Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 1 Inhaltsverzeichnis 1 Linksradikalismus ............................................................................ 2 1.1 Illegale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ..........................................2 1.2 Führungsgremien der KPD..................................................................................2 1.3 KPD in NW ..........................................................................................................2 1.4 Sonderapparate der KPD ....................................................................................3 1.5 Mitgliederwerbung ...............................................................................................3 1.6 Kommissionen .....................................................................................................4 1.7 "Offene Arbeit".....................................................................................................4 1.8 Unterstützung durch FDGB .................................................................................5 1.9 Infiltrationsbemühungen ......................................................................................6 1.10 Kommunistische Aktivitäten ausländischer Organisationen ..............................8 1.11 Kommunistische Hilfsorganisationen.................................................................8 1.12 Linksradikale Jugendorganisationen ...............................................................10 1.13 Zusammenfassung ..........................................................................................13 2 Rechtsradikalismus ....................................................................... 14 2.1 Wahlerfolge der NPD.........................................................................................14 2.2 Rückblick ...........................................................................................................16 2.3 Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung (DNZSZ)..............................19 2.4 Weitere rechtsextreme Publizistik......................................................................20 2.5 Gesellschaft zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Forschung e.V. .......21 2.6 Gesellschaft für freie Publizistik.........................................................................21 2.7 Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes .....................................................21 2.8 Organisierter Rechtsradikalismus......................................................................22 2.9 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ..........................................23 2.10 NPD in NRW....................................................................................................24 2.11 Gesamtsituation der NPD................................................................................25 2.12 Bemerkung zum Rechtsradikalismus ..............................................................26 Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 2 1 Linksradikalismus Im Mittelpunkt der linksradikalen Bestrebungen in unserem Lande stand auch im Jahre 1966 - wie bisher - die illegale KPD. 1.1 Illegale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Die KPD steht voll auf dem Boden der Deutschland-Politik der SED. In Übereinstimmung mit der SED vertritt sie daher die Auffassung, daß eine Wiedervereinigung nicht aktuell ist. Auch eine sogenannte Konföderation kann nach ihrer Meinung erst dann ins Auge gefaßt werden, wenn es den "fortschrittlichen Kräften" gelungen ist, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande so umzugestalten, daß die Bundesrepublik "konföderationsfähig" geworden ist. Die KPD ist sich dabei ihrer begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik bewußt. Sie sieht daher ihre Aufgabe im Augenblick darin, a) ihre Anhänger und Funktionäre in einer handlungsfähigen Organisation zusammenzufassen, die sowohl im Untergrund als auch in der Öffentlichkeit politisch zu arbeiten vermag; b) von dieser organisatorischen Plattform aus vor allem in die Gewerkschaften und in die SPD einzudringen, um zu einer "Aktionseinheit der Arbeiterklasse" zu gelangen; c) über diese "Aktionseinheit der Arbeiterklasse" hinaus mit Unterstützung von Hilfsorganisationen alle oppositionellen Kräfte zu einer "breiten Volksbewegung für die Erhaltung des Friedens" zusammenzuführen. Die Faustregel dieser kommunistischen Bestrebungen lautet: "Statt Revolution - Infiltration". 1.2 Führungsgremien der KPD Die Führungsgremien der KPD gliedern sich in a) das Zentralkomitee (ZK) mit Max REIMANN als 1. Sekretär, das sich aus etwa 40 Funktionären zusammensetzt, darunter 9 bis 10 Funktionären, die aus Nordrhein-Westfalen stammen oder hier wohnen, b) das Politbüro, c) das Sekretariat, das sich in verschiedene Abteilungen (Kader und Organisation, Agitation und Propaganda) und Kommissionen (z.B. Zentrale Gewerkschaftskommission) unterteilt, d) die "Zentrale Parteikontrollkommission" (ZPKK), das Sicherheitsaufgaben innerhalb der KPD wahrnimmt. 1.3 KPD in NW In Nordrhein-Westfalen sind nach wie vor 4 Bezirksleitungen - Niederrhein, Mittelrhein, Ruhrgebiet und Westfalen-Ost - tätig. Die Bezirksleitungen haben keinen festen Sitz. Die Funktionäre treffen sich an ständig wechselnden Orten, zum Teil in den Wohnungen vertrauenswürdiger Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 3 Genossen, z.T. in Gaststätten. In diesen 4 Bezirken sind etwa 3.500 bis 4.000 Mitglieder und Funktionäre (es handelt sich um die Hälfte aller KPD-Mitglieder in der Bundesrepublik) zu einer straff gegliederten Organisation zusammengefaßt. Die Bezirksleitungen setzen sich aus mehreren (3 bis 5) bewährten Spitzenfunktionären zusammen, die direkten Kontakt mit dem Apparat in Ost-Berlin unterhalten und mit Hilfe von "Instrukteuren" die Kreisleitungen und vor allem die Betriebsgruppen anleiten. Zur Zeit sind in Nordrhein-Westfalen 17 Kreisleitungen erkannt, weitere 10 werden vermutet. 22 Betriebsgruppen konnten festgestellt werden, in weiteren 52 Betrieben bestehen Anhaltspunkte für das Vorhandensein solcher Gruppen. 1.4 Sonderapparate der KPD Neben dieser eigentlichen politischen Organisation bestehen - auch in NordrheinWestfalen - eine Reihe von Sonderapparaten, die direkt von Ost-Berlin angeleitet werden und streng konspirativ arbeiten. Hier sind zu nennen der Literaturvertriebsapparat, der sich hauptsächlich mit der Verbreitung der zentralen Schriften "Freies Volk" und "Wissen und Tat" befaßt, der geheime Postkurierapparat und der Abwehrapparat. Der Abwehrapparat ist der verlängerte Arm der Zentralen Parteikontrollkommission und ausschließlich mit erprobten älteren Funktionären besetzt, die bereits vor 1933 Zersetzungsarbeit - vor allem gegen die Polizei - geleistet haben. Während dieser Abwehrapparat früher nur damit befaßt war, politisch unzuverlässige Parteimitglieder und gegnerische Agenten ausfindig zu machen, bemüht er sich in immer stärkerem Maße, echte Zersetzungsarbeit gegen die staatlichen Abwehrorgane zu leisten. So sammelt der Apparat über Angehörige des Verfassungsschutzes, der Justiz und der Polizei Informationen, die oftmals für verleumderische Angriffe propagandistisch ausgewertet werden. Ziel dieser Angriffe ist es, die Tätigkeit der staatlichen Abwehrorgane in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, sie zu beeinträchtigen oder gar lahmzulegen. In den an die Zonengrenze anschließenden Bundesländern gibt es daneben noch einen sog. "Grenzschleusungsapparat". Ihm gehören auch einige kommunistische Funktionäre unseres Landes an, die Postund Geldkuriere von der Demarkationslinie nach Nordrhein-Westfalen führen. 1.5 Mitgliederwerbung Im Rahmen der dargelegten Aufgabenstellung sind die Kommunisten bemüht, ihre Parteiorganisation durch die Werbung neuer, vor allem jüngerer Mitglieder auszubauen. In den vergangenen Jahren sind zu diesem Zweck eine Reihe von "Parteiaufgeboten" durchgeführt worden, die jedoch nicht den erhofften Erfolg brachten. Es ist jedoch festzustellen, daß die Kinder der alten KPD-Funktionäre heute bereitwilliger als noch vor einigen Jahren zu einer Mitarbeit in der illegalen KPD bereit sind. Dennoch dürfte die Zahl der neu geworbenen jüngeren Mitglieder unter 100 liegen. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 4 1.6 Kommissionen Organisatorisch hat sich die Arbeitsbasis der KPD verbreitert. Auf allen Organisationsstufen sind Kommissionen gebildet worden, in denen besonders geeignete Funktionäre zusammengefaßt werden. So bestehen z.B. auf Bezirksund Kreisebene sog. Propagandakommissionen, die sich mit der internen Parteischulung in der Bundesrepublik befassen. Die Mitglieder und Funktionäre der illegalen KPD werden zusätzlich auch längeren Schulungen in der SBZ unterzogen, so im Edgar-Andre-Heim in Gross-Dölln/Schorfheide in den Einjahreslehrgängen und in Oderberg in Wochenlehrgängen. Ältere, meist in früheren Lehrgängen bewährte Kommunisten werden schließlich zusammen mit Gesinnungsgenossen aus den anderen sog. kapitalistischen Ländern auch in Moskau geschult, und zwar in Halbjahresoder Zweijahreslehrgängen. Ein wichtiger Faktor kommunistischer Arbeit sind weiterhin die ebenfalls auf Bezirksund Kreisebene bestehenden Gewerkschaftskommissionen, die für die Infiltration und Zersetzung der Gewerkschaften zuständig sind. Ich komme später noch einmal darauf zurück. Mit Hilfe der SED ist es der illegalen KPD gelungen, seit einiger Zeit auch die kommunistischen Parteien Österreichs, Italiens, Frankreichs und der Beneluxländer für eine Unterstützung ihrer Arbeit zu gewinnen. So fanden Treffen von Bezirksleitungsmitgliedern aus Nordrhein-Westfalen in Geheimquartieren der KP der Niederlande statt. Die kommunistischen Parteien Österreichs, Frankreichs und Schwedens drucken in zunehmendem Maße Agitationsschriften für die KPD, die über die Grenze eingeschleust und durch den Literaturvertriebsapparat verbreitet werden. 