. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet nicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass maßgebliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in erster Linie aus Artikeln und Kommentaren der Redaktionsmitglieder selbst folgen. Meinungsäußerungen, die den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen begründen, dürfen aber auch solchen Artikeln entnommen werden, die nicht von Angehörigen der Redaktion stammen. Damit lässt das BVerfG ausdrücklich und grundsätzlich die Zurechnung der Äußerungen Dritter zu. Gleichzeitig knüpft das BVerfG die Zurechnung aber an besondere Voraussetzungen. So könne eine Zurechnung der Äußerungen Dritter zum einen dann in Betracht kommen, "wenn durch die redaktionelle Auswahl der von Dritten geschriebenen Veröffentlichungen verfassungsfeindliche Bestrebungen von Verlag und Redaktion zum Ausdruck kommen", das heißt "eine bestimmte inhaltliche Linie erkennbar wird." Zum anderen sei sie aber auch dann möglich, wenn sich die Redaktion nicht ausdrücklich von den verfassungsfeindlichen Aussagen Dritter distanziere. Dies gelte allerdings nur dann, wenn sich die Zeitung nicht als "Markt der Meinungen" verstehe. Verstehe sich dagegen die Zeitung als "Markt der Meinungen", bedürfe es besonderer Anhaltspunkte dafür, warum sich die Redaktion nur mit Artikeln mit verfassungsfeindlichem Inhalt identifiziere, nicht aber mit unproblematischen Beiträgen. Gegebenenfalls müsse dargelegt werden, dass sich die Redaktion des Spektrums von Meinungen nur bediene, um in einem solchen Umfeld verfassungsfeindliche Beiträge in der Öffentlichkeit besser vermitteln zu können. 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Ein "Markt der Meinungen" muss nicht zwingend ein breites Spektrum bei den veröffentlichten Artikel aufweisen. Die Pressefreiheit umfasse grundsätzlich auch das Recht, lediglich ein Forum für nur ein bestimmtes politisches Spektrum zu bieten, wenn den Autoren große Freiräume gewährt würden. Die Herausgeber seien in der Folge nicht mit allen einzelnen Veröffentlichungen zu identifizieren. Maßgeblich für die Berichterstattung über Presseorgane ist, wo die Informationen des Presseorgans wahrgenommen wird. Nach Auffassung des BVerfG entstehen die Gefahren durch eine Zeitung dort, wo sie vertrieben und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Der Sitz von Redaktion und Verlag sei insoweit nicht entscheidend. Für Rundfunksendungen und Interneteinstellungen war diese Rechtslage bereits entschieden. Die so genannte "Verdachtsberichtserstattung" ist zulässig. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt ausdrücklich die grundsätzliche Zulässigkeit einer "Verdachtsberichtserstattung", knüpft sie aber an besondere Bedingungen. Soweit ein auf Tatsachen gegründeter Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung besteht, darf über die Gruppierung berichtet werden. Allerdings ist bei der Frage nach der Art und Weise sowie der Dauer der Berichterstattung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der sich an folgenden Maßstäben misst: : Die "Verdachtsberichterstattung" darf nicht unbegrenzt lange erfolgen, ohne dass "anderweitige Maßnahmen zu ergreifen [sind], um abzuklären, ob die Bestrebungen tatsächlich bestehen". Das BVerfG lässt hier offen, was es unter "anderweitigen Maßnahmen" versteht. : Der Bericht muss verdeutlichen, dass es sich bei der betreffenden Gruppierung um einen Verdachtsfall handelt. Mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist bei der Berichterstattung eine deutliche Unterscheidung vorzunehmen zwischen Gruppierungen, bei denen nur der Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung besteht und solchen, bei denen dies bereits erwiesen ist. Hierfür gibt das Gericht auf zu prüfen, ob es ein milderes Mittel sein könnte, durch die Gestaltung des Berichts zu verdeutlichen, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen keineswegs feststehen. Verfahren wird fortgeführt Im Licht dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe wird sich das Verwaltungsgericht Düsseldorf erneut mit der Klage der 'Jungen Freiheit' gegen das Land Nordrhein-Westfalen auseinandersetzen müssen. Das Ergebnis dieses Verfah38 Themen im Fokus rens bleibt abzuwarten. Vor dem Hintergrund der seinerzeit vorlegten Belege, die die tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebung begründeten, sieht die Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen einer erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zuversichtlich entgegen. 2.2 Menschenverachtung mit Unterhaltungswert Musik, Symbolik, Internet - der Rechtsextremismus als Erlebniswelt Das Gesicht des Rechtsextremismus in Deutschland hat sich verändert. Zum einen hat sich das Erscheinungsbild dieser Szene modernisiert - eine Entwicklung, die insbesondere seit den 1990er Jahren zu beobachten ist. Zwar bedienen sich Rechtsextremisten nach wie vor auch der Symbole und der Ästhetik des Nationalsozialismus, doch dominiert mittlerweile ein modernes Gewand. Häufig wirkt der Rechtsextremismus keineswegs altbacken oder ewiggestrig, vielmehr spricht er die Symbolsprache des 21. Jahrhunderts: Rockmusik ist zum wichtigen Träger ideologischer Botschaften geworden, Volksverhetzung taucht nicht selten in modernem Web-Design auf. Zum anderen hat sich das Aktionsfeld der Szene verlagert. Standen in der Vergangenheit Wahlkämpfe und ideologische Debatten im Vordergrund, versucht die Szene heute unmittelbarer - und wirksamer - Einfluss zu gewinnen. Sie zielt auf den Alltag ihrer potenziellen Anhänger, das heißt: die Lebenswelt insbesondere von Jugendlichen. Die Kombination von Freizeitund Unterhaltungswert mit politischen Inhalten, die um einen fremdenfeindlichen Kern und die Verherrlichung, zumindest die Verharmlosung des Nationalsozialismus kreisen, ist zum Kennzeichen des zeitgenössischen Rechtsextremismus geworden. Diese Verbindung kann als "Erlebniswelt Rechtsextremismus" bezeichnet werden. Das "Projekt Schulhof" im Jahr 2004 - der Versuch der rechtsextremistischen Szene, eine Musik-CD kostenlos an Kinder und Jugendliche zu verteilen - steht stellvertretend für den breiten Fächer der Bemühungen, junge Menschen mit jugendgerechten Mitteln anzusprechen und politische Inhalte möglichst beiläufig zu vermitteln. Merkmale, Botschaften und Erscheinungsweisen der Erlebniswelt Rechtsextremismus nimmt der folgende Beitrag in den Blick. Dies geschieht überwiegend am Beispiel der Musik mit rechtsextremistischen Inhalten, des so genannten "Rechtsrock". Erlebniswelt Rechtsextremismus - was ist das genau? Generell ist unter einer "Erlebniswelt Rechtsextremismus" die Verbindung von Lebensgefühl, Freizeitwert und politischen Botschaften in dieser Szene zu verstehen. Der Begriff meint somit alle Formen, in denen Anhänger der Szene - besonders gilt dies für Jugendliche - aktiv werden, etwas unKeltenkreuz 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 ternehmen können, somit im Kontext des Rechtsextremismus Unterhaltung finden. Erlebnisangebote sind eng an entsprechende Gruppen gebunden. In der Regel handelt es sich dabei nicht um fest und formal-hierarchisch strukturierte Organisationen, sondern eher um lose Kreise oder Cliquen. In dem Maße, in dem die Anbindung an die Szene enger wird, ideologische Prämissen zur Überzeugung werden, verdichten sich Unterhaltung und Gruppenzugehörigkeit zum Lebensgefühl. Gemeinsame Kleidung wird zu mehr als einer beliebigen Mode: Sie symbolisiert das Bekenntnis zu einem geSchwarze Sonne meinsamen "way of life", sie ist Teil eines Ehrenkodex. Auf ähnliche Weise schwei14 words: ßen Symbole - zum Beispiel das stilisierte KeltenWe must secure the existence of kreuz oder die "Schwarze Sonne" - die Szene zuour people an a future for white sammen. Dasselbe gilt für Codes - etwa die 14 als children. Kürzel für die "14 words", eine rassistische Parole (Wir müssen die Existenz mit 14 Wörtern. Gerade in der jüngeren Verganunseres Volkes sichern und eine genheit hat der Rechtsextremismus eine breite PaZukunft für weiße Kinder) lette an Unterhaltungsmöglichkeiten entwickelt: seien es Konzerte, Rechtsrock-CDs - die häufig in der Gruppe gehört werden -, Demonstrationen oder Veranstaltungen wie das Pressefest des NPD-Organs 'Deutsche Stimme' und nicht zuletzt das Internet, wo zurzeit knapp 1.000 deutschsprachige Seiten von Rechtsextremisten abrufbar sind. Mitunter sind rechtsextremistische Seiten im World Wide Web technisch aufwändig und optisch ansprechend gemacht, sie unterhalten mit Diskussionsforen, Musik und anderen interaktiven Elementen. Die rund zehn Jahre zurückreichende Entwicklung solcher Seiten zeigt, dass neuere technische Elemente, die Internet-Seiten attraktiver machen sollen, praktisch umgehend auf einigen rechtsextremistischen Homepages aufgegriffen werden. Dies gilt etwa für Online-Radios, Musik-Dateien im MP3-Format oder optische Animationen. Das Internet bietet einigen Aktivisten zudem den strategischen Vorzug, Materialien anonym und über ausländische Internet-Dienstleister im Netz anbieten zu können, deren Verbreitung nach deutschem Recht strafbar ist. In solchen Fällen ist es für deutsche Behörden häufig nicht möglich, die Verantwortlichen zu ermitteln. Gruppenzugehörigkeit als Lebensgefühl, Kleidung als Code, Unterhaltungsangebote und Wertvorstellungen, die von der Erwachsenenwelt abgrenzen, sind Elemente, die sich in praktisch allen Jugendkulturen finden und nicht in jedem Fall problematisch sind. In der Erlebniswelt Rechtsextremismus ist all dies an politische Botschaften ge40 Themen im Fokus bunden, die allgegenwärtig sind und mal offen mal verdeckt aus Symbolen, Bildern und (Lied-)Texten sprechen. Diese Botschaften lassen sich in zwei Gruppen einteilen: a) Feindbilder Das Plattencover der Berliner Band 'Landser' ("Ran an den Feind") ist ein treffendes Beispiel für Feindbilder, ohne die die Erlebniswelt Rechtsextremismus nicht denkbar ist. Es zeigt eine weiße Faust mit dem 'Landser'-Emblem - ein Schwert und ein L für 'Landser' -, die den geradezu klassischen Feindbildreigen der rechtsextremistischen Szene zerschlägt: Hierzu zählen Plattencover der Berliner Band Schwarze, Juden - auf dem Cover sind sie präzi'Landser' se im Stile des nationalsozialistischen Kampfblattes 'Stürmer' dargestellt - Asiaten, Homosexuelle oder Punks, die stellvertretend stehen können für alle politischen Gegner. Die hier dargestellten Feindbilder sind nahezu vollständig; der demokratische Verfassungsstaat und seine Vertreter - insbesondere die Polizei - ließen sich ergänzen. Die Band 'Landser' - die im Dezember 2003 vom Kammergericht Berlin in erster Instanz als kriminelle Vereinigung verurteilt wurde - ist in weiterer Hinsicht typisch für diese Erlebniswelt. Sie ist eine Kultband der Szene, weil sie wie kaum eine andere Band menschenverachtende Botschaften - in ihren Texten reichen diese bis zur Verherrlichung des Mordes - mit einem fast durchgängig launigen Unterton verbindet: mit einem provokanten Gestus und einem zynischem Wortwitz. Es liegt auf der Hand, dass solche Elemente des Humors - zählt man den Zynismus hinzu - ein entscheidender Bestandteil der Erlebniswelt sind. Hinzu kommt, dass offenbar gerade 'Landser'-CDs über die Szene hinaus Verbreitung finden, das heißt: dass sie als Kopien bei nicht wenigen Jugendlichen präsent sind, die nicht in rechtsextremistische Zusammenhänge eingebunden sind. b) Identitätsangebote Ähnlich bedeutsam wie die Feindbilder sind die Identitätsangebote, die von rechtsextremistischen Veröffentlichungen und Liedtexten ausgehen. Die Abbildung zeigt eine Zeichnung aus einer Zeitschrift (Fanzine) der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Der Slogan "Heute wie damals - im Kampfe vereint" gibt die Botschaft aus: "Gehörst Du zu uns, bist Du ein Krieger" - also jemand, so ließe sich die Parole verstehen, der für die gemeinsamen Sache ein hohes Risiko einzugehen bereit ist, der sich nicht durch leere Worte auszeichnet, sondern durch Gewalt. Abgebildet sind - in einer Reihe mit einem bewaffneten Skinhead - ein germanischer Krieger oder Wikinger sowie 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 ein Soldat, sei es der Wehrmacht oder des Ersten Weltkriegs. Diese Zeichnung wiederum impliziert die Aussage: "In unseren Reihen bist Du nicht allein und unbedeutend, vielmehr stehst Du in der langen Kette heldenhafter Vorgänger und Ahnen. Du gewinnst Bedeutung nicht, weil Du bist wie Du bist, sondern weil Du zu einem machtvollen Kollektiv gehörst." Da Identitätssuche zweifellos bei Jugendlichen eine zentrale Rolle spielt, könnten solche Identitätsangebote verführerisch sein. Vielfalt der Erlebniswelt Je vielfältiger die Erlebniswelt, desto größer die potenziEntnommen aus: Archiv der elle Breitenwirkung. So ist beispielsweise der RechtsJugendkulturen, rock kein eigener Musikstil, vielmehr tauchen in prakReaktionäre Rebellen, S. tisch allen populären Sparten - zumindest vereinzelt - 136 rechtsextremistische Varianten auf. Die Szene greift somit eine breite Palette aktueller Musik auf, darunter schnelle und aggressive Rhythmen, die an Punk und Metal-Stile angelehnt sind, aber auch Balladen kommen vor sowie Coverversionen bekannter Schlager oder Pop-Stücke. Letzteres gilt zum Beispiel für das Lied der rechtsextremistischen Band 'Die Härte', die das Neue-Deutsche-Welle-Stück der Hagener Gruppe 'Extrabreit' "Hurra, hurra, die Schule brennt" zu "Hurra, hurra, ein Nigger brennt" umgedichtet hat. In vulgärem Duktus wird darin der geradezu rituelle Mord des 'Ku Klux Klan' an einem Schwarzen verherrlicht. Die Band 'Extrabreit' hat sich unmissverständlich von der Cover-Version distanziert und im Juni 2004 Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt. Als erste Band, die gezielt bekannte Songs mit neuen, rechtsextremistischen Texten einspielte, gilt ein Studioprojekt, das sich 'Zillertaler Türkenjäger' nannte. Als eine Art Folgeband wird in rechtsextremistischen Kreisen die Gruppe 'Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten' gehandelt, die 2004 die CD "Braun is beautiful" veröffentlicht hat (Szene-Kommentar: "Goiles Stück! Die beste Partymucke der letzten Zeit"). Bei solchen Cover-Versionen werden die Vorlagen musikalisch kaum verändert nachgespielt, vorwiegend der gewollt-hässliche Röchel-Gesang unterscheidet die Stücke auf Anhieb hörbar von den Originalen. Die Melodien sind ebenso schlicht wie bekannt und gehen nahezu unwillkürlich ins Ohr. So entsteht ein gespenstischer Kontrast zwischen Gassenhauern, nicht selten im Schunkelrhythmus, und zynischen, vielfach rassistischen Texten. Zur rechtsextremistischen Musikpalette tragen über 100 Skinhead-Bands bei, die nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 2004 aktiv waren (2003: 95). In Nordrhein-Westfalen zählt die Dortmunder Gruppe 'Oidoxie' zu den wichtigsten Szene-Bands. Sie hat inzwischen sechs Alben vorgelegt, darunter die CD "Weiß & 42 Themen im Fokus Rein", die im Titel an ihrer rassistischen Haltung keinen Zweifel lässt. Da die Skinhead-Szene seit langem international vernetzt und stark durch ihr Mutterland England geprägt ist, zählen auch ausländische Bands zu den bekanntesten Gruppen unter Skinheads in Deutschland - zum Beispiel 'Bound for Glory' (USA) oder 'No Remorse' (Großbritannien). Zu Unrecht werden die Skinheads gelegentlich pauschal mit dem Rechtsextremismus gleichgesetzt. Vielmehr handelt es sich um eine heterogene Jugendkultur, die in der Tradition unpolitisch und bis heute keineswegs geschlossen rassistisch ist. In erheblichen Teilen der Skin-Szene sind die Verbindungen zum Rechtsextremismus, entsprechende Symbole und Einstellungen allerdings offensichtlich. Während subkulturell geprägte Musik und Pop-Cover in erster Linie für jüngere Menschen attraktiv sind, erreichen rechtsextremistische Liedermacher ein generationenübergreifendes Publikum einschließlich jugendlicher Skinheads. Zu den umtriebigsten Szene-Musikern zählt Frank Rennicke, der als eine wichtige Integrationsfigur innerhalb der rechtsextremistischen Szene gilt. Rennicke dürfte der meistbeschäftigte Liedermacher in diesen Kreisen sein und hat inzwischen über 20 Tonträger veröffentlicht. Er war Mitglied der 1994 verbotenen neonazistischen 'Wiking-Jugend', hat sich dann der NPD angeschlossen und bestreitet inzwischen regelmäßig das kulturelle Begleitprogramm der Parteiveranstaltungen. Auch bei Veranstaltungen der 'Republikaner' und der intellektuellen Neuen Rechten war der Schwabe zu Gast. Wie die meisten Liedermacher trägt Rennicke am Volkslied orientierte Balladen vor und begleitet sich auf der akustischen Gitarre. Die Texte sind vielfach nationalistisch und fremdenfeindlich. Mehrere Tonträger des Sängers hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert, zum Beispiel das Album "Ich bin nicht modern - Ich fühle deutsch". Aufgrund seines "Heimatvertriebenen-Liedes" hat das Landgericht Stuttgart Rennicke im Oktober 2002 wegen Volksverhetzung verurteilt. Nicht nur musikalisch kommen rechtsextremistisch geprägte Lieder unterschiedlich daher, dies gilt auch für Deutlichkeit und Aggressivität ihrer Aussagen. Zu den Extremen zählen die folgenden Beispiele, die den Holocaust und andere rassistische Morde verherrlichen und die durchaus als Aufrufe zur Gewalt verstanden werden können. Das erste Beispiel stammt von der Skin-Band 'Weisse Wölfe' aus NRW (CD: "Weisse Wut"). In dem Lied "Unsere Antwort" heißt es: "Und dann haben wir die alleinige Führung Dann weinen viele, doch nicht vor Rührung Für unser Fest ist nichts zu teuer 10.000 Juden für ein Freudenfeuer Ihr tut unserer Ehre weh Unsre Antwort Zyklon B" 43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Das Lied, das musikalisch im Metal-Stil gehalten ist, enthält eine selbst für rechtsextremistische Kreise ungewöhnlich offene Menschenverachtung. Es leugnet den Holocaust nicht, sondern verherrlicht ihn: Das Giftgas "Zyklon B" wird als Antwort auf die Situation der Gegenwart präsentiert, der Mord an Juden als ein "Fest", der Massenmord als ein "Freudenfeuer". Der Text verweist ferner darauf, dass der Antisemitismus auch 60 Jahre nach Auschwitz ein zentrales ideologisches Element des Rechtsextremismus ist. Ein weiteres Feindbild und ein eher noch stärkerer Zynismus taucht in dem Lied "Niemals" der Band 'Landser' auf (CD: "Ran an den Feind"). "Irgendwer wollte den Niggern erzählen, sie hätten hier das freie Recht zu wählen Recht zu wählen, haben sie auch Strick um den Hals oder Kugel in den Bauch" Die Band kleidet diesen Text in schlichte, eingängige Rockmusik. Wenn sie auch alle Register der Provokation zieht, macht der Text doch deutlich, dass die grundlegende Botschaft ernst gemeint und ernst zu nehmen ist. In der ersten Strophe nimmt er Bezug auf die Französische Revolution und den Gedanken einer grundlegenden Gleichheit der Menschen ("Bei der Revolution im alten Frankreich/erfand man diesen Blödsinn, alle Menschen wären gleich"). Diese Idee, die die europäische Aufklärung prägte, hat sich im Grundgesetz beispielsweise in Artikel 1 ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") niedergeschlagen. Rechtsextremisten lehnen eine grundlegende Gleichheit, somit auch allgemeine Menschenrechte, vielfach ausdrücklich ab. Indem 'Landser' dieses Thema anklingen lässt, zeigt die Band, dass sie fest auf dem ideologischen Boden des Rechtsextremismus steht und kein schieres Spiel mit der Provokation betreibt. Beide Beispiele gehen über den Rahmen des strafrechtlich Zulässigen bei weitem hinaus. Das gilt für andere rechtsextremistische Liedtexte vielfach nicht. Um den legalen Vertrieb und damit kommerzielle Interessen nicht zu gefährden, bewegen sich solche Texte häufig knapp unterhalb der Strafbarkeitsschwelle und arbeiten mit Andeutungen. Das Beispiel eines ganz offensichtlich mit Bedacht zurückhaltend formulierten Textes wird im Zusammenhang mit dem "Projekt Schulhof" näher dargelegt. Warum macht die Erlebniswelt den Rechtsextremismus attraktiv? Schlaglichter auf zwei beispielhafte Erklärungsansätze für Rechtsextremismus bei Jugendlichen lassen schärfer hervortreten, was die Erlebniswelt Rechtsextremismus für manche Jugendliche anziehend macht. Es liegt auf der Hand, dass die im Folgenden genannten Faktoren keine vollständige Liste der Ursachen für den Rechtsextremismus darstellen. 44 Themen im Fokus Bereits in Untersuchungen der späten 1980er Jahre hat der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer darauf hingewiesen, dass rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen seiner Auffassung nach nicht zuletzt auf Desintegrationsprozessen in modernen Industriegesellschaften beruhen, auf einer "Individualisierung von Lebenslagen und Lebenswegen", die den Einzelnen zunehmend auf sich selbst verweise. Größerer persönlicher Freiheit stehe eine abnehmende Berechenbarkeit der Lebensplanung gegenüber. Negative Entwicklungen würden erlebt oder befürchtet. Die von ihm angesprochenen Desintegrationsprozesse hat der Forscher in neuesten Arbeiten - den Studien zur "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" 2002 bis 2004 - differenzierter dargestellt und nicht allein auf Jugendliche bezogen. Er sieht sie auf mehreren Ebenen, insbesondere einer materiellen, politischen und sozialen Ebene. Insofern könnten beispielsweise der (drohende) Verlust des Arbeitsplatzes, das Gefühl, in der Politik kein Gehör zu finden, ebenso wie problematische Familienverhältnisse zur Desintegration beitragen und feindselige Haltungen fördern. Demnach gilt grundsätzlich: Wo Ängste zuund Sicherheiten abnehmen, werden feindselige Einstellungen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten wahrscheinlich. Entsprechende Haltungen stellte die Untersuchung keineswegs allein am rechten Rand der Gesellschaft fest, sondern in bedenklichem Maße bei Personen, die sich selbst zur "politischen Mitte" zählen. Die Vermutung erscheint plausibel, dass der Bezug auf mythisch überhöhte Kollektive wie "Volk" oder "Rasse" kollektive Identität schaffen soll, das heißt: ein vordergründiges Gefühl der Zugehörigkeit, das die Ausgrenzung - bis hin zum Hass - der anderen - der "Feinde" - umfasst. Menschenverachtende Konstrukte wie das Führerideal oder das Recht des Stärkeren können unter Umständen als Ausgleich für eigene Handlungsunsicherheiten herhalten. In diesem Lichte betrachtet, ist die Erlebniswelt Rechtsextremismus scheinbar ein attraktives Angebot. Zu den ideologischen Offerten tritt ein außerordentlich starkes Gruppengefühl. Rechtsextremistische Gruppen werden von Aussteigern vielfach als eine soziale und politische Heimat oder geradezu als Ersatzfamilie beschrieben - ein Gruppengefühl, das für abweichende Vorstellungen keinen Raum lässt. Die Musik mit rechtsextremistischen Inhalten spielt für solche Gruppen eine kaum zu überschätzende Rolle. Die Musik und vor allem die Texte schweißen zusammen und grenzen die Gruppe von der Umwelt ab. Gegen die Thesen Heitmeyers ist eingewandt worden, sie erklärten nicht, warum sich desintegrierte Personen nach rechts wendeten, nicht etwa zu anderen Extremen oder zu einer gänzlich apolitischen Haltung. Von dieser Frage ging Anfang der 1990er Jahre der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke aus, der inzwischen an der Führungsakademie der Polizei in Münster lehrt. Jaschke sah die Attraktivitätsmomente des Rechtsextremismus insbesondere für junge Menschen in dessen bewegungsförmi45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 ger Struktur. Er verstand den Rechtsextremismus in seiner gegenwärtigen Gestalt somit als eine neue soziale Bewegung; seiner Struktur - nicht den politischen Inhalten - nach sei er den neuen sozialen Bewegungen seit den späten 1960er Jahren vergleichbar, wie der Studenten-, Friedensoder Ökologiebewegung, die überwiegend auf der Linken angesiedelt und mit neuen Aktionsformen in Erscheinung getreten waren. Als Belege Skrewdriver - Logo nennen Forscher, die diesen Ansatz unterstützen, den netzwerkartigen Charakter des heutigen Rechtsextremismus, die Betonung direkter Aktionen - zum Beispiel Demonstrationen - sowie das gezielte Einwirken auf den Alltag von Zielgruppen, beispielsweise durch Musik. Eine erhebliche Breitenwirkung könne diese Bewegung nicht zuletzt deshalb entfalten, weil sie zum Teil mit modernen Mitteln und einer aktuellen Ästhetik agiere. Somit sind "bewegungsförmige Elemente" im Sinne Jaschkes auch Kernbestandteile der Erlebniswelt Rechtsextremismus. Strategie und Geschäft: Interessen hinter der Erlebniswelt Dass junge Menschen für Neonazi-Agitation in blutleerer Programmform kaum empfänglich sind, war dem englischen Aktivisten Ian Stuart Donaldson bereits vor gut 20 Jahren bewusst. Er erkannte, dass Ideologie in modernisierter Verpackung umso wirkungsmächtiger ist, und wurde zur Schlüsselfigur für die Verknüpfung neonazistischer Organisationen mit der Skinhead-Szene. Musik berühre die jungen Leute, die von den Politikern nicht erreicht würden, schrieb Donaldson: "Viele finden die Politik, parteipolitisch gesehen, langweilig [...]. Es ist doch viel angenehmer, mit anderen ein Konzert zu besuchen und Spaß zu haben, als in eine politische Versammlung zu gehen." Musik - für Jugendkulturen ein zentrales Gruppenidentität stiftendes Element - trat durch Donaldson ihren Siegeszug in der rechtsextremistischen Szene an. 1977 gründete er die Band 'Skrewdriver'; als ihr Sänger zählte er zu den Pionieren des Rechtsrock und wurde in Kreisen rechtsextremistischer Skinheads zur Legende. 1993 kam er bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Donaldson gilt als Begründer der internationalen Skinhead-Organisation 'Blood & Honour', die zu den wichtigsten Vertriebsstrukturen für CDs aus diesem Spektrum zählt und in Deutschland seit September 2000 verboten ist. Das 'Skrewdriver'-Logo - ein geschwungenes S - ist bis heute ein verbreitetes Symbol der rechtsextremistischen Skinhead-Szene, auch die Zahl 28 als Umschreibung für 'Blood & Honour' - das B ist der zweite, das H der achte Buchstabe des Alphabets - kommt immer wieder vor. Ganz im Sinne Donaldsons rief ein damaliger Rechtsrock-Händler aus NRW - Gründer des Skin-Verlags und -Vertriebs 'Creative Zeiten' - rechtsextremistische Organisationen auf, die Musik zu nutzen, und kritisierte, dass sich altbackene Gruppen dagegen sträubten. Dabei hätte man auf die46 Themen im Fokus se Weise, so der Betreffende in seinem Buch "Skinhead Rock", "breite Schichten der politisch national orientierten jungen Zielgruppe erreichen können. Man hätte damit aber auch den Parteien und politischen Vorfeldorganisationen des nationalen Lagers ein strategisch wichtiges Instrument in die Hand geben können, indem man junge Leute über die Musik an die Politik herangeführt hätte." Unter der Überschrift "Die Kultur als Machtfrage" lieferte im Oktober 1993 ein damaliger Redakteur der neurechten Zeitung 'Junge Freiheit' (JF) einen theoretisch unterfütterten Grundsatzartikel, der politisches Einwirken auf Jugendkulturen erörterte. Er ging von der Forderung aus, die Rechte müsse ihre auf historischen Vorlagen basierenden programmatischen und ästhetischen Aufnäher Consdaple Angebote an der Gegenwart orientieren. Er verwies auf tief greifende Potenziale der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie, insbesondere jungen Menschen auf nicht rationalem ("nicht-kognitivem") Wege Botschaften zu übermitteln, und erklärte die Verfügung über solche Potenziale zur Machtfrage. In den "Independent-Szenen" sah der Autor antimodernistische Tendenzen, die der Rechten "Ansatzpunkte zum 'Einklinken'" böten; ausdrücklich nannte er die Musik der Gothics, die von außen häufig als "Grufties" bezeichnet werden, sich selbst aber eher die "Schwarze Szene" nennen. In dieser - bis heute weit überwiegend unpolitischen Jugendkultur - hat sich in den 1990er Jahren ein völkisch orientierter Rand entwickelt. Einzelne Mitglieder dieser völkisch orientierten Bands richten sich an den Ideen der intellektuellen Neuen Rechten aus. Entsprechende CDs seien Träger einer "im besten Sinne reaktionären Ästhetik und Lebensauffassung", meinte der damalige JF-Redakteur. Die Verbindung von Musik, Ästhetik, Stil und ideologischer Nähe zum europäischen Faschismus rückt die aus der Gothic-Kultur stammende Band 'Von Thronstahl' in den Mittelpunkt. Auf ihrer Homepage wirbt sie für Kleidungsstücke mit dem provokanten Schriftzug "FASCI-NATION". Das Wortspiel trifft sich mit der Hinwendung zum Faschismus-Begriff, die aus Äußerungen des Kopfs der Band, Josef Klumb, spricht. In einem Interview bekannte er sich dazu, ein "Individualfaschist" zu sein. Als Faschist verstehe er sich insofern, als er Positionen der Konservativen Revolution - einer Strömung antidemokratischer Intellektueller der Weimarer Republik - unterstütze, aber auch solche Mussolinis. Zur Begründung bezog sich Klumb ausdrücklich auf den Anführer der 'British Union of Fascists' in den 1930er Jahren, Oswald Mosley. Später hat 'Von Thronstahl' in schwarzen Uniformen am Nürnberger Reichsparteitagsgelände für eine Fotosession posiert. Stil, so heißt es auf der Band-Homepage, müsse einer "in47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 neren Haltung oder eigenstem Geschmack entwachsen". Die Seite feiert einen Stil, den sie "Terrorist-Chic" nennt und der an NS-belasteten Vorbildern oder solchen des italienischen Faschismus anknüpfen soll ("Es lebe die Rückkehr der verbotenen Ästhetik"). Der Text macht einerseits deutlich, dass Kleidungs-, Symbolund Stilfragen zentrale Elemente der Erlebniswelt Rechtsextremismus sind. Andererseits zeigt er, dass Dresscodes in unterschiedlichen Facetten der Szene variieren können. Die von "FASCINATION" gepriesene und zur inneren Haltung verklärte Kleidung, die sich an HitlerHosen und Mussolini-Hemden orientiert, dürfte bei vielen Rechtsextremisten allenfalls begrenztes Interesse wecken. In der Skinhead-Szene beliebt ist dagegen Sportbekleidung beispielsweise der Marke 'Lonsdale'. Häufig tragen diese Produkte allerdings auch Jugendliche, die nicht in der rechtsextremistischen Szene verankert sind, zudem hat sich der Hersteller wiederholt von rechtsextremistischen Kreisen distanziert. Speziell auf den rechtsextremistische Markt zielen Produkte mit dem Schriftzug "CONSDAPLE", die unter einer halb geschlossenen Jacke so getragen werden können, dass NSDAP zu lesen ist. In jüngerer Zeit hat auch Kleidung der Marke 'Thor Steinar' in der rechtsextremistischen Szene einige Verbreitung gefunden. Das ursprüngliche Emblem der Firma basierte auf der Kombination mehrerer Runen. Das Amtsgericht Oranienburg ist im Oktober 2004 zu dem Schluss gekommen, dieses Logo sei den verbotenen Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen zum Verwechseln ähnlich. Die - nach eigenen Angaben rein geschäftlich motivierte - Firma hat Produkte mit diesen Symbolen inzwischen vom Markt genommen und ein neues Logo platziert. Es ist bemerkenswert, dass das ursprüngliche Logo einem Emblem entspricht, das rechtsextremistische Organisationen in sehr ähnlicher Form bereits seit geraumer Zeit verwenden. Das "Projekt Schulhof" - Entwicklung und politische Botschaften Mit dem "Projekt Schulhof" haben die Bemühungen der rechtsextremistischen Szene, Kinder und Jugendliche zu beeinflussen, eine neue Dimension erreicht. Eine CD mit rechtsextremistischen Liedern - sowie mit einer Computer-Datei, die propagandistische Schriften und Kontaktadressen von Rechtsrock-Händlern und rechtsextremistischen Gruppen umfasste - sollte im Jahr 2004 kostenlos vor Schulen und Jugendtreffs verteilt werden. Bereits in einem der ersten Aufrufe, mit dem die Verantwortlichen in der Szene um Unterstützung warben, nannten sie ihr Ziel beim Namen: Es gehe darum, "noch nicht gefestigte Schüler" zu erreichen. Die Aktion wurde von einer breiten Allianz rechtsextremistischer Aktivisten vorangetrieben und konspirativ durchgeführt. Rechtsextremistische Bands aus dem Inund Ausland haben Lieder beigesteuert; zum Teil sind diese Bands innerhalb der Szene bestens bekannt. 48 Themen im Fokus Mehrere Versuche, die CD in Deutschland pressen zu lassen, konnten im Sommer 2004 zunächst verhindert werden. Durch die Abstimmung zwischen Verfassungsschutz, Polizei und dem Verband der Phonowirtschaft waren die Presswerke gewarnt. Ein Unternehmen in Nordrhein-Westfalen hat sich sogar entschieden, die bereits hergestellten CDs zu vernichten, nachdem ihm der rechtsextremistische Hintergrund des Produkts bekannt geworden war. Inzwischen wurde die CD im Ausland produziert und liegt in einer Auflage von 50.000 Stück vor. Sie ist allerdings bislang nicht, wie geplant, vor Schulen und Jugendtreffs öffentlichkeitswirksam verteilt worden. Besonders dazu beigetragen hat ein Beschluss des Amtsgerichts in Halle/Saale: Das Gericht hatte im August festgestellt, Inhalte der CD seien "offenkundig schwer jugendgefährdend", und angeordnet, die CD bundesweit zu beschlagnahmen. Außerdem darf die CD an Kinder und Jugendliche nicht weitergegeben werden, weil sie mindestens einen Titel enthält, den die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zum Anlass genommen hat, eine andere CD zu indizieren. Die Inhalte der CD zum "Projekt Schulhof" sind Anfang November allerdings teilweise über einen ausländischen Anbieter in das Internet eingestellt worden. Politisch ist die Breitenwirkung das Ziel solcher Aktionen, zudem ist das "Projekt Schulhof" mit kommerziellen Interessen verwoben. Auch in dieser Hinsicht ist es ein typisches Beispiel der rechtsextremistischen Erlebniswelt. Mit Hilfe der Gratis-CD wollten die Verantwortlichen offenbar neue Absatzmöglichkeiten für Musik mit rechtsextremistischen Inhalten erschließen. Der oben erwähnte Aufruf an die Szene spricht dieses Motiv in aller Deutlichkeit an: Er richtet sich vorwiegend an Aktivisten, die entsprechende Musik produzieren oder mit ihr handeln; sie sollten auch den kommerziellen Nutzen - "die PR-Wirkung innerhalb der Szene" - bedenken, da die Unterstützer publik gemacht würden, und sich der "potentiellen Kunden" bewusst sein, "die durch solch eine Aktion gewonnen werden könnten". Politische Inhalte und Agitationstechniken werden vor allem in der Einleitung der CD deutlich. Als typischer Propagandatext zeichnet sie sich durch das durchgängige, plakative Gut-Böse-Schema aus: Das Intro entwirft das Bild eines Werte-losen Deutschland, das durch Begriffe wie "Korruption", "Kriminalität", "Drogen", "Gewalt" und "Arbeitslosigkeit" gekennzeichnet wird. Hervorgerufen werde diese Situation teils durch Egoismus, teils durch Böswilligkeit der Herrschenden ("die anscheinend nichts weiter im Sinn haben, als uns und unser Land dem vollkommenen Ruin einen Schritt näher zu bringen"). Im Anschluss wird das Gegenmodell einer deutschen Gemeinschaft gezeichnet, die mit existenziell-positiv besetzten Attributen verbunden wird wie "gesund", "glücklich" und "stark". Die Verfasser gehen offenbar davon aus, dass eine auf den ersten Blick erkennbare politische Agitation das jugendliche Publikum verschrecken, sogar strafrechtlich relevant sein könnte. Daher sind ideologische Bezüge 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 zurückhaltend formuliert, Reizworte wie "Rasse" oder eindeutige Parolen wie "Ausländer raus!" tauchen nicht auf. Entsprechende Konturen sind gleichwohl erkennbar. Dies gilt beispielsweise für die fremdenfeindliche Färbung des Textes und das Konzept der Volksgemeinschaft, das am Schluss anklingt. Das Intro beschwört das Ideal einer streng nach ethnischen Linien differenzierten Welt - dies entspricht dem Theorem des "Ethnopluralismus": Demnach ist jegliche Mischung ethnischer Gruppen schädlich für das Gemeinwesen, bedrohen Menschen, die ethnisch keine Deutschen sind, die Homogenität, letztlich Qualität und Bestand Deutschlands. Entsprechende Akteure bestreiten vielfach, fremdenfeindliche Haltungen zu vertreten. Vielmehr geben sie humanitäre Motive vor, da nur in einer ethnisch homogenen Umgebung der Einzelne tatsächliche Identität finden könne. In diesem Sinne heißt es im Intro: "Wir wollen, dass die Menschen im gesunden Einklang miteinander, ihrem Land, ihrem Volk und der Natur leben. [...] Wir wollen feste soziale Bindungen, die keinen Deutschen ausschließen und Hilfe für Bedürftige leisten. [...] Wir wollen alle Völker und Kulturen dieser Erde in ihrer wunderbaren Einzigartigkeit erhalten. Wir sind keine Ausländerfeinde! Wir lieben das Fremde - in der Fremde." Der Text des Intros wird gesprochen, nicht gesungen - langsam, verständlich und untermalt von getragenen Orchesterklängen. An dieser Stelle setzen die Verantwortlichen der CD darauf, ausgrenzenden Botschaften musikalisch und sprachlich ein auf den ersten Blick freundliches Gewand zu geben. Die folgenden Lieder schlagen mitunter aggressivere Töne an. Sowohl der allgemeine Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Halle/Saale als auch die Indizierungsentscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stützen sich auf das Lied "Im Krieg gegen ein ScheißSystem" der Gruppe 'Stahlgewitter', das auf der "Projekt Schulhof"-CD enthalten ist. Darin heißt es: "Das Reich der Deutschen liegt am Boden, gemartert und zerschunden Unser aller Heimatland blutet aus tausend Wunden Eine stets devote Klein-Provinz, auch BRD genannt Aufrecht geht hier nur noch der Nationale Widerstand Wir sind im Krieg, wir sind im Krieg, wir sind im Krieg gegen ein Scheiß-System Staatsverschuldung, Multikulti und Freiheit eine Phrase 50 Themen im Fokus Der Verwesungsgeruch des Scheißsystems liegt uns schon ätzend in der Nase Sozialabbau, Überfremdung, Massenarbeitslosigkeit Ihr Pseudo-Demokraten seid dem Untergang geweiht Ja, ihr Staatsbüttel ihr, das wollt ihr also schützen Die Auflösung von Volk und Nation, das wird nichts mehr nützen" Dem deutschen Verfassungsstaat spricht der Text in drastischer Weise den demokratischen, freiheitlichen Charakter ab. Die Bundesprüfstelle hat den Text auch deshalb als jugendgefährdend eingestuft, weil er "zum Rassenhass gegen in Deutschland lebende Migranten" anreize. Mit Schlagworten wie "Multikulti", "Überfremdung" sowie "Auflösung von Volk und Nation" bekämpft der Text ein verständiges Zusammenleben mit Ausländern oder Deutschen mit Migrationshintergrund. Einwanderung wird als ein von politischen Eliten planmäßig betriebener Prozess dargestellt, der dem Ziel diene, Deutschland und das deutsche Volk zu zerstören. Das Lied zeichnet zudem das aus rechtsextremistischen Kreisen bekannte Zerrbild eines durch fremde Mächte beherrschten und gedemütigten Deutschland. Es setzt dem deutschen Staat ein angeblich fortbestehendes, mythisches "Reich" gegenüber und fordert Gebietserweiterungen. Wie diese zu erreichen seien, lässt es offen. Faktisch setzen sie Gewalt voraus. Das Lied ist in aggressivem Hardrock-Stil gehalten, der geeignet sein dürfte, die Inhalte des Textes zu verstärken. Internationale Dimension: "Project Schoolyard" Für einige rechtsextremistische Aktivisten im Ausland hatte das "Projekt Schulhof" Vorbildcharakter: Anfang September 2004 erschien ein Eintrag im Forum der Internet-Seite des rechtsextremistischen Musikverlages 'Panzerfaust Records' in den USA, der sich unmittelbar auf die Aktion in Deutschland bezog. Dort hieß es: "Als Ausdruck der wachsenden internationalen Solidarität und Kooperation zwischen weißen Nationalisten hat das 'Projekt Schulhof' den Atlantik überquert und wird hier in den USA fortgesetzt" (Zitat aus dem Englischen übersetzt). Der Schreiber des Eintrags, Byron Calvert (eigentlich: Bryant Cecchini), ist Mitbegründer von 'Panzerfaust Records', zwischenzeitlich einer der größten und aktivsten rechtsextremistischen Musikverlage und -vertriebe weltweit (aufgrund interner Streitigkeiten ist die Zukunft von 'Panzerfaust Records' derzeit - Februar 2005 - ungewiss). Aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Skinhead-Szene stammend, legt 'Panzerfaust' den Schwerpunkt auf Rockmusik mit NS-verherrlichenden Texten und aggressive "White Power"-Musik. Im Sortiment des Unternehmens in Newport (Minnesota) sind über 500 CDs von mehr 51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 als 300 Bands, darunter die deutsche Gruppe 'Landser'. 'Panzerfaust' versteht sich als ein politischer Akteur, der seine Inhalte durch Musik verbreitet. Gewinne werden zur politischen Arbeit eingesetzt. 'Panzerfaust Records' verfügt über enge politische und geschäftliche Beziehungen nach Europa, vor allem nach Deutschland. Die InternetSeite des rechtsextremistischen Verlags umfasst ein deutschsprachiges Forum, dort wurde das "Projekt Schulhof" im Januar 2004 zum ersten Mal öffentlich angekündigt. In Zusammenarbeit mit einer Reihe von rechtsextremistischen Gruppen und Bands in den USA hat 'Panzerfaust Records' innerhalb weniger Wochen eine Musik-CD mit 20 Liedern zusammengestellt. Die Stücke sind auf den amerikanischen Markt zugeschnitten und stammen von szenebekannten "White Power"-Bands. Darunter sind Gruppen wie 'Bound for Glory', 'Max Resist & the Hooligans', 'H8Machine' sowie die nach wie vor allgegenwärtige englische Kultband 'Skrewdriver'. Nach Calverts Angaben sind in den ersten zwei Wochen nach Pressung 20.000 Exemplare der CD verschickt worden, sodass 'Panzerfaust Records' im November 2004 weitere 80.000 Exemplare pressen ließ. Im Gegensatz zu Deutschland enthalten die CDs des "Project Schoolyard" neben der Musik keine schriftliche Propaganda, sie werden auch nicht kostenlos verbreitet. Während anfangs eine CD für 15 Cent abgegeben wurde, kostete diese später - bei einer Abnahme von 100 Stück - 35 Cent für Personen innerhalb der USA und 60 Cents für auswärtige Käufer. Von politisch Gleichgesinnten wird erwartet, dass sie die CD in großer Stückzahl erwerben und auf eigene Kosten beispielsweise an Schulen oder Universitäten verteilen. Wie in Deutschland richtet sich die CD speziell an Jugendliche, denen auf diese Weise rechtsextremistische, insbesondere rassistische Ideologie näher gebracht werden soll - getreu dem Leitspruch von 'Panzerfaust Records': "We don't just entertain racist kids, we create them!" (Wir unterhalten nicht einfach rassistische Jugendliche, wir erschaffen sie). Eine sehr weitreichende Meinungsfreiheit, die auch rechtsextremistische Propaganda umfasst, ist in den USA durch den ersten Verfassungszusatz geschützt (Freiheit der Rede und des Ausdrucks). Die Verbreitung rechtsextremistischer Medien ist daher in aller Regel nicht strafbar. Gleichwohl haben einige Schulleiter von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und die CD zum "Project Schoolyard" eingezogen. Daraufhin kündigte Byron Calvert rechtliche Schritte an und stellte ein Beschwerdeformular für betroffene Schülerinnen und Schüler auf der Webseite von 'Panzerfaust Records' zur Verfügung. Das "Project Schoolyard" ist nicht nur ein treffendes Beispiel für die zentrale Stellung von Musik in der Erlebniswelt Rechtsextremismus, es illustriert auch den hohen Grad der internationalen Vernetzung, den die rechtsextremistische Szene inzwischen erreicht hat. 52 Themen im Fokus Fazit: Freizeitwert, Lebensgefühl und politische Botschaften - diese Kombination macht den zeitgenössischen Rechtsextremismus in Deutschland zu einer Erlebniswelt, die bei Jugendlichen mitunter Anklang findet. In diesem Zuge hat sich das Erscheinungsbild der Szene modernisiert: Vorherrschend ist ein aktuelles Gewand für ein rückwärtsgewandtes Denken, das im Kern aus ausgrenzenden, häufig menschenverachtenden Inhalten besteht, die sich mit den Stichworten Fremdenfeindlichkeit/Rassismus - insbesondere Antisemitismus - sowie Verherrlichung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus grob umreißen lassen. Die Erlebniswelt vermittelt nicht nur Feindbilder - etwa Schwarze, Juden oder Homosexuelle -, sondern auch Wir-Gefühle, die auf nationalistischen oder rassistischen Prämissen beruhen. Gerade letztere könnten bei Jugendlichen verführerisch wirken. Das "Projekt Schulhof" im Jahr 2004 in Verbindung mit seinem US-amerikanischen Pendant - dem "Project Schoolyard - zeigt die internationale Dimension dieser Erlebniswelt und die zentrale Bedeutung, die der Musik mit rechtsextremistischen Inhalten zukommt. Stücke des Rechtsrock variieren stilistisch - von aggressiv bis romantisch - und hinsichtlich der Deutlichkeit ihrer Aussagen. Häufig ist ihre Verbreitung nach deutschem Recht beispielsweise als Volksverhetzung strafbar, mitunter verlassen sie die Grenzen des Legalen bewusst nicht, zumal kommerzielle Interessen durch strafbare Inhalte gefährdet sein könnten. Die Botschaften der Erlebniswelt Rechtsextremismus sind nicht grundsätzlich umso problematischer, je aggressiver sie vorgetragen werden. Sicherlich sind Texte, die Morde verherrlichen oder zu ihnen aufrufen, eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung für eine demokratische Kultur und ein weltoffenes Klima in Deutschland. Sie tragen dazu bei, Hemmschwellen für konkrete Gewalttaten zu senken. Je unverfänglicher die Aussagen allerdings auf den ersten Blick erscheinen, desto eher könnten gerade Kinder und Jugendliche sie unkritisch aufnehmen. Dies gilt beispielsweise für die vorgeblich humanitäre Haltung, die aus dem Satz "Wir lieben das Fremde - in der Fremde" spricht und einen ausgrenzenden Nationalismus kaschieren soll, der sich - anders formuliert - auch in der Parole "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!" findet. Die Darstellung der Erlebniswelt Rechtsextremismus wirft die Frage auf, welche Resonanz die Bemühungen der Szene um Jugendliche finden könnten. Nach empirischen Untersuchungen weisen die allermeisten Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise fremdenfeindliche Parolen zurück. Ablehnung von Minderheiten und Vorurteile kommen aber - ebenso wie bei Erwachsenen - nicht selten vor. Erlebnisangebote, die mit rechtsextremistischen Botschaften verknüpft sind, könnten vor allem dann wirksam werden, wenn sie auf vorhandene unterschwellige oder offen vertretene Ressentiments stoßen. Bei Jugendlichen, die Codes und Strategien der rechtsextremistischen Szene kennen, die mit Hintergründen der Einwanderung nach Deutschland 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 vertraut sind und die sich in die Situation von Minderheiten einfühlen können, stoßen rechtsextremistische Behauptungen auf Distanz und Zivilcourage. Aufklärung über rechtsextremistische Aktivitäten ist daher - neben einem Fächer anderer Maßnahmen - ein wichtiger Schritt, um demokratische Orientierungen bei Jugendlichen zu fördern und auf diese Weise auch den Geist der Verfassung zu schützen. 54 Rechtsextremismus 3 Rechtsextremismus 3.1 Rechtsextremistische Parteien und Organisationen 3.1.1 Die Republikaner (REP) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Gründung 1983 1984 Sitz Berlin Geschäftsstelle Senden (bei Münster) Vorsitzende Dr. Rolf Schlierer Ursula Winkelsett Mitglieder 2004 ca. 7.500 ca. 900 2003 ca. 8.000 ca. 1.150 Publikationen 'Zeit für Protest' (erscheint ca. alle zwei Monate) Internet Die Partei ist auf allen organisatorischen Ebenen - einschließlich ihrer Nebenorganisationen - im Internet vertreten :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die Beobachtung der REP 'Die Republikaner' (REP) charakterisieren sich selbst als national-konservative Partei. Dennoch lassen sich tatsächliche Anhaltspunkte für ihre rechtsextremistische Ausrichtung deutlich erkennen. Dabei spielen insbesondere das Zusammenwirken mit anderen Rechtsextremisten, eine fremdenfeindliche Agitation sowie die Diffamierung von Repräsentanten und Institutionen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine bedeutende Rolle. Aktuelle Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Die Partei ist seit Amtsantritt des derzeitigen Bundesvorsitzenden auf Führungsebene bemüht, ihre rechtsextremistische Grundhaltung in öffentlichen Aussagen zu verschleiern. Offiziell betonen die REP daher unter Hinweis auf so genannte Unvereinbarkeitsbeziehungsweise Abgrenzungsbeschlüsse ihre programmatische Distanz zu 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 anderen rechtsextremistischen Parteien. Gleichwohl ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen. In den letzten Jahren gehörte es zur Strategie der REP, die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer als Kostgänger der Sozialsysteme oder gar Kriminelle zu bezeichnen und damit gesellschaftlich abzuwerten. Seit den Anschlägen des Aufkleber der Republikaner 11. September 2001 stehen vorwiegend Angehörige des islamischen Glaubens im Mittelpunkt der Agitation. Mit den Schlagworten "Terror", "Überfremdung" und "Sozialschmarotzer" werden sie zum Sündenbock gestempelt. Seit der Diskussion um die Erweiterung der EU und einen möglichen Beitritt der Türkei wird dieses Image in allen Wahlkämpfen der REP auf Bundes-, Landesund Kommunalebene bedient. In Ausgabe 3-4/04 der Parteizeitung 'Zeit für Protest' tritt in dem Artikel "Grenzenlos kriminell" die Strategie der latenten Gleichsetzung von Ausländern mit Kriminellen zu Tage. Dort heißt es: "Wir haben uns daran gewöhnt, dass Kriminalität in Deutschland heutzutage häufig ethnisch organisiert ist." Weiter ist die Rede von: "russischer Mafia, [...] albanischen Drogensyndikaten, [...] rumänischen Tresorräuberbanden, [...] türkischen Menschenhändlerringen, [...] Bankräuberbanden aus Estland, [...] litauischen Banden [...]." In Sachsen herrsche "ein regelrechter kleiner Grenzverkehr der Diebe". Unterschwellig wird der Staat angeprangert, der seine Bürger nicht mehr schützen könne: "[D]ie Bürger mauern sich in Privatfestungen ein". Ausgabe 7-8/04 von 'Zeit für Protest' weist eine beachtliche Bandbreite rechtsextremistischer Agitationsmuster auf. Geplante Moscheen in Berlin werden als Teil eines Masterplans zur Eroberung Deutschlands geschildert: "Wien war gestern - jetzt ist Berlin im Visier der islamischen Eroberer [...]. Gebetshäuser [sind] wie Leuchttürme der Eroberung in einem strategischen Netz über die ganze Hauptstadt verteilt." Die Volksgruppe der europäischen Sinti und Roma - hier stets mit dem Begriff "Zigeuner" bedacht - wird des kollektiven Schmarotzertums bezichtigt. Unter "Invasion in die Sozialsysteme" heißt es hierzu: "Anderthalb Millionen Zigeuner sind seit dem ersten Mai EU-Bürger. Nichtarbeiten in Deutschland bringt einer vierköpfigen Familie rund fünfmal mehr ein als Arbeiten in der Slowakei." Letztlich wird zu den Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag der alliierten Invasion in der Normandie festgestellt: "[L]ängst [ist] die kritiklose Übernahme des Schlagworts von der 'Befrei56 Rechtsextremismus ung' zur Beschreibung der deutschen Niederlage von 1945 üblich geworden. Wir sind aber nicht befreit, sondern besiegt worden." Im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung 2004 wurden gezielt die EU-Neumitglieder Polen und Tschechien - schon seit 2003 in einer Kampagne als "uneinsichtige Vertreiberstaaten" betitelt - angegriffen. Diese seien unter Hinweis auf ihre aktuelle Haltung zu der Vertriebenenproblematik nicht zum Kreis der "zivilisierten Staaten" zu rechnen. Mit einseitigen Schuldzuweisungen werden komplexe historische Ereignisse hierbei simplifiziert und zumindest indirekt auch revisionistische Themenfelder abgedeckt: "Polen hat sich bereits nach dem ersten Weltkrieg deutsche Gebiete unter den Nagel gerissen [...]. Die Okkupation Schlesiens nach dem zweiten Weltkrieg stellt einen völkerrechtswidrigen Landraub dar, der nicht hingenommen werden kann." (Pressemitteilung Nr. 39/04). Kontinuierlicher Bedeutungsverlust der Partei - Mitgliederschwund, Finanzprobleme und Wahlniederlagen Bis vor kurzem hatten die REP - als mitgliederstärkste Partei - inoffiziell einen "Führungsanspruch" im rechtsextremistischen Parteienspektrum für sich reklamiert. Dieser Anspruch ist mit den Wahlerfolgen von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg hinfällig geworden. Der Führungsspitze ist es auch 2004 nicht gelungen, den seit Jahren bestehenden Abwärtstrend umzukehren. Anscheinend sind die REP aufgrund anhaltender starker Mitgliederverluste, finanzieller Probleme, Erstarken der konkurrierenden rechtsextremistischen Parteien und offenkundiger Führungsschwäche des eigenen Bundesvorstandes in eine Identitätskrise geraten. In Nordrhein-Westfalen ist die Mitgliederzahl in 2004 erstmals deutlich unter die psychologisch wichtige Marke von 1.000 gesunken. Jüngere Mitglieder konnten nicht gewonnen werden; eine Verjüngung der Alterstruktur ist deshalb nicht zu erwarten. Die unmittelbar aus dem Mitgliederschwund resultierenden Beitragsund Spendenmindereinnahmen können mittelfristig auch nicht durch die Wahlkampfkostenerstattung ausgeglichen werden, von der die REP im Rahmen der Europawahl 2004 erneut profitierten. Die schwache Finanzstruktur erschwert die Parteiarbeit in Landesund Kreisverbänden weiterhin in erheblichem Maße. Die Wahlkämpfe zur Europaund Kommunalwahl offenbarten diese strukturellen Defizite. Entgegen der vollmundigen Ankündigungen des Landesvorstandes - dessen Vorsitzende gleichzeitig Spitzenkandidatin der REP zur Europawahl war - konnten sich die REP mit landesweit 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 1,2% (Europawahl) beziehungsweise 0,6% (Kommunalwahl) lediglich auf niedrigem Niveau konsolidieren. Abgrenzungsdiskussion hält an Innerhalb der REP finden sich seit ihrer Gründung zahlreiche Schnittstellen zwischen national-konservativen, rechtsradikalen und rechtsextremistischen Ideologieelementen. Der offizielle Abgrenzungskurs wird bei weitem nicht von allen Teilen der Basis getragen. Zahlreiche Anhänger der "rechten" REP-Fraktion verblieben trotz der Flügelkämpfe und des Austritts beziehungsweise Ausschlusses namhafter Vertreter in den 90er Jahren in der Partei. Sie bilden als nachrangige Funktionäre oder einfache Mitglieder auf Kreisverbandsebene traditionell ein konfliktträchtiges Unruhepotenzial. Spätestens mit den Wahlniederlagen der REP in der jüngsten Vergangenheit fällt es der Parteiführung zunehmend schwerer, diese parteiinternen Kritiker einer Abgrenzung in das filigrane Gesamtgefüge der eigenen Positionierung als rechtskonservative Alternative des Parteienspektrums zu integrieren. Der Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Parteilebens offenbart eine tiefe Kluft zwischen den immer lauter werdenden Wünschen der Basis nach Kooperation mit anderen rechtsextremistischen Parteien und der offiziell vertretenen Parteilinie, mit der sich unweigerlich auch die politischen Ambitionen der bisherigen Führungsebene verbinden. Selbst im Landesverband NRW, der von der dortigen Vorsitzenden bislang straff auf offizieller Linie gehalten wurde, zeigen sich diesbezüglich erste Auflösungstendenzen. Hier hatten sich anlässlich der Kommunalwahl in NRW 2004 faktische Listenverbindungen zwischen REP und NPD in Lüdenscheid sowie REP und unter anderem der DVU in Düsseldorf gebildet. Auch seitens des NPD-Bundesvorsitzenden wurde das Potenzial der REP erkannt. Dieser appellierte bei der Bekanntgabe der Kooperationsabsichten zwischen DVU und NPD am 22. September 2004 auch an "rechtschaffende Republikaner", sich möglichst bald an der "Einigung nationaler Kräfte in Deutschland" zu beteiligen. Während die westdeutschen REP-Landesverbände noch mehrheitlich an den Abgrenzungsbeschlüssen festhalten und in offiziellen Erklärungen der vorgegebenen Linie folgen, scheinen manche ostdeutschen Landesverbände zu einer Kooperation bereit. Im Bewusstein einiger Funktionäre setzt sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass die Partei in naher Zukunft schon aus Gründen des "politischen Überlebens" zu einer Kooperation gezwungen sein könnte. So plädierte der Berliner REP-Vorsitzende bereits in seiner "Neujahrsbotschaft" vom 9. Januar 2004 für ein "Umdenken [...], um den Zerfall unserer Partei zu verhüten". Das "rechte Lager" solle "zusammengeführt werden". Für die Landtagswahl 2004 in Brandenburg rief der REP-Landesvorstand 58 Rechtsextremismus Berlin in einer am 27. August 2004 in der 'Nationalzeitung' veröffentlichten "Entschließung" zur Wahl der DVU auf. Die REP waren mangels Erfolgsaussichten in Brandenburg nicht angetreten. Die "Frankfurter Erklärung" Der sowohl innerparteilichen als auch von außen herangetragenen Forderung nach einer Kooperation zwischen REP und NPD beziehungsweise DVU setzte der Bundesvorsitzende Ende 2004 ein alternatives Modell entgegen, eine Zusammenarbeit zwischen REP, 'Deutscher Sozialer Union' (DSU) und 'Deutscher Partei' (DP). Am 1. November 2004 veröffentlichte der REP-Bundesverband hierzu die so genannte "Frankfurter Erklärung". Dort wurde die Absicht bekräftigt, auch mit "weiteren rechtskonservativen" Parteien zu kooperieren und eine "demokratische Alternative [...] rechts von der Union zu etablieren." Seitens der DP wird ein etwaiges Bündnis in dieser Form abgelehnt. Vorbereitungen der REP zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Der REP-Landesvorstand ist erkennbar bemüht, die Vorbereitung der Landtagswahl 2005 in NRW möglichst frühzeitig zu beginnen, um Schwierigkeiten wie bei der Europawahl zu umgehen. Hier gab es erhebliche organisatorische Probleme bei der Sammlung der erforderlichen Unterstützungsunterschriften. Der Landesverband betonte in mehreren Schreiben seinen Willen zu einer flächendeckenden Kandidatur in Nordrhein-Westfalen. Erfolgschancen werden in einem Rundschreiben vom 27. September 2004 mit dem Umstand begründet, dass es außer den REP "[...] nur wenige oder überhaupt keine anderen kleinen Parteien schaffen, flächendeckend anzutreten [...]". Im Rahmen des Landesparteitages am 3. Oktober 2004 wurde die Landesvorsitzende erwartungsgemäß auf Platz 1 der Landesliste gewählt. Bundesparteitag Der Bundesparteitag Ende November wählte den bisherigen Bundesvorsitzenden wieder. Damit ist es noch einmal gelungen, den mit seiner Person verbundenen Abgrenzungskurs gegenüber der NPD durchzusetzen. In diesem Sinne ersetzte der Parteitag den 1990 gefassten Abgrenzungsbeschluss (so genannter "Ruhstorfer Beschluss") durch eine offensichtlich gegen die NPD gerichtete Entschließung. Auch künftig ist danach die "Beteiligung an einer 'rechten Volksfront'" - insbesondere gemeinsame Aktivitäten und Kandidaturen mit der NPD bei deren derzeitigen Zielen - ausgeschlossen. Allerdings gelang es Schlierers Gegenkandidaten - einem führenden Ab59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 grenzungskritiker - über ein Drittel der Delegiertenstimmen zu erringen. Die Spaltung der Partei mit ihren erheblichen internen Spannungen bleibt also bestehen. Ausblick Im Hinblick auf die Kooperationsbestrebungen der bislang konkurrierenden rechtsextremistischen Parteien NPD und DVU sehen sich die REP einem verstärkten Handlungszwang ausgesetzt. Eine mögliche strukturelle Neuausrichtung der REP erscheint Teilen der Partei aus Sorge vor einem Sturz in die Bedeutungslosigkeit mehr denn je erforderlich. Vor dem Hintergrund weiterer Kooperationsangebote seitens NPD und DVU sowie eines Fortschreitens der aufgezeigten aktuellen innerparteilichen Probleme ist mittelfristig mit einer Ausweitung der Flügelkämpfe zu rechnen, in deren Folge ein Wegbrechen ganzer Landesverbände oder gar eine Spaltung der Partei kein utopisches Szenario mehr sein dürfte. 3.1.2 Deutsche Volksunion (DVU) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Gründung 1987 1989 Sitz München Dortmund Vorsitzender Dr. Gerhard Frey Hans-Dieter Wiegräfe Mitglieder 2004 11.000 1.500 2003 11.500 1.900 Publikationen 'National Zeitung/Deutsche Wochen Zeitung' (NZ), Auflage ca. 45.000; erscheint wöchentlich Internet Die DVU verfügt seit 1997 über eine eigene Homepage. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Rechtsextremistische Grundhaltung Um die extremistische Zielsetzung zu verschleiern und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, hält die 'Deutsche Volksunion' (DVU) ihr Parteiprogramm bewusst vage. Tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen finden sich jedoch in den Ausführungen der Wochenzeitung 'National Zeitung/ Deutsche Wochenzeitung' (NZ) des DVU-Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey. 60 Rechtsextremismus Schwerpunkte der DVU-Agitation und der NZ-Artikel sind tendenziell ausländerfeindliche, revisionistische und unterschwellig antisemitische Thesen. Häufig werden Themen mit Ausländerund Einwanderungsbezug gewählt, die gezielt eingesetzt werden, um Überfremdungsängste zu schüren. Meist wird mit suggestiven Schlagzeilen in Frageform gearbeitet. Sie zielen darauf, in der Leserschaft bestehende Ressentiments anzusprechen: Tendenziell ausländerfeindliche Überschriften: : "Die organisierte Kriminalität - Wie sich Russenmafia und Zigeunerbanden auf den EUBeitritt vorbereiten" : "Übernehmen Türken Deutschland? Schröder & Co. wollen Titelseiten der Publikation 'National + noch mehr reinholen" Zeitung', Ausgaben 8, 11, 15, 25, 31 und 37 : "'Mehr für Ausländer als für aus dem Jahr 2004 Deutsche tun!' Der Plan zur Entrechtung unseres Volkes" : "Kommen Millionen Zigeuner? Die verschwiegenen Folgen der EU-Erweiterung" : "Ruiniert uns die EU-Osterweiterung? Millionen auf Armutswanderung" : "Wie Ausländer-Banden Deutschland terrorisieren" : "Asyl für die ganze Welt? Neue Wahnsinnspläne der EU" Tendenziell revisionistische Überschriften: : "Sollen wir ewig büßen? Der wahre Sinn des Holocaust-Mahnmals" : "Müssen die Deutschen ewig büßen? Wie ein Volk geknechtet wird" : "War das wirklich 'Befreiung'? Die Lügen über die Invasion" : "Deutsche böse, Alliierte gut? Wie über den 2. Weltkrieg gefälscht wird" Tendenziell antisemitische Überschriften: 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 : "Die Antisemitismus-Lüge - Wie Kritik an Israel unterdrückt werden soll" : "Wie kriminell ist Friedman? Die 'Moral' des Deutschenhassers" : "Wird Deutschland zweites Israel? Masseneinwanderung von Juden" Als Hintergrund der extremistischen Agitation der DVU schimmert eine völkisch-nationalistische Ideologie durch. Eine ethnisch verstandene deutsche Nation ist oberste Maxime, was tendenziell zur Abwertung bestimmter Menschenund Bürgerrechte führt. Als politischen Auftrag leitet die DVU daraus die Schaffung eines ethnisch homogenen Deutschlands ab und fordert einen alle Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens einschließenden völkischen Protektionismus sowie die Bekämpfung aller "antideutschen" Bestrebungen. Vor diesem Hintergrund ist auch die von der DVU initiierte Unterschriftenaktion gegen die Aufnahme der Türkei in die EU zu sehen. Aktuelle Aktivitäten Dr. Gerhard Frey als Bundesvorsitzender der DVU bestätigt Der bisherige DVU-Bundesvorsitzende Frey wurde auf einem am 20. März 2004 in München durchgeführten Bundesparteitag mit 99% der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Einer DVU-Pressemitteilung zufolge rief Frey in seiner Grundsatzrede dazu auf, alle Kräfte auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen zu konzentrieren. Das Gebot der Stunde sei scharfe Opposition gegen den deutsch-feindlichen Kurs der etablierten Parteien. Ausblick In der Vergangenheit gab es bereits mehrfach Wahlabsprachen zwischen den Parteien des rechtsextremistischen Spektrums. DVU und NPD hatten zuletzt 1991 für die Wahl zur Bremer Bürgerschaft ein Wahlbündnis auf Landesebene geschlossen. Damals unterstützte die NPD die DVU bei eigenem Wahlverzicht. Wahlabsprachen zwischen DVU und REP gab es auch im November 1998 bei mehreren Landtagswahlen. Die nächsten Möglichkeiten, das jetzige Wahlbündnis zu realisieren, bestehen bei den Landtagswahlen am 20. Februar 2005 in Schleswig-Holstein und am 22. Mai 2005 in Nordrhein-Westfalen. Wahlbündnisse erhöhen die Erfolgsaussichten bei Wahlen, denn die Bündelung der Kräfte führt zu einem insgesamt höheren und effektiveren Einsatz von Wahlkampfmitteln. Konflikte zwischen DVU und NPD sind aber zu erwarten. So ist es ist schwer vorstellbar, wie sich die von Dr. Frey autokratisch geführte DVU und die Parteiführung der NPD mit den in die NPD integrierten führenden Neonazis dauerhaft auf eine gemeinsame ideologische Basis verständigen werden. 62 Rechtsextremismus Erste Konflikte zwischen den Bündnispartnern deuten sich bereits an. Der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt bezeichnete in einem Interview mit der Wochenzeitung 'Junge Freiheit' (JF) die Bundesrepublik Deutschland als "illegitimes System" (Ausgabe Nr. 40/04 vom 24. September). Nur eine Woche danach bekannte sich in einem Interview mit der von ihm herausgegebenen 'National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung' (NZ Nr. 41/2004 vom 1. Oktober) der DVU-Bundesvorsitzende Dr. Gerhard Frey ausdrücklich zum Grundgesetz, welches er als "die ideale Verfassung" bezeichnete, und distanzierte sich so von den Äußerungen seines Bündnispartners. 3.1.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Gründung 1964 1964 Sitz Berlin Bochum-Wattenscheid Vorsitzender Udo Voigt Stephan Haase Mitglieder 2004 5.000 550 2003 5.000 550 Publikationen 'Deutsche Stimme', monatlich; 'Deutsche Zukunft - Landesspiegel NRW', unregelmäßig (2004 nicht erschienen) Internet Die Partei hat seit März 1996 eine eigene Homepage. Zum Angebot gehören das Parteiorgan 'Deutsche Stimme' sowie Bücher, CDs und diverse Werbematerialien aus dem 'Deutsche Stimme-Verlag', ferner das Parteiprogramm, Presse-Mitteilungen der NPD, Aufrufe zu Demonstrationen und Seiten der NPD-Landesund Kreisverbände. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Zielsetzung Die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' (NPD) strebt an, die vom Grundgesetz geschützte und garantierte freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie bekennt sich zum völkischen Kollektivismus, einer dem Nationalsozialismus entnommenen Vorstellung. Das bedeutet eine pauschale Überbewertung der auf Grund 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Faltblätter, Aufkleber und Tagespost-Wurfzettel der NPD unter anderem zur Europawahl und gegen Hartz IV 64 Rechtsextremismus ethnischer Zugehörigkeit definierten "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Rechte und Interessen des Einzelnen sowie fremder Nationen und Kulturen. Im Parteiprogramm von 1996 - wie auch schon in den 1992 beschlossenen "Nationaldemokratischen Leitlinien Deutschland 2000" - wird dieser völkisch-kollektivistische Ansatz erkennbar, wenn es etwa heißt, die "Volksherrschaft" setze die "Volksgemeinschaft" voraus. Diese Überbetonung der "Volksgemeinschaft" und des "Volksganzen" ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren. Beispielhaft heißt es auf einem Flugblatt des NPD Kreisverbandes Borken: "Die BRD ist am Ende. Bauen wir auf den Trümmern dieses korrupten und maroden Systems eine Volksherrschaft ohne Parteiendiktatur." Aktuelle Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen Die NPD macht nach dem gescheiterten Verbotsverfahren aus ihren politischen Absichten keinen Hehl. Sie geht davon aus, dass zumindest in nächster Zeit kein neues Verfahren eingeleitet werden wird. Wie ungeniert sich die NPD zu ihren verfassungsfeindlichen Zielen bekennt, zeigte unter anderem ein Beitrag in der parteieigenen Zeitung 'Deutsche Stimme': "Woher die Erkenntnisse kommen, dass die NPD eine 'Systempartei' sei oder das völkische Prinzip aufgegeben habe, bleibt dabei unklar, denn weder gibt es ein neues Parteiprogramm noch eine neue politische Ausrichtung." (aus 'Deutsche Stimme', Ausgabe 02/2004, Seite 14) Daneben gibt es aber auch tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen aus dem Bereich des Antisemitismus und des Revisionismus, obwohl diese Felder zu Gunsten sozialer Themen vom Parteivorstand in den Hintergrund gerückt wurden. : "Wenn es um die Durchsetzung jüdischer Interessen geht, funktioniert die Mauschelei zwischen Politik, Verwaltung, Medien und Justiz perfekt." (Einstellung auf der Homepage des NPD KV Münster) : Nach Medienberichten soll der Parteivorsitzende Udo Voigt auf einer parteiinternen Veranstaltung die Betonsäulen der Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als "geeignetes Fundament einer neuen Reichskanzlei" bezeichnet haben. In seiner (im Internet veröffentlichten) Ansprache auf dem Bundesparteitag bezeichnete er "eine kritische Einstellung gegenüber organisierten 'Berufsjuden' [...] als normal und legitim." : "Die Wiederherstellung Deutschlands ist mit der Vereinigung der Besatzungskonstruktionen BRD und DDR nicht erreicht. Deutschland ist größer als die Bundesrepublik! [...] Wir fordern die Revision der nach dem Krieg abgeschlossenen Grenzanerkennungsverträge." (Auszug aus "NPD - Ein Programm für das Volk!", Homepage 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 des NPD KV Borken) : "Zweifellos liegt die tiefere Ursache für alle Übel unserer Zeit in der jahrzehntelang schamlos verbreiteten Kriegsschuld-Lüge." (aus 'Deutsche Stimme', Ausgabe 04/2004, Seite 5) NPD-Bundesvorsitzender Udo Voigt im Interview mit der 'Jungen Freiheit' (JF) In der Ausgabe 40/04 vom 24. September gab der NPD-Bundesvorsitzende Voigt der 'Jungen Freiheit' (JF) ein Interview, in dem er sich erstaunlich offen zur Zielsetzung der NPD äußerte. Wörtlich heißt es in diesem Interview unter anderem: "Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor fünfzehn Jahren die DDR abgewickelt hat." An anderer Stelle lautet Voigts Antwort auf die Frage, wie er die Person Adolf Hitlers bewerte: "Zweifellos handelt es sich bei Hitler um einen großen deutschen Staatsmann." Voigts Äußerungen zeigen einerseits überraschend deutlich das rechtsextremistische Gedankengut der NPD, von der sich selbst der JF-Chefredakteur distanziert, und belegen andererseits die euphorische Stimmung, in der sich die NPD derzeit befindet. Vom Drei-Säulen-Konzept zur Vierten Säule Ihre Ziele will die NPD im Rahmen eines "Vier-Säulen-Konzeptes" umsetzen: Drei Säulen sind bekanntlich der "Kampf um die Köpfe", der "Kampf um die Straße" und der "Kampf um die Parlamente". Der Schwerpunkt im Jahre 2004 lag dabei eindeutig im "Kampf um die Parlamente". In seiner Rede auf dem Bundesparteitag in Leinefelde (Thüringen) am 30./31. Oktober 2004 ergänzte der Parteivorsitzende Udo Voigt dieses Konzept um eine vierte Säule, den "Kampf um den organisierten Willen". Es sei eine Konzentration aller "nationalen Kräfte" nötig. Deutliches Beispiel ist die proklamierte Zusammenarbeit mit der DVU und den Neonazis. Sie muss als politischer Erfolg des amtierenden Parteivorsitzenden angesehen werden. Ihm ist es gelungen, die durch das taktierende Verhalten der NPD im Rahmen des NPDVerbotsverfahrens entstandene Kluft zu den 'Freien Nationalisten' im Wesentlichen wieder zu schließen. Der Gipfel dieWurfzettel "Gemeinsame ser Entwicklung war der Eintritt führenUnterschriftenaktion der DVU und NPD der Aktivisten der Neonazi-Szene in die gegen den EU-Beitritt der Türkei" 66 Rechtsextremismus Partei und - Ende Oktober - die Wahl eines dieser Neonazi-Kader in den NPD-Bundesvorstand. Der NPD ist im Laufe des Berichtsjahres 2004 ein unerwartetes politisches Comeback gelungen. Die Partei hat sich mit populistischen Parolen gegen Hartz IV und Globalisierung, gegen eine vermeintliche Überfremdung und den geplanten EU-Beitritt der Türkei geschickt den Unmut und unterschwellige Ängste in Teilen der Bevölkerung zu Nutze gemacht, ohne selbst geeignete Alternativen für die Lösung der Probleme, beispielsweise in den Sozialversicherungen, aufzuzeigen. In ihren politischen Programmen erweckt die Partei den Anschein, auf die Folgen der Globalisierung für den deutschen Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme könne mit einer ausschließlich national ausgerichteten Wirtschaftpolitik und Schutzzöllen geantwortet werden. NPD-Landesparteitag am 18. April 2004 in Altena Am 18. April 2004 fand in Altena (Märkischer Kreis) unter dem Motto "Offensive 2004" der 36. Landesparteitag der NPD statt. An der Veranstaltung nahmen etwa 60 bis 70 Personen teil. Zu Beginn des Parteitages wurden Grußbotschaften des 'Kampfbundes Deutscher Sozialisten' (KDS) und der 'Niederländischen Volksunion' (NVU) verlesen. Die wichtigsten Tagesordnungspunkte waren laut einer im Internet eingestellten Presseerklärung des NPD-Landesverbandes NRW die Teilnahme an den Kommunalwahlen NRW 2004, die Zusammenarbeit mit den 'Freien Nationalisten' und die Neuwahl des Landesvorstandes. Bei der Neuwahl gab es nur wenige Änderungen. Die wichtigste Änderung dürfte die Wahl des für die Zusammenarbeit mit den 'Freien Nationalisten' zuständigen Vorstandsmitgliedes zum stellvertretenden Landesvorsitzenden sein. Dies zeigt, welche Bedeutung der Zusammenarbeit mit der Neonazi-Szene beigemessen wird. 2. Freiheitlicher Kongress vom 21. bis 23. Mai 2004 Neben der Zusammenarbeit mit der Neonazi-Szene bedient die Partei aber auch weiterhin ihr revisionistisches Klientel. Dies wurde deutlich anlässlich des "2. Freiheitlichen Kongresses", veranstaltet vom 'Deutsche Stimme-Verlag' in der Zeit vom 21. bis 23. Mai 2004 in Wiedemar (Sachsen). Beispielhaft hierfür ist die Einschätzung eines einschlägig vorbestraften bekannten Revisionisten, der in einer Rede bei dieser Veranstaltung äußerte, "dass die These der Alleinschuld Deutschlands auch am Zweiten Weltkrieg einfach nicht zu halten sei". Weitere Redner waren unter anderem Autoren der Publikationen 'Nation & Europa' und 'Opposition', der stellvertretende Vorsitzende der 'Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.' sowie der Leiter des 'ThuleSeminars'. 