Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 1 Inhaltsverzeichnis 1 Bericht an den Hauptausschuß des Landtags NRW...................... 2 1.1 Rechtsradikalismus .......................................................................................2 1.2 Linksradikalismus..........................................................................................6 1.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)....................................................6 1.2.2 Aktion Demokratischer Fortschritt (ADF)..................................................12 1.2.3 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ).......................................13 1.2.4 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) .....................................13 1.2.5 "Spartakus-Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS).........................17 1.2.6 Sonstige linksextreme Gruppen ...............................................................18 1.3 Terroristische Ausländerorganisationen......................................................20 1.4 Störung des Bundestagswahlkampfes ........................................................21 1.5 Strafverfolgungsmaßnahmen ......................................................................22 2 Bericht an den Hauptausschuß des Landtags NRW.................... 24 2.1 Rechtsradikalismus .....................................................................................24 2.1.1 Allgemeine Situation ................................................................................24 2.1.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD).................................24 2.1.3 "Europäische Befreiungsfront" (EBF) .......................................................25 2.1.4 Rechtsradikale Propaganda gegen die Ostpolitik.....................................26 2.1.5 "AKTION WIDERSTAND" ........................................................................26 2.2 Linksradikalismus........................................................................................27 2.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)..................................................27 2.2.1.1 Organisation..........................................................................................28 2.2.1.2 DKP-Publizistik......................................................................................29 2.2.1.3 DKP-Schulungseinrichtungen ...............................................................30 2.2.1.4 Finanzen ...............................................................................................30 2.2.1.5 Westarbeit des FDGB der SED.............................................................31 2.2.1.6 Zusammenfassung................................................................................31 2.2.2 "Neue Linke" ............................................................................................31 2.2.2.1 Studierende Jugend ..............................................................................31 2.2.2.2 Organisationen von überörtlicher Bedeutung ........................................32 2.2.2.3 DKP-Hochschulgruppen........................................................................32 2.2.2.4 "Initiativausschuß für eine kommunistische Jugendorganisation" .........33 2.2.2.5 "Rote Zellen" .........................................................................................33 2.2.2.6 Allgemeine Situation..............................................................................34 2.2.2.7 Maoistische Jugendgruppen .................................................................34 2.2.2.8 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)....................................35 2.2.2.9 Kampagne gegen die Bundeswehr .......................................................35 2.2.2.10 Kommunistische Infiltrationsversuche "Republikanischer Clubs" ........36 2.3 Spionagebekämpfung .................................................................................37 2.4 Ausländer ....................................................................................................38 Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 2 1 Bericht an den Hauptausschuß des Landtags NRW (Berichtsstand: 17. Februar 1970) 1.1 Rechtsradikalismus Der Rechtsradikalismus wird im Lande Nordrhein-Westfalen im wesentlichen von der NPD repräsentiert. Das übrige, organisatorisch stark zersplitterte nationalistische Lager wirkt zwar auch in unser Land hinein, ist aber, gemessen an der Bevölkerungsdichte und unter Einschätzung der politischen Wirksamkeit, kaum von Bedeutung. Es mag in diesem Zusammenhang lediglich kurz hervorgehoben werden, daß es in Nordrhein-Westfalen keine selbständigen rechtsradikalen Jugendorganisationen gibt und daß hier auch nur wenige Einzelmitglieder derartiger Gruppen wohnen. Das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) hat in diesem Lande durch innere Streitigkeiten in der Führungsspitze an Bedeutung verloren. Die "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) liegt ebenfalls infolge weiterer Zersplitterung im Lande Nordrhein-Westfalen darnieder. Ähnliche Tendenzen zeigen eine Reihe anderer rechtsradikaler Vereinigungen. Auch diesen wird zwar hinreichende Beachtung geschenkt, indem ihre Aufund Abwärtsentwicklungen sorgfältig erfaßt werden; sie stellen aber im Verhältnis zur NPD keinen Schwerpunkt dar. Zu einem großen Teil handelt es sich bei den Mitgliedern in diesen politischen, kulturellen und völkischen Splitterorganisationen ohnehin um Personen, die auch der NPD unmittelbar angehören oder sich ihr verbunden fühlen. Nationaldemokratische Partei (NPD) Die Bundestagswahlen waren der entscheidende Prüfstein für die Substanz des rechtsradikalen Wählerpotentials. Die NPD hatte sich zum Ziel gesetzt, mit einem Stimmenanteil von 8-12 % als drittstärkste Partei in den Bundestag einzuziehen. Dieses Ziel hat sie, wie wir wissen, nicht erreicht. Von besonderer Bedeutung für diesen Mißerfolg war ihr schlechtes Abschneiden in Nordrhein-Westfalen; in diesem Lande wohnen bekanntlich annähernd 30 % der wahlberechtigten Bundesbürger. Die NPD erhielt hier nur 3,1 % der abgegebenen Zweitstimmen und damit den niedrigsten Prozentsatz in einem Lande der Bundesrepublik (Im Bund NPDZweitstimmen: 4,3 %). Zur Wahlniederlage der NPD haben sicherlich die Aufklärung über den rechtsradikalen Charakter der Partei, der Mangel an attraktiven Kandidaten, die Substanzlosigkeit der nationaldemokratischen Propaganda und nicht zuletzt der wirtschaftliche Aufschwung im Lande maßgeblich beigetragen. Die Zunahme der NPD-Stimmen im vergleich zur Bundestagswahl 1965 (1,1 %) beruht im wesentlichen darauf, daß sich die NPD damals erst im Gründungsstadium befand und deshalb selbst für rechtsextreme Kreise noch suspekt und wenig anziehend war. Inzwischen konnte sie einen verhältnismäßig aufwendigen Propagandaeinsatz verwirklichen. Das Potential dieser extrem rechten Wählerschicht reicht unter normalen wirtschaftlichen Verhältnissen jedoch nicht aus, der Partei über die 5 % Hürde zu verhelfen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 3 Die NPD hatte sich von dem Einzug in den Deutschen Bundestag günstige Auswirkungen auf ihre künftige Entwicklung versprochen. Das Wahlergebnis wird deshalb von ihr als ein schwerwiegender Rückschlag betrachtet. Es bedeutet zugleich einen persönlichen Autoritätsschwund für ihre Funktionäre. Unterhalb der Funktionärsebene wirken sich Enttäuschung und Resignation besonders nachteilig aus. Die NPD steht somit nach der Bundestagswahl vor unerwarteten Schwierigkeiten: In personeller Hinsicht sind die seit langem bestehenden Spannungen zwischen Adolf von Thadden und zahlreichen Spitzenfunktionären - insbesondere des bayrischen Landesverbandes - wieder aufgebrochen. Sie konnten inzwischen notdürftig beigelegt werden. Finanzielle Lage der Partei In finanzieller Hinsicht sieht sich die Partei plötzlich vor unerwartete Schwierigkeiten gestellt. Zwar wird sie (unter Einberechnung der bereits im Wahlkampf gezahlten Abschläge) aus der Wahlkampfkostenerstattung etwa 4 Millionen DM erhalten. Da die NPD aber einen wesentlich höheren Betrag für ihre Wahlpropaganda ausgegeben hat (ihre Ausgaben waren auf ca. 6 % Zweitstimmen abgestellt), ist ihr ein erhebliches Defizit entstanden. Organisation In organisatorischer Hinsicht ist sie nunmehr zu Sparmaßnahmen gezwungen. Das Bonner Büro ist bereits aufgelöst worden. Einem Teil der hauptamtlichen Mitarbeiter wurde gekündigt; einige sind vom Verlag des Parteiorgans "Deutsche Nachrichten" (DN) übernommen worden. Übrigens fordern mehrere Landesverbände nunmehr eine Umstrukturierung der Beteiligungsverhältnisse an der DN-GmbH in Richtung auf den NPD-Bundesvorstand, ohne Rücksicht auf dessen personelle Zusammensetzung. Bisher sind die Geschäftsanteile ziemlich einseitig auf Mitglieder des früheren DRPBundesvorstandes konzentriert. In zukunftsbezogener Hinsicht erscheint folgendes von nicht unerheblicher Bedeutung: Die Parteiführung hatte ursprünglich gehofft, aus der Wahlkampfkostenerstattung noch rund zwei Millionen DM für die Landtagswahlkämpfe im kommenden Jahr in Hamburg, im Saarland, in Hessen, in Bayern und in Nordrhein-Westfalen zurücklegen zu können. Da die Parteikasse z.Z. aber leer ist, sieht sie kaum noch eine Möglichkeit, wie sie sich erfolgreich in die 1970 anstehenden Wahlen einschalten könnte. Positiv hat sie sich bisher nur für eine Teilnahme an der Wahl in Hamburg entschieden. In politischer Hinsicht dürfte die NPD es schwer haben, ihr angeschlagenes Image bei Mitgliederund Anhängerschaft wieder aufzubessern. Allerdings haben es ihre Funktionäre mit einer demagogischen Propaganda auch früher - als sie noch die DRP vertraten - stets verstanden, eine neue Plattform zu finden. Anstatt bei sich selbst nach politischen Fehlleistungen zu suchen, versucht sie ihre Mitglieder zunächst einmal mit einer Wahlanfechtung zu beeindrucken. Die Gültigkeit der Bundestagswahl wird von ihr aufgrund der "Summe der eindeutigen Wahlbehinderungen, denen die NPD ausgesetzt war, sowie wegen der ständigen Verletzung des Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 4 Gleichheitsgebotes der Verfassung" angefochten. Dieser Beschluß wurde vom Parteipräsidium bereits am 4. Oktober 1969 gefaßt. Inzwischen sind alle Verbände aufgefordert worden, mit konkretem Material zur Beweismittelsammlung beizutragen. Die NPD rechnet damit, daß ihre Anfechtung vom Wahlprüfungsausschuß verworfen wird. In einem solchen Fall will sie Klage beim Bundesverfassungsgericht erheben. Das Ziel ist eine Wiederholung der Wahl "unter demokratischen Bedingungen", wie sie es ausdrückt. Personelle Spannungen Die innerparteilichen Spannungen in der Führungsspitze nahmen nach der Bundestagswahl laufend zu und hätten wahrscheinlich auf dem verbotenen NPDParteitag in Saarbrücken am 14./16.11.1969 ihren Höhepunkt erreicht. Die Stellung Adolf von Thaddens wurde durch das Parteiverbot gefestigt, und es bestanden danach keine Zweifel mehr an seiner künftigen Wiederwahl. Bundesparteitag 1970 Diese ist nun auch tatsächlich auf dem Parteitag in Wertheim am letzten Wochenende mit großer Mehrheit erfolgt. Zwar hat es hier auch noch Auseinandersetzungen gegeben, die jedoch erwartungsgemäß keine krisenhafte Heftigkeit erreichten. Adolf von Thadden ist nach wie vor die "Führerfigur" der NPD. Interessant und erwähnenswert ist die gewandelte Taktik, mit der von Thadden in seinem Rechenschaftsbericht erstmalig "schwere Fehler" einräumte, für die er bereit war, die Verantwortung zu übernehmen. Der jetzt behauptete "konservative" Charakter der Partei ist unglaubhaft. Zwar bekennt man sich in dem sog. "Wertheimer Manifest 70" formell zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und distanziert sich auch von dem durch die DN-Verlagsgesellschaft vertriebenen "Politischen Lexikon". Man hat es jedoch beispielsweise ausdrücklich abgelehnt, sich auch von dem rechtsextremen Gedankengut eines alten NSund Chefideologen zu distanzieren. Dieser hat bekanntlich 1966 auf dem Karlsruher Parteitag in einem Grundsatzreferat "MenschVolk-Staat-Demokratie" die ideologischen Grundlagen der Partei nach "rassischbiologischen Volksbegriffen" gelegt. Daß kein echter Gesinnungswandel vor sich gegangen ist, zeigt sich auch darin, daß er - sowie auch andere ehemalige NSIdeologen - wiederum in den Bundesvorstand gewählt wurden. Insoweit hat sich also nichts entscheidend geändert, was die Partei von dem Verdacht, verfassungswidrig zu sein, überzeugend entlasten könnte. Die Stellung von Thaddens ist durch das Parteitagsverbot zweifellos gefestigt worden, und es bestehen keine Zweifel an seiner Wiederwahl. Die Partei hat mittlerweile die Delegierten zur Vorbereitung einer Klage aufgefordert, ihre Schadensersatzforderungen gegen die Stadt Saarbrücken zu beziffern. Auf diese gesetzlich vorgesehene Möglichkeit hat das Verwaltungsgericht Saarbrücken ausdrücklich hingewiesen. Ergebnisse der Kommunalwahl in NW In Nordrhein-Westfalen präsentierte sich die NPD nach der Bundestagswahl erstmalig wieder der Öffentlichkeit bei den Kommunalwahlen am 9.11.1969. Allerdings bewarb sie sich nur in 5 kreisfreien Städten und 4 Kreisen um Wählerstimmen. Das Ergebnis war trotz massiver Unterstützung aus benachbarten Bezirken niederschmetternd. Während die NPD bei den sog. Neugliederungswahlen vom Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 5 23.03.1969 im Kreis Lüdenscheid und den Städten Lüdenscheid und Lemgo je 3 Sitze erobern konnte, blieb sie diesmal ganz ohne Erfolg. Im Kreis Lübbecke verfehlte sie allerdings mit 4,9 % nur knapp den Einzug in das Kreisparlament. Immerhin hatte sie dort bei der Bundestagswahl noch 7,2 % erreicht. Der Rückgang der Prozentzahlen war überall deutlich. Während bei der Bundestagswahl noch 3,1% der Stimmen in unserem Lande auf die NPD entfielen, erreichte sie bei der Kommunalwahl nur 0,3 %. Im Hinblick auf die Tatsache, daß die Partei sich nur in wenigen Bezirken zur Wahl gestellt hat, wird diese Zahl jedoch zu relativieren sein: In den betreffenden Bereichen haben rd. 1 Million Wähler ihre Stimmen abgegeben. Die rd. 19.000 NPD-Wähler stellen daher 1,9 % dar. aber auch dieser Prozentsatz liegt, wie oben bereits erwähnt, erheblich unter dem bei der Bundestagswahl erzielten. In welchem Maße die NPD an Stimmen eingebüßt hat, wird besonders deutlich am Beispiel der kreisfreien Stadt Hamm in Westfalen: Dort war am 10.03.1968 eine Kommunalwahl durchgeführt worden, bei der die NPD 2.462 stimmen = 6 % erzielt hatte. Am 28.09.1969, bei der Bundestagswahl, gaben nur noch 1.714 Wähler dieser Partei ihre Stimme, was 3,4 % entsprach. Wenige Wochen später, bei der Kommunalwahl am 9.11.1969, waren es nur