Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 1 Inhaltsverzeichnis 1 Bericht vor dem Hauptausschuß des Landtags NRW ................... 2 1.1 Rechtsextremismus ..........................................................................................2 1.1.1 NPD und andere rechtsradikale Organisationen ..............................................2 1.1.2 Zur NPD selbst! ................................................................................................2 1.1.3 NPD-Ideologie ..................................................................................................3 1.1.4 Zusammensetzung der Parteiführung ..............................................................3 1.1.5 Parteiorgan "Deutsche Nachrichten" ................................................................3 1.1.6 NPD in Nordrhein-Westfalen ............................................................................4 1.1.7 NPD-Wahlkampf...............................................................................................5 1.1.8 NPD: ein ernst zu nehmender Faktor des Rechtsradikalismus.........................6 1.1.9 Rechtsradikale Splittergruppen.........................................................................6 1.1.10 Bundestagswahlkampf ...................................................................................6 1.1.11 Organisationen mit politischer Zielsetzung .....................................................6 1.1.12 Kulturell-völkische Vereinigungen...................................................................7 1.1.13 Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) ............................................................7 1.1.14 Rechtsextreme Soldatenverbände .................................................................7 1.1.15 Nationalistische Jugendverbände...................................................................8 1.2 Linksextremismus .............................................................................................8 1.2.1 Linksradikale Organisationen ...........................................................................8 1.2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ..........................................................8 1.2.3 Konstituierung in Nordrhein-Westfalen .............................................................9 1.2.4 Zentrale Presse: Wochenzeitung "Tatsachen" .................................................9 1.2.5 Organisation und Finanzierung.........................................................................9 1.2.6 Ideologisch-politische Schulung .....................................................................10 1.2.7 Bundestagswahl: "Aktion demokratischer Fortschritt" ....................................10 1.2.8 Lenkung der ADF durch DKP/KPD.................................................................12 1.2.9 Republikanische Clubs ...................................................................................13 1.2.10 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) .........................................14 1.2.11 Mögliche Radikalisierung des SDS...............................................................14 1.2.12 Landesverband Nordrhein-Westfalen des SDS ............................................15 1.2.13 Praktische Aktivität radikaler Studentengruppen ..........................................16 1.2.14 Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler (AUSS)..............16 1.2.15 Unabhängige Schülergemeinschaft Nordrhein-Westfalen (USG) .................16 1.2.16 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) ...........................................17 2 Bericht vor dem Innenausschuß des Landtags NRW.................. 19 2.1 Rechtsextremismus ........................................................................................19 2.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands ..................................................19 2.2 Linksradikalismus ...........................................................................................22 2.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ........................................................22 2.2.2 Übrige linksradikale Organisationen ...............................................................25 Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 2 1 Bericht vor dem Hauptausschuß des Landtags NRW (Berichtsstand: 12. März 1969) 1.1 Rechtsextremismus 1.1.1 NPD und andere rechtsradikale Organisationen Möglichkeit eines Verbotsantrags Mit der Frage, welches Material die Landesregierung über eine verfassungsfeindliche Tätigkeit der NPD besitzt und wie sie dieses Material beurteilt, ist die Frage nach der Möglichkeit eines Verbotsantrags auf Initiative des Landes NordrheinWestfalen unmittelbar angesprochen. Eine solche Initiative könnte formalrechtlich nur über den Bundesrat ergriffen werden; denn gemäß SS 43 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind für einen Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes verfassungswidrig ist, nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung zuständig. Eine Landesregierung kann gemäß SS 43 Abs. 2 den Antrag nur gegen eine Partei stellen, deren Organisation sich auf das Gebiet ihres Landes beschränkt. Das ist bei der NPD nicht der Fall. Der Landesregierung erscheint es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geboten, eine entsprechende Initiative im Bundesrat anzuregen, weil sich - wie bekannt - die Bundesregierung seit einigen Monaten der Verbotsfrage unmittelbar angenommen hat und den letzten Informationen nach hierüber in absehbarer Zeit entscheiden wird. Diese Entscheidung sollte in jedem Fall abgewartet werden; denn es wäre für eine Länderinitiative sehr wesentlich, ob eine eventuelle Ablehnung aus juristischen oder politischen Erwägungen erfolgen würde. Das der Bundesregierung vorliegende Material ist zweifellos am umfassendsten, weil es auf den Auswertungsergebnissen der Verfassungsschutzbehörden aller Länder und des Bundes selbst beruht. Nach Auffassung des Bundesinnenministeriums beseitigt die inzwischen erweiterte Zusammenstellung die bei der ersten Beratung im Kabinett aufgekommenen Zweifel an den juristischen Aussichten eines Verbotsverfahrens. Es wird damit gerechnet, dass die Materialsammlung in Kürze auch den Landesregierungen zugeleitet wird. Erst nach der Entscheidung des Bundeskabinetts und nach Kenntnis des gesamten Materials und dessen eigener kritischen Wertung dürfte es zweckmäßig sein, gegebenenfalls abweichend von der Entschließung der Bundesregierung ein entsprechendes Einvernehmen im Bundesrat anzustreben. 1.1.2 Zur NPD selbst! Bund und Länder haben über ihre Verfassungsschutzbehörden gerade der NPD von Anfang an eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie schon ihrer Entstehung im Jahre 1964 nach alle Anzeichen rechtsradikaler Tendenzen aufwies und damit den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Betätigung begründete. Die einzelnen Länder können jeweils nur Teilbereiche erfassen, also aus eigener Kenntnis keine verbindlichen Aussagen machen. Demgemäß wurde alles anfallende Material, was in diese Richtung zu deuten schien, unverzüglich dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur zentralen Sammlung übermittelt. Es ist in dem Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 3 der Bundesregierung vorliegenden Gutachten und dem dazugehörigen Beweismittelband verwertet worden. 1.1.3 NPD-Ideologie Ein wesentlicher Teil des Vorwurfs der Verfassungsfeindlichkeit liegt in der NPDIdeologie begründet, die in einem friedensgefährdenden Nationalismus in allen seinen Erscheinungsformen wurzelt - Wiederbelebung des "Mythos vom Reich", Proklamierung einer kompromisslosen Machtpolitik, nationalistische Hasspropaganda gegen andere Völker, Rassismus, Antisemitismus usw. -. Die Relativierung der Menschenrechte aus nationalem Kollektivismus führt zu einer politischen Intoleranz bezüglich demokratischer Freiheiten. Oberstes Gebot jeden Handelns ist nach der Anschauung der NPD das Interesse der Nation. Die Partei räumt diesem Nationalismus, den sie autoritär und intolerant vertritt, Vorrang vor den Menschenrechten ein. Aus dieser Grundhaltung resultiert der Kampf der NPD gegen die bestehende Ordnung als Ganzes. Die Folgen sind laufende Angriffe gegen das Staatswertbewusstsein, Eintreten für die Ablösung der bestehenden Ordnung durch eine im Grunde genommen antiparlamentarische "Nationaldemokratie" mit einem autoritär geführten Staat als Zielvorstellung, der - wie sie weiß - nur durch einen Kampf gegen die bestehende Ordnung verwirklicht werden kann. In diese Richtung bewegte sich in erster Linie auch die Urkundenbeweismittelsammlung der Verfassungsschutzbehörden. Das demokratische Zweckund Scheinverhalten der NPD soll u.a. hierdurch belegt werden. 1.1.4 Zusammensetzung der Parteiführung Eine untergeordnete, aber immerhin bezeichnende Bedeutung kommt daneben der Zusammensetzung der Parteiführung aus ehemaligen Nationalsozialisten und alten Rechtsextremisten zu. Bekanntlich ist die NPD 1964 im Wesentlichen aus der bis dahin erfolglos agitierenden "Deutschen Reichspartei" (DRP) hervorgegangen, deren Führungskader unter Leitung des Herrn Adolf von Thadden zu einem großen Teil aus Alten Kämpfern und Propagandisten des Dritten Reiches bestand. Die NPD hat diese Führungskader weitgehend übernommen. 1.1.5 Parteiorgan "Deutsche Nachrichten" Das gilt besonders hinsichtlich des Propagandaapparates. Von den 14 Gesellschaftern des Parteiorgans "Deutsche Nachrichten", die als der "ideologische Kopf" der NPD angesehen werden müssen, gehörten 12 dem DRPBundesvorstand und 11 bereits der ehemaligen NSDAP vor 1933 an bzw. betätigten sich als Aktivisten im damaligen Presseund Propagandawesen. Dieser Propagandaapparat wird auch heute noch ergänzt durch eine Reihe weiterer NSIdeologen als ständige oder freie Mitarbeiter. Entscheidend hierbei ist, dass dieser Personenkreis offensichtlich seine in der NS-Ideologie wurzelnde Gesinnung nicht grundsätzlich und glaubwürdig geändert hat. Der propagandistisch so gesteuerte Aufbau der Parteiorganisation war auch in Nordrhein-Westfalen nur möglich, weil Adolf von Thadden auf viele seiner alten DRP-Getreuen zurückgreifen konnte. Inzwischen weisen die Führungsgremien im Lande nicht mehr so viele NSDAPund DRP-Funktionäre auf wie in der Zeit der Gründung. Auch der Landesrednerdienst, der anfänglich 11 Alt-Pgs auf seiner Liste führte, hat sich inzwischen stark verjüngt. Gleichwohl sind die Aussagen dieser Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 4 zum Teil schon durch die DRP geprägten Rednergeneration oftmals nicht weniger aggressiv. Viele gemäßigt eingestellte Funktionäre, die guten Glaubens und aus Idealismus der NPD beigetreten waren, haben mit ihr gebrochen, weil sie sich gegenüber den radikalen Flügeln nicht durchzusetzen vermochten oder zu besserer Einsicht kamen. Das gilt nicht nur für die Bundesvorstandsebene, sondern auch in Nordrhein-Westfalen für alle Bereiche. Erst im vergangenen Monat trat der Kreisvorsitzende von Kempen-Krefeld zurück, und auch der ehemalige Kreisvorsitzende von Recklinghausen trat mit der Begründung aus, er habe das Vertrauen zu seiner Partei verloren. 