1.7 "Offene Arbeit" Auch eine intakte Parteiorganisation kann nicht politisch wirksam werden, wenn sie es nicht versteht, an die Öffentlichkeit zu treten. Diesem Zweck dient die sog. "Offene Arbeit". Die KPD sieht in dieser Taktik ein wirksames Mittel, nicht nur ihre politische Agitation relativ gefahrlos wirksam werden zu lassen, sondern auch das Problem des KPD-Verbots ständig im Gespräch und im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu halten. Die Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbots ist neben der Agitation gegen die Notstandsgesetze, die besonders bei der Unterstützung des Ende Oktober 1966 veranstalteten Frankfurter Kongresses "Notstand der Demokratie" in Erscheinung trat, Schwerpunkt der offenen Arbeit. In jüngster Zeit verlagert sich das Schwergewicht auf ein sog. Wirtschaftsprogramm, das unter der Überschrift "Für eine stabile Friedenswirtschaft zum Wohle des Volkes" verbreitet wird. In diesem Programm wird u.a. gefordert: a) Herabsetzung der Rüstungsausgaben um mindestens 5 Milliarden Mark, b) Beendigung der Waffenkäufe in den USA, c) Verkürzung der Wehrdienstzeit auf 12 Monate, d) höhere Besteuerung der Einkommen und Vermögen von Millionären und Groß-Konzernen, Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 5 e) Hebung der Kaufkraft des Volkes durch Erfüllung der gewerkschaftlichen Forderungen nach erhöhten Löhnen und Gehältern. Wesentlichstes Propagandamittel der offenen Tätigkeit der KPD in NordrheinWestfalen ist die wöchentlich in einer Auflage von etwa 10.000 Stück erscheinende Zeitung "tatsachen". Verlagsleitung, Redaktion und Vertriebsleitung befinden sich in den Händen geschulter KPD-Funktionäre, die von der illegalen KPD in diese Funktionen eingesetzt und daher von der übrigen Parteiarbeit freigestellt worden sind. Diesen Funktionären ist aufgegeben, sich streng an die politischen Weisungen der KPD zu halten. Nach gesicherten Erkenntnissen arbeitet die Zeitung mit einem erheblichen monatlichen Defizit von mehreren 1.000,00 DM. Schon daraus kann gefolgert werden, daß sie von den Stellen finanziert wird, deren Linie sie konsequent vertritt. Im übrigen deckt sich diese Folgerung mit dem Erkenntnisstand. Die Zeitung wird durch ein eigenes Vertriebsnetz, das eng mit dem kommunistischen Untergrund verwoben ist, hauptsächlich in den Großstädten des Ruhrgebiets verbreitet. Die KPD hofft, mit den "tatsachen" entscheidenden Einfluß auf die politische Haltung der Ruhr-Bevölkerung nehmen zu können. Weitere Beispiele der offenen Arbeit sind: a) Das Einsenden von Leserbriefen an Zeitschriften und Zeitungen; b) Unterschriftensammlungen und Petitionen, die vorwiegend der Aufhebung des KPD-Verbots gelten; c) Versand offener Briefe, Wahlbriefe und Wahlbroschüren, so von Spitzenfunktionären der illegalen KPD; d) Veranstaltungen öffentlicher Versammlungen zur Frage des KPD-Verbots sowie Pressefeste der Zeitung "tatsachen". So nahmen am letzten Pressefest Anfang September 1966 in Solingen etwa 1.500 Personen teil, vorwiegend Mitglieder oder frühere Mitglieder der KPD. Das bereits erwähnte Wirtschaftsprogramm wird - wie auch die übrigen kommunistischen Programmpunkte und Ziele - nicht nur in der Zeitung "Freies Volk" verbreitet, sondern auch in sowjetzonalen Agitationsschriften. In den Jahren 1965 und 1966 wurden monatlich etwa 500.000 dieser Schriften auf dem Postwege, durch Vertriebsapparate und durch Gelegenheitskuriere - wie z.B. SBZ-Reisende - in das Bundesgebiet eingeschleust. Besonders aktiv arbeitet der Vertriebsapparat der "Selbständigen Abteilung" des sowjetzonalen Verteidigungsministeriums mit seinen Hetzschriften Visier, Rührt Euch, Contra, Die Kaserne und anderen Druckschriften, die entweder eingeschleust oder im Bundesgebiet zur Post gegeben und mit gefälschten Absendern versehen werden. Eingeschleust werden ferner Westausgaben der SED-Bezirkszeitungen, so für Nordrhein-Westfalen Der Kurier, eine Ausgabe dreier großer sowjetzonaler Bezirkszeitungen. 1.8 Unterstützung durch FDGB In der kommunistischen Westarbeit der SED spricht der FDGB nach wie vor ein gewichtiges Wort mit. Die Beobachtung seiner Tätigkeit im Jahre 1966 ließ erkennen, daß der Schwerpunkt der Infiltration sich noch stärker als vorher auf die Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 6 westdeutschen Gewerkschaften verlagert hat. Häufig reisen FDGB-Funktionäre unter der Legende eines Dienstauftrages in die Bundesrepublik ein, d.h., sie geben vor, sie seien Abgesandte volkseigener Betriebe oder Bildungsanstalten und wollten westdeutsche Vertragsfirmen oder Volkshochschulen besuchen. Sie wurden in zahlreichen Fällen von den aufgesuchten gewerkschaftlichen Stellen abgewiesen, konnten aber in einzelnen Fällen Kontakte aufnehmen. Die zweimal jährlich z.Zt.. der Leipziger Messe stattfindenden "Deutschen Arbeiterkonferenzen" waren auch im Jahre 1966 wieder ein Kernpunkt der Infiltrationstätigkeit des FDGB. An der 23. Arbeiterkonferenz im März 1966 nahmen etwa 1.100 Personen aus der Bundesrepublik teil, an der 24. Arbeiterkonferenz im September 1966 weitere 800 bis 1.000 Personen. Davon wurden 300 bzw. 250 Personen aus Nordrhein-Westfalen erkannt. Schließlich lud der FDGB - wie schon seit Jahren - Gewerkschafter zum Besuch der SBZ und zur Teilnahme an politischen Veranstaltungen ein, um den von der SED propagierten "tausendfachen Dialog" zu fördern. Die im Anschluß an die Kleine Anfrage des Abg. NETTA vor einiger Zeit veröffentlichten Meldungen einiger Gewerkschaftsfunktionäre, wonach sowjetzonale Stellen Bergarbeiter des Ruhrgebiets für eine Beschäftigung in mitteldeutschen Bergwerken abwürben, haben sich nicht bestätigt. 1.9 Infiltrationsbemühungen An dieser Stelle möchte ich noch einige Gedanken zu den kommunistischen Infiltrationsbemühungen einfügen: Die Tätigkeit der illegalen KPD und ihrer Hilfstruppen in der Bundesrepublik sowie die "Westarbeit" der SED und der sowjetzonalen Massenorganisationen sind vornehmlich darauf ausgerichtet, von "unten" her in die Gewerkschaften und in die SPD einzudringen oder zumindest politisch verwertbare Kontakte herzustellen. Man sieht in dieser Taktik der Anbiederung und Umarmung in der augenblicklichen Situation die einzige Möglichkeit, Einfluß auf die organisierte Arbeiterschaft und damit auf einen wesentlichen politischen Faktor in der Bundesrepublik zu gewinnen, um näher zum Ziele der "Aktionseinheit" zu gelangen. Die Methoden, die angewandt werden, sind eine Kombination von offener und konspirativer Arbeit. In den Gewerkschaften, insbesondere in unteren Organisationsstufen bestimmter Industriegewerkschaften, werden die Kommunisten oft nach den Grundsätzen der offenen Arbeit tätig. Sie bekennen klar, daß sie Anhänger der KPD sind, bemühen sich jedoch gleichzeitig, vorbildliche Gewerkschaftsfunktionäre zu sein. Auf diese Weise war und ist es ihnen möglich, ehrenamtliche Funktionen (z.B. als Vertrauensmänner oder Delegierte) zu erhalten. Soweit die Kommunisten durch aktives Hervortreten nicht weiter kommen, versuchen sie, durch konspirative Methoden, z.B. durch geheime Absprachen bei Betriebsratswahlen, ihren Einfluß in der Gewerkschaft zu verstärken. Ein typisches Beispiel kommunistischer Infiltrationstaktik bot die schon erwähnte Vorbereitung des Frankfurter Kongresses. Die KPD hatte alle Funktionäre, insbesondere die Gewerkschaftskommissionen, angewiesen, Verbindungen zu den Gewerkschaften auszunutzen, um in Betrieben Solidaritätsaktionen zu organisie- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 7 ren und eine Massenbeteiligung sicherzustellen. Erstmals, so sagten die Kommunisten, werde bei dieser Aktion ein Bündnis zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft sichtbar. Die kommunistischen Bemühungen waren mannigfaltig und nicht erfolglos. Im übrigen sind jedoch die Erfolge der Kommunisten in den Gewerkschaften, wenn man Größe und Gewicht ihres Funktionärkörpers berücksichtigt, gering. Weitaus schwieriger sind die Infiltrationsversuche der Kommunisten und ihrer Helfer gegen die SPD. Die SPD verfügt über langjährige praktische Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit den Kommunisten. Die Kommunisten wissen das. Ihre Methoden sind daher subtiler und - soweit es sich nicht um die übliche offene Agitation handelt - nach den Grundsätzen der Konspiration angelegt. Daß man die SPD, ihre Politik und ihre Organisation eingehend beobachtet und ihre Pressedienste, Flugschriften usw. auswertet, ist selbstverständlich. Aber man versucht auch - und zwar in einem nicht unerheblichen Ausmaß und mit großer Aktivität und Hartnäckigkeit - "Vertrauensleute" - vornehmlich auf der unteren Organisationsstufe der Partei - einzuschleusen, denen u.a. aufgegeben wird, Informationen über alle personellen, organisatorischen und politischen Vorkommnisse in der Partei zu beschaffen, Anschriftenmaterial für gezielte Briefaktionen der verschiedenen kommunistischen Agitationsund Propagandaapparate zu besorgen, durch sorgfältig abgewogene Diskussionsbeiträge oder Anträge zu Delegiertenversammlungen Einfluß auf die Politik zu nehmen sowie neue Vertrauensleute zu werben und möglichst Zellen zu bilden, die in Opposition zur Parteiführung stehen und eine radikalen Kurs im Sinne der KPD/SED vertreten sollen. Daneben ist man bemüht, durch Einladungen zu politischen und kulturellen Veranstaltungen und zu Erholungsaufenthalten in der SBZ und den Ostblockstaaten Kontakte zu erzielen. Bestimmten Hilfsbzw. Tarnorganisationen, auf die ich später noch zu sprechen komme, ist die spezielle Aufgabe zugewiesen, von außen auf die Politik der SPD einzuwirken und gleichzeitig als Auffangbecken für ausgeschlossene und ausgetretene Parteimitglieder zu dienen. Insbesondere seit Bildung der großen Koalition glaubt man gewisse Vorbehalte in SPD-Kreisen gegenüber der Regierungsneubildung als Ansatzpunkt für Infiltrationsbemühungen ausnutzen zu können. Diese Bemühungen, Kontakte zu Mitgliedern und Funktionären der SPD herzustellen, sind durchweg gescheitert. Die Kommunisten wurden entweder kurzerhand ganz abgewiesen oder in Diskussionen verwickelt, die ihnen keine Möglichkeit gaben, ihre Aufträge zu erfüllen. Soweit es ihnen in Einzelfällen gelang, Mitglieder der SPD für eine Teilnahme an en üblichen Propagandaveranstaltungen in der SBZ zu gewinnen, zögerte die Partei nicht, sich - notfalls durch Ausschluss - von solchen Mitgliedern zu trennen und damit die Zersetzungsversuche der Kommunisten abzuwehren. Dem ZK der KPD bleibt auch in solchen Fällen nichts anderes übrig, als an seine an alle KPD-Funktionäre gerichtete Weisung zu erinnern, man solle nicht die Nerven verlieren, sondern trotz aller Schwierigkeiten weiter versuchen, kameradschaftlich mit den SPD-Mitgliedern zu diskutieren. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 8 1.10 Kommunistische Aktivitäten ausländischer Organisationen Noch ein Wort zu den Gastarbeitern. Unter den etwa 350.000 Gastarbeitern im Lande Nordrhein-Westfalen ist eine kommunistische Agitation besonders bei den Spaniern, Griechen, Italienern und Türken festzustellen. So wurden von 8 Ländern der Ostblockstaaten und der SBZ laufend fremdsprachige Sendungen - von zum Teil mehrstündiger Dauer - in die Bundesrepublik ausgestrahlt. Die kommunistischen Parteien dieser Länder verbreiten ferner in erheblichem Umfange Propagandaschriften. Schließlich haben die spanische KP und die EDA, die Ersatzorganisation der griechischen KP, in der Bundesrepublik ein Netz geheimer Stützpunkte aufgebaut. Wenngleich bei der Beobachtung dieser kommunistischen Aktivität vorerst nur Ansätze einer organisierten geheimen Verbindung zwischen der KPD und den kommunistischen Parteien der Heimatländer der Gastarbeiter zu erkennen sind, so wird sich doch auf die Dauer die Gefahr einer Beeinträchtigung unserer verfassungsmäßigen Ordnung nicht ausschließen lassen. Denn am 22.10.1966 erklärte Radio Prag, in der Bundesrepublik gebe es in der Arbeiterklasse genügend Kräfte, die in der Lage wären, die Notstandsgesetzgebung zu verhindern. Es sei daher die Pflicht aller ausländischen Arbeiter in der Bundesrepublik, sich der Bewegung gegen die Notstandsgesetze anzuschließen. 1.11 Kommunistische Hilfsorganisationen Die kommunistischen Hilfsorganisationen sahen sich durch die Bildung der Großen Koalition in Bonn zu Überlegungen veranlaßt, in welcher Weise die prokommunistische Opposition am besten außerparlamentarisch und auch parlamentarisch aktiviert werden kann. Die "Deutsche Friedens-Union" will bis 1969 eine "Bürgerrechtsbewegung" als eine Dachorganisation der "demokratischen Opposition" zustandebringen. Alle beteiligten Gruppen sollen unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit eine oppositionelle Politik auf breitester Basis betreiben und einen gemeinsamen Bundestagswahlkampf führen. Der "Bund der Deutschen" unterstützt diesen Plan. Die DFU strebt bereits zu den Landtagswahlen 1967 in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein (beide am 23. April) sowie in Niedersachsen (4. Juni) ein breites Wahlbündnis an. Das KPD-Zentralkomitee hat die Parteiorganisationen im Bundesgebiet angewiesen, diese Bestrebungen zu fördern und darauf hinzuwirken, daß die DFU für die Arbeiter attraktiver werde. Auf den Listen der DFU oder einer Wahlunion sollen auch qualifizierte Kommunisten kandidieren. Die kommunistischen Hilfsorganisationen konzentrieren im Jahre 1966 ihre Bemühungen auf die Veranstaltung von "gesamtdeutschen Gesprächen", um den Beauftragten der SBZ Gelegenheit zu geben, ihre Vorstellungen vor allem in der Deutschlandpolitik vor der westdeutschen Öffentlichkeit darzulegen. Im ersten Halbjahr 1966 reisten zu diesem Zweck 193 Delegationen (610 Personen) und 63 Einzelfunktionäre in das Bundesgebiet ein. Von Juli bis einschließlich September 1966 waren es weitere 72 Delegationen (211 Personen) und 21 Ein- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 9 zelfunktionäre. Mehr als die Hälfte dieser Delegationen und Einzelreisenden kamen nach Nordrhein-Westfalen. Wie bekannt, hatte die SED den Redneraustausch mit Spitzenvertretern der SPD abgelehnt. Statt dessen verstärkte sie ihre Propaganda für den sogenannten "Dialog von unten". Sie wies die kommunistischen Hilfsorganisationen an, jede Gelegenheit auszunutzen, "gesamtdeutsche" Foren zu veranstalten. Vornehmlich die DFU aktivierte ihre Bemühungen, Veranstaltungen dieser Art durchzuführen. Im Jahre 1966 veranstalteten in Nordrhein-Westfalen die "Deutsche Friedens-Union (DFU)", die "Demokratische Wähler-Union (DWU)", der "Bund der Deutschen (BdD)", (im Hintergrund) die "Deutsche Volkszeitung (DVZ)", die "Vereinigung der Verfolgten des Nazisregimes (VVN)", der (kommunistisch beeinflußte) Initiatorenkreis Oberhausen, die "Vereinigung Unabhängiger Sozialisten (VUS)" und der "August-Bebel-Kreis", Gevelsberg, insgesamt 25 gesamtdeutsche bzw. Ost-West-Gespräche, an denen rund 5.000 Personen teilnahmen. Sie fanden vornehmlich in Städten des rheinisch-westfälischen Industriegebiets statt. Weitere Veranstaltungen sind geplant. Während die SED-Führung die Veranstaltungen als einen willkommenen Ersatz für die ihr unbequeme Auseinandersetzung mit den Spitzen der SPD ansieht, erblicken DFU und die anderen Träger der Foren darin die Chance, sich als Wortführer der außerparlamentarischen Opposition ins Spiel bringen zu können. Die sowjetzonale Seite ist bei den Foren in den meisten Fällen durch Funktionäre der zweiten und dritten Linie vertreten. Oft sind es Funktionäre der Bezirksebene oder Volkskammerabgeordnete ohne politischen Rang. In einigen Fällen reisten allerdings auch führende Funktionäre der SBZ - trotz des sogenannten Handschellengesetzes - in das Bundesgebiet ein. Zurückweisungen an der Demarkationslinie oder Abschiebungen sowjetzonaler Delegationen oder Funktionäre sind seit dem 28.8.1965 von nordrheinwestfälischen Behörden nicht mehr veranlaßt worden. (Der letzte Fall war der der Abschiebung von 23 FDJund Betriebsjugendfunktionären, die an einem gesamtdeutschen Jugendtreffen in Oberhausen teilnehmen wollten.) Die Praxis der Länder ist allerdings nicht einheitlich. Auf Veranlassung des bayerischen Innenministeriums wurden kürzlich zwei SBZ-Funktionäre, die auf DFUForen in Bayern auftreten wollten, an der Demarkationslinie zurückgewiesen. Ein weiterer, der ehem. SBZ-Staatssekretär für Kirchenfragen, erhielt "Platzverweis". Drei SBZ-Funktionäre, die zu einem DFU-Forum nach Kaiserslautern wollten, wurden auf Veranlassung des rheinland-pfälzischen Innenministeriums ebenfalls an der Demarkationslinie zurückgewiesen, weil ihr Auftreten der Fortsetzung der Tätigkeit der verbotenen KPD gedient hätte (FAZ v. 24.11.1966). Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 10 Nach unserer Auffassung ist es bedenklich, darin ein geeignetes Mittel der Auseinandersetzung mit Kommunisten zu sehen. Rechtlich besteht die Bindung an das KPD-Verbot. Hier wird es bei der Entscheidung über evtl. verwaltungsexekutive Maßnahmen - ich nenne Veranstaltungsverbot sowie Zurückweisung und Abschiebung - nicht darauf ankommen, wer von drüben kommt, sondern wer hier der Veranstalter ist. Wenn der Veranstalter nachweislich in Fortsetzung der illegalen KPD handelt, kommen solche Maßnahmen in Betracht. Im übrigen aber sollte man - unbeschadet des evtl. Vorliegens sonstiger Gründe für verwaltungsexekutive Schritte - der Konfrontierung und geistigen Auseinandersetzung der freiheitlichendemokratischen Kräfte mit den Vertretern des kommunistischen Regimes in Mitteldeutschland möglichst freien Raum geben. Wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit dem Hamburger Innensenator, der in einem Schreiben an den Bundesinnenminister erklärte, "daß selbstverständlich auch in Zukunft jede organisierte Fortsetzung der verbotenen KPD unterbunden werden wird ... daß (aber) der ohnehin schmale Raum für Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus nicht mehr eingeengt werden sollte, als aus Gründen des Selbstschutzes unserer demokratischen Verfassungsordnung unabdingbar ist." 1.12 Linksradikale Jugendorganisationen Zu der besonders gestellten Frage nach der Situation auf dem Gebiet der linksradikalen Jugendorganisationen darf ich folgendes ausführen: Ausgehend von den Beschlüssen der 3. Tagung des Zentralkomitees im Jahre 1964 versucht die illegale KPD, über ihren Parteiapparat in der Bundesrepublik die Arbeit unter der Jugend auf legaler Basis zu intensivieren. Neben einem Parteiaufgebot zur Werbung Jugendlicher für den Eintritt in die Partei sowie einer groß angelegten Flugblattaktion mit einem "Ruf an die Jugend" im Sommer 1964 wurde der Bildung örtlicher Jugendgruppen, die trotz der direkten Anleitung durch die zuständigen Parteiorganisationen offen auftreten können, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die von der illegalen KPD ab 1964 gegründeten örtlichen Gruppen werden von Instrukteuren der Bezirksleitung, von Funktionären der Kreisleitung oder über Mitglieder der Jugendkommissionen der vorgenannten Parteiorgane angeleitet. Die eigentliche Leitung der Gruppen liegt in Händen von Mitgliedern der illegalen KPD, die daneben auch innerhalb der Parteiorganisationen tätig sind. Auf diese Weise ist ein unmittelbarer Einfluß der Partei auf die Arbeit der Gruppen gewährleistet. Hier sind bisher folgende Gruppen dieser Art bekannt geworden: * "Elan" - Jugendgruppe in Weisweiler (Landkreis Düren) * "Club International", Essen * "Club Liberte", Gelsenkirchen (setzt unter Leitung illegaler KPD-Mitglieder die Tätigkeit des Jugendclubs Gelsenkirchen fort) * "Elan" - Jugendgruppe Köln * "Elan" - Jugendgruppe Siegkreis Die 1954 gegründete "Deutsche Jugendgemeinschaft" steht dem "Bund der Deutschen" nahe und vertritt fast ausschließlich die kommunistische Politik. Die DJG hat etwa 400 Mitglieder, davon etwa die Hälfte in Nordrhein-Westfalen. Sie nimmt Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 11 regelmäßig an den kommunistischen Weltjugendfestspielen teil und unterhält gute Kontakte zum kommunistischen "Weltbund Demokratischer Jugend", zu den Jugendorganisationen der Ostblockstaaten sowie zu gleichgesinnten Gruppen in westlichen Ländern. Ferner gibt es im Landesbereich eine Reihe örtlicher Jugendgruppen, die von e- hemaligen FDJ-Funktionären oder sonstigen kommunistisch beeinflußten Personen gegründet wurden oder geleitet werden. Sie entstanden aus den verschiedensten Anlässen, z.B. im Zusammenhang mit den Weltjugendfestspielen, den Arbeiterjugendkongreßen in der SBZ oder dem Pfingsttreffen der Jugend in Ostberlin 1964. Örtliche Gruppen des "Aktionsausschusses der Jugend aus Hütten und Schächten gegen den Atomtod" gaben sich neue Bezeichnungen und führten unter diesen ihre Tätigkeit weiter. In jüngster Zeit kamen Gruppen hinzu, die sich wegen ihrer linksradikalen Tendenz von demokratischen Jugendorganisationen abspalteten und selbständig weiterarbeiten. In Zusammenhang mit dem Aufkommen der Ostermarschbewegung im Jahre 1960 und der Gründung der DFU um die Jahreswende 1960/61 kam es innerhalb der Sozialistischen Jugend "Die Falken" zu internen Auseinandersetzungen, die in einer Reihe von Fällen zum Ausschluß von Einzelpersonen und kleineren Gruppen führten. Im hiesigen Bereich wurde besonders bekannt der Ausschluß von ca. 48 Angehörigen der "Falken" in Oberhausen, die unter der Bezeichnung "Unabhängige Sozialistische Jugend" (USJ) weiter tätig sind. Im Bereich des Landkreises Mettmann gehören ehemalige Funktionäre der "Falken" zu den führenden Personen des "Limbo-Clubs". Der "Limbo-Club" entstand Ende 1962 unter Beteiligung dieser ausgeschlossenen Funktionäre aus Teilnehmern an den Weltjugendfestspielen 1962 in Helsinki. Er wollten Fahrten ins Ausland, Jugendforen und Aktionen gegen den Krieg und die Atombewaffnung durchführen. In diesem Zusammenhang beteiligt er sich regelmäßig an den Ostermärschen, fuhr 1964 mit einer Abordnung zum Pfingsttreffen der Jugend in Ostberlin und plante für Ende 1964 den Besuch einer FDJ-Delegation aus Halle/SBZ, die an einer Veranstaltung im Kreis Mettmann teilnehmen sollte. Der Club verfügt außerdem über Kontakte zu einer kommunistisch beeinflußten Jugendorganisation in Frankreich. Neben seinen politischen Aktionen sind von dem Club Tanzabende und ähnliche Veranstaltungen durchgeführt worden, auf denen eigene Musikund Gesangsgruppen auftreten. Der Club hat ein eigenes Informationsorgan unter der Bezeichnung "Limbo-Splitter". Es ist nahezu unmöglich, alle Gruppen aufzuführen, die in diesem Zusammenhang genannt werden könnten. Alle diese Gruppen sind zahlenmäßig nicht stark. Auch haben sie kaum eine fest und auf Dauer organisierte Mitgliedschaft. Ihre Aktivität ist unterschiedlich. Als Sprachrohr der linksradikalen Jugendgruppen kann die Zeitschrift "Elan" angesehen werden. Zu ihren Gründern gehört ein ehemaliger FDJ-Funktionär. Bei der Darstellung kommunistischer Bestrebungen unter der Jugend ist die besondere Aktivität eines FDJ-Funktionärs zu erwähnen, der auch für die illegale KPD arbeitet. Dieser war der Hauptinitiator der beiden "Begegnungen junger Arbeiter aus der Bundesrepublik und der DDR" in Oberhausen am 28.8.1965 und Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 12 25./26.6.1966. Zur Fortführung dieser Treffen hat sich der "Initiatorenkreis Oberhausen" gebildet. Das ZK der KPD führte in der Zeit vom 15.-21.10.1966 in einem unbekannten Objekt südlich von Berlin eine Studentenkonferenz durch. Die Teilnehmer wurden mit den Zielen der KPD innerhalb der studentischen Jugend vertraut gemacht und aufgefordert, insbesondere im SDS die Politik der Partei durchzusetzen. Aus Nordrhein-Westfalen nahmen zwei Studenten aus Köln an der Tagung teil. Lassen Sie mich zum Abschluß meiner Ausführungen zur kommunistischen Jugendarbeit noch folgenden Einzelfall schildern: Die internationale Dachorganisation der prokommunistischen Widerstandskämpferund Verfolgtenorganisation "Federation Internationale des Resistants" (FIR) veranstaltet in jedem Sommer im Rahmen ihrer "Kinder-Ferien-Aktion" Ferienlager für Kinder aus den ihr angeschlossenen nationalen Organisationen, und zwar sowohl in Ostblockstaaten als auch in westlichen und neutralen Ländern. Auch die VVN, die der FIR korporativ angehört, verschickt jedes Jahr Kinder ihrer Mitglieder in diese Ferienlager. Über den diesjährigen Aufenthalt einer solchen Gruppe von 13 bis 14-jährigen - auch aus Nordrhein-Westfalen - in einem Ferienlager auf der Halbinsel Krim in der Sowjetunion konnten die folgenden interessanten Einzelheiten aus verläßlicher Quelle in Erfahrung gebracht werden: Maßgebend für die Gestaltung des Ferienlagers waren nicht, wie vorher angekündigt, der der FIR angeschlossene sowjetische Veteranenverband, sondern die KPdSU und die sowjetischen "Jungen Pioniere". An Stelle einer ferienmäßigen Erholung gab es vormilitärische Erziehung, Fahnenappelle und häufige Aufmärsche im Sportstadion. Bei der Ankunft mußten die private Kleidung und alle privaten Gegenstände abgeliefert werden, die bis zur Abreise in einer Kleiderkammer verwahrt wurden. Stattdessen erhielten die Kinder Uniformen der "Jungen Pioniere". Die sanitären Verhältnisse im Lager waren "katastrophal". Das vor der Reise als besondere Attraktion angekündigte Bad im Schwarzen Meer war auf 5 Minuten täglich beschränkt, und dabei wurde jedes Mal der Strand von Funktionären der "Jungen Pioniere" abgeschirmt. Beschwerden der Kinder aus der Bundesrepublik und ihrer Betreuerin über den militärischen Drill und die mangelnden Erholungsmöglichkeiten wurden abgewiesen und führten letzten Endes dazu, daß die deutsche Gruppe von der Lagerleitung besonders "schikaniert" wurde. Bei den übrigen Kindergruppen des Lagers handelte es sich zumeist um "Junge Pioniere" aus Ostblockstaaten. Die Betreuerin und die Kinder erklärten nach ihrer Rückkehr, nie wieder in die Sowjetunion fahren zu wollen. Eine verständliche Reaktion. Gleichwohl darf angesichts des geschilderten "Lagerlebens" gehofft werden, daß noch zahlreiche Jugendliche aus der Bundesrepublik künftig an solchen Lagern teilnehmen. Denn nachhaltiger als alle Wortaufklärung wirkt bekanntlich das eigene Erlebnis. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 13 1.13 Zusammenfassung Zusammenfassend möchte ich zur Situation auf dem Gebiet des Linksradikalismus folgendes sagen: Eine unmittelbar drohende Gefahr für den Bestand unserer demokratischen Ordnung geht von der illegalen KPD und ihren Hilfsorganisationen nicht aus. Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten hat sich die Mehrheit unserer Bevölkerung insbesondere die Arbeiterschaft an Rhein und Ruhr, gegenüber den massiven kommunistischen Beeinflussungsversuchen im wesentlichen als immun erwiesen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß die Kommunisten mit ihrer relativ gemäßigten Taktik, die radikale Thesen vermeidet und bewußt allgemein gehaltene Forderungen nach sozialer Sicherheit, nach Frieden und allgemeiner Verständigung in den Vordergrund stellt, partielle Erfolge erzielen konnten. Durch den weiteren Ausbau ihrer Organisation und ihre verstärkte Einflußnahme auf die verschiedenen oppositionellen Gruppierungen in der Bundesrepublik sind die Kommunisten bemüht, ihre Arbeitsbasis zu erweitern. Schwerpunkt all dieser Bestrebungen ist Nordrhein-Westfalen. Es ist daher geboten, gerade in unserem Land die Entwicklung auf dem linksradikalen Sektor auch weiterhin besonders sorgfältig zu beobachten. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 14 2 Rechtsradikalismus Doch nun zum Rechtsradikalismus. Vor einigen Tagen ist einem größeren Kreis politisch interessierter Persönlichkeiten und damit allen Abgeordneten über die meinem Hause angegliederte "Staatsbürgerliche Bildungsstelle" eine Studie "National oder Radikal?" mit dem Untertitel "Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland" zugeleitet worden. Hervorragende Kenner der Materie - u.a. aus dem Bereich des Verfassungsschutzes - haben darin eine Analyse der symptomatischen Erscheinungsformen gegeben und zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus aufgefordert. Das führt zu der Frage - Sie finden sie auch in der Studie ausgesprochen - nach einer Definition des Begriffs Rechtsradikalismus, die nicht ohne weiteres zu geben ist, da das Wort zur politischen Umgangssprache unserer Tage gehört. Häufig wird in der öffentlichen Diskussion fälschlicherweise das politische Phänomen des Rechtsradikalismus vereinfachend mit dem "Neonazismus" identifiziert. Diese Auslegung ist viel zu eng und wird den vielfältigen Erscheinungsformen rechtsradikaler Bestrebungen nicht gerecht, was zu einer gefährlichen Fehleinschätzung politischer Strömungen verleiten könnte. In Staaten mit freiheitlicher demokratischer Verfassung wird der politische Radikalismus an seinen Bestrebungen erkannt, die tragenden Prinzipien und Institutionen der Rechtsund Staatsordnung anzugreifen, sie zu beseitigen oder sie zumindest mit verächtlichmachenden Argumenten in Frage zu stellen. Diese Begriffsbestimmung garantiert die in der Demokratie erforderliche Begrenzung der staatlichen Tätigkeit auf den Bereich ihrer gesetzlichen Zuständigkeit. Dementsprechend faßt auch dieser Bericht nur Erkenntnisse über solche Gruppen zusammen, die in übersteigertem Nationalismus ein glaubwürdiges Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermissen lassen und bei denen ein durch Anhaltspunkte konkretisierter Verdacht dafür vorliegt, daß ihre Zielsetzung oder Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist, oder daß sie solche Bestrebungen fördern. Die Grenzlinie verläuft also jenseits einer legitimen demokratischen Fragestellung. 