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 NPD-Demonstrationen gegen den Bau einer Synagoge in Bochum zunächst verboten Zwei für den 13. und 20. März 2004 geplante Demonstrationen unter dem Motto "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" waren vom Polizeipräsidenten Bochum (PP Bochum) verboten worden. Das Verbot beruht auf der Einschätzung, dass von den Demonstrationen eine unmittelbare und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hielt das verwaltungsgerichtlich überprüfte Demonstrationsverbot aufrecht. Dabei hat das Gericht insbesondere auf die Formulierung im ursprünglichen Motto "[...] - fürs Volk!" abgestellt, die auch nach Auffassung des BVerfG den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle, weil sie suggeriere, Mitbürger jüdischen Glaubens gehörten nicht zum Volk. Im zweiten Anlauf vom Bundesverfassungsgericht genehmigt Bereits eine Woche nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes meldete der Landesvorstand der NPD NRW für den 26. Juni 2004 erneut eine Demonstration gegen den geplanten Bau der Synagoge an. Die Formulierung des Demonstrationsmottos orientierte sich an der Verbotsbegründung des BVerfG. Auch diese Demonstration wurde zunächst vom PP Bochum als "Ersatzveranstaltung" verboten. Nach erneutem Durchlaufen der Instanzen gab das BVerfG der NPD schließlich die Möglichkeit, ihre Demonstration durchzuführen. Mit 220 bis 250 Teilnehmern, davon etwa 30 bis 40% Anhänger der NPD/JN (der Rest waren 'Freie Nationalisten'), war die Demonstration vergleichsweise schwach besucht. Aus Sicht der NPD ist die Demonstration dennoch in doppelter Hinsicht ein Erfolg. Zum einen ist es dem Landesverband NRW gelungen, die Durchführung der Demonstration vor dem BVerfG durchzusetzen. Zum anderen ist mit der Thematik der Partei gewissermaßen ein "Tabubruch" gelungen. In einer Einstellung des 'NIT-Rheinland' heißt es wörtlich: "Die Reaktionen des Staates, sowie der Medien und der Antifa im Vorfeld und im nachhinein beweisen, dass mit der Veranstaltung ein Stachel ins Fleisch des Systems getrieben und für den Nationalen Widerstand ein 'Dammbruch' erreicht wurde". Pressefest der 'Deutschen Stimme' am 7. August 2004 in Mücka (Sachsen) Am 7. August fand in Mücka (Sachsen) das diesjährige Pressefest des zur NPD gehörenden 'Deutschen Stimme-Verlages' (DS) statt. An der Veranstaltung nahmen nach Polizeiangaben etwa 4.000 Personen teil. Eigene Angaben der 'Deutschen Stimme' gehen von über 6.000 Teilnehmern aus. Das Musikprogramm wurde unter anderem von 68 Rechtsextremismus den bekannten Liedermachern Frank Rennicke und Michael Müller sowie den Skinhead-Bands 'Kraftschlag', 'Radikahl' und 'Youngland' (USA) gestaltet. Die Mischung aus politisch unterlegtem Volksfest, Verkaufsveranstaltung und Skinheadkonzert erwies sich wiederum als Anziehungspunkt für das gesamte Spektrum der rechtsextremistischen Szene. NPD entwickelt eigene "Schulhof-CD" Daneben versucht die Partei aber auch, jenseits fester rechtsextremistischer Strukturen für ihre Inhalte und politischen Ziele zu werben. Parallel zum so genannten "Schulhof-Projekt" - damit sollten Jugendliche über eine Musik-CD für rechtsextremistische Propaganda gewonnen werden - entwickelte die NPD durch Personen aus dem Umfeld des 'Deutsche Stimme-Verlages' und des NPD-Landesverbandes Sachsen ein eigenes CD-Projekt. Diese CD wurde in der Öffentlichkeit bekannt, als sie am "Tag der Sachsen" am 2. September 2004 in Döbeln verteilt wurde. Größere Bedeutung hatte das NPD-eigene CD-Projekt im Rahmen des Wahlkampfes jedoch nicht. NPD nimmt an Landtagswahl NRW 2005 teil Auf einem außerordentlichen Parteitag am 21. November 2004 hat der NPD Landesverband NRW beschlossen, an der Landtagswahl NRW 2005 am 22. Mai teilzunehmen. Die Realisierung dieses Vorhabens dürfte angesichts der organisatorischen und personellen Probleme der NRW-NPD schwierig werden. Auch bei Unterstützung durch Angehörige der DVU und der Neonazi-Szene erfordert ein Wahlantritt erheblichen finanziellen und personellen Aufwand. Dennoch dürfte die NPD kaum mehr als 1% der Stimmen erzielen. Zur Zusammenarbeit der NPD mit den neonazistischen Kameradschaften und der DVU zur Teilnahme an den Wahlen in 2004 siehe den Abschnitt "Beteiligung an Wahlen" im Kapitel 1. Ausblick Die NPD strebt eine Zusammenarbeit aller rechtsextremistischen Gruppierungen an. Das Motto einer vom Parteipräsidium im Internet veröffentlichten Erklärung vom 19. September 2004 lautet: "Volksfront statt Gruppenegoismus". Zu diesem Zweck hat sie bereits Absprachen über die Teilnahme an zukünftigen Wahlen und eine (gegenseitige) Wahlunterstützung mit Vertretern der Neonazi-Szene und der Führung der DVU getroffen. Wichtig sei es, bei künftigen Wahlen Erfolge zu erzielen wie in Sachsen und Brandenburg. 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Auf dem NPD-Bundesparteitag am 30./31. Oktober 2004 hatte Voigt zur künftigen Strategie der NPD erklärt, das bisherige Drei-Säulen-Konzept (Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe und Kampf um die Parlamente) werde um eine vierte Säule, den "Kampf um den organisierten Willen" ergänzt. Dazu gehöre die Zusammenarbeit mit der DVU und den Neonazis, angestrebt sei die Einbindung weiterer rechtsextremistischer Gruppen und Einzelpersonen. Auf dem außerordentlichen Landesparteitag des NPD Landesverbandes NRW am 5. und 21. Dezember wurden als Zeichen für die "Volksfront von Rechts" führende Neonazis auf die Plätze 8, 10 und 13 und ein Vertreter der DVU auf Platz 15 als Kandidaten für die Landesreserveliste zur Landtagswahl am 22. Mai 2005 gewählt. Die Kandidatenaufstellung zeigt einerseits den Willen der NPD, die proklamierte "Volksfront von Rechts" in die Tat umsetzen zu wollen, andererseits zeigt die Kandidatenliste aber auch, dass die NPD den Einfluss parteifremder Kräfte begrenzen will. Dabei sind für die Bedeutung des von der NPD forcierten Bündnisses nicht die absoluten Mitgliederzahlen relevant, sondern mehr die teilweise medienwirksam zelebrierte Zusammenarbeit mit und Unterstützung durch bekannte(n) Rechtsextremisten, zuletzt die Unterstützungserklärung des ehemaligen REP-Bundesvorsitzenden Schönhuber. Diese Unterstützung ist ein - kleiner - Baustein, mit dem die NPD versucht, das rechte "Schmuddel-Image" abzulegen. Schönhuber genießt in parteiunabhängigen rechtsextremistischen Kreisen nach wie vor großes Ansehen, ein Ansatz für die NPD, auch hier Fuß zu fassen. Auch der Hamburger Christian Worch, einer der schärfsten NPD-Kritiker aus den Reihen der Neonazis, schließt inzwischen eine Zusammenarbeit mit der NPD nicht mehr grundsätzlich aus. Allerdings könnte sich die NPD am Spagat zwischen DVU, Neonazis, Revisionisten und Skinheads übernehmen. Es ist fraglich, ob die schon in der Vergangenheit immer wieder aufflammenden persönlichen Differenzen diesmal von allen Beteiligten zu Gunsten gemeinsamer politischer Ziele zurückgestellt werden. Neben sachlichen Differenzen ist daran eine dauerhafte Zusammenarbeit in der Vergangenheit noch immer gescheitert. Udo Voigt ist es zweifellos gelungen, der Partei ein nach außen modernes zeitgemäßes Profil zu geben. Unter seiner Führung fand eine Umkehr statt, weg von allzu plumpen ausländerfeindlichen, antisemitischen und revisionistischen Parolen zu einer Auseinandersetzung mit sozialen Problemen, die die Menschen im Alltag bewegen. Voigt machte dies in seinem bereits an anderer Stelle zitierten Interview in der JF (siehe oben) deutlich: "Im übrigen interessiert die Leute auf der Straße nicht der Holocaust, sondern ihre Alltagsprobleme, wie etwa Hartz IV." "Die NPD ist bestrebt, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich geistig befinden." Um sich aber weiterhin als Protestpartei gegen Hartz IV profilieren zu können, ist es für die NPD unerlässlich, dass sie mit der Diskussion und der politischen Auseinandersetzung um 70 Rechtsextremismus die "Agenda 2010" weiterhin in den Medien präsent ist. Die politische Auseinandersetzung mit dem Thema wird deshalb, wenn auch nicht mit der Intensität wie im Berichtsjahr, weiter fortbestehen. Das größte Problem für einen Wahlerfolg ist aber die Partei selbst. Neben der Tatsache, dass sie keine realistischen politischen Alternativen anbieten kann, konnte ihre bislang mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz einen größeren Wahlerfolg in NRW verhindern. Es fehlt der NPD an flächendeckenden Strukturen und an geeigneten Multiplikatoren aus "der Mitte der Gesellschaft". Und es fehlt - wie die Beteiligung an den Kommunalwahlen NRW 2004 gezeigt hat - an einem charismatischen Landesvorsitzenden und einer flächendeckenden Struktur an Mitgliedern beziehungsweise Kreisverbänden. Hier steht der Landesverband am Beginn einer langen Aufbauarbeit. Angesichts einer Mitgliederzahl von etwa 550 und einer Bevölkerung von etwa 18 Millionen, erscheint es auch fraglich, wie die Partei in Nordrhein-Westfalen - selbst bei einer sich anbahnenden Unterstützung durch DVU und 'Freie Kameradschaften' - einen flächendeckenden Wahlkampf zur Landtagsbeziehungsweise Bundestagswahl führen will. Dieser wäre jedoch Voraussetzung für einen Einzug in den Landtag beziehungsweise in den Deutschen Bundestag. Das unter den derzeitigen Umständen zu erwartende Wahlergebnis von deutlich unter 5% bei der Landtagswahl NRW 2005 im einwohnerstärksten Bundesland dürfte jedenfalls jede Hoffnung auf einen Einzug in den Deutschen Bundestag im Jahre 2006 zunichte machen. Dennoch ist die weitere Entwicklung der NPD sorgfältig zu beobachten. (Anm. des Herausgebers: Der Bericht ist im März 2005 veröffentlicht worden.) 3.1.4 Junge Nationaldemokraten (JN) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Gründung 1969 Sitz Riesa (Sachsen) Bochum-Wattenscheid Vorsitzende Stefan Rochow Nico Wedding Mitglieder 2004 ca. 350 ca. 20 2003 ca. 400 ca. 30 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die 'Jungen Nationaldemokraten' (JN) sind gemäß NPD-Satzung "integraler Bestandteil" der Mutterpartei. Kraft seines Amtes ist der JN-Bundesvorsitzende zugleich 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Mitglied des NPD-Vorstands. Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation mit bundesweit 350 Mitgliedern. Allerdings sind die JN zu einem Anhängsel der NPD verkümmert und werden in der Öffentlichkeit kaum noch als eigene Organisation wahrgenommen. Der nordrhein-westfälische Landesverband der JN zeigte schon in den vergangenen Jahren ein desolates Bild und existiert mehr oder weniger nur noch auf dem Papier: : Etliche vom JN-Landesverband angekündigte Veranstaltungen wurden (offensichtlich wegen zu geringer Nachfrage) abgesagt. Durchgeführte Veranstaltungen (zumeist Infostände) fanden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. : Am JN-Bundeskongress am 2./3. Oktober 2004 in Mosbach (Thüringen) nahm der JN-Landesvorsitzende aus NRW nicht teil. Ziele In ihren Thesenpapieren fordern die JN eine "Neue Volksgemeinschaft", in der die Widersprüche und Unzulänglichkeiten des bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systems überwunden werden sollen: "Grundvoraussetzung der wahren Volksherrschaft ist die Volksgemeinschaft; sie steht im Gegensatz zur nur materialistischen, seelenlosen, westlichen Gesellschaftsordnung." Ausblick Der JN Landesverband NRW verharrt wie die Bundesorganisation in der politischen Bedeutungslosigkeit, auch innerhalb der eigenen Partei. Der am 2./3. Oktober 2004 abgehaltene Bundeskongress kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es sowohl dem amtierenden JN-Bundesvorstand als auch dem JN-Landesverband NRW - trotz erkennbarer Bemühungen um verstärkte "Öffentlichkeitsarbeit" - nicht gelungen ist, den Mitgliederbestand der JN nennenswert zu erhöhen beziehungsweise den Einfluss in der Partei zu stärken. 3.1.5 Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland (BfD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Gründung 1997 1997 Sitz Siegburg Siegburg Vorsitzende Dr. Helmut Fleck Dr. Helmut Fleck Mitglieder 72 Rechtsextremismus 2004 150 40 2003 150 30 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Struktur und Ausrichtung Die Partei wurde am 29. Juni 1997 in Kassel auf Initiative des Vorsitzenden des rechtsextremistischen 'Bundes für Gesamtdeutschland' (BGD) und weiterer Rechtsextremisten gegründet. Bis heute bestehen Verflechtungen zwischen den ursprünglichen Schwesterorganisationen BGD und BfD, beispielsweise durch Abkommen zur wechselseitigen Teilnahme an Wahlen mit einhergehender Unterstützung. Das BfD bezeichnet sich zwar selbst als "neue rechtskonservative Partei", bietet jedoch - so auch festgestellt durch das VG Düsseldorf in einem Beschluss vom 23. August 2000 - hinreichende Anhaltspunkte für die Zielsetzung, tragende Strukturprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, beseitigen zu wollen. Mehrere seit 2002 durch das BfD angestrengte verwaltungsgerichtliche Eilverfahren mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz feststellen zu lassen, waren bis jetzt erfolglos. In einem Hauptsacheverfahren vor dem VG Düsseldorf liegt bislang noch keine Entscheidung vor. Inhaltlicher Schwerpunkt des BfD ist eine deutlich fremdenfeindlich ausgerichtete Agitation sowie die Diffamierung der so genannten "etablierten" Parteien und deren Vertreter als Initiatoren einer angeblich gegen deutsche Interessen gerichteten Politik. Neben den eigenen programmatischen Aussagen ("Das Klagerecht beim Asyl ist abzuschaffen. [...] Ausländischen Sozialhilfeempfängern ist konsequent die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen"; Auszug aus dem "Kurzprogramm" vom 28. Juni 2003) übernimmt das BfD eindeutige Argumentationsmuster anderer Rechtsextremisten. Auf der Internetseite des BfD findet sich beispielsweise ein unkommentierter Artikel ("Wegweiser ins Wunderland") der rechtsextremistischen Publikation 'Unabhängige Nachrichten' (UN), in dem die Notwendigkeit von Sozialleistungen an Zuwanderer pauschal in Abrede gestellt und die Anspruchsberechtigten auf die gesellschaftspolitische Ebene reiner Kostgänger reduziert werden. Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen Das BfD als Splitterpartei des rechtsextremistischen Spektrums beschränkte seine Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen bislang auf den Kreis Siegburg. Durch die Aufnahme des plakativen Zusatzes "Liste gegen Zuwanderung ins soziale Netz" gelang es der Partei, die Programmatik schlagwortartig auf dem Stimmzettel zur Europawahl zu 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 verankern, Protestwähler anzusprechen und bundesweit 0,5% (NRW 0,4%) zu erreichen. Die hieraus resultierende Wahlkampfkostenerstattung ermöglichte dem BfD einen umfangreichen Wahlkampf zur Kommunalwahl 2004. Hier errang die Partei ein Stadtratssowie ein Kreistagsmandat. 3.1.6 Bürgerbewegung pro Köln e.V. (pro Köln) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1996 Sitz Köln Vorsitzende Judith Wolter, ab dem 2. Dezember 2004 Markus Beisicht Mitglieder 2004 ca. 40 2003 ca. 20 Publikation 'Pro Köln - Informationen von der Bürgerbewegung pro Köln e.V.'; erscheint vierteljährlich Internet Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund 'Pro Köln' ist ein Ableger der inzwischen bedeutungslosen rechtsextremistischen 'Deutschen Liga für Volk und Heimat' (DLVH). Die Rechnung des maßgeblich von ehemaligen Funktionären rechtsextremistischer Organisationen geleiteten Vereins, sich durch Kundgebungen usw. mit vordergründig kommunalpolitischem Bezug zu profilieren und dabei demokratischen Bürgerinnen und Bürgern Gemeinsamkeiten vorzutäuschen, ist aufgegangen: Anlässlich der Kommunalwahl am 26. September 2004 erzielte pro Köln vier Ratssitze und ist außerdem in allen Bezirksvertretungen der Stadt Köln vertreten. Titelseite Publikation nation24.de 74 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Kontakte Nach wie vor hat 'pro Köln' enge Kontakte zum rechtsextremistischen Spektrum. Auf der einzigen von 'pro Köln' durchgeführten größeren Veranstaltung trat der Sprecher der rechtsextremistischen 'Deutschland-Bewegung', auch Mitherausgeber der rechtsextremistischen Publikation 'Nation & Europa', auf. Dass 'pro Köln' mit Neonazis zusammenarbeitet und auch deren Interessen vertritt, zeigt beispielsweise der Wahlaufruf des neonazistischen 'Nationalen Widerstandes Köln', der im Vorfeld der Kommunalwahl 2004 in einer Interneteinstellung dazu aufrief, 'pro Köln' zu wählen: "'Pro Köln' vertritt viele unserer Forderungen und ist imstande diese inmitten der Gesellschaft zu verankern und hoffähig zu machen, somit wäre im Falle eines Einzuges von 'pro Köln' in den Kölner Stadtrat eine Tür in die Mitte der Gesellschaft für unsere Ziele und Anschauungen geöffnet und 'pro Köln' könnte eine gesundes und nutzbares Gegengewicht. [...] zu den Blockparteien des Systems bilden, zumal führende Funktionäre dieser Bürgerbewegung offene Sympathie für uns und unsere Aktivitäten hegen und sich nicht scheuen, dieser zustimmenden Haltung auch mittels Unterstützung auf kommunaler Ebene der Politik Ausdruck zu verleihen. Ich rufe daher auf in Eurem Freundesund Bekanntenkreis für die Bürgerbewegung 'pro Köln' zu werben, ihr Material weiterzuverbreiten und am kommenden Sonntag zu wählen. [...] 'Pro Köln's' Kampf gegen [...] Mißstände dieses Systems ist auch unser Kampf [...] so können wir aus einem Wahlerfolg der Bürgerbewegung nur unseren politischen Nutzen ziehen und Unterstützung erhalten." Dieser Wahlaufruf lässt hinsichtlich der Kontakte und politischen Ausrichtung der Bürgerbewegung 'pro Köln' und ihrer Funktionäre die Einschätzung vermuten: : dass es Kontakte zwischen 'pro Köln' und Neonazis geben muss, wenn der "Nationale Widerstand" weiß, dass "führende Funktionäre dieser Bürgerbewegung offene Sympathien für uns und unsere Aktivitäten hegen und sich nicht scheuen, dieser zustimmenden Haltung auch mittels Unterstützung auf kommunaler Ebene der Politik Ausdruck zu verleihen." : dass die 'Bürgerbewegung pro Köln' die gleichen Ziele verfolgt wie der neonazistische 'Nationale Widerstand'. Im Wahlaufruf des 'Nationalen Widerstandes' heißt es, dass "'pro Köln' entschlossen gegen Überfremdung, Multi-Kultur [...] im öffentlichen Raum eintritt". 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Ausländerfeindliche Äußerungen im Pro Köln-Info Die vorzugsweise gegen "Multikulti", gegen den Bau zweier Großmoscheen und gegen "Klaukids" gerichteten Artikel im Informationsblatt von 'pro Köln' schüren einseitig Ängste und Feindlichkeit gegenüber Ausländern: : "Unsere Stadt soll irreparabel verändert werden, und die deutsche Landesidentität soll langfristig verschwinden." : "Um in der Keupstraße zu leben und zu überleben, sind keine deutschen Sprachkenntnisse mehr vonnöten." : "Unsere Stadt ist heute Hauptstadt der Einbrecher, der Klau-Kids, des Werteverfalls, der Korruption sowie der Mult-Kulti-Exzesse." : "Dabei breitet sich der islamische Extremismus über ganz Europa wie ein Krebsgeschwür aus." 'pro Köln' wählt neuen Vorstand Am 2. Dezember 2004 wählte die Mitgliederversammlung einen neuen Vorstand. Die bisherige Vorsitzende Judith Wolter tauschte mit Markus Beisicht die Ämter: Beisicht wurde zum Vorsitzenden gewählt, Wolter ist nunmehr geschäftsführende stellvertretende Vorsitzende. Manfred Rouhs bleibt Schatzmeister. 3.1.7 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1960 Sitz München Vorsitzender Dr. Rolf Kosiek Mitglieder Bund NRW 2004 450 35 2003 480 35 Publikation 'Das Freie Forum'; erscheint vierteljährlich, Auflage ca. 1.500 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die 'Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.' (GFP) wurde 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären gegründet und ist das größte überparteiliche Sammelbecken von rechtsextremistischen Verlegern, Buchhändlern und Publizisten. Sie 76 Rechtsextremismus publiziert vierteljährlich 'Das Freie Forum' mit einer Auflage von 1.500 und tritt darüber hinaus durch Vortragsveranstaltungen einzelner Arbeitskreise sowie durch den jährlichen "Deutschen Kongress" in Erscheinung. Unter dem verschleiernden Motto "Wahrheit und Freiheit in Wort und Schrift" deklariert die GFP ihre revisionistische, fremdenfeindliche und tendenziell rassistische Agitation als Eintreten für die freie Meinungsäußerung und historische Forschung. Programmatisch stehen folgende Themen im Vordergrund: Relativierung der Kriegsschuld, Leugnung des Holocaust, "Ausländerfrage" sowie Meinungsfreiheit für die "nationale Publizistik". Der "Deutsche Kongreß" der GFP fand diesjährig vom 23. bis 25. April 2004 in Friedrichsroda zum Thema "Die neue Achse - Europas Chancen gegen Amerika" statt. 3.1.8 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Hamburg Vorsitzender Jürgen Rieger Mitglieder Bund NRW 2004 150 45 2003 150 40 Publikation 'Nordische Zeitung' (NZ), erscheint vierteljährlich :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die 'Artgemeinschaft' hat sich aus der 'Nordischen Glaubensgemeinschaft' gebildet, deren Wurzeln bis in das ausgehende 19. Jahrhundert zurückreichen. Inhaltlich bezieht sie sich unter anderem auf die mit heidnisch-völkischen und esoterischen Versatzstücken sowie theosophischen Aspekten angereicherten Theorien der Ariosophen. Hieraus leitet sich im Wesentlichen das bis heute grundlegende Denkmodell der 'Artgemeinschaft' von der vermeintlichen Überlegenheit der arisch-nordischen beziehungsweise germanischen Rasse ab. Die Organisation benutzt ihr neuheidnisches Weltanschauungsgebilde als Vehikel, um rechtsextremistisches Gedankengut gesellschaftlich zu verbreiten. Es bestehen Verbindungen und personelle Verflechtungen in das gesamte rechtsextremistische Spektrum. 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Charakteristischer Wesenszug der 'Artgemeinschaft' ist die rassistische Grundausrichtung. Dabei wird unter Bezug auf eine Form des Glaubensbekenntnisses (so genanntes "Artbekenntnis", das "heidnische Sittengesetz unserer Art") unmittelbar an die Rassenlehre des Dritten Reiches angeknüpft. Indem sie eine biologische Überlegenheit des nordisch-germanischen Menschentypus behauptet, werden Menschen aus anderen Kulturkreisen in den Ausführungen zu Rasse und Religion - mitunter verklausuliert - als minderwertig abgelehnt. Auf regionaler Ebene ist die Organisation in so genannte "Gefährtschaften" gegliedert. In Nordrhein-Westfalen besteht die 'Gefährtschaft Rhein/Maas'. Die 'Artgemeinschaft' hat eine vergleichsweise geringe Mitgliederzahl; sie hat aber eine große Ausstrahlung in die rechtsextremistische Szene, da ihre Angehörigen Kontakte in unterschiedliche Kreise haben. Der Bundesvorsitzende ist unter anderem auch der Organisator und Anmelder der jährlichen Rudolf-Heß-Demonstrationen in Wunsiedel. Die 'Artgemeinschaft' führt - neben kleineren regionalen Veranstaltungen - jährlich zwei größere Treffen unter Beteiligung von Funktionären und Mitgliedern der regionalen "Gefährtschaften" aus dem gesamten Bundesgebiet in Ilfeld/Thüringen durch. An diesen Treffen nehmen auch zahlreiche ehemalige beziehungsweise aktive Angehörige der Neonazi-Szene teil. 3.1. 9 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V. (CH) und Weltbund zum Schutze des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V. (WSL-D) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1963 Sitz Vlotho Vorsitzende Ursula Haverbeck-Wetzel Vereinszeitschrift 'Lebensschutz-Informationen - Stimme des Gewissens' (LSI), erscheint alle zwei Monate :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bis zur Auflösung des 'Weltbundes zum Schutze des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V.' (WSL-D) im Jahre 2001 arbeitete das 'Collegium Humanum' (CH) eng mit diesem zusammen. Seitdem ist das CH offensichtlich alleiniger Herausgeber der Zwei-Monats-Schrift 'Lebensschutz-Informationen - Stimme des Gewissens' (LSI), die neben Beiträgen der Vereinsvorsitzenden auch revisionistische Beiträge bekannter Rechtsextremisten enthält. 78 Rechtsextremismus Das CH, das keine festen Vereinsstrukturen hat, ist vor allem durch seine Bildungsstätte in Vlotho bekannt. Diese dient seit Jahren auch Rechtsextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung als Tagungsstätte. Neben wiederholter Treffen bekannter Neonazis aus dem ostwestfälischen Raum veranstaltete 2004 unter anderem das rechtsextremistische 'Deutsche Kolleg' (DK) mit Horst Mahler als Referent diverse mehrtägige Seminare in Vlotho. Daneben tritt die Vereinsvorsitzende Ursula Haverbeck-Wetzel vermehrt als Teilnehmerin und Referentin auf Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen im gesamten Bundesgebiet in Erscheinung. Auffällig ist die Intensivierung der Kontakte zwischen der Vereinsvorsitzenden und Mahler. Beide arbeiten insbesondere eng im rechtsextremistischen 'Deutschen Kolleg' und dem 'Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten' (VRBHV) sowie in Mahlers 'Reichsbürgerbewegung' (RBB) zusammen und nehmen auch gemeinsam an diversen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet teil. So traten Haverbeck-Wetzel und Mahler anlässlich des Gedenkmarsches von Rudolf Heß am 21. August 2004 in Wunsiedel/Bayern als Redner auf (siehe Beitrag Neonazis). Aufgrund der Beiträge in den Heften Nr. 5 und Nr. 6/2003 der 'Stimme des Gewissens' wurde Ursula Haverbeck-Wetzel vom Amtsgericht Bad Oeynhausen am 18. Juni 2004 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 5.400 * und der Schriftleiter zu einer Geldstrafe in Höhe von 3.600 * verurteilt. Beide haben Rechtsmittel eingelegt. Haverbeck-Wetzel behauptet im Rahmen einer "Danksagung" an "Liebe Leser, Freunde, Förderer unserer Arbeit!": "Mit der Verurteilung von Ernst Otto Cohrs und Ursula Haverbeck in Bad Oeynhausen nach einem Gesetzesparagraphen, der weder mit dem Grundrecht auf freie Meinung noch mit der gewandelten Informationslage übereinstimmt, tritt das wahre Gesicht der Demokratie hervor: die Diktatur der Fremdherrschaft." Ungeachtet oben genannter Verurteilungen finden in der Tagungsstätte des Vereins weiterhin Treffen mit bekannten Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet statt. Auch die Zeitschrift 'Stimme des Gewissens' enthält weiterhin revisionistische Beiträge. 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.2 Neonazis Neonazis streben die Überwindung des bestehenden demokratischen Rechtsstaates an. Ihnen schwebt ein totalitärer, nationalistischer und rassistischer Führerstaat mit einer Einheitspartei vor, gewissermaßen ein "Viertes Reich", das exakt den politischgesellschaftlichen Verhältnissen des "Dritten Reiches" unter Adolf Hitler entspräche. Der Neonazismus mit seinem Führerprinzip richtet sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen Parlamentarismus, Gewaltenteilung und Mehrparteiensystem, und gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 3.2.1 Neonazis auf Bundesebene Die bundesdeutsche Neonazi-Szene umfasst einschließlich ihrer mobilisierbaren Sympathisanten etwa 3.000 Personen. Ihre Aktivisten, die sich selbst auch 'Freie Nationalisten' nennen, organisieren sich in der Regel in "Freien Kameradschaften" mit kaum erkennbaren Strukturen. Diese Organisationsform wurde gewählt, nachdem in den Jahren 1992 bis 1995 staatlicherseits mehrere neonazistische Gruppierungen nach dem Vereinsgesetz verboten worden waren. Diese losen Personenzusammenschlüsse werden in der Regel von einem oder zwei Aktivisten nach dem "Führerprinzip" geleitet. Die jeweiligen Aktivitäten und die Akzeptanz dieser Führer bestimmen den Stellenwert der jeweiligen Kameradschaft innerhalb der Neonazi-Szene. Die losen Organisationsstrukturen behindern die freien Kameradschaften in keiner Weise in ihrer Aktionsfähigkeit. Nicht nur die führenden Aktivisten, sondern auch "gemeine Mitläufer" verfügen in der Regel über alle gängigen Kommunikationsmittel wie Handys, Homepages im Internet und E-Mail. Darüber hinaus können sich die Aktivisten, die nicht über diese technischen Mittel verfügen, über die so genannten 'Nationalen Info-Telefone' (NIT) oder 'Freien Info-Telefone' (FIT) über die jeweiligen Aktivitäten der Szene informieren. 2004 reichten die Agitationsfelder der Neonazis-Szene von Protesten gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944", die so genannte "Wehrmachtsausstellung", über den Kampf gegen "Multi-Kulti" und Hartz IV bis zum Palästinenserproblem. In diesem Jahr gab es kein Thema, das die Grundlage einer einheitlichen Kampagne hätte sein können. 80 Rechtsextremismus Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten von zentraler Bedeutung : 31. Januar 2004: Hamburg, etwa 1.200 Teilnehmer gegen die "Wehrmachtsausstellung" : 27. März 2004: Hamburg, 385 Teilnehmer gegen die "Wehrmachtsausstellung" : 17. April 2004: Gladenbach und Marburg/Hessen, jeweils 400 Teilnehmer, Motto "Gladenbach die Dritte - Gegen Polizeiwillkür und linke Gewalt" : 1. Mai 2004: Leipzig, etwa 1.000 Teilnehmer, Anmeldung durch Christian Worch, Motto "Arbeit für Millionen statt Profit für Millionäre!". Es handelte sich um eine Konkurrenzveranstaltung zu der am selben Tag in Berlin durch die NPD durchgeführten 1. Mai-Demonstration. : 8. Mai 2004: Marienfels/Rheinland-Pfalz, etwa 200 Teilnehmer, Anmeldung durch nordrhein-westfälische Neonazis. Anlass war die Zerstörung eines Mahnmals für das 1. SS-Panzerkorps. Aufkleber - Rudolf Heß- : 17. Juli 2004: Gladenbach/Hessen, etwa 100 TeilMarsch nehmer, Motto "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!" : 13. November 2004: Halbe/Brandenburg, etwa 1.660 Teilnehmer, Motto "Ruhm und Ehre den deutschen Frontsoldaten" Aktionen zum 17. Todestag von Rudolf Heß: Gedenkmarsch Wunsiedel/Bayern Herausragendes öffentlichkeitswirksames Ereignis der bundesdeutschen NeonaziSzene war auch 2004 der "Rudolf Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel/Bayern am 21. August aus Anlass des 17. Todestages von Rudolf Heß. An der Veranstaltung beteiligten sich nach Polizeiangaben etwa 3.800 (2003: 2.600), nach Angaben der Veranstalter bis zu 7.000 Rechtsextremisten. Als Redner trat neben dem Anmelder, Rechtsanwalt Jürgen Rieger aus Hamburg, unter anderem der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt auf. Die Abschlussrede hielt der stellvertretende Versammlungsleiter Thomas Wulff, ein neonazistischer Kameradschaftsführer aus Mecklenburg-Vorpommern. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Teilnehmern kam aus folgenden Ländern: England, Italien, Schweden, Tschechien, der Schweiz, Österreich, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Spanien und Russland. 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Wie in den Vorjahren konnte der Veranstalter, Rechtsanwalt Rieger, die zuvor vom Landratsamt Wunsiedel verbotene Veranstaltung auf dem Rechtswege durchsetzen. Der Rudolf Heß-Gedenkmarsch ist zwischenzeitlich das Großereignis der neonazistischen Szene. Die seit 2001 stetig steigenden Teilnehmerzahlen, den großen Zulauf aus dem Ausland und den überwiegend eskalationsfreien Verlauf betrachten die Veranstalter als ihren größten Erfolg. Wegen der Zentralveranstaltung in Wunsiedel kam es bundesweit zu keinen nennenswerten regionalen Veranstaltungen. Wie in den Vorjahren wurden in Nordrhein-Westfalen vereinzelt öffentlichkeitswirksame Aktionen, unter anderem in Form von Klebeund Verteilaktionen so genannter Flyer, festgestellt. Zusammenarbeit Neonazis und NPD Die Zusammenarbeit der 'Freien Nationalisten' (so die Selbstbezeichnung der Neonazis) mit der NPD hat im Jahr 2004 eine neue Qualität erreicht. Dieses Jahr rief Thomas Wulff als einer der führenden Aktivisten der Neonazi-Szene in einem Beitrag in der Internet-Ausgabe des NPD-Parteiorgans 'Deutsche Stimme' zur Schaffung einer "Volksfront von Rechts" auf. Erstes Ergebnis war die Teilnahme vieler Neonazis an der 1. Mai-Demonstration der NPD in Berlin. Die Zusammenarbeit wurde fortgesetzt mit der Teilnahme des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt an der diesjährigen Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung in Wunsiedel/Bayern. Bedeutsam wurde die Zusammenarbeit mit dem Eintritt der führenden Aktivisten der Neonazi-Szene Ralph Tegethoff (Rhein-Sieg-Kreis), Thorsten Heise (Thüringen) und Thomas Wulff (Mecklenburg-Vorpommern) in die NPD am 11. September 2004 sowie durch die anschließende Wahl von Thorsten Heise in den Bundesvorstand der NPD auf deren Bundesparteitag am 30./31. Oktober 2004 in Leinefelde/Thüringen. Nach dem Eintritt führender Neonazis in die NPD sah es so aus, als ob sich der seit 2001 bestehende ideologisch geprägte Streit innerhalb der Neonazi-Szene verfestigen würde. In dem Streit zwischen dem 'Aktionsbündnis Norddeutschland', vertreten unter anderem durch Thomas Wulff (Mecklenburg-Vorpommern), und den Gruppierungen um den Hamburger Christian Worch geht es unter anderem darum, dass die Gruppe um Christian Worch bestrebt ist, mit möglichst vielen Demonstrationen auf der Straße präsent zu sein, während das 'Aktionsbündnis Norddeutschland' seine Aktivisten vor öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen zunächst ideologisch schulen möchte. Der Eintritt von Thomas Wulff vom 'Aktionsbündnis Norddeutschland' in die NPD war insofern nur konsequent. Aber auch Worch schließt inzwischen eine Zusammen82 Rechtsextremismus arbeit mit der NPD nicht mehr grundsätzlich aus, wie sich aus wechselseitigen Erklärungen vom NPD-Bundesvorstand und ihm ergibt. Der mit dem Eintritt führender Neonazi-Aktivisten auch aus NRW in die NPD dokumentierte Wille einer engeren Zusammenarbeit beider Gruppierungen umfasst inzwischen fast alle Neonazigruppen in NRW, wenn auch mit unterschiedlicher "Begeisterung". Selbst ausgesprochene NPD-Gegner wie der Führer der 'Kameradschaft Walter Spangenberg' aus Köln oder generelle Gegner einer Parteiarbeit wie eine Kameradschaftsführerin aus dem Sauerland (Platz 10 der NPD-Liste!) unterstützen inzwischen den Wahlantritt der NPD. Nationale Info-Telefone (NIT), Freie Info-Telefone (FIT) Über die NIT beziehungsweise die FIT können sich die Szene-Angehörigen über bevorstehende Aktionen informieren und im Nachhinein über das Ergebnis der jeweiligen Veranstaltung in Kenntnis setzen. Die Bedeutung dieser Info-Telefone innerhalb der kommunikativen Vernetzung der Neonazi-Szene ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Dies liegt vor allem an der vermehrten Nutzung von Handys durch Szene-Aktivisten. Die Internetseite - NIT Rheinland Mobilisierung insbesondere für kurzfristig angesetzte Aktionen erfolgt durch SMS per Handy. Im zurückliegenden Berichtsjahr waren nach Veröffentlichung der Monatsschrift 'Nachrichten der HNG' folgende NIT beziehungsweise FIT in Betrieb: : NIT Rheinland : NIT Thüringen (NPD) : NIT Südbayern : NIT Karlsruhe : NIT Lübeck (Bündnis Rechts) : NIT Bayern-Franken : NIT Pommern : FIT Norddeutschland 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.2.2 Neonazi-Szene in NRW Die Zahl der in Nordrhein-Westfalen bekannten Neonazis ist gegenüber den Vorjahren mit etwa 340 nur geringfügig gestiegen. Den Führungsaktivisten ist es auch in diesem Jahr gelungen, ihre Anhänger bei zahlreichen Demonstrationen auf die Straße zu bringen, um ihr politisches Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Teilnehmerzahl an diesen Veranstaltungen schwankt zwischen 30 und maximal 300. Lokale und regionale Neonazi-Gruppierungen Die Organisationsstrukturen der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene sind mit den Strukturen im übrigen Bundesgebiet vergleichbar. Zum einen gibt es so genannte "Freie Kameradschaften" oder ähnlich strukturierte Personenzusammenschlüsse, andererseits existieren lose strukturierte so genannte Mischszenen. Kameradschaften existieren im Kreis Aachen, in Bielefeld, in Dortmund, in Hamm, im Hochsauerlandkreis/Kreis Siegen, im Rhein-Sieg-Kreis und in Köln. Kameradschaftsähnliche Strukturen haben sich in Wuppertal, Mönchengladbach, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und Leverkusen entwickelt. Lokale, völlig unstrukturierte so genannte Mischszenen gibt es in den Kreisen Borken, Kleve, Wesel, Steinfurt und Mettmann sowie in Hagen/Lüdenscheid. Sie ähneln eher Cliquen und sind zum Teil mit Angehörigen der Skinhead-Szene sowie Hooligans vermischt oder von diesen dominiert. Szene in Bielefeld Unter Führung eines ehemaligen FAPAktivisten steht die 'Freie Kameradschaft Bielefeld' mit etwa 15 bis 20 Aktivisten. An den Aktivitäten der Szene, die von regelmäßigen Saalveranstaltungen bis zur Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen reichen, beteiligen sich nicht nur Neonazis, sondern auch anpolitisierte Skinheads, Hooligans sowie Mitglieder der NPD. Der KameradschaftsMitteilungsblatt des Nationalen führer gehörte im internen Streit der bunWiderstands Köln - Ausgabe 1, Oktober 2004 84 Rechtsextremismus desweiten Neonazi-Szene zu den ausgesprochenen Gegnern des Hamburgers Christian Worch und ist bemüht, eine umfassende Unterstützung der NPD durch die nordrhein-westfälische Neonazi-Szene zu erreichen. Kölner Szene Die etwa 15 Personen umfassende 'Kameradschaft Walter Spangenberg Köln' wurde 1998 gegründet und wird von einem heute 21jährigen geführt. Der überzeugte Nationalsozialist gehört inzwischen zu den führenden Köpfen der nordrhein-westfälischen Neonazi-Szene mit Kontakten in die bundesweite Szene. Er organisiert nicht nur eigene Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, sondern tritt auch bundesweit als Redner bei Veranstaltungen der Neonazis auf. Er tendiert eindeutig zu Worch, mit dem er in engem Kontakt steht, und betrachtet die Beitritte führender Neonazis aus dem Bereich des Aktionsbündnisses Norddeutschland in die NPD als Verrat an den 'Freien Nationalisten'. Die NPD ist für ihn eine "Systempartei". Dennoch hatte er Interesse an einer Kandidatur auf der NPD-Landesliste in NRW und wird die Partei im Landtagswahlkampf unterstützen. Der Kameradschaftsführer wurde am 9. März 2004 vom Amtsgericht Bergheim wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot und das Versammlungsgesetz unter Einbeziehung eines Urteils aus dem Jahre 2003 zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Der Kameradschaftsführer und die Angehörigen der Kameradschaft stehen dem organisatorisch von der Kameradschaft zu trennenden 'Gau Rheinland' des 'Kampfbundes Deutscher Sozialisten' (KDS) sehr nahe; der Führer der Kameradschaft ist gleichzeitig als Gau-Sekretär Leiter dieser Organisation. Im Oktober 2004 erschien erstmals das Mitteilungsblatt des Nationalen Widerstandes in Köln 'Revolte'. Herausgeber ist die 'Kameradschaft Walter Spangenberg'. Szene im Rhein-Sieg-Kreis Die Szene des Rhein-Sieg-Kreises sowie benachbarter Gebiete in Rheinland-Pfalz ist in der 'Freien Kameradschaft Sturm Rhein-Sieg' organisiert. Die Kameradschaft wird angeführt von einem ehemaligen FAP-Funktionär, der seit Jahren zu den führenden bundesdeutschen Neonazis zu zählen ist. Er gehört zu den drei Personen, die Anfang September demonstrativ in die NPD eingetreten sind. Auf öffentlichen Veranstaltungen tritt er bundesweit als Redner auf. Seine etwa 15 Personen umfassende Gruppe trifft sich regelmäßig in einer Gaststätte im benachbarten Rheinland-Pfalz. 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Kameradschaft Aachener Land Die 'Kameradschaft Aachener Land' ist im Jahre 2001 aus dem Umfeld des NPDKreisverbandes Aachen und den Anhängern des ehemaligen Bundesführers der 'Wiking-Jugend' hervorgegangen. Trotz vorhandener Kontakte zum NPD-Kreisverband Aachen ist sie eine eigenständige, dem neonazistischen Gedankengut verbundene unabhängige Kameradschaft. Die etwa 25 Personen der Kameradschaft sind häufig an regionalen und überregionalen Neonazi-Veranstaltungen beteiligt. Die Kameradschaft unterhält darüber hinaus gute Kontakte in die Niederlande und nach Belgien. Szene im Hochsauerlandkreis/Kreis Siegen Die bis vor wenigen Jahren unter dem Begriff 'Sauerländer Aktionsfront' (SAF) bekannte Kameradschaft nennt sich heute entweder 'Nationaler Widerstand Hochsauerland' oder 'Freie Nationalisten Sauerland/Siegerland'. Die etwa 15 Personen starke Gruppierung wird von einer heute 30jährigen Frau angeführt, die zu den führenden Neonazis in Nordrhein-Westfalen zu zählen ist. Sie verfügt über sehr gute Kontakte insbesondere zu den Aktivisten des 'Aktionsbündnisses Norddeutschland'. Die Kameradschaftsangehörigen treffen sich regelmäßig in einer Gaststätte in Arnsberg. Szene in Hamm Die etwa 10 Personen umfassende 'Kameradschaft Hamm' entstand Anfang 2004 und wird von einem 21jährigen geleitet. Die Kameradschaft unterhält traditionell enge Kontakte zur Kameradschaft in Dortmund und nimmt an regionalen Neonazi-Veranstaltungen teil. Szene Dortmund Die unter den Bezeichnungen 'Nationaler Widerstand Ruhrgebiet' oder 'Nationaler Widerstand der unabhängigen Dortmunder Kameraden' agierenden Aktivisten (etwa 30 Personen) der Kameradschaft Dortmund stammen aus dem Großraum Dortmund sowie den angrenzenden Ruhrgebietsstädten. Führungsfigur dieser Gruppierung, die bis zu 80 Personen mobilisieren kann, ist der ehemalige Landesvorsitzende der FAP Nordrhein-Westfalen und ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende der FAP, Siegfried Borchardt aus Dortmund. Ihre Aktivisten haben Internetseite - Nationaler Widerstand Dortmund 86 Rechtsextremismus an allen bedeutsamen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der Neonazi-Szene im Jahr 2004 bundesweit teilgenommen. Aktivitäten der Neonazis auf Landesebene In Nordrhein-Westfalen kam es im Jahre 2004 zu folgenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Neonazi-Szene: : 3. Januar 2004: Köln, 50 Teilnehmer, Motto "Gegen das Zusammenwirken von linken Extremisten mit politischer Justiz" : 17. Januar 2004: Hamm, 195 Teilnehmer, Motto "Solidarität mit Palästina" : 21. Januar 2004: Hamm, 100 Teilnehmer aus Anlass eines Überfalls von Linksextremisten auf Rechtextremisten am 15. Januar 2004 in Hamm : 22. März 2004: Dortmund, 30 Teilnehmer aus Anlass der Tötung eines Palästinensers durch die israelische Armee : 19. Juni 2004: Dortmund, 300 Teilnehmer, Motto "Nein zu Multi-Kulti" : 6. September 2004: Herne, 40 Teilnehmer, Motto "Nein zu Hartz IV" : 13. September 2004: Dortmund, 60 Teilnehmer, Motto "Stoppt die Antifa und ihre Hetze gegen nationalgesinnte Deutsche" : 15. September 2004: Duisburg, 80 Teilnehmer, Motto "Gegen polizeiliche Willkür und Knüppeleinsätze" : 18. September 2004: Dortmund, 200 Teilnehmer, Motto "Nein zu Multi-Kulti" : 20. September 2004: Herne, 50 Teilnehmer, Motto "Nein zu Hartz IV" : 4. Oktober 2004: Herne, 40 Teilnehmer, Motto "Nein zu Hartz IV" : 16. Oktober 2004: Köln, 140 Teilnehmer, Motto "Nein zu Multikulti! Deutschland den Deutschen" : 8. November 2004: Dortmund, 70 Teilnehmer, Motto "Gegen linke Hetze und Intoleranz" : 9. November 2004: Leverkusen, 80 Teilnehmer, Motto "Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung" : 26. November 2004: Dortmund, 25 Teilnehmer der rechtsextremen Szene sammelten sich zu einer Spontandemonstration aus Anlass der Festnahme eines deutschen Rechtsextremisten in den Niederlanden : 27. November 2004: Duisburg, 260 Teilnehmer, Motto "Gegen polizeiliche Willkür und Schikane; : 27. November 2004: Recklinghausen, 160 Teilnehmer, Motto "Meinungsfreiheit ist auch Musikfreiheit" : 4. Dezember 2004: Recklinghausen, 70 Teilnehmer, Motto "Meinungsfreiheit ist auch Musikfreiheit" : 4. Dezember 2004: Dortmund, 70 Teilnehmer, Motto "Gegen Polizeiwillkür und Diskriminierung" 87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 : 11. Dezember: Recklinghausen, 75 Teilnehmer, Motto "Meinungsfreiheit ist auch Musikfreiheit" : 18. Dezember: Recklinghausen, 95 Teilnehmer, Motto "Meinungsfreiheit ist auch Musikfreiheit" : 24. Dezember: Recklinghausen, 85 Teilnehmer, Motto "Meinungsfreiheit ist auch Musikfreiheit" 'Aktionsbüro Westdeutschland' gegründet Im Mai gründeten Führungsaktivisten aus den Regionen Dortmund, Köln, Hamm, Wuppertal und dem Hochsauerlandkreis das so genannte 'Aktionsbüro Westdeutschland'. Es wendet sich an alle "gutwilligen Kameraden, Einzelaktivisten und freie Zusammenhänge", die aufgerufen werden, das Aktionsbüro bei seiner Arbeit zu unterstützen, den Widerstand RheinlandWestfalen zu festigen und die regionalen Strukturen zu verbessern. Dem Aktionsbüro gehören Aktivisten der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Neonazi-Szene an. Inzwischen ist zu erkennen, dass dieser Zusammenschluss trotz der tendenziell widerstreitenden Vorstellungen die NPD im Landtagswahlkampf unterstützen wird. Internetseite - Aktionsbüro Westdeutschland Ausblick Die nordrhein-westfälischen Neonazis haben es im Jahre 2004 trotz ihrer engen personellen Ressourcen geschafft, sich durch vielfältige öffentlichkeitswirksame Aktionen einer, wenn auch regional begrenzten, Öffentlichkeit bekannt zu machen. Profitiert hat die Szene durch die Berichterstattung über den Schulterschluss der NPD mit Aktivisten der 'Freien Nationalisten'. Höhepunkt war der Eintritt von führenden Vertretern dieser Szene in die Partei Anfang September diesen Jahres, darunter einem aus Nordrhein-Westfalen. Die Szene hatte im Jahr 2004 nur geringe Neuzugänge und dürfte weiterhin einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sein. Sie bleibt eine kleine stigmatisierte Personengruppe, die unter den gesellschaftlich relevanten Gruppierungen keine Rolle spielt. Die Szene konnte auch nicht von dem Protest gegen "Hartz IV" profitieren. Eigene Demonstrationen erhielten keine Unterstützung Dritter, die Teilnahme an bürgerlichen beziehungsweise "linken" Demonstrationen wurde verhindert, sobald die Personen als Rechtsextremisten erkannt wurden. 88 Rechtsextremismus Wegen ihrer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft und ihrer menschenverachtenden Ideologie wird die Szene weiterhin aufmerksam durch die Verfassungsschutzbehörde beobachtet. 3.2.3 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) Der am 1. Mai 1999 im brandenburgischen Kremnitz gegründete KDS ist nach eigener Aussage "ein parteiund organisationsunabhängiger Zusammenschluss auf der Basis des Bekenntnisses zu Volk und Heimat". Darüber hinaus sieht er sich als Kampfforum "linker" und "rechter" Sozialisten. In der einzigen im Jahr 2004 erschienene Ausgabe der Organisationsschrift 'Der Gegenangriff' von März 2004 heißt es zur geplanten Zusammenarbeit mit den "Linken" wie folgt: "Die bolschewistische Bewegung liegt im Sterben, die ehemals starke Linke ist fest im heutigen herrschenden System integriert und die extremen linksfaschistischen Elemente, so genannte Antifaschisten sind längst nicht mehr aktionsfähig und mehr mit internen Grabenkämpfen beschäftigt, als mit der Schaffung einer Alternative zu diesem System. Die einzige Alternative sind und bleiben wir nationale Sozialisten." Zum Umgang mit den "Linken" heißt es weiter: "Wir sollten diesen Elementen daher nicht mit unbändigem Hass entgegentreten, sondern Flyer KDS - Europa stirbt mit Verständnis und versuchen sie von unseren Idealen und Anschauung zu überzeugen. Seit dem Entstehen einer neuen nationalen und sozialistischen Bewegung nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden vielfach und erfolgreich Themenbereiche von uns besetzt, die ansonsten fest in den Händen der Linken gewesen sind [...] Wir, die wir die radikalsten Gegner dieses System sind und uns selbst als Revolutionäre begreifen, begrüßen diese Entwicklung, [...]". Die tatsächliche Bedeutung des KDS ist gering. In der rechtsund linksextremistischen Szene besteht kein Interesse an der von ihm angestrebten Kooperation. Der KDS als bundesweit agierende Organisation hat etwa 50 Mitglieder, davon 20 in Nordrhein-Westfalen. Die Mitgliederzahl stagniert, an der Einschätzung als "Splitter89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 gruppe" im neonazistischen Spektrum hat sich nichts geändert. Der KDS bleibt weiterhin auch wegen seines Absolutheitsanspruchs und seiner Verbalradikalität ohne nennenswerten Einfluss in der rechtsextremistischen Szene. 3.2.4 Europäischer Darstellungsverein für lebendige Geschichte (EDLG) Nach Hinweisen der Verfassungsschutzbehörde durchsuchte die Polizei am 25. November 2004 die Wohnräume mehrerer bekannter Rechtsextremisten in Ostwestfalen. Dabei wurden in großem Umfang Waffen und Munition beschlagnahmt. Den Durchsuchungen folgten Anschlussdurchsuchungen in anderen Bundesländern bei weiteren Personen. Die von der Durchsuchung Betroffenen sind Mitglieder des 'Europäischen Darstellungsvereins für lebendige Geschichte' (EDLG), unter anderem der Vorsitzende dieses Vereins. Der EDLG versteht sich als Mitgliedsorganisation der weltweiten "Reenactment-Bewegung". Mit möglichst originalgetreuen Uniformen und Ausrüstungsgegenständen werden historische Schlachten nachgestellt. Innerhalb des EDLG hat sich um den Vorsitzenden ein engerer Kern gebildet, der ideologisch den Ideen des Nationalsozialismus nahe steht. Unter dem Deckmantel dieser "Re-enactment-Bewegung" versuchte insbesondere der Vorsitzende, nationalsozialistisches Gedankengut auszuleben und weiter zu verbreiten. Bei "Darstellungsübungen" im benachbarten Ausland traten die aktiven Teilnehmer überwiegend in den Uniformen der früheren "Leibstandarte SS Adolf Hitler" der Waffen-SS auf. Bei der Beobachtung der in Ostwestfalen wohnenden Mitglieder um den Vereinsvorsitzenden herum ergaben sich Hinweise darauf, dass einige Personen im Besitz verbotener Waffen oder Kriegswaffen sein könnten. Hierüber wurde die für den Wohnsitz der Vereinsmitglieder zuständige Staatsanwaltschaft unterrichtet. 3.2.5 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1979 Sitz Frankfurt am Main Vorsitzende Ursula Müller Mitglieder Bund NRW 2004 600 50 90 Rechtsextremismus 2003 600 50 Publikation 'Nachrichten der HNG', Erscheinungsweise: monatlich, Auflage ca. 400 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die HNG ist ein eingetragener Verein und die mitgliederstärkste bundesweit agierende neonazistische Organisation. Sie besitzt innerhalb der neonazistischen Szene nach wie vor eine organisationsübergreifende und damit integrierende Funktion. Außenwirkung entfaltet die HNG mit der monatlich herausgegebenen Publikation 'Nachrichten der HNG' und mit ihrer Jahreshauptversammlung, die am 20. März 2004 in Gremsdorf/Bayern stattfand. Die HNG will inhaftierte Gesinnungsgenossen materiell und ideell betreuen und sie hierdurch in der rechtsextremistischen Szene halten. Darüber hinaus will sie bei den verurteilten Rechtsextremisten das Bewusstsein stärken, kein wirkliches Unrecht begangen zu haben. Dazu erhalten die Gefangenen die Möglichkeit, sich in der Schrift zu artikulieren und sich über Ereignisse der Szene zu unterrichten. 3.2.6 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) Die in Lincoln/Nebraska (USA) ansässige NSDAP/AO des US-amerikanischen Staatsbürgers Gary Rex Lauck hebt sich durch rein nationalsozialistisches, bewusst extrem-antijüdisches Propagandamaterial hervor, das in dieser Form von der übrigen Neonazi-Szene nicht mehr verwendet wird. Die Propagandazeitschrift 'NS Kampfruf' erscheint in mehreren Sprachen. In den Ausgaben 146 und 147 wurden unter anderem zwei Beiträge von Thomas Brehl, einem führenden hessischen Funktionär des rechtsextremistischen 'Kampfbundes deutscher Sozialisten' (KDS), veröffentlicht. Dort vertritt er in einem Artikel mit dem Titel "Republik am Ende?" die Auffassung, dass die Politik einer multikulturellen Gesellschaft gescheitert sei. Das "System" werde "an den von ihm selbst geschaffenen Problemen scheitern, zu deren Lösung es ja auch gar nicht in der Lage ist." Brehl gibt sich überzeugt, dass "unsere Stunde kommt, wir werden nach jahrelanger Saat die Ernte einfahren!" Schwerpunkt der Aktivitäten des Lauck ist das Internet. Seine Internetseiten sind in Teilbereichen in 22 Sprachen abrufbar. Lauck bietet eine Vielzahl von Dateien mit rechtsextremistischem Inhalt zum kostenlosen Download an. Ferner können neben Propagandamaterial auch nationalsozialistische Bücher, Musik und Videos gegen Be91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 zahlung geordert werden. Lauck offeriert außerdem die anonyme Registrierung und Speicherung von Webseiten in den USA und wirbt damit, dass die Webseiten in den USA "höchstwahrscheinlich nicht gesperrt" werden. Der Einfluss von Lauck auf die bundesdeutsche Neonazi-Szene ist aufgrund seiner äußerst aggressiven nationalsozialistischen Grundhaltung eher marginal. 3.3 Rechtsextremistische Skinheads Entstehung und Entwicklung der Skinhead-Szene Die Skinhead-Szene entstand Ende der sechziger Jahre in Großbritannien. Jugendliche aus der Arbeiterschicht begehrten gegen vermeintliche soziale Missstände und steigende Arbeitslosigkeit infolge der zunehmenden Rationalisierung in der Industrie auf. Ihre Zugehörigkeit zu dieser Subkultur dokumentierten die Skinheads durch ihr Äußeres: kahlgeschorene Schädel, Bomberjacken, schwere Arbeitsstiefel und Hosenträger. Diese Skinheads der ersten Generation waren weitgehend unpolitisch und beschränkten sich im Wesentlichen auf Alkoholkonsum, den Besuch von Konzerten oder Fußballspielen und Gewalt. Als die Gewaltexzesse immer mehr zunahmen, nahm auch der gesellschaftliche und staatliche Druck auf die Subkultur zu. In der Folge verebbte die erste Skinhead-Welle bereits zu Beginn der 70er Jahre wieder. Erst gegen Ende der 70er Jahre lebte die Skinhead-Kultur als Reaktion auf den kommerziellen Ausverkauf des Punk wieder auf. Kleidung, Musik und Verhalten der ersten Skinhead-Generation wurden wieder aufgegriffen, jedoch kamen jetzt viele Jugendliche in diese Subkultur, die vor allem durch die Gewalt angezogen wurden. Die schlechte wirtschaftliche Situation Großbritanniens und die Verbindung mit den Themen "Einwanderung" und "fehlende Arbeitsplätze für Jugendliche" sorgte für eine Politisierung dieser Oi!-Bewegung, die durch die rechtsextremistische 'National Front' (NF) geschürt und genutzt wurde. Ende der 70er Jahre breitete sich die Skinhead-Bewegung nach Europa und in alle Welt aus. Seit der Wiedervereinigung stellt die Skinhead-Szene auch in Deutschland eine bedeutende Größe dar. Skinheads und Gewalt Die Ursachen jugendlicher Gewalt sind vielschichtig und waren wiederholt Anlass soziologischer und kriminologischer Untersuchungen. Danach wird die allgemeine Jugendkriminalität durch schwierige Familienverhältnisse, fehlende Erfolgserlebnisse und Misserfolge in Ausbildung und Beruf oder durch gruppendynamische Zwänge be92 Rechtsextremismus günstigt. Diese Situationen sind häufig auch für rechtsextremistische Straftäter - insbesondere aus der Skinhead-Szene - zu beobachten. Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt lassen heute keine eindeutigen Schlüsse auf eine Zuordnung zur Skinhead-Szene mehr zu, da mittlerweile auch viele unpolitische Jugendliche ein vermeintlich skinhead-typisches Aussehen zeigen. Die Öffentlichkeit nimmt von der vielschichtigen Skinhead-Szene hauptsächlich den starken rechtsextremistischen Flügel wahr, der sich nicht nur über sein provozierendes Äußeres und eine aggressive Musik definiert, sondern insbesondere über neonazistische Ideologieelemente. Rechtsextremistische Skinhead-Musikszene Die Skinhead-Szene als Jugendsubkultur wird von den szeneinternen Medien geprägt. Hierzu gehört insbesondere die Skinhead-Musik als ein wichtiges und identitätsstiftendes Element, sie wirkt als Integrationsund Aggressionsfaktor. Die mögliche Wirkung der "Musik als Mittel der Indoktrination" darf dabei nicht verkannt werden. Dass Musik als Medium für die ideologische Beeinflussung von Jugendlichen verwandt werden soll, wird bereits in einem Zitat des Briten Ian Stuart Donaldson (auch als "Ian Stuart" bekannt) deutlich: "(Musik) berührt die jungen Leute, die von den Politikern nicht erreicht werden. Viele finden die Politik, parteipolitisch gesehen, langweilig, was teilweise stimmt. Es ist doch viel angenehmer, mit anderen ein Konzert zu besuchen und Spaß zu haben, als in eine politische Versammlung zu gehen." Ian Stuart Donaldson, Frontmann der britischen Band 'Skrewdriver', war ab 1978 für einige Zeit Mitglied der 'National Front' in Großbritannien. Im Jahre 1987 gründete er die 'Blood & Honour'-Organisation. Seit er im September 1993 mit zwei weiteren Bandmitgliedern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, wird der schon zu Lebzeiten gefeierte "Skinhead-Führer" in der Szene als Kultfigur verehrt. Skinhead-Konzerte und sonstige Musikveranstaltungen ("Liederbeziehungsweise Balladenabende") dienen der im Übrigen weitgehend unorganisierten, rechtsextremistischen Skinhead-Szene als Treffpunkt, um Pogo zu tanzen und Alkohol zu konsumieren, als Orte, an denen Kontakte geknüpft und ausgebaut werden und rechtsextremistische Propaganda betrieben und verbreitet wird. Dabei üben die konspirative Vorbereitung der Konzerte und das Auftreten von Skinhead-Bands, die zum Teil strafrechtlich relevante Liedtexte darbieten, einen besonderen Reiz gerade auf jugendliche Teilnehmer aus. 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Der Vertrieb und Verkauf von Tonträgern und Fanzines (eine Zusammensetzung der Wörter "Fan" und "Magazin") mit rechtsextremistischen Inhalten sowie von Merchandising-Artikeln (T-Shirts, Sweat-Shirts mit Bandaufdrucken etc.) - nicht nur auf Konzerten, sondern auch über das Internet, Szene-Läden oder einschlägige Versandhandel - dient der Szene und rechtsextremistischen Organisationen zur Finanzierung. Auch in Nordrhein-Westfalen sind Versandhandel und Szene-Läden ansässig, die einschlägige Artikel im Sortiment haben. Dabei haben gerade die Versandhandel zumeist einen überregionalen Bekanntheitsgrad. Es ist davon auszugehen, dass sich Personen aus der rechtsextremistischen Skinhead-Szene im Versandhandel mit CDs und Merchandising-Artikeln versorgen, um diese anschließend auf Konzerten gewinnbringend weiter zu verkaufen. Auf den Konzertveranstaltungen werden die Lieder teilweise durch eine besondere Art der Darstellung (zum Beispiel Zeigen des Hitlergrußes, Sieg-Heil-Rufe, Schwenken der Reichskriegsflagge) zur ideologisch-propagandistischen Interaktion mit dem Publikum dargeboten. Die Bands spielen neben aktuellen, oftmals durch "verschärfte" Passagen angereicherten Stücken auch innerhalb der Szene bekannte indizierte Lieder. Im Verlauf von Skinhead-Konzerten werden immer wieder Straftaten begangen, zumeist so genannte Propagandadelikte (SSSS 86, 86 a, 130, 131 StGB). Aufgrund von Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden, der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sowie einer allgemeinen sozialen Ächtung ist zu beobachten, dass die mit Musikdarbietungen verbundenen rechtsextremistischen Botschaften verhaltener und mit anderen Stilmitteln als bisher, eher unterschwellig transportiert werden. Skinhead-Konzerte können nach der derzeitigen Rechtslage verboten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten bestehen. Das bloße "Skinhead-Sein" mit dem damit verbundenen provokativen Outfit und Verhalten - auch wenn der überwiegende Teil der Gesellschaft dieses ablehnt - begründet noch keine Maßnahmen von Polizei oder Verfassungsschutz. Erst wenn über diese Musik Fremdenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung und rechtsextremistische Ideologieelemente verbreitet werden, liegen die Voraussetzungen für ein Eingreifen vor. Skinhead-Konzerte in NRW Verglichen mit dem Vorjahr ist in Nordrhein-Westfalen eine leichte Zunahme der bekannt gewordenen (kleineren) Liederund Balladenabende und eine gesunkene Zahl von Konzerten festzustellen. Insgesamt wurden sechs Liederund Balladenabende bekannt und vier durchgeführte Konzerte. Ein weiteres Konzert wurde bereits im Vorfeld abgesagt, drei andere durch die Polizei am Veranstaltungsabend unterbunden. 94 Rechtsextremismus Bei den Liederund Balladenabenden bewegten sich die Teilnehmerzahlen im Normalfall deutlich unter 100. Auch die Konzerte erreichten keine hohen Teilnehmerzahlen: sie beliefen sich auf 60, maximal 120, in einem Ausnahmefall bis 180 Teilnehmer. Alle Veranstaltungen verliefen ohne Außenwirkung, und es wurden nur vereinzelt Straftaten (Propagandadelikte) festgestellt. Die Vorbereitung der Veranstaltungen erfolgt weiterhin höchst konspirativ unter Nutzung von SMS-Schneeballsystemen. Die Veranstaltungsorte werden erst kurz vor Beginn bekannt gegeben. Die Szene ist bemüht, Konzertveranstaltungen in Räumlichkeiten durchzuführen, die im Besitz (Eigentum oder längerfristige Pacht-/Mietverträge) von mit der Szene verbundenen Personen sind. Dadurch soll sichergestellt werden, dass geplante Konzerte nicht kurzfristig aufgrund fehlender Räumlichkeiten ausfallen müssen. Die Schwierigkeiten bei der Anmietung von Räumlichkeiten für Konzertveranstaltungen und bei deren Durchführung dürften dazu beigetragen haben, dass im Vergleich zum Vorjahr weniger Konzerte stattfanden. Die Organisation von Liederund Balladenabenden in einem kleineren Rahmen - sowohl in Bezug auf die Räumlichkeiten als auch auf den Teilnehmerkreis - stellt die Szene offensichtlich vor weniger Probleme als die Organisation von großangelegten Konzertveranstaltungen. Hinzu kommt das hohe organisatorische und finanzielle Risiko eines Konzertes bei gleichzeitig großer Wahrscheinlichkeit einer Verhinderung. Volksverhetzung und Antisemitismus in Liedtexten Bereits im Jahr 2003 standen in Nordrhein-Westfalen die Skinhead-Bands 'Oidoxie' und 'Weisse Wölfe' im Blickpunkt der Ermittlungsbehörden. Beide Bands stehen im Verdacht, CDs und Videos mit volksverhetzenden und nationalsozialistischen Inhalten hergestellt und verbreitet zu haben; die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Zum Ende des Jahres 2002 wurde die CD der Skinhead-Band 'Weisse Wölfe' mit dem Titel "Weisse Wut" bekannt. Neben der Verwendung von Hakenkreuzen und der verbotenen FAP-Fahne auf dem Cover finden sich im Text Anhaltspunkte für Fremdenfeindlichkeit und Volksverhetzung. In einem Lied lautet der Refrain: "Deutschland erwache Sei stolz auf deine Geschichte Schmeiß endlich die Kanacken raus und mach die rote Brut zunichte Schon lange haben wir genug von dieser geheuchelten Demokratie und dem ganzen Volksbetrug" 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Ein weiteres Lied ist mit dem Titel "Unsere Antwort" versehen: "Die miesesten Gauner, dreckigsten Schuschen wollen nicht Ackern, die wollen nicht kuschen Es gibt nur 'ne Lösung für diese Figuren im Arbeitslager, da müssen sie spuren. [...] Und haben wir die alleinige Führung dann weinen viele doch nicht vor Rührung für unser Fest ist nichts zu teuer 10.000 Juden für ein Freudenfeuer Unsere Antwort C.-B" (gemeint ist mit dieser Abkürzung Cyklon-B) Das auf dem CD-Cover angegebene Erscheinungsbeziehungsweise Produktionsdatum ist rückdatiert - offenkundig mit dem Ziel, gegebenenfalls Verjährungsfristen in Anspruch nehmen zu können. Bei den Mitgliedern der Band wurden im Mai 2003 Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der Veröffentlichung der CD "Weisse Wut" durchgeführt. Auch bei den Mitgliedern der Band 'Oidoxie' wurden zum gleichen Zeitpunkt Hausdurchsuchungen durchgeführt. Hier wird wegen der Beteiligung der Band an dem Video "Kriegsberichter Vol. 5" ermittelt. Im Zuge der Hausdurchsuchungen wurden umfangreiche Materialien sowie Mobiltelefone und Computer sichergestellt. Beide Verfahren dauerten im Jahr 2004 noch an. 3.3.1 Blood & Honour und Combat 18 'Blood & Honour' wurde Mitte der 80er Jahre durch den Sänger der Skinhead-Band 'Skrewdriver' gegründet. Ziel war es, die rechtsextremistisch geprägte Skinhead-Szene organisatorisch zusammen zu fassen und über die Veranstaltung von Konzerten und damit über die Musik neonazistisch ausgerichtete Einstellungen zu verbreiten. Mit Urteil vom 13. Juni 2001 hat das Bundesverwaltungsgericht die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Inneren betreffend die Vereinigung 'Blood & Honour Division Deutschland' und deren Jugendorganisation 'White Youth' bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig. Im Jahr 2004 konnten in NRW keine Aktivitäten festgestellt werden, die den Fortbestand von Strukturen der 'Blood & Honour'-Organisation belegen würden. Zwar ist davon auszugehen, dass persönliche Kontakte/Freundschaften der damaligen 'Blood & Honour'-Mitglieder teilweise fortbestehen, jedoch ist ein größerer Organisationsrahmen mit entsprechenden Strukturen zumindest in NRW nicht mehr erkennbar. 96 Rechtsextremismus Die Organisation 'Combat 18' wurde ebenfalls in England gegründet. Sie war Anfang der 90er Jahre als Schutztruppe gegen Übergriffe linker Gewalttäter ins Leben gerufen worden. Nach dem Unfalltod Ian Stuart Donaldsons übernahmen Mitglieder von 'Combat 18' zunehmend die Führung bei 'Blood & Honour', was in der britischen Szene nicht unkritisch gesehen wurde. Die Bedeutung von 'Combat 18' ist jedoch inzwischen aufgrund geringer Mitgliedzahlen und erneuter Diskrepanzen innerhalb der Organisation erheblich gesunken. Einzelne Mitglieder der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen zeigen zwar eine gewisse Faszination für 'Combat 18', es handelt sich bisher jedoch nicht um erkennbare Strukturen, sondern nur um isoliert zu betrachtende Einzelfälle. Die Verwendung des Begriffes 'Combat 18' ist offensichtlich mit einem hohen Ansehen in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene verbunden, und es ist daher wahrscheinlich, dass dessen Verwendung auch mit dem Ziel erfolgt, das eigene Ansehen aufzuwerten. 3.3.2 Hammerskins Einen weiteren Organisierungsversuch innerhalb der Skinhead-Bewegung stellen die Hammerskins dar. Sie wurden Mitte der 80er Jahre in den USA gegründet. Erklärtes Ziel ist es, weltweit alle weißen und rechtsextremistischen Skinheads in einer HammerskinNation zu vereinigen. Hammerskins vertreten rassistische Grundeinstellungen und betrachten sich selbst als die Elite der Skinhead-Bewegung. Aus diesem Grunde werden auch nur solche Personen Hammerskins, die bereits lange Zeit der Skinhead-Szene angehören. Einige internationale Skinhead-Bands bezeichnen sich selbst als so genannte Hammerskin-Bands. In Nordrhein-Westfalen liegen keine Erkenntnisse über eine bestehende Organisationsstruktur der Hammerskins vor. Einflussnahme auf jugendliche Subkulturen Grundsätzlich ist der Versuch, Musik mit rechtsextremistischen Inhalten oder mit einem entsprechenden Hintergrund in einer Subkultur zu verankern, nur in solchen Bereichen erfolgversprechend, wo Anknüpfungspunkte und Schnittmengen mit rechtsextremistischem Gedankengut und Symbolen feststellbar sind. Dies gilt zum Beispiel für die in ihrer überwiegenden Mehrheit unpolitischen Jugendszenen des Black Metal und Dark Wave. In den genannten Subkulturen findet sich eine Akzeptanz von Archaischem, Irrationalismus, Mystischem und die Verherrlichung von Stärke sowie eine verbreitete Ablehnung des Christentums, verbunden mit der Hinwendung zu heidnischen Religionen. Derartige Einstellungen werden jedoch in den Jugendszenen häufig nicht politisch entwickelt oder reflektiert und können somit auch nicht pauschal als "rechtsextremistisch" bezeichnet werden. Da der historische Nationalsozialismus 97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 aber viele esoterische und neoheidnische Vorstellungen in seine Ideologie integrierte, ergibt sich hier eine Schnittmenge zu rechtsextremistischem Gedankengut. Ob eine rechtsextremistische Einflussnahme auf die genannten Jugendszenen tatsächlich vorliegt, hängt also davon ab, in welchem Sinne esoterische und neoheidnische Auffassungen verwandt werden. Gleiches gilt für die in den Szenen weit verbreitete Verwendung von Symbolen aus der germanischen Mythologie, Runen und keltischen Zeichen. Im Black Metal-Bereich gibt es Verbindungen zwischen dem rechtsextremistisch beeinflussten Teilbereich dieser Musikszene, der so genannten NS-Black Metal-Szene, und einer neoheidnisch-völkischen Bewegung, der 'Deutschen Heidnischen Front' (D.H.F.). Die D.H.F. ist eine Unterorganisation der von dem norwegischen Black Metal-Musiker und Neonazi Christian "Varg" Vikernes gegründeten 'Allgermanisch Heidnischen Front'. Sie vermischt germanische Mythologie und Grundstrukturen des Nationalsozialismus und Rassismus miteinander und vertritt antichristliche Thesen. Es gibt Hinweise darauf, dass in Nordrhein-Westfalen Mitglieder der D.H.F. ansässig und aktiv sind. Zwischen NS-Black Metalund Skinhead-Szene bestehen Kontakte, zum Beispiel in Form von gemeinsamen Konzerten von Skinheadund NS-Black Metal-Bands. Für diese Veranstaltungen wird hin und wieder auch in neonazistisch geprägten Szene-Magazinen geworben, und es werden dort Konzert-Kritiken veröffentlicht. 