noch 969 Stimmen = 2,3 %. Während, wie bereits betont, die NPD auf Kreisebene und in den kreisfreien Städten kein Mandat erringen konnte, gelang es ihr lediglich, in zwei kleineren Gemeinden im Kreis Halle in Westfalen je einen Sitz zu erobern, in Brockhagen und Loxten. Die NPD verfügt damit z. Z. in Nordrhein-Westfalen nur noch über 11 (bisher 22) Mandate in Kommunalparlamenten, und zwar aus der Neugliederungswahl im März im Landkreis Lüdenscheid 3, Stadt Lüdenscheid 3, Stadt Lemgo 3 sowie neuerdings in den vorgenannten Gemeinden Brockhagen und Loxten (ca. je 3.000 Einwohner). Infolge dieser schlechten Ergebnisse beteiligt sie sich an den auf den 15.03.1970 angesetzten Kommunalneugliederungswahlen in Nordrhein-Westfalen nicht. Landesparteitag der NPD/NW Unbeachtet von der Öffentlichkeit fand am 30.11.1969 in Soest der diesjährige Parteitag des NPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen statt. Es hatten sich neben 186 Delegierten ca. 100 Gäste aus der Partei, darunter Adolf von Thadden, eingefunden. In seinem Rechenschaftsbericht erklärte der resignierende bisherige Landesvorsitzende, daß der Landesverband (ohne Kreisverbände) noch 50.000,DM Schulden aufzuweisen habe, die aber in Kürze abgetragen seien. Das ist zwischenzeitlich weitgehend durch Zahlungen des Bundesvorstandes an den Landesverband geschehen. Es wurde ein neuer Landesvorstand gewählt. Als Landesvorsitzender wurde ein ehem. DRP-Funktionär gewählt. Bei den gewählten 10 Beisitzern handelt es sich überwiegend um jüngere NPD-Funktionäre; 5 hiervon gehörten bereits der ehemalige rechtsradikalen DRP an. Auf dem Landesparteitag wurde ferner beschlossen, die NPD-Geschäftsstelle von Bielefeld wieder nach Düsseldorf zu verlegen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 6 Teilnahme an der Landtagswahl 1970 in NW Eine definitive Entscheidung über eine Beteiligung an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist auf dem Landesparteitag nicht gefallen. Hierzu ist zu bemerken, daß die NPD sehr wohl weiß, daß die Arbeit in vielen Kreisverbänden Nordrhein-Westfalens stagniert und zum Teil völlig zum Erliegen gekommen ist. Nur wenige Kreisverbände zeigen z.Z. noch eine gewisse Aktivität. Der Arbeitsschwung ist aber auch hier durch das erneut enttäuschende Ergebnis bei der Kommunalwahl gebremst worden. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Kreisverbände bei z.Z. leeren und zum Teil überschuldeten Kassen und bei dem angeschlagenen Image der Partei insgesamt wieder soweit regenerieren können, daß sie sich zu einer Teilnahme an den Landtagswahlen aufraffen. Ohne wirksame Unterstützung durch den Bundesvorstand dürften die Erfolgschancen von vornherein schlecht sein. Bei dem Fanatismus der neugewählten Landesvorstandsfunktionäre erscheint es jedoch keineswegs ausgeschlossen, daß man sich unter allen Umständen an der Wahl beteiligen möchte. Der Bundesvorstand will hierüber aber - wie von Thadden anläßlich des Parteitages in Wertheim gegenüber der Presse erklärte - erst "in den Osterwochen", also nach der Wahl in Hamburg, entscheiden. Mitgliederstand in NW Die NPD hat seit ihrer Gründung in Nordrhein-Westfalen etwa 50 % ihres Mitgliederbestandes wieder verloren; sie behauptet, noch über 5.000-6.000 Mitglieder zu verfügen. Diese Zahl trifft für die Zeit vor der Bundestagswahl zu. Inzwischen dürfte der Mitgliederstand auf etwa 4.000 abgesunken sein. Der Mitgliederbestand auf Bundesebene liegt z. Z. bei ca. 24.000 (Gesamteintritte ca. 50.000). Bei der starken Fluktuation lassen sich augenblicklich keine zuverlässigen MitgliederAnalysen erstellen. Abschließend kann festgestellt werden: Die NPD bleibt eine Partei mit einer Erfolgschance in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Je gefährdeter die wirtschaftliche Lage erscheint, desto größer sind die Wahlaussichten der Rechtsradikalen. Das gilt sowohl konjunkturell als auch strukturell: In wirtschaftlich starken Ländern wie Nordrhein-Westfalen ist die NPD verhältnismäßig schwach, in wirtschaftlich schwachen Ländern ist sie relativ stark. Im Bundesdurchschnitt liegt der Kern der NPD-Wähler bei etwa 4 Prozent. Das sind rund 1,5 Millionen Wähler, mit denen die Rechtsradikalen selbst in wirtschaftlich guten Zeiten in der Bundesrepublik rechnen können. Auch in Zukunft muß diese Partei daher ernst genommen werden. Alles andere wäre ein politischer Irrtum, der weitreichende Folgen haben könnte. 1.2 Linksradikalismus 1.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Im Mittelpunkt des sogenannten konventionellen Linksradikalismus steht die im September 1968 in Frankfurt/Main neukonstituierte Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die inzwischen ihren organisatorischen Aufbau abgeschlossen hat und sich nunmehr in zunehmendem Maße bemüht, auf die politische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen einzuwirken. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 7 Parteivorstand Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der auf dem 1. DKP-Parteitag in Essen (April 1969) gewählte Parteivorstand seinen Sitz in Düsseldorf hat. Er verfügt in Düsseldorf in der Prinz-Georg-Str. 79 über ein eigenes großes Bürogebäude, in dem das 9köpfige Parteipräsidium (Vorsitzender: Kurt Bachmann, stellv. Vorsitzender: Herbert Mies), die Schiedsund die Revisionskommissionen sowie die wichtigsten Referate und Fachkommissionen des Parteivorstandes residieren und die 5 DKP-Landesorganisationen und 8 DKPBezirksorganisationen in der Bundesrepublik anleiten. Bezirksvorstände Rheinland-Westfalen und Ruhr-Westfalen Nordrhein-Westfalen ist in die Parteibezirke "Rheinland-Westfalen" und "RuhrWestfalen" gegliedert. Die Bezirksvorstände, die ebenfalls über eigene Bürogebäude in Düsseldorf und Essen verfügen, setzen sich aus 57 (RheinlandWestfalen) bzw. 60 (Ruhr-Westf.) Mitgliedern zusammen. Landesausschuß NW Der Parteivorstand hat angeordnet, daß in den Ländern, in denen lediglich Bezirksorganisationen bestehen, als gemeinsames Gremium und zur Koordinierung der landespolitischen Aufgaben ein "Ausschuß für Landespolitik" aus Vertretern der Bezirksvorstände gebildet werden soll. Für Nordrhein-Westfalen ist die Konstituierung des Ausschusses inzwischen erfolgt. Der Landesausschuß setzt sich aus 10 Spitzenfunktionären beider Parteibezirke zusammen. Die wesentliche Aufgabe des Ausschusses besteht darin, die Vorarbeiten zur Landtagswahl in NW zu leisten, an der sich die DKP - wie bei der Kommunalwahl im November 1969 - mit eigenen Kandidaten und eigener Landesliste beteiligen will. Auf der örtlichen Ebene, d.h. unterhalb der beiden Bezirke, verfügt die DKP über 44 Kreisund Gebietsorganisationen. Besondere organisatorische Schwerpunkte sind die Städte Düsseldorf (ca. 500 Mitglieder), Duisburg, Wuppertal und Essen (je ca. 400 Mitgl.), Remscheid (ca. 250 Mitgl.), Solingen, Bochum sowie die Kreise Moers, Rhein-Wupper und Bergheim/Erft (je ca. 200 Mitgl.) Insgesamt sind in der DKPParteiorganisation Nordrhein-Westfalen ca. 8.000 bis 9.000 Mitglieder zusammengefaßt. Das ist etwa die Hälfte der DKP-Mitgliedschaft im Bundesgebiet, die auf etwa 17.000 bis 19.000 Mitglieder geschätzt wird. Die DKP ist bemüht, die Parteiarbeit auf örtlicher Ebene zu aktivieren. Die Vorstände der DKPKreisorganisationen haben anfang dieses Jahres Arbeitspläne beschlossen, in denen für die örtliche Parteiarbeit folgende Schwerpunkte festgelegt sind: a) Bildung weiterer Stadtteilund Ortsgruppen; b) Bildung von Kommissionen für Wirtschaftsund Sozialpolitik und kommunalpolitische Fragen; c) Veranstaltung von "politischen Frühschoppen" in Stadtteilen mit Arbeiterbevölkerung; d) Mitgliederwerbung unter der Jugend und der Arbeiterschaft; e) Öffentlich Bildungsveranstaltungen mit ideologischer Thematik f) Aufbau von Anschriftenkarteien, in denen die Adressen von Gewerkschaften, Mitgliedern anderer Parteien und von örtlichen Vereinen für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit zusammengefaßt sind. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 8 Betriebsgruppen Ein bedeutungsvoller Faktor der Parteiorganisation sind die DKP-Betriebsgruppen, deren Zahl sich in NW auf über 50 beläuft. Schwerpunkte der kommunistischen Betriebsgruppenarbeit sind die Großunternehmen der Metallindustrie, des Bergbaus und der öffentlichen Hand (Versorgungund Verkehrsbetriebe). Die Stärke der Betriebsgruppen reicht von ca. 5 bis 30 Parteimitgliedern. Wochenzeitung "Unsere Zeit" Die Tätigkeit der Parteiorganisation wird von der DKP-eigenen Publizistik unterstützt, die inzwischen einen beachtlichen Umfang angenommen hat: Seit April 1969 erscheint die Wochenzeitung "Unsere Zeit" (UZ), die von dem DKP-Vorsitzenden Kurt Bachmann herausgegeben wird und als Zentralorgan der DKP anzusehen ist. Die Zeitung hat eine Auflage von 65.000 Exemplaren und erscheint in 5 Regionalausgaben. Sitz der Hauptredaktion ist Essen. Die "UZ" unterhält Landesund Bezirksredaktionen in Duisburg, Kiel, Hamburg, Bremen, Hannover, Frankfurt/M., Mainz, Saarbrücken, Stuttgart, Nürnberg und München sowie Korrespondentenbüros in Ostberlin und Moskau. Daneben gibt der Parteivorstand der DKP in relativ hoher Auflage den "DKP-Pressedienst", die "DKPInformationen" sowie die zentrale Schrift "Praxis" heraus. Als weitere Organe der DKP auf Bundesebene sind die "Bonner-Korrespondenz" und das theoretische Organ "Marxistische Blätter" anzusehen. Die Landesund Bezirksorganisationen verfassen ebenfalls eigene periodische Schriften. So erscheint in NW ein vom DKP-Bezirksvorstand Rheinland-Westfalen verbreiteter "Pressedienst", der sich vornehmlich mit landespolitischen Fragen befaßt. Ein politisch bedeutungsvoller Bestandteil der kommunistischen Publizistik sind die DKPBetriebsgruppenzeitungen. In Nordrhein-Westfalen erscheinen 34 Zeitungen dieser Art, die hauptsächlich von den DKP-Kreisleitungen herausgegeben werden. DKP-Schulung Neben der Parteiorganisation und den kommunistischen Presseorganen sind als "3. Säule" der Partei die DKP-Schulungseinrichtungen anzusehen. Die DKP hat in Frankfurt/M. ein "Institut für marxistische Studien und Forschungen" und einen "Verein zur Förderung der Forschung und des Studiums der Sozialwissenschaften" gegründet, die sich mit den ideologischen Grundlagen der Partei und mit gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen befassen. Für die Schulung der Parteimitglieder auf örtlicher Ebene bestehen in Nordrhein-Westfalen etwa 30-40 "marxistische Studiengruppen" (im Bundesgebiet etwa 60), die in der Spitze zu der Dachorganisation "Marxistische Arbeiterbildung" (MAB) mit Sitz in Frankfurt/M. zusammengefaßt sind. Am 15.11.1969 wurde in Düsseldorf als regionale Organisation der MAB für den Bereich des DKP-Bezirks "Rheinland-Westfalen" die "Marxistische Bildungsgemeinschaft NW" gegründet. Es ist damit zu rechnen, daß demnächst eine ähnliche Zusammenfassung der Studiengruppen im DKP-Bezirk "Ruhr-Westfalen" erfolgt. Der DKP-Bezirksvorstand hat bereits in Dortmund ein Haus gekauft, das hauptsächlich Schulungszwecken dienen soll. Im Bereich der Mitgliederschulung arbeiten die zentralen Bildungseinrichtungen eng mit Institutionen der DDR und der Sowjet-Union zusammen. So läuft seit Anfang Januar 1970 der 1. Lehrgang der DKP (2 Semester) in der Außenstelle Berlin des Franz-Mehring-Instituts der Universität Leipzig, an dem z. Zt. über 30 DKP- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 9 Funktionäre teilnehmen. Das Objekt soll bis Mai 1970 soweit ausgebaut werden, daß insgesamt 120 Schüler aufgenommen werden können. Später soll die Kapazität auf 600 Parteischüler gesteigert werden. Weiterhin ist die Durchführung von Spezialseminaren an diesem Institut geplant. Auch sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß in der UdSSR Lehrgänge für Spitzenfunktionäre der DKP stattfinden. So sind im Oktober 1969 die ersten Teilnehmer zum 1. Jahreslehrgang der DKP nach Moskau abgereist. Die Parteimitglieder haben den Auftrag, sich nicht bei der Partei, sondern bei der "Marxistischen Arbeiterbildung" in Frankfurt/M. zu melden. Damit soll der Eindruck entstehen, daß es sich bei den genannten Bildungseinrichtungen um selbständige Organisationen und nicht um Bestandteile der DKP handelt. Ausgehend von diesem organisatorischen Fundament konzentrieren sich die Bemühungen der DKP in den kommenden Monaten auf folgende Schwerpunkte: Sie will mit Hilfe vor allem der DKP-Betriebsgruppen und durch erhöhte Aktivität ihrer Mitglieder in den Gewerkschaften die Arbeiterschaft in den industriellen Ballungsgebieten ansprechen. Dabei stehen lohnund sozialpolitische Forderungen im Vordergrund. Die DKP ist überzeugt, daß seit den wilden Streiks weite Teile der Industriearbeiterschaft bereit sind, zur Durchsetzung dieser Forderungen Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Für 1970 ist geplant, die Zahl der Betriebszeitungen und der Betriebsgruppen in den Konzernbetrieben (Mannesmann, AugustThyssen-Hütte, Bayer-Werke) zu erhöhen. Für die Betriebsratswahlen 1970 und für die Wahlen der Vertrauensleute in den Gewerkschaften sowie für die gewerkschaftlichen Veranstaltungen am 1. Mai 1970 sind bereits verstärkte organisatorische Maßnahmen eingeleitet worden, um den kommunistischen Einfluß in diesen Bereichen zu verstärken. Sie will der rückläufigen Auflagenentwicklung ihrer Wochenzeitung "UZ" (anfängliche Auflage) 86.000 - 96.000, jetzt 65.000) durch intensivere Werbung begegnen. Zu diesem Zweck plant sie folgende Maßnahmen: * in jedem Monat soll ein "Tag der Presse" veranstaltet werden, der vor allem der "Hauswerbung" dienen soll, * Kreisund Ortsorganisationen der DKP sollen Vertriebsleiter einsetzen, * in Mitgliederversammlungen soll jedes Mitglied verpflichtet werden, Abonnenten zu werden, * auf Straßen und Plätzen sowie vor Betrieben sollen Informationsstände der "UZ" errichtet werden, * in Schülerzeitungen mit einer Auflage von über 1.000 Exemplaren sollen Werbeanzeigen der "UZ" veröffentlicht werden, * im nächsten Jahr sollen Pressefeste der "UZ" veranstaltet werden. Sie will bei den Landtagswahlen 1970 zumindest einen Achtungserfolg erzielen. Im Gegensatz zu dem für sie enttäuschenden Ausgang der Bundestagswahl wertet die DKP ihr selbständiges Auftreten bei der Kommunalwahl als Erfolg. Ergebnisse der Kommunalwahl in NW Dieser Umstand läßt es geboten erscheinen, sich mit dem Ergebnis dieser Wahl, soweit es die DKP betrifft, näher zu beschäftigen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 10 Ähnlich wie die NPD, hat auch die DKP sich nur in einem Teil des Wahlgebiets um die Gunst der Wähler beworben: In 17 kreisfreien Städten und 2 Kreisen stellte sie sich zur Wahl. Unter den kreisfreien Städten finden sich nahezu alle Großstädte des Rhein-Ruhr-Gebiets, bei den beiden Kreisen handelt es sich um DüsseldorfMettmann und Dinslaken. Die Partei konnte rd. 43.000 Stimmen, d.h. 0,7% erzielen. Die "Aktion demokratischer Fortschritt", in deren Verband die DKP sich bekanntlich an der Bundestagswahl beteiligt hatte, konnte am 28. September 1969 ebenfalls 0,7 % für sich verbuchen. Bei der Kommunalwahl gelang es der DKP lediglich in der kreisfreien Stadt Bottrop, die 5-Prozent-Hürde zu überwinden und zwei Ratssitze zu erobern. Es erscheint jedoch erforderlich, wie das bei der NPD vorgetragen worden ist, den angegebenen Prozentsatz von 0,7 zu relativieren: In den Bezirken, in denen die DKP sich zur Wahl gestellt hatte, sind rd. 2,7 Millionen gültige Stimmen abgegeben worden. 