Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 1 1 Rechtsradikalismus ......................................................................... 2 1.1 Allgemein ......................................................................................................2 1.2 NPD ..............................................................................................................2 1.3 Aktion Widerstand .........................................................................................4 1.4 "Deutsch-Soziale Aktion"...............................................................................5 1.5 "Partei der Arbeit"..........................................................................................5 1.6 "Europäische Befreiungsfront" ......................................................................5 1.7 Sonstige Radikale Gruppen ..........................................................................6 2 Linksradikalismus ............................................................................ 7 2.1 Konventioneller Linksradikalismus - Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ..................................................................................................................7 2.2 Kommunistische Parteien Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) ..11 3 Linksradikale Jugend..................................................................... 12 3.1 Studierende Jugend ....................................................................................12 3.2 Berufstätige Jugend ....................................................................................17 4 Ausländer........................................................................................ 20 5 Arbeitsniederlegungen .................................................................. 22 6 Politisch motivierte Gewalttaten ................................................... 23 7 Maßnahmen im Geschäftsbereich des Justizministers............... 24 Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 2 1 Rechtsradikalismus 1.1 Allgemein Auf dem Gebiete des Rechtsradikalismus waren im Berichtszeitraum die weiteren Entwicklungen der NPD und deren radikale Randgruppen, die sich durch zahlreiche Widerstandsaktionen spektakulär bemerkbar gemacht hatten, von besonderem Interesse. Die innere Uneinigkeit und Zerrissenheit des rechtsradikalen Lagers in Nordrhein-Westfalen hatte zur Flügelbildung geführt. Auf der einen Seite standen die politisch gemäßigten nationalistischen Kräfte unter dem NPD-Landesvorsitzenden, auf der anderen Seite vor allem jugendliche Gruppen innerhalb und ausserhalb der NPD, die einen nationalrevolutionären Kurs unter dem Motto "AKTIONEN STATT PROPAGANDA" befürworteten. Inzwischen haben sich die Fronten weitgehend geklärt, so daß in groben Zügen folgender Lagebericht gegeben werden kann: 1.2 NPD Überraschende Wahl eines neues NPD-Landesvorsitzenden Die erwartete Konfrontation zwischen den rivalisierenden Gruppen erfolgte auf dem NPD-Landesparteitag, der am 8. Mai 1971 in Lüdenscheid-Brügge stattfand. Er endete mit der überraschenden Wahl eines neuen Landesvorsitzenden (68 Stimmen). Dieser galt von vornherein als Anhänger des radikalen Flügels in der NPD. Die Wiederwahl des bisherigen Landesvorsitzenden (54 Stimmen) scheiterte, nachdem er zuvor im Saal zusammengeschlagen worden war. Der Parteivorsitzende verließ grußlos den Landesparteitag. Konflikte im Parteivorstand durch Neuwahl des NRW-Landesvorsitzenden weiter verschärft Bei dieser Ausgangslage war abzusehen, daß sich die Schwierigkeiten, in denen sich der Landesverband schon damals auf allen Ebenen befand, kaum abbauen lassen würde. Das kann inzwischen als bestätigt angesehen werden. Das Verhältnis zwischen dem Parteivorsitzenden und dem Landesvorsitzenden hat sich weiter verschlechtert. Es besteht keine Vertrauensbasis mehr, die auch nur eine bescheidene Zusammenarbeit ermöglichen würde. Das zeigte sich schon auf einer in gespannter Atmosphäre verlaufenden Arbeitstagung des NPD-LV/NW am 5. Juni 1971 in Werl. Als der mit weiteren Parteivorstandsmitgliedern anwesende Parteivorsitzende die Vorgänge anlässlich der Neuwahl des Landesvorstandes sowie das Verhalten radikaler Aktionsgruppen in NW kritisieren wollte, wurde er vom Landesvorsitzenden mit dem Hinweis unterbrochen, diese Themen seien abgeschlossen, und er fügte in sarkastischem Ton hinzu, vorrangig müssten jetzt die - auf Betreiben des Bundesvorstandes - durch Austritte und Ausschlüsse maßgebender Funktionäre und Redner entstandenen Lücken wieder geschlossen werden. Nach weiteren heftigen Angriffen auch seitens anderer Funktionäre verließen der Parteivorsitzende und die übrigen Bundesvorstandsmitglieder vorzeitig die Arbeitstagung. Richtungsstreit auf Führungsebene In den Führungsgremien der Partei geht der Streit um die Rechtfertigung parteiinterner Gruppenbildung unvermindert weiter. Der Parteivorsitzende musste Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 3 wiederholt resignierend feststellen, daß Parteiausschlussverfahren gegen Funktionäre, die gegen den "gemäßigten Parteikurs" opponiert hatten, nur mit Rügen oder sogar mit Freisprüchen endeten. Der Parteivorstand hat in seiner Sitzung am 19./20.6.1971 in Bremen beschlossen, daß die Bildung "irgendwelcher Kreise" innerhalb der Partei auf regionaler oder überregionaler Ebene unstatthaft sei und einen Verstoß "gegen die innere Ordnung der Partei" darstelle. Durch diese Haltung des Parteivorstandes verstärken sich zunehmend die Spannungen zwischen der Parteileitung und den "aktionsfreudigen", meist aus "Jungen Nationaldemokraten" bestehenden örtlichen Gruppierungen. Diese "Widerstandsgruppen" werden in ihrem Bestreben, durch spektakuläres Verhalten die Öffentlichkeit "wachzurütteln" und auf die NPD aufmerksam zu machen, von dem stellvertretenden Parteivorsitzenden und führenden Funktionären aus verschiedenen Landesverbänden unterstützt. Der stellvertretende Parteivorsitzende machte sich zum Fürsprecher der Mitglieder, die den Führungsstil des Parteivorsitzenden kritisieren, radikale Aktionen befürworten und die NPD von einer "national-konservativen Wahlpartei" in eine "national-soziale Aktionspartei" umwandeln wollen. Er verbindet hiermit offensichtlich persönliche Ambitionen im Kampf um die Führungsspitze und beabsichtigt, auf dem Bundesparteitag im November 1971 gegen den amtierenden Vorsitzenden zu kandidieren. Er wird in diesem Vorhaben vor allem vom neuen NRWLandesvorsitzenden unterstützt. Die NPD-Parteileitung will nunmehr auf dem Bundesparteitag die "Generalabrechnung" mit der parteiinternen Opposition, um deren Wortführer "in offener Feldschlacht" auszuschalten und den künftigen Kurs der NPD klar festzulegen. Sie begrüßt daher die Absicht des stellvertretenden Vorsitzenden, gegen den Amtsinhaber für den Parteivorsitz zu kandidieren. Allerdings sieht der Parteivorsitzende selbst diese Entwicklung nicht ohne Sorge. Er wird einerseits von seiner Familie bedrängt, sich aus der Parteiarbeit zurückzuziehen, andererseits aber von seinen Freunden ermutigt, auf gar keinen Fall aufzugeben. Er selbst zeichnet in Lagebeurteilungen vor seinen engsten Mitarbeitern zwar ein düsteres Bild über die gegenwärtige Situation der NPD, glaubt andererseits aber wieder, daß er der einzige sei, der die Partei retten könne und hält sich daher - trotz seiner