3.4 Revisionismus Nach wie vor manifestiert sich der Revisionismus in dem Versuch von Rechtsextremisten, die offizielle Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus einer positiven Bewertung zuzuführen. Dabei hat in den letzten Jahren insbesondere die Nutzung des Internet als Kommunikationsplattform für weltweite Kontakte und gemeinsame Aktivitäten von Revisionisten an Bedeutung gewonnen. Hierbei nutzen deutsche Revisionisten das Internet über ausländische Internetprovider zur Verbreitung ihrer strafbewehrten Thesen (insbesondere SS 130 StGB - Volksverhetzung), um so einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen. Zielsetzung und Methodik Revisionisten sind bemüht, unter dem Deckmantel einer angeblich seriösen Wissenschaft die Zeit des Nationalsozialismus durch relativierende, verfälschende oder gar leugnende Darstellungen wieder gesellschaftsfähig zu machen. In Behauptungen in pseudowissenschaftlichem Gewand werden zeitgeschichtliche Dokumente als Fäl98 Rechtsextremismus schungen hingestellt oder die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern und Zeitzeugen angezweifelt. Gerne sehen sich die Revisionisten auch als politisch Verfolgte, deren Meinungsfreiheit durch staatliche Repression angeblich unterdrückt wird. Es ist ein Hauptanliegen der 'Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.' (GFP), diese These zu verkünden. Einer ihrer wesentlichen Agitationsansätze ist neben der Infragestellung der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Relativierung beziehungsweise Leugnung des Holocaust (Auschwitz-Lüge). Ziel des Schürens von Zweifeln an den tatsächlichen Opferzahlen ist die völlige Infragestellung der Massenvernichtung von Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. So befasst sich der italienische Revisionist Carlo Mattogno in einem in der revisionistischen Publikation 'Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung' (VffG) (Heft 2, Juli 2004) veröffentlichten Artikel ("Der Gaskammer-Teufel im Detail") mit einer im Jahre 2002 erschienenen offiziellen Studie zu den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau. Im Zusammenhang mit diesem Beitrag erklärt Mattogno beispielsweise, dass unter der "Zyklon-B-Entlausungsmaschinerie" beziehungsweise "Entlausungsanstalten" auch Heißluftanlagen und Dampfapparate zu verstehen gewesen seien und fragt zynisch, wie man denn davon ausgehen könne, dass in Auschwitz-Birkenau "systematische Tötungsaktionen" geplant gewesen seien; aber - wie Mattogno weiter erklärt - "was kann man von einem 'Assistant Professor of modern German history and the history of technology' [gemeint ist der Verfasser der Studie] auch schon erwarten, der noch nicht einmal eine Zyklon-B-Entlausungskammer von einer Heißluft-Entlausungskammer zu unterscheiden vermag?". Typisch für die Agitationsweise von Revisionisten werden auch hier dem Verfasser "falsche Schlussfolgerungen", "frei erfundene Hinweise", "phantasievolle und unsinnige Thesen" unterstellt, um damit die Glaubwürdigkeit und die wissenschaftliche Akzeptanz des Studienverfassers generell in Frage zu stellen. Besondere revisionistische Aktivitäten Zur Intensivierung der revisionistischen Arbeit gab es bereits im letzten Jahr eine enge Zusammenarbeit zwischen dem bekannten Rechtsextremisten Horst Mahler und Ursula Haverbeck-Wetzel, Vereinsvorsitzende des 'Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V.' (CH) mit Vereinssitz in Vlotho. Bei einer Veranstaltung am 30. Juli 2003 auf der Wartburg bei Eisenach/Thüringen enthüllten sie unter anderem ein Transparent mit der Aufschrift "Den Holocaust gab es nicht". Ein weiterer Beitrag zur Intensivierung revisionistischer Arbeit dürfte die auf einer Veranstaltung mit Mahler am 9. November 2003 in Vlotho erfolgte Gründung des 'Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten' (VRBHV) darstellen. Wesentliche Zielrichtung dieses Vereins, dessen Vorsitzender der bekannte Schweizer Revisionist Bernhard Schaub ist, dürfte es sein, die so genannte "Aus99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 chwitz-Lüge" und damit insbesondere die Anwendung des SS 130 StGB zu Fall zu bringen. Andererseits verfolgt Mahler auch das Ziel, den behaupteten "Fortbestand des Deutschen Reiches" und die "Befreiung" von der "jüdisch-amerikanischen Fremdherrschaft" durch Errichtung eines "4. Deutschen Reiches" zu sichern. Mahlers Aktivitäten und öffentliche Erklärungen haben dazu geführt, dass das Amtsgericht Berlin-Tiergarten im April 2004 ein - noch nicht bestandskräftiges - Berufsverbot verfügte (Horst Mahler ist Rechtsanwalt) und im Sommer die Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren wegen Volksverhetzung beschloss, seine Schuldfähigkeit mittels eines psychiatrischen Gutachtens untersuchen zu lassen. Widerstände und Rückschläge Trotz intensiven Bemühens der Revisionisten, ihrer Arbeit weiteres Gewicht und gesellschaftliche Geltung zu verleihen, bewerteten weltweit agierende Revisionisten die Lage im Berichtsjahr kontrovers; noch im September 2003 hatte der bekannte Revisionist Germar Rudolf erklärt, dass er die Zukunft der Revisionisten vor dem Hintergrund einer nicht abebbenden strafrechtlichen Verfolgung als "eher schwarz" einschätze. In der Ausgabe Heft 1 - April 2004 der VffG äußerten sich nun unter anderem aus Anlass des 75. Geburtstages des französischen Revisionisten Robert Faurisson einige revisionistische Publizisten zum Stand und zur Perspektive ihrer Arbeit. So erklärte Jürgen Graf in einem Artikel zum Thema: "Mensch Meyer! - Ein Abgesang auf die 'Offenkundigkeit'", die aktuelle Entwicklung in Deutschland in Sachen "Holocaust" biete Anlass zu vorsichtigem Optimismus, da "die revisionistischen Forscher mit ihren Studien auf die Gralshüter der orthodoxen 'Holocaust'-Version" einen für die Allgemeinheit nicht erkennbaren, aber immensen Druck ausüben würden. Der in Dänemark lebende Revisionist Christian Lindtner sieht dagegen die Widerstände, denen sich die Revisionisten gegenübersehen, als "nicht nur enorm, furchterregend, sondern oft auch schlechthin lächerlich" an. Die von Revisionisten zum Teil geäußerten "Zukunftsängste" bestehen nicht ohne Grund, wie die Verurteilung des rechtsextremistischen Anwalts Jürgen Rieger wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zeigt. Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf mit Beschluss vom 31. März 2004 die von Rieger angestrengte Revision als offensichtlich unbegründet und bestätigte das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. April 2003, mit dem Rieger zu einer Geldstrafe von 3.360 * verurteilt worden war. Rieger hatte 1996 in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Hamburg als Verteidiger eines Hamburger Neonazis die planmäßige Massenvernichtung von Juden in NS-Konzentrationslagern unter Hinweis auf das Pseudogutachten des Revisionisten Germar Rudolf geleugnet. 100 Rechtsextremismus Einen weiteren Rückschlag in der weltweiten Revisionismusagitation mussten die Veranstalter (Sponsoren waren unter anderem die revisionistischen Organisationen 'Adelaide Institute' aus Australien und das kalifornische 'Institute for Historical Review') einer für den 24./25. April im kalifornischen Sacramento geplanten internationalen Revisionisten-Konferenz verbuchen. Als Redner waren neben anderen Germar Rudolf, Fredrick Töben und Horst Mahler angekündigt. Ziel dieser Konferenz sollte es auch sein, Spenden für den in Kanada einsitzenden Ernst Zündel zu sammeln, der trotz aller juristischen Anstrengungen und zahlreicher öffentlich initiierter Kampagnen weder seine Freilassung aus der Abschiebehaft noch die Gewährung politischen Asyls erzielen konnte. Unmittelbar vor Beginn musste die Konferenz jedoch abgesagt werden, nachdem der Inhaber der angemieteten Räumlichkeiten von den tatsächlichen Hintergründen der Veranstaltung erfahren und den Mietvertrag widerrufen hatte. 3.4.1 National Journal Herausgeber des mit einer Verlagsadresse in Großbritannien (Uckfield/Sussex) monatlich erscheinenden 'National Journal' ist eine näher nicht bekannte Redaktionsgemeinschaft 'Die Freunde im Ausland' (DFiA). Seit Oktober 1997 ist die Publikation mit einer deutschund englischsprachigen Homepage (2002/2003 mit der Bezeichnung 'Das Neue National Journal') über einen in den USA ansässigen Provider mit einem umfangreichen Dokumentationsangebot abrufbar. Die Publikation enthält seit Jahren in hohem Maße antisemitische und fremdenfeindliche Hetze, revisionistische Darstellungen sowie Diffamierungen von Politikern und Hetze gegen die Justiz. Immer wieder finden sich Beiträge, die die Rechtsanwendung des SS 130 StGB im Zusammenhang mit der Holocaustleugnung zum Thema haben. So gab es beispielsweise folgende bemerkenswerte Aussagen in der Ausgabe Nr. 74/ 75 (2004): "Die Unterdrückung der Deutschen ist bekannt. Sie müssen über ihre Geschichte lügen, sie dürfen sich nicht wehren [...]" und "Die BRD erfand das Gesetz gegen 'Volksverhetzung' (SS 130 StGB). Paragraph 130 wird von der politischen Kaste benutzt, Lügen über die deutsche Geschichte zu schützen." Und weiter: "Die durch das Strafgesetz erzwungene Bereitschaft der Deutschen, auf ewig Holocaust-Täter spielen zu müssen, fordert immer mehr Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen." 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.4.2 Stiftung Vrij Historisch Onderzoek (VHO) und Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (VffG) Neben der Herausgabe revisionistischer Bücher liegt der Schwerpunkt der in Belgien gegründeten und seit Anfang 2002 von belgischen Behörden verbotenen VHO in der Veröffentlichung und dem Vertrieb aller in Deutschland beschlagnahmten und indizierten Veröffentlichungen zur Holocaust-Leugnung sowie der Herausgabe der pseudo-wissenschaftlich aufgemachten Zeitschrift VffG. Die seit 1997 im Internet vorhandene Webseite der VHO firmiert heutzutage unter der Homepage des in Großbritannien gegründeten 'Castle Hill Publishers' (wird von Chicago/USA betrieben) des Germar Rudolf, der zugleich die Position des Chefredakteurs bekleidet. Einen herben finanziellen Rückschlag musste Rudolfs Verlag jetzt einstecken, als im Rahmen einer vom Amtsgericht Mannheim angeordneten Exekutivmaßnahme des BKA am 7. September 2004 im baden-württembergischen Königsbronn ein 69jähriger pensionierter Physiker, der offenbar der deutsche Geschäftspartner und Sachwalter des in den USA untergetauchten Rudolf ist, verhaftet wurde. Er soll Rudolf bei dem Vertrieb volksverhetzender Schriften geholfen haben. Anhaltender Agitationsschwerpunkt der VffG waren auch 2004 Artikel, in denen die Massenvergasungen, insbesondere in den Konzentrationslagern Auschwitz und Treblinka, während der Zeit des Nationalsozialismus angezweifelt werden. So heißt es in einem von Germar Rudolf selbst verfassten Artikel (Heft 2, Juli 2004) zum Thema "Aus den Akten des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Teil 7": "[...] so dass man vermuten muss, dass seine Ansichten über Vergasungen von Nachkriegseindrücken herrühren. Ein weiterer Hinweis darauf, dass V. [einer der Zeugen] nach dem Krieg allerlei Holocaustgeschichten ausgesetzt war und während seines Verhörs einige davon als eigenes Erleben ausgab [...]. Womit belegt ist, dass Zeugen schon Jahre vor der Eröffnung des Hauptverfahrens systematische Aussage-Absprachen durchführten unter Einbeziehung der Staatsanwaltschaft." Hier wird also in der für Revisionisten typischen Agitationsweise die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen im Auschwitz-Prozess angezweifelt und der Versuch unternommen, mittels eigener Bewertungen und Einschätzungen diese als völlig unglaubwürdig darzustellen. Ein weiteres Beispiel für die von Revisionisten unternommenen Versuche, durch angebliche "Gegenbeweise" die Massenvernichtung in den Konzentrationslagern zu leugnen, stellt ein von dem französischen Holocaust-Leugner Robert Faurisson verfasster Artikel zum Thema "Treblinka: Ein außergewöhnlicher Zeuge" (Heft 1, April 2004) dar. Darin wird als angeblicher "Beweis" ein Zeuge vorgestellt, der auf einem 102 Rechtsextremismus bäuerlichen Hof eineinviertel Meilen vom Lager Treblinka entfernt lebte und täglich "nahe beim 'Vernichtungslager' vorbeischritt"; dieser hätte nie "je Zeichen mörderischer Aktivitäten der Deutschen in diesem 'Vernichtungslager'" bemerkt. Resümierend kommt damit Faurisson zum Urteil: "Hunderte Beweise zeigen neben dem Buch Mattognos und Grafs, dass Treblinka nie etwas anderes als ein gewöhnliches und bescheidenes Durchgangslager sein konnte. [...] Zusammen mit der ungeheuerlichen Auschwitz-Lüge gehört darum auch die plumpe Treblinka-Lüge in den Mülleimer der Geschichte verbannt." 3.4.3 Vereinigung Gesamtdeutsche Politik e.V. (VGP) - (ehem.) DEUTSCHLAND - Schrift für neue Ordnung Die fünf bis sechsmal im Jahr erscheinende Publikation wurde bis Ende 2003 von der in Remscheid ansässigen VGP unter maßgeblicher Leitung des Revisionisten Ernst Günter Kögel herausgegeben. Themenschwerpunkte bildeten jahrelang unter anderem die Leugnung oder Umdeutung der deutschen Kriegsschuld. Nach Hinweisen in dieser Publikation kam es vor dem Hintergrund des Verdachts der Volksverhetzung zur Durchsuchung des VGP-Verlages. Im Zuge der Durchsuchung der Verlagsräume wurden unter anderem PC-Ausrüstung, diverse Schriften und etwa 300 Buchsendungen des Verlages beschlagnahmt. Seit Januar 2004 wird die Publikation unter der neuen Bezeichnung "DEUTSCHLAND - Schrift für idealistische Ordnung" von dem in Köln ansässigen "Wilhelm Kammeier Verein" herausgegeben. Nach eigener Darstellung in der Ausgabe 1/22004 wird unter anderem erklärt, dass "[...] die hier veröffentlichten Beiträge den Werten von Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit - wie sie der deutschen Art entsprechen - verpflichtet (sind)" und diese Schrift "damit absolut und zu 100% systemkonform, ja sogar systemtragend" ist; "DEUTSCHLAND lesen heißt auch, sich für die Verbreitung der Wahrheit zu engagieren" (Ausgabe 5/6-2004). Dass der oder die Herausgeber einschlägig revisionistischen Zielen nahe stehen, dokumentiert der letzte Satz der Selbstdarstellung: "Sollten sich durch die Beiträge dieser Schriftenreihe in zunehmendem Maße Widersprüche zu irgendeinem bestehenden Weltbild ergeben, so ist die Verantwortung weniger bei den Beiträgen zu suchen als vielmehr bei den konstruierten Informationen, auf denen das Weltbild aufgebaut ist." Demzufolge wird die "Tradition" der Zeitschrift fortgeführt: die Erörterung einer angeblich gefälschten offiziellen Geschichtsschreibung und einer darauf abgestellten "geistig bewussten Verwirrungsstiftung". In diesem Zusammenhang wird erklärt: "Sie [gemeint sind die veröffentlichten Kriegsdokumentationen] dürfen 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 nichts enthalten, was das Bild der Sieger als 'Befreier' und 'moralisch Höherstehende' ankratzen könnte." 3.5 Neue Rechte 3.5.1 Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (NE) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1951 durch Arthur Erhardt und Herbert Böhme Herausgeber Peter Dehoust und Harald Neubauer Verlag Nation Europa Verlag GmbH, Coburg Erscheinungsweise monatlich; Auflage 20.000 (Eigenangabe) Internet Eigene Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 'Nation und Europa' (NE), das älteste rechtsextremistische Theorieund Strategieorgan, ist eine nicht parteigebundene Publikation Sie gehört zu den Ideengebern des deutschen Rechtsextremismus. Unterschiedlichen rechtsextremistischen Strömungen dient sie als Forum. NE bezeichnet sich auf ihrer Homepage als "unabhängig-nonkonform". Inhaltlich finden sich antiliberale, antiamerikanische und revisionistische Positionen. Die ideologische Zielsetzung des Verlages lässt sich auch aus den Schriften des angeschlossenen Buchdienstes 'Nation Europa' ablesen. Der Verlag bemüht sich daneben über einzelne Leserkreise und Vortragsveranstaltungen um eine aktive Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Organisationen. So wird in der 'National Zeitung' Nr. 18/2004 für den 7. Mai 2004 in Lippe/Höxter/Paderborn eine Versammlung der DVU mit dem Mitherausgeber von NE, Peter Dehoust, als Gastredner angekündigt. Auf dem diesjährigen Jahreskongress der 'Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.' (GFP) - die NE-Herausgeber sind GFP-Vorstandsmitglieder - vom 23. Mai bis 25. April in Friedrichroda hielt Neubauer laut 'Das Freie Forum' Nr. 2/2004 " eine oft von Beifall unterbrochene Rede über die "Europäisierung" der Deutschen als ein Machtmittel zur Fremdbestimmung und beklagte die angeblich mangelnde Souveränität der Bundesrepublik und die vermeintliche Auslandshörigkeit der deutschen Regierung. Strategiediskussion hält an Die bereits in 2003 begonnene Strategiediskussion für eine politische Erneuerung der rechtsextremistischen Szene wird auch in 2004 weiter fortgesetzt. So plädiert der 104 Rechtsextremismus ehemalige Bundesvorsitzende der REP, Franz Schönhuber, erneut in seiner Rubrik "Aus meiner Sicht" für eine Zusammenarbeit aller rechten Kräfte in Deutschland und in Europa. In seinem Beitrag "Volk ohne Stimme" (6/2004) spricht er den etablierten Parteien jegliche Kompetenz ab. "Denn unsere vermeintliche Elite ist in Wahrheit ein Klüngel zur persönlichen Machterhaltung. [...] Ich möchte das Schicksal unseres Landes beispielsweise nicht der verschlagen agierenden, machtgeilen Pastorentochter Merkel überantwortet wissen, auch nicht ihrem amerikahörigen Adepten Pflüger. Gleiches gilt für den provinziellen Edmund Stoiber." Im Gegensatz zu den übrigen europäischen Rechtsparteien könnten die deutschen Rechten aufgrund interner Streitigkeiten und fehlender Führungspersönlichkeiten kaum die derzeit durchaus politisch für sie günstige Situation nützen. Ebenso wie Schönhuber betont der NE-Mitherausgeber Peter Dehoust in einem Interview in der 'National-Zeitung' vom 13. Februar 2004 die Notwendigkeit einer Bündelung der europäischen Kräfte. "Auch in den anderen EU-Staaten, [...], wächst der Widerstand gegen die nationale Selbstaufgabe. Hier müssen sich die Gleichgesinnten über die Grenzen hinweg zusammenfinden. Da liegt auch ein Schwerpunkt unserer Zeitschrift, die den europäischen und den nationalen Gedanken seit nun schon 53 Jahren konstruktiv verbindet." Weitere Themenschwerpunkte der Publikation sind insbesondere die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates, die Verharmlosung der NS-Vergangenheit sowie die angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit und herrschende "Political Correctness". Exemplarisch hierfür steht der Beitrag "Das 'Werte'-Trugbild" eines Stammautors in NE (Doppelausgabe 7-8/2004) anlässlich der Feierlichkeiten zur Landung der Alliierten vor 60 Jahren in der Normandie. Die Teilnahme des Bundeskanzlers an den Feierlichkeiten bezeichnet der Autor als "vasallenhafte Anbiederung" und als Ergebnis "jahrzehntelanger Umerziehung". "Wer angesichts dieses Befunds von 'Befreiung' und 'Westdeutschlands Geburtsstunde' sprechen mag, ist verblendet oder umnachtet. Die Deutschen, zumindest diejenigen in der späteren Bundesrepublik, haben sich nicht aus freien Stücken für den Westen entschieden. Er wurde ihnen in zwei Weltkriegen aufgezwungen und in die Köpfe gebombt, Hilfswillige und Überzeugungstäter wie Adenauer erledigten den Rest." Der deutsche Staat sei nicht souverän, vielmehr "ferngesteuert durch eingeimpfte Komplexe und tausend internationale Abhängigkeiten, unsouverän, unfrei, verwestlicht bis zur Karikatur, das Klonschaf Dolly unter den Völkern." Konstante Themen in der Berichterstattung der NE sind die Beiträge zum Antiamerikanismus und über die Ablehnung der zunehmenden Globalisierung beziehungsweise die Förderung einer so genannten "One-World". So beklagt ein Stammautor in seinem 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Beitrag "Großkapital gegen Nationalstaaten - Auf dem Höllentrip" (2/2004) die Bundesrepublik sei "ein Land im Verfall, ausgelaugt, desorientiert, verblödet. [...] Während im Inneren die sozialen Spannungen zunehmen, wird auch der Druck von außen stärker: sowohl von Seiten nichteuropäischer Zuwanderer, die Jahr für Jahr zu Hunderttausenden einsickern, anlanden, in die Illegalität abtauchen, als auch von Seiten jener Internationale, die sich mit dem großen Geld, den Börsen, dem amerikanischen Moloch verbindet. [...] Der Angriff auf die europäischen Volksvermögen tarnt sich hinter Worthülsen: Flexibilisierung, Globalisierung, Privatisierung." Wer sich dieser Entwicklung widersetze, werde wie Saddam Hussein "weggebombt" und "plattgemacht". Anknüpfend an die rechtsextremistische Fixierung auf einen ethnisch und politisch geschlossenen Staat plädiert der Autor für eine weitgehend autarke Wirtschaftsordnung einzelner Nationalstaaten. 3.5.2 Deutsches Kolleg (DK) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Würzburg (Postfachanschrift) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Der rechtsextremistische Theoriezirkel 'Deutsches Kolleg' (DK), der 1994 in Berlin ins Leben gerufen wurde, versteht sich als Schulungseinrichtung der "nationalen Intelligenz". Geistige und ideologische Köpfe sind Dr. Reinhold Oberlercher sowie der in das rechtsextremistische Lager gewechselte Mitbegründer der ehemaligen 'Rote Armee Fraktion' (RAF) Horst Mahler. Das DK sieht sich selbst als "Denkorgan des deutschen Reiches" und "Schwert und Schild des deutschen Geistes". Mittels "Schulungen, Programmen, Erklärungen und Wortergreifungen", die das DK auch über das Internet anbietet, will es den Anstoß geben, "die volle Handlungsfähigkeit des Deutschen Volkes als Deutsches Reich" wieder herzustellen. Das DK bekämpft die verfassungsmäßige Ordnung. In der Internetveröffentlichung vom 20. Juli 2004 "Moralische Verurteilung des 20. Juli" propagiert es: "Die Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich berechtigt in letzter Konsequenz auch dazu, die Feinde des Deutschen Reiches und Verräter des Deutschen Volkes zu töten. Erst die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches wird die Wiederherstellung des europäischen Rechts einschließlich seines Kriegsvölkerrechts sein, die allein diesen gefährlichen Zustand beenden kann." 106 Rechtsextremismus In dem selben Text versucht das DK, durch eine moralische Verurteilung der Attentäter des 20. Juli die Person Hitler sowie den Nationalsozialismus aufzuwerten. So heißt es wörtlich: "Am 20. Juli wird das verbrecherische Mittel ([...], sowie die versuchte Ermordung Adolf Hitlers) und nicht der heilige Zweck (Errettung des Deutschen Reiches) gefeiert. [...] Daß es sich bei den Attentätern um Demokraten handelte, ist jedoch frei erfunden." Das DK sieht sich auch als Vordenker für die Sozialund Arbeitspolitik des "Vierten Reiches". Es gelte, den deutschen Arbeitsmarkt vom "ausländischem Ballast" zu befreien. In der Internetveröffentlichung "Rassenund Klassenkampf im Sommerloch" vom 2. August 2004 wird insbesondere fremdenfeindlich angeprangert, dass "Neger" und andere "Fremdrassige" deutsche Arbeitsplätze besetzen. Daher müsse der deutsche Arbeitsmarkt "entausländert" und von "fremdrassischen Arbeitskräften" entlastet werden. Bekräftigt und erweitert werden diese Aussagen durch die Internetveröffentlichung "Semitischer Ritualmord" vom 9. November 2004. Darin heißt es: "Multikulturalismus ist immer Barbarei [...]. Aus diesem Grunde beginnt jede Kultur mit einem Verbot aller Fremdkulturen. Praktisch heißt das aber die Ausweisung aller fremdrassigen Menschen aus dem Gebiet des jeweiligen Kulturkreises." 'Deutsches Kolleg' (DK) hetzt gegen jüdische Religion Unter der Bezeichnung "Toleranzedikt" hat das DK am 7. Dezember 2004 eine antisemitische Hetzschrift auf seiner Internetseite veröffentlicht. In Deutschland sei die Religionsfreiheit von raumfremden Mächten gewaltsam durchgesetzt worden. Der Judaismus könne daher "den Glauben an seine mammonistische Welthirtschaft und sein Völkerschächtungsgebot ausleben." Das DK ordnet daher in seinem "Edikt" an, die allgemeine Religionsfreiheit aufzuheben und den öffentlichen Kult nichtdeutscher Religionen zu verbieten. Nur der nichtöffentliche und nichtkollektive Teil von Kulthandlungen der islamischen Religion könne toleriert werden. "Juden und jüdische Religion dürften nicht toleriert werden, weder insgesamt noch teilweise!" 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.6 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebe 3.6.1 Verlag und Agentur Werner Symanek (VAWS) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Inhaber Werner Symanek Kontaktanschrift Duisburg Publikation VAWS Report Sitz des Verlags Oberhausen :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Der Verlag hat sich auf Independent-Musik und Underground-Literatur kleinerer Verlage spezialisiert. Neben Veröffentlichungen seriöser Verlage finden sich immer wieder Bildbände, Bücher und Tonträger im Angebot, die sich in revisionistischer Art und Weise mit der Zeit des Nationalsozialismus befassen. Themenschwerpunkte der vom VAWS im Jahre 2004 veröffentlichten Publikationen bildeten neben revisionistischen Themen wie der Kriegschuldleugnung insbesondere die Verunglimpfung von staatstragenden Parteien in Verknüpfung mit dem angeblichen "Aushöhlen" beziehungsweise Abbau von Bürgerund Menschenrechten in der Bundesrepublik. So plante Werner Symanek seit mindestens Ende 2000 die Veröffentlichung eines Buchprojekts (Tenor: "Schwarzbuch politischer Parteien") zur Dokumentation kriminellen Handelns in den etablierten Parteien. In einem Verlagsrundbrief rief er zur Unterstützung auf und bat um Übersendung von geeignetem Material gegen Politiker in Bund, Land und Stadt. In dem Aufruf hieß es unter anderem: "SPD-, CDU/CSU-, FDPoder andere Parteipolitiker, die je in den Medien durch Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen Erwähnung fanden, sollen hier dokumentiert werden, um umfangreich das Verhältnis der herrschenden Politiker zu den allgemeinen Gesetzen zu analysieren." Die Umsetzung erfolgte dann schließlich mit dem im Mai 2004 erschienenen Buch "SPD - Eine kriminelle Organisation ?" sowie einem gleichartigen Buch vom September 2004 über die Grünen, die PDS und die DKP. Mit der Veröffentlichung dieser Bücher verfolgt Symanek sein Agitationsziel, den Staat beziehungsweise seine tragenden Parteien als unfähig, kriminell und korrupt darzustellen. Selbst die Partei 'Die Grünen' mit ihrem hohen humanistischen Anspruch würden diese "Sumpflandschaft" bereichern. In seinem 'VAWS Report', Ausgaben August und September 2004, verfolgt er mit der Vorstellung der Bücher: 108 Rechtsextremismus : "Die Reform-Verhinderer - Parteienund Beamtendiktatur in Deutschland" und : "Korruption in Deutschland - Portrait einer Wachstumsbranche" das gleiche Ziel. Er führt aus: "Staatsdiener und Parteien hebeln und höhlen das Grundgesetz aus!". Als Ausfluss einer Angstund Verschwörungstheorie behauptet er ein angeblich von der Öffentlichkeit kaum bemerktes Heranwachsen eines "flächendeckenden Kriminalitätsphänomen" beziehungsweise "verzweigten Beziehungsgeflechtes", welches zu "unübersehbaren bedrohlichen Fehlentwicklungen", einer Erschütterung der "Grundfesten staatlicher Autorität", das heißt auch einem Abbau bürgerlicher Grundrechte führe. Darüber hinaus ist Symanek bemüht, sich über sein Musikprogramm sowie seine drei bisher durchgeführten VAWS-Partys insbesondere in der Dark-Waveund GothicSzene zu etablieren. Allerdings kam es diesjährig sehr kurzfristig zur Absage seines für den Zeitraum vom 9. bis 11. Juli 2004 in Klagenfurt (Österreich) geplanten "Dark Wave"-Musikfestivals. Hierdurch dürfte Symanek neben einem Glaubwürdigkeitsverlust bei Musikanhängern auch einen schweren finanziellen Rückschlag erlitten haben. Selbst bekannte Musikgruppen, wie die "Dark-Wave"-Band 'Von Thronstahl', bezeichneten den Ausfall der Veranstaltung als "Untergang". Symanek begründete die kurzfristige Absage in einer im Juli 2004 im Internet veröffentlichten Erklärung mit dem von der österreichischen Öffentlichkeit und den zuständigen Sicherheitsbehörden ausgeübten Druck sowie einer angeblich von Linksextremisten ausgehenden Gefahr. Tatsächlich hat es keine behördlichen Maßnahmen gegeben, um die Veranstaltung zu verhindern. Dass der Verlag sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden dürfte, zeigt sich insbesondere an der im Oktober 2004 unter den Kunden gestarteten Spendenaktion des Verlags. Unter Hinweis auf die allgemeine Wirtschaftslage in Deutschland bittet der VAWS um Unterstützung bei der Bewältigung der "wirtschaftlichen Stagnation" (VAWS-Report, Oktober 2004, Beiblatt, Seite 2). Bereits im September des Jahres hatte das Unternehmen mit der gleichen Begründung mitgeteilt, dass es sein Personal reduzieren müsse (VAWS-Report, September 2004, Beiblatt, Seite 1). Die Begründung des Verlages, Auslöser dieser Aktionen sei allein die "allgemeine Wirtschaftslage", erscheint wenig plausibel. Eigene Fehlplanung bei der missglückten Organisation des Musikfestivals dürften die finanzielle Schieflage des Verlags begründet haben. 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.6.2 Unabhängige Nachrichten (UN) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Herausgeber 'Freundeskreise Unabhängiger Nachrichten e.V.' Sitz Oberhausen Erscheinungsweise monatlich Auflage ca. 10.000 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Zielsetzung der Herausgeber ist es nach Eigenangaben, "die Lücke [zu] füllen, die durch Manipulation, Lenkung und Zensur entsteht, dass heißt Nachrichten und Meinungen veröffentlichen, die von den etablierten und abhängigen Massenmedien unterdrückt, verstümmelt und verschwiegen werden". Auch wird von dem Klischee der zu Unrecht strafrechtlich und politisch Verfolgten, denen das Recht der Meinungsfreiheit abgesprochen wird, Gebrauch gemacht. Offensichtliches Ziel der UN ist es, der Bundesrepublik Deutschland die Eigenschaft eines demokratischen Rechtsstaates abzusprechen. Die Mitarbeiter der UN sehen daher "aus innerer Verpflichtung" ihre Aufgabe darin, unter dem Motto "Wir vertreten uns Deutsche" etwas gegen eine angeblich staatsgelenkte beziehungsweise gefälschte Meinungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland zu tun. In diesem Sinne versuchen die UN, unter Erzeugung von Angstund Verschwörungstheorien bei die öffentlichen Diskussionen beherrschenden Themen - zum Beispiel Parteienkritik, Problematik des öffentlichen Haushaltswesens und der Sozialreformen, Irak-Konflikt - einen annähernd handlungsunfähigen Staat zu suggerieren. Hierzu heißt es dann in den UN: "Keine Stimme den Parteien, die unser gutes Geld an und in alle Welt verteilt haben, sich weiterhin selbst bereichern und für den Bankrott der Staatskassen und unserer Sozialordnung verantwortlich sind!" (Ausgabe 1/04 ) oder "Was die im Bundestag vertretenen Parteien betreiben, sind keine 'Reformen', sondern eine DEFORMIERUNG des sozialen Rechtstaates, eine Abschaffung von gesetzlicher und sozialer Sicherheit und Altersversorgung, auf die man sich verlassen kann." (Ausgabe 1/04). Auch werden elementare Grundrechtsprinzipien in Frage gestellt. So heißt es in einer Sonderdruckausgabe Januar 2004 zum Jahresrückblick auf 2003: "Die Herrschaft der Medienkonzerne gefährdet zunehmend die im Grundgesetz für die BRD garantierte Freiheit von Berichterstattung und Meinungsbildung. Mit der Verbreitung der UNABHÄNGIGEN NACHRICHTEN helfen Sie mit, dieses Monopol der Verdummung zu durchbrechen!" Daneben verfolgt die UN auch diesjährig wieder re110 Rechtsextremismus visionistische Ansätze, insbesondere zu dem von ihr in den Vorjahren schwerpunktmäßig verfolgten Thema der Kriegsschuldleugnung. In der Ausgabe 5/04 heißt es dazu in einer Artikelüberschrift "Das Schuldsyndrom macht krank - Vergangenheitsbewältigung führt zu induziertem Irresein" das deutsche Schuldsyndrom "bestimmt und schränkt die Politikund Handlungsfähigkeit jeder deutschen Regierung ein, bis heute und auch in Zukunft". Neben dieser Thematik blieben die UN ihrem seit Jahren anhaltenden Agitationsfeld, der Erzeugung einer fremdendfeindlichen Gesinnung, treu. Insbesondere wurden die anstehenden Sozialreformen mit pauschaliert dargestellten angeblichen Sparpotenzialen bei Leistungen an ausländische Staatsangehörige benutzt, um gegen Ausländer zu agitieren und sie indirekt als Verantwortliche für soziale Einschnitte darzustellen. In der Februar-Ausgabe 2004 wird unter der Artikelüberschrift "Wir haben es satt" erklärt: "Wir haben es satt, dass 'unsere' Politiker unser sauer verdientes Geld zum Fenster rauswerfen und für uns sämtliche Kosten steigen!", "Wir zahlen nicht dafür unsere Krankenkassenbeiträge, [...] dass Menschen, die weder dafür einbezahlt haben, noch Deutsche sind, noch in Deutschland wohnen, von diesem Geld mitversorgt werden!" und als Schlussfolgerung nahegelegt: "Ausländer, die dem Steuerzahler auf der Tasche liegen, müssen in ihre Heimatländer zurück!" Anhaltende Werbeaktionen Wie bereits im Vorjahr, wurden auch 2004 Artikel aus aktuellen und älteren UN-Ausgaben in Form von Postwurfsendungen verteilt. Zudem erfolgte - neben Veröffentlichungen im Internet - die Verteilung von primär an Schüler und Pädagogen gerichtete "Ersatzblätter für fehlende und verfälschte Schulbücher", auch als "Stundenpläne" bezeichnet. Diese Blätter lagen häufig den regulären UN-Ausgaben als Sonderdrucke bei. Sie befassten sich mit Themen wie: "Der US-Krieg gegen den Irak wirft Fragen auf: Waren die USA am II. Weltkrieg genau so schuldig?" (UN Nr. 38) und "Der 20. Juli 1944 - Aufstand des Gewissens?" (UN Nr. 39). Dabei wurde behauptet, dass die Blätter dieser "Serie [...] wie kaum eine andere Dokumentation dazu geeignet [sind], insbesondere die Junge Generation über verschwiegene Geschichtsdetails aufzuklären." Erklärtes Ziel sei es, "diese Blätter in Schulen zu verbreiten und Schülerzeitungen, besonders an Gymnasien, das Angebot zu machen, einzelne Stundenplan-Ausgaben zur Freude des Lehrkörpers den Ausgaben der Schülerzeitungen beizulegen." Diese in den letzten Jahren zu beobachtenden Werbefeldzüge der UN, verbunden mit immer wiederkehrenden ganzseitigen Spendenaufrufen und entsprechenden Hinweisen in zahlreichen Artikeln auf die mit der "Aufklärung" verbundenen höheren Kosten, lassen finanzielle Engpässe dieser Publikation vermuten. 111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3.6.3 Freiheit Wattenscheid Anschrift des Verlages und Herausgebers ist weiterhin die Adresse der Landesgeschäftsstelle der nordrhein-westfälischen NPD in Bochum-Wattenscheid. Die 'Freiheit Wattenscheid' veröffentlichte im Kalenderjahr 2004 weitere vier Ausgaben mit Artikeln, welche durch ihre Wortwahl ausländerfeindliche Tendenzen schüren. Durch Schlagzeilen wie "Ausländische Mörderbande tötet brutal fünf Menschen" (Ausgabe 55) soll Angst vor Überfremdung erzeugt werden. Dabei sind deutliche Bezüge zur NPD in der Berichterstattung der 'Freiheit Wattenscheid' erkennbar. In der Ausgabe Nr. 57 wird auf einer Doppelseite das Kommunalwahlprogramm 2004 der NPD für die Wahl der Bezirksvertretung Wattenscheid abgedruckt mit der Überschrift "NPD tritt an für Wattenscheid". Zudem wird auf ein älteres Interview mit dem NPD-Kreisvorsitzenden der NPD-Wattenscheid hingewiesen. 3.6.4 Der Schlesier :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1948 Herausgeber, Verleger und Chefredakteur Hans-Joachim Ilgner, Recklinghausen Erscheinungsweise wöchentlich, Auflage 12.000 (Eigenangabe) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die Zeitschrift dient dem 'Zentralrat der vertriebenen Deutschen e.V.' (ZvD), Vorsitzender Herbert Jeschioro, als Sprachrohr. Das ehemalige REP-Mitglied ist Autor zahlreicher Beiträge und Kolumnen im 'Schlesier'. Themenschwerpunkte der Zeitschrift 'Der Schlesier' sind nach wie vor die Forderung der Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 und die Verharmlosung beziehungsweise Leugnung deutscher Kriegsverbrechen. Diese Ziele gehen einher mit ständiger Verunglimpfung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten. Daneben enthielt die Publikation wiederholt fremdenfeindliche und antisemitische Äußerungen. Erneute Klage des ZvD gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht Der ZvD hat am 18. August 2004 erneut vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen das Innenministerium NRW erhoben. Streitgegenstand ist die angeblich 112 Rechtsextremismus rechtswidrige und diffamierende Erwähnung des ZvD im Verfassungsschutzbericht 2003 des Landes NRW in Zusammenhang mit der Berichterstattung über den 'Schlesier'. Eine Klage des ZvD gegen die Berichterstattung im Jahresbericht 2000 wurde vom Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 27. Juni 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts liegen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vor, dass sowohl von dem Kläger als auch von der Publikation 'Der Schlesier' verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VSG NRW ausgehen. Der Vorsitzende des ZvD Jeschioro äußert sich zur Klageabweisung in seinem Beitrag "Verfassungsschutz oder Verfolgungsjagd?" im 'Schlesier' (17/2004) wie folgt: "Mit anderen Worten, wenn einige Ämter des Verfassungsschutzes 'arbeiten', dann dürfen unbescholtene Bürger verdächtigt, an den Pranger gestellt werden und in politischer Eintracht mit anderen Staatsorganen, in inquisitorisch anmutender, jeder rechtsstaatlichen Ordnung widersprechenden Art diffamiert werden. [...] Nicht selten gelingt den Verfassungsschützern etwas, was die Nationalsozialisten nicht fertig brachten. Sie erklären Menschen, die dem Nationalsozialismus niemals nahe standen, grundlos und zum Zwecke der Diffamierung unter einer breit gefächerten und gezielt angelegten Diffamierungsliste zu 'Nazis' und damit sogar noch im Jahre 2004 zu Zwangsparteigenossen. [...] Man kann nicht derart 'Befreite' von einem politisch motivierten Verwaltungsrichter per Urteil zur Freundschaft mit der Täterschaft verurteilen." Agitation gegen den Rechtsstaat 'Der Schlesier' setzte auch in 2004 seine rechtsextremistische Agitation fort. Dabei wird versucht, die Legitimität des demokratischen Systems insgesamt in Frage zu stellen. So stellt ein Stammautor in seinem Beitrag "Charakterlose Parteienwirtschaft" im 'Schlesier' (2/2004) fest: "Wenn man sich aber stets auf die ach so holde Demokratie in unserem Land beruft, dann müsste die Willensbildung eigentlich von unten nach oben fließen. Unsere etablierten Parteien, konzeptionsund hirnlos wie sie nun mal sind, verstehen es aber anscheinend nicht beziehungsweise sie wollen es gar nicht verstehen, denn das Volk hat, wie zu Stasizeiten Tradition, den Mund zu halten. Im Interesse unseres Landes können wir nur hoffen, dass sich das deutsche Volk bald erheben wird, um diese unfähigen und korrupten Parteien in Berlin zum Teufel zu jagen. Möge dies bereits gestern und nicht erst morgen geschehen." 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Forderung nach Rückgabe ehemaliger deutscher Ostgebiete Wie bereits in Vorjahren fanden sich 2004 zahlreiche Beiträge mit einer rechtsextremistischen revisionistischen Geschichtsauffassung, verbunden mit der Forderung nach Rückgabe der ehemaligen deutschen Ostgebiete in der Publikation. Charakteristisch hierfür ist der Beitrag des Vorsitzenden des ZvD unter der Überschrift "Der 'politische Maskenball' der Erika Steinbach" (35/2004) im 'Schlesier': "Ferner fordert der ZvD, den alleinigen polnischen Verwaltungszustand in den nach geltendem Völkerrecht von Polen widerrechtlich verwalteten deutschen Gebieten zu beenden und die deutsche Verwaltung dieser Gebiete, schrittweise im Rahmen der UN beziehungsweise der EU, unter Anerkennung auch der deutschen Sprache als Amtssprache, wieder herzustellen." Mit der Forderung nach Rückgabe ehemaliger deutscher Ostgebiete ist häufig die pauschale Diffamierung anderer Nationen zum Beispiel als "Vertreiberstaat" oder "Kriegstreiber" verbunden. Insbesondere die Republik Polen ist Gegenstand einer derart aggressiven Agitation. Agitation gegen Ausländer Ausländer wurden wiederholt als "Parasiten" beschimpft, die auf Kosten der Deutschen Gesellschaft lebten, horrende Kosten verursachten und damit den Staat in den finanziellen Ruin trieben. In diesem Sinne erklärt ein Stammautor in einem Beitrag "Auch das sollte man wissen, um das Geschehen in der Welt besser zu verstehen!" (30/ 2004): "dass in dem uns verbliebenen zwei Dritteln [des Deutschen Reiches] sich über Gebühr Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlinge aus allen Herrenländern bereits tummeln". 3.7 Rechtsextremismus im Internet Das Internet hat sich als weltweites Kommunikationsund Informationsmedium in allen Lebensbereichen der Gesellschaft durchgesetzt. Für Rechtsextremisten hat das Internet eine hohe Attraktivität: : Durch die einfache technische Handhabung kann selbst mit geringen Kenntnissen ohne Mühe eine ansprechende Internetseite erstellt werden. : Es besteht lediglich ein geringer bis gar kein Kostenaufwand für eine Internetveröffentlichung. : Es besteht eine hohe potenzielle Breitenwirkung. Ein gewünschter Nebeneffekt ist die Erreichbarkeit jüngerer Menschen, die das Internet überdurchschnittlich häufig und intensiv nutzen. 114 Rechtsextremismus : Die internationale Struktur des World Wide Web ermöglicht es, Inhalte, deren Verbreitung nach deutschem Recht strafbar ist, anonym über Internet-Dienstleister (Provider) im Ausland einzustellen und somit ein geringes Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung einzugehen. Die Anzahl der rechtsextremistischen Homepages blieb im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant: bundesweit waren im November 2004 etwa 930 Internetseiten mit rechtextremistischen Inhalten abrufbar, hiervon stammten rund 145 aus NordrheinWestfalen. Inhaltliche Ausrichtung rechtextremistischer Internetpräsenzen Das Internet nutzen sowohl rechtsextremistische Parteien und Organisationen wie auch Einzelpersonen als Propaganda-Plattform und zur Mobilisierung. Es ermöglicht die besonders schnelle Verbreitung von aktuellen Informationen. Regelmäßig werden auch Berichte und Fotos, teilweise sogar Videofilme über den Ablauf von Demonstrationen veröffentlicht. Die inhaltliche Ausrichtung rechtsextremistischer Homepages ist vielschichtig - sie reicht von Seiten, die provokant Symbole des Nationalsozialismus verwenden und strafrechtlich relevante Inhalte präsentieren, bis zu Seiten, deren rechtsextremistische Ausrichtung nur schwer auf Anhieb erkennbar ist. Letzteres gilt häufig für Homepages, die den Holocaust und/oder die deutsche Kriegsschuld leugnen, aber seriös und wissenschaftlich wirken möchten. Vertriebe und Versandhandel im Internet Ein Großteil der Händler von Szene-Artikeln nutzt inzwischen bevorzugt das Internet als Handelsplattform. Aufgrund der geringen logistischen Anforderungen und der ständigen Erreichbarkeit der Online-Shops stellt eine Internetpräsenz eine ebenso einfache wie effiziente Möglichkeit zur Verbreitung von Szene-Artikeln dar. Das Angebot reicht von - teilweise in Eigenproduktion hergestellter - Skinhead-Musik und Tonträgern "nationaler Liedermacher" über Kleidung der in der Szene beliebten Marken wie Fred Perry, Pit Bull, Everlast und Lonsdale bis hin zu Artikeln mit heidnisch-germanischen Bezügen. Internetforen Häufig bieten Inhaber von Internetvertrieben auf ihren Webseiten Diskussionsforen für ihre Besucher an, in denen diese sich austauschen und Kontakte untereinander knüpfen können. Die Anzahl der Mitglieder rechtsextremistischer Diskussionsforen liegt bei den bekannteren Anbietern meist zwischen 400 und 750 Personen. Diskussi115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 onsforen stellen daher einen wichtigen (virtuellen) Treffpunkt von Rechtsextremisten dar. Die Nutzungsbedingungen der meisten Foren verbieten es den Mitgliedern explizit, gesetzeswidrige Inhalte einzustellen. Mitglieder, die offensichtlich strafrechtlich relevante Inhalte veröffentlichen, werden von den Moderatoren nach eigener Aussage verwarnt oder gesperrt, der Beitrag zensiert oder gelöscht. Hiermit soll einer strafrechtlichen Verfolgung der verantwortlichen Foren-Betreiber vorgebeugt werden. Gleichwohl wird bei vielen Beiträgen eine antisemitische und nationalsozialistische Grundhaltung deutlich. Im Gegensatz zu in Deutschland betriebenen Foren lassen einige ausländische - vornehmlich US-amerikanische - Anbieter auch deutlich drastischere und nach deutschem Recht strafbare Äußerungen ihrer Nutzer zu. Bekämpfung des Rechtsextremismus im Internet Die internationale Struktur des World Wide Web ermöglicht es Rechtsextremisten, in Deutschland strafbewehrte Inhalte beispielsweise über ausländische Provider anonym einzustellen. Eine wirksame Strafverfolgung ist in diesen Fällen schwierig, da vornehmlich Provider aus solchen Staaten gewählt werden, in denen keine Bestimmungen bestehen, die den deutschen Strafrechtsnormen zu Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung gleichen. In Deutschland ansässige Provider sperren zwar zunehmend rechtsextremistische Inhalte, diese werden jedoch über ausländische Provider vielfach gespiegelt und sind somit weiterhin im Internet verfügbar. Tauschbörsen werden von Rechtsextremisten umfangreich zur Verbreitung von Propaganda - in der Regel in Form von rechter Musik - genutzt. Mit mehreren Millionen Nutzern zählt 'KaZaA' zu den beliebteren Internettauschprogrammen. Bei einem Großteil der bei 'KaZaA' getauschten Dateien handelt es sich um Musikdateien. Durchsuchung bei Anbietern rechtsextremistischer Musik über die InternetTauschbörse 'KaZaA' So wurden durch Ermittlungen des Bundeskriminalamtes mit Unterstützung der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes insgesamt 342 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet festgestellt, die über 'KaZaA' den Zugriff auf Musiktitel mit menschenverachtenden, rassistischen und zum Teil nationalsozialistischen Inhalten ermöglichten. Die Staatsanwaltschaft Bonn leitete gegen diese Anbieter Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung (SS 130 StGB) ein. In einer vom Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern koordinierten Aktion wurden am 24. März 2004 bun116 Rechtsextremismus desweit 333 Wohnungen durchsucht, davon 81 in NRW. Es wurden zahlreiche Computer und Datenträger beschlagnahmt. Verbreitung rechter Propagandamails durch Sober.H Eine neue Qualität rechter Internetpropaganda stellt die erstmalig am 10. Juni 2004 festgestellte massenweise Versendung von E-Mails mit fremdenfeindlichen Inhalten dar. Die Mails trugen Betreffzeilen wie "Asylanten begrabschten deutsches Maedchen, Polizei traute sich nicht, kriminellen Auslaender festzunehmen" oder "Marokkanischer Wiederholungstaeter vergewaltigte deutsches Maedel" und enthielten überwiegend fremdenfeindliche Texte. Der Versand der rechten E-Mails erfolgte durch Rechner, die bereits zuvor mit dem Internetwurm Sober.G infiziert waren. Dessen Fähigkeit, Dateien aus dem Internet nachladen zu können, führte zur Übertragung einer Datei, die Sober.H installierte und die bei der Verbreitung verwendeten Texte enthielt. Zur Verbreitung suchte Sober.H auf infizierten Microsoft Windows-Rechnern E-Mail-Adressen in Dateien mit festgelegten Endungen und speicherte die gefundenen Adressen in eigenen Dateien ab. Anschließend verschickte Sober.H seine Texte als E-Mail an alle von ihm auf dem Rechner ermittelten Adressen. Die von Sober. H erzeugten E-Mails enthielten selber keinen infizierten Anhang. Aufgrund der Verwendung von gefälschten Absenderadressen konnte der Verursacher dieser diffamierenden E-Mail-Nachrichten nicht aus dem Absenderfeld der Nachricht entnommen werden. Erkenntnisse zum Urheber der SpamAttacke und Programmierer des Wurms liegen nicht vor. Die Verbreitung der Mails dauerte nur wenige Wochen an, dennoch war mit weiteren Propaganda-Aktionen in ähnlicher Weise zu rechnen. Internetwurm Sober.I Seit dem 19. November verbreitet sich eine neue Variante des Internetwurms Sober. Wie bereits seine Vorgänger fälscht auch Sober.I die Absenderadresse, so dass der tatsächliche Absender der E-Mail nicht zu erkennen ist. Der Zweck der neuen Sober-Variante ist noch nicht klar. Sie bietet aber vom Programm her die gleichen Möglichkeiten, die bei den letzten Varianten zur Verbreitung der E-Mails mit rechtsextremistischem und rassistischem Inhalt geführt hat. Politik im Internet Bei der seit April 2000 bestehenden Internet-Plattform 'democracy online today' (dol2day) handelt es sich um ein nicht-extremistisches Forum, in dem politisch Interessierte unterschiedlichste Themen diskutieren können. Verschiedene virtuelle Partei117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 en (keine Parteien im Sinne des Parteiengesetzes) werben dort um Mitglieder; die Forumteilnehmer können dort auch an der Wahl eines "Internet-Kanzlers" teilnehmen. Eine dieser "Internet-Parteien" - die 'FUN-Partei' für "Freiheitlich-Unabhängig-National" - ist wegen Verbreitung rechtsextremistischer Parolen im Jahr 2003 ausgeschlossen worden. Durch die Beteiligung von Rechtsextremisten an völlig unverfänglichen Diskussionsforen sollten rechtsextremistische Ideologien transportiert werden. Seit dem 28. August 2003 war eine neue virtuelle 'FREUNDE'-Partei ("FreiheitlichUnabhängig-Deutsch") bei 'dol2day' aktiv. Die Mitglieder der 'FREUNDE' waren zum Großteil bereits in der 'FUN-Partei' aktiv. Auch der optische Auftritt der 'FREUNDE" innerhalb 'dol2day' ähnelte dem der 'FUN-Partei' deutlich. Am 2. November 2004 wurden auch die 'FREUNDE' von der Redaktion von dol2day ausgeschlossen. Die Gründe für die Löschung der 'FREUNDE' waren laut der dol2day-Redaktion "vor allem in der äußerst destruktiven Arbeit der FREUNDE zu sehen, uns als Redax, aber auch den Ideen und Vorgängen in der Community gegenüber [...]". Eine Nachfolgepartei werde es definitiv nicht geben. Die Verantwortung für diesen Schritt trage ausschließlich die virtuelle dol2day-Partei 'FREUNDE'. 3.8 Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten Wir beobachten seit einiger Zeit zunehmende Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien und intensive Bemühungen rechtsextremistischer Organisationen, das Interesse Jugendlicher an rechtsextremistischer Musik zu wecken, um sie damit für den Einstieg in die rechtsextremistische Szene zu werben. Vor diesem Hintergrund hat die Bedeutung des Aussteigerprogramms als ein Baustein im nachhaltigen Kampf gegen den Rechtsextremismus noch weiter zugenommen. So wichtig einerseits die Aufklärung der Öffentlichkeit, insbesondere der Jugendlichen über die Gefahr des Rechtsextremismus ist, so wichtig ist auch weiterhin das Angebot an Rechtsextremisten, die rechtsextremistische Szene mit staatlicher Hilfe wieder verlassen zu können. Zur Gewährleistung eines demokratischen Rechtsstaates gehört nicht nur die Verhinderung des Abgleitens in die rechte Szene, sondern auch die Unterstützung Ausstiegswilliger. Bis heute wurden 76 Aussteiger in das Programm aufgenommen. Individuell abgestellt auf ihre Bedürfnisse wurde ihnen Unterstützung geboten, beispielsweise Hilfe bei der Arbeitsplatzund/oder Wohnungssuche, die Eingliederung in Entziehungsmaßnahmen oder Hilfe bei der Familienzusammenführung. 118 Rechtsextremismus Hierbei sind die Wege in das Programm unterschiedlich. Neben einer Hotline der Staatskanzlei zeigen auch die vielfältigen Ansprachen durch Polizei und Verfassungsschutz Wirkung. So hat insbesondere die Polizei über 1.000 Personen, die als Mitläufer, Aktivisten oder Führungspersonen der rechtsextremistischen Szene eingestuft werden, auf das Aussteigerprogramm aufmerksam gemacht und ihnen damit Wege aus dem "rechten" Milieu aufgezeigt. Ein Viertel der Ausstiegswilligen hat sich aus der Haft heraus für das Programm beworben. Vor diesem Hintergrund führte der Verfassungsschutz im Berichtsjahr verschiedene Vortragsveranstaltungen in einigen Justizvollzugsanstalten durch. Im Vordergrund dieser Veranstaltungen stand das Bemühen, Sozialarbeiter und sonstige Betreuer als Werber für das Aussteigerprogramm zu gewinnen. Als Folge dieser Veranstaltungen konnten erfreulicherweise fünf Neuzugänge in das Programm aufgenommen werden. Auch der Informationsstrang zu den Kommunen, denen bei der Umsetzung dieses Programms eine bedeutende Unterstützerrolle zukommt, wurde weiter optimiert. So wurden alle Kommunen noch einmal über den Sinn und Zweck und die politische Bedeutung des Aussteigerprogramms informiert, um bei Ausstiegshilfen, wie Wohnungssuche, Sozialhilfegewährung etc. aktiv zu helfen. Die Aufklärungskampagne führte zur Nennung weiterer konkreter kommunaler Ansprechpartner und verbunden damit zu einer noch effektiveren Hilfe für Ausstiegswillige. Auch hier zeigt sich, dass im Kampf gegen den Rechtsextremismus Aufklärung und die intensive Zusammenarbeit verschiedenster öffentlicher Stellen unverzichtbar sind. 119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 4 Linksextremismus 4.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NRW Bund Gründung 1968 1968 Sitz Essen Bez. Rheinland Westfalen Leverkusen Bez. Ruhr Westfalen Essen Vorsitzende Heinz Stehr Bez. Rheinland Westfalen Anne Frohnweiler Bez. Ruhr Westfalen Patrik Köbele Mitglieder 2004 ca. 1.500 ca. 4.500 2003 ca. 1.500 ca. 4.700 Publikationen 'Unsere Zeit' (UZ), wöchentliche Auflage ca. 8.000; 'Marxistische Blätter', zweimonatliche Auflage ca. 3.000 Internet Homepage des DKP-Parteivorstands seit Februar 1997 :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Deutsche Kommunistische Partei' (DKP) ist die Kernorganisation der als "orthodox kommunistisch" einzuordnenden Richtungen des Linksextremismus. Sie selbst versteht sich seit ihrer Gründung 1968 als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen 'Kommunistischen Partei Deutschlands' (KPD). Sie bekennt sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" zum MarxismusLeninismus und strebt unverändert eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an. Die DKP verfolgt als taktische Ziele, die kommunistische Weltanschauung in sozialen BeInternetauszug Plakat DKP 120 Linksextremismus wegungen zu verbreiten, in pluralistischen Bündnissen präsent zu sein und den außerparlamentarischen Kampf zu unterstützen. Die unveränderte Gültigkeit dieser Zielsetzungen wurde auch auf einer im Januar durchgeführten Konferenz der 'Marx Engels Stiftung' und anderer marxistischer Organisationen deutlich, wo zur Strategie der DKP ausgeführt wurde: "Unser Verständnis von Reformen unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den Reformvorstellungen anderer Linkskräfte. Wir verbinden sie mit einer revolutionären Gesamtstrategie." Programmdebatte der DKP - eine unendliche Geschichte Die bereits seit Jahren beabsichtigte Überarbeitung und Modernisierung des Parteiprogramms steht noch immer aus, da innerparteiliche Differenzen nicht überwunden sind. Der Parteivorstand hat auf seiner 6. Tagung am 14./15. Februar 2004 in Essen eine als Zwischenschritt angekündigte politische Erklärung beraten und beschlossen. Verbunden war die Aufforderung, sie im Vorfeld und in Vorbereitung des 17. Parteitages in allen Organisationsgliederungen zu diskutieren. Der 17. Parteitag selbst soll in Duisburg stattfinden und in zwei Tagungen durchgeführt werden. Auf der 1. Tagung im Februar 2005 soll die politische Erklärung zur Debatte und Abstimmung gestellt werden. Eine Beschlussfassung dort wäre nach Auffassung des Parteivorstandes auch eine gute Voraussetzung, um dann in einem nächsten Schritt auf der 2. Tagung des 17. Parteitages Ende 2005/Anfang 2006 zu einem neuen Programm der DKP zu gelangen. Die Festlegung eines konkreten Termins bleibt jedoch dem Parteivorstand auf der Grundlage der Einschätzung der Diskussion über ein neues Parteiprogramm vorbehalten (siehe UZ vom 20. Februar 2004). Ein Ende der inzwischen rund 15-jährigen Programmdiskussion ist immer noch nicht absehbar. Mitwirkung in der Antiglobalisierungsbewegung und dem Bündnis 'Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag' Die DKP hat hinsichtlich ihrer Mitwirkung in der Bewegung gegen die "kapitalistische Globalisierung" einen Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit gesetzt. Nach Auffassung der DKP drücken die Demonstrationen gegen G7-Gipfeltreffen den Willen gerade junger Menschen aus, gegen die Auswirkungen der herrschenden Politik zu protestieren und andere Lebensperspektiven und gesellschaftliche Alternativen zu fordern. Nach Aussage des Parteivorsitzenden Heinz Stehr, der am III. 'Europäischen Sozialforum' (ESF) im Oktober 2004 in London teilgenommen hat, will die DKP ihren Beitrag dazu leisten, dass die internationale, regionale und örtliche Sozialforumsbewegung stärker wird. In diesem Zusammenhang sind auch die Vorbereitungen der Gründung eines Sozialforums in Deutschland, an der sich die DKP beteiligt, sowie die 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Aufrufe zu Demonstrationen "Gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV!" (zum Beispiel zur Großdemo am 6. November 2004 in Nürnberg) zu sehen. Nach dem Entwurf der politischen Erklärung der DKP sieht sie es als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Formierung solcher Bewegungen zu leisten und dabei Klassenpositionen sowie die DKP-Auffassungen über notwendige künftige Entwicklungen - einschließlich einer gesellschaftlichen Alternative: des Sozialismus - einzubringen Das Rollenverständnis der DKP als integraler Bestandteil einer gesellschaftlichen Protestbewegung zeigen Aussagen auf einer Konferenz des DKP-Bezirksvorstands Ruhr-Westfalen zur Arbeit in und mit Sozialforen: "Deutlich wurde [...], dass die Partei die Aufgabe wahrnimmt, bei der Organisierung des Widerstands mitzuarbeiten, vereinheitlichend wirkt und die Eigentumsfrage als Grundfrage der Bewegung hervorhebt. Entscheidend für die Rolle der DKP sei [...] vier Essentials zu beachten, nämlich zur Verbreiterung der Bewegung beizutragen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen zusammenzubringen, die Systemfrage zu stellen und die Stärkung der Partei nicht zu vergessen." Wie die so genannte "Handlungsorientierung 2005/2006" verdeutlich, hat die DKP dabei auch ihr Fernziel nicht aus den Augen verloren. Darin heißt es: "Der Platz der DKP in der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus der Tatsache, dass sie die Partei des wissenschaftlichen Sozialismus ist, die in der Arbeiterklasse jene revolutionäre Kraft sieht, die im Bündnis mit anderen Teilen der Bevölkerung die Eigentumsund Machtverhältnisse revolutionär verändert, den Sozialismus durchsetzen kann." Beteiligung an den Wahlen 2004 Die DKP hat bei der Europawahl am 13. Juni 2004 in NRW und im Bundesgebiet lediglich 0,1% Stimmenanteil erreicht und ist damit praktisch bedeutungslos geblieben. Sie selbst spricht in einer Stellungnahme von einem bescheidenen, aber nicht unerwarteten Ergebnis und versucht dies mit dem Hinweis auf Einzelergebnisse in Baden Württemberg und im Saarland sowie den Erfolg einzelner, außerhalb von NRW agierender Bündnisse zu relativieren, die sie unterstützt. Im Gegensatz dazu wird das Ergebnis der Kommunalwahlen vom 26. September 2004 herausgestellt. In einem Interview stellt der Bezirksvorsitzende der DKP Ruhr Westfalen zufrieden fest: "[W]ir haben gefeiert, zufrieden mit den Ergebnissen der DKP. Wir haben mit dem roten Dreieck und dem fantastischen Abschneiden in Bottrop und Gladbeck, sowie dem ersten kommunistischen Mandat in Essen, der sechstgrößten Stadt der Bundesrepublik, seit 1953 das Ziel unserer Schwerpunktsetzung voll erreicht." 122 Linksextremismus Finanzsituation weiter angespannt Seit dem Wegfall der finanziellen Unterstützung durch die 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands' (SED) nach 1989 kämpft die DKP um ihr finanzielles Überleben. Auf der 7. Parteivorstandstagung am 26./27. Juni 2004 äußerte sich der Parteivorsitzende zu den finanziellen Problemen der Partei. Trotz aller Anstrengungen sei die Parteitätigkeit finanziell nicht gesichert. Unbedingt abzusichern seien aber die zentralen Schwerpunkte wie ein Minimum an zentraler Arbeit, die Herausgabe der UZ und der 'Marxistischen Blätter' und schließlich die Sicherung der 'Karl Liebknecht Schule' und der Bildungsund Öffentlichkeitsarbeit. Zur Verbesserung der finanziellen Situation wurde eine Werbekampagne für die UZ vom 1. September 2004 bis zum UZVolksfest im Juni 2005 beschlossen. Als Ziel wurde auf der 9. Tagung des Parteivorstands am 30./31. Oktober 2004 festgelegt, 700 neue Abonnements abzuschließen. Die Bedeutung der UZ für die Partei wird auch auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 19. November 2004 betont. Dort heißt es: "Die UZ ist zentrales Instrument auf dem Weg zur sozialistischen Revolution". Inzwischen soll sich die finanzielle Handlungsfähigkeit der DKP durch einige Großspenden, Erbschaften und Nachlässe verbessert haben. In der UZ vom 22. Oktober 2004 wird namentlich die Erbschaft eines Freundes und Genossen erwähnt. Im gleichen Artikel werden Mitglieder, die keine Kinder und direkte Verwandtschaft haben, aufgefordert, ihren finanziellen Nachlass der Partei für die politische Arbeit zukommen zu lassen. 4.2 Partei des Demokratischen Sozialismus, Landesverband Nordrhein-Westfalen (PDS NRW) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung Oktober 1990 Sitz Düsseldorf (Landesgeschäftsstelle) Vorsitzende/Sprecher Andrea Kasperzik, Paul Schäfer Mitglieder 2004 ca. 1.250 2003 ca. 1.300 - 1.400 Publikationen 'PDS LANDESINFO Nordrhein-Westfalen', Zeitschriften der Parteigliederungen (zum Beispiel Zeitschriften für regionale Bereiche) 123 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Internet eigene Homepage :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die Bewertung der PDS bedarf in mehrfacher Hinsicht einer differenzierten Betrachtung. Sie ist hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrundes, ihrer politischen Entwicklung, ihrer inneren Strukturen und ihrer gesellschaftlichen Einbettung ein in der deutschen Geschichte einzigartiges Phänomen. Der vielschichtige Charakter macht es unmöglich, die damit zusammenhängenden Fragen in einem einfachen Ja/Nein-Schema zu beantworten. Ein Blick auf die Entwicklung beleuchtet die Ursachen. Durch den Verlust ihrer Macht in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik war die damalige staatsbeherrschende 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands' (SED) genötigt, sich ideologisch, politisch und organisatorisch auf die neu entstandene Entwicklung einzustellen. Sie tat dies durch die Wahl einer neuen Parteispitze, ihre Umbenennung in zunächst SED-PDS (für 'Sozialistische Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus'), später in PDS, den Bruch mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus (in seiner durch die 'Kommunistische Partei der Sowjetunion' geprägten Form), die Aufgabe ihrer bisherigen leninistischen Parteistruktur und eine - zumindest teilweise - Orientierung auf bestimmte Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. 1993 gab sich die PDS ein Parteiprogramm, dessen wesentliche Ziele die Überwindung des Kapitalismus in der Bundesrepublik und der Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft waren. Um den sich teilweise widersprechenden Zielen der damaligen Parteiflügel und Strömungen Rechnung zu tragen, war das Programm so allgemein gehalten, dass es sowohl Reformern des bestehenden Gesellschaftssystems als auch denjenigen Raum bot, die gegen das bestehende Gesellschaftssystem Widerstand leisten und es überwinden wollten. Wesentliche Fragen, insbesondere ob die gesellschaftlichen Veränderungen parlamentarisch oder außerparlamentarisch erreicht werden sollten, blieben durch die bewusst offenen Formulierungen des Parteiprogramms unbeantwortet. Seit Ende der neunziger Jahre wurde in der PDS über ein neues Parteiprogramm diskutiert, da das alte Programm zumindest in Teilen nicht mehr der tatsächlichen politischen Entwicklung (zum Beispiel durch die Beteiligung der PDS an Landesregierungen) entsprach. Nach kontrovers geführter Diskussion und innerparteilich sehr strittigen Programmentwürfen wurde das neue Parteiprogramm im Oktober 2003 verabschiedet. Es zeigt in wichtigen Teilen eine sich entwickelnde Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Aber auch im neuen Par124 Linksextremismus teiprogramm sind Aussagen enthalten, die widersprüchlich sind oder mit einer großen Bandbreite interpretiert werden können. Dazu gehört auch die entscheidende Frage, ob die PDS das Grundgesetz inhaltlich tatsächlich akzeptieren will, oder ob sie nur dessen Begriffe übernimmt, diese aber mit eigenen Interpretationen füllt. Entwicklung auf der Bundesebene Nach der verlorenen Bundestagswahl 2002, den darauf folgenden heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen, der erneuten Wahl des ehemaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky zum Parteivorsitzenden im Juni 2003 und der Verabschiedung des neuen Parteiprogramms im Oktober 2003 gelang es dem Parteivorstand im Berichtszeitraum, die innerparteilichen Auseinandersetzungen deutlich abzuschwächen. Der "Reformerflügel" prägt derzeit die Politik der Partei. Aber die Kritiker aus dem als dogmatisch orientiert zu bezeichnenden Parteiflügel sind nicht vollständig verstummt. Dieser Teil der Partei beklagt in Veröffentlichungen, seinen Einfluss verloren zu haben. Der Gesamtpartei mit ihrer überwiegend dem reformerischen Lager zugerechneten Parteispitze wird unterstellt, sich in zu hohem Maße den vorhandenen kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen anzupassen. Dieser Vorwurf wird insbesondere hinsichtlich der Beteiligung der PDS an zwei Landesregierungen in den neuen Ländern erhoben. Einzelne Personen des linken Parteiflügels zogen aus dem Verlust der Möglichkeit, prägend an der Gesamtpolitik der Partei mitzuwirken, die Konsequenzen und verließen die Partei. PDS beteiligt sich an europäischer Linkspartei Die PDS hatte die Initiative zur Gründung der 'European Left/Partei der Europäischen Linken' (EL) ergriffen und für den 10./11. Januar 2004 zu einer Gründungsversammlung nach Berlin eingeladen. An der Veranstaltung nahmen Delegierte von 19 vor allem ehemaliger kommunistischer und sozialistischer Parteien aus 17 westund osteuropäischen Ländern teil, die den Gründungsaufruf mehrheitlich verabschiedeten. Am 8./9. Mai fand in Rom unter Beteiligung der PDS der Gründungskongress der EL statt, an dem 300 Delegierte von 16 (post)-kommunistischen und linkssozialistischen Parteien aus 13 europäischen Ländern teilnahmen. Der Italiener Fausto Bertinotti, Vorsitzender der gastgebenden 'Partei der kommunistischen Wiederbegründung Italiens' (PRC), wurde zu ihrem ersten Vorsitzenden gewählt. Unter den von der PDS für den EL-Vorstand entsandten zwei Vertretern stammt eine Person aus dem Landesverband NRW. Die derzeit 14 Mitgliedsparteien der EL kommen aus 12 europäischen Ländern. Weitere sechs Parteien haben einen Beobachterstatus. Im Mittelpunkt der aktuellen politischen Aktivitäten steht eine Kampagne gegen die neue EU-Verfassung. 125 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Entwicklung in Nordrhein-Westfalen In den auf der 1. Tagung des 9. Parteitages am 30/31. Oktober 2004 in Potsdam neu gewählten Parteivorstand der Bundes-PDS wurden nun auch drei Mitglieder aus NRW gewählt, die dem Reformerlager zugerechnet werden können, darunter der Sprecher des NRW-Landesverbandes. Diese Wahl lässt darauf schließen, dass der Westaufbau der Partei weiter betrieben und auch personell abgesichert werden soll. Damit dürfte der größte Landesverband der alten Länder in der Gesamtpartei deutlich an Gewicht gewinnen. Zugleich hat damit das Reformerlager seinen Einfluss auf Bundesund Landesebene durch organisatorische und personelle Verflechtungen gefestigt. In Nordrhein-Westfalen führte der den innerparteilichen Auseinandersetzungen des Jahres 2003 folgende Frust des "linken" Parteiflügels zum Austritt eines bekannten Kommunalpolitikers (mit anschließender Kandidatur bei den Kommunalwahlen auf einer konkurrierenden Liste) und zum Rücktritt eines den linken Parteiflügel mit prägenden Landesvorstandsmitgliedes. Begründung war auch in diesen Fällen die weitere Mitarbeit der PDS in Landesregierungen, die den Sozialabbau mit organisierten. Beklagt wurde ein Mangel an Möglichkeiten, die eigenen Positionen noch in die Politik einbringen zu können. Im abgelaufenen Jahr konzentrierte der PDS-Landesverband seine Kräfte auf die Teilnahme an der Europaund an den Kommunalwahlen. Gründe für die Weiterbeobachtung der PDS Neben dem Umstand, dass das 2003 verabschiedete Parteiprogramm weiterhin keine vollständige Klarheit hinsichtlich der Vereinbarkeit der politischen Fernziele der PDS mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gebracht hat, liegen in Nordrhein-Westfalen die schon in früheren Verfassungsschutzberichten genannten tatsächlichen Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen weiterhin vor. Das Verhalten des PDS-Landesverbandes NRW bei den Kommunalwahlen 2004 hat gezeigt, dass entscheidende Elemente dieser Gründe weiterhin gelten, obwohl sich die so genannten Parteireformer zunehmend durchsetzen konnten. Seit seiner Gründungsphase arbeitet der PDS-Landesverband oder zumindest Teile desselben mit der 'Deutschen Kommunistischen Partei' (DKP) zusammen. Auch bestehen vereinzelt Doppelmitgliedschaften in PDS und DKP. Während der Kommunalwahlen 2004 wurde deutlich, dass sich das Verhältnis PDS - DKP in Nordrhein-Westfalen nicht wesentlich verändert hat. Wie bereits in den Vorjahren muss die Situation regional sehr unterschiedlich betrachtet werden und scheint sehr stark von den persönlichen Verhältnissen vor Ort geprägt zu sein. Eine Abgrenzung von eindeutig ex126 Linksextremismus tremistischen Positionen, wie sie durch die DKP repräsentiert werden, ist aber seitens des PDS-Landesverbandes nicht zu beobachten. Dies gibt der DKP die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam auf die Kandidatur ihrer Mitglieder auf 'PDS/Offenen Listen' hinzuweisen. Nach Eigenangaben der DKP konnte diese über Kandidaturen ihrer Mitglieder auf 'PDS/Offenen Listen' 10 Mandate in kommunalen Vertretungen erringen. Im PDS-Landesverband NRW arbeiten von der Gründungsphase an bis heute an maßgeblichen Stellen Personen mit, deren politischer Werdegang sich in der westdeutschen dogmatischen 'Neuen Linken' gründet. Es kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende politische Strukturen innerhalb des Landesverbandes weiter wirksam sind. Mal der gesamte PDS-Landesverband, mal Teile von ihm arbeiten in bestimmten politischen Themenfeldern kontinuierlich mit anderen linksextremistischen Gruppierungen zusammen. Ein Teil dieser Gruppierungen muss dem gewaltbereiten Spektrum zugerechnet werden. Bis heute hat sich der PDS-Landesverband nicht von eindeutig linksextremistischen Zusammenschlüssen in seinen Reihen getrennt. Diese scheinen aber innerhalb der Partei weiter an politischer Bedeutung verloren zu haben. Keine Berührungsängste hat die PDS in Gelsenkirchen hinsichtlich der MLPD. Nach den Kommunalwahlen bilden ihre zwei Vertreter im neuen Stadtrat, zusammen mit den über die Liste "Auf Gelsenkirchen" in den Rat eingezogenen MLPD-Mitgliedern, eine gemeinsame Fraktion. Organisation des Landesverbandes Nach den von der PDS veröffentlichten - widersprüchlichen - Angaben schwankt die Mitgliederzahl des Landesverbandes seit 1999 um rund 1.200. Eigenen Angaben zufolge ist die Organisationsstruktur des Landesverbandes nahezu unverändert geblieben. Der Landesverband gliedert sich in 36 Kreisverbände (2003: 37), 16 (2003: 13) Basisgruppen und 2 (2003: 2) Gliederungen ohne Organisationsbezeichnung. Darunter sollen aber Kreisorganisationen sein, die nur aus zwei Mitgliedern bestehen. Obwohl es der PDS bisher nicht gelungen ist, eine landesweit flächendeckende arbeitsfähige Struktur aufzubauen, konnte sie die Zahl ihrer kommunalen Anlaufpunkte erhöhen. Als Folge ihrer Mandatsgewinne bei den Kommunalwahlen ist es ihr möglich, ihre jeweiligen kommunalen Büros als solche zu nutzen. Insoweit wird sich die "indirekte staatliche Förderung" für die PDS stabilisierend auswirken. Bedeutung und politische Bewertung der Kommunalwahlen aus der Sicht der PDS Obwohl die PDS ihr Wahlziel, die Zahl ihrer kommunalen Mandate deutlich zu erhöhen, mit der Verdoppelung ihrer Sitze erreicht hat, blieben die Bewertungen der Wahl127 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 ergebnisse betont realistisch. Dabei wurden in sehr sachlicher Form die Erfolge und die aus Parteisicht aufzuarbeitenden Schwachpunkte gleichermaßen beleuchtet. Der Bundesgeschäftsführer sah durch den Erfolg in Nordrhein-Westfalen den Kurs der Partei, durch beharrliche kommunalpolitische Arbeit auch in den westdeutschen Ländern an Akzeptanz zu gewinnen, bestätigt. Zusammen mit anderen Wahlergebnissen habe die Wahl in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass die PDS 2004 auch im Westen auf ihrem Weg, in Fraktionsstärke zurück in den Bundestag zu gelangen, einen wichtigen Schritt vorangekommen sei. Die PDS in Nordrhein-Westfalen habe an Profil gewonnen; man werde den Aufbau der PDS im Westen auf dieser Grundlage fortsetzen. Die PDS ist nicht flächendeckend zu den Kommunalwahlen angetreten. Umgerechnet auf ein Landesergebnis erreichte sie 1,4% der abgegebenen Stimmen. Dort wo sie antrat, kam sie im Schnitt auf 2,9% der abgegebenen Stimmen. Als besonders erfreulich wertet die PDS, dass sie zukünftig in sechs Städten und einem Kreistag mit Fraktionsstatus vertreten ist (Bochum, Düren, Duisburg, Moers, Oberhausen, Wuppertal und der Kreistag Düren). Nach ihrer Einschätzung werden die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in Zukunft ein wichtiges Rückgrat der PDS-Politik in Nordrhein-Westfalen bilden. Sie sieht auch ihr Konzept der 'PDS/Offenen Listen' als erfolgreich und als Zukunftsmodell an. Erstmals wird die PDS auch mit zwei Sitzen im neu gebildeten 'Regionalverband Ruhr' (RVR) vertreten seien. Einen Schatten auf den Wahlerfolg der PDS warf das Verhalten eines in den Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises gewählten PDS-Vertreters. Dieser verkündete als neuer Mandatsträger seine Absicht, ausgerechnet mit Abgeordneten der NPD und des gleichfalls rechtsextremistischen 'Ab jetzt...Bündnis für Deutschland' eine "technische Fraktion" bilden zu wollen, um auf diese Weise von den Zuwendungen für Fraktionen profitieren zu können. Nach scharfen Reaktionen der Bundesund Landes-PDS kam der Abgeordnete einem Ausschlussantrag durch seinen Austritt zuvor. Dieser Vorgang lässt erkennen, dass die PDS im Lande mangels ausreichender Strukturen und personeller Ressourcen erhebliche Schwierigkeiten hat, Funktionen mit in ihrem Sinne qualifizierten Personen zu besetzen. 