42.700 Wähler haben sich für die DKP entschieden, was einem Satz von 1,6% entspricht. Dabei dürfte interessant sein, daß die Partei an den Orten, an denen sie vor dem KPD-Verbot die besten Ergebnisse erzielt hatte - Remscheid, Solingen, Bottrop und Wanne-Eickel - auch diesmal wieder die höchsten Prozentzahlen erreichen konnte. Sie hat durchweg besser abgeschnitten als die ADF am 28.09.1969. Besonders auffällig ist dies in Dortmund, wo die DKP über 2.000, in Bottrop, wo sie über 1.500, und in Gelsenkirchen, wo sie rd. 1.000 Stimmen mehr erzielen konnte als die ADF bei der Bundestagswahl. Insgesamt kann gesagt werden, daß nach dem Ausgang der Kommunalwahl die Ansicht der DKP nicht unbegründet erscheint, es sei für sie besser, bei einer Wahl unter ihrem Namen aufzutreten, als im Rahmen eines Wahlbündnisses sich um Wählerstimmen zu bewerben. Teilnahme an der Landtagswahl 1970 in NW/Landeswahlkongreß Die DKP hat den Wahlkampf für die Landtagswahl bereits im Januar 1970 begonnen. Am 25.01.1970 fand in Dortmund (Westfalenhalle) ein Landeswahlkongreß der beiden DKP-Bezirke statt, auf dem Richtlinien für die Wahlauseinandersetzung festgelegt und die DKP-Landesliste beschlossen wurden. Die Landesliste wird von DKP-Funktionären angeführt. Daneben kandidieren frühere KPDLandtagsabgeordnete. Die DKP wird das Schwergewicht ihres Wahlkampfes der Behandlung sozialund wirtschaftspolitischer Fragen widmen. Bemerkenswert dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß ein DKP-Funktionär nicht nur eine harte Auseinandersetzung mit der - wie er es formuliert - sozialdemokratischen Landesregierung ankündigt, sondern sich gleichzeitig darum bemüht, mit der SPD in Nordrhein-Westfalen einen gemeinsamen Wahlkampf zu führen. Um sich ganz auf die Landtagswahl zu konzentrieren, hat die DKP darauf verzichtet, an den am 15.3.1970 in den Neugliederungsgebieten stattfindenden Kommunalwahlen teilzunehmen. Lediglich in den kreisangehörigen Städten Hattingen und Gevelsberg (Ennepe-Ruhr-Kreis) tritt sie mit eigenen Kandidaten auf. Woche der DKP Seit Mitte Januar wird in verschiedenen Städten eine "Woche der DKP" durchgeführt. Gleichzeitig will man in allen Schwerpunktkreisen der DKP sog. "Junge Foren" als Diskussionsgremien einrichten, um verstärkten Einfluß auf die Jungwähler zu gewinnen. Einen besonderen Schwerpunkt kommunistischer Agitation sollen die Veranstaltungen zum 100. Geburtstag Lenins bilden (Lenin wurde am 22. April 1870 in Simbirks/Wolga geboren). Die DKP geht davon aus, daß dieses Ereignis Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 11 auch in der nichtkommunistischen Presse gewürdigt wird und somit dazu beiträgt, die DKP zumindest zeitweilig in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu rücken. Kontakte zu anderen kommunistischen Parteien Um innerhalb der internationalen Kommunistischen Bewegung Anerkennung zu finden und zugleich innenpolitisches Gewicht zu erlangen, will die DKP ihre Mitte 1969 begonnenen Kontakte zu den kommunistischen Parteien in Ost und West weiter ausbauen. Verhältnis zur verbotenen KPD Bei diesen Bemühungen ist auch weiterhin mit Schwierigkeiten mit den in Ostberlin verbliebenen Funktionären des Zentralkomitees der KPD zu rechnen, die als Verbindungsapparat zur SED die DKP politisch anleiten und die Zuständigkeit für die internationalen Beziehungen in Anspruch nehmen. Diese Spannungen zwischen DKP und dem Rest-ZK der KPD erklären sich aus der Tatsache, daß die DKP in der Zwischenzeit die illegale Organisation der KPD im Bundesgebiet übernommen hat, andererseits jedoch von den finanziellen Zuwendungen Ostberlins abhängig ist. Finanzierung der Partei Die DKP verfügt aus dem Beitragsaufkommen und aus Spenden ihr nahestehender Personen maximal über einen monatlichen Betrag von 100.000,DM. Demgegenüber bewegen sich die erkennbaren Ausgaben der DKP in einer Größenordnung, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu diesen Einnahmen steht. Tätigkeit Max Reimanns Um die organisatorische und politische Fortentwicklung der DKP zu gewährleisten, soll die Kampagne um die Aufhebung des KPD-Verbotsurteils vom 17.08.1956 intensiviert werden. Im Rahmen dieser Bemühungen treten der "Zentrale Arbeitskreis für die Aufhebung des KPD-Verbots" mit Sitz in Koblenz und Mainz sowie das von Max Reimann geleitete "Kuratorium für die Wiederzulassung der KPD" in Erscheinung. Vor allem Max Reimann, der offiziell nicht der DKP angehört, will auch 1970 in einer Reihe von Veranstaltungen an die Öffentlichkeit treten und als sogenannter "Einzelkämpfer" die agitatorischen Bemühungen der DKP unterstützen. Die immer wieder geforderte Aufhebung des KPD-Verbots und die damit verbundene Möglichkeit, die DKP unverhüllt zu einer eigenständigen maxistischleninistischen Kampfpartei auf dem Boden der Bundesrepublik fortzuentwickeln, würde - schon aus den dargelegten finanziellen Gründen - die Abhängigkeit zur SED nicht aufheben. Man kann bei einer nüchternen Einschätzung der DKP davon ausgehen, daß ihre Aufgabe in der gegenwärtigen Situation nicht darin besteht, durch direkte und revolutionäre Aktionen eine sozialistische Gesellschaftsordnung nach dem Muster der DDR in der Bundesrepublik aufzubauen. Vielmehr liegt ihre Bedeutung darin, als Erfüllungsgehilfe der SED deren gesellschaftsund außenpolitische Vorstellungen vor allem in die Arbeiterschaft mit dem Ziel hineinzutragen, den Boden für künftige und weitergehende Auseinandersetzungen aufzulockern. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 12 1.2.2 Aktion Demokratischer Fortschritt (ADF) Von den übrigen linksradikalen Organisationen ist als erste die "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) zu nennen, die sich als kommunistisch orientierte und praktisch von der DKP geführte Volksfrontpartei - wie bekannt - mit äußerst geringem Erfolg an den Bundestagswahlen beteiligte. Ergebnisse der Bundestagswahl 1969 Sie erzielte im Landesdurchschnitt 0,7 % der Zweitstimmen gegenüber 1,3 % DFU-Zweitstimmen 1965 und 2% 1961. Als relative "Schwerpunkte" der ADF sind zu nennen die Wahlkreise Solingen (2,2 %), Remscheid (1,6 %), Castrop-RauxelHerne 1,4 %, Wuppertal II, Düsseldorf II, Gelsenkirchen I und Bottrop-Gladbeck mit je 1,3 % der abgegebenen Zweitstimmen. Die ADF will ihre Arbeit in Zukunft nicht mehr als Partei, sondern nur noch als "Aktionsbündnis" fortführen. Sie würde in diesem Falle - mit anderen Worten unter Verzicht auf das Ziel, nach Parlamentsmandaten zu streben - der DKP als "Transmissionsriemen" zur Verfügung stehen. Ergebnisse der Kommunalwahl in NW Bei den Kommunalwahlen, an denen sich - wie bereits erwähnt - zum ersten Mal die DKP in einer Anzahl von ausgewählten Gemeinden beteiligte, hatten zwei Wählergemeinschaften auf ADF-Basis und außerdem in einigen Gemeinden die DFU Kandidaten aufgestellt. In Gronau erzielte die "Demokratische Wählergemeinschaft" für den Kreistag 2,2 % im Rhein-Wupperkreis die Wählergemeinschaft "Demokratischer Fortschritt" 1,0% der Stimmen. Die DFU kandidierte außer in Herne, wo sie 2,5 % gegenüber 4,0% der Stimmen im Jahre 1964 erhielt, noch in zwei kleineren Gemeinden (Pelkum und Gescher); auch hier war ihr Stimmenanteil rückläufig. Bei kommenden Wahlen möchten DFU-Funktionäre, daß die Friedensunion als eine radikal-demokratische, bürgerliche Linkspartei in jedem Falle agitatorisch antritt. Ob sie sich allerdings mit eigenen Kandidaten oder mit Kandidaten auf anderen Parteilisten beteiligt, ist noch offen. Mitentscheidend dürfte hier sein, ob und inwieweit die DKP ihre Kandidatenlisten auch für - in ihrem Sinne - fortschrittliche nichtkommunistische Einzelbewerber offen hält. Entsprechende Absichtserklärungen der DKP liegen vor. In NW wird die DFU für die Wahl am 14.06.1970 wahrscheinlich keine eigenen Kandidaten aufstellen. Das schlechte Abschneiden der außerhalb der DKP organisierten Linksradikalen bei den letzten Wahlen in unserem Lande darf aber gleichfalls nicht zu der Annahme führen, daß ihren Bestrebungen deswegen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt zu werden brauche: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 13 1.2.3 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Zunächst ist auf die intensive Agitation hinzuweisen, die die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) unter der werktätigen Jugend entfaltet. Diese Organisation liegt insgesamt auf der Linie der DKP und des Marxismus-Leninismus Moskauer Provenienz. Allerdings gibt es in ihr auch pro-chinesische und "antiautoritäre" Strömungen. Letztere haben zu einer Spaltung der Wuppertaler Gruppe geführt, wo die "Antiautoritären" eine Unabhängige SDAJ - jetzt Revolutionäre Sozialistische Jugend (RSJ) - gründeten. Anlaß dazu war u.a. das Auftreten von Vertretern dieser Gruppe während eines "Treffens junger Sozialisten" in Ostberlin, das die FDJ anläßlich des 20. Jahrestages der DDR veranstaltete. Wegen ihres schlechten Auftretens wurden die "antiautoritären" Wuppertaler SDAJler in Ostberliner Gaststätten entweder nicht erst eingelassen oder z.B. mit dem Bemerken hinausgewiesen, sich erst einmal die Haare schneiden zu lassen. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen hielt im November 1969 in Düsseldorf eine Delegiertenkonferenz ab, auf der auch ein neuer Vorstand gewählt wurde. Diesem gehören 53 Personen an, von denen ca. 25 als Funktionäre oder Mitglieder der DKP bekannt sind. Der aus sieben Personen bestehende geschäftsführende Landesvorstand besteht ausschließlich aus DKP-Mitgliedern. Der Landesvorsitzende gehört dem Parteivorstand der DKP an. Er hielt auf der Konferenz ein grundlegendes Referat, aus dem sich eindeutig ergibt, daß die SDAJ sich selbst als kommunistische Jugendorganisation ansieht. Dies ergibt sich auch aus dem Verlauf des 2. Bundeskongresses der SDAJ am 13./14.12.1969 in Dortmund. Dort bekannte sich der wiedergewählte Bundesvorsitzende zu den Lenin'schen Lehren vom Klassenkampf und von der Revolution und forderte in Übereinstimmung mit Lenin, "die Auseinandersetzung auf theoretischem Gebiet mit der bürgerlichen und revisionistischen Ideologie, die nur auf die allgemeine Entwaffnung der revolutionären Kräfte hier bei uns abzielt", zu führen. Bundesvorstand Von den 42 Mitgliedern des neuen Bundesvorstandes sind 25 Mitglieder der DKP; die meisten davon waren vorher in der illegalen KPD tätig. Weitere 6 waren in der illegalen KPD tätig und nehmen auch heute an DKP-Veranstaltungen teil, ohne daß über ihre formelle Mitgliedschaft in der DKP etwas bekannt wurde. Von den insgesamt also 32 DKP/KPD-Mitgliedern nahmen 6 an Schulungen der KPD in der DDR teil. Mitgliederstand Am 2. Bundeskongreß der SDAJ beteiligten sich etwa 10 Bundeswehrangehörige in Uniform. (Bei der eben erwähnten Landesdelegiertenkonferenz waren es 2). Der Verband hat angeblich rd. 10.000 Mitglieder, allerdings sind nur etwa 5.000 aktiv. 1.2.4 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) Organisatorische Lage Die "antiautoritäre" Linke, voran der SDS, befindet sich - durchaus als logische Folge ihres z. T. aus dem Anarchismus entlehnten ideologischen Selbstverständnisses - organisatorisch in einem desolaten Zustand. Dabei darf man sich jedoch Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 14 nicht ohne weiteres beruhigen: ihr spontan hervortretender Aktionismus setzt sie instand, bei jedem sich bietenden Anlaß spektakulär in Erscheinung zu treten. Beispiele hierfür - wie etwa das Auftreten dieser Gruppen in Westberlin und Frankfurt anläßlich der Vietnam-Demonstration Mitte November - sind allerdings bisher aus Nordrhein-Westfalen kaum bekannt. Bei der Beobachtung dieser Gruppe, die zwar in unserem Lande nicht so aufsehenerregend wirksam werden konnten wie in anderen Bundesländern, aber doch wegen des überregionalen Zusammenhanges der studentischen Protestbewegung auch hier eine potentielle Gefahr darstellen, ist ohne eingehendere Informationen nicht auszukommen. Im einzelnen ist zur APO im Sinne einer Schilderung der Schwerpunkte dieses sehr weiten, vielgestaltigen und wenig übersichtlichen Bereiches linksradikaler Aktivität folgendes zu sagen: Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann beim SDS von einer festgefügten Organisation nicht mehr gesprochen werden. Drei der fünf Mitglieder des Bundesvorstandes sind kürzlich aus diesem Vorstand ausgeschieden, um wieder in ihren Basis-Gruppen arbeiten zu können. Der für Herbst 1969 vorgesehene Bundeskongreß mußte auf Anfang 1970 verlegt werden, weil keine Aussicht bestand, ihn bei der derzeitigen Situation im SDS mit Erfolg durchzuführen. Der Kongreß hat bis jetzt noch nicht stattgefunden. Der Bundesvorstand des SDS sieht nach einer in der Dezember-Ausgabe seines Sprachrohrs "SDS-Info" erschienenen Erklärung die Aufgabe des Verbandes im selbstkritischen Aufarbeiten der eigenen Geschichte. Es gehe um langfristige Organisationsfragen und Selbsterziehungsprozesse. Hieraus wird deutlich, daß der SDS, soweit er von seinem Bundesvorstand repräsentiert wird, sich in realistischer Einschätzung seiner derzeitigen Lage und Kräfte nicht als einen bestimmenden Faktor der linksradikalen Protestbewegung im Hochschulbereich und darüber hinaus ansieht. Das bedeutet allerdings nicht, daß die in ihm entwickelten revolutionären Vorstellungen nicht nach wie vor wirksam wären. Über die Ansprechbarkeit von Arbeitern macht sich der Bundesvorstand keine Illusionen. In der Erklärung heißt es: "Gerade die Arbeiter, die jetzt schon zu einer verbindlichen Zusammenarbeit bereit sind, haben notwendig ein einzelgängerisches bis sektiererisches Bewußtsein, gemessen an dem integrierten Normalverhalten der Arbeitermassen, sonst kämen sie nicht zu uns". Landesverband NW Die Situation im Landesbereich Nordrhein-Westfalen stellt sich wie folgt dar: Der nordrhein-westfälische Landesverband des SDS ist schon seit längerer Zeit nicht mehr aktiv in Erscheinung getreten. Das hängt damit zusammen, daß er in den Händen des KP-orientierten SDS-Flügels war und von den "Antiautoritären" offenbar als für ihre Absichten nicht verwendbar angesehen und fallengelassen wurde. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 15 Örtliche Gruppen Über die örtlichen Gruppen ist aus letzter Zeit im wesentlichen bekannt: Aachen Die Gruppe tritt nur selten noch öffentlich in Erscheinung. Sie hat jedoch Einfluß auf den AStA der FH. Bielefeld (Kirchliche Hochschule) Die immer nur klein gewesene Gruppe ist nicht mehr aktiv. Bochum Es besteht noch eine Gruppe mit ca. 50 Mitgliedern, die einigen Einfluß im AStA der Ruhruniversität hat und auch in der Redaktion der "Bochumer StudentenZeitung" vertreten ist, aber das Mißfallen des Bundesvorstandes erregt hat, den sie "nach wie vor (als) eine formale Kontrolloder Überprüfungsinstanz fürchte", (wie es der Bundesvorstand sieht). Die Gruppe ist intern recht aktiv, hat jedoch erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. Es bestehen Anzeichen dafür, daß ein Teil der Gruppe wegen der mangelnden Organisation zur KPD/ML (=MarxismusLeninismus) tendiert. Anmerkung zur KPD/ML: Die KPD/ML wurde Ende 1968 in Hamburg von einem ehemaligen KPDFunktionär gegründet. Sie bekennt sich zum Kommunismus chinesischer Prägung und hat im Bundesgebiet etwa 1.000 Mitglieder. Im Januar 1969 wurde in Nordrhein-Westfalen ein Landesverband gegründet. Dieser bemüht sich, in einigen Städten Ortsgruppen oder Kreisverbände aufzubauen. Bonn Über diese Gruppe sind im Laufe des Jahres nur wenige Informationen angefallen. Sie hat zum Wintersemester 1969/1970 ihre Zulassung als studentische Vereinigung an der Universität Bonn nicht mehr beantragt. Köln Eigenständig tritt die Gruppe kaum noch auf. Funktionäre der Gruppe waren jedoch an studentischen Aktionen in der Universität beteiligt. Auch tauchte die Bezeichnung SDS mehrfach bei Veranstaltungen als Mitveranstalter (zuletzt am 15.11.) auf. Nach letzten Informationen haben sich Mitglieder des SDS zu einer Kommune zusammengeschlossen. Münster Die Gruppe ist nicht mehr aktiv. Mitglieder der Gruppe sind jedoch an studentischen Aktionen immer noch beteiligt. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 16 Siegen (Pädagogische Hochschule Hüttental, Ingenieurschulen in Hüttental und Siegen) Keine Aktivität. Über SDS-Mitglieder bestehen jedoch Kontakte zum SDSBundesvorstand, wie im Sommer 1969 bei Aktionen des RC Siegen erkennbar wurde. Die ideologischen Diskussionen, aber auch Aktionsplanungen finden im übrigen in einer Vielzahl von sog. Projektund Basisgruppen sowie "Roten Zellen" statt, wobei von dort aus auch Verbindungen zur arbeitenden Jugend (Lehrlingskomitees) und zu Schülergruppen gesucht bzw. gepflegt werden. In Nordrhein-Westfalen gibt es etwa 10 Lehrlingskomitees, die unter linksradikalem Einfluß stehen, allerdings vorwiegend unter dem Einfluß der dem "konventionellen", KP-orientierten Linksradikalismus zuzurechnenden SDAJ. An linksradikalen, vor allem unter dem Einfluß des SDS-nahen "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS) arbeitenden Schülergruppen gibt es ca. 25 in unserem Lande. Die Schülerdemonstrationen, die seit Ende 1969 in unserem Lande stattfinden - seit 17.12.1969 bis 7.2.1970 insgesamt 30 mit zusammen etwa 18.000 Teilnehmern -, dürften aber mehr oder weniger spontan organisiert gewesen sein. Jedenfalls gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß diese Demonstrationen einheitlich von linksradikaler, verfassungsfeindlicher Seite initiiert, gesteuert oder maßgeblich beeinflußt werden. Allerdings kann man annehmen, daß die für diese Aktionen verantwortlichen Schülerkreise etwa von den Republikanischen Clubs, aber auch von linksradikalen Publikationen angeregt werden. In einigen wenigen Fällen ist auch eine Einflußnahme des AUSS und des SDAJ festgestellt worden. Die Brandstiftung im Mädchengymnasium in Paderborn Ende November 1969 wurde von der dortigen "Föderation Neue Linke", deren Abkürzung FNL bezeichnenderweise der der südvietnamesischen "Nationalen Befreiungsfront" entspricht, als eine "verzweifelte Kurzschlußreaktion einzelner" bezeichnet, über die man sich in einer "Gesellschaft, die auch nur halbwegs fortschrittliche Kräfte verteufelt und verketzert" nicht wundern dürfe. An der Vorbereitung und der Durchführung der Studentendemonstration in Düsseldorf am 4.2.1970 waren kommunistisch orientierte Studenten maßgeblich beteiligt. Im einzelnen ist hierzu folgendes zu bemerken: Auf einer Zusammenkunft der Studentenvertreter der Pädagogischen Hochschulen Rheinland und Westfalen (am 22.1.1970) in Wuppertal war die Haltung zum Hochschulgesetzentwurf der Landesregierung diskutiert und eine Demonstration ("Tag des Widerstandes") für den 4.2.1970 in Düsseldorf beschlossen worden. Die Einladung zu dieser Zusammenkunft und die Anmeldung zu der Demonstration ging von der AStA-Vorsitzenden der Pädagogischen Hochschule in Wuppertal aus. Sie gehört der DKP, der DKP-Hochschulgruppe und der Spartakus-Gruppe an der PH in Wuppertal an. Zusammen mit dem "Politreferenten" beim AStA der PH in Wuppertal, Mitglied des SDS, des DKP-Kreissekretariats Wuppertal und der DKP-Hochschulgruppe der PH in Wuppertal, war sie maßgeblich auch an der Ausarbeitung der Resolution Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 17 beteiligt, die von den Teilnehmern der Zusammenkunft am 22.1.70 verabschiedet wurde. An der Demonstration, der sich auch Schüler aus dem Düsseldorfer Bereich anschlossen, haben ca. 2.500 - 3.000 Personen teilgenommen. Sie verlief im wesentlichen ohne Störungen. Lediglich am Thyssen-Hochhaus wurde ein polizeiliches Einschreiten erforderlich, um einige Demonstranten zum Verlassen des Hauses aufzufordern (Eine der Scheiben der Drehtür des Eingangs wurde zerbrochen). Während der Demonstration wurden Aufrufe und Anweisungen aus einem Lautsprecherwagen gegeben. Als Referent trat während der Demonstration ein Mitglied des Parteivorstandes der DKP auf, der auch dem SDS und der Spartakus-Gruppe Bonn angehört. Bei dem Versuch, den "antiautoritären" linksextremen Gruppen einen gewissen Zusammenhalt zu geben, spielt ein Kreis um die Westberliner APO(und SDSnahe) Zeitschrift "Rote Pressekorrespondenz" eine führende Rolle. 1.2.5 "Spartakus-Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS) Der orthodoxe, DKP-orientierte Marxismus-Leninismus Moskauer Richtung hat im Bereich der radikalen Studentenbewegung inzwischen eine selbständige organisatorische Basis gefunden. Es handelt sich um die Anfang 1969 gegründete Vereinigung "Spartakus-Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS). Sie kennt nach einer in ihrem Publikationsorgan "Facit" abgedruckten Erklärung 1. SDS-Gruppen, die insgesamt marxistische Positionen vertreten, 2. marxistische Fraktionen in SDS-Gruppen und 3. Gruppen marxistischer Studenten außerhalb des SDS. Die AMS hat sich bisher nur örtlich und nicht auf Bundesebene konstituiert. Die einzelnen Gruppen stehen jedoch in Verbindung und führen Beratungen auf Bundesebene durch, wobei die Münchener Gruppe, die auch das Organ der AMS "Rote Korrespondenz" und die "Roten Blätter" herausgibt, gewisse zentrale Funktionen übernommen hat. Zur Zeit bestehen im Bundesgebiet ca. 17 Spartakus-Gruppen, hiervon sechs in Nordrhein-Westfalen (Bochum, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Münster, Wuppertal). Die ursprünglich dazugehörende Gruppe Münster hat inzwischen ihre Auflösung beschlossen. Der größere Teil der Mitglieder will sich der DKPHochschulgruppe anschließen. Die Gruppe Bochum hat sich in die Vorbereitung des Vorlesungsstreiks eingeschaltet, der in der letzten Januarwoche an der Ruhr-Universität Bochum gegen den Entwurf eines nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes veranstaltet wurde, während der SDS als solcher nicht in Erscheinung trat. In Bonn wurde ein Mitglied der Gruppe in den dortigen AStA gewählt. Im "antiautoritären" Rest-SDS zeigen sich bei den organisatorisch disziplinierteren Teilen Tendenzen, ihre politische Heimat in der KPD/ML zu suchen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 18 Aus alledem wird deutlich, daß zumindest in unserem Lande die "Antiautoritären", soweit sie hier überhaupt Fuß fassen konnten, innerhalb des politisch bewußten und aktiven Teils der studentischen Protestbewegung von Kräften zurückgedrängt werden, die sich von mehr und strafferer Organisation bessere politische Durchschlagskraft versprechen als von ideologisch diffuser, im Prinzip organisationsfeindlicher Spontaneität. 1.2.6 Sonstige linksextreme Gruppen Bevorzugtes Zielobjekt aller linksradikalen Bestrebungen ist die Bundeswehr. Dabei tritt der prinzipielle Pazifismus zunehmend gegenüber einer an Denkkategorien des Marxismus-Leninismus geschulten politisierten Kampagne gegen die Bundeswehr und das NATO-Bündnis zurück. Die SDAJ läßt, wie schon vorher erwähnt, auf ihren Delegiertenkonferenzen Bundeswehrangehörige in Uniform auftreten. Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) Neben der noch mehr pazifistisch eingestellten Deutschen Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK - inzwischen fusioniert-) ist im Zusammenhang mit der Anti-Bundeswehr-Kampagne besonders der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) hervorzuheben, der früher sozusagen "rechts" von der IdK stand. Jetzt ist der VK, der zunehmend unter dem Einfluß des SDS geriet, wegen dieser Entwicklung "links" davon einzuordnen. Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerer Erwähnenswert ist noch ein als Bundeskongreß angekündigtes Treffen der Kriegsdienstverweigerer und Ersatzdienstleistenden, das vom 7.-9.11.1969 in Köln auf Einladung des "Arbeitskreises Kriegsdienstverweigerung" im dortigen Republikanischen Club veranstaltet wurde. Auf dieser Zusammenkunft sollte der Widerstand gegen behauptete Einschränkungen des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung und anderer Grundrechte sowie gegen eine Verlängerung des Ersatzdienstes erörtert werden. Als Referent war ein "bekannter" Publizist gewonnen worden. Auch auf diesem Treffen wurde die Absicht deutlich, von einem als abstrakt empfundenen grundsätzlichen Pazifismus wegzukommen und die Kampagne gegen die Bundeswehr sowie gegen den Ersatzdienst politisch zu führen. Dabei neigen die politisch bewußten Teile der Kampagne zu der Auffassung, daß der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nach Eintritt in die Bundeswehr gestellt werden solle, weil dies ein wünschenswertes Element der Verunsicherung der Bundeswehr sei. Von den vielen Einzelprojekten, die auf der Veranstaltung diskutiert wurden, sei als Beispiel der Plan genannt, bei den Einwohnermeldeämtern den Versuch zu unternehmen, die Namen der Wehrpflichtigen jahrgangsweise festzustellen, um sie in großer Zahl schon vor der Musterung namentlich anzuschreiben und politisch gegen die Bundeswehr zu beeinflussen. Schließlich sei noch auf die etwa 25 Republikanischen Clubs bzw. Republikanischen Centren in Nordrhein-Westfalen hingewiesen, die in den letzten zwei Jahren mit dem Ziel entstanden sind, jeweils zum Centrum der örtlichen APO zu werden. Dieses Ziel wurde allerdings nur in einigen wenigen Fällen in etwa erreicht. Die politische Zusammensetzung der einzelnen Clubs ist sehr unterschiedlich und bestimmt jeweils ihre Aktivität. In den meisten Clubs sind die radikalen Elemente in Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 19 der Minderheit. Dort ist dann auch nach anfänglichem Elan seit Ende 1968 - nicht zuletzt als Folge der Ereignisse in der CSSR - die politische Arbeit mehr und mehr zurückgegangen. Einige wenige Clubs mit starken radikalen Kräften zeichnen sich dagegen durch beachtenswerte Aktivität aus. Hier sind vor allem folgende zu nennen: Republikanischer Club Köln Der Republikanische Club Köln ist besonders durch seinen Arbeitskreis "Kriegsdienstverweigerung" hervorgetreten, der in letzter Zeit eine Reihe von Aktionen durchgeführt hat und der bei dem oben erwähnten Treffen der Kriegsdienstverweigerer im November 1969 als Einlader auftrat. Die DKP ist im RC Köln stark vertreten, allerdings dürften zahlenmäßig die rein pazifistischen Elemente überwiegen. Republikanisches Centrum Düsseldorf Im Republikanischen Centrum Düsseldorf übt die DKP einen beherrschenden Einfluß aus. Es gibt allerdings eine starke Gruppe sogenannter "Antiautoritärer", mit denen es in der Vergangenheit ständig Auseinandersetzungen gab. Das RC Düsseldorf tritt insbesondere als Initiator von Vietnam-Demonstrationen in Düsseldorf auf. Bemerkenswert ist ferner die Aktivität des Arbeitskreises "Dritte Welt", der Kontakte zu linksradikalen Gastarbeitergruppen und insbesondere zur arabischen Al Fatah unterhält. Republikanisches Centrum Siegen Der RC Siegen wird maßgeblich von Funktionären des SDS-Bundesvorstandes beeinflußt. Im letzten Sommer führte er zahlreiche Aktionen gegen die angebliche Kriegsforschung im Aerobiologischen Institut in Grafschaft/Sauerland durch. Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die linksradikale Protestbewegung zu einer bedeutenden Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung werden kann, läßt sich nach der gegenwärtigen Erkenntnislage kaum sagen. Die Parolen der Linksradikalen werden aber umso weniger auf die Dauer und nachhaltig Anklang finden, je mehr die freiheitliche Demokratie in ihrer nach der Verfassung gültigen parlamentarisch-repräsentativen Form vor allem von der Jugend und den Heranwachsenden innerlich akzeptiert wird. Darüber kann der Verfassungsschutz, der nur den im Sinne seiner Zuständigkeit einschlägigen Teil der APO-Aktivitäten beobachtet, freilich keine sichere Aussage machen. Immerhin sieht es so aus, als ob in unserem Lande, insbesondere auch im Industrierevier, auf Grund des nüchternen Realismus gerade in der Arbeiterschaft radikale Ideologien weniger Resonanz hätten. Das hat sich u.a. gezeigt, als neben der DKP auch der SDS und andere linksradikale APO-Kreise sich während der Streiks im September bei den Arbeitern anbiedern wollten. Im Bereich der Gymnasien, Pädagogischen Hochschulen und Universitäten mag es anders sein, zumal hier - wie auch die Landeszentrale für politische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen meint - entsprechende geistig-ideologische Tendenzen vor allem aus den Gebieten der Philosophie, Politologie, Soziologie und evangelischen Theologie im Sinne einer geistig-politischen Anarchie vorbereitend wirken. Gewalttätigkeit und andere Exzesse der radikalen studentischen Protest- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 20 bewegung hat es zwar in Nordrhein-Westfalen nicht in gleichem Ausmaße wie anderswo gegeben, auch nicht bei den bereits dargelegten Schülerdemonstrationen. Jedoch scheint der KP-orientierte Linksradikalismus an den Universitäten und Hochschulen des Landes auf Kosten der "Antiautoritären" Fortschritte zu machen. Aktivere revolutionäre Kerne entwickeln sich an der Universität Bochum. Sorgfältige und intensive Beobachtung ist daher geboten. 