Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Presseinformation............................................................................... 3 Vorwort ................................................................................................ 6 1 Entwicklungen im Extremismus 1995............................................. 8 1.1 Rechtsextremismus......................................................................................8 1.1.1 Entwicklungstendenzen .....................................................................8 1.1.2 Mitgliederzahlen...............................................................................15 1.1.3 Bericht des Justizministeriums NRW ...............................................16 1.2 Linksextremismus und -terrorismus ............................................................16 1.2.1 Linksextremismus: Entwicklungstendenzen.....................................16 1.2.2 Linksextremistischer Terrorismus: Entwicklungstendenzen.............19 1.2.3 Mitgliederzahlen...............................................................................22 1.2.4 Bericht des Justizministeriums NRW ...............................................22 1.3 Ausländerextremismus und -terrorismus.....................................................23 1.3.1 Entwicklungstendenzen ...................................................................23 1.3.2 Mitgliederzahlen...............................................................................28 1.4 Politisch motivierte Strafund Gewalttaten..................................................29 1.4.1 Fremdenfeindliche Straftaten...........................................................29 1.4.2 Politisch motivierte Gewalttaten.......................................................34 1.5 Scientology - eine Aufgabe für den Verfassungsschutz? ............................36 2 Rechtsextremismus ....................................................................... 38 2.1 Rechtsextremistische Organisationen, Gruppierungen und Strömungen....38 2.1.1 Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG) .........................38 2.1.2 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH).....................................38 2.1.3 Deutsche Volksunion (DVU) ............................................................42 2.1.4 Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes e.V. (DKEG) .............46 2.1.5 Die Republikaner (REP)...................................................................47 2.1.6 Förderkreis Bündnis Deutschland/"Runde Tische" von Rechtsextremisten ....................................................................................53 2.1.7 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP)....................................58 2.1.8 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ........................60 2.1.9 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB)...............................65 2.1.10 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) .............................................................65 NSDAP/ AO-Chef Lauck in Hitler-Pose.............................................................67 2.1.11 Neonazismus .................................................................................67 2.1.11.1 Junge Nationaldemokraten (JN).........................................72 2.1.11.2 Sauerländer Aktionsfront (SAF)..........................................75 2.1.11.3 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) ..........................................................78 2.1.11.4 Deutsche Nationalisten (DN) ..............................................79 2.1.11.5 Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) ...........79 1 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 2.1.11.6 "Heimatschutzkorps der Waffen SS in OWL" (HSK/OWL) .79 2.1.11.7 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) - verboten -....80 2.1.11.8 Nationalistische Front (NF) - verboten - .............................81 2.1.11.9 Wiking-Jugend (WJ) - verboten -........................................83 2.1.12 "Neue Rechte" ...............................................................................84 2.1.12.1 Junge Freiheit (JF) .............................................................86 2.1.12.2 "Junge Freiheit" - Leserkreise und Sommeruniversitäten...97 2.1.12.3 Staatsbriefe ........................................................................99 2.1.12.4 Deutsches Kolleg .............................................................103 2.1.12.5 Europa Vorn aktuell, Europa Vorn spezial, "hoppla!" .......107 2.1.12.6 Nation und Europa - Deutsche Rundschau ......................112 2.1.12.7 Sleipnir - Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik......114 2.1.13 Rechtsextremistische Skinheads .................................................116 2 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Presseinformation Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen - Pressereferat - Düsseldorf, 29.04.1996 PRESSEINFORMATION Verfassungsschutzbericht 1995 Innenminister Kniola: Rechtsextremisten und NRW-REPS haben an Bedeutung verloren - PKK manövriert sich ins Abseits Das Innenministerium teilt mit: "Rechtsextremistische Parteien und Neonazis haben an Bedeu tung verloren, die Aktivitäten intellektueller Rechts extremisten der sogenannten "Neuen Rechten" haben zugenommen", erklärte der nordrhein-westfälische Innenminister FranzJosef Kniola heute (29.04.) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 1995 in Düsseldorf. Die Mißerfolge und Mitgliederverluste bei den Repu blikanern (REP) in NRW führt Kniola auf die innerpartei lichen Auseinandersetzungen zwischen Schönhuber und dem neuen Parteivorsitzenden Schlierer zurück. Schönhuber habe sich vehement für eine Öffnung zu anderen rechtsextremistischen Parteien eingesetzt, Schlie rer halte an einer formalen Abgrenzung fest. "Am rechtsextre mistischen Charakter der REPs hat sich nichts geändert", betonte Kniola und zitierte ein Urteil des O- berver waltungsgerichts in Münster vom Dezember 1995, in dem den REP die Errichtung einer eigenen Parteistiftung wegen ihres rechtsextremen Charakters versagt wurde. Die Mitgliederzahl sei in Nordrhein-Westfalen von 2.400 auf höchstens 1.700 gesunken. Den Versuch, "Runde Tische" der vereinten Rechten zu schaf fen, bezeichnete Kniola als eine Reaktion auf die Schwäche der Republikaner. Der Einsatz von Franz Schönhuber als politisches Zugpferd für die "Runden Tische" ändere nichts an deren Bedeutungslosigkeit. Für die Gründung einer vereinten rechten Partei sieht der nordrhein-westfälische Innenminister keinerlei Perspektive. Die Entwicklung bei den Neonazis sei 1995 zwiespältig verlaufen. Nach dem Verbot und der Auflösung der FAP im Frühjahr 1995 seien die Sauerländer Aktionsfront (SAF) und die Jungen Nationaldemokraten, die Jugendorganisa tion der NPD, die letzten nennenswerten Zusammenschlüsse von Neonazis. Viele Aktivisten aus der Szene hätten re signiert. Der verbliebene harte Kern agiere jedoch ohne feste organisatorische Strukturen und hochkonspirativ. "Auffällig ist die enge Zusammenarbeit zwischen nie derländischen Neonazis und Neonazis aus Nordrhein-Westfa len", so Kniola. Der Minister sieht eine zunehmende Militanz in der geschrumpften Neonazi-Szene. Einen Rechtsterrorismus gebe es allerdings nicht. "Dafür gibt es derzeit keine Anhaltspunkte", erklärte der Minister. 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Besondere Sorge bereitet dem Innenminister die Entwicklung bei den gewaltbereitden Linksextremisten. Kniola sieht ein Zusammenwachsen des bisherigen RAF-Umfelds mit jüngeren gewaltbereiten Autonomen. Die Antiimperialistische Zelle (AIZ), die 1995 Bomben anschläge auf die Wohnhäuser von CDU-Bundestagsabge ordneten verübt hat, sei ein Beispiel für die wach sende Gewaltbereitschaft. Die AIZ selbst sei allerdings nach ihren Bekenntnissen zum Bündnis mit islamischen Fundamen talisten innerhalb der linksextremistischen Szene vollständig isoliert. "Die AIZ des Jahres 1995 hat keine Zukunft", so Kniola. Nach der Verhaftung von zwei Tat verdächtigen müsse abgewartet werden, ob die AIZ ihren Irrweg fortsetze. Zum "antiimperialistischen Widerstand" rechnet Kniola auch die sogenannte Kurdistan-Solidarität. Dabei handele es sich um die organisierte Unterstützung der PKK durch ge waltbereite Linksextremisten. Alle Schlüsselfunktionen seien von Angehörigen des RAF-Umfelds oder von gewalt bereiten Antiimperialisten besetzt. Die gefährlichste extremistische Organisation von Ausländern ist für Kniola nach wie vor die kurdische Arbeiterpartei PKK. Die PKK setzte 1995 ihre Doppelstrategie von Anschlagswellen und öffentlichen Friedensbekundungen fort. "Die PKK ist unberechenbar. Einen Dialog zu ihren Bedin gungen kann und wird es nicht geben", befand der Minister. Trotz aller Demonstrationen der Stärke manövriere sich die PKK in eine ausweglose Situation. Ohne einen Verzicht auf Gewalt werde die PKK keine Fortschritte erzielen. Kniola warnte vor einer Gleichsetzung der PKK mit den in Deutschland lebenden Kurden. Diese unterstützen die PKK nur zu einem kleinen Teil. Auch das neue Satellitenfernsehen der PKK unter dem Namen MED-TV könne keine politischen Veränderungen bewirken. Die PDS, insbesondere den Landesverband Nordrhein-Westfa len, sieht Kniola als ein Sammelbecken von Linksextremisten unterschiedlicher Herkunft. Bemerkenswert sei die Verflechtung mit dem Bund Westdeutscher Kommunisten, dem linksextremisti schen GNN-Verlag in Köln und mit militanten Autonomen. Der Minister erinnerte an die Beteiligung eines schwarzen Blockes an der PDSGegendemonstration am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1995. "Die PDS im Westen ist nicht die gleiche Partei wie die PDS in Ostdeutschland", so Kniola. "Die weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten des Inter Net werden auch von Extremisten genutzt", berichtete Kniola. Auf ausländischen Rechnern sei Propaganda abrufbar, die in Deutschland verboten sei. So biete der Revisionist Ernst Zündel aus Kanada Dokumente an, in denen der Holocaust geleugnet werde, wie z.B. den Leuchter-Report. Der NS-Kampfruf des amerikanischen Neonazis Gary Rex Lauck sei 1995 erstmals über das InterNet verbreitet worden. Die verbotene links extremistische Untergrundzeitschrift "radikal" werde von den Niederlanden eingespeist. Auch das InterNet-Angebot der PDS vermittelt einen elektronischen Direktzugang zu "radikal". "Da technische oder rechtliche Beschränkungen keine Abhilfe schaffen können", so Kniola, "muß man den mündigen Bürger befähigen, mit derartiger Pro paganda kritisch umzugehen." Zu diesem Zweck soll nach dem Willen des Ministers demnächst auch der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz seine Informationen im InterNet anbieten. Eine elektronische e-mail-Adresse ist bereits eingerichtet: 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 info@mail.verfassungsschutz.nrw.de oder verfassungsschutz.nrw.@t-online.de Unter dieser Adresse kann der ca. 300 Seiten starke NRWVerfassungsschutzbericht 1995 schon jetzt angefordert werden. Im übrigen ist der Bericht ab sofort in der Mailbox des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen unter der Telefonnum mer 0211/135294 abrufbar. 5 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Vorwort Franz-Josef Kniola Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen Erhebliche Wandlungen und Umbrüche sind 1995 im Rechts-, Linksund Ausländerextremismus festzustellen. Rechtsextremistische Parteien und Neonazis haben 1995 an Bedeutung verloren. Die "Republikaner" (REP) mußten Mißerfolge bei Wahlen und Mitgliederverluste aufgrund innerparteilicher Auseinandersetzungen hinnehmen. Der Versuch, "Runde Tische" der vereinten Rechten zu schaffen, ist als eine Reaktion auf die Schwäche der REP zu verstehen. Der Einsatz des ehemaligen REPBundesvorsitzenden als politisches Zugpferd für die "Runden Tische" ändert nichts an deren Bedeutungslosigkeit. Die Entwicklung bei den Neonazis verlief 1995 zwiespältig. Nach dem Verbot und der Auflösung der FAP im Frühjahr 1995 sind die Sauerländer Aktionsfront (SAF) und die Jungen Nationaldemokraten, die Jugendorganisation der NPD, die letzten nennenswerten Zusammenschlüsse von Neonazis. Viele Aktivisten aus der Szene haben resigniert. Der verbliebene harte Kern agiert jedoch ohne feste organisatorische Strukturen und hochkonspirativ. Auffällig ist die enge Zusammenarbeit zwischen niederländischen Neonazis und Neonazis aus Nordrhein-Westfalen. Es gibt Hinweise auf eine zunehmende Militanz in der geschrumpften Neonazi-Szene. Einen Rechtsterrorismus gibt es allerdings nicht. Während rechtsextremistische Parteien und Neonazis an Bedeutung verloren, nahmen die Aktivitäten intellektueller Rechtsextremisten der sogenannten "Neuen Rechten" zu. Es gelang ihnen, in der Öffentlichkeit Resonanz mit Kampagnen zu erzielen, bei denen der rechtsextremistische Hintergrund verschleiert wurde. Besondere Sorge bereiten mir aktuelle Entwicklungen bei den gewaltbereiten Linksextremisten: Das bisherige RAF-Umfeld wächst mit jüngeren gewaltbereiten Autonomen zusammen, die revolutionäre Gewalt bejahen. Die Antiimperialistische Zelle (AIZ), die 1995 Bombenanschläge auf die Wohnhäuser von CDUBundestagsabgeordneten verübt hat, ist ein Beispiel für die vorhandene Gewaltbereitschaft innerhalb eines sogenannten "antiimperialistischen Widerstands". Die AIZ selbst ist allerdings nach ihren Bekenntnissen zum Bündnis mit islamischen 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Fundamentalisten innerhalb der linksextremistischen Szene vollständig isoliert. Nach der Verhaftung von zwei Tatverdächtigen muß abgewartet werden, ob die AIZ ihren Irrweg fortsetzt. Zum "antiimperialistischen Widerstand" rechne ich auch die organisierte Unterstützung der PKK durch gewaltbereite Linksextremisten. Der PDS-Landesverband Nordrhein-Westfalen ist ein Sammelbecken von Linksextremisten unterschiedlicher Herkunft. Bemerkenswert sind Verflechtungen mit dem Bund Westdeutscher Kommunisten, dem linksextremistischen GNN-Verlag in Köln und mit militanten Autonomen. So beteiligte sich ein schwarzer Block an der PDS-Gegendemonstration am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1995. Allerdings ist die PDS im Westen nicht die gleiche Partei wie die PDS in Ostdeutschland. Die gefährlichste extremistische Organisation von Ausländern ist nach wie vor die kurdische Arbeiterpartei PKK. Sie setzte 1995 ihre Doppelstrategie von Anschlagswellen und öffentlichen Friedensbekundungen fort und ist daher unberechenbar. Einen Dialog zu ihren Bedingungen kann und wird es nicht geben. Trotz aller Demonstrationen der Stärke manövriert sich die PKK in eine ausweglose Situation. Ohne einen Verzicht auf Gewalt sind keine Fortschritte zu erzielen. Ich warne allerdings vor einer Gleichsetzung der PKK mit den in Deutschland lebenden Kurden. Nur ein kleiner Teil von ihnen unterstützt die PKK. Zu den neuartigen Herausforderungen des Verfassungsschutzes gehört auch die zunehmende Nutzung weltweiter Kommunikationsmöglichkeiten von Extremisten. Im Internet verbreiten Rechtsextremisten auf ausländischen Computern Propagandamaterial, das in Deutschland verboten ist. So bietet der Revisionist Ernst Zündel aus Kanada Dokumente an, in denen der Holocaust geleugnet wird. Der "NS-Kampfruf" des amerikanischen Neonazis Lauck wurde 1995 erstmals über das Internet verbreitet. Die verbotene linksextremistische Untergrundzeitschrift "radikal" wird in den Niederlanden eingespeist. Auch das Internet-Angebot der PDS vermittelt einen elektronischen Direktzugang zu "radikal". Da technische oder rechtliche Beschränkungen keine Abhilfe schaffen können, muß mündigen Bürgern die Möglichkeit geboten werden, mit derartiger Propaganda kritisch umzugehen. Zu diesem Zweck wird der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen seine Informationen demnächst auch im Internet anbieten. Düsseldorf, im Mai 1996 Franz-Josef Kniola 7 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 1 Entwicklungen im Extremismus 1995 1.1 Rechtsextremismus 1.1.1 Entwicklungstendenzen Im Laufe des Jahres 1995 zeichneten sich die folgenden bemerkenswerten Entwicklungen im Rechtsextremismus ab: * Ein zunächst fortdauernder Niedergang der Partei "Die Republikaner" (REP), u.a. ablesbar an einer deutlichen Wahlschlappe bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. * Rege Einigungsbemühungen um sogenannte "Runde Tische" von Rechtsextremisten, in NRW vornehmlich betrieben von der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) und der NPD. * Resignation in der Neonazi-Szene nach dem Verbot der FAP und nach zahlreichen Verurteilungen von Neonazi-Führern. * Neuformierung eines geschrumpften Kerns der Neonazis bei der Sauerländer Aktionsfront (SAF) und bei den Jungen Nationaldemokraten (JN) im Zusammenwirken mit niederländischen Neonazis. * Auslieferung des amerikanischen Neonazis Gary Rex Lauck, Leiter der NSDAP/AO, von Dänemark an die Bundesrepublik Deutschland. * Zunehmende publizistische Aktivitäten der rechtsextremistischen "Neuen Rechten" unter anderem: * Beeinflussung der öffentlichen Diskussion zum 50. Jahrestag des Kriegsendes durch Rechtsextremisten und Revisionisten, * Übernahme von Gedankengut der "Neuen Rechten" durch traditionelle Rechtsextremisten, * Strategiedebatte über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und von kleineren demokratischen Parteien, * antisemitische Tendenzen, * Diffamierung von Andersdenkenden, kritischen Journalisten, mißliebigen Funktionsträgern und Verfassungsorganen. Niedergang der REP Der Niedergang der REP im Wahljahr 1994 setzte sich auch 1995 fort. Die Ablösung des langjährigen Parteivorsitzenden Franz Schönhuber durch den Fraktionsvorsitzenden im Landtag Baden-Württemberg, Dr. Rolf Schlierer, brachte den REP 1995 keinen Aufwind. Insbesondere bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 1995 erreichten die REP nur 0,8 % und verfehlten damit sogar die 1 %-Grenze für die staatliche Parteienfinanzierung. Dieses Ergebnis markierte einen vorläufigen Tiefpunkt. Einher damit ging ein beständiger Verlust von frustrierten Mitgliedern. Der Landesverband schrumpfte bis Ende 1995 auf eine Mitgliederzahl von maximal 1.700. Die Schwäche der REP 1995 hatte parteiinterne, aber auch allgemeinpolitische Gründe. Die faktische Spaltung der Partei in Anhänger des früheren Parteivorsitzenden Schönhuber und in Anhänger des neuen Parteivorsitzenden Schlierer 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 konnte nicht überwunden werden. Dieser Streit wurde von Schönhuber nachhaltig unter dem Mantel der tiefen Sorge um das Wohlergehen der Partei geschürt. In Artikeln und Briefen warb Schönhuber für eine Öffnung der REP für eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen. Schönhuber machte öffentlich seinen Nachfolger Schlierer für Wahlniederlagen der Partei verantwortlich und hielt sich erkennbar für eine Ablösung bereit. Gleichzeitig mit seinen parteiinternen Attacken suchte Schönhuber das Bündnis mit früheren Gegnern aus anderen rechtsextremistischen Organisationen. Schönhuber unterstützte offenkundig die bundesweiten Initiativen zur Bildung "Runder Tische". So ließ er in der Zeitung "Nation und Europa" ein Interview veröffentlichen und schrieb dort im Rahmen einer ständigen Kolumne seit Oktober 1995 selbst. Die Zeitschrift "Nation und Europa" wird von DLVH-Funktionären herausgegeben, darunter auch von dem früheren Schönhuber-Kronprinzen Harald Neubauer, von dem er sich seinerzeit im Streit getrennt hatte. Schönhuber bestätigte im nachhinein die Einschätzung, daß die damaligen Abgrenzungsbeschlüsse der REP gegen Rechtsextremisten von ihm selbst nicht ernst gemeint waren und ausschließlich taktischen Charakter hatten. Demgegenüber hielten der neue Parteivorsitzende Schlierer und der amtierende Bundesvorstand der REP an einer strikten Abgrenzung fest. Der Bundesvorstand lehnte auch jede Teilnahme der REP an den sogenannten "Runden Tischen" ab. Schlierer setzte offenkundig darauf, die REP beim Wähler nicht durch eine offene Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten zu diskreditieren. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen unterstützte die strikte Abgrenzung des Bundesvorstands gegenüber anderen Rechtsextremisten. Auch der überraschende Rücktritt des NRW-Landesvorsitzenden Goller nach der verheerenden Wahlniederlage der REP bei der NRW-Landtagswahl 1995 änderte an diesem Kurs des Landesverbandes nichts. Goller führte für seinen Rückzug persönliche Gründe an. Den kommissarischen Landesvorsitz übernahm zunächst seine damalige Stellvertreterin Ursula Winkelsett, die auch als stellvertretende Bundesvorsitzende der REP dem Bundesvorstand angehörte. Auf einem Landesparteitag am 18. November 1995 wurde Winkelsett zur neuen ordentlichen Landesvorsitzenden gewählt. Trotz einer starken Machtposition blieb Winkelsett jedoch umstritten. Ihre Wahl zur neuen Landesvorsitzenden fiel knapp aus: Der Gegenkandidat errang 44 % der Delegiertenstimmen. Es bleibt abzuwarten, ob die REP ihren Abwärtstrend nach dem Erfolg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 24. März 1996 umkehren können. "Runde Tische" und Einigungsbestrebungen rechtsextremistischer Parteien Bundesweit versuchten Vertreter rechtsextremistischer Parteien, insbesondere der DLVH, und von Splitterparteien, über "Runde Tische" eine Neuformierung des rechtsextremistischen Spektrums zu betreiben. Seit dem Herbst 1995 beteiligte sich auch die NPD, speziell in NRW, an diesen Einigungsbestrebungen. Die DVU nahm an den "Runden Tischen" nicht teil, da sie in NRW als politisch aktive Organisation nicht existiert. Von den REP beteiligten sich in NRW nur einzelne Mitglieder, die sich inzwischen von der Partei getrennt haben. 9 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Die Initiative zu den "Runden Tischen" war vom REP-Landesverband Thüringen ausgegangen, der am 1. Juni 1995 ein sogenanntes "Eisenacher Signal" gemeinsam mit Vertretern anderer Parteien verabschiedet hatte. Das "Eisenacher Signal" ist als isolierte Initiative einer Parteigliederung zu bewerten, die stark auf den e- hemaligen Parteivorsitzenden Schönhuber fixiert war. Keine andere Parteigliederung der REP hat die Initiative aufgenommen. Alle "Runden Tische" und ähnliche Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen wurden von der DLVH initiiert und angestoßen. Organisatorisch mündeten die "Runden Tische" in Nordrhein-Westfalen in die Gründung eines Koordinierungsausschusses mit der Bezeichnung "Förderkreis Bündnis Deutschland". An diesem Förderkreis beteiligte sich auch die NPD und gewährte logistische Unterstützung. Die parteiübergreifenden Veranstaltungen entwickelten sich in NordrheinWestfalen chronologisch wie folgt: * Runder Tisch am 10. Juni 1995 in Bergisch Gladbach und Verabschiedung eines "Rheinischen Appells", * Runder Tisch am 2. September 1995 in Pulheim und Verabschiedung einer "Pulheimer Erklärung"; Gründung des Förderkreises Bündnis Deutschland, * Autorenlesung von Schönhuber am 8. November 1995 in Overath, * Herausgabe der ersten Ausgabe einer Zeitung mit dem Titel "Forum Bündnis Deutschland" im Januar 1996 und eine weitere Schönhuber-Veranstaltung im März 1996. Langfristiges Ziel der Initiatoren der "Runden Tische" war es, die Voraussetzungen für die spätere Gründung einer vereinigten rechten Partei zu schaffen. Von diesem Ziel sind die "Runden Tische" weit entfernt. Es gelang nirgendwo, eine nennenswerte Außenwirkung zu erzeugen. Zum anderen hat der Ausgang der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 1996 die REP im rechtsextremistischen Lager gestärkt. Das System der "Runden Tische" ist ohne Perspektive, wenn die REP sich nicht daran beteiligen. Die "Runden Tische" umfassen nach dem derzeitigen Stand nur ein schmales Segment zwischen NPD und älteren und jüngeren REP-Abspaltungen. Dies dürfte keinesfalls ausreichen, um das Spektrum der rechtsextremistischen Parteien neu zu formieren. Resignation und Neuformierung eines geschrumpften Kerns der Neonazis Das Verbot der neonazistischen FAP am 22. Februar 1995 durch das Bundesministerium des Innern und die sofortige Auflösung durch die Polizei führten zu neuer Resignation in der Neonazi-Szene. Die FAP hatte zwar derartige Maßnahmen bereits seit langem erwartet und verschiedene Möglichkeiten zur Fortsetzung der politischen Arbeit diskutiert. Faktisch wurden aber Aktivisten und Sympathisanten der FAP von dem Verbot hart getroffen. Die bis dahin größte neonazistische Gruppierung stellte ihre Aktivitäten sangund klanglos ein. Ein Teil der Aktivisten zog sich aus der politischen Arbeit zurück, darunter auch der damalige Landesgeschäftsführer der FAP in Nordrhein-Westfalen. In einigen Städten treffen sich verbliebene Aktivisten der FAP zu unregelmäßigen Stammtischen, gezielte politische Aktivitäten gehen von diesen Treffen jedoch nicht mehr aus. 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Nach wie vor sind frühere FAP-Aktisten kurzfristig für neonazistische Kundgebungen zu mobilisieren. Aktionen von Neonazis finden spätestens seit dem Verbot der FAP organisationsübergreifend statt. Die staatlichen Verbote haben insoweit ein Zusammenwachsen der Szene und teilweise eine Überwindung der Zersplitterung bewirkt. Beispiele für derartige übergreifende Aktionen von Neonazis nach dem FAP-Verbot waren * Aufmärsche im Rahmen der Heß-Aktionswoche im August 1995 in Schneverdingen/Niedersachsen und in Roskilde/Dänemark, * die Beteiligung von deutschen Neonazis an der "Ijzerbedevaart" in Diksmuide/ Belgien im August 1995, 11 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 * eine gemeinsame Kundgebung von deutschen und niederländischen Neonazis im Oktober 1995 in Sittard/Niederlande. Die führenden Aktivisten der Neonazi-Szene verhalten sich zunehmend konspirativ und entwickeln zunehmend militantere Vorstellungen. Insofern haben die staatlichen Maßnahmen 1995 die Zahl der aktiven Neonazis verringert. Der verbliebene harte Kern ist jedoch nach wie vor aktionsfähig und schottet sich nachhaltig ab, um den Sicherheitsbehörden keinerlei Einblick zu gewähren. Die größte verbliebene Neonazi-Gruppierung in Nordrhein-Westfalen ist die Sauerländer Aktionsfront (SAF), die sich seit 1992 aus einer Gruppe von Skinheads im Hochsauerlandkreis entwickelt hat. Ein großer Teil der SAF-Aktivisten gehörte bis zum Verbot der FAP an. Die SAF ist lose strukturiert, so daß Gerichte in der Vergangenheit keine Organisation im strafrechtlichen Sinne feststellen konnten. Aktivisten der SAF haben 1995 engere Kontakte zur niederländischen FAP geknüpft und führten seitdem gemeinsame Aktionen mit niederländischen Neonazis durch. Gleichzeitig entwickelten sich die Jungen Nationaldemokraten (JN), die Jugendorganisation der NPD, zu einer eindeutig neonazistischen Organisation. Einerseits fanden dort einige frühere Aktivisten der FAP Aufnahme und betrieben die Nationalen Infotelefone Rheinland und Westfalen unter dem Namen JN weiter. Andererseits entwickelten die JN 1995 eigene politische und programmatische Vorstellungen, wie z.B. vom Bild des politischen Soldaten, also eindeutig neonazistisches Gedankengut. Am Volkstrauertag 1995 organisierten die JN eine organisationsübergreifende Kundgebung in Burg bei Solingen, zu der kurzfristig ca. 60 Teilnehmer mobilisiert werden konnten. ähnlich der SAF hat die JN politische Kontakte zu niederländischen Neonazis. So beteiligten sich im Oktober 1995 auch JNAktivisten an der gemeinsamen Kundgebung von deutschen und niederländischen Neonazis in Sittard, eine weitere JN-Kundgebung mit niederländischen Neonazis fand am 30. März 1996 in Echten/ Niederlande statt. Gleichzeitig demonstrierte die niederländische FAP mit Angehörigen der SAF in Leerdam/Niederlande. 1994 und 1995 wurden zahlreiche Neonazi-Funktionäre in Strafverfahren angeklagt und verurteilt, teilweise zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung: * Friedhelm Busse (FAP), * Michael Swierczek (Nationale Offensive), * Christian Sennlaub (Nationale Offensive), * Christian Worch (Nationale Liste und GdNF), * Meinolf Schönborn (Nationalistische Front), * Michael Petri (Deutsche Nationalisten), * Arnulf Priem (Wotans Volk), * Bela Ewald Althans (Revisionist), * Sascha Chaves-Ramos (Deutsche Nationalisten). * Thorsten Heise (FAP). Diese Strafverfahren wirkten auf die Neonazi-Szene verunsichernd und abschreckend. Auslieferung und Anklage des Leiters der NSDAP/AO 12 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der Leiter der NSDAP/AO, Gary Rex Lauck, wurde im März 1995 in Dänemark auf Ersuchen deutscher Behörden verhaftet und am 5. September 1995 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Er befindet sich seitdem in Haft. Der Beginn der Hauptverhandlung wegen Verbreitens von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen ist für Mai 1996 vorgesehen. Die Verhaftung und Auslieferung von Lauck durch die dänischen Behörden signalisiert eine veränderte Einstellung gegenüber Neonazipropaganda von Ausländern, die bisher auf dänischem Boden gefahrlos agieren konnten. "Neue Rechte": Erfolge im Kampf um die "kulturelle Hegemonie" Während rechtsextremistische Parteien 1994/95 durch Wahlniederlagen geschwächt und Neonazis durch Verbote und Strafverfahren verunsichert wurden, gelang es der "Neuen Rechten", 1995 ihre Themen öffentlichkeitswirksam im Sinne des Strebens nach "kultureller Hegemonie" zu verbreiten. Zum 50. Jahrestag des Kriegsende am 8. Mai 1945 beeinflußte die "Neue Rechte" die öffentliche Diskussion um die Bedeutung dieses Tages. Mit einem Appell unter dem Motto "Wider das Vergessen" thematisierte sie öffentlich die Frage, ob es sich beim 8. Mai um einen Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft oder um den "Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und den Beginn der Teilung unseres Landes" handele. Dieser Appell, zu dessen Unterzeichnern neben Persönlichkeiten demokratischer Parteien auch Rechtsextremisten gehörten, und die nachfolgende öffentliche Diskussion wurde im gesamten rechtsextremistischen Spektrum als großer Erfolg bewertet. Mit Genugtuung wurde registriert, daß es erstmals gelungen sei, auch Vertreter demokratischer Parteien zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. 1995 haben zunehmend traditionelle Rechtsextremisten Gedankengut der "Neuen Rechten" übernommen. Vereinzelt haben sich alteingeführte rechtsextremistische Publikationen zu Vorstellungen der "Neuen Rechten" bekannt. Dies gilt z.B. für die Monatsschrift "Nation und Europa", die seit mehr als 40 Jahren existiert. Aber auch rechtsextremistische Organisationen, wie z.B. die neonazistische JN, entwickeln zunehmend der artige Vorstellungen. So bekannten sich insbesondere die JN 1995 zum Ethnopluralismus, einem typischen Begriff der "Neuen Rechten", mit der die Unterscheidung der Menschen nach völkischen Kriterien umschrieben wird. 13 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Innerhalb der "Neuen Rechten" entwickelte sich 1995 nach einem Bericht in der "Jungen Freiheit" (Nr. 48/95) eine intensive Strategiedebatte über die aktuellen und zukünftigen Ziele der eigenen politischen Arbeit. Danach ist keinesfalls kurzfristig die Gründung einer "nationalkonservativen" Partei beabsichtigt, aktuell gehe es allenfalls um Möglichkeiten zur Beeinflussung kleinerer demokratischer Parteien wie der F.D.P. oder des rechten Randes der Union. Vorerst gehe es vor allem um "kulturelle Hegemonie" zur Eroberung von Meinungsführerschaft in der öffentlichen Diskussion. Dies könne einerseits durch Kampagnen wie zum 8. Mai geschehen, andererseits wurde auch erwogen, die Zeitung "Die Welt" zu einem "nationalkonservativen" Blatt umzufunktionieren. Deutliche antisemitische Ausfälle waren in mehreren Zeitschriften der sogenannten "Neuen Rechten" festzustellen, wie z.B. in den Staatsbriefen, in der Jungen Freiheit und in Europa Vorn. Teilweise wurden die jüdischen Opfer der Massen14 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 vernichtung in Form von Satiren verächtlich gemacht, teilweise kommentierte man die Auswanderungsüberlegungen besorgter Juden mit den Worten "... und tschüß". Die Junge Freiheit entwickelte 1995 nachhaltig und gezielt eine Technik zur Verunglimpfung mißliebiger Personen. Dies geschah teilweise in der Form von Kolumnen, teilweise in Form von redaktionellen Beiträgen. Ziel waren immer Personen, deren politische Auffassung mit denen der "Neuen Rechten" und der Jungen Freiheit nicht übereinstimmte. Die Auseinandersetzung wurde nicht mit sachlicher Kritik, sondern mit persönlicher Diffamierung geführt. Ziel derartiger wiederholter Attacken waren u.a. die Journalisten Küppersbusch, Wickert, Bednarz, die Politiker Friedbert Pflüger, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Hertha Däubler-Gmelin. Neben diesen personenbezogenen Attacken häuften sich in der Jungen Freiheit 1995 verunglimpfende und diffamierende Angriffe gegen Verfassungsorgane wie den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag stand seit jeher im Mittelpunkt der institutionellen Kritik, da Junge Freiheit und "Neue Rechte" ein elitär geführtes und autoritäres Staatswesen anstreben. Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Grundrechte war verstärkt Gegenstand einer diffamierenden Berichterstattung. 