1.1.6 NPD in Nordrhein-Westfalen Die Partei steht in Nordrhein-Westfalen unter der Führung eines Rechtsanwalts aus Bielefeld und eines 15köpfigen Landesvorstandes. Bisher ist die NPD hier im Lande nach eigenen Eingeständnissen offensichtlich das schwächste Glied in der Kette. Man bemüht sich daher, die organisatorischen Voraussetzungen zu verbessern. Das fiel in der Vergangenheit deshalb schwer, weil sie unter vielerlei internen Streitigkeiten auf allen Ebenen litt. Diese dauerten auch bis in die jüngste Zeit an. Die Schwierigkeiten erwachsen der NPD in Nordrhein-Westfalen auch aus einer starken Mitgliederfluktuation. Schätzungsweise haben in NRW 40% der Mitglieder die Partei nach mehr oder weniger kurzer Zugehörigkeit und näherem Kennenlernen wieder verlassen. Die NPD verfügt zur Zeit über etwa 4 500 bis 5 000 beitragszahlende Mitglieder in diesem Lande. Im ganzen Bundesgebiet sind es noch 27 000 bis 28 000; man rechnet hier mit einem Mitgliederschwund von 16 000 bis 17 000 seit ihrer Gründung. Vermutlich werden der NPD durch ihre Aktivität bei den Wahlkämpfen in gewissem Umfang wieder neue Mitglieder zugeführt werden. Die NPD verfügt in Nordrhein-Westfalen über 80 bis 90 Kreisverbände, die auf der mittleren Ebene in 16 Bezirken zusammengefasst sind. Sie ist mit diesem Apparat praktisch in der Lage, alle Wahlkreise zu besetzen. Teilweise beschränken sich die Kreisverbände auf die jeweiligen Vorstände: der größte Teil verfügt jedoch ü- ber 20 bis 80 Mitglieder. Die besonders starken Kreisverbände, die teilweise in Ortsverbände untergliedert wurden, zählen 100 bis 300 Mitglieder. Sie liegen mit wenigen Ausnahmen außerhalb des Ruhrgebiets. In den großen Städten des Ruhrreviers ist es der NPD trotz vielerlei Anstrengungen und unter Ausnutzung der Kohlenkrise bisher nicht gelungen, Anklang bei der Bevölkerung zu finden. Diesem Gebiet gilt daher die erhöhte Aufmerksamkeit. In einem Rundschreiben vom 16.1.1969 wird hierzu ausgeführt: ... Nordrhein-Westfalen ist - es ist allgemein bekannt - das mit Abstand wählerstärkste Bundesland. Innerhalb dieses Bundeslandes ist wiederum das Ballungszentrum Ruhrgebiet von herausragender Bedeutung. Die Führung des Wahlkampfes hat dem Rechnung zu tragen. Neben vielen anderen zweckdienlichen Maßnahmen muss vor allem die Organisation dieses berücksichtigen. ... Es folgen dann noch nähere Anweisungen über die verantwortliche "Bearbeitung" dieses Raumes. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 5 1.1.7 NPD-Wahlkampf Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es einen lebhaften NPD-Wahlkampf - vor allem auch außerhalb öffentlicher Versammlungen - geben. Die ersten Wahlzeitungen werden noch in diesem Monat über gewerbliche Verteilerzentralen an alle Haushaltungen der Großstädte gelangen. Die Wahlparole "Sicherheit durch Recht und Ordnung" wurde geschickt ausgewählt. Bekanntlich hat die NPD an den letzten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen nicht teilgenommen, weil sie nach eigener Einschätzung eine "Pleite" befürchtete. Aber bei den Kommunalnachwahlen am 10.03.1968 in den Städten Hamm, Kamen und Unna konnte sie durch konzentrierten Einsatz des Landesverbandes folgende Ergebnisse erzielen: Hamm 2 Sitze = 5,98 % = 2 462 Stimmen Kamen 2 Sitze = 7,51 % = 1 564 Stimmen Unna 4 Sitze = 11,51 % = 2 905 Stimmen Das Durchschnittsalter der acht gewählten Kandidaten beträgt 37 Jahre. Am 23. März 1969 finden wiederum einzelne Neuwahlen in den Landkreisen Lüdenscheid und Herford sowie in 33 Gemeinden statt, die durch kommunale Umgliederungen erforderlich geworden sind. Die NPD beteiligt sich an verschiedenen Orten hieran. Es bleibt abzuwarten, mit welchen Ergebnissen sie nunmehr abschneiden wird. Während des vergangenen Jahres wurden von der NPD etwa 200 öffentliche Veranstaltungen in NRW durchgeführt. Mindestens 45 wurden von oppositionellen Gruppen gestört bzw. gesprengt. Darunter fallen alle 10 Großveranstaltungen. Die NPD hat mit Rücksicht auf die nachhaltigen Störungen durch politische Gegner vorübergehend davon abgesehen, Großkundgebungen in NRW durchzuführen. Zur Zeit ist sie dabei, sich einen Ordnerdienst aufzubauen. Voraussichtlich wird schon in den nächsten Wochen aus Gründen des Wahlkampfes wieder mit einer verstärkten Propagandaund Versammlungstätigkeit gerechnet werden müssen. Solange die NPD nicht verboten ist, kann sie nach dem Grundgesetz die allgemeinen Privilegien, wie sie den demokratischen Parteien zustehen, formalrechtlich auch für sich in Anspruch nehmen. Hierzu rechnet insbesondere die Möglichkeit, für Kundgebungsund Versammlungszwecke ihr geeignet erscheinende Räumlichkeiten zu benützen. Die Städte und Gemeinden haben sich auch in NRW mit allem Nachdruck gegen die Überlassung von Großkundgebungshallen und sonstigen öffentlichen Veranstaltungseinrichtungen gewehrt, wurden hierzu aber von den Verwaltungsgerichten aus Rechtsgründen gezwungen. Als Folge dieser Rechtslage ergeben sich die bekannten Konflikte, besonders auch im Hinblick auf den Einsatz von Polizeikräften, die dadurch in eine schwierige Lage gebracht werden. Der Landesparteitag der NPD am 16./17.11.1968 in Siegen steht in diesem Zusammenhang mit seinen Begleiterscheinungen noch in lebhafter Erinnerung. Es bleibt das Unbehagen, dass sich so etwas jederzeit wiederholen kann. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 6 1.1.8 NPD: ein ernst zu nehmender Faktor des Rechtsradikalismus Wenn auch die NPD im Lande Nordrhein-Westfalen bisher keine größeren Erfolge erzielen konnte, besteht doch kein Zweifel darüber, dass sie sich in der Bundesrepublik insgesamt zu einem ernst zu nehmenden Faktor des Rechtsradikalismus entwickelt hat. Zwar konnte sie den anfänglichen Aufschwung nicht fortsetzen. Es ist ihr aber trotz permanenter innerer Krisen und trotz der sich bildenden Gegenkräfte gelungen, ihre Organisation zu erhalten. Das ist in erster Linie ein Erfolg des Parteivorsitzenden von Thadden - mit dessen rechtsradikaler Führungsrolle sich die Bundesrepublik seit mehr als 20 Jahren auseinanderzusetzen hat - und des auf ihn in der Sache eingeschworenen Kreises seiner alten Mitarbeiter. 1.1.9 Rechtsradikale Splittergruppen Im Schatten der NPD vegetieren - wie auch in den vergangenen Jahren - eine Vielzahl von rechtsradikalen Splittergruppen dahin. Auf der Bundesebene sind es etwa 50 Vereinigungen mit 10 000 bis 12 000 geschätzten Mitgliedern. Zahl, Stärke und Aktivität dieser Gruppen haben sich im abgelaufenen Jahr nicht nennenswert geändert. Der in früheren Jahren festzustellende starke Mitgliederschwund, vor allem durch das Abwandern eines erheblichen Teiles der Mitglieder zur NPD, hat nachgelassen. Bei diesen Organisationen handelt es sich größtenteils um zahlenmäßig unbedeutende oder regionale Gruppen. Zwei Drittel haben schon auf der Bundesebene weniger als 100 Mitglieder; nur bei drei Verbänden - AUD, HIAG und DKEG - liegt die Mitgliederzahl über 1 000. 1.1.10 Bundestagswahlkampf Außer der NPD werden sich voraussichtlich die national-neutralistische "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) und die "sozialistisch" tendierende "Unabhängige Arbeiterpartei" (UAP) auch in Nordrhein-Westfalen an der Bundestagswahl beteiligen. Beide Parteien haben einen politischen Gesinnungswandel vollzogen. Während die AUD bekanntlich u.a. aus der rechtsradikalen "Deutschen Gemeinschaft" und der rechtsradikalen "Deutschen Freiheits-Partei" hervorging, handelt es sich bei der UAP vorwiegend um ehemalige Strasser-Anhänger. Beide Parteien bezeichnen sich heute als linksnational. Die AUD unter Haussleiter hat etwa 1 500 Mitglieder, davon ca. 500 bis 1 000. Beiden Parteien fehlen für eine erfolgversprechende Wahlbeteiligung alle personellen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen. Sie werden allenfalls in der Lage sein, an wenigen Schwerpunkten Landeslisten oder Einzelkandidaten aufzustellen. 1.1.11 Organisationen mit politischer Zielsetzung Von den rechtsgerichteten Organisationen mit politischer Zielsetzung hat lediglich die "Aktion Oder-Neiße" (AKON) überregionale Bedeutung. Von ihr hat sich im März 1969 der radikalere Flügel unter der Bezeichnung "Aktion Deutscher Osten" (ADO) mit Sitz in Duisburg abgespalten. Genaue Angaben über die Mitgliederentwicklung liegen noch nicht vor (ca. 90). Die AKON hat jedoch nur einen geringen Teil ihrer insgesamt etwa 300 Mitglieder (NRW ca. 50) an die ADO verloren. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 7 1.1.12 Kulturell-völkische Vereinigungen Unter den kulturell-völkisch orientierten Vereinigungen ist das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) mit etwa 2 000 Mitgliedern die nach wie vor stärkste Gruppe. 1968 haben personelle Differenzen in der Führungsspitze die Verbandsarbeit erheblich beeinträchtigt. Erfolgreich verlief eine Sammlung für einen geplanten "Schillerpreis", die ein Spendenaufkommen von über 10 000 DM erbrachte. - Von den etwa 50 "Pflegstätten" entfallen 15 mit 300 bis 400 Mitgliedern auf Nordrhein-Westfalen. Die Pflegstättenleiter sind überwiegend Alt-Pgs. Eine zunehmende Überalterung ist unverkennbar. Das DKEG tritt in jedem Jahr einmal mit einer Sommersonnenwendfeier am Hermannsdenkmal und an den Externsteinen hervor. In das Licht der Öffentlichkeit wurde dieser nächtliche "Spuk", an dem sich etwa 400 bis 500 Personen aller nationalistischen Gruppierungen beteiligen, erst gerückt, als die Veranstaltung vor zwei Jahren erstmalig von politischen Gegnern gestört und im Fernsehen in ihrer Lächerlichkeit bloßgestellt wurde. 