zahlreichen Rücktrittsdrohungen - der nationalen Sache verpflichtet. Er setzt nunmehr alle Hoffnungen auf ein günstiges Abschneiden der NPD bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen am 10.10.1971. Parteiarbeit durch Führungsstreit weitgehend gelähmt Natürlich lähmt der Streit zwischen den verschiedenen Richtungen in der NPD die Parteiarbeit erheblich. Die Führungsgremien sind weitgehend damit beschäftigt, parteischädigende Vorfälle zu ahnden, Intrigen aufzudecken und gegen mißliebige Mitglieder vorzugehen. Die Parteivorstände sind gemäß einer internen Umfrage selbst der Meinung, daß z.Z. nur noch von etwa 10 - 15% aller Mitglieder aktive Parteiarbeit erwartet werden kann. Der aktive Mitgliederbestand der NPD im Bundesgebiet dürfte inzwischen auf unter 20.000, also um mehr als die Hälfte, gesunken sein. Der Umsatz der Deutschen Nachrichtenverlags GmbH verringerte sich im 1. Halbjahr 1971 gegenüber dem Vorjahr um rund 25% und der Abonnentenschwund beim NPD-Zentralorgan "DN" betrug ca. 35% (Auflage jetzt ca. 30.000). Nur 40% der DN-Abonnenten gehören der NPD an. Die Finanzlage der Partei ist zwar angespannt und hat zu scharfen Rationalisierungsmaßnahmen gezwungen. Aber durch die noch laufenden Beträge aus der Wahlkampfkostenerstattung vermag man sich "über Wasser" zu halten. Es handelt sich alles in allem immerhin um einige Millionen DM. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 4 Künftiger Propaganda-Schwerpunkt soll Innenpolitik sein Die NPD beabsichtigt, den Schwerpunkt ihrer künftigen Propaganda auf die Innenpolitik zu legen: Verfall der Staatsautorität, wachsende Kriminalität, Schwierigkeiten an den Hochschulen, wirtschaftliche Krisensituation usw. Die Propaganda soll auf das Generalthema "Recht und Ordnung" "getrimmt" werden. Es sollen Plakate mit den Texten: "Nur ein starker Staat kann unsere Freiheit schützen" und "NPD - Die neue Kraft, die Ordnung schafft" für die NPD werben. Man verspricht sich allerdings hiervon im Augenblick keine Beseitigung der internen Schwierigkeiten, möchte die NPD jedoch im Bewußtsein der Bevölkerung erhalten. NPD in NRW im Niedergang begriffen Dieser Überblick über die Gesamtlage der Partei zeigt, daß von der Spitze her im Augenblick keine "positive" Einwirkung auf den Landesverband NW möglich ist. Aber auch die personellen Differenzen im Landesvorstand zwischen den in etwa gleichstark vertretenen Anhängern des neuen Landesvorsitzenden und den Gefolgsleuten seines Vorgängers werden der Partei weiter zu schaffen machen. Bisher ist in NW nach dem Landesparteitag noch keine größere Veranstaltung zustandegekommen. Es sind keine besonderen Initiativen entwickelt worden. Die Kreisverbandstätigkeit ist mit wenigen Ausnahmen kaum spürbar gewesen. Interessant ist, daß die NPD selbst von den ursprünglich 80 aktiven Kreisverbänden in NW nur noch 11 als "gut" und 29 als "schwach" einstuft, während sie 40 nur noch am Rande erwähnt. Allein hieraus läßt sich der rapide Rückgang der NPD in NW belegen. Bei den Vorstandwahlen mußten fast alle Sitzungen zunächst wegen Beschlußunfähigkeit satzungsgemäß geschlossen und dann wiedereröffnet werden, ehe die Wahlen durchgeführt werden konnten. Sinkende Mitgliederzahlen in NRW Die Mitgliederfluktuation hielt an und dürfte seit der Landtagswahl (1,1%) von ca. 6.000 auf nunmehr schätzungsweise ca. 3.000 zurückgegangen sein. Die Beiträge konnten nur schleppend eingezogen werden. Größere Spenden blieben aus, so daß die Finanzlage angespannt bleiben wird. Durch die Zahlung von 196.000 DM Wahlkampfkostenerstattung ist man allerdings auch in NW in der Lage, verhalten weiter zu wirtschaften. Schließlich wurde die Geschäftsstelle in Düsseldorf vom Vermieter aus Verärgerung über die negative Entwicklung innerhalb der NPD/NW gekündigt. Sie ist ab 1.9.1971 nach Duisburg-Wedau verlegt worden. Das ist der augenblickliche Stand. Der sich abzeichnende Verfall der NPD/NW könnte zumindest verlangsamt werden, wenn es dem neuen Landesvorsitzenden gelänge, Solidarität im Vorstand zu erzielen, die nachgeordnete Funktionärsschicht in ihrer Aktivität neu zu beleben und ein besseres Verhältnis zum Bundesvorstand herzustellen. 1.3 Aktion Widerstand Die im Rahmen der "Aktion Widerstand" (AW) - Sitz München - tätigen Verbände haben in den letzten Monaten keine größeren Demonstrationen mehr durchgeführt. Zwei "Freiheitskundgebungen", an denen sich rechtsradikale Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 5 Aktivisten auch aus Nordrhein-Westfalen beteiligten, - am 17.6.1971 entlang der Zonengrenze und am 13.8.1971 an der Berliner-Mauer - blieben ohne das erhoffte Echo. Keine Unterstützung mehr durch die NPD Der Beschluß des NPD-Parteivorstands vom 20.6.1971, die "Aktion Widerstand" nicht mehr zu unterstützen, hat die Initiatoren dieser Organisation enttäuscht. Obwohl der NPD-Parteivorsitzende inzwischen in vermittelnden Gesprächen erklärt hat, dieser Beschluß bedeute nicht, daß die NPD die AW völlig fallen lasse, ist die AW seither praktisch überall untätig. Die Geschäftsführung der AW will die Organisation jedoch als eigenständiges Gebilde erhalten und zu Gruppen außerhalb der NPD Verbindung knüpfen. Sie hat in einem Rundschreiben zur "Fortführung der Aktionsarbeit des Widerstands" aufgerufen und entsprechende Flugschriften angeboten. 1.4 "Deutsch-Soziale Aktion" Die unter dem Namen "Deutsch Soziale Aktion" (DSA) bekanntgewordene Widerstandsgruppe ist inzwischen inaktiv geworden. Zwei Rädelsführer haben sich zurückgezogen. Beide waren frühere NPD-Landesvorstandsmitglieder, sind inzwischen aber aus der Partei ausgetreten. Gegen die DSA und ihre Untergruppen sind die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen ihrer Aktionen in Wuppertal, Rolandseck, Mönchengladbach usw. bei der Staatsanwaltschaft in Köln konzentriert worden. Eine beim Landeskriminalamt gebildete Sonderkommission ist mit der weiteren Aufklärung befaßt. 1.5 "Partei der Arbeit" Als Sammlungsbewegung für "radikalsoziale" Rechtsextremisten hat ein ehemaliger NPD-Funktionär, der u.a. wegen seiner Beteiligung an den Ausschreitungen vor der sowjetischen Botschaft in Rolandseck am 16.1.1971 aus der NPD ausgeschlossen worden ist, am 17.6.1971 eine "Partei der Arbeit" mit einem 14-köpfigen "Zentralkomitee" gegründet. Diese Partei soll Anhänger ehemaliger Aktionsgruppen und alle Kräfte im rechtsradikalen Lage sammeln, die anstelle der "national-konservativen" Einstellung der NPD einen "Sozialismus von rechts" befürworten und zu "sozial-revolutionären" Aktionen drängen. Im vorläufigen Parteistatut bezeichnet sich die "Partei der Arbeit" als gegen "kapitalistische und kommunistische Ausbeutung" gerichtete "Organisation des Volkssozialismus" mit dem Ziel der Errichtung eines "ersten radikaldemokratischen und antiimperialistischen Staates auf deutschem Boden". Verschiedene Gruppen der "Jungen Nationaldemokraten", die mit dem Kurs der NPD nicht einverstanden sind, stehen dieser Sammlungsbewegung aufgeschlossen gegenüber. Man wird sie allein schon deshalb im Auge behalten müssen, weil ihre Initiatoren seit Jahren als radikale Aktivisten bekannt sind. 1.6 "Europäische Befreiungsfront" In Sachen "Europäische Befreiungsfront" (EBF), jener Geheimorganisation mit Schwerpunkt in Duisburg, die mit Waffengewalt den Kommunismus in der Bundesrepublik bekämpfen wollte, - es wurde hierüber bereits früher eingehend Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 6 berichtet - hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf dem Gericht am 10.5.1971 die Anklageschrift zugeleitet. Sie wurde den Beschuldigten inzwischen zugestellt. 