1.1.2 Mitgliederzahlen Die Mitgliederzahlen der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen (ein schließlich rechtsextremistischer Skinheads) betrug Ende 1995 in Nordrhein-Westfalen 6.300. Sie verringerten sich gegenüber 1994 durch Parteiaustritte, durch Karteibereinigungen bei den Parteien sowie durch die Verbote neonazistischer Organisationen. Nicht alle bis zum Verbot organisierten Neonazis haben jedoch mit dem Verbot ihre Aktivitäten eingestellt. Einige treten in sog. autonomen Gruppen, als "sonstige Neonazis" bezeichnet, in Erscheinung, wobei zahlenmäßige Überschneidungen mit dem Komplex der militanten Rechtsextremisten auftreten. Diese werden durch Abzug von Doppelmitgliedschaften berücksichtigt. Tabelle: Mitgliederzahlen der wichtigsten Organisationen und Gruppierungen im Rechtsextremismus (einschließlich rechtsextremistische Skinheads) in NRW 1995 und 1994 15 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Bei allen genannten Mitgliederzahlen handelt es sich um ungefähre Angaben. 1.1.3 Bericht des Justizministeriums NRW Die Justizbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen sind, wie schon in den Vorjahren, auch 1995 in erheblichem Maße mit Strafverfahren, deren Gegenstand Straftaten im Zusammenhang mit extremistischen Umtrieben waren, befaßt worden. Ein erheblicher Anteil ist dabei insbesondere erneut hinsichtlich der Verfahren wegen rechtsextremistischer Aktivitäten zu verzeichnen, wenngleich die Anzahl einschlägiger Verfahren gegenüber dem Vorjahr erneut deutlich zurückgegangen ist. Bei den Staatsanwaltschaften des Landes sind im Jahre 1995 insgesamt 2.082 (1994: 3.172) einschlägige Verfahren neu anhängig geworden. In dieser Zeit ist in 284 (368) Verfahren gegen 401 (541) Personen Anklage erhoben bzw. Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls gestellt worden. Rechtskräftig verurteilt wurden 260 (330) Personen; 25 (27) Angeklagte wurden freigesprochen. Gegen 137 (123) Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt bzw. die Untersuchung auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. 1.2 Linksextremismus und -terrorismus 1.2.1 Linksextremismus: Entwicklungstendenzen Die Entwicklungen im Linksextremismus waren 1995 geprägt durch: * Zusammenwachsen des militanten linksextremistischen Spektrums. Dabei spielten folgende übergreifende Themen eine wichtige Rolle: 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 * Solidarität mit den "radikal"-Herausgebern und eine bundesweite AntiRepressionskampagne, * Kampagne für den US-Journalisten Mumia Abu-Jamal, * Kurdistan-Solidarität zugunsten der PKK. * Entwicklung der PDS zu einem Sammelbecken für Linksextremisten unterschiedlicher Herkunft in Nordrhein-Westfalen. * Stabilisierung der DKP auf niedrigem Niveau. Militante Linksextremisten (einschließlich Autonome) Die Entwicklung im Bereich des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums läßt inzwischen eine klare Trennung zwischen * Autonomen, * terroristischem Umfeld und * sonstigen militanten Gruppierungen revolutionärer Antiimperialisten, dem sogenannten antiimperialistischen Widerstand, kaum mehr zu. Insbesondere Kampagnen, wie z.B. nach den Exekutivmaßnahmen gegen die Untergrundschrift "radikal" oder nach dem Prozeß gegen Mumia Abu-Jamal in den USA, verdeutlichen die Vermischung bisher eigenständiger Szenen. Spätestens seit 1995 ist eine systematische Unterscheidung zwischen überwiegend örtlich agierenden Autonomen und einem bundesweit strukturierten terroristischen Umfeld nicht mehr möglich. Den "klassischen" autonomen Gruppen mit ausschließlich anarchistischer Ausrichtung lassen sich oftmals nur noch örtlich begrenzte Aktionen zuordnen. Kampagnen führen zusammen Bundesweite Kampagnen und die Bemühungen zum Aufbau von Strukturen, z.B. im Sinne der von der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO), müssen dagegen Gruppen aus allen drei oben genannten Bereichen zugerechnet werden. Dieser Prozeß des Zusammenwachsens einer militanten linksextremistischen Szene ist das Ergebnis zweier Entwicklungen, die seit mehreren Jahren andauern. So hat sich das frühere terroristische Umfeld - spätestens seit dem Gewaltverzicht der RAF-Kommandoebene - stärker mit autonomen und antiimperialistischen Themen befaßt und das Bündnis außerhalb der bisherigen Orientierungen auf die RAF gesucht. Andererseits führten die Bemühungen des autonomen Spektrums um überörtliche und bundesweite Koordinierung und Organisierung zwangsläufig zur Zusammenarbeit mit Personen und Gruppen des terroristischen Umfelds. Dieser Prozeß fand seinen vorläufigen Höhepunkt in den über greifenden Kampagnen des Jahres 1995. Solidarität mit der "radikal" und PKK So wurden die Durchsuchungen und Verhaftungen am 13. Juni 1995 wegen Herstellung der Untergrundzeitschrift "radikal" als ein Angriff des Staates gegen alle linksradikalen Zusammenhänge aufgefaßt. Die bundesweite AntirepressionsKampagne hiergegen dauert bis heute an. Die Kampagne gegen die Hinrichtung des Journalisten Mumia Abu-Jamal in den USA war von Anfang an auf eine bundesweite Mobilisierung über das militante Lager hinaus angelegt. ähnliches gilt für 17 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 die beständig zunehmenden Aktivitäten deutscher Linksextremisten zugunsten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Steuerung dieser bundesweiten Kampagnen zur "KurdistanSolidarität" liegt ausschließlich in den Händen von militanten Gruppen und Personen. Die Mehrheit der landesweit agierenden Personen stammt aus dem früheren Umfeld der RAF. Die Kampagne zur "KurdistanSolidarität" selbst zielt auch auf die Mobilisierung von nicht militanten Linksextremisten, um eine größere Medienwirkung zu erzielen. Faktisch ist deren Einfluß gering, Aktionen und Themen zur "Kurdistan-Solidarität" werden ausschließlich von militanten Linksextremisten bestimmt. Besondere Bedeutung bei der Neuformierung des militanten Spektrums kommt einigen Gruppen des sogenannten Antiimperialistischen Widerstands zu, in denen junge Antiimperialisten und ältere RAF-Umfeld-Personen bundesweit miteinander kommunizieren. Als Konsequenz dieser Entwicklung wird im folgenden der Oberbegriff "Militante Linksextremisten" verwendet. Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), insbesondere Landesverband NRW Auf der 12. Landesversammlung der PDS in NRW am 9./10. Dezember 1995 in Köln wurde die Umbenennung des Landesverbandes (Streichung des Zusatzes "Linke Liste") beschlossen. Bei der Bewertung der PDS müssen folgende Bereiche unterschieden werden: * der Landesverband Nordrhein-Westfalen und die anderen Landesverbände in den alten Ländern, * die Landesverbände in den neuen Ländern, * die Gesamtpartei, * Plattformen und Gruppen innerhalb der Gesamtpartei (z. B. "Kommunistische Platt form" oder "Gemeinschaft Junger GenossInnen in und bei der PDS"). Für die PDS in Nordrhein-Westfalen haben sich 1995 die Erkenntnisse verdichtet, daß die Partei sich bewußt als linksextremistisches Sammelbecken versteht. Auch 1995 wurden in Nordrhein-Westfalen gegen die PDS keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt. Die Einschätzung des Landesverbandes beruht weiterhin auf der Auswertung von öffentlich zugänglichen Informationen und Erkenntnissen, die aus der Beobachtung anderer linksextremistischer Parteien und Gruppen gewonnen werden. Unverändert hoch ist der Anteil von PDS-Angehörigen in Nordrhein-Westfalen, die einer extremistischen Gruppierung angehören oder angehört haben. Sie stammen aus den Bereichen des "orthodoxen" Marxismus-Leninismus, aus Gruppen der "Dogmatischen Neuen Linken" und auch aus der autonomen Szene. Besondere Bedeutung haben Angehörige des "Bundes Westdeutscher Kommunisten" (BWK). Die Aktivitäten von BWK-Angehörigen im Landesverband der PDS haben zu einer Kontroverse innerhalb des Landesverbandes und mit dem Bundesvorstand geführt. Bemerkenswert sind hierbei insbesondere die personellen Überschneidungen mit dem GNN-Verlag in Köln (GNN: Gesellschaft für Nachrichtenerfassung 18 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH), der dem BWK zuzurechnen ist. Die Publikationen und Aktionen des PDSLandesverbandes NRW zeigen eine bemerkenswerte Nähe zum militanten linksextremistischen Spektrum. Anhaltspunkte für verstärkte Kontakte zu militanten Linksextremisten bot die Rolle der PDS bei der Gegenveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1995 in Düsseldorf. Die Gegendemonstration wurde in erheblichem Umfang von Personen und Gruppen aus der autonomen Szene getragen. Als Öffnung in diesen Bereich hinein muß auch die Einrichtung eines "Büro für ständige Einmischung" in den Räumen des Landesbüros der PDS in Düsseldorf gewertet werden. Neben der Organisation der Demonstration am 3. Oktober beteiligte sich das Büro u.a. auch aktiv an den Diskussionen zu autonomen Hausbesetzungen in Düsseldorf. Eine Mailboxnachricht des Büros vom November 1995 schloß mit den Worten: "Die Nazis morden, der Staat schiebt ab: das ist das gleiche Rassistenpack!" Bereits im November 1994 entschied der Landesverband, trotz guter Ergebnisse bei der Europaund der Bundestagswahl 1994 und trotz eines Unterstützungsangebotes der DKP, sich nicht an der NRW-Landtagswahl im Mai 1995 zu beteiligen. Die PDS gab für den Verzicht auf die Wahlbeteiligung organisatorische Gründe an. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die DKP sieht das Jahr 1995 als Periode weiterer Stabilisierung an und geht mit Optimismus in die Zukunft. Trotz des schwachen Abschneidens bei der Landtagswahl am 14. Mai 1995 gewichtet die DKP den von ihr erlangten Stimmengewinn für sich positiv. Wie schon 1994 und in den Jahren zuvor war das Verhältnis der DKP zur PDS ein Hauptpunkt innerparteilicher Diskussionen. Das Verhältnis blieb wie in der Vergangenheit geprägt von grundsätzlichen Differenzen, die jedoch eine intensive Zusammenarbeit in Teilbereichen nicht ausschlossen. Hinsichtlich der Unterstützung bei Wahlen handelt es sich dabei um eine sehr einseitige Beziehung zugunsten der PDS, die sich von der DKP unterstützen läßt, ohne eine erkennbare adäquate Gegenleistung zu erbringen. 1.2.2 Linksextremistischer Terrorismus: Entwicklungstendenzen Die Entwicklungen im Bereich des linksextremistischen Terrorismus wurden 1995 im wesentlichen bestimmt durch: * Sprengstoffanschläge der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) auf die Wohnhäuser von Bundestagsabgeordneten und einen Anschlag auf das peruanische Konsulat in Düsseldorf, * das Ausbleiben weiterer Anschläge und Grundsatzerklärungen der RAF Kommandoebene, * den anhaltenden Zerfall des bisherigen RAF-Umfeldes und * einen Anschlag der terroristischen Vereinigung "Rote Zora" auf die LürssenWerft in Lemwerder bei Bremen. 19 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Antiimperialistische Zelle (AIZ) Die AIZ steigerte ihre Anschläge nach Zahl und Gefährlichkeit im Vergleich zu 1994. Die von der AIZ 1995 verübten Sprengstoffanschläge entsprachen einem Angriffstypus, den sie selbst in ihren Erklärungen als "potentiell tödliche Bedrohung" beschreibt, "wo die Eliten wohnen/arbeiten". Ideologisch bekräftigte sie mehrfach ihre Verbundenheit mit islamisch-fundamentalistischen Kräften. Diese Position und die Gefährdung Unbeteiligter isolierte die AIZ fast vollständig innerhalb des militanten Spektrums. Die AIZ verübte 1995 vier Sprengstoffanschläge, davon drei auf die Wohnhäuser von derzeitigen und ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten: 20 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 * am 22. Januar in Wolfsburg gegen den ehemaligen MdB und Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Volkmar Kühler, derzeit Vorsitzender der DeutschMarokkanischen Gesellschaft, * am 23. April in Erkrath/Kreis Mettmann gegen MdB Dr. Theodor Blank, * am 17. September in Siegen gegen MdB Paul Breuer, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, * am 23. Dezember in Düsseldorf gegen das peruanische Konsulat, dessen Honorarkonsul der Inhaber der Baufirma Heitkamp ist. Bei allen Anschlägen entstand - zum Teil erheblicher - Sachschaden. In einer sechsseitigen Grundsatzerklärung vom 13. Juli 1995 legte die AIZ die Gründe für diesen nun von ihr praktizierten Angriffstyp dar und bezeichnete ihn - trotz der negativen Kritik aus dem linksextremistischen Spektrum - ausdrücklich als verallgemeinerungsfähig. Am 10. Februar 1996 wurden zwei Studenten als mutmaßliche Angehörige der AIZ verhaftet. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß die AIZ weiterhin handlungsfähig ist. RAF-Kommandoebene Nach ihrer letzten Grundsatzerklärung aus dem Jahr 1994 ist die RAF weder mit einer weiteren Erklärung noch mit einem neuen Terroranschlag in Erscheinung getreten. Das von ihr propagierte Konzept einer "Gegenmacht von unten" hat allerdings im militanten linksextremistischen Spektrum auch im Jahr 1995 keinen Widerhall gefunden. Die RAF hat jedoch bisher weder eine "Auflösungserklärung" heraus gegeben, noch den bewaffneten Kampf endgültig aufgegeben. Daher ist weiterhin von der Existenz einer handlungsfähigen terroristischen Vereinigung auszugehen. Angesichts mehrerer freigelassener RAF-Häftlinge hätte die RAF derzeit keinen äußeren Anlaß, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Auflösung des bisherigen RAF-Umfelds Das bisherige RAF-Umfeld löst sich zunehmend auf. RAF-Umfeld, militante Autonome und revolutionäre Antiimperialisten entwickeln sich zu einem militanten linksextremistischen Spektrum. Die seit der Deeskalationserklärung der RAF von April 1992 beobachtete Spaltung des RAF-Umfeldes in "Hardliner" und Befürworter der vom RAFKommandobereich vertretenen Deeskalation hat sich auch im Jahr 1995 nicht vertieft. Kritische Diskussionen entzündeten sich eher an militanten Aktionen anderer Gruppen, wie z.B. der AIZ. Ein gemeinsames Ziel im bisherigen RAF-Umfeld bildete auch 1995 wieder die Forderung nach der "Freilassung aller politischen Gefangenen". Da 1995 mehrere RAF-Häftlinge aus der Haft entlassen worden sind, konzentriert sich diese Forderung derzeit jedoch im wesentlichen auf die sog. "Hardliner" unter den RAFHäftlingen. 21 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora Am 1. Juni 1995 wurde der mit internationalem Haftbefehl gesuchte mutmaßliche terroristische Gewalttäter Johannes Weinrich, der als eines der führenden Mit glieder in der Anfangszeit der terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" (RZ) gilt, in der Nähe von Aden/Jemen festgenommen und am 4. Juni 1995 an die Bundesrepublik ausgeliefert. Seit Ende Februar 1996 steht Weinrich in Berlin wegen Verdachts der Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf das französische Kulturinstitut Maison de France im Jahr 1983 vor Gericht. In der Nacht zum 24. Juli 1995 verübte eine terroristische Frauengruppe "Rote Zora" einen Sprengstoffanschlag auf die Lürssen-Werft GmbH & Co. in Lemwerder bei Bremen, für den sie in einer sechsseitigen Taterklärung die Verantwortung ü- bernahm. Anschläge der terroristischen Vereinigungen "RZ" und "Rote Zora" sind auch in Zukunft nicht auszuschließen. Ein mutmaßliches früheres Mitglied der "Roten Zora", das mit Haftbefehl gesucht worden war, stellte sich am 25. Oktober 1995 nach acht Jahren in der Illegalität der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die Frau wurde bis zur Hauptverhandlung auf freien Fuß gesetzt. 1.2.3 Mitgliederzahlen Die Mitgliederzahl der wichtigsten linksextremistischen Parteien und Gruppierungen betrug 1995 in NRW 4.770. Diese Zahl ist gegenüber dem Stand von 1994 aufgrund der Zuwächse bei DKP und PDS geringfügig erhöht. Eine auch nur schätzungsweise Angabe von Mitgliedern und Sympathisanten der Marxistischen Gruppe (MG) ist derzeit nicht möglich, weil diese Gruppierung extrem konspirativ tätig ist und auch Kontakt mit anderen linksextremistischen Gruppen meidet. Die folgende Tabelle enthält daher keine Angabe zu MG-Mitgliedern. Tabelle: Mitgliederzahlen der wichtigsten Organisationen und Gruppierungen im Linksextremismus in NRW 1995 und 1994 Bei allen genannten Mitgliederzahlen handelt es sich um ungefähre Angaben. 1.2.4 Bericht des Justizministeriums NRW 22 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen haben 1995 wegen Straftaten, deren Ursprung dem Bereich des Linksextremismus zuzuordnen sind, insgesamt 1.246 (1994: 1.300) Verfahren neu eingeleitet. In der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1995 ist in 259 (187) Verfahren gegen 303 (234) Personen Anklage erhoben bzw. Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls gestellt worden. 175 (103) Angeklagte wurden rechtskräftig verurteilt; 23 (11) Angeklagte wurden freigesprochen. Gegen 79 (63) Personen wurde das Verfahren von dem erkennenden Gericht eingestellt bzw. die Untersuchung auf nicht einschlägige Straftaten beschränkt. 1.3 Ausländerextremismus und -terrorismus 1.3.1 Entwicklungstendenzen Im Ausländerextremismus und -terrorismus prägten das Jahr 1995 * mehrere Wellen von PKK-Gewalttaten im Februar, Juli und September, * Friedensangebote von PKK-Chef Öcalan, denen Anfang 1996 Gewaltandrohungen gegen deutsche Türkei-Touristen folgten, * islamisch-extremistische Gruppierungen, die die Kandidaturen ihrer türkischen Parteien finanziell und personell bei den türkischen Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995 unterstützten. Arbeiterpartei Kurdistans - Partiya Karkeren Kurdistane - PKK Auch im zweiten Jahr nach dem Betätigungsverbot für die PKK setzte die Partei ihre Arbeit unvermindert fort. Die PKK verabschiedete auf ihrem 5. Parteikongreß im Winter 1995 ein "Neues Programm" sowie eine neue Satzung. Als Begründung führt sie an, daß dies notwendig geworden sei, um dem eigenen Wachstum und den Veränderungen in Kurdistan und in der ganzen Welt Rechnung zu tragen. Programm und Satzung sollten die Prinzipien des revolutionär-militanten Lebens deutlich machen. Die Partei ist von ihrer alleinigen Ausrichtung auf den Generalsekretär Öcalan und ihrer Radikalität nicht abgerückt. Doppelstrategie Im Ringen um internationale Anerkennung setzte die PKK ihre Strategie fort, friedliche Bemühungen besonders herauszustellen und von ihr initiierte Gewaltaktionen zu leugnen. Wie in den Vorjahren warb die PKK vordergründig auf gewaltfreie Weise für ihre Ziele und bot sich als Ansprechpartner für die Kurdenfrage an. So betonte Öcalan immer wieder, daß er den Frieden liebe und nur durch äußere Umstände gezwungen sei, den Kampf mit dem türkischen Gegner zu führen. Er gab dabei vor, daß er es nicht in der Hand habe, wenn die Kurden ihre Betroffenheit spontan in gewalttätigen Aktionen entluden. Damit versuchte er zu verschleiern, daß bisher keine gewalttätigen Aktionen ohne seine Billigung stattfanden. Bei einem Gespräch des CDU-Bundestagsabgeordneten Lummer mit Öcalan Anfang November 1995 in Syrien sagte Öcalan nach Angaben Lummers zu, seine in Deutschland im Untergrund lebenden PKK-Aktivisten zur Gewaltfreiheit aufzuru23 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 fen. Ferner bot Öcalan an, in Zukunft mit deutschen Polizeibehörden bei der Bekämpfung der internationalen Drogenkriminalität zusammenzuarbeiten. Noch Anfang des Jahres 1995 hatte Öcalan die Aktivisten der nordrheinwestfälischen Regionen aufgefordert, mehr Aktionen durchzuführen. Er erklärte, daß zu Hause die Kämpfer ihr Leben riskierten, während die "Kämpfer" in der Bundesrepublik in Bürokratie und Verwaltung gelähmt seien. Karriere durch Gewalt Auch Anfang 1996 sprach Öcalan wiederum Drohungen aus, die er damit begründete, daß seine Friedensangebote in Deutschland ohne Resonanz seien. Ein innerparteilicher Aufstieg kann nur durch erfolgreiche Gewaltaktionen erfolgen. Nach über Kassette oder Video übermittelten abgelesenen stundenlangen Beschimpfungen sind alle Aktivisten so beeindruckt, daß die Motivation zu Anschlägen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Anschläge schweißen die Parteiaktivisten zusammen und führen ihr neue Aktivisten zu. Drohszenarien schaden der Akzeptanz der PKK bei den westeuropäischen Staaten. Daher erklärt Öcalan die Anschläge als spontane Reaktionen Betroffener. Parteiaktivisten und Sympathisanten wissen jedoch, daß die Partei hinter den Anschlägen zum Tourismusboykott oder hinter den Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland stand; bezeichnenderweise rechneten sie alle Anschläge der PKK zu, auch wenn nicht alle von der PKK durchgeführt wurden. Friedliche Demonstrationen zu Werbezwecken Friedlich verlaufende Großdemonstrationen nutzte die PKK, um gezielt Werbung für die Partei zu machen. Der friedliche Charakter der Demonstration sollte dazu beitragen, die PKK bei Repräsentanten deutscher politischer Institutionen und in der deutschen Öffentlichkeit als vermeintlich demokratische politische Kraft zu e- tablieren. Die Organisation erhofft sich nach wie vor von Deutschland eine Vermittlerrolle gegenüber der Türkei. So wie die PKK den politischen Dialog sucht, so demonstriert sie ihre Präsenz durch gewalttätige Aktionen. 24 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Anschlagwellen 1995 Seit 1993 überzog die PKK Deutschland in unregelmäßigen Ab ständen mit Gewaltaktionen. Dies setzte sie 1995 mit mehreren Wellen von Anschlägen auf ü- berwiegend türkische Einrichtungen fort: * Februar/März 1995: bundesweit mehr als 100 Anschläge auf türkische Einrichtungen, davon 45 in Nordrhein-Westfalen * Juli/ August 1995: bundesweit mehr als 50 Brandanschläge auf türkische Einrichtungen, 23 davon in Nordrhein-Westfalen, * 21.-24. November 1995: 5 Brandanschläge auf türkische Einrichtungen und 1 Brandanschlag auf eine Polizeiwache (alle Anschläge in Nordrhein-Westfalen), 25 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 * 25. und 26. November 1995: gewalttätige Demonstrationen in Essen und Köln, * 9. März und 16. März 1996: gewalttätige Demonstrationen in Bonn, Dortmund und an Grenzübergängen zu Belgien und den Niederlanden. Verstärkt wurden 1995 staatliche Maßnahmen gegen die PKK eingesetzt: * Verbot des "Kurdistan Informationsbüros" (KIB), Köln, am 2. März 1995, * Durchsuchung der vermutlichen Ersatz/Nachfolgeorganisation "Kurdistan Informationszentrum" (KIZ) am 30. November 1995 in Köln, * Durchsuchung der "Informationsstelle Kurdistan" am 30. November 1995 in Bonn als mutmaßliche Einrichtung deutscher Linksextremisten zur Unterstützung der PKK, * Durchsuchung und Schließung des PKK-gesteuerten AGRI-Verlages am 1. Juni 1995 in Köln, * Durchsuchung der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) am 20. Juni 1995 in Bochum, * Schließung zahlreicher örtlicher kurdischer Vereine außerhalb NordrheinWestfalens. Aus der Sicht der PKK war das Betätigungsverbot für die PKK sowie das Verbot der PKK-Unterstützerorganisationen in Deutschland Ausdruck dafür, daß die Bundesregierung an der Seite der Türkei die Kurden unterdrückt. Bewertung und Ausblick Die Parallelität von Gewalttätigkeiten einerseits und Friedensäußerungen andererseits entsprechen dem Konzept der PKK, ihrem Alleinvertretungsanspruch nach innen und nach außen Geltung zu verschaffen. In der Öffentlichkeit wurde vielfach damit argumentiert, daß dieses Verhalten der PKK unlogisch sei, da sie sich damit jegliche Sympathien verscherze und es ihr gerade darauf ankommen müsse, sich die Sympathien zu erhalten. Dieses Wohlverhalten entspräche unserer Logik, aber nicht der der Partei Öcalans. Wichtig ist für ihn der innerparteiliche Zusammenhalt. Hierzu ist Stärke notwendig. Stärke muß demonstriert werden. Wenn die Partei durch Gewaltverzicht, den sie teilweise propagiert, nicht vorankommt, ist es notwendig, Stärke durch Gewalt zu demonstrieren. Faktisch sind für Öcalan die Interessen der PKK wichtiger als politische Lösungen, das Parteiinteresse rangiert vor den nationalen Interessen der Kurden. Ansonsten müßte Öcalan befürchten, daß ihm seine Anhänger davonlaufen. Gleichermaßen kann er damit auch seine Kritiker und Rivalen kleinhalten. Daß dieses Konzept aufgeht, belegt die euphorische Stimmung der PKKAnhänger, die die Krawalle in Dortmund geradezu als Sieg feierten. Sie sehen Öcalan als großen Taktiker, dem es nach den Krawallen mit einer "beruhigenden Rede" im Med-TV am 20. März 1996 gelungen sei, die Polizei in Sicherheit zu wiegen, während die PKK die nächsten Aktionen plane. Nach allen Erfahrungen und nach den jüngsten widersprüchlichen Äußerungen Öcalans muß in Zukunft mit neuen Wellen von Gewaltaktionen gerechnet werden. Erst Ende März 1996 hat Öcalan in internen Aufrufen verkündet, daß Deutschland jetzt bezahlen müsse, weil es anfange, Kurden umzubringen. Aber die PKK würde Gleiches mit Gleichem vergelten. 26 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) (bisher: Devrimci Sol) Aus dem Karatas-Flügel der Devrimci Sol hat sich inzwischen eine Organisation mit eigenem Namen gebildet. Die 1992 ausgebrochenen Kämpfe zwischen zwei verfeindeten Flügeln, in deren Folge zuletzt im November 1994 ein Angehöriger des Oppositionsflügels in Bergisch-Gladbach auf offener Straße erschossen worden war, scheinen trotz fortbestehender Spannungen abzuflauen. Die überwiegende Zahl der Anhänger steht hinter der von dem Devrimci Sol-Führer Dursun Karatas als Nachfolgeorganisation gebildeten DHKP-C, die sich 1995 erneut durch Gewaltaktionen gegen türkische Einrichtungen hervortat. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG, bisher: AMGT) Die bisherige AMGT - Vereinigung der neuen Weltsicht - hat sich inzwischen in IGMG umbenannt. Die IGMG setzt sich neben ihren satzungsgemäßen Aufgaben für die politischen Ziele der islamisch-extremistischen türkischen Refah-Partei (Wohlfahrtspartei) ein, die das pluralistisch-laizistische System in der Türkei abschaffen und einen theokratischen Staat errichten will. Bei den Wahlen am 24. Dezember 1995 wurde die Refah-Partei mit mehr als 20 % der Stimmen erstmals stärkste Fraktion in der türkischen Nationalversammlung. Zu ihren Abgeordneten gehören der langjährige Europavorsitzende und ein weiterer Führungsfunktionär der IGMG. Dieser relative Erfolg in der Türkei hat die Er27 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 wartungshaltung der Anhänger der IGMG offenbar jedoch nicht befriedigt, sondern Irritation und Unzufriedenheit in der Anhängerschaft ausgelöst, die durch die Nicht Berücksichtigung bei der Regierungsbildung noch zusätzlich gefördert worden sind. Islamische arabische Extremisten Die islamischen extremistischen arabischen Organisationen hatten 1995 weiterhin Zulauf. In der Öffentlichkeit gaben sie sich moderat, um die ideologischen Gegensätze zu westlichen Demokratievorstellungen zu verdecken. Um den Einflußbereich unter den hier lebenden Muslimen zu festigen und auszudehnen, wurden vielfältige Aktivitäten entwickelt, so z.B die Schaffung von Gebetsund Versammlungsräumen, Freizeitangebote, soziale Hilfestellungen und die Unterstützung von Hilfsprojekten in den Herkunftsländern. Auf diese Weise soll ein Forum für die weitere Verbreitung religiös verbrämter Ideologien geschaffen werden, die den Islam als politische Waffe mißbrauchen und die im Widerspruch zu Grundlagen unserer Verfassung steht. Islamische Heilsfront (FIS) Aus den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Algerien flohen Funktionäre der FIS vor dem Verfolgungsdruck ins Ausland. Einige davon, auch ranghohe Funktionäre, leben in Deutschland. Ihre Gesamtzahl ist jedoch nach wie vor nur gering. Es gibt keine ausgeprägte Organisationsstruktur. Mitte Oktober 1995 sorgte ein in den Medien verbreitetes Interview mit einem angeblichen Vertreter der FIS in Deutschland für Aufsehen, da dieser auch mit Aktionen auf deutschem Boden drohte, sofern es zu Anklagen deutscher Behörden gegen Angehörige der FIS käme. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Interviews wurde die Drohung von dem in NRW lebenden "Auslandssprecher" der FIS nachdrücklich dementiert. Er wandte sich entschieden gegen eine derartige Darstellung und betonte, daß man vielmehr den Dialog suche. Es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, daß die FIS in Deutschland Anschläge verüben will. 1.3.2 Mitgliederzahlen Die Zahl der Mitglieder extremistischer Ausländer-Organisationen lag in NordrheinWestfalen 1995 bei knapp 16.000. Gegenüber 1994 stieg die Mitgliederzahl aufgrund der Zuwächse bei den beiden islamisch-extremistischen Organisationen ADÜTDF und IGMG und der beiden linksextremistischen Organisationen PKK und MLKP an. Gemessen an den rund zwei Millionen in Nordrhein-Westfalen lebenden Ausländern blieb der Anteil der Mitglieder extremistischer Ausländer-Organisationen mit 0,8 % gering. Bei den Mitgliedern dieser Organisationen handelt es sich nur teilweise um gewaltorientierte Personen. Aus aktuellen politischen Anlässen gelingt es den extremistischen Ausländer-Organisationen allerdings immer wieder, über den Kreis ihrer Mitglieder hin aus in beträchtlichem Umfang Sympathisanten zu mobilisieren. Bei den im folgenden genannten Mitgliederzahlen handelt es sich um ungefähre, teilweise geschätzte Angaben. 28 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Tabelle: Mitgliederzahlen der wichtigsten Organisationen und Gruppierungen extremistischer Ausländer in NRW 1995 und 1994 *) 1994 unter "Sonstige" 1.4 Politisch motivierte Strafund Gewalttaten 1.4.1 Fremdenfeindliche Straftaten Insgesamt 654 fremdenfeindliche Straftaten registrierten die Polizeibehürden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1995 *). *) Die Zahlen der fremdenfeindlichen Straftaten in Nordrhein-Westfalen werden vom Landeskriminalamt NRW erhoben und ständig aktualisiert. Durch nachträgliche Erkenntnisse können sich Veränderungen ergeben. Die folgenden statistischen Daten geben den Stand vom 12. Februar 1996 wieder. Die Polizeibehörden bezeichnen als "Fremdenfeindliche Straftaten" solche Delikte, die in der Zielrichtung gegen Personen begangen werden, denen Täter (aus intoleranter Haltung heraus) aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibeoder Aufenthaltsrecht in der Wohnumgebung oder in der gesamten Bundesrepublik bestreiten 29 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 oder gegen sonstige Personen oder Institutionen/Objekte/Sachen begangen werden, bei denen Täter aus fremdenfeindlichen Motiven heraus handeln. Gewalttaten sind ein Teil der fremdenfeindlichen Straftaten. Sie umfassen folgende Deliktbereiche: Tötung, Körperverletzung, Brandstiftung, Landfriedensbruch, gewalttätige Sachbeschädigung. Erneut ist ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorjahren 1994 (1.038), 1993 (2.385) und 1992 (1.774) festzustellen. Prozentual beträgt dieser Rückgang gegenüber 1994 37,0 %, 1993 72,6 % und 1992 63,1 %. Die Zahl der Gewalttaten unter den fremdenfeindlichen Straftaten in NRW betrug 1995 139. Gegenüber 221 Gewalttaten im Jahr 1994 betrug der Rückgang 37,1 %, gegenüber 1993 73,4 % und gegenüber 1992 74,9 %. Die Entwicklung in den Monaten des Jahres 1995 verlief uneinheitlich: Nach dem Tiefstand im Januar mit 39 Straftaten gab es bis März zunächst einen Anstieg auf 72 und danach einen langsamen Rückgang auf 37 Straftaten im August und September. Nach einem erneuten Anstieg im Oktober ging die Zahl der Straftaten bis Dezember wieder zurück. Tabelle: Fremdenfeindliche Strafund Gewalttaten in NRW 1995 30 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Entwicklung in den Deliktgruppen Die fremdenfeindlichen Straftaten verteilten sich in den Jahren 1992 bis 1995 folgendermaßen auf die einzelnen Deliktbereiche: Deliktbereiche 1995 1994 1993 1995 Differenz 95/94 in % 1 Tötungsdelikte 1 2 7 3 - (davon Versuche) (1) (2) (5) 2 Körperverletzungs98 143 264 169 -31,5 delikte 3 Brandanschläge 10 11 70 109 -9,1 4 Landfriedensbrüche 0 0 1 16 - 5 Gewalttätige Sach30 65 181 256 -53,8 beschädigung-en 1-5 Zwischensumme 139 221 523 553 -37,1 Gewalttaten 6 Sonstige Sachbe16 31 90 163 -48,4 schädigung-en 7 Propagandadelikte 104 184 496 343 -43,5 8 Nötigungen / Be95 185 557 288 -48,6 drohungen 9 Sonstige 300 417 746 427 -28,1 1-9 SUMME 654 1.038 2.385 1.774 -37,0 Getötete und ver1995 1994 1993 199 Differenz letzte Personen 5 95/94 in % Getötete 0 0 6 1 - Verletzte 104 140 312 135 -25,7 Die Entwicklung der fremdenfeindlichen Straftaten in den einzelnen Deliktgruppen verlief unterschiedlich: während die Brandanschläge mit 9,1 % nur geringfügig zurückgingen, gingen die gewalttätigen Sachbeschädigungen um 53,8 % zurück. Durch fremdenfeindliche Straftaten wurden in NRW 1995 wie im Vorjahr keine Menschen getötet. Allerdings gab es einen Tötungsversuch. Verletzt wurden 1995 in NRW 104 Personen bei 98 Körperverletzungsdelikten. Die Zahl der Verletzten ging damit gegenüber 1994 um 25,7 % zurück. Mit 45,9 % gehörten fast die Hälfte aller Delikte zu den "Sonstigen" (Volksverhetzung, Beleidigung u.a.). Fremdenfeindliche Straftaten in NRW 1991 bis 1995 In dem Diagramm der fremdenfeindlichen Straftaten (Diagramm nicht in der WWW-Fassung) in NRW seit 1991 wird die seit Juni 1993 rückläufige Entwicklung deutlich. Durch Fanaltaten ausgelöste Anschlagwellen wie zwischen 1991 und 1993 gab es seitdem nicht mehr. Allerdings hat sich der Rückgang der fremdenfeindlichen Straftaten 1994/95 gegenüber 1993/94 verlangsamt. 