4.3 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Gründung 1982 Sitz Gelsenkirchen Vorsitzender Stefan Engel 128 Linksextremismus Nebenorganisationen 'Rebell' (Jugendorganisationen der MLPD); 'Rotfüchse' (Kinderorganisation der MLPD) Tarnorganisationen Frauenverband 'Courage','Solidarität International' (SI),Kommunale Wahlbündnisse 'AUF','Verein zur Förderung internationaler Jugendtreffen' in Gelsenkirchen,'Verein zur Förderung der Bewegung von Frauen und Mädchen für Frieden, Brot und Rosen' in Gelsenkirchen,'Verein zur Förderung des Courage Zentrums Gelsenkirchen','VermögensVerwaltungsVerein' (VVV) in Gelsenkirchen,Mediengruppe 'Neuer Weg' in Gelsenkirchen Schulungsund Freizeitzentren 'Arbeiterbildungszentrum' (ABZ) mit Einrichtungen in Gelsenkirchen, Alt Schwerin, Stuttgart und Berlin; Ferienlager in Truckenthal/Thüringer Wald Mitglieder Bund NRW 2004 2.000 ca. 650 2003 2.000 ca. 650 Publikationen 'Rote Fahne' (RF), wöchentliche Auflage ca. 7.500; 'Lernen und Kämpfen' (LuK), Mitgliederund Funktionärsschrift, vierteljährliche Auflage ca. 1.000 Internet Homepage seit etwa Mai 1997, 'Rote Fahne News' als Online-Nachrichtenmagazin :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die MLPD hält auch 20 Jahre nach ihrer Gründung unverändert an ihrer programmatischen Ausrichtung fest. Ziel ist der "revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals", um letztlich über die Diktatur des Proletariats den Sozialismus aufzubauen und anschließend eine klassenlose kommunistische Gesellschaft zu errichten. Die MLPD zählt Marx, Engels, Lenin, Stalin und Homepage der Mao Tse-tung zu den Klassikern des MarxismusJugendorganisation Rebell Leninismus. Den Vorwurf, sie halte auch 129 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 weiterhin an den Lehren von Stalin fest, weist die MLPD als moderne Form von Antikommunismus zurück. "In trauter Eintracht" würden die vom Verfassungsschutz versorgte bürgerliche Presse und linke politische Gegner (namentlich wird das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC genannt) die "Keule des Stalinismus" gegen sie schwingen. Im gleichen Atemzug verweist die MLPD darauf, dass sie Stalin weiterhin als einen Klassiker des Marxismus-Leninismus "schätze" und ihn wie in der Vergangenheit "gegen all den Schmutz der wütenden antikommunistischen Lügen und Verleumdungen, die aus ihm ein massenmordendes Monster machen wollen", verteidigen werde. Im linksextremistischen Spektrum ist die MLPD aufgrund ihrer ideologischen Formelhaftigkeit und sektenähnlichen Struktur weitgehend isoliert. VII. Parteitag der MLPD (Magdeburger Parteitag) Im Mai 2004 fand der VII. Parteitag, nach dem Statut der MLPD das höchste Organ der Partei, das die ideologisch-politische Linie und die Richtlinien der Partei bestimmt, in gewohnt konspirativer Weise statt. Mit der Losung: "Den Parteiaufbau in den Mittelpunkt" wurde als politisches Ziel vorgegeben, die relative Isolierung der MLPD durchbrechen zu wollen. Nach eigener Einschätzung konnte sie - im Zeitraum seit dem letzten Parteitag 1999 in Gelsenkirchen - in Deutschland bereits die Entwicklung des Klassenbewusstseins maßgeblich beeinflussen. Obwohl sie gesamtgesellschaftlich heute noch eine relativ kleine Kraft darstelle, nehme sie an Brennpunkten der Arbeiterbewegung, aber auch der Frauen-, Jugendund Friedensbewegung eine prägende Rolle ein. Nach den Worten des Vorsitzenden Stefan Engel (Interview in der RF Nummer 34/2004 vom 19. August 2004) solle der Parteiaufbau zielstrebig in den Mittelpunkt gerückt werden. Dies bedeute neben der Stärkung der MLPD durch die Aufnahme vieler neuer Mitglieder auch, diese für die marxistisch-leninistische Betriebsund Gewerkschaftsarbeit, für die revolutionäre Frauenarbeit, die Jugendarbeit und die kommunalpolitische Arbeit auszubilden. Nicht zuletzt bedeute es, vielfältige Beziehungen zwischen der Partei, den Massen und verschiedenen Selbstorganisationen auf der Grundlage des Kampfes aufzubauen. Der gesellschaftsverändernde, revolutionäre Kampf werde von einer sehr breiten Masse mit dem Industrieproletariat als Kern geführt werden. Als wichtigste Aufgabe habe der VII. Parteitag die wissenschaftliche Ausarbeitung einer "Strategie und Taktik der internationalen proletarischen Revolution" verordnet. Natürlich könne die MLPD keine Strategie und Taktik der Weltrevolution ausarbeiten, sondern nur ihren Beitrag leisten, wie dieser gesellschaftsverändernde Kampf in Deutschland stattfinden solle. Aber damit es eine internationale Koordinierung und Revolutionierung des Klassenkampfes gebe, müsse sich die MLPD sehr intensiv mit den verschiedenen gesellschaftsverändernden Bewegungen und Kämpfen in den wichtigsten Ländern und Bewegungen der Welt befassen. Aus seiner Sicht befinde man sich in einer Umbruchphase vom Kapitalismus zum Sozialismus. 130 Linksextremismus Jugendarbeit Die Jugendarbeit ist aus Sicht der MLPD ein Schwerpunkt ihrer politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten. In der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit sieht sich die MLPD vor der Lösung einer historischen Aufgabenstellung. Seit Ende der 1990er Jahre entwickele sich ein neuer Aufschwung der Jugendbewegung, auch die "kleinbürgerliche" Antiglobalisierungsbewegung sei im Wesentlichen eine Jugendbewegung. Die Jugend sei die kämpferische Vorhut der verschiedenen gesellschaftlichen Bewegungen. Bei ihr sei der Lösungsprozess von den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen besonders ausgeprägt. Sie sei deshalb am aufgeschlossensten für die MLPD, den 'Rebell' und die revolutionäre Perspektive des Sozialismus. Die MLPD hat daher ihrem Jugendverband 'Rebell' als wichtigste Aufgabe gestellt, Lebensschule der proletarischen Denkweise zu werden. Bei der Organisierung der Lebensschule der "proletarischen Denkweise" spiele die Kulturund Freizeitarbeit eine besondere Rolle, um die Jugend für den Kampf um den Sozialismus zu begeistern. Eine proletarische Kulturund Freizeitarbeit könne sich nur unter der ideologisch politischen Führung der MLPD entwickeln. 'Rebell' brauche daher eine stets wachsende Zahl von Parteimitgliedern im Jugendverband. Es gehöre zu den Aufgaben der Partei, systematisch neue Genossen aus dem 'Rebell' für eine Mitgliedschaft in der MLPD zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund ist auch das 'Rebell'-Sommercamp vom 17. Juli bis 28. August 2004 in Truckenthal im Thüringer Wald zu sehen, bei dem im Rahmen eines Waldfestes auch der Vorsitzende der MLPD aufgetreten ist. In seinem Interview mit der Parteizeitung 'Rote Fahne' (RF Nummer 34/2004) nannte er das Sommercamp ein wichtiges praktisches Feld zur Verwirklichung der vom Magdeburger Parteitag entwickelten schöpferischen Kriterien und Vorschläge zur Jugendarbeit. Als weitere Initiative zur zukunftsweisenden Erfahrungssammlung sieht die MLPD das Pilotprojekt des eigenen Jugendzentrums 'Che' in Gelsenkirchen an, mit dem sie die Jugend beeinflussen und für den 'Rebell' gewinnen will. Da es nach eigener Einschätzung des ZK der MLPD in der Arbeit an den Hochschulen in der Vergangenheit gravierende Versäumnisse gab, ist der MLPD und dem 'Rebell' die Aufgabe gestellt worden, Gruppen für Studenten aufzubauen. In diesen Gruppen sollen auch Oberschüler, die studieren wollen, organisiert werden. Sie sollen neben den bisherigen Jugendund Rotfuchsgruppen das dritte Standbein des 'Rebell' sein, damit unter der ideologisch-politischen Führung der MLPD stehen und eng mit den schon bestehenden Hochschulgruppen der MLPD zusammenarbeiten. Im Juni 2004 erschien erstmals die Zeitung der Hochschulgruppen der MLPD 'Galileo - streitbare Wissenschaft'. Sie soll in Zukunft regelmäßig zum Semesterbeginn erscheinen und 131 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 richtet sich in erster Linie an Studierende, aber auch an Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und sonstige Beschäftigte im Hochschulbereich. Frauenpolitische Arbeit Für die MLPD und den von ihr dominierten Frauenverband 'Courage' ist der Aufbau einer kämpferischen Frauenbewegung weiterhin von strategischer Bedeutung. Im Vordergrund stand dabei im Berichtszeitraum die Durchführung des '6. Frauenpolitischen Ratschlags' vom 29. bis 31. Oktober 2004 in der Düsseldorfer Heinrich-HeineUniversität mit insgesamt etwa 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Allerdings ist die Beeinflussung durch die MLPD auch bereits innerhalb von 'Courage' kritisiert worden. Angesprochen wurde dabei insbesondere, dass die MLPD-Frauen innerhalb von 'Courage' generell in vielen Fragen nicht nach eigenem Ermessen entscheiden, da in der MLPD das Prinzip des demokratischen Zentralismus gelte. Möglicherweise durch diese Kritik herausgefordert, hat die MLPD in der ihr eigenen Terminologie darauf hingewiesen, dass "der demokratische Zentralismus das Organisationsprinzip der MLPD und als lebendige dialektische Einheit von Demokratie und Zentralismus ein Garant" dafür sei, dass sie ihre "Aufgabe als Instrument der Befreiung der Arbeiterklasse und der Volksmassen im Kampf gegen einen hoch organisierten Gegner erfüllen" könne. Beteiligung an Montags-Demonstrationen gegen Hartz IV Die MLPD sieht in der Beteiligung an den seit dem 2. August 2004 stattfindenden Montags-Demonstrationen für sich eine Chance, öffentlich wahrgenommen zu werden. Nach Einschätzung des Parteivorsitzenden Engel handele es sich um eine neue Massenbewegung gegen die Regierung, in der es auch neu sei, dass die MLPD darin fest verankert sei und an vielen Orten sogar eine führende und organisierende Rolle einnehme. Die Einflussnahme der MLPD auf die Organisierung der Proteste wurde von vielen anderen linken Gruppen kritisch und ablehnend gesehen. Die Versuche der MLPD, Veranstaltungen und Vorbereitungstreffen zu dominieren, haben wiederholt zur Spaltung der Protestbewegung geführt. Der unter MLPD-Einfluss zunächst auf den 3. Oktober bestimmte Termin für eine gemeinsame Großdemonstration in Berlin gegen die Reform der Arbeitsund Sozialgesetzgebung wurde nachträglich von der die Protestbewegung tragenden Mehrheit auf den 2. Oktober vorverlegt. Die MLPD hielt an ihrem Termin fest und führte unter dem Motto: "Weg mit Hartz IV - das Volk sind wir!" eine eigene Protestdemonstration durch, zu der nach ihren Verlautbarungen etwa 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gekommen sein sollen, während die Polizei etwa 3.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angibt. 132 Linksextremismus Beteiligung an den Wahlen 2004 Wie erwartet hat die MLPD an der Europawahl am 13. Juni 2004 nicht teilgenommen, da sie wegen fehlender Akzeptanz nicht mit nennenswerten Stimmenanteilen rechnen konnte. Nach den Festlegungen des Magdeburger Parteitages ist eine systematische Kommunalpolitik für die MLPD ein neues Feld der Strategie und Taktik zur Einbeziehung der Massen in den politischen Kampf, zumal sie die Kommunen als schwächstes Kettenglied im Staatsapparat der Monopole ansieht. Gegenwärtig sei dabei die Förderung überparteilicher Personenwahlbündnisse die hauptsächliche und geeignetste Form der marxistisch-leninistischen Kommunalpolitik. Sie hat daher bewusst darauf verzichtet, bei den Kommunalwahlen unter dem eigenen Signum zu kandidieren. Die von ihr in unterschiedlichem Maße beeinflussten Wählerbündnisse erreichten zusammen 19 Mandate. Medienzentrum eröffnet Im Mai 2004 haben sich der Essener Verlag 'Neuer Weg' und die Druckerei 'Neuer Weg' mit der Redaktion der 'Roten Fahne' (RF) und ihrem Internetnachrichtendienst 'rf news' als neuer Produktionsund Dienstleistungsbetrieb der Medienbranche unter dem Namen 'Mediengruppe Neuer Weg' zusammengeschlossen. Nach eigener Aussage stellt sie sich damit neuen Herausforderungen und kann vielfältige Angebote und Dienstleistungen in allen Bereichen der Produktion und des Vertriebs gedruckter und digitaler Medien anbieten. Durch das Konstrukt als Parteibetrieb wurde damit erstmals in der Parteigeschichte der MLPD ein Wirtschaftsbetrieb in unmittelbares Parteieigentum überführt. 4.4 Linksextremistische Autonome Autonome wollen ein selbstbestimmtes Leben führen und streben als Ziel ihres politischen Kampfes eine herrschaftsfreie Gesellschaftsordnung an. Insoweit verfolgen sie teils anarchistische, teils sozialistisch-kommunistische Vorstellungen. Autonome beteiligen sich an den aktuellen Kampagnen, die sich gegen den Staat richten, und nutzen diese als Anknüpfungspunkt für ihren Kampf gegen das "System". Zur ihren Handlungsoptionen gehört dabei grundsätzlich auch Militanz, wobei in der Regel Wert auf deren Vermittelbarkeit und zumindest auf eine Szeneakzeptanz gelegt wird. Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder Bedrohungen können aus ihrer Sicht mögliche Mittel des politischen Kampfes sein. Betroffen sind in erster Linie Repräsentanten oder Einrichtungen des Staates beziehungsweise des politischen Gegners im rechtsextremistischen Spektrum. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus sehen sich 133 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Autonome insbesondere zu "direkten Aktionen" gegen Rechte herausgefordert und berechtigt. Die autonome Szene unterliegt jedoch spätestens seit Ende der 1990er Jahre einem Erosionsprozess, der bis jetzt unvermindert anhält. Organisierungsversuche wie die 'Antifaschistische Aktion/ Bundesweite Organisation' (AA/BO), das 'Bundesweite Antifatreffen' (BAT) oder die 'Red Community NRW' wurden in den letzten Jahren aufgegeben. Die autonome Lebensform hat zunehmend an Logo - 'Red Attraktivität verloren. Viele ehemalige Aktivisten sind im gesellCommunity' schaftlichen und politischen "Mainstream" angekommen, ohne dass eine neue Generation mit autonomen Lebensmustern nachgewachsen wäre. Mit den sogenannten 'Antideutschen' hat sich zwar eine neue Strömung entwickelt, die aber in weiten Teilen der linksextremistischen Szene abgelehnt wird und deren kompromisslose Haltung letztlich zu ihrer Spaltung geführt hat. Als Indikatoren des geringeren Aktionsund Mobilisierungspotenzials lassen sich die Auflösungen beziehungsweise Aufspaltungen von bisher als Aushängeschilder dienenden autonomen Gruppierungen wie der 'Antifaschistischen Aktion Berlin', der 'Antifa [M]' aus Göttingen und der 'Antifa K' aus Köln sowie zuletzt der 'Antifagruppe Dortmund-Nord' feststellen. Die Rituale der autonomen Bewegung wie der Protest gegen die alljährliche Sicherheitskonferenz in München oder die im Anschluss an die 1. Mai-Kundgebungen stattfindenden Auseinandersetzungen mit der Polizei bleiben zwar erhalten, werden aber immer weniger von Autonomen dominiert. Krawallmacher und gewalttätige Jugendliche ohne politischen Hintergrund bestimmen immer mehr das Bild dieser Ereignisse. Auch der Versuch einer Wiederbelebung der verbotenen autonomen Zeitschrift 'radikal' mit Darstellungen militanter Praxis und Technik blieb in der Szene weitgehend ohne Resonanz. Soweit sich der Verfassungsschutz im nachfolgenden Teil mit den verschiedenen politischen Themenfeldern auseinandersetzt, beschränken sich Darstellung und Bewertung ausschließlich auf die Beteiligung und Agitation von Linksextremisten. Antifaschismus In der Vergangenheit stellte die antifaschistische Grundüberzeugung, die sich gleichermaßen gegen den rechten politischen Gegner und den bürgerlichen Staat richtet, eine ideologieübergreifende Basis für gemeinsame politische Aktionen dar. Spätestens seit dem Phänomen der 'Antideutschen' hat auch das Themenfeld Antifaschismus seine bisherige Wirkung als alle linken Gruppen verbindender Ansatz verlo134 Linksextremismus ren. Die wichtigste Zielsetzung der 'Autonomen Antifa' bleibt zwar weiterhin, jede Art von rechten Kundgebungen, rechtsgerichteter Musik und den Handel mit typischen Attributen der rechten Szene (Kleidung, Tonträger, Abzeichen) notfalls auch mit Gewalt zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten haben jedoch dazu geführt, dass sich die Antifa-Szene in israelsolidarische, bellizistische 'Antideutsche' einerseits und auf dem Selbstbestimmungsrecht der Iraker und Palästinenser beharrende, internationalistisch ausgerichtete Autonome andererseits aufgespalten hat. Ein weiterer Grund für die Spaltung oder Auflösung von Antifa-Gruppierungen liegt aber offenbar auch darin, dass sich deren Aktivisten im Zuge ihrer persönlichen Entwicklung dem bürgerlichen Leben annähern. In einer mit den lapidaren Worten "Game over!" betitelten Interneterklärung der 'Antifa K' aus Köln heißt es: "War früher (z.B. neben Studium und Freizeitaktivitäten) genug Raum, um sich politisch zu engagieren, stehen jetzt viele in den Anfängen ihres Berufslebens und wenden sich eher diesem zu." Darüber hinaus hätten - wie bei anderen Antifa-Gruppierungen auch - die unterschiedlichen Ansichten der Mitglieder über die eigene Stoßrichtung ebenfalls zur Auflösung beigetragen. Während einige den Antifaschismus als den zentralen Ansatz einer linken Bewegung ansähen, auf den man sich konzentrieren wolle, verträten andere einen ganzheitlich linksautonomen Standpunkt, in dem Antifaschismus nur ein Bestandteil der gesamten Bewegung sei, neben anderen Themenfeldern wie Globalisierungskritik oder Antirassismus. Der Wegfall von bisher bestehenden Gruppierungen bedeutet gleichzeitig den Ausfall verlässlicher Strukturen der Antifa-Szene. Dies hat praktische Konsequenzen, denn "so führte z.B. die Auflösung der Antifa Köln dazu, dass eine Mobilisierung nicht mehr über die bekannten Kommunikationswege laufen konnte." ('analyse + kritik', Ausg. 489 vom 19. November 2004) Mit den internen Spaltungsund Auflösungsprozessen einher geht die Neugründung und Konkurrenz antideutscher Gruppen. Deren Klientel speist sich häufig aus anpolitisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die keine direkten Verbindungen zu traditionell linken Strömungen haben und diese auch mit Blick auf ihre eigene Ideologieprägung völlig ablehnen. Daher wird statt einer gemeinsamen Front und gemeinsamer Aktivitäten gegen rechte Aufmärsche und Strukturen größter Wert darauf gelegt, sich mit eigenen Kundgebungen und sonstigen Aktionen von den Linken der jeweils anderen Denkrichtung abzuheben. 135 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Den Anhängern beider politischer Einstellungen bleibt jedoch der Drang, auf die Anmeldung von rechten Kundgebungen umgehend mit entsprechenden Gegenkundgebungen nach dem Leitspruch "Kein Fußbreit den Faschisten!" zu antworten oder sich - oft widerwillig - bürgerschaftlichen Bündnissen gegen Rechts anzuschließen. In Nordrhein-Westfalen fanden im Berichtszeitraum in zahlreichen Städten Demonstrationen mit Rechts-Links-Auseinandersetzungen statt, bei denen die Polizei regelmäßig als Barriere zwischen den verfeindeten Lagern linker und rechter Kundgebungsteilnehmer eingesetzt werden musste, um direkte Konfrontationen zu vermeiden. Zu tätlichen Auseinandersetzungen oder Rangeleien kam es vor allem im Zusammenhang mit folgenden Kundgebungen: : 8.5. Dortmund - Kundgebung gegen den rechten Szeneladen 'Buy or Die!' (Motto: "Die, Die, Buy or Die!") : 25.6. Bochum - Antifa-Demonstration für beziehungsweise NPD-Kundgebung gegen den dortigen geplanten Synagogenneubau : 9.10. Essen - Unangemeldete Antifa-Kundgebung gegen einen ursprünglich geplanten, dann aber verbotenen rechten Aufmarsch : 16.10. Köln - Kundgebung gegen einen rechten Aufmarsch : 27.11. Duisburg - Kundgebungen und Aktionen gegen einen rechten Aufmarsch. Im Gegenzug dazu hat die Beteiligung nordrhein-westfälischer Aktivisten an überregionalen Antifa-Kundgebungen im sonstigen Bundesgebiet nachgelassen. Mit Ausnahme der Demonstrationen am 28. Februar in Osnabrück, am 3. Oktober in Erfurt und Leipzig sowie am 27. November in Pirna blieb zumeist die Mobilisierung in Nordrhein-Westfalen auf Solidaritätsbekundungen und die Teilnahme in Kleingruppenstärke begrenzt. Die Bereitschaft der Autonomen Antifa zur Militanz wird anhand der Überfälle und Verwüstungen rechter Szeneläden sowie einer Vielzahl von Brandanschlägen auf die Fahrzeuge bekannter Hauptprotagonisten der rechtsextremistischen Szene im gesamten Bundesgebiet deutlich. Am 20. April (Geburtstag Adolf Hitlers) verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf die NPD-Geschäftsstelle in Berlin, indem sie ein gestohlenes Fahrzeug vor deren Gebäude abstellten und anzündeten. Durch die bis zu 15 Meter hohen Flammen wurden schwere Rußschäden an der Fassade des Altbaus und wesentliche Teile der Hauswand angegriffen; das Fahrzeug brannte völlig aus. Antifa-Aktionen in Nordrhein-Westfalen bleiben auf niedrigerem Niveau. Ein herausragendes Ereignis war jedoch der Anschlag auf das Gebäude des Bundesverbandes der Vertriebenen in Bonn. Mit dem Motto "Antifa heißt Wasserschäden!" hatte man dort während der Osterfeiertage mehrere Büros verwüstet, Etagenteile unter Wasser ge136 Linksextremismus setzt und diverse Dokumente gestohlen, die sich auf ein Strafverfahren gegen eine autonome Gruppierung aus Frankfurt bezogen. Antideutsche Grundlage des politischen Denkens und Handelns der so genannten 'Antideutschen' ist die bedingungslose Solidarität mit allen Juden und dem Staat Israel. Demgegenüber sehen sie in Deutschland und den Deutschen unverbesserliche Aggressoren, die nunmehr über die Europäische Union ihr imperialistisches und antisemitisches Treiben weiter verfolgen. Im Gegensatz zur Mehrheit der Linken sehen sie in den USA in erster Linie eine Schutzmacht für Israel und haben von daher auch den Irakkrieg 2003 gegen die Proteste der Friedensbewegung gerechtfertigt. Ihren weitgehend auf den Antisemitismus reduzierten Faschismusbegriff verbinden die Antideutschen mit Versatzstücken sozialreformistischer und anarcho-kommunistischer Ideenwelten. Ihre Parolen enden häufig mit der Losung "Für den Kommunismus!". Ihre Einstellung tragen Antideutsche auch offen und provokant zur Schau. Auf Demonstrationen gegen rechte Aufmärsche setzen sie sich oft als Block von den anderen Antifas ab. Sie führen dabei Nationalflaggen Israels oder der USA mit und irritieren durch Parolen wie "Stalingrad war wunderbar - mein Naziopa blieb gleich da" oder "Deutschland von der Karte streichen - Polen muss bis Frankreich reichen". Die kompromisslos vertretene Linie der Antideutschen hat auch im Jahr 2004 den Riss in der antifaschistischen Linken weiter verschärft und Gruppenauflösungen beziehungsweise -spaltungen provoziert. Trotz der weitgehenden Ablehnung innerhalb der sonstigen linksextremistischen Szene ist es den Antideutschen gelungen, sich im Berichtszeitraum stärker in den Vordergrund zu spielen. So reisten antideutsche Gruppierungen am 13. Februar nach Dresden, um dort mit dem Motto "Bomber Harris did the right thing!" die Bombardierung Dresdens zu "feiern". Bei Kundgebungen wie am 3. Oktober in Erfurt fielen ihr Auftreten in einem geschlossenen Block von etwa 300 Personen und die einträchtig nebeneinander getragenen Fahnen der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion und Israels sowie Transparente mit der Aufschrift "Deutschland hassen!" aus dem Rahmen. Auch nordrhein-westfälische Antideutsche zogen nach Erfurt, um durch die Gegendemonstration zu den offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit lautstark gegen Deutschland und seine Wiedervereinigung zu protestieren. Gerade in Nordrhein-Westfalen übt dieses Ideologiefragment offenbar hohe Anziehungskraft auf jüngere Antifas aus. Mittlerweile sind in vielen Städten antideutsche Gruppierungen aktiv, die sich vor allem an Kundgebungen gegen rechte Aufmärsche und Strukturen beteiligen oder deren Mobilisierung teilweise maßgeblich steuern. Am 137 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 25. Juni organisierten Antideutsche am Vorabend eines Aufmarsches von Neonazis in Bochum unter dem Motto "Ich bevorzuge Baseballschläger" eine eigenständige Antifademonstration, an der sich etwa 200-250 Personen beteiligten. Dabei provozierten sie wieder mit typisch antideutschen Parolen wie "Wer Deutschland mag, muss scheiße sein - wir hauen alles kurz und klein" oder "Gegen jeden Antisemitismus - Nieder mit Deutschland! - Für den Kommunismus". Das zum wiederholten Male durchgeführte Jugendantifa-Camp "Sommer, Sonne, Antifa!" vom 22. bis 25. Juli in Oberhausen wurde ebenfalls von Antideutschen dominiert. Immer öfter geraten Antideutsche wegen der gerade bei ihren Kundgebungen von ihnen provokativ geäußerten und pauschalisierenden Klischees in Konflikte mit Andersdenkenden. Am 30. Mai war es beim "Karneval der Kulturen" in Berlin im Verlauf einer Auseinandersetzung zu einem Messerangriff auf einen Antideutschen gekommen. In Köln wurden am 5. Juni bei der "Stop the wall!"-Konferenz, die den von Israel begonnenen Bau einer Mauer entlang der palästinensischen Autonomiegebiete thematisierte, vermeintliche Antideutsche mit Gewalt am Besuch der Versammlung gehindert. Auf einer Gegenkundgebung, an der sich etwa 100 Personen beteiligten, riefen Antideutsche zur Solidarität mit Israel auf. Als 150-200 'Antideutsche' am 10. Juli in Berlin mit dem Slogan "Wer Kreuzberg liebt, muss Juden hassen!" durch den Stadtteil marschierten, wurden sie massiv von erbosten Zuschauern angegriffen und in Schlägereien verwickelt. Durch einen massiven Polizeieinsatz mussten die Lager getrennt werden. Antirassismus Antirassistische Gruppen bekämpfen die - aus ihrer Sicht - rassistischen Strukturen des kapitalistischen bürgerlichen Staates und wollen die so genannten Profiteure des Systems durch öffentlichkeitswirksame und teilweise militante Aktionen bestrafen. Innerhalb der linksextremistischen antirassistischen Szene sind 2004 Ermüdungserscheinungen zu verzeichnen. Aktivisten ziehen sich wegen Frustration, Überarbeitung oder persönlichen Gründen aus der Mitarbeit zurück oder wenden sich anderen Themenfeldern wie zum Beispiel dem so genannten "Sozialabbau" zu. Die Durchführung überregionaler Veranstaltungen hängt auch wegen der kleiner werdenden Szene häufig an wenigen Aktivisten, was schnell zu einer Überforderung der Organisatoren führen kann. Der Streit zwischen dem überwiegend autonomen Teil, der Rassismus lieber in einem größeren politischen Zusammenhang thematisiert hätte, und dem sozialarbeiterisch ausgerichteten Flügel der antirassistischen Bewegung konnte nicht beigelegt werden, was zu einer weiteren Schwächung der antirassistischen Linken führte. 138 Linksextremismus Auch in diesem Jahr wollten Linksextremisten durch militante Aktionen ihre politischen Vorstellungen verbreiten und insbesondere Firmen oder öffentliche Einrichtungen für deren vermeintlichen Rassismus bestrafen. So bekannten sich 'Autonome Gruppen' unter anderem in der autonomen Szenepublikation 'Interim' (Ausgabe 600 vom 2. September 2004) zu einem versuchten Brandanschlag auf Fahrzeuge einer Berliner Sicherheitsfirma am 13. August 2004. Als größte Sicherheitsfirma der Welt sei dieses Unternehmen immer dabei, wenn Regierungen die Exekutive privatisierten; so mache sie in der Schweiz Profite mit dem Bahntransport von Flüchtlingen zum "Abschiebeflughafen Kloten". Das Schreiben endete mit der Parole "Unterstützt die Anti-Lager-Action-Tour". In der selben Ausgabe bekannten sich Linksextremisten unter der Parole "Freedom of Movement" zu einem Brandanschlag auf ein Fahrzeug einer Wachschutzfirma am 16. August 2004 in Hamburg. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, Wachschutzfirmen setzten zusammen mit "Bullen und Behörden" den staatlichen Rassismus in die Tat um, indem sie "Abschiebeknäste und -lager" überwachten sowie Abschiebungen begleiteten. Die Täter erklärten sich außerdem solidarisch mit der "Anti-Lager-Action-Tour" vom 20. August - 5. September 2004. Ebenfalls im Vorfeld der "Anti-Lager-Action-Tour" beschädigten Unbekannte am 30./ 31. August 2004 Scheiben und Fassaden von acht Hotels und einem Hotelbus des Hotelkonzerns ACCOR (Mercure, Novotel, Ibis) in Berlin mit Farbschmierereien und Steinwürfen. Dem Konzern wird unter anderem vorgeworfen, Etagen an das französische Innenministerium für Abschiebungen und die rechtsextreme Partei 'Front National' zu vermieten sowie seine überwiegend ausländischen Putzkräfte auszubeuten. Unterzeichnet war die Erklärung mit "das fröhliche empfangskomitee für die anti-lager-tour in berlin". Die "Anti-Lager-Action-Tour" vom 20. August bis zum 5. September war 2004 innerhalb der linksextremistischen antirassistischen Szene die einzige größere bundesweite Aktion. In den vorherigen sechs Jahren bildete jeweils ein bundesweites Grenzcamp den aktionistischen Höhepunkt der antirassistischen Bewegung. Die bundesweite Vorbereitungsgruppe stellte allerdings nach dem letztjährigen Grenzcamp in Köln fest, dass eine weitere Zusammenarbeit wegen interner Konflikte nicht mehr möglich sei. Aus Teilen des bisherigen Grenzcamp-Zusammenhangs bildete sich darauf hin ein neues bundesweites Bündnis, dem unter anderem verschiedene autonome antirassistische Gruppen und Initiativen von Flüchtlingen angehörten. Mit der Tour verfolgten die Veranstalter vor allem drei Ziele: 1. die Öffentlichkeit mit dem "Skandal Lager" zu konfrontieren, 2. die "Insassen" der Lager und "Abschiebeknäste" zu ermutigen, selbstorganisierte Widerstandsstrukturen aufzubauen, 139 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 3. vor Ort politischen Druck aufzubauen und so einen exemplarischen Beitrag zur Verbesserung der Situation der Betroffenen zu leisten. Die Tour teilte sich in jeweils dreibis viertägige Camps in Bramsche (Niedersachsen), Parchim-Tramm (Mecklenburg-Vorpommern) und Eisenhüttenstadt (Brandenburg) auf, von denen aus auch Aktionstage an anderen Orten durchgeführt wurden. Unterstützung sollten die Aktivisten der Tour jeweils durch die örtliche linke Szene erhalten. Aus NRW unterstützten den Aufruf der Tourveranstalter autonome und antirassistische Gruppen aus Duisburg, Lüdenscheid, Paderborn und Münster. Im Rahmen eines externen Aktionstages demonstrierten am 22. August vor der Frauenabschiebehaftanstalt in Neuss etwa 300-400 Personen, von denen etwa 100 aus BramDemonstration gegen die Abschiebehaftanstalt Büren am 03.10.2004. Bilder aus dem Intrnetangebot der Indimedia sche angereist waren. Die Demonstration verlief, ebenso wie die gesamte Tour, weitgehend störungsfrei und unspektakulär. Insgesamt war der Mobilisierungserfolg im Vergleich zu den Camps aus den Vorjahren für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer enttäuschend. An der gesamten Tour von 17 Tagen beteiligten sich rund 50 Personen, zu denen an den einzelnen Stationen zwischen 150 und 400 Aktivisten dazu stießen. Stärkste Resonanz verzeichneten die Eröffnungsdemonstration am 21. August in Bramsche und am 1. September der Aktionstag in Berlin mit jeweils 400 bis 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Beim Abschlussplenum wurde bereits deutlich, dass 140 Linksextremismus eine 17-tägige Tour die Organisationskapazitäten des antirassistischen Spektrums derzeit überschreitet. Auch für die Organisatoren einer bundesweiten Demonstration vor der Abschiebehaftanstalt Büren am 3. Oktober 2004 blieb die Resonanz mit etwa 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber, enttäuschend, nachdem sich in der Vergangenheit teilweise mehr als 1.000 Personen der seit 1994 organisierten Demonstration angeschlossen hatten. In den beiden vergangenen Jahren fiel die Demonstration wegen des mangelnden Interesses der Szene aus. Die Demonstration in 2004 organisierte ein regionales Bündnis von antirassistischen, antifaschistischen und internationalistischen Gruppen. An einer weiteren Demonstration am 27. November 2004 gegen die Frauenabschiebehaftanstalt in Neuss, die unter dem Motto "Kampf dem sexistischen und rassistischen Normalzustand" durchgeführt wurde, beteiligten sich etwa 150 Personen aus dem regionalen linken Spektrum. Die Veranstaltung verlief ohne Störungen. Im Rahmen einer Mitte 2003 begonnenen Kampagne gegen Abschiebeflüge der Firma LTU fanden auch im Sommer 2004 vereinzelte Demonstrationen insbesondere vor Reisebüros und auf Flughäfen statt (unter anderem in Dortmund, Düsseldorf und Mülheim/Ruhr), an denen sich bis zu 50 Personen beteiligten. Am 19. September erschienen etwa 15 Radfahrer vor dem Wohnhaus des LTU-Geschäftsführers in Meerbusch bei Düsseldorf und demonstrierten etwa 5 Minuten mit Megaphondurchsagen und Spruchbändern. Auf den Gehweg sprühten sie "LTU schiebt ab!". In Frankfurt/Oder zerstörten Unbekannte am 2. Juli an zwei Filialen der Firma REWE Schaufenster, da die LTU eine Tochterfirma des Konzerns ist. In der Öffentlichkeit stieß die Kampagne bisher auf wenig Resonanz. Antiglobalisierung In der heterogenen Protestbewegung gegen die so genannte kapitalistische oder neoliberale Globalisierung engagieren sich auch linksextremistische Organisationen und Personen. Mangels medienwirksamer Ereignisse in Europa ist es um die globalisierungskritische Bewegung 2004 in der Öffentlichkeit stiller geworden. Lediglich anlässlich des "world economic forum" vom 21. - 25. Januar 2004 in Davos/Schweiz kam es wie in den Vorjahren zu Sachbeschädigungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Innerhalb der linksextremistischen Szene in Deutschland stieß die Veranstaltung auf keine größere Resonanz. Insoweit traf sich die Bewegung in diesem Jahr hauptsächlich auf den beiden Großereignissen 4. Weltsozialforum (WSF) vom 16. - 21. Januar 2004 in Mumbai/Indien und dem 3. Europäischen Sozialforum (ESF) vom 141 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 14. - 17. Oktober 2004 in London, um Kontakte sowie gemeinsame Initiativen und Strategien unter den teilnehmenden Gruppen zu entwickeln. In Mumbai besuchten etwa 100.000 Personen insgesamt 1.200 Foren, die neben der "imperialistischen Globalisierung" vor allem gesellschaftliche Hierarchien und Konflikte wie das Patriarchat, religiöses Sektierertum und Fundamentalismus sowie Kastenwesen und Rassismus debattierten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kritisierten den Irakkrieg und beschlossen, gegen die Macht der internationalen Großkonzerne vorzugehen. Aus Deutschland besuchten wie in den Vorjahren hauptsächlich Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (westliche NGOs gehören zu den maßgeblichen Finanzierern und Organisatoren der WSF), Gewerkschaften, kirchliche Basisgruppen, BUND, parteinahe Stiftungen sowie das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC das Forum. Linksextremisten waren auf dem WSF in der Minderheit. Der militante antiimperialistische Flügel der Antiglobalisierungsbewegung war von der Teilnahme am 4. Weltsozialforum ausgeschlossen worden und organisierte für sich die parallele Gegenveranstaltung "Mumbai Resistance 2004". Das offizielle WSF spiegelte dann auch die Zusammensetzung der globalisierungskritischen Linken wider. Die Hauptströmung übte zwar Kritik an der als neoliberal bezeichneten Globalisierung, wollte aber (nur) deren Auswüchse beziehungsweise negativen Folgen bekämpfen. Linksextremisten, die eine grundsätzliche Änderung des westlichen Gesellschaftssystems anstreben, notfalls auch durch eine gewaltsame Revolution, befanden sich eindeutig in der Minderheit. Infoveranstaltungen über die Ergebnisse des WSF blieben in NRW ohne größere Resonanz. Am ESF in London beteiligten sich etwa 25.000 Personen an etwa 400 Veranstaltungen, die mit einer internationalen Großdemonstration von etwa 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern endete. Im Vorfeld des Treffens hatte es unter den Vorbereitungsorganisationen Streit gegeben, nachdem insbesondere trotzkistische Gruppen versucht hatten, die Veranstaltung zu dominieren. Es zeigte sich der bekannte Widerspruch zwischen den alten, hierarchisch strukturierten Organisationen der Linken, innerhalb der Bewegung mittlerweile 'Verticals' genannt, die versuchten, ihre politischen Konzepte ohne Diskussionen durchzudrücken, sowie dem sich als 'Horizontals' bezeichnenden losen Netzwerk von Vertretern sozialer Bewegungen, Gewerkschaften und NGOs, aber auch Autonomer und Anarchisten. Der tiefe Graben zwischen den traditionellen Organisationen und den Basisnetzwerken konnte auf dem Forum nicht überwunden werden, man hofft aber auf eine gute Zusammenarbeit bei der Vorbereitung von Gegenaktionen anlässlich des nächsten G8-Gipfels Mitte 2005 in Schottland. 142 Linksextremismus Die Teilnahme deutscher Globalisierungskritiker am ESF wurde im Wesentlichen von der 'Initiative für ein Sozialforum in Deutschland' (SFiD) organisiert, deren dominierende Aktivisten teilweise auch in der DKP, der PDS oder trotzkistischen Organisationen aktiv sind. Mittlerweile bereitet das SFiD für Juni 2005 die Gründung eines Deutschen Sozialforums in Erfurt vor. Auf regionaler Ebene gibt es bereits seit 2003 in zahlreichen Städten (zum Beispiel Aachen, Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Hagen, Köln, Oberhausen, Wuppertal) Sozialforen in unterschiedlicher Zusammensetzung, häufig mit maßgeblicher Beteiligung von Linksextremisten. Durch ihre Mitarbeit in solchen Netzwerken nutzen Linksextremisten die Möglichkeit, ihr ideologisches Weltbild auch Personen nahe zu bringen, die sie auf anderem Wege nie erreichen könnten. Mobilisierung gegen Sozialabbau Seit Ende 2003 erweiterten sich die Proteste in Deutschland thematisch zunehmend über die reine Globalisierungskritik hinaus auch gegen die "Sozialkahlschlagspolitik" der Bundesregierung. Aus der Antiglobalisierungs-, Friedensund Antikriegsbewegung gemeinsam mit dem bürgerlichen Spektrum aus Arbeitslosen, Gewerkschaften und Menschen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, soll eine breite Protestbewegung gegen "Sozialabbau" , "Bildungsklau" , "Privatisierung" beziehungsweise "soziale Ausgrenzung" die Regierung zur Rücknahme ihrer beschlossenen "Agenda 2010", zuletzt insbesondere des Konzeptes "Hartz IV", gezwungen werden. Seit dem Sommer bereitete ein breiteres Bündnis auch unter Mitwirkung des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums eine Herbstkampagne gegen Sozialabbau vor. Höhepunkt des Jahres sollte am 6. November 2004 eine überregionale Großdemonstration zur Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg sein, zu der die 'organisierte autonomie' (oa) aus Nürnberg für einen "bundesweiten internationalistischen und sozialrevolutionären Block" aufrief. Bereits zu Beginn der Vorbereitungsphase zeigten sich an der Frage, ob das breite bürgerliche Spektrum an der Demonstration beteiligt werden sollte, erneut die unüberbrückbaren Gegensätze innerhalb der Bewegung. Schließlich setzte sich der autonome Teil der Bewegung mit seiner Auffassung durch, der Demonstration eine rein antikapitalistische Ausrichtung zu geben. Mit insgesamt etwa 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter rund 1.000 Personen des bundesweiten antikapitalistischen Blocks, lief die Demonstration aber bis auf einige Eierwürfe friedlich ab. Von der Entwicklung der im August aus dem bürgerlichen Spektrum der neuen Bundesländer heraus relativ spontan entstandenen "Montagsdemonstrationen" wurde das linksextremistische Spektrum vollkommen überrascht. In der Folgezeit versuchte man, die Demonstrationen für eigene Zwecke zu nutzen und die Organisation der Proteste zu dominieren. Gerade stalinistische und trotzkistische Gruppen, insbesondere 143 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 die MLPD, versuchten in NRW, mit Hilfe dieses positiv besetzten Begriffes für ihre Ziele zu werben und meldeten in vielen Städten eigene oder unter von ihnen dominierten Bündnissen Montagsdemonstrationen an. Wegen des Hegemoniestrebens und der Kompromissunfähigkeit der MLPD kam es daraufhin in einigen Städten zu Spaltungen unter den Organisatoren und mehreren eigenständigen Demonstrationen. Auch 2004 versuchte das gewaltbereite linksextremistische Spektrum, insbesondere in Berlin, mit Anschlägen zum Thema "Sozialabbau" die öffentliche Diskussion zu beeinflussen und das gewaltbereite Spektrum zu mobilisieren. Anlässlich des Todestages des am 20. Juli 2001 bei schweren Ausschreitungen im Rahmen des G8-Gipfels in Genua ums Leben gekommenen Carlo Giuliani warfen Unbekannte am 20. Juli 2004 sechs mit schwarzer Farbe gefüllte Behältnisse sowie zwei Molotowcocktails gegen ein Gebäude des Bundeskriminalamtes in Berlin-Treptow. Im Internet forderten die Täter "Freiheit für die Gefangenen der G8-Proteste" und "Kapitalismus und Repression abfackeln". In der Nacht zum 21. Juli 2004 warfen Unbekannte die verglaste Eingangstür und elf Fensterscheiben am Gebäude des italienischen Generalkonsulats in Köln ein und sprühten "Rache für Carlo". In einer Erklärung an die Berliner Tageszeitung bezichtigt sich die 'militante gruppe' (mg), am 23. September 2004 Brandanschläge auf das Gebäude des Sozialamtes Berlin-Tempelhof/Schöneberg sowie des Bezirksamtes Reinickendorf verübt und in Tempelhof-Schöneberg einen Umschlag mit einer 9mm-Patrone für den zuständigen Sozialstadtrat hinterlassen zu haben. Es entstand nur geringer Sachschaden. Weitere Brandanschläge der mg in diesem Begründungszusammenhang trafen 2004 jeweils in Berlin das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die gemeinsame Anlaufstelle des Arbeitsamtes Berlin-Nord und des Sozialamtes Pankow sowie den Fuhrpark der Deutschen Telekom. "Einige Militante aus linksradikalen Zusammenhängen" bekannten sich im bundesweit verbreiteten autonomen Szeneblatt Interim (Ausgabe 604 vom 28. Oktober 2004) zu Sachbeschädigungen in der Nacht zum 21. Oktober 2004 an der SPD-Bezirkszentrale Berlin-Reinickendorf und am Fontanehaus im Märkischen Viertel. Die Erklärung endet mit der Parole "Für eine militante Kampagne gegen Hartz IV und ALG II!". Hohen Sachschaden verursachte ein Brandanschlag am 28. Oktober 2004 auf das Bezirksamt Hamburg-Wandsbek; zu dieser Tat hat sich bislang niemand bekannt. Antiimperialistische Solidarität mit Palästina und Irak Ausgangspunkt der politischen Arbeit der antiimperialistisch orientierten Linksextremisten ist die Solidarität mit den aus ihrer Sicht unterdrückten Völkern und den revolutionären Befreiungsbewegungen. Als international Hauptverantwortliche imperialistischer Bestrebungen werden zumeist die USA und Israel als deren angeblicher Brückenkopf im Nahen Osten ausgemacht. In Folge des Irakkrieges 2003 und des von Israel begonnenen Mauerbaues entlang der palästinensischen Autonomiegebiete hat 144 Linksextremismus das Themenfeld "Antiimperialismus" im Berichtszeitraum aktuelle Anknüpfungspunkte gefunden und damit an Bedeutung in deutschen linksextremistischen Kreisen gewonnen. In Deutschland beteiligt sich der in Duisburg ansässige Verein 'Initiativ e.V. - Verein für Demokratie und Kultur von unten' seit 2003 an einer von der international organisierten 'Antiimperialistischen Koordination' (AIK) initiierten Kampagne "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand". In seinem Plädoyer "Für das Recht auf Widerstand!" schreibt ein Aktivist von 'Initiativ e.V.': "Zur möglichst schnellen Beendigung der Besatzung ist es aber dringend von Nöten, sowohl alle Formen des Widerstands, als auch alle verschiedenen Teile der irakischen Gesellschaft zu vereinen. In diesem Sinne kann eine Distanzierung von allen nichtfriedlichen Mitteln des Widerstandes, und die Diskreditierung des militärischen Widerstandes als Terrorismus nur als Angriff auf den Widerstand interpretiert werden. Wir jedenfalls werden dieses Recht auf Widerstand, egal wie es sich auch immer äußert, ob friedlich oder militant, verteidigen." Nach eigenem Bekunden ist die AIK "ein internationaler Zusammenschluss verschiedener antiimperialistischer Kräfte, der zur Koordinierung des Kampfes dient und jedes Jahr ein Antiimperialistisches Sommerlager organisiert." An diesen seit mehreren Jahren in Assisi/Italien stattfindenden "Antiimperialistischen Sommerlagern" nehmen regelmäßig Gruppierungen teil, zu deren Handlungsoptionen auch terroristische Mittel gehören. Beim "Antiimperialistischen Lager", das vom 1.6. August 2004 wiederum in Assisi durchgeführt worden ist, wurde ein gemeinsamer Aufruf verabschiedet, in dem zur kompromisslosen Unterstützung des "irakischen Widerstands" aufgefordert wurde. In diesem Aufruf heißt es zum Abschluss: "Die Zukunft der Menschheit hängt vom Ausgang des Kampfes im Irak ab. [...] Wir müssen uns mit dem Widerstand des irakischen Volkes vereinigen und der Menschheit dabei helfen, sich selbst von der nordamerikanischen Bedrohung zu befreien. Die Zukunft der Welt hängt vom Sieg des Irak ab." Zu den Unterstützern des Aufrufs gehören neben revolutionär-kommunistischen und Volksfrontorganisationen auch einige Gruppierungen aus Deutschland, darunter auch 'Initiativ e.V.'. Das Lager 2005 soll als "Bolivarianisches Antiimperialistisches Lager" in Venezuela stattfinden. Die Gruppen der AIK wurden von der Teilnahme am 4. Weltsozialforum, das im Januar 2004 in Mumbai/Indien (ehem. Bombay) stattfand, wegen ihrer Militanz ausgeschlossen. Seitens der AIK wurde deshalb parallel zur Beteiligung am "Mumbai Resistance 2004" (MR2004) aufgerufen. Die AIK schlug dem MR2004 die Bildung einer Allianz mit folgenden Leitsätzen vor: "Der Imperialismus muss in allen seinen Formen bekämpft werden, besonderes Augenmerk gilt jedoch dem US-Imperialismus, der 145 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 das Rückrat des kapitalistischen Systems auf der Welt repräsentiert und daher der Hauptfeind aller Völker, aller revolutionären und demokratischen Kräfte ist. [...] Die Unterstützung des Widerstands muss total sein, unabhängig seiner derzeitigen politischen Zusammensetzung, unabhängig von den führenden Organisationen. [...] Die Besatzung des Iraks ist verknüpft mit der zionistischen Besatzung in Palästina. Die einzige Lösung liegt in der Zerschlagung des Zionismus und in dem Aufbau eines demokratischen antiimperialistischen Staates in ganz Palästina. [...] Widerstand, auch der bewaffnete, gegen das US-Imperium ist kein Terrorismus, sondern ein demokratisches Recht." Im Juli 2004 wurde in Köln das 'Deutsche Solidaritätskomitee freier Irak' gegründet. Die Zielrichtung dieser nur vordergründig auf eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts abstellenden Initiative wird in einem Interview-Ausschnitt mit dem Sprecher und Gründungsmitglied des Solidaritätskomitees deutlich: "Wir sind mit dem irakischen Widerstand in allen seinen legitimen und politischen und militärischen Formen solidarisch. Der Irak hat wie jeder Staat ein in Artikel 51 der UN-Charta formuliertes Selbstverteidigungsrecht. Nach dem Sturz der früheren Regierung wird dieses Selbstverteidigungsrecht von der irakischen Guerilla wahrgenommen, [...]." Wegen ihrer uneingeschränkten Solidarität mit den Palästinensern stellen die 'Antiimperialisten' einen Kontrapunkt zu den antideutschen linken Gruppen dar. Am 5. Juni fand in Köln aus Anlass des durch Israel begonnenen Mauerbaus die Veranstaltung "Stop the Wall - Internationale Konferenz für einen gerechten Frieden in Palästina und Irak" statt, die neben Organisationen aus der Friedensbewegung auch von einigen linksextremistischen Gruppen mitorganisiert und besucht wurde. Veranstaltungsteilnehmer monierten im Nachgang, dass auf der Konferenz die Auffassung dominiert habe, jede Gewalt gegen die USA und Israel sei "legitimer Widerstand". Zudem sei das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat abgelehnt worden. Parallel zur 'Stop the Wall'-Konferenz fand in unmittelbarer Nähe zum Konferenzort eine Gegendemonstration der 'Antideutschen' unter dem Motto "Fence out Terror! Für die Selbstverteidigung Israels - Gegen die antizionistische Konferenz in Köln" mit etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Im Rahmen der im Anschluss an die 'Stop the Wall'-Konferenz beschlossenen bundesweiten Kundgebungen anlässlich des vierten Jahrestages der palästinensischen Intifada meldete ein 'Initiativ'-Aktivist für den 25. September 2004 in Köln unter dem Slogan "Schluss mit der Besatzung in Irak und Palästina" eine Demonstration an. In der von einem breiten Bündnis palästinensischer, deutscher und türkischer Organisationen durchgeführten Demonstration mit bis zu 1.000 Teilnehmern wird die Situation in Palästina mit der des Iraks auf eine Stufe gestellt. Zu den Motiven erklärte der Spre146 Linksextremismus cher von 'Initiativ e.V.' in einem Gespräch mit der 'Jungen Welt', es sei "uns wichtig, den Zusammenhang zwischen israelischer Unterdrückungspolitik und US-amerikanischer Aggression zu thematisieren: Israel intensiviert im Windschatten des US-Krieges 'gegen den Terror' die Vertreibungspolitik gegen die palästinensische Bevölkerung." Die Demonstranten prangerten die Beteiligung der deutschen Bundesregierung an der - nach ihrer Ansicht - illegitimen Besatzung des Irak durch die USA an und machten Deutschland als zentrale Drehscheibe für Waffenund Truppentransporte in den Irak verantwortlich. Linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-Kernkraft-Bewegung Die linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-Kernkraft-Bewegung stagniert. Aus autonomer Sicht gilt aber unverändert, dass es im Anti-Atom-Widerstand verschiedene Aktionsformen geben würde "wie Unterschriftaktionen und juristische Einwendungen gegen Erweiterung bestehender Anlagen oder den Bau von neuen Mahnwachen, Sitzblockaden, Ankettaktionen bis hin zu militanten Aktionen wie Strommasten umsägen und Hakenkrallen" ('Interim', Nr. 607). Der Versuch autonomer Kernkraftgegner, ihre Aktionen gegen CASTOR-Transporte oder gegen Urananreicherung als Teil einer gegen das "herrschende" System gerichteten Strategie darzustellen, geht in den allgemeinen Protestaktivitäten unter. Der Bedeutungsverlust des Themenfelds lähmt die darauf fixierten Aktivisten, bis sie sich schließlich enttäuscht anderen Inhalten zuwenden. Der im November 2004 durchgeführte Transport nach Gorleben wurde vom Tod eines 21jährigen französischen Aktivisten überschattet, der bei einem Blockadeversuch vom Transportzug überrollt wurde. In der Szene führte der Tod zu einem Schock, der vorübergehend zur Einstellung aller Widerstandshandlungen führte. An den Protestaktionen nahmen etwa 5.000 Personen teil, darunter etwa 250 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum. Der Anteil von Personen, die der autonomen Szene zugerechnet werden können, beschränkte sich auf etwa 100. In Nordrhein-Westfalen wurde ein erwarteter Transport von verstrahltem Material aus dem Forschungsreaktor Rossendorf/Sachsen zur Einlagerung im Transportbehälterlager Ahaus thematisiert. Mit "Autobahnaktionstagen", in deren Verlauf man entlang der vermuteten Transportstrecke symbolische Aktionen durchführte, fanden die überwiegend bürgerlichen Kernkraftgegner regionale Aufmerksamkeit. Ein anderes Thema war der Protest gegen die Urananreicherungsanlage in Gronau. An einer Kundgebung am 9. September mit etwa 250-300 Personen nahmen auch aus dem Wendland und Berlin angereiste Aktivisten teil. 147 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Militanzdebatte wird fortgesetzt und aktionistisch begleitet Seit Juni 2001 wird in Teilen der autonomen Szene unter der Regie der im Großraum Berlin zu vermutenden 'militanten gruppe' (mg) eine Debatte zur Neuorganisation der revolutionären Linken und zur Militanz, bis hin zur Exekution von Entscheidungsträgern als Handlungsoption, geführt. Die Diskussion wird zumeist über die Szenezeitschrift 'Interim' ausgetragen und aktionistisch durch Anschläge begleitet, deren Motive durch Bekennerschreiben in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden. Die 'mg' setzte auch im Jahre 2004 ihre Anschlagsserie im Begründungszusammenhang "Kampf der Sozialtechnokratie" fort. In Berlin wurden Brandanschläge verübt: : am 1. Januar auf das 'Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung' (DIW); : am 30. März auf eine gemeinsame Anlaufstelle eines Arbeitsamtes und eines Sozialamtes; : am 7. Mai auf drei Fahrzeuge der Deutschen Telekom AG; : am 23. September auf ein Sozialamt und auf ein Bezirksamt. Parallel zum letzten Anschlag wurde außerdem ein Berliner Sozialstadtrat durch postalische Zusendung einer scharfen Patrone bedroht. Ihre Einstellung zur Militanz macht der Erklärungsversuch der 'mg' zu dieser Aktion sichtbar, denn mit der Aktionsform "Patronenverschickung" habe sie unter anderem deutlich machen wollen, dass "der Einsatz weiterführender Mittel in zugespitzten Phasen von Protesten und Revolten in breiten gesellschaftlichen Kreisen als gerechtfertigt angesehen wird und keine Erfindung der revolutionären Linken ist". In der autonomen Szene werden die Debattenbeiträge und aktionistischen Bemühungen der 'mg' zumeist ignoriert. Die "Patronenverschickung" wurde als "nicht geeigneter Ausdruck von Kommunikationsguerilla" ablehnend kommentiert. Eine positive Stellungnahme zu den Taten der 'mg' kam von der 'Autonomen Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof' (AZUM). Sie ist der autonomen Szene in Hamburg zuzurechnen und hatte zuletzt im August 2003 selbst einen Brandanschlag auf sechs Fahrzeuge einer Mercedes-Benz-Niederlassung in Hamburg verübt. Bezeichnenderweise gab diese Gruppe aber an, wegen Auflösungserscheinungen nicht mehr zu militanten Aktionen in der Lage zu sein. Auf der Linie der 'mg' äußerten sich noch "einige militante antifas", die den Standpunkt vertraten, "dass wir im kontext von revolutionärer gewalt beispielsweise eine liquidierung einer person 'aus politik, wirtschaft oder wissenschaft' (mg) nicht tabuisieren können, ohne uns selbst einer option der revolutionären linken in allen ecken und winkeln dieser welt zu berauben". 148 Linksextremismus 4.5 Linksterrorismus 4.5.1 Revolutionäre Zellen (RZ) Als eines der letzten großen Verfahren zum Linksterrorismus der 1980er Jahre wurde am 18. März, nach fast drei jähriger Verfahrensdauer und 174 Verhandlungstagen, der Strafprozess gegen fünf Mitglieder der 'Revolutionären Zellen' (RZ) vor dem Kammergericht Berlin durch die Urteilsverkündung abgeschlossen. Die teilweise geständigen Angeklagten, deren Beteiligung an den ihnen zur Last gelegten Knieschussattentaten auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde (1986) und einen Vorsitzenden Richter beim Bundesverwaltungsgericht (1987) sowie an Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (1987) und die Berliner Siegessäule (1991) strafrechtlich bereits verjährt war, wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (SS 129a Strafgesetzbuch) zu Haftstrafen bis zu vier Jahren und drei Monaten verurteilt. In einem nachfolgenden Prozess wurde ein weiterer Angeklagter, der in Kanada festgenommenen und von dort ausgeliefert worden war, wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung 'Revolutionäre Zellen' im Zeitraum 1985 bis 1993 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. 4.5.2 Rote Armee Fraktion (RAF) Gegen Andrea Klump - sie war bereits im Jahre 2001 wegen Beteiligung an einem versuchten Anschlag auf den NATO-Standort 'Rota' in Spanien verurteilt worden - wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen versuchten Mordes in 28 Fällen in Tateinheit mit Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion ein weiteres Strafverfahren durchgeführt. Die Angeklagte wurde beschuldigt, mit ihrem damaligen Lebensgefährten und mutmaßlichen RAF-Mitglied Horst-Ludwig Meyer am 23. Dezember 1991 in Budapest an einem versuchten Sprengstoffanschlag auf einen mit jüdischen Auswanderern (überwiegend Familien mit Kleinkindern) besetzten Reisebus beteiligt gewesen sein. Der Anschlag mit einem am Fahrbahnrand abgestellten und mit hochexplosivem Sprengstoff präparierten Fahrzeug misslang in Folge eines konstruktionsbedingten Fehlers der Funkfernbedienung. Die Hauptwirkung der einige Sekunden vor dem geplanten Zeitpunkt ausgelösten Detonation traf deshalb nicht den Reisebus, sondern in erster Linie ein vorausfahrendes Begleitfahrzeug der ungarischen Polizei. Bei dem Attentat wurden sechs Menschen verletzt; insbesondere zwei Polizeibeamte trugen schwere Verletzungen davon. Als Auftraggeber des Anschlags bezichtigte sich wenige Tage nach der Tat die palästinensische Terrororganisation 'Bewegung für eine Befreiung von Jerusalem'. 149 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Nach anfänglichem Leugnen legte die Angeklagte im Prozessverlauf ein Teilgeständnis ab und räumte ein, von den Attentatsvorbereitungen gewusst, eine Beteiligung jedoch abgelehnt zu haben. Am 28. September 2004 wurde sie zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. In das Strafmaß floss die neunjährige Haftstrafe ein, die sie bereits wegen des Anschlags in Spanien verbüßt. In einer Stellungnahme der Szene zum Prozessende wird das Attentat als antisemitisch und reaktionär verurteilt. Der Angeklagten wird persönlich vorgeworfen, sich zum eigenen Vorteil vor Gericht taktisch verhalten und wie andere "Heimkehrer/innen" die Gründe und Ziele des ehemals eigenen Kampfes entpolitisiert und umformuliert zu haben. 4.6 Internet/Neue Medien Entsprechend der expandierenden Nutzung elektronischer Medien durch die Allgemeinheit nimmt auch deren Verwendung durch die linksextremistische Szene weiterhin stetig zu. Ende des Jahres 2004 waren den Verfassungsschutzbehörden bereits über 1.300 als linksextremistisch bewertete Adressen im Internet bekannt. Wie im Bereich der bürgerlichen Parteien nutzen auch linksextremistische Organisationen das Internet, um einfach, kostengünstig, schnell und aktuell über ihre Programme, Aktionen und Aussagen zu tagesaktuellen Ereignissen kommunizieren zu können. Homepages der Parteien PDS, DKP oder MLPD seien in diesem Zusammenhang ebenso beispielhaft erwähnt wie solche von zugehörigen Landes-, Jugendoder Frauenverbänden sowie von parteieigenen oder nahestehenden Zeitungen und Einrichtungen. Inzwischen haben fast alle autonomen Gruppen in NRW eigene Homepages aufgebaut. Allerdings fehlt es einem großen Teil der Seiten an Aktualität; häufig werden sie nach einigen Monaten - überwiegend aus finanziellen Gründen - aus dem Netz genommen. Verstärkt hat sich im Berichtszeitraum der Trend, neben den ständigen Internetportalen sowie den Webseiten der einzelnen Gruppierungen anlassbezogene Homepages in das Internet zu stellen. Ob diese neuen technischen Rahmenbedingungen unmittelbaren Einfluss auf das politische Diskussionsund Konfliktverhalten der Gruppierungen untereinander haben, weil durch intensivere Nutzung der neuen Medien die bisherigen Strukturen zum Teil überflüssig werden, oder nur das weitreichende Ergebnis dieser Diskussionen widerspiegeln, bedürfte einer empirischen Untersuchung und vermag daher an dieser Stelle nicht beurteilt zu werden. Fakt ist allerdings, dass in Zeiten des Internets selbst Einzelpersonen ihre politischen Aussagen, gestalterisch aufbereitet, global und tagesaktuell an den Mann oder die Frau bringen können. Hierzu bedient man sich eigener Ho150 Linksextremismus mepages oder aber auch linker oder linksextremistischer Infoportale und Diskussionsforen. Mit den Infoportalen versucht die Szene nach wie vor, eine so genannte Gegenöffentlichkeit zu den herkömmlichen Medien zu schaffen, die es dem "mündigen Konsumenten" ermöglichen soll, sich aufgrund der dortigen Berichterstattung ein umfassenderes Meinungsbild zu verschaffen und der vermissten linken Gegenposition Raum zu geben. Einen dominierenden Anteil hat dabei das Internetportal 'Indymedia', das mittlerweile fünf Jahre besteht und neben der linksextremistischen Szene auch ein bürgerliches Spektrum ansprechen will und selbst von bürgerlichen Medien anerkennend gewürdigt worden ist. Aus der Anti-Globalisierungsbewegung entstanden, ist 'Indymedia' heute eine der wichtigsten Internet-Informationsseiten der linksextremistischen Szene. Weltweit vertreten in 31 Ländern auf allen Kontinenten, alleine in Europa mit 37 eigenständigen nationalen/überregionalen Mediencentern, sieht sich 'Indymedia' als Teil einer weltweiten alternativen Informationsstruktur. Die Internetseiten werden nach dem Open-Posting-System erstellt, was bedeutet, dass dort jeder Informationen veröffentlichen (posten) kann. Andererseits werden alle Beiträge vor Veröffentlichung im Netz redaktionell überprüft, um Veröffentlichungen zu vermeiden, die linken Konventionen widersprechen. 'Indymedia Deutschland' gliedert sich in eng vernetzte Moderationsgruppen in mehreren deutschen Großstädten. Sie tragen abwechselnd die Verantwortung für die Überprüfung der geposteten Texte hinsichtlich rassistischer, antisemitischer oder faschistischer Inhalte. Wie andere linksextremistische Medien auch, hält bei 'Indymedia' die Diskussion über die "Zensur" von Artikeln mit antideutschen Inhalten an. In die Schlagzeilen geriet 'Indymedia', als im Oktober 2004 Server bei einem englischen Hostingprovider beschlagnahmt wurden. Dadurch konnten in mehreren Ländern, auch in Deutschland, 'Indymedia'-Seiten nicht mehr erreicht werden. Darüber hinaus existiert weiterhin das älteste linksextremistische Portal 'nadir.org', dessen Betreiber in Hamburg angesiedelt sind und überwiegend Demonstrationsaufrufe und Stellungnahmen von Gruppen innerhalb der gesamten deutschen linksextremistischen Szene veröffentlichen. Die 'linkeseite.de' beklagte sich im Jahr 2004 über eine - wie es der Betreiber sah - neue Form von Repression, die vorläufig zur Schließung des Portals führte. Das in Deutschland bisher meistbesuchte linksextremistische Internetportal ging im Herbst 2004 wegen rechtlicher Probleme vom Netz. Bis 2003 aufgrund ihres Terminkalenders und ihrer umfangreichen Linkliste bei Linksextremisten sehr populär, verlor die Seite zunehmend an Bedeutung, da es ihr an Unterstützung einer bedeutenden politi151 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 schen Gruppe oder größeren Strömung mangelte. Umstritten war auch die Linie, sowohl "antideutsche" als auch Texte der "traditionellen Linken" (pro Palästina) aufzunehmen. Der Betreiber konnte zunächst verschärfte finanzielle Probleme durch die Aufnahme von Werbung teilweise überbrücken. Anschließend wurde die Seite dennoch wegen rechtlicher Unsicherheiten aus dem Netz genommen, da eine Tageszeitung, die sich gegen die Veröffentlichung bestimmter Textpassagen zur Wehr setzte, eine Abmahnung veranlasste. Nach eigenem Bekunden versucht man allerdings, über einen ausländischen Provider die Abmahnungsproblematik zu umgehen und wieder zu erscheinen. Auffallend ist, dass selbst bei Wegfallen bisheriger Strukturen die linksextremistische Szene zu aktuellen Anlässen kurzfristig und in nennenswertem Umfang mobilisierungsfähig und präsent ist. Dies lässt sich nur durch die intensive Nutzung der neuen Medien, ergänzend sind insbesondere Email oder auch SMS zu nennen, für die Kommunikation, Mobilisierung sowie Steuerung innerhalb der Szene erklären. Bei der beschriebenen Veränderung der Szene scheint die Nutzung der neuen Medien aufgrund des geringen technischen Aufwands, der relativ überschaubaren Kosten und der Tagesaktualität sowie der weltweiten Zugriffsmöglichkeiten wichtiger Baustein für ihre Überlebensfähigkeit zu sein. 152 Ausländerextremismus 5 Ausländerextremismus 5.1 Türkische Organisationen 5.1.1 Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front (DHKP-C) Türkische Volksbefreiungspartei/-FrontRevolutionäre Linke (THKP/-C) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Leitung Funktionärsgruppe um den Vorsitzenden Dursun Karatas Mitglieder NRW Bund 2004 200 700 2003 200 700 Publikationen 'Devrimci Sol' (Revolutionäre Linke); 'Ekemk ve Adalet' (Brot und Gerechtigkeit); 'Tavir' (Haltung); 'Kerbela' (nach einem Ort im Irak); 'Kültür Adasi' (Kulturinsel) Internet mehrsprachige Homepage ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die in der Türkei und in Deutschland verbotene 'Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Hierzu bedient sie sich in der Türkei auch terroristischer Methoden. So war die Organisation im Vorfeld des NATO-Gipfels im Juni in Istanbul für die Bombenexplosion in einem Linienbus mit vier Toten und zahlreichen Verletzten verantwortlich. Auch in Deutschland wurden von der Organisation, allerdings letztmalig 1998, Gewaltaktionen gegen Anhänger des Oppositionsflügels und Spendenerpressungen verübt. Durch diese Aktionen gefährdet die DHKP-C sowohl die innere Sicherheit als auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VSG NRW). Wegen der gleichermaßen vorhandenen Gewaltbereitschaft unterliegt auch die unbedeutendere Abspaltungsgruppe Türkische Volksbefreiungspartei/-Front (THKP/-C) der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Die DHKP-C und die THKP/-C sind Nachfolgeorganisationen der in der Bundesrepu153 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 blik seit 1983 verbotenen 'Devrimci Sol'. Ein Streit zwischen den seinerzeitigen Vorsitzenden verfestigt bis heute die Rivalität zwischen beiden Organisationen, ohne dass ernsthafte ideologische Differenzen zu erkennen wären. Unter der Bezeichnung DHKC ('Devrimci Halk Kurtulus Cephesi') agiert der militärische Arm der DHKP-C. Nachdem der Bundesgerichtshof Zweifel geäußert hatte, ob sich das Verbot der 'Devrimci Sol' auch auf die DHKP-C und THKP/-C erstreckt, hat das Bundesministerium des Innern beide Gruppierungen am 13. August 1998 als Ersatzorganisationen verboten, da sie die politischen Ziele und ideologischen Vorstellungen der 'Devrimci Sol' übernommen haben. Das Bundesverwaltungsgericht wies am 1. Februar 2000 die Klage gegen das Verbot zurück. Die politischen Aktivitäten werden seit dem Verbot 1983 konspirativ fortgesetzt.Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt. Strafverfolgungsmaßnahmen Seit 1997 wurden in Deutschland und dem benachbarten Ausland viele Funktionäre der DHKP-C festgenommen und zu - meist hohen - Strafen verurteilt. So auch 2004: Sicherheitskräfte verschiedener europäischer Länder (Türkei, Belgien, Niederlande, Italien und Deutschland) haben am 1. April in einer gleichzeitigen Aktion insgesamt mehr als 40 Personen festgenommen. In NRW wurden Maßnahmen in Köln und Bonn durchgeführt. Hintergrund: Im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der italienischen Behörden hatten sich Bezüge zu anderen Ländern ergeben und zu einem Rechtshilfeersuchen geführt. Aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofes wurde am 29. Juni 2004 ein hochrangiger Funktionär der DHKP-C in Rotterdam festgenommen. Er soll für die Weiterleitung von Spendengeldern an die DHKP-C und für Gewalttaten verantwortlich sein. Mitte der neunziger Jahre war der Angeklagte Führungsfunktionär der DHKP-C in Köln. Wegen der Spendengelderpressungen war er bereits zweimal in den Niederlanden verhaftet worden. Am 19. August 2004 wurde in Köln ein hochrangiger Funktionär festgenommen. Ihm werden die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (DHKP-C) und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Außerdem durchsuchten am 5. August 2004 150 Polizeibeamte einen Campingplatz in Eberbach (BW), wo ein Zeltlager (politisches Camp) von Anhängern der DHKP-C stattfinden sollte. Die dabei sichergestellten Unterlagen lassen den Schluss zu, dass die verantwortlichen Funktionäre des Camps jüngere Menschen für die DHKP-C anwerben wollten. Bei den Polizeimaßnahmen wurde teilweise Widerstand geleistet. Drei Polizeibeamte wurden verletzt. Nahezu zeitgleich wurden am 5. August 2004 die 154 Ausländerextremismus Vereinsräume der 'Anatolischen Föderation' in Köln und die Wohnung der Vorsitzenden in Hagen durchsucht. Es wurden zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt, die auf personelle und organisatorische Bezüge zur DHKP-C hinweisen. Die 'Anatolische Föderation' steht in Verdacht, Ersatzoder Nachfolgeorganisation der DHKP-C zu sein. Struktur Deutschland ist neben der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet der DHKP-C. Die Organisation verfügt hier über feste Strukturen. Dem Deutschlandverantwortlichen sind Gebietsverantwortliche nachgeordnet. Die eingesetzten Funktionäre treten zur Tarnung teilweise unter Decknamen auf und werden häufig ausgetauscht. Als örtliche oder regionale Basis dienen der DHKP-C Vereine, deren Satzung keinen Rückschluss auf die Organisation zulassen. In NRW verfügt die DHKP-C über solche Stützpunkte unter anderem in Bielefeld, Dortmund, Duisburg, Köln und Wuppertal. Finanzierung Die DHKP-C finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Verkauf von Publikationen. Wie in den Vorjahren konnte das Ziel der jährlichen Spendenkampagne bei weitem nicht erreicht werden. Über Spendengelderpressungen konnten in jüngster Zeit keine Erkenntnisse gewonnen werden. Medieneinsatz Neben den regelmäßig erscheinenden Publikationen nutzt die DHKP-C intensiver als die übrigen linksextremistischen Organisationen das Internet für Aufrufe und politische Erklärungen. Sie verfügt über eine mehrsprachige Homepage. Seit dem Jahr 2002 erscheint monatlich die Zeitschrift 'Ekemk ve Adalet' (Brot und Gerechtigkeit). Aktuelle Aktivitäten Veranstaltungen Anlässlich des 10. Jahrestages der Gründung der DHKP-C veranstalteten Anhänger der Organisation am 4. April in Köln ihr jährliches Parteifest. Auf der Veranstaltung, an der etwa 300 Personen teilgenommen haben, wurde zur Unterstützung der Hungerstreikenden in der Türkei aufgerufen und die europaweiten Exekutivmaßnahmen gegen die Organisation verurteilt. Am 22. Mai führte die DHKP-C ihre jährliche Gedenkveranstaltung durch. An der Veranstaltung zum "Gedenken an die Gefallenen der Revolution" in s'Hertogenbosch (Niederlande) nahmen etwa 3.000 Personen (Vorjahr Rotterdam: 3.500 Personen) teil. Bilder erinnerten an die beim Todesfasten verstorbenen, als Märtyrer betrachteten 155 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Personen. Während der Veranstaltung, die störungsfrei verlief, wurde eine Spendenaktion durchgeführt. Alljährlich nehmen Anhänger der DHKP-C und anderer linksextremistischer türkischer Organisationen an Demonstrationen deutscher Organisationen zum 1. Mai teil. In einem Internetaufruf zum 1. Mai heißt es unter anderem: "Die AKP ist die Regierung des Hungers und der Ungerechtigkeit. [...] Am 1. Mai müssen wir Völker uns unter dem Banner der Freiheit vereinen". Eintrittskarte der Weitere Aktivitäten DHKP-C in Hertogenbosch Das TAYAD-Komitee ('Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei'), das von den Verfassungsschutzbehörden als Tarnorganisation der DHKP-C angesehen wird, führte vom 10.-17. Juli in Köln, Berlin und Hamburg demonstrative Hungerstreikaktionen durch. Anlass war der Tod des 115. Opfers der in der Türkei seit Oktober 2000 andauernden Hungerstreikaktionen gegen die angeblichen Isolationshaftanstalten. Mit etwa zehn Teilnehmern in Köln war die Resonanz dieser Aktion sehr gering. Reaktionen auf den NATO-Gipfel in Istanbul Im Vorfeld zum Nato-Gipfel am 28. und 29. Juni hatten verschiedene linksextremistische türkische Gruppierungen in Deutschland und dem europäischen Ausland die Plattform 'Resistanbul' gegründet. Der Plattform gehörten unter anderem folgende Basisorganisationen linksextremistischer türkischer Gruppierungen an: : ATIK - 'Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa' : ATIF - 'Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland' : ADHF - 'Föderation für demokratische Rechte in Deutschland' : AGIF - 'Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland' : TAYAD - 'Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei' Die Plattform 'Resistanbul 2004' kritisiert in der Presse und im Internet den NATOGipfel in Istanbul und bezeichnet die NATO als eine aggressive Kriegsorganisation. Der Gipfel diene dazu, eine dauerhafte Präsenz des "US-Imperialismus" im Irak sicherzustellen, die Besetzung weiterer Länder und die "Massakrierung der Völker" im Nahen Osten zu rechtfertigen und die Türkei in eine Militärbasis für einen schmutzi156 Ausländerextremismus gen Krieg umzuwandeln. Es kam zu bundesweiten Podiumsdiskussionen und Demonstrationen. Die Veranstaltungen mit bis zu 500 Teilnehmern verliefen allesamt friedlich. Am 24. Juni 2004 explodierte in einem Linienbus in Istanbul eine Bombe. Vier Personen, darunter die Attentäterin, wurden getötet, zahlreiche verletzt. Bei der Täterin handelt es sich um eine Funktionärin der DHKP-C, die in der Türkei mit Haftbefehl gesucht wurde. In einer Interneterklärung bekannte sich die Organisation zu diesem Anschlag, räumte jedoch ein, dass der Bus nicht das eigentliche Ziel des Anschlags war. Weiter heißt es: "Unser Kummer ist unbeschreiblich groß. [...] Es sind Menschen vom Volk umgekommen. Wir tragen die Verantwortung. Wir akzeptieren unsere Schuld und bitten unser Volk um Entschuldigung". Motiv des Anschlags war die Solidarität mit den politischen Gefangenen in türkischen Gefängnissen und ihrem Todesfasten. Bewertung Das Verbot der Organisation und die intensiven Strafverfolgungsmaßnahmen auch in 2004 haben die DHKP-C in Deutschland weiter geschwächt. Die Aktivitäten sind nach dem Höhepunkt der Kampagne gegen die Isolationshaftzellen im Jahre 2001 weiter rückläufig und beschränken sich auf wenige überregionale Veranstaltungen. Lediglich im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel kam es zu vermehrten Aktivitäten. Die Anzahl und das Engagement der Mitglieder sind ebenfalls rückläufig. Dies hat zur Folge, dass die finanziellen Probleme weiter zunehmen. 