Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung - Verfassungsschutz - Verfassungsschutzbericht 2024 Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6258 Telefax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 6709-217 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de Redaktionsschluss: Januar 2025 Layout und Gestaltung: Bonifatius GmbH Druck [?] Buch [?] Verlag, Paderborn Druckerei: Druckerei Flock, Köln-Marsdorf Verfassungsschutzbericht 2024 Liebe Bürgerinnen und Bürger, in einer Zeit, in der die internationale Sicherheitslage von vielfältigen Herausforderungen geprägt ist, sind die Analysen, die Bewertungen und die Aufklärungsarbeit des Verfassungsschutzes unerlässlich, um die Gefahren für unsere Demokratie zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Oberste Prämisse ist dabei, umfassender über deren Mechanismen und unsere Demokratie und Sie, als Bürgerinnen Inhalte aufzuklären. und Bürger, zu schützen. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden Der anhaltende Angriffskrieg Russlands beobachten die Situation mit erhöhter gegen die Ukraine hat nicht nur die geoWachsamkeit. Dabei stehen sie sowohl politischen Spannungen in Europa verim engen Austausch untereinander als stärkt, sondern auch die Notwendigkeit auch mit den Sicherheitsbehörden anderer einer umfassenden Sicherheitsstrategie Bundesländer. Sie erarbeiten gemeinsam in den Vordergrund gerückt. Innere und Strategien, um gegen die Gefahren hybrider äußere Sicherheit müssen stärker als bisBedrohungen vorzugehen. So hat vor der her zusammengedacht werden. Denn Bundestagswahl Anfang 2025 der Niederdiese Auseinandersetzung ist nicht nur sächsische Verfassungsschutz mit dem ein militärischer Konflikt, sie ist auch ein Landeskriminalamt Niedersachsen, der Beispiel für den Vormarsch der hybriden Niedersächsischen Landesmedienanstalt Bedrohungen. Diese stellen eine ernstzuund dem Niedersächsischen Landeswahlnehmende Realität dar und dürfen nicht leiter eine umfangreiche Aufklärungsunterschätzt werden. Die Auswirkungen von kampagne zum Thema Desinformation Spionage, Sabotage und Desinformation auf gestartet. Die sensibilisierenden Hinweise unsere Gesellschaft sind vielschichtig und und Verhaltenstipps sind weiter aktuell und komplex. Ein Ziel dieser illegitimen Einflussz. B. auf der Internetseite des Verfassungsnahme ist es, Menschen zu verunsichern schutzes abrufbar. und demokratische Gesellschaften, wie die unsere, zu destabilisieren. Dafür setzt Darüber hinaus sind wir mit einer Vielzahl von Russland in seiner hybriden Kriegsführung Bedrohungen durch extremistische Gewalt verschiedene strategische Taktiken und konfrontiert. Die Anschläge im vergangenen Instrumente ein. Wir müssen diese hybriden Jahr und Anfang 2025 machen deutlich, wie Bedrohungen konsequent bekämpfen. verwundbar unsere Gesellschaft ist. Die Fälle Dazu gehört auch, die Öffentlichkeit noch von Mannheim und Solingen zeigen, wie 3 schnell Radikalisierungen verlaufen können den Verbotsmaßnahmen nehmen wir den und welches Gefahrenpotenzial nach wie vor deutschsprachigen salafistischen Predigern vom Islamismus für die Innere Sicherheit in ihre wichtigste Plattform zur Verbreitung Deutschland ausgeht. Die Gefahr jihadistisch ihrer ex tremis tischen I deologie und motivier ter Gewalttaten ist weiterhin schwächen die Szene damit empfindlich. hoch. Deutschland steht unverändert im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Die größte Gefahr für unsere Demokratie Organisationen. Zu nennen sind u. a. der geht allerdings weiterhin vom Rechtssog. Islamische Staat (IS), (Kern-)al-Qaida, extremismus aus. Diese Ideologie kann die deren Regionalorganisationen sowie weitere demokratischen Grundwerte unterwandern ideologisch verbundene Gruppierungen. und die Stabilität unseres politischen Die Taten verüben sowohl allein handelnde Systems bedrohen. Darüber hinaus sind Personen als auch (Kleinst-)Gruppen. Angriffe auf die Sicherheit der Menschen, Gemeinsam ist ihnen ihre propagandistische die sich im islamistischen Terrorismus oder Vereinnahmung durch ter ro ris tis che in der linksextremistischen Militanz zeigen, Gruppierungen. Bei einigen tritt diese abzuwehren und zu bekämpfen. Sie stellen bereits vor der Tat auf, bei anderen erst im eine weitere Herausforderung für unseren Nachhinein. Rechtsstaat, die Sicherheitsbehörden und damit die Wehrhaftigkeit unserer DemoDie anhaltenden Konflikte im Nahen Osten kratie dar. Anders als der Rechtsextremismus führen ferner zu einer Emotionalisierung können sie diese jedoch nicht unterwandern. von Teilen der insbesondere jüngeren muslimischen Bevölkerung in Deutschland. His torisch betrachtet haben recht s- Dieser Umstand wird systematisch von extremistische Bewegungen in der Verislamistischen Gruppen genutzt, um für ihre gangenheit immer wieder versucht, die extremistische Ideologie zu werben. Demokratie zu schwächen oder sogar zu zerstören. Deshalb ist es wichtig, wachsam Der Rechtsstaat muss sich im Kampf gegen zu sein und zu bleiben. Es gilt unsere Demojede Art von Extremismus wehrhaft zeigen. kratie zu verteidigen. Nur durch eine starke Dazu gehört es auch, dass wir Islamisten, die Gesellschaft, die demokratische Prinzipien unsere Demokratie und unsere Art zu leben, schätzt und schützt, können wir sicherfundamental ablehnen und angreifen, mit stellen, dass unsere Demokratie auch in allen Mitteln des Rechtsstaats konsequent Zukunft Bestand hat. entgegentreten. Auf dieser Basis haben wir Mitte Juni 2024 den Verein "DeutschWir stellen mit Sorge fest, dass die Mitglieder sprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." der Partei "Alternative für Deutschland" in Braunschweig verboten, aufgelöst und (AfD) öffentlich deutlich wahrnehmbar an das Vereinsvermögen eingezogen. Mit einer Spaltung der Gesellschaft arbeiten und 4 gezielt Vorurteile schüren. Viele Menschen - und gerade junge Frauen und Männer - sind das Ziel der vermeintlich einfachen Lösungsvorschläge. Mit Verunsicherung und Ausgrenzungsparolen wird versucht, auf sie Einfluss zu nehmen. Die niedersächsische AfD ist als Verdachtsobjekt eingestuft. Aktuelle Gutachten, bezogen auf die Einstufung der Gesamtpartei oder einzelner Landesverbände, werden vor diesem Hintergrund auch in Niedersachsen intensiv ausgewertet. Eine Entscheidung über eine Höherstufung der niedersächsischen AfD zum Beobachtungsobjekt oder die Ausstufung wird spätestens im Jahr 2026 zu treffen sein. Krisenzeiten erfordern eine klare und deutlich erkennbare Orientierung. Deshalb muss der Rechtsstaat seine Stärke zeigen und die Politik klar nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Zusammen mit Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, müssen wir uns wehrhaft gegenüber den Angriffen auf unsere demokratischen Errungenschaften und Werte zeigen. Lassen Sie uns gemeinsam für diese eintreten. Daniela Behrens Niedersächsische Ministerin für Inneres, Sport und Digitalisierung 5 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, der Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem zum Schutz unserer Demokratie" ist gefragt wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Umgang mit dem andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine, der erneut eskalierte Nahostkonflikt, die Zukunft unserer diese Entwicklung zu beobachten. Es gilt Partnerschaft mit den USA und insbesondere diesbezüglich zu differenzieren, dass nicht Fragen der Migration und Zuwanderung jedes niedersächsische Mitglied dieser polarisieren unsere Gesellschaft. Diese die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Menschen beschäftigenden Themen schaffen Zudem darf diese Ausrichtung auch AfDeine Basis für Populismus und Extremismus. Wählerinnen und -Wählern nicht pauschal Es werden vermeintlich einfache Lösungen zugeschrieben werden. angeboten, um in der Bevölkerung zu verfangen und zugleich eine demokratiefeindZudem wird im Linksextremismus, dem liche Stimmung zu erzeugen. Extremismus mit Auslandsbezug sowie dem Islamismus die jeweilige Ideologie anhand Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird der im gesellschaftlichen Fokus stehenden zunehmend in Frage gestellt. Anders ausKrisenthemen und Krisenherde, wie aktuell gedrückt: "Die Demokratie steht unter in Osteuropa und Nahost, propagiert. Druck!" Der "Antimilitarismus" hat seit dem Insbesondere Rechtsextremisten greifen Beginn des russischen Angriffskrieges auf die kontrovers diskutierten Themen auf, die Ukraine bei Linksextremistinnen und um sie demokratiefeindlich, völkischLinksextremisten wieder an Bedeutung nationalistisch, fremdenfeindlich, gewonnen. Das zeigte nicht zuletzt ein rassistisch und antisemitisch aufzuladen. Brandanschlag auf das Gartenhaus des VorAm meisten profitiert haben davon neustandsvorsitzenden der "Rheinmetall Waffe rechte Kampagnen, Strömungen und Munition GmbH" im April 2024. Organisationen. Hervorzuheben ist dabei die Partei "Alternative für Deutschland" Ein Anschlag von Anhängern der "Arbeiter(AfD). Innerhalb der AfD konnten die partei Kurdistans" (PKK) auf das türkische extremistischen Kräfte ihre Machtstellung Generalkonsulat in Hannover im März 2024 weiter ausbauen. Auch bei der AfD Niederdemonstrierte, welchen Einfluss politische sachsen und ihren Untergliederungen ist Ereignisse im Ausland auf das Agieren 6 extremistischer Organisationen auch hierzuder zivilgesellschaftlichen Organisationen, lande haben können. der Politik und insbesondere auch der Bürgerinnen und Bürger. Die gestiegene Präsenz von Bildern und Filmen über Angriffe Israels auf den GazaDer vorliegende Verfassungsschutzbericht Streifen sowie das Leid der dortigen Zivildes Jahres 2024 soll mit seinen umfangbevölkerung in der Berichterstattung und reichen Informationen und Analysen dafür den sozialen Netzwerken zeigt weiterhin eine Grundlage schaffen. eine stark emotionsbezogene Verbreitung israelfeindlicher und propalästinensischer In diesem Zusammenhang möchte ich auf Positionen. das diesjährige phänomenübergreifende Kapitel "Nahost-Konflikt und AntisemitisAufwühlende Solidarisierungsaufrufe in mus - Auswirkungen auf Niedersachsen" islamistisch geprägten Moscheen und sowie auf das Sonderkapitel "Der Krieg von islamistischen sowie terroristischen Russlands gegen die Ukraine: Auswirkungen Organisationen werden eingesetzt, um die auf Niedersachsen" hinweisen. Dieses Stimmung auch in Deutschland aufzuladen. widmet sich insbesondere unseren ErkenntDabei sorgt die Nutzung digitaler Medien für nissen über hybride Bedrohungen bzw. der eine größere Reichweite und Verbreitung. hybriden Kriegsführung durch Russland. Es hat sich gezeigt, dass Antisemitismus ein erheblicher Bestandteil einiger propalästinensischer Gruppierungen ist. Mit ihren israelund judenfeindlichen Parolen sind diese Gruppierungen auch in Niedersachsens Städten präsent. Dirk Pejril Da m i t bieten sie u nt e r anderem Niedersächsischer Anknüpfungspunkte für den Rechtsund Verfassungsschutzpräsident den Linksextremismus. Diese Entwicklung bedarf einer genauen Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Die größte Gefahr für die Demokratie geht nach wie vor vom Rechtsextremismus aus. Um rechtsextremistischen Narrativen wirksam entgegentreten zu können, bedarf es des Engagements der Sicherheitsbehörden, 7 Themenübersicht Themenübersicht 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 02 Brennpunktthemen 03 Rechtsextremismus 04 Linksextremismus 05 Islamismus 06 Extremismus mit Auslandsbezug 07 Extremismusprävention 08 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 09 Geheimschutz 10 Wirtschaftsschutz 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 12 Anhang 8 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie ............................................16 1.2 Gesetzliche Grundlagen .............................................................18 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes ....................................19 1.4 Organisation ............................................................................. 20 1.5 Informationsgewinnung ............................................................ 20 1.6 Kontrolle ....................................................................................21 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst .................................... 22 1.8 Beschäftigte .............................................................................. 24 1.9 Haushalt ................................................................................... 24 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ......................... 24 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ-Niedersachsen) ...... 26 1.12 Informationsverarbeitung .......................................................... 27 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ...................... 29 1.14 Extremisten und waffenrechtliche Erlaubnisse ............................ 30 1.15 Presseund Öffentlichkeitsarbeit ............................................... 32 1.16 Kontaktdaten ............................................................................ 35 1.17 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes .......... 36 2. Brennpunktthemen 2.1 Nahost-Konflikt und Antisemitismus: Auswirkungen auf Niedersachsen .......................................................................... 40 2.2 Der Krieg Russlands gegen die Ukraine: Auswirkungen auf Niedersachsen ............................................................................51 9 Inhaltsverzeichnis 3. Rechtsextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................. 68 3.2 Einführung ................................................................................ 70 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus .......................... 73 3.4 Rechtsextremistische Musikszene ............................................... 83 3.5 Neonazistische Szene ................................................................ 94 3.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ................................... 104 3.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen ........................................ 112 3.8 Alternative für Deutschland (AfD; Verdachtsobjekt) .................. 118 3.9 Die Heimat (vormals Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD) ........................................................129 3.10 Die Rechte ...............................................................................138 3.11 Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen ..........................................142 3.12 Reichsbürger & Selbstverwalter .................................................147 4. Linksextremismus 4.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................166 4.2 Einführung ...............................................................................167 4.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus ............................168 4.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ......................................................................172 4.5 Anarchisten............................................................................. 205 10 Inhaltsverzeichnis 5. Islamismus 5.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................. 212 5.2 Islamismus ............................................................................... 213 5.3 Salafismus ................................................................................225 5.4 Islamistischer Terrorismus .........................................................243 5.5 Muslimbruderschaft (MB) .........................................................262 5.6 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) .....................................................................269 5.7 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) .....................................................271 5.8 Hizb Allah (Partei Gottes) .........................................................274 5.9 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus ..................................... 280 6. Extremismus mit Auslandsbezug 6.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 286 6.2 Einführung .............................................................................. 286 6.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug ..... 288 6.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).................................................292 6.5 ÜlkücüBewegung .................................................................. 304 7. Extremismusprävention 7.1 Extremismusprävention ............................................................314 7.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen ..............................315 7.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"................316 7.4 Informationsmaterialien ............................................................318 7.5 Veranstaltungen ......................................................................319 7.6 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) ...........................324 7.7 Aktion Neustart .......................................................................333 7.8 Kontaktdaten ..........................................................................337 11 Inhaltsverzeichnis 8. Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen .................................... 340 8.2 Proliferation ............................................................................ 346 8.3 Cyberabwehr .......................................................................... 349 8.4 Hilfe für Betroffene ................................................................. 354 9. Geheimschutz 9.1 Geheimschutz ......................................................................... 358 10. Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung ............................................................................... 364 10.2 Aufgaben und Arbeitsweise .................................................... 366 10.3 Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) .................... 368 10.4 Best practice meeting .............................................................. 368 10.5 Geheimschutztagung .............................................................. 369 10.6 Geheimschutztag .....................................................................370 10.7 23. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ................................................................370 10.8 Kontaktdaten ...........................................................................371 12 Inhaltsverzeichnis 11. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) - Vorbemerkung ............374 11.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts .................................375 11.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links ....................................379 11.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie ............................................................ 382 11.5 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) - sonstige Zuordnung ................................................................ 385 12. Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe .................................................. 388 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz ............................. 403 12.3 Verbote rechtsextremistischer Vereinigungen ........................... 440 12.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen .................................. 442 12.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen ............................. 442 12.6 Verbote islamistischer Vereinigungen ....................................... 443 12.7 Verbote extremistischer Bestrebungen mit Bezug zum Ausland . 446 12.8 Abkürzungsverzeichnis ............................................................ 447 12.9 Personenund Stichwortverzeichnis ......................................... 454 12.10 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) ............................................... 466 12.11 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2024 ........... 