2.1 Wahlerfolge der NPD Welche Bedeutung die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus plötzlich gewonnen hat, zeigen die Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Im Vordergrund des Interesses steht natürlich der Erfolg der nationalistisch ausgerichteten NPD, die nun bereits in zwei Landesparlamenten vertreten sein wird - und das knapp zwei Jahre nach ihrer Gründung. Diese Tatsache ist ein alarmierendes Signal für die staatstragenden Parteien und für die gesamte Öffentlichkeit. Man wird sich um eine sachliche Wertung bemühen und Folgerungen ziehen müssen. Ich komme im weiteren Verlauf meines Berichtes noch darauf zurück. Über das Ergebnis der Hessenwahl liegt bereits eine Kurzanalyse eines bekannten Politologen vor, die sich mit dem Abschneiden der NPD befaßt. Nur zwei Punkte dieser Analyse möchte ich hier erwähnen: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 15 1. Das Durchschnittsergebnis von 7,9 % NPD-Wähler im Lande Hessen entspricht einer Spannweite von 3 % bis 12 % in den Wahlkreisen bzw. von 0 % bis etwa 40 % in den Gemeinden. 2. Am widerstandsfähigsten gegenüber der NPD sollen sich Arbeiter, Katholiken und der städtische Mittelstand erwiesen haben. Inwieweit diese erste Analyse durch die Ergebnisse der Bayern-Wahl Bestätigung gefunden hat, kann begreiflicherweise heute noch niemand sagen. Immerhin kann aus der Tatsache, daß in dem überwiegend protestantischen Regierungsbezirk Mittelfranken die NPD 12,2 % erreicht hat, während sie in den betont katholischen Bezirken Oberpfalz und Niederbayern nur rund 5 % erreichen konnte, geschlossen werden, daß auch in Bayern die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung für die Stimmenzahl der NPD von nicht zu übersehender Bedeutung war. Die Erfolge der NPD haben nicht nur im Inland, sondern auch im gesamten Ausland ein auffallend starkes Echo hervorgerufen. In zahlreichen Pressestimmen und in Erklärungen maßgebender Persönlichkeiten des Auslandes wird die jetzige Situation mit der vor 1933 verglichen. Man sieht in dem Ansteigen der NPDStimmen eine Parallele zum Aufstieg der NSDAP vor der sog. Machtergreifung. In mehreren ausländischen Rundfunkund Fernsehkommentaren ist schon nach der Hessenwahl die Vermutung ausgesprochen worden, daß die Bedrohung der deutschen Demokratie durch die NPD in der Bundesrepublik nicht ernst genug genommen werde. Nun, ich darf meine persönliche Auffassung als Innenminister dieses Landes vorwegnehmen: Die deutsche Demokratie erscheint mir durch den NPD-Erfolg nicht unmittelbar gefährdet. Das Jahr 1966 unterscheidet sich erheblich von der Zeit, in die die ersten Erfolge der NSDAP fielen. Es gibt heute nicht ein paar Millionen Arbeitslose, und auch die politische Konstellation ist eine andere. Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt darin, daß man - eben auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit - heute empfindlicher auf "Alarmsignale" reagiert. Ich will mit dieser Feststellung, die ich im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister treffe, nicht bagatellisieren, sondern vielmehr mobilisieren. Es kommt jetzt darauf an, mit den Ursachen entschlossen fertig zu werden und aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit die Konsequenzen zu ziehen. Es gilt, den Anfängen zu wehren. Ein erster spontaner Schritt erfolgte unmittelbar am Tage nach der Hessenwahl, als die Parteien des Bundestags sich in ihrer ablehneden Stellung gegenüber der NPD zusammenfanden und dies durch Erklärungen ihrer führenden Politiker klar zum Ausdruck brachten. Mögen über die Ursachen des relativen Wahlerfolges der NPD auch Meinungsverschiedenheiten bestehen, in der Frage einer gemeinsamen Frontstellung besteht - so glaube ich - volle Übereinstimmung. Jedoch muß an dieser Stelle auch vor einer hysterischen Überbewertung gewarnt werden, die aus einem Schneeball eine Lawine entstehen lassen könnte. Es gibt in jeder freiheitlich orientierten Staatsform gewisse Randsiedler der Demokratie. Das Problem gibt es nicht nur in Deutschland. Eine Welle unartikulierten Missbehagens durchzieht Amerika; Frankreich, Italien, Holland und Belgien haben sich traditionell mit extremen politischen Gruppen herumzuschlagen. Um dennoch kei- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 16 ne Irrtümer aufkommen zu lassen: Die Probleme des Auslandes sollen uns nicht leichtfertig werden lassen, zumal sie anders gelagert sind. Im übrigen sind wir nicht zum ersten Male mit einem verstärkten Auftreten rechtsradikaler Gruppen konfrontiert. Dieser Tatasche sollten wir uns erinnern. Lassen Sie mich deshalb einen kurzen Rückblick geben und diesen auf den nationalistischen Sektor begrenzen: 2.2 Rückblick Als Bilanz des Krieges hatte die Bundesrepublik nach 1945 rund 10 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, rund 2 Millionen nicht wiederverwendete ehemalige Beamte, NSDAP-Angestellte und Berufssoldaten, rund 4 Millionen Kriegshinterbliebene und Schwerbeschädigte, etwa 2 Millionen Spätheimkehrer und annähernd 4- 6 Millionen Bombengeschädigte zu "verkraften", die zum großen Teil in schlechtesten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten. Dazu ein geistig-ideologisches Trümmerfeld. Es war eine Zeit der Fragebogen und der Entnazifizierung mit vielfältigen Problemen der "Umerziehung". Eine offene Bildung neonazistischer Organisationen war unter den obwaltenden Umständen praktisch unmöglich, obwohl es auch insoweit an Bereitschaft absolut Uneinsichtiger auch damals nicht gefehlt hat. Das änderte sich aber, als in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 eine Sammlung aller Kräfte der sogenannten "nationalen Opposition" einsetzte und nach Spaltung der "Deutschen Rechtspartei" - wie Sie sich erinnern werden - ein kometenhafter Aufstieg der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) begann, der in den Jahren 1950/51 seinen Höhepunkt erreichte. Die Wahlerfolge waren nicht unerheblich und lagen 1951 im norddeutschen Raum teilweise zwischen 20 und 30 %. In Bremen gewann die SRP 1951 beispielsweise auf Anhieb 8 Bürgerschaftsmandate. Im niedersächsischen Landtag wurde sie sogar das sogenannte "Zünglein an der Waage". Ideologie und Propaganda der SRP entsprachen dem Leitbild des Nationalsozialismus, die Versammlungen wurden von sog. "Reichsrednern" beschickt und liefern nach NS-Vorbild ab. Auf der gleichen Linie lag die parteieigene Presse. Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, wenn ich die politisch sicherlich interessante und auch gefährliche Situation weiter analysieren sollte. Am 23. Oktober 1952 wurde die SRP durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig festgestellt und aufgelöst. Die Bildung von Ersatzorganisationen wurde verboten, sämtliche errungenen Parlamentsmandate wurden ersatzlos gestrichen. Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht oder - wenn Sie so wollen - die damalige Bundesregierung eine Entwicklung abgefangen, die man mit dem Schlagwort "Neonazismus" am treffendsten kennzeichnen kann. Die SRP hatte zwar als Organisation aufgehört zu bestehen; sie war aber nicht gewillt, aufzugeben. In einem damaligen Rundschreiben hieß es: "Wir lassen uns von keinem Terror abschrecken ... in die Katakomben!" In der Folgezeit hat es wiederholt Sammlungsversuche der zersplitterten Rechten gegeben, die jedoch erfolglos bleiben. Neben der "Deutschen Reichs-Partei" (DRP) gab es eine Fülle von kleineren Parteien, kulturellen und soldatischen Or- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 17 ganisationen, die in ihrer Zielsetzung als rechtsextrem qualifiziert werden mußten. Zum Teil trugen sie wegen persönlicher Rivalitäten den Keim der Selbstzerstörung in sich, zum Teil wurde ihnen mit staatlich repressiven Mitteln begegnet. Als Beispiel hierfür erwähne ich das am 20. April 1959 im Lande Nordrhein-Westfalen ergangene Verbot gegen das "Soziale Hilfswerk für Zivilinternierte" (SHW) und das Verbot der Dachorganisation des "Bundesverbandes ehemaliger Internierter und Entnazifizierungsgeschädigter" (BIE). Als mittelbare Auswirkung dieser und anderer Maßnahmen trat eine gewisse Resignation ein, die durch eine krasse Absage der Wählerschaft an rechtsradikale Parteien verstärkt wurde. Hiervon wurde insbesondere die ehemalige "Deutsche Reichs-Partei" betroffen. Jene Partei, die während der fünfziger Jahre in mehreren Landes-, Stadtund Kreisparlamenten fungierte, die über einen fanatischen Funktionärsstamm in den Bundesund Landesvorständen verfügte, der zu einem großen Teil durch die NSDAP und SRP geprägt wurde. Die Ergebnisse der verschiedenen Wahlen waren für die DRP derart niederschmetternd, daß der Parteivorsitzende Adolf von Thadden schließlich von einer "blanken Katastrophe" sprach. Im Jahre 1961 ist ein sehr lesenwertes Buch über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945 erschienen, dessen Titel "Verschwörung von rechts", (Colloquim Verlag Berlin 1961) mit einem Fragezeichen versehen worden ist. Der Autor kam damals mit Recht zu dem Ergebnis, daß es bisher nicht die eine geheimnisumwitterte "Verschwörung von rechts" im Sinne einer Sammlung aller Kräfte der "nationalen Opposition" mit dem Ziel der Beseitigung der gewählten Bundesregierung, der Abschaffung der "Bonner" Demokratie und der Wiedereinführung einer autoritären Staatsverfassung