1.3 Terroristische Ausländerorganisationen Terroristische Ausländerorganisationen entfalteten im Lande Nordrhein-Westfalen auch im Berichtszeitraum eine erhebliche Aktivität. Ihre Mitglieder begingen zahlreiche Straftaten, bei denen ein politisches Motiv festgestellt bzw. vermutet werden konnte. Die Straftaten reichen von der Sachbeschädigung und Körperverletzung über die Erpressung bis zum versuchten Mord. Eine besondere Aktivität war bei den Organisationen von Personen jugoslawischer Nationalität festzustellen. Daneben sind griechische und spanische Personengruppen verstärkt in Erscheinung getreten. An besonderen Ereignissen sind hervorzuheben: 1. Am 21.07.1969 wurde dem damaligen Außenminister Brandt und der jugoslawischen Botschaft in Bad Godesberg ein Sprengstoffpäckchen durch die Post übersandt. Als Absender werden kroatische Emigrantenkreise vermutet. 2. Am 6.10.1969 reisten von der Baustelle des Atomkraftwerkes Wuergassen, Krs. Höxter, 29 jugoslawische Gastarbeiter (Serben) unter Zurücklassung ihres Gepäcks und des noch ausstehenden Lohnes fluchtartig nach Jugoslawien zurück. Ermittlungen ergaben, daß diese Arbeiter von einem Kroaten bedroht worden waren. Nach Einschaltung der jugoslawischen Botschaft kehrten inzwischen 22 Arbeiter wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. 3. Am 22.10.1969 unternahmen unbekannte Täter auf den derzeitigen Präsidenten des "Bundes der vereinigten Kroaten", Ante Vucic, in Dortmund einen Mordanschlag. In dem abgestellten Pkw des Vucic wurde ein noch unbekanntes Giftgas, vermutlich ein "Phosphorsäure-Ester", das zur Atemlähmung führt, eingeblasen. Vucic wurde mit Frau und Kind in ein Krankenhaus eingeliefert. 4. Der Leiter der Sendungen für jugoslawische Gastarbeiter beim WDRFernsehen in Köln und sein jugoslawischer Mitarbeiter wurden im Oktober 1969 mehrmals telefonisch und schriftlich anonym bedroht. Verdächtige dürften in jugoslawischen Emigrantenkreisen zu suchen sein. 5. Des weiteren wurden von arabischen Studentenorganisationen in verschiedenen Städten NW in 7 Fällen Aufklärungsund Unterstützungskampagnen für die palästinensische Befreiungsfront "Al Fatah" durchgeführt. Die polizeilichen Ermittlungen bei strafbaren Handlungen von Ausländern beginnen und enden in der Regel mit der Aufklärung des unmittelbaren Tatgeschehens. Die weitverzweigten Verbindungen der Täter mit Personen und Organisationen im Inund Ausland bleiben verborgen. Einer Beobachtung oder vorbeugenden Bekämpfung der terroristischen Organisationen von Ausländern stehen erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Der Verfas- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 21 sungsschutz kann diese Organisationen nicht beobachten, weil ihm diese Aufgabe durch das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27.09.1950 (BGBl. S. 682) nicht übertragen worden ist. Ob die Polizei diese Aufgabe wahrnehmen kann, ist ebenfalls umstritten. Zudem fehlen ihr die hierfür erforderlichen besonders ausgebildeten Personen. Der Bundesminister des Innern ist z. Zt. bemüht, eine Lösung dieser Frage zu finden. 1.4 Störung des Bundestagswahlkampfes Der Bundestagswahlkampf 1969 verlief unter sicherheitsmäßigen Gesichtspunkten wesentlich unruhiger als der vorhergehende. Im Lande Nordrhein-Westfalen erforderten 2.157 Wahlveranstaltungen der Parteien Einsatzmaßnahmen der Polizei im Rahmen des Großen Sicherheitsund Ordnungsdienstes (geschlossener Einsatz von mehr als 1 Gruppe Polizeibeamte). Es entfielen auf die einzelnen Parteien a) CDU/CSU 919 b) SPD 654 c) FDP 155 d) NPD 264 e) Sonst. 165 Veranstaltungen. Auf Grund größerer Störungen mußte die Polizei bei 74 Veranstaltungen einschreiten, und zwar bei a) 20 Kundgebungen der CDU/CSU b) 2 Kundgebungen der SPD und c) 52 Kundgebungen der NPD. Bei 6 Veranstaltungen machte die Polizei vom Schlagstock Gebrauch, Wasserwerfer bzw. -armaturen wurden bei 9 Veranstaltungen eingesetzt. In 4 Fällen gingen Polizeidienstpferde gegen Demonstranten vor; Diensthunde wurden bei 8 Veranstaltungen gegen Störer eingesetzt. In der Wahlkampfauseinandersetzung wurden 67 Menschen als verletzt registriert, davon 42 Polizeibeamte. Ein Beamter und fünf Zivilpersonen wurden schwer verletzt. Von 269 Personen wurden wegen Störaktionen die Personalien festgestellt. 296 Personen mußten vorläufig festgenommen werden. Bei den 2.157 Wahlveranstaltungen waren insgesamt 63.505 Polizeibeamte (einschl. Bereitschaftspolizei) eingesetzt; das bedeutet, daß für jede Veranstaltung durchschnittlich 30 Beamte erforderlich waren. Wahlkundgebungen mit den Parteivorsitzenden Kiesinger und Strauß, Bundeskanzler Brandt und insbesondere mit dem NPD-Parteivorsitzenden v. Thadden erforderten einen vermehrten Einsatz von Kräften und Einsatzmitteln. So wurden bei den 60 Veranstaltungen der genannten 4 Politiker mehr als 1/3 der Kräfte eingesetzt, die im Wahlkampf überhaupt zum Einsatz kamen. Bei 24 Veranstaltungen mit Kiesinger waren 6.652 Polizeibeamte (= 277 pro Veranstaltung), 8 Veranstaltungen mit Strauß, 2936 Polizeibeamte (= 367 pro Veranstaltung), Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 22 10 Veranstaltungen mit Bundeskanzler Brandt 1.968 Polizeibeamte (= 197 pro Veranstaltung) und bei 18 Veranstaltungen mit v. Thadden waren 10.164 Polizeibeamte (= 565 pro Veranstaltung) eingesetzt. Der Wahlvorgang selbst verlief im Lande Nordrhein-Westfalen im wesentlichen störungsfrei. Der Kommunalwahlkampf im Okt./Nov. 1969 verlief gegenüber dem Bundestagswahlkampf im wesentlichen ruhig. 1.5 Strafverfolgungsmaßnahmen In den Jahren 1968 und 1969 sind in Nordrhein-Westfalen wegen Straftaten, die im Zusammenhang mit Demonstrationen oder ähnlichen politischen Aktionen stehen, insgesamt 457 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen 1.163 namentlich bekannte Personen sowie gegen weitere nicht bekannte Personen eingeleitet worden. Von diesen Verfahren haben 101 Verfahren Straftaten zum Gegenstand, die im Hochund Fachschulbereich begangen worden sind. 189 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren betreffen strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit Veranstaltungen im Bundeswahlkampf begangen worden sind. 144 Verfahren endeten durch Einstellung. In 122 Verfahren ist Anklage erhoben. In 21 Verfahren sind Urteile ergangen (davon 3 freisprechende Urteile), von denen 13 Rechtskraft erlangt haben. In 18 Verfahren sind Strafbefehle erlassen worden, von denen 16 rechtskräftig sind. Am 31. Dezember 1969 waren nach 284 Verfahren gegen insgesamt 743 namentlich bekannte beschuldigte anhängig. Reform des Strafrechts Bei der Anwendung der in den Abschnitten "Widerstand gegen die Staatsgewalt" und "Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung" enthaltenen Vorschriften des Strafgesetzbuches in Strafverfahren, die mit Demonstrationen in Zusammenhang standen, ist vor allem im Hinblick auf die Wertvorstellungen des Grundgesetzes die Reformbedürftigkeit einiger dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorschriften besonders deutlich geworden. Gleichgelagerte Sachverhalte wurden von verschiedenen Gerichten oft rechtlich sehr unterschiedlich gewürdigt. Dadurch ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden. Die Fraktionen der SPD und der FDP haben im Bundestag den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts eingebracht. Der Entwurf sieht - zum Teil im Anschluß an frühere Reformvorschläge - neben der Streichung einiger Vorschriften des geltenden Strafrechts Änderungen und Neufassungen folgender Bestimmungen des Strafgesetzbuches vor: SS 111 (Aufforderung zu strafbaren Handlungen), SS 113 (Widerstand gegen die Staatsgewalt), SS 114 (Beamtennötigung) und SS 125 (Landfriedensbruch). Ziel des Entwurfs ist es nach seinem Vorspruch, Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 23 "die bisherigen Strafvorschriften gegen den öffentlichen Frieden dem Grundgesetz anzupassen und die Rechtssicherheit auf diesem Rechtsgebiet wiederherzustellen." Anhörung im Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform Am 12. und 13. Januar 1970 war der Entwurf Gegenstand einer Anhörung zahlreicher Sachverständiger im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform. Aus dem Bereich der Landesverwaltung NW traten der Inspekteur der Polizei und der Polizeipräsident von Bochum als Sachverständige auf. Unter dem 21. Januar 1970 hat auch die Fraktion der CDU/CSU einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Reform der Vorschriften über den Schutz des Gemeinschaftsfriedens zum Gegenstand hat. Der Entwurf lehnt sich stärker als derjenige der Fraktionen der SPD und der FDP an das geltende Recht an. In einigen Punkten schlägt er eine Erweiterung der Strafbarkeit im Verhältnis zum gegenwärtigen Rechtszustand vor, z.B. bei den Vorschriften über Aufforderung zum Ungehorsam (SS 110 StGB), Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beamtennötigung (SSSS 113, 114 StGB), Auflauf (SS 116 StGB) und Landfriedensbruch (SS 125 StGB). Zur Zeit werden beide Entwürfe im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform beraten. Zugleich mit den Vorarbeiten für das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts werden z. Zt. Überlegungen über eine Amnestie für Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen angestellt. Zu schwerwiegenden Störungen von Gerichtsverhandlungen ist es auch in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 im Lande Nordrhein-Westfalen nicht gekommen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 24 2 Bericht an den Hauptausschuß des Landtags NRW (Berichtsstand: 26. November 1970) 2.1 Rechtsradikalismus 2.1.1 Allgemeine Situation Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich in der Nachkriegszeit gegenüber nationalistischen Bestrebungen stets als besonders stabil erwiesen. Wenn es hierfür noch eines Beweises bedurft hätte, dann würde er durch das für die rechtsradikale "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) enttäuschende Ergebnis bei der Bundestagswahl im Jahre 1969 mit nur 3,1 % Stimmen erbracht worden sein. Dies war der niedrigste Prozentsatz unter den Bundesländern und verhinderte den Einzug der NPD in den Deutschen Bundestag. Der Ausgang der Landtagswahl am 14. Juni 1970, der für die NPD einen Stimmenanteil von lediglich 1,1 % erbrachte, verstärkt diesen Eindruck noch. Es ist also eine Tatsache, daß die Wählerschaft trotz des Geredes von einer "nationalen Welle" und entgegen anders lautender Prognosen politische Reife bewies. Mit zunehmender Popularität der NPD nahmen Wachsamkeit, kritische Distanz und Abwehrbereitschaft gegenüber dem Radikalismus von rechts weiter zu. Aufklärung und politische Bildung haben hierzu wesentlich beigetragen. Wenn auch das Land Nordrhein-Westfalen nur in erfreulich geringem Umfange der Sitz von rechtsextremen Vereinigungen, Verlagen usw. ist - es gibt ca. 100 - so wirken doch die meisten auch in diesem Land in irgendeiner Form hinein. Als Beispiel hierfür seien nur die hinreichend bekannte rechtsradikale "Deutsche Nationalzeitung" (DNZ), die an jedem Kiosk verkauft wird, oder das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) genannt. Letzteres tritt immer wieder mit "kulturellen Veranstaltungen" an die Öffentlichkeit (z.B. Sonnenwendfeiern im Detmolder Raum). Die rechtsradikalen Jugendgruppen sind insgesamt gesehen ohne große Bedeutung und haben nur wenige Mitglieder. Das gilt auch für entsprechende Studentenorganisationen. 2.1.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Der Schwerpunkt rechtsradikaler Bestrebungen liegt nach wie vor bei der NPD. Durch die Wahlniederlagen wurde sie zwar schwer erschüttert und nach eigener Einschätzung der "bisher größten inneren Zerreißprobe" ausgesetzt; es kann aber bisher keine Rede davon sein, daß sie dadurch beseitigt worden wäre. Die NPD beabsichtigt "jetzt erst recht", sich als "politische Kampfpartei" (Protestpartei) mit eindeutiger Alternative gegenüber den anderen Parteien zu profilieren. Als Nahziel sieht sie die Bewältigung der Landtagswahlkämpfe an; in denen sie sich als einzige wirksame Protestpartei herausstellen will. Allerdings hat sich bereits bei den Landtagswahlen in Hessen am 8. und in Bayern am 22.11.1970 der Abwärtstrend fortgesetzt. In Hessen erhielt sie nur noch 3 % (BTW 69 = 5,1 %, LTW 66 = 7,9 %) der abgegebenen Stimmen bzw. in Bayern 2,9 % (BTW 69 = 5,3 %, LTW 66 = 7,4 %). Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 25 Der NPD-Parteivorstand hat sich vor allem entschlossen, die Propaganda weiter zu zentralisieren und zu intensivieren. Neben dem wöchentlich herausgegebenen Parteiorgan "Deutsche Nachrichten" (DN) soll ein zunächst monatlich erscheinendes Boulevardgroschenblatt "Deutscher Kurier" in Millionenauflage "breiteste Schichten" der Bevölkerung ansprechen. Bei der NPD ist augenblicklich eine innerparteiliche Konzentration auf den radikalen Kern zu beobachten, der auf Aktionen drängt und sich auf härtere Auseinandersetzungen einzustellen beginnt. Das Auftreten nationalistischer Gruppen in Kassel beim Treffen des DDR-Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler wird als Modellfall für die Konfrontation mit linksradikalen Gruppen angesehen. Vor allem die mittlere Funktionärsschicht beschuldigt die Parteiführung, zu viele Rücksichten auf die Öffentlichkeit zu nehmen, um nicht in den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Partei zu geraten. Man forderte, die NPD müsse jetzt einen radikaleren Kurs einschlagen. In Nordrhein-Westfalen haben die Wahlniederlagen in den Reihen der NPD teilweise Panikstimmung ausgelöst. Der Landesparteivorsitzende ist zurückgetreten. Ein ehemaliger DRP-Funktionär Hubert wurde sein Nachfolger. Zwei junge, äußerst aktive Landesvorstandsmitglieder sind aus Enttäuschung darüber, daß sie sich nicht ihren Vorstellungen gemäß in der Partei profilieren konnten, verbittert ausgetreten. Viele Kreisvorsitzende und Funktionäre auf unterer Ebene haben resigniert. Es fehlt der NPD selbst der Überblick, wieviele Mitglieder ihr in NW noch verblieben sind. Die Fluktuation war immer schon sehr stark und von ca. 10.000 Gesamteintritten konnte sie im Zeitpunkt der letzten Wahl allenfalls noch 4.000 - 5.000 beitragszahlende Mitglieder verbuchen. Inzwischen ist diese Zahl auf ca. 2.500 gesunken. Insbesondere haben sich die Angehörigen des öffentlichen Dienstes weitgehend aus der Parteiarbeit zurückgezogen. Ob die Frage eines Verbotes der NPD nochmals politisch akut wird, kann im Augenblick nicht beurteilt werden. Jedenfalls sehen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder insoweit ihre primäre Aufgabe darin, nach wie vor alle Fakten zu sammeln, die ggf. zur Begründung eines Verbotsantrages beim Bundesverfassungsgericht herangezogen werden könnten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist die zentrale Sammelstelle, es wird hierbei von den Ländern, die aus eigenen Quellen nur über partielle Materialien verfügen, unterstützt. 