467 12.12 Bilderverzeichnis ......................................................................473 13 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Republik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Elemente sind insbesondere die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien unter engen Voraussetzungen von der staatlichen Finanzierung ausschließen (Art. 21 Abs. 3 GG) oder in Gänze verbieten zu können (Art. 21 Abs. 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2, 1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt, die in SS 4 Abs. 3 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) aufgezählt sind: f das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, f die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, f das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, f die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und f die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 16 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, wenn sie sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße tätig werden und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremismusphänomenen Rechtsund Linksextremismus und dem Islamismus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt, im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung, auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle. Damit zielt er auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsextremisten leugnen das in Art. 3 GG verankerte Gleichheitsprinzip. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Weiterhin schließen Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse aus, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: f Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasireligiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. f Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein "Freund-Feind-Raster", das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos bekämpfen zu können. f Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. f Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Art. 1 GG). 17 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Aus diesem Verständnis von Politik, als einer alle Lebensbereiche regelnden Weltanschauung, lehnen Extremisten den demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert. Die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" erscheint als einziger Ausweg. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Verfassungsschutz ist Ländersache. Als Folge der föderalen Struktur der Bundesrepublik bestehen bundesweit sechzehn sich teilweise in Aufbau und Befugnissen unterscheidende Verfassungsschutzgesetze. Dem Bund wiederum obliegt die ausschließliche Gesetzgebung über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b GG). Diese ist im Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz - Bundesverfassungsschutzgesetz (BVer fSchG) geregelt. Weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz folgen aus dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses - Artikel 10-Gesetz - G10. Dieses regelt bundeseinheitlich die Telekommunikationsund Briefüber wachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden. 18 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ergeben sich aus dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz1 (NVerfSchG). Das NVerfSchG gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil bestimmt Zuständigkeiten und Aufgaben, der zweite das Beobachtungsobjekt. Die Beobachtungsbedürftigkeit gehört zu den zentralen Begriffen der bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden. Der dritte Teil regelt die eigentliche Datenverarbeitung. Neben Regelungen zum Minderjährigenund Kernbereichsschutz finden sich dort Regelungen über die Eingriffsbefugnisse (siehe Kapitel 1.5), über die Auskunftsersuchen sowie über die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Behörden. Der vierte Teil des NVerfSchG regelt die parlamentarische Kontrolle und der fünfte Teil enthält die Schlussvorschriften. Ausgelöst durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022 (Az. 1 BvR 1619/17) zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz und vom 28.09.2022 (Az. 1 BvR 2354/13) zum Bundesverfassungsschutzgesetz, befindet sich das NVerfSchG derzeit in der Novellierung. Dabei sind vor allem die Vorschriften für Datenübermittlungen an andere Behörden, insbesondere die Polizei, zu überarbeiten. Darüber hinaus ergeben sich aus der Praxis weitere Änderungsbedarfe, die eingebracht werden sollen, um die Kompetenzen den Erfordernissen weiter anzugleichen. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung 1 Siehe Kapitel 12.2. 19 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. Ebenso gehören gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten (siehe Kapitel 1.10) zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. 1.4 Organisation Verfassungsschutzbehörde ist das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält hierzu eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die ausschließlich die der Verfassungsschutzbehörde obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch die Verfassungsschutzpräsidentin oder den Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 1.5 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich auch jeder Bürgerin und jedem Bürger zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - die im 20 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Gesetz abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt und besondere Auskunftsverlangen zur Informationsbeschaffung durchgeführt werden. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die Durchführung der Auskunftsverlangen sind in den SSSS 14 bis 19 sowie 20 und 21 NVerfSchG geregelt. Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ausdrücklich keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Satz 1 NVerfSchG). Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen, Observationen und Vertrauenspersonen (VP) eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in das Grundrecht des Art. 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich. Diese sind im Artikel 10-Gesetz - G 10 geregelt. 2 Hinweis: Im Berichtszeitraum wurden keine G10-Maßnahmen durchgeführt. 1.6 Kontrolle Die Tätigkeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unterliegt vielfältigen Kontrollen. Dazu gehören interne, die durch den behördlichen Datenschutzbeauftragten vorgenommen und externe Überprüfungen, die durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen ausgeführt werden. Einzelmaßnahmen, wie Personenspeicherungen, sind gerichtlich überprüfbar. 2 Siehe hierzu auch das folgende Kapitel 1.6. 21 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 34 NVerfSchG verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (AfAV) des Niedersächsischen Landtages umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zu unterrichten. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die sogenannte G 10-Kommission 3 (SS 3 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Im Rahmen der Novellierung des NVerfSchG im Jahr 2016 wurden weitere Zuständigkeiten der Kommission geschaffen. Sie entscheidet als weisungsunabhängige Stelle auch über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz eingesetzten eingriffsintensiven nachrichtendienstlichen Mittel. Dazu gehören z. B. längerfristige Observationen oder verdeckt angefertigte Bildaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen (SS 14 Abs. 1 i. V. m. SS 21 Abs. 3 NVerfSchG). Diese Kontrollfunktion ist mit dem Richtervorbehalt des Niedersächsischen Polizeiund Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) bzw. der Strafprozessordnung (StPO) vergleichbar. 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verstehen sich als Nachrichtendienste. Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, 3 Die G10-Kommission besteht aus einer oder einem Vorsitzenden (mit Befähigung zum Richteramt) und zwei Beisitzenden, von denen einer auch die Befähigung zum Richteramt haben muss. Die Mitglieder werden vom Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zu Beginn der Wahlperiode bestellt. 22 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegnerinnen und Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 1.8 Beschäftigte Der vom Niedersächsischen Landtag verabschiedete Haushaltsplan für den Einzelplan 03 (Ministerium für Inneres und Sport) bestimmt durch die Ausweisung von Planstellen im Stellenplan und Beschäftigungsvolumen sowie durch die Festlegung von Rahmenbedingungen für die Personal-Gesamtkosten (Personalkostenbudget), in welchem Umfang der Niedersächsische Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Für das Haushaltsjahr 2024 sind im Stellenplan des Niedersächsischen Verfassungsschutzes 293 Planstellen für Beamtinnen und Beamte ausgewiesen (2023: 290). Darüber hinaus ermöglicht das Entwicklung der Beschäftigten zum Beginn des Haushaltsjahres Stellen VZE 400 300 280 260 240 268,24 280,68 332,99 314,32 314,32 280,13 334,13 317,46 317,32 220 286 298 298 350 350 353 351 351 351 200 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 23 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2024 die Finanzierung von 60 Beschäftigungsmöglichkeiten für Tarifpersonal (2023: 60). Das Beschäftigungsvolumen weist demgegenüber die Summe der vollbeschäftigten und der auf Vollzeit umgerechneten teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus und wird im Haushaltsplan als Vollzeiteinheiten (VZE) ausgedrückt. Es umfasst im Haushaltsjahr 2024 insgesamt 317,32 Vollzeiteinheiten (VZE) (2023: 314,32 VZE). 1.9 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2024 für Personalausgaben 20.428.000 Euro (2023: 20.205.000 Euro) und für Sachausgaben 7.565.000 Euro (2023: 7.022.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 27.993.000 Euro (2023: 27.227.000 Euro). 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Mit der Umsetzung der Einführung der Regelanfrage im Waffenrecht im Jahr 2020 erlangten die Mitwirkungsbereiche der Landesverfassungsschutzbehörden eine erhebliche - auch mediale - Aufmerksamkeit. Bei Regelanfragen handelt es sich um Anfragen, die eine Verwaltungsbehörde (z. B. die Waffenbehörde oder die Ausländerbehörde) an die Verfassungsschutzbehörde richtet, um zu erfahren, ob Erkenntnisse vorliegen, die der begehrten Erlaubnis entgegenstehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in jüngster Zeit verschiedentlich mit den aus Regelanfragen resultierenden Erkenntnisübermittlungen befasst, zuletzt im Beschluss vom 17.07.2024 zum Hessischen Verfassungsschutzgesetz (Az. 1 BvR 2133/22). Erstmalig seit zehn Jahren waren die Anfragezahlen im Jahr 2024 leicht rückläufig. Die Zahl der Anfragen sank von 222.663 (2023) um ca. 5.000 auf 217.479 im Jahr 2024. 24 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Grund hierfür ist ein leichter Rückgang bei den Anfragen im Aufenthaltsbereich (2024: 72.663; 2023: 75.318). Diesem Rückgang steht jedoch ein signifikanter Anstieg der Anfragen in Einbürgerungsverfahren von ca. 25 Prozent gegenüber. Die Zahl stieg von 24.857 (2023) auf 31.531 (2024). Der Anstieg liegt begründet in Erleichterungen bei den Einbürgerungsvoraussetzungen. Diese ermöglichten vielen ausländischen Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Ein weiterer Trend hat sich verstetigt, denn auch die Anzahl der Anfragen, zu denen Erkenntnisse beim Verfassungsschutz vorlagen, ist von 743 (2023) auf 675 (2024) gesunken. Sie ist im Vergleich zum Vorjahr nicht nur nominell, sondern auch im Verhältnis zur Anzahl der Gesamtanfragen gesunken. Damit werden lediglich in 0,31 (2023: 0,33) Prozent der Fälle überhaupt Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu den angefragten Personen mitgeteilt. Entwicklung der Mitwirkungsaufgaben 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 196.384 205.580 222.663 165.695 217.479 82.429 99.865 85.419 61.412 0 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 25 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Auch eine andere rechtliche Änderung hat zu einem Rückgang von Bürokratie und Anfragen im Bereich der waffenrechtlichen Erlaubnisse geführt: Nach der Änderung des SS 17 Abs. 1 Bundesjagdgesetz im Oktober 2024 prüft die zuständige Waffenbehörde die Zuverlässigkeit der Jagdscheininhaber für die Jagdbehörde. Auf diese Weise werden doppelte Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde vermieden. In der Folge gingen die Anfragen in diesem Bereich von 90.212 (2023) auf 82.911 (2024) zurück. Weitere anfragenstarke Aufgabengebiete sind Zuverlässigkeitsüberprüfungen in folgenden Bereichen: f Visa-Verfahren 6.632 Anfragen (2023: 9.181 Anfragen) f Atomrecht 6.314 Anfragen (2023: 6.878 Anfragen) f Bewachungsgewerbe 5.945 Anfragen (2023: 5.145 Anfragen) 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ-Niedersachsen) Eine Form der Zusammenarbeit zwischen der Polizei und dem Verfassungsschutz stellt das "Gemeinsame Informations-und Analysezentrum" (GIAZ) dar. Hierbei handelt es sich um eine bewährte Struktur, die einen kontinuierlichen, konstruktiven und schnellen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz in einem festgelegten Rahmen gewährleistet. Das GIAZ hat u. a. die Aufgabe, polizeiliche und nachrichtendienstliche Informationen zusammenzuführen, gemeinsam zu analysieren und zu bewerten. Angelehnt an die Arbeit der gemeinsamen Zentren auf Bundesebene finden auch in Niedersachsen, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, sowohl wöchentliche als auch anlassbezogene Lagebesprechungen 26 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen statt. Diese Form des Austausches optimiert die sicherheitsbehördliche Zusammenarbeit und stellt somit eine entscheidende Voraussetzung für die effektive Beobachtung und ganzheitliche Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus dar. Der Informationsaustausch ist im Schwerpunkt auf folgende Themenfelder ausgerichtet: f Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug, f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Hybride Bedrohungen und f Aktuelle, anlassund lagebezogene Schwerpunkte. Gemeinsam haben das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) und die Abteilung 5 des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport somit eine Plattform geschaffen, die auch durch technische Kommunikationsmöglichkeiten eine fachkompetente, frühzeitige und lageangepasste Bewertung polizeilicher sowie nachrichtendienstlicher Erkenntnisse in der Alltagsorganisation, wie auch in Besonderen Lagen, zulässt. Zudem bildet das GIAZ den Rahmen, den Erkenntnisaustausch mit weiteren sicherheitsbehördlichen Partnern aus besonderem Anlass zu intensivieren und zu verstetigen. Basierend auf der langjährigen Zusammenarbeit im GIAZ hat sich daneben auch der direkte Austausch auf Ebene der Sachbearbeitung etabliert. 1.12 Informationsverarbeitung Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist - wie auch die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und Dienstvorschriften regeln detailliert die Datenverarbeitungsbefugnisse. Deren Beachtung unterliegt der Kontrolle durch den LfD Niedersachsen und dem bzw. der in der Verfassungsschutzbehörde bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen 27 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Unterrichtung unterhalten die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete gemeinsame Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. NADIS ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie i. d. R. auf elek tronischem Wege bei dieser an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Entwicklung der NADIS-Speicherungen SÜ und Mitwirkung Phänomenbezogen 130.000 120.000 110.000 100.000 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 3.482 5.489 4.942 5.228 3.359 4.561 5.792 3.771 5.138 128.780 128.478 118.326 123.750 80.688 73.226 75.250 74.341 71.530 20.000 10.000 0 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 28 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten beziehen sich nicht nur auf Personen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Darin werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung (SÜ) mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als konkrete Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2024 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): f im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwirkungsaufgaben 123.750 (128.780), f im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 3.482 (3.359). 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten; seit der Gesetzesänderung vom 07.07.2021 (Nds. GVBl. S. 483) bedarf es hierzu jedoch der Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines besonderen Interesses an der Auskunft (SS 30 NVerfSchG). Entwicklung der Auskunftsersuchen 500 400 300 200 100 47 450 294 283 210 319 133 81 82 0 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 29 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Im Jahr 2024 wurden 82 Auskunftsersuchen (2023: 47) beantwortet. In 15 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. In einem Fall wurde der einer Erfassung zugrundeliegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In fünf Fällen wurde den Auskunftsersuchenden der ihrer Erfassung zugrundeliegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 30 Abs. 4 NVerfSchG an den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen verwiesen. 61 Auskunftsersuchen haben auch nach wiederholter Aufforderung zur Nachlieferung die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt. Eine nur eingeschränkte Auskunft bzw. die Ablehnung einer Auskunftserteilung erfolgt aufgrund der Ablehnungsgründe aus SS 30 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 NVerfSchG. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Offenlegung von Informationen Rückschlüsse auf die Identität von Vertrauenspersonen zur Folge haben würde. Auch Erkenntnisse, die der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde von einer anderen Verfassungsschutzbehörde übermittelt werden, dürfen nur mitgeteilt werden, wenn die übermittelnde Behörde zustimmt (SS 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NVerfSchG i. V. m. SS 6 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG). Jede einzelne Erkenntnis zur Person der Antragstellerin bzw. des Antragstellers wird einer Prüfung unterzogen, sodass in einigen Fällen auch eine eingeschränkte Auskunft erteilt wird, da Ablehnungsgründe auch gegen die Mitteilung nur einzelner Erkenntnisse sprechen können. 1.14 Extremisten und waffenrechtliche Erlaubnisse Die Gefahr für die Gesellschaft, die von Waffen in den Händen von Personen, die nicht auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, ausgeht, ist unbestritten. Die Frage nach den waffenrechtlichen Erlaubnissen beleuchtet in diesem Kontext jedoch nur einen Teil, nämlich die legale Verfügungsgewalt über Waffen. Das Waffenrecht unterscheidet hier wiederum sehr genau zwischen einzelnen Erlaubnissen: 30 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f Die Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen wird nach SS 10 Abs.1 Satz 1 Waffengesetz (WaffG) durch eine Waffenbesitzkarte oder durch Eintragung in eine bereits vorhandene Waffenbesitzkarte erteilt. Vom Besitz und Erwerb ist das Führen einer Waffe zu unterscheiden. Führen meint in diesem Zusammenhang die Ausübung der tatsächlichen Sachgewalt über die Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume und des befriedeten Besitztums. f Ein kleiner Waffenschein nach SS 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG berechtigt ausschließlich zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoffund Signalwaffen, wenn diese das Zulassungszeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) aufweisen. Waffen mit dem PTB-Prüfzeichen können frei erworben werden. f Die Erlaubnis zum Schießen mit einer Schusswaffe wird durch einen Erlaubnisschein erteilt (SS 10 Abs. 5 WaffG). Dies geschieht für Jägerinnen und Jäger zur Nutzung der Waffe zu jagdlichen Zwecken durch den Jagdschein. f Von einer waffenrechtlichen Erlaubnis befreit ist man, wenn man nur auf einer Schießstätte nach SS 27 WaffG schießt und selbst keine Waffen erwerben oder besitzen will. f Der sogenannte große Waffenschein, der zum Führen einer Waffe in der Öffentlichkeit ermächtigt, wird nur in seltenen Ausnahmefällen bewilligt, beispielsweise zur Bewachung von Geldtransporten. Aus den vorgenannten Gründen ist ein genereller Rückschluss aus der Anzahl waffenrechtlicher Erlaubnisinhaber auf die tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Waffen in unzuverlässigen Händen nicht möglich. Darüber hinaus handelt es sich bei der Anzahl von waffenrechtlichen Erlaubnissen um dynamische Zahlen: Es gibt immer Personen, die zum extremistischen Personenpotenzial hinzukommen oder der Ideologie den Rücken kehren, die eine waffenrechtliche Erlaubnis freiwillig zurückgeben oder durch ein Verwaltungsverfahren dazu gezwungen werden. Darüber hinaus trägt auch die nicht unwesentliche Dauer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Unschärfe des Gesamtbildes bei. 31 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.15 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Die freiheitliche Verfassung zu schützen, bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, sodass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Dies ist eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe. Gemäß SS 3 Abs. 3 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährlich erscheinende Niedersächsische Verfassungsschutzbericht (SS 33 Abs. 2 NVerfSchG). Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfassungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. Neben dem Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht werden die "Informationen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes" herausgegeben. Diese als PDF-Dokument zweimonatlich versendete Broschüre richtet sich insbesondere an Polizei-, Justizund kommunale Ordnungsbehörden, aber auch an Mitglieder von Gremien des Niedersächsischen Landtages und Nachrichtendienste. Die Broschüre informiert über Themen, mit denen sich der Niedersächsische Verfassungsschutz aktuell befasst. Die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit und der Prävention werden in den Organisationsbereichen Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie dem fachübergreifend arbeitenden Bereich der Prävention (siehe Kapitel 6 dieses Berichts) des Niedersächsischen Verfassungsschutzes koordiniert. Beide Bereiche arbeiten eng zusammen und bieten der Öffentlichkeit u. a. Informationen über f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Extremismus mit Auslandsbezug, f Islamismus und f Präventionsmaßnahmen. 32 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit ist Ansprechpartner für Medienvertreterinnen und -vertreter und Bürgerinnen und Bürger in allen Fragen zum Extremismus. Die Presseund Bürgeranfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Häufig wird eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. Auch wird Unterstützung erbeten von z. B. Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die für ihre Arbeiten auf Informationen oder Dokumente des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zurückgreifen möchten. Häufig werden Hinweise auf extremistische Flyer, Plakate oder Internetveröffentlichungen aufgenommen und an die entsprechenden Fachreferate und/oder an die Polizei weitergeleitet. Daneben kommt eine Beratung mit dem Fachbereich Prävention in Betracht bzw. die Einschaltung einer zivilgesellschaftlichen Organisation oder einer Sozialbehörde. Sowohl bei den Medienkontakten als auch bei allen anderen Anfragen dominierte 2024 erneut der Komplex "Rechtsextremismus". Mit Abstand folgen Themen des Islamismus, des Linksextremismus und Fragen zur Organisation, den gesetzlichen Grundlagen, den Befugnissen oder der Verfahrensweise des Verfassungsschutzes und zu hybriden Bedrohungen. Der Schwerpunkt der Themensetzung wird maßgeblich durch den jeweils aktuellen öffentlichen Diskurs mitbestimmt. Die fortschreitende Digitalisierung macht sich nicht nur in vielen Aspekten des alltäglichen Lebens bemerkbar, sondern beeinflusst die Wahl der genutzten Medien und die damit einhergehende Informationsaufnahme. Extremistische Inhalte und Propaganda können so ungefiltert die Meinungsbildungsprozesse beeinflussen und Desinformationen verbreiten sich viel schneller. Das Risiko, Desinformationen zu rezipieren und zu verbreiten, betrifft Jung und Alt. Neben Lebenserfahrung spielt Medienkompetenz eine wichtige Rolle bei der Informationsaufnahme im Internet und damit 33 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen für den Meinungsbildungsprozess. Daher ist es wichtig, Nutzerinnen und Nutzer auch online über Gefahren von extremistischen Inhalten aufzuklären und sie für diese zu sensibilisieren. Social Media als Teil der Öffentlichkeitsarbeit Soziale Medien gehören zum Alltag der Menschen. Deshalb ist auch der Niedersächsische Verfassungsschutz in den sozialen Netzwerken präsent. Dies wird aus der Verpflichtung nach SS 3 Abs. 3 NVerfSchG, die Bürgerinnen und Bürger über extremistische Entwicklungen aufzuklären und zu informieren, abgeleitet. Seit Herbst 2019 nutzt der Niedersächsische Verfassungsschutz offizielle Behörden-Accounts zur Presseund Öffentlichkeitsarbeit. Den Anfang machten die Social-Media-Plattformen Facebook und Twitter (jetzt X). Die SocialMedia-Accounts sollen die eigene Präventionsund Aufklärungsarbeit einer breiteren und jüngeren Zielgruppe zugänglich machen. Gleichzeitig soll so der direkte und offene Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern gefördert und der Niedersächsische Verfassungsschutz als direkter Ansprechpartner im Social Web zur Verfügung stehen. Zuletzt startete Ende 2020 der behördliche Instagram-Account. Design, Benennung und inhaltliche Ausrichtung sollen dort den Verfassungsschutz als direkten Ansprechpartner für alle Fragen rund um Extremismus sichtbarer machen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten in Social Media steht das Ziel, die Bürgerinnen und Bürger mit transparenter Kommunikation über extremistische Inhalte und Propaganda aufzuklären und ihre Sinne diesbezüglich zu schärfen. Daneben werden Veranstaltungen des Verfassungsschutzes begleitet und präsentiert sowie Stellenausschreibungen beworben. Die bisher veröffentlichten Social-Media-Beiträge orientieren sich an den Inhalten des jeweils aktuellen Verfassungsschutzberichts oder beziehen sich auf das politische Tagesgeschehen. Zudem nutzt der Niedersächsische Verfassungsschutz Social Media, um sich mit "Meme-Beitrag" anlässlich der "Maskottchen-Affäre" beim EM-Eröffnungsspiel in München, veröffentlicht am Text-, Bildund Videoformaten stärker in den 21.06.2024: https://www.instagram.com/p/C8eUIoftanc/ gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. 34 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Social Media lebt vom Dialog und vom Diskurs. Wir möchten daher dazu motivieren, die Accounts des Niedersächsischen Verfassungsschutzes durch Fragen und einen regen Austausch mitzugestalten. Die Social-Media-Profile erreichen Sie unter: Facebook: https://www.facebook.com/Verfassungsschutz. Niedersachsen Instagram: https://www.instagram.com/verfassungsschutz.nds/ X (ehemals Twitter): https://x.com/LfV_NI 1.16 Kontaktdaten Für Fragen steht der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit beim Niedersächsischen Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-217 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de Der Niedersächsische Ver fassungsschutz informier t zudem umfassend unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service/Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre sowie Broschüren und Flyer des Niedersächsischen Verfassungsschutzes veröffentlicht. 35 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.17 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte einen Verdacht oder eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrundeliegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. Umbenennung des Ministeriums Die Niedersächsische Landesregierung hat am 20.05.2025 eine Umbenennung des "Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport" in "Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung" beschlossen. Aufgrund des Redaktionsschlusses für die Drucklegung des Berichtes erfolgte diesbezüglich nur eine punktuelle Anpassung der Bezeichnung, zumal diese auch nicht rückwirkend für das Berichtsjahr gilt. 36 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 37 02 Brennpunktthemen Brennpunktthemen 2.1 Nahost-Konflikt und Antisemitismus: Auswirkungen auf Niedersachsen Überblick Am 07.10.2023 griff die islamistische Terrororganisation HAMAS in einer koordinierten Operation Israel an. Anders als bei früheren Angriffen wurden nicht nur Raketen abgefeuert, sondern tausende Kämpfer durchbrachen die Grenze zu Israel per Land, Luft und See. Dabei gingen die Kämpfer brutal und wahllos gegen die israelische Zivilbevölkerung vor, verübten Massaker und setzten geschlechtsspezifische Gewalt ein. Über 1.000 Menschen wurden getötet, mehr als 5.400 verletzt und rund 240 als Geiseln genommen. Als Reaktion rief Israel am 08.10.2023 den Kriegszustand aus, schloss die Grenzen zum Gazastreifen und stoppte die Versorgung des Gazastreifens mit Strom, Treibstoff und Wasser. Am 10.10.2023 begannen israelische Bodentruppen ihren Einsatz im Gazastreifen mit dem Ziel, die HAMAS zu zerschlagen und die Geiseln zu befreien. Auswirkungen auf die arabisch-islamische Welt Der Überfall der HAMAS auf Israel führte zu unterschiedlichen Reaktionen innerhalb der arabisch-islamischen Welt. Während Länder wie Saudi-Arabien und der Irak eine neutrale Haltung einnehmen und ihre Unterstützung auf symbolische Solidaritätsbekundungen für das palästinensische Volk beschränken, spielen Ägypten und Katar eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen Israel und der HAMAS. Im Gegensatz dazu steht ein Bündnis sunnitischer und schiitischer Milizen, das der HAMAS finanzielle und militärische Hilfe zusichert. Diese vom Iran angeführte "Achse des Widerstands" umfasst vor allem die Huthi-Rebellen im Jemen und die islamistische Terrororganisation und Miliz "Hizb Allah" im Libanon. Sowohl die Huthi-Rebellen als auch "Hizb Allah" unterhalten unter der Führung des Iran enge Verbindungen zur HAMAS und haben sich dem militärischen Kampf gegen Israel verschrieben. Einschneidende Ereignisse waren vor allem die Tötungen hochrangiger Funktionäre beider Terrororganisationen. Am 31.07.2024 40 Brennpunktthemen wurde Ismail Haniyya, der Chef des Politbüros der HAMAS, bei einem Besuch in Teheran im Iran durch einen Sprengstoffanschlag getötet. Sein Nachfolger Yahya Sinwar, der auch als Stratege des Terrorangriffs vom 07.10.2023 gilt, wurde am 16.10.2024 bei einem israelischen Militäreinsatz in Gaza getötet, während der langjährige Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Nasrallah, am 27.09.2024 bei einem gezielten Luftangriff auf das Hauptquartier in Beirut ums Leben kam. Entwicklungen und Auswirkungen auf Niedersachsen Seit dem 07.10.2023 ist in niedersächsischen Städten eine intensive Veranstaltungsdynamik im Zusammenhang mit dem HAMAS-Angriff auf Israel festzustellen. Zunächst überwogen proisraelische Kundgebungen, doch rasch nahmen propalästinensische Versammlungen zu und dominierten schließlich das Geschehen. Während die Versammlungen Ende 2023 insgesamt deutlich abflauten, stieg die Anzahl ab Anfang 2024 insbesondere an den Wochenenden erneut an. Bis Ende 2024 wurden etwa 500 Versammlungen, vorwiegend in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Salzgitter und Wolfsburg registriert. Der Fokus der Versammlungen verlagerte sich im Laufe des Jahres 2024 zunehmend von dem Terrorangriff der HAMAS am 07.10.2023 hin zu den aktuellen Entwicklungen im Gazastreifen und seit September 2024 im Libanon. Zum Jahrestag des Angriffs wurden erwartungsgemäß wieder zahlreiche, auch proisraelische, Demonstrationen erfasst. Die Versammlungen verliefen überwiegend friedlich, wenngleich vereinzelt Störungen vorkamen, darunter Fälle der Billigung von Straftaten, Volksverhetzung, Körperverletzung, Bedrohungen sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Zudem wurde die umstrittene Parole "From the river to the sea, Palestine will be free"4 mehrfach skandiert, ebenso wie abgewandelte 4 Die Parole wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) i. Z. m. dem Betätigungsverbot der HAMAS vom 02.11.2023 ebenfalls verboten. 41 Brennpunktthemen Formen dieser Aussage. Die Anzeigenden der Veranstaltungen sowie Teilnehmende der Demonstrationen konnten nur in Teilen dem Spektrum der HAMAS oder sonstigen islamistischen Gruppierungen zugerechnet werden. Sie waren u. a. auch den Phänomenbereichen Extremismus mit Auslandsbezug und dem Linksextremismus zuzuordnen. Islamisten, palästinensische Extremisten, türkische Rechtsextremisten sowie deutsche und türkische Linksextremisten treten aus ganz unterschiedlicher Motivation als Mobilisierungstreiber in Erscheinung, organisieren propalästinensische Versammlungen oder nehmen an diesen teil und verbreiten Hass, Hetze, Propaganda oder Falschinformationen in den sozialen Medien. Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und eine generelle Ablehnung westlicher Werte und Lebensweisen sind verbindende Elemente zwischen diesen Akteuren. Deren gemeinsames Feindbild Israel lässt alte Verbindungen zutage treten und bringt neue hervor, die künftig in Einzelfällen zu einer stärkeren Zusammenarbeit führen könnten. Extremismus mit Auslandsbezug Die menschenverachtenden Angriffe der HAMAS auf Israel haben zur Neugründung oder Wiederbelebung einiger propalästinensischer Gruppierungen geführt, die dem säkularen Spektrum zuzurechnen sind. Die Teilnehmenden dieser Kundgebungen stammen überwiegend aus migrantisch geprägten Gesellschaftsteilen. Es ist aber auch zu beobachten, dass sich darüber hinaus Personen mit nicht extremistischen pazifistischen, antimilitaristischen und linken politischen Einstellungen an Protesten beteiligen. Das Personenpotenzial ist also äußerst heterogen; präzise Schätzungen oder eindeutige Zuordnungen sind mitunter schwierig, da es sich um "Mitgliedschaften durch Mitmachen" handelt und oft dieselben Personen aus Solidarität an mehreren Veranstaltungen teilnehmen. So kommt es auch zu Überschneidungen mit dem türkisch-linksextremistischen Spektrum, deren Anhänger sich teils in propalästinensischen Gruppierungen wie "Young Struggle"5 organisieren. 5 Hierbei handelt es sich um die Jugendorganisation der türkischen "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP). 42 Brennpunktthemen Dabei bilden u. a. die Leugnung des Existenzrechts Israels, der Antisemitismus und die Kritik an den westlichen sogenannten Kolonialmächten oftmals einen gemeinsamen Bezugsrahmen. Ein wiederkehrendes Element dieser Demonstrationen ist der Antizionismus, der sich - anfangs explizit, mittlerweile eher verklausuliert - ausdrückt in umstrittenen Parolen wie "From the river to the sea, Palestine will be free" oder Transparenten mit Landkarten, auf denen der Staat Israel fehlt. Unorganisierte extremistische palästinensische Einzelpersonen organisieren sich mit Anhängerinnen und Anhängern und Sympathisierenden der Bewegung "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" (BDS). Deren Ziel ist die Beseitigung des Staates Israel, was durch wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Boykott sowie Desinvestitionen (Kapitalabzug) und Sanktionen gegen Israel erreicht werden soll. Die BDS-Agenda wird von zahlreichen säkularen propalästinensischen Gruppierungen unterstützt und bildet so den Nährboden für die ideologische Untermauerung der Proteste. Die Anzeigenden dieser Demonstrationen und die Ordnerinnen und Ordner sind bemüht, keine offen antisemitischen oder antizionistischen Ausrufe und Symbole zu dulden. Dennoch wurde in Salzgitter im Oktober 2023 eine israelische Flagge verbrannt. In Oldenburg wurde nach einer propalästinensischen Demonstration, in deren Folge ein Strafverfahren u. a. wegen Volksverhetzung eingeleitet worden war, eine weitere Demonstration aus Sorge um die öffentliche Sicherheit verboten. Der israelbezogene Antisemitismus richtet sich im säkularen palästinensischen Extremismus vor allem gegen die Existenz des Staates Israel. Damit bietet dieser Anknüpfungspunkte für die antisemitische Agitation vieler unterschiedlicher Organisationen, Netzwerke und Einzelpersonen. Jüdinnen und Juden wird allenfalls die Möglichkeit einer Koexistenz in einem Staat "Palästina" zugestanden, dessen Grenzen vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer auch das Staatsgebiet Israels mit umfassen sollen. Das Existenzrecht Israels wird damit bestritten. Religiöse oder rassistische Minderwertigkeitszuschreibungen in Bezug auf Personen jüdischen Glaubens sind von untergeordneter Bedeutung, worin auch der Unterschied zum religiös geprägten islamistischen Antisemitismus besteht. 43 Brennpunktthemen Islamismus Antisemitismus ist ein zentraler Bestandteil der islamistischen Ideologie und dementsprechend bei allen islamistischen Gruppierungen wahrnehmbar. Islamisten greifen in ihrer Argumentation auf unterschiedliche Quellen zurück und vermischen diese oft. Antisemitische Narrative knüpfen zum einen an klassische Quellen des Islams (Koran, Hadithe 6) an und interpretieren sie dahingehend, dass sich Gott von den Juden abgewandt habe, da sie z. B. "Mörder von Propheten" seien und deren Bekämpfung somit einen Befehl Gottes darstelle. Andererseits gibt es aber auch Elemente des westlichen Antisemitismus, wie die "Ritualmordlegende", die "Protokolle der Weisen von Zion" oder die Leugnung des Holocausts, die in die Agitationen im islamistischen Kontext übernommen wurden. Dazu kommen häufig antizionistische Aspekte, die meist unreflektiert aus dem Diskurs innerhalb der arabischen Welt übernommen werden. Im Rahmen der sich anschließenden kritischen Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern werden dann übernommene antijüdische Stereotype und israelfeindliche Dämonisierungen verbreitet. Salafistische Prediger greifen in ihren Predigten und Vorträgen immer wieder Stellen in Koran und Hadithen auf, die im Kontext der Kriege des Propheten Muhammad gegen die jüdischen Stämme in Mekka und Medina entstanden sind. Bei ihrer Auslegung ordnen sie diese jedoch nicht in den historischen Kontext ein, sondern nutzen diese Aussagen, um zu belegen, dass Juden minderwertig und die natürlichen Feinde der Muslime seien. Häufig geschieht dies nur andeutungsweise oder in metaphorischer Sprache. Wenn jedoch von den "Affen" oder "Schweinen" die Rede ist, dann ist den Zuhörenden in Verbindung mit entsprechenden Koranstellen klar, dass damit Menschen jüdischen Glaubens gemeint sind. Sehr populär im gesamten islamistischen Spektrum, v. a. aber bei legalistischen Gruppierungen wie der "Muslimbruderschaft", sind antisemitische Verschwörungstheorien, die insbesondere über die sozialen Medien eine weite Verbreitung finden. Ein häufiges Beispiel dafür sind Karikaturen, in denen Jüdinnen und Juden (z. T. in Verbindung mit den USA) als Strippenzieher im Hintergrund und die eigentlichen Herrscher über die Finanzen und die 6 Der arabische Begriff "Hadithe" bedeutet übersetzt "Überlieferungen des Propheten Muhammad". 