1.1.13 Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) In der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) haben sich insbesondere solche Journalisten, Schriftsteller und Verleger zusammengeschlossen, die sich die Förderung der nationalen Publizistik zum Ziele gesetzt haben. Die Gesellschaft erregte 1964 mit der Verleihung eines "Ulrich-von Hutten-Preises" an den deutschamerikanischen "Kriegsschuldforscher" David L. Hoggan erhebliches Aufsehen. Der Preis sollte 1968 an den ehemaligen Großadmiral DÖNITZ verliehen werden, der die Annahme jedoch ablehnte. Etwa 10 % der insgesamt rund 400 Mitglieder und ein Drittel der Mitglieder des Vorstandes gehören der NPD an. Nach außen bemüht sich die GfP jedoch, Stellungnahmen zur NPD zu vermeiden. - 40 bis 50 Mitglieder der Gesellschaft wohnen in Nordrhein-Westfalen. Eine eventuelle Betätigung für die GfP machte sich bisher nicht unmittelbar bemerkbar. 1.1.14 Rechtsextreme Soldatenverbände Die Bedeutung der rechtsextremen Soldatenverbände hat in den vergangenen Jahren ständig nachgelassen. Der "Bundesverband der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS" (HIAG) mit seinen noch etwa 4 000 Mitgliedern (ca. 800 in NRW) ist die mitgliederstärkste Organisation. Sie ist gekennzeichnet von einem ständigen Zerfall des inneren Zusammenhalts und eine abnehmenden Veranstaltungstätigkeit. Der NPD gegenüber hält sich die HIAG betont zurück. So hat sie zu ihrem "Nordmarktreffen" am 5. Oktober 1968 in Husum zwar Vertreter der Bundestagsparteien, jedoch nicht die NPD eingeladen. Bei jeder Gelegenheit versichert sie ein staatstreues Verhalten. Der rechtsradikale "Reichsverband der Soldaten" (RdS), der in den vergangenen Jahren zahlreiche Mitglieder an die NPD verloren hat, schloss sich 1968 mit seinem Rest dem "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" an. Die rechtsradikale Traditionsgemeinschaft gleichen Namens mit Sitz in Köln löste sich im Dezember 1968 auf. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 8 1.1.15 Nationalistische Jugendverbände Die nationalistischen Jugendverbände sind mehr oder weniger stark in den Sog der NPD geraten. Das gilt vor allem für den "Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ), von dessen älteren und führenden Mitgliedern bis zum Frühjahr 1968 mehrere zu den "Jungen Nationaldemokraten" (Parteijugend der NPD) übergetreten sind. Der BHJ versucht nun wieder, deutlicher eine überparteiliche Haltung herauszustellen. Ähnlich verhält es sich mit der "Wiking-Jugend". Von den 700 bis 800 Mitgliedern der 10 rechtsextremen Jugendverbände im Bundesgebiet wohnen nur verschwindend wenige in Nordrhein-Westfalen. Sieht man von einer kleinen - noch nicht recht bewertbaren - Neugründung im Aachener Raum ab, gibt es in Nordrhein-Westfalen keinen selbständigen Verband. Alle gegenteiligen Behauptungen, die immer wieder zu hören und zu lesen sind, entbehren der Grundlage, sind also falsch. Der "Nationaldemokratische Hochschulbund" (NHB) unterhält zur Zeit 17 Hochschulgruppen mit etwa 250 Mitgliedern. In Nordrhein-Westfalen trat er bisher kaum hervor. Es konnten bisher kleinere Gruppen in Münster und Bonn festgestellt werden. Spektakuläres Aufsehen erregten Gegengründungen unter gleichem Namen in Bochum und Bonn. In Bonn wurde der Oppositionsgruppe die Führung des Namens gerichtlich untersagt. 1.2 Linksextremismus 1.2.1 Linksradikale Organisationen Sind verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der Tätigkeit dieser linksradikalen Organisation festgestellt worden? 1.2.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Im Bereich der in Nordrhein-Westfalen tätigen linksradikalen Organisationen spielt die neugegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP) eine wesentliche Rolle. Nach dem Verbot der KPD durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.8.1956 gelang es der Partei, in Nordrhein-Westfalen eine Organisation im Untergrund aufzubauen. In etwa 40 Kreisorganisationen und 80 Betriebsgruppen waren rund 3.500 bis 4.000 Mitglieder zusammengefasst, die von vier Bezirksleitungen angeleitet wurden. Die Bezirksleitungen als die Führungsstellen der KPD in NRW setzten sich aus bekannten hauptamtlichen Funktionären zusammen, die ihre politischen Weisungen und die für die Parteiarbeit erforderlichen Geldmittel vom Apparat des Zentralkomitees der KPD in Ost-Berlin erhielten. Neben dieser politischen Organisation waren in NRW eine Reihe von zentralen Sonderapparaten tätig, die direkt von Ost-Berlin angeleitet wurden und streng konspirativ und getrennt von der politischen Organisation arbeiteten. Neben dem Literaturvertriebsapparat, der sich mit der Herstellung und der Verbreitung der zentralen Schriften "Freies Volk" und "WISSEN UND TAT" befasste, gab es den geheimen Postkurierapparat. Ein sog. Grenzschleusungsapparat hatte die Aufgabe, geheime Postund Geldkuriere zu den Anlaufstellen der KPD-Bezirksleitungen in Nordrhein-Westfalen zu bringen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 9 1.2.3 Konstituierung in Nordrhein-Westfalen Unter diesen Voraussetzungen konnte es nicht überraschen, dass sich unmittelbar nach der Konstituierung der DKP am 26.9.1968 in Frankfurt/Main bereits am 29.9.1968 in Düsseldorf der Landesausschuss Nordrhein-Westfalen der DKP konstituierte. Der Landesausschuss setzte sich zum damaligen Zeitpunkt aus 37 Personen zusammen, von denen allein 30 zuvor in leitender Funktion im illegalen Apparat der KPD tätig waren. Die führenden Mitglieder der vier KPD-Bezirksleitungen in NRW übernahmen nunmehr die entscheidenden Funktionen im Landesausschuss der DKP NRW. Eine weitere wesentliche Verstärkung erhielt der Landesausschuss NRW dadurch, dass Personen aus dem Kreis der aus Ost-Berlin in das Bundesgebiet zurückgekehrten Funktionäre des ZK sowie der ZK-Mitarbeiter in den Landesausschuss berufen wurden. Der Landesausschuss richtete in Düsseldorf, Münsterstraße 161, eine Geschäftsstelle ein, von der aus der Aufbau der DKP auf Kreisund Ortsebene von oben her vollzogen wurde. Dieser Aufbau ging im Wesentlichen so vonstatten, dass zunächst die illegalen Kreisorganisationen in die DKP übergeführt wurden. Darüber hinaus wurde versucht, neue Kreisorganisationen, Betriebsgruppen und Hochschulausschüsse zu gründen. - In Nordrhein-Westfalen bestehen 56 Kreisorganisationen der DKP mit rund 4.000 aktiven Mitgliedern. Die Unterschiede in der Mitgliederstärke der einzelnen Kreisausschüsse sind erheblich. Von einigen Schwerpunktkreisen abgesehen, liegt die Stärke der Kreisausschüsse im allgemeinen unter 100 Mitgliedern. Es fällt auf, das - von Duisburg und Essen abgesehen - die Kreisausschüsse im Ruhrgebiet die Zahl von 100 Mitgliedern nicht übersteigen. Offensichtlich ist es den Kommunisten trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, in diesem Schwerpunktbereich des Landes NRW eine nennenswerte Anzahl von Anhängern zu organisieren. Neben den Kreisausschüssen bestehen in Nordrhein-Westfalen 26 Betriebsausschüsse, in denen schätzungsweise 600 bis 800 der 4.000 DKP-Mitglieder zusammengefasst sind. Hochschulausschüsse bestehen an den Universitäten in Bochum, Münster, Bonn und Köln. 1.2.4 Zentrale Presse: Wochenzeitung "Tatsachen" Nachdem im Zuge der organisatorischen Verschmelzung von KPD und DKP der zentrale Literaturvertriebsapparat der KPD mit Ablauf des Jahres 1968 seine Tätigkeit eingestellt hat, ist die DKP bemüht, eine eigene zentrale Presse aufzubauen. Die in Duisburg erscheinende Wochenzeitung "Tatsachen" - Auflage 10.000 Exemplare -, die als Sprachrohr der DKP in Nordrhein-Westfalen anzusehen ist, soll der Grundstock für eine im gesamten Bundesgebiet verbreitete Zeitung der DKP werden. Die Bemühungen sind mittlerweile so weit gediehen, das voraussichtlich im April 1969 unter dem Titel "Unsere Zeit" ein Zentralorgan der DKP - Verlagsort Düsseldorf - erscheinen wird. 1.2.5 Organisation und Finanzierung Der organisatorische Aufbau der DKP, insbesondere die Einrichtung der Parteibüros, die Besoldung der hauptamtlichen Kräfte und die Herstellung von Propagandamaterial, nimmt erhebliche Mittel in Anspruch, die aus den Beiträgen und Spenden der Mitglieder oder sympathisierender Außenstehender nicht gedeckt werden Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 10 können. Um die Fehlbeträge auszugleichen, erhalten die DKP-Landesausschüsse Zuschüsse vom ZK der KPD/SED. Die organisatorischen und politischen Bemühungen der DKP lassen folgende Schwerpunkte erkennen: 1. Weiterer Aufbau der Parteiorganisation auf allen Ebenen durch Gewinnung neuer, vor allem jüngerer Mitglieder; 2. aktive Teilnahme an dem Wahlbündnis AAktion Demokratischer Fortschritt"; 3. verstärkte Einflussnahme auf die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, vor allem in den Schlüsselindustrien des Ruhrgebiets; 4. intensive Bemühungen, mit Mitgliedern und Funktionären der SPD in Nordrhein-Westfalen ins Gespräch zu kommen, um auf der Grundlage der "Aktionseinheit der Arbeiterklasse" die politischen Wirkungsmöglichkeiten zu verbessern. Im Augenblick konzentrieren sich die parteiinternen Bemühungen auf die Vorbereitung und Durchführung des für Mitte April 1969 in Essen geplanten 1. Bundesparteitages. Die DKP in NRW geht davon aus, das sich durch diesen Parteitag und durch die Etablierung des DKP-Bundesvorstandes in Düsseldorf die Aktivität der Parteiorganisation in unserem Lande erheblich steigern wird. 1.2.6 Ideologisch-politische Schulung Für die ideologisch-politische Schulung zugunsten der KPD/DKP spielen die marxistisch-sozialistischen Studiengemeinschaften eine wesentliche Rolle. In Nordrhein-Westfalen bestehen zur Zeit etwa 30 dieser Gruppen. Inzwischen hat die DKP fast überall ihre Leitung in der Hand. Aus der ADDR" kommen auch immer wieder Referenten, die auf den Veranstaltungen der Gruppen sprechen. Das Schwergewicht der Gruppenarbeit liegt im Bereich der Indoktrination, nicht dagegen der Aktion, wobei man allerdings bestrebt ist, die Schulung in marxistischsozialistischer Theorie Apraxisbezogen" zu gestalten. 