2.1.3 "Europäische Befreiungsfront" (EBF) In rechtsgerichteten Kreisen werden nach dem Schock der Bundestagswahlen ganz allgemein sog. Konspirationstheorien häufiger als früher erörtert und in der einschlägigen Presse wird mehr oder weniger eine größere "Bereitschaft zu nationalrevolutionären Aktionen" gefordert. Die Forderung nach einer Radikalisierung des politischen Lebens wurde handfest und äußerst konspirativ auch von einer Gruppe ehemaliger NPDOrdnungsdienstangehöriger erhoben, die sich selbst "Europäische Befreiungsfront" (EBF) nannte. Ihr Ziel ging dahin, einen kompromißlosen Kampf gegen den Kommunismus zu führen und diesen mit Attentaten auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einzuleiten. Nach dem Statut sollte aus der EBF nicht mehr Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 26 ausscheiden können, wer einmal Mitglied geworden war. Verstöße gegen Disziplin und Kameradschaft sollten "militärisch geahndet", d.h., der Verräter sollte "liquidiert" werden. Die Abteilung VII wurde auf diese, damals noch im Aufbau befindliche Organisation aufmerksam. Sie konnte alsbald Schießübungen mit Maschinenpistolen in einem abgelegenen Waldgebiet des Sauerlandes feststellen und einen Vertrauensmann gewinnen, um mit seiner Hilfe sowie durch Observationen und den Einsatz von technischen Hilfsmitteln die Entwicklung zu beobachten. Als aus Anlaß des Kasseler-Treffens konkrete Gefahr im Verzug gegeben war, griff die laufend unterrichtete Polizei schlagartig zu. Es gelang ihr, alle schriftlichen Geheimunterlagen (Statut, Manifest, Aufbaupläne usw.) sicherzustellen. An Waffen wurden beschlagnahmt: * 13 Gewehre (Schnellfeuergewehre -MP-, Karabiner, Sturmgewehre, -teilweise mit Zielfernrohren) * 17 Pistolen * Verschiedene Sprengkörper sowie Hiebund Stichwaffen; ca. 3.000 Schuß Munition. Die Haupträdelsführer waren angesichts der erdrückenden Beweismaterials sofort geständig. Sie legten auch vor der Presse freimütig ihre Ziele offen. Einige Randfiguren dürften durch das Beweismaterial überführt werden. Mit einer Anklageerhebung wird in Kürze zu rechnen sein. 2.1.4 Rechtsradikale Propaganda gegen die Ostpolitik Augenblicklich richtet sich die gesamte rechtsradikale Propaganda gegen die Ostpolitik der Bundesregierung, insbesondere gegen den Moskauer Vertrag. Die Verhandlungen und die Unterzeichnung des Vertrages werden in der rechtsradikalen Presse als "Landesverrat, Verfassungsverrat, Verrat an Deutschland, glatter Verfassungsbruch und Verhöhnung des Rechts" bezeichnet. Unverhüllt wird von einem "Attentat gegen das deutsche Volk", von einem "Todesstoß des 'Norwegers' BRANDT gegen Deutschland" und von einem "Verbrechen am deutschen Volk" gesprochen, für das der Außenminister vor Gericht gestellt werden müsse. Sowohl die "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) als auch die "Deutschen Nachrichten" (DN) bezeichnen das "Bahr-Papier" als "Super-Tauroggen", "SuperRapollo" und "Super-Versailles". Die "Bonner Linksregierung" habe mit dem Vertrag "die Zerstückelung Deutschlands und die durch Gewalt erzwungene und durch militärische Macht aufrechterhaltene Spaltung Europas legalisiert". Derartige Stellungnahmen werden auch zum Wahrschauer Vertrag abgegeben. 2.1.5 "AKTION WIDERSTAND" Die NPD hat unter Ausnutzung der besonders auch von ihr geschürten Unruhe im sog. nationalen Lager "über alle Parteigrenzen hinweg" zum WIDERSTAND gegen die Unterwerfungsverträge von Moskau und Warschau aufgerufen. Vorwiegend auf ihre Initiative hin wurde am 25.10.1970 in München die "AKTION WIDERSTAND e.V." formell gegründet, deren politisch-agitatorische Mobilität sie zumindest indirekt vollständig beherrscht. Um nach außen die Überparteilichkeit der Aktion zu demonstrieren, wurden zahlreiche rechtsradikale Organisationen, Verleger und Persönlichkeiten eingeladen, sich aktiv zu beteiligen. Man hofft, daß Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 27 dadurch die - wie es ein NPD-Funktionär ausdrückte - "lahm dahin schleichende NPD wieder Tritt fassen und ihre frühere Aktivität zurückerlangen" werde. Tatsächlich haben sich auch eine Reihe rechtsradikaler Organisationen der "AKTION WIDERSTAND" angeschlossen; u.a. das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG), die "Aktion Oder-Neisse" (AKON), die "Gemeinschaft Ostdeutscher Grundeigentümer" sowie der "Arbeitskreis volkstreuer Verbände" (AVV), dem zahlreiche rechtsradikale Splittergruppen korporativ angeschlossen sind. Unter großem Propagandaaufwand wurde zu einem Gründungskongreß der "AKTION WIDERSTAND" am 31.10.1970 in Würzburg aufgerufen, über dessen Verlauf die Tageszeitungen ausführlich berichtet haben. Hier wiederholten sich vor einem 3.000köpfigen Auditorium durchweg alle oben bereits zitierten Beschimpfungen der Bundesregierung. Die rhetorischen Ausfälle wurden anschließend noch durch Sprechchöre überboten, die bei dem - trotz Verbots - durchgeführten zweistündigen Demonstrationszug durch die Stadt erschollen: "Walter Scheel und Willy Brandt -Volksverräter an die Wand" oder "Deutsches Land wird nicht verschenkt -eher wird der Brandt gehenkt" usw. Diese durch die bewußt aufgepeitschte hektische Atmosphäre hervorgebrachten Slogans erinnern an die Kampflieder der Nationalsozialisten in der Zeit vor 1933. Auffällig war, daß vor allem die jüngeren Redner nach "radikaler Aktivität" riefen. Ein Redner wurde unter Beifall deutlich, als er im Goebbels-Jargon ausrief: "Wir versprechen an dieser Stelle, daß der Gegner von diesem Tage an nichts mehr zu lachen haben wird." Wie derartige Parolen auf Wirrköpfe wirken, zeigt der Überfall auf das sowjetische Ehrenmal in Berlin, der sich kaum eine Woche später ereignete. Soweit der gedrängte Überblick über den Rechtsradikalismus. 2.2 Linksradikalismus 2.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Im Mittelpunkt des konventionellen Linksradikalismus, d.h. jenes Bereiches, der vom Kommunismus Moskauer Observanz geprägt ist, steht nach wie vor die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die seit Anfang dieses Jahres ihre Organisation auf allen Ebenen weiter ausbauen konnte und sich bemüht, auf die politische und vor allem wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen einzuwirken. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der DKP in unserem Lande ist nicht ohne Bedeutung, daß der DKP-Parteivorstand seinen Sitz in Düsseldorf hat. Er verfügt in der Prinz-Georg-Str. 79 über ein eigenes, großes Bürogebäude, in dem das 9köpfige Parteipräsidium, die Schiedsund die Revisionskommissionen sowie die Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 28 wichtigsten Referate und Fachkommissionen des Parteivorstandes untergebracht sind. 2.2.1.1 Organisation Nordrhein-Westfalen ist - wie bereits früher vorgetragen - in die Parteibezirke "Rheinland-Westfalen" und "Ruhr-Westfalen" gegliedert. Die Bezirksvorstände setzen sich aus 57 bis 60 gewählten Funktionären zusammen. Sie verfügen über eigene Bürogebäude in Düsseldorf und Essen. Ihnen steht ein Stab hauptamtlicher Mitarbeiter zur Verfügung. So sind zur Zeit beim Bezirksvorstand "RheinlandWestfalen" in Düsseldorf 14 und beim Bezirksvorstand "Ruhr-Westfalen" in Essen 18 Mitarbeiter hauptamtlich tätig. Als gemeinsames Gremium und zur Koordinierung des landespolitischen Aufgaben besteht zudem ein "Ausschuß für Landespolitik". Die wesentliche Aufgabe des Ausschusses besteht darin, zur Politik der Landesregierung öffentlich Stellung zu nehmen und auf die Fraktionen des Landtages mit Gesetzesvorschlägen und ähnlichen Initiativen einzuwirken. Auf der örtlichen Ebene, d.h. unterhalb der beiden Bezirke, verfügt die DKP über 51 Kreisund Gebietsorganisationen. Sie hat damit seit Anfang 1970 sieben weitere Kreisund Gebietsorganisationen gegründet. Insgesamt sind in der DKP-Parteiorganisation Nordrhein-Westfalen ca. 10.000 Mitglieder zusammengefaßt. Das ist etwa die Hälfte der DKP-Mitgliedschaft im Bundesgebiet, die nunmehr auf etwa 20.000 Mitglieder geschätzt wird. Der DKP ist es damit seit Anfang 1970 gelungen, etwa 1.000 neue Mitglieder zu gewinnen. Bemerkenswert ist, daß auch der öffentliche Dienst von dieser organisatorischen Entwicklung erfaßt wird. In diesem Jahr sind 45 Angehörige des öffentlichen Dienstes als Mitglieder und aktive Funktionäre (z.B. Landtagskandidaten) der DKP in Erscheinung getreten, davon 21 Bedienstete kommunaler Behörden, 8 Angehörige von Verkehrsund Versorgungsbetrieben und 6 Lehrer. Die DKP ist bemüht, die Parteiarbeit auf der Kreisebene zu aktivieren durch Bildung weiterer Stadtteilund Ortsgruppen, Mitgliederwerbung unter der Jugend und der Arbeiterschaft, öffentliche Bildungsveranstaltungen mit ideologischer Thematik sowie Beeinflussung, Unterwanderung und Aktivierung der örtlichen Mieterverbände. In diesem Bereich vertritt die DKP die Forderung nach Abschaffung der "weißen Kreise", Mietstopp und Mitbestimmung der Mieter. Ein bedeutungsvoller Faktor der Parteiorganisation sind die DKP-Betriebsgruppen, deren Zahl sich in NW seit Anfang dieses Jahres von 50 auf 79 erhöht hat. Davon entfallen auf die Metallindustrie 47 Gruppen (= 61,9 %), den Bergbau 12 Gruppen (= 15,5 %), die Betriebe der öffentlichen Hand 4 Gruppen (= 5,3 %) und die chemische Industrie 3 Gruppen (= 4 %). Die übrigen Gruppen arbeiten im Bereich der Hochschulen, des Transportund des Bauwesens. Die Stärke der Betriebsgruppen reicht von ca. 5 bis 35 Parteimitgliedern. Sie werden von den Kreisorganisationen - in einigen Schwerpunktbereichen von den Bezirksleitungen - angeleitet. Um die Steuerung der DKP-Betriebsgruppen effektiver zu gestalten, sind auf Kreisund Bezirksebene "Kommissionen für Wirtschaftsund Sozialpolitik" sowie weitere, nach Branchen gegliederte "Fachkommissionen" gebildet worden. So bestehen auf Bezirksebene Fachkommissionen für den Bergbau, die Metallindustrie Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 29 und die Bauwirtschaft. Für den Bereich des Mannesmann-Konzerns wurden die Arbeitsgruppen "Röhren" und "Edelstahl" gebildet. Aufgabe dieser Gremien ist es, Analysen über die Auftragsund Gewinnlage vor allem der Großunternehmen zu erstellen. Das Material wird nicht nur für die DKP-Betriebszeitungen verwertet, sondern auch den Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zur Verfügung gestellt. 2.2.1.2 DKP-Publizistik Die Tätigkeit der Parteiorganisation wird von der DKP-eigenen Publizistik unterstützt, die nach wie vor einen beachtlichen Umfang aufweist. Seit April 1969 erscheint die Wochenzeitung "Unsere Zeit" (UZ), die nunmehr dem Parteivorstand als Zentralorgan der DKP untersteht. Die Zeitung hat eine Auflage von 60.000 Exemplaren und erscheint in 5 Regionalausgaben. Der Sitz der Hauptredaktion ist von Essen nach Düsseldorf (Sitz des PV) verlegt worden. Der Druck der Zeitung erfolgte bisher in drei verschiedenen Druckereien. Im Februar 1970 wurde in der Nähe von Hanau von DKPund früheren KPD-Funktionären mit einem Stammkapital von 1 Million DM eine neue hochmoderne Druckerei gegründet, die noch im Laufe dieses Jahres den Druck der "UZ" zentral übernehmen soll. Dieses nach außen hin von der Partei unabhängige Unternehmen soll die zentrale Druckerei für fast alle kommunistischen Schriften und Zeitungen werden. Fernziel der DKP ist es auch, eine überregionale Tageszeitung herauszugeben. Die Druckerei hat bereits eine Extraausgabe der "UZ" hergestellt, die in einer hohen Auflage in NW aus Anlaß der Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie verbreitet wurde. Neben der "UZ" gibt der Parteivorstand der DKP in relativ hoher Auflage den "DKP-Pressedienst", die "DKP-Informationen" sowie die zentrale Schrift "praxis" heraus. Als weitere Organe der DKP auf Bundesebene sind die "Bonner Korrespondenz" und das theoretische Organ "Marxistische Blätter" anzusehen. Die Landesund Bezirksorganisationen verfassen ebenfalls eigene periodische Schriften. So erscheint in NW ein vom DKP-Bezirksvorstand Rheinland-Westfalen verbreiteter "Pressedienst", der sich vornehmlich mit landespolitischen Fragen befaßt. Die DKP ist dazu übergegangen, auch auf Kreisebene Druckereien einzurichten. So bestehen Unternehmungen dieser Art in Düsseldorf, Essen und Dortmund, die nach außen hin als unabhängige Betriebe auftreten, jedoch mit Mitteln der DKP gegründet wurden. Der politisch bedeutungsvollste Bestandteil der kommunistischen Publizistik sind die DKP-Betriebszeitungen. In Nordrhein-Westfalen wurden zu Anfang dieses Jahres 34 Zeitungen dieser Art von den DKP-Kreisleitungen herausgegeben. Inzwischen hat sich die Zahl auf 101 erhöht, also fast verdreifacht. Die Auflage der in NW verbreiteten DKP-Betriebszeitungen beträgt im Durchschnitt 1000 Exemplare, so daß die Gesamtauflage bei 100.000 Exemplare liegen dürfte. Gegenstand der Betriebszeitungen sind gesellschaftspolitische Fragen wie Machtkonzentrationen in der Industrie, Lohnund Preisentwicklung und Garantie des Arbeitsplatzes. Politische Bedeutung wird aber auch Fragen der Sicherheit vor Unfallgefahren, des Akkordsystems und der Behandlung der Arbeiterschaft beigemessen. Aus diesem Problemkreis nimmt die DKP ihren Ansatz zur grundsätzlichen Kritik an den bestehenden Eigentumsverhältnissen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 30 2.2.1.3 DKP-Schulungseinrichtungen Neben der Parteiorganisation und den kommunistischen Presseorganen sind als "3. Säule" der Partei die DKP-Schulungseinrichtungen anzusehen. Die DKP hat in Frankfurt/M. ein "Institut für marxistische Studien und Forschungen" und einen "Verein zur Förderung der Forschung und des Studiums der Sozialwissenschaften" gegründet, die sich mit den ideologischen Grundlagen der Partei und mit gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen befassen. Für die Schulung der Parteimitglieder wurden in Nordrhein-Westfalen auf örtlicher Ebene 57 marxistische Studienzirkel gebildet, die auf Bundesebene zu der Dachorganisation "Marxistische Arbeiterbildung" (MAB) mit Sitz in Düsseldorf (früher Frankfurt/M.) zusammengefaßt sind. Daneben besteht seit November 1969 in Düsseldorf als regionale Organisation der MAB für den Bereich des DKP-Bezirks "Rheinland-Westfalen" die "Marxistische Bildungsgemeinschaft NW". Im Juni dieses Jahres wurde in Düsseldorf eine weitere Schulungseinrichtung, die "Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Bildung", von DKP-Funktionären gegründet. Die Aktivität der marxistischen Studienzirkel ist in den letzten Monaten zurückgegangen, weil die DKP nunmehr dazu übergeht, die Schulung ihrer Mitglieder unmittelbar im Rahmen der Parteiarbeit durchzuführen. Zu diesem Zweck wurde beim Bezirksvorstand "Ruhr-Westfalen" in Essen eine Schulungsstätte gegründet, die noch in diesem Jahr mit Schulungslehrgängen (Wochenendseminaren) beginnen wird. Im Bereich der Mitgliederschulung arbeiten die zentralen Bildungseinrichtungen außerdem eng mit Institutionen der DDR und der Sowjet-Union zusammen. So laufen seit Anfang Januar 1970 der erste und seit September 1970 der zweite Jahreslehrgang der DKP in Ostberlin. Ab Oktober 1970 und Januar 1971 beginnen Jahreslehrgänge für höhere Funktionäre der DKP in Moskau. 