1.7 Sonstige Radikale Gruppen Die sonstigen rechtsradikalen Bestrebungen im Lande NW, z.B. die Betätigung zahlreicher kleinerer Organisationen, die Verbreitung nationalistischer Publizistik sowie die antisemitischen und die neonazistischen Schmierund Störaktionen gingen im Berichtszeitraum nicht über den bisherigen, verhältnismäßig geringen Umfang hinaus, so daß sie nicht als aktueller Schwerpunkt angesehen werden können. auf eine detaillierte Darstellung, wie sie in Teilbereichen (Jugendorganisationen, Publizistik usw.) dem Ausschuß für Jugend, Familie und politische Bildung am 5.5.1971 gegeben wurde, wird daher ohne Schaden für den Gesamtüberblick verzichtet werden können. Das Hauptaugenmerk wird auch in Zukunft vorwiegend bei jenen Gruppen liegen müssen, die kompromißlos für rechtsradikale Zielvorstellungen eintreten und dabei in blindem Fanatismus nicht davor zurückschrecken, sie sogar mit Waffengewalt zu verwirklichen. Bisher ist es in Nordrhein-Westfalen gelungen, derartige Gruppenbildungen rechtzeitig zu erkennen und in Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz unschädlich zu machen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 7 2 Linksradikalismus 2.1 Konventioneller Linksradikalismus - Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Seit der letzten Berichterstattung hat sich im Bereich des Linksradikalismus der Konzentrationsprozeß zugunsten der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) verstärkt. Die DKP ist im linsradikalen Lager die mitgliederstärkste und politisch bedeutungsvollste Organisation. Es kann damit gerechnet werden, daß sich diese Entwicklung in der Folgezeit vornehmlich auf Kosten der noch vorhandenen maoistischen, trotzkistischen und anarchistischen Gruppen in unserem Lande fortsetzen wird. Organisation Die DKP hat den Aufbau ihrer Organisation auf Stadtteil-, Kreisund Bezirksebene nunmehr im wesentlichen abgeschlossen. Sie verfügt im gegenwärtigen Zeitpunkt in NRW bei 90 kreisfreien Städten und Kreisen über 84 Kreisorganisationen, die zum Teil zu sog. Gebietsorganisationen zusammengefaßt sind. Die DKP ist damit in allen wichtigen Städten des Kreises und Landes mit handlungsfähigen Organisationen vertreten. Besondere politische und organisatorische Schwerpunkte sind naturgemäß die Großstädte an Rhein und Ruhr, so z.B. Köln 450 Mitglieder Düsseldorf 600 " Duisburg 600 " Essen 500 " Dortmund 500 " Gelsenkirchen 450 " Bottrop/Gladbeck 400 " Recklinghausen 300 " DKP hat ca. 12.000 Mitglieder Insgesamt sind in den beiden DKP-Bezirken "Ruhr-Westfalen" und "RheinlandWestfalen" ca. 12.000 Mitglieder organisiert. Die DKP hat damit in der Zwischenzeit schätzungsweise 1.000 neue Mitglieder gewinnen können. Neugründungen von Betriebsgruppen Im Bereich dieses Organisationsgefüges stellen die von den Bezirksund Kreisleitungen gesteuerten DKP-Betriebsgruppen einen bedeutungsvollen politischen Faktor dar. Der DKP ist es gelungen, in 5 weiteren Unternehmen Betriebsgruppen zu gründen. Von den nunmehr 85 Betriebsgruppen entfallen Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 8 52 auf die Metallindustrie, 14 auf den Bergbau, 4 auf die öffentliche Verwaltung und 3 auf die chemische Industrie. Gleichzeitig ist die Zahl der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die als Mitglieder und Funktionäre der DKP in Erscheinung getreten sind, von 57 auf 84 gestiegen, wobei als Schwerpunkte der kommunale Sektor und der Schulbereich festzustellen sind. Neue Arbeitskreise auf Vorstandsebene gegründet Entsprechend der straffen Organisationsprinzipien einer kommunistischen Partei ist die DKP dazu übergegangen, ihre Führungsgremien personell auszugestalten. Der Parteivorstand in Düsseldorf hat inzwischen Arbeitskreise für Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaftspolitik, Agrarpolitik, Sportpolitik und Rechtsfragen gebildet und bereitet die Einrichtung eines besonderen Referates für Schulpolitik und Schülerfragen vor. Erwähnenswert dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß ein bekannter früherer FDJund KPD-Funktionär aus Düsseldorf als neuer Referent für Bundes-, Landesund Kommunalpolitik in den Parteivorstand berufen wurde. Auch auf der Ebene der beiden Bezirksleitungen wurden zur Intensivierung und Straffung der DKP-Betriebsarbeit Arbeitskreise für den Bereich der Metallindustrie, des Bergbaus und der Bauwirtschaft gebildet und personell ausgestaltet. Schule Die in Essen gegründete DKP-Landesparteischule "Karl Liebknecht" hat am 28. März 1971 ihren Lehrbetrieb mit einem 1-wöchigen Grundlehrgang aufgenommen, an dem zunächst 12 DKP-Funktionäre aus den beiden DKP-Parteibezirken teilnahmen. Aufgabe der Schule ist es, die Kenntnisse der DKP-Funktionäre und der DKP-Mitglieder über die ideologischen Grundlagen der Partei sowie über ihre Strategie und Taktik in der aktuellen politischen Auseinandersetzung zu vertiefen. Für die kommenden Monate sind Wochenlehrgänge für Betriebsarbeiter, örtliche DKP-Funktionäre und für Schüler geplant. Es ist weiterhin beabsichtigt, Lehrgänge von längerer Dauer durchzuführen. Publizistik Im Bereich der DKP-Publizistik ist die Zahl der Betriebszeitungen zwischenzeitlich von 120 auf 140 gestiegen. Da die Parteiführung in der kontinuierlichen Herausgabe von Betriebszeitungen das wichtigste Element ihrer Agitation und Propaganda sieht, ist auch in Zukunft - insbesondere während der zu erwartenden Tarifauseinandersetzung - mit einer weiteren Steigerung der Zahl der Betriebszeitungen zu rechnen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 9 Schwerpunkte Als wesentliche Ereignisse des Berichtszeitraumes sind * die aktive Beteiligung der DKP an den Aktionen "Roter Punkt", * die intensiven Vorbereitungen der DKP, entscheidenden Einfluß auf die Tarifentwicklung in der Metallindustrie zu gewinnen, * die "erklärte" Fortentwicklung der DKP zu einer auf dem Boden des Marxismus/Leninismus stehenden kommunistischen Partei und * die Intensivierung ihrer Kontakte zu den kommunistischen Parteien in Ost und West zu nennen. Aktion Roter Punkt Mit Hilfe ihrer breiten organisatorischen Basis ist es der DKP gelungen, Einfluß auf die Protestbewegung gegen die Fahrpreiserhöhungen bei den Nahverkehrsbetrieben "Roter Punkt" zu gewinnen. Ausgangspunkt der Demonstrationen gegen die Anhebung der Fahrpreise war Dortmund, wo im März 1971 etwa 200 Angehörige demokratischer Jugendorganisationen demonstrierten. Im weiteren Verlauf der sich ausbreitenden Demonstrationen gelang es dem zentral steuernden Parteivorstand der DKP und den beiden DKP-Bezirksleitungen in Dortmund, Gelsenkirchen, Bochum, Wanne-Eickel, Witten, Moers, Düsseldorf, Wuppertal, Aachen und Hagen DKP-Funktionäre in die sog. "Aktions-Komitees" einzuschleusen, die dann durch ihre Aktivität und durch materielle Unterstützung die Führung der Protestbewegung übernehmen konnten. Die DKP wertete das Auftreten der Partei im Rahmen der Aktionen "Roter Punkt" deshalb als besonderen politischen Erfolg, weil es ihr erstmalig möglich war, eine spektakuläre Protestaktion nach ihren politischen Zielvorstellungen zu lenken und zu leiten. Zahlreiche DKP-beeinflußte Veranstaltungen in NRW In 15 Städten des Landes Nordrhein-Westfalen kam es in der Zeit vom 13.1.1971 bis 20.6.1971 zu insgesamt 19, vorwiegend von kommunistischen Organisationen gelenkten Veranstaltungen im Rahmen der Aktion "Roter Punkt". An ihnen haben pro Veranstaltung im Durchschnitt 320 Personen teilgenommen. Der Polizeieinsatz betrug im Durchschnitt pro Veranstaltung 200 Beamte. 