5.1.2 Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei (MLKP); Kommunistische Partei & Aufbauorganisation (KP-IÖ) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Leitung Auslandskomitee Mitglieder NRW Bund 2004 ca. 200 ca. 600 2003 ca. 200 ca. 600 Publikationen 'Yeni Atilim' (Neuer Vorstoß); 'Partinin Sesi' (Stimme der Partei); 'Internationales Bulletin' ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 157 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Hintergrund Die 'Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei' (MLKP) vertritt die Lehren des Marxismus-Leninismus und strebt den revolutionären Umsturz des türkischen Staates und den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. Diese Zielsetzung begründet die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden (SS 3 Eintrittskarte der TKP ML in Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Wuppertal Bei der MLKP handelt es sich um einen 1994 entstandenen Zusammenschluss der 'Türkischen Kommunistischen Partei (Marxisten-Leninisten)-Bewegung ' (TKP(ML)-H) und der 'Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung' (TKIH). Bereits im September des Folgejahres kam es zu internen ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der MLKP, die zur Abspaltung der 'Kommunistischen ParteiAufbauorganisation' (KP-IÖ) führten. Struktur Die MLKP bedient sich in Deutschland ihrer Basisorganisationen 'Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland' (AGIF) und der 'Kommunistischen Jugendorganisation' (KGÖ). Ortsvereine/Komitees bestehen unter anderem in Bielefeld, Duisburg, Düsseldorf und Köln. Vereine in anderen Städten sind wegen des zurückgegangenen Engagements der Mitglieder und der daraus resultierenden finanziellen Notlage aufgegeben worden oder verfügen nicht mehr über eigene Vereinsräume. Finanzen Die MLKP finanziert sich durch eine regelmäßig im Herbst beginnende Spendenkampagne und durch Mitgliedsbeiträge. Über Spendengelderpressungen liegen keine Erkenntnisse vor. Aktuelle Aktivitäten Aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens führte die MLKP am 18. September eine Großveranstaltung in Gelsenkirchen durch. Es nahmen mehr als 2.000 Personen teil, die aus Deutschland und dem benachbarten Ausland angereist waren. Die Veranstaltung hatte überwiegend kulturellen Charakter und verlief friedlich. Zwischen den Musikdarbietungen wurden politische Reden gehalten. In Deutschland ist die MLKP seit einigen Jahren nicht mehr gewalttätig in Erscheinung getreten. Anders in der Türkei, wo sie für mehrere Sprengstoffanschläge verant158 Ausländerextremismus wortlich war, unter anderem für einen Anschlag im Vorfeld des NATO-Gipfels am 29. Juni in einem bereits gelandeten Flugzeug der "Turkish Airlines" auf dem Istanbuler Flughafen mit 3 Verletzten und am 28. September 2004, als zeitgleich drei Sprengsätze vor britischen HSBC-Banken in Adana, Istanbul und Izmir explodierten. Ein vierter Sprengsatz detonierte in der Nähe eines türkisch-amerikanischen Kulturzentrums in Ankara. Es gab dabei einen Leichtverletzten und geringen Sachschaden. In einer Interneterklärung der MLKP heißt es zu den Anschlägen: "In Istanbul, Adana, Izmir und Ankara wurden Bombenanschläge gegen Filialen der HSBC-Bank, die auf der Welt im Mittleren Osten als ein Finanzunternehmen der imperialistischen Barbarei gilt, durchgeführt. [...] Ihr imperialistischen Barbaren [...] werdet die Rechnung für eure Verbrechen [...] begleichen! Ihr werdet verlieren! Die unterdrückten Völker des Mittleren Ostens werden siegen!" Bewertung Nennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktionen haben im Berichtszeitraum nicht stattgefunden. Lediglich zu politisch brisanten Themen wurden Verlautbarungen verbreitet. 5.2 Kurden: Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL); Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und unterstützende Organisationen Seit dem 26. November 1993 in Deutschland vom Bundesminister des Innern mit einem Betätigungsverbot belegt ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Nord-Irak Europavertretung wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden Aufenthaltsorten Vorsitz Zübeyir Aydar und 6 Stellvertreter Höchstes Entscheidungsorgan Generalversammlung Mitglieder Bund NRW 2004 ca. 11.500 ca. 2.000 2003 ca. 11.500 ca. 2.000 Publikationen 'Özgür Politika' ('Freie Politik'), Tageszeitung, Auflage bis 20.000; 'Serxwebun' ('Unabhängigkeit'), erscheint 159 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 monatlich, Auflage bis 20.000; 'Kurdistan-Report', erscheint zweimonatlich, Auflage bis 15.000 Fernsehsender 'ROJ-TV', Sitz Kopenhagen ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK), die heute unter der Bezeichnung 'KONGRAGEL' agiert, wurde im November 1978 in der Türkei gegründet. Gründungsmitglied und Führer der PKK war Abdullah Öcalan, der auch nach seiner Festnahme im Februar 1999 formal noch bis November 2003 als Generalsekretär an der Spitze der Organisation stand. Die PKK ist eine straff organisierte und zentralistisch geführte Kaderorganisation, deren marxistisch-leninistische Programmatik im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr durch kurdisch-nationalistisches Gedankengut überlagert wurde. Programmatisches Ziel der Organisation war die Errichtung eines eigenen kurdischen Nationalstaates, der die Gebiete Südostanatoliens, den Nord-Irak, Teile des westlichen Irans und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Dieses Ziel der Organisation steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der sozialen, kulturellen und völkerrechtlichen Situation der etwa 20 bis 25 Millionen Kurden, deren Hauptsiedlungsgebiet in den Staaten Türkei, Irak, Iran, Syrien und den Gebieten der früheren Sowjetunion liegt. Die größte kurdische Volksgruppe, etwa 10 bis 12 Millionen Menschen, lebt in der Türkei. Die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Kurden wird mit 500.000 bis 600.000 beziffert. Seit dem 26. November 1993 ist der PKK und ihrer Nebenorganisation 'Nationale Befreiungsfront Kurdistans' ('Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan' - ERNK) die Betätigung in Deutschland verboten. Obwohl seit Ende März 1996 ein Kurswechsel zu friedlichem Verhalten erkennbar ist, stellt die PKK wegen einer Reihe gewalttätiger Aktionen im Frühjahr und Sommer 1999 nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW). Darüber hinaus hat die PKK beziehungsweise KONGRA-GEL den seit 1. September 1999 geltenden "einseitigen" Waffenstillstand gegenüber der Türkei zum 1. Juni beendet. Seit dem kommt es im Südosten der Türkei wieder vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Guerilla-Einheiten, was deutlich macht, dass die PKK beziehungsweise KONGRA-GEL auch weiterhin bereit ist, ihre Ziele gegebenenfalls mit Gewalt durchzusetzen. Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch aus diesem Grunde eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW erforderlich ist. 160 Ausländerextremismus Die PKK richtet sich neu aus Im Januar 2000 wurde auf dem 7. Außerordentlichen Parteikongress der PKK eine grundlegende Neuausrichtung der Partei beschlossen. Die PKK sprach davon, "Beschlüsse von historischer Bedeutung" gefasst zu haben. Die wesentlichen Punkte sind: : Das Ziel eines eigenständigen Staates wird aufgegeben. : Zur Durchsetzung der Ziele wird keine Gewalt mehr eingesetzt. : In Zukunft werden ausschließlich politische und demokratische Mittel angewandt. : Der politische Flügel der Partei, die 'Nationale Befreiungsfront Kurdistans' (ERNK) wird aufgelöst. An ihre Stelle tritt die sich in Zielen und Inhalten von der ERNK unterscheidende 'Kurdische Demokratische Volksunion' (YDK). : Der militärische Flügel der PKK, die 'Volksbefreiungsarmee Kurdistans', wird aufgelöst. An ihre Stelle treten die 'Kurdischen Volksverteidigungskräfte' (HPG). Auf dem 8. Parteikongress der PKK, der im April 2002 im Grenzgebiet Iran/Irak stattfand, wurde dann beschlossen, alle Aktivitäten im Namen der PKK einzustellen, da die PKK ihre historische Mission erfüllt habe. Außerdem wurde festgelegt, dass es keine direkte Nachfolgepartei für die PKK geben, sondern eine neue Organisationsform eingeführt wird. Diese sah vor, dass unterschiedliche Organisationen für alle Teile des kurdischen Siedlungsgebietes gegründet und von der Koordinationsorganisation 'Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans' (KADEK) überwacht werden sollen. Die PKK erklärte, dass es sich beim KADEK nicht um eine Nachfolgepartei der PKK, sondern um die Gründung einer neuen Organisation handelt. Programm, Satzung und Struktur machten aber deutlich, dass sich der KADEK in den wesentlichen Punkten nicht von der PKK unterscheidet: : Die Führungsgremien blieben in personeller Hinsicht weitgehend identisch. : Der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, war auch Vorsitzender des KADEK. : Der KADEK übernahm im Wesentlichen die Organisationsstruktur der PKK. : Der KADEK übernahm das Emblem der PKK. Darüber hinaus sollte der KADEK die bereits im Jahr 2000 begonnene Neuausrichtung der PKK fortführen; das heißt, die zentralen Änderungen in Ziel und Methode gegenüber der PKK vor dem Jahr 2000 wurden beibehalten beziehungsweise weiterentwickelt. 161 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Gründung des KONGRA-GEL Nachdem sich am 26. Oktober 2003 der KADEK aufgelöst hatte, wurde am 15. November 2003 auf einer Pressekonferenz im Nord-Irak bekannt gegeben, dass in der Zeit vom 27. Oktober bis 6. November der Gründungskongress des 'Volkskongress Kurdistans' (kurdisch: 'KONGRA-GEL(e) Kurdistan' - türkisch: 'Kurdistan Halk Kongresi', KHK) stattgefunden habe. Der Vorsitzende des KONGRA-GEL, Zübeyir Aydar, der als Mitglied des 'Kurdischen Nationalkongresses' (KNK) bekannt ist, erklärte, Ziel des KONGRA-GEL sei die politische Lösung der kurdischen Frage mit der Schaffung von demokratischen und kulturellen Rechten für die Kurden in den Ländern, in denen sie leben. Man wolle in diesen Ländern auf Dauer als demokratische und ökologische Partei anerKONGRA-GEL kannt werden. Alle Ziele würden ausschließlich mit politiEU-Kampagne schen und friedlichen Mitteln angestrebt. Ein eigener, unabhängiger Kurdenstaat sei kein Ziel mehr. In Bezug auf die 'Volksverteidigungskräfte' (HPG) erklärte Zübeyir Aydar, diese seien autonom, stünden aber unter dem politischen Willen des Volkskongresses. Dem ehemaligen PKKund KADEKVorsitzenden Abdullah Öcalan wurde im KONGRA-GEL kein formelles Amt zugedacht. Er wurde lediglich zur "Führungspersönlichkeit des kurdischen Volkes" erklärt. Aktuelle Entwicklungen in der Organisation KONGRA-GEL befindet sich nach der Gründung in massiven Schwierigkeiten. Bereits unmittelbar nach der Gründung des KONGRA-GEL kam es zu erheblichen Differenzen innerhalb der Führungsspitze über die weitere Vorgehensweise der Organisation. Dies führte dazu, dass sich im Februar mehrere Funktionäre, darunter Osman Öcalan, der Bruder von Abdullah Öcalan, von der Organisation absetzten. Trotz eingehender Diskussionen und Verhandlungen sowie einer kurzzeitigen Rückkehr zur Organisation konnte eine Abkehr der Funktionäre und damit eine Spaltung der Organisation letztlich nicht verhindert werden. Flagge KONGRA-GEL In einer am 14. August im Internet veröffentlichen Erklärung wird dargelegt, dass unter der Führung Osman Öcalans eine neue Kurdenorgani162 Ausländerextremismus sation mit dem Namen 'Partiya Welatperez'e Demokratik' (PWD), zu deutsch 'Patriotisch-Demokratische Partei', gegründet werden soll. Ziel der Parteigründung sei die Unterstützung der "kurdischen Bewegung", die auf der Grundlage einer "demokratischen Lösung" aus ihrer selbstverschuldeten Sackgasse herausgeführt werden soll. Obwohl die Mitglieder des KONGRA-GEL aufgerufen sind, sich der PWD anzuschließen, werde mit der Parteigründung nicht die Zerstörung des KONGRA-GEL angestrebt. Die Neugründung der PWD trifft den KONGRA-GEL in einem denkbar ungünstigen Moment, da sich der KONGRA-GEL seit Monaten sowohl in einer massiven innerparteilichen Krise als auch durch die anhaltenden militärischen Operationen der türkischen Streitkräfte gegen Einheiten der HPG in der Türkei unter einem starken äußeren Druck befindet. Vom KONGRA-GEL wird starke Kritik am Verhalten Osman Öcalans und der von ihm gegründeten Partei geübt. Das Verhalten der abtrünnigen Funktionäre wird als "Verrat" an der kurdischen Sache gesehen. Ähnliches ließ auch Abdullah Öcalan durch seine Anwälte mitteilen. Er machte deutlich, dass das Verhalten der Gruppe um Osman Öcalan durch den KONGRA-GEL nicht toleriert werden könne. Gründung einer neuen PKK Die dem KONGRA-GEL nahestehende Tageszeitung 'Özgür Politika' berichtete Mitte Mai von einem "Komitee für den Wiederaufbau der PKK". Dieses habe vom 29. April bis 11. Mai in den Bergen Kurdistans im Vorfeld des regulären KONGRA-GEL-Kongresses eine Versammlung abgehalten, auf der die Spaltung der Organisation für überwunden erklärt worden sei. Durch die Neugründung oder den Wiederaufbau einer PKK sollen nach den Vorstellungen Abdullah Öcalans interne Spannungen ausgeglichen werden und verunsicherte Anhänger, die die zahlreichen programmatischen und äußeren Veränderungen der Partei nicht nachvollziehen konnten, zurückgewonnen werden. Lange war nicht klar, in welchem Verhältnis, bezogen auf ihre Aufgaben und ihre Stellung, die "neue PKK" zum KONGRA-GEL stehen soll. Am 28. November äußerte sich Murat Karayilan, ein Mitglied des Aufbaukomitees, in der 'Özgür Politika' dahingehend, dass die "neue PKK" ideologisch und politisch gesehen im Mittelpunkt der Bewegung Abdullah Öcalans stehen und im Rahmen des KONGRA-GEL agieren soll. Sie soll Funktionen im 'Komitee für Wissenschaft und Kunst' erhalten und die ideologische Führung innerhalb bestimmter Bereiche des Kaders übernehmen. 163 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Weitere bedeutsame Ereignisse und Entwicklungen Amnestiegesetz erfolglos Anfang August 2003 trat in der Türkei ein Amnestiegesetz in Kraft, das es unter anderen auch PKK/KONGRA-GEL-Anhängern und Guerillas ermöglichen sollte, in die Türkei zurückzukehren und dabei straffrei zu bleiben. Dem KONGRA-GEL ging dieses so genannte Reuegesetz nicht weit genug, weil ausdrücklich die Parteiführung hiervon ausgenommen wurde. Zudem sollten die Anhänger und Guerillas, die an Gewalttaten beteiligt waren, ihre Taten bereuen sowie ihre Kenntnisse über die Strukturen der Partei offenbaren. Hatten sich im Jahre 2003 noch einige hundert Personen - von denen sich die ganz überwiegende Zahl aber bereits in Haft befand - unter Berufung auf das Amnestiegesetz den türkischen Sicherheitsbehörden gestellt, war im Jahre 2004 vom Amnestiegesetz gar keine Rede mehr. Es ist deshalb davon auszugehen, dass von wenigen Einzelfällen abgesehen, die Personen, die mit dem Amnestiegesetz erreicht werden sollten, nicht erreicht wurden und das Gesetz somit weitestgehend wirkungslos blieb. KONGRA-GEL als PKK-Nachfolgeorganisation in die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen Der Rat der Europäischen Union hat am 2. April beschlossen, sowohl den 'Volkskongress Kurdistans' (KONGRA-GEL) als auch die Vorgängerorganisation 'Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans' (KADEK) als Nachfolgeorganisationen der bereits am 2. Mai 2002 gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in die sogenannte Terrorliste aufzunehmen. Zudem hat auch das Bundesministerium des Innern in einer Stellungnahme vom 30. Juli festgestellt, dass sich "das gegen die PKK verhängte vereinsrechtliche Verbot vom 2. November 1993 auch auf den KONGRA-GEL erstreckt". Grundlage für diese vereinsrechtliche Beurteilung sei die Identität von PKK und KONGRA-GEL. KONGRA-GEL sei deshalb - wie bereits der KADEK - als eine Umfirmierung der PKK anzusehen. Die Entscheidung des Rates der Europäischen Union wurde von Seiten des KONGRA-GEL scharf verurteilt. Der Vorsitzende des KONGRA-GEL bezeichnete die Entscheidung als einen ungerechten Schritt, der sich aus den politischen Interessen der EU ergeben habe. Eine Aufnahme des KONGRA-GEL in eine Liste von Organisationen, "die jeden Tag zig Zivilisten töten und wahllos Massaker an Zivilisten verüben" sei eine Beleidigung des kurdischen Volkes. Für die PKK beziehungsweise den KONGRA-GEL ist die Aufnahme in die Liste ein massiver Rückschlag in ihren Bemühungen, sich von ihrem terroristischen Image zu lösen und den Wandel zu einer friedlich und demokratisch agierenden Kraft zu voll164 Ausländerextremismus Führungsstruktur des Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA-GEL) Generalversammlung Disziplinarausschuss höchstes Entscheidungsorgan des Kongresses 11 Mitglieder 300 Mitglieder Vorsitz Exekutivrat Beratungsausschuss Vorsitzender 40 Mitglieder 15 Mitglieder und sechs Stellvertreter Komitees Mitglieder stammen aus der Generalversammlung In jedem Komitee befindet sich ein Mitglied des Exekutivrats Politikkomitee Sozialkomitee Wirtschaftskomitee Wissenschafts-, Kulturund Kunstkomitee Medienkomitee Frauenkomitee Jugendkomitee Komitee für Ökologie und lokale Führung Komitee für Gerechtigkeit und Menschenrechte Volksverteidigungskomitee Demokratisch-ökologische Koordinierungsstelle 3 Vorstandsmitglieder Demokratische Organisationen und Einrichtungen in den Ländern und Außengebieten, in denen viele Kurden leben (Politische Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Vertretern von Frauen-, Jugendund Umweltbewegungen, Gewerkschaften, Berufsverbänden, Kultureinrichtungen und anderen demokratischen Einrichtungen) 1 Vertreter je Organisation oder Einrichtung Der KONGRA-GEL hat sich auf seinem Gründungskongress vom 27.10. bis zum 06.11.2003 gegründet. 165 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 ziehen. Die Volksverteidigungseinheiten (HPG) heben den Waffenstillstand auf Der Kampf für mehr Rechte der Kurden wurde von der PKK unter Führung von Abdullah Öcalan zu Beginn mit terroristischen Aktionen und vom 15. August 1984 bis zum Herbst 1999 auch in offener militärischer Auseinandersetzung geführt. Im Herbst 1999 rief Abdullah Öcalan dazu auf, den bewaffneten Kampf einzustellen und die noch bestehenden Guerillaeinheiten aus der Türkei abzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass die Kampfkraft der kurdischen Truppen bereits erheblich geschwächt war. Der Irak-Krieg im Frühjahr 2003 verdeutlichte die militärischen Kräfteverhältnisse im Nord-Irak. Für die USA, die einen strategischen Verbündeten im Nord-Irak suchten, kamen als Ansprechpartner nur die 'Demokratische Partei Kurdistans' (DPK/I) und die 'Patriotische Union Kurdistans' (PUK) in Betracht. Die Truppen des KONGRA-GEL, die 'Volksverteidigungskräfte' (HPG), wurden offiziell -wahrscheinlich wegen ihrer Bedeutungslosigkeit - nicht in Betracht gezogen. In einer Stellungnahme vom 28. Mai erklärten die Volksverteidigungseinheiten (HPG) den seit dem 1. September 1999 geltenden "einseitigen" Waffenstillstand mit dem 1. Juni für beendet. Als Grund hierfür wurden die seit dem Frühjahr verstärkten militärischen Vorstöße der türkischen Armee in den kurdischen Gebieten genannt. Allein im März und April habe es 30 Operationen gegen kurdische Guerillas gegeben. Mit dieser Offensive sei der von der HPG einseitig proklamierte Waffenstillstand faktisch außer Kraft gesetzt und könne in der bisherigen Form nicht aufrecht erhalten werden. Die Konsequenzen aus der Aufkündigung des Waffenstillstandes sind für die Türkei und den Rest Europas unterschiedlich zu beurteilen. Auf Operationen türkischer Sicherheitskräfte reagieren die HPG nun deutlich offensiver und aggressiver, ohne dass es allerdings bisher zu einer Eskalation des Konfliktes gekommen ist. Da der Türkei auch in der jetzigen Situation wieder eine Verhandlungsmöglichkeit zur Beendigung der "Konfliktsituation" eingeräumt wurde, steht eine Eskalation nicht zu befürchten. Eine im Zusammenhang mit der Aufhebung des Waffenstillstandes an ausländische Touristen und Investoren in der Türkei gerichtete Warnung wurde zwischenzeitlich relativiert. Der Vorsitzende des KONGRA-GEL stellte klar, dass diese Gruppen nicht Ziel von Angriffen der HPG seien. Man werde im Gegenteil darauf achten, dass keine Zivilisten gefährdet würden. Aus Kreisen der KONGRA-GEL-Führung in Europa gab es bisher keine nennenswerten Reaktionen auf die Erklärung der HPG. 166 Ausländerextremismus Kurdische Politiker aus der Haft entlassen Am 9. Juni hat das oberste türkische Appellationsgericht die Freilassung von vier ehemaligen kurdischen Abgeordneten der 'Demokratiepartei' (DEP) angeordnet, darunter auch Leyla Zana, die sich zehn Jahre in Haft befand. Zana war Anfang der 90er Jahre als erste kurdische Abgeordnete ins türkische Parlament eingezogen. Weil sie ihren Amtseid in kurdischer Sprache und Tracht ablegte, wurde sie Ende 1994 wegen separatistischer beziehungsweise terroristischer Ambitionen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Leyla Zana ist Trägerin des Menschenrechtspreises des EU-Parlamentes sowie des Aachener Friedenspreises. Sie gilt als Symbolfigur für die Forderung nach einer politischen Lösung der Kurdenfrage und als prominenteste politische Dissidentin der Türkei. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, dass sie als Mittlerin zwischen der türkischen Regierung und der Leyla Zana KONGRA-GEL-Führung fungieren und damit einen entscheidenden Beitrag zur Annäherung der beiden Seiten leisten könnte. Strukturen Führungsstrukturen der PKK/des KONGRA-GEL Die Führungsstrukturen der PKK veränderten sich sowohl nach deren Auflösung als auch nach der Auflösung des KADEK. Im KONGRA-GEL ist die Generalversammlung das höchste Entscheidungsorgan, während die praktische Führung von einem 40-köpfigen Exekutivrat unter dem Vorsitz von Zübeyir Aydar und einem Disziplinarausschuss mit elf Personen ausgeübt wird. Führungsstrukturen in Europa In Europa war die PKK, die hier nicht offiziell als Organisation in Erscheinung getreten ist, bis Anfang 2000 in Gestalt der 'Nationalen Befreiungsfront Kurdistans' ('Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan' - ERNK) aktiv. Die ERNK wurde am 21. März 1985 als Propagandaorganisation der PKK gegründet und hatte die Aufgabe, die in Europa lebenden Kurden durch Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie Propagandatätigkeit zu informieren und für den Befreiungskampf zu begeistern. Auf dem 7. Außerordentlichen Parteikongress der PKK im Januar 2000 wurde die ERNK, die auch als der politische Flügel der Partei bezeichnet wurde, aufgelöst. An ihre Stelle trat die 'Kurdische Demokratische Volksunion' (YDK). Die YDK wiederum wurde im Juni aufgelöst und durch die 'Civata Demokratik Kurdistan' (CDK) ersetzt. 167 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Die weisungsberechtigten Funktionäre benutzen wechselnde Aufenthaltsorte, vornehmlich in Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Bis auf einige wenige Funktionäre unterliegt die Führungsriege - auch in Deutschland - einem ständigen Funktionswechsel. In der Regel finden alle sechs bis zwölf Monate Rotationen statt. Die Funktionärswechsel finden auch über die jeweilige Führungsebene hinaus statt. Aus Gründen der Konspiration wechseln die Funktionäre - zumindest vom Gebietsleiter an aufwärts - täglich ihren Aufenthaltsort, benutzen Decknamen und sind in der Regel nur unter Telefonanschlüssen, die auf unverdächtige Personen angemeldet sind, zu erreichen. Es ist ihnen nicht gestattet, eine feste Beziehung mit einem Partner, egal ob innerhalb oder außerhalb der Organisation, einzugehen, da dies die Arbeit erschweren und zeitlich einschränken würde. Regionalstruktur Die im Verfassungsschutzbericht 2003 genannten Organisationseinheiten wurden nach der Umbenennung des KADEK in KONGRA-GEL fortgeführt. So bestehen in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor drei Regionen ("Saha") - Nord, Mitte und Süd - mit zusammen nunmehr 23 Gebieten ("Bölge"). Die Saha Mitte ist mit sieben Gebieten weiterhin annähernd mit den Landesgrenzen des Landes NordrheinWestfalen deckungsgleich. Diese sieben Gebiete, welche sich wiederum in Teilgebiete ("Alan") auf der Ebene von kreisfreien Städten und Kreisen unterteilen, werden durch die größeren Städte Bielefeld, Bonn, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Köln und dem im Jahr 2004 zusätzlich hinzugekommenen Gebiet Essen gekennzeichnet. Dem Gebiet Bielefeld ist außerdem das in Niedersachsen liegende Teilgebiet Osnabrück organisatorisch zugeordnet. Das im zurückliegenden Berichtszeitraum dem Gebiet Bonn zugeordnete Teilgebiet Koblenz (Rheinland-Pfalz) soll nunmehr, zusammen mit dem in Nordrhein-Westfalen liegendem Teilgebiet Siegen, dem Gebiet Giessen (Hessen) zugeordnet worden sein. Die Organisationsstruktur ist weiterhin straff, eine Demokratisierung bis auf die Vereinsebene hat trotz gegenteiliger Bekundungen des KONGRA-GEL bisher nicht stattgefunden. Es sind keine Veränderungen der bereits unter der Bezeichnung PKK kadermäßig aufgebauten regionalen Strukturen festgestellt worden. Die satzungsgemäß geforderte Demokratisierung der Strukturen des KONGRA-GEL hat sich somit in Europa nicht durchgesetzt. Der KONGRA-GEL ist in Deutschland mit seinen zahlreiche Nebenund Teilorganisationen und deren Funktionären weiterhin konspirativ tätig. 168 Ausländerextremismus Führungsstruktur des Freiheitsund Demokratiekongresses Kurdistans (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan, KADEK) Generalvorsitzender Abdullah Öcalan Vorstand Generalversammlung 51 Mitglieder höchstes Beschlussorgan Rat des Generalvorsitzenden 11 Personen Demokratische Volksverteidikurdische Volksgungskräfte union (YDK) Volksrat / (HPG) Führungsrat in Europa Gebiete Teilgebiete Regionen Ort/Stadtteil Stand bis zum 26.10.2003. Der KADEK hat sich auf dem 2. außerordentlichen Kongress am 26.10.2003 aufgelöst. 169 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Massenorganisationen in Europa Neben der YDK hat der KONGRA-GEL in Europa so genannte Massenorganisationen gebildet. Sie sollen der Partei über Einzelorganisationen für bestimmte Personenund Berufsgruppen gezielt weitere Mitglieder zuführen, ohne dass aus dem Organisationsnamen unmittelbar die Verbindung zum KONGRA-GEL hergeleitet werden kann. Folgende Organisationen sind hier bekannt: : 'Partei der freien Frauen' (PJA) : 'Bewegung der freien Jugend Kurdistans' (TECAK) : 'Verband der patriotischen Arbeiter aus Kurdistan' (YKWK) : 'Verband der Student/Innen aus Kurdistan' (YXK) : 'Union der Journalisten aus Kurdistan' (YRK) : 'Union der kurdischen Eltern' (YEKMAL) : 'Union der Lehrer aus Kurdistan' (YMK) : 'Union der Schriftsteller aus Kurdistan' (YNK) : 'Union der kurdischen Juristen' (YHK) : 'Union der Kinder aus Kurdistan' (YZK) : 'Islamische Bewegung Kurdistans' (HIK oder KIH) : 'Föderation der Aleviten Kurdistans' (FEK) : 'Union der Yeziden aus Kurdistan' (YEK). Die 'Partei der freien Frauen' (PJA) führte in der Zeit vom 17. Juni bis 2. Juli ihren nunmehr 5. Kongress durch. Neben einer Neufestlegung des Programms und der Satzung wurde die Umorganisation der Frauenbewegung in drei Einzelorganisationen beschlossen. Diese drei Organisationen sollen jeweils den ideologischen, politischen und militärischen Wirkungsbereich abdecken. In Zukunft soll die 'Freiheitspartei der Frauen Kurdistans' (PAJK) die ideologische Linie bestimmen und Kader heranbilden. Die 'Union der Freien Frau' (YJA) soll als politischer Arm fungieren und die YJA STAR soll als weiblicher Kampfverband die militärische Kraft der Bewegung sein. Kurdischer Nationalkongress (KNK) Am 24. Mai 1999 gründeten in Amsterdam 189 Delegierte den 'Kurdischen Nationalkongress' (KNK) mit vorläufigem Sitz in Brüssel. Beteiligt waren nach eigenen Angaben Vertreterinnen und Vertreter von 29 kurdischen Organisationen aus allen Teilen des kurdischen Siedlungsgebietes sowie von kurdischen Exilorganisationen und Einrichtungen in Europa, Amerika und Asien. Nach Aussage des Gründungskomitees ist das Ziel des KNK, die nationale Einheit der in Kurdistan und in der Diaspora lebenden Kurden zu fördern und eine politische Lösung für das Kurdenproblem zu finden. 170 Ausländerextremismus Strukturen des Freiheitsund Demokratiekongresses Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA GEL) in Nordrhein-Westfalen (einschließlich des dem Gebiet Bielefeld zugeordneten Teilgebiets Osnabrück (NI), des dem Gebiet Giessen (HE) zugeordneten Teilgebiets Siegen (NW) und des bis 2004 dem Gebiet Bonn zugeordneten Teilgebiets Koblenz (RP)) Regionen: Gebiete: Teilgebiete (Städte, Kreise): (Saha) (Bölge) (Alan) Bielefeld, Detmold, Gütersloh, Herford, Bielefeld Osnabrück (NI) Bonn Bonn, Euskirchen, Siegburg, Troisdorf Essen Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Witten, Hattingen, Velbert Dortmund Dortmund, Hagen, Hochsauerlandkreis, Lünen, Olpe (teilweise) Mitte Düsseldorf, Grevenbroich, Krefeld, Düsseldorf Mönchengladbach, Neuss, Remscheid, Solingen, Wuppertal Duisburg Duisburg, Emmerich, Mettmann, Wesel Aachen, Bergisch-Gladbach, Bergheim, Düren, Köln Gummersbach, Heinsberg, Köln, Leverkusen, Olpe (teilweise) Süd Giessen Siegen, Koblenz (RP) 171 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Im KNK spielte der KADEK eine ähnlich dominante Rolle wie im aufgelösten 'Kurdischen Exilparlament'. Die 'Patriotische Union Kurdistans' (PUK) und die 'Demokratische Partei Kurdistans/ Irak' (DPK/I) sind vermutlich wegen dieser Dominanz am Nationalkongress nicht beteiligt. Wie die dem KONGRA-GEL nahe stehende Tageszeitung 'Özgür Politika' berichtete, eröffnete der KNK am 6. Februar 2003 durch den heutigen KONGRA-GELVorsitzenden, Zübeyir Aydar, ein Büro in Berlin. Vor der Auflösung des KADEK angestellte Überlegungen, den KNK eventuell aufzulösen beziehungsweise mit der YDK beziehungsweise CDK zu verschmelzen, wurden bisher nicht umgesetzt. 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEK-KOM) Die am 27. März 1994 in Bochum gegründete 'Föderation kurdischer Vereine in Deutschland' (YEK-KOM) hat seit dem 1. September 1999 ihren Sitz in Düsseldorf. Gemäß den Vereinsunterlagen sieht sie ihre Aufgabe in der Pflege der kurdischen Kultur, Sprache und Tradition. Daneben will sie für Völkerverständigung und Freundschaft werben. YEK-KOM, die in die Strukturen der 'Konföderation kurdischer Vereine in Europa' (KON-KURD) eingebunden ist, ist in der Bundesrepublik die Dachorganisation zahlreicher ihr angeschlossener Mitgliedsvereine. Sie verfügt über eine eigene Internetseite, auf der auch die bundesweit existierenden Mitgliedsvereine, davon 17 Vereine in Nordrhein-Westfalen, aufgeführt sind. YEK-KOM finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und öffentliche Zuschüsse. Am 9. Oktober führte die Föderation in Frankfurt am Main ihren 11. Jahreskongress durch. Einer Meldung der 'Özgür Politika' war zu entnehmen, dass der Bericht über die Tätigkeit der Organisation sowie die Aufstellung eines neuen Arbeitsprogramms im Mittelpunkt der Veranstaltung gestanden hat. In geheimer Wahl sei ein neuer Vorstand, bestehend aus 15 Personen (bisher elf) gewählt worden. Dieser habe deutlich gemacht, dass er die Intensivierung der Vereinsarbeit für die wichtigste Aufgabe der Zukunft hält. Darüber hinaus wolle sich YEK-KOM künftig verstärkt um die sozialen, kulturellen und politischen Belange der in der Bundesrepublik lebenden Kurden bemühen. Finanzierung Die Durchführung von Kampagnen, die Unterhaltung eines eigenen Fernsehsenders, die Unterstützung der HPG und eines eigenen hauptamtlichen Apparates erfordern ei172 Ausländerextremismus nen enormen finanziellen Aufwand. Neben der Zahlung von regelmäßigen Mitgliedsund Vereinsbeiträgen und dem Zeitschriftenverkauf zählt die alljährliche Spendensammlung zu den wichtigsten Finanzierungsquellen des KONGRA-GEL. Darüber hinaus wird auch immer wieder eine Finanzierungsquelle im Bereich der organisierten Kriminalität vermutet. Spendenkampagne 2003/2004 Im Berichtszeitraum begann die Spendenkampagne 2003/2004 am 15. September 2003 und endete, nach einem unbefriedigendem Verlauf um zwei Monate verlängert, am 'Newroz'-Fest (Neujahrsfest) am 28. März 2004. Die Gelder sollen für die Guerilla in den Bergen sowie für Familien und Hinterbliebene gefallener Guerillakämpfer verwendet werden. Daneben dienen sie der Unterstützung der dem KONGRA-GEL nahe stehenden Partei DEHAP im türkischen Kommunalwahlkampf und der Finanzierung des KONGRA-GEL-nahen Fernsehsenders ROJ-TV. Das für Deutschland gesetzte Spendenziel von 10,2 Millionen Euro wurde mit etwa 6,7 Millionen Euro ebenso deutlich verfehlt wie in der Vorjahreskampagne (10 Millionen Euro geplant und 7 Millionen Euro gesammelt). Für Nordrhein-Westfalen war als Ziel ein Gesamtbetrag von 3,1 Millionen Euro festgesetzt worden. Tatsächlich wurden 2,2 Millionen Euro erzielt. Der KONGRA-GEL setzte in der mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen in etwa gleichzusetzenden Saha Mitte Führungsfunktionäre als Spendensammler ein, um den psychischen und vereinzelt auch physischen Druck auf die Spender zu erhöhen. Die Spendenkampagne verlief, von vereinzelten Hinweisen auf Spendengelderpressungen abgesehen, überwiegend friedlich. Medieneinsatz Printmedien Die Printmedien sind ein wichtiges Propagandainstrument für den KADEK. In Deutschland veröffentlicht insbesondere die Tageszeitung 'Özgür Politika' Artikel über Ziele und Aktivitäten der Organisation. Außerdem finden sich in der Zeitung Hinweise auf kleinere Veranstaltungen und ganzseitige Aufrufe zur Teilnahme an Großveranstaltungen. Die 'Özgür Politika' feierte am 21. August im Rahmen einer Saalveranstaltung in Frankfurt/Main ihr zehnjähriges Bestehen. Unter den etwa 1.500 Besuchern soll sich einem Bericht der 'Özgür Politika' zufolge auch der Vorsitzende des KONGRA GEL, Zübeyir Aydar, befunden haben. Neben der 'Özgür Politika' sind die folgenden Zeitungen und Zeitschriften, die Propaganda für den KONGRA-GEL betreiben, besonders wichtig: 173 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 : 'Serxwebun' ('Unabhängigkeit') : 'Kurdistan-Report' : 'Jina Serbilind' ('Die stolze Frau') : 'Sterka Ciwan' ('Stern der Jugend') MEDYA-TV/METV Aufgrund einer Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofes wurde dem Fernsehsender MEDYA-TV am 12. Februar 2004 endgültig die Sendelizenz entzogen. Der Sender stand dem KONGRA-GEL nahe. Als Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei MEDYA-TV um den Nachfolgesender des verbotenen Senders MEDTV handele. Diesem war im März 1999 von der britischen Fernsehkommission die Sendelizenz entzogen worden, weil der Sender mehrfach zu Gewalt im Zusammenhang mit der Festnahme Abdullah Öcalans aufgerufen hatte. MEDYA-TV, das seit dem 13. Mai 1999 über Satellit in Europa und im Nahen Osten zu empfangen war, sendete täglich ein 12bis 14-stündiges Programm. Die Gestaltung des Programms unterschied sich nicht wesentlich von dem anderer Sender. Es überwogen kulturelle, nicht politische Beiträge. Der Sender ermöglichte aber dem KONGRA-GEL die schnelle und umfassende Verbreitung seiner Botschaften. Da MEDYA-TV für den KONGRA-GEL neben der Tageszeitung 'Özgür Politika' das wichtigste Kommunikationsmittel darstellte, war zu erwarten, dass bald ein neuer Fernsehsender den Platz von MEDYA-TV einnehmen würde. Dies war bereits am 1. März der Fall, was darauf schließen lässt, dass der KONGRA-GEL auf ein mögliches Sendeverbot gut vorbereitet war. Die Aufnahme des Sendebetriebes des neuen kurdische Fernsehsenders mit dem Namen ROJ-TV erfolgte am 1. März mit einer Live-Sendung, in der besonders auf die kulturelle Bedeutung eines kurdischen Fernsehsenders hingewiesen wurde. Die Programmgestaltung und Sendeinhalte unterscheiden sich nicht wesentlich von MEDYA-TV, wobei kulturelle Beiträge deutlich überwiegen. Es gibt Hinweise, dass auch in Deutschland Produktionsgesellschaften existieren, die Beiträge für den Sender erstellen. Am 17. Juni 2000 hat ein weiterer kurdischer Fernsehsender mit der Bezeichnung 'Mezopotamya TV' (METV) seinen Betrieb aufgenommen. Die Themenschwerpunkte des nach eigenen Angaben von privaten Investoren betriebenen Senders sind kurdische Kunst, Kultur, Literatur und Sprache. Die Programme der vorgenannten Sender werden täglich in der 'Özgür Politika' veröffentlicht. 174 Ausländerextremismus Moderne Kommunikationstechniken Der KONGRA-GEL veröffentlicht umfangreiche Informationen im Internet. Seit Anfang 2004 ist eine "neue und offizielle" Homepage des KONGRA-GEL erreichbar. Diese Website, die in vier Sprachen aufgerufen werden kann, bietet neben aktuellen Nachrichten auch grundsätzliche Informationen und weiterführende Links zu verschiedenen kurdischen Themen und Organisationen an. Initiativen und Veranstaltungen Kampagnen In diesem Jahr führte der KONGRA-GEL zu mehreren aktuellen (europa-)politischen Themen Kampagnen durch. Die im letzten Berichtszeitraum festgestellte Entwicklung, die Kampagnen auf eine Vielzahl von kleineren regionalen Demonstrationen und Kundgebungen mit jeweils etwa 50-100 Teilnehmern anstelle von einzelnen Großveranstaltungen zu stützen, wurde fortgesetzt. Die Kleinveranstaltungen wurden in Form von Informationstischen in Fußgängerzonen, Demonstrationen, Kundgebungen, kurzen Hungerstreikaktionen, Übergabe von Dossiers an politische und parlamentarische Vertretungen und Kranzniederlegungen vor türkischen Generalkonsulaten durchgeführt. Soweit die Kampagnen von Großdemonstrationen begleitet wurden, fanden diese mit bis zu 30.000 Teilnehmern im europäischen Ausland, unter anderem in Straßburg, Brüssel und Den Haag statt. Im Jahre 2004 waren folgende Themen Gegenstand einer Kampagne: : die Unterstützung der Partei DEHAP im Kommunalwahlkampf in der Türkei : die Aufnahme des KONGRA-GEL in die EU-Terrorliste : die drohende Auslieferung von Nuriye Kesbir durch die Niederlande : die Haftbedingungen Abdullah Öcalans auf der Insel Imrali und : die Kurdenfrage im Rahmen der Aufnahmeverhandlungen der EU mit der Türkei in die Europäische Union. So wurden im Januar europaweit Solidaritätsveranstaltungen zur Unterstützung der KONGRA-GEL-nahen 'Demokratischen Volkspartei' (DEHAP) bei den bevorstehenden Kommunalwahlen in der Türkei am 28. März durchgeführt. Anlässlich der Anschläge auf die Büros der kurdischen Parteien PUK und KDP/I in der nordirakischen Stadt Erbil demonstrierten Anhänger des 'KONGRA-GEL' am 7. Februar 2004 in Köln. Daher entfiel eine nahezu zeitgleich geplante Solidaritätsveranstaltung. Als Reaktion auf den Beschluss des Rats der Europäischen Union vom 2. April, den KONGRA-GEL auf die EU-Liste terroristischer Organisationen aufzunehmen, veran175 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 stalteten Anhänger und Sympathisanten des KONGRA-GEL Protestaktionen in mehreren europäischen Ländern. Auch in Nordrhein-Westfalen wurden in diesem Zusammenhang in zahlreichen Städten durch Mitgliedsvereine des YEK-KOM vielfältige demonstrative Aktionen durchgeführt. Im Rahmen eines Protestmarsches am 14. April 2004 in Krefeld entzündeten etwa zehn Anhänger der TECAK in Krefeld vier mitgebrachte Autoreifen. Dabei wurden auch eine Fahne der PKK sowie zwei Bilder von Abdullah Öcalan gezeigt. Weiterer Sachschaden entstand nicht. Nachdem der Oberste Gerichtshof der Niederlande am 7. Mai die Auslieferung von Nuriye Kesbir, einem führenden Mitglied der ehemaligen 'Arbeiterpartei Kurdistans' (PKK), an die Türkei für zulässig erklärt hatte, wurde gegen diese Auslieferung von KONGRA-GEL auf Europaebene eine Kampagne initiiert. Protestschreiben wurden an die niederländischen Ministerien für Justiz, Äußeres und Inneres gesandt sowie Gespräche mit Vertretern der Europäischen Union (EU) und verschiedener Menschenrechtsorganisationen geführt. Ferner wurde dazu aufgerufen, in ganz Europa vor den diplomatischen VertreNuriye Kesbir tungen der Niederlande zu demonstrieren, Protestnoten zu überreichen und schwarze Kränze niederzulegen, wozu es auch in Düsseldorf am 11. und 18. Oktober kam. Zu den am 22. Mai und 30. Oktober veranstalteten Großkundgebungen in Den Haag reisten mehrere tausend Kurden aus Deutschland, hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen, an. Die Protestkampagne wurde am 1. November beendet. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande entschied am 8. November im Verfahren gegen Nuriye Kesbir, dass vorerst keine Auslieferung an die Türkei erfolgen darf. Gleich drei Kampagnen beschäftigten sich im Jahre 2004 mit den Haftbedingungen, dem Gesundheitszustand und der Forderung nach Freilassung von Abdullah Öcalan. Als erster Höhepunkt wurde am 14. Februar eine Demonstration in Straßburg mit 31.000 Teilnehmern, darunter überwiegend Kurden aus Nordrhein-Westfalen, durchgeführt. Unter dem Motto "Wir erkennen den Vorsitzenden APO als den nationalen Führer an" initiierte die Jugendorganisation TECAK eine weitere Kampagne in Europa. Mit Beginn des '7. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestivals' am 31. Juli in Köln startete die Protestkampagne, die bis zum "12. Internationalen Kurdistan-Kulturfestival", das am 25. September in Gelsenkirchen stattfand, andauerte. Eine dritte Kampagne wurde vom 6. Oktober bis 27. November ebenfalls von veranstaltet. Unter dem Motto "Lasst uns den Widerstand gegen den Verrat ausweiten und uns mit dem Führer APO befreien" wurden in mehreren europäischen Ländern Protestaktionen durchgeführt. Im Rahmen der Kampagne kam es unter anderem auch zu "Aktionen des zivi176 Ausländerextremismus len Ungehorsams". So wurden am 17. Oktober in Paris auf einer zentralen Veranstaltung dieser Kampagne Plastikgegenstände in Brand gesetzt. Die in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Veranstaltungen in Bonn und Duisburg verliefen störungsfrei. In Hagen wurde im Verlauf eines Demonstrationsmarsches am 3. Juli der Straßenverkehr kurzzeitig durch einen Sitzstreik von etwa 20 Teilnehmern blockiert. Gleichzeitig wurden mehrere Öcalan-Bilder gezeigt und Parolen skandiert. In der letzten im Berichtszeitraum angekündigten Kampagne vom 1. November bis zum 17. Dezember thematisierte der KONGRA-GEL die von den europäischen Regierungschefs der EU-Staaten Plakat zum 7. Mazlum Dogan Jugend-, am 17. Dezember beschlossene AufnahKulturund Sportfestival am 31. Juli me von Beitrittsverhandlungen mit der 2004 in Köln Türkei. Im Rahmen dieser Kampagne sollten Politiker und andere öffentliche Stellen angesprochen werden, um die Europäische Union anzuhalten, sich im Zuge der Beitrittsverhandlungen insbesondere mit der "Kurdenfrage" und den hierzu von KONGRA-GEL vertretenen Forderungen zu befassen. Ziel der Verhandlungen der EU mit der Türkei soll die Anerkennung einer kurdischen Identität in der Türkei sein. Die KONGRA-GEL-nahe 'Partei der freien Frauen Kurdistans' (PAJK) und die 'Demokratische Volkspartei' (DEHAP) hatten ihre aktive Beteiligung an der Kampagne angekündigt. In diesem Zusammenhang wurden in mehreren deutschen Städten, in Nordrhein-Westfalen unter anderem in Bielefeld, Düsseldorf, Duisburg, Hagen, Herford und Köln, durch die örtlichen KONGRA-GELnahen Vereine Demonstrationen durchgeführt. Die zentrale Großkundgebung in Brüssel, für die auch in Nordrhein-Westfalen mobilisiert wurde, fand am 11. Dezember statt. Mit etwa 250 öffentlich bekannt gewordenen Kleinveranstaltungen wurden etwa 100 Veranstaltungen weniger durchgeführt als im letzten Berichtszeitraum. Bis auf die genannten Vorfälle mit TECAK-Anhängern in Krefeld und Hagen verliefen die öffentlich wirksamen Aktivitäten wie in den Vorjahren friedlich und störungsfrei. 177 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Das kurdische Neujahrsfest Newroz Unter dem Motto "Frieden, Freiheit und Demokratie" fand am 20. März 2004 die zentrale kurdische Newroz-Feier für die in der Bundesrepublik und den angrenzenden europäischen Staaten lebenden Kurden in Hannover statt. Zu der im Rahmen einer Demonstration durchgeführten Feier hatten YEK-KOM und das 'Kurdistan Zentrum Hannover e.V.' eingeladen. Rund 25.000 Teilnehmer bewegten sich in zwei Marschsäulen zu einem Kundgebungsplatz, auf dem ein mehrstündiges Programm mit musikalischen und folkloristischen Aufführungen sowie Redebeiträgen, unter anderem von Gastrednern aus Deutschland, Frankreich und der Türkei, stattfand. Die Veranstaltung, über die der neue kurdische Fernsehsender ROJ-TV live berichtete, verlief ebenso wie zahlreiche kleine Newroz-Feiern in den örtlichen kurdischen Vereinen friedlich. 7. Mazlum Dogan-Festival im Südstadion in Köln Die Jugendorganisation des KONGRA-GEL, 'Bewegung der freien Jugend Kurdistans e.V.' ('Tevgera Ciwanen Azad a Kurdistan' - TECAK) veranstaltete in Köln vom 30. - 31. Juli im dortigen Südstadion ein Jugend-, Sportund Kulturfestival zum Gedenken an den kurdischen Märtyrer Mazlum Dogan*. Das Fest fand zum zweiten Mal in Köln und insgesamt zum siebten Mal statt. An diesem Fest nahmen etwa 6.000 Personen aus Deutschland und dem benachbarten AusEinladungskarte zum 7. Mazlum land teil, etwa 1000 Teilnehmer kamen aus Dogän -Festival Nordrhein-Westfalen. Das Stadion war mit Bildern Abdullah Öcalans, kurdischen Fahnen sowie Bildern von Mazlum Dogan und des im letzten Jahr unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommenen Funktionärs und Kämpfers Engin Sincer geschmückt. Neben sportlichen Wettbewerben am ersten Tag war der zweite Tag von einem Kulturprogramm und politischen Reden geprägt, in denen für eine friedliche und demokratische Lösung des Kurdenproblems geworben wurde. Darüber hinaus wurden Grußbotschaf- * Bei Mazlum Dogan handelt es sich um einen kurdischen "Märtyrer", der sich ein halbes Jahr nach dem türkischen Militärputsch 1980 im März 1981 aus Protest gegen die Inhaftierung tausender PKK-Anhänger verbrannte. Laut Propaganda des KONGRA GEL setzte er damit ein "Fanal für die Aufnahme des bewaffneten Befreiungskampfes des kurdischen Volkes". 178 Ausländerextremismus ten kurdischer Organisationen verlesen, in denen die Jugendlichen aufgefordert wurden, den politischen Kampf im Sinne Abdullah Öcalans zu verstärken. Die Veranstaltung nahm einen friedlichen und störungsfreien Verlauf. Veranstaltungen des 'CENI - Kurdisches Frauenbüro für Frieden' (KFBF), Düsseldorf Demonstration zum Internationalen Tag der Frau Anlässlich des Weltfrauentages am 8. März beteiligten sich am 6. März in Düsseldorf etwa 1000 überwiegend kurdische Frauen an einer Demonstration unter dem Motto "Frauen marschieren für eine demokratische ökologische Welt". Die Kundgebung war vom dem KONGA-GEL nahestehenden 'CENIKurdisches Frauenbüro für Frieden' (KFBF), angemeldet worden. Die Teilnehmerinnen, auch in traditionellen kurdischen Trachten, trugen Transparente und zahlreiche Plakate zum Thema. So forderten mehrere Plakate die FreiZeichen des heit für die damals noch in der Türkei inhaftierte kurdische Kurdischen Politikerin Leyla Zana und erinnerten an kurdische MärtyreFrauenbüros für rinnen. Mehrere Fahnen der PAJK ('Freiheitspartei der FrauFrieden - CENI - mit en Kurdistans') waren im Demonstrationszug zu sehen. Auch Sitz in Düsseldorf etwa 150 männliche Kurden mit einem Transparent der Jugendorganisation des KONGRA-GEL hatten sich dem Demonstrationszug angeschlossen. 1. Internationales ZILAN Frauenfestival am 10. Juli in Dortmund Das 'CENI - Kurdische Frauenbüro für Frieden' veranstaltete zusammen mit der 'Freiheitspartei der Frauen Kurdistans' und der Fraueninitiative 'Freiheit für Leyla Zana' im Revierpark Wischlingen in Dortmund das "1. Internationale Zilan* - Frauenfestival". Unter dem Motto "Frauen überwinden Grenzen und kommen zusammen!" versammelten sich etwa 3.000 Frauen auf dem Veranstaltungsgelände. Dieses Festival sollte ein Zeichen für einen gemeinsamen Dialog und die Verständigung zwischen den in Deutschland lebenden Frauen verschiedener Kulturen und Nationalitäten sowie ge- * Zeynep Kinaci, genannt Zilan, wird von Angehörigen und Sympathisanten des KONGRA GEL als Märtyrerin verehrt. Türkischen Presseangaben zufolge hat Zilan am 30. Juni 1996 in der ostanatolischen Provinzhauptstadt Tunceli bei einem Selbstmordanschlag während einer Militärveranstaltung mindestens sechs Soldaten getötet. 179 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 gen die weltweit wachsende Gewalt gegen Frauen sein. Das Programm wurde auf einer Hauptund einer Nebenbühne durchgeführt und bestand unter anderem aus Diskussionsrunden, musikalischen und folkloristischen Darbietungen und politischen Redebeiträgen. Auch Frauengruppen aus anderen Ländern, so afrikanische, lateinamerikanische und afghanische Gruppen, nahmen an der Veranstaltung als Akteure und Besucher teil. Auf der Homepage des Frauenbüros wird angekündigt, dass dieses Festival in Zukunft jährlich unter einem neuen Motto und mit anderen Themen stattfinden soll. Beide Veranstaltungen verliefen ruhig und störungsfrei. 12. Internationales Kurdisches Kulturfestival auf der Trabrennbahn in Gelsenkirchen Die 'Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland' ('Yekitiya Komelan Kurd' - YEK-KOM) veranstaltete am 25. September auf der Rennbahn des Trabrennvereins Gelsenkirchen ihr 12. Internationales Kurdisches Kulturfestival unter dem Motto "Kurdische Perspektiven - Wegweiser für Partnerschaft in Europa und im Nahen Osten". Etwa 40.000 Kurden aus der Bundesrepublik Deutschland und dem angrenzenden europäischen Ausland haben sich in Gelsenkirchen zusammengefunden. Wie in den Vorjahren wurde das kulturell und familiär ausgerichtete Festival von den in Europa lebenden kurdischen Familien als Ort der Begegnung genutzt. Das Programm bestand wie üblich aus folkloristischen Darbietungen, dem Verlesen von politischen Grußbotschaften und dem Auftritt bekannter Musikgruppen. Neben Politikern aus Deutschland und dem Plakat zum 12. Kurdischen europäischen Ausland hat unter anderem der VorsitKulturfestival am 25. zende des KONGRA-GEL, Zübeyir Aydar, zu den September 2004 in Teilnehmern gesprochen. Themen waren Gelsenkirchen insbesondere der Beitritt der Türkei zur EU und die Rolle der Kurden in diesem Prozess sowie die Spaltung der Organisation. In allen Reden kurdischer Vertreter wurde die Abspaltung der Gruppierung um Osman Öcalan thematisiert, ohne dass dadurch bei den Teilnehmern erkennbare Reaktionen hervorgerufen wurden. In mehreren Beiträgen wurde die Einheit des KONGRA-GEL beschworen. Das Festivalgelände in Gelsenkirchen war ebenfalls Ziel des durch TECAK (Jugend180 Ausländerextremismus organisation des KONGRA-GEL) in der Zeit vom 19. - 25. September veranstalteten Marsches von Herford nach Gelsenkirchen. Der Marsch wurde auch für die Werbung zur Teilnahme am Festival genutzt. Abgesehen von einem Zwischenfall in Hamm, bei dem nach einer verbalen Provokation durch türkische Jugendliche vom Straßenrand eine Fensterscheibe zu Bruch ging, verlief der Marsch TECAK-Logo friedlich und störungsfrei. Verbotene Symbole (PKK-Fahnen, KADEK-Stirnbänder etc.) wurden insbesondere beim Einmarsch der Jugendlichen gezeigt, blieben im übrigen Verlauf der Veranstaltung aber auf Einzelfälle beschränkt. Das Bemühen der Organisatoren, mit der Veranstaltung verstärkt junge Menschen anzusprechen, zeigte sich in diesem Jahr an dem von TECAK organisierten Marsch und an der Gestaltung der Musikbeiträge, die am Geschmack Jugendlicher ausgerichtet waren. Die wenigen traditionellen folkloristischen Musikdarbietungen traten dagegen in den Hintergrund. Auch wenn das Festival etwa 15.000 Besucher weniger hatte als die Vorjahresveranstaltung, war das Festival ein Indiz für die hohe Mobilisierungskraft der Kurden in Europa und für die friedliche Forderung nach einer verbesserten sozialen und politischen Lebenssituation von Kurden. 5.3 Iranische Organisationen 5.3.1 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), Volksmojahedin Iran-Organisation (MEK) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bund NRW Sitz Berlin Köln Mitglieder 2004 ca. 900 ca. 350 2003 ca. 900 ca. 350 Internet diverse mehrsprachige Homepages 181 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Publikationen 'Mojahed'; 'Iran Liberation' Fernsehsender 'IRANNTV', Sitz London ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Aus mehreren kleineren iranischen Oppositionsgruppen und der 1965 gegründeten 'Volksmojahedin Iran-Organisation' ('Mojahedin-E-Khalq' - MEK) entstand 1981 in Paris der 'Nationale Widerstandsrat Iran' (NWRI). Der NWRI vertritt die 'Volksmojahedin' in Deutschland. Ziel der 'Volksmojahedin' ist der Sturz des iranischen Regimes. Zu diesem Zweck unterhalten sie im Irak die 'Nationale Befreiungsarmee' (NLA), die als militärischer Arm der Organisation fungiert. Damit werden Bestrebungen verfolgt, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Die MEK gilt als die schlagkräftigste und militanteste iranische Oppositionsgruppe und nimmt für sich in Anspruch, die "einzige demokratische Alternative" zum iranischen Regime zu sein. Sie ist eine streng hierarchische Kaderorganisation mit ursprünglich revolutionär-marxistischer Ausprägung, vermischt mit Elementen des schiitischen Islam. Nach dem Sturz des Schah von Persien, an dem die MEK beteiligt war, und dem sich anschließenden, verlorenen Machtkampf gegen Khomeini wurde die Organisation 1981 im Iran verboten. Die MEK-Führung musste ins Ausland fliehen. Im Pariser Exil gründete Massoud Radjawi den durch die MEK dominierten 'Nationalen Widerstandsrat Iran'. Seine Ehefrau Maryam Radjawi wurde 1993 durch den NWRI zur "Exilpräsidentin" gewählt. Mitte 2002 ist die MEK in die Liste der terroristischen Organisationen der Europäischen Union aufgenommen worden, der NWRI als politischer Arm ist von dieser Maßnahme nicht betroffen. In ihrem Kampf gegen die iranische Führung verfolgt die MEK eine Doppelstrategie: Neben der politischen Agitation und den Geldbeschaffungsmaßnahmen des NWRI führen bewaffnete Kräfte der Organisation von irakischen Stützpunkten aus militärische Aktionen gegen staatliche iranische Einrichtungen und Repräsentanten aus. So unterhält die MEK die 'Nationale Befreiungsarmee' (NLA), eine von weiblichen Kämpferinnen dominierte Rebellenarmee, die vom Irak bis zum Ende der Herrschaft Saddam Husseins zumindest logistisch unterstützt wurde. Die MEK - in Deutschland durch ihren weltweit agierenden politischen Arm NWRI vertreten - bemühte sich in den vergangenen Jahren, die iranische Führung im westlichen Ausland zu diskreditieren. Die Organisation sieht in militanten Störaktionen, insbesondere bei Staatsbesu182 Ausländerextremismus chen von Mitgliedern der iranischen Staatsführung in Deutschland, legitime Protestmittel. Struktur Der NWRI unterhält neben der offiziellen Deutschlandvertretung in Berlin ein Büro in Köln. Zur Durchführung seiner propagandistischen und finanziellen Aktivitäten bedient sich der NWRI in Deutschland zahlreicher Vereine, die seinem Einflussbereich zugerechnet werden können. Hierzu zählen unter anderem: : 'Frauen für Demokratie im Iran e.V. ' (der Verein wurde im September 2004 aufgelöst) : 'Verein der Iraner in Wuppertal e.V.', Wuppertal : 'Kunst-und Kulturfreunde e.V.', Bonn : 'Menschenrechtsverein für Migranten e.V.', Aachen : 'Menschenrechtsverein für Iranische Migranten e.V.', Düsseldorf : 'Frauen gegen Fundamentalismus für Emanzipation e.V.' (FFE), Köln Finanzierung In der Vergangenheit setzte der NWRI auf großangelegte Spendenkampagnen zur Finanzierung der in Europa aufgebauten Organisationsinfrastruktur, aber auch zur Finanzierung der NLA im Irak. Die Spendenkampagne wurde hauptsächlich von Tarnvereinen für vorgeblich humanitäre Zwecke organisiert. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Organisation in 2004 ihre Sammlungsaktivitäten, besonders im Bereich der Straßensammlungen, deutlich verstärkt. Nachdem die 'Flüchtlinshilfe Iran' (FHI) im Jahr 2003 aufgelöst worden war, wurden Personen, die in der Vergangenheit für diese Organisation gespendet hatten, schriftlich durch den 'Menschenrechtsverein für Migranten e.V.' mit Sitz in Aachen kontaktiert. Weiterhin bezieht die MEK Einnahmen aus dem Vertrieb der organisationseigenen Publikation 'Modjahed'. Aktuelle Entwicklung Seit Ende des Irak-Krieges im Mai 2003 befinden sich etwa 3.850 entwaffnete NLAAngehörige im einzigen noch verbliebenen MEK-Camp 'Ashraf' in der Nähe von Bagdad unter US-Aufsicht. Der am 9. Dezember 2003 ergangene Beschluss des provisorischen irakischen Regierungsrates, die NLA-Lager im Irak bis Ende 2003 aufzulösen sowie Waffen und das Vermögen zu beschlagnahmen, wurde nicht umgesetzt. In einem vom Stellvertretenden Generalkommandeur der Multinationalen Truppen im Irak unterzeichneten Memorandum vom 21. Juli wurde den NLA-Angehörigen im 183 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Camp 'Ashraf' der Status von "geschützten Personen" nach den Bestimmungen der Vierten Genfer Konvention zuerkannt. In der Konsequenz ist eine Auslieferung der NLA-Kämpfer an den Iran damit ausgeschlossen. Initiativen und Veranstaltungen Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des 'Nationalen Widerstandrates Iran' (NWRI) als politischem Flügel der MEK waren in 2004 durch vier Themen geprägt: : Sicherung und Legalisierung der NLA-Kämpfer im Camp 'Ashraf' im Irak : Streichung der MEK/NLA von der EU-Terrorliste : Politische Aufwertung des NWRI am Sitz der Europazentrale in Auvers-sur-Oise (Frankreich) : Präsentation angeblicher Enthüllungen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm Der NWRI legte in 2004 den Schwerpunkt auf Großveranstaltungen im europäischen Ausland, an denen auch NWRI-Anhänger aus NRW teilnahmen. Vor dem Hintergrund der möglichen Ausweisung von MEK-Angehörigen aus dem Irak wurden bereits im Dezember 2003 begonnene regelmäßige kleinere Protestkundgebungen vor dem US-Generalkonsulat in Düsseldorf mit etwa 15-20 Teilnehmern im Januar 2004 fortgesetzt. Am 2. Januar fand in Berlin eine zentrale Demonstration mit etwa 500 Teilnehmern statt, auf der hochrangige Vertreter des NWRI, unter anderem aus Deutschland, den Schutz der NLA-Kämpfer im Irak forderten. Offizieller Anlass der Kundgebung war das Gedenken an die Erdbebenopfer in Bam. Die Situation der NLA-Kämpfer im Camp 'Ashraf' war ebenfalls zentraler Punkt einer Saalveranstaltung aus Anlass des persischen Neujahrsfestes am 21. März in der Nähe von Brüssel mit - nach Angaben des NWRI - 12.000 Teilnehmern. Zu der Veranstaltung waren auch mit dem NWRI sympathisierende Parlamentarier aus dem europäischen Ausland eingeladen. Darüber hinaus wurde die Streichung der MEK von der EU-Terrorliste gefordert. Am 5. Mai fand in Berlin eine Veranstaltung der Rechtsanwaltskammer Berlin zusammen mit dem 'Republikanischen Anwaltsverein' und der 'Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Landesverband Berlin-Brandenburg' statt. Für die Teilnahme an der Veranstaltung wurde auf Internetseiten des NWRI geworben. Die juristischen Referenten unterstützten das Begehren des NWRI, die Ausweisung der NLAAngehörigen aus dem Irak zu verhindern beziehungsweise Aufnahme als Asylberechtigte in sicheren Drittstaaten zu erhalten. Ein ähnliches Symposium war bereits am 10. März in Paris abgehalten worden. Mehr 184 Ausländerextremismus als 80 Rechtsanwälte, Staatsrechtler, Parlamentarier und ehemalige politische Würdenträger äußerten übereinstimmenden in einem Votum, dass eine Ausweisung der MEK-Mitglieder aus dem Irak sowohl gegen die Haager Landkriegsordnung als auch gegen die Genfer Konvention verstoßen würde. Der NWRI führte am 16. April eine Kundgebung mit etwa 100 Teilnehmern vor dem britischen Generalkonsulat in Düsseldorf durch. Anlass war der Jahrestag der Auslieferung zweier Mitglieder der MEK mit britischem Aufenthaltsstatus aus Syrien in den Iran. Der Jahrestag der Razzia der französischen Polizei gegen die NWRI-Europazentrale am 17. Juni 2003 war Anlass eines Treffens von etwa 2.000 Personen am 17. Juni 2004 in Auvers-sur-Oise bei Paris. Versammelt hatten sich Anhänger und Sympathisanten der MEK/NWRI, darunter zahlreiche aus Deutschland angereiste Teilnehmer. Die Veranstaltung, die als Kulturund Konzertereignis gestaltet wurde, verlief friedlich. Im Mittelpunkt stand die Ansprache von Maryam Radjawi. Sie verurteilte die Polizeimaßnahmen in Frankreich als rechtlich nicht haltbar und forderte die Streichung der MEK von den Listen terroristischer Organisationen der USA und der EU. In Zusammenhang mit dem Vorgehen der französischen Behörden im Jahr 2003 gegen die MEK - in deren Folge es aus Protest von Anhängern zu Selbstverbrennungen gekommen war - stand auch die Trauerfeier auf dem Kölner Westfriedhof am 9. Juli 2004. Etwa 150 NWRI-/MEK-Anhänger versammelten sich im Gedenken an zwei Frauen, die auf diese Weise ums Leben kamen und auf diesem Friedhof bestattet worden sind. Die Forderung nach einer Streichung der MEK von der Liste der terroristischen Organisationen der EU wurde mit Nachdruck am 13. September in Brüssel bei einer zentralen Demonstration von Anhängern des 'Nationalen Widerstandsrates Iran' (NWRI) erhoben. Es nahmen Agenturberichten zufolge rund 4.500 Personen teil, während der Veranstalter eine Teilnehmerzahl von etwa 25.000 angab. Im Vorfeld wurde deutschlandweit massiv mobilisiert und mit Flugblättern zur Teilnahme an der Veranstaltung aufgefordert. In diesem Zusammenhang wurde auch auf Webseiten geworben, die der MEK/NRWI nahe stehen. Eine in Farsi und Englisch verfügbare Homepage wurde eigens für diese Veranstaltung von Nordrhein-Westfalen aus angemeldet. Zweites Thema der Veranstaltung war die Warnung vor einer unkontrollierten Nuklearforschung des Iran zu mutmaßlich militärischen Zwecken. Zur gleichen Thematik wurde am 19. November eine Demonstration in Washington D.C. mit mehreren tausend Teilnehmern abgehalten. Nach dem Vorbild der Veranstaltung am 10. März in Paris fand am 10. November, ebenfalls in Paris, ein internationales Treffen von Juristen und Parlamentariern zum Thema "Streichung der MEK von der EU-Terrorliste" statt. Übereinstimmendes Vo185 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 tum war, dass das Führen der MEK in dieser Liste einer rechtlichen Grundlage entbehre. Mitte November erlangte der NWRI auf Pressekonferenzen in Paris und Wien mit angeblichen Informationen über geheim betriebene militärische Atomanlagen im Iran internationale Aufmerksamkeit. Medieneinsatz Die Organisation hat den Einsatz elektronischer Medien im Jahr 2004 erneut ausgebaut. Dieser befindet sich inzwischen auf bemerkenswert hohem Niveau. Das TV-Programm des NWRISenders 'IRANNTV' wird nicht nur über Satellit, sondern ebenso über das Internet übertragen. Neben den offiziellen Websites des NWRI beziehungsweise der MEK gibt es eine Vielzahl von Homepages, die aufgrund ihres Angebotes beiden Organisationen zugeordnet werden können. Diese werden nicht nur zur Verbreitung von Propaganda genutzt, sondern dienen auch als Kommunikationsplattform für Mitglieder. Die Angebote sind hauptsächlich in Farsi, aber auch in Englisch, Französisch und Deutsch verfügbar. Seit über einem Jahr ist auch die Print-Ausgabe des 'Mojahed', des periodisch erscheinenden Presseorgans der MEK, online verfügbar. Zu Großveranstaltungen des NWRI werden im Vorfeld Internetpräsenzen angemeldet, die alleine dem Zweck dienen, für diese Veranstaltungen zu werben. Die Veranstaltungen selbst werden häufig von Live-Reportagen begleitet und anschließend mit umfangreichen Bildergalerien im Internet dokumentiert. Bewertung Die Situation der Organisation ist unsicher. Die NLA als bewaffneter Arm der MEK ist durch die Aufsicht der US-Armee neutralisiert. Die Einstufung auch des NWRI als terroristische Organisation in den USA und die Polizeiaktion in Frankreich im Jahr 2003 haben den NWRI stark verunsichert und finanziell geschwächt. Nach dem Verlust der militärischen Optionen und den repressiven Maßnahmen in Frankreich im vergangenen Jahr versucht der NWRI, die Fähigkeit zur politischen Initiative unter Beweis zu stellen und das Stigma der terroristischen Organisation abzulegen. Er wirbt nach wie vor gezielt um die Unterstützung von Politikern aus dem westlichen Ausland. Besonderes Gewicht legt der NWRI auf seine Rolle als Nachrichtenlieferant zum iranischen Atomprogramm. Vor allem die Veröffentlichungen im November 2004 haben ein großes Medienecho hervorgerufen. Ziel des NWRI beziehungsweise der MEK ist es, durch die angeblichen Enthüllungen des illegalen Atomwaffenprogramms des Iran als einzige legale iranische Widerstandsgruppe politisch akzeptiert zu werden und von den Terrorlisten sowohl der USA als auch der EU genommen zu werden. 186 Ausländerextremismus 5.3.2 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Köln Mitglieder Bund NRW 2004 ca. 400 ca. 120 2003 ca. 400 ca. 120 Internet mehrsprachige Homepage Publikation 'WPI Briefing' ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bei der 'Arbeiterkommunistischen Partei Iran' (API) handelt es sich um eine Abspaltung der 'Kommunistischen Partei Irans' (KPI), die Ende 1991 gegründet wurde. Sie tritt auch unter der Bezeichnung 'Kommunistische Arbeiterpartei Irans' sowie unter den Namen 'Auslandsorganisation der Arbeiterkommunistischen Partei Iran - Sektion Deutschland' und 'Exilregierung der iranischen Arbeiterpartei' auf. Die Ziele der API sind die Errichtung eines Arbeiterstaates und die Realisierung des ökonomischen und politischen Programms des Arbeitersozialismus im Iran. Die Organisation sieht den revolutionären Umsturz der Islamischen Republik Iran als Voraussetzung an. Die API bejaht die Anwendung von Gewalt und verfolgt damit Bestrebungen, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Hintergrund Nach dem Parteiprogramm des Jahres 1994 handelt es sich bei der API um eine kommunistische Partei marxistischer Prägung. Sie hat sich die Aufgabe gestellt, die soziale Revolution der Arbeiterklasse zur Beseitigung des kapitalistischen Systems zu organisieren und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Ökonomische und soziale Gleichheit sowie politische Freiheit und freie geistige und materielle Entfaltung der Menschen werden für diese Gesellschaft als Basis angesehen. Die API bezeichnet sich als eine "antireligiöse und anti-islamische Partei". In Deutschland trat die Partei in der Vergangenheit im Zusammenhang mit zahlreichen, größtenteils friedlich verlaufenden Veranstaltungen in Erscheinung. Allerdings besetzten im August des Jahres 1999 API-Anhänger die Räume des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Weiterhin kam es im April 2000 anlässlich einer mehrtägigen politischen Diskussionsveranstaltung in Berlin zu gewalttätigen Störungen durch An187 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 hänger der API, die zum Abbruch der Veranstaltung führten. Aktuelle Entwicklungen in der Organisation Vorsitzender der Organisation war bis zu seinem Tod am 4. Juli 2002 ihr Gründer Mansour Hekmat. Auf dem 17. Plenum des Zentralkomitees der API Anfang März 2003 wurde als Interimsvorsitzender Koorosh Modaresi gewählt. Auf dem 4. Kongress der API vom 12. bis 13. Dezember 2003 wurde das Zentralkomitee der Partei neu gewählt. Dieses bestimmte Hamid Taghvaie zum neuen Parteivorsitzenden. Am 24. August kam es zu einer Spaltung innerhalb der API. Einige Mitglieder des Zentralkomitees unter der Führung von Koroosh Modaresi, der im Jahr 2003 Parteivorsitzender war, kündigten aufgrund länger andauernder unüberbrückbarer programmatischer Differenzen an, die Partei zu verlassen. Die abgespaltene Gruppe hat eine neue Partei mit dem Namen 'Arbeiterkommunistische Partei Iran-Hekmatist' (API-Hekmatist) gegründet. Auf dem 5. Parteitag der API vom 18. bis 19. September wurde die Spaltung der Partei thematisiert, und es wurden die ideologischen Gründe der Trennung herausgestellt. Der API-Vorsitzende Hamid Taghvaie warf der neuen Gruppierung vor allem vor, das ideologische Erbe des Parteigründers Mansour Hekmat zu verraten, indem diese von der marxistischen Lehre abweiche und nicht mehr den Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft durch eine Revolution der Arbeiterklasse (und deren Partei) als Vorrausetzung für die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung fordere. Stattdessen erwäge die API-Hekmatist zur Ablösung des islamischen Regimes eine Zusammenarbeit mit anderen politischen Gruppierungen. Diese Haltung wird von der API als bürgerlich-rechtsgerichtet gebrandmarkt. Andererseits wird die orthodox-marxistische Einstellung der API vom API-Hekmatist-Vorsitzenden Modaresi als obsolet und nicht zukunftsfähig abgelehnt. Beide Parteien, sowohl die API als auch die API-Hekmatist, sehen sich als einzige legitime Nachfolger des Parteigründers. Strukturen Die API wird von einem Zentralkomitee und einem Politbüro geleitet. Mit der 'Organisation der Jungen Kommunisten Deutschland' verfügt die API über eine eigene Jugendorganisation. Mit folgenden Organisationen bestehen strukturelle und ideologische Verflechtungen: : 'Hambastegi - Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrationsräte, Verband Deutschland e.V.' (IFIR) in Berlin. Der Kölner Verein 'Hambastegi - Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge' ist Mitglied der bundesdeut188 Ausländerextremismus schen Sektion der IFIR. : 'Internationale Kampagne zur Verteidigung von Frauenrechten im Iran e.V.', Hauptsitz in Köln. : 'Internationales Komitee gegen Steinigung', Hauptsitz in Köln Die Spaltung der API spiegelte sich im Verein IFIR wider. Auf der Hompepage der 'API-Hekmatist' ist mit Datum vom 29. September ein Schreiben veröffentlicht, in dem mehrere Mitglieder ihren Austritt aus der IFIR erklären und eine neue 'Internationale Organisation Iranischer Flüchtlinge' gründen. Initiativen und Veranstaltungen Im gesamten Jahr 2004 veranstalteten die API und die ihr nahe stehenden Organisationen eine Vielzahl kleinerer Demonstrationen und Kundgebungen mit Schwerpunkt in Köln. Von der 'Internationalen Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran' und dem 'Internationalen Komitee gegen Steinigung' wurden etwa 30 Kundgebungen veranstaltet. Sie hatten überwiegend die Menschenrechtssituation im Iran zum Thema und verliefen jeweils mit geringer Teilnehmerzahl (zwischen zehn und 15 Personen) friedlich. Am 28. November demonstrierte die API in Bochum mit 35 Personen anlässlich des Besuchs des iranischen Vizepräsidenten im Rahmen einer Kulturausstellung. Die Demonstration verlief friedlich. Medieneinsatz Die API nutzt das Internet intensiv, um ihre Themenfelder wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterschaft im Iran, den Antiimperialismus und den Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung zu propagieren. Seit dem Jahr 2004 wird auch täglich ein Radiosowie einmal pro Woche ein Fernsehprogramm ausgestrahlt. Bewertung Nach der Spaltung der API und der mit ihr verbundenen IFIR ist die Organisation personell und finanziell geschwächt. Die weitere Entwicklung der Partei und der abgespaltenen Gruppierung bleibt abzuwarten. 