2.2.1.4 Finanzen Im Rahmen der früheren Berichterstattung ist anhand konkreter Beispiele dargelegt worden, daß die DKP außerstande ist, ihren relativ hohen Finanzbedarf aus eigener Kraft zu bestreiten. Der DKP im Bundesgebiet stehen unter Berücksichtigung der gestiegenen Mitgliederzahl aus dem Beitragsaufkommen und aus Spenden ihr nahestehender Personen maximal 150.000 DM, aus Wahlkampfkostenerstattung etwa 165.000 DM zur Verfügung. Demgegenüber bewegen sich die erkennbaren Ausgaben der DKP in einer Größenordnung, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu diesen Einnahmen stehen. Der Parteivorstand der DKP, die beiden Bezirksvorstände sowie die 51 Kreisund Gebietsvorstände unterhalten Büros, die z.T. hohe Mieten erfordern. Dazu kommen Aufwendungen für die hauptamtlichen Mitarbeiter des Parteivorstandes und der übrigen Organisationsgliederungen, Kosten für die - wie die Landtagswahl 1970 gezeigt hat - umfangreiche Agitation und Propaganda, erhebliche Zuschüsse für das Zentralorgan "UZ" sowie Zuwendungen an befreundete Organisationen. Die Finanzmittel, die die DKP aus Ostberliner Quellen erhält, betragen etwa sechs Millionen DM im Jahr. Die Finanzmittel gehen der DKP entweder direkt durch konspirativ arbeitende Geldkuriere, durch getarnte Spenden oder im Rahmen des Ost-West-Handels zu. So liegen vertrauliche Informationen darüber vor, daß bestimmte, von KP-Mitgliedern geführte oder Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 31 beeinflußte Firmen einen Teil des Erlöses aus dem Ost-West-Handelsgeschäft der DKP direkt zuweisen. 2.2.1.5 Westarbeit des FDGB der SED Die Tätigkeit der Kommunisten in unserm Land wird durch die sog. Westarbeit der "Westabteilungen" des FDGB der SED und anderer Organisationen der DDR unterstützt. So reisen monatlich etwa 30 - 50 zum Teil hervorragend geschulte FDGB-Funktionäre nach NW ein, um an Veranstaltungen kommunistisch gesteuerter Vereinigungen teilzunehmen. Daneben nehmen die DDR-Funktionäre auch konspirative Aufgaben wahr, indem sie mit Hilfe eines Netzes von Vertrauensleuten versuchen, vertrauliche Kontaktgespräche mit Funktionären der Gewerkschaften, der Jugendorganisationen usw. zu führen. Ziel dieser Bemühungen ist es vor allem, von unten her in demokratische Organisationen einzudringen und Einfluß auf die politische Willensbildung dieser Organisationen zu nehmen. 2.2.1.6 Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es der DKP zweifellos gelungen ist, ihre Organisation weiter auszubauen. Sie hat nicht nur die Kader der verbotenen KPD übernommen, deren Stärke sich in NRW auf etwa 4.500 Mitglieder belief, sondern auch neue Mitglieder über den Rahmen der ihr nahestehenden Organisationen (z.B. DFU, SDAJ usw.) hinaus gewinnen können. Andererseits ist ihr versagt geblieben, ihren an sich schon geringen Einfluß in der Öffentlichkeit wesentlich zu verstärken. Das hat jedoch den Arbeitseinsatz aller Parteiorgane nicht ernsthaft beeinträchtigt. Sie konzentrieren zur Zeit ihre Anstrengungen auf die sogenannte Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Die Partei geht davon aus, daß es ihr mit Hilfe ihrer Betriebsgruppen und einer breit angelegten Agitation in den Betrieben möglich ist, weite Teile der Arbeiterschaft zu beeinflussen. Durch eine kompromißlose Unterstützung gewerkschaftlicher und innerbetrieblicher Forderungen hofft sie, zumindest die unzufriedenen Teile der Arbeiterschaft gewinnen zu können. Es wird Aufgabe der zuständigen Stellen bleiben, die Aktivität der Kommunisten im betrieblichen und gewerkschaftlichen Raum besonders sorgfältig zu beobachten. 2.2.2 "Neue Linke" Ein Überblick über die Gruppen der sog. Neuen Linken muß notwendig unvollständig sein, denn sie ist ideologisch und organisatorisch außerordentlich zersplittert. Gemeinsam mit dem "konventionellen" Linksradikalismus ist der Neuen Linken die Ablehnung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie im Sinne unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Darüber hinaus versteht sie sich selbst - und darin besteht ihre einzige Übereinstimmung - als "antirevisionistisch", d.h. gegen den Kommunismus Moskauer Observanz gerichtet. 2.2.2.1 Studierende Jugend Die "Neue Linke" besitzt ihre Basis, ihre organisatorischen Schwerpunkte und das Hauptfeld ihrer Aktivität hauptsächlich unter der studierenden Jugend. Aber auch der "konventionelle" Linksradikalismus ist hier am Werk; er bildet in diesem Bereich sozusagen den "rechten Flügel". Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 32 Nach der Selbstauflösung der Bundesorganisation des SDS hat sich das Schwergewicht der Aktivität linksradikaler Studenten auf örtliche Gruppen verlagert. Dabei ist eine Abkehr vom Anarchismus der "Antiautoritären" sowie eine Hinwendung zum Kommunismus Moskauer oder Pekinger Orientierung festzustellen. 2.2.2.2 Organisationen von überörtlicher Bedeutung Als Organisationen von überörtlicher Bedeutung sind zu nennen der * Sozialdemokratische Hochschulbund * sowie die auf die DKP ausgerichtete Gruppierung Spartakus/Assoziation Marxistischer Studenten. Der SHB selbst ist kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Es darf aber nicht übersehen werden, daß linksradikale Kräfte in ihm wirksam sind, die zur Zusammenarbeit mit den kommunistischen Spartakus-Gruppen führen. So beherrscht z.B. eine Koalition aus SHB und Spartakus den Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), also den Dachverband der studentischen Selbstverwaltung der Universitäten und Technischen Hochschulen. Neben der Koalition SHB/Spartakus gibt es im VDS auch "Marxisten-Leninisten" (ML), die die Gegnerschaft zum "revisionistischen" Kommunismus A la Spartakus vereint. Die Gruppierung "Spartakus/Assoziation Marxistischer Studenten" ist hervorgegangen aus dem KP-orientierten Flügel des SDS. Dieser Flügel war in der von den "Antiautoritären" beherrschten Bundesorganisation des SDS praktisch nicht mehr vertreten, hatte jedoch in den nordrhein-westfälischen SDS-Gruppen eine starke Anhängerschaft. Demgemäß liegt der Schwerpunkt der inzwischen als selbständige Organisation auftretenden "Spartakus"-Gruppierung in unserem Lande. Hier bestehen z.Z. Gruppen an neun Hochschulen, nämlich in Bochum, Bonn (Universität und Pädagogische Hochschule), Düsseldorf, Essen, Köln, Münster (Universität und Pädagogische Hochschule) und Wuppertal (Pädagogische Hochschule). Sie haben einen zunehmenden und nicht zu unterschätzenden Einfluß in den Studentenparlamenten und Allgemeinen Studentenausschüssen. Die "Spartakus/Assoziation Marxistischer Studenten" bemüht sich übrigens, die Nachfolge des SDS in der linksradikalen Beeinflussung der Schüler an den höheren Schulen anzutreten. Nachdem das seinerzeit unter SDS-Ägide gebildete und arbeitende "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" eingegangen ist, wurde eine "Marxistische Schüler-Organisation" gegründet, deren Aufgabe es ist, als eine marxistisch-leninistische Organisation der Schüler an die Stelle des AUSS zu treten. 2.2.2.3 DKP-Hochschulgruppen Im Zusammenhang mit "Spartakus" sind zu nennen die DKP-Hochschulgruppen. Zwar besteht hier weitgehend eine personelle Identität der Mitglieder, jedoch handelt es sich um organisatorisch getrennte Gruppierungen. Das hat für die DKP den taktischen Vorteil, daß sie innerhalb der Hochschulen ein Forum und Aktionsfeld für ihre Politik erhält, ohne daß sie als solche offen in Erscheinung zu treten braucht. Bei den Hochschulgruppen der DKP handelt es sich nicht um parteiunab- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 33 hängige oder autonome Gruppen; vielmehr sind sie als "Betriebsgruppen" lt. Parteistatut Grundeinheiten der DKP. Daher bestehen sie nicht nur aus Studenten, sondern umfassen alle Parteimitglieder im Bereich einer Hochschule ohne Rücksicht darauf, ob sie Lehrende, Lernende oder nichtwissenschaftliches Hochschulpersonal sind. Hochschul-Betriebsgruppen der DKP gibt es in fünf Hochschulorten. 2.2.2.4 "Initiativausschuß für eine kommunistische Jugendorganisation" Nicht zu verwechseln mit der eben behandelten "Spartakus"-Gruppierung, die den Zusatz "Assoziation Marxistischer Studenten" im Namen führt, ist eine "Spartacus"-Organisation, die von Westberlin aus in das Bundesgebiet hineinwirkt und auch in Nordrhein-Westfalen organisatorische Ansätze zeigt. Sie nennt sich im Untertitel "Initiativausschuß für eine kommunistische Jugendorganisation" und vertreibt vor allem Schriften von Trotzki. Sie bezieht eine kritische Position nicht nur gegenüber dem "konventionellen" Linksradikalismus, sondern auch gegenüber Gruppen der "Neuen Linken", so z.B. der "Kommunistischen Partei Deutschlands/Aufbau-Organisation" (KPD/AO), die - ebenfalls von Westberlin aus - bemüht ist, im Bundesgebiet Fuß zu fassen. Die KPD/AO bekennt sich zum maoistischen Kommunismus; ihr Verhältnis zu der maoistischen KPD/ML (ML = MaristenLeninisten) ist freilich ungeklärt. 2.2.2.5 "Rote Zellen" Örtlich findet der Linksradikalismus an den Hochschulen vor allem seinen Ausdruck in den "Roten Zellen". Diese arbeiten vorzugsweise in den Fachbereichen und beziehen von daher ihre Namen (z.B. Rotzeg = Rote Zelle Germanistik). Die "Roten Zellen" müssen als lokale Schulungs-, Agitationsund Aktionszentren des studentischen Linksradikalismus angesehen werden; jedoch sind sie ideologisch nicht einheitlich und umfassen das breite Spektrum des Linksradikalismus überhaupt. Allerdings läßt sich aus bekannt gewordenen Unterlagen schließen, daß zumindest einige von ihnen - wie die Roten Zellen Germanistik in Münster und Bonn - in ähnlicher Weise arbeiten wie die Roten Zellen in Berlin, an deren Vorbild sie sich offensichtlich ausrichten. So bekennt sich die Rote Zelle Germanistik in Münster in einer Grundsatzerklärung zum Marxismus-Leninismus und ausdrücklich zur Diktatur des Proletariats. Bei den letzten Fachbereichswahlen errang diese Gruppe vier von fünf Sitzen der studentischen Vertreter. Die Rote Zelle Germanistik Bonn lehnt in einem Grundsatzpapier die "bürgerliche" Universität und deren Pluralismus der wissenschaftlichen Lehrmeinungen als arbeiterfeindlich ab; sie will die Universität in ein Instrument des Klassenkampfes verwandeln und zugunsten ihrer Ziele im Raum der Universität Personalpolitik treiben. Neulich soll sie sich unter trotzkistischem Einfluß in Gruppe "Roter Anfang" umbenannt haben. Außer den genannten Gruppen sind noch weitere acht Rote Zellen an den nordrhein-westfälischen Universitäten und Hochschulen bekannt geworden. Das Vorgehen der Roten Zellen soll an Beispielen aus der "revolutionären Praxis" der Roten Zelle Germanistik Münster dargestellt werden: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 34 1. Diese marxistische-leninistische Gruppe, die sich noch an keine der kommunistischen Parteien bzw. Aufbauorganisationen anlehnt, will zur eigenen Standortbestimmung eine Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des Revisionismus leisten. Hierzu will sie ihren Einfluß am Germanistischen Institut weiter ausbauen und einen Gegenstudienplan verwirklichen. In einem eigenen Seminar über das Thema "Schule und Lehrer im Kapitalismus" sollen insbesondere die angehenden Deutschlehrer zu bewußten Umgestaltern der Gesellschaft erzogen werden; der künftige Lehrer müsse zuerst Kommunist und dann Lehrer sein. 2. Aber auch in offizielle Lehrveranstaltungen wird eingegriffen, so z.B. in ein Seminar über Thomas Manns "Zauberberg". Dem Seminarleiter ist es nach einem vorliegenden Bericht nicht gelungen, sein Programm auch nur ansatzweise zu beginnen. Er wurde jedesmal durch Methodendiskussion, die die Rotzeg immer aufs Neue entfachte, daran gehindert. Darüber vergeht praktisch die doppelstündige Sitzung. Wenn es - immer nach dem Bericht - auch so scheint, als ob die Mehrheit der Seminarteilnehmer das Vorgehen der Rotzeg nicht billigt, so verhält sie sich zwar unzufrieden aber passiv. 3. Im Zusammenhang mit ihrer Taktik, in der Fachbereichskonferenz zuerst eine Fachbereichssatzung zu erstellen, in der ihre Interessen wesentliche Berücksichtigung finden, sowie ein Berufsgremium (für Professoren usw.) mit ihrer Beteiligung zu bilden, beantragte die Rotzeg Münster einstweilige Verfügungen gegen zwei Professoren, die diesen Bestrebungen im Wege stehen und denen die Verfolgung der eigenen Vorstellungen durch die gerichtlichen Schritte untersagt werden sollen. In einem Fall wurde der Antrag abgelehnt; im zweiten Fall ist die Entscheidung noch nicht bekannt. 4. Schließlich wird - als letztes Beispiel - ein Konflikt mit den Ordinarien hochgespielt, die das Abhalten marxistisch-leninistischer Schulungskurse in den Räumen des Germanistischen Instituts untersagt haben. Man wendet dabei als "Druck von unten" das Votum der Studenten an, die in Vollversammlungen des Fachbereichs Germanistik das Abhalten solcher Schulungskurse verlangt haben. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß zu den Vollversammlungen ohnehin die Masse der Studenten nicht erscheint und die Linksradikalen hier praktisch unter sich sind. 2.2.2.6 Allgemeine Situation Das Fehlen spektakulärer Aktionen an den maßgeblichen Hochschulen und Universitäten des Landes in den letzten Semestern sollte nicht als allgemeine Beruhigung auf diesem Sektor ausgelegt werden. Es zeigt sich vielmehr bei den Wahlen zu den Selbstverwaltungsgremien der Studenten, daß die linksradikalen Studentengruppen hier zunehmend Einfluß gewinnen. In den Studentenparlamenten und stärker noch in den Allgemeinen Studenten-Ausschüssen nimmt der Anteil radikal linkstendierender Studenten, zu denen wegen der Neigung zu entsprechenden Koalitionen auch die Vertreter des SHB gerechnet werden müssen, ständig zu. Eine zunehmende linksradikale Tendenz zeigt sich auch bei den Pädagogischen Hochschulen, wo kürzlich für die PH Rheinland ein DKP-Funktionär zum AStAVorsitzenden gewählt wurde. An der Abteilung Wuppertal ist seit ca. einem Jahr eine der Spartakus-AMS/DKP angehörende Studentin Vorsitzende des AStA. 2.2.2.7 Maoistische Jugendgruppen Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 35 Die maoistische Neue Linke wurde auf Parteiebene zunächst allein repräsentiert durch die KPD/ML (= Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten; der Zusatz ML soll den Anspruch der Partei bezeichnen, die "reine Lehre" des Marxismus-Leninismus gegenüber dem an Moskau orientierten Kommunismus zu verkörpern). Die ohnehin organisatorisch schwache, aber in der Betriebsarbeit sehr aktive KPD/ML hat sich vor einiger Zeit in nunmehr zwei Parteien gespalten. Diese Tendenz hat sich fortgesetzt in den maoistischen Jugendgruppen, von denen man den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) als die Parteijugend eines in Nordrhein-Westfalen abgespaltenen Teils der KPD/ML bezeichnen kann. Außerdem sind noch zu nennen, die in unserem Lande örtlich aufgetretenen "Roten Garden", aus denen der KJVD hervorgegangen ist und die noch die Parteijugend der Rest-KPD/ML bilden. Wenn auch der politische Einfluß der organisatorisch unbedeutenden maoistischen Gruppen derzeit nicht allzu hoch zu veranschlagen ist, so darf doch eine gewisse Gefahr nicht verkannt werden, die darin liegt, daß sie versuchen, die Arbeiter von deren gewählten Vertretern in Betrieb und Gewerkschaft zu trennen. 