44 Brennpunktthemen Weltpolitik dargestellt werden. Auch der im Zusammenhang mit propalästinensischen Demonstrationen massenhaft verwendete Slogan "Kindermörder Israel" bezieht sich in seinem Ursprung auf die aus dem Mittelalter stammende "Ritualmordlegende", wonach Juden gezielt Kinder töten würden, um deren Blut für kultische Zwecke zu verwenden. Einen maßgeblichen Kristallisationspunkt antisemitischer Agitation im Islamismus stellt der Staat Israel dar, der als "neokolonialistischer Brückenkopf" oder "Fremdkörper in der islamischen Welt" wahrgenommen wird. Dementsprechend wird in islamistischem Kontext häufig der Begriff des Zionismus verwendet, der aber nicht im Sinne eines jüdischen Selbstbestimmungsrechts, sondern als Synonym für das Judentum verstanden wird. Die islamistische Agitation auf Demonstrationen oder im Internet geht oft weit über eine reine Kritik am politischen Handeln des Staates Israel hinaus und greift auf antijüdische Verschwörungstheorien zurück. Z. B. werden Begriffe, wie "ZOG" ("Zionist Occupied Government"), "USrael" oder "JewSA" verwendet, die Jüdinnen und Juden eine Kontrolle der Weltpolitik unterstellen oder es wird von "den Zionisten als kollektiver Bedrohung des Weltfriedens" gesprochen, was das Feindbild von "den Juden als Feinde der Menschheit" aufgreift. Im islamistischen Spektrum ist seit dem 07.10.2023 vor allem online eine massive Zunahme antiisraelischer und oft auch antisemitischer Propaganda festzustellen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen den unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen und das Feindbild des Judentums bzw. Israels hat sich zum Brückennarrativ zwischen den verschiedenen Strömungen etabliert. Dies geht so weit, dass selbst die jihadistisch ausgerichteten Terrororganisationen wie "alQaida" und der "Islamische Staat" (IS), welche die HAMAS ideologisch eigentlich ablehnen, in ihrer Propaganda den Terrorangriff der HAMAS begrüßen und zunehmend auch Aufrufe zu Anschlägen gegen israelische und jüdische Einrichtungen veröffentlichen. Bei den propalästinensischen Protesten sind häufig auch islamistische Personen und Organisationen präsent. Allerdings üben diese keinen maßgeblichen Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen aus. Das hat auch taktische Gründe. Die Anhänger von HAMAS und "Hizb 45 Brennpunktthemen Allah" verstehen Deutschland als Rückzugsraum und wollen die logistische und finanzielle Unterstützung nicht durch eine negative öffentliche Wahrnehmung gefährden. Jenseits des HAMASund "Hizb Allah"-Spektrums waren auf einigen Veranstaltungen islamistische Einflüsse festzustellen. Ein prägnantes Beispiel ist die Demonstration am 15.06.2024 in Hannover, die unter dem Titel "Palästina, Demo am Tag von Arafa"7 stattfand. Organisiert wurde die Kundgebung von "Generation Islam"8, einer "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 9 nahestehenden Organisation. Sie verzeichnete etwa 1.200 Teilnehmende. Zwei führende Vertreter von "Generation Islam" traten als Hauptredner auf. Obwohl der Nahost-Konflikt offiziell als Anlass der Veranstaltung deklariert war, stand die Verbreitung islamistischer Propaganda im Vordergrund. Sie bediente vor allem das Narrativ der muslimischen Opferrolle. Der Konflikt mit Israel wurde als Akt der Selbstverteidigung dargestellt, während die militärischen Maßnahmen Israels als Völkermord an den Muslimen im Gazastreifen bezeichnet wurden. Zudem forderten die Redner eine "islamische Lösung für den Nahen Osten", nachdem die Polizei die Verwendung des Begriffs "Kalifat" untersagt hatte. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der islamistische Antisemitismus stark auf den Staat Israel und den Kampf gegen dessen Existenz bezogen ist. Islamisten leiten aus dem Nahostkonflikt ab, dass "ein echter Muslim" auf der Seite der palästinensischen Glaubensgeschwister" stehen müsse. Kritik an der HAMAS oder Solidarität mit Israel wird als Verrat an der eigenen Religion verurteilt. Der deutsche Staat wird aufgrund seiner Anteilnahme für die israelischen Opfer des Terrorangriffs abgelehnt. Allen Muslimen wird demnach die Entscheidung abverlangt, sich für die "richtige Seite" zu entscheiden oder andernfalls kein wahrer Muslim zu sein. Linksextremismus Eigentlich ist im linksextremistischen Denken für Antisemitismus kein Platz, dennoch gibt es ihn. Vor allem antiimperialistisch 7 Siehe hierzu Kapitel 5.2, Abschnitt Ausblick. 8 Siehe hierzu Kapitel 5.2, Abschnitt Ausblick. 9 Hierbei handelt es sich um eine Abspaltung der Muslimbruderschaft, die 1953 als transnationale islamistische Bewegung gegründet wurde und die Errichtung eines globalen Kalifates anstrebt. 46 Brennpunktthemen ausgerichtete Linksextremisten10 betrachten Israel als einen "Vorposten" der USA im Nahen Osten, unterstellen ihm, die arabische bzw. palästinensische Welt auszubeuten und zu unterdrücken und sprechen dem Staat Israel deshalb das Existenzrecht ab. Nicht selten steckt hinter dieser antizionistischen Einstellung aber auch ein latenter Antisemitismus. Neben den antiimperialistisch ausgerichteten Linksextremisten haben sich in den letzten Jahren sogenannte Postkoloniale Linke11 formiert. Ähnlich wie bei den Antiimperialisten gilt ihre Solidarität ausschließlich den Palästinensern. Jüdische Opfer finden keinerlei Erwähnung, die permanente Bedrohung jüdischen Lebens wird kategorisch ausgeblendet. Israel ist für sie nur eine "weiße Siedlerkolonie Nichtindigener". Ihr Mitgefühl gilt ausschließlich den Palästinensern und den Opfern israelischer Vergeltungsschläge. Mit jüdischen Opfern gibt es keine Solidarisierung. Den 07.10.2023 heroisieren sie deshalb als Beginn der "Befreiung Palästinas" von der angeblichen Kolonialherrschaft Israels und feiern die HAMAS als "Widerstandskämpfer". Eine Besonderheit innerhalb der linksextremistischen Szene stellen die antideutsch12 ausgerichteten "Autonomen" dar. Vor dem Hintergrund der Schoah und der Ablehnung eines fundamentalistischen Islamismus solidarisieren sie sich uneingeschränkt mit dem Staat Israel und befürworten auch militärische Aktionen der USA und ihrer Verbündeten zum Schutze Israels. Vor diesem Hintergrund kam es zum Bruch zwischen den "Antideutschen", die bis heute eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums darstellen, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten. Auf Kritik am Staat Israel, insbesondere an seiner Außenund Sicherheitspolitik, und daraus resultierende antizionistische 10 Antiimperialisten stellen die dominierende Strömung innerhalb der linksextremistischen Szene dar. Sie kennzeichnet eine ausgeprägte antiwestliche, insbesondere antiamerikanische und antiisraelische Haltung. Siehe hierzu auch Kapitel 3.4, Abschnitt "Antideutsche" und "Antiimperialisten". 11 Der Postkolonialismus ist eine geistige und politische Strömung, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und Imperialismus entwickelte. Postkoloniale Linke gehen davon aus, dass die früheren Kolonien nur politisch befreit seien, jedoch weiterhin durch die Hegemonie eurozentrischer Sichtweisen beherrscht würden. 12 Siehe hierzu auch Kapitel 4.2, Abschnitt "Antideutsche" und "Antiimperialisten". 47 Brennpunktthemen Positionen trifft man auch in der linksextremistischen Szene Niedersachsens. So unterbrachen z. B. Anfang Mai 2024 Aktivistinnen und Aktivisten durch lautstarkes Rufen israelfeindlicher Parolen eine Ringvorlesung an der Technischen Universität Braunschweig und bestritten das Existenzrecht Israels. Beleidigende antizionistische bzw. antisemitische Sticker und Schmierereien, z. B. auf der Toilette des Uni-Campus, sind wiederholt dort aufgetreten. Auch wenn in der linksextremistischen Kapitalismusund Religionskritik Versatzstücke antisemitischer, stärker noch antizionistischer Ressentiments zu finden sind, ist der Antisemitismus bislang auch in Niedersachsen kein konstitutives Element im Linksextremismus. Vielmehr handelt es sich in erster Linie um eine antizionistische Einstellung und um einen daraus entstandenen israelbezogenen Antisemitismus. Es lässt sich bislang im Linksextremismus keine grundsätzliche Feindschaft gegenüber dem Judentum feststellen. Aufgrund der Schoah an den europäischen Juden sind dezidiert antisemitische Positionen in der linksextremistischen Szene gegenwärtig eher nicht vermittelbar. Vorherrschend ist ein Antizionismus, dessen Grenzen zum Antisemitismus aber oft fließend sind. Rechtsextremismus Im rechtsextremistischen Spektrum gibt es keine einheitliche Positionierung zum Krieg zwischen Israel und der HAMAS. Dies liegt in erster Linie daran, dass beide Konfliktseiten traditionelle Feindbilder des Rechtsextremismus bedienen. Eine aktive Unterstützung Israels oder eine Empathie mit den Opfern des Terrorangriffs vom 07.10.2023 findet im rechtsextremistischen Diskurs nicht statt, dennoch gibt es unterschiedliche Positionen. Im Spektrum der sich intellektuell gebenden Neuen Rechten dominiert die Auffassung, Deutschland gehe dieser Krieg nichts an und man solle sich daher in Gänze heraushalten bzw. sich keiner Seite anschließen. In erster Linie gelte es, im Interesse Deutschlands neue Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern. Der traditionelle bzw. neonazistische Rechtsextremismus ist stark antisemitisch und israelfeindlich geprägt. Vereinzelt hat es Solidarisierungsbekundungen mit den Palästinensern bzw. der Terrororganisation HAMAS gegeben, etwa durch die neonazistische Partei "Die Rechte". 48 Brennpunktthemen Die propalästinensischen Proteste in Deutschland und Europa werden von rechtsextremistischen Akteuren aber auch aufgegriffen, um insbesondere Muslime pauschal abzuwerten und ihnen eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit westlichen Gesellschaften zu attestieren. Anhand der Bilder großer propalästinensischer Versammlungen in Deutschland und Europa verbreiten Rechtsextremisten insbesondere im virtuellen Raum die Narrative vom "Großen Austausch" bzw. "Volksaustausch", suggerieren dadurch einen Kontrollverlust des Staates und legitimieren ihre Forderungen von Massenabschiebungen bzw. "Remigration"13. Antisemitismus bildet nach wie vor ein zentrales Ideologieelement rechtsextremistischer Weltanschauungen. Intensität, Erscheinungsform und die Darstellung von Antisemitismus variieren. Neben rassistisch und biologistisch geprägtem Antisemitismus sind auch Elemente des sogenannten sekundären Antisemitismus, also Reflexe der Schuldabwehr, Verherrlichung, Leugnung und Relativierung des Holocaust (oft in Verbindung mit Antizionismus) fester Bestandteil rechtsextremistischer Propaganda. Diese bekannten Muster finden grundsätzlich auch im Kontext des Nahostkonfliktes Anwendung. Entsprechend der im Phänomenbereich Rechtsextremismus existenten ideologischen Heterogenität sind hinsichtlich antisemitischer Agitation unterschiedliche Schwerpunkte auszumachen. Ein offener, auf Provokation ausgelegter und bisweilen strafrechtlich relevanter Antisemitismus ist häufig im traditionellen Rechtsextremismus zu finden. Dieser plumpe Antisemitismus ruft zwar bei der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Ablehnung hervor, ist aber dennoch geeignet, Bedrohungsgefühle zu verstärken. Dies gilt gleichfalls für den offen rassistisch motivierten Antisemitismus, der vor allem von neonazistischen Akteuren ausgeht und Menschen jüdischen Glaubens als eigenständige "Rasse" mit unveränderbaren (negativen) äußeren und charakterlichen Bezügen darstellt. Die fortschreitende politische Marginalisierung und der damit einhergehende gesellschaftliche Bedeutungsverlust traditioneller rechtsextremistischer bzw. neonazistischer Parteien und Personenzusammenschlüsse hat mitunter ein stetiges Steigerungsverlangen 13 Hierbei handelt es sich um einen Kampfbegriff der Neuen Rechten. Siehe auch Kapitel 3.6 und 3.8. 49 Brennpunktthemen nach antisemitischen Provokationen zur Folge. Das Kalkül hierbei ist der Aufmerksamkeitsgewinn durch den Tabubruch, den antisemitische Entgleisungen darstellen. Eine größere gesellschaftliche Anschlussfähigkeit besteht für subtilere Formen des Antisemitismus, die von rechtsextremistischen Akteuren per Codes und Andeutungen kommuniziert werden. Auch hierbei werden Jüdinnen und Juden mehr oder weniger implizit für nahezu jegliche politische oder gesellschaftliche Fehlentwicklung verantwortlich gemacht. Wenn etwa statt von klassischen antisemitischen Narrativen wie dem "Finanzjudentum" oder der "Jüdischen Weltverschwörung" nunmehr von "Globalisten" oder "(Finanz-)Eliten der US-Ostküste" gesprochen wird, ist eine unzweideutige - und damit ggf. justiziable - antisemitische Konnotation zunächst abgewendet. Geneigte Zuhörer verstehen jedoch sehr wohl, von welchem Feindbild hier die Rede ist. Betrachtet man gegenwärtige Erscheinungen des Antisemitismus im Phänomenbereich Rechtsextremismus, muss zudem konstatiert werden, dass dieser nahezu ausschließlich im Kontext einer Verschwörungserzählung auftritt. Dies impliziert zwar nicht, dass per se jede Verschwörungstheorie antisemitisch ist, die oben genannten Codes sind in modernen Verschwörungsmythen jedoch stark verbreitet. Auch die Internationalisierung moderner antisemitischer Verschwörungstheorien ist wahrnehmbar. So findet in zumeist anonymen Foren und auf virtuellen Plattformen ein länderübergreifender Austausch zwischen Antisemiten, Neonazis und weiteren Rechtsextremisten statt. Oft werden Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit vermeintlich ironisch dargestellt. Karikaturen und Animationen mit antisemitischen Inhalten werden durch die Akteure sarkastisch kommentiert und verbreitet. Auch in Anbetracht des Vorlaufs rechtsextremistischer bzw. antisemitischer Attentäter in derartigen Foren ist allerdings zu bezweifeln, dass eine ironische Distanz auf Dauer aufrechterhalten werden kann. Vielmehr ist zu konstatieren, dass die regelmäßige Auseinandersetzung mit diesen Inhalten zu einem sich verstärkenden Hass führt, der sich bis in einen wahnhaften Antisemitismus steigern kann. Diese im Rechtsextremismus gegenwärtig zu beobachtenden Er scheinungsformen des Antisemitismus werden in der 50 Brennpunktthemen Kommentierung und Einordnung des Nahostkonfliktes in unterschiedlicher Intensität deutlich. Bewertung, Tendenzen, Ausblick: Im Zuge des terroristischen Angriffs der HAMAS am 07.10.2023 haben sich extremistische Bewegungen und Gruppierungen im Laufe des Jahres 2024 verstärkt miteinander solidarisiert. Israelfeindschaft und Antisemitismus bildeten dabei tragfähige Brückennarrative, also ideologische Schnittmengen und Verbindungen zwischen unterschiedlichen und an sich unvereinbare extremistische Einstellungen. Islamisten, palästinensische Extremisten, türkische Rechtsextremisten, deutsche und türkische Linksextremisten traten aus ganz unterschiedlicher Motivation als Mobilisierungstreiber in Erscheinung, organisierten propalästinensische Versammlungen oder nahmen an diesen teil und verbreiteten Hass, Hetze, Propaganda oder Falschinformationen in den sozialen Medien. Deutsche Rechtsextremisten nutzten die aktuelle Situation bundesund europaweit zur Agitation gegen Muslime und Migranten. Antisemitismus und Israelfeindlichkeit sind dabei verbindende Elemente zwischen diesen Akteuren. Deren gemeinsames Feindbild Israel lässt alte Verbindungen zutage treten und bringt neue hervor, die künftig in Einzelfällen zu einer stärkeren Zusammenarbeit und damit zu einer neuen Herausforderung für die Sicherheitslage führen können. 2.2 Der Krieg Russlands gegen die Ukraine: Auswirkungen auf Niedersachsen14 Seit dem 24.02.2022 führt Russland gegen die Ukraine einen Angriffskrieg mit dem Ziel, die ukrainische Regierung zu stürzen und durch ein prorussisches Regime zu ersetzen. Die Ukraine wird von den NATO-Staaten im Kampf gegen die russische Armee 14 Weitere Ausführungen zur Bearbeitung der Aktivitäten Russlands durch den Fachbereich Spionageabwehr des Niedersächsischen Verfassungsschutzes finden Sie im Kapitel 8.1, Abschnitt Russland. 51 Brennpunktthemen auch militärisch unterstützt. Dieser Angriffskrieg hat massive Auswirkungen auf die gesamte weltpolitische Sicherheitslage und insbesondere auf die der unterstützenden Länder. Alle deutschen Sicherheitsbehörden stellen sich kontinuierlich aktiv auf die sich stets verändernde Sicherheitslage und die damit zusammenhängenden Herausforderungen ein. Die Bearbeitung dieses Komplexes umfasste im Niedersächsischen Verfassungsschutz 2024 neben den Auswirkungen von hybriden Bedrohungen auch die davon beeinflussten Entwicklungen in der Spionageabwehr, im Wirtschaftsschutz sowie im Rechtsund Linksextremismus. Russlands rechtsextreme Verbündete Nützliche Verbündete für den seit Jahren andauernden hybriden Krieg Russlands gegen westliche Demokratien sind nicht zuletzt die zum Teil neu entstandenen autoritär-nationalistischen und mitunter auch eindeutig rechtsextremistischen Bewegungen in ganz Europa. Im deutschen Rechtsextremismus finden sich gegensätzliche Positionen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Grundsätzliche Einstellungsoder Verhaltensveränderungen sind in der rechtsextremistischen Szene jedoch nicht zu beobachten. Der Krieg selbst wird zumeist mit tief verwurzelten antisemitischen und antiliberalen Verschwörungstheorien gerechtfertigt. Als Erklärung dient häufig, dass es einen "geheimen Strippenzieher" gibt, der Interesse am Krieg habe. Dieses äußere sich beispielsweise in den Verschwörungstheorien von der "jüdischen Weltherrschaft" oder dem "Great Reset"15. Darüber hinaus wird auf die in der rechtsextremistischen Szene üblicherweise herangezogenen Themenfelder wie Migration oder Regierungsund Systemkritik zurückgegriffen. Allerdings sind bislang alle Versuche gescheitert, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges für die eigene rechtsextremistische Agenda zu nutzen, etwa unter dem Label einer drohenden Gasund Energiekrise. In der breiten Mehrheit der Bevölkerung haben diese Versuche wenig Anklang gefunden. Auch Reisebewegungen von deutschen Szeneangehörigen in die Ukraine und deren Teilnahme an Kampfhandlungen konnten nur vereinzelt festgestellt werden. 15 Der englische Begriff "The Great Reset" bedeutet zu deutsch "Der große Neustart". Weitere Informationen dazu finden Sie im Kapitel 3.8, Abschnitt Ideologie. 52 Brennpunktthemen Obwohl es keine einheitliche Haltung zum Russland-Ukraine-Krieg gibt, überwiegt bei vielen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten eine pro-russische Haltung. Diese resultiert aus einer grundsätzlichen Sympathie für die autoritäre Machtpolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, aber auch aus der Überzeugung, dass die NATO-Osterweiterung und die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union als westliche Provokation zu werten seien. Die Bundesrepublik Deutschland wird als Vasall globaler und insbesondere US-amerikanischer Eliten betrachtet. Die proukrainische Gegenposition betrachtet den Krieg als ukrainischen Freiheitskampf gegen ein zunehmend imperialistisches Russland, wobei das Regime Putins bisweilen in eine direkte sowjetischkommunistische Nachfolge gestellt wird. Russland wird von Teilen des Rechtsextremismus vorrangig als ein auf Expansion ausgelegter multiethnischer Staat betrachtet, der die "weiße" Ukraine überfallen habe, um letztendlich deren "ethnische und ethnokulturelle Identität" zu zerstören. Beide Positionen im deutschen Rechtsextremismus werfen sich gegenseitig vor, die eigene Ideologie zu verraten. Dies verdeutlicht die komplexe und oft widersprüchliche Natur extremistischer Überzeugungen. Vermittelnde Positionen sehen einen "Bruderkrieg" zwischen weißen Nationen und argumentieren, der Krieg schade der "weißen Rasse" als Ganzes. Zahlreiche Debattenbeiträge innerhalb der rechtsextremistischen Szene sehen die Gefahr einer zu vehementen Positionierung und eines erheblichen Spaltungspotenzials. Gemeinsame Überzeugungen rechtsextremistischer Weltanschauung wie Nationalismus, eine generelle Fremdenfeindlichkeit und ein stark ausgeprägter Anti-Amerikanismus haben eine tiefergehendende Spaltung bislang verhindert. Aus dem Spektrum der "Reichsbürger und Selbstverwalter" vertreten zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen eine deutliche prorussische Haltung. Russische Staatspropaganda ist auf den eigenen Social Media-Kanälen weit verbreitet. Russland wird als Bollwerk gegen eine angebliche Weltverschwörung geheimer Hintergrundmächte aus den USA und anderen westlichen Staaten gesehen. In Bezug auf den Russland-Ukraine-Krieg findet sich 53 Brennpunktthemen ebenso die russische Diktion einer "Entnazifizierung". Die Ukraine wird dabei als "Nazi-Staat" diffamiert und der russische Angriff als Befreiungsaktion verklärt. Linksextremismus und der Russland-Ukraine-Krieg Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 hat auch das Thema "Antimilitarismus" sowohl in der dogmatischen als auch in der undogmatischen linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Im linksextremistisch-dogmatischen Spektrum wird der Krieg in der Ukraine insbesondere von der "Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) sowie der ihr nahestehenden Jugendorganisation "Rebell", der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und ihrer Nachwuchsorganisation, der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ) thematisiert. Sie kritisieren insbesondere die Rolle der USA und damit verbunden der NATO. Ihr "brandgefährlicher Imperialismus" wie es die SDAJ formulierte, die Interaktion dieser Akteure mit der Ukraine, die NATO-Osterweiterung und eine damit einhergehende drohende Verschiebung der NATO-Außengrenzen seien