189 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 5.4 Extremistische Bestrebungen von Kosovo-Albanern im Bereich der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien Auch in Nordrhein-Westfalen sind Vereinigungen aktiv, deren Anhänger auf dem Balkan unter Anwendung von Gewalt die Vereinigung der überwiegend von Albanern bewohnten Gebiete mit der Republik Albanien anstreben. Dies betrifft Teile SerbienMontenegros, des Südens der Teilstaaten Serbien und Montenegro, des Kosovo, des Presovo-Tals und des diesem angrenzenden Teils Nord-Mazedoniens sowie NordGriechenlands. In NRW richten sich die Aktivitäten dieser Gruppierung auf Geldsammlungen zur Unterstützung ihrer Ziele auf dem Balkan. Sie verfolgen damit Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, und erfüllen die Voraussetzungen zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 VSG NW. 5.4.1 Volksbewegung von Kosovo (Levizija Popullor e Kosover - LPK) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2004 >50 150 2003 >50 150 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Bei der 'Volksbewegung von Kosovo' (LPK) handelt es sich um eine linksextremistische, nationalistische Partei, welche als Sammelbecken ehemaliger UCK-Kämpfer gilt. Hintergrund Die Anfänge der LPK reichen in das Jahr 1982 zurück, in dem die Volksbewegung im ehemaligen Jugoslawien als leninistisch-marxistische Bewegung gegründet wurde. Die Aktivitäten in Deutschland beschränkten sich bisher hauptsächlich auf die Unterstützung des kosovo-albanischen Befreiungskampfes. In den vergangenen Jahren unterstützte die LPK drei albanische Befreiungsarmeen: Von 1996 bis 1999 die 'KosovoBefreiungsarmee' ('Ushtria Clirimtare e Kosoves' - UCK), von Frühjahr 2000 bis Mai 2001 die in Südserbien agierende 'Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac' (UCPMB), sowie zuletzt die 'Nationale Befreiungsarmee Mazedoniens' (sie verwendet, wie die Befreiungsarmee aus dem Kosovo, das Kürzel UCK, allerdings als 190 Ausländerextremismus Abkürzung für 'Ushtria Clirimtare Kombetare'). Die LPK organisierte zu diesem Zweck großangelegte Spendenkampagnen, die mit der Rückkehr der kosovo-albanischen Flüchtlinge bereits im Jahre 2001 deutlich reduziert waren. Die LPK unterhält in Deutschland eine Sektion. Deren Funktionäre sind für bestimmte Regionen zuständig und sollen in den allgemeinen albanischen Arbeiterund Kulturvereinen für die Sache der LPK werben und zu Spenden aufrufen. In den vergangenen Jahren waren die Aktivitäten dieser Funktionäre zurück gegangen. Im Berichtszeitraum konnten, im Zusammenhang mit den am 25. Oktober im Kosovo stattfindenden Wahlen zum kosovarischen Parlament, wieder vermehrt das Aufsuchen von Versammlungen und Aufrufe zu Spenden festgestellt werden. 5.4.2 Front für nationale Vereinigung (Fronti per Bashkim Kombetar Shqiptar - FBKSh) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2004 >20 50 2003 >20 50 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die politische Bewegung 'Front für nationale Vereinigung' (FBKSh) wurde am 13. Februar 2002 in Tirana (Albanien) gegründet. Sie ist die Nachfolgeorganisation des im Jahre 2000 gegründeten 'Nationalkomitees für die Befreiung und Verteidigung der albanischen Territorien' ('Komiteti Kombetar per Clirimin dhe Mbrojtjen e Tokave Shqiptare' - KKCMTSh). Vorsitzender der FBKSh ist der in Mazedonien lebende Gafurr Adili. Eine weitere Führungsperson ist der mittlerweile in Albanien lebende politische Sekretär Idajet Beqiri. Beide Funktionäre lebten zunächst in Westeuropa, wurden aber aufgrund internationaler Haftbefehle festgenommen, nach Albanien ausgeliefert und dort unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Hass verurteilt. Nach Verbüßen der Haftstrafen sind beide in begrenztem Umfang Wappen der FBKSh wieder politisch tätig. Eine Einreise nach Westeuropa bleibt ihnen aufgrund bestehender Einreiseverbote verwehrt. Schwerpunkte der Bewegung in Deutschland liegen in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen trat insbesondere Idajet Beqiri bei 191 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 mehreren Saalveranstaltungen in albanischen Arbeiterund Kulturvereinen als Redner auf und warb um Mitglieder für seine politische Bewegung und um Spenden. Wesentliche Erfolge konnte er nicht erringen. Auch der Aufbau eines Funktionärsnetzes war nur begrenzt erfolgreich. Am 15. Dezember 2003 wurde er an der Grenze zur Schweiz aufgrund des oben genannten Haftbefehls vom deutschen Bundesgrenzschutz verhaftet und am 15. Juni an Albanien ausgeliefert. Mitglieder der Vorstände für Europa und den Bereich der Bundesrepublik Deutschland wohnen auch in NordrheinWestfalen und sind hier aktiv. Mehrere Planungstreffen auf Europaebene haben in NRW stattgefunden. Albanische Nationalarmee (Armata Kombetare Shqiptare - AKSh) Die 'Albanische Nationalarmee' ('Armata Kombetare Shqiptare' - AKSh) wurde vor der 'Front für nationale Vereinigung' (FBKSh) am 15. Dezember 1999 als eine militärische Organisation gegründet. Sie agiert als militärischer Arm der FBKSh und operiert größtenteils auf dem Balkan in den überwiegend ethnisch albanisch besiedelten Gebieten. Dieser extremistisch-terroristischen Gruppierung gehören Mitglieder und Anhänger der ehemaligen UCK des Kosovo und Mazedoniens und militaristisch orientierte Mitglieder einiger albanischer und mazedonischer Parteien an. Die AKSh ist zum erstenmal im Frühjahr 2000 mit Propagandaaktionen und Anschlägen auf Polizeiposten im Norden Mazedoniens öffentlich in Erscheinung getreten. Seitdem zeichnet sie, nach eigenen Veröffentlichungen im Internet, für mehrere Überfälle auf weitere Polizeiposten im Norden Mazedoniens, im Grenzgebiet zum Kosovo und im südserbischen Tal von Presovo verantwortlich. Als letzte Aktion ist der Überfall auf Wappen der AKSH den Grenzposten in Debellde am 13. Oktober 2003 bekannt geworden. Anfang 2003 hat die AKSh im Internet öffentlich zum bewaffneten Kampf aufgerufen. Die Übergangsverwaltung der UN im Kosovo ('United Nations Interim Administration Mission in Kosovo' - UNMIK) hat mit einer Verwaltungsdirektive am 17. April 2003 die AKSh zu einer terroristischen Organisation erklärt. Vorausgegangen war ein am 13. April 2003 durch die AKSh verübter Anschlag auf eine Eisenbahnbrücke bei Zvecan. Nach den Unruhen im März 2004 im Norden des Kosovo traten uniformierte AKSh-Mitglieder dort in einigen Dörfern auf. Eine daraus gefolgerte Urheberschaft für die Unruhen in Kosovska Mitrovica konnte nicht bestätigt werden. Kämpfer der AKSh konnten in Nordrhein-Westfalen nicht festgestellt werden. Die AKSh wird allerdings überwiegend aus Geldern unterstützt, die von in Westeuropa, vor allem in Deutschland und der Schweiz, lebenden Albanern an Unterstützungs192 Ausländerextremismus fonds und Unterstützungsvereine gespendet werden. In NRW konnten ebenfalls Aktivitäten zugunsten eines Fonds und eines Unterstützungsvereins festgestellt werden. Einschätzung und Perspektive Im Kosovo schreitet ein Normalisierungsprozess voran, der sich auch in den jüngsten Wahlen zum kosovarischen Parlament und der unkomplizierten Regierungsbildung zeigt. In diesem Zuge verliert die LPK sowohl im Kosovo als auch in Deutschland, und somit auch in NRW, weiter an Bedeutung. Bei den jüngsten Parlamentswahlen am 25. Oktober errang die LPK wieder lediglich 0,65% (2001: 0,56%) der Stimmen. Daher versuchen auf dem Balkan Mitglieder der LPK verstärkt, in anderen Organisationen, Gruppierungen und Parteien mit unterschiedlicher, teils extremistischer Ausrichtung, den Gedanken eines Großalbanien mit politischen, teilweise auch terroristischen Mitteln fortzuführen. Da die albanische Bevölkerung in Deutschland im Hinblick auf den weiterhin ungeklärten politischen Status des Kosovo unzufrieden ist, ist ein verstärkter Zulauf zu extremistischen Gruppen zu erwarten. Damit wächst auch unter den Exil-Albanern eine erhöhte Bereitschaft, extremistische Gruppen wie die LPK und die FBKSh zu unterstützen. Die LPK versucht, den vor den Wahlen zum Parlament des Kosovo entfachten Schwung zu halten und neue Spendenaktivitäten zu entwickeln. Gelingt es der FBKSh, auch ohne Idajet Beqiri, in Nordrhein-Westfalen Strukturen aufzubauen, könnte dies zu einer erhöhten Mobilisierung der hier lebenden Exil-Albaner führen. 5.5 Tamilen: Tamilische Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelam) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Deutsche Sektion: Oberhausen Mitglieder Bund NRW 2004 ca. 750 ca. 280 2003 ca. 750 ca. 280 Internet englischsprachige Homepage ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 193 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Hintergrund Die 'Liberation Tigers of Tamil Eelam' (LTTE) streben seit 1972 die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Staates 'Tamil Eelam' auf dem überwiegend von Tamilen bewohnten Nord-Ost-Territorium von Sri Lanka an. Zur Durchsetzung ihrer Ziele führt die LTTE seit 19 Jahren einen erbitterten Guerillakrieg gegen die singhalesische Zentralregierung und verübt Terroranschläge gegen srilankische und indische Ziele. Damit verfolgen die in Deutschland lebenden Anhänger der LTTE Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; sie erfüllen damit die Voraussetzungen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW. Der von den LTTE geführte Guerillakrieg gegen die singhalesische Zentralregierung hat bereits mehr als 60.000 Menschen das Leben gekostet. Auch bei ihren Terroranschlägen nehmen die LTTE den Tod von Zivilisten in Kauf. Struktur Die LTTE-Sektion Deutschland wird durch konspirative Zellen gebildet, die sich nach außen völlig abschotten. Die der LTTE nahe stehenden Organisationen sind: : 'World Tamil Movement e.V.' (WTM), Sitz: Stuttgart (wurde im Jahre 2001 von Wuppertal nach Stuttgart verlegt), : 'Tamil Rehabilitation Organization e. V.' (TRO), Sitz: Wuppertal : 'Tamil Coordination Comitee' (TCC), Sitz: Oberhausen : 'Tamil Student Organization e.V.' (TSV), Sitz: Neuss Aktivitäten Die Aktivitäten der LTTE werden bundesweit von Nordrhein-Westfalen aus gesteuert. Im Berichtszeitraum fanden neben Sportveranstaltungen, insbesondere zu den Heldengedenktagen, mehrere Großveranstaltungen mit bis zu 10.000 Teilnehmern in Nordrhein-Westfalen statt. Finanzierung Um ihre bewaffneten Aktionen in Sri Lanka zu finanzieren, ist die LTTE auf Gelder angewiesen, die auch von den in Deutschland lebenden Tamilen durch Spenden aufgebracht werden. Hilfsund Tarnorganisationen der LTTE richten dazu in regelmäßigen Abständen "Heldengedenktage", Kulturund Sportveranstaltungen aus. Bei diesen Anlässen werden vor allem Bücher, Videos und Musikkassetten verkauft. 194 Ausländerextremismus Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Südasien Ende des Jahres trat auch in NRW die TRO durch verstärkte Spendensammlungen in den Vordergrund. Bundesweit wurden Spendensammlungen angemeldet und durchgeführt, die der Versorgung der tamilischen Flutopfer in Sri Lanka mit Hilfsgütern dienen sollen. Diese Spendensammlungen zielen nicht nur auf die Anhänger beziehungsweise die im Bundesgebiet lebenden Tamilen, sondern appellieren auch an die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung. Die TRO hat sich laut Satzungsunterlagen die Förderung tamilischer Flüchtlinge, die Leistung unbürokratischer Soforthilfe und die Versorgung mit lebensnotwendigen Hilfsgütern sowie die Pflege von tamilischer Kultur und Tradition zum Ziel gesetzt. Prozess zur friedlichen Lösung des Konfliktes auf Sri Lanka Nach dem Regierungswechsel im Dezember 2001 zeichnete sich in Sri Lanka nach 18 Jahren Bürgerkrieg eine Entspannung der politischen Lage ab. Der einseitig erklärte Waffenstillstand der LTTE führte auf der Grundlage der unter Vermittlung der norwegischen Regierung begonnenen Friedensverhandlungen am 23. Februar 2002 zu einem Waffenstillstandsabkommen zwischen der srilankischen Regierung und den LTTE, das bisher von beiden Seiten weitgehend eingehalten wird. Das Waffenstillstandsabkommen basiert im Wesentlichen auf einem Konzept, das eine weitgehende Selbstbestimmung in den überwiegend von Tamilen bewohnten Gebieten und eine föderale Struktur innerhalb eines geeinten Sri Lanka vorsieht. Die Friedensverhandlungen wurden aber im April 2003 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Konfliktparteien ausgesetzt. Ausblick Da die Konfliktparteien die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der im April 2003 unterbrochenen Friedensverhandlungen in der letzten Zeit immer wieder erschweren, erscheint die Rückkehr an den Verhandlungstisch zunehmend fraglich. 195 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 6 Islamismus 6.1 Transnationales Terrornetzwerk um Usama Bin Laden (Jihadisten; auch Mujahedin) Hintergrund Hinter der Bezeichnung Jihadisten (islamische Glaubenskämpfer; auch Mujahedin) verbirgt sich keine zentral und straff gesteuerte Organisation, es handelt sich vielmehr um unterschiedlich strukturierte, teilweise nur lose Zusammenhänge und Verbindungen von Personen mit ähnlichen Grundüberzeugungen, die sich durch ihre Gewaltorientierung auszeichnen und auch als terroristische Netzwerke bezeichnet werden. Sie betrachten sich als Kämpfer für den Islam. Ihr Name leitet sich von Jihad (heiliger Kampf) ab, den sie einseitig als Aufruf zum gewaltsamen Widerstand gegen alle "Feinde des Islam" deuten. Die weitaus wichtigere Bedeutung des Begriffs Jihad in der islamischen Theologie, das Ringen jedes Einzelnen um einen gottgefälligen Lebensweg, wird hingegen ausgeblendet. Die Aktivitäten der Jihadisten vollziehen sich höchst konspirativ. Kleine Gruppen von Jihadisten sammeln sich um einzelne - zum Teil lokale - Führungspersönlichkeiten, die wiederum über vielfältige Kontakte zu anderen lokalen und internationalen Jihadisten verfügen. Dadurch entstehen effiziente Netzwerke von Beziehungen, die bei Bedarf jederzeit aktiviert werden können, um etwa logistische und finanzielle Unterstützung zu leisten. Keimzelle dieser GruppierunLogo - al Qaida gen ist die von Usama Bin Laden gegründete Organisation 'al Qaida' (Die Basis). Auch einzelne, unorganisierte gewaltbereite Fanatiker, so genannte "non-aligned Mujahedin" stellen ein Bedrohungspotenzial dar, denn sie sind durch gemeinsame militärische und ideologische Kampfausbildung in Afghanistan und Pakistan und/oder durch gemeinsamen Kampfeinsatz, zum Beispiel in Bosnien, Tschetschenien oder Kaschmir ebenfalls in das Netzwerk eingebunden. Die einzelnen Mitglieder unterschiedlicher Zellen kennen einander nicht. So soll gewährleistet werden, dass nicht die gesamte Struktur offengelegt wird, falls den Sicherheitsbehörden ein Schlag gegen eine einzelne Zelle gelingt. 196 Islamismus Von den Mitgliedern und Unterstützern der Jihadisten-Netzwerke gehen nicht nur Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW), sondern sie gefährden auch die innere Sicherheit, weil sie weltweit agieren und insbesondere die USA und ihre Verbündeten mit Terror bedrohen. Entwicklungsgeschichte Die Entstehung des Mujahedin-Phänomens geht auf die sowjetische Invasion in Afghanistan im Jahre 1979 zurück. Der Widerstand gegen die Besatzung (1979 bis 1989) formierte sich unter religiösen Vorzeichen. Neben Afghanistan entwickelte sich vor allem Pakistan zu einem zentralen Ausgangspunkt militanter islamistischer Gruppierungen. Auch aus arabischen Staaten trafen in wachsender Zahl Unterstützer für die Sache der antisowjetischen islamischen Kämpfer in Afghanistan ein. In speziellen Trainingslagern wurden die Freiwilligen auf den Kampf gegen die sowjetische Armee vorbereitet; gleichzeitig wurde hier auch die Basis für eine Terrorausbildung gelegt, die die Afghanistankämpfer später in ihren jeweiligen Heimatländern zum Einsatz brachten. Auch die von Usama Bin Laden gegründete 'al Qaida' wurde erstmals während des Widerstandes der Mujahedin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan bekannt. Ihr Zweck war zunächst die logistische Unterstützung der afghanischen Kämpfer mit Geld, militärischer und religiöser Ausbildung sowie mit freiwilligen Kämpfern überwiegend arabischer Herkunft. Darüber hinaus tat sich Bin Laden auch in vorderster Front als Kommandeur hervor und wird seitdem von den Mujahedin als herausragender Führer und Symbolfigur für den "gerechten Kampf" der Muslime verehrt. Nach dem Ende des Afghanistan-Krieges kehrte Bin Laden in sein Heimatland SaudiArabien zurück, wo er bald zu einem gefürchteten Kritiker des saudischen Herrscherhauses wurde. Ihm wurde deshalb 1994 die saudische Staatsangehörigkeit entzogen. Nach einer Zwischenstation im Sudan, wo er ebenfalls militante Glaubenskämpfer ausbildete, kehrte er 1996 nach Afghanistan zurück. Dort bildete er in den folgenden Jahren unter dem Schutz der Taliban in eigenen Camps Jihadisten aus, die gleichsam wie eine islamistische Fremdenlegion überall dort für den Sieg des Islam kämpften, wo sie sich gebraucht fühlten (unter anderem in Bosnien, Tschetschenien, Kaschmir). Bin Laden kritisierte vor allem die Politik des saudischen Herrscherhauses und attackierte insbesondere die US-amerikanische Militärpräsenz in Saudi-Arabien, die durch den Golfkrieg um Kuwait entstanden war. Die arabische Halbinsel beherbergt mit Mekka und Medina die beiden wichtigsten islamischen Heiligtümer. Die Präsenz 197 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 amerikanischer Truppen wertete Bin Laden wie viele andere Muslime als Gotteslästerung. Die Jihadisten sind von einem unversöhnlichen Hass auf Israel, die USA, ihre westlichen Verbündeten sowie die mit dem Westen kooperierenden Regierungen islamischer Staaten getrieben. Der "Westen" wird pauschal für Unterdrückung, Korruption, Unterentwicklung und den "Niedergang sittlicher Werte" verantwortlich gemacht. Im Februar 1998 bildete sich unter der Führung von 'al Qaida' ein internationaler Zusammenschluss, die 'Internationale Islamische Front für den Kampf gegen Juden und Kreuzfahrer', der Organisationen aus Ägypten, Pakistan, Bangladesh und inzwischen auch Usbekistan angehören. Das Netzwerk von Usama Bin Laden umfasst damit nicht mehr nur Araber. Bin Laden bezeichnete es als individuelle Pflicht jedes Muslims, Amerikaner und ihre Verbündete - Zivilisten und Militärs - zu töten, wo immer sich die Möglichkeit dazu bietet, bis die heiligen Stätten der Muslime von den Ungläubigen befreit seien. Infolge dieses Aufrufs sind seitdem zahlreiche Anschläge in aller Welt verübt worden, die schrecklichsten waren die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA und 11. März 2004 in Madrid. Struktur Das transnationale terroristische Netzwerk unterscheidet sich in wesentlichen Merkmalen von anderen terroristischen Gruppierungen: Es ist nicht auf ein Territorium begrenzt und hat keine festen Organisationsstrukturen. In immer mehr Ländern der Welt werden Zellen entdeckt und sind Mitglieder im Untergrund tätig. Usama Bin Laden ist die Leitfigur und 'al Qaida' das Symbol für das gemeinsame Ziel der Jihadisten, die islamische Welt von "allem Unrecht zu befreien". Obwohl die einzelnen Zellen häufig lokale Ziele verfolgen, haben sie denselben Feind: die Vereinigten Staaten von Amerika und deren Verbündete innerhalb und außerhalb der islamischen Welt. Eine gemeinsame Weltanschauung, die sich dem Jihad, verstanden als Krieg gegen die "Ungläubigen" verschrieben hat, verbindet 'al Qaida' mit anderen Gruppen. Da das Netzwerk aus vielen voneinander abgeschotteten Zellen besteht, ist es umso schwerer zu bekämpfen. Es funktioniert ähnlich wie das Internet: Ein globales Netz aus unzähligen lokalen Stellen, die untereinander verknüpft sind, zugleich aber ohne zentrale Schaltstelle unabhängig funktionieren können. Kontrolliert werden kann das Netzwerk ebenso schwer wie das Internet. So wie jede gesperrte Webseite alsbald an anderer Stelle wieder erscheinen kann, werden entdeckte Zellen durch neue ersetzt. Nutzung des Internet Das transnationale Terrornetzwerk gleicht die infolge des internationalen Antiterrorkampfes erschwerten Rahmenbedingungen zumindest teilweise durch das Internet 198 Islamismus aus. Zugute kommen ihm dabei der nahezu weltweit ungehinderte Internetzugang, die mangelnde Kontrollierbarkeit der Datenströme, die weitgehend anonymisierbaren Kommunikationswege sowie die vielfältigen Recherchemöglichkeiten. Wie alle Extremisten haben auch die geistigen Führer 'al Qaidas' ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein und Mitteilungsbedürfnis. Bedingt durch ihre Fluchtbewegungen sind Verlautbarungen über öffentlich zugängliche Medien wie das Internet oder die Instrumentalisierung kommerzieller Fernsehsender die einzige Möglichkeit, ihre Ansichten, Aufforderungen und Drohungen publik zu machen. Das Internet wird als Plattform für multimedial aufbereitete Propaganda, als Drohkulisse und zur Rekrutierung genutzt. Der moderne "heilige Krieg" kann heute im Internet so ziemlich alles erledigen, abgesehen von den Anschlägen selbst. Derzeit haben vor allem zwei Online-Magazine, 'Saut al Jihad' (Stimme des Jihad) und 'Mu' askar al Battar' (Trainingslager al Battar), eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Jihad-Propaganda. In diesen Publikationen finden sich sowohl Erklärungen, die aus der Führungsriege der 'al Qaida' stammen sollen, als auch konkrete Anleitungen zum Terrorkampf. Zu einer Plattform der Selbstinszenierung saudischer Terroristen hat sich vor allem das seit Anfang 2004 erscheinende Online-Magazin 'Mu' askar al Battar' entwickelt. Bei "al Battar" (das scharfe Schwert ) handelt es sich um den Aliasnamen eines 'al Qaida'-Führers in Saudi-Arabien und ehemaligen Leibwächters Usama Bin Ladens, der 2003 von saudischen Sicherheitskräften getötet wurde. Er hatte verschiedene Abu Hajar Abdelaziz al Trainingscamps in Saudi-Arabien initiiert. Die jeweils Muqrin 30-40 Seiten starken Ausgaben des Magazins enthalten Beiträge verschiedener Autoren und sollen ein virtuelles Trainingscamp darstellen. Initiator war bis zu seinem Tod im Juni 2004 offensichtlich der Führer der 'al Qaida' auf der arabischen Halbinsel, Abu Hajar Abdelaziz al-Muqrin. Von al Muqrin erschien bereits im März ein strategisches Papier mit dem Titel "Innerstädische Ziele". Darin stellte er erstmals eine Reihenfolge der menschlichen Ziele auf, die für die gezielte Tötung oder Entführung ausgesucht werden sollen. Dabei stehen Juden an erster Stelle, gefolgt von Christen - wobei auch bei diesen eine Reihenfolge einzuhalten sei: erst Amerikaner, dann Briten, Spanier, Australier, Kanadier und Italiener. Es folgten Strategiepapiere al Muqrins über das "gezielte Töten" und "Arten und Durchführung von Kidnapping". Seit August 2004 existiert darüber hinaus im Internet eine speziell für Frauen konzipierte Publikation mit dem Titel 'al Khansaa', die auf die Radikalisierung und Rekrutierung von Musliminnen zielt. Den Leserinnen 199 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 werden Tipps für die ideologische und physische Vorbereitung auf den Jihad vermittelt. In den Online-Magazinen wird über Waffenkunde, Militärwissenschaft, praktische Kampfausbildung, Fitnessprogramme und Überlebenstraining informiert. Es werden aber auch religiöse und ideologische Unterweisungen gegeben. Beiträge über "Kidnapping" befassen sich mit unterschiedlichen Gründen für Entführungen, wie die Erfüllung bestimmter Forderungen, Erpressung von Lösegeldern oder Gewinnung von Informationen. Es werden verschiedene Arten von "Kidnapping" wie Entführung und Geiselnahmen beschrieben. Geiselnahmen, heißt es dort, seien grundsätzlich erfolgreich, auch wenn beispielsweise bei der Geiselnahme durch "tschetschenische Brüder" in einem Theater in Moskau im November 2003 nicht alle Ziele erreicht worden seien. Wichtig sei, das Anliegen der Mujahedin in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu tragen. Im Themenkomplex "Freilassung/Übergabe von Geiseln" wird auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, Geiseln zu Propagandazwecken zu töten. Die theoretischen und taktischen Anleitungen werden durch Videos ergänzt, die zeigen, wie Autos als mobile Bomben hergerichtet oder Entführungsopfer ausgespäht werden. Auch die Enthauptung von Geiseln wird demonstriert. Potenziellen JihadKämpfern eröffnet sich somit ein virtuelles Trainingslager. Bereits seit längerer Zeit kursieren im Internet "Terrorhandbücher" mit Anleitungen zum Umgang mit Sprengstoff und zum Bau einer Bombe. Auf privaten Internetseiten, die unter so genannten "Nicknames" (Phantasienamen, die der Seiteninhaber sich gibt, die aber in der Szene bekannt sind) und mit falschen Personalien bei Internetbetreibern international eingerichtet werden, können beispielsweise harmlose Urlaubsfotos veröffentlicht werden. Mit Hilfe der Steganografie können kodierte Botschaften in den Fotos platziert und verschlüsselt werden. Das Verfahren nutzt den Aufbau eines Internetbildes aus vielen einzelnen Bildpunkten (Pixel). Mit einem entsprechenden Computerprogramm kann ein Text oder eine Karte in einem einzelnen Bildpunkt eines Bildes versteckt werden. Bei einer normalen Betrachtung und ohne das entsprechende Dekodierungsprogramm ist die Veränderung des Bildes nicht sichtbar. Solche Internetseiten zu finden kommt angesichts unzähliger privater Internetseiten der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich. Im Juni wurde in Pakistan einer von sicher vielen Computerspezialisten der 'al Qaida' festgenommen. Der 25-jährige nutzte gewöhnliche E-Mail-Konten eines Dienstleisters und legte Nachrichten im Ordner für Mail-Entwürfe ab. Wer über das Passwort für die Mailbox verfügte, konnte die Nachrichten lesen, ohne dass dafür eine E-Mail versandt werden musste. Die zunehmende Verbreitung terroristischen Wissens durch Handbücher und Internet-Anleitungen lässt sich als Indiz für die zunehmende Professionalisierung potenzi200 Islamismus eller Attentäter und zugleich als Reaktion auf mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten werten, nachdem in Afghanistan im Zuge der militärischen Interventionen die früheren Ausbildungslager zerstört wurden. Das Gefährdungspotential kann hierdurch noch verstärkt werden, da gewaltbereite Islamisten auf diese Art weltweit an terroristisches Grundwissen gelangen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, durch Aufenthalte in Mujahedin-Ausbildungslagern erkannt zu werden. So wurde in der zehnten Ausgabe von 'Mu'askar al Battar' im Mai 2004 - wie schon in früheren Handbüchern - das Thema "Entführung/Geiselnahme" ausführlich abgehandelt. Hierbei wurde auch die Notwendigkeit betont, Geiseln zu Propagandazwecken zu töten. Erst jetzt wurde diese Form des Terrors massiv umgesetzt. Mit Paul Johnsen wurde im Juni in Saudi-Arabien erstmals ein westlicher Ausländer von einer 'al Qaida'-Zelle entführt und enthauptet. In der Folgezeit ist eine regelrechte Flut von medienwirksam durchgeführten Attentaten, Entführungen, Geiselnahmen und Enthauptungen in Saudi-Arabien und im Irak zu verzeichnen. Finanzierung Die Mujahedin-Netzwerke finanzieren sich aus unterschiedlichen Quellen. Es handelt sich einerseits um Spenden. Andererseits haben Gewinne aus legalen Geschäften (zum Beispiel aus Großund Einzelhandelsgeschäften oder dem PKW-Handel) sowie Profite aus illegalen Aktivitäten wie Schmuggel, Waffen-, Diamantenund Drogenhandel, Handel mit gefälschten Pässen oder Kreditkartenbetrug zunehmende Bedeutung. Für finanzielle Transaktionen werden zum einen häufig Bankkonten mit dem Umweg über so genannte "off-shore"-Länder (ohne Bankenaufsicht) genutzt, zum anderen bedient man sich der "Hawala"-Methode. Hierbei übergibt der Einzahlende unter Nennung des Auszahlungsortes eine bestimmte Geldsumme an eine Vertrauensperson, die ihm wiederum ein Kennwort nennt. Diese Kennung gibt der Einzahler an den Empfänger weiter, dem der Betrag dann an der angegebenen Stelle von einer vertrauenswürdigen Person aus dem Hawala-System ausgezahlt wird. Dieses System funktioniert über Kontinente hinweg. Keineswegs alle Transaktionen des HawalaSystems betreffen illegale Vorgänge; vielmehr ermöglicht diese Art der Finanzabwicklung eine schnelle und unbürokratische Überweisung von Geldern in solche Regionen, in denen ein Bankensystem nicht weit verbreitet ist. Damit ist es aber auch möglich, Geldbeträge in unbegrenzter Höhe zu bewegen, ohne dass sie über Konten von nach westlichem Muster arbeitenden Banken wandern und von den Sicherheitsbehörden zurückverfolgt werden können. Aktuelle Entwicklung Trotz der Anstrengungen der Sicherheitsbehörden im weltweiten Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und der zahlreichen Fahndungserfolge seit dem 11. Sep201 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 tember 2001, (sowie im Berichtszeitraum insbesondere der Tötung des 'al Qaida'Führers auf der arabischen Halbinsel, al Muqrin) kann von einer nachhaltigen Zerschlagung des Terrornetzwerkes nicht ausgegangen werden. Die grenzüberschreitenden Strukturen sind existent und funktionsfähig, dies belegen nicht zuletzt die Anschläge von Madrid am 11. März 2004 - 911 Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001. In Madrid explodierten im Abstand weniger Minuten Sprengsätze in vier Pendlerzügen. Bei dem Anschlag starben 191 Menschen, 1.500 Menschen wurden verletzt. Bis zum 11. März hatten sich die Anschläge aus dem 'al Qaida'-Netzwerk in erster Linie gegen westliche (hauptsächlich US-amerikanische, britische und israelische) Ziele im Nahen Osten, in Afrika und in Südostasien gerichtet. Anschlagsvorbereitungen von Mujahedin-Gruppen in Europa hatten ein deutlich niedrigeres Niveau im Hinblick auf Qualität, Komplexität und Konspiration in der Planung. Dementsprechend konnten Vorbereitungshandlungen in Europa überwiegend in einem frühen Stadium durch die Sicherheitsbehörden vereitelt werden. Mit 'al Qaida' verbundene oder ihr nahestehende Mujahedin-Gruppen haben mit den Anschlägen von Madrid bewiesen, dass sie trotz eines hohen Fahndungsdrucks auch in Europa in der Lage sind, mit größerem Koordinationsaufwand verbundene Anschläge unentdeckt vorzubereiten und durchzuführen. Die Anschläge weltweit wie in Indonesien, Marokko, Saudi-Arabien, der Türkei auf Wohnanlagen, Restaurants, Hotels, Banken und auch Anschläge auf öffentliche Verkehrsmittel lassen befürchten, dass auch künftig solche kaum zu schützenden "weichen Ziele" im Visier der Jihadisten stehen werden. Das terroristische Netzwerk verfügt nach wie vor über die Fähigkeit, Terrorakte mit hohen Opferzahlen zu planen und durchzuführen; die Motivation hat sich - insbesondere durch den Krieg im Irak und die andauernde Präsenz amerikanischer Soldaten - weiter verstärkt. Auch drei Jahre nach den Militärschlägen der USA in Afghanistan ist der Verbleib von Usama Bin Laden und seines Stellvertreters Ayman al-Zawahiri, eines ehemaligen Anführers des ägyptischen 'Jihad Islami', ungeklärt. Beide sind aber mehr denn je in Videound Audiobotschaften existent und drohen der Welt mit Terror. In den letzten anderthalb Jahren riefen Usama Bin Laden und Ayman al-Zawahiri in zahlreichen Verlautbarungen die Muslime dazu auf, den Jihad gegen die "Ungläubigen" (die USA sowie ihre Alliierten) hauptsächlich im Irak, Afghanistan und Palästina aufzunehmen beziehungsweise fortzuführen. Daneben wurden die gemäßigten Regierungen in muslimischen Ländern (vor allem in Pakistan und den Golfstaaten) wegen ihrer Zusammenarbeit mit den "Kreuzrittern" bedroht. 202 Islamismus Propagandaoffensive Am 24. Februar 2004 wurde eine Tonbandbotschaft, die offenbar von al-Zawahiri stammt, gesendet. Der Sprecher wendet sich an alle Muslime und thematisiert den Beschluss der französischen Regierung, das Tragen von Kopftüchern in französischen Schulen zu untersagen. Diese Entscheidung wird als klarer Beweis einer antiislamischen Haltung und des Hasses der Kreuzzügler beziehungsweise der westlichen Welt gegen den Islam bewertet. In diesem Zusammenhang werden die islamischen Staaten Ägypten, Tunesien und die Türkei als "Heuchler" angegriffen, die die französische Entscheidung mittragen. Daraufhin wurden im August im Irak zwei französische Journalisten entführt. Als Gegenleistung für die Freilassung der Geiseln sollte die französische Regierung das Kopftuchverbot aufheben. Dieser Forderung wurde nicht nachgegeben. Die Entführten sind zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß. Am 15. April 2004 richtete Usama Bin Laden ein "Versöhnungsangebot" (Waffenstillstandsangebot) vor allem an die europäischen Staaten und deren Bevölkerung. So heißt es in der Botschaft, dass die Mujahedin in jedem europäischen Land, das sich verpflichtetet, Muslime weder anzugreifen noch sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, ihre Operationen beenden werden. Die "Versöhnung" beginne mit dem Abzug des letzten Soldaten des betreffenden Staates aus den muslimischen Ländern. "Das Tor der Versöhnung bleibt für drei Monate ab dem Datum der Bekanntgabe dieser Erklärung offen. Wer aber die Versöhnung ablehnt und den Krieg will, so ist der Krieg unsere Sache. Und wer die Versöhnung will, so haben wir unsere Antwort gegeben." Inhaltlich ist diese Erklärung offensichtlich ein Ausfluss der Ereignisse vom 11. März 2004 und des daraus resultierenden Regierungswechsels in Spanien. 'al Qaida ' beziehungsweise die Jihadisten deuten den Wahlsieg des spanischen Oppositionsführers Zapatero als Folge der von ihnen verübten Terrorakte. Die Erklärung zeigt auch, dass offenbar eine genaue Analyse der politischen Entwicklung in Europa vorgenommen wird. In ihrer Zielsetzung unterschied sich die Verlautbarung von allen vorangegangenen: Sie verfolgte unverkennbar die Absicht, Europa und die USA in der Frage der weiteren Behandlung der Konflikte im Irak und in Palästina sowie im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus auseinander zu dividieren und zu schwächen. Weder Usama Bin Laden noch Ayman al-Zawahiri haben nach Ablauf des Ultimatums noch einmal explizit Bezug auf das "Versöhnungsangebot" genommen. Allerdings hat eine 'al Qaida'-nahe Gruppierung, die 'Abu Hafs al Masri Brigaden' in einer in London veröffentlichten Erklärung die Europäer an das bevorstehende Ende der Dreimonatsfrist erinnert und sie aufgefordert, Bin Ladens Angebot zu nutzen. Im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Ultimatums von Bin Laden vom 15. April konnte eine Häufung von Internet-Drohungen gegen Staaten verzeichnet werden, die 203 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 an den Koalitionsstreitkräften im Irak beteiligt sind, aber nicht zu den erstrangigen Zielen USA und Großbritannien zählen. Neben Italien und den Niederlanden wurden in den Drohungen unter anderem Japan, Bulgarien, Polen, Australien sowie El Salvador genannt. Eine am 6. Mai 2004 im Internet veröffentlichte 20-minütige Rede, die von Bin Laden sein soll, richtet sich an die "Umma" (Gemeinschaft der Gläubigen) im Allgemeinen und an die "Brüder im Irak" im Besonderen. Darin werden unter anderem für die Tötung des amerikanischen Zivilverwalters Paul Bremer und des UN-Generalsekretärs Kofi Anan Kopfgelder in Höhe von 10 Kilogramm Gold (etwa 120.000 Dollar) ausgesetzt. Darin kann ein Bemühen gesehen werden, mit den USA und ihren Verbündeten gleichzuziehen, die ihrerseits Kopfprämien auf Bin Laden und andere Mujahedin-Führer ausgesetzt haben. Es entsteht aber auch der Eindruck, es solle um jeden Preis für den Jihad mobilisiert werden, selbst mit dem Instrument des Kopfgeldes. Am 10. September - einen Tag vor dem Jahrestag der Anschläge in den USA vom 11. September 2001 - wurde eine Video-Botschaft von Ayman al-Zawahiri ausgestrahlt. An die USA gerichtet, drohte al-Zawahiri, dass die Zeiten der Sicherheit für die Amerikaner zu Ende gegangen seien. Solange ihre Regierung Straftaten gegen Muslime in Afghanistan, Palästina und im Irak fortsetze, würden die Amerikaner keinen Frieden mehr erleben. Am 1. Oktober folgte die zweite Botschaft von al-Zawahiri innerhalb von vier Wochen. Die Botschaft richtete sich an die Jugend des Islam und forderte diese zu weiterem Widerstand gegen die "Kreuzzügler" auf. Zum ersten Mal ging alZawahiri auch auf seine mögliche Gefangennahme oder seinen Tod ein. Am 29 .Oktober, kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, sendete der arabische Sender 'al-Jazeera' eine Videobotschaft von Bin Laden. Hierbei handelte es sich um das erste aktuelle Bildmaterial seit über zwei Jahren. Usama Bin Laden wird in aufrechter Haltung vor einem Rednerpult gezeigt. Dies kann von der Symbolik her sowohl als Lebenszeichen als auch Beweis guter Gesundheit bewertet werden. Die Botschaft war insbesondere an das US-amerikanische Volk gerichtet. Ihm solle die Möglichkeit gegeben werden, ein "zweites Manhattan" zu verhindern. Danach liege "die Sicherheit des US-amerikanischen Volkes nicht in den Händen des Präsidentschaftskandidaten Kerry oder des Präsidenten Bush, sondern nur in den eigenen (des Volkes) Händen. Jeder Staat, der sich nicht an der Sicherheit der muslimischen Staaten vergreift, behält seine eigene Sicherheit". Außerdem bekennt sich Bin Laden in bisher unbekannter Deutlichkeit zu den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Wie die Friedensangebots-Erklärung vom 15. April im Nachhall der Ereignisse von Madrid, so könnte auch diese Botschaft, insbesondere der Zeitpunkt der Veröffentlichung, ein Versuch politischer Einflussnahme gewesen sein. 204 Islamismus Drahtzieher des Terrors im Irak Mit den zahlreichen Anschlägen im Irak nach Beendigung des offiziellen Irak-Krieges ist mehr und mehr ein Name verbunden - Abu Musab al-Zarqawi. Er galt ursprünglich eher als Terrorist der mittleren Führungsebene. Doch durch die Brutalität und die Häufung der Anschläge seiner Gefolgschaft ist er zur meist gesuchten Person im Irak geworden. In der Vergangenheit bekannten sich al-Zarqawi und die von ihm geführte Gruppierung 'al-Tawhid Wal-Jihad' zu zahlreichen Anschlägen im Irak sowie zur Entführung und Ermordung mehrerer ausländischer Geiseln. Al-Zarqawi soll auch Geiseln eigenhändig entAbu Musab al hauptet haben. Für seine Ergreifung sind 25 Millionen Dollar Zarqawi ausgesetzt. Al-Zarqawi steht hinsichtlich des Kopfgeldes auf einer Stufe mit Ex-Diktator Saddam Hussein, auf dessen Ergreifung ein gleich hohes Kopfgeld ausgesetzt war. Er wird nur noch von Usama Bin Laden übertroffen, auf dessen Ergreifung 50 Millionen Dollar ausgesetzt sind. Al-Zarqawi gilt auch als operativer Führer der 'al-Tawhid'-Gruppe in Deutschland. Am 17. Oktober 2004 wurde in einem Diskussionsforum auf einer arabischsprachigen Internetseite eine Erklärung von al-Zarqawi und seiner Gruppierung abgegeben, in der sie sich zur Gefolgschaft gegenüber Usama Bin Laden bekennen. Die Gruppe schwört darin dem 'al Qaida'-Netzwerk um dessen Führer Usama Bin Laden die treue Gefolgschaft. Aktivitäten in Deutschland und Nordrhein-Westfalen Zu dem Netzwerk der Jihadisten in Deutschland gehören Kleingruppen und Einzelpersonen aus verschiedenen Organisationen und so genannte 'non-aligned Mujahedin', die keiner bestimmten Organisation zuzurechnen sind. Diese Unterstützernetzwerke unterhalten eine ausgedehnte Infrastruktur, unter anderem zur Versorgung mit gefälschten Papieren, zur Ausstattung mit Mobiltelefonen und zur Sammlung von Spenden. Daneben versuchen sie junge Muslime für eine Kampfausbildung zu rekrutieren. Die Rekrutierung von Unterstützern der Jihadisten erfolgt zum einen über die Medien. Flugblätter, Videound Audiobänder, CDs, Radio, Fernsehen und Internet sind dazu geeignet, radikale Botschaften unter ein breites Publikum zu streuen. Sympathisanten und Unterstützer islamistischer Organisationen oder bestimmte Personengruppen, etwa Studenten, werden zum Teil auch gezielt angeworben. Dies kann durch eine Ansprache - zeitund ortsunabhängig - im Bekanntenoder Freundeskreis geschehen. Dagegen bieten politische oder religiöse Veranstaltungen unter Umständen die Möglichkeit, mehrere Personen gleichzeitig für die eigenen Ideen zu gewinnen. So kann 205 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 das Freitagsgebet in der Moschee zur Vorbereitung islamistischer Propaganda missbraucht werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Imam der Moschee den Jihad als militanten Kampf gutheißt oder wenn Gastimame entsprechende Überzeugungen in ihre Predigt einfließen lassen. Bei anschließenden Diskussionen unter den Gläubigen können sich im Laufe der Zeit Personen herauskristallisieren, die von der Idee des militanten Jihad angetan sind und für Vorhaben der Jihadisten geeignet scheinen. Wenn Mujahed-Anwärter sich eine Zeitlang als ausreichend fest im Glauben und entschlossen genug für den militanten Jihad gezeigt haben, werden einige von ihnen über Umwege in ein Trainingscamp entsandt, wo sie weiter religiöse Unterweisung neben der militärischen Ausbildung erhalten. Art und Qualität der religiösen Ausbildung können dabei erheblich variieren, ebenso wie die Fähigkeiten der Mujahed-Anwärter. Für den Einsatz in westlichen Ländern sind vor allem solche Personen interessant, die sich einigermaßen sicher und unauffällig im Westen bewegen können. Nachdem die großen Ausbildungslager in Afghanistan aufgegeben werden mussten, mehren sich Hinweise auf kleinere - zum Teil mobile - Trainingscamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, in Indonesien, im Sudan, im Jemen sowie in schwarzafrikanischen Staaten mit hohem islamischen Bevölkerungsanteil wie Niger, Mali und Tschad. Nicht alle Terror-Zellen müssen sich jedoch aus ehemaligen Kämpfern zusammensetzen. Wie das Madrider Beispiel zeigt, können sich auch Personen - ohne eine entsprechende Schulung durchlaufen zu haben - durch eigenen Entschluss dem Netzwerk zugehörig fühlen und in seinem Sinne handeln. Am 10. Februar hat vor dem Oberlandsgericht Düsseldorf der zweite Prozess gegen Mitglieder einer deutschen Zelle der 'al-Tawhid'-Gruppe begonnen. Den vier Angeklagten, darunter der mutmaßliche Kopf der in Deutschland agierenden Zelle, wird unter anderem zur Last gelegt, als Mitglieder einer im Inland agierenden Zelle der 'alTawhid'-Gruppe Anschläge in Deutschland geplant und vorbereitet zu haben. Die Gruppierung soll Spenden gesammelt, Schleusungen von "Kämpfern" organisiert und Passfälschungen begangen haben. Mit zunehmender Intensität soll sie dann Anschläge in Deutschland geplant haben. In den Prozess wurden abgehörte Gespräche eingebracht, die der weltweit gesuchte Terrorist Abu Musab al-Zarqawi mit Angehörigen dieser 'al-Tawhid'-Zelle geführt hat. Al-Zarqawi gilt als operativer Führer der 'alTawhid'. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder der deutschen Zelle wird voraussichtlich noch bis zum Frühjahr 2005 dauern. Ein Mitglied dieser Zelle wurde bereits am 26. November 2003 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Passfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Am 4. März hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 19. Februar 2003 im weltweit ersten Terrorpro206 Islamismus zess im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgehoben. Das Gericht gab dem Revisionsantrag des Marokkaners El Motassadeq, der in erster Instanz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden war, statt und wies das Verfahren an das Hanseatische Oberlandesgericht zurück, wo seit dem 10.August erneut verhandelt wird. Das Gericht hatte es in erster Instanz als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte Mitglied der so genannten "Hamburger Zelle" war und die finanziellen Angelegenheiten der Attentäter um Mohamed Atta erledigte. Die Verteidigung hatte die Beweiswürdigung gerügt, weil die US-amerikanischen Behörden Zeugenaussagen des inhaftierten mutmaßlichen Cheflogistikers Ramzi Binalshibh nicht freigegeben hatten. Im wesentlichen stützte sich der Revisionsantrag auf den Freispruch des Marokkaners Abdelghani Mzoudi, dem Angeklagten im zweiten Hamburger Terrorprozess, am 5.Februar. Mzoudi war durch eine überraschend in den Prozess eingebrachte Aussage entlastet und freigesprochen worden. Nach dieser Aussage sollen lediglich vier Personen der Hamburger Zelle in die Anschlagspläne eingeweiht gewesen sein (Mohammed Atta, Marwan al Shehhi, Ziad Jarrah und Ramzi Binalshibh). Vor dem Berliner Kammergericht hat am 4. Mai der Prozess gegen einen 33-jährigen tunesischen Staatsangehörigen begonnen. Er soll versucht haben, mit Gleichgesinnten aus dem Umfeld einer Berliner Moschee eine terroristische Vereinigung zu gründen und Sprengstoffanschläge am Rande von Irak-Demonstrationen vorbereitet zu haben. Bei seiner Festnahme waren Utensilien und Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen gefunden worden. In Deutschland befindet sich nach wie vor ein zahlenmäßig nicht konkret zu bezifferndes Potenzial islamistischer Kämpfer mit vielfältigen Verbindungen in alle Teile der Welt. Es muss davon ausgegangen werden, dass Deutschland - und auch NRW - als Ruhe-, Rückzugsund Vorbereitungsraum und zur Logistikbeschaffung von Mitgliedern und Unterstützern des terroristischen Netzwerks genutzt wurde und auch weiterhin wird. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Deutschland Ziel eines Anschlages sein kann. Außer einer abstrakt hohen Gefährdung für US-amerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen gibt es aber keine Hinweise auf konkrete Ziele, Orte oder Zeiten von Anschlägen in Deutschland. 6.1.1 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) Hintergrund Bei 'Ansar al-Islam' (Unterstützer des Islam) handelt es sich um eine ursprünglich nur im Nordosten des Irak aktive kurdisch-irakische Organisation, die zunächst gegen die sehr viel einflussreicheren säkularen, nicht religiös ausgerichteten, Parteien im 207 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Nordirak kämpfte. Die Anhänger stammen aus verschiedenen Splittergruppen, die sich die Verwirklichung des islamischen Glaubens und eine dem Koran entsprechenden Lebensweise auf einem eigenen kurdischen Staatsgebiet zum Ziel setzen. Die 'Ansar al-Islam' ging aus der 'Jund al Islam' (Armee des Islam) hervor, der Abspaltung einer islamisch-kurdischen Dachorganisation. Im Dezember 2001 übernahm der im norwegischen Exil lebende Mullah Krekar die Führung der Gruppierung und änderte den Namen in 'Ansar al-Islam'. Mullah Krekar beantragte in den 90er Jahren in Norwegen erfolgreich Asyl. Obwohl er in Norwegen als Flüchtling lebt, hält er sich immer wieder im Nordirak auf. Im September 2002 wurde er beim Versuch, aus Amsterdam in den Iran auszureisen, festgenommen und nach Norwegen zurückgeschickt. In Norwegen macht er vor allem durch Medienauftritte auf sich aufmerksam. Im Januar 2004 wurde er in Oslo festgenommen. Presseberichten zufolge wurde ihm vorgeworfen, im Internet zu Selbstmordanschlägen im Irak aufgerufen zu haben. Im Februar wurde er wieder aus der Haft entlassen. Belastungszeugen sollen ihre Aussagen im Irak unter Folter gemacht haben. Mittlerweile ist Krekar in seiner Führungsposition von Abdullah al Shafi abgelöst worden. Ideologie 'Ansar al-Islam' zielt darauf ab, ein islamistisches Kurdistan zu schaffen, das auf einem radikalen Islam nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan beruht. Die Gruppierung versucht daher, den in ihrem Machtbereich lebenden Menschen den Kontakt zu säkularen Parteien zu verbieten und verleiht ihren Forderungen mit brutalen Gewaltaktionen gegen Andersdenkende Nachdruck. Von den Anhängern und Unterstützern der 'Ansar al-Islam' gehen daher Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG). Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass 'Ansar al-Islam' über Verbindungen zum Terrornetzwerk 'al Qaida' verfügt. Diese Verbindungen sollen noch aus gemeinsamen Kampferfahrungen in Afghanistan bestehen. Nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes in Afghanistan sollen Taliban und 'al Qaida'-Mitglieder bei 'Ansar al-Islam' im Nordirak Schutz gesucht haben, bevor diese durch den Einmarsch der Koalitionstruppen unter US-Führung im Irak ihrerseits unter Druck gerieten. Dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi werden ebenfalls enge Bindungen zu 'Ansar al-Islam' nachgesagt. Finanzierung Finanzielle Unterstützung erhält die Organisation möglicherweise aus Staaten der Golfregion und anderen islamischen Ländern. Gelder werden aber auch durch Spen208 Islamismus densammlungen in Westeuropa beschafft. Mitglieder und Sympathisanten der 'Ansar al-Islam ' kommen als Reisende - auch als Geschäftsleute - in verschiedene europäische Länder, um Geld in Moscheen und Islamischen Zentren zu sammeln, technische Ausrüstung zu beschaffen, Propaganda zu betreiben und Mitglieder zu werben. Aktivitäten in Deutschland und NRW Die 'Ansar al-Islam' verfügt über ein sich über fast ganz Europa erstreckendes Netz aus Mitgliedern, Sympathisanten und Unterstützern, die sich der Sammlung von Geld und der Rekrutierung von Freiwilligen für Aktivitäten im Irak widmen. In Deutschland verfügt 'Ansar al-Islam' über keine festen Strukturen. Festnahmen in Italien im November 2003 (so genannte Mailänder Zelle), in Hamburg und München im Dezember 2003 haben das Netzwerk zwar beschädigt, aber nicht zerreißen können. In Deutschland beschränkt sich die 'Ansar al-Islam' bisher hauptsächlich auf unterstützende Logistiktätigkeiten und Geldbeschaffung. Es sollen sich etwa 100 Aktivisten in Deutschland aufhalten, die meisten in Süddeutschland. Der Generalbundesanwalt hat im Dezember 2003 ein Strukturverfahren gegen Angehörige der 'Ansar al-Islam' gemäß SS 129b StGB eingeleitet. Am 24. Mai hat der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen einen in München im Dezember 2003 festgenommen Iraker eingeleitet. Der Beschuldigte wird verdächtigt, seit Ende 2002 die 'Ansar al-Islam' von München aus unterstützt zu haben. Er soll Spendengelder gesammelt und gewerbsmäßig Einschleusungen von Irakern nach Deutschland organisiert haben. Das erlangte Geld soll er in den Irak weitergeleitet haben. Es sollen zudem Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er die Einreise von "Jihad-Kämpfern" in den Irak organisiert hat. Am 3. Dezember wurden in Augsburg, Berlin und Stuttgart drei Männer verhaftet, die der 'Ansar al-Islam' zugerechnet werden und die einen Anschlag auf den Anfang Dezember 2004 in Deutschland weilenden irakischen Ministerpräsidenten Iyad Allawi geplant haben sollen. 6.2 Irakkonflikt Auch nach der förmlichen Übergabe der Macht an eine Übergangsregierung im Juni ist im Irak keine dauerhafte politische und militärische Stabilität hergestellt. Militärische Auseinandersetzungen zwischen den Besatzungstruppen und Aufständischen, eine Vielzahl von Terroranschlägen sowie in den Medien, besonders im Internet verbreitete Gewaltpropaganda prägen das aktuelle Bild vom Irak. 209 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Politische Entwicklung nach der Festnahme Saddam Husseins Mit der Festnahme Saddam Husseins durch amerikanische Truppen am 14. Dezember 2003 nahe der Stadt Tikrit wurde in den Augen der meisten Iraker ein Schlussstrich unter die vielen Jahre seiner Gewaltherrschaft gezogen. Gleichzeitig wurden Hoffnungen auf eine baldige Befriedung des Landes genährt. Insoweit richtete sich die Aufmerksamkeit der Iraker wie der gesamten arabischen Welt auf die Ankündigung der Amerikaner, die Macht im Irak schon im Juni 2004 an eine demokratisch gewählte Regierung abgeben zu wollten. Am 28. Juni 2004 wurde die irakische Souveränität formell wiederhergestellt. Die Besatzungsbehörde der Koalition unter der Leitung des US-Amerikaners Paul Bremer wurde aufgelöst. Bis zu allgemeinen Wahlen, die für Ende Januar 2005 geplant sind, wird der Irak von einer Übergangsregierung unter Ministerpräsident Iyad Allawi regiert. Danach soll ein frei gewähltes irakisches Parlament dem Land eine Verfassung geben, um anschließend nach verfassungsgemäßen Wahlen die neue Regierung zu bilden. Solange soll die aus rund 160.000 Soldaten bestehende multi-nationale Truppe im Irak verbleiben, zumal die im Wiederaufbau befindlichen irakischen Streitkräfte noch nicht in der Lage sind die Sicherheit zu gewährleisten. Danach endet gemäß einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das Mandat der Besatzungstruppen. Aus der Sicht weiter Teile der irakischen Bevölkerung sind die im Land stationierten Truppen jedoch eine Besatzungsmacht, gegen die Widerstand zu leisten ist. Folge der instabilen Lage im Land wird aller Voraussicht nach sein, dass die Umsetzung des Plans unter erheblich erschwerten Umständen stattfinden wird. Kein Ende der Gewalt Am 19. August 2003 wurde bei einem schweren Anschlag auf das Gebäude der Vereinten Nationen in Bagdad der UN-Sondergesandte de Mello getötet. Nach weiteren gezielten Anschlägen auf internationale beziehungsweise ausländische Einrichtungen zogen die Vereinten Nationen sowie viele im Irak aktive Nichtregierungsorganisationen ihr ausländisches Personal vorläufig aus dem Land ab. Seit Herbst 2003 wird der Irak von einer Welle der Gewalt überzogen. Unzählige Angriffe auf Soldaten, Einrichtungen und Stützpunkte der Amerikaner und ihrer Verbündeten haben zu einer weiteren Verschärfung der Sicherheitslage im Irak geführt. In der Auseinandersetzung zwischen den Aufständischen und den Besatzungstruppen wird Gewaltpropaganda gezielt eingesetzt. Veröffentlichungen im Internet, die einerseits Übergriffe von US-Soldaten gegen gefangene Iraker sowie andererseits Hinrichtungen von Geiseln durch Aufständische zeigen, führen zu einer stark emotionalisierten öffentlichen Diskussion und erhöhen den politischen Druck auf die Regierungen der am Krieg beteiligten Länder. Dabei dienen die Bilder besonders islami210 Islamismus schen Extremisten als Legitimation für ihr Vorgehen gegen die Besatzungstruppen. Sie behaupten, "der Westen" führe einen "Krieg gegen den Islam", von dem künftig auch andere arabische Staaten bedroht seien. Sie betrachten den Irak als Schauplatz dieses Krieges. Die von den Amerikanern angeführten multinationalen Truppen werden vielfach als "unislamische Besatzer" und "Feinde des irakischen Volkes" beschimpft und mit allen Mitteln bekämpft; Gewalt und Terror sollen sie zum Rückzug aus dem Irak bewegen. Die vermeintliche Verteidigung des islamischen Glaubens durch die Aufständischen veranlasst besonders junge Muslime, in den Irak zu reisen und sich dort einzelnen Widerstandsgruppen anzuschließen. Insbesondere ist davon auszugehen, dass dieser Personenkreis sich für Selbstmordattentate zur Verfügung stellt und eine erhebliche Gefahr in der aktuellen Situation darstellt. Reaktionen der Schiiten in NRW Die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen Gruppierungen im Irak (al Sadr gegen al Hakim und Sistani) werden von den hier lebenden Muslimen schiitischer Glaubensrichtung kritisch bewertet. Man befürchtet, dass die mangelnde Geschlossenheit der schiitischen Gemeinschaft zur Folge haben könnte, dass ihr Einfluss auf die politische Entwicklung des Iraks nachhaltig geschwächt wird. Eindeutig erkennbar ist jedoch auch bei dieser zahlenmäßig größten irakischen Bevölkerungsgruppe eine antiamerikanische Einstellung. Mehrheitlich abgelehnt werden jedoch die Entführungen und Tötungen ausländischer Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel der Mord an der britisch-irakischen "Care"-Chefin Margaret Hassan, die im Oktober in Bagdad entführt und einige Zeit später in Falludscha tot aufgefunden wurde. 6.3 Nahostkonflikt Die zweite so genannte 'al-Aqsa-Intifada', die am 28. September 2000, dem Tag des Besuchs Ariel Scharons auf dem Jerusalemer Tempelberg begann, dauerte auch im Jahr 2004 an. Nach wie vor waren zahlreiche Tote und Verletzte durch palästinensische Selbstmordattentäter auf der einen und durch Einsätze des israelischen Militärs auf der anderen Seite zu beklagen. Diese Situation änderte sich auch nicht beim Amtsantritt des ersten gewählten palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas im April 2003. Nach etwa vier Monaten trat er, offensichtlich frustriert durch die politischen Umstände, von seinem Amt zurück. Auch sein Nachfolger, Ahmed Korei, konnte die Geschicke nicht in andere Bahnen lenken, da nach wie vor insbesondere die sunnitische palästinensische HA211 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 MAS ('Bewegung des islamischen Widerstandes') jegliche Friedensverhandlungen mit dem Staat Israel ablehnt. Am 22. März 2004 tötete die israelische Armee in Gaza-Stadt den Gründer der HAMAS, Scheich Ahmed Yassin. Der gewaltsame Tod des an den Rollstuhl gefesselten palästinensischen Führers hat weltweit für Kritik an dem israelischen Vorgehen im Konflikt mit den Palästinensern gesorgt. Am 17. April 2004 wurde Yassins Nachfolger, Abd al-Aziz Rantissi, ebenfalls bei einem gezielten Angriff der israelischen Armee im Gaza-Streifen getötet. Rantissi galt als "Hardliner" innerhalb der HAMAS-Führung. In einer von den 'Izz-al-Din al-Qassam-Brigaden', dem militärischen Flügel der HAMAS, veröffentlichen Stellungnahme wurden "100 Vergeltungsschläge, die die gesamte verbrecherische Einheit zum Erzittern bringen werden" als Rache für den Tod der HAMAS-Führer angedroht. Es sei das Schicksal jedes HAMAS-Aktivisten, als "Märtyrer" zu sterben. Von der palästinensischen Regierung wurde die Vorgehensweise Israels mit dem zeitnahen Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon bei der US-amerikanischen Regierung in Zusammenhang gebracht, in dessen Verlauf der US-Präsident seine Unterstützung für das Fortbestehen jüdischer Siedlungen im Westjordanland zugesagt haben soll. Am 11. November 2004 ist der Palästinenser-Präsident und Vorsitzende der 'Palästinensischen Befreiungsorganisation' (PLO) Yassir Arafat in Paris im Alter von 75 Jahren nach längerer Krankheit gestorben. Nach einer Trauerfeier in Kairo nahmen zehntausende Palästinenser anlässlich seiner Beisetzung in Ramallah Abschied von Arafat, der 1994 zusammen mit den israelischen Politikern Yitzhak Rabin und Schimon Peres den Friedensnobelpreis erhalten hatte, jedoch bis zu seinem Lebensende international politisch umstritten geblieben war. Für die Palästinenser bleibt Arafat die herausragende Symbolfigur für den Kampf um ihre Selbstbestimmung. Nachfolger als Präsident der 'Palästinensischen Autonomiebehörde' wurde Rauhi Fattuh; neuer Vorsitzender des Exekutivkomitees der PLO wurde der ehemalige Ministerpräsident Mahmud Abbas. Beide Politiker gelten als Gefolgsmänner Arafats, denen eine gewisse Distanz zu ihrem Volk nachgesagt wird. Inwieweit der in Israel zu mehrfach lebenslanger Haft verurteilte Marwan Barguti, der als "Vater der zweiten alAqsa-Intifada" gilt, mittelfristig politische Verantwortung übernehmen wird, ist noch unklar. Barguti gilt als Vertreter einer jungen, kämpferischen, aber auch kompromissbereiten Führungsriege palästinensischer Politiker. 212 Islamismus Aufgrund der Gesamtsituation ist zu befürchten, dass der gewaltsame Konflikt zwischen Palästinensern auf der einen und dem israelischen Staat auf der anderen Seite auch im Jahr 2005 mit unverminderter Härte andauern wird. Dieser Konflikt ist in Deutschland nicht nur das beherrschende Thema bei den Anhängern extremistischer Palästinenserorganisationen islamistischer sowie säkularer Ausrichtung. Er ist auch "Wasser auf die Mühlen" anderer islamistischer Gruppen bis hin zum islamistischen Terrornetzwerk. Unter den islamistischen Organisationen in Deutschland sind insbesondere die HAMAS sowie die aus dem Libanon gegen Israel operierende schiitische 'Hizb Allah' ('Partei Gottes') von Bedeutung. Daneben sind säkulare palästinensische Gruppierungen wie die 'Volksfront für die Befreiung Palästinas' (PFLP) und die 'Demokratische Front für die Befreiung Palästinas' (DFLP) zu nennen. In Deutschland sind bislang keine eigenen Strukturen der in Israel und den palästinensischen Gebieten aktiven Gruppierungen 'Tanzim' ('Bewaffnete Gruppe der 'al-Fatah') und der so genannten 'al-Aqsa-Brigaden' festzustellen. Diese Gruppierungen, die neben HAMAS für zahlreiche Selbstmordanschläge in Israel verantwortlich sind, genießen gleichwohl unter den hier lebenden Palästinensern Sympathie. Nach Ansicht der die Intifada unterstützenden Organisationen sind der Staat Israel und seine politischen Repräsentanten, allen voran der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon, die eigentlichen "Terroristen", denen mit aller Härte zu begegnen sei. Gleichwohl besteht bei den hier lebenden Palästinensern ein großes Interesse an der Beendigung des Konflikts, da eine weiter eskalierende Gewalt die wirtschaftliche Not der Palästinenser vergrößern wird. Nach wie vor liegen keine Hinweise darauf vor, dass von Anhängern hier aktiver palästinensischer islamistischer und säkularer extremistischer Organisationen zu Anschlägen in Deutschland aufgerufen wird beziehungsweise diese befürwortet werden. Offensichtlich ist man zur Vermeidung staatlicher Repression um Zurückhaltung und Mäßigung bemüht. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere stark emotionalisierte jugendliche Palästinenser spontane Gewaltakte gegen israelische, jüdische oder amerikanische Einrichtungen begehen könnten. 213 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 6.4 Arabische Islamisten 6.4.1 HAMAS (Harakat al Muqawama al Islamiya - Islamische Widerstandsbewegung) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Bund NRW 2004 300 70 2003 300 70 Internet Englischsprachige Homepage ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die HAMAS ist heute eine der einflussreichsten und stärksten Organisationen unter den Palästinensern, die sich den kompromisslosen Kampf gegen Israel zur "Befreiung" des gesamten historischen Palästina und die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Gebiet Palästinas zum Ziel gesetzt hat. Damit gehen von den in Deutschland lebenden Anhängern Bestrebungen aus, die durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Logo - HAMAS Hintergrund Öffentlich aktiv wurde die sunnitische extremistische HAMAS erstmals mit Beginn der ersten Intifada im Jahre 1987. Sie hatte sich aus dem palästinensischen Teil der 'Muslimbruderschaft' entwickelt. Ihr Wirkungskreis liegt im Westjordanland sowie im Gazastreifen. Die HAMAS bekämpft den Staat Israel mit terroristischen Mitteln, wobei insbesondere die zahlreichen Selbstmordattentate zu nennen sind. Sie lehnt den Alleinvertretungsanspruch der PLO ab und boykottiert alle zwischen dem Staat Israel und der PLO geschlossenen Verträge. Für die Hardliner innerhalb der Organisation ist ein Friedensschluss mit dem Staat Israel offensichtlich undenkbar. Internationale Verbindungen und Finanzierung Trotz religiös-konfessioneller Unterschiede besteht eine gewisse Zusammenarbeit zwischen der sunnitisch geprägten HAMAS und der schiitischen 'Hizb Allah' im (Süd)Libanon, die aus der gemeinsamen Feindschaft gegen Israel herrührt. Gleiches gilt 214 Islamismus auch für die Beziehungen der HAMAS zur Islamischen Republik Iran. Zum Zeichen der Verbundenheit mit den Palästinensern und ihrem Kampf um Jerusalem rief Ayatollah Khomeini den "Jerusalem-Tag", den "Ghods-Tag" , aus, der jährlich im Fastenmonat Ramadan begangen wird. Die HAMAS ist zudem eingebunden in ein weltweites Netzwerk von Organisationen, die die 'Muslimbruderschaft' repräsentieren oder ihr nahe stehen. Neben Organisationen, die vor allem propagandistisch oder auch logistisch im Sinne der HAMAS tätig sind, gibt es solche, die überwiegend Spendensammlungen und Finanztransaktionen zugunsten der HAMAS durchführen. 'Al-Aqsa e.V.' In die Finanzierung der HAMAS ist der in Aachen ansässige Verein 'al-Aqsa e.V.' eingebunden. Deshalb wurde der Verein, der sich selbst als humanitäre Hilfsorganisation für Palästina bezeichnet und für zivile Projekte und Einrichtungen um Spenden wirbt, am 31. Juli 2002 durch das Bundesministerium des Innern verboten. Mit Urteil vom 3. Dezember 2004 hat das Bundesverwaltungsgericht das Verbot des Vereins bestätigt. Der Verein verstoße mit den Spendensammlungen für die HAMAS gegen die friedliche Verständigung des israelischen und des palästinensischen Volkes. Die HAMAS sei eine Organisation, bei der soziale Aktivitäten nicht von dem militärischem Bereich geschieden werden könnten. Trotz des endgültigen Vereinsverbots kann jedoch angenommen werden, dass sich Nachfolgeorganisationen der Spendensammlung annehmen werden. Die von den in Deutschland lebenden HAMAS-Anhängern ausgehende Gefahr ist eher als gering anzusehen. Wiederholt wurden von maßgeblichen HAMAS-Führern Gewaltaktionen außerhalb Israels und der besetzten palästinensischen Gebiete abgelehnt. 6.4.2 Hizb Allah - Partei Gottes ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Bund NRW 2004 ca. 800 ca. 350 2003 ca. 800 ca. 350 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die schiitische libanesische 'Hizb Allah' hat sich unter anderem die Zerstörung des Staates Israel und die "Herrschaft des Islams" über Jerusalem zum Ziel gesetzt. Sie 215 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 stellt damit eine Bedrohung für den Norden Israels dar. Seit Jahren ist sie für Terroranschläge in dieser Region verantwortlich. Sie hat bislang keine gewaltsamen Aktionen in Deutschland durchgeführt, nutzt Deutschland und NRW jedoch als Ruheund Rückzugsraum. Öffentlich tritt sie wenig in Erscheinung. Die in Nordrhein-Westfalen lebenden 'Hizb Allah'-Anhänger werden auf der Grundlage des SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW vom Verfassungsschutz beobachtet. Hintergrund Die 'Hizb Allah' wurde 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon auf Betreiben Irans gegründet. Sie entwickelte sich auf Grund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und in den Vororten von Beirut. Die 'Hizb Allah' strebte zunächst jahrelang die Errichtung eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Vorbild im Libanon an. Inzwischen ist diese Forderung jedoch zugunsten einer pragmatischeren Haltung in den Hintergrund getreten. Eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Libanon strebt sie heute vor allem danach, ihre Möglichkeiten der Einflussnahme zu festigen und zu verstärken. Die 'Hizb Allah' hat sich als politische Kraft im Libanon etabliert. Sie ist seit 1992 im Parlament vertreten und hat ein Logo - Hizb Allah soziales Netzwerk aufgebaut. Mittlerweile versteht sie sich auch als Schutzmacht der Palästinenser und steht im Kontakt mit palästinensischen Gruppen. Der Kampf gegen Israel und für die muslimische Souveränität über Jerusalem gehören aber weiterhin zu ihren über die nationalen Interessen hinausgehenden Ziele. Geistliche Autorität der 'Hizb Allah' ist Sheihk Hussein Fadlallah, politischer Führer ist der Generalsekretär Hassan Nasrallah. Ideologie Die islamische Republik Iran hat für die 'Hizb Allah' als ideologisches Vorbild lange Zeit eine herausragende Rolle gespielt. Die wichtigsten schiitischen Geistlichen des Libanon haben sich zeitweise in der irakischen Stadt Nadjaf aufgehalten, wo auch Ajatollah Khomeini in den 60er Jahren im Exil lebte. Aufgrund der besonderen religiösen Bedeutung der schiitischen Pilgerorte und Lehrinstitutionen im Irak, gab es traditionell enge Verflechtungen zwischen den schiitischen Theologen und Denkern, aber auch den islamistischen Aktivisten aus dem Iran, dem Irak und dem Libanon. Unter ihnen waren die späteren politischen und geistlichen Führer der 'Hizb Allah'. Die dort entwickelten Ideen und Visionen waren richtungsweisend für die schiitischen religiösen wie politischen Bewegungen in der ganzen Region. Der Iran finanzierte zudem ei216 Islamismus nen Großteil der militärischen und zivilen Aktivitäten der 'Hizb Allah'. Vom iranischen Staatsmodell, wie es unter Ajatollah Khomeni geprägt wurde und wie es die Partei zunächst auch für den Libanon propagierte, hat sich die 'Hizb Allah' mittlerweile gelöst. Trotz der religiösen Unterschiede zwischen schiitischem und sunnitischem Islam finden sich übereinstimmende Aussagen in der politischen Argumentation der 'Hizb Allah' und dem sunnitischen Islamismus. Terrorwelle Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung machte die 'Hizb Allah' mit einer damals beispiellosen Terrorwelle auf sich aufmerksam, unter anderem mit Sprengstoffanschlägen auf die US-Botschaft und auf die französischen und amerikanischen Hauptquartiere der multinationalen Friedenstruppe in Beirut sowie auf das israelische Hauptquartier in Tyrus/Libanon, bei denen mehr als 400 Menschen getötet wurden. Es folgten Flugzeugentführungen und Geiselnahmen von Ausländern im Libanon. Nach dem Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs im Libanon im Jahr 1990 wurde die 'Hizb Allah' unter dem Druck der Schutzmacht Syrien als einzige Miliz nicht entwaffnet. Von den Anschlägen des 11. September 2001 hat sich die Partei ausdrücklich distanziert. Dagegen verurteilt sie die US-amerikanische Invasion im Irak. Mehrere tausend Kämpfer im Libanon Die 'Hizb Allah' verfügte im Libanon zeitweise über mehr als 1.000 Kämpfer, die sich als 'al Muqawama al Islamiyya' (islamischer Widerstand) bezeichnen. Ihr Ziel war die Vertreibung der israelischen Armee aus der von Israel einseitig erklärten "Sicherheitszone" im Süd-Libanon. Der Rückzug der israelischen Armee aus dem Süd-Libanon im Mai 2000 wurde von der 'Hizb Allah' als Sieg ihres militärischen Widerstands gefeiert. Um einen letzten noch unter israelischer Kontrolle verbliebenen Landstreifen (Sheba-Farmen) kämpft die Miliz aber noch immer. Anfang 2004 führte die 'Hizb Allah' unter deutscher Vermittlung einen groß angelegten Gefangenenaustausch mit Israel durch. Sie übergab die sterblichen Überreste dreier getöteter israelischer Soldaten sowie einen entführten israelischen Geschäftsmann. Im Gegenzug ließ Israel mehr als 400 arabische Gefangene frei und überstellte die Leichname von 59 'Hizb Allah'-Kämpfern. Finanzierung Aufgrund der ideologischen Nähe zum Iran war es in den Jahren des libanesischen Bürgerkrieges (1975-1990) vor allem die finanzielle Unterstützung aus Teheran, die den Erfolg der 'Hizb Allah' ermöglichte. Nicht zuletzt aufgrund dieser massiven Finanzhilfe gelang es der Partei, ihr weit verzweigtes karitatives Netz aufzubauen, das dem unterprivilegierten und verarmten schiitischen Teil der libanesischen Gesell217 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 schaft wichtige Unterstützung leisten konnte. Landflüchtige aus dem besetzten Süden des Landes strömten in die Vororte von Beirut und ließen sich dort nieder. Sie bildeten ein wichtiges Rekrutierungspotential für die Partei. Nach dem Tod Khomenis 1989 wurden die Unterstützungsleistungen zwar zurückgefahren, bilden aber immer noch ein wichtigen Teil der Finanzquellen der Partei. Daneben leistet Syrien als Schutzmacht wichtige Hilfe für die Partei. Eine weitere wichtige wirtschaftliche Quelle stellt der Drogenanbau in der von der 'Hizb Allah' kontrollierten Bekaa-Ebene dar. Der Anbau von Drogen dort ist auch nach dem Ende des Bürgerkriegs nicht vollständig eingestellt worden. Außerdem betreibt die 'Hizb Allah' legale Wirtschaftsunternehmen, aus denen sie Gewinne für ihre Arbeit abschöpfen kann und finanziert sich zudem über Spenden im Ausland lebender Anhänger. Struktur in Deutschland Bereits seit 1991 versucht die 'Hizb Allah'-Führung von Beirut aus in der Bundesrepublik Deutschland eine effiziente Organisationsstruktur unter ihren Anhängern aufzubauen. Diese Bestrebungen sind jedoch nach wie vor nicht abgeschlossen. Auch im Jahr 2004 dauerten interne Streitigkeiten und Rivalitäten zwischen den hier lebenden Anhängern an. Hinsichtlich der personellen Zusammensetzung des Führungsgremiums in Deutschland bestehen ebenfalls Meinungsverschiedenheiten, so dass bisher keine von allen Anhängern akzeptierte Führung etabliert werden konnte. Als eine Begegnungsstätte dient den 'Hizb Allah'-Anhängern das 'Islamische Zentrum' ('Imam-Mahdi-Zentrum') in Münster-Hiltrup, in dem neben schiitischen Libanesen, die allerdings nicht alle der 'Hizb Allah' zuzurechnen sind, Iraker, Afghanen und Pakistani verkehren. Bereits 1988 wurde als Trägerverein des Zentrums der 'Fatime Versammlung e.V.' in Münster gegründet. Das 'Imam-Mahdi-Zentrum' in Münster steht in enger Verbindung zu dem iranisch gesteuerten 'Islamischen Zentrum Hamburg' und stellt eine Anlaufstelle für 'Hizb Allah'-Anhänger im Westen Deutschlands dar. Da sich dort auch Anhänger der ebenfalls schiitischen libanesischen 'Amal'-Bewegung und Anhänger der irakischen 'DA'WA-Partei' sowie des 'Obersten Rates für die Revolution im Irak' treffen, kommt es immer wieder zu Interessenkollisionen, gelegentlich auch zu tätlichen Auseinandersetzungen. In jüngster Zeit haben sich die Aktivitäten der 'Hizb Allah' teilweise vom 'Imam-Mahdi-Zentrum' auf andere Orte verlagert. So befinden sich örtliche Schwerpunkte der 'Hizb Allah' in Aachen, Jülich, Löhne, Rheine und Velbert, wo zum Teil auch eigene Moscheevereine unterhalten werden. Mehrmals im Jahr kommen 'Hizb Allah'-Funktionäre zu Besuchsreisen in die Bundesrepublik Deutschland und überbringen Botschaften und Anweisungen des geistlichen Führers sowie des Generalsekretärs der Organisation und informieren über die aktu218 Islamismus elle politische Linie. Dabei gibt es jedoch unterschiedliche Präferenzen, je nachdem, ob es sich bei den Reisekadern um Gefolgsleute Fadlallahs oder Nasrallahs handelt. Aktuelle Entwicklung Der 4. Jahrestag des Rückzuges der Israelis aus dem Süd-Libanon wurde am 23. Mai in der Mehrzahl der der 'Hizb Allah' nahestehenden Gemeinden mit Gedenkveranstaltungen - aber in aller Stille - gefeiert. In der Folge des 11. September 2001 reduzierte die 'Hizb Allah' ihre öffentlichen Aktivitäten deutlich. 