31 Januer #1 Februar #1 März #1 April 91 Mail 91 Junl #1 ui August #1 September #1 Oktuber #1 Kanember #1 Dezember #1 Januor #2 Februar ga März 912 April 92 Mai 92 Juni 9 "ug WE Sapteemibr gg Oltokzer pz EEE Hovember 72 Dezember #2 Januar93 | Fehrwar 93 März #3 April 93 Kai 9 Juni 93 Juli 93 August 93 September #3 Oktober #3 Howerber 33 Dezember og IE Januar 94 Februar 94 März 94 April 94 Mal 94 Juni ma | Juli 94 August Di September ga Oktober 94 November 94| Derember 94 Januor 93 Februor 95 Mär: 95 April #5 Mal #5 Juni 95 Juli 95 August 95 September 95 Oktober 73 Howemlkor 95 Dezemker 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Insgesamt stellte die Polizei bisher 438 Tatverdächtige fest. Darunter dominieren wie in den Vorjahren weiterhin Männer mit 392 von 438 Tatverdächtigen gegenüber 46 Frauen. Nur 2,8 % der ermittelten Tatverdächtigen agierten überörtlich. Tabelle: Altersstruktur der Tatverdächtigen 1995 Bei der Altersstruktur entfällt mit 39,7 % der größte Anteil auf die Tatverdächtigen, die 30 Jahre und älter sind. Von den 438 Tatverdächtigen gehörten 18 (4,1 %) einer rechtsextremistischen Gruppe oder Organisation an; 39 (8,9 %) waren Skinheads. Die weit überwiegende Zahl der Tatverdächtigen gehörte keiner Gruppe oder Organisation an. Allerdings hatten mehr als die Hälfte der Tatverdächtigen schon einmal politisch motivierte (89 Fälle, 20,3 %) oder sonstige Straftaten (146 Fälle, 33,3 %) verübt. Hohe Freiheitsstrafen im Solinger Mordprozeß 33 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Mit der Verurteilung der vier Angeklagten zu langjährigen Freiheitsstrafen ist am 13. Oktober 1995 der Prozeß um den am 29. Mai 1993 verübten Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Mehrfamilienhaus in Solingen zu Ende gegangen. Bei dem Anschlag waren zwei Frauen und drei Kinder ums Leben gekommen und sieben weitere Personen zum Teil schwer verletzt worden. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf sprach die Angeklagten des fünffachen Mordes, des 14fachen Mordversuchs und der besonders schweren Brandstiftung schuldig. Christian R. (19), Felix K. (18) und Christian B. (22) wurden zu der nach Jugendstrafrecht höchsten Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Der zur Tatzeit schon dem Erwachsenenstrafrecht unterliegende Markus G. (25) erhielt eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Reaktionen auf das Urteil Die "Nationalen Infotelefone" (NIT; siehe Nr. 2.2.7) Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin reagierten bereits kurz nach der Urteilsverkündung mit Sonderansagen. Seit dem Abend des 13. Oktober forderten die NIT Hamburg, Westfalen und Schleswig-Holstein in fast wortgleichen Sonderansagen dazu auf, "an diesem Wochenende nicht zu Hause zu bleiben, sondern mit phantasievollen Aktionen der Wut und Empörung über das Urteil Ausdruck zu verleihen". Die für den 15. Oktober in Hamburg und Düsseldorf angemeldeten Demonstrationszüge gegen die "Fehlurteile" von Solingen wurden verboten und fanden nicht statt. Anmelder für den Demonstrationszug in Düsseldorf war der ehemalige FAPLandesvorsitzende von Hamburg. Im Anschluß an die Urteilsverkündung kam es in Solingen zu mehreren anonymen Anrufen, in denen Bombendrohungen gegen die Familie Genc ausgesprochen wurden. 1.4.2 Politisch motivierte Gewalttaten Mit insgesamt 556 Gewalttaten ist 1995 in NRW gegenüber dem Vorjahr (456 Fälle) ein Anstieg der politisch motivierte Gewalttaten um 18 % zu verzeichnen (LKA NRW, Stand: 18. Januar 1996 ).Während die Fallzahlen bei Tötungsund Körperverletzungsdelikten sowie gewalttätigen Sachbeschädigungen zurückgingen, nahmen Brand-/Sprengstoffanschläge sowie Landfriedensbruchdelikte zu. Gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr wurden wieder registriert. TABELLE: Politisch motivierte Gewalttaten nach Deliktgruppen 1995 und 1994 34 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Bei der Betrachtung nach der Motivation der Gewalttaten zeigen sich gegensätzlich Entwicklungen: Während die fremdenfeindlichen, rechtsextremistischen und linksextremistischen Gewalttaten deutlich zurückgingen, stiegen die Gewalttaten extremistischer Ausländer massiv an. Dieser Anstieg ist hauptsächlich auf die Brandanschläge und gewalttätigen Demonstrationen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zurückzuführen Ein Tötungsversuch Im Fall des registrierten Tötungsdelikts beschimpfte ein 54jähriger Deutscher am 8. Juni 1995 in einer Gaststätte in Castrop-Rauxel aus fremdenfeindlichen Beweggründen einen pakistanischen Gast und verletzte diesen anschließend durch Messerstiche im Brustbereich. Gegen den Beschuldigten wurde Haftbefehl wegen versuchten Totschlages erlassen. TABELLE: Politisch motivierte Gewalttaten nach Motivbereichen 1995 (1994 in Klammern) 35 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 1.5 Scientology - eine Aufgabe für den Verfassungsschutz? In den letzten Jahren sind die Praktiken der Scientology-Organisation zunehmend Gegenstand der öffentliche Diskussion geworden. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat dies bereits frühzeitig zum Anlaß genommen, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht nur auf das Wirken von Scientology und die damit für den Einzelnen verbundenen Gefahren sondern auch auf konkrete Hilfsangebote für Betroffene und deren Angehörige hinzuweisen. Sie hat sich darüber hinaus dafür eingesetzt, die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten, insbesondere des Vereins-, des Steuer-, des Ordnungsund des Strafrechts auszuschöpfen, um zu verhindern, daß Scientology Menschen, die sich ein Mehr an Lebensglück und eine Verbesserung ihrer persönlichen Situation durch die Mitgliedschaft bei Scientology versprechen, wirtschaftlich ausbeutet und in psychische Abhängigkeit treibt. Den Lehren des Scientology-Gründers Hubbard ist die Zielsetzung von Scientology zu entnehmen, Mitglieder in alle Bereiche von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft einzuschleusen und Einfluß auf Entscheidungsträger in diesen Bereichen zu nehmen. Ziel ist es, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft an den grundrechtswidrigen scientologischen Prinzipien auszurichten und das ausbeuterische scientologische System dauerhaft zu installieren. Die Theorien des Scientology-Gründers Hubbard stehen im Widerspruch zu demokratischen Grundvorstellungen wie etwa dem Rechtsstaatprinzip, der Rechtswegegarantie sowie der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Persönlichkeitsrechte Einzelner sind für Hubbard teilbar. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung existiert nach seiner Sicht der Dinge für Kritiker nicht. Dies hat den Innenminister des Landes NordrheinWestfalen veranlaßt, im Rahmen der Ständigen Konferenz der Innenminister und - senatoren der Länder wiederholt auf eine bundesweite Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz zu drängen. 36 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Im Rahmen ihrer Konferenz am 15. Dezember 1995 haben die Innenminister und - senatoren beschlossen, die Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz weiter zu prüfen. Bei dieser Prüfung ist das vom Innenministerium Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Gutachten des Politikwissenschaftlers Dr. Hans-Gerd Jaschke zu berücksichtigen, das seit Ende Dezember 1995 vorliegt. In dem Gutachten werden die Auswirkungen der Anwendung scientologischen Gedankenguts auf eine pluralistische Gesellschaft oder Teile von ihr in einem freiheitlich demokratisch verfaßten Rechtsstaat untersucht. In dem als Broschüre des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen herausgegebenen Gutachten kommt der Gutachter zusammenfassend zu dem Ergebnis: "Eine ganze Reihe von Indizien spricht dafür, daß Scientology längerfristig verfassungsfeindliche Zielsetzungen vertritt und als totalitäre Organisation Berührungspunkte mit dem politischen Extremismus aufweist. Allerdings muß diese Einschätzung auf Vorläufigkeit bestehen, denn eine Vielzahl von empirischen Fragen ist beim gegenwärtigen Forschungsund Diskussionsstand noch zu wenig geklärt. Erst weitergehende Informationen und Analysen der Mitgliederund Organisationsstruktur, die Hinweise auf die Intensität des verfassungsfeindlichen Denkens bei Scientology und seine Verbreitung in der Anhängerschaft geben, könnten nähere Aufschlüsse und Klärungen erbringen." Vor diesem Hintergrund hat die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder am 7. März 1996 unter anderem eine fortlaufende Prüfung beschlossen, ob der Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes durch die Aktivitäten der ScientologyOrganisation eröffnet ist. 37 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 2 Rechtsextremismus 2.1 Rechtsextremistische Organisationen, Gruppierungen und Strömungen 2.1.1 Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG) Gründung: 1972 Sitz: Hamburg Mitglieder: 1995: ca. 70 1994: ca. 70 (bundesweit) Publikationen: DESG-inform; 10-11 Ausgaben im Jahr; Auflage ca. 300 Junges Forum; erscheint unregelmäßig Die DESG wurde 1972 von einem NPD-Funktionär gegründet. Mit der Gründung versuchte ein seit den 60er Jahren unter verschiedenen Bezeichnungen ("Die Legion", "DeutschEuropäische Gesellschaft", "Sababurg-Runde") bestehender Seminarkreis junger Akademiker sich ein Forum zu schaffen und über Schriften und Vortragsveranstaltungen einen neuen Nationalismusbegriff in den Rechtsextremismus einzubringen. Die beiden Publikationen DESG-inform und Junges Forum erscheinen im Verlag Deutsch-Europäischer Studien GmbH in Hamburg. "DESG-inform" berichtet ausführlich über inund ausländische rechtsextremistische Organisationen und will damit als Informationsbörse dienen. Daneben stellt sie gelegentlich Veröffentlichungen der "Neuen Rechten" aus dem Inund Ausland vor. In der Rubrik "Ethnopluralismus" wird aus einem biologistischen Verständnis sozialer Zusammenhänge abgeleitet, daß beim Zusammenleben von Angehörigen verschiedener "Volksgruppen" zwangsläufig unlösbare Konflikte entstehen müßten, die gegenwärtig zu einem "Kampf der europäischen Völker um Identität und Selbstbestimmungsrecht" (Anzeige der DESG-inform in Junge Freiheit u.a. Nr. 50/95) führten. "DESG-inform" inseriert regelmäßig in der Wochenzeitung "Junge Freiheit" (JF) (siehe Nr. 2.1.12.1). In der Schriftenreihe "Junges Forum" publiziert die DESG in loser Folge einzelne, umfangreichere Abhandlungen, die den rechtsextremistischen Ansätzen der "Neuen Rechten" ein theoretisches Fundament geben sollen. Ausgaben der Reihe "Junges Forum" erschienen zuletzt im Herbst 1994 und zum Jahreswechsel 1994/95. In Nordrhein-Westfalen sind 1995 keine sonstigen Aktivitäten der DESG bekannt geworden. 2.1.2 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) Gründung 38 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Landesverband NRW: 26. Oktober 1991 Bund: 3. Oktober 1991 Sitz NRW: Hürth Bund: Villingen-Schwenningen Vorsitzende NRW: Markus Beisicht Bund: Harald Neubauer, Jürgen Schützinger, Ingo Stawitz Mitglieder NRW: 1995: ca. 160 1994: ca. 160 Bund: 1995: ca. 900 1994: ca. 900 Publikation: Rhein-Ruhr-Blitz, "Nationale Zeitung für Nordrhein-Westfalen. Vereinigt mit den DomSpitzen"; Auflage 7.000; erscheint unregelmäßig, im Jahr 1995 nur 1 Ausgabe Die DLVH wurde am 3. Oktober 1991 von Mitgliedern der Deutschen AllianzVereinigte Rechte (DA), einem Zusammenschluß ehemaliger Mitglieder der REP, der NPD und der DVU gegründet. Sie versteht sich als Sammlungsbewegung "aller nationalen Kräfte". Sie hat 1995 einige Neonazi-Funktionäre aufgenommen, die von Organisationsverboten betroffen waren. Organisation Die DLVH verfügt nicht in allen Ländern über Landesverbände. Der organisatorische Aufbau der Partei stagniert. Unter den bestehenden Landesverbänden bildet Nordrhein-Westfalen (hier insbesondere Köln) einen Schwerpunkt. Der NRW-Landesvorsitzende Markus Beisicht aus Köln ist Beisitzer im Bundesvorstand der DLVH. Gleichberechtigte Bundesvor sitzende sind Harald Neubauer aus München, Jürgen Schützinger aus Villingen-Schwenningen und Ingo Stawitz aus Kiel. Stawitz war seit 1992 für die DVU im Landtag SchleswigHolstein. Während der Legislaturperiode wechselte er zur DLVH. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 24. März 1996 blieb die DLVH mit 0,2 % bedeutungslos. Die DLVH ist personell mit der "Neuen Rechten" verflochten. Die Herausgeber von "Nation und Europa - Deutsche Rundschau" (siehe Nr. 2.1.12.6) sind Harald Neubauer (DLVH-Bundesvorsitzender) und Peter Dehoust (Beisitzer im DLVHBundesvorstand). Der DLVHFunktionär Manfred Rouhs aus Köln ist Herausgeber von "Europa Vorn" (siehe Nr. 2.1.12.5). Politische Ziele 39 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Das Parteiprogramm der DLVH lehnt sich sprachlich und ideologisch an das NPDProgramm an. Es enthält Anhaltspunkte für eine nationalistische, rassistische und völkischkollektivistische Grundhaltung, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Die DLVH lehnt eine "multikulturelle Gesellschaft" ab und fordert eine "Ausländerpolitik, die den berechtigten Schutzinteressen des deutschen Volkes entspricht". Daneben offenbart sie deutliche Tendenzen zur Relativierung der NS-Verbrechen. In der Asylthematik sowie in der Ablehnung der EU und des Vertrags von Maastricht agitiert die DLVH ähnlich wie REP, DVU und NPD. Während sie die fortschreitende Einigung Europas mit "Gleichmacherei", "Überfremdung" und "Bevormundung" gleichsetzt, stellt sie die Anwesenheit von "Asylanten" als "zerstörerisch" für das deutsche Volk dar. "Rhein-Ruhr-Blitz" und "DomSpitzen" zusammengelegt Auch in Köln sind die politischen Aktivitäten der DLVH stark zurückgegangen. Die Herausgabe der "DomSpitzen", Nachrichten aus der Kölner Ratsfraktion der DLVH, wurde im Herbst 1995 mit der Ausgabe 34 ganz eingestellt. Nachdem die DLVH aufgrund des schlechten Wahlergebnisses im Oktober 1994 aus dem Kölner Stadtrat ausschied und damit finanzielle Mittel (wie Aufwandsentschädigungen, Fraktionsmittel) verlor, wurde die Zeitung zunächst nur noch vierteljährlich herausgegeben. Im September 1995 erschien erstmals wieder seit dem Herbst 1994 die Publikation des Landesverbandes NRW der DLVH, "Rhein-RuhrBlitz". Es handelt sich um die 3. Ausgabe dieser Publikation. Sie trägt aber die Nummer 35, bildet also den Anschluß an die letzte Ausgabe der "DomSpitzen". In der Ü- berschrift bezeichnet sie sich als "Nationale Zeitung für NordrheinWestfalen. Vereinigt mit den DomSpitzen". DLVH betreibt Einigung von Rechtsextremisten Die DLVH hat 1995 besonders in NRW ihre politischen Aktivitäten auf Veranstaltungen zur Einigung von Rechtsextremisten konzentriert. Sie hoffte, nach den Niederlagen der REP bei den Wahlen 1994/95 deren enttäuschte Mitglieder und Anhänger an sich binden zu können. Dabei setzte sie vor allem auf Anhänger des früheren REP-Vorsitzenden Schönhuber und hoffte auf einen Spaltungsprozeß bei den REP. Im Juni 1995, knapp einen Monat nach der Wahlschlappe der REP bei der Landtagswahl in NRW, initiierte die DLVH den ersten von mehreren sogenannten "Runden Tischen" (siehe Nr. 2.1.6), an denen Mitglieder verschiedener rechtsextremistischer Organisationen teilnahmen. Organisatorisch und personell hat die DLVH von diesen Aktivitäten bisher aber nicht profitiert. Entwicklungen und Ereignisse 1995 Keine Teilnahme an der NRW-Landtagswahl Die schlechten Ergebnisse bei den NRW-Kommunalwahlen 1994 veranlaßten die DLVH, nicht zu der Landtagswahl in NRW im Mai 1995 anzutreten. Zu einer flächendeckenden Kandidatur wäre die Partei in NRW personell und organisatorisch auch nicht in der Lage gewesen. Offiziell begründete die DLVH den Verzicht auf die Wahlteilnahme damit, daß sie "die rechten Kräfte nicht zersplittern" wolle. Zwei DLVH-Mitglieder, die in Köln und Hagen als Einzelkandidaten (nicht als DLVH40 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Mitglieder) zur NRW-Landtagswahl am 14. Mai 1995 antraten, erhielten in Köln 80 und in Hagen 78 Stimmen. Politische Aktivitäten reduziert Abgesehen von den Einigungsbestrebungen reduzierte die DLVH 1995 in NRW ihre politischen Aktivitäten gegenüber 1994 erheblich. Im April 1995 gab der Landesverband NRW ein Flugblatt mit dem Titel "Schluß mit dem Beschiß - Für eine inländerfreundliche Politik!" heraus, in dem sie sich gegen "ungebremste Masseneinwanderung" ausspricht. Zum 50. Jahrestag des 8. Mai 1945 verbreitete die DLVH einen Aufkleber mit dem Inhalt "8. Mai 1945 Millionen Erschlagene, Vertriebene, Vergewaltigte ... Trauern - statt feiern!" Wie andere Rechtsextremisten versuchte sie damit, den 8. Mai zur revisionistischen Aufrechnung zu nutzen. 41 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Ausblick Die DLVH hat nach dem Verlust aller Mandate bei den NRWKommunalwahlen 1994 in der rechtsextremistischen Parteienlandschaft weiter an Bedeutung verloren. Als DLVH tritt sie in der Öffentlichkeit kaum noch in Erscheinung. Sie konzentriert sich besonders in NRW auf ihre Einigungsbemühungen durch "Runde Tische" bzw. durch den Förderkreis Bündnis Deutschland und hofft, auf diesem Wege doch noch Einfluß im rechtsextremistischen Lager gewinnen zu können. Nach der zu erwartenden Stabilisierung der REP infolge des günstigen Ergebnisses bei der Landtagswahl 1996 in Baden-Württemberg ist diese Strategie wenig erfolgversprechend. 2.1.3 Deutsche Volksunion (DVU) Gründung Landesverband NRW: 11. Februar 1989 Bund: 5. März 1987 Sitz NRW: Hamm Bund: München Vorsitzende Bund: Dr. Gerhard Frey NRW: Hans-Dieter Wiegräfe Mitglieder Bund: 1995: ca. 15.000 1994: ca. 20.000 Land: 1995: ca. 3.000 1994: ca. 3.300 Publikationen: Deutsche Wochen-Zeitung/Deutscher Anzeiger (DWZ/DA); Auflage 22.000; erscheint wöchentlich Deutsche National-Zeitung (DNZ); Auflage 36.000; erscheint wöchentlich Die Partei wurde im März 1987 in München auf Initiative Dr. Frey's zusammen mit der NPD unter dem Namen Deutsche Volksunion - Liste D (DVU-Liste D) zum Zweck der Wahlteilnahme gegründet. Die Umbenennung in Deutsche Volksunion (DVU) fand im Februar 1991 durch Satzungsänderung statt. Organisation Die DVU tritt in Nordrhein-Westfalen nicht mit Aktionen oder durch Teilnahme an Wahlen in Erscheinung. Die Politik der Partei kommt ausschließlich in den Wochenzeitungen ihres Bundesvor sitzenden Dr. Frey zum Ausdruck, der seine Partei streng zentralistisch, dirigistisch und autoritär führt. Bis auf den Rückgang der 42 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Mitgliederzahlen sind bei der DVU in den letzten Jahren keine Veränderungen eingetreten. Umfrage, Parteibeitritt und Zeitungsabonnement in einer "Anzeige"; hier z.B. aus der "Deutschen Nationalzeitung" vom 13.1.1995 Finanzen Neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert sich die DVU durch den Zeitungskonzern ihres Bundesvorsitzenden und auch aus Mitteln der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien, sofern sie an Wahlen teilnahm und die hierfür erforderlichen 0,5 % (bei Europaund Bundestagswahl) bzw. 1 % (bei Landtagswahlen) der abgegebenen Wählerstimmen erhalten hat. Anläßlich der Großveranstaltung der DVU am 30. September 1995 in Passau wurde verbreitet, die Partei habe 8,5 Mio. DM Schulden. Eine wichtige Einnahmequelle für Dr. Frey stellt der Verkauf seiner Wochenzeitungen dar, in denen er massiv für Bücher, Münzen, Medaillen, Schallplatten und Videokassetten mit politischem Inhalt wirbt, die über seinen "Freiheitlichen Buchund Zeitschriftenverlag GmbH" (FZ-Verlag) bezogen werden können. Diese Verquickung von Partei und den wirtschaftlichen Interessen Dr. Frey's darf nicht übersehen werden. Politische Ziele Aus dem bewußt allgemein gehaltenen Parteiprogramm der DVU ist die rechtsextremistische Grundhaltung nicht ohne weiteres erkennbar. Im Mittelpunkt steht die Durchsetzung "nationaler Interessen", die in Thesen wie "Bewahrung der deutschen Identität" und "Kein Verzicht auf deutsche Interessen" zum Aus druck kommt. Ansätze von Fremdenfeindlichkeit finden sich in Forderungen nach "Be43 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 grenzung des Ausländeranteils" und "Stopp dem zunehmenden Ausländerstrom". Die rechtsextremistische Grundhaltung der Partei wird aber deutlich in den Wochenzeitungen (DWZ/DA und DNZ) des Bundesvorsitzenden, in denen permanent Agitation gegen Ausländer betrieben wird. Hinzu kommen sich ständig wiederholend die Themen Revisionismus (siehe Nr. 2.1.14) und "Umerziehung". Entwicklung und Ereignisse 1995 Die DVU trat nicht zu der NRW-Landtagswahl am 14. Mai 1995 an. Frey investierte nur in den überschaubaren Wahlkampf in Bremen und Bremerhaven. Die Bemühungen waren nur teilweise von Erfolg gekrönt: Nach ihrem Mißerfolg bei der Bürgerschaftswahl am 14. Mai in Bremen konnte sich die DVU am 24. September bei der Wahl zur Bemerhavener Stadtverordnetenversammlung mit 5,7 % (2.665 Stimmen) knapp behaupten. Sie blieb damit stark unter dem Ergebnis von 10 % im Jahre 1991 und ist nicht mehr mit fünf, sondern mit drei Abgeordneten vertreten. Sie ist damit nicht mehr die drittstärkste Fraktion und verlor sogar den Fraktionsstatus. 44 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Nach dem Wahlkampf in Bremerhaven konzentrierte Frey alle Kräfte in SchleswigHolstein, wo sich die Partei am 24. März 1996 an der Landtagswahl beteiligte. Die Voraussetzungen hierfür waren zunächst schlecht: Im November 1995 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Kiel Unterlagen der DVU im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Veruntreuung von Fraktionsgeldern. Die Kieler DVUFraktion wird verdächtigt, Fraktionsmittel an die DVU-Parteizentrale im München weitergeleitet zu haben. Im Jahre 1992 war die DVU mit 6,3 % in den Kieler Landtag ein gezogen. Ein Jahr später zerbrach die Fraktion wegen Streitereien mit der Parteiführung. Ein Teil der DVU-Mitglieder trat zur DLVH über. Der Wiedereinzug der DVU in den Kieler Landtag scheiterte bei der Wahl am 24. März 1996 mit 4,3 % Dennoch ist dieses 45 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Ergebnis ein beachtlicher Erfolg, der ihr umfangreiche Zuwendungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung sichert. Kein Hinweis auf Teilnahme an den Einigungsbestrebungen Neue Abgrenzungsbeschlüsse Die DVU beteiligte sich nicht an den von unterschiedlichen Parteien, Organisationen und Einzelpersonen initiierten Einigungsbestrebungen im rechtsextremistischen Lager. An läßlich ihres Bundesparteitages am 15. Juli 1995, also einen Monat nach den ersten "Runden Tischen", verabschiedete sie neue Abgrenzungsbeschlüsse. Anläßlich der traditionellen Großveranstaltung in Passau erklärte Dr. Frey zum Thema "Einheit der Rechten", es gebe keine Alternative zur DVU. Wiederaufnahme der Kontakte zu Schirinowskij Zur Lösung aller Probleme bieten DNZ und DWZ/DA den als Oppositionsführer bezeichneten Vorsitzenden der Liberal-Demokratischen Partei Rußlands (LDPR), Wladimir Schirinowskij, an, den sie als "Garant des Friedens" vorstellen. Er und Dr. Frey hatten sich nach langer Pause Mitte Juli in Moskau erneut getroffen. In den Wochenzeitungen Frey's wurde hierzu eine angeblich gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Am Schluß findet sich ein Hinweis auf Schirinowskij's Buch, "Was ich wirklich will", selbstverständlich erhältlich in Frey's Verlag. An der Großveranstaltung der DVU am 30. September in Passau konnte Schirinowskij nicht teilnehmen, weil er keine Einreiseerlaubnis erhalten hatte. Stattdessen wurde ein Grußwort verlesen, dessen Authentizität nicht eindeutig ist. Ausblick Bisher entwickelte die DVU nur dort politische Aktivitäten, wo sie in Länderoder Stadtparlamenten vertreten war. Da dies in Nordrhein-Westfalen nicht der Fall ist, ist künftig mit politischen Aktivitäten der DVU weiterhin nicht zu rechnen. 2.1.4 Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes e.V. (DKEG) Gründung: 1950 Sitz: München Mitglieder Bund 1995: 30 1994: 30 Präsident: Dr. Karl Günter Stempel Das DKEG mit Sitz in München wurde 1950 auf Initiative eines ehemaligen NSKulturfunktionärs gegründet. Präsident ist seit 1971 Karl Günter Stempel. Organisatorisch gliedert sich das DKEG in sogenannte Pflegestätten, die in eigener Regie Veranstaltungen abhalten. Das DKEG entwickelte in Nordrhein-Westfalen 1995 keine Aktivitäten, verfügt jedoch über zwei Pflegestätten in Bielefeld und Steinhagen. Ziele waren die "Neubildung volkshaften Selbstverständnisses und Selbstbewußtseins" und die "Pflege volkshaft konservativer Literatur". Gemäß seiner Satzung 46 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 will das DKEG die "aus eigenem Lebensraum und seiner Charakterund Schöpferbildung entstehende Kunst" fördern. Dementsprechend versammelten sich in seinen Reihen viele Dichter und Schriftsteller, die sich einst in die Dienste des NSStaates gestellt hatten und denen das DKEG nach 1945 ein Forum bot. Eine Veranstaltung mit einer gewissen Außenwirkung in NRW war bis 1993 eine jeweils im November stattfindende "Gedenkstunde zu Ehren der Toten beider Weltkriege" auf dem Friedhof in Hövelhof/Kreis Paderborn. Nach massiven Störungen 1993 hat man 1994 die Veranstaltung verlegt und 1995 ganz darauf verzichtet. Veranstaltungen des DKEG sind 1995 in NRW nicht bekannt geworden. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Ein namensgleiches Kulturwerk besteht in Österreich in der Form von zwei juristischen Personen. 1976 war das DKEG Österreich zunächst verboten worden. Daraufhin gründete sich am 23. Januar 1977 in Wien die "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG). Nachdem der österreichische Verfassungsgerichtshof am 23. Juni 1977 das Verbot des österreichischen DKEG aufgehoben hat, bestehen DKEG und das ursprünglich als Ersatzorganisation gegründete DKG nebeneinander mit selber Zielsetzung und selbem Personenkreis. Die "Pflegstätte Klagenfurt" des österreichischen DKEG wurde nach internen Streitigkeiten aufgelöst. An ihrer Stelle wurde als eigenständige Regionalorganisation das "Kulturwerk Österreich e.V., Landesgruppe Kärnten" gegründet. Dieses "Kulturwerk" führte vom 30. September bis 5. Oktober 1995 in Sirnitz/Österreich die vierten "Kärntner Kulturtage" durch. Zentrales Motto war "50 Jahre danach. Hoffnung für die Zukunft geben." An dieser Veranstaltung nahmen auch ca. 20 deutsche Rechtsextremisten teil. Im Rahmen dieser "Kulturtage" wurde auch eine Fahrt zum "großen Soldatentreffen auf dem Ulrichsberg" bei Klagenfurt durchgeführt. Die als "Ulrichsberg-Treffen" bekannte Veranstaltung war in letzter Zeit nach Einschätzung österreichischer Behörden ein Treffpunkt internationaler, auch deutscher Rechtsextremisten. An ihrem Rande fand auch eine Veranstaltung ehemaliger SS-Angehöriger statt. Die zunehmende Zusammenarbeit von deutschen und österreichischen Rechtsextremisten macht eine engere Zusammenarbeit von deutschen und österreichischen Behörden erforderlich. 2.1.5 Die Republikaner (REP) Gründung Landesverband NRW: 1984 Bundesverband: 1983 Sitz Landesverband NRW: Düsseldorf (laut Satzung); Geschäftsstelle in Senden Bundesverband: Berlin 47 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Vorsitzende NRW: Ursula Winkelsett Bund: Dr. Rolf Schlierer Mitglieder NRW: 1995: ca. 1.700 1994: ca. 2.500 Bund: 1995: ca. 17.000 1994: ca. 20.000 Publikation der Bundespartei: "Der Republikaner" erschien 1995 zweimonatlich Publikation des Landesverbandes NRW: "NRW-Report Informationsschrift für Mitglieder" her ausgegeben von Winkelsett; soll vierteljährlich erscheinen (bisher: Ausgabe 1 von Juli/Aug. 95, Ausgabe 2 von Okt./Nov. 95) Lokale Publikationen (Beispiele) "DO REPort" "Gelsenkirchener Info-REPort" "Leverkusener Reptilchen" Zustand des Landesverbandes Zu Beginn des Jahres 1995 war die Situation des REPLandesverbandes NRW von den Auswirkungen der empfindlichen Nieder lagen im Wahljahr 1994 sowie den parteiinternen Querelen als Folge der Entmachtung des ehemaligen Bundesvorsitzenden Schönhuber und der Wahl von Dr. Schlierer zum neuen Bundesvorsitzenden geprägt. Für die Wahlniederlagen der Partei und deren politische Ausrichtung machten sich gegenseitig Schönhuber, der nach wie vor in NRW über eine große Zahl von Anhängern verfügt, und der Bundesvorstand verantwortlich. Organisation Die Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf mußte aus finanziellen Gründen Ende September 1995 geschlossen werden. Am Wohnsitz der neuen Landesvorsitzenden Winkelsett wurde das Parteibüro des Landesverbandes NRW eingerichtet. Die Untergliederungen des Landesverbandes sind in weiten Teilen nur stark eingeschränkt funktionstüchtig und entwickeln im allgemeinen nur wenige nennenswerte Aktivitäten in der Öffentlichkeit. Die strukturellen Probleme in einer Reihe von Bezirksund Kreisverbänden sind unübersehbar. Die Zahl der inaktiven Kreisverbände nahm gegenüber 1994 zu. Landesparteitag wählte neue Vorsitzende Mitte 1995 trat überraschend der NRW-Landesvorsitzende Uwe Goller aus persönlichen Gründen von seinen Parteiämtern zurück. Die stellvertretende Landesvorsitzende Winkelsett übernahm die kommissarische Leitung des Landesverbandes. Der Landesparteitag am 18. November 1995 in Lippstadt/Cappel diente vor allem der Neuwahl des Landesvorstands. Winkelsett wurde zur neuen Landesvorsitzenden gewählt. Allerdings erhielt sie nur 53 % der Delegiertenstimmen, während 44 % für den Vorsitzenden des "Republikanischen Bundes der öffentlich Be48 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 diensteten" (RepBB) stimmten. Winkelsett hatte es schon als kommissarische Landesvorsitzende und in der Zeit als stellvertretende Landesvorsitzende verstanden, die innerparteiliche Macht bei sich zu konzentrieren. Sie gilt als ausgewiesene Gegnerin Schönhubers. Im REP-Landesverband NRW existiert allerdings weiterhin eine starke innerparteiliche Opposition, die sich vor allem aus SchönhuberAnhängern rekrutiert. Der Parteitag wurde mit dem Hinweis auf angeblich "anreisende Chaoten" vorzeitig beendet. Mitglieder Die Mitgliederzahl des REP-Landesverbandes NRW ging 1995 gegenüber 1994 erheblich zurück. Es ist außerdem davon auszugehen, daß bei einem erheblichen Teil der Ende 1995 ca. 1.700 Mitglieder die Beitragszahlungsmoral gering ist und von diesem Personenkreis satzungsgemäß ein Teil ausgeschlossen werden müßte. Mitgliederzahlen der REP in NRW von 1989 bis 1995 1989 3.500 1990 1.500 1991 1.500 1992 2.100 1993 2.500 1994 2.500 1995 2.100 (Frühjahr) 1995 unter 2.000 (Sommer) 1995 1.700 (Ende) Ursächlich dafür dürften die enttäuschenden Ergebnisse bei den Wahlen des Jahres 1994, bei der Landtagswahl in NRW am 14. Mai 1995 und die Querelen um den politischen Kurs der Partei sein. Symptomatisch für die tiefe Enttäuschung bei den Funktionären und einfachen Mitgliedern im Landesverband NRW sind die Parteiaustritte namhafter Funktionäre, z. B. des ehemaligen stellvertretenden Landesvorsitzenden, der im März 1995 die Partei verließ und die Gründung des Landesverbandes NRW der Partei "Die Freiheitlichen" vorbereitete. Die ausgetretenen REP-Mitglieder sind - soweit erkennbar und von der Gründung "Der Freiheitlichen" abgesehen - nicht weiter politisch aktiv. Jedenfalls waren bei den anderen rechts extremistischen Parteien und Organisationen keine Zuwächse, sondern ebenfalls Mitgliederverluste oder Stagnation festzustellen. Auch die Beteiligung an den "Runden Tischen" war im Verhältnis zu den Mitgliederverlusten der REP gering. Offenbar haben sich die ausgetretenen REP-Mitglieder enttäuscht zurückgezogen. 49 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Finanzen Erklärtes Ziel der REP war es, bei der Landtagswahl am 14. Mai 1995 ein landesweites Ergebnis von mindestens 1 % zu erzielen, um weiterhin an der staatlichen Parteienfinanzierung beteiligt zu sein. Damit sollte "die finanzielle Grundlage für die Weiterarbeit" geschaffen werden. Nachdem dieses Ziel mit 0,8 % deutlich verfehlt wurde, ist der Landesverband "ausschließlich auf eigene Einnahmen angewiesen. Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren die Strukturen unseres Verbandes aufrechtzuerhalten und die Parteiarbeit zu intensivieren - das alles kostet Geld." (NRW-Report, Ausgabe 1, Juli/Aug. 1995). Finanziell steht der NRW-Landesverband vor zwei Problemen: - durch die Mitgliederverluste sinkt das Beitragsaufkommen; - durch das schlechte Ergebnis bei der Landtagswahl 1995 unterhalb der Erstattungsgrenze entfallen die staatlichen Mittel. Ende 1995 befand sich der REP-Bundesverband in einem finanziellen Engpaß, weil die erwarteten staatlichen Mittel verloren waren. Das Parteiorgan "Der Republikaner" erschien deshalb im Dezember 1995 nicht, wie gewohnt, im Zeitungsformat und vierseitig, sondern nur als beidseitig bedrucktes DIN A4-Flugblatt. Die REP erhielten für 1994 keine staatliche Finanzierung, weil sie es versäumt hatten, rechtzeitig bis zum 1. Dezember 1994 die Festsetzung der staatlichen Mittel für 1994 zu beantragen. Dagegen hatten der Bundesverband und die Landesverbände der REP Klagen erhoben. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klage der REP Ende Februar 1996 abgewiesen, womit die REP rund 2,3 Mio. DM endgültig verloren. Den REP stehen für 1995 aufgrund der staatlichen Finanzierung der Parteien rund 4,8 Mio. DM zu. Nach Aufrechnung mit noch offenen Forderungen aus dem Jahre 1994 erhält der Bundesverband 2,2 Mio. DM. Der REPLandesverband NRW muß parteiintern sogar 128.300 DM zurückzahlen, weil er bei der NRW-Landtagswahl 1995 unter der Finanzierungs-Grenze geblieben ist. Nach Auszahlung der staatlichen Mittel für 1995 bezeichneten der Bundesund die Landesvorsitzende den Engpaß der Bundespartei als überwunden. Nach außen wird die finanzielle Lage allerdings dramatisiert und als Folge staatlicher Schikanen dargestellt. Ereignisse und Entwicklungen Fremdenfeindliche Agitation Die Ausländerund Asylbewerberthematik ist nach wie vor eines der herausragenden Agitationsfelder der REP. Sie wird im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der angeblichen Gefahr des Untergangs des deutschen Volkes gesehen. Für gesellschaftliche Mißstände werden direkt oder indirekt Ausländer und vor allem Asylbewerber verantwortlich gemacht. In seiner Rede auf dem Landesparteitag NRW am 18. November 1995 plädierte Dr. Schlierer für die Streichung des Asylrechts aus dem Grundgesetz, damit das deutsche Volk darüber bestimmen könne, wer sich in Deutschland aufhalten dürfe und wer nicht. 