2.2.2.8 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Auch der Frage der Infiltrationsbemühungen von seiten der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und ähnlicher linksradikaler Organisationen, durch Aktionseinheiten ("Roter Punkt") sich mit Jugendorganisationen demokratischer Parteien zu solidarisieren, um diese dann ideologisch zu beeinflussen, sollte vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der "konventionelle", Moskauorientierte Linksradikalismus hat in der SDAJ mit Zielrichtung auf die werktätige Jugend eine durchaus respektable Organisation aufbauen können. Die SDAJ nimmt sich entsprechend traditioneller und immer wieder geübter kommunistischer Taktik der unmittelbaren Sorgen und Probleme der jungen Arbeiter und Lehrlinge an und versucht sie, in ihrem, d.h. konventionell kommunistischen Sinne zu politisieren. Dabei ist sie psychologisch in einer ungleich besseren Ausgangslage als die linksradikalen Studenten, die gegenüber der werktätigen Jugend eine Außenseiterposition einnehmen. In Nordrhein-Westfalen sind seit ihrer Gründung im Mai 1968 ca. 35 örtliche Gruppen (zum Teil mit Stadtteilgruppen) gebildet worden, von denen ca. 15 aktiv öffentlich tätig sind. Im Rahmen ihrer Aktivitäten auf dem Lehrlingssektor war die SDAJ seit dem Frühjahr 1969 an der Gründung von neun Lehrlingskomitees beteiligt, die in den meisten Fällen allerdings nicht mehr aktiv sind. Die SDAJ hat sich stets besonders daran interessiert gezeigt, in die Jugendringe aufgenommen zu werden, wobei sie bereits einigen Erfolg hatte. Dies kann vor allem für die Gewährung öffentlicher Mittel von Bedeutung sein. 2.2.2.9 Kampagne gegen die Bundeswehr Die Kampagne gegen die Bundeswehr, die zu wesentlichen Teilen von antiautoritären Kreisen getragen wurde, hat im Laufe des letzten Jahres an Bedeutung verloren. Hierfür ist zum einen die Selbstauflösung des SDS, der zu den treibenden Kräften gehörte, maßgebend gewesen. Zum anderen hat der in diesem Bereich Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 36 führend mitbeteiligte "Verband der Kriegsdienstverweigerer" (VK) seine "revolutionäre Phase" überwunden. Nach langen internen Auseinandersetzungen konnten beim letzten Bundeskongreß im Mai 1970 die Kräfte ausgeschaltet bzw. zurückgedrängt werden, die an der Radikalisierung dieser Organisation im Laufe des Jahres 1969 in entscheidendem Maße beteiligt waren. Wie die "Deutsche Friedensgesellschaft/Internationale der Kriegsdienstgegner" (DFG - IdK) dürfte auch der VK in Zukunft wieder zu einer vornehmlich pazifistischen Grundhaltung zurückfinden. Auf einem "Kongreß der Jugend gegen den Kriegsdienst", der Pfingsten 1970 in Essen stattfand, wurde als ständige Einrichtung ein "Komitee Jugend gegen Kriegsdienst" beschlossen, das von der Bundesgeschäftsstelle der DFG-IdK organisatorisch vorbereitet werden sollte. Die in der Tagespresse der letzten Monate mehrfach erwähnte Studie "Soldat 70", ein Pendant zu der Ende 1969 von jungen Offizieren der Bundeswehr herausgebrachten Studie "Leutnant 70", wird von Soldaten der Bundeswehr getragen, die Funktionäre oder Mitglieder der SDAJ bzw. der DKP sind. Angesichts des Aufsehens, das diese Aktion - nicht zuletzt auch durch die Gegenmaßnahmen der Bundeswehr - erfahren hat, wird von den hinter der Aktion stehenden Kreisen (DKP/SDAJ) eine Weiterführung bzw. Erweiterung geplant. 2.2.2.10 Kommunistische Infiltrationsversuche "Republikanischer Clubs" Nach dem Muster des im Mai 1967 als Diskussionsund Aktionszentrum der linken außerparlamentarischen Opposition entstandenen "Republikanischen Clubs Berlin" wurden seit Ende 1967 im ganzen Bundesgebiet "Republikanische Clubs" und "Republikanische Centren" gegründet. In Nordrhein-Westfalen wurden bisher 33 örtliche Club-Gründungen festgestellt. Sie beteiligen sich an den jeweiligen Schwerpunktaktionen der linken APO (z.B. Kampagne gegen die Notstandsgesetze, Aktionen gegen den US-Krieg in Ostasien usw.). Politische Ausrichtung und Aktivität der einzelnen Clubs sind allerdings im einzelnen sehr unterschiedlich. Die RCs sind naturgemäß bevorzugtes Objekt der kommunistischen Infiltrationsversuche, dennoch können die meisten RCs als gemäßigt und daher als nicht einschlägig angesehen werden. Andererseits gibt es Clubs, die vollständig von DKP-, SDSoder maoistischen Kreisen beherrscht werden. Das "Republikanische Centrum" Düsseldorf steht seit seiner Gründung unter maßgeblichem Einfluß der KPD/DKP. In Köln beherrschen dagegen die "Antiautoritären" den dortigen RC. Im RC Leverkusen/Opladen spielt eine maoistische "Projektgruppe Marxismusschulung", welche die DKP strikt ablehnt, die entscheidende Rolle. Der RC Siegen ist eine ausgesprochene SDS-Gründung und steht auch heute noch unter der Leitung von ehem. SDS-Angehörigen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 37 Die RC-Arbeitskreise "Dritte Welt" in Düsseldorf und Köln unterhalten enge Kontakte zu politischen Ausländergruppen, insbesondere zu Al Fatah sowie zu linksradikalen spanischen und griechischen Gastarbeiterund Studentengruppen. In Köln zeichnet sich der Arbeitskreis "Kriegsdienstverweigerung" durch rege Propagandatätigkeit und zahlreiche Aktionen, hauptsächlich vor dem NATOFliegerhorst Nörvenich aus. Hiermit möchte ich den Berichtsteil über den "Linksradikalismus" schließen, um zur "Spionagebekämpfung" zu kommen. 2.3 Spionagebekämpfung Auf dem Gebiet der Spionageabwehr haben die in den ersten 9 Monaten angefallenen Erkenntnisse erneut bestätigt, daß unser Land zu den Hauptangriffszielen der Nachrichtendienste der Staaten des Warschauer Paktes gehört. Die gegenwärtige Lage ist dadurch gekennzeichnet, daß bereits jetzt die Zahl der erkannten Spionageaufträge von 179 im Jahr 1969 auf 207 angestiegen ist und erfahrungsgemäß bis zum Jahresende relativ noch stärker zunehmen wird. Von besonderer Gefährlichkeit sind dabei die beiden Nachrichtendienste der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als ziviler und die Verwaltung für Koordinierung (VfK) als militärischer Aufklärungsdienst. Auf ihr Konto sind nicht weniger als 171 der erkannten Spionageaufträge und gar 73 von insgesamt 81 registrierten Werbungen zu buchen. Der Rest geht in erster Linie zu Lasten der tschechischen und sowjetischen Nachrichtendienste. Bevorzugte Operationsbasen der Nachrichtendienste der Ostblockstaaten sind deren offizielle Vertretungen in der Bundesrepublik, die von ihnen als sog. legale Residenturen für die Ausspähungstätigkeit benutzt werden. So wurde in der ersten Jahreshälfte am Grenzübergang Elten an der deutsch-holländischen Grenze nach Vorermittlungen des Verfassungsschutzes der Beauftragte der polnischen Binnenschiffahrt in der Bundesrepublik festgenommen, der bei seiner Agententätigkeit in der Bundesrepublik eng mit der polnischen Handelsvertretung in Köln zusammenarbeitete. Er führte sei Mai 1969 einen Agenten, der Bewerber für gehobene Stellungen in Staat und Wirtschaft durch Beschaffung der Bewerbungsunterlagen abzuklären hatte. Schwerpunkte der gegnerischen Ausspähungstätigkeit sind wie bisher der militärische und der politische Bereich (Behörden, Parteien usw.), auf die 69 bzw. 55 der insgesamt 207 festgestellten Spionageaufträge entfallen. Hinter den Zielen klassischer Spionage bleibt die Ausspähung im wirtschaftlichen Bereich mit 18 Aufträgen stark zurück. Dennoch ist kein Anlaß gegeben, sie im Hinblick auf die Bedeutung der großen Unternehmen für Prosperität und Stabilität in unserem Land zu unterschätzen. Folgendes Beispiel mag dies verdeutlichen: Nach umfangreichen Vorarbeiten der Spionageabwehr meiner Abteilung wurde im Sommer 1970 in Recklinghausen als Instrukteur des MfS der Dozent für Ökonomie aus Ostberlin, nach einem Treff mit einem von ihm betreuten geheimen Mitarbeiter festgenommen. Angriffsziel war in diesem Fall ein Großbetrieb der chemischen Industrie. Dabei standen die Wettbewerbslage des Unternehmens ebenso wie die Daten der gesamtwirtschaftlichen Situation im Mittelpunkt des Interesses des auftraggebenden Nachrichtendienstes. Dieses Beispiel ist zugleich typisch dafür, wie sehr gerade die Nachrichtendienste in Ostberlin bemüht sind, die Qualität ihrer Mitarbeiter Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 38 zu verbessern, indem sie auf wissenschaftlich ausgebildete Personen zurückgreifen. Bei der Anwerbung durch die gegnerischen Nachrichtendienste spielt die private Ostreise immer noch die größte Rolle. Dafür ein Beispiel: Ein Fernmeldeassistent aus NW hielt auch nach seiner legalen Ausreise aus der DDR als Jugendlicher im Jahre 1959 den Kontakt zu seinem Bruder in Quedlinburg aufrecht. Als dieser ihm vortäuschte, flüchten zu wollen, suchte er ihn in Ostberlin auf, um Fluchteinzelheiten zu besprechen. Der Bruder benutzte diese Gelegenheit dazu, ihn mit Angehörigen des militärischen Aufklärungsdienstes der DDR (VfK) in Verbindung zu bringen, die ihn zu einer nachrichtendienstlichen Mitarbeit verpflichteten. Der Fernmeldeassistent nahm seinerseits eine DDR-Reise gelegentlich der Beerdigung seiner Großmutter zum Anlaß, seine Ehefrau dem gegnerischen Nachrichtendienst zuzuführen. Das Ehepaar lieferte bis zu seiner Festnahme im November 1969 Informationen über die Bundeswehr, die Bundespost und die britischen Stationierungsstreitkräfte. Die Klärung der angeführten Fälle wäre ohne Mitwirkung der für die Spionageabwehr neugebildeten Observationsgruppe kaum oder nur mit großer zeitlicher Verzögerung möglich gewesen. Nach einer gründlichen Ausbildung der ihr zugeteilten Beamten ist sie in den zwei Jahren ihres Bestehens zu einem voll einsatzfähigen Instrument geworden, das zuverlässige Informationen über die Identität von Agenten, die Funktionen der Agenten innerhalb ihres Wirkungsbereichs, den Austausch von Nachrichtenmaterial sowie über den Ablauf von Treffs liefert. Die nur skizzenhaft dargestellte Lage auf dem Abwehrsektor gibt noch keinen Aufschluß über den Umfang der auf diesem Gebiet tatsächlich geleisteten Arbeit. Daß in den ersten zehn Monaten 437 Fälle abgeschlossen worden sind, mag eine Vorstellung davon geben, was an Arbeitsanfall von den beiden G-Referaten zu bewältigen ist, wenn gleichzeitig berücksichtigt wird, daß eine etwa gleichgroße Zahl von Fällen der weiteren Aufklärung bedarf. 2.4 Ausländer Zur Ausländerüberwachung allgemein Eine auf den Verfassungsschutz neu zukommende Aufgabe, deren Umfang noch nicht übersehen werden kann, ist die Überwachung terroristischer Ausländer. Politisch motivierte Gewalttaten durch Ausländer haben in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik weiter zugenommen. Parallel hierzu läuft eine bisher nicht durchschaubare Tätigkeit von ausländischen Geheimdiensten auf deutschem Boden, die neben der Sammlung von Nachrichten teilweise unmittelbar an der Vorbereitung und Durchführung derartiger Gewaltverbrechen beteiligt waren. Im Interesse der inneren und äußeren Sicherheit sowie des Ansehens unseres Staates muß einer Verschärfung der Lage entgegengearbeitet werden. Das ist wirksam nur möglich, wenn hinreichende Informationen über politisch extreme Ausländer und Ausländergruppen einschließlich der illegal für eine fremde Macht arbeitenden Nachrichtendienste gewonnen werden können. Erfahrungsgemäß achtet die überwiegende Mehrheit der hier lebenden Ausländer das geltende Recht. Ein Teil versucht jedoch, die jeweiligen innenund außenpolitischen Konflikte ihrer Heimatstaaten im Bundesgebiet mit gewaltsamen Mitteln Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1970 39 auszutragen, so daß hierdurch wesentliche innenund außenpolitische Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt werden. Die Kriminalpolizei kann solche Entwicklungen im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung nur dann erfassen, wenn sie konkret auf die Vorbereitung bestimmter Straftaten hinzielen. Für die Sammlung und Auswertung von "Vorfeldinformationen" ist bisher keine überregionale Behörde zuständig. In Erkenntnis der Tatsache, daß eine wirksame Beobachtung terroristischer, revolutionärer, politischer und geheimdienstlicher Betätigung von Ausländern im Bundesgebiet optimal nur mit nachrichtendienstlichen Mitteln durchgeführt werden kann, soll diese Aufgabe den Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern als zusätzliche Aufgabe übertragen werden. Eine entsprechende Vorentscheidung wurde auf einer Konferenz der Innenminister/Senatoren am 24. Februar 1970 im Bundesinnenministerium gefällt. Da SS 3 VerfSchG in der heute noch geltenden Fassung vom 27. September 1950 als Rechtsgrundlage für die erweiterte Zuständigkeit nicht ausreicht, wird durch eine Novellierung baldmöglichst die gesetzliche Legitimation geschaffen werden. In der Bundesrepublik halten sich z.Z. über 2,5 Mio. Ausländer aus fast allen Nationen der Welt auf; davon ca. 1/3 allein in NW. Die genaue Zahl der Ausländervereinigungen kennt niemand; sie beträgt jedoch "einige hundert". Insgesamt gibt es annähernd 100 politisch radikale Ausländergruppen im Bundesgebiet mit zahlreichen regionalen Stützpunkten. Ihre gesamt Anhängerschaft wird auf annähernd 50.000 Personen geschätzt, deren gefährlicher Kern aus einer relativ kleinen Zahl fanatischer Terroristen und Anarchisten besteht. Politisch radikale Ausländergruppen bestehen gegenwärtig u.a. auch an allen deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen. Der Bundesnachrichtendienst wird schließlich die Überwachung der zahlreichen Emigrantenorganisationen wahrscheinlich im Zeitpunkt der Ergänzung von SS 3 VerSchG an die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder abgeben. Wie die besonderen Schwierigkeiten der Nachrichtenbeschaffung (fremde Mentalitäten, Sprachen usw.) personell und materiell überwunden werden können, wird noch zu prüfen sein und sicher noch viele Probleme aufwerfen