ursächlich für den Konflikt und stellten eine Provokation für Russland dar. Die DKP folgt dabei weitgehend den Interpretationen der "Kommunistischen Partei der Russischen Föderation" (KPRF) und teilweise denen Putins. Dennoch wird von dem linksextremistisch-dogmatischen Spektrum auch die Intervention Russlands in die Gebiete der Ukraine kritisiert. Als Lösung soll die Überwindung des Imperialismus hin zum Sozialismus forciert werden, die "von unten", d. h. durch die Arbeiterklasse, erfolgen müsse. Innerhalb des undogmatischen Spektrums wird die Intervention Russlands in die Ukraine scharf kritisiert, wobei diese Kritik nicht als Wohlgefallen für die NATO verstanden werden darf. Die autonome Szene Niedersachsens solidarisiert sich nicht mit der ukrainischen Regierung, sondern ausschließlich mit der Bevölkerung der Ukraine. Nicht nur Russland, sondern auch den USA und damit verbunden der NATO werden von Seiten der autonomen Szene eine Mitschuld an der Eskalation der Lage in den betroffenen Gebieten attestiert. Sowohl Russland als auch die USA werden in diesem Zusammenhang als "imperialistische" Staaten charakterisiert, zudem wird die 54 Brennpunktthemen "Aufrüstung Deutschlands" im Zuge des kriegerischen Konfliktes kritisiert. Die Lösung des Problems sei aus Sicht der autonomen Szene Niedersachsens nur mit der Schaffung eines anderen Systems jenseits von Kapital, Staat und Nation zu erreichen. Mit zunehmender Kriegsdauer bzw. einer weiteren Eskalation des Krieges dürfte vor allem das Themenfeld "Antimilitarismus", aber auch Aktionsfelder wie "Antikapitalismus" und "Antiimperialismus" wieder verstärkt in den Fokus von Linksextremisten rücken. Ihre Kritik wird sich dabei vor allem auf die geplante Aufrüstung der Bundeswehr im Rahmen des 100-Milliarden-Euro-Programms der Bundesregierung konzentrieren. In diesem Zusammenhang werden insbesondere Rüstungskonzerne wie Rheinmetall in Unterlüß (Landkreis Celle) weiterhin im Blick der linksextremistischen Szene bleiben. Vor allem das linksextremistisch beeinflusste Aktionsbündnis "Rheinmetall entwaffnen" dürfte von dieser Thematik profitieren und möglicherweise verstärkten Zulauf erhalten. Insofern müssen szenetypische Aktionen wie Demonstrationen und Blockaden vor militärischen Einrichtungen, Rüstungskonzernen und deren Zulieferern ebenso künftig einkalkuliert werden wie Sachbeschädigungen. Hybride Bedrohung und hybride Kriegsführung Der russische Staatspräsident Putin droht den NATO-Staaten offen mit einem militärischen Konflikt und setzt aktuell zahlreiche Maßnahmen der "hybriden Kriegsführung" ein. Dabei handelt es sich um eine spezifische Form der Kriegsführung, die militärische und nicht-militärische Mittel kombiniert, um militärische und politische Ziele zu erreichen. Beispielhaft hierfür ist die Kombination von Cyberangriffen, wirtschaftlichem Druck und Desinformation. Hybride Bedrohungen hingegen umfassen eine breitere Kategorie verschiedener Taktiken und Aktivitäten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Unsicherheit zu schaffen, um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gesellschaft zu destabilisieren. Instrumente dieser illegitimen Einflussnahme 55 Brennpunktthemen sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure sind u. a. Desinformation, Cyberangriffe auf staatliche Stellen und Unternehmen, Spionage, wirtschaftliche Einflussnahme, z. B. durch Investitionen in Schlüsselindustrien, Sabotage von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und Einflussnahme auf freie Wahlen. Desinformationskampagnen stellen einen wesentlichen Bestandteil hybrider Bedrohungen dar. Desinformation ist eine nachweislich falsche oder irreführende Information, die vorsätzlich verbreitet wird, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen oder zu täuschen. Eine Information wird dann zu Desinformation, wenn sie inhaltlich falsch ist oder wesentliche Teile bewusst verschwiegen werden und so durch die Urheber absichtlich verbreitet wird. Zur Abgrenzung: Eine falsche Information ist nicht zwingend eine Desinformation. Ein Beispiel sind redaktionelle Fehler, die in journalistischen Texten passieren können. Die Absicht hinter der Information ist entscheidend. Eine Desinformationskampagne beschreibt eine über einen längeren Zeitraum andauernde Aktion, die beim Empfängerkreis eine breite emotionale Wirkung entfalten soll. Ziel der Urheber ist es, Gruppen oder einzelne Personen zu täuschen und gesellschaftliche Spannungen zu verstärken. Dabei werden oft aktuelle Themen aufgegriffen und emotionalisiert. Die Urheber spielen absichtlich mit Ängsten und Unsicherheiten, die in der Bevölkerung bestehen. Ein Schwerpunkt von Desinformationskampagnen ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Niedersächsische Verfassungsschutz informierte 2024 die Öffentlichkeit in mehreren Veranstaltungen über DesSocial Media Erklär-Video information und illegitime Einflussnahme. zur Doppelgänger-Kampagne auf den Accounts des U. a. richtete er im August 2024 unter dem Titel "Desinformation Verfassungsschutzes Niedersachsen und politische Mobilisierung - Einflussnahme auf politische 56 Brennpunktthemen Meinungsbildung im digitalen Zeitalter"16 ein Symposium aus und befasst sich auch auf seiner Internetseite mit dem Thema. Russland nutzt eine Vielzahl von Strategien, um europäische Staaten zu destabilisieren. Dazu gehören: f Desinformation und Propaganda: Russland verbreitet gezielt falsche Informationen und eigene Narrative, um Misstrauen in demokratische Institutionen hervorzurufen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. f Cyberangriffe: Russische Hackergruppen greifen KRITIS wie Energieversorger, Banken und Regierungsstellen an, um Verunsicherungen zu verursachen. f Politische Einflussnahme: Russland unterstützt politische Parteien oder Bewegungen, die EU-feindlich eingestellt sind, um die Einheit innerhalb Europas zu schwächen. f Wirtschaftliche Hebel: Durch die Manipulation von Energiepreisen oder Handelsbeziehungen versucht Russland, wirtschaftlichen Druck auf europäische Länder auszuüben. f Militärische Drohungen: Die Präsenz russischer Truppen an den Grenzen der EU und die Unterstützung von Konflikten in Nachbarländern wie der Ukraine destabilisieren die Region weiter. Diese hybriden Taktiken sind darauf ausgelegt, Europa zu spalten, das Vertrauen in demokratische Regierungen zu erschüttern und deren Handlungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Die EU hat Maßnahmen ergriffen, um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken, darunter Sanktionen und die Stärkung der Cybersicherheit. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, da "hybride Kriegsführung" oft in einer Grauzone operiert, die klare Reaktionen erschwert. Die Herausforderung besteht darin, hybride Bedrohungen zu erkennen und zu analysieren, ihren Wirkungsgrad im Inland zu 16 Siehe hierzu Kapitel 7.5. 57 Brennpunktthemen minimieren und Maßnahmen zu koordinieren, um die Resilienz von Staat und Gesellschaft zu stärken. In Niedersachsen wurde die Koordinierungs-, In formationssteuerungsund Impulsgeberfunktion des "Single Point of Contac t (SPoC) Hybrid" im Ver fassungsschut z eingerichtet. Über diese Schnittstelle werden Hinweise auf hybride Bedrohungen entgegengenommen und bewertet. Die Erkenntnisse werden veröffentlicht und dienen der Implementierung präventiver Maßnahmen, um die Resilienz der betroffenen Stellen zu erhöhen. Nur mithilfe eines vernetzten Agierens in der Detektion, Analyse und Bewertung können z. B. Desinformationskampagnen erkannt und mit Fakten widerlegt werden. So soll ein Netzwerk zwischen den Ressorts der Landesverwaltung, den Kommunen und dem Verbund der Sicherheitsbehörden (Verfassungsschutz und Polizei) entstehen. Spionageaktivitäten Die Spionageabwehr des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bearbeitete im Jahr 2024 zahlreiche Prüf-, Verdachtsund Ermittlungsfälle von Spionage-, Cyberspionage-, Cybersabotagesachverhalten und Proliferation. Der andauernde Russland-UkraineKrieg hat eine größere Sensibilität bewirkt und zu einem erhöhten Aufkommen von Hinweisen geführt. Besondere Bedeutung ist den zahlreichen Drohnenflügen über Industriegebieten und militärischen Sicherheitsbereichen beizumessen, die den Sicherheitsbehörden gemeldet wurden. In den betroffenen Industriegebieten befinden sich zum Teil Unternehmen, die der KRITIS zuzurechnen sind. In den überflogenen militärischen Sicherheitsbereichen wurden z. B. ukrainische Soldaten an deutschen Waffensystemen ausgebildet. Unter Berücksichtigung der aktuellen 58 Brennpunktthemen weltpolitischen Lage ist zu vermuten, dass insbesondere russische Stellen Interesse an den Liegenschaften haben, um möglicherweise Spionage zu betreiben bzw. Sabotagehandlungen vorzubereiten. Im April 2022 hat Deutschland 40 russische Diplomaten zu "unerwünschten Personen" erklärt und damit deren Ausweisung verfügt. Es soll sich nach Angaben aus Regierungskreisen um Geheimdienstler gehandelt haben, die den diplomatischen Status genutzt haben, um sich zu tarnen. Mit der Schließung der russischen Generalkonsulate in Deutschland am 31.12.2023 wurden zahlreiche Konsulatsmitarbeitende ausgewiesen, die zuvor nachrichtendienstlich tätig waren. Damit entfiel für Russland eine wichtige nachrichtendienstliche Informationsquelle. Seither setzt Russland für einfache Spionageund Sabotagetätigkeiten sogenannte "Low-Level-Agenten" ein. Sie sollen über soziale Medien gesteuert werden und sich häufig noch nicht einmal bewusst sein, dass sie für staatliche Stellen aktiv werden. Sie sollen für ihre Tätigkeiten eine relativ geringe Entlohnung erhalten, was ihnen als Motivation ausreichen soll. Diese in der Regel nicht nachrichtendienstlich ausgebildeten Personen führen oft grundlegende Aufgaben aus. Dabei handelt es sich meist um russischsprachige junge Männer, die häufig eine kriminelle Vergangenheit haben und über IT-Erfahrung verfügen. Es ist denkbar, dass sie zum Beispiel für kleinere Spionageund Sabotagehandlungen, die Verbreitung von Propaganda oder Desinformationskampagnen, für Brandanschläge auf Lagerhallen für Militärgüter oder das Anfertigen von Bildund Videomaterial von strategisch wichtigen Objekten, für die Ausspähung der für militärische Lieferungen an die Ukraine genutzten Verkehrsinfrastruktur bis hin zur Vorbereitung von Sabotagehandlungen gegen diese eingesetzt werden. Diese Tätigkeiten sind für die Gesamtoperation zwar nicht unerheblich, durch sie werden aber keine strategischen Entscheidungen getroffen oder Zugang zu sensiblen Informationen ermöglicht. Im Bereich der Cybersicherheit könnten "Low-Level-Agenten" beispielsweise einfache Phishing-Angriffe durchführen oder Malware verbreiten, ohne die volle Tragweite oder das eigentliche Ziel der Kampagne zu kennen. 59 Brennpunktthemen Ein solcher Modus Operandi ermöglicht es den russischen Nachrichtendiensten, im Zielland zu agieren, ohne eine Aufdeckung und Festnahme eigener Mitarbeiter zu riskieren. Das Personenpotenzial ist immens. Jeder, der sich gegen Entlohnung bereit erklärt, niederschwellige Spionageoder Sabotageaktivitäten auszuführen, kann grundsätzlich als "Low-Level-Agent" rekrutiert und eingesetzt werden. Bislang konnte in Niedersachsen in keinem Fall nachgewiesen werden, dass ein von Russland gesteuerter "Low-Level-Agent" eingesetzt wurde. Sanktionen gegen Russland Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands gegen die Ukraine hat die Europäische Union (EU) massive und beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt. Hierzu gehören restriktive Wirtschaftssanktionen, diplomatische Maßnahmen und Visabeschränkungen. Die Sanktionen zielen darauf ab, Russlands Fähigkeit zur Finanzierung des Krieges zu beeinträchtigen, um dadurch seine Möglichkeiten zur Fortsetzung der Aggression wirksam zu beschränken. Die personenbezogenen Sanktionen, bei denen es sich um Wirtschaftssanktionen sowie dem Einfrieren von Kapital handelt, richten sich insbesondere gegen politische, militärische und wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und -träger. Teil der Sanktionen ist eine Reihe von Einund Ausfuhrbeschränkungen. Durch das Verbot bestimmter Erzeugnisse sollen die negativen Auswirkungen der Sanktionen für die russische Wirtschaft größtmöglich ausfallen und gleichzeitig die Folgen für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger der EU begrenzt werden. Zu den ausfuhrbeschränkten Erzeugnissen gehören neben Rüstungsgütern und Wehrmaterial auch Luxusgüter sowie Produkte für die Luftund Raumfahrtindustrie, für die Energiewirtschaft und weitere Spitzentechnologie. Die Verbote werden von den Zollbehörden der EU umgesetzt und kontrolliert. Da Russland auf die einfuhrbeschränkten Produkte angewiesen ist, sucht es nach Möglichkeiten zur Umgehung der Embargos. Dem Niedersächsischen Verfassungsschutz liegen Hinweise vor, dass 60 Brennpunktthemen Russland versucht, insbesondere militärisch nutzbare Güter über russlandfreundliche Nachbarstaaten unter Nutzung geheimdienstlicher Strukturen und weitreichender Firmengeflechte zu beschaffen. Russland hat auf westliche Sanktionen flexibel reagiert und verschiedene Strategien entwickelt, um diese zu umgehen: f Handelsumleitungen: Russland nutzt z. B. zentralasiatische Länder als Zwischenstationen, um sanktionierte Waren wie Luxusgüter oder Technologieprodukte zu importieren. Diese Länder dienen als "Schlupflöcher", durch die Waren nach Russland gelangen. f Schattenflotten: Im Bereich des Ölhandels setzt Russland auf sogenannte Schattenflotten. Dabei handelt es sich um alte, schlecht gewartete Schiffe, die sich nicht an Sicherheitsvorschriften halten, die nicht versichert sind und bei denen die Besitzverhältnisse der Schiffe unklar sind. Zudem werden Öltransporte zwischen Schiffen auf hoher See umgeladen, um die Herkunft zu verschleiern. f Scheinfirmen und Offshore-Konten: Russische Unternehmen gründen Scheinfirmen oder nutzen Offshore-Konten, um Sanktionen zu umgehen und weiterhin Handel zu betreiben. f Alternative Märkte: Russland hat seine Handelsbeziehungen zu Ländern wie China, Indien und der Türkei intensiviert, um den Verlust westlicher Märkte auszugleichen. f Luftfahrt: Russland versucht, ausländische Fluggesellschaften für Inlandsflüge zu gewinnen, um den Mangel an flugtauglichen Flugzeugen zu kompensieren. Der Niedersächsische Verfassungsschutz steht im regelmäßigen Austausch mit den niedersächsischen Unternehmen. Deren Exportbeauftragte und Geheimschutzbevollmächtigte sind für die Proliferationsproblematik sensibilisiert und informieren den Verfassungsschutz über unplausible Lieferanfragen. Dadurch können im Verfassungsschutzverbund zeitnah aufklärende Ermittlungen 61 Brennpunktthemen eingeleitet, Beschaffungsnetzwerke identifiziert und erkannte Umweglieferungen unterbunden werden. Cyberangriffe Die Anzahl der Cyberangriffe gegen deutsche Unternehmen, Behörden, Forschungseinrichtungen und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger mit mutmaßlich russischer Urheberschaft haben in der letzten Zeit erkennbar zugenommen. Das Hauptinteresse der Angreifer liegt aktuell bei der Informationsbeschaffung aus den Bereichen Politik und Militär. Durch das Eindringen in ausgesuchte IT-Netzwerke wird versucht, Informationen z. B. über aktuelle politische Entscheidungen, Verteidigungsstrategien, die Verteidigungsfähigkeit und auch geplante bzw. durchgeführte Militärtransporte zu erlangen. Russland wird darüber hinaus mit einer Reihe von Sabotageaktionen in Verbindung gebracht, die darauf abzielen, westliche Länder zu destabilisieren und militärische Unterstützung für die Ukraine zu behindern. Es gibt Berichte über Sabotageakte gegen Datenkabel in der Nordund Ostsee, die die Kommunikation und Energieversorgung in Europa beeinträchtigen könnten und die mutmaßlich von Schiffen der russischen Schattenflotte ausgeführt wurden. Russische Einheiten sollen auch für versuchte Brandanschläge auf Transportflugzeuge von Paketdiensten verantwortlich sein. Russland wird mit verschiedenen Ausspähversuchen in Deutschland in Verbindung gebracht, die oft Teil "hybrider Kriegsführung" sind. Hier sind einige Beispiele: f Cyberangriffe: Russische Hacker zielen auf deutsche Regierungsstellen, Unternehmen und KRITIS ab, um sensible Daten zu stehlen oder Systeme zu stören. f Spionage durch Personen: Es gab Fälle, in denen russische Staatsbürger verdächtigt wurden, sich Zugang zu militärischen Einrichtungen oder sensiblen Bereichen zu verschaffen, um dort Informationen zu erheben, die im Falle eines sich verschärfenden Konflikts für die russische Seite nützlich sein könnten. 62 Brennpunktthemen f Drohnenüberwachung: Der Einsatz von Drohnen zur Ausspähung von BundeswehrStandorten und anderen strategischen Zielen hat deutlich zugenommen. Darüber hinaus zeigt Russland aktuell ein besonderes Interesse an Regimegegnern, sowohl in Russland selbst als auch in anderen Ländern. Das russische Justizministerium hat z. B. die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) als "extremistisch" eingestuft. Die Organisation ist ein Verbund von Fachleuten, die sich im deutschsprachigen Raum mit dem Osten Europas befasst, intensiv mit Wissenschaftlern in Russland kooperiert hat und zu einem bedeutenden Teil vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Ihren Hauptsitz hat die Gesellschaft in Berlin, sie betreibt aber auch Geschäftsstellen in Russland. Eine von zahlreichen Zweigstellen in Deutschland befindet sich im niedersächsischen Oldenburg. In einem auf Dauer angelegten und zunächst unbemerkten Cyberangriff im Oktober 2024 gegen die DGO sind zahlreiche Informationen nach Russland abgeflossen. Anhand von Indikatoren seien Datenausleitungen aus diversen E-Mail-Konten bestätigt worden. Die Kooperationspartner der DGO sind nun in Gefahr, wegen dieser Verbindungen strafrechtlich verfolgt zu werden; für die Zusammenarbeit mit "extremistischen Organisationen" können in Russland je nach Art der Mitwirkung Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verhängt werden. Die DGO wird vom russischen Justizministerium als Bestandteil einer aus mehr als fünfzig Organisationen bestehenden "antirussischen separatistischen Bewegung" geführt, der vorgeworfen wird, sie wolle die "multinationale Einheit und territoriale Unverletzlichkeit" Russlands zerstören. Sabotagehandlungen D u rc h einen gezielten Angriff auf einen K A -S ATKommunikationssatelliten am 24.02.2022, eine Stunde vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, sollten primär militärische Kommunikationsdienste des US - Militärs gestör t werden. Als Kollateralschaden des Cyberangriffs zu werten ist der damit zusammenhängende Ausfall der Steuerung zahlreicher 63 Brennpunktthemen Windkraftanlagen auch in Deutschland, die über diesen Satelliten gesteuert/verwaltet wurden. Es verdichten sich die Hinweise, dass Russland für Sabotageaktionen an wichtigen Ölund Gaspipelines sowie Unterseekabeln, über die ein großer Teil der Daten des Internetverkehrs transportiert werden, in Nordund Ostsee verantwortlich ist. Im November 2024 wurde z. B. der Ausfall einer länderübergreifenden Kommunikation festgestellt. Ein Unterseekabel zwischen Deutschland und Finnland war durchtrennt worden, außerdem ein weiteres Kabel, das zwischen Litauen und Schweden verläuft. Seit einigen Jahren werden immer wieder russische Schiffe und U-Boote, aber auch im Auftrag Russlands fahrende Schiffe zur Umgehung der Sanktionen (die sogenannte Schattenflotte) gesichtet, die in der Nähe dieser Unterseekabel in der Ostsee kreuzen. Die NATO zeigt sich zunehmend besorgt über die Bedrohung. Die westliche Allianz verstärke derzeit ihre Maßnahmen zum Schutz der Kabel, denn "seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine haben die Bedrohungen für die Unterwasserinfrastruktur, einschließlich der Ölund Gaspipelines sowie der Datenkabel, zugenommen", sagte ein NATO-Beamter. Für die Erkennung und Einordnung von Gefährdungen sowie die Bewältigung von Herausforderungen, die Maßnahmen der "hybriden Kriegsführung" Russlands auf Bund, Länder und Kommunen nach sich zieht sowie für eine wirksame Prävention, ist ein koordiniertes, gesamtstaatliches Zusammenwirken unerlässlich. Der Niedersächsische Verfassungsschutz steht in engem Austausch mit zahlreichen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Im permanenten Informationsaustausch werden russische Bedrohungsszenarien gegen westliche Staaten lokalisiert und analysiert. Gemeinsam werden Abwehrstrategien entwickelt und angepasst, um ihnen effektiv zu begegnen. 