50 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der stellvertretende Bundesvorsitzende und Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg, Christian Käs, erklärte in seiner Rede auf dem Landesparteitag am 3. Oktober 1995 in Stuttgart: "Doch unsere Politiker demontieren uns Deutsche als Herren im eigenen Haus, wo immer sie können. Ausländerwahlrecht heute für Kommunen, morgen für das ganze Land auf Biegen und Brechen. Wählbarkeit für Ausländer, ausländische Beamten. Wie verrückt muß dieser Staat eigentlich noch werden, bis er von alleine in die Luft fliegt? 1992 haben wirmit der Forderung nach Abschaffung des Asylgrundrechts Maßstäbe gesetzt. Unsere Forderung ist noch lange nicht erfüllt. Wir mahnen sie heute stärker an als je. So kann es nicht weitergehen ... Wir wollen nicht mehr der Schauplatz sein für die multiethnischen Phantasien unserer Regierungen, wir wollen nicht mehr die Opfer steigender ausländischer und antideutscher Gewalt sein. Wir stehen nicht mehr zur Verfügung als Tummelplatz aller Rassen und Völker dieser Welt und deshalb wiederholen wir den alten Ruf nach dem Ende der Massenzuwanderung so laut und so ungebrochen, daß es auch im letzten Negerkral in Afrika klar sein muß: Deutschland will sie nicht ...". Käs sieht "schon heute ... überall in Deutschland die Feldzeichen des Islam, die Minarette und Moscheen der Feinde aller Traditionen und Werte des Abendlandes. ... Für uns ist jeder Quadratmeter europäischen Bodens heiliges christliches Land. ... Also Christentum: Kämpfe oder gehe unter." Neue Niederlage bei der NRW-Landtagswahl Bei der Landtagswahl in NRW am 14. Mai 1995 setzte sich die Reihe der REPWahlniederlagen seit Anfang 1994 fort. Der REPLandesverband beteiligte sich in 105 von 151 Wahlkreisen mit dem Ziel, landesweit mindestens 1 % der Stimmen zu erhalten, um die weitere Teilhabe an der Parteienfinanzierung zu sichern. Die Zahl der Wahlkampfaktivitäten war allerdings deutlich geringer als in den Wahlkämpfen des Vorjahres. Zurückzuführen ist dies vermutlich auf die knappen finanziellen Mittel des Landesverbandes und die fehlende Motivation der Mitglieder. Ein geplantes Landtagswahlprogramm wurde nicht veröffentlicht, bei der Wahlwerbung wurde Material aus den Wahlkämpfen des Jahres 1994 verwendet. Die REP konnten vereinzelt zwar in Wahlkreisen bis zu 2,4 % der Stimmen erringen, verfehlten mit landesweit 0,8 % ihr Wahlziel jedoch deutlich. Dieses Ergebnis wurde von der Partei als enttäuschend bezeichnet und führte zu einer weiteren Verschlechterung der Stimmung in der Mitgliedschaft. Wahlerfolg in Baden-Württemberg 1996 Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 24. März 1996 gelang es den REP, mit 9,1 % der Wählerstimmen (1992: 10,9 %) erneut in den Landtag einzuziehen. Dieser Wahlerfolg durchbrach die Serie von Niederlagen bei Kommunalund Landtagswahlen in den letzten Jahren bzw. bei der Europaund der Bundestagswahl in 1994. Bei der am gleichen Tag stattfindenden Landtagswahl in Rheinland-Pfalz scheiterten die REP zwar an der 5 %-Grenze, sie konnten ihr Wahlergebnis aber auf 3,5 % ( 1991: 2,0 %) steigern. Querelen auf Bundesebene Die Auseinandersetzung zwischen dem ehemaligen REP-Bundesvor sitzenden Schönhuber und seinem Nachfolger Schlierer verschärfte sich im Laufe des Jahres 1995 zunehmend, obwohl Schlierer sich bemühte, die innerparteilichen Quere51 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 len vor der für die Zukunft der Partei bedeutsamen Landtagswahl in BadenWürttemberg am 24. März 1996 zu dämpfen. Am 16. November 1995 trat Schönhuber aus der Partei aus. Er bezichtigte Schlierer eines "Schmusekurses", der "Anbiederung an die etablierten Parteien." Er warf ihm vor, die Partei zu einer "Stuttgarter Ländlepartei" heruntergewirtschaftet zu haben. Schlierer seinerseits bezeichnet Schönhubers Austritt "als zwangsläufige Konsequenz einer längeren Entwicklung, in deren Verlauf sich Schönhuber zunehmend von dem von der Partei für richtig befundenen Kurs entfernt hat." REP lehnen "Runde Tische" ab Der Vorstand des Landesverbandes NRW und der Bundesvorstand vertreten einen Kurs der strikten Abgrenzung gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen. Sie lehnen "Runde Tische" entschieden ab und drohen Parteimitgliedern für den Fall ihrer Teilnahme an derartigen Veranstaltungen Konsequenzen an. In der Partei verbliebene Anhänger Schönhubers wenden sich aber gegen die ihrer Meinung nach gescheiterte Abgrenzungspolitik der REP. So haben trotz der eindeutigen Positionsbestimmungen des Bundesvorstands und des Landesvorstands NRW einige "Republikaner" an derartigen Veranstaltungen teilgenommen. Das "Intern-Info" über die erste Sitzung des Koordinierungsausschusses des "Runden Tisches Rheinland" am 21. Oktober 1995 nennt zwei "Republikaner" als Mitglieder des Sprecherrats. Auch außerhalb der "Runden Tische" suchten einzelne Funktionäre der REP auf örtlicher Ebene nach Formen der Kooperation mit Angehörigen anderer rechtsextremistischer Parteien. (Siehe hierzu Kapitel 2.1.6 "Förderkreis Bündnis Deutschland/Runde Tische von Rechtsextremisten".)) Oberverwaltungsgericht Münster verweigert Genehmigung für REP-Stiftung REP-Stiftung Gefahr für Gemeinwohl Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 8. Dezember 1995 den Anspruch der REP auf Genehmigung der "FranzSchönhuber-Stiftung" versagt, weil sie das Gemeinwohl gefährde. Das Gericht hat festgestellt, daß die Stiftung "im Falle ihrer Genehmigung das Gebot der Achtung der Menschen würde, das Verbot der Diskriminierung der Rasse, der Sprache, der Abstammung oder des Glaubens sowie das Demokratieprinzip als Verfassungsrechtsgüter gefährden" würde. Grundlage dieser Feststellung seien insbesondere asylbewerberfeindliche Veröffentlichungen von Untergliederungen der Partei, Angriffe gegen die Daseinsberechtigung staatstragender Einrichtungen sowie diffamierende Äußerungen in bezug auf Funktions träger des Staates und anderer Parteien, die mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus auf eine Stufe gestellt würden. Damit werde ihre verfassungsrechtliche Legitimation verneint. Schließlich werde die Wiederbegründung der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und des parteienstaatlichen Pluralismus als Resultat der alliierten Besatzungszeit verächtlich gemacht. Bei der Bewertung des Stiftungszwecks hat das Gericht sich außer auf die vom Innenministerium NRW vorgetragenen Argumente und vorgelegten Materialien 52 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 auch auf die Verfassungsschutzberichte des Bundes und vieler Länder aus den Jahren 1993 und 1994 gestützt. Der REP-Bundesvorsitzende Schlierer bezeichnete die Urteilsbegründung auf einer Bundesvorstandssitzung als für die Partei "tödlich". Die REP wollen deshalb den Rechtsweg bis zur letzten Instanz beschreiten. Außerdem ist beabsichtigt, den Namen der Stiftung zu ändern und die Stiftung als Verein mit Sitz in Berlin anzumelden. Ausblick Der Wahlerfolg der REP bei der Landtagswahl 1996 in BadenWürttemberg wird die Position des REP-Bundesvorsitzenden stärken und den weiteren Niedergang der Partei möglicherweise aufhalten. An den Einigungsversuchen von Rechtsextremisten werden sich die REP weiterhin wahrscheinlich nicht beteiligen, weil der Bundesvorsitzende den Wahlerfolg auch als Bestätigung seiner Abgrenzungspolitik sehen wird. 2.1.6 Förderkreis Bündnis Deutschland/"Runde Tische" von Rechtsextremisten Erneute Einigungsbestrebungen nach Wahlniederlagen Die schlechten Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien bei den Wahlen 1994 und 1995 führten zu erneuten Einigungsbestrebungen im rechtsextremistischen Lager. Die traditionelle Zersplitterung sollte durch Gespräche an sogenannten "Runden Tischen" überwunden werden. Am Anfang dieser Entwicklung stand das "Eisenacher Signal", mit dem das Präsidium des REPLandesverbandes Thüringen am 1. Juni 1995 zur Schaffung "vieler Runder Tische" aufrief, "damit das Jahr 1995/96 für die deutsche Rechte ein Jahr der Versöhnung, Öffnung und Erneuerung wird! Nur gemeinsam läßt sich eine flächendeckende, schlagkräftige und glaubwürdige politische Alternative zum Bonner Parteienkartell aufbauen, auf die viele Deutsche warten. Dieses Bündnis für Deutschland gilt es vorzubereiten - auf jeder Ebene und überall! Eisenach - ein Modell für alle Patrioten". Rheinischer Appell Diese vom REP-Bundesvorstand mißbilligte Initiative wurde in NordrheinWestfalen von der DLVH aufgegriffen. Bereits am 10. Juni 1995 fand in BergischGladbach eine Veranstaltung "Runder Tisch der Konservativen und Demokratischen Rechten im Rheinland" statt. Eingeladen hatten der DLVHLandesvorsitzende Markus Beisicht sowie der DLVH-Funktionär und Herausgeber der Publikation "Europa Vorn", Manfred Rouhs. Die ca. 70 Teilnehmer verabschiedeten einen Rheinischen Appell (Dokument siehe unten), der zur Sammlung an "Runden Tischen" und zur Vorbereitung eines "Bündnisses für Deutschland" aufrief. Pulheimer Erklärung Ein weiterer, von der DLVH initiierter "Runder Tisch der Rechten im Rheinland" fand am 2. September 1995 in Pulheim statt. Der Teilnehmerkreis entsprach dem 53 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 des ersten "Runden Tisches". Es wurde folgende "Pulheimer Erklärung" verabschiedet, die inhaltlich an den "Rheinischen Appell" anknüpft: "Die gravierenden Mißstände in Deutschland und das Unvermögen der Altparteien, diese zu beseitigen, machen eine starke und zukunftsorientierte Rechtspartei dringend erforderlich. Doch der deutschen Rechten droht der Sturz in die dauerhafte Bedeutungslosigkeit. Hierfür sind die Lügenund Haßkampagnen unserer politischen Gegner nur bedingt verantwortlich. Jahrelanger Schlingerkurs und unnötige Querelen in den eigenen Reihen haben uns von Millionen Wählern entfremdet und auch die Leidensfähigkeit der Treuesten überfordert. Resignation und Frustration machen sich breit. Wir brauchen jetzt ein kraftvolles Signal der Versöhnung und Bündelung aller seriösen Kräfte von Rechts. Es muß Schluß sein mit dem Gegeneinander eigentlich Gleichgesinnter. Nur wenn die vernünftigen Patrioten zusammenfinden, kann der Zerfall gestoppt werden und eine neue Aufbruchstimmung entstehen." Förderkreis Bündnis Deutschland Auf dem Treffen in Pulheim wurde ein Koordinierungsausschuß gegründet, der im Oktober 1995 den "Förderkreis Bündnis Deutschland" ins Leben rief. Der Förderkreis setzt sich aus Vertretern aller teilnehmenden Parteien zusammen und hat die Aufgabe, die begonnene Bündnispolitik vorwärts zu treiben. Er bezeichnet sich als "notwendige Ergänzung zur bestehenden rechten Szene in NRW ... Unter Beibehaltung einer vorerst lockeren Struktur dient unsere Arbeit der Vernetzung und Koordination rechter Politik und der Geschlossenheit demokratischer Patrioten". Die Einheit der vernünftigen Patrioten sei Grundvoraussetzung für den Aufbau einer starken, offensiven und glaubwürdigen rechten Alternative zum Altparteienkartell. Der Förderkreis wende sich zuvorderst an die "rechte Szene". "Hier wollen wir zur Bündelung, Vernetzung und Versöhnung der Patrioten beitragen." Im Januar 1996 erschien die erste Ausgabe der Zeitung des Förderkreises mit dem Titel "Forum Bündnis Deutschland". In dem Artikel auf der Titelseite wird das Schreckensbild der multikulturellen Gesellschaft gemalt. Außerdem wird unter anderem die "Pulheimer Erklärung" mit dem Aufruf zu ihrer Unterstützung abgedruckt. Autorenlesung mit Schönhuber Die Einigungsbemühungen gipfelten am 18. November 1995 in einer Veranstaltung in Overath bei Köln mit dem ehemaligen REP-Bundesvorsitzenden Schönhuber. Um die Neutralität aller nach außen hervorzuheben, trat als Einlader keine der beteiligten Parteien, sondern die Publikation "Europa Vorn" des DLVHLandesvorstandsmitglieds Manfred Rouhs auf. Die Veranstaltung wurde, offensichtlich auf Wunsch Schönhubers, nicht als "Runder Tisch", sondern als Autorenlesung angekündigt. An der Veranstaltung nahmen ca. 200 Personen teil. Bevor Schönhuber mit der Autorenlesung beginnen konnte, bat Beisicht um Unterschriften für die "Pulheimer Erklärung". Formal machte er darauf aufmerksam, daß es sich nicht um eine parteipolitische Veranstaltung, sondern um eine Autorenlesung handele. Er hob aber gleichzeitig hervor, daß DLVH, NPD, REP, DVU, "Freiheitliche" und "Aufbruch '94" ihre Vertreter zu dieser Veranstaltung entsandt hätten, machte die Veranstaltung so doch noch zu einem "Runden Tisch". Wäh54 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 rend der Veranstaltung wurden Beitrittserklärungen des "Förderkreises Bündnis Deutschland" verteilt. In seinem Vortrag widersprach Schönhuber den Meldungen, er sei der Initiator und Betreiber der "Runden Tische". Ihm sei es lediglich um die Vorstellung seines Buches "In Acht und Bann" gegangen. Er sei aber nicht aus der Partei ausgetreten, um Privatperson zu werden, sondern um einen neuen Anfang zu machen und mit einer neuen Rechten einen späten Erfolg zu haben. Er sehe keinen Sinn in einem Zusammenschluß der rechten Organisationen, da diese stigmatisiert und nicht in der Lage seien, miteinan der auszukommen, obwohl sich ihre Programme glichen. Denkbar sei nur ein langer Weg über die Bildung einer rechten "Außerparlamentarischen Opposition". Schönhuber hat damit die von ihm früher als REPBundesvorsitzender aus der Position vermeintlicher Stärke heraus vertretene Politik der Abgrenzung gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen verlassen. Während der anschließenden Diskussion meinte Schönhuber, um gemeinsame Strukturen entstehen lassen zu können, müsse auf Ortsebene Aufbauarbeit geleistet wer den. Erst wenn sich die Basis zusammengerauft habe, könne man an die Gründung einer neuen Partei denken. Er selbst strebe keinen Parteivorsitz mehr an. Schönhuber und DLVH treiben Einigung voran Stützpfeiler der Einigungsbestrebungen sind der ehemalige REPBundesvorsitzende Schönhuber sowie die DLVH-Mitglieder Neubauer und Dehoust, die zugleich Herausgeber der Publikation "Nation und Europa-Deutsche Rundschau" sind. Markus Beisicht leistete zwar die Vorarbeit zur Gründung des regionalen "Förderkreises Bündnis Deutschland", kann im Kreis der Vorgenannten aber nicht als gleichberechtigter Partner auftreten. Bei "Nation und Europa - Deutsche Rundschau" ist Schönhuber inzwischen fest etabliert. Er ist dort seit Oktober 1995 regelmäßiger Kolumnist und nutzt diese Kolumne zur Verbreitung seiner neuen Positionen. Schönhuber meinte anläßlich der Veranstaltung in Overath, um die "Medienblockade" zu überwinden, müßten regional Überlegungen zur Bildung von Medienzentren angestellt werden. Durch Nutzung eigener Publikationen und die Beeinflussung oder Schaffung regionaler Rundfunksender sei diese Blockade zu überwinden. Benötigt würden Organe für die Intelligenz und für Dumme. Menschen müßten immer erst überzeugt werden. 55 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 NPD beteiligt sich auch Der "Förderkreis Bündnis Deutschland" wird inzwischen auch vom NPDLandesverband Nordrhein-Westfalen getragen. Der Landesverband sprach sich bis zum Herbst 1995 noch strikt gegen die Teilnahme an "Runden Tischen" aus. Das änderte sich nach dem Haftantritt des NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert im November 1995. Seitdem ruht das als "Bündnis Deutschland" seit Jahren bestehende Einigungsprojekt der NPD. Die Schwächung des autoritären damaligen Bundesvorsitzenden stärkte offenbar Kräfte, die eher zu einer Zusammenarbeit bereit sind. REP-Bundesund Landesvorstand NRW lehnen "Runde Tische" ab 56 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der Vorstand des REP-Landesverbandes NRW unterstützt den strikten Abgrenzungskurs des REP-Bundesvorsitzenden Schlierer gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen. Anläßlich einer Klausurtagung von Funktionären des Landesverbandes betonte der stellvertretende Landesvorsitzende und Beisitzer im Bundesvorstand, auf Versammlungen müsse klipp und klar erklärt werden, daß das Thema "Vereinigte Rechte" mit der Erörterung durch den Bundesvorstand abgeschlossen sei. Wer jetzt noch an "Runden Tischen" teilnehme, müsse mit einem Parteiausschlußverfahren rechnen. In einer Pressemitteilung distanzierte sich der REP-Bundesvorstand vom "Eisenacher Signal" und lehnte "weiterhin jede Annäherung, jede Absprache oder jede andere Form von Zusammenarbeit mit Parteien oder Gruppierungen" der "Alten Rechten" ab. Er kündigte den Parteimitgliedern Konsequenzen an, die sich an "Runden Tischen" beteiligen oder das "Eisenacher Signal" weiter verbreiten. Ausblick Die "Runden Tische" sind eine Reaktion auf die Schwäche der rechtsextremistischen Parteien bei den Wahlen 1994/95. Sie werden weiterhin ohne Beteiligung der großen Parteien REP und DVU stattfinden. Die Möglichkeit der Gründung einer Vereinigten Rechten als Partei hängt von der Überzeugungskraft Schönhubers und dem Einigungswillen aller Beteiligten ab. Denkbar ist eine Fortsetzung der "Runden Tische" im Sinne kultureller Hegemonie mit dem Ziel, verstärkt nationalistisches Gedankengut in die öffentliche Diskussion zu bringen. # Dokument: Rheinischer Appell beschlossen am 10. Juni 1995 "Hochrangige Funktionsträger sowie Aktivisten der Republikaner, der DVU, der Deutschen Liga, der Nationaldemokraten, vom Aufbruch'94, der Freiheitlichen, der Bürger, der DSU, sowie parteiungebundene Persönlichkeiten aus dem Rheinland trafen sich am 10. Juni 1995 in Bergisch-Gladbach auf Einladung des Deutsche Liga-Landesvorsitzenden RA Markus Beisicht und des Europa Vorn-Herausgebers Manfred Rouhs zu einem ersten 'Runden Tisch der Konservativen und Demokratischen Rechten im Rheinland', um über die Bündelung der versprengten Kräfte von Rechts zu beraten. Die Versammlung, an der über 80 Personen teilnahmen, verabschiedete einstimmig folgende Erklärung: Rheinischer Appell Die jüngsten Landtagswahlen haben gezeigt, die potentiellen Wähler sind rechter Zwietracht im parteipolitischen Bereich überdrüssig. Geringe Stimmenzahlen für die antretenden Rechtsparteien und Flucht in die Wahlenthaltung sind die Folge. Man kann nicht glaubhaft den Anspruch erheben, die Einheit Deutschlands vollenden und dem ganzen Volk dienen zu wollen, wenn man nicht einmal die Einheit der Gleichgesinnten erreicht, die dazu bereit sind. Die heute Versammelten sind sich einig, daß eine in Zukunft einheitlich auftretende politische Rechte den zu erwartenden harten Kampf bestehen und Erfolge erringen kann. Um die Einheit aller Patrioten (rechtzeitig) vorzubereiten, sollen ab sofort überall lokal, regional und letztendlich bundesweit unter dem Motto 'Ein Herz für Deutschland' Runde Tische einberufen werden mit dem Ziel, ungeachtet früherer Auseinandersetzungen jede Person und jede Strömung solidarisch zu stützen, die auf eine Sammlung der de- # J1995_RAP 57 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 mokratischen Rechten hinwirkt. Schafft viele Runde Tische, damit das Jahr 1995/96 für die deutsche Rechte ein Jahr der Versöhnung, Öffnung und Erneuerung wird!Jahresbericht 1995 Nur gemeinsam läßt sich eine flächendeckende, schlagkräftige und glaubwürdige politische Alternative zum Bonner Altparteienkartell aufbauen, auf die unzählige Deutsche warten. Dieses Bündnis für Deutschland gilt es vorzubereiten - auf jeder Ebene und über all! Die Anwesenden verständigten sich ferner, den Meinungsaustausch auf weiteren Zusammenkünften fortzusetzen sowie den Kreis zu erweitern." 2.1.7 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) Gründung: 1960 Sitz: München Leiter: Dr. Rolf Kosiek Mitglieder NRW: 1995: 30 1994: 30 Bund: 1995: 400 1994: 400 Publikation: Das freie Forum; erscheint vierteljährlich; geschätzte Auflage: 700 Die GFP ist ein von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären 1960 anläßlich der Frankfurter Buchmesse gegründeter eingetragener Verein. Der frühere NPD-"Chefideologe" Dr. Rolf Kosiek leitet die GFP offiziell seit 1972. Dem Verein gehören überwiegend Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Seit 1975 führt die GFP jährliche Kongresse durch, deren Vorträge jeweils in einem Sammelband veröffentlicht wurden. Auf dem jährlichen Kongreß nehmen laut GFP "Wissenschaftler, Schriftsteller und Politiker zu aktuellen geistig-politischen Fragen Stellung". Die Veranstaltungen sind nicht öffentlich. Eine Teilnahme ist nur auf Einladung oder für Besucher nur mittels Bürgschaft möglich. Neben dieser Zentralveranstaltung wirkt die GFP im Bundesgebiet durch Arbeitskreise, die Vortragsveranstaltungen zu "Problemen der Gegenwart" organisieren. In Nordrhein-Westfalen besteht ein Arbeitskreis, der zumindest im Januar und Oktober 1995 Tagungen in Barkhausen/Porta-Westfalica mit insgesamt ca. 100 bzw. 150 Teilnehmern abhielt. 58 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Revisionistische Zielsetzung Die GFP verfolgt revisionistische Ziele (siehe Nr. 2.1.14 Revisionismus), die als Eintreten für Meinungsund Forschungsfreiheit verschleiert werden. In einem GFP-Flugblatt heißt es z.B.: "Die Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) setzt sich satzungsgemäß für die Freiheit der Meinungsäußerung und der historischen Forschung ein." Tatsächlich wird aber die deutsche Kriegsschuld bestritten und eine einseitige Geschichtsschreibung behauptet. Zu solchen Themen will die GFP Material sammeln und in ihrer Vierteljahresschrift "Das freie Forum" veröffentlichen. Aktivitäten Der 8. Mai war für die GFP - wie für das gesamte rechtsextremistische Lager - ein zentrales Thema im Jahr 1995. Der alljährliche GFP-Kongreß fand 1995 vom 5. bis 7. Mai in Aalen unter dem Leitwort "Deutschland 50 Jahre nach Kriegsende - Ein neuer Anfang muß her!" mit rund 300 Teilnehmern statt. Unter den Rednern aus dem Inund Ausland waren auch Andreas Molau, ehemaliger verantwortlicher Redakteur des Kulturteils der Jungen Freiheit (siehe Nr. 2.1.12.1), der frühere NPDVorsitzende Adolf von Thadden und der DLVH-Funktionär und Mitherausgeber von "Nation und Europa" (siehe Nr. 2.1.12.6), Harald Neubauer. GFP auf dem Weg zur "Neuen Rechten" In der Kongreß-Broschüre 1995 hat das Thema 8. Mai breiten Raum. Nach Abdruck des Manifestes wird unter der Überschrift "Entschließung zur Meinungsfreiheit" ausgeführt: "... Der Machtzuwachs der Linken in den letzten Wahlen und die Debatten zum 8. Mai 1945 haben unter der sogenannten Mitte zu einer enormen Beschleunigung 59 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 der Entwicklung geführt, die Bundesrepublik Deutschland in einen sozialistischen, totalitären Linksstaat zu verwandeln, in dem die Umerziehungsparolen Staatsgrundlage werden sollen. Änderung des Grundgesetzes ohne Mitwirkung des Souveräns, Sondergesetze, Politisierung der Justiz, Diffamierungskampagnen in der gleichgeschalteten Presse, mangelnde Toleranz gegenüber Andersdenkenden haben zu einer völligen Abkehr von freiheitlich-demokratischen Grundsätzen des alten Grundgesetzes geführt und gefährden die deutsche Identität ebenso wie die von denselben Kreisen angestrebte Auflösung des deutschen Volkes in einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft. Die Mitgliederversammlung der GFP wendet sich gegen diese volksund staatsgefährdende Entwicklung, weist auf deren Gefahren hin und ruft alle Patrioten zum geistigen Widerstand gegen diese Bestrebungen auf. Sie fordert die Beibehaltung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung mit der dieser zugrunde liegenden politischen Toleranz." Ausblick Die GFP hat sich von einer Vereinigung herkömmlicher Rechtsextremisten alter Parteien, wie z.B. der NPD, zu einer Institution entwickelt, die typische Elemente der "Neuen Rechten" propagiert. Dazu gehört das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bei gleichzeitiger Diffamierung der pluralistischen Gesellschaft als Ergebnis von Umerziehung und Manipulation. 2.1.8 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Gründung: 1964 Sitz NRW: Bochum-Wattenscheid Bund: Stuttgart Vorsitzende NRW: Udo Holtmann Bund: Günter Deckert; seit März 1996 Udo Voigt Mitglieder NRW: ca. 600 ca. 650 Bund: ca. 4.000 ca. 4.500 Publikationen: Deutsche Stimme; erscheint monatlich; Auflage ca. 50.000 Deutsche Zukunft - Landesspiegel NRW; erscheint monatlich; Auflage ca. 5.000 Kontakt - Führungsbrief des NPD-Landesverbandes NRW, erscheint unregelmäßig; Auflage ca. 500 Dortmunder Stimmen; Schrift des NPD-Kreisverbandes Dortmund, erscheint vierteljährlich, Auflage ca. 500 Organisation Die NPD gliedert sich in 15 Landesverbände, Berlin und Brandenburg bilden einen gemeinsamen Landesverband. Der nordrhein-westfälische Landesverband verfügt über 54 Kreisverbände, ist damit nominell in allen kreisfreien Städten und Kreisen vertreten. Aber nur ein halbes Dutzend Kreisverbände hat mit 20 bis maximal 40 60 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Mitgliedern die notwendige organisatorische Kraft für politische Aktivitäten. Etwa 20 Kreisverbände haben höchstens 5 Mitglieder, einige Kreisverbände stehen nur auf dem Papier, werden von anderen Kreisverbänden mit betreut. Finanzen Nach Jahren angespannter Finanzsituation ist eine Verbesserung der Finanzlage der Bundespartei durch Erbschaft und Spenden der Parteimitglieder festzustellen. Die nordrhein-westfälische NPD ist schon seit Jahren finanziell in der Lage, in Bochum eine eigene Geschäftsstelle zu führen. Politische Ziele Die NPD vertritt Vorstellungen von einem autoritären Führerstaat sowie einen ü- bersteigerten Nationalismus, verbunden mit einem völkischen und rassistischen Kollektivismus. In der Publizistik der Partei und ihrer Mandatsträger kommen Mißachtung und Ablehnung oberster Verfassungswerte, insbesondere der parlamentarischen Demokratie, des Mehrparteiensystems und der Volkssouveränität zum Ausdruck. Entwicklungen und Ereignisse Einigungsbestrebungen der NPD gescheitert Im Verlaufe des Jahres 1995 zeigte sich die NPD zunächst konsolidiert und politisch handlungsfähig. Sie wertete die Publizität um die revisionistischen Aktivitäten ihres damaligen Parteivorsitzenden Deckert offenbar positiv und versuchte, Angehörige anderer rechtsextremistischer Gruppierungen anzusprechen. Deckert beabsichtigte, mit einer Sammlungsbewegung "Bündnis Deutschland" einen Einigungsprozeß der rechtsextremistischen Parteien unter seiner Führung in Gang zu setzen. Mit den in der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" (10/11-1994) formulierten "Leitgedanken einer parteiübergreifenden Opposition" lud die NPD "alle zum Handeln entschlossenen nationalen Kräfte, seien es Republikaner, DVU-Anhänger, Mitglieder von jugendlichen Aktionsgruppen und einfach unabhängige Individualisten, dazu ein, über eine neue nationale Fundamentalopposition und über die Gründung zielgerichteter Aktionsgemeinschaften im Rahmen von einem Bündnis Deutschland nachzudenken und zu diskutieren." Deckerts Bemühungen blieben aber im rechtsextremistischen Lager ohne Resonanz. Der NPDLandesvorsitzende Holtmann lastete im März 1995 das Scheitern den REP und der DVU an, die er als "Scheinrechte" bezeichnete. Das Scheitern des NPDBündnisversuchs zeigt, daß die NPD im rechtsextremistischen Lager nicht die nötige Integrationskraft und -wirkung hat. 61 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Seit Herbst beteiligt sich die NPD aber am "Förderkreis Bündnis Deutschland" und stellt dem Förderkreis die NPDGeschäftsstelle zur Verfügung (siehe Nr. 2.1.6). Landesparteitag am 19. März 1995 Am 19. März 1995 fand in Essen der 31. ordentliche Landesparteitag der nordrhein-westfälischen NPD statt. An der Veranstaltung nahmen ca. 120 Personen teil, darunter 49 Delegierte. Unter den Gästen waren ca. 35 Mitglieder und Anhänger der im Februar 1995 verbotenen FAP. Rechtsextremistische Agitation zum 8. Mai Die NPD und die Jungen Nationaldemokraten (JN) nutzten den 50. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht (8. Mai 1945) für ihre rechtsextremistische 62 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Agitation gegen die Bundesrepublik Deutschland. In einem Flugblatt unter der Ü- berschrift "Wir feiern nicht!! Schluß mit der Befreiungslüge!" heißt es u.a. "Wir Nationaldemokraten wollen deshalb mit dieser Kampagne aktiven Widerstand gegen die ständige Demütigung und Bevormundung unseres Volkes leisten und das Bild eines vor fremden Gnaden zu Kreuze kriechenden Deutschlands in der Weltöffentlichkeit wieder gerade rücken. Wir Nationaldemokraten werden uns nicht in das uns aufgedrängte Büßerhemd zwängen lassen. Wir fordern vielmehr: Schluß mit der Befreiungslüge!" Eine zunächst für den 8. Mai beabsichtigte Kranzniederlegung mit Fackelzug in Dortmund war vom Polizeipräsidenten verboten worden. Auf der Fahrt zum Veranstaltungslokal einer statt dessen vorgesehenen Gedenkfeier in einer Gaststätte in Dortmund legten NPD-Mitglieder am Kriegerdenkmal in Castrop-Rauxel einen Kranz nieder. An der Gedenkfeier beteiligten sich rund 90 NPD-Anhänger. Angekündigt hatten sowohl NPD als auch JN weit mehr Aktionen, die aber nicht stattfanden. Bundesparteitag am 10./11. Juni Unter dem Motto "Deutschland wir leben" führte die NPD am 10. und 11. Juni 1995 in Neukirchen (Bayern) ihren 26. ordentlichen Bundesparteitag durch. Der Parteitag stand ganz im Zeichen des umstrittenen und wegen Volksverhetzung verurteilten Vorsitzenden Deckert. Noch demonstrierte der Parteitag uneingeschränkte Solidarität mit dem ohne Gegenkandidaten mit 92,3 % der Delegiertenstimmen wiedergewählten Parteivorsitzenden. Eine kritische Auseinandersetzung mit der revisionistischen und antisemitischen Agitation Deckerts fand nicht statt. Kernsätze seiner Schlußansprache waren u.a. "... Die NPD ist die einzige Sachverwalterin der deutsch-nationalen Interessen ohne Wenn und Aber. Wir bekennen uns zur deutschen Kulturnicht als Über-Kultur, aber wir lassen sie auch nicht zur 'Hollywood-Kultur' herunterziehen. Das ist keine Absage an die Kulturleistungen anderer Völker. Nicht wir, sondern die Multikulti-Fanatiker vernichten Kultur.... Wogegen wir uns wehren, ist die andauernde Überfremdung, die nichts anderes als systematische Landnahme bedeutet. Wer ein Heimatland hat, der gehört dorthin....". Deckert als Volksverhetzer Diese Rede bildete den vorläufigen Schlußstein einer NPD-Hetzkampagne, in deren Verlauf gegen Deckert als NPD-Vorsitzender und Schriftleiter der Parteizeitung wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. In diesem Zusammenhang wurde am 8. März 1995 gemäß Beschluß des Amtsgerichts Stuttgart die NPD-Geschäftsstelle in Stuttgart durchsucht; sämtliche Exemplare der vom NPD-Parteivorstand monatlich herausgegebenen Parteizeitung "Deutsche Stimme", Ausgabe 12/94, wurden beschlagnahmt. Diese Ausgabe enthielt unter der Rubrik "Randbemerkung" einen Artikel mit der Überschrift "Mit den Wölfen heulen? Nein!!". In dem Artikel hieß es u.a. über den Revisionisten Thies Christophersen: "Thies hat das unglaubliche Vergehen begangen, seine Erinnerungen an seine Zeit im KZ. Auschwitz, wo er schwer kriegsbeschädigt abgestellt wurde, um mit Häftlingen Feldversuche zur Herstellung von künstlichen Buna durchzuführen. Da Thies weder Vergasungen von Lagerinsassen gesehen, noch gehört hat, ist er davon überzeugt, daß solche auch nicht geschehen sind." 63 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der Bundesgerichtshof hatte in einem anderen Verfahren wegen Volksverhetzung eine Verurteilung Deckerts zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung aufgehoben. Deckert hatte den Massenmord an Juden in den Gaskammern der Konzentrationslager durch das Nazi-Regime geleugnet. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte Deckert am 21. April 1995 nunmehr zu zwei Jahren ohne Bewährung. Seit November 1995 verbüßt Deckert diese zweijährige Haftstrafe. Amtsenthebung und Wiedereinsetzung Deckerts Am 30. September 1995 setzte das Präsidium der NPD den Parteivorsitzenden Deckert ab. Zu der Unruhe wegen der aggressiven Revisionismus-Kampagne Deckerts und wegen seines verschärften Antisemitismusses, die viele Funktionäre schon seit längerem verunsichert hatte, kamen Unregelmäßigkeiten Deckerts bei der Behandlung von Vermögenswerten der Partei. Das NPD-Schiedsgericht gab am 15. November allerdings einer Beschwerde des Betroffenen statt und bestätigte Deckert in seinen Parteiämtern. Anschließend erklärte der Parteivorstand in seiner Sitzung am 13. Januar 1996 das Schiedsgerichtsverfahren für erledigt. In einer Presseerklärung heißt es dazu: "Der Parteivor stand reagiert damit auf die Inhaftierung von Günter Deckert, die es diesem unmöglich macht, sich gegen Anschuldigungen zur Wehr zu setzen. Unabhängig davon erteilt der Parteivorstand Günter Deckert eine schwere Rüge wegen der satzungswidrigen Handlungen und Unterlassungen. Der Parteivorstand stellt fest, daß es im Parteivorstand weiterhin strittig ist, ob die Vorgänge ursprünglich eine Amtsenthebung rechtfertigten oder nicht." Knappe Mehrheit für neuen Bundesvorsitzenden Am 23. März 1996 wählte ein außerordentlicher Bundesparteitag in Bad Dürkheim den bayerischen NPDLandesvorsitzenden Udo Voigt zum neuen Bundesvorsitzenden. Voigt erhielt 88, Deckert 83 Stimmen. Deckert kandidierte trotz seiner Inhaftierung. Er konnte allerdings an dem Parteitag nicht teilnehmen, weil er keinen Hafturlaub erhielt. Zu zwei der drei stellvertretenden Vorsitzenden wurden Deckert und der NRWLandesvorsitzende Holtmann gewählt. Der neue Parteivorsitzende will sich vor allem auf die Stärkung der Jugendarbeit der JN und auf die Selbstdarstellung der Partei in den neuen Medien konzentrieren. Außerdem will die NPD erneut versuchen, einen Einigungsprozeß der rechtsextremistischen Parteien in Gang zu setzen mit dem Ziel, zur nächsten Bundestagswahl mit einer einheitlichen Liste antreten zu können. Nach der Wahl des Parteivorsitzenden verließen die dem Deckert-Flügel zugehörenden Delegierten in großer Zahl den Parteitag. Dies führte dazu, daß bei der Wahl der weiteren Vorstandsmitglieder die Kandidaten der Deckert-Gegner die erforderlichen Mehrheiten erhielten und somit einige der früheren Parteivorstandmitglieder nicht mehr dem Partei vorstand angehören. NPD-intern umstritten: Auschwitz leugnen oder verharmlosen? Die Amtsenthebung und Wiedereinsetzung Deckerts offenbart einen Richtungsstreit, der sich bereits seit längerer Zeit ab zeichnete. Die Deckert-Anhänger stehen weiterhin hinter der Politik ihres Parteivorsitzenden und sehen unbeirrbar ihre Partei im politischen Aufwind. Die Deckert-Gegner hingegen werfen dem Partei64 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 vorsitzenden seinen revisionistischen Aktionismus und seinen autoritären Führungsstil vor. Außerdem glauben sie, daß seine zahlreichen Strafverfahren dem Ansehen der Partei in der Öffentlichkeit schaden. Der politisch-strategische Richtungsstreit innerhalb der NPD wird an einem Artikel eines NPD-Parteivorstandsmitglieds in Europa Vorn, Nr. 78 vom 1. Dezember 1994, deutlich, in dem es unter anderem heißt: "Ein immer wieder diskutiertes Beispiel zeigt dies: Diejenigen, die andere in's Gefängnis schicken, wenn sie geplante Massenmorde in Auschwitz bestreiten, und diejenigen, die dieses Risiko des Gefängnisses auf sich nehmen, haben ein sehr ähnliches Geschichtsbild. Beide sind nämlich davon überzeugt, daß diese Frage sehr wichtig ist. Ein völlig anderes Geschichtsbild hat z.B. Jean-Marie Le Pen. Er hält Auschwitz für eine 'Randerscheinung des zweiten Weltkrieges' und damit nicht für bemerkenswert. Die Frage des Geschichtsbildes lautet also: Ist Auschwitz so wichtig, daß der Nachweis über soundsoviele Millionen umgebrachter Juden oder der Nachweis, daß geplanter Massenmord nicht oder in geringerem Umfang stattfand, einen nennenswerten Einfluß auf die Überzeugung hat? Wird aus einem Massenmord-Bestreiter ein Anhänger der multikulturellen Gesellschaft, wenn ihm nach gewiesen wird, daß nicht vier oder sechs, sondern zehn Millionen Juden fabrikmäßig ermordet wurden? Könnte es sein, daß es Leute gibt, die ein Interesse daran haben, daß möglichst umfangreich über Auschwitz diskutiert wird? Und könnte es sein, daß diejenigen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, den ersteren auf den Leim gehen?". Der Artikel macht deutlich, daß innerhalb der NPD nicht die Leugnung des Holocaust strittig ist, sondern der Stellenwert, den Deckert diesem Thema beigemessen hat. Der Verfasser hält es für geschickter, das Wissen um die industrielle Tötung von Menschen als geschichtliche Randerscheinung aus der Erinnerung zu tilgen. Bemerkenswert ist, daß der Artikel nicht im NPDParteiorgan erschien, sondern im Blatt des DLVH-Funktionärs Manfred Rouhs. Ausblick Der Führungswechsel an der NPD-Spitze hat den Richtungsstreit über den Umgang mit dem Thema Revisionismus offen zutage treten lassen. Die knappe Mehrheit für den neuen Bundesvorsitzenden Voigt zeigt, daß sich in der NPD zwei nahezu gleich starke Flügel gegenüberstehen. Wenn sich Voigt behauptet, dürfte die revisionistische Agitation der NPD etwas zurückgenommen werden. Außerdem scheint bei ihm die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten größer zu sein. 2.1.9 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) Die 1987 gegründete Studentenorganisation der NPD ist bedeutungslos geworden. Ausgaben der NHB-Schrift "Vorderste Front", auf deren Herausgabe sich die NHB-Aktivitäten zuletzt beschränkten, wurden 1995 nicht bekannt. Mitglieder des NHB sind in NRW ebenfalls nicht bekannt. 2.1.10 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) 65 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Faktisch ist die NSDAP/AO ein Propagandavertrieb in den USA, der die deutsche Neonazi-Szene beliefert, ohne jedoch selbst eine deutsche politische Gruppierung zu sein. Politische Ziele Die NSDAP/AO will eine aus den USA gesteuerte "Untergrundorganisation im heutigen Deutschland" sein, die ihre Gesinnungsgenossen "im besetzten Deutschland" durch nationalsozialistische Schriften, entsprechende Tonträger und durch andere Propagandamittel in ihrem "schweren Kampf um ein nationalsozialistisches Deutschland" unterstützt und anleitet. Das Ziel ihrer politischen Aktivitäten definiert der Organisationsleiter und Gründer der NSDAP/AO, der amerikanische Staatsbürger Gary Rex Lauck, wie folgt: "Die NSDAP/AO erstrebt die Zulassung der NSDAP als eine wahlberechtigte Partei in Deutschland. Endziel unseres Strebens ist die Schaffung eines nationalsozialistischen Staates in einem freien, souveränen und neuvereinigten großdeutschen Reich und die Errichtung einer neuen Ordnung auf einer rassischen Grundlage in der ganzen arischen Welt." Organisation Das von Lauck propagierte "Zellensystem" konnte er in der Praxis nie realisieren. Nach heutigem Kenntnisstand beziehen einzelne Personen der NS-Szene zwar unter konspirativen Umständen das Propagandamaterial von Lauck, um es in ihrem Umfeld zu verteilen. Die Materialbestellungen und -lieferungen erfolgen jeweils mit fiktiver oder ohne Absenderangabe mit der Post. Es gelingt gelegentlich, derartige Sendungen abzufangen. Die NSDAP/AO hat in Deutschland keine politische Organisationsstruktur aufbauen können. Lauck hat keinen erkennbaren Einfluß auf die Tätigkeit seiner Gesinnungsgenossen in Deutschland. Lauck versorgt insbesondere die deutsche Neonazi-Szene mit von ihm hergestelltem NS-Propagandamaterial. Bei dem in den USA straf frei hergestellten Material handelt es sich im wesentlichen um die bis zur Ausgabe Juli/August 1995 zweimonatlich erschienene Schrift "NS-Kampfruf" sowie um Hakenkreuzaufkleber mit volksverhetzenden und zum Rassenhaß aufrufenden Parolen. Das von Lauck gelieferte Propagandamaterial wird von ihm gerne genutzt. Während die sogenannten "Spuckis" bei gelegentlichen Klebeaktionen durch ihre eindeutig nationalsozialistischen Embleme und Forderungen den Normalbürger schockieren sollen, dient die Schrift "NS-Kampfruf" mehr der internen ideologischen Agitation. Letztendlich dient dieses Propagandamaterial den deutschen Neonazi-Gruppen als Ergänzung ihrer eigenen Aktivitäten. NS-Kampfruf In der letzten Ausgabe von Juli/August 1995 des "NS-Kampfrufes" wird ganz offen zu einem Anschlag auf den Generalbundesanwalt Kay Nehm aufgerufen. Unter seinem Foto steht: "Kay Nehm (54), Generalbundesanwalt: Verantwortlich für die jetzige Terrorwelle gegen die Untergrundkämpfer im Reichsgebiet. Eines Tages werden diese Polit66 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 bonzen ihrer absolut notwendigen Beseitigung hinzugeführt werden! FÜR DAS SYSTEM KEINEN MILLIMETER BODEN, SONDERN NEUN MM." Über die Aufforderung wurde in der deutschen Presse breit berichtet. In rechtsextremistischen Kreisen fand sie keine Resonanz. Diese bisher letzte Ausgabe war die 2. Ausgabe nach Lauck's Verhaftung im März 1995. Auch die NSDAP/AO publiziert inzwischen im Internet. Der Propaganda-Apparat der NSDAP/AO funktioniert auch ohne Lauck weiter. Lauck in Haft Lauck wurde am 20. März 1995 auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Hamburg in Dänemark festgenommen und am 05. September 1995 an die Bundesrepublik ausgeliefert. Erstmalig wurde ein Neonazi von der dänischen Regierung zur Strafverfolgung ausgeliefert. Damit zeichnet sich eine veränderte Gangart gegenüber Neonazis aus dem Ausland ab, die die Meinungsfreiheit in Dänemark propagandistisch mißbrauchen. NSDAP/ AO-Chef Lauck in Hitler-Pose 2.1.11 Neonazismus 67 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Die Neonazis knüpfen mit ihren politischen Vorstellungen an Weltanschauung, Programm und Machtanspruch des Nationalsozialismus an. Sie sind stark zersplittert und tief getroffen durch staatliche Maßnahmen (Versammlungsverbote, Organisationsverbote, Strafurteile gegen Neonazi-Führer). Faktisch ist die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen unwichtig geworden und die staatlichen Verbote haben die traditionelle Zersplitterung überwunden. Verbotene Organisationen Seit Ende 1992 verbot das Bundesministerium des Innern folgende NeonaziOrganisationen: * "Nationalistische Front" (NF), * "Deutsche Alternative" (DA), * "Nationale Offensive" (NO), * "Wiking Jugend" (WJ), * "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) im Februar 1995; die Innenminister und -senatoren der Länder verboten im Rahmen ihrer regionalen Zuständigkeit: * "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" (FFD), * "Nationale Liste" (NL) , * "Deutscher Kameradschaftsbund Wilhelmshaven" (DKB), * "Nationaler Block" (NB), * "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD), * "Direkte Aktion/Mitteldeutschland". Diese Organisationsverbote und die Verbote angemeldeter öffentlicher Versammlungen haben die Szene verunsichert. Die Verurteilungen einiger Führungspersönlichkeiten der Szene zu empfindlichen Freiheitsstrafen haben abgeschreckt und vielfach Resignation ausgelöst. Neue Strategieversuche der Neonazis Einige wenige Führungskader haben das Ziel, eine bundesweite "rechte autonome" Szene, ähnlich der "linken autonomen" Szene zu schaffen. Andere Strukturüberlegungen, die bei aller "Autonomie" doch noch eine straffe Hierarchie von einem "Ältestenrat" als "Elite der nationalen Bewegung" über den "Rat der anerkannten Führer" auf Regionalebene bis zur Basis garantieren sollte, blieben Makulatur. Voraussetzung für eine effektive Zusammenarbeit ohne ein organisatorisches Gerüst sind moderne Kommunikationsmittel wie Infotelefone, Mobiltelefone, CBFunkgeräte, Mailboxen. Diese Vernetzung durch Kommunikationsmittel des jeweils neuesten technischen Standes nimmt zu, wie die Vorbereitung und Durchführung der "Rudolf-Heß-Aktionswoche" vom 12. bis 20. August 1995 zeigte. Aktionsbündnisse 68 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Öffentlichkeitswirksame Aktionen der Szene fanden 1995 an läßlich der "RudolfHeß-Aktionswoche 1995" und der jährlichen "Ijzerbedevaart" am 26./27. August 1995 in Diksmuide/Belgien statt. In Sittard/Niederlande kam es am 14. Oktober 1995 zu einer unangemeldeten Demonstration deutscher und niederländischer Neonazis, die sich gegen die Verhaftung und Auslieferung des Leiters der NSDAP/AO, Lauck, richtete. An dieser Demonstration, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurde, beteiligten sich ca. 40 Neonazis, darunter der ehemalige nordrhein-westfälische FAP Landesvorsitzende Siegfried Borchardt. Heß-Aktionen 1995 Den Abschluß und Höhepunkt der "HeßAktionswoche" bildeten zwei Aufmärsche von Neonazis, jeweils am 19. August 1995, in Schneverdingen (Niedersachsen) und in Roskilde (Dänemark). In Schneverdingen versammelten sich ca. 250 Teilnehmer der rechten Szene auf dem dortigen Friedhof. Von dort aus marschierten sie durch den Ort. Der Aufmarsch war maßgeblich organisiert von dem ehemaligen niedersächsischen Landesvorsitzenden der verbotenen FAP. In Roskilde/Dänemark führten ca. 150 Neonazis aus mehreren Staaten, darunter 20 - 25 aus Deutschland, unter ihnen Christian Worch, ehemaliger Funktionär der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) und Friedhelm Busse, ehemaliger Bundesvorsitzender der FAP, einen Gedenkmarsch durch. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit etwa 400 Gegendemonstranten schritt die dänische Polizei ein und löste die Demonstration auf. 69 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Neonazi-Schrift "Freie-Stimme"(Nr.4/95, S.17) fordert zur Zusammenarbeit mit schwedischen Rechtsextremsten auf. Die "Heß-Aktionswoche" hat gezeigt, daß die Neonazi-Szene trotz genereller Verbote ihrer angemeldeten Aktionen in der Lage ist, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. "Ijzerbedevaart" am 26./27. August 1995 in Diksmuide/Belgien Die seit 1927 im belgischen Diksmuide zum Gedenken an die gefallenen Flamen des Ersten Weltkrieges durchgeführte "Ijzerbedevaart" war auch 1995 Anlaß für ein Treffen zahlreicher Rechtsextremisten aus Belgien, den Niederlanden, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland. Zu einem sogenannten internationalen Kameradschaftstreffen am 26. August in Diksmuide fanden sich ca. 500 Rechtsextremisten, vorwiegend Skinheads, ein. Die deutschen Teilnehmer, unter ihnen u.a. der ehemalige Bundesvorsitzende der FAP, Friedhelm Busse, sein Stellvertre70 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 ter und ehemalige Landesvorsitzende NRW, Siegfried Borchardt, der damalige Bundesvorsitzende der NPD, Günter Deckert, sowie der Bundesvorsitzende der JN, Holger Apfel, bildeten mit weiteren rund 250 Personen das größte Kontingent. Während dieses Treffens skandierten alkoholisierte Teilnehmer wiederholt "Sieg Heil", "Ausländer raus" und zeigten den "Hitler-Gruß". Die belgischen Einsatzkräfte griffen ein und nahmen einige Personen fest. Daraufhin kam es zu heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, die bis in die späten Abendstunden anhielten. Rund 150 festgenommene deutsche Rechtsextremisten wurden am 27. August am Grenzübergang Aachen-Lichtenbusch nach Deutschland abgeschoben. Die eigentliche Gedenkveranstaltung am 27. August, an der ca. 15.000 Personen teilnahmen, verlief ohne Zwischenfälle. Anti-Antifa (Tendenz neuer "Einblick"?) Als Reaktion auf die sich im Jahr 1992 häufenden tätlichen Angriffe autonomer Linker auf Personen der rechtsextremistischen Szene rief der Hamburger Neonazi und ehemalige Funktionär der verbotenen "Nationale Liste" (NL), Christian Worch, im Frühjahr 1992 die "Anti-Antifa" ins Leben. Hierbei handelt es sich nicht um eine rechtsextremistische Organisation sondern um eine politische Strategie für Maßnahmen von Neonazis gegen ihre politischen Gegner. Worch verfolgt mit der "AntiAntifa" medienwirksame " Aufklärungsarbeit" über den politischen Gegner. (Nähere Angaben siehe Verfassungsschutzbericht NRW 1993, S. 17 und 1994, S. 53). Bisher bedeutendste Aktion der "Anti-Antifa" war die Herausgabe der Publikation "Der Einblick" zur Jahreswende 1993/1994. Darin wurden die Namen von 151 Personen und zahlreiche Informationen zu Objekten abgedruckt. Die Schrift rief zu Aktionen gegen "roten Terror" auf und drohte den genannten Personen unruhige Nächte an. Das Amtsgericht Groß-Gerau (Hessen) verurteilte die beiden verantwortlichen Herausgeber der Schrift am 31. Januar 1995 zu Freiheitsstrafen von einem Jahr mit Bewährung und 4.000 DM Geldstrafe bzw. zwei Jahren ohne Bewährung. Die Sammlung persönlicher Daten wird örtlich und überörtlich fortgesetzt. Die I- dee, zu gegebener Zeit eine neue Publikation wie den Einblick herauszugeben, kursiert in der Szene. Neonazi Peter Naumann Am 15. August 1995 übergab der militante Neonazi Peter Naumann Beamten des Bundeskriminalamtes und "Panorama"-Redakteuren ein Sturmgewehr, diverse Handgranaten jugoslawischer Herkunft, 2,5 kg Schwarzpulver, Blendgranaten, eine selbsthergestellte Sprengvorrichtung sowie mehrere Zündmittel. In weiteren von Naumann geöffneten Depots in Hessen und Niedersachsen wurden bis zum 18. August 1995 über 50 kg Sprengstoff, eine Pistole, erhebliche Mengen Munition sowie diverse Sprengzünder sicher gestellt. Naumann will die jetzt übergebenen Depots nach eigenen Angaben vor Jahren ohne Wissen anderer Personen angelegt haben. Naumann war am 14. Oktober 1988 vom OLG Frankfurt/Main zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Er hatte 1978 einen Sprengstoffanschlag auf eine antifaschistische Gedenkstätte in Rom sowie Sprengstoffanschläge auf Sendeeinrichtungen in Deutschland im Zusammenhang mit der 71 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" begangen und 1982 versucht, eine rechtsterroristische Vereinigung zu gründen. Naumann verbreitete seit Anfang September 1995 eine "Erklärung der kämpferischen Gewaltfreiheit". Kern dieser Erklärung ist sein Appell an die Sicherheitsbehörden, "mit den Parteiund Organisationsverboten" aufzuhören; ergänzend führt er aus "sie nehmen den volksund heimatverbundenen Menschen sonst die letzten legalen Betätigungsmöglichkeiten. Treiben Sie junge Menschen nicht weiter in die politisch Ausweglosigkeit!" Darüber hinaus wendet sich der Aufruf an die "volkstreuen und heimatverbundenen Kameraden" mit den Aufrufen "Laßt Euch nicht provozieren", "Vorwärts zu einer neuen Offensive der kämpferischen Gewaltfreiheit!" In diesen Zusammenhang stellt er die Bekanntgabe seiner Waffenund Sprengstoffdepots, die er nicht als "wertloses Lippenbekenntnis" sondern als "Zeichen der Bereitschaft zum Verzicht auf Gewaltanwendung im politischen Kampf" gewertet wissen will. Die Generalbundesanwaltschaft hat gegen Naumann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB und des Verstoßes gegen das Waffenbzw. Sprengstoffgesetz eingeleitet. Aktion wie Erklärung sind aber in der Szene kaum zur Kenntnis genommen oder gar verstanden worden. Das liegt mit daran, daß Naumann in die Szene nicht fest integriert war, weder als Führernoch als Identifikationsfigur. Mit einer kommentierenden Stellungnahme schloß sich Meinolf Schönborn, ehemaliger Vorsitzender der verbotenen "Nationalistischen Front" (NF), der Erklärung Naumanns an. Diese Erklärung war im wesentlichen von taktischen Überlegungen Schönborns bestimmt, der sich eine günstigere Ausgangslage für seinen Strafprozeß erhoffte. Diese Rechnung ging allerdings nicht auf. Eine dauerhafte politische Zusammenarbeit zwischen Schönborn und Naumann hat sich nicht ergeben. 2.1.11.1 Junge Nationaldemokraten (JN) Gründung: 1969 Sitz NRW: Bochum-Wattenscheid Bund: Bochum-Wattenscheid Vorsitzende NRW: Achim Ezer Bund: Holger Apfel Mitglieder NRW: 1995: ca. 1994: 40 ca. 40 Bund: 1995: ca. 150 1994: ca. 150 Publikationen: Einheit und Kampf - Die systemalternative Zeitschrift; erscheint zweimonatlich; Auflage 4.000 Der Aktivist - Nationalistisches Infoblatt des JN-Bundesvorstandes; erscheint un72 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 regelmäßig; Auflage 1.000 Junge Deutsche Stimme als Beilage zur NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" Die NPD-Jugendorganisation JN ist mit rund 150 Mitgliedern der derzeit größte und aktivste Zusammenschluß jüngerer Rechtsextremisten. Sie entwickelt sich zunehmend zu einer Nahtstellenorganisation zwischen NPD, Neonazis und anderen rechtsextremistischen Partei en. Die JN betreiben in NRW die Nationalen Infotelefone (NIT) Rheinland und Westfalen. Anschlußinhaber sind ehemalige Aktivisten der verbotenen FAP. Selbstdarstellung und politische Ziele In der "Jungen Deutschen Stimme" vom 6. Juni 1995 stellen sich die JN folgendermaßen selbst dar: "Wir sind die Jugend für Deutschland Die Jungen Nationaldemokraten verstehen sich als eine weltanschaulichgeschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung und strenger innerorganisationeller Disziplin , deren Aktivisten hohe Einsatzund Opferbereitschaft abverlangt wird. Wir bewegen uns dementsprechend nicht im Schattendasein der NPD, sondern entwickeln vielmehr als revolutionäre Bewegung für junge Nationalisten zwischen 14 und 35 Jahren autonome konzeptionelle Vorstellungen ... Nur wenn der Mehrheit der Jugend bewußt wird, daß es eine Alternative zum herrschenden System gibt, können politische Veränderungen in der Zukunft Realität werden. Diese Realität zu schaffen, ist Aufgabe und Ziel unserer Mitglieder und unserer Freundeskreise. ... Unser Ziel ist es, so viele Widerstandszellen wie möglich zu bilden. Aber nicht um jeden Preis! Bei der Auswahl neuer Kameradinnen und Kameraden sind unsere Basisgruppen angewiesen, strenge Maßstäbe anzulegen. ... Unabdingbare Voraussetzung für unsere Ziele ist eine fest geschlossene, homogene Jugendbewegung, in der Spießbürgertum und Standesdünkel nichts zu suchen haben. Vielmehr versuchen wir, mit den uns gegebenen Möglichkeiten die Voraussetzungen für eine intensive Kameradschaft zu schaffen. Unser Trend geht zum gemeinschaftlichen Miteinander - wir sind die Keimzelle der Volksgemeinschaft aller Deutscher. Wir sind das neue Deutschland." Unverkennbar ist die neue Richtung der JN, nämlich aus dem "Schattendasein der NPD" herauszutreten und sich in Sprache und Struktur dem Neonazismus immer weiter anzunähern. Zur Realisierung des Vorsatzes, "bei der Auswahl neuer Kameradinnen und Kameraden strenge Maßstäbe anzulegen", liegen Erkenntnisse vor, daß mittlerweile etliche frühere WJund FAP-Mitglieder Anschluß an die JN gefunden haben. Ereignisse 1995 73 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Am 2. und 3. September 1995 veranstalteten die JN im NPD/JNSchulungszentrum in Klötze (Sachsen-Anhalt) ihren Bundeskongreß. An der Tagung, die unter dem Motto "Soziale Gerechtigkeit durch soziale Tatgemeinschaft" stand, nahmen ca. 90 Personen teil. Neuwahlen fanden nicht statt. Der JNVorsitzende Holger Apfel berichtete über eine positive Mitgliederentwicklung und machte deutlich, daß es gelungen sei, wieder "den Kristallisationskern des jungen nationalen Aufbruchs" darzustellen. Hauptredner der Veranstaltung war Dr. Reinhold Oberlercher, einer der radikalsten Vordenker der deutschen rechtsextremistischen Szene. Ihren Landeskongreß veranstalteten die nordrhein-westfälischen JN am 14. Oktober 1995 in Dortmund. An der Veranstaltung nahmen ca. 70 Personen teil, davon ca. 20 JN-Mitglieder; die übrigen Teilnehmer waren Sympathisanten im Alter von etwa 18-20 Jahren. Achim Ezer wurde in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt. Am 26. November 1995 führten die JN eine Heldengedenkfeier mit Kranzniederlegung an einer Kriegergedenkstätte in Burg bei Solingen durch. An der Veranstaltung nahmen ca. 6o Personen teil. Neben JNund NPD-Mitgliedern waren auch Anhänger anderer rechtsextremistischer Gruppierungen und viele junge Skinheads anwesend. Zu Zwischenfällen kam es nicht. Den 2. Europäischen Kongreß der Jugend unter dem Motto "Nie wieder Imperialismus!-Nie wieder Krieg!Europäischer Nationalismus bis zum Sieg!" führten die JN am 16. Dezember 1995 in Gerach (Kreis Bamberg) durch. An der Veranstaltung nahmen ca. 250 Personen im Alter zwischen etwa 17 und 25 Jahren aus Deutschland, Österreich, Irland, Kroatien, Griechenland, Großbritannien, Spanien und Rumänien teil. Der JN-Bundesvor sitzende erklärte den Imperialismus, Kapitalismus, Liberalismus und Kommunismus zu den Hauptfeinden der Nationalisten, die unter dem Deckmantel der Demokratie ihr falsches Spiel betrieben. In dem Einladungsschreiben der JN zum Europakongreß der Jugend heißt es u.a. "als zukunftsgewandte deutsche Nationalisten achten wir die Eigenständigkeit, Vielfalt und Souveränität aller Völker. Für die Weltherrschaftsbestrebungen imperialer Großmächte, falsche Ideologien, Wirtschaftsimperialismus multinationaler Konzerne, kleinkarierte Chauvinisten und den liberalistischen Einheitsbrei einer multikulturellen Gesellschaft bleibt da kein Platz. Wir leben in dem Bewußtsein, daß gerade heute nur im gemeinsamen Kampf aller nationalistischen Gruppen in ganz Europa und der Solidarität der Völker die Auseinandersetzung mit den imperialistischen Kräften des MaastrichtEuropas aufgenommen werden kann, um die Zentralisierung Europas zu einem multikulturellen Vielvölkerstaat wirklich effektiv zu verhindern." 74 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Publikation "Einheit und Kampf" Die bisher als Mitteilungsblatt der JN herausgegebene Publikation "Einheit und Kampf" folgt der Wandlung von der reinen Jugendorganisation der NPD zu einer Neonazi-Organisation. Die Zeitschrift läßt mittlerweile eine neonazistische Tendenz erkennen. Zur neuen vierköpfigen Redaktion gehören ein ehemaliger Funktionär der verbotenen FAP sowie ein früherer Funktionär der ebenfalls verbotenen NF, der JN-Pressesprecher und der JN-Bundesvorsitzende Holger Apfel. Die "systemalternative Zeitschrift" - so der Untertitel - erscheint im NIZ-Verlag (= Nationales Informations Zentrum) des Jan Zobel. In der "Einleitung" auf Seite 2 der Ausgabe Nr. 14 heißt es u.a.: "Gerade in Zeiten staatlicher Progromstimmung wird es zwingend notwendig sein, in der Zukunft in noch verstärkte rem Maße politische Kaderarbeit zu leisten und einen Kader überzeugter Aktivisten auf zubauen, der sich fundamental dem etablierten System entgegenstellt und eine Systemalternative auf zeigt. Für alle im nationalen Widerstand befindlichen Aktivisten gilt es, daß Leitbild des politischen Soldaten zu verkörpern. Des politischen Soldaten, der von seinen Idealen angetrieben wird, unzweideutig handelt, wenn es gilt, unseren gemeinsamen Auftrag zu verteidigen." (Fehler übernommen) . Ausblick 1996 Die eigenständige Entwicklung der JN wird sich 1996 fortsetzen. Neben neonazistischen Tendenzen wird insbesondere zu verfolgen sein, ob Themen der "Neuen Rechten" auch von den JN verstärkt aufgegriffen werden. 2.1.11.2 Sauerländer Aktionsfront (SAF) 75 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Gründung: 1991 Schwerpunkte: Hochsauerlandkreis, Kreis Siegen, Kreis Olpe Anhänger: ca. 60 Publikation: Freie Stimme Die Entstehung der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) geht auf das Jahr 1991 zurück, als in den Bereichen Winterberg, Korbach, Frankenberg und Meschede drei Skinheadgruppen existierten. Sie zeigten das damals bei Skinheads typische äußere Erscheinungsbild. Die Organisation eines Skinhead-Konzerts 1991 markiert den Beginn der SAF als einer politischen Gruppierung. Durch das Konzert war die SAF in Skinheadkreisen weiter bekannt geworden. In der Folgezeit fanden politische Stammtische statt. Im Vordergrund standen Ausländerund Asylpolitik und Ansichten über das Dritte Reich. Gewalt sah man all gemein nicht als geeignetes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele an. Die ursprüngliche Skinheadgruppe hatte sich zu einem losen Zusammenschluß von Rechtsextremisten mit neonazistischem Kern entwickelt. Organisationsstrukturen im vereinsoder parteirechtlichen Sinn bestanden nicht. Neben der Bezeichnung "Sauerländer Aktionsfront" entstand 1992 der Begriff "Nationale Jugend" (NJ). Heute ist der Kreis von ca. 60 Aktivisten der SAF zum Teil personengleich mit ehemaligen Angehörigen der verbotenen FAP aus dem Hochsauerlandkreis/Raum Siegen. 1994 wurde die Bezeichnung "Nationale Jugend" (NJ) durch die Bezeichnung Nationalistische-Autonomie-Basis (NAB) ersetzt. Seit Ende Dezember 1995 versuchen SAF-Aktivisten, durch die Verbreitung von Flugschriften mit der Absenderangabe "Unabhängige Freiheitliche Vereinigung" (UFK) ihre rechtsextremistische Agitation fortzusetzen. Die Änderungen der Bezeichnungen sollen dazu dienen, die Sicherheitsbehörden zu verwirren. Aktivitäten und Ereignisse 1995 Anläßlich des dritten Todestages des SAF-Gründers (1992 tödlich verunglückt) fand am 5. August 1995 in Willingen-Usseln eine Gedenkveranstaltung statt, an der etwa 80 Personen des rechtsextremistischen Spektrums - überwiegend aus NordrheinWestfalen - teilnahmen, darunter Angehörige der SAF, der verbotenen FAP, der verbotenen "Nationale Liste" (NL) und der verbotenen "Deutsche Alternative" (DA). Bei einem von der SAF veranstalteten Skinhead-Konzert am 27. Mai 1995 in Meschede mit etwa 80 Teilnehmern kam es nach Konzertende durch Skinheads zu Körperverletzungen zum Nachteil von fünf deutschen Jugendlichen. Weitere Auseinandersetzungen wurden von der Polizei unterbunden. Aktivisten der SAF nahmen auch 1995 an überörtlichen rechtsextremistischen Veranstaltungen, auch im Ausland, teil. Exekutivmaßnahmen gegen die SAF Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens hat die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen zwei Beschuldigte Anklage wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Sachbe76 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 schädigung erhoben. Soweit nicht die Ermittlungen aus Rechtsgründen oder deshalb eingestellt werden mußten, weil Täter nicht ermittelt werden konnten, hat sie gesonderte Ermittlungsverfahren eingeleitet und diese an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Den Nachweis der Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte die Staatsanwaltschaft nicht führen, da die hierzu erforderliche Organisationsstruktur einer Vereinigung nicht festgestellt werden konnte. SAF-Aktivisten geben die Schrift "Freie Stimme" heraus Die Schrift "Freie Stimme" wurde erstmalig im Herbst 1994 im Raum Siegen bekannt. Bislang sind sieben Ausgaben erschienen. Gegen die Inhaber der Postfächer der Redaktion und den Herausgeberkreis der Schrift sind bei den Staatsanwaltschaften Arnsberg und Siegen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung (SS 130 StGB) u. a. Straftatbestände anhängig. Die derzeitige Auflagenhöhe der Schrift "Freie Stimme" liegt bei etwa 2.000 Exemplaren. Die Finanzierung der nicht sehr aufwendig erstellten Schrift erfolgt ü- berwiegend durch Verkaufserlös (1 Einzelexemplar = 3 DM), aber auch durch Spenden. Bezieher der Schrift sind u. a. auch neonazistische Funktionäre im gesamten Bundesgebiet, die ihre Gruppierungen durch größere Bestellungen versorgen. Seit Herbst 1995 werden auch Flugschriften mit der Kontaktadresse "Freie Stimme" verbreitet. 77 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 2.1.11.3 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Gründung: 1979 Sitz: Frankfurt/Main Vorsitzende: Ursula Müller, Mainz Mitglieder NRW: 1995: ca. 70 1994: ca. 80 Bund: 1995: ca. 300 1994: ca. 350 Publikation: "Nachrichten der HNG"; erscheint monatlich; Auflage ca. 400 Nach dem Verbot neonazistischer Organisationen stellt die HNG ein letztes "legales Sammelbecken" der bundesdeutschen Neonaziszene dar und ist mit ihren ca. 300 Mitgliedern die personenmäßig stärkste Organisation dieser Szene. Ziel der HNG ist laut Satzung die materielle und ideelle Betreuung inhaftierter Gesinnungsgenossinnen/en. Unter Führung der NS-Aktivistin Ursula Müller aus Mainz betreut die HNG "nationale politische Gefangene" im Inund Ausland. In den "Nachrichten der HNG" werden in jeder Ausgabe eine Gefangenenliste, Briefe inhaftierter Gefangener und Namen der Gefangenen veröffentlicht, die Briefkontakte mit ihren Gesinnungsgenossen in Freiheit wünschen. Darüber hinaus informiert die Schrift über bundesweite Aktionen der rechtsextremistischen Szene, wie z.B. über den jährlichen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch", über die die Szene interessierende Gerichtsverhandlungen und veröffentlicht Artikel führender Aktivisten der rechtsextremistischen/neonazistischen Szene. In der Ausgabe Juni 1995 denunzierte man eine Bundestagsabgeordnete der PDS. Neben einem Foto wurden alle persönlichen Daten der Abgeordneten einschließlich ihrer Telefon-Nr. aus dem Bundeshaus genannt. Die Leser der Schrift wurden u.a. aufgefordert, 78 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 "dieser Volksvertreterin klarzumachen, daß auch nationalgesinnte Menschen ein Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Betätigung haben". Die Leser wurden aufgefordert, der Redaktion weitere "sogen. Antifaschisten" zu benennen oder sie öffentlich zu machen. An der Jahreshauptversammlung 1995 der HNG in Leun-Bissenburg (Hessen) nahmen ca. 150 Personen, überwiegend aus dem Umfeld verbotener Organisationen, teil. 2.1.11.4 Deutsche Nationalisten (DN) Gründung NRW: Auch 1995 keine Gründung in NRW Bund: Juli 1993 Sitz Bund: Mainz Vorsitzender: Michael Petri Mitglieder Bund: 1995: ca. 70 1994: ca. 100 Die DN ist eine der Kleinstgruppen, in die die Neonaziszene in der Bundesrepublik Deutschland aufgesplittert ist. Sie verfügte Anfang 1995 über Landesverbände in Bayern, Berlin, Hessen und Thüringen. In NRW rechnen sich einige Neonazis den DN zu, ein Landes verband wurde aber auch 1995 nicht gegründet. Der DNBundesvorsitzende, Michael Petri, war zuvor Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der im Dezember 1992 verbotenen "Deutschen Alternative" (DA). Seit dem 29. September 1995 findet vor dem Landgericht Koblenz ein Prozeß gegen Petri u.a. wegen Fortführung der 1992 verbotenen Vereinigung "Deutsche Alternative" (DA) statt. Sollte es in diesem Verfahren zu einer Verurteilung i.S. der Anklage kommen, wäre die DN als Nachfolgeorganisation der DA ebenfalls verboten. 2.1.11.5 Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) Die GdNF war bis zum Tod des damaligen Neonazi-Führers Michael Kühnen am 25. April 1991 ein Sammelbecken seiner Anhängerschaft. Danach handelte es sich um ein anonymes Redaktionskollektiv, das aus den Niederlanden die unregelmäßig erscheinende Schrift "Die Neue Front" vertrieb, von der 1995 keine Ausgabe festgestellt werden konnte. Der führende deutsche Neonazi Christian Worch aus Hamburg wurde vom Landgericht Frankfurt a.M. am 30. November 1994 zu 2 Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wegen Fortführung der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA). Das erkennende Gericht sah die "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF), in der Worch eine führende Stellung hatte, als Nachfolgeorganisation der ANS/NA an. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Worch trat Anfang 1996 seine Haft an. 2.1.11.6 "Heimatschutzkorps der Waffen SS in OWL" (HSK/OWL) 79 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Bei einer Durchsuchungsaktion gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe "Heimatschutzkorps der Waffen SS in OWL" (HSK/OWL) am 28. September 1995 an insgesamt 12 Wohnorten im Regierungsbezirk Detmold und in Wittenberg/Sachsen-Anhalt wurde umfangreiches Material, darunter mehrere Langund Kurzwaffen, Übungshandgranaten sowie komplette Uniformausrüstungen sichergestellt. Der Polizeiaktion waren umfangreiche Ermittlungen vorausgegangen. Der Polizei lag u.a. ein Videofilm über wehrsportähnliche Übungen im Jahr 1993 vor. Ihre Aktivitäten waren bereits vor der Polizeiaktion eingestellt worden; die Mitglieder waren seit langem bekannt. Hitlergruß bei Bei Wehrsportübungen mit Waffen 2.1.11.7 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) - verboten - Gründung: 1979; verboten durch Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 22. Februar 1995 Sitz: NRW zuletzt: Bonn Bund zuletzt: München (Wohnsitz des ehemaligen Bundesvorsitzenden) Bundesgeschäftsstelle: zuletzt Berlin Vorsitzende NRW zuletzt: Siegfried Borchardt Bundzuletzt: Friedhelm Busse Mitglieder zuletzt 1994 NRW: 160 Bund: 430 Publikation zuletzt: Standarte; eingestellt im Januar 1995 Die FAP wurde mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 22. Februar 1995 nach dem Vereinsgesetz verboten. Die Verbotsverfügung ist rechtskräftig. 80 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Zu einer letzten öffentlichkeitswirksamen Aktion vor dem Verbot der FAP kam es am 28. Januar 1995 in Herdorf/Rheinland-Pfalz, wo sich ca. 110 Personen, überwiegend Aktivisten aus NRW, zu einer Vortragsveranstaltung trafen, die vorzeitig von der Polizei aufgelöst wurde. Fortsetzungsaktivitäten Es konnten bis heute weder zahlenmäßig relevante Übertritte von ehemaligen FAP-Mitgliedern in die NPD - wie vom ehemaligen Bundesvorsitzenden Friedhelm Busse für den Verbotsfall propagiert - noch die Bildung von autonomen Strukturen - wie vom ehemaligen Landesgeschäftsführer NRW favorisiert - festgestellt werden. Zwar treffen sich ehemalige Funktionäre, Mitglieder und Sympathisanten der e- hemaligen aktiven Kreisverbände in Essen, Duisburg und Köln, doch irgendwelche zielgerichteten politischen Aktivitäten fanden nicht statt. Einzelne bisherige Funktionäre haben sich zu rückgezogen und neue "Führungspersönlichkeiten" sind nicht erkennbar. Dennoch ist der verbliebene kleine Personenkreis von NeonaziAktivisten jederzeit mobilisierbar für Aktionen. Dabei bedarf es auch keines politischen Hintergrundes, Hauptsache es "passiert etwas". So haben FAP-Aktivisten - auch bisherige FAP-Führer - an überregionalen Veranstaltungen teilgenommen, wie z.B. an der Sommersonnenwendfeier der "Danmarks Nationalsocialistiske Bevaegelse" (DNSB) am 1. Juli 1995 in Kopenhagen, den "Rudolf-Heß-Treffen" am 19. August 1995 in Roskilde/Dänemark sowie in Schneverdingen/Niedersachsen, an der all jährlich im belgischen Diksmuide stattfindenden "Ijzerbedevaart" am 26. August 1995 sowie an einer von niederländischen Neonazis am 14. Oktober 1995 in Sittard/Niederlande organisierten Demonstration gegen die Verhaftung und Auslieferung des Leiters der NSDAP/AO, Lauck. 2.1.11.8 Nationalistische Front (NF) - verboten - Die neonazistische NF um Meinolf Schönborn ist heute faktisch nicht mehr existent. Zwar hat Schönborn seit dem Verbot vom 26. November 1992 immer wieder durch vollmundige Veröffentlichungen in unregelmäßig erscheinenden "Berichten zur Lage" politische Konzepte und die Fortsetzung seines politischen Kampfes propagiert. Tatsächlich handelt es sich bei dem Personenkreis, der sich in dem Objekt Detmold-Pivitsheide aufhält, nur noch um eine kleine Gruppe von ca. fünf bis zehn Personen. Die Aktivitäten in und um dieses Objekt ließen 1995 stark nach, insbesondere seitdem Schönborns Versuch gescheitert war, ein Haus in Dänemark zur neuen NF-Zentrale auszubauen. Schönborn finanziell am Ende Die finanzielle Situation Schönborn's ist seit dem NF-Verbot und dem DänemarkDesaster schwierig. Die beträchtlichen finanziellen Aufwendungen für das Gebäude in Detmold-Pivitsheide muß er alleine aufbringen. Zur Kostendeckung ist er daher ständig auf der Suche nach Förderern. Der hauptsächlich für diesen Zweck gegründete Förderkreis "Junges Deutschland" dürfte aber deutlich weniger als 1.000 DM monatlich einbringen. 81 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Schönborn begann Mitte 1995 eine sog. "propagandistische" Frühjahrsoffensive "Tat". Er versandte unaufgefordert bundesweit Flugblätter mit der Bitte um weitere Verbreitung. Unter einer Postfachadresse in Arnheim/Niederlande können Interessenten für 10 DM weiteres Flugblattmaterial bestellen. Für 80 DM erhielt man das "Deutsche Grundsatzprogramm" und weiteres Propagandamaterial, wie z.B. sogenannte Lebensborn-Hefte. Die "Deutsche Grundsatzerklärung" beinhaltet im Kern abstruse politische Forderungen revisionistischen, "völkischen" und ausländerfeindlichen Inhalts. Die "Lebensborn"Heftchen-"Leitheft für Deutsche Ordnung" vermitteln unverblümt nationalsozialistisches Gedankengut. Nachfolgend wenige Beispiele aus den dort besonders hervorgehobenen "Leitgedanken": "- Die Gruppe und Gemeinschaft geht immer vor! 82 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 - Der Deutsche Geist ist zu wahren! - Ich bin stolz auf meine deutsche Abstammung! - Ich zeuge nur Kinder unserer Art! - Ich meide alles Artfremde!" Insgesamt verlief die Propagandaaktion für Schönborn unbefriedigend. Schönborn und Naumann Seine bisher letzte öffentlichkeitswirksame Aktion startete Schönborn mit seiner Stellungnahme zur "Erklärung der kämpferischen Gewaltfreiheit" von Peter Naumann vom 14. August 1995. Die Neonazis müßten "dem Versuch, uns zur Unzeit zu einem Kampf zu provozieren, der von Anfang an darauf angelegt ist, daß wir ihn verlieren!" entgegensteuern. Diese Stellungnahme war im wesentlichen von taktischen Überlegungen Schönborn's bestimmt, der sich eine günstigere Ausgangslage für seinen Strafprozeß erhoffte. Schönborn zur Haft verurteilt Schönborn und zwei weitere Neonazis mußten sich seit dem 7. September 1995 vor dem Landgericht Dortmund u.a. wegen des Vorwurfs, die verbotene NF fortgeführt zu haben, verantworten. Am 8. November 1995 verurteilte das Landgericht Dortmund Schönborn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Zwei weitere Angeklagte erhielten jeweils zehn Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Das Gericht befand die drei Neonazis für schuldig, die organisatorischen Strukturen der verbotenen NF in ihrem Kern aufrechterhalten und somit gegen SS 20 Vereinsgesetz verstoßen zu haben. Das Urteil, obwohl wegen Revision noch nicht rechtskräftig, hat vor allem bei Schönborn tiefe Resignation ausgelöst. Die Entwicklung im Jahr 1995 hat gezeigt, daß die Gruppe um Schönborn keinen bestimmenden Einfluß mehr auf die bundesdeutsche rechtsextremistische/neonazistische Szene ausübt. Mit der baldigen Auflösung des ehemaligen NF-Zentrums in DetmoldPivitsheide ist zu rechnen. 2.1.11.9 Wiking-Jugend (WJ) - verboten - Die WJ wurde am 10. November 1994 vom Bundesministerium des Innern verboten. Zu diesem Zeitpunkt war die WJ mit ca. 400 Mitgliedern die stärkste neonazistische Jugendorganisation. Das Verbot hat die damaligen WJ-Mitglieder stark verunsichert. Über den Verbleib dieses rechtsextremistischen Potentials liegen keine verläßlichen Informationen vor. Es ist nicht auszuschließen, das einige den Weg zu anderen rechtsextremistischen Gruppen gefunden haben, ohne dabei eine neue Mitgliedschaft einzugehen. Nach dem Verbot war auf Funktionärsebene eine Übernahme der Mitglieder der WJ in die JN angeregt worden. Die Mit gliederzahlen der JN oder anderer Neonazi-Gruppen haben sich aber seit dem Verbot der WJ nicht wesentlich vergrößert. Nach dem Verbot der WJ konnten keine neuen Organisationsstrukturen festgestellt werden, die darauf schließen lassen, daß die Organisation unter einem anderen Namen ihre Tätigkeiten fortgesetzt hat. 83 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 2.1.12 "Neue Rechte" 1995 haben rechtsextremistische Publikationen sich zunehmend zur "Neuen Rechten" bekannt oder sind ihr zuzurechnen: z.B. * Junge Freiheit * Staatsbriefe * Europa Vorn * Nation und Europa * Sleipnir Zum Umfeld der "Neuen Rechten" gehören noch weitere Vereinigungen und Publikationen, die an anderen Stellen in diesem Jahresbericht genannt werden: DESG, GFP und andere. Der Verfassungsschutzbericht NRW 1994, Seite 112 ff, führte in das Phänomen "Neue Rechte" ein, nannte die wesentlichen Elemente, die insbesondere im Gedankengut der Konservativen Revolution wurzeln und beschrieb die Strategie, zunächst metapolitisch die kulturelle Hegemonie zu erringen. Die politische und die soziologische Wissenschaft beschäftigt sich mit einer "Grauund Braunzone" (Sarkowicz) zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus, versucht sich auch mit Definitionen wie "Brückenspektrum" (Pfahl-Traughber) oder "Scharnier" (Gessenharter), um eine Entwicklung zu beschreiben, in deren Verlauf eine Gruppe überwiegend junger Intellektueller, oft gerade dem studentischen Leben entwachsen, Schritt für Schritt versucht, verstaubte, antidemokratische Vorstellungen von der Rolle des Menschen in einer Gesellschaft zu neuem Leben zu erwecken und dabei die Grenze zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus zu verwischen. Der Verfassungsschutz ist da gefordert, wo diese Gruppe Vorstellungen artikuliert, die den Rahmen des Grundgesetzes verlassen, Vorstellungen z.B., die sich vom Parlamentarismus lossagen und Andersdenkende verächtlich machen, die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz in Frage stellen. Im Jahr 1995 ist besonders deutlich geworden, daß dabei auf vielen Bühnen agiert wird. Das gehört zur Strategie. Strategiediskussion der "Neuen Rechten" Es wurden 1995 in Kreisen der "Neuen Rechten" aber auch strategische Überlegungen angestellt, wie eine Beteiligung an der organisierten politischen Willensbildung möglich wären. Die JF berichtet in der Ausgabe 48/95 über eine Veranstaltung, bei der einer der Mitinitiatoren des Aufrufs "8. Mai 1945 - Gegen das Vergessen" referiert habe, folgendes: "Die neue deutsche Rechte denkt langfristig und handelt strategisch ... Schwilk berichtete in diesem Zusammenhang von den bekanntesten Versuchen von konservativer Seite, den Meinungsbildungsprozeß im eigenen Sinne zu beeinflussen: dem Plan, die Tageszeitung Die Welt zu einem rechtskonservativen Blatt zu machen, der Herausgabe des Bandes 'Die selbstbewußte Nation' sowie vom 'Appell wider das Vergessen' zum 8. Mai 1945." Dazu führte die JF weiter aus: 84 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 "Ähnliche Aktivitäten sind auch für die Zukunft geplant. Sogar eine eigene Parteigründung ist einkalkuliert, wenn auch nicht kurzfristig." Die vom Referenten skizzierten strategischen Optionen gingen davon aus, "daß für eine echte Veränderung eine entsprechende geistige Vorarbeit notwendig ist ... Noch sei die Zeit nicht reif für eine Parteigründung ... Außerdem fehle der konservativen Rechten in Deutschland derzeit ein charismatischer Frontmann nach dem Muster von Jörg Haider ..." "Die Gründung einer eigenen Partei ist für Schwilk", so die JF, "aber nur eine von drei Varianten für die Umsetzung rechter Politik. Zu den anderen beiden Varianten zählen das Eindringen rechter Kräfte in die Unionsparteien und die 'Umpolung der FDP auf einen nationalliberalen Kurs'. Gefördert werden kann die rechtskonservative Mobilisierung zunächst auch durch lose Gruppierungen und 85 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Gesprächskreise, die dann später zu Keimzellen für eine neue Partei werden könnten." Solche Gesprächskreise, die "JF-Leserkreise", betrachtet die JF bereits heute als Teil des "Projekts Junge Freiheit". Ziele der "Neuen Rechten": Medien, Parteien, Zirkel Soweit Publikationen und Autoren sich offen zur "Neuen Rechten" bekennen, ist eine kritische Auseinandersetzung möglich. Dies ist fast unmöglich, wo konspirativ und unter Verschleierung der wahren Ziele Einfluß und Macht angestrebt wird. Dies geschieht beispielsweise durch Beeinflussung innerparteilicher Prozesse in der F.D.P. durch Außenstehende. So beteiligte sich die extremistische "Neue Rechte" an der Diskussion um Nationalliberalismus im Berliner F.D.P.Landesverband und versuchte auf demokratisch gesinnte Nationaliberale einzuwirken. Ein weiteres Betätigungsfeld der extremistischen "Neuen Rechten" sind konspirativ und logenähnlich strukturierte Zirkel, zu denen gezielt Gleichgesinnte geladen werden. Hinter gründe und Vernetzung derartiger Denkzirkel werden sogar den Teilnehmern gegenüber verschleiert. Derartige Zirkel existieren einerseits im Umfeld von Zeitschriften wie Junge Freiheit oder Staatsbriefe, andererseits unabhängig hiervon. Typisch für derartige Zirkel der "Neuen Rechten" sind folgende Kennzeichen: * Gezielte Ansprache von konservativen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, * Steuerung durch Leitungspersonen mit rechtsextremistischen Vorläufen, * Akademische Bildung, * Elitärer Anspruch für die Umgestaltung Deutschlands, * Einbindung von Funktionsträgern aus Staat, Politik und Wirtschaft, * Finanzielle Ressourcen, * Ausschluß der Öffentlichkeit, kein Austausch von personenbezogenen Daten, * Referenten und Diskussionsthemen aus dem Spektrum der "Neuen Rechten", wie z.B. Umerziehung als Voraussetzung des BRD-Systems, EuropaAblehnung, ökologisch bemäntelte Ausländerfeindlichkeit . 2.1.12.1 Junge Freiheit (JF) Gründung: 1986 Herausgeber: Junge Freiheit Verlag GmbH & Co., Berlin Erscheinungsweise: seit Januar 1994 wöchentlich Auflage: zwischen 10.000 und 15.000 Die Junge Freiheit hat Redaktion und Sitz des Verlags 1995 von Potsdam nach Berlin verlegt. Die genaue Auflage der Wochenzeitung gibt die JF nicht bekannt. Sie dürfte zwischen 10.000 und 15.000 Exemplaren liegen. 86 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Unklarheit besteht auch über die Finanzierung der Zeitung. Aus den Einnahmen durch Abonnements, freien Verkauf und Inserate lassen sich die Kosten wahrscheinlich nicht decken. Unklar bleibt auch, wie neue Aktivitäten im Jahre 1995 finanziert wurden und in Zukunft finanziert werden. Beobachtung durch den Verfassungsschutz NRW Derzeit werden keine nachrichtendienstlichen Mittel bei der Beobachtung der JF durch den Verfassungsschutz NRW eingesetzt. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf erklärte deshalb ein von der JF angestrengtes Verfahren in der Hauptsache für gegen standslos. Beobachtung bedeutet im Falle der JF, daß die Zeitschrift gelesen und bewertet (ausgewertet) und die Ergebnisse dieser Auswertung veröffentlicht werden. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wäre aber in Zukunft möglich, wenn z.B. konspirative Strukturen erkennbar werden sollten. Projekt JF: Wochenzeitung und andere Aktivitäten Außer der Herausgabe der Wochenzeitung "Junge Freiheit" sind auch weitere publizistische Aktivitäten von Redaktion und Verlag zu beachten. Zu nennen sind hier: * der Pressespiegel JF-Intern, * der JF-Bücherdienst, * die Herausgabe einer JF-Österreich-Ausgabe. Diese neuen Aktivitäten sind 1995 hinzugetreten. Festzustellen ist also eine offensive Erweiterung des Gesamtprojekts Junge Freiheit, das zumindest teilweise erhebliche Mehrkosten verursachen muß. Organisatorisch von der JF getrennt gibt es weitere Aktivitäten - JF-Leserkreise und die - JF-Sommeruniversität (siehe Nr. 2.1.12.2). Diese Bestandteile des Projekts wirken scheinbar selbständig, sie sind tatsächlich aber nur arbeitsteilig. Während die Zeitung selbst sich mehr und mehr zurück nimmt, antidemokratisches Gedankengut z.B. überwiegend über Anspielungen transportiert, treten in Leserkreisen oder der Sommeruniversität Rechtsextremisten auf, die vertiefen, was die Zeitung taktisch offen läßt. Die einzelnen Aspekte fügen sich dann zum Gesamtbild. Weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen bei der Wochenzeitung Zum Jahresanfang 1995 wurde die Redaktion der JF auf mehreren Positionen umbesetzt. Gleichzeitig konnte durch die Einrichtung neuer Ressorts das Themenspektrum der Berichterstattung erweitert werden. Obwohl für den Austausch einiger Redakteure keine inhaltlichen Gründe genannt wurden, war damit doch eine Zäsur verbunden: seit diesem Zeitpunkt ist das Bemühen der Redaktion fest87 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 stellbar, extremistische Positionen, die allerdings nach wie vor festzustellen sind, noch geschickter als bis dahin zu tarnen. Themenschwerpunkte der JF 1995 Themenschwerpunkte der JF waren 1995: * der 8. Mai, * Revisionismus, * Vorwürfe "Umerziehung" und "Vergangenheitsbewältigung", * Political Correctness (PC), * Konservative Revolution, * Antiparlamentarismus, * Bestrebungen gegen Grundrechte. Agitation zum 8. Mai Als "den ersten großen öffentlichkeitswirksamen Erfolg junger konservativer Intelligenz" (JF 18/95) bezeichnet der JF-Chefredakteur die Debatte um den 8. Mai. Tatsächlich gelang es den von der JF als "Nationalkonservativen" Bezeichneten dabei, einen ganzen Themenkomplex zu dominieren. Über die strategischen Motive im Umgang mit dem Thema 8. Mai schreibt der Chefredakteur: "Eine solche Auseinandersetzung dauert lange. Ihr Erfolg ist zuerst nicht durch den Einzug von rechten Parteien in Parlamente gekennzeichnet ... Sie beginnt da durch, daß die Themen wechseln. Wer fragt, führt - eine alte Wahrheit. Und wer die Fragen bestimmt, über die diskutiert wird, bestimmt die Diskussionen. Die Debatte über den 8. Mai ist von jungen Nationalkonservativen initiiert worden." (JF 20/95). Groß aufgemachte Artikel zum Thema 8. Mai 1945 leugnen ausdrücklich und ohne Rücksicht auf den Widerspruch zu historischen Tatsachen, daß der 8. Mai Symbol für die Befreiung vom Nationalsozialismus ist. 88 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Vollends vereinnahmt wird das historische Datum in JF-Ausgabe 18/95 vom 5. Mai 1995. Unter der Überschrift "Kein Grund zum Feiern" ist ein Beitrag abgedruckt, der ursprünglich zum 40. Jahrestag des Kriegsendes verfaßt wurde. Darin wird der Zweite Weltkrieg als Kampf um die Existenz des deutschen Volkes dargestellt: "Deutschland, das deutsche Volk hatten sechs Jahre lang im gewaltigsten Krieg aller Zeiten um die Existenz gekämpft. Die Tapferkeit und Opferbereitschaft der Soldaten, die Charakterstärke und Unerschütterlichkeit der Frauen und Männer im Bombenhagel des alliierten Luftterrors, die Tränen der Mütter, der Waisen - wer die Erinnerung daran zuschanden macht, lähmt unseren Willen zur Selbstbehauptung ..." Der 8. Mai 1945 sei "ein Tag des Elends, der Qual, der Trauer" gewesen. Revisionismus Politisches Ziel der JF ist u.a. ein großdeutsches Reich; die Vereinigung 1989 hat für sie nur vorläufigen Charakter. So schreibt der JF-Chefredakteur wiederum im Zusammenhang mit dem 8. Mai: "Jene, die den Appell 'Wider das Vergessen' unter schrieben haben, hat in ihrer politischen Leidenschaft eines getrieben: die Überzeugung, daß die Deutsche Einheit das Hauptziel der Politik zu sein hat und daß Deutschland erst frei ist, wenn es geeint ist" (JF 15/95). Es handelt sich hierbei um eine von anderen Rechtsextremisten bekannte Erscheinungsform des geographischen Revisionismus (siehe 2.1.14), durch die das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 GG) gefährdet werden könnte. Ähnlich Vorstellungen finden sich zum Beispiel auch in den Schulungsunterlagen des Deutschen Kollegs (siehe 2.1.12.4). "Umerziehung" und "Vergangenheitsbewältigung" als Agitationsthemen Typisch für revisionistische, rechtsextremistische Propaganda ist auch die Agitation zu den Themen "Umerziehung" und "Vergangenheitsbewältigung", mit der die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland auch in der JF als aufgezwungen und somit als illegitim dargestellt wird. So wurde in der Kampagne zum 8. Mai behauptet, es sei "die deutsche Katastrophe" gewesen, "als 1945 'die Amerikaner kamen' und die Umerziehung einsetzte" (JF 16/95). In demselben Argumentationszusammenhang steht auch der Vorwurf, die notwendige Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte werde als "zwanghafte Vergangenheitsbewältigung" übertrieben. Ein JFStammautor schreibt dazu in Ausgabe 16/95: "Der Bußbetrieb in diesem Land wird umso unwiderstehlicher, je länger einer den Bewältigungsmühlen unseres Bildungssystems ausgesetzt war. Trauer kann da zur Arbeit werden und um ein halbes Jahrhundert verspäteter Widerstand zur fixen Idee". Ein Bericht über das "Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur" in Erfurt (Ausgabe 36/95) trägt die entrüstete Überschrift: "VB-Mehrheit hat ihren Willen durchgesetzt", wobei VB in der JF die häufig verwendete Abkürzung für Vergangenheitsbewältigung ist. Der "P.C." - Vorwurf Im Kampf der JF um die kulturelle Hegemonie wird an zahlreichen Stellen behauptet, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es keine wirkliche Presse-, Mei89 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 nungsund Wissenschaftsfreiheit, man dürfe nicht mehr tabulos diskutieren. Ständig wird in der JF beklagt, die 68er-Generation wache über sprachliche Tugend und erzwinge in unserer Republik "political correctness". So stellt sich der Täter als Opfer dar. Die angeblich notwendige Abwehr von "political correctness" soll die eigenen extremistischen Auffassungen gegen Kritik immunisieren. Gleichzeitig werden in der JF Andersdenkende (z.B. Wickert, Ziel, Küppersbusch, Pflüger) systematisch verächtlich gemacht, vor allem dann, wenn diese wegen ihrer kritischen Haltung zu rechtsextremistischen Bestrebungen ins Blickfeld der JF geraten. Dadurch gewinnen zahlreiche JF-Artikel, in denen Andersdenkende mit einer zum Teil deren Menschenwürde verachtenden Aggressivität bekämpft werden, auch die Qualität von Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen deren Meinungsfreiheit. Dies gilt auch dann, wenn die JF dafür das Stilmittel der Satire imitiert oder mißbraucht. So heißt es unter der Überschrift "Deutsche Unarten: Doppelnamen" (JF 46/95): "Hat sich eigentlich schon einmal jemand darüber Gedanken gemacht, warum immer die größten Schnepfen einen Doppelnamen haben? Es ist ja durchaus in Ordnung, wenn eine Frau nicht den Namen ihres Ehemannes annehmen will, wenn dieser Müller, Eickel oder Pflüger heißt. Das versteht jeder. Aber warum behalten sie dann nicht einfach ihren Namen? Warum müssen Kombinationen wie MüllerThurgau, Wanne-Eickel oder Friedbert-Pflüger dabei herauskommen? Vor allem bei Politikerinnen sind Doppelnamen äußerst populär. Herta Däubler-Gmelin, bei der schon jede einzelne Komponente zum Erzeugen von Übelkeit ausreicht, sieht auch so aus, wie ihr Name klingt. Oder was ist mit Heidemarie Wieczorek-Zeul? Selbst ein krankes Gehirn könnte keinen abscheulicheren Namen erfinden." PC-Kampagne der JF (hier z.B. aus der Ausgabe17/96 vom 26.4.96) Umwertung von Begriffen: "konservativ", "Nation", "Demokratie" Die Methode der Umwertung von Begriffen läßt sich anschaulich verdeutlichen am Umgang der JF mit den Begriffen "konservativ", "Nation" und "Demokratie". 90 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Die JF bezeichnet sich selbst als "konservative Wochenzeitung" (so z. B. der Chefredakteur in JF 4/95). In Ausgabe 8/95 vertritt einer der Stammautoren der JF die Auffassung, "Konservativen in Deutschland" sei es bisher versagt geblieben, "sich durch eigene Massenmedien oder erfolgreiche Parteien vertreten zu lassen". Hier zeigt sich, daß in der JF mit dem Begriff "konservativ" Positionen des demokratischen Spektrums in der Regel nicht gemeint sein können. Einen Hinweis darauf, wie die JF den Begriff "konservativ" tatsächlich ausfüllen will, liefert das "JFLeitthema" der "Konservativen Revolution". Arthur Moeller van den Bruck, einer der in der JF am meisten zitierten Vordenker der Konservativen Revolution, definiert "konservativ" als Gegenpol zu "liberal": "Der Feind des konservativen Menschen ist der liberale Mensch." Moeller van den Bruck hat seine Position eindeutig erklärt; er wollte durch den "Kampf gegen den Liberalismus" die Ideen der "Aufklärung" bekämpfen, die in der Weimarer Reichsverfassung durch die Festschreibung von Gleichheits - und Freiheitsrechten sowie durch die zentrale Rolle des Parlaments zum Tragen kamen. In Ausgabe 20/95 fordert der JF-Chefredakteur, daß sich Konservative und "Neue Rechte" auch verstärkt um die Bedeutung von "Demokratie" kümmern müßten: "Der Begriff 'Demokratie' muß von nationaler Seite gehalten werden". Die Richtung weist auch hier die JF: in einem Satireversuch (Ausgabe 49/95) wird behauptet, schon Kinder würden heutzutage mit "einer eisernen Hand ... so zurecht(ge)schleift, daß sie zu unserer Demokratie passen". Damit wird die bestehende, verfassungsmäßige Demokratie als der Natur des Menschen nicht entsprechend diffamiert. Unter "Demokratie" wird also auf "nationaler" Seite laut JF etwas anderes verstanden, als der unbefangene Leser mit diesem Begriff verbindet. Diese Erkenntnis ermöglicht auch Rückschlüsse auf die in der JF geforderte "Neubesetzung" des Begriffs "Nation" (siehe oben): die angestrebte "Nation" würde dem Demokratieprinzip, wie es im Grundgesetz verankert ist, wohl kaum entsprechen. Die Konservative Revolution als Leitlinie der JF Sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht dominieren als Leitlinie der JF Positionen der Konservativen Revolution, sie werden insbesondere von Redaktion und Stammautoren teils ausdrücklich und offen, teils aber auch versteckt und nur mittelbar eingebracht. In Ausgabe 25/95 wurde eine Artikelserie " Porträts der Konservativen Revolution" mit einem Kommentar ("Zur Einführung") eröffnet. Darin erklärte ein Redakteur: "Die Konservative Revolution ist ... die modernste Form, rechts zu sein. Diesen weithin unerkannt und unverstanden gebliebenen Aspekt von 'Modernität', der der außer parlamentarischen Rechten der Zwischenkriegszeit eigen war, gilt es zunächst herauszuarbeiten, wenn die Ideen der Konservativen Revolution tatsächlich Eingang in die gegenwärtige politische Debatte finden sollen ... Erst die Einsicht in die Aktualität der Konservativen Revolution bietet Anlaß für eine zeitgemäße intellektuelle Auseinandersetzung mit ihr ... Die Junge Freiheit will mit ihrer Reihe 'Porträts der Konservativen Revolution' einen ersten Zugang zu einem zeitgemäßen Verständnis dieses Denkens eröffnen ... Nur wenn sich eine Weltanschauung praktisch umsetzen läßt, wird aus Weltanschauung Weltverantwortung im besten Wortsinne. Hieran hat es den Kopfarbeitern der Konservativen Revolution fast durchweg gemangelt. Gerade eine Neue Rechte, die in die Verantwortung drängt, hat sich auch dieser Aufgabe zu stellen." Dieses Bekenntnis zu den Positionen der Konservativen Revolution und die erklärte Absicht , deren 91 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 praktische Umsetzung zu unterstützen, begründen den Verdacht von Bestrebungen gegen wesentliche Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch außerhalb der Artikelserie wurden Porträts von Personen veröffentlicht, die der Konservativen Revolution zuzurechnen sind. Häufig wird in der JF für das "Jahrbuch zur Konservativen Revolution" geworben. In mehreren JF-Ausgaben der Jahres 1995, erstmalig in JF 11/95 unter der Überschrift "Jede Mark eine Konservative Revolution", wird zu Spenden für die Pflege des Grabes von Arthur Moeller van den Bruck geworben. Zwar fehlt ein Beitrag über Moeller van den Bruck in der Porträtserie zur Konservativen Revolution; die JF porträtierte jedoch bereits zu seinem 70. Todestag ausführlich jenen "bedeutenden Protagonisten der Konservativen Revolution" (JF 21/95), der 1919 als Reaktion u.a. auf das in der JF so bezeichnete "Versailler Diktat" (!) Mitbegründer des "Juni-Klubs", einer "Keimzelle der jungkonservativen Bewegung", gewesen sei. Das Engagement der JF ist in diesem Beitrag nicht zu übersehen. Ergänzt wurde das Porträt durch den Abdruck der Todesanzeige und Textauszüge aus seinen Schriften. Dabei vermeidet es die JF, diejenigen markanten Zitate wiederzugeben, die die Unvereinbarkeit von Moeller van den Brucks Ideen mit der heutigen freiheitlichen demokratischen Grundordnung eindeutig belegen. Es paßt viel mehr zur Strategie der JF, ihre Leser behutsam und scheinbar unangreifbar an die eigentlichen Ziele der mit großem Aufwand dargestellten Protagonisten heranzuführen. Neben Positionen, die der Konservativen Revolution entliehen wurden, ist vereinzelt, aber auffallend regelmäßig, auch eine Bezugnahme auf Ideengeber des italienischen Faschismus (z.B. Pareto, Mosca) festzustellen, die in der JF "Nonkonformisten " genannt werden. Antiparlamentarismus Zu den regelmäßigen Themen der JF gehört auch ein fundamentaler Antiparlamentarismus. Der in rechtsextremistischen Kreisen bekannte Rechtsanwalt und JFStammautor Klaus Kunze, der sich bereits in früheren Artikeln (siehe Verfassungsschutzbericht NRW 1994, Seite 142/143) unmißverständlich gegen den Grundsatz der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament ausgesprochen hatte , versuchte auch 1995, das parlamentarische System als undemokratisch zu diskreditieren, um den Nährboden für die Verwirklichung seiner Forderungen zu bereiten. Er schreibt unter anderem: "Der Parlamentarismus als Regierungsform fußt eben nur idealiter auf demokratischen Gedanken" (JF 2/95), oder: "Im Bonner Parlamentarismus machen die Parteien in Parlamenten die Gesetze, wählen einen regierenden Kanzler und bestimmen die Verfassungsrichter. Sie haben die Macht, die Grenzen ihrer Kompetenz selbst zu ziehen. Dieses System nennen sie Demokratie, und wer Demokrat ist, definieren sie rechtsverbindlich unter Mithilfe eigens dafür beschäftigter Bürokraten" (9/95). Dabei verdreht er die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten. Er ignoriert die tatsächlich vorhandene Legitimation der Parlamentarier durch allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahl. Er läßt unberücksichtigt, daß die obersten Verfassungsgrundsätze, hier ins besondere das Rechtsstaatsprinzip und das für die Gesetzgebungskompetenz der Länder bedeutende Bundesstaatsprinzip, wegen Artikel 79 GG nicht der Disposition der Parlamente unterliegen. 92 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der Verdacht, daß der fundamentale Antiparlamentarismus schließlich dem Ruf nach einem autoritär geführten Staat dient, wird durch eine aktuelle Buchveröffentlichung "Mut zur Freiheit, Ruf zur Ordnung" erhärtet. Darin plädiert Kunze für die philosophische Richtung des Dezisionismus, ein in Carl Schmitts Rechtsphilosophie dem Gesetzesdenken entgegenstehendes Entscheidungsdenken, für das nicht rechtsstaatliche Verfahren, sondern das eigene unbedingte Wollen maßgebend ist, und das im politischen Bereich die Entstehung autoritärer und totalitärer Strukturen begünstigen kann. Die antiparlamentarischen Bestrebungen in der JF schöpfen auch aus Moeller van den Brucks Ausführungen, der über das Parlament der Weimarer Republik schrieb: "Wir glauben allerdings, daß die Zeit des Parlamentarismus vorüber ist. ... Und am Ende ist es gut so, daß Deutschland für den Parlamentarismus - zu gut ist." Moeller van den Bruck verwendet auch die Bezeichnung "Schwatzbude" für das Parlament. Agitation gegen Institutionen und Funktionsträger der freiheitlichen Demokratie Auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster beschäftigte sich mit Kunzes antiparlamentarischer und antidemokratischer Agitation. Bereits mehrfach vertrat Kunze die Partei "Die Republikaner" als Rechtsanwalt sowie die "Junge Freiheit". Zuletzt wies das OVG am 8. Dezember 1995 eine Klage der "Republikaner" auf Genehmigung einer parteinahen Stiftung ab. In seinem Urteil zitierte das OVG u.a. einen Schriftsatz Kunzes als Beleg für einen Widerspruch zum Demokratieprinzip. Das Gericht stellte fest, durch Kunzes Äußerung, "Was weiß schon der Beklagte (das Land NRW), was wissen seine verbeamteten, der Regierungspartei angehörigen Mitarbeiter vom Gemeinwohl im verfassungsrechtlichen Sinne? Keineswegs wirft der Parteipolitiker im Moment seiner Wahl sein Wolfsfell ab und mutiert plötzlich zu einem friedlichen Schaf, das die Parlamentswiese abgrast, auf der Suche nach der blauen Blume des Gemeinwohls.", würden "die staatlichen Funktionsträger verunglimpft, indem ihnen ausnahmslos eine nicht am Gemeinwohl orientierte Handlungsweise, die aber gerade die Essenz staatlichen Handelns ausmacht, unterstellt wird. Diese Diffamierungen offenbaren die Tendenz, das Vertrauen in die (personellen) Strukturen der Legislative und der Exekutive zu erschüttern und sie als Teil der staatlichen Ordnung zumindest in Frage zu stellen, und sie ignorieren, daß die Amtswalter, die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden sind, eine - wenn auch mehrfach mediatisierte - demokratische Legitimation besitzen ...". 