'Hizb Allah'-Funktionäre forderten ihre Anhänger immer wieder dazu auf, öffentlich keine Freude über die Anschläge in den USA zu zeigen und die in Deutschland geltenden Gesetze und Regeln zu beachten. Die Anhänger sind in letzter Zeit öffentlich kaum mehr in Erscheinung getreten. Hierzu hat sicherlich auch die Diskussion über ein mögliches Verbot von 'Hizb Allah'-Vereinen und -Einrichtungen beigetragen Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass auch im Jahr 2004 ein rückläufiger Trend der Besucherzahlen als Folge des spürbaren Desinteresses und der Inaktivität der Mitglieder in den der 'Hizb Allah' zuzurechnenden Vereinen und Einrichtungen zu verzeichnen ist. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das Aufkommen der Spenden und Mitgliedsbeiträge zurückgegangen ist, was die künftigen Aktionsmöglichkeiten der Vereine und Einrichtungen weiter reduzieren dürfte. Zu den Feierlichkeiten zum Ashoura-Fest und dem Ramadan reisten - wie in den Vorjahren auch - Geistliche aus dem Libanon zur Betreuung der 'Hizb Allah'-Gemeinden ein. Die Ashoura-Feierlichkeiten, die zu den höchsten schiitischen Feiertagen gehören waren 2004 teilweise gut besucht. Die Predigten befassten sich überwiegend mit religiösen Themen, mit politischen Äußerungen hielten sich die Prediger zurück. Auch unter den 'Hizb Allah'-Anhängern wurde der Militäreinsatz der USA und ihrer Verbündeten im Irak mit kritischem Interesse verfolgt und intern diskutiert. Neben Kritik an Saddam Hussein wegen seiner Unterdrückung der Opposition im Irak wurde auch die politische Position der USA als unglaubwürdig kritisiert. Der Krieg habe nicht dem alleinigen Ziel gedient, Saddam Hussein zu stürzen und den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Vielmehr seien wirtschaftliche Interessen sowie das Ziel der Festigung und Ausweitung des Einflusses in der Golfregion, insbesondere im Iran und in Syrien, Handlungsmotive der USA gewesen. Angesichts der aktuellen Gewalt im Irak und eines möglicherweise eskalierenden Bürgerkriegs zeigen sich viele 'Hizb Allah'-Anhänger bestürzt. 219 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 'Hizb Allah'-Anhänger beteiligten sich auch dieses Jahr an der alljährlichen Demonstration zum Jerusalem-Tag (Ghods-Tag), der jeweils am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan begannen wird. Seit 1996 finden diese Veranstaltungen in Berlin statt. Die diesjährige Veranstaltung fand am 13. November in Form eines Schweigemarschs mit etwa 800 Teilnehmern statt. 6.4.3 Hizb ut-Tahrir - (HuT) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder NRW Bund 2004 70 200 2003 70 250 Internet mehrsprachige Hompage ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Mit einer äußerst radikalen Agitation gegen den Staat Israel richten sich die Bestrebungen der Anhänger der 'Hizb ut-Tahrir' (HuT) gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NRW). Die HuT wurde 1952 von dem Rechtsgelehrten Scheikh Taqi al Din al-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und der palästinensischen 'Muslimbruderschaft', gegründet. Es handelt sich um eine multinationale Bewegung, die sich an alle Muslime richtet. Vorrangiges Ziel der Organisation ist die Wiedereinführung des Kalifats in einem islamischen Staat zur Durchsetzung der wahren islamischen Ordnung. Auf ihrer deutschsprachigen Homepage charakterisiert die HuT sich selbst wie folgt: Hizb ut-Tahrir ist eine politische Partei, deren Ideologie der Islam ist. Politik ist ihre Tätigkeit und der Islam ihr ideologisches Fundament. Sie arbeitet innerhalb der islamischen Umma (Gemeinde) und mit ihr, damit diese den Islam zu ihrer Angelegenheit erhebt und sie von der Partei zur Wiedererrichtung des Kalifats und der Regentschaft mit dem, was Allah offenbart hat, geführt wird. Hizb ut-Tahrir ist ein politischer Block. Er ist nicht spiritueller, wissenLogo - Hizb ut-Tahrir 220 Islamismus schaftlicher, erzieherischer oder karitativer Natur. Die islamische Idee bildet die Seele seines Körpers, seinen Kern und sein Lebensgeheimnis". Die Partei ist in allen arabischen Ländern verboten, insbesondere deshalb, weil sie dort existierende Herrschaftsordnungen ablehnt und alle arabischen Herrscher als Ungläubige ansieht. Entgegen der Auffassung andere islamistischer Gruppierungen kann es für die HuT die Durchsetzung der wahren islamischen Ordnung erst nach Errichtung des Kalifatsstaates geben. Die HuT kennzeichnet ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden gelten - wie die Christen - als Ungläubige, deren Lebensform abzulehnen ist. In einem Flugblatt der HuT aus dem Jahre 2002 heißt es: "Ihr Armeen in den islamischen Ländern: Ist es nicht an der Zeit, euch nach dem Paradies zu sehnen? Ist es nicht Zeit für euch, nach der Ehre im Diesseits und im Jenseits zu streben? Ihr sollt das hässliche Judengebilde vernichten und den Ruhm des Islam und die Geschichte der großen Führer wieder aufleben lassen. Tut ihr dies, werden eure Taten sowohl im Diesseits als auch im Jenseits in leuchtenden Buchstaben verzeichnet werden." Struktur Die Partei, die einen streng hierarchischen Aufbau hat, ist heute weltweit aktiv und international vernetzt. Ihre Anhängerschaft verhält sich streng konspirativ. Neue Mitglieder werden bevorzugt innerhalb der gesellschaftlichen Elite geworben, was sich aus der Kaderstruktur herleitet sowie aus der Auffassung, dass die Partei eine Vorreiterrolle für den Aufbau des islamischen Staates spielt. Von den Mitgliedern wird strikter Gehorsam erwartet. Positionen und Meinungen, die von der Parteiführung vertreten werden, sind für alle Mitglieder verbindlich. In der Bundesrepublik Deutschland existieren verschiedene Regionen der HuT. Innerhalb dieser Regionen agieren offensichtlich von einander abgeschottete Kleinstgruppen, die sich durch ein hohes Maß an Konspiration auszeichnen. Aktivitäten der 'Hizb ut-Tahrir' in Deutschland und NRW In NRW sind zwei europäische Führungsfunktionäre der Organisation ansässig. In der Vergangenheit traten Führungsfunktionäre der HuT öffentlich an Universitäten auf, um dort ihre Anhängerschaft zu gewinnen. Anlässlich derartiger Auftritte war immer wieder eine radikale Agitation gegen den Staat Israel, bis hin zur Forderung nach dessen Vernichtung, festzustellen. 221 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Außerdem wurden zahlreiche Internetund Flugblattveröffentlichungen festgestellt, in denen unter anderem die Notwendigkeit des Kampfes der Kulturen beschrieben wurde. Nach Auffassung der Autoren dieser Veröffentlichungen sind die islamische und die westlich-kapitalistische Kultur nicht miteinander vereinbar, was letztlich dazu führt, dass auch der Jihad in der Bedeutung eines bewaffneten Kampfes als notwendiges Mittel zur Verbreitung des Islam angesehen wird. Obwohl sich die Partei gewaltbefürwortend äußert, waren gewalttätige Aktivitäten bisher nicht festzustellen. Das Bundesministerium des Innern verfügte mit Wirkung vom 15. Januar 2003 gegen die Organisation ein Betätigungsverbot in Deutschland. Grundlage war die antijüdische, antiisraelische und antiwestliche Agitation der HuT, womit sie die Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Über die gegen das Verbot angestrengte Klage ist noch nicht entschieden. 6.4.4 Muslimbruderschaft (MB); Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD); Islamisches Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. (IZA) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Bund NRW 2004 1.300 320 2003 1.300 320 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Ziel der 'Muslimbruderschaft' (MB) ist die Ablösung der als unislamisch geltenden Regimes in den muslimischen Staaten, notfalls auch mit Gewalt. Somit gefährden ihre Anhänger durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Die 1928 von Hassan al Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islam. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten verbreitet, sondern nach eigenen Angaben in 70 Ländern weltweit vertreten. Nach ihrer Ideologie sind die meisten Regime in der muslimischem Welt unislamisch. Ziel der MB ist die Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Sharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. 222 Islamismus Als islamisch verstehen die Vertreter der MB eine Gesellschaft, die frei von westlichen Einflüssen ist und sich mit einem traditionellen, konservativen Islamverständnis am Koran und den Überlieferungen des Propheten orientiert. Dafür muss in der Gesellschaft ein "wahres" islamisches Bewusstsein geschaffen werden, wobei die Methoden, mit denen dieses Ziel verfolgt wird, unterschiedlich sind. Sie reichen von aktiver und konstruktiver Teilnahme an der Politik eines Landes bis hin zur fundamentalen Opposition als verbotene und unterdrückte Gruppierung und dem Logo - Einsatz von Terror und Gewalt. Durch ihr Wirken im kariMuslimbruderschaft tativen und sozialen Bereich versteht es die MB ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Struktur Hervorgegangen ist die 'Islamische Gemeinschaft Deutschlands' (IGD) aus der 1960 in München vom einflussreichen ägyptischen Muslimbruder Dr. Said Ramadan gegründeten 'Moscheebau-Kommission e.V.'. Das ursprüngliche Vereinsziel, die Errichtung einer Moschee, wurde mit dem Bau des 'Islamischen Zentrums München' (IZM) 1973 realisiert. Das 'Islamische Zentrum München' gibt die deutschsprachige Vierteljahresschrift 'al-Islam' heraus, die IGD unterhält eine eigene deutschsprachige Homepage. Der IGD zuzurechnen ist die 'Muslimstudentenvereinigung in Deutschland e.V.' (MSV). Die IGD ihrerseits gehört zu den Gründungsmitgliedern der 'Föderation Islamischer Organisationen in Europa' (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa gilt. Das von dem ehemaligen Führer der syrischen Muslimbruderschaft, Professor Issam el Attar, gegründete 'Islamische Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V.' (IZA) spaltete sich 1981 von der IGD ab. Seine Anhängerschaft nennt sich nunmehr 'Islamische Avantgarden'. Zum IZA gehören als Unterorganisationen die 'Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e.V.' (UMSO) und die 'Union für die in Europäischen Ländern arbeitenden Muslime e.V.' (UE-LAM). Islamische Zentren in Nordrhein-Westfalen, die der IGD zuzurechnen sind, befinden sich in Köln und Münster. Daneben beeinflusst die IGD weitere Zentren in mehreren Städten in NordrheinWestfalen. 223 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Finanzen Die vorgenannten Organisationen finanzieren sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und dem Verkauf von Publikationen, wobei seit geraumer Zeit die Spendenbereitschaft der Anhänger deutlich zurückgegangen zu sein scheint, da sowohl IGD als auch IZA immer wieder zu höherer Spendenbereitschaft aufrufen. Aktivitäten der MB in Deutschland Aktivitäten der Muslimbruderschaft sind in der Deutschland nur gelegentlich festzustellen. Sie äußern sich in politischer Agitation, insbesondere gegen den Staat Israel. Gewalttätige Aktionen von Anhängern der Muslimbruderschaft waren bislang nicht feststellbar. Am 18. September in Essen und am 19. September in Berlin veranstaltete die IGD ihre Jahrestreffen 2004. Die Treffen standen unter dem Motto "Muslime in Deutschland - Bereicherung statt Bedrohung". Nach Angaben von IGD-Verantwortlichen besuchten mehr als 13.000 Teilnehmer die beiden Veranstaltungen. Wie im Jahr 2003 wollte die IGD mit dem ausgewählten Motto offensichtlich ihr Bemühen für ein harmonisches Miteinander zwischen Muslimen und Nichtmuslimen dokumentieren. Zu den Rednern gehörten prominente Vertreter der Ideologie der MB. In einer Presseerklärung vom 1. September hatte die IGD die Geiselnahme der beiden französischen Journalisten im Irak, mit der die Rücknahme des Kopftuchverbotes in Frankreich innerhalb von 48 Stunden durchgesetzt werden sollte, verurteilt und sich ausdrücklich von dieser Vorgehensweise distanziert. Wörtlich hieß es: "Wir lehnen Gewalt als Mittel zur Auseinandersetzung ab, wir wollen unsere religiösen und sozialen Rechte mit friedlichen Mitteln durchsetzen". Der Artikel endete mit der Forderung der sofortigen Freilassung der Geiseln. Auch hier ist das Bestreben aus Kreisen der 'Muslimbruderschaft' erkennbar, sich in der Bundesrepublik Deutschland von islamistischer Gewalt zu distanzieren. 6.4.5 Front Islamique du Salut - Islamische Heilsfront (FIS) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Bund NRW 2004 350 80 2003 350 80 Internet englischsprachige Hompage ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 224 Islamismus Hintergrund Die 'Front Islamique du Salut' (FIS) wurde 1988 als nationaler algerischer Zweig der 'Muslimbruderschaft' gegründet. Sie wurde im Frühjahr 1989 als erste islamische politische Partei zugelassen. Als sich jedoch bei den Wahlen Ende 1991 ein Sieg der FIS abzeichnete, wurden diese vom algerischen Regime annulliert und das Militär ergriff die Macht. Die FIS wurde Anfang 1992 verboten, ihre Gründer und Führer, Abbassi Madani und Ali Belhadj wurden inhaftiert. Ziel der FIS ist die Errichtung eines islamischen Staates Algerien, sie bediente sich im Widerstand gegen die algerische Regierung bis 1997 ihres bewaffneten Arms, der 'Armee Islamique du Salut' (AIS). Die FIS gefährdet die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch ihre hier lebenden Anhänger insoweit, als sie durch Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen die Verhältnisse in ihrem Heimatland verändern will (SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW). Logo - Islamische Struktur Heilsfront Angesichts der Verhaftungswelle 1992 floh eine kleine Gruppe der FIS-Führungsebene ins Exil. So leben der von Madani zum Leiter der 'Exekutivinstanz der FIS im Ausland' (IEFE) ernannte Rabah Kebir sowie einige Söhne Madanis in NRW. Kebir, der weiter auf eine Aussöhnung mit dem algerischen Regime setzt, zeigt inzwischen nur noch geringes politisches Engagement und verliert zunehmend an Unterstützung. Seitens sogenannter Hardliner wurde 1997 eine neue Auslandsvertretung, der 'Koordinationsrat der FIS' (CCFIS) gegründet, dessen Gefolgsleute unter ihrem in der Schweiz lebenden kommissarischen Leiter die Rückkehr zur kompromisslosen Durchsetzung der politischen Ziele der FIS forderten. Im Rahmen eines vom Koordinationsrat vorbereiteten Kongresses wurde 2002 die Auflösung der beiden konkurrierenden Flügel der Auslands-FIS beschlossen, wobei die Legitimität des Kongresses sowohl von der algerischen FIS als auch von Teilen der Auslands-FIS in Abrede gestellt wurde. Inzwischen hat es den Anschein, dass eine funktionierende Auslandsvertretung der FIS nicht mehr existiert. Aktuelle Entwicklung Die aktuelle Situation der FIS in Algerien ist seit der Haftentlassung der ihrer Gründer Madani und Belhadj am 2. Juli 2003 nahezu unverändert. Für die Zukunft wird entscheidend sein, ob die Erwartungen weiter Teile der algerischen Bevölkerung seitens der algerischen Regierung erfüllt werden können und gemäßigte islamische Organisationen, in denen sich auch die FIS-Anhänger wiederfinden können, mit in die Regierungsverantwortung eingebunden werden. 225 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Die Anhänger der FIS in Deutschland sind weitgehend inaktiv. Möglicherweise, weilein neuer Kurs zwischen den rivalisierenden Gruppierungen noch nicht gefunden ist. So kamen geplante Treffen algerischer Oppositioneller in Düsseldorf, auf denen dem Anschein nach die weitere Entwicklung der FIS festgelegt werden sollte, nicht zu Stande. 6.4.6 Groupe Islamique Armee - Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Mitglieder Einzelmitglieder und Aktivisten in Deutschland ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Groupe Islamique Armee' (GIA) entstand 1994 als militante Abspaltung der FIS. Sie agiert seitdem autonom und wird von streng gläubigen Salafisten dominiert. Ihr Ziel ist die Errichtung eines weltweiten "Gottesstaates" auch mit terroristischen Mitteln, wobei zunächst das unislamische algerische Regime beseitigt werden soll. Die GIA schreckt nicht vor Massakern an der Zivilbevölkerung zurück. Hierbei gehen örtlichen Führer der GIA (so genannte Warlords) wahllos gegen alles nach ihrer Auffassung Ungläubige und Abtrünnige vor. Ein politisches Konzept ist inzwischen nicht mehr erkennbar. Sollte der eingeschlagene Kurs der Versöhnung in Algerien erfolgreich sein, wird die GIA weiter an Bedeutung verlieren, da sie in weiten Teilen der Bevölkerung keinen Rückhalt mehr findet. Andererseits ist zu befürchten, dass sie bei Scheitern des Versöhnungskurses wieder an Bedeutung gewinnen könnte. Aktuelle Aktivitäten In NRW sind nur einige wenige GIA-Anhänger bekannt, deren Gewaltbereitschaft nicht zu unterschätzen ist, gleichwohl Logo - GIA sind bislang keine gewalttätigen Aktivitäten feststellbar. Anzeichen für eine Gefahr von Anschlägen von Angehörigen der GIA in Deutschland liegen derzeit nicht vor. Einzelne Anhänger der Gruppierung haben sich allerdings zwischenzeitlich dem terroristischen Netzwerk um Usama Bin Laden angeschlossen. 6.4.7 Groupe Salafiste pour la predication et le combat - Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 226 Islamismus Mitglieder Einzelmitglieder in Deutschland ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Hintergrund Die 'Groupe Salafiste pour la predication et le combat' (GSPC) wurde 1997 von einem ehemaligen Gebietsemir der GIA, Hassan Hattab, gegründet. Sie gilt bis heute als die schlagkräftigste algerische Terrorgruppe und besteht aus unzähligen Kleinund Kleinstgruppen. Eine Aussöhnung mit dem algerischen Staat lehnt sie ab. Von Europa aus werden Gewaltaktionen der GSPC in Algerien logistisch unterstützt, hierbei handelt es sich um illegale Aktivitäten wie Schleusungen, Materialtransfers und Beschaffung gefälschter Papiere, um Gruppenmitgliedern Reisebewegungen oder gesicherten Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. GSPC-Anhänger sind auch in das terroristische Netzwerk um Usama Bin Laden abgewandert. Hierzu gehörten die bereits im März 2003 vom OLG Frankfurt/M verurteilten Mitglieder der so genannten 'Meliani-Gruppe'. 6.5 Türkische Islamisten ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 6.5.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Sitz Kerpen Generalvorsitzender Yavuz Celik Karahan (Osman Döring) Mitglieder NRW Bund 2004 7.200 26.500 2003 7.200 26.500 Publikationen Milli Görüs & Perspektive (IGMG) Milli Gazete (Saadet-Partei-SP-) Fernsehsender ehemals Kanal 7, jetzt TV 5 (SP-nahestehend) ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Die 'Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.' (IGMG) ist die größte in Deutschland tätige islamistische Organisation. Als Teil der von Prof. Necmettin Erbakan in der Türkei initiierten und bis heute angeführten Bewegung 'Milli Görüs' vertritt sie auch deren Weltsicht, die unter anderem in der Schrift "Gerechte Ordnung" ("adil düzen") 227 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 dargelegt ist. Darin wird die westliche Zivilisation als "nichtige Ordnung" ("batil düzen") bezeichnet, die auf Gewalt beruhe, und durch eine islamistische, auf der göttlichen Wahrheit und dem daraus abgeleiteten Recht (hak) basierende "gerechte Ordnung" abzulösen sei. Daraus folgt, dass die Institutionen und Gesetze, die aus der "nichtigen Ordnung" entstanden sind und ihrer Aufrechtherhaltung dienen, nach Auffassung von 'Milli Görüs' ebenfalls überwunden werden müssen. Dies bringt die IGMG, die von Erbakan als "Armeekorps" bezeichnete europäische 'Milli Görüs', in einen fundamentalen Gegensatz zur Verfassungsordnung. Damit richten sich die Bestrebungen der IGMG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, so dass ihre Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW geboten ist. Hintergrund Die IGMG entstand im Jahr 1995 durch eine Neugliederung von 'Milli Görüs'-Vereinen in Deutschland. Aus der Organisation 'Avrupa Milli Görüs Teskilatlari' (AMGT) ging die 'Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft' (EMUG) hervor. Ein Bonner 'Milli Görüs'-Verein wurde in IGMG umbenannt. In den neuen Vorständen von EMUG und IGMG waren dieselben Personen vertreten, die zuvor im Vorstand der AMGT gesessen hatten. Auch wenn nur die EMUG formaljuristische Nachfolgerin der AMGT ist, zeigen die personellen Verflechtungen, die Beibehaltung der Bezeichnung 'Milli Görüs' sowie die tatsächliche Fortführung der religiösen, kulturellen, sozialen und politischen Aktivitäten durch die IGMG deutlich, dass 1995 innerhalb der Bewegung lediglich eine organisatorische Trennung in einen wirtschaftlichen (EMUG) und einen ideellen (IGMG) Bereich stattgefunden hat. Die IGMG ist das Sammelbecken der in Europa lebenden Anhänger der 'Milli Görüs'-Bewegung. Die 'Milli Görüs'-BeweLogo - IGMG gung wurde Ende der 1960er Jahre in der Türkei von Necmettin Erbakan initiiert. Die IGMG unterstützt andere Teile der Bewegung nach Kräften. Insbesondere bei den türkischen Parlamentswahlen Ende 1995 wurde die von Necmettin geführte 'Refah Partisi' (Wohlfahrtspartei) massiv gefördert, so dass sie als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging. Einige Monate später konnte Erbakan mit Hilfe der 'Partei des rechten Weges' eine Koalitionsregierung bilden (Juni 1996), die nach einem Jahr auseinanderbrach. Die 'Refah Partisi' wurde vom türkischen Verfassungsgericht im Januar 1998 verboten. Als sich das Verbot abzeichnete, wurde die 'Fazilet Partisi' (Tugendpartei) gegründet, zu der fast alle 'Refah'-Abgeordneten übertraten. 228 Islamismus Spaltung der islamistischen Partei Nach dem Verbot der 'Fazilet Partei' im Juni 2001 gründeten die so genannten "Traditionalisten" um Erbakan am 20. Juli 2001 die 'Saadet Partisi' ('Glückseligkeitspartei' - SP). Die so genannten "Erneuerer" um den ehemaligen Bürgermeister von Istanbul, Recep Tayyip Erdogan, gründeten am 14. August 2001 die 'Adalet ve Kalkinma Partisi' ('Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei' - AKP). Die Spaltung in zwei Parteien beruhte zunächst weniger auf ideologischen Unterschieden als auf Rivalitäten und unterschiedlichen Auffassungen über geeignete Strategien zur Erreichung der Macht. Beide, besonders aber die AKP, vermieden in ihren Grundsatzaussagen bestimmte Schlüsselbegriffe wie "Milli Görüs" oder "adil düzen", um nicht Titelseite der Vereinszeitschrift von Anfang an den Verdacht zu stützen, es handeMilli Görüs & Perspektive le sich wiederum um Ersatzorganisationen für Ausgabe Juli/August die verbotene 'Fazilet Partisi'. Bisher wurden Sie trägt die Überschrift "Kinder von der jeweiligen islamistischen Partei be... wir erwarten euch zu den wusst Begriffe verwendet, die aus dem ArabiSommerkursen ..." schen stammen und während des Osmanischen Reichs gebräuchlich waren. Damit wurde unausgesprochen an die Zeit des Kalifats angeknüpft. Der Sieger der türkischen Parlamentswahlen vom 3. November 2002 hieß Recep Tayyip Erdogan. Seine Partei, die AKP, erreichte 34,9% der abgegebenen Stimmen und stellt als stärkste Fraktion im türkischen Parlament die Regierung. Alle Äußerungen und Handlungen Erdogans und der anderen Führungsfunktionäre der AKP zielen darauf ab, deutlich zu machen, dass sie sich von islamistischen Positionen gelöst haben und sich als konservative Partei mit islamischem Hintergrund verstehen. Seit Regierungsantritt der AKP hat sich die Haltung innerhalb der SP in religiöser und nationalistischer Hinsicht weiter versteift. Die IGMG ist nach wie vor eng mit Erbakan und der SP verbunden und hat - trotz einiger reformerischer Tendenzen - mit Erbakan und seiner islamistischen Weltanschauung, die mit den Grundsätzen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist, nicht gebrochen. 229 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Struktur In der gesamten 'Milli Görüs'-Bewegung gilt Necmettin Erbakan als unumstrittener Führer. Auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam wird großer Wert gelegt. In einem älteren Papier hieß es: "Die Befehlsgewalt stellt das Nervensystem der Organisation dar". Die auch heute noch ausgeprägten patriarchalen Strukturen in der Bewegung bleiben niemandem, der sich mit ihr beschäftigt, verborgen. Man muss feststellen, dass Erbakan über eine erhebliche, wenn nicht gar unanfechtbare Autorität verfügt. Auch heute benötigt die Führungsspitze in Deutschland noch die Zustimmung von Erbakan, um bei den Anhängern als legitim zu gelten. Angesichts dieser Machtkonstellation in der 'Milli Görüs'-Bewegung ist festzustellen, dass die heutige IGMG nach wie vor auf der ideologischen Grundlage Erbakans steht. Die Europazentrale der IGMG befindet sich in Kerpen. In Deutschland ist die IGMG organisatorisch in 16 Regionalverbände untergliedert. Die Regionalverbände sind Zusammenschlüsse der Ortsvereine. In Nordrhein-Westfalen gibt es mit Ruhr-Nord, Ruhr A, Düsseldorf und Köln vier Regionalverbände. Der IGMG gehören in Nordrhein Westfalen rund 100 Ortsvereine an, die ihren Mitgliedern neben der religiösen Betreuung auch ein breit gefächertes Angebot auf kulturellem, sozialem und pädagogischem Gebiet unterbreiten. Neben Vortragsveranstaltungen werden Gesprächskreise, Kurse für Frauen, Koranlesewettbewerbe und geschlechtergetrennte Ferienlager für Kinder bis hin zu Computerkursen angeboten. Neben einer Frauen-, Jugendund Studentenabteilung unterhält die IGMG eigene Sportvereine. Ferner organisiert die IGMG Pilgerfahrten nach Mekka. Außerdem hat sie nach einem Streit und gerichtlicher Auseinandersetzung mit dem Leiter des 'Muslimischen Sozialbundes e.V.' (MSB), zu dem auch die 'Bestattungskostenvereinigung' (BKUV) gehört, mit dem 'Cenaze Fonu' einen eigenen Bestattungsfond eingerichtet. Des weiteren unterstützt die IGMG türkische Muslime in juristischen Fragen. Sie unterhält eine eigene Rechtsabteilung, die ihren Mitgliedern bei Konflikten mit der Schule, aber auch bei Problemen am Arbeitsplatz, Rechtsbeistand gewährt. Außerdem berät sie ihre Mitgliedsvereine im Miet-, Immobilien-, Vereinsund Baurecht. In letzter Zeit gewinnt die Unterstützung der Mitglieder bei Einbürgerungsbegehren zunehmend an Broschüre des IGMGBedeutung. Beerdigungsfond 230 Islamismus Finanzierung Die Organisation finanziert sich aus monatlichen Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Erträgen aus Immobilien. Medien und Aussagen Die IGMG bedient sich verschiedener Medien, um ihre Botschaften und Aktivitäten zu verbreiten. In der monatlich erscheinenden 'Milli Görüs & Perspektive' stellt die IGMG ihre Aktivitäten dar. Die türkische Tageszeitung 'Milli Gazete', die der 'Saadet Partisi' nahe steht, erscheint mit einer Deutschlandausgabe, in der die Berichterstattung über die IGMG breiten Raum einnimmt. In der 'Milli Gazete' wird nicht nur über die 'Saadet Partisi', sondern regelmäßig auch umfänglich über lokale, regionale und bundesweite Veranstaltungen (Mitgliederversammlungen, Eröffnungsfeiern von Moscheen, Jugendfeste, Sommerferienkurse u.v.a.) der IGMG berichtet. Des Weiteren finden sich dort auch Annoncen der IGMG, die zu Veranstaltungen der Organisation einladen und für einen Besuch werben. Die Artikel offenbaren eine derart detaillierte Kenntnis der Veranstaltungen, ihrer Teilnehmer und Termine, wie sie von einer außenstehenden/organisationsunabhängigen Publikation kaum zu erwarten wären. Weder die Homepage der IGMG noch die Vereinszeitschrift 'Milli Görüs & Perspektive', sondern die tägliche 'Milli Gazete' stellt die Hauptinformationsquelle über das Vereinsleben dar. Innerhalb der IGMG und auch auf Veranstaltungen der IGMG wird für das Abonnement der 'Milli Gazete' geworben. Der ehemalige hessische IGMG-Gebietsleiter ist mittlerweile PR-Beauftragter bei der 'Milli Gazete'. Dabei profitiert er von seiner Bekanntheit in IGMG-Kreisen und erhält Auftrittsmöglichkeiten bei IGMG-Veranstaltungen. In der 'Milli Gazete' vom 29. Juli 2004 wurde mit einem Artikel über eine Abonnement-Kampagne im IGMG Gebiet Ruhr A für die 'Milli Gazete' geworben. Laut Artikel wurde die IGMG-Gemeinde Marl von der 'Milli Gazete' zu einem Grillabend eingeladen. An dem Fest nahmen die Abonnenten der Zeitung und ihre Familienmitglieder teil. Der PR-Beauftragte der 'Milli Gazete' rief die Teilnehmer dazu auf, dafür zu sorgen, dass in jedem Haushalt eine 'Milli Gazete' ausliegt. In der 'Milli Gazete' finden sich immer wieder Aussagen, die eine klare antisemitische und antidemokratische Haltung offenbaren. So heißt es in der Internetausgabe der 'Milli Gazete' vom 14. Mai 2004 in einem Artikel eines Kolumnisten über die Besetzung des Irak mit der Überschrift "An alle Muslime der Welt": 231 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 "Politiker! Das Ende des Ungeheuers, der das Blut aller Länder gesaugt hat, ist gekommen. Er zappelt wie ein Kapaun, der geköpft wurde. [...] seid nicht wie die verschrockenen Tiere, die vor einer toten Hyäne Angst haben, weil sie denken, dass sich ihre Haare noch bewegen, es ist der Wind. Es ist an der Zeit, dass sich alle auf sie stürzen. Ihr habt kein anderes Schild außer eurem Blut gegen die Mörder, die den Glauben unserer Intellektuellen rauben und das Leben unserer Gläubigen nehmen. Mudjahedin! Schlagt dieses übelriechende Ungeheuer um, das von anderen Ländern bisher nicht angegriffen werden konnte, weil sich seine Haare noch im Wind bewegten. Schlagt es um, damit diejenigen, die bisher vor ihm Angst hatten, seine Haare und Knochen im Topf ihres Hasses kochen. Erlaubt auch nicht den Kindern dieser Hyänen-Herde, die innerlich wie die Pest schmutzig ist und sich äußerlich wie Jesus geschmückt hat, euch mit dem Kreuz zu erdolchen. Schickt diese Henker, die sich mit dem Mantel der Demokratie gekleidet haben, in Särgen zurück, damit ihre ekeligen Leichen das heimische Land nicht beschmutzen." Mete Gündogan, der stellvertretende Vorsitzende der SP, beschreibt die Ziele der 'Milli Görüs' in der 'Milli Gazete' vom 7. Juni 2004 folgendermaßen: "1. Eine Türkei, in der es sich leben lässt [...], 2. Eine neue Großtürkei [...], 3. Eine neue Welt. Die heutige Welt basiert nicht auf gerechten Grundlagen. Die globale Ordnung der Profitgier versucht mit aller Macht, die gesamte Welt zum Sklaven zu machen. So kann es jedoch nicht funktionieren. Es ist notwendig, dass zunächst unsere Region und später die gesamte Welt auf gerechten Grundlagen neu strukturiert werden. [...] Das ist die Vision der Milli Görüs." Und in der Internetausgabe vom 14. Juli 2004 wird in der Kolumne gegen Andersgläubige gehetzt: "Du wirst naturgemäß feststellen, dass die bedeutendesten Feinde der Gläubigen die Juden und die Götzendiener sind. Du wirst feststellen, dass die Christen behaupten, dass sie den Gläubigen am nächsten nahe stehen, weil sie Pfarrer und Mönche haben. [...] Jedoch in der Sure Fatima wird uns gelehrt, dass das Wichtigste, was wir von Allah verlangen können, die Wahrheit ist. Diese Wahrheit ist dieselbe Wahrheit, die Allah seine Propheten gelehrt hat und uns wird auch gelehrt zu beten, dass wir nicht den Weg der perversen Christen, die glauben, sie wären auf dem wahren Weg, und der von Allah verfluchten Juden gehen dürfen." Die IGMG selbst unterlässt seit Jahren solche Äußerungen in der Öffentlichkeit und versucht, sich von diesen - wenn möglich - zu distanzieren. In der Türkei reden und schreiben 'Milli Görüs'-Anhänger jedoch weiterhin unverblümt antisemitisch. Es gibt zu denken, wenn sich die IGMG zwar hierzulande von solchen Aussagen distanziert, 232 Islamismus aber andererseits Autoren Kolumnisten der 'Milli Gazete', die solche Artikel schreiben, zu ihren Veranstaltungen einlädt. In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren der IGMG gegen das Land BadenWürttemberg auf Unterlassung von im Verfassungsschutzbericht 2001 getroffenen Äußerungen stellte das VG Stuttgart mit Beschluss vom 16. Mai 2003 - Az.: 18 K 4179/02 fest: "Im Übrigen dürfte der Antragsgegner für die 'Milli Gazete' durch Vorlage entsprechender Artikel [...] belegt haben, dass deren Inhalte sich mit den vom Antragsteller propagierten Zielen und Programmen - unter anderem der Einführung der Scharia als Rechtssystem - decken. Übereinstimmung mit den Zielen des Antragstellers besteht auch hinsichtlich der antisemitischen Haltung, was in den vorgelegten Artikeln [...] einerseits und den im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2001 auf den Seiten 150-152 zitierten Äußerungen von Gastrednern des Antragstellers andererseits zum Ausdruck kommt." Mit dem türkischen Fernsehsender 'Kanal 7' verfügte die IGMG früher über ein wichtiges Propagandainstrument. Der von IGMG Mitgliedern finanziell unterstützte Sender diente zunächst der 'Refah-Partisi', danach den aus ihr hervorgegangenen islamistischen Parteien zur Verbreitung ihres Gedankenguts. Der Sender kann über Satellit in Europa empfangen werden. Mittlerweile hat die 'Saadet Partisi' ihre Anteile an dem Sender veräußert, da dieser nicht mehr die von der 'Saadet Partisi' verfolgten Ziele unterstützt. Aus diesem Grund kaufte die 'Saadet Partisi' einen neuen Sender. Dabei handelt es sich um den Sender 'TV 5'. Die IGMG-Mitglieder reagierten auf den Verkauf des Senders 'Kanal 7' mit Verärgerung, da sie seinerzeit Anteilsscheine gekauft hatten, um den Sender zu finanzieren. Die Bereitschaft 'TV 5' mitzufinanzieren, dürfte entsprechend gering sein. Die IGMG ist mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. Die in deutscher Sprache angebotenen Internetseiten wurden kurz nach den Anschlägen in den USA drastisch überarbeitet. Seit dem Frühjahr 2002 ist die Homepage umfassender und in neuem Design gestaltet. Sie bietet Presseerklärungen der Organisation und die Möglichkeit, Publikationen der IGMG downzuloaden. Die Ziele der IGMG werden in der neuen Fassung auf die "umfassende Organisation des religiösen Gemeindelebens" und die "gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften" eingegrenzt. Ferner kann hier das Internetradio der IGMG ('igmg.fm') empfangen werden. 233 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Entlarvende Aussagen im Internet Im Internet-Forum der IGMG waren Anfang 2004 ein kritischer Beitrag zur IGMG und die Antwort eines IGMG-Funktionärs darauf zu lesen. Im Folgenden sind die für die innere Haltung der IGMG aufschlussreichen Passagen dokumentiert. Aus der E-mail des Kritikers: "Um dem Verfassungsschutz zu gefallen und aus dem Verfassungsschutzbericht heraus zu kommen, werden unglaubliche Zugeständnisse gemacht. Es ist kaum zu glauben [wörtlich: es ist nicht so, wie es sein soll; Anm. der Verf.]. Ein ganz einfaches Beispiel: Ich höre die Reden unserer Oberen [wörtlich: älteren Brüder; Anm. des Verf.], die in der Leitung der Zentrale oder der Bölges sind, an und man verwendet eine besondere Sorgfalt darauf, Begriffe, die mit 'islamisch', sozial-politisch oder 'Milli Görüs' identifiziert werden, nicht zur Sprache zu bringen. Zum Beispiel Jihad (man muss darunter ja nicht gleich Krieg verstehen, eben das, was im Koran steht), 'die Auseinandersetzung zwischen Hak und Batyl' [göttlicher Wahrheit und nichtigem, falschem Glauben; Anm. des Verf.], Loyalität zu Erbakan, die Freimaurerclubs, fanatischer Zionismus, Erbakan, Adil Düzen [die Gerechte Ordnung] ... (das sind einige Begriffe, die mir in kurzer Zeit eingefallen sind, wir könnten natürlich weitere aufzählen) WARUM FÜRCHTET MAN SICH? WEN WOLLT IHR MIT DIESER ÄNGSTLICHEN UND ZURÜCKHALTENDEN HALTUNG ÜBERZEUGEN/BETRÜGEN? ANDERE ODER EUCH SELBST? WAR DIES DIE METHODE DES PROPHETEN?" [Sperrung im Original] Aus der Antwort des IGMG-Funktionärs: "Außerdem sind alle Tätigkeiten von 'Milli Görüs' Jihad-Tätigkeiten, denn es sind Tätigkeiten, die getan werden, um Gottes Wohlgefallen zu gewinnen und um der Menschheit von Nutzen zu sein. Deshalb ist eine solche Kritik von Ihnen in keiner Weise haltbar. Wenn wir zum von Ihnen angesprochenen Problem des fanatischen Zionismus kommen, so haben doch wohl auch Sie, wenn Sie mal darauf achten, das Bemühen, die Begriffe an der richtige Stelle zu platzieren. Was mit Auslandsnachrichten im Zusammenhang steht, so wird auf dieser Seite [gemeint ist die Internetseite der IGMG; Anm. des Verf.] am meisten im Zusammenhang mit Israel und über den vom Staat Israel gegen unsere palästinensischen Brüder betriebenen Staatsterror gesprochen. In zahlreichen Presseerklärungen im Zusammenhang mit Israel haben wir unsere Missbilligung geäußert; die berechtigten Anliegen unserer palästinensischen Brüder wurden in jeder Hinsicht unterstützt. Was wir unter Adil 234 Islamismus Düzen verstehen, ist, dass die Gerechtigkeit und die göttliche Wahrheit herrschen, dass die zwischenstaatlichen und menschlichen Beziehungen auf Gerechtigkeit gebaut werden. Diese Angelegenheiten werden überall zur Sprache gebracht. Ich gehe auf diese Themen nur kurz ein, um Ihnen zu erklären, auf welch einem falschen Weg Sie sich befinden." Hieraus lassen sich drei Dinge schließen. : Erstens wird der vom IGMG-Kritiker angesprochene "fanatische Zionismus" ohne weitere Differenzierung mit dem "Staat Israel" gleichgesetzt. : Zweitens wird gegen den Begriff "Freimaurerclubs", bei dem antisemitische Verschwörungstheorien mitschwingen, kein Einspruch erhoben. Lange Zeit wurden Bücher von Harun Yahya, der solche Verschwörungstheorien vertritt und verbreitet, auch in IGMG-Einrichtungen vertrieben. Heute finden sich diese Bücher offiziell nicht mehr im Repertoire von IGMG-nahen Buchläden. Die darin verbreitete antisemitische Verschwörungspropaganda lebt jedoch anscheinend weiterhin in IGMGKreisen fort. Bei der polizeilichen Durchsuchung eines Buchhandels in München wurden diese umstrittenen Schriften allerdings unter dem Ladentisch in einer für den Verkauf geeigneten Stückzahl gefunden. : Drittens geht aus der Antwort hervor, dass die IGMG entgegen allen anderslautenden Bekundungen sehr wohl an dem Konzept von "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung") des Führers der Milli Görüs-Bewegung, Necmettin Erbakan, festhält. Zwar wird das Kind nicht beim Namen genannt, aber es wird festgestellt, dass unter Adil Düzen die Herrschaft von Gerechtigkeit und göttlicher Wahrheit (hak) zu verstehen ist, und dass diese Dinge überall zur Sprache gebracht werden. Hieraus muss man schließen, dass die nach Außen hin abgegebenen Beteuerungen von IGMG-Funktionären - auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu stehen - nichts als Lippenbekenntnisse darstellen. Der Verdacht, dass die IGMG immer noch janusköpfig agiert, wird durch diesen Briefwechsel im Internet-Forum erneut bestätigt. Initiativen und Veranstaltungen Am 8. März 2004 fand eine Veranstaltung der IGMG-Frauenorganisation anlässlich des Weltfrauentags in der ehemaligen IGMG-Zentrale in Köln statt. Nach Angaben der IGMG nahmen an der Veranstaltung etwa 350 Personen teil. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Sind Menschenrechte verhandelbar?". Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde das Kopftuchverbot im Spannungsfeld von aktueller Rechtsprechung, Frauenrechten und Gleichberechtigung thematisiert. 235 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Am 23. Mai 2004 veranstaltete die IGMG in der Dortmunder Westfalenhalle unter dem Titel "Die Botschaft des Koran" eine Koranlesung mit Koran-Rezitatoren aus verschiedenen Ländern. Gleiche Veranstaltungen haben auch an anderen Orten zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden, darunter in Duisburg. Für den Besuch der Veranstaltungen wurde in der 'Milli Gazete' geworben. Auch in der Türkei wurden derartige Veranstaltungen ausgerichtet, diesmal durch die Stiftung 'Milli Genclik Vakfi'. Der ägyptische Koranrezitator hielt nach den Veranstaltungen Vorträge. Die 'Milli Gazete' berichtete in der Ausgabe vom 27. August 2004: "Der 'Hodja der Hodjas' Ahmet Ruzeyki hält nach den Koran-Festveranstaltungen auch Vorträge [...]. In den Vorträgen, in denen Ruzeyki, der Lehrer der weltbesten Rezitatoren, wichtige Botschaften übermittelt, richtet er an die Gäste bezüglich des Hodjas Erbakan einen wichtigen Aufruf. Ruzeyki sagt [unter Hinweis auf Erbakans Rolle bei der Gründung der D8, dem islamischen Gegenstück zur G8-Gruppe der größten Industriestaaten], Erbakan sei für die islamische Welt und für alle Muslime eine wichtige Persönlichkeit [...].Und Meister Ruzeyki sagt: 'Jeder möge seine Hand auf Necmettin Erbakans Hand legen und auf dem von ihm beschrittenen Weg vorangehen [...].'" Auf dem Gelände der IGMG-Zentrale in Kerpen fand am 29. und 30. Mai 2004 eine Veranstaltung mit dem Thema "Wir sind eine Familie" statt. Im Gegensatz zu früheren Großveranstaltungen der IGMG hatte der Familientag eher einen Volksfestcharakter. Wie im letzten Jahr nahm an der Veranstaltung auch ein Politiker der 'Saadet Partisi' aus der Türkei als Gastredner teil. Des Weiteren traten auch hier Koran-Rezitatoren auf, die auf der Dortmunder Veranstaltung gesprochen hatten. Im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen einen unbekannten Täter, der im Februar in der IGMG-Moschee in München zur Tötung von Christen und Juden aufgerufen haben soll, wurden am 30. September 2004 die Privatwohnung des IGMG-Gebietsvorsitzenden Südbayern sowie die Räumlichkeiten der IGMG-Moschee in München durchsucht. Dabei wurden Computer, Bücher, Videokassetten, Tonbänder sowie diverse Schriftstücke sichergestellt. Die IGMG reagierte noch am selben Tag auf ihrer Homepage in einer Stellungnahme auf die Durchsuchungen. Sie wehrt sich gegen den Vorwurf des Mordaufrufes in einer ihrer Moscheen und bezeichnet diesen als "Unterstellung" und die darauf gestützte Maßnahme als "reine Inszenierung". 236 Islamismus 'Milli Görüs' wehrt sich gegen negative Berichterstattung Die IGMG versucht derzeit gerichtlich gegen die Darstellung ihrer in Teilen verfassungsfeindlichen Ziele in den Verfassungsschutzberichten verschiedener Länder und gegen die Darstellung in den Medien vorzugehen. Mit Urteil vom 9. Juli hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage der IGMG gegen das Land Baden-Württemberg abgewiesen. Ziel der Klage war es, dem Land die weitere Verbreitung von Tatsachenbehauptungen im Verfassungsschutzbericht 2001 zu untersagen. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die von der IGMG beanstandeten Tatsachenbehauptungen der Wahrheit entsprechen. Die IGMG klagt auch gegen das Land NRW. Sie behauptet, in der Broschüre "Islamismus in Nordrhein-Westfalen - Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke" würden "Unwahrheiten" verbreitet. Über die Klage ist noch nicht entschieden. Die IGMG äußerte sich 2004 mehrfach zu den in verschiedenen Bundesländern beschlossenen Gesetzen zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen sowie zu dem in der Türkei bestehenden Kopftuchverbot an Hochschulen und im öffentlichen Dienst. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vom 29. Juni 2004, in dem das Gericht das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten bestätigte, ist die Diskussion neu aufgelebt. Zur Begründung verwies der EGMR auf die in der türkischen Verfassung verankerte Trennung von Staat und Religion und stellte fest, dass das Kopftuchverbot in der Türkei weder einen Verstoß gegen Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch eine Diskriminierung darstelle. Der Vorsitzende der IGMG Yavuz Celik Karahan zeigte sich enttäuscht über das Urteil und wertete es mehr als politische denn als juristische Entscheidung. "Es darf nicht verwundern, dass diese Entscheidung eines Gerichtes, dass sich selbst nicht an die Kriterien hält, über die es wachen sollte, mehr als streitig ist." Nach seinen Aussagen werde das Urteil nicht dem Maßstab der Menschenrechtskonvention gerecht. Einflussnahme auf andere Institutionen Die IGMG verfolgt ihre Ziele nicht nur mit Mitteln ihrer eigenen Organisation. Sie bedient sich zusätzlich einiger Nebenorganisationen und nimmt Einfluss auf andere Institutionen. Im Mai 1990 wurde die IGMG (seinerzeit noch unter der Bezeichnung AMGT) Mitglied des 'Islamrates', den sie seitdem trotz aller gegenteiligen Bekundungen dominiert. Seit Anfang 2002 steht der ehemalige Generalsekretär der IGMG an dessen Spitze. Der 'Islamrat', dem auch nicht-extremistische kleinere Organisationen angehören, bezeichnet sich als der größte Spitzenverband der Muslime in Deutsch237 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 land. Die Aktivitäten des 'Islamrates' lassen direkte Bezüge zu den Bestrebungen der IGMG erkennen. Durch betont moderates Auftreten in der Öffentlichkeit bemüht sich die IGMG weiterhin, zahlreiche Kontakte zu politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Institutionen zu knüpfen und sich auch in Gremien zu etablieren, in denen demokratische, den Pluralismus bejahende Gruppierungen mitarbeiten. Immer wieder versucht die Organisation, sich als der Ansprechpartner der Muslime zu präsentieren. Ausblick Die eigenständige Kurs des "Reformflügels" unter Recep Tayyip Erdogan und der poli tische Erfolg seiner Partei in der Türkei haben bisher nicht dazu geführt, dass sich auch die Sympathisanten des "Reformkurses" in der IGMG von der Erbakan-Bewegung getrennt hätten, oder die IGMG insgesamt eine neue Ausrichtung erhalten hätte. Gleichwohl sind erste Ansätze zu mehr Transparenz und einem demokratischeren Umgang erkennbar. In Teilen der wissenschaftlichen Literatur zur IGMG wird hieraus - nach Auffassung des Verfassungsschutzes vorschnell - auf eine vollendete, generelle Neuausrichtung der IGMG geschlossen. Insgesamt kann bei der IGMG nämlich nicht davon gesprochen werden, dass diese sich personell und ideologisch von der 'Milli Görüs'-Bewegung und ihren extremistischen politischen Auffassungen und Zielen, die religiös begründet werden, gelöst hätte. 6.5.2 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti); vormals Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB), so genannter Kaplan-Verband ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Sitz Köln Verbandsführer Metin Kaplan (am 12. Oktober 2004 in die Türkei abgeschoben) Mitglieder Bund NRW 2004 750 350 2003 800 350 Publikationen 'Ümmet-I Muhammed' (Die Stimme Muhammeds) 'Beklenen Asr-i Saadet' (Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit) 'Der Islam als Alternative' (D.I.A.) mögliche neue Verbandspublikation: 238 Islamismus 'Barika-I Hakikat' (Das Aufleuchten der Wahrheit) Fernsehprogramm: HAKK-TV ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Der 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Devleti') gilt in Deutschland als die verbal radikalste unter den islamistischen Organisationen. Der bis zu dessen Abschiebung in die Türkei unter der Führung des selbsternannten Kalifen Metin Kaplan stehende 'Kaplan-Verband' propagiert den revolutionären Sturz des laizistischen türkischen Staatssystems, um an dessen Stelle einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Damit verfolgt der Verband Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und erfüllt die Voraussetzungen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VSG NRW für eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Man muss davon ausgehen, dass Anhänger des Verbandes die Tätigkeiten auch nach dem Verbot fortsetzen. Ungeachtet des auf die Türkei gerichteten Zieles lehnen die auf Dauer in Deutschland lebenden 'Kalifatsstaats'-Anhänger die Grundprinzipien der Demokratie ab, so dass sich die Beobachtung auch auf SS 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW stützt. Hintergrund Der 'Kalifatsstaat' ist aus dem 'Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V.' (ICCB) hervorgegangen, der 1984 von dem als "Khomeni von Köln" bekannt gewordenen Cemaleddin Kaplan gegründet wurde. Anlässlich einer Anti-Rushdie-Demonstration im März 1989 unterstützte Cemaleddin Kaplan die "Todes-Fatwa" Khomeinis und stellte seine politischen Ziele wie folgt dar: Der Koran müsse Grundlage der Staatsverfassung für die gesamte Menschheit sein sowie den Islam in einem einzigen, weltumfassenden Staat zum Träger der Weltherrschaft, Weltpolitik und Weltzivilisation machen. Im April 1992 rief Cemaleddin Kaplan auf einer Großveranstaltung in Koblenz den 'Föderativen Islamstaat Anatolien' (A.F.I.D) aus, der im März 1994 in dem in Köln proklamierten 'Kalifatsstaat' ('Hilafet Devleti') aufging. Cemaleddin Kaplan erklärte sich selbst zum "Kalifen der islamischen Nation" und schwor seine Anhänger auf bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem "Kalifen" ein. Nach dem Tod von Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 in Köln wurde die Nachfolge als "Kalif" zugunsten seines Sohnes Metin "Müftüoglu" Kaplan entschieden. Der "Gegenkalif" und die Folgen Im Sommer 1996 ließ sich der "Gebietsjugendemir" von Berlin, der sich Hoffnungen Logo - Kalifatsstaat 239 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 auf die Nachfolge von Cemaleddin Kaplan gemacht hatte, ebenfalls zum Kalifen ausrufen. Darauf reagierte Metin Kaplan mit einer Fatwa (islamisches Rechtsgutachten), die in der Verbandszeitung 'Ümmet-i Muhammed' vom 19. Juli 1996 wie folgt wiedergegeben wurde: "Was passiert mit einer Person, die sich, obwohl es einen Kalifen gibt, als einen zweiten Kalifen verkünden lässt? Dieser Mann wird zur Reuebekundung gebeten. Wenn er nicht Reue bekundet, dann wird er getötet." Im Mai 1997 wurde der "Gegenkalif" von drei maskierten, bisher unbekannten Tätern in seiner Wohnung in Berlin erschossen. Metin Kaplan wurde im März 1999 unter dem Vorwurf, mit seiner Fatwa zum Mord an seinem Rivalen aufgerufen zu haben, in Untersuchungshaft genommen, und im Februar 2000 wurde gegen ihn der Prozess eröffnet. Während des Prozessverlaufs kam es wiederholt zu Tumulten von Kaplan-Anhängern innerhalb des Gerichtsgebäudes. Im November 2000 wurde Kaplan zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Einer der mitangeklagten Verbandsfunktionäre, der einige Wochen vor dem Urteil untergetaucht war, wurde in Abwesenheit zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, der dritte Angeklagte wurde freigesprochen. Der zunächst erhobene Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die drei Angeklagten konnte im Prozessverlauf nicht aufrechterhalten werden. Nach seiner Verhaftung wurde Metin Kaplan von seinen Anhängern als Märtyrer verehrt, der "für die Sache Allahs in den Kerker geworfen wurde". Die Verbandsarbeit wurde von anderen Führungsfunktionären im Sinne Kaplans weitergeführt. Verbot des 'Kalifatsstaates' Nach dem Wegfall des Religionsprivilegs durch Änderung des Vereinsgesetzes war der 'Kalifatsstaat' am 8. Dezember 2001 vom Bundesministerium des Inneren verboten worden. Die Verbotsverfügung umfasste neben dem Kalifatsstaat die 'Stichting Dinaar aan Islam' (Hauptsitz in den Niederlanden, Nebensitz Köln) sowie 17 Teilorganisationen (Ortsvereine), davon vier in NRW. Bei polizeilichen Durchsuchungen in den Vereinsräumen und bei Funktionären wurde weiteres Beweismaterial sichergestellt. Nach Auswertung dieses Beweismaterials wurden mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 16. September 2002 16 weitere Teilorganisationen, davon fünf in NRW, verboten. Zur Begründung heißt es, dass diese Vereine derart in den 'Kalifatsstaat' eingegliedert seien, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieser Vereinigung anzusehen seien. 240 Islamismus Im November 2002 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot. In seiner Begründung führte das Gericht aus, der Kalifatsstaat verstoße gegen die im Grundgesetz verankerten Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde. Die Organisation verstehe sich als real existierender Staat mit eigener Staatsgewalt unter Führung des "Kalifen", dessen Grundlage ausschließlich der Wille Allahs sei. Der Kalifatsstaat beanspruche für sich im Unterschied zu anderen Religionsgemeinschaften das Recht zur Gewaltanwendung. Auch die Klagen mehrerer verbotener Vereine, die bestritten hatten, Teilorganisationen des 'Kalifatsstaates' zu sein, lehnte das Bundesverwaltungsgericht im April 2003 ab. Die gegen das Verbot gerichtete Verfassungsbeschwerde des 'Kalifatsstaates' und der 'Stichting Dinaar aan Islam' hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde mit Beschluss vom 2. Oktober 2003 nicht zur Entscheidung an, da die Beschwerde einen verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf nicht erkennen lasse und im Übrigen keine Aussicht auf Erfolg habe. Struktur Als Sitz des exterritorialen Kalifatsstaates wird bis "zur Befreiung Istanbuls" Köln betrachtet. Die Mitgliederzahl, die Anfang der 90er Jahre in NRW noch auf etwa 1.500 geschätzt wurde, sank inzwischen auf etwa 350. Die örtlichen Mitgliedsvereine des Verbandes unterstanden so genannten Gebietsemiren, die Weisungen des "Kalifen" weitergaben und ihm rechenschaftspflichtig waren. Alle Mitglieder des Kaplan-Verbandes mussten einen "Treueschwur" ablegen und waren dem "Kalifen" zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Ideologie Die Ideologie des 'Kalifatsstaates' ist eindeutig gegen die Demokratie und den Säkularismus, d. h. die Trennung von Religion und Staat gerichtet, die mit den Prinzipien des Islam als unvereinbar angesehen werden. So wurde in der Verbandszeitung - wie bereits zuvor 1999 - vor den türkischen Parlamentswahlen 2002 zum Wahlboykott aufgerufen. Neben Demokratie und Säkularismus gelten vor allem das mit dem "Westen" verbündete Judentum und der Zionismus als Hauptfeinde. Finanzierung Der Verband finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, dem Verkauf von Publikationen, Erträgen aus Immobilien und vermutlich dem Handel mit Lebensmitteln. Sein Vermögen wird auf Millionenhöhe geschätzt. Bei Vollzug der Verbotsverfügungen wurden mehrere hunderttausend DM sichergestellt. Ein Großteil der verbliebe241 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 nen Gelder dürfte bei der in den Niederlanden errichteten 'Stichting Dinaar aan Islam' liegen. Medieneinsatz Der Kaplan-Verband verbreitete sein Gedankengut über die wöchentlich erscheinende verbandseigene Zeitung 'Ümmet-I Muhammed' sowie über 'HAKK-TV', eine Fernsehsendung, die wöchentlich ausgestrahlt wurde. Der Kaplan-Verband nutzte auch das Internet zu Propagandazwecken. Die ehemalige Homepage des Verbandes wurde zwar verboten, dann jedoch unter einer neuen Adresse auch mit deutschen Seiten wieder eröffnet. Aktuell gelangt man über die alte Internetadresse auf eine Seite von 2004, die sich vermutlich zurzeit im Aufbau befindet. Sie zeigt unter anderem die Flagge des 'Kalifatsstaates' sowie das Bild und einen Text von Cemaleddin Kaplan. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift 'Ümmet-I Muhammed' erschien kurz nach dem Verbot. Als Nachfolgepublikation wurde ab Anfang 2002 die Wochenzeitschrift 'Beklenen Asr-i Saadet' (Das erwartete Zeitalter der Glückseligkeit) bekannt, die nach Inhalt und Aufmachung der Verbandszeitung entsprach. Ein Impressum war nicht angegeben. Nach der bundesweiten Durchsuchungsaktion vom 11. Dezember 2003 erschien auch diese Zeitschrift nicht mehr. Des Weiteren wurde ab März 2002 das in deutscher Sprache erscheinende Hochglanzmagazin 'Der Islam als Alternative' (D.I.A.) als neue Publikation unter der Postfachadresse des 'Kalifatsstaates' vertrieben. Diese Publikation wurde unaufgefordert zugesandt, beispielsweise wurden Hochschulen und Studentenvertretungen angeschrieben. Das professionell gemachte Monatsheft in deutscher Sprache agitierte nicht so eindeutig antidemokratisch und antisemitisch wie man es von der 'Ümmet-I Muhammed' her kannte. Die letzte bekannt gewordene Ausgabe ist von November 2003, seitdem wurde die Zeitschrift nicht mehr festgestellt. Möglicherweise ist auch dies eine Reaktion auf die Durchsuchungen im Dezember 2003. Ab März erhielten mehrere ehemalige Empfänger der 'Beklenen Asr-i Saadet' erstmals die in Abständen von zwei bis vier Wochen erscheinende Zeitschrift 'Barika- I Hakikat' (Das Aufleuchten der Wahrheit) per Post aus den Niederlanden zugesandt. Absender oder Impressum waren auch hier nicht angegeben, allerdings der Hinweis auf eine Internetseite, die jeweils die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift enthält. Die in türkisch verfasste 'Barika-I Hakikat' bezeichnet sich selbst als "religiöse, politische, wirtschaftliche und kulturelle Zeitung". Sie machte zunächst den Eindruck einer allgemein religiös-konservativen Publikation ohne extremistische Inhalte, die durchaus einen größeren Leserkreis ansprechen könnte. Im Gegensatz zur 'Beklenen Asr-i Saadet' wurde in den ersten Exemplaren der 'Barika-I Hakikat' der Name Kaplan kaum er242 Islamismus wähnt. Ebenso fehlte die Propagierung der 'Kalifatsstaats'-Ideologie. Kritik an den USA und dem "Westen" wurde auch in der 'Barika-I Hakikat' geübt, aber in wesentlich gemäßigterer Form. In späteren Exemplaren fanden sich allerdings wieder regelmäßig Texte von Cemaleddin Kaplan und auch die respektvolle Titulierung Metin Kaplans als "M. Metin Hoca Efendi". Ermittlungsverfahren Auch nach dem Verbot wurden Aktivitäten aus den Reihen des 'Kalifatsstaates' festgestellt, die zu Ermittlungsverfahren führten. So leitete der Generalbundesanwalt am 08. April 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen den 'Kalifatsstaat' wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Verbot ein. Da die verbandseigene Zeitung 'Ümmet-I Muhammed' Nr. 409/2001 auch nach dem Verbot veröffentlicht und die ebenfalls verbandseigene Sendung 'HAKK-TV' weiterhin gesendet wurde, bestand der Verdacht, dass namentlich zunächst nicht bekannte Beschuldigte den organisatorischen Zusammenhalt des 'Kalifatsstaates' entgegen dem vollziehbaren Verbot aufrechterhalten und sich weiter als Mitglieder im Sinne der Organisation betätigen. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens wurden am 11. Dezember 2003 bundesweit etwa 1.170 Objekte durchsucht, davon 341 in Nordrhein-Westfalen. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Bezieher der Zeitschrift 'Beklenen Asr-i Saadet'. Es wurde unter anderem umfangreiches Propagandamaterial sichergestellt. Bei einem überwiegenden Teil der Betroffenen wurden die Verfahren zwischenzeitlich eingestellt. Bereits am 17. Juli 2003 war im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Polizeipräsidenten (PP) Köln ein Gebäude in Köln durchsucht worden. Es bestand der Verdacht, dass sich dort ein neuer Vereinssitz des 'Kalifatsstaates' etabliert hatte. Gegen die dort angetroffenen Personen wurden Verfahren wegen des Verdachts der Fortführung einer verbotenen Vereinigung eingeleitet. Die Verfahren wurden am 28. Juni 2004 eingestellt, da der Tatvorwurf nicht belegt werden konnte. Im Rahmen einer Durchsuchungsaktion des PP Augsburg in mehreren Bundesländern am 6. August 2004 wurden auch vier Objekte in NRW durchsucht. Die Auswertung in Bayern gefundener Asservate bei den bundesweiten Durchsuchungen vom 11. Dezember 2003 hatte den Verdacht bestätigt, dass Mitglieder der Gruppierung den organisatorischen Zusammenhalt der Organisation nach wie vor unterstützen und aufrechterhalten. Darüber hinaus gab es Hinweise auf Kontakte von 'Kalifatsstaats'-Anhängern aus Bayern zu Metin Kaplan in Köln sowie auf einen Lebensmittelhandel, der möglicherweise zur Finanzierung der verbotenen Vereinigung betrieben wird. 243 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Ebenfalls wegen des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereinsverbot durchsuchte die Polizei am 10. September 2004 in Herne eine Privatwohnung sowie einen Gebetsraum. Hintergrund der Maßnahme war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dortmund, in dessen Rahmen festgestellt worden war, dass in den Räumlichkeiten ein Gebetsraum - wahrscheinlich von Anhängern des 'Kalifatsstaates' - betrieben wird. In unmittelbarer Nähe dieser Räumlichkeiten befand sich der Sitz eines Vereins, der 2001 als Ortsverein des 'Kalifatsstaates' verboten wurde. Abschiebung von Metin Kaplan in die Türkei Während Metin Kaplan seine Haftstrafe wegen Aufrufs zum Mord am "Gegenkalifen" verbüßte, stellte die türkische Regierung ein Auslieferungsersuchen an die Bundesregierung. Kaplan wurde darin vorgeworfen, zum gewaltsamen Sturz der türkischen Regierung aufgerufen zu haben, um einen Gottesstaat zu errichten. Kaplan wehrte sich gegen die Auslieferung mit der Begründung, dass ihm in seiner Heimat Folter und Todesstrafe drohe. Metin Kaplan verblieb aufgrund eines Auslieferungshaftbefehles nach Verbüßung seiner Haftstrafe im März 2003 zunächst in Auslieferungshaft, wurde jedoch am 27. Mai 2003 entlassen, nachdem das Oberlandesgericht Düsseldorf die Auslieferung für unzulässig erklärt hatte. Das Gericht sah bei seiner Entscheidung "ernstliche Gründe für die Annahme, dass der Verfolgte einem Verfahren ausgesetzt sein wird, das dem völkerrechtlich verbindlichen Verbot einer Verwertung polizeilich erpresster Aussagen widerspricht". Nach Erkenntnissen des Oberlandesgerichtes seien Anhänger des 'Kalifatsstaates' 1998 durch Folter der türkischen Polizei zu Aussagen gezwungen worden. Es bestehe die Gefahr, dass diese Aussagen in einem Verfahren gegen Kaplan Verwendung finden. Bereits im Februar 2003 hatte die Stadt Köln eine Ausweisungsverfügung gegen Metin Kaplan erlassen, gegen die Kaplan den Rechtsweg beschritten hatte. Über die Berufung in diesem Verfahren entschied das Oberverwaltungsgericht Münster am 26. Mai mit der Feststellung, dass keine Abschiebehindernisse vorliegen. Noch vor Ort erhielt die Rechtsanwältin von Metin Kaplan, der Metin Kaplan wird nach seiner Ankunft der Verhandlung fern geblieben war, eine in Itanbul am Abend des 12. September Abschiebungsandrohung der Stadt Köln 2004 von türkischen Sicherheitskräften gegen ihren Mandanten. Ein am selben festgenommen. (Bild Bundeskriminalamt) 244 Islamismus Tag erlassener Haftbefehl zur Abschiebehaft konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da sich Metin Kaplan nicht in seiner Wohnung oder anderen bekannten Anlaufstellen aufhielt. Sofort eingelegte Rechtsmittel bewirkten einen vorläufigen Aufschub der Abschiebung. Am 5. Oktober 2004 lehnte das Verwaltungsgericht Köln endgültig die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs von Metin Kaplan gegen die Abschiebungsandrohung der Stadt Köln ab. Es führte in seiner Begründung aus, Kaplan habe sein Interesse an einem Verbleib in der Bundesrepublik dem Allgemeininteresse an seiner sofortigen Ausreise unterzuordnen. Zudem sei Kaplan, " unabhängig davon, ob von ihm aktuell die konkrete Gefahr strafrechtlich relevanter Verfehlungen ausgeht, als Identifikationsfigur für den islamischen Extremismus anzusehen; seine umgehende Entfernung ist zwingend geboten". Die Entscheidung wurde erst am 12. Oktober - also eine Woche später - veröffentlicht. Noch am selben Nachmittag wurde Metin Kaplan unter dem Widerstand einer kleinen Gruppe von Anhängern in einem Kölner Internetcafe festgenommen und zum Flughafen Düsseldorf gebracht. Von dort wurde er am Abend in einer Chartermaschine nach Istanbul ausgeflogen, wo ihn sofort nach der Landung dortige Sicherheitskräfte festnahmen. Den "Kalifen" erwartet nun ein Prozess wegen Hochverrats, das Verfahren, das seinerzeit Grundlage des Auslieferungsersuchens der Türkei war. Am 7. Dezember 2004 wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision von Metin Kaplan zurück und bestätigte damit die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Reaktionen/Ausblick Bedeutung und Mitgliederzahl des 'Kalifatsstaates' haben nach dem Verbot und den weiteren Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbotes stark abgenommen. Gleichwohl versuchen einige Getreue weiterhin, den vorhandenen Rest zusammenzuhalten und gemeinsam Freitagsgebete sowie Koranschulungen nach ihren Vorgaben durchzuführen. Die Auswirkungen der Abschiebung Metin Kaplans auf seine wenigen verbliebenen Anhänger können noch nicht abgeschätzt werden. Ob die verbliebenen 'Kalifatsstaats'-Anhänger ihren organisatorischen Zusammenhalt endgültig verlieren oder ob und wie sie sich neu orientieren werden, ist derzeit nicht abzuschätzen. 245 Extremismus in Zahlen um nahezu 16%, von 1.438 auf 1.664, der Volksverhetzungsdelikte von 306 auf 409 (33,7%) und der Sachbeschädigungdelikte von 201 auf 302 (50,3%). Gleichzeitig sind die übrigen Deliktsgruppen von 893 auf 613 (-31,4%) gesunken. Gewaltdelikte 132 (61,7%) der 214 bekannt gewordenen Gewaltstraftaten sind dem Phänomenbereich politisch motivierte Kriminalität - rechts (im Folgenden: "Rechts"), 66 (30,8%) dem Phänomenbereich politisch motivierte Kriminalität - links ("Links") und 8 (3,7%) dem Phänomenbereich politisch motivierte Ausländerkriminalität ("Ausländer") zuzuordnen. Weitere 8 Fälle konnten keinem der genannten Phänomenbereiche zugeordnet werden. Im Jahr 2003 wurden im Vergleich dazu 201 Delikte gemeldet. Dies entspricht einer Erhöhung um 13 Delikte (6,5%). 7.1.2 Einteilung nach Phänomenbereichen Von den 2.988 PMK-Fällen entfielen 2.180 (72,9%) auf den Phänomenbereich "Rechts", 319 (10,7%) auf den Phänomenbereich "Links" und 81 (2,7%) auf den Phänomenbereich "Ausländer". 408 (13,7%) Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Tabelle 2: PMK nach Deliksgruppen und Phänomenbereichen im Jahresvergleich; soweit die Summe der Phänomenbereiche nicht die Gesamtzahl gemäß Tabelle 1 ergibt, konnten die jeweiligen Taten keinem Phänomenbereich zugeordnet werden. 247 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Damit ist der Anstieg der Fallzahlen in dem Phänomenbereich "Rechts" (411) und der Anstieg der Fallzahlen, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren (108), ursächlich für den Gesamttrend, obwohl im Phänomenbereich "Ausländer" (-339) ein starker und im Phänomenbereich "Links" (-30) ein leichter Rückgang zu verzeichnen sind. Phänomenbereich "Rechts" Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der dem Phänomenbereich "Rechts" zugeordneten Delikte um 411 Straftaten (23,2%) gestiegen. Der Anstieg ist zum großen Teil auf den Anstieg der Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB um 242 Delikte (58,9 %) zurückzuführen. Unter Berücksichtigung der zwischen 2001 und 2004 festgestellten Schwankungsbreite bei den so genannten Propagandadelikten in allen Phänomenbereichen von 2.350 (2001) und 1.438 (2003) erscheint dieser zahlenmäßige Anstieg nicht überproportional gegenüber den Vorjahren. Ein weiterer Grund für die Zunahme liegt im Ansteigen der antisemitischen und fremdenfeindlichen Straftaten, die in der Regel dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen sind. Hierauf ist auch hauptsächlich der Anstieg der Volksverhetzungsdelikte um 89 Delikte (21,5%) zurückzuführen. Geografisch ist die Entwicklung unterschiedlich. Im Bereich südliches Westfalen ist ein starker Rückgang, in den Bereichen Rheinland und Niederrhein ist eine Stagnation beziehungsweise ein leichter Rückgang der Fallzahlen festzustellen. Für den leichten beziehungsweise stärkeren Anstieg in den anderen Bereichen sind mehrere Faktoren erkennbar: : Der starke Rückgang im südlichen Westfalen wird begleitet von einem entsprechenden Anstieg in den Nachbarbereichen. Es spricht vieles für eine Verschiebung des Aktionsraumes der örtlichen Szene. : Ein weiterer Faktor sind örtlich und zeitlich begrenzte Tatserien, die wegen der geringen Ausgangszahlen und statistisch gesehen zu den größeren prozentualen Schwankungen führen. : Von den Behörden wird auch gemeldet, dass die Anzahl der Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Straftaten im Internet beziehungsweise mit "rechter Musik" zugenommen hat. : Mit Sicherheit auszuschließen ist, dass der Anstieg ursächlich im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl steht. Lediglich 12 Straftaten konnten diesem Themenfeld zugeordnet werden. 248 Extremismus in Zahlen Die Vermutung, dass sich die rechte Szene 2003 wegen des NPD-Verbotsverfahrens zurückgehalten und 2004 diese Zurückhaltung aufgegeben hat, ist auf Grund der erhobenen Fallzahlen nicht nachweisbar. Die Deliktsschwerpunkte lagen im Phänomenbereich "Rechts" wie in den Vorjahren bei den Verstößen gegen SSSS 86, 86a StGB (1.489), Volksverhetzung (382) und Körperverletzungsdelikten (114). In der Entwicklung von 2001 bis 2004 ist im Phänomenbereich "Rechts" ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist bis zum Jahr 2003 die erweiterte Auslegung des Extremismusbegriffes im Rahmen der bundeseinheitlichen Bewertung von politisch motivierten Straftaten seit dem 1. Quartal 2002. Demnach sind Straftaten gemäß SS 86a StGB, bei denen keine Tatsachen für oder gegen eine extremistische Begehungsweise vorliegen, dem Verfassungsschutz als Prüffälle zur Bewertung vorzulegen. Der Verfassungsschutz des Landes NRW bewertete diese Prüffälle gemäß eines gemeinschaftlichen Beschlusses aller Verfassungsschutzbehörden der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich als extremistisch. Eine extremistische Straftat muss aber immer einem der drei Phänomenbereiche "Ausländer", "Links" oder "Rechts" zugeordnet werden. Dies führt bei den Verstößen gegen den SS 86a StGB zu einer deutlichen Verschiebung zum Phänomenbereich "Rechts". Phänomenbereich "Links" Gegenüber dem Vorjahr ist die Fallzahl für den Phänomenbereich "Links" um 30 Delikte (-8,6%) leicht rückläufig. Hauptsächlich ist diese Entwicklung bestimmt durch den Rückgang bei den Verstößen gegen das Versammlungsgesetz um 50 Delikte (- 51%). Gründe für diesen Rückgang sind nicht erkennbar. Der Rückgang wäre ohne die Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl (66 Delikte) noch deutlicher ausgefallen. Bei 56 dieser Delikte handelte es sich um Sachbeschädigungen. Die höchste Zuwachsrate ist mit einem Anstieg von 33 Straftaten für diesen Deliktsbereich festzustellen. Die Deliktsschwerpunkte bilden wie in den Vorjahren die Sachbeschädigungdelikte (147) und die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (48). In der Entwicklung von 2001 bis 2004 ist eine gewisse Stagnation im Phänomenbereich "Links" festzustellen. Die Schwankungsbreite der Fallzahlen von 372 (2002) bis 319 (2004) ist mit 53 Delikten sehr gering. Phänomenbereich "Ausländer" Gegenüber dem Vorjahr sind die Fallzahlen im Phänomenbereich "Ausländer" um 339 Delikte (80,7%) gesunken. Dies ist ausschließlich auf den Rückgang der Verstöße ge249 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 gen das Vereinsgesetz von 378 auf 25 Delikte (-93,4%) zurückzuführen. Dennoch stellen diee Verstöße den Schwerpunkt der Delikte dar. In der Entwicklung von 2001 bis 2004 ist, mit Ausnahme der Sondersituation in 2003, im Phänomenbereich "Ausländer" die Tendenz rückläufig. Grund hierfür ist der kontinuierliche Rückgang der Verstöße gegen das Vereinsgesetz. Mit Ausnahme von 2003 handelte es sich hauptsächlich um Verfahren gegen Mitglieder der PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Delikte, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren Bei diesen Delikten ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 108 Straftaten (36%) zu verzeichnen. Dies ist hauptsächlich auf den Anstieg der Sachbeschädigungsdelikte um 61 Straftaten (115%) zurückzuführen. Der Anstieg wäre ohne die Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl (84 Delikte) deutlich geringer ausgefallen. Bei 50 dieser wahlbezogenen Delikte handelte es sich um Sachbeschädigungen. Der Deliktsschwerpunkt lag, wie in den Vorjahren, bei den Verstößen gegen SSSS 86, 86a StGB (169) und den Sachbeschädigungsdelikten (114). In der Entwicklung 2001 bis 2003 ist ein stetiger Rückgang der Fallzahlen zu beobachten. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist die bereits im Phänomenbereich "Rechts" erörterte erweiterte Auslegung des Extremismusbegriffes im Rahmen der bundeseinheitlichen Bewertung von Politisch motivierten Straftaten seit dem 1. Quartal 2002. Erst 2004 ist wieder eine Steigerung zu verzeichnen. Diese Steigerung ist überwiegend auf die Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl zurückzuführen. Eine ähnliche Entwicklung war auch im Wahljahr 2002 festzustellen. Hier wurde nur der Anstieg von Straftaten mit Themenbezug "Bundestagswahlen" durch den starken Rückgang der Verstöße gegen SSSS86, 86a StGB (-902) mehr als kompensiert. 7.1.3 Extremistische Straftaten Insgesamt wurden 2.317 Straftaten (77,5%) als extremistisch gemeldet. Davon entfielen 2.101 (90,6%) auf den Phänomenbereich "Rechts" und 146 (6,3%) auf den Phänomenbereich "Links". Im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität wurden 70 (3%) Fälle von Extremismus verzeichnet. 