64 Brennpunktthemen 65 03 Rechtsextremismus Rechtsextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial17 Den strukturellen Veränderungen im organisierten Rechtsextremismus haben die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern mit einem neuen Kategoriensystem Rechnung getragen. Insbesondere die Grenzen zwischen der subkulturellen und der neonazistischen Szene haben sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr aufgelöst. Der Neonazismus ist zunehmend strukturloser geworden und vermischt sich zusehends mit dem subkulturellen Bereich. Ideologische und organisatorische Unterschiede sind immer schwerer auszumachen. Seit dem Jahr 2017 erfolgt deshalb die Kategorisierung nach Parteien, nach parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und als weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Rechtsextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland18 2023 In Parteien 16.300 "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands", NPD) 2.800 "Die Rechte" 300 "Der III. Weg" 800 "Alternative für Deutschland" (AfD; Verdachtsfall)19 11.300 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien20 1.100 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen21 8.500 17 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 18 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland lagen für das Berichtsjahr bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 19 Hierunter werden auch die Mitglieder der der AfD (Verdachtsfall) zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA) gezählt; die geschätzte Zahl der Doppelmitgliedschaften ist dabei berücksichtigt. 20 Unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden unter anderem die Mitglieder der "Freien Sachsen" und der "Neuen Stärke Partei" (NSP) gezählt. 21 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der Beobachtungsobjekte "COMPACT-Magazin GmbH", "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD), "PI-NEWS", "Institut für Staatspolitik" (IfS; Verdachtsfall), "Antaios-Verlag" (Verdachtsfall) und "Ein Prozent e. V." (Verdachtsfall) sowie der Teil von insgesamt 1.350 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gezählt, der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen zuzurechnen ist. 68 Rechtsextremismus Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial22 17.000 Summe 41.800 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften23 40.600 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten24 14.500 Rechtsextremismus-Potenzial Niedersachsen 2023 2024 In Parteien 810 1.050 "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands", 180 180 NPD) "Die Rechte" 20 10 "Der III. Weg" 10 10 "Alternative für Deutschland" (AfD; Verdachtsobjekt)25 600 850 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen26 300 350 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpoten610 590 zial27 Summe 1.720 1.990 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.690 1.970 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten28 880 880 22 Hierzu zählt im Berichtsjahr der Teil von insgesamt 1.350 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern", der keiner festen Struktur zuzurechnen ist. 23 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 24 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 25 Hierunter werden auch die Mitglieder der der AfD (Verdachtsobjekt) zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA) gezählt; die geschätzte Zahl der Doppelmitgliedschaften ist dabei berücksichtigt. 26 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) gezählt. 27 Die derzeit 40 rechtsextremistischen "Reichsbürger und Selbstverwalter" finden sich in den Kategorien 2 und 3. 28 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und Mitglieder der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) enthalten. 69 Rechtsextremismus 3.2 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Die Begriffe sind nicht als Prüfliste zu verstehen, bei deren vollständigem Erfüllen erst von rechtsextremistischer Einstellung gesprochen wird. Vielmehr lässt eine zustimmende Haltung zu den einzelnen Begriffen Ansätze eines rechtsextremistischen Weltbildes erkennen. Zu nennen sind im Einzelnen: f Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, f Antisemitismus, f Rassismus, f Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, f Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), f Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), f Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), f Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), f Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), f Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, f Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), f Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus (Geschichtsrevisionismus), f Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien (Ethnopluralismus), f Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit. Im Folgenden stellen wir einige Ideologieelemente ausführlicher dar: 70 Rechtsextremismus Fremdenfeindlichkeit Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens, Personen nicht deutscher Abstammung oder die als solche gesehen werden. Auch Wohnungslose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Antisemitismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". Neonazismus Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich 71 Rechtsextremismus weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und ähnliche Gruppierungen. Innerhalb der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der Partei übernommen haben. Faschismus Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. Geschichtsrevisionismus Der Begriff Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der historischen Identitätsstiftung. Der Revisionismus versucht, den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell zu rehabilitieren und die geltende verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren. Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit Insgesamt ist ein tradiertes, rückwärtsgewandtes Frauenbild im Rechtsextremismus vorherrschend, aus dem sich ein entschiedener Antifeminismus ableitet. Das Frauenbild und die Geschlechterrollen werden dabei in erster Linie durch männliche Akteure definiert. Eine 72 Rechtsextremismus explizite Frauenfeindlichkeit zeigt sich i. d. R. dort, wo Frauen den ihnen zubzw. vorgeschriebenen Tugenden und Verhaltensweisen nicht entsprechen. Die im Rechtsextremismus vertretenen Ideologien stehen in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zur Selbstbestimmung von Frauen. Dadurch ergibt sich in weiten Teilen ein Widerspruch zu den gesellschaftlichen Realitäten. Werden Rechtsextremisten mit diesem Widerspruch konfrontiert, führt dies zwangsläufig zu antifeministischen und frauenfeindlichen Reflexen. Antifeministische Einstellungen sind allen rechtsextremistischen Ausprägungen zu einem gewissen Grad inhärent. Dies basiert im Wesentlichen auf der grundlegenden Ablehnung gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse. Sichtbare Emanzipation und die sichtbare Präsenz von Frauen im öffentlichen und politischen Diskurs werden daher von Rechtsextremisten als Gegenentwurf zum Verständnis von festen Geschlechterrollen empfunden. Gleichwohl bildet Antifeminismus kein zentrales Ideologieelement rechtsextremistischer Weltanschauung. Vielmehr ist diese Einstellung eine Folge des Widerspruchs, in dem die eigene Utopie mit der realen gesellschaftlichen Entwicklung steht. Eine Erscheinungsform des Antifeminismus ist das Phänomen der "Incels"29. Sie repräsentieren ein Männlichkeitsbild, das unfreiwillig einer sozial und sexuell enthaltsamen Lebensweise unterworfen ist. Die eigenen Positionen zeigen sich in fremdenfeindlichen Überzeugungen und Selbstmitleid bis hin zur Rechtfertigung und Anwendung von Gewalt gegen Frauen. 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus Die Entwicklung des Rechtsextremismus in Niedersachsen stand im Berichtsjahr unter dem Eindruck der bundesweiten politischen Diskussion zu Fragen von Migration und Innerer Sicherheit vor dem 29 Der Begriff "Incel" entstammt einer Verkürzung der englischen Begriffe "involuntary celibate", die in etwa mit "unfreiwillig zölibatär" zu übersetzen sind. Hierbei handelt es sich nicht um ein ausschließlich rechtsextremistisches Phänomen. 73 Rechtsextremismus Hintergrund der Anschläge auf das Stadtfest in Solingen (Nordrhein-Westfalen), auf eine islamkritische Kundgebung in Mannheim (Baden-Württemberg) und auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Hiervon profitierten besonders neurechte Kampagnen, Strömungen und Organisationen wie die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen konnte sie ihren politischen Einfluss erweitern. Mit Stimmenanteilen von rund 30 Prozent kam die AfD in Brandenburg (29,2 Prozent) und in Sachsen (30,6 Prozent) auf den zweiten Platz, in Thüringen wurde sie mit einem deutlichen Abstand von mehr als neun Prozentpunkten sogar stärkste politische Kraft (32,8 Prozent). Die Wahlerfolge der AfD sind auch deshalb bemerkenswert, weil ihre Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von den dortigen Verfassungsschutzbehörden als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden. Die Partei gilt damit in diesen drei Bundesländern als eine erwiesenermaßen verfassungsfeindliche Bestrebung. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stuft die AfD seit Februar 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, ebenso die Verfassungsschutzbehörden mehrerer Bundesländer, u. a. Brandenburg. Auch der niedersächsische Landesverband der AfD wird seit Mai 2022 aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) rechtfertigen, als Verdachtsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes gemäß SS 7 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG bearbeitet. Trotz der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sind die Umfragewerte für die AfD sowohl auf Bundesebene als auch in einzelnen Bundesländern, darunter in Niedersachsen, weiterhin gestiegen und haben sich teilweise verstetigt oder in konkreten Wahlergebnissen manifestiert. Dabei scheint der Richtungsstreit innerhalb der Partei entschieden zu sein. In der Vergangenheit war die Entwicklung der AfD immer wieder von innerparteilichen Machtkämpfen verschiedener Strömungen und Lager geprägt. Den extremistischen Kräften ist es jedoch gelungen, ihre Machtstellung und damit ihren Einfluss auf die ideologisch-programmatische Ausrichtung der Partei weiter auszubauen. Ein Beispiel ist die mittlerweile auch von der Parteispitze geforderte "Remigration", bei der 74 Rechtsextremismus es sich in der vorgebrachten Argumentation um einen Kampfbegriff der Neuen Rechten handelt, den sich die AfD damit zu eigen macht. Zugleich fehlt die Distanzierung gegenüber jenen Akteuren der Neuen Rechten, die von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch eingestuft werden. Hierzu zählen etwa die "COMPACTMagazin GmbH" und der Verein "Ein Prozent e. V." sowie das im Mai 2024 aufgelöste "Institut für Staatspolitik" bzw. dessen Nachfolgeorganisationen "Menschenpark Veranstaltungs UG" und "Metapolitik Verlags UG", oder auch die "Identitäre Bewegung", für die es mit Blick auf die Parteimitgliedschaft zumindest formal einen Unvereinbarkeitsbeschluss gibt. 30 Verbindungen zum neurechten politischen Vorfeld sind insbesondere bei der "Jungen Alternative" (JA) zu beobachten. Auch die AfD Niedersachsen und ihre Untergliederungen distanzierten sich nicht von radikalen oder gar extremistischen Positionen und Akteuren innerhalb der Partei oder in deren Umfeld. Dies zeigen etwa Äußerungen in den sozialen Medien, mit denen Ideologieelemente propagiert werden, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Es ist jedoch ausdrücklich zu betonen, dass nicht jedes AfDMitglied in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Für den Niedersächsischen Verfassungsschutz bietet daher die derzeitige Einstufung als Verdachtsobjekt einen angemessenen Status, um die weitere Entwicklung der Partei fortlaufend zu bewerten. Im traditionellen Rechtsextremismus haben sich die bereits seit längerer Zeit beschriebenen Trends verstetigt: Marginalisierung der neonazistisch geprägten Parteien "Die Rechte" und "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands", NPD) sowie wachsende Heterogenität der neonazistischen Szene und Stagnation der Konzertaktivitäten auf niedrigem Niveau. Ausnahme ist ein neu entstandenes aktionsorientiertes Personenpotenzial an der Schnittstelle zwischen Neonazismus und subkultureller Szene, das im Laufe des Jahres bundesweit in Erscheinung getreten ist, jedoch bislang keine feste organisatorische Anbindung an bestehende rechtsextremistische Strukturen aufweist. 30 Siehe hierzu Kapitel 3.8 "Alternative für Deutschland (AfD; Verdachtsobjekt)". 75 Rechtsextremismus In Niedersachsen gehören der Partei "Die Heimat" nach kontinuierlichen Verlusten mittlerweile nur mehr 180 Mitglieder an, zu Hochzeiten im Jahr 2007 waren es noch 680. Aus dem Mitgliederverlust resultieren organisatorische und strukturelle Probleme. Eine Ausnahme bildet der "HeimatHof", wie die parteieigene Immobilie in Eschede (Landkreis Celle) von den Mitgliedern genannt wird. 31 Das Objekt kann als Ankerpunkt der Partei und ihrer Jugendorganisation, den "Jungen Nationalisten" (JN), in Niedersachsen gesehen werden, auch wenn die Partei selbst in den meisten Landesteilen faktisch nicht mehr präsent oder wahrnehmbar ist. Auffällig sind allenfalls die Aktivitäten der JN, die derzeit mit drei Stützpunkten in Niedersachsen vertreten sind und den "HeimatHof" für ihre Veranstaltungen nutzen. Ob sich vor diesem Hintergrund ein Gemeinschaftsoder Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung in Eschede entwickelt, wie die Partei nach dem Kauf der Immobilie verkündet hatte, lässt sich nach aktuellem Erkenntnisstand nicht einschätzen. Die Sicherheitsbehörden werden das Geschehen in Eschede im engen Kontakt mit den örtlichen Behörden weiterhin aufmerksam verfolgen und analysieren. Aktivitäten der Partei "Die Rechte" in Niedersachsen sind seit der Auflösung ihres letzten aktiven Kreisverbandes Braunschweig/ Hildesheim im Juli 2022 kaum noch wahrzunehmen. Der Mitgliederschwund der vergangenen Jahre konnte weder aufgehalten noch kompensiert werden. Nach weiteren Austritten ist die Mitgliederzahl der Partei in Niedersachsen nur noch knapp im zweistelligen Bereich. Bundesweit sind ihre Strukturen erodiert. Die Partei ist kaum noch kampagnenfähig und das Aktivitätsniveau geht seit Jahren deutlich zurück. Sowohl die Partei "Die Rechte" als auch die Partei "Die Heimat" und die in Niedersachsen nur mit Einzelpersonen vertretene Partei "Der III. Weg" suchen die Kooperation mit Angehörigen der neonazistischen Szene. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für solche aktionistischen Allianzen. Alle Beteiligten versuchen auf diese Weise, ihrer Mitgliederund Mobilisierungsschwäche entgegenzuwirken. 31 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen". 76 Rechtsextremismus Auch die neonazistische Szene hat in den letzten Jahren Anhängerpotenzial verloren und ist im Zuge dessen immer hetero - gener geworden. Die Übergänge zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind teilweise fließend. Die verbliebenen Szeneangehörigen müssen über größere räumliche Distanzen Kontakte pflegen, um die Szeneaktivitäten überhaupt aufrechtzuerhalten. Die Nachwuchsgewinnung leidet vor allem unter der lückenhaften Präsenz in der Fläche. Eigenständige Strukturen und Aktionen der neonazistischen Szene in Niedersachsen waren auch im Jahr 2024 kaum zu verzeichnen. Eine Ausnahme bildet lediglich das südöstliche Niedersachsen, wo eine intensive Vernetzung zu beobachten ist. Zur Belebung der rechtsextremistischen Szene wird versucht, mit niedrigschwelligen (Kampf-)Sportangeboten neue Mitglieder zu werben. Kampfsport und der dazugehörige Lifestyle haben sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu einem identitätsstiftenden Faktor mit organisationsübergreifender Anziehungskraft entwickelt. Dies gilt insbesondere für einen Teil des Neonazismus. In entsprechenden Seminaren werden Szeneangehörige auf lokaler Ebene mit den Grundtechniken verschiedener Kampfsportarten vertraut gemacht, die ihnen in professionell organisierten Kampfsport-Events vorgeführt werden. In diesem Kontext ist das bundesweit verbreitete und auch in Niedersachsen beworbene Konzept der "Active Clubs" zu nennen, mit dem ein dezentrales Netzwerk von regionalen Gruppen geschaffen werden soll. In Niedersachsen wird der neonazistischen Szene zudem das neue aktionsorientierte Personenpotenzial zugerechnet, das sich im vergangenen Jahr bei den rechtsextremistisch motivierten Protesten gegen Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem "Christopher Street Day" gezeigt hat. Bundesweit ist dadurch im vergangenen Jahr eine Vielzahl an neuen Personenzusammenschlüssen entstandenen, die sich zunächst im virtuellen Raum gegründet hatten. Die neuen Gruppierungen richten sich ausdrücklich an eine junge (teilweise minderjährige) aktionsund zum Teil gewaltorientierte Zielgruppe. In ihrem Auftreten finden sich die Stilelemente der Neonaziszene, aber auch klassische Stereotype der Skinhead-Subkultur aus den 1990er Jahren. In Niedersachsen lassen sich erste 77 Rechtsextremismus Vernetzungsbestrebungen zu den JN beobachten. 32 Ob sich dieses Personenpotenzial verfestigt und damit jüngere Menschen an die neonazistische Szene bindet, wird in den nächsten Jahren zu beobachten sein. Die Anzahl der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist in Niedersachsen auf 1.180 Personen gestiegen. Dagegen stagniert mit 40 Personen die Anzahl derjenigen, die zugleich der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden. Die sogenannte Reichsbürgerszene stellt keine homogene Bewegung dar. Sie setzt sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum erstreckt sich von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch orientierte Akteure bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Dass innerhalb der Szene ein gewisses Gewaltpotenzial vorhanden ist, zeigen mehrere Fälle, bei denen "Reichsbürger" Gewalt androhten und körperliche Gewalt tatsächlich ausübten. Auch in Niedersachsen haben sich "Reichsbürger" mit physischer Gewalt, zum Teil unter Einsatz von Waffen, gegen staatliche Maßnahmen zur Wehr gesetzt. Welche Gefahr von "Reichsbürgern" ausgehen kann, zeigen die weiterhin laufenden Strafverfahren an den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main (Hessen), München (Bayern) und Stuttgart (Baden-Württemberg) gegen insgesamt 27 Personen u. a. wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a Strafgesetzbuch (StGB) und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß SS 83 StGB. Laut Anklageschrift gehörten die Beschuldigten zu einer im Juli 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die sich das Ziel gesetzt hatte, die bestehende staatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Zur Rechtfertigung ihres Handelns dienten verschiedene Verschwörungstheorien, die auch in der Reichsbürgerszene verbreitet sind. 32 Siehe hierzu Kapitel 3.5 "Neonazistische Szene". 