93 Polizeibeamte wurden hierbei verletzt. Es kam zu 945 vorläufigen Festnahmen; 929 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Hervorzuheben sind hierbei Aktionen in Aachen, wo im April an verschiedenen Veranstaltungen im Durchschnitt 200 bis 300 Personen teilnahmen und insgesamt über 3.000 Polizeibeamte eingesetzt werden mußten, in Dortmund - 29 Veranstaltungen mit durchschnittlich 750 Personen, Polizeieinsatz insgesamt über 8.00 Beamte - und Gelsenkirchen, wo bei den verschiedenen Veranstaltungen im Schnitt 600 Personen teilnahmen und insgesamt ca. 3.500 Polizeibeamte eingesetzt wurden. Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie Die bei der Aktion "Roter Punkt" gewonnenen politischen und organisatorischen Erfahrungen will die DKP bei der bevorstehenden Tarifauseinandersetzung in der Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 10 Metallindustrie anwenden. Zur Zeit finden in der Parteischule "Karl Liebknecht", bei den Bezirksvorständen und beim Parteivorstand Beratungen der in der Metallindustrie tätigen KP-Mitglieder statt. Die Forderung der DKP für die Tarifauseinandersetzung zielt auf eine mindestens 15%ige Lohnerhöhung ab. Diese Forderung soll in den kommenden Wochen mit Hilfe der 52 Betriebsgruppen in der Metallindustrie und der kommunistischen Publizistik in die Betriebe der Metallindustrie hineingetragen werden. Weiterhin fordert die DKP, das Verfahren für die Urabstimmung neu zu regeln und die Möglichkeit einer staatlichen Schlichtung aufzuheben. Sollte die Forderung nach einer 15%igen Lohnerhöhung nicht im Verhandlungswege realisiert werden können, will sich die DKP für die Ausrufung des Total-Streiks einsetzen. Bekenntnis zum Marxismus/Leninismus Die DKP hat auf ihrem 1. Parteitag im April 1969 als programmatische Basis eine "Grundsatzerklärung" beschlossen und in der Folgezeit ein Jugendprogramm, ein Bauernprogramm sowie u.a. Vorschläge zur Hochschulreform, zum Bildungswesen, zur Kommunalpolitik, zur Neuordnung des Bodenrechtes und zur Überwindung des Verkehrschaos in den Städten und Gemeinden verabschiedet. Obwohl in der "Grundsatzerklärung" davon die Rede ist, daß sich die "Tätigkeit der DKP auf die Lehren von Marx und Engels gründet", ist den genannten programmatischen Aussagen ein eindeutiges Bekenntnis zum Marxismus/Leninismus nicht zu entnehmen. In der Zwischenzeit haben der Parteivorstand der DKP und eine Reihe von Spitzenfunktionären ihre taktisch bedingte Zurückhaltung auf ideologischem Gebiet aufgegeben. In offiziellen Erläuterungen zu den "44 Thesen zum 2. DKP-Parteitag" (November 1971 in Düsseldorf) wird nunmehr offen ausgesprochen, daß "diese kapitalistische Ordnung" (gemeint sind die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik)"nur noch eines wert ist: zerstört zu werden" (Broschüre "Der Kampf für Demokratie und Soziallismus", Seite 2; herausgegeben vom PV der DKP) und durch ein sozialistisches System nach dem Modell der DDR ersetzt werden muß. Der Weg zu diesem Ziel ist gekennzeichnet durch eine in verschärftem Klassenkampf zu errichtende "antimonopolistische Demokratie" von der aus in einem revolutionärem Prozeß der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Bundesrepublik zu vollziehen ist (These 10). Offenlegung der Zielsetzung rückt DKP in die Nähe des KPD-Verbotsurteils Die DKP-Führung ist sich durchaus der Tatsache bewußt, daß sie mit der Offenlegung ihrer marxistisch-leninistischen Zielsetzung die Partei in die Nähe des KPD-Verbotsurteils vom 17.8.1956 rückt. Sie hat deshalb ihre agitatorischen Bemühungen zur Aufhebung des KPD-Urteils verstärkt. Gleichzeitig versucht sie, die Frage der Existenz einer kommunistischen Partei auf dem Boden der Bundesrepublik zu einem internationalen Faktor hochzuspielen, der die internationale Politik der Entspannung zwischen Ost und West entscheidend berührt. Vor diesem Hintergrund sind die verstärkten Kontakte der DKP zu den Kommunistischen Parteien in Westeuropa und im Ostblock zu sehen. Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien Im Berichtszeitraum haben insgesamt 15 Kontaktgespräche mit Vertretern ausländischer kommunistischer Parteien stattgefunden, darunter auch mit den kommunistischen Parteien westlicher Länder, wie Belgien und Italien. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 11 Hervorzuheben ist die besonders enge Verbindung zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion. So nahm im Frühjahr 1971 eine DKP-Delegation am XXIV. Parteitag der KPdSU teil; am 18.5.1971 suchte der neue sowjetische Botschafter - einen Tag vor seinem Antrittsbesuch beim Bundeskanzler - den Parteivorstand der DKP in Düsseldorf zu einem Informationsgespräch auf; am 16.7.1971 führte eine DKP-Delegation in Moskau mit Vertretern der KPdSU ein Gespräch über die Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz sowie über die sofortige Ratifizierung des Moskauer und des Warschauer Vertrages. 2.2 Kommunistische Parteien Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) Ein weiterer Faktor im linksradikalen Lager sind die 4 Kommunistischen Parteien Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML). Ausgangspunkt dieser maoistischen Gruppen ist die am 31.12.1968 in Hamburg von einem früheren KPD-Funktionär gegründete KPD/ML, deren Landesverband NW sich 1970 spaltete und eine zweite KPD/ML mit Sitz in Bochum gründete. Die 2. KPD/ML wurde und wird fast ausschließlich von Studenten getragen, so daß sich der sog. "Arbeitsflügel" unter Führung eines "Altkommunisten" von der 2. KPD/ML trennte und eine dritte KPD/ML gründete. Eine vierte KPD/ML besteht als lokale Gruppe im Siegerland. Die insgesamt vier Parteien mit ihren Jugendorganisationen "Rote Garde", KJVD und KJVD-Landsverband NW entwickeln eine lebhafte Aktivität, die sich vornehmlich in der Teilnahme an Protestaktionen ("Roter Punkt", "1.Mai" usw.) sowie in der Herausgabe von KPD/ML-Betriebszeitungen (in NW ca. 30) zeigt. Das Mitgliederpotential dieser Gruppe wird auf 1.000 - 1.500 meist jüngere Leute zu veranschlagen sein. Die DKP, die die maoistische Linie der KPD/ML und deren Aktionismus scharf ablehnt, ist dennoch bemüht, geeignete Mitglieder zu sich herüberzuziehen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 12 3 Linksradikale Jugend 3.1 Studierende Jugend Allgemeine Situation Die Situation an den Universitäten und Hochschulen des Landes, zu denen auch die Pädagogischen Hochschulen und - ab 1.8.1971 - die Fachhochschulen zu zählen sind, war im Sommersemester 1971 gekennzeichnet durch ein Bild relativer äußerer Ruhe. Es kam nur vereinzelt zu großen Aktionen, wie etwa zu den studentischen Demonstrationen aus Anlaß der abschließenden parlamentarischen Beratung des (Bundes-) Berufsausbildungsförderungsgesetzes (BAFÖG), die vom "Verband Deutscher Studentenschaften" (VDS) ausgingen. Diese äußere Ruhe darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die linksradikalen Studenten in den Hochschulen nach wie vor mit den Mitteln der Infiltration darum bemüht sind, ihren Einfluß ständig zu verstärken. Hierbei geht es ihnen nicht