1.2.7 Bundestagswahl: "Aktion demokratischer Fortschritt" Die Kommunisten wollen sich auch nach Gründung der DKP nicht selbständig zur Bundestagswahl stellen; sie wollen vielmehr versuchen, mit Hilfe eines Wahlbündnisses nach dem Muster einer Volksfrontpartei eine parlamentarische Basis für die Propagierung ihrer bzw. einer ihnen genehmen Politik zu erreichen. Es handelt sich dabei um die "Aktion Demokratischer Fortschritt (ADF)". Die ADF wurde als Wahlund Aktionsbündnis zahlreicher Gruppen und Einzelpersonen mit dem Ziel gegründet, Vertretern der sog. Außerparlamentarischen Opposition Eingang in die Parlamente zu verschaffen. Nahziel ist zunächst die Erringung von Mandaten bei der Bundestagswahl 1969, wobei die ADF hofft, die 5%Klausel zu überwinden. Ihren Ursprung hatte die ADF vor etwa einem Jahr in dem sog. Gießener Kreis um den Direktor des Soziologischen Instituts der Universität Marburg und den Spitzenfunktionär des "Bundes der Deutschen" (BdD) und der ADeutschen Friedensunion" (DFU). Dieser Kreis war bereits Anfang 1968 bestrebt, die verschiedenen Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 11 Kräfte der linken sog. außerparlamentarischen Opposition anlässlich der Bundestagswahl 1969 zusammenzufassen und ihr eine Vertretung im Bundestag zu schaffen. Im Laufe des Jahres 1968 wurden Unterschriften für das Vorhaben des Kreises gesammelt und zahlreiche örtliche Gruppen ins Leben gerufen, die unter verschiedenen Namen ihre Tätigkeit im Sinne der Zielsetzung des Gießener Kreises aufnahmen. Auf einem Gründungskongress am 2.11.1968 in Dortmund, an dem ca. 1.000 Personen aus Nordrhein-Westfalen und weitere ca. 1.000 aus dem übrigen Bundesgebiet teilnahmen, wurde ein "Aktionsund Wahlbündnis für die Bundestagswahl 1969" mit einem aus 162 Personen bestehenden "Rat" und einem 20köpfigen "Arbeitsausschuss" gebildet. Die Konstituierung als politische Partei - um den Vorschriften des Bundeswahlgesetzes zu entsprechen - erfolgte auf der Gründungsversammlung am 7.12.1968 in Frankfurt/Main. Träger des Wahlbündnisses waren von Anfang an insbesondere die kommunistisch beeinflussten und infiltrierten Parteien BdD und DFU, die ihre Organisation - einschließlich des Personals - weitgehend in den Dienst des Bündnisses stellen. Daneben gab das ZK der illegalen KPD ebenfalls schon sehr frühzeitig Weisung, das Bündnis aktiv zu unterstützen. Seit der Gründung der DKP gehört auch diese neue kommunistische Partei zu den Trägern der ADF. Darüber hinaus genießt die ADF die uneingeschränkte Unterstützung zahlreicher linksradikaler Organisationen wie Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), Fränkischer Kreis, VVN, Westdeutsche FrauenFriedensbewegung (WFFB), Vereinigung Unabhängiger Sozialisten (VUS) u.a. Andere Organisationen, die das Bündnis mit Rücksicht auf die unterschiedliche Haltung ihrer Mitglieder nicht vorbehaltlos unterstützen könnenwie die Kampagne für Demokratie und Abrüstung (KDA) und die Deutsche Friedensgesellschaft/Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG/IdK) - oder die ein Wahlbündnis grundsätzlich ablehnen - wie die herrschende Richtung im SDS und das Aktionszentrum Unabhängiger Sozialistischer Schüler (AUSS) -, sind dennoch durch namhafte Funktionäre in den Führungsgremien der ADF vertreten. Die beteiligten Organisationen und Einzelpersonen sollen nach dem Willen der Gründer ihre Unabhängigkeit weitgehend behalten und im Wahlkampf auch ihre, über ein gemeinsames Minimalprogramm hinausgehenden eigenen Vorstellungen vertreten können. Auf der Gründungsversammlung am 7.12.1968 in Frankfurt/Main wurden ein achtköpfiges Parteipräsidium, ein Parteivorstand mit 55 Mitgliedern, zwei Sekretäre des Präsidiums, der Bundesschatzmeister und das Parteischiedsgericht gewählt. Außerdem wurde ein geschäftsführender Parteivorstand gebildet, dem die 8 Präsidiumsmitglieder, die Sekretäre und der Bundesschatzmeister kraft Amtes und darüber hinaus 5 gewählte Parteivorstandsmitglieder angehören. Nahezu alle Mitglieder der Führungsgremien sind durch ihre - meist führende - Tätigkeit in einschlägigen linksradikalen Organisationen bekannt. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 12 1.2.8 Lenkung der ADF durch DKP/KPD Das äußere Bild der leitenden Gremien, die in etwa die verschiedenen Kräfte des Bündnisses repräsentieren, täuscht über die wirklichen Machtverhältnisse in der Führung, insbesondere über den tatsächlichen kommunistischen Einfluss. Die eigentliche Steuerung liegt in den Händen, linientreuer und geschulter Kommunisten. In Nordrhein-Westfalen bestehen, soweit bisher bekannt wurde, örtliche Gruppen des Aktionsund Wahlbündnisses an 44 Orten, und zwar in Ahaus-Borken-Bocholt, Aachen, Altena, Bergheim, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bottrop-Gladbeck, Detmold-Lippe, Dortmund, Düren, Düsseldorf, Duisburg, EnnepeRuhr-Kreis (Süd-Gevelsberg), Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm-LünenLüdinghausen, Hattingen, (Ennepe-Ruhr-Kreis Nord), Herford, Herne, Iserlohn, Köln, Krefeld, Mettmann (Landkreis Düsseldorf-Mettmann), Minden, Moers, Mönchengladbach-Rheydt, Mülheim-Ruhr, Münster, Oberhausen, Olpe-Meschede, Opladen (Rhein-Wupper-Kreis), Paderborn-Wiedenbrück, Recklinghausen (Stadtund Landkreis), Remscheid, Rheinisch-Bergischer Kreis (Berg.Gladbach), Siegen, Siegkreis, Solingen, Wanne-Eickel-Wattenscheid, Westmünsterland (Coesfeld), Wuppertal. In diesen örtlichen Gruppen ist die kommunistische Unterwanderung zum Teil außerordentlich stark. Die Initiative zur Gründung ging fast überall von Kommunisten aus, die damit den Weisungen des ZK der KPD nachkamen. In zahlreichen örtlichen Gruppen stellen sie die Mehrheit der Vorstandsmitglieder. Vielfach wurde ihnen das dadurch möglich, das sie nicht nur der DKP, sondern auch gleichzeitig anderen am Bündnis beteiligten Organisationen angehören. Es kommt also vor, dass ein örtlicher Vorstand zwar aus Vertretern aller beteiligten Gruppen gebildet wird, im Endergebnis aber fast alle Vorstandsmitglieder Kommunisten sind. Jedoch auch dort, wo sie zahlenmäßig keine Mehrheit besitzen, üben die Kommunisten dank ihrer größeren Disziplin und Geschlossenheit meist den maßgebenden Einfluss aus. Die Aktivität der Kommunisten und ihr maßgebender Einfluss in dem Bündnis wurde nicht nur von den Gegnern der ADF herausgestellt, sondern hat auch in Kreisen der nicht-kommunistischen Partner Unbehagen und Enttäuschung ausgelöst. Es wird immer deutlicher, dass die Kommunisten sich nicht mit der Rolle begnügen, als einer unter vielen gleichberechtigten Partnern des Bündnisses zu wirken, sondern dass sie bestrebt sind, durch eine ausgesprochene Kaderpolitik das Wahlbündnis in den Griff zu bekommen und für ihre eigenen politischen Ziele einzuspannen. Das zeigen auch die bisherigen Erkenntnisse über die Kandidatenauswahl, die zur Zeit im Gange ist. Auch hierbei kommt den Kommunisten ihre bereits erwähnte Taktik zugute, nicht nur offizielle Vertreter der DKP, sondern auch DKP-Angehörige als Vertreter anderer Organisationen wählen zu lassen. Die Wahl der Kandidaten soll in sämtlichen Wahlkreisen bis spätestens Ende März erfolgt sein. Anschließend sollen dann auf Großveranstaltungen in allen Bundesländern die Landeslisten erstellt werden. Im Wahlkampf will die ADF sich spezialisieren auf Hausbesuche, Flugblattverteilung, Aufbau von Informationsständen auf Marktplätzen, öffentliche Veranstaltun- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 13 gen und vor allem auf gezieltes Ansprechen von Arbeitern, Studenten und Schülern. Ferner will man in die Wahlversammlungen der bestehenden Parteien geschlossene Gruppen schicken, welche die vorgesehenen Reden verhindern und Diskussionen erzwingen sollen. Anfang März soll eine Wahlillustrierte mit einer vorläufigen Auflage von 1,2 Millionen erscheinen. Außerdem soll bis zur Wahl monatlich ein Extrablatt in Zeitungsformat herauskommen. Nordrhein-Westfalen wird jeweils 500.000 Exemplare erhalten. Weiter sind im Rahmen des Wahlkampfes Kandidatenbriefe, Flugblattund Plakataktionen und Zeitungsinserate vorgesehen. Seit dem 1.1.1969 verfügt die ADF über ein Büro in Bonn, Bornheimer Straße 230. Dieses Büro gibt dreimal monatlich ein Mitteilungsblatt für die engeren Mitarbeiter und Vertrauensleute heraus. 1.2.9 Republikanische Clubs Bevor ich mich der sogenannten Protestbewegung in der Jugend zuwende, seien mir noch einige Worte über die "Republikanischen Clubs" gestattet. Nach dem Muster des im Mai 1967 entstandenen "Republikanischen Clubs Berlin" wurden im Laufe des Jahres 1968 im ganzen Bundesgebiet in fast allen größeren Städten, aber auch in kleineren, insbesondere Universitätsstädten, "Republikanische Clubs" gegründet. Zur Zeit sind insgesamt 54 derartige Clubs, davon 24 in Nordrhein-Westfalen, bekannt. Die wesentlichen Ziele des Berliner Clubs wurden von den übrigen Clubs im allgemeinen übernommen, wobei jeweils örtlich bedingte Themen hinzugenommen wurden. Insbesondere haben sich folgende Schwerpunkte herauskristallisiert: 1. Aktionen zur Durchsetzung des Programms der "kritischen Universität" 2. Aktionen zur Aufklärung über die Rolle des Springer-Konzerns in der Gesellschaft 3. Kampagne für die Anerkennung der "DDR" als Voraussetzung für eine europäische Friedenslösung 4. Aktionen gegen den "US-Krieg in Vietnam" 5. Kampagne gegen die Notstandsgesetze. Bemerkenswert ist die fast überall festzustellende Beteiligung von Angehörigen des SDS und anderer linksradikaler Studentenund Schülervereinigungen. Dagegen ist die Arbeiterschaft verhältnismäßig wenig vertreten. Organisatorische Verbindungen zwischen den einzelnen Clubs sind selten festzustellen, eher schon persönliche Kontakte unter Mitgliedern verschiedener Clubs. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Gründung der "Republikanischen Clubs" auf kommunistische Initiative zurückzuführen ist. Andererseits stellen die Clubs naturgemäß ein willkommenes Objekt kommunistischer Infiltrationsversuche dar. Erfolge sind jedoch verhältnismäßig gering. Die Ereignisse in der CSSR im August vorigen Jahres haben in zahlreichen Clubs zu Krisen geführt, die Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 14 vielfach bis heute noch nicht restlos überwunden sind und sich teilweise lähmend auf die Tätigkeit der Clubs ausgewirkt haben. Eine besondere Rolle spielt das "Republikanische Centrum Düsseldorf", das sich nicht nur durch seinen Namen von den übrigen Clubs unterscheidet. Hier waren bereits bei der Gründung im Frühjahr 1968 kommunistische Funktionäre maßgebend beteiligt, die auch weiterhin ihren Einfluss geltend machen. Im Gegensatz zu den übrigen "Republikanischen Clubs" kann in Düsseldorf von einer ausgesprochen kommunistisch gesteuerten Organisation gesprochen werden. Dem Vorstand gehören namhafte Vertreter der DKP an. 1.2.10 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) Unter den linksextremen Kräften, die in der Jugend wirksam sind, steht der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) als der Hauptträger der studentischen Protestbewegung im Vordergrund des Interesses. Daneben sind der Sozialdemokratische Hochschulbund, der Liberale Studentenbund, die Humanistische Studentenunion und als Dachverband der Allgemeinen Studentenausschüsse an den Hochschulen der Verband Deutscher Studentenschaften zu erwähnen. Auch in ihnen sind linksextreme Tendenzen wirksam, die Aufmerksamkeit erregen, allerdings - noch - nicht in dem Ausmaße und der Intensität wie im SDS. Dieser versucht, die aus dem Bedürfnis nach durchgreifenden Reformen unseres Hochschulwesens entstandene studentische Protestbewegung über ihr ursprüngliches Ziel hinaus zu politisieren und zu radikalisieren, wobei dieses ursprüngliche Ziel für den SDS mehr und mehr zu einem bloßen Anknüpfungspunkt revolutionärsozialistischer Bestrebungen und Aktionen wurde. Das gilt für alle wesentlichen im SDS wirksamen ideologischen Strömungen. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung des bestehenden parlamentarischdemokratischen Systems; im Kampf gegen dieses System unterscheiden sie sich vorzugsweise in Fragen des taktischen Vorgehens: Die ganz Radikalen neigen dazu, die legalen Autoritäten durch Azivilen Ungehorsam", d.h. bewusste Übertretung bestehender Gesetze zu provozieren, um sie auf diese Weise zu Averunsichern", während eine mehr orthodox marxistisch-leninistische Richtung, die auch Anlehnung an die DKP sucht und sich neuerdings "Spartakus" bzw. "Assoziation marxistischer Studenten" nennt, wegen der angestrebten Solidarisierung mit den Arbeitern gegenüber solchen Methoden eine größere Zurückhaltung übt. 1.2.11 Mögliche Radikalisierung des SDS In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, dass zwei Kölner Wortführer dieser Richtung - allerdings ergebnislos - dazu aufgefordert haben sollen, man solle das amerikanische und das spanische Konsulat stürmen, da offenbar Demonstrationen nicht mehr genügten. Hier zeichnet sich eine mögliche Radikalisierung auch der vorzugsweise taktisch gemäßigteren Richtung ab, die bisher in Nordrhein-Westfalen vorherrschend war. Sollte eine solche Entwicklung anhalten, kann es auch bei uns mehr und mehr zu Gewaltaktionen kommen, die bisher besonders aus Berlin und Frankfurt bekannt waren. Außer den eigentlichen hochschulbezogenen Aktionen müssen nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit auch die auf der letzten Bundesdelegiertenkonferenz im Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 15 September 1968 und ihrer Fortsetzung im November 1968 angekündigten Kampagnen gegen die Justiz und die Bundeswehr sehr ernst genommen werden. Die Justizkampagne deswegen, weil Studenten, die sich vor dem Strafrichter zu verantworten haben, auch mancher Sympathien unter Kommilitonen sicher sein können, die sich sonst nicht besonders zu radikaler Aktivität hingezogen fühlen, und weil angesichts der formalen Strenge eines strafgerichtlichen Verfahrens in diesem Bereich provokatorische Gags besonders leicht und gut zu arrangieren sind. Die Bundeswehrkampagne deshalb, weil hier ein Ansatzpunkt gegeben ist, eine Solidarisierung mit pazifistischen Studenten und pazifistischen Organisationen sowie anderen Gruppen von Wehrdienstgegnern zu erreichen, z.B. der Kampagne für Demokratie und Abrüstung (KDA), die aus der Ostermarschbewegung entstand, und der Deutschen Friedensgesellschaft/Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG/IdK). Dabei ist zu beachten, dass studentische Einzelaktionen oft sehr spontan beschlossen und ausgeführt werden. Deshalb sind Hinweise an die Polizei auf Grund von Informationen der Verfassungsschutzbehörden oft gar nicht oder nur kurzfristig möglich. 1.2.12 Landesverband Nordrhein-Westfalen des SDS Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des SDS tritt in der Öffentlichkeit und auch als Führungszentrum für die nordrhein-westfälischen SDS-Gruppen kaum nennenswert in Erscheinung. Im Vorstand des Landesverbandes hat in letzter Zeit die orthodoxe marxistisch-leninistische Richtung den Ton angegeben. Der Mitgliederstand der SDS-Gruppen im Landesbereich lässt sich nur schätzen. Er dürfte insgesamt bei ca. 200 bis 220 Mitgliedern liegen - einer angesichts der rd. 56.000 Universitätsstudenten erstaunlich geringen Zahl -, die sich wie folgt auf die einzelnen Hochschulgruppen verteilt: Technische Hochschule Aachen: ca. 10 Pädagogische Hochschule Bielefeld: ca. 15 Ruhr-Universität Bochum: ca. 30 Ein gewählter Vorstand ist nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht vorhanden; die Mitgliederversammlung wählt jeweils einen Diskussionsleiter. Universität Bonn: ca. 50 Universität Köln: ca. 70 Auf Grund schwerer innerer Spannungen innerhalb dieser Gruppe, hervorgerufen im Wesentlichen durch die Bildung eines DKPHochschulausschusses in Köln, ist derzeit eine von der Gruppe getragene Leitung nicht erkennbar. Das frühere publizistische Organ des SDS Köln "Facit" wird jetzt unabhängig von dieser Gruppe als - lt. Impressum - "Zeitschrift marxistischer Studenten" von einer Gruppe von SDS-Mitgliedern aus Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern herausgegeben und kann als das Sprachrohr der orthodoxen Marxisten-Leninisten angesehen werden. Sitz der Redaktion ist Köln, wo die Zeitschrift auch gedruckt wird. Universität Münster: ca. 30 bis 40 Kirchliche und Pädagogische Hochschule Wuppertal: ca. 20 Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 16 1.2.13 Praktische Aktivität radikaler Studentengruppen Über die praktische Aktivität radikaler Studentengruppen, insbesondere des SDS, ist folgendes zu sagen: Die Situation in Nordrhein-Westfalen war bis zum Wintersemester 1968/69 relativ ruhig, wenn man einmal von der Beteiligung von Studenten an den Osterunruhen 1968 nach dem Attentat auf Dutschke und vereinzelten damit zusammenhängenden späteren Protestdemonstrationen absieht. Der sehr umfangreiche Bericht des "Spiegel" Nr. 7 vom 10.Februar 1969 unter dem Titel "Gewalt gegen Gewalt" erwähnt denn auch weder Äußerungen noch Aktionen von SDS oder anderen radikalen Studentenfunktionären aus Nordrhein-Westfalen. Hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist allerdings die erkennbare Tendenz einer seit den Osterunruhen fortschreitenden Linksradikalisierung des Gesamtverbandes, wobei das offene Bekenntnis zur Gewalt sich auch nicht mehr auf Gewalt gegen Sachen beschränkt. In Berlin gingen SDS-Mitglieder so weit zu erklären, Angriffe auf Ordnungshüter wie Polizistenund, im Notstandsfalle, Soldaten - seien gar nicht Agegen Personen", sondern Agegen Sachen" gerichtet und daher zu billigen, denn: "Polizisten sind zu Knüppeln gewordene Menschen". Im Verlauf des Wintersemesters 1968/69 ist die Politisierungsund Radikalisierungswelle auch an den nordrhein-westfälischen Universitäten nicht vorübergegangen. Dies beweisen außer den Berichten der jeweils betroffenen Polizeibehörden auch Informationen, die dem Kultusministerium von den Universitätsverwaltungen zugegangen sind. Diese zeigen auch, wie zahlenmäßig klein die von den Radikalen bestimmte politisch aktive Gruppe unter den Studenten ist. So beteiligten sich zum Beispiel an der Sprengung einer Senatssitzung der Universität Bochum durch ein Ago in" am 2.12.1968 50 von rund 8.000 in Bochum immatrikulierten Studenten; an der Abstimmung, die dieser Aktion vorausging, nahmen 78 Studenten teil. Im Wintersemester 1968/69 kam es bisher an den nordrheinwestfälischen Universitäten und Hochschulen insgesamt zu sieben studentischen Aktionen, bei denen die Polizei aktiv einschritt. 1.2.14 Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler (AUSS) Im Zusammenhang mit dem SDS ist noch das Aktionszentrum unabhängiger und sozialistischer Schüler (AUSS) zu erwähnen. Das 1967 unter erheblichem Einfluss des SDS gegründete "Aktionszentrum ..." soll als Dachverband örtlicher Schülergruppen die Ideen des SDS im schulischen Bereich verbreiten helfen. 1.2.15 Unabhängige Schülergemeinschaft Nordrhein-Westfalen (USG) Im Oktober 1967 bildete sich in unserem Lande eine Unabhängige Schülergemeinschaft Nordrhein-Westfalen (USG), die sich dem AUSS als bisher einziger Landesverband anschloss. Dem dreiköpfigen Landesvorstand gehören zwei Mitglieder der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) an. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 17 1.2.16 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Die SDAJ, die der KPD/DKP sehr verbunden ist, schickt sich an, die Lücke auszufüllen, die durch das Verbot der FDJ in der kommunistischen Jugendarbeit entstanden war, wenngleich man nicht sagen kann, dass die SDAJ eine Nachfolgeund damit Ersatzorganisation der FDJ ist. Die im Mai 1968 auf Bundesund Landesebene gegründete "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die in ihrer Zielsetzung und im maßgeblichen Funktionärskörper ihre enge Anlehnung an die KPD (bzw. DKP) erkennen lässt, hat im Laufe des Jahres 1968 ihren Aufbau im Wesentlichen abschließen können. Sie hat im Landesbereich zur Zeit ca. 650 Mitglieder und gründete Gruppen in Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Gelsenkirchen, Köln, Hilden, Velbert, Mülheim, Herten, Siegen, Solingen und Wuppertal. Auch auf Ortsebene zeigt sich, dass die führenden Kräfte weitgehend aus dem kommunistischen Bereich - vor allem der DKP - kommen. Bereits jetzt machen Einzelinformationen deutlich, dass dieser Jugendverband in der Folge vor allem mit folgenden Schwierigkeiten zu rechnen haben wird: Einmal mit dem Problem, Jugendliche anzusprechen und sie für die Ziele der Organisation zu begeistern. Wie aus Landesvorstandssitzungen bekannt wurde, macht sich schon kurz nach der Gründung der Gruppen eine gewisse Stagnation bemerkbar, weil die Vorstände nicht in der Lage sind, ein ansprechendes Programm für die Gruppenarbeit vorzulegen. Man denkt daran, die an einigen Orten mit der Gründung der SDAJ-Gruppen stillschweigend aufgelösten Jugendclubs wieder aufleben zu lassen, um aus ihrem Interessentenkreis den Nachwuchs für die SDAJ zu gewinnen. Zum anderen musste auch die SDAJ erkennen, dass sich ihr nicht nur an Parteidisziplin gewöhnte, sondern auch einer Aantiautoritären" Richtung zuneigende Kräfte anschlossen, die sich destruktiv auf das Gruppenleben auswirkten. Es kam vereinzelt zu internen Machtkämpfen sowie zu Ausschlüssen und Austritten. Bezeichnend ist, dass z.B. in Köln extrem links tendierende Studenten erst aufgenommen werden sollten, nachdem ein arbeitsfähiger Vorstand gewählt war. Widerstand in den Gruppen richtet sich auch gegen die Anleitung durch die DKP wie etwa in Siegen, wo sich die Leitung der Gruppe öffentlich gegen Beeinflussungsversuche örtlicher DKP-Funktionäre wandte und mehrere der Vorstandsmitglieder einer pro-chinesischen KP-Gruppe beitraten. Nicht zuletzt zur Überwindung der aufgetretenen Schwierigkeiten hat der SDAJLandesvorstand im Januar 1969 einen Arbeitsplan für die Zeit bis zu den Bundestagswahlen beschlossen, der interne Maßnahmen zur Konsolidierung der Organisation und Aktions-Schwerpunkte für folgende Anlässe festgelegt: * Ostermarsch 1969 * 1. Mai (Tag der Arbeit) * 8. Mai (Tag der Kapitulation 1945) * Bundestagswahlkampf. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 18 Von den zahlreichen örtlichen linksextremen Jungendclubs in unserem Lande haben einige mit der Gründung von entsprechenden SDAJ-Gruppen ihre Tätigkeit eingestellt, jedoch sind sie - noch - nicht restlos und auch nicht ohne Schwierigkeiten in der SDAJ aufgegangen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 19 2 Bericht vor dem Innenausschuß des Landtags NRW (Berichtsstand: 11. Dezember 1969) 2.1 Rechtsextremismus 2.1.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands Der Rechtsradikalismus wird im Lande Nordrhein-Westfalen im wesentlichen von der NPD repräsentiert. Das übrige, organisatorisch stark zersplitterte nationalistische Lager wirkt zwar auch in unser Land hinein, ist aber gemessen an der Bevölkerungsdichte und unter Einschätzung der politischen Wirksamkeit kaum von wesentlicher Bedeutung. Auch diesen Strömungen wird zwar hinreichende Beachtung geschenkt, indem ihre Aufund Abwärtsentwicklungen sorgfältig erfaßt werden; sie stellen aber im Verhältnis zur NPD keinen Schwerpunkt dar. Zu einem großen Teil handelt es sich bei den Mitgliedern in diesen politischen, kulturellen und völkischen Splitterorganisationen ohnehin um Personen, die auch der NPD unmittelbar angehören oder sich ihr verbunden fühlen. Bundestagswahl 1969 Die Bundestagswahlen waren der entscheidende Prüfstein für die Substanz des rechtsradikalen Wählerpotentials. Die NPD hatte sich zum Ziel gesetzt, mit einem Stimmenanteil von ca. 6 - 10 % als drittstärkste Partei in den Bundestag einzuziehen. Dieses Ziel hat sie, wie wir wissen, nicht erreicht. Von besonderer Bedeutung für diesen Misserfolg war ihr schlechtes Abschneiden in Nordrhein-Westfalen; in diesem Lande wohnen bekanntlich annähernd 30 % der wahlberechtigten Bundesbürger. Die NPD erhielt hier nur 3,1 % der abgegebenen Zweitstimmen und damit den niedrigsten Prozentsatz in einem Lande der Bundesrepublik (Im Bund NPDZweitstimmen: 4,3 %). Zur Wahlniederlage der NPD haben sicherlich die Aufklärung über den rechtsradikalen Charakter der Partei, der Mangel an attraktiven Kandidaten, die Substanzlosigkeit der nationaldemokratischen Propaganda und nicht zuletzt der wirtschaftliche Aufschwung im Lande maßgeblich beigetragen. Die Zunahme der NPD-Stimmen im Vergleich zur Bundestagswahl 1965 (1,1 %) beruht im wesentlichen darauf, daß sich die NPD damals erst im Gründungsstadium befand und deshalb selbst für rechtsextreme Kreise noch suspekt und wenig anziehend war. Inzwischen konnte sie einen verhältnismäßig aufwendigen Propagandaeinsatz verwirklichen. Das Potential dieser extrem rechten Wählerschicht reicht jedoch nicht aus, der Partei über die 5 %-Hürde zu helfen. Die NPD hatte sich von dem Einzug in den Deutschen Bundestag günstige Auswirkungen auf ihre künftige Entwicklung versprochen. Das Wahlergebnis wird deshalb von ihr als ein schwerwiegender Rückschlag betrachtet. Es bedeutet zugleich einen persönlichen Autoritätsschwund für ihre Funktionäre. Unterhalb der Funktionärsebene wirken sich Enttäuschung und Resignation besonders nachteilig aus. Die NPD steht somit nach der Bundestagswahl vor unerwarteten Schwierigkeiten: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 20 In personeller Hinsicht sind die seit langem bestehenden Spannungen zwischen Adolf von Thadden und zahlreichen Spitzenfunktionären - insbesondere des bayrischen Landesverbandes - wieder aufgebrochen. Finanzsituation In finanzieller Hinsicht sieht sich die Partei plötzlich vor unerwartete Schwierigkeiten gestellt. Zwar wird sie (unter Einberechnung der bereits im Wahlkampf gezahlten Abschläge) aus der Wahlkampfkostenerstattung etwa 4 Millionen DM erhalten. Da die NPD aber einen wesentlich höheren Betrag für ihre Wahlpropaganda ausgegeben hat (ihre Ausgaben waren auf ca. 6 % Zweitstimmen abgestellt), ist ihr ein erhebliches Defizit entstanden. In organisatorischer Hinsicht ist die NPD nunmehr zu erheblichen Sparmaßnahmen gezwungen. Das Bonner Büro der Partei ist bereits aufgelöst worden. Einem Teil der hauptamtlichen Mitarbeiter wurde gekündigt; einige sind vom DN-Verlag übernommen worden. Übrigens fordern mehrere Landesverbände nunmehr eine Umstrukturierung der Beteiligungsverhältnisse an der DN-GmbH in Richtung auf den NPD-Bundesvorstand, ohne Rücksicht auf dessen personelle Zusammensetzung. In zukunftsbezogener Hinsicht erscheint Folgendes von nicht unerheblicher Bedeutung: Die Parteiführung hatte ursprünglich gehofft, aus der Wahlkampfkostenerstattung noch rund zwei Millionen DM für die Landtagswahlkämpfe im kommenden Jahr in Hamburg, im Saarland, in Hessen, in Bayern und in NordrheinWestfalen zurücklegen zu können. Da die Parteikasse z. Z. aber leer ist, sieht sie kaum noch eine Möglichkeit, wie sie sich erfolgreich in die 1970 anstehenden Wahlen einschalten könnte. Positiv hat sie sich bisher nur für eine Teilnahme an der Wahl in Hamburg entschieden. In politischer Hinsicht dürfte die NPD es schwer haben, ihr angeschlagenes Image bei Mitgliederund Anhängerschaft wieder aufzubessern. Allerdings haben es ihre Funktionäre mit einer demagogischen Publizistik auch früher - als sie noch die DRP vertraten - stets verstanden, eine neue Plattform zu finden. Anstatt bei sich selbst nach politischen Fehlleistungen zu suchen, versucht sie ihre Mitglieder zunächst einmal mit einer Wahlanfechtung zu beeindrucken. Die Gültigkeit der Bundestagswahl wird von ihr aufgrund der "Summe der eindeutigen Wahlbehinderungen, denen die NPD ausgesetzt war, sowie wegen der ständigen Verletzung des Gleichheitsgebotes der Verfassung" angefochten. Dieser Beschluß wurde vom Parteipräsidium bereits am 4. Oktober 1969 gefaßt. Inzwischen sind alle Verbände aufgefordert worden, mit konkretem Material zur Beweismittelsammlung beizutragen. Die NPD rechnet damit, daß ihre Anfechtung vom Wahlprüfungsausschuß verworfen wird. In einem solchen Fall will sie Klage beim Bundesverfassungsgericht erheben. Das Ziel ist eine Wiederholung der Wahl "unter demokratischen Bedingungen", wie sie es ausdrückt. Bundesparteitag der NPD Über den weiteren Weg der NPD hätte der Bundesparteitag in Saarbrücken am 14./16.11.1969 Aufschluß geben können, der bekanntlich kurzfristig verboten wurde. Der Streit zwischen der Thadden-Gruppe und ihren Gegnern hatte sich vor dem Parteitag weiter zugespitzt. Die Gegengruppe unter Führung der bayrischen Spitzenfunktionäre lehnte die Forderung v.Thaddens ab, man solle verbindlich er- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 21 klären, nicht gegen ihn zu kandidieren. Die gemeinsame Tagung des Parteivorstandes, der Landesverbände und der Kreisvorsitzenden, auf der die internen Auseinandersetzungen wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht hätten, konnte wegen des Parteitagsverbots nicht mehr stattfinden. Der alte Parteivorstand bleibt nunmehr im Amt, bis es gelingt, einen neuen Parteitag abzuhalten, und damit hat man es angesichts der Situation offensichtlich nicht eilig. Die Stellung von Thaddens ist durch das Parteitagsverbot zweifellos gefestigt worden. - Die Partei hat mittlerweile die Delegierten zur Vorbereitung einer Klage aufgefordert, ihre Schadensersatzforderungen gegen die Stadt Saarbrücken zu beziffern. Auf diese gesetzlich vorgesehene Möglichkeit hat das Verwaltungsgericht Saarbrücken ausdrücklich hingewiesen. Kommunalwahlergebnisse der NPD in NW In Nordrhein-Westfalen präsentierte sich die NPD nach der Bundestagswahl erstmalig wieder der Öffentlichkeit bei den Kommunalwahlen am 09.11.1969. Sie trat zwar nur in wenigen Städten, Landkreisen und Gemeinden auf, erlitt jedoch trotz Wahlunterstützungen aus den Nachbarkreisen eine weitere schwere Niederlage mit folgenden Ergebnissen: Kreisfreie Städte: Kommunalwahl: Bundestagswahl: Düsseldorf 4.704 = 1,6 % 13.911 = 3,6 % Hamm 979 = 2,2 % 10.714 = 3,4 % Köln 2.768 = 0,8 % 13.345 = 2,9 % Leverkusen 753 = 1,6 % 1.742 = 2,9 % Iserlohn 725 = 2,8 % 1.474 = 4,4 % Landkreise und Gemeinden: Kreistag Halle und 1.149 = 3,4 % 2.330 = 6% Gemeinden: Bockhorst kein Sitz Brockhagen 108 = 7,0 % (1 Sitz) Hesseln kein Sitz Loxten 102 = 6,9 % (1 Sitz) Schröttinghausen kein Sitz * Kölkebeck kein Sitz * Kreistag Lemgo 3.253 = 4,2 % 4.991 = 5,4 % Kreistag Lübbecke 2.225 = 4,9 % 3.710 = 7,2 % Kreistag Unna 2.907 = 2,6 % 5.449 = 4,1 % und Gemeinde Bönen 242 = 2,6 % * Kreisangehörige Stadt 566 = 2,6 % Kamen Kreisangehörige Stadt Unna 1.102 4,2 % * * Keine Vergleichszahlen vorhanden Die NPD verfügt damit z. Z. in Nordrhein-Westfalen nur noch über 11 (bisher 22) Mandate in Kommunalparlamenten, und zwar aus der Neugliederungswahl im März im Landkreis Lüdenscheid 3, Stadt Lüdenscheid 3, Stadt Lemgo 3 sowie neuerdings in den vorgenannten Gemeinden Brockhagen und Loxten (ca. je 3.000 Einwohner). Parteitag des NPD-Landesverbandes Unbeachtet von der Öffentlichkeit und völlig invertiert fand am 30.11.1969 in Soest der diesjährige Parteitag des NPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen statt. Es hatten sich neben 186 Delegierten ca. 100 Gäste aus der Partei, darunter Adolf von Thadden, eingefunden. In seinem Rechenschaftsbericht erklärte der resignie- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 22 rende bisherige Landesvorsitzende, daß der Landesverband (ohne Kreisverbände) noch ca. 50.000,00 DM Schulden abzutragen habe. Auf den Verlauf der Vorstandswahl nahm er entscheidenden Einfluß. Bei den gewählten 10 Beisitzern handelt es sich überwiegend um jüngere NPD-Funktionäre; 5 hiervon gehörten bereits der ehemaligen rechtsradikalen DRP an. Auf dem Landesparteitag wurde ferner beschlossen, die NPD-Geschäftsstelle von Bielefeld wieder nach Düsseldorf zu verlegen. Eine definitive Entscheidung über eine Beteiligung an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist auf dem Landesparteitag nicht gefallen. Hierzu ist zu bemerken, daß die NPD sehr wohl weiß, daß die Arbeit in vielen Kreisverbänden Nordrhein-Westfalens stagniert und zum Teil völlig zum Erliegen gekommen ist. Nur wenige Kreisverbände zeigen z. Z. noch eine gewisse Aktivität. Der Arbeitsschwung ist aber auch hier durch das niederschmetternde Ergebnis bei der Kommunalwahl gebremst worden. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Kreisverbände bei z. Z. leeren und zum Teil überschuldeten Kassen und bei dem angeschlagenen Image der Partei insgesamt wieder soweit regenerieren können, daß sie sich zu einer Teilnahme an den Landtagswahlen aufraffen. Ohne Unterstützung durch den Bundesvorstand dürften die Erfolgschancen von vornherein schlecht sein. Bei dem Fanatismus der neugewählten Landesvorstandsfunktionäre erscheint es jedoch keineswegs ausgeschlossen, daß man sich unter allen Umständen an der Wahl beteiligen möchte. Eine solche Tendenz klang jedenfalls auf dem Landesparteitag bereits durch. Entwicklungstendenzen Abschließend kann festgestellt werden: Die NPD bleibt eine Partei mit einer Erfolgschance in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Je gefährdeter die wirtschaftliche Lage erscheint, desto größer sind die Wahlaussichten der Rechtsradikalen. Das gilt sowohl konjunkturell als auch strukturell: In wirtschaftlich starken Ländern wie Nordrhein-Westfalen ist die NPD verhältnismäßig schwach, in wirtschaftlich schwachen Ländern ist sie relativ stark. Im Bundesdurchschnitt liegt der harte Kern der NPD-Wähler bei 4 - 5 Prozent. Das sind etwa 1,2 Millionen Wähler, mit denen die Rechtsradikalen selbst in wirtschaftlich guten Zeiten in der Bundesrepublik rechnen können. Auch in Zukunft muß diese Partei daher ernst genommen werden. Alles andere wäre ein politischer Irrtum, der weitreichende Folgen haben könnte. 2.2 Linksradikalismus 2.2.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Im Mittelpunkt des sogenannten konventionellen Linksradikalismus steht die im September 1968 in Frankfurt/Main neukonstituierte Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die inzwischen ihren organisatorischen Aufbau abgeschlossen hat und sich nunmehr in zunehmendem Maße bemüht, auf die politische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen einzuwirken. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der auf dem 1. DKP-Parteitag in Essen (April 1969) gewählte Parteivorstand seinen Sitz in Düsseldorf hat. Er verfügt hier über ein eigenes großes Bürogebäude, in dem das 9köpfige Parteipräsidium, die Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 23 Schiedsund die Revisionskommissionen sowie die wichtigsten Referate und Fachkommissionen des Parteivorstandes residieren und die 5 DKPLandesorganisationen und 8 DKP-Bezirksorganisationen in der Bundesrepublik anleiten. DKP in NRW Nordrhein-Westfalen ist in die Parteibezirke "Rheinland-Westfalen" und "RuhrWestfalen" gegliedert. Die Bezirksvorstände, die ebenfalls über eigene Bürogebäude in Düsseldorf und Essen verfügen, setzen sich aus 57 (Rheinland-Westf.) bzw. 60 (Ruhr-Westf.) Mitgliedern zusammen. Der Parteivorstand hat angeordnet, daß in den Ländern, in denen lediglich Bezirksorganisationen bestehen, als gemeinsames Gremium und zur Koordinierung der landespolitischen Aufgaben ein "Ausschuß für Landespolitik" aus Vertretern der Bezirksvorstände gebildet werden soll. Für Nordrhein-Westfalen ist die Konstituierung des Ausschusses für 1970 vorgesehen. Seine wesentliche Aufgabe besteht darin, die Vorarbeiten zur Landtagswahl in NW zu leisten, an der sich die DKP - wie bei der Kommunalwahl im November 1969 - mit eigenen Kandidaten und eigener Landesliste beteiligen will. Auf der örtlichen Ebene, d.h. unterhalb der beiden Bezirke, verfügt die DKP über 44 Kreisund Gebietsorganisationen. Besondere organisatorische Schwerpunkte sind die Städte Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal, Essen, Remscheid, Solingen, Bochum sowie die Kreise Moers, Rhein-Wupper und Bergheim/Erft. Insgesamt sind in der DKP-Parteiorganisation Nordrhein-Westfalens ca. 8.000 - 9.000 Mitglieder zusammengefaßt. Das ist etwa die Hälfte der DKP-Mitgliedschaft im Bundesgebiet, die auf etwa 17.000 bis 19.000 Mitglieder geschätzt wird. Ein bedeutungsvoller Faktor der Parteiorganisation sind die DKP-Betriebsgruppen, deren Zahl sich in NW auf über 50 beläuft. Schwerpunkte der kommunistischen Betriebsgruppenarbeit sind die Großunternehmen der Metallindustrie, des Bergbaus und der öffentlichen Hand (Versorgungsund Verkehrsbetriebe). Die Stärke der Betriebsgruppen reicht von ca. 5 bis 30 Parteimitglieder. Publizistik der DKP Die Tätigkeit der Parteiorganisation wird von der DKP-eigenen Publizistik unterstützt, die inzwischen einen beachtlichen Umfang angenommen hat: Seit April 1969 erscheint die Wochenzeitung "Unsere Zeit" (UZ), die von dem DKP-Vorsitzenden herausgegeben wird und als Zentralorgan der DKP anzusehen ist. Die Zeitung hat eine Auflage von 65.000 verkauften Exemplaren und erscheint in 5 Regionalausgaben. Sitz der Hauptredaktion ist Essen. Die "UZ" unterhält Landesund Bezirksredaktionen in Duisburg, Kiel, Hamburg, Bremen, Hannover, Frankfurt/M., Mainz, Saarbrücken, Stuttgart, Nürnberg und München sowie Korrespondentenbüros in Ostberlin und Moskau. Daneben gibt der Parteivorstand der DKP in relativ hoher Auflage den "DKP-Pressedienst", die "DKP-Informationen" sowie die zentrale Schrift "praxis" heraus. Als weitere Organe der DKP auf Bundesebene sind die "Bonner-Korrespondenz" (Redakteur ist der DKPPressesprecher) und das theoretische Organ "Marxistische Blätter" anzusehen. Die Landesund Bezirksorganisationen verfassen ebenfalls eigene periodische Schriften. So erscheint in NW ein vom DKP-Bezirksvorstand Rheinland-Westfalen verbreiteter "Pressedienst", der sich vornehmlich mit landespolitischen Fragen befaßt. Ein politisch bedeutungsvoller Bestandsteil der kommunistischen Publizistik Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 24 sind die DKP-Betriebsgruppenzeitungen. In Nordrhein-Westfalen erscheinen 30 Zeitungen dieser Art, die hauptsächlich von den DKP-Kreisleitungen herausgegeben werden. DKP-Schulungseinrichtungen Neben der Parteiorganisation und den kommunistischen Presseorganen sind als "3. Säule" der Partei die DKP-Schulungseinrichtungen anzusehen. Die DKP hat ein "Institut für marxistische Studien und Forschungen" und einen "Verein zur Förderung der Forschung und des Studiums der Sozialwissenschaften" gegründet, die sich mit den ideologischen Grundlagen der Partei und mit gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen befassen. Für die Schulung der Parteimitglieder auf örtlicher Ebene bestehen in Nordrhein-Westfalen etwa 30 - 40 "marxistische Studiengruppen" (im Bundesgebiet etwa 60), die in der Spitze zu der Dachorganisation "Marxistische Arbeiterbildung" (MAB) mit Sitz in Frankfurt/M. zusammengefaßt sind. Am 15.11.1969 wurde in Düsseldorf als regionale Organisation der MAB für den Bereich des DKP-Bezirks "Rheinland-Westfalen" die "Marxistische Bildungsgemeinschaft NW" gegründet. Es ist damit zu rechnen, daß demnächst eine ähnliche Zusammenfassung der Studiengruppen im DKP-Bezirk "Ruhr-Westfalen" erfolgt. Der DKP-Bezirksvorstand hat bereits in Dortmund ein Haus gekauft, das hauptsächlich Schulungszwecken dienen soll. Im Bereich der Mitgliederschulung arbeiten die zentralen Bildungseinrichtungen eng mit Institutionen der SBZ und der Sowjet-Union zusammen. So beginnt Anfang Januar 1970 der 1. Lehrgang der DKP (2 Semester) am Franz-MehringInstitut der Universität Leipzig. Die Durchführung einsemestriger Kurse und Spezialseminare an diesem Institut sind geplant. Auch sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß in der UdSSR Lehrgänge für Spitzenfunktionäre der DKP stattfinden. So sind im Oktober 1969 die ersten Teilnehmer zum 1. Jahreslehrgang der DKP nach Moskau abgereist. Die Parteimitglieder haben den Auftrag, sich nicht bei der Partei, sondern bei der "Marxistischen Arbeiterbildung" in Frankfurt/M. zu melden. Damit soll der Eindruck entstehen, daß es sich bei den genannten Bildungseinrichtungen um selbständige Organisationen und nicht um Bestandteile der DKP handelt. Ziele der DKP in NRW Ausgehend von diesem relativ breiten organisatorischen Fundament sind die Bemühungen der DKP in Nordrhein-Westfalen darauf gerichtet 1. mit Hilfe vor allem der DKP-Betriebsgruppen und durch erhöhte Aktivität in den Gewerkschaften die Arbeiterschaft in den industriellen Ballungsgebieten anzusprechen. Dabei stehen lohnund sozialpolitische Forderungen im Vordergrund. Die DKP ist überzeugt, daß seit den wilden Streiks weite Teile der Industriearbeiterschaft bereit sind, zur Durchsetzung dieser Forderungen Kampfmaßnahmen zu ergreifen. 2. bei den Landtagswahlen 1970 zumindest einen Achtungserfolg zu erzielen. Im Gegensatz zu dem für sie enttäuschenden Ausgang der Bundestagswahl wertet sie ihr selbständiges Auftreten bei der Kommunalwahl als Erfolg. Dieser Umstand hat den Ausschlag dafür gegeben, daß sie bei den Landtagswahlen nicht im Rahmen eines sogenannten "Demokratischen Wahlbündnisses", sondern mit eigenen Kandidaten auftreten wird. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 25 2.2.2 Übrige linksradikale Organisationen Von den übrigen linksradikalen Organisationen ist als erste die "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) zu nennen, die sich als kommunistisch orientierte und praktisch von der DKP geführte Volksfrontpartei - wie bekannt - mit äußerst geringem Erfolg an den Bundestagswahlen beteiligte. Sie erzielte im Landesdurchschnitt 0,7 % der Zweitstimmen gegenüber 1,3 % DFU-Zweitstimmen 1965 und 2 % 1961. Als relative "Schwerpunkte" der ADF sind zu nennen die Wahlkreise Solingen (2,2 %), Remscheid (1,6 %), Castrop-Rauxel-Herne 1,4 %, Wuppertal II, Düsseldorf II, Gelsenkirchen I und Bottrop-Gladbeck mit je 1,3 % der abgegebenen Zweitstimmen. Bei den Kommunalwahlen, an denen sich - wie anfangs erwähnt - zum ersten Mal die DKP in einer Anzahl von ausgewählten Gemeinden beteiligte, hatten zwei Wählergemeinschaften auf ADF-Basis und außerdem in einigen Gemeinden die DFU Kandidaten aufgestellt. In Gronau erzielte die "Demokratische Wählergemeinschaft" für den Kreistag 2,2 %, im Rhein-Wupperkreis die Wählergemeinschaft "Demokratischer Fortschritt" 1,0 % der Stimmen. Die DFU kandidierte außer in Herne, wo sie 2,5 % gegenüber 4,0 % der Stimmen im Jahre 1964 erhielt, noch in zwei kleineren Gemeinden (Pelkum und Gescher); auch hier war ihr Stimmenanteil rückläufig. Bei den kommenden Landtagswahlen möchten nichtkommunistische DFU-Kreise wohl, daß die Friedensunion als eine Art radikal-demokratische, bürgerliche Linkspartei neben der DKP antritt. Ob es dazu kommt, ist zur Zeit noch völlig offen. Mit entscheidend dürfte hier sein, ob und inwieweit die DKP ihre Kandidatenlisten auch für (in ihrem Sinne) fortschrittliche -nichtkommunistische Einzelbewerber offen hält. Entsprechende Absichtserklärungen der DKP liegen vor. Das schlechte Abschneiden der außerhalb der DKP organisierten Linksradikalen bei den letzten Wahlen in unserem Lande darf aber gleichfalls nicht zu der Annahme führen, daß ihren Bestrebungen deswegen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt werden brauche: Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Zunächst ist auf die intensive Agitation hinzuweisen, die die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) unter der werktätigen Jugend entfaltet. Diese Organisation, die im November d.J. in Düsseldorf eine Delegiertenkonferenz zur Vorbereitung des 2. Bundeskongresses am 13./14.12.1969 in Dortmund veranstaltete, liegt insgesamt auf der Linie der DKP