nach nationalsozialistischen oder sonstwie geartetem Vorbild gegeben habe. Diese Feststellung trifft - streng genommen - auch heute noch zu. Aber wie lange noch? Inzwischen hat sich im allgemeinen politischen Klima spürbar manches geändert. Man spricht von einer "nationalen Welle", die im Anrollen sei und sucht nach Erklärungen für dieses Phänomen. Wenn Sie in den letzten Monaten die politische Publizistik und gerade auch in den letzten Wochen die Presse verfolgt haben, dann wird Ihnen das besonders aufgefallen sein. Ich darf statt vieler eine Pressestimme zitieren: "Es ist gegenwärtig nicht zu übersehen, daß sich in der Bundesrepublik ein vages, unformuliertes 'Nationalgefühl' 'dynamisch' auszudrücken versucht. Mit bloßer Polemik, aber auch mit der abschreckenden Beschwörung der Vergangenheit - 'auch 1930 hat es so angefangen' - ist dieser Erscheinung genausowenig beizukommen, wie mit der opportunistischen Betonung 'nationaler Ideen' durch Machtträger der Politik. Ohne Gründe keimen neonationale Regungen nicht, zumindest nicht in diesem Maße." Das besonders bei der Jugend. Der Autor dieses Artikels über die "Triebkräfte der nationalen Welle", "Rheinischer Merkur" v. 01. Juli 1966, meint weiter, solche Phänomene könnten nur aus einer Vielfalt von Motiven erklärt werden. Ich darf - verkürzt - einige zitieren: 1. Für jeden zweiten Deutschen ist heute der Nationalsozialismus mit seinen Opfern kein Erlebnis mehr. Bei der Forderung der Jugend nach einer Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 18 Stellungnahme stößt sie auf die Unsicherheit des größten Teils ihrer Eltern und älteren Lehrer. 2. Mindestens für die Hälfte der Bevölkerung ist die Freiheit eine bloße Selbstverständlichkeit geworden, für die man keine Gefahr erkennen will. 3. Mit dem Abschluß der Aufbauphase in der Bundesrepublik, mit der Entfaltung einer expansiven Konsumgesellschaft hat sich bei einem nicht geringen Teil dieser Gesellschaft das Selbstbewußtsein gehoben, das sich bei der Entwicklungshilfe etwa wie folgt niederschlägt: "Wieso zahlen wir für jeden Neger ein goldenes Bett?" - Oder bei der Wiedergutmachung an Israel: "Wie lange sollen wir denn noch für den Unsinn unserer Großväter zahlen?". 4. Vor allem die junge Generation ist es überdrüssig, auf die Sünden der Väter durch ein Übermaß von Vergangenheitsbewältigung im Funk, Film, Fernsehen usw. fixiert zu werden. Wiederum wörtliche Äußerungen von Jugendlichen, wie man sie in den verschiedensten Variationen mehr und mehr hören kann: "Jahrelang war diese Bundesrepublik der geprügelte Musterschüler der westlichen Welt - und sie prügeln weiter, damit wir auch weiter zahlen." 5. Die im Zeichen der Weltmarktwirtschaft gegebene internationale Verflechtung der Großindustrie ruft Reaktionen hervor: "Ein Staat, der es zuläßt, daß sowohl der Arbeitsmarkt als auch der Kapitalmarkt ausländisch überflutet werden, kann kein reiner deutscher Staat mehr sein." 6. Beim weltweiten Jugendaustausch spüren die deutschen Jugendlichen die Gebrochenheit ihres "Nationalgefühls": Die anderen dürfen sagen: "Im Interesse unserer Nation ... - wenn wir Deutsche so etwas sagen, werden uns sechs Millionen ermordeter Juden an den Kopf geworfen." 7. Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa hat an Strahlkraft verloren; eine Enttäuschung für die junge Generation. 8. Die Last der Spaltung des einstigen Reichsgebietes und der betont provisorische Charakter der Bundesrepublik lassen kein normales "Staatsgefühl" aufkommen. 9. Begriffe wie Heimat und Vaterland werden u.a. durch die Massenmedien vielfach in einem geradezu fahrlässigen Maße herabgesetzt. Der Motivkatalog ließe sich sicher noch erweitern. Ich darf mich hier aber mit diesen Hinweisen begnügen. Die deutsche Politik wird sich insoweit auf diese Wandlung des Bewußtseins einstellen müssen, wenn sie den Unmut, besonders der jüngeren Generation, abfangen will. Gerade die demokratische Staatsform bietet hierfür den sie tragenden Parteien hinreichende Möglichkeiten. Es wäre gefährlich, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus purer Besorgnis, man könne sie als "nationalistisch" brandmarken, ihre legitimen nationalen Interessen verleugnen oder allzu schwächlich vertreten würde. Wir erstreben damit keinen extremen Nationalismus, der schon viel Unheil in der Welt angerichtet hat. Dieser regt sich leider bei manchen Völkern in der Welt, auf deren Freundschaft wir den größten Wert legen. - Und, hat sich nicht auch der Kommunismus zu einer extremen Form des Nationalismus unter anderen Vorzeichen gewandelt? Viele Anzeichen sprechen dafür. Der Spannungsbogen vom Nationalismus zum Kommunismus ist jedenfalls erheblich kleiner, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Zurück zu unserem Anliegen: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 19 Es ist eine Aufgabe der Parteien und der Gesellschaft schlechthin, gewisse nationale Gefühle eines Volkes zu befriedigen. Hier liegt zweifellos ein gewisses Versäumnis vor. Das mag der Grund dafür sein, daß relativ junge Leute demagogischen Parolen rechtsextremistischer Prägung erliegen oder durch ihre Stimmabgabe für eine derartige Partei erkennbar protestieren. Ähnlich ist m.E. der Protest der im mittleren Alter befindlichen Kriegsgeneration zu verstehen, der der Nationalismus mit in die Wiege gelegt wurde. Diese war und ist durchaus bereit, am demokratischen Staat mitzuarbeiten, wehrt sich aber instinktiv gegen die permanente Behandlung ihrer angeblich "unbewältigten Vergangenheit", an der sie sich mehr oder weniger schuldlos fühlt. Aus den gleichen Gründen fühlt sich die ältere Generation betroffen, die unmittelbar in die Geschehnisse der damaligen Zeit verwickelt war. Ihrer bemächtigt sich eine Staatsverdrossenheit, die ihr Ventil in Rechtfertigungsversuchen zu finden glaubt. Sie werden sich denjenigen zuwenden, bei denen sie Verständnis erwarten dürfen, weil sie sich nicht auf Lebenszeit mit den Schuldvorwürfen konfrontiert sehen wollen. Alle vorgenannten Gruppen erwarten, daß die Politik sich nach mehr als 20 Jahren den Aufgaben der Zukunft zuwendet. Diese Problematik ist ganz zweifellos äußerst schwierig. Es wird für die Politiker aller Richtungen kein Weg daran vorbeiführen, sich den Zeichen der Zeit zu stellen. Ohne sich den schwerwiegenden Verpflichtungen aus der Hypothek der Vergangenheit zu entziehen, wird man eine glaubwürdige und dem Wähler verständliche Politik in allen nationalen Fragen des Volkes betreiben müssen. Dann ist die deutsche Demokratie durch NPD oder andere Erfolge nationalistischer Bestrebungen nicht gefährdet. Lassen Sie mich nun eine gedrängte Übersicht über die politische Faktoren geben, die im nationalistischen Raum innerhalb der Bundesrepublik wirksam sind. Daß ich mich dabei insbesondere mit der NPD beschäftigen werde, dürfte nach dem Eingangs gesagten selbstverständlich sein. Zunächst aber ist jene Gruppe zu nennen, die sich zwar von organisierten Sammlungsbewegungen bisher ferngehalten hat, weil sie glaubt, im gegenwärtigen Zeitpunkt durch Wahlen noch nicht zum Ziele gelangen zu können, die aber einen getarnten Radikalnationalismus auf geistig-ideologischem Gebiet betreibt oder fördert, um eine Basis für die Zukunft zu schaffen. 2.3 Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung (DNZSZ) Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt auf dem Gebiete der Publizistik. Führender Exponent ist die Wochenzeitung "Deutsche National-Zeitung und SoldatenZeitung" mit einer Auflage von inzwischen etwa 100.000 Exemplaren. Die meisten kennen dieses Blatt und den "jugendlichen" Herausgeber (Jahrgang 1933) Dr. Gerhard FREY. Dieser bedient sich allerdings "erfahrener" Mitarbeiter. So war sein "Chef vom Dienst" schon als "Alter Kämpfer" und "Gaukulturwart" der NSDAP Fachredner des Reichspropagandaamtes auf dem Gebiet der "Freimaurerei und des Judentums". Wegen des Inhalts genügt vielleicht, wenn ich auf folgendes hinweise: Dem Blatt ist offenbar nicht an sachlicher Unterrichtung gelegen. Die von ihm behandelten Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 20 Themen werden nicht nach ihrem Informationsgehalt ausgesucht. Tatsachen und Ereignisse, die sich nicht zur Darstellung der eigenen Wertund Vorurteile eignen, werden verschwiegen. Völlig belanglose Meldungen bieten dagegen immer wieder den Vorwand zu demagogischen Parolen. Eine gewisse Doppelzüngigkeit im Tenor der einzelnen Beiträge wie auch in der Gesamtkonzeption des Blattes ist unübersehbar; sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeitung bewußt legitime nationale Anliegen mit eindeutig rechtsradikalen Tendenzen vermischt. Die Ablehnung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen geschieht nur oberflächlich und wenig überzeugend. - Eine eingehende Analyse der DNZSZ finden Sie in einer vom Bundesvorstand des DGB herausgegebenen Studie, die sich mit den geistigen Grundlagen und der politischen Haltung der DNZSZ befaßt. 