mehr allein darum, führende Positionen in der studentischen Selbstverwaltung zu erringen. Genau so wichtig, wenn nicht noch wichtiger, sind ihnen Sitz und Stimme in allen Gremien der Hochschulbereiche, in denen über Fragen der Hochschulverfassung, die Besetzung von Lehrstühlen sowie die Studienund Prüfungsordnungen usw. entschieden wird. Hier haben sie die Möglichkeit, als gewählte Vertreter der gesamten Studentenschaft der Universität, des Fachbereichs oder der Fachschaft auftreten zu können. MSB-Spartakus Zum Zentrum der konventionellen kommunistisch ausgerichteten Studenten hat sich der im Mai 1971 als Bundesorganisation gegründete "Marxistische Studentenbund - Spartakus" (MSB) entwickelt. Von den 425 Sitzen in Studentenparlamenten, die gegenwärtig von überregionalen Studentenverbänden (SHB, RCDS usw.) gehalten werden, hat Spartakus bereits mehr als 100 Sitze erobert. Das sind also ca. 25%. Sein Einfluß auf seinen Koalitionspartner im VDS, den "Sozialdemokratischen Hochschulbund" (SHB) ist bereits soweit vorgeschritten, daß führende Kräfte des MSB die Auffassung vertreten, die ideologischen Unterschiede zwischen SHB und MSB müßten nach außen - evtl. auch künstlich - herausgestellt und stärker betont werden. Intern sollen dagegen unter Wahrung einer gewissen Vertraulichkeit die Kommunikation und die Abstimmung über die richtige politische Linie intensiviert werden. Die Führung des MSB ist sich darüber im klaren, daß der Einfluß und die Wahlchancen des SHB abnehmen, wenn die Verflechtung SHB/MSB zu offensichtlich wird. Sie ist aber - zumindest vorübergehend - an der Existenz des SHB interessiert, da der Einfluß der gesamten kommunistischen Fraktion im Hochschulbereich nach ihren Vorstellungen erheblich zurückgehen würde, wenn nicht der Anschein der "Volksfront im Hochschulbereich" zwischen SHB und MSB gewahrt bliebe. Um weitere Kreise in diese "Volksfront" zu ziehen und damit unter kommunistischen Einfluß zu bringen, soll die Betonung in den nächsten Semestern noch stärker als bisher auf dem "demokratischen" Bündnis aller "progressiven" Kräfte liegen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 13 Die studentischen Gruppen der "Neuen Linken" haben ihre Positionen nicht wesentlich ausbauen können. Hier zeichnet sich aber eine Zentralisierung in Richtung auf maoistische Gruppierungen (KPD/ML) ab. In Zukunft könnte hier der in Berlin als Studentenorganisation der neuen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) - bisher KPD/Aufbauorganisation - gegründete "Kommunistische Studentenverband" (KSV) an Bedeutung gewinnen, der auch in der Bundesrepublik tätig werden will. Studentische Dachverbände Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) hat sich weiter konsolidiert. Er vertritt nach der Auflösung der 1969 als Gegengewicht gegen den VDS gegründeten "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Studentenschaften" (ADS) wieder fast die gesamte Studentenschaft. Nur vereinzelt erheben sich hiergegen Widersprüche, wie Verwaltungsklagen gegen die zwangweise Abführung der Beiträge an den VDS beweisen. In der den VDS tragenden Koalition SHB/MSB-Spartakus ergeben sich offensichtlich keine Gegensätze. Man ist auch bereit, das Wohlverhalten der anderen linksradikalen Gruppen äußerstenfalls zu "erkaufen". So ist bekannt, daß bei den letzten Mitgliederversammlungen des VDS die Stimmen einzelner Asten (1970 Uni München, 1971 Uni Münster) mit Hilfe finanzieller Zugeständnisse gewonnen wurden. Die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen geht dagegen reibungslos vonstatten. Mit der prokommistischen "Deutschen Friedens-Union" (DFU) wurde im Sommer 1971 eine Zusammenarbeit auf bildungspolitischem Gebiet vereinbart und auf gemeinsamen Tagungen bereits praktiziert. Für 1972, dem "Jahr des Auszubildenden", sind Aktionen zur Bildungsreform und zum Berufsausbildungsgesetz mit anderen Organisationen, darunter der kommunistischen "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ), geplant. An diesen Aktionen sollen auch die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Bundesassistentenkonferenz (BAK) beteiligt werden, die bereits im Wintersemester - 1970/71 mit dem VDS einen gemeinsamen Kongreß gegen die Gründung des Bundes "Freiheit der Wissenschaft" durchführten, was als Erfolg der "Volksfrontpolitik" des VDS angesehen wurde. Beobachtung radikaler Ausländergruppen durch den Verfassungsschutz als Thema Ein weiteres Thema soll der Kampf gegen die geplante Erweiterung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes auf die Beobachtung radikaler Ausländergruppen sein, in dem der VDS den Nachweis führen will, daß die ausländischen Kommilitonen verstärkt vom Verfassungsschutz "bespitzelt" werden. Hiermit glaubt man Emotionen in der Studentenschaft wecken zu können, die auch für weitergehende Aktionen zu nutzen sind. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 14 Verband der Studentenschaft an Fachhochschulen und Höheren Fachschulen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West (SVI e.V.) Der SVI e.V. als Dachverband der Studentenschaften im Fachhochschulbereich und seine Landesorganisationen in Nordrhein-Westfalen, der "Verband Integrierter Studentenschaften" (VIS), stehen nach den im Laufe des Sommers 1971 durchgeführten Mitgliederversammlungen weiterhin unter dem Einfluß einer Richtung, die von orthodox-kommunistischen Studenten als die der "Chaoten" bezeichnet wird. Den Mitgliederversammlungen voraufgegangen waren intensive Bemühungen von MSB und SHB, einen Führungswechsel zu erreichen und die VDS-Koalition auf SVI und VIS zu übertragen. Sie scheiterten, da die im Amt befindlichen Vorstände auf überzeugende Mehrheiten unter den Delegierten bauen konnten und ihre Wiederwahl ungefährdet war. Als Konsequenz dieser Niederlage will die MSB/SHB-Fraktion im VIS die Beitragszahlungen an den VIS durch die Schulen einstellen lassen, an denen sie die Mehrheit und Entscheidungsgewalt hat. Dieser Zahlungsboykott soll sich bereits spürbar bemerkbar machen und die Finanzsituation des VIS äußerst prekär gestalten. Studentenorganisationen Marxistischer Studentenbund-Spartakus (MSB) Der Marxistische Studentenbund-Spartakus (MSB) hat mit der Gründung auf Bundesebene im Mai 1971 auch organisatorisch die Möglichkeit geschaffen, seine inzwischen bedeutende Rolle im Hochschulbereich zu behaupten oder weiter auszubauen. Mit ca. 1.500 Mitgliedern gehört er zum Bereich der zahlenmäßig stärksten politischen Studentenverbände. Für seine Arbeit kommt ihm eine, in radikalen Linkskreisen nur noch selten anzutreffende, für konventionell kommunistische Organisationen aber typische Erscheinung zugute: die Disziplin der Mitglieder und die fast absolute Unterwerfung unter Beschlüsse der Führungsgremien. In Nordrhein-Westfalen wird der Aufbau der Organisation kontinuierlich fortgesetzt. Es bestehen z. Zt. 15 Gruppen mit insgesamt ca. 350 Mitgliedern. Die Zahl der Sympathisanten könnte ein Vielfaches betragen. Der MSB ist, soweit Studentenparlamente bestehen, an allen Universitäten und Hochschulen des Landes sowie an mehreren Pädagogischen Hochschulen vertreten. Dem Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) gehört er an in Bonn (Universität), Essen (PH) und Wuppertal, wo er auch jeweils den Vorsitzenden stellt, sowie in Düsseldorf (Uni) und in Köln dem Gesamt-AStA der PH Rheinland. Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, daß er schon im Aufbaustadium darum bemüht sein wird, in den Studentenschaften der Fachhochschulen vertreten zu sein. Die Erfolge und der steigende Einfluß des MSB im Hochschulbereich haben ihn, bis hin zu Verbotsüberlegungen, das wachsende Interesse der Öffentlichkeit eingetragen. Diese Tatsache, verbunden mit dem eigenen Wissen um die Integration im kommunistischen Lager, läßt die MSB-Führung durchaus mit einem Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 15 Verbot rechnen. Als mögliche Verbotsgründe werden hierbei weniger die Beziehungen und die personelle Verflechtung mit der DKP als vielmehr die engen Kontakte und die - auch finanzielle - Unterstützung durch die "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) der DDR angesehen. Hierzu ist aus einer Einzelinformation bekannt, daß der Einsatz hauptamtlicher Kräfte auf Bundesebene (Sekretariat) nur mit den finanziellen Mitteln der FDJ aufrechterhalten werden kann. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß die MSB-Führung aus Furcht vor Agenten und vermuteten oder bekannten Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden ihren internen Apparat möglichst hermetisch abzuschirmen versucht und streng um Geheimhaltung bemüht ist. Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB) Die Bindungen, die der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB) nicht nur im VDS, sondern auch in eine Reihe von Allgemeinen Studentenausschüssen mit dem MSB-Spartakus eingegangen ist, beginnen sich für die Organisation auszuwirken. Der Bund mußte in einigen Fällen bei der Wahl der Studentenparlamente Sitzverluste hinnehmen. Innenorganisatorisch haben sich zwei Fraktionen gebildet: Eine Mehrheitsfraktion für die weitere Zusammenarbeit mit dem MSB und eine Minderheitsfraktion, in unserem Lande besonders vertreten im Fachhochschulbereich, die einen eigenen marxistisch-leninistischen Weg sucht und, wie bereits erwähnt, von der Mehrheit als "Chaoten-Fraktion" bezeichnet wird. Um eigenes Profil bemüht Um sich zumindest nach außen hin von der Spartakus-Gruppierung abzusetzen und wieder ein eigenes Profil zu erlangen, sind führende Kräfte des SHB an einem eigenen ideologischen Konzept interessiert und wollen den "theoretischen Nachholbedarf" während einer Klausur-Woche im Herbst 1971 aufarbeiten. Im Rahmen der Kontakte des SHB zur FDJ ist hier bekanntgeworden, daß führende FDJ-Funktionäre für den Fall eines Verbotes des MSB, mit dem sie rechnen, eine finanzielle Unterstützung des SHB für möglich halten. Voraussetzung wäre allerdings eine Straffung und Säuberung der Organisation und eine stärkere publizistische Beschäftigung mit der DDR. Studentenarbeit der KPD/ML Die Studentenarbeit der verschiedenen, insgesamt aber maoistischen Richtungen der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) scheinen von der Tatsache zu profitieren, daß die noch aus der Zeit der antiautoritären Bewegung stammenden örtlichen Gruppen, seien es Rote Zellen oder sonstige Kreise, in Erkenntnis ihrer Schwierigkeiten als Einzelgruppen wieder nach überörtlichen Bindungen in straff geführten Organisationen suchen. Konzentrationsprozeß deutet sich an Es deutet einiges darauf hin, daß sich hier in nächster Zeit ein Konzentrationsprozeß vollziehen wird. Zu erwähnen sind: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 16 * Kommunistischer Studentenbund/Marxisten-Leninisten (KSB/ML) als Studentenorganisation der KPD/ML-Richtung "Roter Morgen", * Studentenzellen der KPD/ML-Richtung "Rote Fahne" bzw. des ihr zuzurechnenden kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD), * Rote Zellen, deren Bedeutung erheblich zurückgegangen ist und von denen nur noch die Rote Zelle Germanistik (Rotzeg), Münster, gelegentlich von sich reden macht. Sonstige linksradikale Studentische Gruppen Ungeachtet der oben angedeuteten Konzentration auf überörtlicher Ebene, sei es in konventionell kommunistischen oder maoistischen Gruppierungen, halten sich an einzelnen Universitäten linksradikale Studentengruppen, die auch weiterhin alleine operieren. Von Bedeutung sind: * Universität Bochum * Sozialistische Abteilungsgruppen (SAG). Sie entstanden als Wahlgemeinschaft bei der letzten Wahl des Studentenparlaments im Juni/Juli 1971 und umfassen Gruppen in den Fachbereichen, wie die Basisgruppe Anglistik, die Rote Zelle Rechtswissenschaft und die Aktionsgemeinschaft Sozialistischer Mathematiker (ASOM). Sie wurden mit 9 Sitzen die drittstärkste Gruppe im Studentenparlament und bilden mit dem SHB den AStA. Universität Bonn Sozialistische Gruppe (SG) Die SG, die von einem ehemaligen Funktionär des "Liberalen Studentenbundes Deutschlands" (LSD) geleitet wird, konnte in jüngster Zeit die MSB/SHB-Vertreter im Sprecherrat der Fachschaft Politologie durch ein konstruktives Mißtrauensvotum abwählen und stellt nun 4 der 5 studentischen Mitglieder des Sprecherrates. Universität Köln Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) Die letzte aktive SDS-Gruppe, die sich im Universitätsbereich auf verschiedene Basisgruppen in den Fachbereichen stützen kann, ist weiterhin aktiv und erreichte bei der Wahl des Studentenparlaments im Juni/Juli 1971 sechs von 50 Sitzen. Schulbereich Die noch im Jahre 1970 zu beobachtende Unruhe im Schulbereich, die sich u.a. in zahlreichen Demonstrationen äußerte, ist abgeklungen. Es liegen auch keine Informationen vor, daß linksradikale Schülerkreise im internen Schulbereich noch eine wesentliche Rolle spielen. Allerdings spiegelt die Schülerpresse den herrschenden Linkstrend wider. Marxistische Schüler-Assoziation (MSA) Der im Sommer 1970 vom heutigen MSB-Spartakus unternommene Versuch, im Schulbereich analog zu der entsprechenden Studentenorganisation eine Marxistische Schüler-Assoziation (MSA) aufzubauen, ist nicht verwirklicht worden. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 17 Sonstige linksradikale Schülergruppen Eigenständige linksradikale Schülergruppen treten nur noch vereinzelt auf. Ihre Zahl und ihre Aktivität läßt laufend nach. Auch die Herausgabe von Schülerzeitungen aus diesem Bereich ist - soweit erkennbar - weiter zurückgegangen. 3.2 Berufstätige Jugend Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Unter den linksradikalen Jugendorganisationen in der Bundesrepublik, die sich vorwiegend aus Berufstätigen zusammensetzen, behauptet die DKP-orientierte Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) auch weiterhin ihre Stellung als zahlenmäßig mit Abständen stärkste, bedeutungsvollste sowie geschlossenste und disziplinierteste Vereinigung. Nach eigenen Angaben verfügt die SDAJ in NW z. Zt. bereits über 74 örtliche Gruppen (einschließlich der Stadtteilgruppen) mit etwa 8 - 10.000 Mitgliedern. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt - entsprechend dem überwiegenden Mitgliederanteil - weiterhin auf dem Sektor Arbeiterjugend-Politik und hier insbesondere auf der Einflußnahme auf die jugendlichen Arbeitnehmer der Großbetriebe. Als wirkungsvolles Propagandainstrument haben sich die vielen örtlichen Lehrlingsund Jungarbeiterzeitungen bewährt, die zum Teil als ausgesprochene Betriebszeitungen erscheinen. In NW sind z. Zt. 31 solcher Zeitungen bekannt, die sich auf 17 Städte verteilen. SDAJ-Großveranstaltung in Recklinghausen Aus der vielfältigen Aktivität der SDAJ ist hervorzuheben, eine zentrale Großveranstaltung, die unter dem Motto: "Arbeiterjugend kontra Monopole" nach einer großangelegten Werbekampagne in der ganzen Bundesrepublik am 22. und 23.5.1971 in Recklinghausen durchgeführt wurde. Obwohl hier ein sog. Initiatorenkreis mit bis dahin weitgehend unbekannten Namen als Veranstalter auftrat, war in Wirklichkeit klar erkennbar, daß die SDAJ hinter diesem Kreis stand und ihn in organisatorischer und politischer Hinsicht beherrschte. Etwa 800 Delegierte aus allen Teilen der Bundesrepublik nahmen am eigentlichen Kongreß und über 2.000 Personen an einem Demonstrationszug am Nachmittag des 1. Kongreßtages teil. Im Zeichen der engen Kontakte der SDAJ zur FDJ in der DDR und zu der sowjetischen Parteijugendorganisation Komsomol standen zwei Ferienlager in diesem Sommer: Gemeinsames Jugendlager in der DDR und UdSSR Etwa 600 SDAJ-Mitglieder unter der Leitung des Bundesvorsitzenden aus Dortmund nahmen vom 24.7. - 14.8.1971 an einem vom Zentralrat der FDJ veranstalteten Gemeinschaftslager FDJ/SDAJ am Altenberger See im Bezirk Erfurt teil. Gemeinsam mit Vertretern des MSB "Spartakus", des SHB, der DJD und des VDS weilte eine Delegation der SDAJ vom 28.6. - 10.7.1971 in einem sog. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 18 "Freundschaftslager der Jugend der UdSSR und der BRD", das bei Uljanowsk an der Wolga stattfand und an dem neben den insgesamt 61 Westdeutschen 60 Angehörige verschiedener Komsomol-Gruppen teilnahmen. Programm und Abschlußdokumentation dieses "Freundschaftslagers" lassen klar einen dominierenden Einfluß der sowjetischen Gastgeber erkennen. Zusammenarbeit zwischen SDAJ und MSB-Spartakus Die immer wieder festzustellende enge Zusammenarbeit zwischen der SDAJ und dem ebenfalls DKP-orientierten MSB "Spartakus" fand erneut ihre Bestätigung in einem sog. Solidaritätskongreß der Jugend gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg am 11.9.1971 in Bremen, zu dem die Bundesvorstände beider Organisationen gemeinsam aufriefen. An dem Kongreß haben etwa 2.000 Personen teilgenommen, darunter etwa 30 Bundeswehrsoldaten in Uniform, 12 Gastdelegationen wurden begrüßt, darunter solche des Komsomol, der FDJ der DDR unter Leitung des Sekretärs des Zentralrates und der "FDJ von Westberlin". Aufnahme in den Deutschen Bundesjugendring erneut gescheitert Der Versuch der SDAJ, in den Deutschen Bundesjugendring aufgenommen zu werden, ist erneut gescheitert. Die 39. Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings lehnte am 12.5.1971 mit 39 gegen 17 Stimmen bei sieben Enthaltungen den entsprechenden Antrag ab. Jugendorganisation der "Neuen Linken" Das Bild der Jugendorganisationen der "Neuen Linken" wird weiterhin weitgehend bestimmt durch Uneinigkeit und Zersplitterung. Dessen ungeachtet haben die meisten Verbände durch ihre beachtliche Aktivität die Zahl ihrer Mitglieder erhöhen und neue örtliche Gruppen oder Stützpunkte bilden können. Eine besondere Rolle spielt dabei ihre Teilnahme an allen öffentlichen Aktionen des kommunistischen Lagers, wo sie stets Gelegenheit nehmen, DKP und SDAJ durch ihre radikaleren Forderungen zu übertrumpfen und dabei insbesondere bei den Jugendlichen, die für radikale Formulierungen erfahrungsgemäß zu begeistern sind, auch Erfolge zu erzielen. Auf der gleichen Ebene liegen auch die zahlreichen örtlichen Demonstrationen, Informationsstände, Flugblattaktionen usw., die sich vorwiegend vor den Werkstoren von Großbetrieben, hin und wieder auch vor Berufsschulen, abspielen. Maoistische Jugendorganisationen Die Zersplitterung der "Neuen Linken", ist bei den maoistischen Jugend-Organisationen besonders ausgeprägt. Der Erfolg ihrer meist recht beachtlichen Aktivität wird oft dadurch beeinträchtigt, daß die Öffentlichkeit und auch die angesprochene Jugend die Vielzahl von Gruppen und Richtungen nicht unterscheiden kann, zumal manche der sich untereinander heftig bekämpfenden Gruppen auch noch denselben Verbandsnamen tragen. Aufzuzählen sind: Rote Garde, Jugendorganisation der KPD/ML-Richtung Zentralkomitee Hamburg mit Zentralorgan "Roter Morgen", Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVP), Jugendorganisation der KPD/ML-Richtung Zentralbüro Bochum mit Zentralorgan "Rote Fahne". Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 19 Trotzkistische Jugendorganisationen Auch die trotzkistische "Neue Linke" in der Bundesrepublik ist in mehrere miteinander konkurrierende Richtungen gespalten. Nach einer Empfehlung des 9. Weltkongresses der IV. Internationale im Jahre 1969 in Rimini an die nationalen Sektionen, auch eigene Organisationen zu schaffen, haben sich in der Bundesrepublik zwei Vereinigungen konstituiert, die beide die Bezeichnung "Deutsche Sektion der IV. Internationale" für sich in Anspruch nehmen. Dies sind die "Internationalen Kommunisten Deutschlands" (IKD) mit ihrer Jugendorganistion "Spartacus - Kommunistische Jugendorganisation" (nicht zu verwechseln mit dem DKP-orientierten MSB-Spartakus) und die "Gruppe Internationale Marxisten" (GIM) mit der Jugendorganisation "Revolutionäre Kommunistische Jugend" (RKJ). Eine dritte trotzkistische Gruppe stellt der Kreis um die Zeitschrift "Internationale Arbeiterkorrespondenz" (IAK) dar, zu dem sich die Jugendorganisation "Junge Garde - für die revolutionäre Internationale der Jugend" bekennt. Spektakuläre internationale Großveranstaltung in Essen Aus der Aktivität dieser zuletzt genannten Organisation ist hervorzuheben eine spektakuläre internationale trotzkistische Großveranstaltung am 3. und 4.7.1971 in Essen, die trotz einer nur geringen Mitgliederzahl auch in der Öffentlichkeit Beachtung gefunden hat. In NW verfügt die "Junge Garde" über zwei Ortsgruppen, und zwar in Bochum und Oberhausen mit insgesamt etwa 50 Mitgliedern. Bemerkenswert sind die internationalen Kontakte des Verbandes, die besonders bei der erwähnten Essener Veranstaltung deutlich wurden. Dieser internationale trotzkistische Jugendkongreß wurde von der "Jungen Garde" gemeinsam mit der französischen "Alliance des Jeunes pour le Socialisme" (AJS) und den britischen "Young Socialists" ausgerichtet. Es nahmen Delegierte trotzkistischer Jugendverbände aus fast allen westeuropäischen und mehreren außereuropäischen Ländern teil. Dazu kamen Exilgruppen der Ostblockstaaten und sonstiger autoritär regierter Länder. Insgesamt waren ca. 8.000 Personen erschienen, von denen die Franzosen mit ca. 5.000 Teilnehmern das größte Kontingent stellten. Der Kongress beschloss die Bildung eines Internationalen Verbindungskomitees aus allen teilnehmenden Organisationen sowie die Schaffung eines "Ständigen Sekretariats", welches die Aufgabe hat, die Einzelverbände zu koordinieren und die endgültige Konstituierung der Revolutionären JugendInternationale vorzubereiten. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 20 4 Ausländer Die nachfolgende Darstellung von Aktionen ausländischer Arbeitnehmer steht unter dem Vorbehalt, daß nicht alle ihre Bestrebungen, die auf Veränderung der Verhältnisse in ihren Heimatländern abzielen, unter den Begriff Rechtsoder Linksradikalismus gefasst werden können. Im Berichtszeitraum haben die Ausländer 22 Straftaten mit politischem Hintergrund begangen. Demgegenüber wurden im ganzen Jahr 1970 nur 23 derartige Delikte bekannt. Mit je 4 Taten waren in diesem Jahr Griechen, Türken und Jugoslawen am stärksten beteiligt. Die Anzahl der Protestdemonstrationen von Ausländern ist mit 44 gegenüber dem 2. Halbjahr 1970 mit 50 leicht zurückgegangen. Hier taten sich die Griechen (18 Veranstaltungen) besonders hervor. Es folgen die Spanier mit 7 und die Italiener, Jugoslawen und Türken mit je 4 Demonstrationen. Die Aktionen der Ausländer richteten sich überwiegend gegen die politischen Verhältnisse in den Heimatländern. Starke Zunahme der Aktivität bei italienischen Gastarbeitern Auffallend ist der Anstieg der Aktivität bei den italienischen Gastarbeitern, der auf verstärkte Agitation der FILEF zurückzuführen sein dürfte. Die Abkürzung bedeutet Federazione Italiana Lavoratori e Famiglie, das heißt Italienischer Verband der Gastarbeiter und ihrer Familie. Es handelt sich hier um eine Organisation mit kommunistischer Zielsetzung. Beispielhaft sei hier das Eindringen von 40 linksgerichteten italienischen Arbeitern in das italienische Generalkonsulat in Köln am 8.6.1971 erwähnt. Die Arbeiter, die Einfluß auf die Verteilung staatlicher Mittel an italienische Organisationen nehmen wollten, mußten durch die Polizei entfernt werden. Drohungen mit Bombenattentaten oder Entführungen Besonders hervorzuheben ist die starke Zunahme der Drohungen mit Bombenattentaten oder Entführungen zum Nachteil ausländischer Missionen oder Diplomaten. So wurden das italienische Generalkonsulat in Köln (11.1.71), die rumänische Botschaft in Köln (17.7.71) und die israelische Botschaft in Bonn (30.7.71) mit Bombenanschlägen und der italienische Generalkonsul in Essen (1.6.71), der schwedische Botschafter in Bonn (6.7.71), ein "beliebiger" jugoslawischer Botschafter (9.7.71) und der türkische Botschafter in Bonn (30.7.71) mit Entführungen bedroht. Ferner wurden 2 griechische Veranstaltungen in Düsseldorf und Dortmund (21.3.71) durch Bombendrohungen gestört. In allen diesen Fällen dürften in Deutschland lebende Ausländer, die im politischen Gegensatz zu den herrschenden Regimen stehen, die Täter sein. Bei der versuchten Entführung eines ehemaligen Gestapoangehörigen in Köln (22.3.71) und der Besetzung einer Rechtsanwaltspraxis in Essen (24.6.71) waren Ausländer (Franzosen, Israeli, Marokkaner) beteiligt. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 21 Verfahren wegen Waffenbesitz In vielen Fällen (einmal mit 10 Beschuldigten) wurden gegen Ausländer Verfahren wegen verbotenen Waffenbesitzes eingeleitet. Die Waffen, darunter 2 Handgranaten mit Zündern, wurden sichergestellt. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 22 5 Arbeitsniederlegungen In der Zeit von Januar bis einschließlich Juli 1971 sind nach vorliegenden Meldungen 95 Betriebe im Lande NW bestreikt worden. Bis April wurden nur 3 unbedeutende Arbeitsniederlegungen bekannt. Die eigentliche Streikwelle begann Ende April mit der Kündigung der Tarife in der Bekleidungsindustrie und setzte sich im Juni in der Chemischen Industrie fort. Beteiligung von Gastarbeitern auffallend groß Die Beteiligung der Gastarbeiter an den Arbeitsniederlegungen war auffallend groß. In manchen Betrieben stellten sie 80% der Streikenden. Besonders spanische Gastarbeiter traten hervor. Linksgerichtete deutsche Organisationen involviert Die linksgerichteten Organisationen, wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), haben sich äußerst aktiv mit ihren Publikationen in den Streik der Chemie-Industrie eingeschaltet. Ebenso befaßten sich auch der Deutsche Freiheitssender 904 und der Deutsche Soldatensender 935 intensiv mit dem Streik in der Chemie-Industrie. Allgemein war der Streikverlauf friedlich. Lediglich in Köln und Oberbruch/Geilenkirchen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Arbeitswilligen. Bei diesen Vorfällen mußten Polizeibeamte eingreifen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 23 6 Politisch motivierte Gewalttaten In den ersten 7 Monaten des Jahres 1971 wurden in Nordrhein-Westfalen 123 politisch motivierte Gewalttaten gegen Personen oder Sachen begangen. Gegenüber dem ganzen Jahr 1970, in dem 76 solcher Taten bekannt wurden, ist das schon jetzt ein Anstieg von 61,8%. Bemerkenswert ist, daß nicht nur die Ausländer (wie oben ausgeführt), sondern auch deutsche Täter immer häufiger Bombenattentate androhen. Deutliche Zunahme der Zahlen Diese Fälle haben in den ersten 7 Monaten des Jahres 1971 erheblich zugenommen. Einschließlich der durch Ausländer begangenen Taten wurden insgesamt 85 Attentatsdrohungen gemeldet. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 56 Fälle. Während sich die Androhungen in den letzten Jahren fast ausschließlich gegen Einrichtungen der Bundesbahn und des Luftverkehrs sowie gegen Schulen, Kaufhäuser und sonstige größere Objekte richteten, wurden in diesem Jahr Botschaften Konsulate, Rathäuser, Polizeigebäude und Wohnungen von Politikern mit einbezogen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1971 24 7 Maßnahmen im Geschäftsbereich des Justizministers Um eine die überörtlichen Zusammenhänge berücksichtigende strafrechtliche Wertung zu ermöglichen, hat der Justizminister die Staatsanwaltschaften durch Rundverfügung vom 14. März 1971 (4100 - III A. 198) mit Weisungen versehen, die auf eine Koordination und, soweit erforderlich, Zentralisierung der Bearbeitung einschlägiger Vorgänge abzielen. Die Leitenden Oberstaatsanwälte sind angewiesen, in solchen Fällen unverzüglich den Generalstaatsanwalt zu unterrichten, der auf Grund der ihm vorliegenden Erkenntnisse prüft, ob es angezeigt ist, die Bearbeitung der Sache nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen. Durch Austausch von Informationen unter den Generalstaatsanwälten soll erreicht werden, daß die Notwendigkeit etwaiger überregionaler Koordinierungsmaßnahmen erkannt wird, die ggf. dem Justizministerium vorzuschlagen sind. Ermittlungsverfahren zusammengefaßt Auf Grund dieser Rundverfügung sind die Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder der "Deutsch Sozialen Aktion" und ihrer Untergruppen bei der Staatsanwaltschaft in Köln in einem einheitlichen Verfahren zusammengefaßt worden. Wegen Straftaten, die durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind, sind in der Zeit vom 1. Februar bis 31. August 1971 1.063 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen 1.083 namentlich bekannte sowie gegen weitere nicht bekannte Personen eingeleitet worden. Die überwiegende Anzahl dieser Verfahren ist wegen Straftaten eingeleitet worden, die im Rahmen der Protestbewegung "Roter Punkt" begangen worden sind. Sechs Verfahren haben im Hochund Fachschulbereich begangene Straftaten zum Gegenstand. Zahlreiche Verfahren abgeschlossen In der Zeit vom 1. Februar bis 31. August 1971 haben 735 Verfahren wegen Straftaten, die seit dem 1. Januar 1970 durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind, ihren Abschluß gefunden, und zwar: a) 526 Verfahren durch Einstellung oder Absehen von der Verfolgung, b) 53 Verfahren durch rechtskräftiges Urteil gegen 61 Angeklagte, c) 60 Verfahren durch rechtskräftige Strafbefehle gegen 60 Beschuldigte, d) 96 Verfahren durch Verbindungen mit anderen Verfahren oder durch Abgabe an andere Staatsanwaltschaften. Am 31. August 1971 waren wegen Straftaten, die seit dem 1. Januar 1970 begangen worden sind, noch 506 Verfahren gegen 524 namentlich bekannte Personen anhängig. In 276 dieser Verfahren ist gegen 289 Personen Anklage erhoben oder der Erlaß eines Strafbefehls beantragt worden. Die übrigen Verfahren befinden sich noch im Ermittlungsstadium.