78 Rechtsextremismus Die im Jahr 2023 festgestellte Mischszene aus Personen unterschiedlicher extremistischer Strömungen, von traditionellen Rechtsextremisten über Vertreter der Neuen Rechten und Anhängenden der Reichsbürgerszene bis hin zu sogenannten Staatsdelegitimierenden, also Personen aus dem Spektrum der "Corona-Leugner" und "Querdenker", die dem Verdachtsobjekt "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" zugeordnet wurden, ist im Jahr 2024 nicht mehr mit eigenen Aktionen in Erscheinung getreten. Eine Ausweitung auf neue Themenfelder konnte nicht festgestellt werden. Der Verfassungsschutz wird nun prüfen, wie mit dem Verdachtsobjekt weiter verfahren werden soll. Fazit: Die bereits in den Vorjahren beschriebene strukturelle Veränderung des Rechtsextremismus hat sich fortgesetzt. Tradierte Organisationsformen, die die Wahrnehmung des Rechtsextremismus jahrelang bestimmt haben, verlieren zunehmend an Bedeutung. Der Strukturwandel ist wesentlich auf veränderte Kommunikationsformen und damit einhergehende veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Wirkmacht rassistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Positionen bleibt davon unberührt. Sie kommt in anderen, zum Teil fluiden und temporären Organisationsund Aktionsformen zum Ausdruck und wird damit unberechenbarer. Die Sozialisierung potenzieller Gewalttäter in traditionellen rechtsextremistischen Organisationen steht nicht mehr im Vordergrund. Mindestens von ebenso großer Bedeutung sind einerseits Radikalisierungsprozesse, die sich unter dem Einfluss des Internets vollziehen. Sie können mit den Begriffen Enthemmung (ausufernder Hass) und Entgrenzung (Aufweichung der Grenzmarkierung zwischen extremistischem und nicht extremistischem Protest) beschrieben werden. Die Sicherheitsbehörden stehen vor der Herausforderung, ihr prognostisches Instrumentarium und ihre Aufklärungsmethodik dieser Entwicklung permanent anzupassen. Auf der anderen Seite wird der demokratische Rechtsstaat von extremistischen neurechten Strömungen herausgefordert, die darauf ausgerichtet sind, seine normativen Grundlagen zu unterminieren, ohne auf das Mittel der physischen Gewalt zurückzugreifen. Das 79 Rechtsextremismus veränderte Kommunikationsund Informationsverhalten ist gerade für diese Strömungen ein entscheidender Faktor, um anschlussfähige Feindbilder aufzubauen, in die Gesellschaft hineinzuwirken und den vorpolitischen Raum zu besetzen. Die Autoren, Medien und Verlage der Neuen Rechten geben Vorurteilen und Ressentiments einen ideologischen Legitimationsrahmen und dienen zugleich als Stichwortgeber autoritärer Politikangebote, wie sie die AfD vertritt. Präventionsmaßnahmen müssen deshalb bereits auf der Einstellungsebene, bei der Vorurteilsbildung ansetzen, wenn die Verbreitung von demokratiefeindlichen Positionen eingehegt werden soll, die im schlimmsten Fall zu einem Kreislauf von Hasspropaganda und Gewaltanwendung führen kann. Verbot "COMPACT" (nicht abschließend) Die Bundesministerin des Innern und für Heimat (BMI) hat am 16.07.2024 die rechtsextremistische "COMPACT-Magazin GmbH" und die "CONSPECTFILM GmbH" verboten.33 Wie das BMI in seiner Pressemitteilung zu dem Verbot anmerkt, können unter bestimmten Voraussetzungen auch Unternehmen von einem Vereinsverbot betroffen sein. 34 Beide Unternehmen hätten sich demnach gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i. V. m. SS 3 Vereinsgesetz) gerichtet. In Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden mit dem Verbot deren Liegenschaften sowie die Wohnungen von führenden Akteuren, Mitgliedern der Geschäftsführung und wesentlichen Anteilseignern durchsucht, um Vermögenswerte und weitere Beweismittel zu beschlagnahmen. Dazu Bundesinnenministerin Nancy Faeser: 33 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bundesanzeiger vom 16.07.2024 (BAnz AT 16.07.2024 B1): "Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bekanntmachung eines Vereinsverbots gegen 'COMACT-Magazin GmbH' und ihre Teilorganisation 'CONSPECT FILM GmbH'". 34 Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat, Pressemitteilung vom 16.07.2024: "Harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene: Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet das Magazin 'COMPACT'". 80 Rechtsextremismus "Ich habe heute das rechtsextremistische 'COMPACT-Magazin' verboten. Es ist ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene. Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen unsere parlamentarische Demokratie". (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Pressemitteilung vom 16.07.2024: "Harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene: Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet das Magazin 'COMPACT'") Die "COMPACT-Magazin GmbH" wird von dem rechtsextremistischen Verleger und Publizisten Jürgen Elsässer geleitet. Die Hauptprodukte des multimedial ausgerichteten Unternehmens sind das monatlich erscheinende "COMPACT-Magazin" mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren und der Online-Videokanal "COMPACT-T V". Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist daneben in zahlreichen sozialen Medien präsent und unterhält einen Online-Shop, über den eigene Printerzeugnisse, aber auch weitere Bücher, Hörbücher, CDs und DVDs vertrieben werden. Erhältlich sind zudem Merchandise-Artikel wie Kleidungsstücke, Plakate, Aufkleber, Tassen und Medaillen. Zur Begründung des Verbots heißt es, die "COMPACT-Magazin GmbH" habe in ihren reichweitenstarken Publikationen und Produkten sowohl antisemitische, rassistische und minderheitenfeindliche als auch geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte verbreitet. Sie propagiere offensiv den Sturz der politischen Ordnung und vertrete ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept, welches Personen, die nach ihrer Ansicht als "ethnisch Fremde" wahrgenommen werden, aus dem Staatsvolk ausschließen will. So werde die Menschenwürde derer missachtet, die nicht in dieses ethnische Konzept passen. Die "COMPACT-Magazin GmbH" bediene sich dabei einer Widerstandsund Revolutionsrhetorik und sie nutze gezielte Grenzüberschreitungen ebenso wie verzerrende und manipulative Darstellungen. Es bestehe zudem die Gefahr, dass die Rezipienten ihrer Medienprodukte aufgewiegelt und zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung animiert werden. 35 Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist nach Feststellung des BMI ein zentraler Akteur bei der Vernetzung der Neuen Rechten. Ihre zentrale Rolle liege in der Popularisierung und weitreichenden Verbreitung des rechtsextremistischen Gedankenguts dieser Szene 35 Ebd. 81 Rechtsextremismus mittels zahlreicher Publikationen und Veranstaltungen. Enge Verbindungen gebe es zur rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" und zum rechtsextremistischen Parteienspektrum. Dies zeige sich etwa in der wechselseitigen Teilnahme an und Unterstützung von Veranstaltungen.36 Aus Niedersachsen haben sich einzelne Mitglieder der AfD bei der "COMPACT-Magazin GmbH" engagiert. Ein ehemaliger Landesvorsitzender (2013-2018) und ehemaliger Bundestagsabgeordneter (2017-2021) der AfD Niedersachsen hat im "COMPACT-Magazin" seit März 2023 eine eigene Kolumne und bei "COMPACT-TV" seit März 2024 ein eigenes Interviewformat. Die AfD-Kreisvorsitzende und zugleich Kreistagsabgeordnete ihrer Partei aus Rotenburg/ Wümme (Landkreis Rotenburg) unterstützte "COMPACT-TV" in verschiedenen Interviewformaten. Im Juni 2019 führte sie etwa ein "Sommergespräch" mit Jürgen Elsässer und war selbst in Gesprächsrunden zu Gast.37 Zuletzt berichtete "COMAPCT-TV" im Mai 2024 über ihre Verurteilung wegen Volksverhetzung in zweiter Instanz vor dem Landgericht Verden. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat das Verbot der "COMPACT-Magazin GmbH" am 14.08.2024 zum Teil vorläufig außer Vollzug gesetzt. 38 Das Gericht gab dem Antrag der Herausgeber des Magazins, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Verbotsverfügung wiederherzustellen, in bestimmtem Maße statt.39 Damit kann das "COMPACT-Magazin" vorerst weiter erscheinen, auch wenn die Verbotsverfügung nach Ansicht des Gerichts formell rechtskräftig ist. So gebe es keine Zweifel daran, dass es sich bei der "COMPACT-Magazin GmbH" um einen Verein i. S. v. SS 2 Abs. 1 Vereinsgesetz handelt, der sich die Aktivitäten des "COMPACT-Magazins" als seiner Teilorganisation zurechnen lassen muss. 36 Ebd. 37 Siehe hierzu auch die Antwort der Landesregierung vom 16.03.2023 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) zum Thema "Distanzierung der AfD von Radikalen" (LT-Drs. 19/966). 38 Vgl. BVerwG, Pressemitteilung Nr. 39/2024 vom 14.08.2024: "Bundesverwaltungsgericht setzt Sofortvollzug des COMACT-Verbots teilweise aus". 39 Vgl. BVerwG 6 VR 1.24 - Beschluss vom 14.08.2024. 82 Rechtsextremismus Allerdings könne derzeit nicht abschließend beurteilt werden, ob sich das Magazin gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Es ließen sich in den Veröffentlichungen zwar Anhaltspunkte insbesondere für die Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) erkennen. Auch lasse sich aus vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen herauslesen. Zweifel bestünden jedoch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit, das heißt, ob dies alles in einer solchen Weise prägend ist, dass ein Verbot gerechtfertigt erscheint. Mit Blick auf die Meinungsund Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gebe es in dem Magazin auch "in weiten Teilen nicht zu beanstandende Beiträge", wie das Gericht in seiner Pressemitteilung erklärte. Als mögliche mildere Mittel kämen presseund medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, ortsund veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen in Betracht. Die Entscheidung des BVerwG im Eilverfahren gab dem BMI jedoch die Möglichkeit, die beschlagnahmten Beweismittel mit Blick auf das Hauptsacheverfahren weiter auszuwerten, um den Verbotsgrund hinreichend zu belegen. Die mündliche Verhandlung soll nach Planung des Gerichts am 10.06.2025 stattfinden. 40 3.4 Rechtsextremistische Musikszene Gründung/ 1980er Jahre Bestehen seit Struktur/ Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten subkulturelRepräsentanz len rechtsextremistischen Szene; eine Ausnahme bilden die am 19.09.2023 verbotenen "Hammerskins"41 mit einem ehemals festen hierarchischen Aufbau; viele Szeneangehörige im jugendlichen Alter 40 Vgl. Internetseite des BVerwG/ Termine zur Verhandlung und Verkündung (Stand: 31.12.2024). 41 Siehe hierzu Niedersächsischer Verfassungsschutzbericht 2023, Kapitel 2.3 "Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus", Abschnitt "Verbot Hammerskins Deutschland". 83 Rechtsextremismus Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 570 Unterstützer Veröffentlichungen Publikationen: CD-Veröffentlichungen, Fanzines; Onlineangebote: Online-Versandhandel, Bekanntmachung von Konzertterminen über Foren, Veröffentlichung von Videos Kurzportrait/Ziele Der subkulturelle Bereich im Rechtsextremismus ist hauptsächlich von szenetypischer Musik und einem damit verbundenen - nicht selten gewaltorientierten - Lebensstil geprägt. Dabei zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass die subkulturelle Szene an eigenständiger Bedeutung verloren hat. Sichtbar wird dieser Wandel vor allem in dem fast vollständigen Verschwinden rechtsextremistischer Skinheads aus dem öffentlichen Straßenbild, die in den 1980er und 1990er Jahren die gewaltbereite rechtsextremistische Szene maßgeblich prägten. Zu beobachten sind stattdessen informelle, eher strukturlose Gruppen oder Personenzusammenschlüsse, die kaum regelmäßige Aktivitäten entfalten, die keinen festen Mitgliederstamm haben und die nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind daher fließend und verschwommen, sodass eine Unterscheidung nach trennscharfen Kriterien immer schwieriger wird. Rechtsextremistische Einstellungsmuster sind von größerer Bedeutung als die organisatorische Anbindung an eine bestimmte Gruppierung. In der von Männern dominierten Szene spielen Frauen eine untergeordnete Rolle, auch wenn diese nicht zu vernachlässigen ist und in ihrer Bedeutung für die subkulturelle Szene nicht unterschätzt werden darf. Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell geprägten Rechtsextremisten kommt unreflektiert, häufig spontan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Eine wichtige Rolle spielt die rechtsextremistische Musik mit ihrer aufputschenden Wirkung. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Rechtsextremistische Musik ist zugleich ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen. Rechtsextremistische Parteien nutzen rechtsextremistische Bands und Liedermacher, um ihre Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. In Niedersachsen allerdings ist auch 84 Rechtsextremismus aufgrund der politischen wie organisatorischen Schwäche der rechtsextremistischen Parteien eine derartige Feststellung nicht zu treffen. Allgemein hat die Musik jedoch den Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik erstreckt sich von Black Metal über Schlager bis zu Balladen. Daneben haben die Stilrichtungen Rap und Hip-Hop an Akzeptanz gewonnen. Den größten Zuspruch innerhalb der subkulturellen Szene erfährt unverändert die Stilrichtung Rock against Communism (RAC). Finanzierung Verkauf von rechtsextremistischen Tonträgern sowie Handel mit Devotionalien, darunter Kleidung, die mit rechtsextremistischen Aussagen bedruckt ist. Handel und Verkauf dienen teilweise ausschließlich wirtschaftlichen Interessen, während Einnahmen aus Musikveranstaltungen mitunter Aktivitäten finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Beobachtungswürdigkeit ergibt sich aus der fremdenfeindlichen Grundeinstellung und aus der Gewaltanwendung oder zumindest der Bereitschaft zur Gewalt, die für subkulturell geprägte Rechtsextremisten einen Ausdruck von Männlichkeit und Dominanz darstellt. Gewalt wird insbesondere unter Alkoholeinwirkung zuweilen hemmungslos, brutal und meistens spontan ausgelebt. Auch die Liedtexte rechtsextremistischer Musik fördern gewaltorientierte Aktivitäten; sie transportieren Gewaltphantasien, Aufrufe zu Gewalt oder vermitteln Feindbilder. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen können die Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Hiermit richten sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) sowie gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG). Damit sind sie verfassungsfeindlich; ihre Beobachtung richtet sich nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 85 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist für die subkulturelle Szene von hohem werbestrategischen Stellenwert. Gleiches gilt für die neonazistische Szene und für die rechtsextremistischen Parteien "Die Heimat" (vormals NPD), "Die Rechte" und "Der III. Weg". Musik bietet einen ersten leicht zu konsumierenden Zugang zu den szenetypischen Themen und Weltbildern. Damit ist sie ein wesentlicher Faktor für das Gemeinschaftsgefühl und dient darüber hinaus dem Zweck, rechtsextremistische Ideologien - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Anzahl der Zugriffe auf entsprechende Musikvideos im Internet sowie die Präsenz rechtsextremistischer Musik in den sozialen Medien weist darauf hin, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und die nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich junge Menschen zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit dieser Musik ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit. 42 In der rechtsextremistischen Musikszene werden weiterhin einzelne Themenkomplexe aufgegriffen, die als zentrale Elemente der rechtsextremistischen Ideologie zu verstehen sind. Mittels sprachlicher Unschärfe wird ein größerer Spielraum für die Interpretation einzelner Aussagen gelassen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, Verbote und Indizierungsentscheidungen zu erschweren. Im Mittelpunkt stehen häufig systemund kapitalismuskritische Aussagen, die mit antisemitischen oder fremdenfeindlichen Botschaften verbunden werden. Die Produzenten solcher Musik lassen die Texte und Cover vor der Veröffentlichung durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße 42 Siehe Kapitel 7. 86 Rechtsextremismus überprüfen, um Indizierungsmaßnahmen, strafrechtliche Verfahren und damit einhergehende finanzielle Verluste zu vermeiden. Strafrechtlich relevante CDs, deren Anteil weniger als zehn Prozent beträgt, werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Aufgrund des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gem. SS 129 StGB erfolgten am 26.10.2023 bundesweite Exekutivmaßnahmen. Unter der Führung der Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg wurden die Wohnungen und Geschäftsräume von zwölf Beschuldigten in sechs Bundesländern sowie auf der spanischen Insel Mallorca durchsucht. Gegen den mutmaßlichen Rädelsführer aus Niedersachsen wurde ein vorliegender Haftbefehl vollstreckt. Den Beschuldigten wird die Produktion sowie der nationale und internationale Vertrieb von strafrechtlich relevanten rechtsextremistischen Tonträgern vorgeworfen, deren Liedtexte menschenverachtende, antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagieren. Der Prozess gegen die fünf Beschuldigten aus BadenWürttemberg, Berlin, Hamburg und Niedersachsen wird seit dem 06.08.2024 vor dem Landgericht Lüneburg geführt. Darüber hinaus erscheint Musik, die nur szeneintern und nicht über offen zugängliche Szenevertriebe verkauft wird. Da eine Strafverfolgung so schwerer möglich ist, äußern die Bandmitglieder in den Texten offen ihr fremdenfeindliches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut. Häufig wird offen zu Gewalt gegen Personen aufgerufen, die von der Szene als Feinde betrachtet werden oder sie werden anderweitig bedroht. Musik, die verdächtig ist, rechtsextremistische Botschaften zu transportieren, prüft die Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ) 43 regelmäßig, indiziert diese, oder bewertet sie ggf. als jugendgefährdend und möglicherweise strafrechtlich relevant. Um dem entgegenzuwirken und dem Nutzungsverhalten insbesondere der jungen Hörerschaft entgegenzukommen, versuchen rechtsextremistische Musikerinnen und Musiker über kostenpflichtige Streaming-Dienste ihre Tonträger zu verbreiten. Bei mehreren gängigen Anbietern solcher Dienste finden sich daher entsprechende Veröffentlichungen. Dieses erleichtert den 43 Ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), Umbenennung zum 01.05.2021. 87 Rechtsextremismus Zugang zu einschlägiger Musik und trägt zu einer Vertrautheit mit der Perspektive des Rechtsextremismus auf diverse Themenfelder bei. War früher die Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen häufig der Einstieg in die rechtsextremistische Szene, genügt heute das weitreichende Angebot der Streaming-Dienste und Videoportale, ohne dass es hierfür zunächst eines Kennverhältnisses zu Szeneangehörigen bedarf. Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleichbleibenden Kreis von Bands, viele davon bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mitglieder rechtsextremistischer Bands unter neuem Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. Bundesweit fanden 29 rechtsextremistische Konzerte (2023: 39) statt. Deren regionaler Schwerpunkt lag in Sachsen. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen i. d. R. nur Szeneangehörige, sodass eine Werbewirkung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2024 waren zwei niedersächsische Musikgruppen aktiv. "Stahlgewitter" / "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" / "Zillertaler Virenjäger" Daniel Giese war mit seinen Musikprojekten im Jahr 2024 nicht aktiv. Lediglich im Juni 2024 wurde der Remix eines in der rechtsextremistischen Szene populären Partyhits mit dem Titel "Mach den Schieber - Virenjäger" auf einem Videoportal im Internet hochgeladen. Anlass hierfür war die gesellschaftliche Debatte um mehr Abschiebungen von kriminellen Ausländern. Im Juni 2024 veröffentlichte zudem der rechtsextremistische Liedermacher "Flak" das gemeinsam mit Giese eingespielte Lied "1871 - Die Deutsche Frage", in dem es u. a. heißt: 88 Rechtsextremismus "Deutschland, Deutschland über alles, bis zum letzten Atemzug. Und schien es manchmal auch vergebens, es blieb die Losung meines Lebens!" Veröffentlichungen von Gieses Bandprojekten werden regelmäßig auf Videoportalen hochgeladen. Innerhalb weniger Wochen erreichen sie bis zu sechsstellige Aufrufe und werden von den Nutzerinnen und Nutzern positiv kommentiert. Der nachfolgende Kommentar auf einem Videoportal zu dem Lied "Vereinte Kriminelligung" [sic!], welches gemeinsam mit dem rechtsextremistischen Musiker "Lunikoff" eingespielt wurde, verdeutlicht beispielhaft die Stellung Gieses innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Das Lied selbst ist bereits im Jahr 2018 auf dem Tonträger "25 Jahre - Fette Boite" von Gieses Musikprojekt "Gigi & Die braunen Stadtmusikanten" erschienen und wurde im März 2024 bei YouTube hochgeladen. "Ihr verdient eine viel größere Bühne für eure arbeit.seit über 30 Jahren die besten deutschen Bands." [sic!] (veröffentlicht von einem User auf YouTube, abgerufen am 30.10.2024) Die verschiedenen Projekte Gieses finden seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. Dies resultiert sowohl aus den durchaus versierten musikalischen Darbietungen als auch den rechtsextremistischen Texten, die sich zuweilen an der Grenze zur Strafbarkeit bewegen. "Hannes" / "Kategorie C" / "Nahkampf" Die Bands "Nahkampf" und "Kategorie C" sind Projekte um den Sänger Hannes Ostendorf aus Lilienthal (Landkreis Osterholz). Während die Texte von "Kategorie C" oft eher unpolitisch sind und der Fußballbezug sowie die Gewaltbereitschaft von Hooligans im Vordergrund stehen, haben die Texte von "Nahkampf" einen politischen Schwerpunkt. Daneben ist Ostendorf als Liedermacher "Hannes" in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv, wobei seine Konzerte oft als Auftritte von "Kategorie C" beworben werden. So wird der szeneinterne Bekanntheitsgrad der Band dafür genutzt, eine weitreichende Werbewirkung für die Veranstaltungen zu erzielen. Dennoch besuchen die Liederabende selten mehr als 50 Personen. 