2.4 Weitere rechtsextreme Publizistik Im Jahre 1965 erschienen in der Bundesrepublik 40 Periodika mit einer jeweiligen (monatlichen oder wöchentlichen) Gesamtauflage von ca. 227.000 Exemplaren. Allein vier sogenannte "nationale" Zeitungen können allwöchentlich eine Auflage von mehr als 150.000 Blättern absetzen. Hinzuzurechnen sind noch 40 organisationsgebundene Verlage und Buchdienste, die sich ausschließlich oder überwiegend mit der Herausgabe oder Verbreitung rechtsextremer Publizistik befassen. Sie bringen, wie Sie selbst sicher in den letzten Jahren mit wachsender Besorgnis beobachtet haben werden, eine zunehmende Fülle nationalistisch orientierter Literatur mit marktschreierischen Titeln heraus und setzen sie auch ab. Allem voran die NS-Memoirenliteratur zum Teil von ehemaligen Partei-Größen. Dabei ist zu bemerken, daß man dieser Literatur mit den jetzigen Strafbestimmungen nicht oder nur höchst selten beikommen kann. Es ist sicherlich interessant, daß sich kein bedeutender Verlag oder Buchdienst dieser Richtung auf nordrhein-westfälischem Gebiet befindet. Ein Verlag eines ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen, der sich anschickte, staatsfeindliche Literatur zu verbreiten, wurde im vergangenen Jahr durch die Staatsanwaltschaft in Köln geschlossen. Der Verleger setzte sich zu Gesinnungsfreuden nach Kairo ab. Die Bemühungen der rechtsextremen Publizistik werden unterstützt durch zahlreiche mehr oder weniger lose Vereinigungen. Offenkundig wurde diese Entwicklung vor 2 Jahren, als der amerikanische Historiker Prof. David L. HOGGAN - mütterlicherseits deutscher Abstammung - die Bundesrepublik bereiste. Über seine Thesen und sein Auftreten in der Bundesrepublik ist bereits bei einer früheren Gelegenheit berichtet worden. Aber eine bezeichnende Feststellung sollte nicht unerwähnt bleiben: Die von HOGGAN in seinem Buch vertretenen Kriegsschuldthesen sind von dem stellvertretenden NS-Reichspressechef, der auch heute noch publizistisch tätig ist, bereits am 9. November 1944 im NSDAP-Zentralblatt "Völkischer Beobachter" propagiert worden. Sie erinnern sich, daß HOGGAN von drei Organisationen besonders geehrt wurde, auf die ich kurz eingehen möchte: Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 21 2.5 Gesellschaft zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Forschung e.V. Die "Gesellschaft zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Forschung e.V." wurde 1962 gegründet. In der Satzung wird der Zweck wie folgt umrissen: "Der Verein hat sich die Aufgabe gestellt, wissenschaftliche Forschungen zu fördern, die der Ermittlung des historischen Geschehens dienen, die Durchführung solcher Forschungen und Veröffentlichung der Ergebnisse durch Bereitstellung finanzieller Mittel zu ermöglichen, das allgemeine Interesse an objektiver Geschichtsdarstellung zu wecken und interessierte Kreise zur finanziellen Unterstützung entsprechender Forschungsvorhaben aufzufordern." Zur Charakterisierung der wahren Zwecke dieser Gesellschaft dürfte der Hinweis genügen, daß sie durch Zuwendung die Herausgabe des HOGGAN'schen Buches unterstützt hat. 2.6 Gesellschaft für freie Publizistik Von ähnlichem Zuschnitt ist die "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP), die stark mit "alten Kämpfern" und solchen Schriftstellern durchsetzt ist, die bereits in der NS-Zeit ihre "Anerkennung" gefunden haben. Sie dürfte heute etwa 400 bis 500 Einzelmitglieder zählen. Zwar hat man sich in der Satzung neutral zum Ziele gesetzt, "jene deutschen und anderen europäischen Schriftstellern, die aus politischen Gründen - mögen diese in der Vergangenheit oder in der Gegenwart liegen - totgeschwiegen, diffamiert und boykottiert werden", zu fördern. Die Tätigkeit der GfP liegt ausschließlich auf dem nationalistischen Sektor. 2.7 Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes Das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) schließlich hat etwa 2.000 Einzelmitglieder, die sich auf mehr als 50 sog. "Pflegestätten", die zu einem erheblichen Teil von alten Nationalsozialisten betreut werden, verteilen. Der Leiter des DKEG war selbst Mitarbeiter der obersten SA-Führung und Lektor im ZentralVerlag der NSDAP. Er legt noch heute Begriffe wie Rasse, Volk, Nation, Reich und "Blut und Boden" in unverkennbarer Anlehnung an die Ideologie des Nationalsozialismus aus. - In Nordrhein-Westfalen bestehen zurzeit 18 "Pflegestätten", deren Leiter überwiegend der NSDAP als "Alter Kämpfer" gedient haben. Nach außen hin wird ihre Bestätigung durch Sonnenwendfeiern, durch Besuch des Interniertenfriedhofs Hövelhof und zahlreiche "kulturelle" Veranstaltungen sichtbar. Es gibt noch eine Vielzahl kleinerer, ähnlich ausgerichteter Organisationen und Förderkreise. Untereinander bestehen durchweg enge Verzahnungen. Diese Institutionen wirken zwar zurzeit bei den organisierten Bestrebungen um eine "Nationale Sammlung" nicht unmittelbar mit. Größtenteils ist sogar eine deutliche Zurückhaltung festzustellen. Während die vorgenannten Organisationen die geistig orientierte Richtung repräsentieren und dadurch den ideologischen Nährboden virulent halten, findet sich die andere Trägerschaft nationalistischer Bestrebungen im organisierten Rechtsradikalismus. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 22 2.8 Organisierter Rechtsradikalismus Es ist unmöglich und - wie ich meine - auch unnötig, in diesem Rahmen die zahlreichen Erscheinungsformen im einzelnen zu behandeln. Man kann etwa wie folgt gruppieren: a) Jugendund Studentenorganisationen, b) Soldatenverbände, c) sonstige Vereinigungen nationalistischer oder neofaschistischer Prägung, d) Parteien. Lassen Sie mich im Rahmen dieser Ausführungen auf eine schematische Darstellung der einzelnen, zum Teil wirklich unbedeutenden Gruppen verzichten. Nur einige kurze Bemerkungen hierzu: In Nordrhein-Westfalen gibt es keine einschlägigen Jugendund Studentenorganisationen. Lediglich wohnen hier in verhältnismäßig geringer Zahl Jugendliche, die sich in derartigen Bewegungen betätigen bzw. in der "Wiking Jugend", im "Bund Heimattreuer Jugend" u.ä.. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis verschiedener Verbote, wie sie u.a. gegen den "Bund Nationaler Studenten", den "Bund Vaterländischer Jugend" oder die "Gesamtdeutsche Jugend" ausgesprochen worden sind. Zum Teil genügten auch Uniformverbote, wie im Falle der "Wiking Jugend", um sie zu neutralisieren. Diese Jugendlichen waren - bis auf eine Ausnahme, als an Bundestagsabgeordnete Flugblätter mit Hakenkreuz und Morddrohungen aus Anlaß der Verlängerung der Verjährungsfristen für NS-Kriegsverbrecher versandt wurden - auch nicht an neonazistischen oder antisemitischen Störund Schmieraktionen beteiligt. Letztere liegen im übrigen in Nordrhein-Westfalen unter dem Bundesdurchschnitt und nehmen jeweils nur dann zu, wenn ein Fall in Presse, Funk und Fernsehen besonders publiziert wird. Die HIAG hat sich in den letzten Jahren stark zurückgehalten. Inwieweit diese Haltung durch das Bemühen bestimmt ist, die Versorgungsansprüche und die Rehabilitierung ihrer Mitglieder nicht durch neuen politischen Zündstoff zu belasten, mag dahingestellt bleiben. Im übrigen hat die Tatsache, daß Vertreter aller Bundestagsparteien wiederholt zu Großveranstaltungen erschienen sind, dazu beigetragen, daß sich die Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS nicht in die Isolierung gedrängt fühlen und ein radikalpolitische Auftreten unterließen. Die übrigen zahlreichen rechtsradikalen Organisationen sind stark zersplittert und führen ein mehr oder weniger steriles Eigenleben. Das gilt auch für die kleineren rechtsextremen Parteien, deren Mitglieder zur "Sammlung des nationalen Lagers" drängen und ihren erfolglosen Anführern mehr und mehr die Gefolgschaft versagen. Augenfälliges Beispiel hierfür ist der Zusammenschluß zwischen der "Deutschen Freiheitspartei" und der "Deutschen Gemeinschaft" unter dem Namen "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD). Allerdings verlief auch diese Sammlungsbestrebung glücklos, offensichtlich wegen der heterogenen Auffassung ihrer Funktionäre. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 23 2.9 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Eine andere, im Ergebnis noch nicht abgeschlossene Entwicklung hat allerdings die am 28. November 1964 in Hannover gegründete "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) genommen. Man könnte über die NPD allein ein mehrstündiges Referat halten, würde damit aber nicht den Komponenten des Rechtsradikalismus gerecht, die zum bisherigen Erfolg dieser Partei beigetragen und um deren skizzenhafte Aufzeichnung ich mich hier bemüht habe. Vielleicht in diesem Zusammenhang nur soviel: Nach vielerlei Mißerfolgen stand die "Deutsche Reichs-Partei" (DRP) auf ihrem Parteitag am 21. September 1963 in Karlsruhe vor der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Weiterführung der Partei noch sinnvoll sei. Unter dem Eindruck der Resignation einer stark dezimierten Mitgliederschaft entwickelte der Parteivorsitzende von THADDEN in seinem Rechenschaftsbericht eine Konzeption darüber, wie das zusammengebracht werden könne, was bei anhaltender Zersplitterung unter dem Druck der Bonner Parteien zum dauernden Außenseitertum verurteilt sei. Er schlug dem Parteitag die Einbringung des Parteipotentials in eine "Nationale Sammlung" vor. Die erforderlichen Verbindungen zu anderen Organisationen waren bereits angebahnt; sie wurden jetzt intensiviert. Schon vom Ansatz her war die NPD bedenklich; denn wie Sie sich aus früheren Verlautbarungen sicherlich noch erinnern werden, gehörten dem Bundesvorstand der rechtsradikalen "Deutschen Reichs-Partei" (DRP) nicht weniger als 9 "Alte Kämpfer" an. Verschiedene gehörten als Funktionäre der verbotenen SRP an. So nimmt es nicht wunder, daß der auf der Gründungsversammlung in Hannover gewählte Bundesvorstand der NPD, der sich in erster Linie aus Mitgliedern der DRP, darüber hinaus aber aus unzufriedenen Dissidenten von DP, GDP, BHE und DNVP zusammensetzte, ebenfalls in starkem Maße von "Alten Kämpfern" der NSDAP durchsetzt war. Dem ersten Vorstand - Gesamtzahl 18 Personen - gehörten immerhin 10 dieser ehemaligen NS-Funktionäre aus der Zeit vor 1933 an. Im zweiten, auf dem Parteitag 1966 in Karlsruhe gewählten, Bundesvorstand hat sich das optische Bild etwas verschoben. Das liegt auf der taktischen Linie der Parteiführung, die die Angriffsfläche verkleinern möchte. Gleichwohl waren von 25 Angehörigen des Bundesvorstandes der NPD 9 Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen vor 1933 bzw. hohe Funktionsträger der NS-Zeit. 5 weitere waren maßgebende Funktionäre der ehemaligen DRP bzw. der "Sozialistischen Reichspartei". Gerade die Ämter für Propaganda, Schulung und Presse im Bundesparteivorstand befinden sich in den Händen ehemaliger hoher NSDAP-Funktionäre, die auch wichtige Funktionen in der DRP ausgeübt haben. Das bestätigt auch die Zusammensetzung des Gesellschaftskreises der Parteizeitung "Deutsche Nachrichten" GmbH. Von den 12 Gesellschaftern waren 10 führende Funktionäre der ehemaligen DRP, die ehedem den "Reichsruf" herausgegeben haben, alles ehemalige Nationalsozialisten. Es wurden in den Kreis lediglich zwei neue Gesellschafter aufgenommen, wovon einer ebenfalls "Alter Kämpfer" ist, während es sich bei den anderen um den wohl ganz offensichtlich aus optischen Gründen herausgestellten Parteivorsitzenden handelt. Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 24 Da die "Deutschen Nachrichten" (Auflage: 48.000) bis auf die Deckblätter inhaltsund seitengleich mit der "Deutschen Wochen-Zeitung" (DWZ) (Auflage: 25.000) sind, steht fest, daß die Redaktion zumindest insoweit in den Händen des Redaktionsstabes der DWZ liegt. "Prominenteste" Vertreter sind hier alles ehemalige, zumteil hohe Funktionäre des Dritten Reiches. - Auch zu dem weiteren Mitarbeiterstab gehören eine Reihe "Alter Kämpfer" mit entsprechenden Funktionen während der NS-Zeit. 2.10 NPD in NRW Im Lande Nordrhein-Westfalen verfügt die NPD über etwa 4.000 eingeschriebene Mitglieder, die in 11 Bezirken mit bisher 56 Kreisverbänden organisiert sind. Es handelt sich um den zweitstärksten NPD-Landesverband in der Bundesrepublik, liegt aber mit Rücksicht auf die Bevölkerungsdichte im Bundesdurchschnitt. Die kontinuierliche Entwicklung stagnierte allerdings in den letzten Monaten, weil die Partei den Schwerpunkt ihrer politischen Werbung nach Hessen und Bayern verlegte. Auch wirkten sich hier im Lande Richtungskämpfe zwischen dem alten DRP-Flügel und neuen NPD-Funktionären hemmend aus. Eine altersmäßige Analyse von Mitgliedern des hiesigen Landesverbandes ergab folgendes Bild: Altersgruppen: bis zu 30 Jahren 15,4 % von 30-40 Jahren 13,2 % von 40-50 Jahren 22,0 % über 50 Jahre 49,4 % Die Mehrzahl der Mitglieder bestand nach den vorliegenden Erkenntnissen bisher also aus älteren Personen. Neueste Unterlagen lassen jedoch erkennen, daß der Anteil der jüngeren Mitglieder wächst. Eine berufsmäßige Analyse ergibt, daß nahezu alle Berufsschichten vertreten sind, die Gruppe der Angestellten und sog. kleinen Gewerbetreibenden jedoch überwiegt. Bemerkenswert ist weiter, daß etwa 350 Mitglieder dem öffentlichen Dienst angehören. Diese stehen zumteil im Bundesdienst: Bundespost (25), Bundesbahn (10) und Bundeswehr (40)), zumteil aber auch im Landesdienst: Polizeibeamte (6), Studienräte und Lehrer (20). Der weitaus überwiegende Teil der im Landesdienst stehenden NPD-Lehrkräfte ist über 40 Jahre alt. Hier ragt vor allem ein Oberstudienrat aus Duisburg hervor, der dem Landesvorstand angehört und in zahlreichen Veranstaltungen als Redner auftritt. Im Landesverband Nordrhein-Westfalen der NPD hatten bis vor nicht allzulanger Zeit die ehemaligen DRP-Funktionäre und "Alten Kämpfer" einen maßgeblichen Einfluß. Es liegt jedoch in der taktischen Linie der Parteileitung, daß NS-belastete Personen aus der vordersten Linie zurückgezogen werden. Daher wurden auf dem Parteitag im April 1966 in Wesel weder "Alte Kämpfer" noch ehemalige DRPFunktionäre gewählt. Der frühere 2. Landesvorsitzende (NSDAP 1931) wurde Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 25 nicht wiedergewählt. Vorsitzender ist nunmehr ein Rechtsanwalt aus Bielefeld (NSDAP 1933). Wenn auch der Landesvorstand in optischer Hinsicht neutralisiert erscheint, so trifft das für den Propagandaapparat nicht zu. Hier ist besonders der sog. "Landesrednerdienst" zu nennen. Nach einer zum 1. Januar 1966 herausgegebenen 27köpfigen Rednerliste des Landesverbandes waren nach Auskunft der Dokumentenzentrale in Berlin nicht weniger als 11 "Alte Kämpfer", zum Teil ehem. NSReichsund Gauredner, während 6 weitere Landesredner der NSDAP nach dem 30. Januar 1933 beigetreten waren. Nach einer Landesrednerliste per 1. August 1966 hat sich das Verhältnis kaum verändert. - Die Rednerliste empfiehlt ferner 10 Bundesredner für Großveranstaltungen - mindestens 7 gehörten der NSDAP an, 4 davon vor 1933. Es handelt sich auch hierbei überwiegend um ehemalige Spitzenfunktionäre rechtsextremer Parteien und Organisationen. 2.11 Gesamtsituation der NPD Die Gesamtsituation der NPD stellt sich etwa wie folgt dar: Sie ist mit ihren rund 22.000 eingeschriebenen Mitgliedern nach ihrem Ursprung, ihrer Entwicklung und Zielsetzung eine rechtsradikale Partei. Die Funktionäre der rechtsextremen ehemaligen DRP bilden nach wie vor ihren Kern. Sie besetzen unter einer nach außen gemäßigt auftretenden Parteiführung die Schlüsselpositionen des Parteiapparates. Es ist allgemein bekannt, daß der frühere DRP-Vorsitzende Adolf von THADDEN, der sich mit der Rolle eines geschäftsführenden 2. Vorsitzenden begnügt, in Wahrheit der führende Kopf dieser Partei ist. Er leitet die NPDGeschäftsstelle in Hannover. Zwischen ihm und dem Parteivorsitzenden bestehen starke innere Spannungen, die auf die Dauer nicht überbrückbar erscheinen. Man sollte sich keiner Täuschung oder Illusion darüber hingeben, daß die Partei organisatorisch von hervorragenden Technokraten geleitet und auch propagandistisch von fanatischen Experten betreut wird, die aus dem Verbot der SRP und KPD gelernt haben und wissen, wieweit sie sich mit ihrer Organisation und Argumentation vorwagen dürfen, ohne das Risiko eines Verbotes zu groß werden zu lassen. Die NPD finanziert sich im wesentlichen aus eigener Kraft. Mitgliederbeiträge, Eintrittsgelder und Überschüsse aus dem DN-Verlag bilden den Grundstock. Dazu kommen zahlreiche kleinere Spenden. Es konnte bisher nicht festgestellt werden, daß größere Spenden gestiftet wurden. Gleichwohl wird man auch das unterstellen dürfen. Die Partei vertritt einen einseitigen, wesentlich gefühlsbetonten Nationalismus, wobei sie sich in erster Linie an diejenigen wendet, die durch Unkenntnis, Enttäuschung und Ungeduld, insbesondere über die schleppende Klärung der deutschen Nachkriegsprobleme, in Opposition zu der politischen Wirklichkeit geraten sind. Sie appelliert an das "wiedererstarkende deutsche Nationalbewußtsein". Ihr Auftreten nach außen wird wesentlich von taktischen Erwägungen bestimmt. Dazu gehören die Bekenntnisse zur bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung und zum Grundgesetz. In der Partei sind ohne Zweifel Kräfte vor- Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden 1966 26 handen, denen an einem sachlichen Verhältnis zum demokratischen Staate gelegen ist. Sie sind weit entfernt, sich in der Gesamtpartei durchzusetzen. In tagespolitischen Fragen verhält sich die Partei opportunistisch. Für die Behandlung der großen politischen Probleme hat sie intern die Weisung erteilt, alles zu unterlassen, was zu öffentlicher Kritik führen kann. Positive Äußerungen über den Nationalsozialismus, das "Dritte Reich", Stellungnahme zu Rassenfragen und anderen Fragen der jüngsten politischen Vergangenheit sollen vermieden, wo sie trotzdem auftreten, sofort zurückgewiesen werden. Die politische Doppelzüngigkeit hat der Partei Zugang zu gemäßigt nationalen Kreisen verschafft. Ihre Anziehungskraft besteht im wesentlichen in ihrer Geschlossenheit nach einer über 15-jährigen Periode der Zersplitterung im Rechtsradikalismus und der spektakulären Teilerfolge, die sie im ersten Anlauf ihres politischen Auftretens gehabt hat. Die Partei ist sich aber der Schwäche ihrer rechtsradikalen Herkunft bewußt. Sie reagiert auf entsprechende Vorwürfe aggressiv und mit äußerster Empfindlichkeit. Den Forderungen nach einem Verbot begegnet sie mit der Flucht nach vorn. Diejenigen, welche die Frage nach einem Verbot öffentlich gestellt haben, werden als kommunistisch diffamiert und verdächtigt, ein Volksfrontregime nach kommunistischem Muster in der Bundesrepublik anzustreben. Es ist klar, daß die Partei in dieser Situation noch mehr als bisher bestrebt ist, alles zu vermeiden, was als Bestätigung für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung dienen könnte. 2.12 Bemerkung zum Rechtsradikalismus Erlauben Sie mir zu diesem Berichtsteil noch eine notwendige Bemerkung: Man wird sich - insoweit stimme ich sicher mit Ihnen überein und ich habe es bereits zu Anfang hervorgehoben - mit dem gesamten Komplex der Entwicklung auf dem rechtsradikalen Sektor, insonderheit mit der NPD, intensiver auseinandersetzen müssen, als das bisher geschehen ist. Was heute in anderen Bundesländern sichtbar wird, kann morgen auch in Nordrhein-Westfalen akut werden. Die mit der Beobachtung und Bekämpfung rechtsradikaler Bestrebungen betrauten Behörden sind sich der Tatsache bewußt, daß exekutive Mittel nach Lage der Dinge nur begrenzt einsetzbar sind und nationalistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut hierdurch letztlich nicht ausgerottet werden kann. Hier liegt die vordringliche Aufgabe in der geistigen Auseinandersetzung und der politischen Erziehung der Bürger, insbesondere der Jugend. Die vielfältigen Anstrengungen des Staates sind letztlich nur dann erfolgreich, wenn sie von allen öffentlichen und privaten Trägern politischer Bildungsarbeit sowie von Presse und Rundfunk intensiv unterstütz werden. Dabei ist viel Geschick erforderlich, um eine unfreiwillige Propaganda für den Rechtsextremismus auszuschließen. Die konzentrierten Bemühungen aller demokratischen Kräfte können auf die Dauer eine nachhaltigere Immunisierung gegen jede Form des Totalitarismus, der Volksverhetzung und des Rassenwahns besser bewirken, als strafrechtlicher und politischer Verfassungsschutz es vermögen.