und des Marxismus-Leninismus Moskauer Observanz. Allerdings gibt es in ihr auch pro-chinesische und "antiautoritäre" Strömungen. Letztere haben zu einer Spaltung der Wuppertaler Gruppe geführt, wo die "Antiautoritären" eine Unabhängige SDAJ - jetzt Revolutionäre Sozialistische Jugend (RSJ) - gründeten. Anlaß dazu war u.a. das Auftreten von Vertretern dieser Gruppe während eines "Treffens junger Sozialisten" in Ostberlin, das die FDJ anläßlich des 20. Jahrestages der DDR veranstaltete. Wegen ihres schlechten Auftretens wurden die "antiautoritären" Wuppertaler SDAJler in ostberliner Gaststätten entweder nicht erst eingelassen oder z. B. mit dem Bemerken hinausgewiesen, sich erst einmal die Haare schneiden zu lassen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 26 "antiautoritäre" Linke Die "antiautoritäre" Linke, voran der SDS, befindet sich - durchaus als logische Folge ihres z. T. aus dem Anarchismus entlehnten ideologischen Selbstverständnisses - organisatorisch in einem desolaten Zustand. Dabei darf man sich jedoch nicht ohne weiteres beruhigen: ihr spontan hervortretender Aktionismus setzt sie instand, bei jedem sich bietenden Anlaß spektakulär in Erscheinung zu treten. Beispiele hierfür wie etwa das Auftreten dieser Gruppen in Westberlin und Frankfurt anläßlich der Vietnam-Demonstration Mitte November - sind allerdings bisher aus Nordrhein-Westfalen kaum bekannt. Bei der Beobachtung dieser Gruppen, die zwar in unserem Lande nicht so aufsehenerregend wirksam werden konnten wie in anderen Bundesländern, aber doch wegen des überregionalen Zusammenhanges der studentischen Protestbewegung auch hier eine potentielle Gefahr darstellen, ist ohne eingehendere Informationen nicht auszukommen. Im einzelnen ist zur APO im Sinne einer Schilderung der Schwerpunkte dieses sehr weiten, vielgestaltigen und wenig übersichtlichen Bereiches linksradikaler Aktivität folgendes zu sagen: Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann beim SDS von einer festgefügten Organisation nicht mehr gesprochen werden. Drei der fünf Mitglieder des Bundesvorstandes sind kürzlich aus diesem Vorstand ausgeschieden, um wieder in ihren Basis-Gruppen arbeiten zu können. Der für Herbst 1969 vorgesehene Bundeskongreß mußte auf Anfang 1970 verlegt werden, weil keine Aussicht bestand, ihn bei der derzeitigen Situation im SDS mit Erfolg durchzuführen. Die Situation im Landesbereich Nordrhein-Westfalen stellt sich wie folgt dar: Der nordrhein-westfälische Landesverband des SDS ist schon seit längerer Zeit nicht mehr aktiv in Erscheinung getreten. Das hängt damit zusammen, daß er in den Händen des KP-orientierten SDS-Flügels war und von den "Antiautoritären" offenbar als für ihre Absichten nicht verwendbar angesehen und fallengelassen wurde. Über die örtlichen Gruppen ist aus letzter Zeit im wesentlichen bekannt: Aachen Die Gruppe tritt nur selten noch öffentlich in Erscheinung. Sie hat jedoch Einfluß auf den AStA der TH. Bielefeld (Kirchliche Hochschule) Die immer nur kleine Gruppe ist nicht mehr aktiv. Bochum Es besteht noch eine Gruppe mit ca. 50 Mitgliedern, die einigen Einfluß im AStA der Ruhruniversität hat und auch in der Redaktion der "Bochumer Studenten Zeitung" vertreten ist. Die Gruppe ist intern recht aktiv, hat jedoch erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. Es bestehen Anzeichen dafür, daß ein Teil der Gruppe wegen der mangelnden Organisation zur KPD/ML tendiert. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 27 Anmerkung zur KPD/ML: Die KPD/ML wurde Ende 1968 in Hamburg von einem ehemaligen KPDFunktionär gegründet. Sie bekennt sich zum Kommunismus chinesischer Prägung und hat im Bundesgebiet etwa 1.000 Mitglieder. Im Januar 1969 wurde in Nordrhein-Westfalen ein Landesverband gegründet. Dieser bemüht sich, in einigen Städten Ortsgruppen oder Kreisverbände aufzubauen. Bonn Über diese Gruppe sind im Laufe des Jahres nur wenige Informationen angefallen. Köln Eigenständig tritt die Gruppe kaum noch auf. Funktionäre der Gruppe waren jedoch an studentischen Aktionen in der Universität beteiligt. Auch tauchte die Bezeichnung SDS mehrfach bei Veranstaltungen als Mitveranstalter (zuletzt am 15.11.) auf. Nach letzten Informationen haben sich Mitglieder des SDS zu einer Kommune zusammengeschlossen. Münster Die Gruppe ist nicht mehr aktiv. Mitglieder der Gruppe sind jedoch an studentischen Aktionen immer noch beteiligt. Siegen Keine Aktivität. Über SDS-Mitglieder bestehen jedoch Kontakte zum SDSBundesvorstand, wie im Sommer 1969 bei Aktionen des RC Siegen erkennbar wurde. Die ideologischen Diskussionen, aber auch Aktionsplanungen finden im übrigen in einer Vielzahl von sog. Projektund Basisgruppen sowie "Roten Zellen" statt, wobei von dort aus auch Verbindungen zur arbeitenden Jugend (Lehrlingskomitees) und zu Schülergruppen gesucht bzw. gepflegt werden. Linksradikal beeinflußte Lehrlingskomitees In Nordrhein-Westfalen gibt es etwa 10 Lehrlingskomitees, die unter linksradikalem Einfluß stehen, allerdings vorwiegend unter dem Einfluß der dem "konventionellen", KP-orientierten Linksradikalismus zuzurechnenden SDAJ. An linksradikalen, vor allem unter dem Einfluß des SDS-nahen "Aktionszentrums Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS) arbeitenden Schülergruppen gibt es ca. 25 in unserem Lande. Bei dem Versuch, den "antiautoritären" linksextremen Gruppen einen gewissen Zusammenhalt zu geben, spielt ein Kreis um die Westberliner APO(und SDSnahe) Zeitschrift "Rote Pressekorrespondenz" eine führende Rolle. "Spartakus-Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS) Der orthodoxe, DKP-orientierte Marxismus-Leninismus Moskauer Richtung hat im Bereich der radikalen Studentenbewegung inzwischen eine selbständige organisa- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 28 torische Basis gefunden. Es handelt sich um die Anfang 1969 gegründete Vereinigung "Spartakus-Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS). Sie kennt nach einer in ihrem Publikationsorgan "Facit" abgedruckten Erklärung * SDS-Gruppen, die insgesamt marxistische Positionen vertreten, * marxistische Fraktionen in SDS-Gruppen und * Gruppen marxistischer Studenten außerhalb des SDS. Die AMS hat sich bisher nur örtlich und nicht auf Bundesebene konstituiert. Die einzelnen Gruppen stehen jedoch in Verbindung und führen Beratungen auf Bundesebene durch, wobei die Münchener Gruppe, die auch das Organ der AMS "Rote Korrespondenz" und die "Roten Blätter" herausgibt, gewisse zentrale Funktionen übernommen hat. Z. Z. bestehen im Bundesgebiet ca. 17 Spartakus-Gruppen, hiervon sechs in Nordrhein-Westfalen (Bochum, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Münster, Wuppertal). Die ursprünglich dazugehörende Gruppe Münster hat inzwischen ihre Auflösung beschlossen. Der größere Teil der Mitglieder will sich der DKPHochschulgruppe anschließen. Im "antiautoritären" Rest-SDS zeigen sich bei den organisatorisch disziplinierteren Teilen Tendenzen, ihre politische Heimat in der KPD/ML zu suchen. Anti-Bundeswehr-Kampagne Bevorzugtes Zielobjekt aller linksradikalen Bestrebungen ist die Bundeswehr. Dabei tritt der prinzipielle Pazifismus zunehmend gegenüber einer an Denkkategorien des Marxismus-Leninismus geschulten politisierten Kampagne gegen die Bundeswehr und das NATO-Bündnis zurück. Neben der noch mehr pazifistisch eingestellten Deutschen Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK - inzwischen fusioniert -) ist im Zusammenhang mit der Anti-Bundeswehr-Kampagne besonders der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) hervorzuheben, der früher sozusagen "rechts" von der IdK stand. Jetzt ist der VK, der zunehmend unter den Einfluß des SDS geriet, wegen dieser Entwicklung "links" davon einzuordnen. Erwähnenswert ist noch ein als Bundeskongreß angekündigtes Treffen der Kriegsdienstverweigerer und Ersatzdienstleistenden, das vom 07. -09.11.1969 in Köln auf Einladung des Arbeitskreises Kriegsdienstverweigerung im dortigen Republikanischen Club veranstaltet wurde. Auf dieser Zusammenkunft sollte der Widerstand gegen behauptete Einschränkungen des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung und anderer Grundrechte sowie gegen eine Verlängerung des Ersatzdienstes erörtert werden. Auch auf diesem Treffen wurde die Absicht deutlich, von einem als abstrakt empfundenen grundsätzlichen Pazifismus wegzukommen und die Kampagne gegen die Bundeswehr sowie gegen den Ersatzdienst politisch zu führen. Dabei neigen die politisch bewußten Teile der Kampagne zu der Auffassung, daß der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nach Eintritt in die Bundeswehr gestellt werden solle, weil dies ein wünschenswertes Element der Verunsicherung der Bundeswehr sei. Von den vielen Einzelprojekten, die auf der Veranstaltung diskutiert wurden, sei als Beispiel der Plan genannt, bei den Einwohnermeldeämtern den Versuch zu unternehmen, die Namen der Wehrpflichtigen jahr- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1969 29 gangsweise festzustellen, um sie in großer Zahl schon vor der Musterung namentlich anzuschreiben und politisch gegen die Bundeswehr zu beeinflussen. Entwicklungstendenzen Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die linksradikale Protestbewegung zu einer bedeutenden Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung werden kann, läßt sich nach der gegenwärtigen Erkenntnislage kaum sagen. Die Parolen der Linksradikalen werden aber umso weniger auf die Dauer und nachhaltig Anklang finden, je mehr die freiheitliche Demokratie in ihrer nach der Verfassung gültigen parlamentarisch-repräsentativen Form vor allem vor der Jugend und den Heranwachsenden innerlich akzeptiert wird. Darüber kann der Verfassungsschutz, der nur den im Sinne seiner Zuständigkeit einschlägigen Teil der APO-Aktivitäten beobachtet, freilich keine sichere Aussage machen. Immerhin sieht es so aus, als ob in unserem Lande, insbesondere auch im Industrierevier, aufgrund des nüchternen Realismus gerade in der Arbeiterschaft radikale Ideologien weniger Resonanz hätten. Das hat sich u.a. gezeigt, als neben der DKP auch der SDS und andere linksradikale APO-Kreise sich während der wilden Streiks im September bei den Arbeitern anbiedern wollten. Im Hochschulbereich mag es anders sein. Gewaltsamkeit und andere Exzesse der linken studentischen Protestbewegung hat es zwar in Nordrhein-Westfalen nicht in dem Ausmaße gegeben wie anderswo. Jedoch scheint der KP-orientierte Linksradikalismus an den Universitäten und Hochschulen unseres Landes auf Kosten der "Antiautoritären" Fortschritte zu machen. Sorgfältige und intensive Beobachtung ist daher geboten.