7.1.4 Internationale Bezüge Bei 161 (5,4%) aller politisch motivierten Straftaten wurde ein internationaler Bezug festgestellt. Davon entfielen 70 (43,5%) auf den Phänomenbereich "Ausländer", 52 250 Extremismus in Zahlen Extremistische Straftaten 2.101 146 70 # Rechts # Links # Ausländer (32,3%) auf den Phänomenbereich "Rechts" und 11 (6,8%) auf den Phänomenbereich "Links". 28 (17,4%) Fälle waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. 7.1.5 Themenfelder Gesamtdarstellung Insgesamt lagen die thematischen Schwerpunkte der Straftaten wie in den Vorjahren in den Bereichen Nationalsozialismus/Sozialdarwinismus mit 1.642 Nennungen und Hasskriminalität mit 755 Nennungen. Ursächlich hierfür ist die zahlenmäßige Dominanz des Phänomenbereichs PMK "rechts", dem diese Themenfelder hauptsächlich zuzuordnen sind. Im Phänomenbereich PMK "Links" lag der Schwerpunkt bei den Themen Konfrontation/Politische Einstellung (152) und Innenund Sicherheitspolitik (116). Beide Themenfelder sind bei Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl betroffen. Im Phänomenbereich PMK "Ausländer" bewegten sich die meisten Delikte, wie in den Vorjahren, in den Themenfeldern Befreiungsbewegungen/Internationale Solidarität (37) und Innenund Sicherheitspolitik (33). Bei den Delikten, die keinem Phänomenbereich zuzuordnen waren, lagen die Schwerpunkte bei den Themenfeldern Innenund Sicherheitspolitik (88), Ökologie/Industrie/ Wirtschaft (77) und Konfrontation/politische Einstellung (66). Diese drei Themenfelder weisen auch die höchste Zuwachsrate gegenüber dem Vorjahr aus. Die Steigerung der Themenfelder Innenund Sicherheitspolitik sowie Konfrontation/politische Einstellung steht fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise der Europawahl. Die Steigerung im Themenfeld Ökologie/Industrie/Wirtschaft deutet auf vermehrte Aktivitäten so genannter Tierschützer hin. Zu beachten ist, dass bei der Zuordnung von Delikten zu einzelnen Themenfeldern eine Mehrfachnennung nicht nur möglich, sondern, sofern zutreffend, ausdrücklich erwünscht ist. So wurden beispielsweise bei Delikten, die dem Themenfeld Hasskriminalität zugeordnet worden sind, sehr häufig andere Themenfelder mitgenannt. Die 251 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Gesamtzahl aller genannten Themenfelder übersteigt somit zwangsläufig die Gesamtzahl der gemeldeten Delikte. 7.1.6 Antisemitische und fremdenfeindliche Straftaten Bei den 226 Straftaten, die (zumindest auch) aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wurden (antisemitische Straftaten), handelt es sich zum überwiegenden Teil (219) um Straftaten aus dem Phänomenbereich "Rechts". In vier Fällen war die Straftat dem Phänomenbereich "Ausländer" und in drei weiteren Fällen keinem Phänomenbereich zuzuordnen. Antisemitische Straftaten 219 1 4 3 # Rechts # Links # Ausländer # nicht zuzuordnen Von den 552 zumindest auch fremdenfeindlichen Straftaten entfielen 515 auf den Phänomenbereich "Rechts", neun auf den Phänomenbereich "Ausländer" und zwei auf den Phänomenbereich "Links". 26 Straftaten waren keinem Phänomenbereich zuzuordnen. In 40 Fällen waren die Taten sowohl fremdenfeindlich als auch antisemitisch motiviert. In beiden Bereichen liegen die Deliktsschwerpunkte bei Volksverhetzung (145 antisemitisch, 264 fremdenfeindlich) und Verstößen gegen SSSS 86, 86a StGB (46 antisemitisch, 109 fremdenfeindlich). Fremdenfeindliche Straftaten 515 2 9 26 # Rechts # Links # Ausländer # nicht zuzuordnen 7.1.7 Straftaten zum Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus Insgesamt wurden dem LKA 19 Delikte gemeldet, bei denen das Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus betroffen beziehungsweise nicht mit Sicherheit auszuschließen war. Den Schwerpunkt bildeten sieben Ermittlungsverfahren gegen Anhänger des verbotenen 'Kalifatsstaates' wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. 252 Extremismus in Zahlen 7.1.8 Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunalwahl beziehungsweise Europawahl Insgesamt wurden 162 Straftaten gemeldet, die im Zusammenhang mit der Kommunalwahl (137) und Europawahl (25) standen. Bei dem überwiegenden Teil der Straftaten (101) handelte es sich um Sachbeschädigungsdelikte. 84 Delikte konnten keinem Phänomenbereich, 66 dem Phänomenbereich "Links" und 12 dem Phänomenbereich "Rechts" zugeordnet werden. 7.1.9 Herausragende Sachverhalte Phänomenbereich "Ausländer" 23. September 2004, Wuppertal: In einem türkischen Kulturverein wurde ein 54-jähriger türkischer Staatsangehöriger von mehreren Landsleuten angegriffen und niedergeschossen. Das Opfer erlag am folgenden Tag seinen Verletzungen. Täter und Opfer sind dem Umfeld der TKP/ML zuzurechnen. Die Ermittlungen dauern an. Phänomenbereich "Links" 20. Dezember 2004, Bielefeld: In einer Schule wurde ein vorsätzlicher Brand gelegt. Im Vorfeld war die Schule wegen einer Veranstaltung der ostdeutschen Landsmannschaft im Bund der Vertriebenen mehrfach Ziel von politisch motivierten Sachbeschädigungen. Die Ermittlungen dauern an. Phänomenbereich "Rechts" 29. Februar 2004, Beverungen: Unbekannte Täter warfen eine mit einem Brandbeschleuniger gefüllte und einer Stofflunte versehene Bierflasche gegen die Außenwand einer Asylbewerberunterkunft. Es entstand leichter Sachschaden an der Außenwand. Täter konnten nicht ermittelt werden. 13. September 2004, Münster: Vor dem Hauseingang des Institutium Judaicum Delitzschianum der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen WilhelmsUniversität kam es zu einer von außen herbeigeführten Verpuffung. Aufgrund rechtzeitig eingeleiteter Gegenmaßnahmen entstand kein Personenoder Sachschaden. Das Institut beschäftigt sich mit der Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen sowie der Geschichte der Juden in Deutschland. 10. Oktober 2004, Düren: Unbekannte Täter schoben mehrere Mülltonnen vor die Moschee eines türkisch-islamischen Kulturvereins. Eine mit Altpapier gefüllte Müll253 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 tonne wurde in Brand gesetzt. Durch rechtzeitig eingeleitete Gegenmaßnahmen wurden Personenund Sachschäden verhindert. Die Ermittlungen dauern an. 7.2 Zahl der Mitglieder in extremistischen Organisationen und Gruppierungen 7.2.1 Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen in NRW Die Mitgliederzahlen der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen (einschließlich rechtsextremistischer Skinheads) betrug Ende 2004 in NordrheinWestfalen 4.310 (2003: 5.020). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisationen/Gruppierungen 2004 2003 DVU (einschl. DVU e.V. und Aktionsgemeinschaften) 1.500 1.900 REP 900 1.150 NPD 550 550 JN 20 30 Neonazis einschl. HNG* 340 300 Militante Rechtsextremisten einschl. Skinheads** 850 980 Sonstige 340 310 Doppelmitgliedschaften -190 -200 Summe 4.310 5.020 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: * Die überwiegende Zahl der etwa 50 HNG-Mitglieder aus NRW ist gleichzeitig in den verschiedenen Kameradschaften aktiv, diese Doppelmitgliedschaften wurden bei der Ermittlung der Gesamtzahl abgezogen. Darüber hinaus sind etwa 110 Personen enthalten, die als regionalen Szenen zugehörig bezeichnet werden können, aber weder den neonazistischen Kameradschaften noch der militanten Skinhead-Szene zuzurechnen sind. ** In der Gesamtzahl der militanten Rechtsextremisten einschließlich Skinheads sind auch Personen enthalten, die organisationsunabhängig sind, aber mit rechtsextremistischem Gewaltbezug (Körperverletzung, Androhung von Gewalt) auffällig wurden. 254 Extremismus in Zahlen Die Abnahme des Personenpotentials beruht nahezu ausschließlich auf einem Rückgang der Mitgliederzahlen bei der DVU und den REP; ein Anstieg bei der NPD ist nicht zu verzeichnen, da Neueintritte durch Karteibereinigungen kompensiert werden. 7.2.2 Mitgleiderzahlen linksextremistische Organisationen und Gruppierungen in NRW Die Mitgliederzahl der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen betrug Ende 2004 in Nordrhein-Westfalen 3.900 (2003: 4.050). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2004 2003 Militante Linksextremisten/ Autonome 500 500 DKP 1.500 1.500 PDS 1.250 1.400 MLPD 650 650 Summe 3.900 4.050 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 7.2.3 Mitgliederzahlen extremistischer Ausländerorganisationen Die Mitgliederzahl der im Verfassungsschutzbericht erwähnten extremistischen Ausländerorganisationen betrug Ende 2004 in Nordrhein-Westfalen 3.220 (2003: 3.220). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2004 2003 DHKP-C 200 200 MLKP u. KP-IÖ 200 200 KONGRA-GEL beziehungsweise PKK 2.000 2.000 NWRI 350 350 API 120 120 LPK 50 50 FBKSh 20 20 255 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 LTTE 280 280 Summe 3.220 3.220 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 7.2.4 Islamistische Organisationen Die Mitgliederzahl der islamistischen Organisationen betrug Ende 2004 in Nordrhein-Westfalen 8.440 (2003: 8.440). ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Organisation/Gruppierung 2004 2003 HAMAS 70 70 HizbAllah 350 350 Hizb ut-Tahrir 70 70 MB/IGD/IZA 320 320 FIS 80 80 IGMG 7.200 7.200 Kaplan-Verband 350 350 Summe 8.440 8.440 ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: 7.3 Bericht des Justizministeriums Wie in den Jahren zuvor hatten sich die Justizbehörden des Landes Nordhrein-Westfalen auch im Jahr 2004 in erheblichem Maße mit Strafverfahren aus dem rechtsund linksextremistischen Bereich zu befassen. Im Vergleich zum Jahr 2003 ist bei den Verfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund eine leichte Zunahme um etwa 600 Verfahren festzustellen. Die Zahlen erreichten damit wieder das Niveau des Jahres 2002. Dagegen hat sich die Anzahl der Verfahren aus dem Bereich des Linksextremismus wieder um rund ein Drittel reduziert. Dies dürfte darauf beruhen, dass die Staatsanwaltschaften des Landes zwischenzeitlich den Großteil der im Zusammenhang mit der Selbstbezichtigungskampagne eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Personen, die sich über eine Unterschriftensammlung als Mitglieder der PKK (jetzt KONGRA-GEL) zu erkennen gegeben hatten, erledigt haben 256 Extremismus in Zahlen Verfahren wegen rechtsextremistischer Aktivitäten* Bei den Staatsanwaltschaften des Landes sind im Jahr 2004 insgesamt 3.580 einschlägige Verfahren neu eingeleitet worden In dieser Zeit ist in 631 Verfahren gegen 828 Personen Anklage erhoben beziehungsweise Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden. Rechtskräftig verurteilt wurden 316 Personen; sieben Angeklagte wurden freigesprochen. Gegen 85 Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt beziehungsweise die Untersuchung auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. Verfahren wegen linksextremistischer Aktivitäten* Wegen Straftaten, deren Ursprung dem Bereich des Linksextremismus zuzuordnen ist, haben die Staatsanwaltschaften im Berichtszeitraum insgesamt 2.014 Verfahren neu eingeleitet. Im Jahr 2004 ist in 100 Verfahren gegen 117 Personen Anklage erhoben beziehungsweise der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden. 47 Angeklagte wurden rechtskräftig; fünf angeklagte Personen wurden freigesprochen. Gegen 18 Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt beziehungsweise auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. *Die tatsächlichen Zahlen liegen möglicherweise etwas höher, da zwei Staatsanwaltschaften aufgrund eines Computerfehlers nicht in der Lage waren, vollständige Zahlen zu melden. 257 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 7 Extremismus in Zahlen 7.1 Politisch motivierte Kriminalität Der nachfolgenden Darstellung liegt ein Bericht des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen (LKA) zugrunde. Die Angaben über die Politisch motivierte Kriminalität (PMK) bilden die Fälle ab, die der Polizei in Nordrhein-Westfalen in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 bekannt geworden sind. 7.1.1 Deliktsqualität Gesamtzahlen Für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 wurden dem LKA insgesamt 2.988 Straftaten (einDel iktsgruppen 2.004 2.003 schließlich Versuche) gemeldet, Tötungsdelikte (einschließlich die der Politisch motivierten 1 0 Versuche) Kriminalität zuzuordnen sind. Brand-/Sprengstoffdelikte 4 1 Bei 214 Straftaten (7,2%) hanLandfriedensbruchdelikte 18 23 delt es sich um politisch motiGefährliche Eingriffe in den 2 8 vierte Gewaltkriminalität (PMKBahnverkehr etc. Gewalt). 1.664 Straftaten Körperverletzungsdelikte 151 147 Widerstandshandlungen 29 13 (55,7%) sind den PropagandadeRaub/ Erpressung/ Freiheitsberaubung 9 9 likten gem. SSSS 86, 86a StrafgeSexualdelikte 0 0 setzbuch (StGB) zuzurechnen. In Zwischensumme Gewaltdelikte 214 201 sechs Verfahren gemäß SSSS129, Bedrohungen/Nötigungen 61 43 129a oder 129b StGB ermittelte Sachbeschädigungen 302 201 das Bundeskriminalamt (BKA) Verstöße gegen SSSS 86, 86a StGB 1.664 1.438 beziehungsweise das LKA NRW Volksverhetzungen 409 306 gegen in Nordrhein-Westfalen Störung des öffentlichen Friedens 16 16 ansässige Personen. Beleidigungen 108 75 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 25 378 Im Jahr 2003 wurden im VerVerstöße gegen das 77 122 gleich dazu 2.838 Delikte gemelVersammlungsgesetz sonstige Straftaten 112 58 det. Das ist für 2004 ein Anstieg Summe Gesamt 2.988 2.838 um rund 5% (150 Delikte). Im Wesentlichen beruht dies auf der Tabelle 1: Politisch motivierte Kriminalität nach Zunahme der Propagandadelikte Deliktsgruppen im Jahresvergleich 246 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 8 Spionageabwehr 8.1 Spionageabwehr heute Schon in den letzten Verfassungsschutzberichten wurde dargestellt, wie sich das Bild der Spionage seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Untergang der DDR verändert hat. In den Zeiten des Kalten Krieges lag ein deutlicher Schwerpunkt der Spionageabwehr auf der Bekämpfung der Agententätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. In welchem Ausmaß der Staatssicherheitsdienst die Bundesrepublik mit Spionageaktivitäten überzogen hat, wie viele Agenten welche Einsätze wagten - aber auch, wie erfolgreich die Spionageabwehr war - davon vermitteln uns die "Rosenholz-Unterlagen" ein Bild. Informationen aus diesen Dateien, die der US-amerikanische Nachrichtendienst in den Wirren der Auflösung der DDR erlangt hatte, wurden hier schon Anfang der 90er Jahre ausgewertet. Die komplette Datensammlung wurde der Bundesrepublik aber erst im letzten Jahr übergeben und bis in das Jahr 2004 hinein von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR aufbereitet. Aus diesem Anlass befassten sich die Medien in diesem Jahr einmal wieder intensiv mit dem Thema. In der heutigen Zeit stellt sich die Bedrohungslage naturgemäß verändert dar. Zwar wird nach wie vor die "traditionelle" Spionage betrieben, worunter "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht" zu verstehen sind, so die Formulierung in SS 3 Abs. 1 Nr.2 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen. Daneben ist aber in den letzten Jahren deutlich geworden, dass die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste zunehmend auf das hier vorhandene Know-how, sei es in innovativen Unternehmen oder in öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen zielen. Auf diesen Wandel der Bedrohung hat die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen reagiert, indem sie den neuen Tätigkeitsschwerpunkt beziehungsweise 'Abwehr von Wirtschaftsspionage' entwickelt hat. Wie dieser kurze Abriss zeigt, hatte und hat die Spionageabwehr viele Facetten. Mit dem diesjährigen Verfassungsschutzbericht sollen diese unterschiedlichen Aspekte der Tätigkeit dargestellt werden, um ein realistisches Bild der Arbeit des Verfassungsschutzes zu vermitteln. 258 Spionageabwehr 8.2 Die "Rosenholz-Unterlagen" - die Hinterlassenschaft des Nachrichtendienstes der ehemaligen DDR Ein Resümee aus Sicht der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen : Markus Wolfs letztes Geheimnis (Spiegel-Titel v. 18.01.1999) : Das Pharaonengrab der Stasi (Spiegel Nr. 3 - 1999) : "Rosenholz-Daten" des MfS freigegeben (Pressemitteilung der BStU v. 27.06.03) : Birthler fordert neue Stasi-Überprüfungen (Berliner Morgenpost v. 09.07.03) : "Rosenholz-Dateien" über West-IM freigegeben (Berliner Morgenpost v. 09.07.03) : Die Spione müssen zittern (Spiegel-online v. 07.07.03) : Das Heer der Geheimen (Spiegel v. 01.03.04) : Bundesrat will Stasi-Überprüfung in Ost und West (dpa-Basisdienst v. 26.09.03) Dies sind nur einige der Schlagzeilen aus bundesdeutschen Zeitungen und Zeitschriften, die dokumentieren, dass das Interesse an der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR auch heute noch - 14 Jahre nach der Wiedervereinigung - unverändert groß ist. Immer noch gelangen neue Meldungen über die "Stasi" an die Öffentlichkeit. Häufig sind es Enthüllungen über einzelne Personen, die als Täter oder Opfer betroffen sind und waren. Es wird aber auch darüber diskutiert, ob und wie die vorhandenen Erkenntnisse noch intensiver als bislang für Überprüfungen bestimmter Personengruppen verwendet werden sollen. Rosenholz-CD Auch der Landtag Nordrhein-Westfalen befasste sich in der aktuellen Wahlperiode mit diesem Thema anlässlich von Entschließungsanträgen der Regierungsfraktionen und der Fraktion der CDU. Insbesondere die Frage, ob Landtagsabgeordnete, Regierungsmitglieder und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes Nordrhein-Westfalens zwingend einer Überprüfung anhand der "Rosenholz-Daten" unterzogen werden sollten, wurde kontrovers diskutiert. Am Ende fasste der Landtag folgenden einvernehmlichen Beschluss: "Der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen empfiehlt seinen Mitgliedern sowie den Mitgliedern der Landesregierung mit Nachdruck, sich hinsichtlich einer etwaigen Tätigkeit für die Staatssicherheitsbehörde der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einer freiwilligen Überprüfung durch die Bundesbeauftragte für die Unterla259 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 gen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu unterziehen. Der Präsident des Landtags veranlasst die zentrale Weiterleitung der noch nicht der Birthler-Behörde vorliegenden Überprüfungsanträge der Abgeordneten des Landtags. Die Mitglieder des Landtags haben hierzu eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung zu geben. Die Einwilligungserklärung versendet der Landtagspräsident. Die Ergebnisse werden der Antragstellerin beziehungsweise dem Antragsteller und dem Landtagspräsidenten in Abschrift mitgeteilt. Veröffentlichung erfolgen nicht." Die Landesregierung wird hinsichtlich der Mitglieder der Landesregierung, die nicht zugleich Mitglied des Landtages sind, entsprechend verfahren. Aus diesem aktuellen Anlass soll noch einmal die Bedeutung von "Rosenholz" für die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen dargestellt werden verbunden mit einer Bilanz der bisherigen Auswertung dieser Materialien. Puzzle-Arbeit in Köln und Düsseldorf Schon kurze Zeit nach dem Beitritt der DDR kamen Gerüchte in Geheimdienst-Kreisen auf, nach denen Unterlagen aus dem MfS auf unergründlichen Wegen an einen amerikanischen Geheimdienst gelangt sein sollten. Unter Beteiligung aller verfügbaren Kräfte - einschließlich der Diplomatie - versuchte die Bundesrepublik, Einblick in diese Unterlagen zu erhalten. Dies gelang dem Bundesamt für Verfassungsschutz aber erst im Jahr 1993, als seine Mitarbeiter im Hauptquartier der CIA in Langley, USA, erstmals Einsicht in das Material nehmen konnten, das aus dem MfS, Hauptabteilung Aufklärung (HVA), stammte und von der CIA mit dem Namen "rosewood", deutsch: "Rosenholz", bezeichnet worden war. Bis heute ist ungeklärt, auf welchem Wege der US-Geheimdienst in den Wirren der Wiedervereinigung diese Mikrofilmunterlagen aus dem streng geheimen Machtbereich des Markus Wolf erhalten hatte. Tatsache ist jedoch, dass das erlangte Material Karteien mit den Decknamen der Agenten, Verzeichnisse der Klarnamen und Hinweise auf laufende Spionagevorgänge sowie eine Registratur über Aktenumfang und -signaturen umfasste. Die kleinteilige Zusammenfügung dieser Informationen ermöglichte es, einen Teil der Spione, die im Westen oder Osten tätig gewesen waren, zu identifizieren. Die Dateien mit den eigentlichen inhaltlichen Akten, den Berichten der Spione und den Informationen über ihre Spionagetätigkeit aus den vergangenen fünfzig Jahren, hatte die Spionageabteilung des MfS vor der Wiedervereinigung vernichtet. Erst im Jahr 2001 sollte es einem Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen 260 Spionageabwehr ("Birthler-Behörde") in Berlin gelingen, die übriggebliebenen Reste dieser sogenannten SIRA-Datenbank (System, Information und Recherche der Aufklärung) der HVA zu rekonstruieren und zu entschlüsseln. Dadurch konnte man dem einzelnen Agenten die Ergebnisse seiner konkreten Spionagetätigkeit leichter zuschreiben. 1993 war dies aber noch Zukunftsmusik, so dass die Aufarbeitung der Rosewood-Unterlagen und damit die Ermittlungen gegen Personen, die für die DDR spioniert hatten, eine große Herausforderung darstellten. Dies mussten auch die fünf Mitarbeiter der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen erfahren, die 1993 für die Dauer von drei Monaten zum Bundesamt für Verfassungsschutz nach Köln abgeordnet worden waren, um dort vor Ort Rosenholz-Daten zu bearbeiten. Ebenso wie ihre Kollegen aus den anderen Bundesländern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigten sie sich tagtäglich damit, die Kopien von Akten und Registrierkarten zu entschlüsseln, die ihnen die Mitarbeiter des Bundesamts aus dem CIA-Hauptquartier in Langley, USA, ebenso tagtäglich schickten. In mühevoller Kleinarbeit trugen die Mitarbeiter der Spionageabwehr NordrheinWestfalen Informationsbruchstücke über hier tätig gewesene Agenten zusammen. Eine Ausnahme hiervon bildeten die Fälle, deren Bearbeitung das Bundesamt für Verfassungsschutz übernahm, weil die Betroffenen zum Beispiel in einer Bundesbehörde tätig gewesen waren. Die auf diese Weise in Köln gewonnenen Erkenntnisse wurden unmittelbar an die Mitarbeiter der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf weitergeleitet. Die wiederum machten sich sofort daran, vor Ort weiter zu recherchieren, um Daten und Personen zu überprüfen. Auf diese Weise fügten sich die Einzelteile - ähnlich einem gigantischen Puzzle - zu Lebensläufen und Verdachtsfällen zusammen. Während dieses Verfahrens trafen die Mitarbeiter der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen viele "alte Bekannte". Namen und Gesichter, die schon im Rahmen der bisherigen Abwehrtätigkeit aufgefallen waren, bis hin zu Personen, mit denen schon wegen des Verdachts der Spionage gesprochen worden war, tauchten in den Rosenholz-Unterlagen wieder auf. Einigen davon war bereits der Prozess gemacht worden und sie waren der Spionage überführt worden. Andere hatte man zwar vor den Informationen der Rosenholz-Daten nicht überführen können, war ihnen aber dicht auf der Spur gewesen. Beispiele Beispielhaft sollen an dieser Stelle zwei Fälle geschildert werden, die mit den Informationen aus den Rosenholz-Unterlagen aufgeklärt und abgeschlossen werden konnten. 261 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Der erste Sachverhalt betrifft die Stasi-Agentin Brigitte S., die als Barfrau in Nordrhein-Westfalen arbeitete und vorgeblich Bekannten beziehungsweise Freunden aus der DDR bei deren Ausreisebemühungen Hilfestellung leistete. Dabei handelte es sich gleichfalls um Spione, die unter dieser Legende in die Bundesrepublik übersiedeln wollten. Brigitte S. begleitete die betreffenden Personen bei deren Bemühungen, Wohnung und Arbeit in der Bundesrepublik zu finden und stellte in diesem Zusammenhang Kontakte zu Stellen und Einrichtungen her, die sich die Unterstützung ausreisewilliger DDR-Bürger ebenfalls zur Aufgabe gemacht hatten. Die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen hatte diese Agentin lange Zeit als Verdachtsfall bearbeitet, konnte aber nie einen gerichtsfesten Beweis für die geheimdienstliche Tätigkeit erbringen. Dies gelang letztlich mit den Informationen aus den Rosenholz-Unterlagen, so dass sich die Agentin nach vielen Jahren doch noch für ihre Taten verantworten musste. Im Mittelpunkt des zweiten Sachverhalts steht ein Spion, der als inoffizieller Mitarbeiter (IM) dem MfS Informationen im Zusammenhang mit bundesdeutschen Ausweispapieren lieferte, die er durch berufliche Verbindungen erlangt hatte. Durch einen Hinweis war die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen auf diesen Mann aufmerksam geworden und konnte ihn schließlich in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden identifizieren. Der Anlass für seine Agententätigkeit war - wie häufig - banal: Er hatte verwandtschaftliche Beziehungen zu Angehörigen des MfS und war bei diesen Kontakten angeworben worden, um so die herausragende Fälscherwerkstatt des Markus Wolf zu unterstützen. Dieser Fall war nach umfangreichen Ermittlungen der Abwehrbehörden damit weitgehend geklärt, obwohl der IM in seiner Befragung lediglich seine verwandtschaftlichen Kontakte in die DDR zugab und jegliche Tätigkeit für den dortigen Nachrichtendienst trotz erheblich belastender Verdachtsmomente vehement abstritt. Die endgültige Auflösung gelang wenig später nach Einsichtnahme in die RosenholzUnterlagen. Sie belegten, dass der IM nachweislich sehr wertvolle Informationen an das MfS geliefert hatte. Er war von seinen Auftraggebern zur Erfüllung seiner geheimdienstlichen Agententätigkeit mit einseitigem KW-Funk, so genannte "Agentenfunk", einer Deckadresse in der DDR, Geheimschreibmitteln, einer Chiffre, einer persönlichen Kurierverbindung sowie einer Instrukteursverbindung ausgestattet worden. Wie sich durch die Informationen aus Rosenholz ebenfalls erwies, hatte er nicht nur aus verwandtschaftlicher Verbundenheit gehandelt. Einen zusätzlichen Anreiz stellte wohl auch der nicht geringe "Agentenlohn" dar. Insgesamt hatte er einen fünfstelligen DM-Betrag erhalten, dazu einen ebenfalls fünfstelligen DDR-Mark-Betrag, eingezahlt auf ein Spargirokonto in der DDR. Auf Vorhalt dieser Beweise konnte der IM 262 Spionageabwehr seine Agententätigkeit für die DDR nicht mehr leugnen und gestand diese schließlich gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft. Bilanz Alles in allem spiegeln die Rosenholz-Unterlagen realistisch das komplexe Bild der Spionagetätigkeit des MfS der DDR in der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR. Darüber hinaus dokumentieren sie die außerordentlich geschickte Agententätigkeit der Spione des MfS, die sich selbst als "Kundschafter des Friedens" sahen und bezeichneten. Rosenholz-Ergebnisse in Zahlen Die Enttarnungswelle in 1993 hatte zur Folge, dass die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gegen 1.500 Personen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Spionage durchführten. Zu den Verurteilten zählt auch der spektakuläre Fall des deutschen Angestellten und Top-Spions bei der NATO in Brüssel, Rainer Rupp, Deckname "TOPAS", der zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Statistik Von den 1.874 bearbeiteten Fällen entfielen 462 auf NRW, also rund 25 %. Beim Generalbundesanwalt (GBA) wurden insgesamt 1.553 Fälle bearbeitet, wobei 189 Angeklagte verurteilt wurden. 66 Personen erhielten eine Freiheitsstrafe von zwei und mehr Jahren, 85 eine einbis zweijährige Haftstrafe und 34 mal wurde eine Strafe bis zu einem Jahr Freiheitsentzug verhängt. Vier Verfahren endeten mit einer Geldstrafe. In 1.150 Fällen wurden die Verfahren eingestellt. Zumeist (755 Fälle), weil kein hinreichender Tatverdacht vorlag. 380 Verfahren wurden wegen der geringen Schuld der Angeklagten eingestellt, wobei in 245 Fällen die Zahlung einer Geldbusse auferlegt wurde. Ausblick Mittlerweile hat die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die strengen Geheimhaltungsregeln für die Rosenholz-Unterlagen aufgehoben. 13 Jahre nach dem Ende der DDR und damit auch des MfS konnten der Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen ("Birthler-Behörde", früher "Gauck-Behörde") insgesamt 381 CD-ROM mit wahrscheinlich zirka 350.000 Datensätzen zur Prüfung übergeben werden. Wegen der inzwischen eingetretenen Verjährung ist aber eine weitere strafrechtliche Aufarbeitung durch die entsprechenden Gerichte nicht zu erwarten. 263 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Der Bundesrat hat die Freigabe der Daten zum Anlass genommen, in seiner Sitzung vom 26. September 2003 (Drs. 668/03-Beschluss-vom 13. Oktober 2003) folgende Entschließung zu fassen: "Bund und Länder sollten die mit der Freigabe der "Rosenholz-Dateien" gewonnenen neuen Erkenntnisse nutzen, um weiteren Aufschluss über eine mögliche Tätigkeit von Bediensteten für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR zu erhalten. Die Parlamentarier von Bund und Ländern sind aufgerufen, sich ebenfalls einer solchen Überprüfung zu unterziehen." Dies war der Auslöser für die eingangs erwähnte Befassung des Landtags NordrheinWestfalen mit diesem Thema und führte zu dem oben wiedergegebenen Beschluss. Wie die aktuellen Ereignisse belegen, stoßen Erkenntnisse aus den Rosenholz-Unterlagen nach wie auf großes Interesse. Dies ist wohl nicht so sehr auf die politischen oder wirtschaftlichen Auswirkungen der Spionagetätigkeit der DDR zurückzuführen. Denn wenn die Geschichte eines erwiesen hat, dann, dass die fast 50 Jahre andauernde Spionagetätigkeit des MfS nicht annähernd zu einer Destabilisierung der Bundesrepublik oder ihrer NATO-Partner geführt hat. Was aber die Aufarbeitung der menschlichen und gesellschaftlichen Dimension der geheimdienstlichen Aktivitäten gegen die Bundesrepublik betrifft, kann die Prognose gewagt werden, dass sie uns noch für eine geraume Zeit beschäftigen wird. 8.3 Spionageaktivitäten des Iran Über die Aktivitäten des iranischen Nachrichtendienstes ist in den zurückliegenden Verfassungsschutzberichten regelmäßig berichtet worden. Unabhängig von der politischen Entwicklung im Iran ist die Vorgehensweise und die Zielrichtung des Nachrichtendienstes unverändert: Ausforschung der Oppositionsgruppen im Ausland und Beschaffung von Gütern zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Dies wurde auch bei den Feierlichkeiten zum 20jährigen Bestehen des Ministeriums für Information und Sicherheit (MOIS) Anfang Oktober 2004 hervorgehoben. Trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten sind sich das Parlament, die Regierung und der religiöse Führer grundsätzlich darüber einig, dass der iranische Nachrichtendienst erfolgreich arbeitet. Unfreiwillig wird diese These durch die Abwehrerfolge der deutschen Sicherheitsbehörden gestützt. Beispielhaft sollen hierzu nur die beiden folgenden Fälle genannt 264 Spionageabwehr werden. Am 08.10.04 wurden die Wohnund Geschäftsräume eines Deutsch-Iraners in Geisenheim/HE durchsucht, um eine Ausfuhr von Nachtsichtbrillen zu verhindern. Am 14. Dezember 2004 wurden die Räumlichkeiten einer Imund Exportfirma in Düsseldorf durchsucht. Gegen die Verantwortlichen besteht der Verdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit für einen Nachrichtendienst des Iran. In beiden Fällen waren nachrichtendienstliche Erkenntnisse die Grundlage für die polizeilichen Maßnahmen. In diesem Zusammenhang wird auch von hier aus die innenpolitische Entwicklung im Iran mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Nach den Parlamentswahlen vom 20. Februar 2004 hat sich die Situation der Regierung von Präsident Khatami nicht verbessert. Im Parlament haben jetzt konservative Abgeordnete die Mehrheit und eine Fortsetzung des eingeschlagenen Reformkurses erscheint fraglich. Dies spiegelt sich auch in der iranischen Atompolitik wieder, die während des ganzen Jahres für Schlagzeilen gesorgt hat. Das mehrheitlich konservative Parlament unterstützt den Ausbau der Atomforschung und will von der Regierung geplante Begrenzungen nicht zulassen. Ob die von den europäischen Verhandlungspartnern erzielte Zusage für eine ausschließlich friedliche Nutzung der Atomtechnologie tatsächlich eingehalten wird, muss abgewartet werden. Durch seine zentrale Lage im derzeit größten Krisengebiet der Welt (Irak/Afghanistan/ islamische GUS-Staaten) ist der Iran ein Aufklärungsschwerpunkt für alle westlichen Nachrichtendienste. 8.4 Abwehr von Wirtschaftsspionage Bereits im Jahre 1971 erklärte Richard Nixon: "Ökonomische Macht ist der Schlüssel zu anderen Formen der Macht". Das Zitat macht folgendes deutlich: Staaten, die auf der Welt Gehör finden wollen, müssen über eine gesunde und leistungsstarke Wirtschaft verfügen. Dies gilt vor dem Hintergrund einer weltweit angespannten Wirtschaftslage und engerer Märkte heute mehr denn je. Angriffsziel der Spionage fremder Nachrichtendienste ist daher - nach dem Wegfall der Mauer und dem Ende des kalten Krieges - in immer stärkerem Maße das Know-how von Wirtschaft und Wissenschaft unseres Landes. Informationsund Beratungsangebote Vor diesem Hintergrund hat die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen ein neues Angebot etabliert. Mit kostenfreien Beratungen, Vorträgen und Informationen - unter265 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 stützt durch eine breite Palette von Medien - sensibilisiert sie nordrhein-westfälische Unternehmen gegenüber der Gefahr eines ungewollten und unkontrollierten Knowhow-Abflusses. Wie dieser neue Aufgabenschwerpunkt im einzelnen mit Leben erfüllt wird, ist detailliert in den Verfassungsschutzberichten Nordrhein-Westfalen 2002 und 2003 dargestellt. Dort wird auch die am 26. Oktober 2001 als "Public-Private-Partnership" zwischen den Erklärungspartnern : Vereinigung der Industrieund Handelskammern in Nordrhein-Westfalen, : Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Nordrhein-Westfalen e.V. (VSW NW), : Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, : Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vereinbarte "Sicherheitspartnerschaft Nordrhein-Westfalen gegen Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität" ausführlich beschrieben. Diese Kooperation verbreitert die Basis für die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen und trägt so dazu bei, die einheimischen Unternehmen effektiver in der zuvor beschriebenen veränderten Bedrohungslage zu schützen. Unabhängig davon hat die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen - auf Grundlage der Erkenntnisse aus zahlreichen, intensiven Firmenkontakten - ihr Informationsund Beratungsangebot weiter ausgebaut. Hierzu zählen unter anderem die Flyer zur Reihe "Wirtschaftsspionage und Know-how-Schutz": : Beratungsund Informationsangebote sowie : Verhaltenstipps bei Geschäftsreisen und ein anlassbezogen erscheinender Newsletter sowie eine Sammlung interessanter Links. Mit dem ebenfalls neuen Beratungsmodul "Proliferation" (Proliferation: Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des hierfür erforderlichen Know-hows, sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen) werden Unternehmen nun auch Informationen zu diesem Thema aus nachrichtendienstlicher Sicht angeboten. Ein entsprechender Flyer - zusammen mit der online beziehbaren und aktuell überarbeiteten Broschüre "Proliferation - das geht uns an!" - ist in Vorbereitung und wird das diesbezügliche Angebot abrunden. 266 Spionageabwehr Einen vollständigen Überblick zu den Informationsangeboten der Spionageabwehr bietet der Internetauftritt der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen unter: http://www.im.nrw.de/sch/606.htm. Online-Test Seit März 2004 steht den Besucherinnen und Besuchern der Internetseite mit Informationen über die Abwehr von Wirtschaftsspionage ein besonderer Service zur Verfügung. Über eine gesicherte Online-Verbindung besteht erstmals das Angebot, anonym den interaktiven Online-Test: "Wirtschaftsspionage - Ist mein Unternehmen gefährdet?" durchzuführen. Der Selbsttest ermöglicht interessierten Unternehmen eine erste Beurteilung der Gefährdung und regt zugleich differenzierte Reaktionsund Informationsmöglichkeiten an. Teilnahme an Messen Dieser Online-Test konnte zum Herbst 2004 überarbeitet und weiter optimiert werden, so dass heute eine Version zur Verfügung steht, die auch auf Messen eingesetzt werden kann und dort Besucherinnen und Besucher gezielt anspricht. Neben der Security 2004 fand der Online-Test hierbei einen regen Zuspruch auf den Messen "e-nrw", "Moderner Staat" und "Export21", die erstmals in Kooperation mit dem Sicherheitspartner Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (MWA) NRW gestaltet wurden. Das MWA NRW hat die Angebote der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen zum Thema "Abwehr von Wirtschaftsspionage" mittlerweile in sein Informationsportal www.nrwexport.de integriert. Die Vielzahl der hierzu erfolgten Zugriffe verdeutlichen, dass mit dieser Thematik ein Informationsbedürfnis von Unternehmen aufgenommen und inhaltlich umgesetzt worden ist Bilanz Als Folge des deutlich verbreiterten Angebotes der Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen war wiederum ein erheblicher Anstieg der Nachfrage sowohl aus der Wirtschaft wie auch aus dem wissenschaftlichen Bereich der Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu den dargestellten Beratungsangeboten zu verzeichnen. Dies wertet die Spionageabwehr Nordrhein-Westfalen als Bestätigung und Erfolg ihrer bisherigen Arbeit und behält den bestehenden Informationsbedarf der Unternehmen im Auge, um ihm - auf Grundlage der bestehenden rechtlichen Vorgaben - auch in Zukunft nachkommen zu können. Für Fragen, Anregungen sowie Terminabsprachen stehen Ihnen gerne als persönliche Ansprechpartner: 267 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Werner Backes Telefon: 0211/871-2916 E-Mail: werner.backes@im.nrw.de Jürgen Helbig Telefon: 0211/871-2737 E-Mail: juergen.helbig@im.nrw.de Wilfried Karden Telefon: 0211/871-2334 E-Mail: wilfried.karden@im.nrw.de Reinhard Vesper Telefon: 0211/ 871-2885 E-Mail: reinhard.vesper@im.nrw.de Innenministerium NRW Abteilung 6 - Stichwort "Wirtschaft" Haroldstraße 5 Telefon: 0211/871-2821 40213 Düsseldorf E-Mail: abteilung-vi@im.nrw.de zur Verfügung. 8.5 Zum Schluss Wie immer bitten wir Sie auch in diesem Jahr um Ihre Unterstützung. Sollten Sie Kenntnis von Spionageversuchen haben oder einen Verdacht beziehungsweise Anhaltspunkte dafür haben, zögern Sie bitte nicht, den Verfassungsschutz NordrheinWestfalen zu informieren. Wir sind für ein vertrauensvolles Gespräch unter der folgenden Telefonnummer erreichbar: Telefon 0211/871-2821 E-mail: abteilung-vi@im.nrw.de 268 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen 9 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen 9.1 Aufbau, Organisation, Haushalt, Personal Entsprechend dem föderativen Aufbau gibt es in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eine Verfassungsschutzbehörde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln nimmt die Aufgaben einer Zentralstelle auf Bundesebene wahr. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sind gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Verfassungsschutzbehörde für das Land Nordrhein-Westfalen ist seit 1949 das Innenministerium (SS 2 Abs. 1 VSG NRW). Für den Verfassungsschutz ist die Abteilung 6 des Innenministeriums zuständig. Im Jahr 2004 standen für Aufgaben des Verfassungsschutzes 374 Stellen sowie Sachund Investitionsmittel von 5,2 Millionen Euro zur Verfügung. Verarbeitung personenbezogener Daten Die Verfassungsschutzbehörde NRW darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten unter anderem in Dateien verarbeiten. Dies erfolgt vor allem mit Hilfe zweier Instrumente: Der 'Personen-Informations-Datei' der Verfassungsschutzbehörde NRW zur eigenen Aufgabenerfüllung und dem 'Nachrichtendienstlichen Informationssystem' (NADIS) der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesamt für Verfassungsschutz beziehungsweise den Landesverfassungsschutzbehörden die für deren Aufgabenerfüllung erforderlichen Daten. Zum Zweck der gegenseitigen Unterrichtung haben die Verfassungsschutzbehörden nach SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) eine gemeinsame Datenbank, das so genannte 'Nachrichtendienstliche Informationssystem' errichtet, die beim Bundesamt für Verfassungsschutz geführt wird. Alle Verfassungsschutzbehörden dürfen Daten in das NADIS einstellen und von dort abrufen. Aus Datenschutzgründen kann aus dem NADIS nur erkannt werden, ob über eine Person Erkenntnisse vorliegen, nicht aber, was bekannt ist. Das NADIS enthält lediglich personenbezogene Grunddaten wie Name, Vorname, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Anschrift, außerdem einen Hinweis auf die Behörde, die den Datensatz in die Datenbank eingestellt hat. Texte oder Kürzel, die etwas über die Er269 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 kenntnisse der für die Einstellung verantwortlichen Verfassungsschutzbehörde aussagen, gehören nicht dazu. Hat eine andere Verfassungsschutzbehörde ein Interesse an Sachinformationen, so muss sie im Einzelfall bei der Behörde nachfragen, die den Datensatz eingestellt hat. Das NADIS ist also eine Hinweisdatei, aus der lediglich zu entnehmen ist, ob - und gegebenenfalls wo - über eine bestimmte Person Akten, also Aufzeichnungen über Sachverhalte, vorliegen. Das NADIS ist aufgrund seiner Konzeption nicht in der Lage, den "gläsernen Menschen" zu schaffen. NADIS-Speicherungen Nordrhein-Westfalen hatte Ende des Jahres 2004 rund 49.500 Personen im NADIS gespeichert. Mehr als 64% der Erfassungen erfolgten im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen. Sicherheitsüberprüft und daraufhin im NADIS gespeichert werden Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind. Die Zahl derjenigen gespeicherten Personen, die mit Erkenntnissen über extremistische beziehungsweise terroristische Aktivitäten oder mit Agententätigkeit in Zusammenhang gebracht werden, beträgt knapp 36% aller Speicherungen oder rund 17.500. 9.2 Verfassungsschutz durch Aufklärung - Öffentlichkeitsarbeit Informierte, aufgeklärte und demokratische Bürgerinnen und Bürger treten für die Demokratie und gegen ihre Gegner ein und tragen so dazu bei, unsere Demokratie und ihre Grundwerte zu schützen und zu stärken. In diesem Sinne sind aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger der eigentliche Verfassungsschutz. Die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren und aufzuklären, gehört schon seit Jahren zu den Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes. "Verfassungsschutz durch Aufklärung" ist für uns jedoch nicht nur ein Arbeitsauftrag, Aufklärungsarbeit ist ein besonderes Anliegen. Damit die Öffentlichkeit Anzeichen für Extremismus erkennen kann, setzt der NRWVerfassungsschutz auf eine verstärkte Aufklärungsarbeit und bietet eine breite Palette verschiedener Informationsmaterialien an. Dabei kommen auch Neue Medien wie das Internet zum Einsatz. So erklärt unser neues Internet-Angebot - in Gestalt eines "Online-Handbuches" -, wie Verfassungsschutz funktioniert und woran wir arbeiten. 270 Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen Jahresbericht/Zwischenbericht Einen wichtigen, alle verfassungsschutzrelevanten Themen umfassenden Aufklärungsbeitrag liefern der seit 1978 regelmäßig im Frühjahr erscheinende Jahresbericht und der im Herbst herausgegebene Zwischenbericht. Die Berichte dienen inzwischen Gerichten und Behörden als Standard-Nachschlagewerke. Sie werden aber auch von der interessierten Öffentlichkeit stark nachgefragt. Aktuelle Publikationen Wer Informationen zu den aktuellen Themenschwerpunkten des Verfassungsschutzes sucht, findet Berichte und Broschüren zu Themen wie 'Die Kultur als Machtfrage - Die Neue Rechte in Deutschland' oder 'Islamischer Extremismus'. Auf starkes Interesse stößt auch unsere Broschüre 'Musik, Mode, Markenzeichen', die sich unter anderem mit Outfits und Codes rechtsextremistisch orientierter Jugendlicher beschäftigt. Sie zeigt anhand welcher Symbole, Musik oder Kleidungsstücke eine rechtsextremistische Orientierung erkannt werden kann und geht der Frage nach, was strafbar ist und welche Bands rassistische Propaganda verbreiten. Diese und andere Dokumente sind - jeweils in ihrer aktuellen Fassung - unter www.im.nrw.de/verfassungsschutz abrufbar. Darüber hinaus bietet der Verfassungsschutz auch vertiefende Bücher über 'Fundamentalismus in Deutschland' oder den Rechtsextremismus an, die speziell für Lehrer, Bildungseinrichtungen, Behörden und andere Multiplikatoren zur Verfügung stehen. Die erstmals im Februar 1999 publizierte CD-ROM 'VS-info NRW', von der im Spätherbst 2001 die 3. überarbeitete Auflage - 'VS-info NRW 2001' - produziert wurde, ist immer noch gefragt. Die CD-ROM stellt Informationen über den Verfassungsschutz selbst bereit. Darüber hinaus sind sämtliche Berichte bis 2000, Publikationen und Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes auf der CD-ROM vorhanden, außerdem verschiedene Gerichtsurteile (unter anderem die Bundesverfassungsgerichtsurteile zum Verbot der 'Sozialistischen Reichspartei' und der 'Kommunistischen Partei Deutschlands') und vieles mehr; so auch Analysen, Originaldokumente (unter anderem das RAF-Auflösungsschreiben vom April 1998) und richtungsweisende Grundsatzentscheidungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Online-Handbuch des Verfassungsschutzes NRW Der Verfassungsschutz NRW nutzt seit Jahren die Möglichkeiten des Internets, um der drastischen Zunahme extremistischer Angebote ein qualifiziertes Gegengewicht entgegenzustellen. Seit Ende 2003 erfahren Internet-Nutzer unter www.im.nrw.de/ver271 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 fassungsschutz, was sie schon immer vom beziehungsweise über den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz wissen wollten. Unser so genanntes "Online-Handbuch" stellt Wissenswertes über den Verfassungsschutz und seine Aufgaben überschaubar in sieben Kapiteln dar. Wir informieren nicht nur über die Grundlagen des Verfassungsschutzes und zeigen, wer uns kontrolliert, sondern auch über die Gefahren des Rechts- , Linksund Ausländerextremismus, über Islamismus, Spionageabwehr und Geheimschutz. Insgesamt erläutern wir gut 200 Stichworte zum gesamten politischen Extremismus und zur Spionageabwehr. Die Ideologieelemente, die die einzelnen Extremismusbereiche kennzeichnen, werden ebenso kompakt und verständlich dargestellt wie historische Entwicklungen. Falls Sie also zum Beispiel wissen wollen, was "national befreite Zonen" sind oder was hinter der 'al Qaida' steckt, besuchen Sie uns im Internet. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ist für Sie auch per E-Mail erreichbar (kontakt.verfassungsschutz@im.nrw.de). Auf diesem schnellen Weg können Sie nicht nur Publikationen, Poster und Flyer bestellen, sondern auch Fragen stellen, Kritik üben und Anregungen geben. Vortragsund Diskussionsveranstaltungen Selbstverständlich informiert der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit nicht nur schriftlich. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehört auch die Teilnahme an Vortragsund Diskussionsveranstaltungen in Schulen und Bildungseinrichtungen, bei Verbänden und Stiftungen. Aktuell werden Vorträge zum Rechtsextremismus und zum Rechtsextremismus im Internet stark nachgefragt. Die Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf mehreren Ebenen und damit gesamtgesellschaftlich erfolgt. Daher muss das Wissen des Verfassungsschutzes insbesondere für die Meinungsbildung bei den Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Aus diesem Grund wurde der Verfassungsschutz durch wissenschaftliche Mitarbeiter verstärkt. Das Wissen des Verfassungsschutzes ist in den vorgestellten Aufklärungsmaterialien für die Öffentlichkeit aufbereitet worden. Informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger können sich wirksamer für unsere Demokratie engagieren beziehungsweise extremistischen Bestrebungen entgegentreten und so dazu beitragen, dass ein gesamtgesellschaftliches Klima entsteht, das von Toleranz und Zivilcourage geprägt ist. Dies ist der beste Verfassungsschutz. 272 Abkürzungsverzeichnis 10 Abkürzungsverzeichnis A AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation ABZ Arbeiterbildungszentrum ADHF Föderation für demokratische Rechte in Deutschland A.F.I.D. Föderativer Islamstaat Anatolien AGIF Föderation der Arbeitsimmigranten in Deutschland AIK Antiimperialistische Koordination AIS Arme Islamique du Salut (Islamische Heilsarmee) AKSh Albanische Nationalarmee AKP Adalet ve Kalkinma Partei (Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei) AMGT Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa API Arbeiterkommunistische Partei Iran ATIF Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. ATIK Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa e.V. AUF Verein zur Förderung internationaler Jugendtreffen in Gelsenkirchen B BAT Bundesweite Antifatreffen BfD Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland BGD Bund für Gesamtdeutschland BKUV Bestattungskostenvereinigung C CCFIS Koordinationsrat der FIS im Ausland CDK Civata Demokratik Kurdistan CH Collegium Humanum - Akademie für Umweltund Lebensschutz D DEHAP Demokratische Volkspartei DEP Demokratiepartei D.F.i.A. Die Freunde im Ausland DFLP Demokratische Front für die Befreiung Palästinas D.H.F. Deutsche Heidnische Front DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front) DIA Der Islam als Alternative 273 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 DITIB Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DK Deutsches Kolleg DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DP Deutsche Partei DPK/I Demokratische Partei Kurdistans/Irak DSU Deutsche Soziale Union DVU Deutsche Volksunion E EDLG Europäische Darstellungsverein für lebendige Geschichte EL European Left/Partei der Europäischen Linke EMUG Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft ERNK Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) ESF Europäisches Sozialforum F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FBKSh Front für nationale Vereinigung FEK Föderation der Aleviten Kurdistans FFE Frauen gegen Fundamentalismus für Emanzipation e.V. FHI Flüchtlingshilfe Iran e.V. FIOE Föderation der Islamischen Organisation in Europa FIT Freies Info-Telefon FIS Front Islamique du Salut (Islamische Heilsfront) FP Fazilet Partisi (Tugendpartei) G GFP Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. GIA Group Islamique Arme (Bewaffnete Islamische Gruppe) GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung-Verlagsgesellschaft mbH GSPC Groupe salafiste pour la predication et le combat (Gruppe für Predigt und Kampf) H HAMAS Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya (Islamische Widerstandsbewegung) HIK Islamische Bewegung Kurdistans (auch KIH), vormals YDK HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. HPG Volksverteidigungskräfte 274 Abkürzungsverzeichnis HuT Hizb ut-Tahrir (Islamische Befreiungspartei) I ICCB Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi (Kaplan-Verband) IFIR Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrationsräte IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. IHR Institute for Historical Review IZA Islamische Avantgarden IZM Islamisches Zentrum München J JF Junge Freiheit JN Junge Nationaldemokraten K KADEK Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan (Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) KFGB Ceni-Kurdisches Frauenbüro für Frieden KDS Kampfbund Deutscher Sozialisten KGÖ Kommunistische Jugendorganisation KIH siehe HIK KKCMTSh (Komiteti Kombetar per Clirimin dhe Mbrojtjen e Tokave Shqiptare) Nationalkomitee für die Befreiung und Verteidigung der albanischen Territorien KNK Kurdischer Nationalkongress KON-KURD Konföderation kurdischer Vereine in Europa KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPI Kommunistische Partei Iran KP-IÖ Kommunistische Partei - Aufbauorganisation KVEL/NGL Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke L LPK Levizija Popullor e Kosover (Volksbewegung von Kosovo) LSI Lebensschutz-Information LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam (Tamilische Befreiungstiger) LuK Lernen und Kämpfen M MB Muslimbruderschaft 275 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 METV Mezopotamya Broadcasting A/S (Mesopotamien TV) MLKP Marxistische Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MSB Muslimischer Sozialbund e.V. MSV Muslimstudentenvereinigung in Deutschland e.V. N NE Nation & Europa NF National Front NIT Nationales Info-Telefon NLA Nationale Befreiungsarmee (Irak) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP/AO Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation NVU Nederlandse Volks Uni/Niederländische Volksunion NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung auch Nordische Zeitung P PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PFLP Volksfront für die Befreiung Palästinas PAJK Freiheitspartei der Frauen Kurdistans PKK Partya Karkaren Kurdistane (Arbeiterpartei Kurdistans) PLO Palästinensische Befreiungsorganisation PRC Partei der kommunistischen Wiederbegründung Italiens PSG Partei für soziale Gleichheit PUK Patriotische Union Kurdistans PWD Patriotische-Demokratische Partei R RAF Rote Armee Fraktion RC/NRW Red Community NRW REP Die Republikaner RF Rote Fahne RP Refah-Partei (Wohlfahrtspartei) RVR Regionalverband Ruhr RZ Revolutionäre Zellen S SAF Sauerländer Aktionsfront 276 Abkürzungsverzeichnis SAV Sozialistische Alternative Voran SP Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei) T TAYAD Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei TCC Tamil Coordination Comitee TECAK Bewegung der freien Jugend Kurdistans THKP/-C Türkische Volksbefreiungspartei/Front - Revolutionäre Linke TKIH Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten Leninisten TRO Tamil Rehabilitation Organization TSV Tamil Student Organization U UCK Kosovo-Befreiungsarmee UCPMB Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac UE-LAM Union für die in europäischen Ländern arbeitenden Muslimen e.V. UNMIK United Nations Interim Administration Mission in Kosovo UN Unabhängige Nachrichten UMSO Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e.V. UZ Unsere Zeit V VAWS Verlag und Agentur Werner Symanek VffG Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung VGP Vereinigung Gesamtdeutsche Politik VHO Stiftung Vrij Historisch Onderzoek VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VVN/BdA Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. VVV VermögensVerwaltungsVerein W WSL-D Weltbund zum Schutz des Lebens; Bundesverband Deutschland e.V. WTM World Tamil Movement e.V. Y YCK Union der Jugendlichen aus Kurdistan YDK Kurdische Demokratische Volksunion YEK Union der Yeziden aus Kurdistan 277 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland YEKMAL Union der kurdischen Eltern YHK Union der kurdischen Juristen YJA Union der Freien Frau YKWK Verband der patriotischen Arbeiter aus Kurdistan YMK Union der Lehrer aus Kurdistan YNK Union der Schriftsteller aus Kurdistan YRK Union der Journalisten aus Kurdistan YXK Verband der StudentInnen aus Kurdistan YZK Union der Kinder aus Kurdistan Z ZvD Zentralrat der vertriebenen Deutschen 278 Stichwortverzeichnis 11 Stichwortverzeichnis A Antiimperialistische Koordination (AIK) 145 Apfel, Holger 26 Ab jetzt... Bündnis für Deutschland Siehe Arafat, Yassir 17, 212 BfD Arbeiterbildungszentrum (ABZ) 129 Abu Hafs al Masri Brigaden 203 Arbeiterkommunistische Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP) 156, 229 Partei Iran (API) 187ff., 255 Adelaide Institute 101 Armee Islamique du Salut (AIS) 225 Adil Düzen 229 Artgemeinschaft - Germanische Adili, Gafurr 191 Glaubens-Gemeinschaft wesensAktionsbündnis gemäßer Lebensgestaltung e.V. 77f. Norddeutschland 82, 83, 85, 86 AUF 33, 129 Aktionsbüro Westdeutschland 88 Auslandsorganisation der ArbeiterAl Qaida 196ff., 205, 208 kommunistischen Partei Iran - Sektion Al-Aqsa e.V. 17, 215 Deutschland. Siehe Kommunistischen Al-Aqsa-Brigaden 213 Partei Irans (KPI) Al-Aqsa-Intifada 211f. Autonomen Antifa [M] 15 Al-Aziz Rantissi, Abd 17, 212 Avrupa Milli Görüs Teskilatlari Al-Fatah 213 (AMGT) 228 Al-Hayat 19 Aydar, Zübeyir 159, 162, 167, 172f., 180 Al-Islam 223 Al-Jazeera 19, 204 B Al-Khansaa 199 Al-Muqrin, Abu Hajar Abdelaziz 199 Barika-I Haki 238 Al-Nabhani, Taqi al Din 220 Befreiungsarmee von Presevo, Al-Qaradawi, Yussuf 19f. Medvedja und Bujanovac Al-Tantawi, Muhammad Sayyid 20 (UCPMB) 190 Al-Tawhid 206 Beisicht, Markus 74 Al-Zarqawi, Abu Musab 204ff., 208 Beklenen Asr-i Saadet 238, 242f. Al-Zawahiri, Ayman 18, 202ff. Beqiri, Idajet 191 Albanische Nationalarmee (AKSh) 192 Bertinotti, Fausto 125 Allgermanisch Heidnische Front 98 Bestattungskostenvereinigung (BKUV) 230 Ansar al-Islam 207ff. Bewaffnete Islamische Antifa [M] 134 Gruppe (GIA) 226, 227 Antifa K 15, 134f. Bewegung der freien Jugend Antifagruppe Dortmund-Nord 134 Kurdistans (TECAK) 170 Antifaschistische Aktion Berlin 15, 134 Bewegung für eine Befreiung Antifaschistische Aktion/Bundesweite von Jerusalem 149 Organisation (AA/BO) 134 Bewegung von Frauen und Mädchen Antiglobalisierungsfür Frieden, Brot und Rosen 129 bewegung 16, 121, 131, 142 BfD 27f, 72ff, Antiimperialismus 16, 145f., 189 279 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Bin Laden, Usama 17f., 196ff., 226f Deutsche Heidnische Front (D.H.F.) 98 Bisky, Lothar 125 Deutsche Kommunistische Partei Siehe DKP Blood & Honour 46, 93, 96f. Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) Blood & Honour Division Deutschland 96 74 Böhme, Herbert 104 Deutsche Partei (DP) 59 Borchardt , Siegfried 86 Deutsche Soziale Union (DSU) 59 Bound for Glory 43, 52 Deutsche Stimme 25, 40, 63, 65,ff., 82 Bund für Gesamtdeutschland (BGD) 73 Deutsche Stimme Verlag 68 Bundesweite Antifatreffen (BAT) 134 Deutsche Volksunion Siehe DVU Bürgerbewegung Deutsche Zukunft - Landesspiegel NRW 63 pro Köln e.V. Siehe Pro Köln Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Buy or Die 136 (DIW) 144, 148 Deutsches Kolleg (DK) 79, 106f. C Deutsches Solidaritätskomitee freier Irak Calvert, Byron 51f. 16, 146 Castle Hill Publisher 102 Devrimci Halk Kurtulus CENI-Kurdisches Frauenbüro für Partisi-Cephesi Siehe DHKP-C Frieden (KFBF) 179 Devrimci Sol Siehe DHKP-C Civata Demokratik Kurdistan (CDK) 167 DHKP-C 153ff., 255 Cohrs, Ernst Otto 79 Die Freunde im Ausland (DFiA) 101 Collegium Humanum - Akademie Die Härte 42 für Umwelt und Lebensschutz Die Republikaner Siehe REP e.V. (CH) 14, 78, 99 DKP Combat 18 96f. 15, 30ff., 108, 120ff., 126f., 143, 150, 255 Creative Zeiten 46 dol2day 117, 118 Donaldson, Ian Stuart 46, 93, 97 D Döring Siehe Karahan, Yavuz Celik DVU10f., 23ff., 57ff,. 66, 69ff., 104, 254f. Das Freie Forum 76f., 104 Dehoust, Peter 104f. E Demokratiepartei (DEP) 167 Demokratische Front für die Befreiung Ekemk ve Adalet 153, 155 Palästinas El Attar, Issam 223 (DFLP) 213 Engel, Stefan 34, 128 Demokratische Linke Wülfrath 34 Erbakan, Necmettin 230 Demokratische Partei Kurdistans (DPK/I)166 Erdogan, Recep Tayyip 229, 238 Demokratische Volkspartei (DEHAP) Erhardt, Arthur 104 175, 177 Europa vorn Siehe Signal - Das patriotische Der Gegenangriff 89 Magazin Der Islam als Alternative (D.I.A.) 238 Europäische Moscheebauund Der Schlesier 112ff. Unterstützungsgemeinschaft Deutsche Gesellschaft für die Vereinten (EMUG) 228 Nationen, Europäischer Darstellungsverein für lebendige Landesverband Berlin-Brandenburg 184 Geschichte (EDLG) 13, 90 Europäisches Sozialforum (ESF) 121 280 Stichwortverzeichnis Exilregierung der iranischen Freundeskreise Unabhängiger Nachrichten Arbeiterpartei Siehe KPI e.V. 110 Extrabreit 42 Frey, Gerhard 10, 24f., 60, 62f., Frohnweiler, Ann 120 F Front für nationale Vereinigung (FBKSh) Fadlallah, Hussein 216 191ff., 255 FAP 84ff., 95 Front National 139 Fatime Versammlung e.V. 218 FUN-Partei 118 Faurisson, Robert 100, 103 G Fazilet Partisi (FP) 228f. FIS 224ff., 256 Gärtner-Engel, Monika 33 Fleck, Helmut 72 Gefährtschaft Rhein/Maas 78 Flüchtlingshilfe Iran (FHI) 183 Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag 34 Föderation der Aleviten Kurdistans gemeinsam gegen sozialraub 34 (FEK) 170 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) Föderation der Arbeiter aus der Türkei 76, 99, 104 in Deutschland (ATIF) 156 Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten 42 Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Graf, Jürgen 100 Türkei Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) 226 in Deutschland (AGIF) 156, 158 Föderation für demokratische Rechte in H Deutschland (ADHF) 156 H8Machine 52 Föderation Islamischer Organisationen in Haase, Stephan 63 Europa (FIOE) 223 HAKK-TV 239, 242f., Föderation kurdischer Vereine in HAMAS 17f., 211, 225ff., 270 Deutschland Siehe YEK-KOM Hambastegi - Internationale Föderation der Föderativer Islamstaat Anatolien Flüchtlingsund Immigrationsräte (A.F.I.D) 239 e.V. (IFIR) 188 Frauen für Demokratie im Iran e.V. 183 Hamburger Zelle 207 Frauen gegen Fundamentalismus Hammerskins 97 für Emanzipation e.V. (FFE) 183 Harakat Al-Muqawama Freie Info-Telefone (FIT) 83 Al Islamiya - Bewegung des Freie Kameradschaft Bielefeld 84 isl. Widerstandes Siehe HAMAS Freie Kameradschaft Sturm Rhein-Sieg 85 Haverbeck-Wetzel, Ursula 14, 78f., 99 Freie Kameradschaften 71 Heise, Thorsten 82 Freie Nationalisten25f., 66f., 80, 82, 85, 88 Hekmat, Mansour 188 Freie Nationalisten Sauerland/Siegerland 86 Heß, Rudolf 78ff. Freiheit Wattenscheid 112 Hilfsorganisation für nationale politische Freiheitliche Deutsche Gefangene und deren Angehörige Siehe Arbeiterpartei Siehe FAP HNG Freiheitspartei der Frauen Kurdistans Hizb Allah 213ff., 256 (PAJK) 170, 179 Hizb ut-Tahrir (HuT) 220ff. FREUNDE 118 HNG 254 281 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 I Jund al Islam (Armee des Islam) 208 Junge Freiheit Siehe JF IGD 223f., 256 Junge Nationaldemokraten Siehe JN IGMG 227ff., 256 Junge Welt 147 Ilgner, Hans-Joachim 112 Imam-Mahdi-Zentrum 218 K Indymedia 151 KADEK 161,ff., 167f., 172f., 181f. Initiativ e.V. - Verein für Demokratie Siehe auch KONGRA-GEL und Kultur 145, 147 Kalifatsstaat 18, 22, 221, 238,f., Initiative für ein Sozialforum in 240ff., 252 Deutschland (SFiD) 143 Kameradschaft Aachener Land 86 Institute for Historical Review Kameradschaft Hamm 86 (IHR) 101 Kameradschaft Walter Interim 139, 144, 147f. Spangenberg Köln 83, 85 Internationale Kampagne zur Kampfbund Deutscher Verteidigung der Frauenrechte im Sozialisten Siehe KDS Iran e.V. 189 Kanal 7 Siehe TV 5 Internationale Organisation Iranischer Kaplan, Cemaleddin 239 Flüchtlinge 189 Kaplan, Metin 18, 238, 240, 243ff. Internationales Bulletin 157 Kaplan-Verband 238, 242, 256 Internationales Komitee gegen Karahan, Yavuz Celik 227, 237 Steinigung 189 Karayilan, Murat 163 IRANNTV 182, 186 Kartal, Remzi 21 Islamische Bewegung Kurdistans Kasperzik, Andrea 123 (HIK oder KIH) 170 KaZaA 116 Islamische Gemeinschaft KDS 67, 85, 89, 90, 91 in Deutschland e.V. Siehe IGD Kerbela 153 Islamische Gemeinschaft Milli Görus Kesbir, Nuriye 176 Siehe IGMG Klumb, Josef 47 Islamische Heilsfront - Front Islamique du Klump, Andrea 149 Salut Siehe FIS Köbele, Patrik 120 Islamisches Zentrum Aachen Kögel, Ernst Günter 103 (Bilal-Moschee) e.V. (IZA) 222f. Komitee für Wissenschaft und Kunst 163 Islamisches Zentrum Hamburg 218 Kommunistische Arbeiterpartei Islamisches Zentrum München (IZM) 223 Irans Siehe Kommunistische Islamisches Zentrum Münster 218 Partei Irans (KPI) Izz-al-Din al-Qassam-Brigaden 212 Kommunistische Jugendorganisation J (KGÖ) 158 Kommunistische Partei Jeschioro, Herbert 112 Deutschlands Siehe KPD JF 47, 63, 66, 70 Kommunistische Partei & AufbauJihad Islami 202 organisation(KP-IÖ) 157 Jina Serbilind 174 Kommunistische Partei der Sowjetunion 124 JN 68, 71f., 254 282 Stichwortverzeichnis Konföderale Fraktion der Vereinigten MED-TV 174 Europäischen Linken/Nordische MEDYA-TV 174 Grüne Linke (KVEL/NGL) 30 MEK 181ff. Konföderation der Arbeiter aus der Meliani-Gruppe 227 Türkei in Europa (ATIK) 156 Menschenrechtsverein für Iranische Konföderation kurdischer Vereine Migranten e.V. 183 in Europa (KON-KURD) 172 Meyer, Horst-Ludwig 149 KONGRA-GEL Mezopotamya TV (METV) 174 ehemals PKK 20f., 159ff., 256, 258 militante gruppe (mg) 16, 144, 148 Koordinationsrat der FIS (CCFIS) 225 Milli Gazete 227, 231f., 233, 236 Korei, Ahmed 211 Milli Görüs 227ff. Kosiek, Rolf 76 Milli Görüs & Perspektive 227, 231 KPD 120 MLKP 157,ff. KPI 187 MLPD 15, 30, 33,f., 127ff., Kültür Adasi 153 150, 255 Kunst-und Kulturfreunde e.V. 183 Modaresi, Koorosh 188 Kurdische Demokratische Volksunion Mojahed 182f., 186 (YDK) 161, 167 Moscheebau-Kommission e.V. 223 Kurdische Nationalkongress (KNK) 162, 170 Mu'askar al Battar 199, 201 Kurdistan Zentrum Hannover e.V. 178 Müller, Michael 69 Kurdistan-Report 160, 174 Müller, Ursula 90 Muslimbruderschaft (MB) 215, 222ff., 256 L Muslimischer Sozialbund e.V. Landser 41, 44, 52 (MSB) 230 Lauck, Gary Rex 91f. Muslimstudentenvereinigung in Lebensschutz-Informationen - Stimme Deutschland e.V. (MSV) 223 des Gewissens (LSI) 78f. Mzoudi, Abdelghani 207 Lernen und Kämpfen (LuK) 129 N Liberation Tigers of Tamil Eelam Siehe LTTE Nachrichten der HNG 83, 91 Lindtner, Christian 100 Nasrallah, Hassan 216 LPK 190ff., 255 Nation & Europa 67, 75, 104 LTTE 194f., 255 Nation Europa Verlag GmbH 104 nation24.de 75,f. M National Front (NF) 92f. Mahler, Horst 14, 79, 99ff., 106 National Journal 101 Marxistisch Leninistische National-Zeitung/Deutsche Kommunistische Partei Siehe MLKP Wochen-Zeitung (NZ) 60, 63, 104f. Marxistisch-Leninistische Partei Nationaldemokratische Partei Deutschlands Siehe MLPD Deutschlands Siehe NPD Marxistische Blätter 120, 123 Nationale Befreiungsarmee (NLA) 182ff. Mattogno, Carlo 99 Nationale Befreiungsfront Kurdistans Max Resist & the Hooligans 52 (ERNK) 160f., 167 Nationale Info-Telefone (NIT) 80, 83 283 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Nationaler Widerstand der unabhängigen Partei der kommunistischen WiederDortmunder Kameraden 86 begründung Italiens (PRC) 125 Nationaler Widerstand Hochsauerland 86 Partei des Demokratischen Sozialismus, Nationaler Widerstand Ruhrgebiet 86 Landesverband NordrheinNationaler Widerstandsrat Iran Westfalen Siehe PDS Siehe NWRI Partei des rechten Weges 228 Nationalkomitees für die Befreiung und Partei für soziale Gleichheit (PSG) 15, 30,f. Verteidigung der albanischen Partei Gottes Siehe Hizb Allah Territorien (KKCMTSh) 191 Partinin Sesi 157 Nationalsozialistische Deutsche Patriotisch-Demokratische Arbeiterpartei Siehe NSDAP/AO Partei (PWD) 21, 163 Neonazi-Szene 25ff., 66f., 69, 78, Patriotische Union Kurdistans 80ff., 91f. (PUK) 166, 175 Neubauer, Harald 104 PDS 14f., 30ff., 108, Neue Rechte 47 123ff., 143, 150, 255 Neuer Weg, Gelsenkirchen 129 PDS LANDESINFO Niederländische Volksunion (NVU) 67 Nordrhein-Westfalen 123 No Remorse 43 PKK 159ff., 176, 178, 181. Nordische Zeitung (NZ) 77 Siehe auch KONGRA-GEL NPD 10ff., 23ff., 40, 45, 59ff., Pro Köln 27, 74ff. 83ff., 116ff., 129, 144, 154, 271f. NS Kampfruf 91 R NSDAP/AO 48, 91 radikal, Zeitschrift 134 NWRI 181ff., 255 Radjawi, Maryam 182, 185 O Radjawi, Massoud 182 Ramadan, Said 223 Oberlercher, Reinhold 106 Rat der Religionsgelehrten 20 Öcalan, Abdullah 21, 160ff., 166, 174ff. Re-enactment-Bewegung 90 Öcalan, Osman 21, 162f., 180 Rebell 129, 131 Oidoxie 42, 95f. Red Community NRW 134 Opposition 67 Refah Partisi 228, 233 Organisation der Jungen Kommunisten Regionalverband Ruhr (RVR) 128 Deutschland 188 Rennicke, Frank 43, 69 Özgür Politika 159, 163, 172ff. REP 11, 27ff., 43, 55ff., 70, 105, 112, 254f. P Republikanischer Anwaltsverein 184 Palästinensische Befreiungsorganisation Resistanbul 2004 156 (PLO) 212 Revolte 85 Panzerfaust Records 51f. Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Partei der Europäischen Front. Siehe DHKP-C Linken - European Left (EL) 125 Revolutionäre Zellen (RZ) 149 Partei der freien Frauen (PJA) 170 Rieger, Jürgen 77, 81f., 100 Rochow, Stefan 71 ROJ-TV 160, 173f., 178 284 Stichwortverzeichnis Rote Armee Fraktion (RAF) 106, 149 Tamil Rehabilitation Organization Rote Fahne (RF) 129 e. V. (TRO) 194 Rouhs, Manfred 75f. Tamil Student Organization e.V. (TSV) 194 Rudolf, Germar 100ff. Tanzim 213 Tavir 153 S Tegethoff, Ralf 82 Saadet Partisi (SP) 229ff., 233, 236 THKP/-C 153ff. Sauerländer Aktionsfront (SAF) 86 Thule Seminar 67 Saut al Jihad 199 Töben, Fredrick 101 Schäfer, Paul 123 Türkisch-Islamischen Union der Scharon, Ariel 211ff. Anstalt für Religion (DITIB) 19 Schaub, Bernhard 99 Türkische Kommunistische ArbeiterbeSchlierer, Rolf 55, 59 wegung (TKIH) 158 Schönhuber, Franz 70, 105 Türkische Kommunistische Partei Serxwebun 159, 174 (Marxisten-Leninisten)-Bewegung Signal. Siehe nation24.de - (TKP(ML)-H) 158 Das patriotische Magazin Türkische VolksbefreiungsSkinhead-Szene 13, 41f., 46, 48, 51, partei/-front Siehe THKP/-C 84, 92ff., 254 TV 5 227, 233 Musik 13, 42, 69, 93ff., 97 U Skrewdriver 46, 52, 93, 96 Solidaritätsverein mit den politischen UCK - Kosovo-Befreiungsarmee 190 Gefangenen und den Familien in der Ümmet-I Muhammed 238, 240, 242f. Türkei (TAYAD) 156 Unabhängige Nachrichten (UN) 73, 110f. Sozialistische Alternative Voran (SAV) 34 Union der Freien Frau(YJA) 170 Sozialistische Einheitspartei Union der Journalisten aus Kurdistan Deutschlands (SED) 123f. (YRK) 170 Stahlgewitter 50 Union der Jugendlichen aus Ständige Ausschuss für Dialog der Kurdistan (YCK) Siehe Religionen 20 Bewegung der freien Jugend Stehr, Heinz 120f. Kurdistans (TECAK) Sterka Ciwan 174 Union der Kinder aus Stichting Dinaar aan Islam 240 Kurdistan (YZK) 170 Stiftung Vrij Historisch Onderzoek Union der kurdischen Eltern (VHO) 102 (YEKMAL) 170 Stimme des Gewissens 79 Union der kurdischen Juristen (YHK) 170 Stürmer 41 Union der Lehrer aus Kurdistan Symanek, Werner 108f. (YMK) 170 Union der Schriftsteller aus T Kurdistan (YNK) 170 Taghvaie, Hamid 188 Union der Yeziden aus Kurdistan Tamil Coordination Comitee (TCC) 194 (YEK) 170 285 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2004 Union für die in Europäischen W Ländern Arbeitenden Muslime e.V. (UE-LAM) 223 Wedding, Nico 71 Union Muslimischer StudentenWeisse Wölfe 43, 95 organisationen in Europa Weltbund zum Schutze des Lebens; e.V. (UMSO) 223 Bundesverband Deutschland United Nations Interim Administration e.V. (WSL-D) 78 Mission Kosovo ( UNMIK) 192 White Youth 96 Unsere Zeit (UZ) 120ff. Wiegräfe, Hans-Dieter 60 Wiking-Jugend 43, 86 V Winkelsett, Ursula 55 Wohlfahrtspartei Siehe Refah Partisi Verband der islamischen Vereine und Wolter, Judith 74, 76 Gemeinden e.V. (ICCB). Siehe KalifatsWorch, Christian 26, 81, 83, 85 staat World Tamil Movement Verband der patriotischen Arbeiter e.V. (WTM) 194 aus Kurdistan (YKWK) 170 WPI Briefing 187 Verband der Student/Innen Wulff, Thomas 82 aus Kurdistan (YXK) 170 Verein der Iraner in Wuppertal e.V. 183 Y Verein zur Förderung des Courage Zentrums Gelsenkirchen 129 Yassin, Ahmed 17, 212 Verein zur Rehabilitierung der wegen YEK-KOM 172, 176, 178, 180 Bestreitens des Holocaust Yeni Atilim 157 Verfolgten (VRBHV) 79, 99 Vereinigung Gesamtdeutsche Politik e.V. Z (VGP) 103 Zana, Leyla 167, 179 Verlag und Agentur Werner Symanek Zeit für Protest 55,f. (VAWS) 108,f. Zentralrat der vertriebenen Deutschen VermögensVerwaltungsVerein (VVV) 129 e.V. (ZvD) 112ff. Vierteljahreshefte für freie Zillertaler Türkenjäger 42 Geschichtsforschung (VffG) 99f., 102 Vikernes, Christian 98 Voigt, Udo 10f., 24, 26, 63, 65f., 81f. Volksbewegung von Kosovo Siehe LPK Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 213 Volksfront von Rechts 10f. 23, 25f., 70, 82 Volksmodjahedin Iran Siehe MEK Volksverteidigungskräfte (HPG) 21, 161ff., 166, 172 Von Thronstahl 47, 109 286 siewniH Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Innenministeriums Nordrhein-Westfaseni len drhäw nfelha W redo nbwlha W nov hc neitraP ov redw fa eiS .nbgsuareh BundestagL, die für gilt Des wrdn. vet ahlwrbung W der Zwck zum ahlkpfes W EuMriotpdPgäealschmnb.iW dKoemfuünarslwih ahlveIrndfostmPwWiuga,äeln Ve isbdeontr Einleg , Aufdr cken o Aufkleb n part i ol sche Informati e b d l. W Untersag i a h l w e r b u n g . 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