93 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Kunzes Ausführungen in seinem Schriftsatz entsprechen seinen regelmäßigen Veröffentlichungen als JFStammautor. Somit ist der Verdacht einer rechtsextremistischen Bestrebung schon gerichtlich erhärtet. Bestrebungen gegen Grundrechte Gleichheitsgrundrechte werden abgelehnt In einem Interview mit einer anderen Wochenzeitschrift erklärte der JFChefredakteur im April 1995: "Autoren der Konservativen Revolution sind dort auch heute noch interessant, wo sie sich skeptisch ... gegenüber gleichmacherischen Tendenzen äußern." Er übernimmt damit von Moeller van den Bruck die Einteilung in "höherwertige Menschen" und "min derwertige Bestandteile des Volkes", die Unterscheidung "zwischen wertlosem und wertvollem Leben" eines Ed94 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 gar Julius Jung oder die gegen den Gleichheitsgrundsatz bei Wahlen gerichteten Auffassungen von Othmar Spann, der verächtlich anmerkte: "Jeder einzelne ist ein gleichwertiges Atom, Nietzsche und sein Stiefelputzer haben dieselbe Stimme". Gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz als Ergebnis der Französischen Revolution richtet sich ein Artikel in Nummer 15/95: die "Egalitätsarithmetik des 18. Jahrhunderts, die seither weder liberte' noch fraternite' gefördert hat, sondern stets die identitäre Einschmelzung der Vielzuvielen in Allzu gleiche" sei Unfug. Dieser Artikel stammt von derselben Stammautorin , die in JF 11/92 die Vorbildfunktion von Ideengebern des italienischen Faschismus hervorgehoben und später ihr rassistisch geprägtes Menschenbild offenbart hatte: "Die Natur, deren Teil auch die Menschenwelt ist, gliedert sich offenkundig nach Gradualität, Qualität, Funktionalität" (JF 38/94). Freiheitsgrundrechte Auch Freiheitsgrundrechte sind Angriffsziel der JF, ganz im Sinne Moeller van den Brucks ("Der Liberalismus ist der Ausdruck einer Gesellschaft, die sich aus den minderwertigen Bestandteilen des Volkes zusammensetzt", "An Liberalismus gehen die Völker zugrunde") und Edgar Julius Jungs, der befand, daß der "Individualist ... gesellschaftlich minderwertig" sei. Der von rechtsextremistischen Parteien und Organisationen bekannte, oft eher plumpe Angriff auf konstitutive Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist allerdings nicht das Instrument der JF. Stattdessen wird mit Anspielungen, Suggestionen und Vergleichen gearbeitet. So werden in vielen JFArtikeln verschiedene Ausprägungen individueller Lebensgestaltung verspottet; beispielsweise enthält ein Comic (JF 16/95) den Dialog: "... die Tätowierungen gefallen Dir wohl, wie?" - "Na ja! Um ehrlich zu sein ... ich dachte eigentlich , das wären tierärztliche Prüfstempel!" Agitation gegen das Grundrecht auf Asyl Besonders betroffen ist durch Veröffentlichungen der JF das Asylgrundrecht. Der Agitation gegen das Recht auf Asyl wird die wahrheitswidrige Behauptung der "ungebremsten Massenzuwanderung" (JF 48/95) zugrunde gelegt. In Ausgabe 28/95 zitiert die JF dazu wohlwollend-ausführlich Äußerungen, die bereits in den Verfassungsschutzbericht 1994 des Bundesministeriums des Innern als Beleg für Fremdenfeindlichkeit bei der Partei "Die Republikaner" Eingang gefunden hatten: "Der Massenzuwanderung wurde viel zu spät und nur äußerst halbherzig entgegengetreten. Dabei wurde noch verkannt, daß das Hauptproblem nicht die materielle Belastung unseres Staates, sondern die kulturelle Auszehrung unseres Volkes ist." In dem selben Artikel klingt auch die Diffamierung fremder, hier lebender Menschen als Umweltschädlinge (schon eine frühere Schlagzeile in JF 33/94 lautete: "Öko-Wahnsinn Einwanderung") wieder an: "Wie viele Menschen verträgt das Land? Das ist eine Frage der Physik und der Biologie und - wie wir heute wissen - auch der Ökologie." Solche Versuche, soziale Zusammenhänge biologistisch zu erklären, sind typisch für rechtsextremistische, rassistisch motivierte Agitation nicht nur gegen Freiheits-, sondern auch gegen Gleichheitsgrund rechte. Sonstige Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen 95 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Verächtlichmachung von Minderheiten am Beispiel der Aids-Kranken Auch unabhängig vom ideologischen Hintergrund der Konservativen Revolution bieten zahlreiche Artikel der JF typische Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen. Dazu gehört die Verächtlichmachung von Minderheiten. Die JFAusgabe 1/95 enthält dazu ein besonders menschenverachtendes Beispiel; dort heißt es auf Seite 20: "Krankheiten bei Mensch und Tier hatten 1994 eine große Bedeutung. Als Folge der Schweinepest wurden in Niedersachsen 700.000 gesunde Tiere vorsorglich notgeschlachtet. Die betroffenen Bauern bezeichnen die Aktion als Riesensauerei. Die Zahl der AIDS-Fälle stieg 1994 von 2,5 auf 4 Millionen". Unausgesprochen wird hier die Würde von Menschen angetastet und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit infrage gestellt. Eine geistige Nähe zu den Euthanasieprogrammen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist unverkennbar. Auf Seite 2 derselben Ausgabe wird eine aus der NS-Zeit bekannte "Ballastkosten"-Argumentation angedeutet, die in der JF schon im Jahr 1994 hinsichtlich der hier lebenden Ausländer geführt wurde: "Und stehen ungezügelte Sexualität, die Ausbreitung von AIDS und der Kollaps des Gesundheitsund Sozialsystems nicht wenigstens in mittelbarem Zusammenhang?" Verunglimpfung der Opfer des Nationalsozialismus Unter der Überschrift "Gedenken satt" (JF 6/95) werden auch die Opfer des Nationalsozialismus verunglimpft: "... Der nächste Gedenktag bietet einen bizarren Filmstreifen, das Leben eines jüdischen Bäckers, der nicht schläft und immerzu in seinen Backofen stiert; die Kamera suggeriert, seine Brote seien Menschenleiber, seine Ehefrau erzählt, scheeläugig dreinblickend, von ihrer Jugend in Polen. Auch Oberrohrstock Bednarz vom WDR ist mit von der Holocaust-Partei ... Der nächste Sendetag bringt einen Oberrabbiner: 'Ich war dabei. Frauen und Kinder wurden lebend in die Krematorien gejagt. Männer brannten langsamer, Frauen hatten mehr Fett und brannten schneller.' ... Bundespräsident Herzog verschmäht den christlichen Gottesdienst und zieht die Synagoge vor ... Das kleine dicke WDRDummerchen fordert zum millionsten Mal: 'Lernen! Daraus lernen!' - Bleibt die Frage, was." Derartige Artikel zeigen, daß die Aussage des JF-Chefredakteurs in Ausgabe 7/95, eine deutsche Rechte müsse eine klare Trennung zu denjenigen vollziehen, die den "verbrecherischen Charakter" der NS-Herrschaft nicht anerkennen, für die JF tatsächlich keine grundsätzliche Bedeutung hat. Personelle Verbindungen Tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen ergeben sich bei der Bewertung der JF nicht nur aus den publizierten Inhalten, sondern auch aus personellen Querverbindungen. In einem als "Das neue Kursbuch der deutschen Rechten" bezeichneten Sammelband "Opposition für Deutschland" erscheinen als Verfasser, neben einem verurteilten Holocaust-Leugner und zwei DLVH-Funktionären, mehrere JFStammautoren. Herausgeber des Buches ist ein ehemaliger JF-Redakteur (bis 1994), der seit 1995 in der rechtsextremistischen Zeitschrift "Nation und Europa" (siehe Nr 2.1.12.6) schreibt. Einer der JF-Stammautoren war bei der "Freien Deutschen Sommeruniversität" Referent zum Thema "Das Verhältnis der Konservativen Revolution zu Rußland". 96 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der Bericht eines früheren JF-Redakteurs (bis 1994) über diese Veranstaltung, abgedruckt in der Zeitschrift "Staatsbriefe" (Ausgabe vom Oktober 1995), nennt auch die übrigen Referenten, zu denen mehrere Rechtsextremisten zählten. Inserate rechtsextremistischer Gruppierungen Die JF veröffentlichte 1995 zahlreiche Inserate rechtsextremistischer Gruppierungen, zum Beispiel der Partei "Die Republikaner" (siehe Nr. 2.1.5) oder der DESG (siehe Nr. 2.1.1). Diese Tatsache begründet in der Regel zwar nicht selbständig den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen, da abgedruckte Inserate nur eingeschränkt in der Verantwortung der Publikation liegen; jedoch runden die Inserate das Gesamtbild der JF ab und unterstreichen damit die aus der Auswertung der publizierten Inhalte gewonnenen Erkenntnisse. Die wiederholten Inserate der "Republikaner" in der JF lassen an gegenseitige Unterstützung denken: die JF hat ihrerseits mehrfach in der Mitgliederzeitung "Der Republikaner" um neue Abonnenten geworben. Darüber hinaus inserieren eine Vielzahl Kleingruppen und Verlage, von denen auch rechtsextremistische Publikationen vertrieben werden. Hinweis auf Veranstaltungen des "Deutschen Kollegs" In der Ausgabe 2/92 der Jungen Freiheit wurde wohlwollend redaktionell für das Deutsche Kolleg (siehe Nr. 2.1.12.4) geworben. 2.1.12.2 "Junge Freiheit" - Leserkreise und Sommeruniversitäten Zielsetzung Seit Beginn des Jahres 1995 veröffentlicht die Zeitschrift "Junge Freiheit" (JF) keine Inserate ihrer Leserkreise mehr. Dennoch ist die von der JF bestimmte Funktion der Leserkreise als "Teil einer Offensive, in deren Mittelpunkt das Projekt Junge Freiheit steht" (JF 27/94), nach wie vor gültig. Ein JFRedakteur sprach noch in Ausgabe 46/95 von "unseren Leserkreisen". Über einzelne Leserkreise wurde zudem 1995 in der JF ausführlich berichtet. Die Leserkreise dienen der JF als Instrument (JF 27/94): "Im ... Ringen der Jungen Freiheit um ... den Ausbau des konservativen Anteils an der politischen Debatte wird dem Einfallsreichtum und Einsatzwillen der Leserkreisteilnehmer eine entscheidende Bedeutung zukommen." Die bei der JF festgestellten tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen gelten somit unmittelbar für die Bewertung der JFLeserkreise. Massiver Einfluß der JF auf die Leserkreise Die Redaktion der JF hat in der Vergangenheit in einem "Leserkreis-Zirkular" organisatorische Unterstützung angeboten und auf die Arbeit einzelner Kreise massiven Einfluß genommen; zumindest in einem Fall wurde der Leiter eines Leserkreises vom JF-Chefredakteur eingesetzt. Es steht fest, daß die JF-Redaktion auch Adressen von Abonnenten zur Verfügung gestellt hat. Gegenüber Leserkreis-Teilnehmern erklärte der JFChefredakteur die Notwendigkeit von Öffent97 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 lichkeitsarbeit durch Versammlungen einerseits und die Bildung von "Eliten" in kleineren Zirkeln andererseits. "JF-Sommeruniversität" und "Freie Deutsche Sommeruniversität" Seit 1993 veranstaltete die JF jährlich eine sogenannte "JF-Sommeruniversität". Der monatliche Pressedienst JF-intern kündigte bereits eine entsprechende Veranstaltung im Jahr 1996, diesmal in Österreich, an. Als Zielgruppe wurden regelmäßig besonders die Leiter von JF-Leserkreisen angesprochen. Ein ehemaliger JF-Redakteur berichtete später in der rechtsextremistischen Monatsschrift "Staatsbriefe" (Ausgabe 10/95), die "Sommeruniversität der Jungen Freiheit" sei "mangels Teilnehmern und infolge eines organisatorischen Fiaskos" nach zwei Tagen abgebrochen worden. Statt dessen habe nach internen Querelen als Abspaltung, jedoch "in personeller und ideeller Kontinuität", eine sog. "Freie Deutsche Sommeruniversität" stattgefunden. Wegen der ausdrücklich betonten "Kontinuität" dürften zu den Teilnehmern der "Freien Deutschen Sommeruniversität" 1995 zahlreiche Leiter von JF-Leserkreisen gehört haben. Die Sommeruniversitäten werden nicht-öffentlich durchgeführt. "Reichsgedanke mit Begeisterung propagiert" Der "Staatsbriefe"-Meldung zufolge wurde bei der Freien Deutschen Sommeruniversität "zur Beschämung der reichsvergessenen Deutschen" der "Reichsgedanke" aufgriffen und "mit Begeisterung propagiert". Der in rechtsextremistischen Kreisen bekannte Reinhold Oberlercher verbreitete in einem Vortrag u.a. die Vorstellung von einer "völkischen Revolution" und einem großdeutschen "Reich": "Europa wird nach einer völkischen Revolution von außereuropäischen Landnehmern befreit sein ... Die deutschen Staaten werden zu einem einheitlichen, gemeingermanischen Reich aller deutschen Stämme verschmelzen und erstmals in der Geschichte den gesamtdeutschen Nationalstaat verwirklichen ... Das deutsche Siedlungsgebiet in Böhmen und Mähren fällt an das Deutsche Reich ... Das europäische Realvölkerrecht im allgemeinen und die Reichsgenossenschaftsordnungen (Reichsvölker recht) im besonderen werden Vertreibungen militärisch sanktionieren und rückgängig machen, vereinbarte ethnische Entmischungen dagegen völkerrechtlich schützen und ethnische Verschmutzung unter kategorischen Prohibitiv ('Bilde kein Völkergemisch und verwerfe jedes Völkergemisch als Unnation') stellen." (siehe auch Nr. 2.1.12.3). Zu den Referenten dieser Veranstaltung gehörten auch ein Redakteur der rechtsextremistischen Zeitschrift "Nation und Europa" und einer der JF-Stammautoren, dessen Doppelrolle legt den Schluß nahe, daß auch nach Abspaltung der "Freien Deutschen Sommeruniversität" von der "JF-Sommeruniversität" die Interessen und politischen Ziele nicht weit auseinanderliegen. JF-Leserkreise in NRW Aus Nordrhein-Westfalen sind in früheren Inseraten unter verschiedenen Bezeichnungen JF-Leserkreise aus Aachen, Bielefeld, Bonn, Köln, Münster und dem Ruhrgebiet in Erscheinung getreten. 98 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Der "JF-Leserkreis im Ruhrgebiet", der neuerdings auch unter der Bezeichnung "Junges Forum" auftritt, existiert mindestens seit 1992 und hat seitdem zahlreiche nichtöffentliche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Der Leserkreis hatte im September 1995 einen ehemaligen Spitzenfunktionär der rechts extremistischen Partei "Die Republikaner" zum Vortrag gebeten. Im Oktober 1995 fand in Bochum eine Vortragsund Diskussionsveranstaltung dieses Leserkreises statt. Unter den 100 - 150 Teilnehmern befanden sich mehrere Mitglieder und Funktionäre verschiedener rechtsextremistischer Parteien und Organisationen sowie Personen mit entsprechenden Vorläufen. In dem Vortrag wurde die Auffassung vertreten, Zuwanderung könne auch Bereicherung sein und stelle innerhalb Europas kein Problem dar. Fremde, außereuropäische Kulturen jedoch zerstörten die Basis unseres Rechtssystems. Es müsse zum Beispiel beim Kindergeld das "Privileg der nationalen Präferenz" gelten. Es bedürfe nicht einer neuen Partei, sondern einer "Bewegung" durch alle relevanten Gruppen der Gesellschaft. Stelle eine Partei zum Beispiel die Frage, ob Kindergeld nur für Deutsche gezahlt werden solle, werde sie als rechtsextremistisch abgestempelt. Komme diese Frage aus einer Bewegung heraus, könne die Gesellschaft nicht daran vorbei. In der JF 44/95 wurde ausführlich über diese Veranstaltung und den Vortrag berichtet. Allerdings deutete der JF-Bericht die nationalistisch und rassistisch motivierten Forderungen in dem Vortrag nur an. Dieses Beispiel verdeutlicht das gewollte Zusammenwirken der Zeitschrift mit ihren Leserkreisen: während man sich bei der Publikation bemüht, Ziele, die als Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen erkannt werden könnten, zu verschleiern, können über die Leserkreise deutlichere Botschaften vermittelt werden. Dachorganisationen der Leserkreise In einer Vertriebenenzeitschrift wurde der Termin der Bochumer Veranstaltung in der Werbeanzeige sogenannter "Konservativer Gesprächsund Arbeitskreise" (KGAK) veröffentlicht, die von einem "KGAK-Sprecherrat" koordiniert werden. Offensichtlich haben sich in dieser Dachorganisation mehrere JF-Leserkreise zusammengeschlossen, darunter aus Nordrhein-Westfalen die Kreise in Bielefeld und im Ruhrgebiet. Da bereits früher ein "Koordinationskreis" als organisatorischer Überbau von JF-Leserkreisen bekannt geworden ist, könnte es sich bei dem "KGAK-Sprecherrat" um eine Neuformierung handeln. Möglicher weise hat sich damit aber auch - parallel zur Spaltung der "JFSommeruniversität" - eine neue Dachorganisation als Abspaltung gebildet. 2.1.12.3 Staatsbriefe Gründung: 1990 Herausgeber: Dr. Hans-Dietrich Sander, München Verlag: Morsak Verlag OHG, Grafenau (Bayern) Erscheinungsweise: monatlich Auflage: ca. 1.000 99 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Entwicklung 1995 Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Herausgeber der Staatsbriefe wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 130 StGB wurden im November 1995 sämtliche Exemplare der JuniAusgabe der Staatsbriefe beschlagnahmt. Auch in dieser Ausgabe waren die insbesondere an Juden begangenen Massenmorde in starkem Maße angezweifelt und dadurch das nationalsozialistische Unrecht verharmlost worden: "Der Unterschied zwischen den Völkermordverbrechen anderer Nationen und dem angeblich in deutschem Namen begangenen vermeintlichen Völkermord des Dritten Reiches an den Juden, der eine solch unterschiedliche Behandlung der Tätervölker ermöglicht, ist einfach beim Namen genannt: die angebliche Einzigartigkeit dessen, was mit dem Namen Auschwitz verbunden wird." Aktionsfelder In fast jeder Ausgabe der Staatsbriefe ist rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit festzustellen. In weitaus stärke rem Maße als bei anderen rechtsextremistischen Publikationen vergleichbaren Anspruchs fanden sich dabei im Jahre 1995 zahl reiche Artikel mit antisemitischer Zielsetzung, in denen nicht nur allgemein Angehörige jüdischen Glaubens diffamiert, sondern insbesondere auch die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen verhöhnt wurden. Gleichzeitig wurden häufig die Greueltaten der NS-Gewaltherrschaft verharmlost und teilweise auch geleugnet. In einem Artikel der Ausgabe von Oktober 1995 wurde die industrialisierte Form der Massenvernichtung von Menschen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit Hilfe eines Vokabulars umschrieben, das angeblich einer ingenieurwissenschaftlichen Disziplin entlehnt war. Der Text ist technologisch völlig unsinnig. Es geht nur um eine besonders abscheuliche Variante der Verächtlichmachung der Opfer. Der Verfasser war als Ole Caust bezeichnet, was phonetisch dem Holocaust entspricht. Der menschenverachtende Ansatz dieses Artikels wird an folgenden Textauszügen besonders deutlich: "Dem Leser der Staatsbriefe sei zunächst kurz erläutert, welche Aufgabe die Verfahrenstechnik hat. Diese Technik befaßt sich, grob gesagt, mit Prozesse genannten Vorgängen zur rationellen Umwandlung von Stoffen zur Erzeugung von Gütern wie etwa reine Industriefette (RIF), aber auch mit der fabrikmäßigen Entsorgung von Altlasten, die zum Beispiel in Form von Asche oder Schlacke dem natürlichen Kreislauf wieder zuzuführen sind." Von prädisponierten Lesern dürfte "RIF", während des Krieges als Kurzbezeichnung der "Reichsstelle für Industrielle Fette und Waschmittel" auf die damalige Einheitsseife geprägt, als Abkürzung für "Reines Juden-Fett" verstanden werden; diese zweite Bedeutung wurde in der Nachkriegszeit kolportiert. Auf die Selektionsrampen in den Konzentrationslagern anspielen soll der Satz "Das Rampen von Führungsgrößen (Sollwerten) ist übrigens ein wichtiger Teil eines Prozesses." Aus der "Verfahrenstechnik", wie der Text suggerieren soll, stammt der Begriff "Rampen" jedenfalls nicht. 100 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 In besonders zynischer Weise wird die Tatsache aufgegriffen, daß manche KZHäftlinge vor ihrer eigenen Ermordung zur Unterstützung der Massenvernichtung gezwungen wurden; dabei wurden ihnen alkoholische Getränke verabreicht, ohne die der psychischen Qual niemand hätte standhalten können: "Er wähnenswert ist lediglich noch das von hoher sicherheitstechnischer und sozialer Verantwortung getragene Bewußtsein der Anlagenbetreiber. Das Bedienungspersonal durfte während der Arbeit nicht nur essen, trinken und rauchen (!), sondern wurde auch, teils aus sozialer Fürsorge, teils aus Sorge wegen Industriespionage regelmäßig ausgewechselt und durch neue Kräfte ersetzt." Weitere, ähnlich zynische Anspielungen und entsprechend zielgerichtete Wortspielereien enthalten die folgenden Textpassagen: "Wie durch ein Wunder stieß der Autor bei der Beschäftigung mit der speziell in explosionsgefährdeten Betriebsstätten sowie in stationären als auch mobilen Entsorgungsanlagen angewandten Verfahrenstechnik längst vergangener Zeiten auf ein singuläres Phänomen, das hier nur angedeutet werden kann, da es in zentralen Fragen noch der Klärung harrt und deshalb intensiver, fachübergreifender Forschung bedarf. Ein Vergleich mit den technischen Wunderwerken der Antike ... bietet sich an und ist nach vorerst überschlägiger Aufrechnung durchaus statthaft." 101 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 "... genügte bei der Beschickung eines Prozesses wie etwa in Befeuerungsanlagen oder Seifensiedereien ein holophrastisches "Rein!", um Prozesse stark kaustischer oder oxidierender Natur anzukurbeln." "Schon aber rennen Industrielle dem Autor die Türe ein, allen voran die Hersteller von Lampenschirmen und Düngemitteln." Wegen dieses Artikels hat das Innenministerium NRW Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft erstattet. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Verbindungen zur Sommeruniversität Im Jahr 1995 wurden die Staatsbriefe erstmals als Forum der sogenannten "Freien Deutschen Sommeruniversität" genutzt, die aus der "Sommeruniversität" der Zeitschrift Junge Freiheit (JF) hervorgegangen ist. Ein früherer JF-Redakteur, der bis etwa Ende 1994 auch die JF-Leserkreise betreut hatte, veröffentlichte in der Oktober-Ausgabe der Staatsbriefe einen Bericht über die erste Veranstaltung der "Freien Deutschen Sommeruniversität". Abgedruckt wurde auch ein von Dr. Reinhold Oberlercher dort gehaltener Vortrag "Vorherrschaft und Vorknechtschaft", in dem er behauptet, Deutschland und Europa seien einer "US-Gesamtknechtschaft" unterworfen. "Europa insgesamt" werde erst "nach einer völkischen Revolution von außer europäischen Landnehmern befreit sein. Die Staatsgrenzen innerhalb des Kontinents werden an den Rändern der rechtmäßigen Siedlungsräume der Völker verlaufen ... Das deutsche Siedlungsgebiet in Böhmen und Mähren" falle dann "an das Deutsche Reich". Nach einer von Oberlercher erwarteten "transatlantisch-völkischen Revolution" sollten dann "nach Maßstäben des europäischen Herkommens" sogenannte "transatlantische Doppelnationen", etwa "DeutschlandDeutschamerika" oder "EnglandNeuengland" entstehen, "alle europäischen Nationen wären dann transatlantische Spangenvölker". Er kommt zu dem Ergebnis: "Weil die gemeingermanische transatlantische Volkstumsspange, verstärkt durch die sondergermanischen Doppelvölker, die stärkste homogene Machtanhäufung darstellen wird, ist sie zur Vormacht vorbestimmt." Mit diesen Ausführungen, in denen Oberlercher eine von ihm angestrebte deutsche Hegemonie zu begründen versucht, richtet er sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Bereits in früheren Ausgaben der Staatsbriefe hatte Oberlercher seinen "Entwurf eines HundertTage-Programms der nationalen Notstandsregierung in Deutschland" (Ausgabe 1/1993) und einen sogenannten "Reichsverfassungsentwurf" (Ausgabe 1/92) veröffentlicht, die bereits im Verfassungsschutzbericht NRW 1994 behandelt wurden. Ideologe Oberlercher zwischen Staatsbriefen und Junger Freiheit Oberlerchers Präsenz sowohl in den Staatsbriefen als auch bei den JFLeserkreisen im Zusammenhang mit der "Sommeruniversität" macht eine Besonderheit im Bereich der "Neuen Rechten" plastisch: die Vertreter extremistischer Positionen sind nicht auf ein Publikationsorgan fixiert und suchen Kontakte nach allen Seiten. Das Projekt "Junge Freiheit" zum Beispiel besteht nach Aussagen der Redaktion aus der Zeitung und den Leserkreisen. Die Zeitung versucht in letzter Zeit, keine allzu deutlichen Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen zu bieten. Sie ist sehr darum bemüht, Beiträge von Vertretern des rechten demokratischen Spektrums zu veröffentlichen. Offen rechtsextremistische Inhalte verlagern sich zwar noch nicht restlos, aber mehr und mehr in sogenannte Leser102 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 kreise, die sich zwar über ihren Namen entweder der JF oder aber den Staatsbriefen zuordnen, die aber über personelle Identitäten und Fluktuation Grenzen verwischen. Rechtsextremisten wie Oberlercher sind die Bindeglieder zwischen einer Zeitung, wie der JF, und der Volksverhetzung der Staatsbriefe. Wer einzelne Publikationsorgane der "Neuen Rechten" isoliert betrachtet, wird dem Phänomen nicht gerecht. Erst die Sicht des Geflechts läßt die Gefahren deutlich wer den, wenn Demokraten letztlich Extremisten hoffähig machen. Leserkreise der Zeitschrift "Staatsbriefe" In einer Meldung der Zeitschrift "Staatsbriefe" (Ausgabe vom Juli 1995) erwähnte deren Herausgeber "Treffen mit Lesern". Dabei handelt es sich vermutlich um mehr oder weniger fest strukturierte Leserkreise. Jedenfalls ist 1995 in NordrheinWestfalen ein "Staatsbriefe"-Leserkreis im Raum Ostwestfalen-Lippe in Erscheinung getreten. Dieser Leserkreis führte im Juni 1995 eine Vortragsund Diskussionsveranstaltung in Herford durch. Zu den ca. 30 - 40 Teilnehmern gehörten zahlreiche Neonazis, darunter auch der einschlägig bekannte Christian Worch aus Hamburg. Bei dieser Veranstaltung referierte der ehemalige Vorsitzende der verbotenen rechtsextremistischen "Deutschen Alternative", Frank Hübner. Er regte die Gründung lokaler Wählergemeinschaften an, deren politische Zielsetzung von außen nicht erkennbar sein dürfe. Im Hinblick auf staatliche Maßnahmen (Vereinsverbote) war man einmütig der Auffassung, daß zunehmender Druck die "Spreu vom Weizen" trennen werde und diejenigen übrig blieben, die auch zu gewaltsamen Aktionen bereit seien. 2.1.12.4 Deutsches Kolleg Ursprung im "Junge Freiheit"-Leserkreis Berlin Laut "Berlin-Brandenburger Zeitung" von Anfang 1995 ist das Deutsche Kolleg aus einem früheren "Junge Freiheit"Leserkreis in Berlin hervorgegangen. Es handele sich um einen "Kreis von Nationalen, die sich als 'Konservative Revolutionäre', 'Neue APO' oder 'Nationale Linke' der geistigen Auseinandersetzung mit den festgefahrenen politischen Begrifflichkeiten 'rechts/links' sowie deren Inhalte bzw. weltanschaulichen Grundund Gegensätze beschäftigt" (mehrere Grammatikfehler übernommen). Die Angaben deuten die geistige Nähe zu den einem Randbereich der Konservativen Revolution zugerechneten "Nationalrevolutionären" an. Für diese Zuordnung finden sich in den Unterlagen zum Deutschen Kolleg weitere Anhaltspunkte. So versucht man auch Kritikansätze aus dem "linken" Lager im Rahmen einer "Querfrontstrategie" aufzunehmen und mit den eigenen rechtsextremistischen Lösungsansätzen zu beantworten. Der maßgebliche Initiator des Deutschen Kollegs, Dr. Reinhold Oberlercher, ist ein ehemaliger Aktivist des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS). Er versucht seit Jahren, insbesondere durch regelmäßige Artikel in der rechts extremistischen Monatsschrift "Staatsbriefe", sich mit provokanten Thesen als Vordenker des "nationalen Lagers" zu profilieren. Ziel: Ausbildung politischer Kader für den "Machtergriff" 103 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 In "Europa Vorn" (Ausgabe Nr. 81 vom 15. Februar 1995) erhielt Oberlercher erstmals Gelegenheit, das Deutsche Kolleg ausführlich vorzustellen. Er nennt darin als vorrangiges Ziel die Ausbildung politischer Kader: "Vor jedem Machtergriff einer neuen Elite steht ihr Wortergriff, und dessen Voraussetzung ist ein neuer Machtbegriff samt aller seiner Folgebegriffe und deren politisch-programmatischer Konsequenzen ...". Schulungskampagne zur "Reichsbürgerkunde" Nachdrücklich wirbt er in diesem Artikel für seine "Schulungskampagne", die im Deutschen Kolleg in Berlin "institutionalisiert" werde. Dort könnten "Schulungsmappen" angefordert werden, "die autonomen Wortergreifungsgruppen des nationalen Lagers können die Schulungen selber in ihrer Region organisieren oder sie vom 'Deutschen Kolleg' in Berlin organisieren lassen." Die Teilnehmer an seinen Schulungen sieht Oberlercher als Multiplikatoren, denen nach einer Lehrprobe durch das Deutsche Kolleg eine sogenannte "Reichsdozentur" erteilt werde. Das Deutsche Kolleg werde "sich darum bemühen, möglichst viele Kursteilnehmer bis zur Dozentur zu führen, um dem Deutschen Volke eine wachsende Anzahl von politischen, gesellschaftlichen und philosophischen Lehrern bereitzustellen". Die von Oberlercher in "Europa Vorn" angebotene Schulungsmappe für den Einführungskurs "Reichsbürgerkunde" enthält im wesentlichen eine Lageanalyse ("Zerlegung der Lage"), seinen "Reichsverfassungsentwurf", die "10 Ziele des Nationalen Lagers" und den "Entwurf eines Hundert-Tage-Programms der Nationalen Notstandsregierung in Deutschland" sowie didaktische Hilfen und Lernzielbeschreibungen. Einige dieser Texte hatte Oberlercher bereits in der Zeitschrift "Staatsbriefe" veröffentlicht. Der "Reichsverfassungsentwurf" - Skizze eines totalitären "Deutschen Reiches" im "hergebrachten Lebensraum" Der sogenannte "Reichsverfassungsentwurf" (siehe auch Verfassungsschutzbericht NRW 1994, S. 148) skizziert ein totalitäres, antipluralistisches Staatsgebilde mit ungleichem Klassenwahlrecht und sieht die ethnopluralistisch begründete Diskriminierung des "Fremden" nach Herkunft und Rasse vor. Es heißt dort in Artikel 2: "Das Deutsche Volk anerkennt die Verschiedenheit aller Völker und Menschen. Es achtet das Recht eines jeden Volkes, die eigene Abstammung, Rasse und Sprache sowie seine eigenen Anschauungen über Religion, Politik und Wirtschaft zu bevorzugen und das Fremde zu benachteiligen. Es duldet keine Gleichmacherei." In Artikel 3 wird die aus dem "Dritten Reich" bekannte "Lebensraum"Forderung aufgegriffen: "Das Deutsche Volk hat das Recht auf seinen hergebrachten Lebensraum in Europa und auf gebietliche Unversehrtheit seines Vaterlandes. Rechtmäßiger Siedlungsraum des Deutschen Volkes ist unabtretbar." Daß diese Forderung auf ein "Groß deutsches Reich" zielt, wird deutlich in Artikel 10 ("Die Hauptstädte des Deutschen Reiches sind Berlin, Wien und Zürich"). Die der "Schulungsmappe" des Deutschen Kollegs beigefügte Landkarte ("Mitteleuropäisches Reich deutscher Nation" - "Deutsches Reich") konkretisiert Ansprüche auf fremdes Staatsgebiet für den "hergebrachten Lebensraum" und unter streicht damit die Bestrebungen des Deutschen Kollegs gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 GG, SS 3 Abs. 1 Nr. 4 VSG NW). 104 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 "100-Tage-Programm" als Anleitung für Gewaltund Willkürherrschaft einer "Notstandsregierung" Nach Oberlerchers "Stufenmodell" müssen vor der "Wiedererrichtung des Deutschen Reiches" mit Hilfe des "Reichsverfassungsentwurfs" die Schritte "Ausbildung", "Wortergreifung", "Machtergreifung" und dann die Umsetzung seines "100Tage-Programms" durch eine "nationale Notstandsregierung" erfolgen (siehe auch Verfassungsschutzbericht NRW 1994, S. 148). Das "100-Tage-Programm" fordert äußerst menschenrechtswidrige, nationalistische, totalitäre und rechtsstaatsfeindliche Maßnahmen, die eine Gewaltund Willkürherrschaft der "Notstandsregierung" bedeuten würden und auch ansonsten mit sämtlichen wesentlichen Bestandteilen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar wären: "Brechung der Gesetzesherrschaft durch Wiedereinsetzung der Deutschen in ihr Recht", "Wiederherstellung von Krieg und Frieden als völkerrechtlicher Begriffe wie als außenpolitischer Realitäten", "Freiräumung aller Asylantenunterkünfte und Ausweisung der Asylbewerber, "Kündigung aller von Ausländern belegten Sozialwohnungen", "Beendigung der Ausländerbeschäftigung", "Entlastung der deutschen Volksschule von Hilfsund Fremdschülern, um sie der deutschen Kultur zu rückzugeben" usw. Reichsverfassungsentwurf ... 105 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 ... und Karte aus den Schulungsunterlagen des Deutschen Kollegs Querfrontstrategie Die von Oberlercher formulierten "10 Ziele des Nationalen Lagers" verdeutlichen den Versuch einer Querfrontstrategie. Sie greifen durchaus - wenn auch nicht als Schwerpunkt - lagerübergreifende Unzufriedenheit auf: " 1. Die Arbeitslosigkeit beseitigen! 2. Die Wohnungsnot und Obdachlosigkeit beseitigen! 3. Mitteldeutschland planvoll wiederaufbauen! 106 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 4. Natur und Umwelt des Deutschen Volkes retten! 5. Den Rauschgiftkrieg gewinnen! 6. Das organisierte Verbrechen zerschlagen! 7. Recht, Staat und Souveränität wiederherstellen! 8. Das Verkehrschaos aufheben! 9. Das Sozialund Gesundheitswesen erneuern! 10. Die deutsche Kulturkatastrophe verhindern!" Spätestens die ergänzenden "strategisch-taktischen Hinweise" belegen jedoch die restlose Vereinnahmung der "10 Ziele" für rechtsextremistische Bestrebungen: "Es sind aus schließlich Leistungen für das Deutsche Volk zu verlangen. Auf Wahrung und Mehrung von Wohl und Nutzen hat jeder Regierende einen Eid. Die Nichterbringung der Leistungen für die Deutschen ist also Eidbruch. Jede Leistung an Ausländer ist Nichterbringung möglicher Leistung für den Souverän und ebenfalls Eidbruch." Die "Schulungskampagne" findet Resonanz Auf der Freien Deutschen Sommeruniversität fand Oberlercher überwiegend Zustimmung. Im rechtsextremistischen Thule-Mailboxnetz wurden die Vorstellungen von Oberlercher rege diskutiert. Einzelnen Kritikern seiner Modelle, die ihm Realitätsferne oder seine marxistische Vergangenheit vorhalten, stehen überwiegend zustimmende und interpretierende Äußerungen entgegen. "Schulungsgruppen deutschlandweit" Aus einem "Rundschreiben an Freunde und Förderer" des Deutschen Kollegs vom "06.VII.95" geht hervor, daß "Schulungsgruppen deutschlandweit" aufgebaut worden. Unter insgesamt neun deutschen Großstädten werden aus NordrheinWestfalen Bielefeld, Köln und Düsseldorf genannt. Der Rundbrief wirbt auch für die "Freie Deutsche Sommeruniversität": "Sie steht in der Tradition der 1. und 2. JFSommeruniversität und wird vom Deutschen Kolleg mitorganisiert ...". Ziel: Vernetzung der rechtsextremistischen Szene Die bisher bekannten Tatsachen zeigen, daß das Deutsche Kolleg neben der "Schulung der nationalen Intelligenz" ein weiteres Ziel hat, nämlich die Schaffung organisationsübergreifender Kontakte. Die Informationen zum Deutschen Kolleg belegen, daß dabei nicht nur organisatorisch, d.h. über Veranstaltungen und Personen, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht Gemeinsamkeiten der Publikationen "Europa Vorn" und "Junge Freiheit" einschließlich ihrer Leserkreise, der "JFSommeruniversität" und der "Freien Deutschen Sommeruniversität" sowie durch die Zeitschrift "Staatsbriefe" und ihre Leserkreise auch der Neonaziszene zusammenfließen. 2.1.12.5 Europa Vorn aktuell, Europa Vorn spezial, "hoppla!" Gründung: 1987 (Europa Vorn), 1994 ("Hoppla!"). Herausgeber: Manfred Rouhs, Köln (DLVH). 107 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Verlag: Eigenverlag Manfred Rouhs. Erscheinungsweise: Europa Vorn aktuell erscheint ca. zweimal pro Monat, Europa Vorn spezial ist 1995 nur einmal erschienen, "Hoppla!" ist 1995 zweimal erschienen. Auflage: Europa Vorn aktuell und Europa Vorn spezial: unbekannt, "Hoppla!": weit über 10.000. Europa Vorn und die "Neue Rechte" Unter der Überschrift "Deutschlands Neue Rechte" warb die Zeitschrift Europa Vorn im Jahr 1995 in einem Flugblatt um neue Abonnenten und stellte ihre Ziele vor. Europa Vorn betrachtet sich als "die bekannteste und mit Abstand meistverkaufte deutsche Zeitschrift der europäischen Neuen Rechten". Propagiert wird Rassismus, getarnt durch ein sogenanntes "Prinzip der Völkerfreiheit": "Die Neue Rechte vertritt die Auffassung, daß jedes Volk die Möglichkeit haben soll, gemäß seinen kulturellen Besonderheiten zu leben. Kurden und Franzosen, Iren und Deutsche, Engländer und Flamen, Ukrainer und Basken usw. - ihnen allen soll das Recht auf Wahrung der Nationalen Identität in einem eigenen Staat zugestanden werden." Mit dem Schlagwort "Prinzip der Völkerfreiheit" bekennt Europa Vorn sich allerdings nicht zu den im Grundgesetz verankerten Menschen rechten, denn "Freiheit" wird mit diesem Schlagwort nur für Völker in ihrer jeweiligen Gesamtheit gefordert. Die rassistische Komponente des sogenannten "Prinzips der Völkerfreiheit" (im Sinne einer ethnischen Differenzierung) wird in einem eigenen Staat" schon angedeutet. Deutlicher wird der Text einige Sätze später: "Europa Vorn wendet sich gegen die Masseneinwanderung von Ausländern und Asylanten nach Deutschland. ... das Bonner Polit-Establishment will Deutschland abschaffen und an dessen Stelle einen multikriminellen gesamteuropäischen Staat der Wirtschafts-Technokraten errichten." Die zu Werbezwecken verfaßte Grundsatzerklärung in dem o.a. Flugblatt enthält Aussagen, die dem Gedankengut der "Konservativen Revolution" entnommen wurden: die Diffamierung des Liberalismus ("Gift des Liberalismus"), die Forderung nach einer "organischen Demokratie" und die Bekämpfung einer angeblichen "Herrschaft der Mittelmäßigen" (dieser Slogan bezieht sich unverkennbar auf das "konservativ-revolutionäre" Standardwerk "Die Herrschaft der Minderwertigen" von Edgar Julius Jung); sie lassen rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit erkennen. Entsprechend heißt es in Europa Vorn - Ausgabe Nr. 95 vom 15. Dezember 1995: "Auch die Einwanderungsfrage ist ökologischer Natur. Deutschland, schwer überbevölkert, kann keine Menschen mehr aufnehmen, es muß Menschen abgeben. Wer, wie die Grünen, nach 'Bleiberecht für alle' schreit, ist kein Ökologe und macht unsere Heimat zum Völkerschlachtfeld. Sprechen wir es unverblümt aus: Deutschland den Deutschen! Wem sonst? Wer gäbe die Losung aus: 'China den Deutschen'? Oder 'die Türkei den Chinesen'?, 'Serbien den Moslems'?, 'Israel der Menschheit'?" Antisemitismus und Rassismus 108 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Antisemitismus zeigt sich an anderer Stelle in derselben Europa Vorn - Ausgabe. Ein kurzer Bericht über Angehörige jüdischer Gemeinden in Österreich, die aus Sorge über rechtsextremistische Bestrebungen Auswanderungsabsichten legten, ist überschrieben mit der höhnischen Aufforderung "und tschüß ...". Europa Vorn enthüllt in Ausgabe Nr. 81 in überraschend primitiver Weise und selten deutlich rassistische Vorstellungen: "Für mich ist es unvorstellbar, mit einer Frau von nicht-europäischer Herkunft eine Verbindung einzugehen, weil ich solche Frauen als sexuell unattraktiv empfinde. Mir wäre eine widerspenstige, schwierige Europäerin, mit der ich mich alle paar Wochen streiten müßte, zehnmal lieber als eine devote, bildhübsche Thailänderin, die in ihrem eigenen Land dem Heiratsmarkt verlorengeht und bei uns in Deutschland eigentlich nichts verloren hat." 109 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Europa Vorn schürt Gewalt In einem Kommentar zu fremdenfeindlichen Attentaten in Österreich, der sich auch mit der Situation in Deutschland befaßt, schreibt ein Europa Vorn - Redakteur zynisch: "Unorganisierte Brandanschläge auf Ausländer entspringen der Fremdenfurcht ... Die organisierten Anschläge sind eine Antwort auf das NSVerbot und teilweise langjährige Haft strafen wegen einschlägiger Meinungsäußerungsdelikte; nur das Anschlagsziel wird von der Ablehnung Fremden gegenüber vorgegeben, nicht die Entscheidung zum Terror an sich." Der Redakteur schreibt weiter: "Gewalt ist kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung im demokratischen Rechtsstaat. Zur Demokratie gehört allerdings auch die Anerkennung des Rechtes auf politische Betätigung und freie Meinungsäußerung für jeden, der die allgemeinen Gesetze achtet." Im Februar 1995 erhielt das "Deutsche Kolleg" in Europa Vorn (Ausgabe Nr. 81) Gelegenheit, ausführlich für seine Schulungskampagne zu werben und die zugehörige Schulungsmappe für einen Einführungskurs "Reichsbürgerkunde" unter Angabe der Bezugsadresse vorzustellen. Die einzige 1995 erschienene Ausgabe von Europa Vorn spezial trägt den Titel "Kulturzerstörung ist Völkermord". Das zugehörige Titelbild deutet bereits die rassistische Grundtendenz an: Eine blonde, weiße Frau wird von einem Angreifer gepackt, der als dunkles, zähnefletschendes, krallenbewehrtes Monstrum dargestellt wird. Mit Hilfe der Jugendzeitschrift "Hoppla!", die 1995 entgegen ursprünglicher Absichten nur zweimal erschienen ist, sollen die in Europa Vorn vertretenen Gedanken Jugendlichen vermittelt werden. In den beiden Ausgaben des Jahres 1995 ist der Versuch besonders auffällig, Jugendliche mit Rechtsextremisten, die angeblich wegen einer "nationalen" politischen, gegen eine "multikulturelle Gesellschaft" gerichteten Meinung verfolgt würden, zu solidarisieren: "Du bist gefordert, gegen diesen Irrsinn etwas zu tun! Kämpfe mit uns für das Über leben Deutschlands!" 110 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Seit ungefähr Juni 1995 betreibt der Herausgeber von Europa Vorn, Manfred Rouhs, das "Europa Vorn - Infotelefon". Die wenigen dort bereitgehaltenen Mitteilungen gehen im wesentlichen insbesondere hinsichtlich ihrer Qualität und der Themenauswahl nicht über die Informationen in der Zeitschrift Europa Vorn hinaus. Es dürfte sich hierbei um einen Versuch von Rouhs handeln, auch dieses Medium zur Werbung für Europa Vorn und den daran angeschlossenen Buchund CD-Versand einzusetzen. Europa Vorn und Runde Tische Der Herausgeber und DLVH-Funktionär Rouhs warb auch in seiner Zeitschrift für eine Einigung der "demokratischen Rechtsparteien". Die Namen der Unterzeichner der "Pulheimer Erklärung", einem Appell zur "Versöhnung und Bündelung" al111 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 ler sogenannten "seriösen Kräfte von rechts", wurden regelmäßig von Europa Vorn gesammelt und veröffentlicht. Am 19. November 1995 veranstaltete Europa Vorn in Marialinden (Rheinisch-Bergischer Kreis) eine Autorenlesung mit dem e- hemaligen Bundesvorsitzenden der Partei "Die Republikaner", Franz Schönhuber. Bereits vor seinem Parteiaustritt hatte Schönhuber durch ein Interview die Zeitschrift Europa Vorn spezial als Forum nutzen können. 2.1.12.6 Nation und Europa - Deutsche Rundschau Gründung: 1951 Herausgeber: Peter Dehoust, Harald Neubauer, Adolf von Thadden Verlag: Nation Europa Verlag GmbH, Coburg Erscheinungsweise: monatlich Auflage: 16.000 (geschätzt) Die Zeitschrift Nation und Europa hat sich in den letzten Jahren von einem Organ des klassischen Rechtsextremismus in eine Zeitschrift mit Themen der "Neuen Rechten" entwickelt. Fremdenfeindliche Agitation Konstantes Merkmal der Monatszeitschrift "Nation und Europa - Deutsche Rundschau" (NE) war auch im Jahr 1995 die fremden feindliche Agitation. Zu diesem Zweck erscheint in jeder NEAusgabe unter der Rubrik "Gewalt gegen Deutsche" eine Sammlung von Kurzmeldungen anderer Zeitungen, in denen über einzelne Straftaten von Ausländern gegen Deutsche berichtet wird. NE versucht mit dieser konzentrierten Zusammenstellung, ein Zerrbild der tatsächlichen Verhältnisse zu zeichnen und Fremdenhaß zu schüren: "Multikultureller - multikrimineller Alltag". Die nationalistische Zielsetzung von NE ist überdeutlich: "...Wohnungen, Arbeitsplätze, Versorgungsleistungen, Infrastrukturen aller Art stehen in Deutschland vorrangig den Deutschen zu. Wirtschaft hat wieder Volkswirtschaft zu sein ...". "... eine beispiellose Überfremdung durch Scheinasylanten, Wohlstandsnomaden und Goldsucher aus aller Welt, insgesamt eine bewußte Mißachtung nationaler Interessen - das entzieht unserem Volk die Lebensgrundlage." (Ausgabe 10/95) In Ausgabe 3/95 schreibt ein Redakteur unter der Überschrift "Bedrohung Islam", dem Schwerpunktthema dieses Heftes: Die 'Weltinsel Europa' war immer wieder 112 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 in den letzten fünfzehnhundert Jahren Objekt islamischer Expansion. Moslemische Heere standen vor Tours und an den Toren Wiens ... mit einer Blutspur der Verwüstung ... Schon heute ragen in jeder größeren und mittleren deutschen Stadt die Minaretts auf, aber noch sehen viel zu wenige Bundesbürger darin ein Alarmzeichen. Sollte die islamische Zeitbombe demnächst detonieren, wissen wir wenigstens, an wen wir uns zu halten haben." Agitation gegen Freiheitsund Gleichheitsgrundrechte Zum Zwecke der Agitation gegen den Liberalismus als tragendes Merkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird auch in NE Arthur Moeller van den Bruck, einer der Protagonisten der Konservativen Revolution, ins Gespräch gebracht ("An Liberalismus gehen die Völker zugrunde"). In Ausgabe 2/95 schreibt ein Redakteur: "Das 'Recht der jungen Völker' - so ein Buchtitel von Moeller van den Bruck - steht wieder auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Doch dazu bedarf es noch mancher Kurskorrektur, mancher Neubesinnung auf altbewährte ideologische Konstanten ...". Revisionismus - Agitation um die Bedeutung des Kriegsendes vor 50 Jahren Ein markanter Themenschwerpunkt bei NE war 1995, wie auch in anderen rechtsextremistischen Publikationen, der 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai. Die Schlagzeile auf der Titelseite der MaiAusgabe war eindeutig: "8. Mai 1945 - Befreit ... von Leib und Leben, Hab und Gut". In dem Artikel eines NE-Stammautors heißt es dazu: planvoll herbeigeführte Entmündigung im Wege der alliierten 'Umerziehung', als ein Akt der vorsätzlichen geistigen Verkrüppelung eines ganzen Volkes ... In den zurückliegenden Jahrzehnten sind die Deutschen ihrer Geschichte wie ihres Rechtes beraubt worden und von den Siegern des Weltkrieges zusammen mit deren einheimischen Vollzugsbeauftragten in einen Schuldund Sühnekomplex hineingedrängt worden, der alle Merkmale abnormen Verhaltens bei den Betroffenen erkennen läßt. Solche zustimmenden Beiträge begleiteten in NE den Abdruck des Aufrufes "Gegen das Vergessen", den neben Mitgliedern einiger demokratischer Parteien auch Rechtsextremisten unterzeichnet hatten (siehe Nr. 2.1.12.1). Bereits in der NEAusgabe vom April 1995 (Titel: "50 Jahre Kriegsende: Schluß mit der Selbstgeißelung!") wurde "Ein Manifest zum 8. Mai 1995" der rechtsextremistischen "Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) e.V." mit dem Kernsatz "Der 8. Mai 1945 war für die Deutschen kein Tag der 'Befreiung'" veröffentlicht. Bemühungen um Einigung der Rechtsextremisten Auf dem Bundesparteitag der DLVH erklärte der NEMitherausgeber Dehoust, er reise zwischen München, Münster und Thüringen hin und her und bemühe sich um die Durchführung von "Runden Tischen". Anläßlich einer solchen, vom "Nation-Europa-Freunde e.V." am 6. Juli 1995 in München organisierten Veranstaltung referierte er vor ca. 200 Personen zum Thema "Das Elend und neue Chancen der politischen Rechten in Deutschland". Als Ziel der Veranstaltung wurde in der Einladung angegeben, der "Nation-EuropaFreunde e.V." wolle "das Gespräch unter Gleichgesinnten in Gang bringen durch Dialog und Vertrauensbildung". 113 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Seit Oktober 1995 räumt NE dem ehemaligen Bundesvorsitzenden der REP, Franz Schönhuber, eine eigene Kolumne ein und unterstreicht damit ihre Bemühungen, eine Einigung rechtsextremistischer Kräfte herbeizuführen. Der "Buchdienst Nation Europa" - Revisionismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus Der "Buchdienst Nation Europa" gibt einmal jährlich den Prospekt "Büchersuchlicht" heraus, in dem ein breites Spektrum rechtsextremistischer Literatur vorgestellt und jeweils kurz kommentiert wird. Zu einem Buch über den Zweiten Welt krieg heißt es im Prospekt "Büchersuchlicht": "Dieser repräsentative Querschnitt beweist, wie damals gedacht wurde und daß die 'Gleichschaltung' nicht so stark war wie heute. Vor allem aus dem 'Völkischen Beobachter', 'Reich' und 'Schwarzen Korps' sind bezeichnende Darstellungen zusammengestellt ...". Auch für antisemitische Literatur wird geworben, etwa für das Buch "Die Ideologie der neuen Weltordnung", in dem unter Zugrundelegung der "Protokolle der Weisen von Zion", eines antisemitischen Falsifikats, behauptet wird, die Juden strebten die Weltherrschaft an. Schon die Ideale der - angeblich von jüdischen Agenten unterstützten - Französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", seien "nur Teil oder Anfang eines langfristigen Planes gewesen ....". 2.1.12.7 Sleipnir - Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik Gründung: 1995 Herausgeber: Andreas Röhler, Peter Töpfer GbR 114 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Verlag: Verlag der Freunde, Berlin Erscheinungsweise: zweimonatlich Auflage: unbekannt "Sleipnir - Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik" erscheint seit Anfang des Jahres 1995 zweimonatlich im "Verlag der Freunde" (VdF) mit Sitz in Berlin. Der Name "Sleipnir" stammt aus der nordischen Mythologie, so heißt dort das achtbeinige Pferd Odins (auch Wotan genannt). Schwerpunkte: Revisionismus und Antisemitismus Ein besonderes Merkmal dieser Zeitschrift ist dabei der hohe Anteil revisionistischer und antisemitischer Artikel. Vertreten ist auch hier der "Staatsbriefe"-Autor und Initiator des "Deutschen Kollegs", Dr. Reinhold Oberlercher, der in Ausgabe 2/95 die Verharmlosung und Leugnung des Holocaust verteidigt. Ein anderer Autor schreibt in Ausgabe 1/95: "Wenn es die bösen Nazis nicht gegeben hätte, müßte man sie erfinden. Und genau das wird dann auch getan: Es wird erfunden. Es wird gesponnen und aufgebauscht ... Und daher muß es Revisionismus, oder besser: Revision, geben: um all die Müllcontainer voller Schwachsinn, die jeden Tag, der vergeht, über die E- poche des Krieges wieder und wieder heruntergenölt werden, ein für alle Male zu entsorgen." In derselben Ausgabe heißt es an anderer Stelle: "Schließlich sitzen die verbrecherischen jüdischen Terroristen hinter den Kulissen an den Schalthebeln der Macht. Der Wille der Juden ist Gesetz. Die Judenmacht ist der neue 'Gott' des korrumpierten Abendlandes". In der Erstausgabe wurde auch ein Vortrag des Holocaustleugners Germar Scheerer geb. Rudolf veröffentlicht, den dieser am 8. Oktober 1994 bei der "Europa-Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg e.V." gehalten hatte. Darin hatte er u.a. ausgeführt, der "Holocaust-Glaube" sei de facto "die Machtgrundlage der links-internationalistischen, liberal-extremistischen Eliten der BRD". Querfrontstrategie 115 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Unter zahlreichen Rechtsextremisten waren in den ersten Sleipnir-Ausgaben vereinzelt auch linksgerichtete Autoren vertreten. Es ist dazu nicht bekannt, ob deren Beiträge aus anderen Publikationen übernommen und ohne ihr Einverständnis abgedruckt wurden oder ob sie über die rechtsextremistische Ausrichtung der Zeitschrift bewußt im Unklaren gelassen wurden. Vermutlich sollte die Aufnahme solcher Beiträge, etwa von Egon Krenz, die Funktion erfüllen, die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts als Bestandteil eines angeblich pluralistischen Diskussionsprozesses im Sinne der Meinungsvielfalt zu verharmlosen und Angriffe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit Hilfe einer Querfrontstrategie (siehe Nr. 2.1.12.4) führen zu können. Bezugnahme auf die Konservative Revolution Die Einbeziehung einzelner linksgerichteter Autoren hat aber darüber hinaus noch eine zweite Funktion: das Blatt will sich einen nationalrevolutionären Anstrich geben. Auch solche rechtsextremistischen Kreise sollen sich angesprochen fühlen, die Nationalrevolutionäre auch in der Konservativen Revolution orten. "Empfehlung" rechtsextremistischer Literatur Das Angebot des eigenen Buchdienstes belegt eindeutig rechtsextremistische Bestrebungen: unter verschiedenen Rubriken, zum Bei spiel "Revisionismus", werden zahlreiche einschlägige Werke ausdrücklich "empfohlen" (z.B. in Heft 2). Als Eigenproduktionen des VdF sind bisher - außer Sleipnir - nur drei Bücher erschienen, die aber ausschließlich von rechts extremistischen Autoren stammen. Unter den angebotenen Tonträgern befinden sich zahlreiche Schallplatten mit Texten aus der NS-Zeit. Publikationen mit strafbarem Inhalt beschlagnahmt Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wurden im November 1995 die Wohnungen der VdF-Gesellschafter durchsucht. Dabei konnten rund 2.000 SleipnirExemplare und 300 weitere Publikationen mit strafbarem Inhalt sichergestellt werden, darunter die Druckschrift "Die Zeit lügt" des Nationalsozialisten Otto Ernst Remer, "Die Auschwitz-Lüge" von Thies Christophersen, der "Leuchter-Report" sowie mehrere NS-Propagandafilme. Nach Durchsuchung und Beschlagnahme erschien Sleipnir zum Jahresende als Notausgabe. Im Angebot des VdF-Buchdienstes waren die Angaben zu beschlagnahmten Publikationen geschwärzt, teil weise aber so unvollständig, daß bestimmte Autorennamen oder Titel erkennbar blieben. Es sollte angedeutet werden, daß der Verlag an der Verbreitung der beschlagnahmten Titel auch weiterhin festhalten will. Aus diesem Grund wurde später das geänderte VdF-Buchdienstangebot in der ersten Ausgabe des Jahres 1996 mit dem Hinweis versehen: "Eine Auswahl: weitere Titel werden an Historiker bzw. zu beruflichen Zwecken geliefert". Die strafrechtlichen Vorschriften sollen umgangen werden, indem Interessenten diese Sprachregelung für die Bestellung einschlägiger Literatur mehr oder weniger deutlich vorgegeben wird. 2.1.13 Rechtsextremistische Skinheads 116 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Die Anzahl der sich durch die äußerliche Erscheinung zur rechtsextremistischen Skinheadszene bekennenden Jugendlichen ist weiterhin rückläufig. Dies läßt sich u.a. mit dem in den letzten Jahren stark angewachsenen Druck seitens der Sicherheitsbehörden und der Öffentlichkeit erklären. Offenbar haben die Skinheads auf Grund ihres aggressiven Verhaltens aber auch unter den Jugendlichen wenig Resonanz hervorgerufen. Viele Skinheads tendieren wieder zu den Anfängen ihrer Bewegung, das bedeutet: Sie sind politisch völlig desinteressiert, wenden sich der Skabzw. Reggae-Musik zu und vom bisherigen Kerngehalt der "OI"-Musik ("strength-through-joy"/"Kraft durch Froide") ab. Kommerzialisierung Die Musikkultur der Skinheads ist inzwischen vielmehr geprägt von einem infolge der spezifisch jugendlichen Bedürfnisse in nennenswertem Umfang entstandenen Markt und seiner Bedienung durch massive kommerzielle Interessen. Soziale Ächtung sowie eine Welle der Indizierung der Lieder durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften haben für den kommerziellen Erfolg flexibler und innovativer Skinmusik-Unternehmer eine neue Funktion erhalten. Dem Skin-Business ist an der Wahrung und Ausweitung der Absatzmöglichkeiten gelegen. So werden die neueren Skin-Liedtexte - z.T. mit anwaltlicher Hilfe - entschärft, wenn auch zuweilen im "Schwarzmarkthandel" gerade umgekehrt die Ächtung und (drohende) Indizierung die weitere Verbreitung und den Verkauf "unter dem Ladentisch" sowie auf SkinKonzerten und Treffs (Merchandising) offenbar anzukurbeln vermag - der "Thrill" der Indizierung mit umsatzsteigernder Wirkung. Der "Böhse-Onkelz"-Effekt, die "Läuterung" und gesellschaftliche Rehabilitierung dieser Band, kann als Beispiel für die im wesentlichen kommerziell motivierte Tendenz zur Mäßigung eines Großteils der Bands genannt werden. In neuerer Zeit ist festzustellen, daß manche Bands der Selbstkontrolle deutscher Skinmusikverlage durch Produktion im Ausland ausweichen. Staatliche Sanktionsmaßnahmen gegenüber den Jugendlichen wie etwa Versammlungsverbote (z.B. für Skin-Konzerte), die bereits in der Neonazi-Szene zu erheblichen Aggressionen geführt hatten, gingen am Problem, trotz der anarchischen Lebenseinstellung der Skinheads und ihrer Neigung, Gewalt als Konfliktlöser zu sehen, vorbei. Durch die Ausweitung der gesellschaftlichen Ächtung auf die sehr viel größere Skin-Szene werden tendenziell die primär unpolitischen Jugendlichen geradewegs in die Hände der Rechtsextremisten getrieben. Bei einer Befragung von Jugendlichen aus der SkinheadSzene haben sich fast nirgendwo Anhaltspunkte für gefestigte rechtsextremistische Einstellungen ergeben. Der Wandel in der Skinmusik-Szene ist gekennzeichnet durch eine Schwerpunktverlagerung der noch vorhandenen rechtsextremistischen Komponenten von den Skinheads als Musikkonsumenten und jugendkulturellen Peer-Groups auf die Drahtzieher und Akteure (Geschäftsleute, Band-Mitglieder, Szene-Führer), wobei unerheblich ist, ob die rechtsextremistische Instrumentalisierung dieses Marktes und der Konsumenten mehr aus politischagitatorischen, mehr aus kommerziellen Motiven oder zu gleichen Teilen erfolgt. 117 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Veränderung der Texte Der Skinmusik-Manager Torsten Lemmer ("Funny Sounds and Vision GmbH" sowie "Creative Zeiten Verlags und Vertriebs GmbH") beschäftigt sich in einem Buch mit der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der Skin-Musik, von ihm auch als "nonkonforme rechte Musik" bezeichnet. Er wirft den rechtsextremistischen Organisationen und den meinungsbildenden Publikationen vor, "Rechtsrock" nicht in der notwendigen Weise gefördert zu haben. Gerade rechte Rockmusik aber sei ein "strategisch wichtiges Instrument", um junge Leute an die "rechte" Politik her anzuführen. Lediglich auf unterer Funktionärsebene der Neonazis seien in der Vergangenheit bundesweit Kontakte geknüpft worden. Die Rechtsrockmusiker aber hätten "mehr Jugendliche auf nationale Inhalte aufmerksam machen und begeistern können, als dies in den letzten 40 Jahren eine Partei vermocht" habe. Lemmer plädiert für eine Erweiterung des rechten Musik-Repertoires (Techno-, Discound "selbstironische Blödelmusik", Tonträger mit Texten zu Sportereignissen). Er hebt die Notwendigkeit von Live-Konzerten hervor und fordert, "eine Diskussion zu entfachen, damit die Presse wieder verstärkt über den Rechtsrock" berichte. Zudem könne "rechte Musik" im "Rahmen des Bürgerfunks" angeboten werden. Ein Blick auf neuere Skinmusik-Produktionen bestätigt diese ebenso offensive wie lukrative Anpassung an die Gegebenheiten (vor dem Hintergrund bisheriger staatlicher Gegenmaßnahmen) in Richtung zwar rechtsextremistischer, jedoch möglichst nicht mehr strafrechtsrelevanter "Light"-Versionen. Ob sich - als Strategie der "Vergangenheitsbewältigung" mit Blick auf Persilscheine durch die Behörden - eine Tendenz zur Zurückhaltung, zum moderaten Spiel mit der Ambivalenz bzw. zur Tarnung politischer Botschaften als Äquivalent für die bisherige skin-typische explizite "Härte" (gewaltfixierter Fremdenhaß u.a.) herausbildet, bleibt abzuwarten. Hinweise hierauf bieten jedenfalls einige Liedtexte. Fremdenfeindlichkeit - Agitation gegen 'Überfremdung' Zum Beispiel heißt es 1995 in dem Liedtext "Die Flut" der Gruppe Rheinwacht : "Die Flut der Fremden zog schnell ins Land Und wir Deutschen hatten es zu spät erkannt Kann man hier denn noch existieren? Ohne gleich sein Gesicht zu verlieren Refrain Wann ist Deutschland in ihrer Hand? Wann werden wir aus unserer Heimat verbannt? Wann können wir Deutschen in Freiheit leben? Denn dafür würden wir alles geben Die Politik hatte es in ihrer Hand Und die Jugend drückten sie an die Wand Unsere Meinung durften wir nicht frei machen Denn unseren Schrei übertönten sie mit lachen Refrain Man weiß nicht mehr weiter in diesem Land Eine bestimmte Masse nimmt wohl überhand 118 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 Sie werden unseren Traum zerbrechen Von Freiheit kann man dann nicht mehr sprechen Refrain Zu viele sind bereits bei uns im Land Und sie werden hier auch noch anerkannt Ihr sagt jetzt wir sind "Nazischweine": Doch mit unserer Meinung stehen wir nicht alleine!" (CD "Lieber tot als ohne Ehre", Endstufe Records, 1995) Konzerte als Kristallisationspunkte Skinhead-Konzerte üben nach wie vor eine große Sogwirkung auf die Skinheadszene aus. Nachdem die Konzerte mit Beteiligung rechtsextremistischer Bands auf Grund staatlicher Gegenmaßnahmen 1994 verstärkt ins Ausland verlegt wurden, zeigt die Bilanz für 1995 wiederum einen deutlichen Anstieg in Deutschland. Die Organisatoren der Konzerte reagierten mit konspirativen Verhaltensweisen auf befürchtete Exekutivmaßnahmen. Sie meldeten häufig die Konzerte bei den zuständigen Behörden nicht mehr als solche an, sondern gaben sie unverfänglich als private Feiern aus. Die Veranstaltungstermine wurden nur "Insidern" kurzfristig mitgeteilt. Die Veranstaltungsorte, bei denen es sich bevorzugt um Privatgrundstücke handelte, wurden vorab meist nicht bekannt gegeben, sondern es wurden lediglich Treffpunkte mitgeteilt. Von dort leiteten die Organisatoren die anreisenden Teilnehmer zu den eigentlichen Veranstaltungsbzw. Ausweichorten, die in ländlichen Gegenden liegen. Bei den Skinhead-Konzerten handelt es sich in der Regel nicht um rechtsextremistische Kundgebungen, sondern in erster Linie um die Musikveranstaltungen einer spezifischen jugendlichen, allerdings weitgehend geächteten Subkultur. Strafbare Handlungen sind damit nicht zwangsläufig verbunden. Dennoch kommt es zuweilen während und nach Konzerten zu Gewalttätigkeiten. In NRW veranstalteten Aktivisten der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) SkinKonzerte. Am 13. Mai 1995 fand in Hörstel-Bevergern, Kreis Steinfurt, ein Konzert der rechtsextremistischen Skinhead-Band "Endstufe" aus Bremen und vier weiterer Bands mit etwa 700 Teilnehmern statt, das bis auf kleinere Rangeleien zwischen Skinheads und etwa 50 angereisten Personen der linksextremistischen Szene friedlich verlief. Die Veranstaltung wurde von dem Skinmusikmanager Lemmer sowie von einem Skinhead und NPD-Aktvisten aus Rheine organisiert. Fanzines Anläßlich eines Skinhead-Treffens am 2. September 1995 in Nordwalde, Kreis Steinfurt, wurde die Nr. 1 eines Fanzine's mit dem Titel "Amok - Texte für terminale Täter" sichergestellt, dessen Herausgeber o.g. Skinhead ist. In dem Fanzine sind neben Interviews mit verschiedenen SkinheadBands auch Presseberichte wiedergegeben, die sich mit dem rechts extremistischen Spektrum im Raum Rhei119 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 ne befassen. Die Auswahl des beziehungsreichen Untertitels "Texte für terminale Täter" des Fanzines "Amok" läßt den Eindruck entstehen, daß der Herausgeber vom Leserkreis generell eine zielgerichtete, finale Entschlossenheit zu Gewalthandlungen erwartet. Eine Aufforderung zu derartigen Straftaten beinhaltet zu mindest ein Artikel der "Anti-Antifa" Rheine, in dem unmißverständlich zu Aktionen gegen einen "Aussteiger" aus der rechtsextremistischen Szene und namentlich genannten Personen der "Antifa"-Szene in Rheine aufgerufen wird. Die Staatsanwaltschaft Münster hat bereits gegen den Herausgeber Anklage wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten erhoben. Weitere Ausgaben sind bislang nicht bekannt geworden. Darüber hinaus wurde Anfang 1996 hier die erste Ausgabe des deutschen Skinheadmagazins "Doitsche Offensive" bekannt. Es enthält u.a. auch Interviews mit Skinhead-Bands aus Nordrhein-Westfalen. Die Herausgeber stammen offensichtlich aus Baden-Württemberg. Von dem im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1994 erwähnten Fanzine "Moonstomp" sind bislang sechs Ausgaben bekannt geworden. Die derzeitige Auflagenhöhe liegt bei etwa 600 Stück. Herausgeber ist nach wie vor ein Aktivist der SAF. Gegen den Herausgeber ist derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach SSSS 86, 86a StGB in Zusammenhang mit der Ausgabe Nr. 4 anhängig. Der Verfahrensausgang ist noch nicht bekannt. In "Moonstomp" Nr. 6 erwähnt ist die Nr. 1 des Fanzines "Info Riot" aus Oberhausen, das Konzertberichte und Plattenbesprechungen bietet. Das seit April 1993 unregelmäßig erscheinende, für die Skinmusik-Szene jedoch bedeutende professionelle Fanzine "Moderne Zeiten" (MZ), herausgegeben von Creative Zeiten Verlags und Vertriebs GmbH, enthält neben Berichten über Bands und Konzerte, Leserbriefen etc. auch Angebote zu Produkten des Skin-Marktes wie z.B. T-Shirts ("Deutsche Musik" - Bissiger Hund mit Kettenhalsband, "Neue Werte - 100 % deutsch"), Renee-Fotokalender als auch Videos ("Führergeburtstage 1933 - 1945; "Adolf Hitlers letzte Tage - Die Schlacht um die Reichskanzlei", "Wotans Wiederkehr - Neuer Kult um alte Götter"). Eine ganz wesentliche Funktion hat "Moderne Zeiten" jedoch im Vertrieb von Tonträgern der Skinmusik. Herausgeber der entsprechenden MZ-Vertriebsliste ist die Creative Zeiten Verlags und Vertriebs GmbH MZ-Vertrieb. So wurde z.B. in "Moderne Zeiten" vom September 1995 "Kraft für Deutschland" von 1990 (Rebelles Europeens, Brest) offeriert, ein Titel, der auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften steht. Verantwortlich im Sinne des Presserechts und weiterer Gesellschafter der Creative Zeiten Verlag und Vertrieb GmbH ist der Herausgeber des ehemaligen Skinhead-Fanzines "Frontal" aus Essen. Verlage und Vertriebe der Skinhead-Szene Ein Großteil des inzwischen heftig boomenden SkinKommerzes dreht sich um Torsten Lemmer, den früheren Manager der aufgelösten - nach neueren Mitteilungen in Fanzines jedoch inzwischen in alter Besetzung wieder formierten - SkinheadBand "Störkraft" und Ex-Geschäftsführer der nicht mehr existierenden "Freien Wählergemeinschaft" (FWG) Düsseldorf. Lemmer hat als Geschäftsführer der 120 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 "Funny Sounds and Vision Produktionsund Handelsgesellschaft mbH" (FSV) (Produktionen u.a. der Gruppen "Rheinwacht", "Schlagzoig", "Siegeszug", "WMBlöker" und "08/15") sowie der "Creative Zeiten Verlags und Vertriebs GmbH" (CZ) (mit Sitz zunächst in Düsseldorf, später in Langenfeld) mit der Produktion und dem Verkauf von Tonträgern zum Preis von etwa 25 bis 30 DM pro CD, der Veranstaltung von Skinkonzerten und dem Fanzine "Moderne Zeiten" (Einzelpreis 4 DM) nicht unerhebliche Gewinne er zielt. Der Jahresumsatz dürfte eine sechsbis siebenstellige Summe erreichen. Im CZ-Gesellschaftsvertrag vom 22. April 1993 wurde Lemmer seine Stellung als Gesellschafter und die damit verbundene Tätigkeit als Angestellter bei einem von einem ehemaligen Mitglied der FWG zunächst in Düsseldorf betriebenen Verlag 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1995 gestattet. Nachdem der Druck aus der Bevölkerung und von der "linken" Seite immer größer wurde, wechselten beide mit ihren Verlagen nach Langenfeld. Von der "Division of FSV": "Dr. Records" wurde "Zerschlag Deine Ketten" der Band "Sturmwehr" produziert. deg Lemer, der das$Geschäft mit der Skinheadmusmk weiterhin forciert, steht in scharfer Konkurrenz zur Firma "Rock-o-Rama" in Br_hl, einer schon traditionull (Böhse Onkelz, Skrewdriver) herausragenden Adresse für den Skinmusik-Vertrieb, daoen auch im internationalen Gescxäft tätyger Inhaber nach eigenen"Angaben ausschlimDliae kommerzielle Interewsen verfolgt onf bei der Oi-Musik mit ihren verringerten Auftrittsmöglichkeiten der Bands nicht das "große Geld" vardiene. Solcheslei Distanzierung ist den "nationamen" Tonträgeovertrieben fremd. Sie werden betrieben von Funktionaeren rechtsextremistischer Parteien und Organisationenl insbesondere der NPD, die ihre gewerbliche Betätigung mit rechtsextremistischer Agmtition verquicken. Beispielhaft zu nennen ist hier der Dieter Koch Verlag, Sprockhövel. Das Musikangebot von Koch, JN-Funktionär und Mitglied der NPD, enthält u.a. unter dem Namen "Kampftrupp - tätowiert, kahl und"brutal" eine CD fÜ'fcr 15 DM mit dem Hinweis "Drei gute Lieder - Projekt vom Enowarnwng-Chef Steve". Dabei dürfte es,sich$um den Bandleaees der Wuppertaler Oi-Band #Entwarn 122