89 Rechtsextremismus Ostendorf war mit einer Vielzahl an Auftritten der aktivste niedersächsische Musiker im Berichtsjahr. Im Spätsommer 2024 veröffentlichte "Kategorie C" das Album "Ruf der Götter 2". Es ist auf der Grundlage germanischer Mythologie an die nordische Edda als Sammlung skandinavischer Götterund Heldensagen angelehnt. Ostendorfs Aktivitäten sind überwiegend von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Davon zeugt auch seine Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Auf dem eigenen Telegram-Kanal präsentiert er Videos zu einigen seiner Musikproduktionen und bewirbt wiederholt Produkte aus seinem Onlineversand, in dem Tonträger und Merchandise-Artikel seiner aktiven und inaktiven Musikprojekte angeboten werden. Darüber hinaus veröffentlicht er seine Produktionen über verschiedene Streamingdienste und auf Videoportalen. Auch diese Angebote unterstreichen den Eindruck, dass sein Hauptinteresse in der Gewinnoptimierung liegt. Um eine Umsatzbeteiligung dieser Dienste zu umgehen, bietet Ostendorf seine Produktionen seit November 2023 auch auf einer Internetseite eines befreundeten Berliner Rechtsextremisten zum Download an und erklärt dazu: "Die Alben ... sind nun auch digital direkt erhältlich - also ohne Amazon, Apple & Co. Diese verdienen daran keinen Cent mit. Lieber direkt die Band unterstützen als amerikanische Großkonzerne". (veröffentlicht von Ostendorf auf seinem Telegram-Kanal, abgerufen am 05.12.2023) Für seine finanziellen Interessen nutzt Ostendorf seine Stellung innerhalb der rechtsextremistischen Szene, die er durch seine langjährige Zugehörigkeit und die Vielzahl seiner musikalischen Projekte erlangt hat. Im Kern seines Handelns stehen die Selbstinszenierung und die Vermarktung seiner Produktpalette. "Eichenlaub mit Schwertern" Das Musikprojekt "Eichenlaub mit Schwertern" aus Südniedersachsen veröffentlichte Anfang des Jahres 2024 gemeinsam mit der rechtsextremistischen Band "Sturmrebellen" den Tonträger "Weltkriegslieder" als ersten Teil einer geplanten gleichnamigen Trilogie, auf dem Kriegslieder und Gedichte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und des Kaiserreichs neu vertont werden. 90 Rechtsextremismus Unterdessen wurde das 2023 erschienene Album "Das letzte Eichenlaub" mit Entscheidung vom 20.08.2024 durch die BzKJ in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufgenommen. Begründet wurde diese Indizierung mit der in mehreren Liedern verbreiteten Verherrlichung und Verharmlosung von Nationalsozialismus und Krieg. "Skeptika" Der niedersächsische Künstler "Skeptika" gehört seit 2023 dem rechtsextremistischen Musiklabel "Neuer Deutscher Standard" (NDS) an. Neben den Single-Auskopplungen "Ossi Baby", "Du bist deutsch" und "Skeptika", die teilweise gemeinsam mit anderen Angehörigen von NDS eingespielt wurden, wirkte er auch bei dem Lied "Kotz dich aus" vom selben Label mit, welches u. a. bei YouTube über 600.000 Aufrufe erzielte. Für die Veranstaltung der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg" am 09.11.2024 in Nordrhein-Westfalen unter dem Motto "Für Versammlungs-, Kunst-, und Meinungsfreiheit!" wurde u. a. mit einem Auftritt von "Skeptika" geworben. Entgegen der Ankündigung fand der Auftritt jedoch aus bislang unbekannten Gründen nicht statt. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen Die Strategie bei der Veranstaltung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter dem Vorwand, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind als Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Drohen polizeiliche Maßnahmen, werden Besucher spontan per SMS oder MessengerDienste über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte dirigiert. Mit solch umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Geschäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen hat im Jahr 2024 ein Konzert stattgefunden. Eine ursprünglich für den 24.08.2024 im Raum Salzwedel (Sachsen-Anhalt) beworbene Musikveranstaltung unter dem Motto 91 Rechtsextremismus "Abschiebehauptmeisterparty" wurde kurzfristig in den Landkreis Uelzen verlegt. Für das rechtsextremistisch geprägte Konzert mit den beiden szenebekannten Rappern "Kavalier" und "Proto" war zunächst ein Vereinsheim in der Gemeinde Oetzen angemietet worden. Nachdem der Betreiber von den Plänen Kenntnis erlangte und vom Mietvertrag zurücktrat, wichen die Veranstalter auf das Gelände eines ehemaligen Krankenhauses in Bad Bevensen aus. Das Konzert wurde jedoch von der Polizei aufgelöst. Im Rahmen der polizeilichen Maßnahmen zur Auflösung der von etwa 30 Personen besuchten Veranstaltung konnten Aufkleber, T-Shirts und Tonträger mit Bezug zur rechtsextremistischen Szene festgestellt werden. Eine Musikanlage, Getränke, zwei abgeschlossene Geldkassetten, 30 Tonträger und 50 T-Shirts sowie eine bei einer Person festgestellte Bargeldsumme in Höhe von 1.200 Euro belegen sowohl die rechtsextremistische als auch kommerzielle Ausrichtung des Konzertes. Ein für den 22.06.2024 im Emsland geplantes Konzert der Band "Kategorie C" wurde vor Durchführung der Veranstaltung durch die Polizei untersagt. Die Veranstaltung mit etwa 50 Personen sollte daraufhin in einer Gaststätte in Bochum (Nordrhein-Westfalen) stattfinden. Aufgrund eines zu erwartenden Aufeinandertreffens mit Angehörigen der linksextremistischen Szene wurde die Veranstaltung jedoch im Rahmen eines Polizeieinsatzes beendet. Vereinzelt treten Musiker auch bei Feierlichkeiten oder Treffen von Szeneangehörigen auf. Bei derartigen Zusammenkünften stehen musikalische Darbietungen jedoch nicht im Vordergrund. Den gleichen geringen Stellenwert haben Auftritte von Balladensängern im Rahmen von politischen Veranstaltungen, wie etwa bei dem Europakongress der "Jungen Nationalisten" (JN) am 18.05.2024 in Eschede (Landkreis Celle). 44 Rechtsextremistische Vertriebe Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot 44 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen". 92 Rechtsextremismus bereithalten. Die unverändert hohe Zahl an Vertrieben zeigt, dass der subkulturelle Bereich fester Bestandteil des Rechtsextremismus ist. Wichtige deutsche Vertriebe sind "PC Records" und "OPOS Records" (beide Sachsen) sowie "Rebel Records" (Brandenburg). Die Betreiber sind oft zugleich Mitglieder rechtsextremistischer Bands oder Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte, bei denen sie ihr Warenangebot offerieren. Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot ausländischer Vertriebe. Zu nennen sind "ISD Records" und "NSM 88". Das Angebot umfasst z. B. Tonträger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (BadenWürttemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind zwei Vertriebe ansässig. Der Versand "Germanitas Othala Klangschmiede" (Goslar) vertreibt ausschließlich Musikproduktionen der NS Black Metal-Szene und Artikel mit Bezügen zur germanischen Mythologie. Der Online-Versand "Kategorie C" bietet ausschließlich Tonträger und Merchandise-Artikel der Musikprojekte von Hannes Ostendorf an. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die subkulturelle Szene verlangt kein stringentes politisches Engagement, sondern stellt in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung dar. Zu diesem Bereich des Rechtsextremismus liegt die Zugangsschwelle für jüngere Personen mit einer fremdenfeindlichen Grundeinstellung am niedrigsten. Rechtsextremistische Musik erfüllt einerseits die Funktion, potenzielle neue Anhänger anzusprechen, andererseits trägt sie zu einer Radikalisierung innerhalb der rechtsextremistischen Szene bei. Mit den Liedtexten werden zumeist rassistische, antisemitische und antidemokratische Ideologien proklamiert. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen fördern das Gemeinschaftsgefühl von Szeneangehörigen, insbesondere gegenüber der als feindlich empfundenen Umwelt. In der Vergangenheit wurde in den Liedtexten vorrangig die NS-Zeit glorifiziert. Heute ist bei neuen Produktionen eher ein Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen festzustellen. 93 Rechtsextremismus Ein Dauerthema rechtsextremistischer Musikproduktionen bleibt die szenetypische Systemkritik. Damit geht der Versuch einher, die eigene Weltsicht als Maßstab für aktuelle politische Themen zu verbreiten und zu etablieren. Hierfür eignen sich die aktuellen Krisen und Konflikte auf der Welt, um einerseits Entscheidungen der Bundesregierung zu verurteilen und andererseits rechtsextremistische, antisemitische und/oder rassistische Agitation zu betreiben. Derartige Argumentationslinien zeigen, dass gesellschaftliche Modernisierungsprozesse abgelehnt und durch das eigene rückwärtsgewandte Weltbild ersetzt werden sollen. In Niedersachsen ist die rechtsextremistische Musikszene weitgehend inaktiv. Erwähnenswert ist der Sänger Daniel Giese, dessen verschiedene Projekte seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene finden. Um den gestiegenen Ansprüchen der Hörerschaft zu genügen, sind kostspielige Produktionen in professionellen Tonstudios sowie aufwändig gestaltete Booklets erforderlich. Videound Downloadportale lassen hingegen die Verkaufszahlen von Tonträgern und damit die Einnahmen der Bands und Vertriebe zurückgehen. Hierdurch reduziert sich das finanzielle Potenzial der rechtsextremistischen Szene. Sie folgt einem gesellschaftlichen, insbesondere im jugendlichen Milieu festzustellenden Trend nach schneller Konsumierbarkeit von Musikproduktionen. Diese Entwicklung steht zugleich für einen generell leichteren Zugriff auf rechtsextremistische Musik, da hierfür keine szeneeigenen Zugangsmöglichkeiten genutzt werden müssen. Hieraus erwächst für den Verfassungsschutz die Aufgabe, sich präventiv mit den Inhalten und Hintergründen der Musik der rechtsextremistischen Szene auseinanderzusetzen. 45 3.5 Neonazistische Szene Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit Gründung/ 1970er Jahre Bestehen seit 45 Siehe Kapitel 7.3 "Ausstellung Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". 94 Rechtsextremismus Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen in Repräsentanz Form von Aktionsgruppen, informellen Netzwerken, Kameradschaften oder Kreisverbänden der Partei "Die Rechte"; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 270 Unterstützer Veröffentlichungen Onlineangebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und bei Messengern; Zeitschriften, Broschüren, Aufkleber, Flugblätter Kurzportrait/Ziele Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die Verzahnung mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten sowie mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neonazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens meist in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von öffentlichkeitswirksamen Propaganda-, Gedenkoder Störaktionen über die Veranstaltung von Balladenabenden und Zeitzeugenvorträgen bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Im Mittelpunkt der Agitation steht die angeblich drohende und vermeintlich zum "Volkstod" führende "Überfremdung", die durch die anhaltende Flüchtlingssituation nochmals verstärkt worden sei. Finanzierung Beiträge der Anhänger, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene 95 Rechtsextremismus Volksgemeinschaft bildet. Hiermit richtet sich die neonazistische Szene gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Die neonazistische Szene sieht sich als eine politisch soziale Bewegung, die auf stetigen Aktivismus setzt und nicht auf parlamentarische Erfolge. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine nationalrevolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. In einem englischsprachigen Beitrag über deutsche Neonazis auf der Videoplattform YouTube von November 2024 wendet sich ein bekannter Neonazi aus Nordrhein-Westfalen mit den folgenden Worten an die Zuschauer: "An die Menschen in Deutschland, die das Ganze hier sehen: Seid offen genug, die Welt zu sehen, wie sie ist. Seht, was um euch 'rum passiert. Und seid ehrlich genug zu erkennen, wer wirklich der Feind ist: Das sind nicht die Menschen auf der Straße. Das sind Politiker. Das sind Leute, die hier die Regierung stellen. Das sind Leute, die hier dieses System am Laufen halten. Das sind Leute in Parlamenten, die Debatten führen. Das sind Leute in Medienhäusern, die euch erzählen, was ihr zu denken habt und zu fühlen habt. Wehrt euch dagegen." (veröffentlicht auf YouTube in dem Videobeitrag "Germany's most dangerous Neo Nazis / Dortmund (Dorstfeld) / Right Wing across europe - AFD", abgerufen am 02.12.2024) Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kundgebungen oder Demonstrationsteilnahmen bemüht sind, während sich ihre Anhängerzahlen im niedrigen einstelligen Bereich bewegen. Andererseits existieren Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnenwirkung entfalten. Zur Verbesserung personeller und organisatorischer Möglichkeiten dienen überregionale Netzwerke. Allerdings ist deren Bedeutung recht gering. Das dahinterstehende reale Personenpotenzial fällt im Vergleich zur Größe des jeweiligen Einzugsbereichs oftmals deutlich ab. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache 96 Rechtsextremismus für Kooperationen mit der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN), aber auch mit den neonazistisch geprägten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg". 46 Darüber hinaus sind die Übergänge zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene teilweise fließend. Eigenständige Strukturen und Aktionen der neonazistischen Szene in Niedersachsen waren im Berichtsjahr kaum zu verzeichnen. Anzeichen für eine gegenläufige Entwicklung sind die rechtsextremistisch motivierten Proteste gegen Veranstaltungen aus Anlass des "Christopher Street Day"47 (CSD), die ab Mitte 2024 bundesweit stattfanden und für öffentliche Aufmerksamkeit sorgten. In Niedersachsen lassen sich die daran beteiligten Personen weitestgehend der neonazistischen Szene zuordnen. Rechtsextremistisch motivierte Proteste gegen Versammlungen aus Anlass des "Christopher Street Day" (CSD) Demonstrationen und Kundgebungen zum CSD waren ab August 2024 immer wieder Ziel von zum Teil erheblichen Protesten und Störungen, die entweder durch oder unter maßgeblicher Beteiligung von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene durchgeführt wurden. Größere Protestveranstaltungen gab es z. B. am 10.08.2024 in Sachsen. Zu den Protesten in Bautzen mit etwa 680 Teilnehmenden und in Leipzig mit rund 400 Personen hatten auch rechtsextremistische Organisationen wie die Partei "Freie Sachsen" und die JN aufgerufen. CSD-Veranstaltungen wurden jedoch bundesweit in zahlreichen Städten gestört, auch in Niedersachsen: f Am 10.08.2024 nahm die Polizei die Personalien von 15 Personen auf und erteilte ihnen Platzverweise, nachdem sie in Braunschweig anreisende Teilnehmer des CSD verbal attackiert hatten. f Am 07.09.2024 wurden in Goslar u. a. am Ort der Abschlusskundgebung des CSD diverse queer-feindliche Aufkleber und Schriftzüge aufgefunden. Die Polizei stellte daraufhin im Stadtgebiet eine Gruppe aus 13 Personen fest, die offensichtlich der 46 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen" und Kapitel 3.10. 47 Der "Christopher Street Day" (CSD) ist ein Fest-, Gedenkund Demonstrationstag von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgendern und allgemein von queeren Personen. An diesem Tag wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstriert. Die größten Umzüge anlässlich des CSD im deutschsprachigen Raum finden in Berlin und Köln statt. 97 Rechtsextremismus rechtsextremistischen Szene zuzurechnen waren, führte mit ihnen Gefährderansprachen und erteilte Platzverweise. f Einem Aufruf in den sozialen Medien zu einer "Demonstration gegen LGBTQ+ 48" in Winsen/Luhe (Landkreis Harburg) folgten etwa 30 Personen aus Hamburg, Niedersachsen und SchleswigHolstein. Im Verlauf der Veranstaltung wurden Parolen wie "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen", "Zecken raus", "Deutschland den Deutschen" oder "Ganz Deutschland hasst den CSD" skandiert. Vielfach war auch das in der rechtsextremistischen Szene verbreitete "White Power"-Zeichen 49 zu sehen. f Am 14.09.2024 versuchten etwa 20 Personen nach einem entsprechenden Aufruf in den sozialen Medien den CSD in Braunschweig zu stören, was von der Polizei jedoch verhindert wurde. Die Gruppe fuhr anschließend nach Gifhorn, konsumierte weiteren Alkohol in einem Park und beleidigte Polizeibeamtinnen und -beamte ("Scheiß Bullenschweine"). Im Rahmen der späteren Abreise eines Teils der Gruppe gerieten zehn Personen am Bahnhof Gifhorn in Streit mit Fahrgästen eines Linienbusses. Während der Streitigkeiten wurde eine 38-jährige Frau durch Tritte und einen Sturz verletzt. Den rechtsextremistisch motivierten Protesten gegen CSD-Veranstaltungen und der vor allem über die sozialen Medien erfolgten Mobilisierung liegt eine niedrigschwellige Vernetzung eines jungen (teilweise minderjährigen) und ausgesprochen aktionsorientierten Personenpotenzials zugrunde, welches sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht quantitativ bemessen lässt. Bundesweit ist in den letzten Monaten eine Vielzahl derartiger Personenzusammenschlüsse entstanden. Der Gründung im virtuellen Raum folgten alsbald 48 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexuell, transsexuell/transgender, queer, intersexual, asexuell. 49 Das Zeichen stammt eigentlich aus der Tauchersprache und bedeutet "Alles okay". Ursprünglich zur Provokation des politischen Gegners als Zeichen für "White Power" oder "White Supremacy" ironisch umgedeutet, hat das Zeichen seit Anfang 2017 zunächst in rechtsextremistischen Online-Foren (u. a. "4chan") Verbreitung gefunden. Spätestens seit der Verwendung durch den Rechtsterroristen Brenton Tarrant bei seinem Prozessauftakt 2019 in Neuseeland erfolgte auch eine realweltliche Übernahme. Bei der aktuell zu beobachtenden Verwendung durch Angehörige der rechtsextremistischen Szene muss die ernsthafte Vorstellung einer Überlegenheit der "weißen Rasse" unterstellt werden. 98 Rechtsextremismus realweltliche Aktionen. Die größte öffentliche Sichtbarkeit erzielten dabei die o. g. Anti-CSD-Proteste in Sachsen. Die neuen Gruppierungen richten sich ausdrücklich an eine junge aktionsund zum Teil auch gewaltorientierte Zielgruppe und tragen daher Namen wie "Jung & Stark" (JS), "Deutsche Jugend voran" (DJV), "Der Störtrupp" (DST) oder "Jugend Rechts" (JR). In Niedersachsen ließen sich einige der oben angeführten Aktionen mit der Gruppierung "Deutsche Rechte Jugend" (DRJ) in Verbindung bringen. Im Auftreten dieser Gruppierungen finden sich die Stilelemente der Neonaziszene, aber auch klassische Stereotype der Skinhead-Subkultur aus den 1990er Jahren. Im Vergleich zu den bisherigen, eher traditionell organisierten Akteuren im Rechtsextremismus agieren die neuen Gruppierungen weitgehend unstrukturiert. Aktionsund Erlebnisorientierung stehen bei ihnen im Vordergrund. Motivation und gemeinsame (ideologische) Grundlage resultieren offenkundig aus ihrer Ablehnung der LGBTIQ+-Community ("Transgenderwahn"), des politischen Gegners ("Anti-Antifa") und der multikulturellen Gesellschaft. Erkenntnisse über Verbindungen in den organisierten Rechtsextremismus liegen bisher vereinzelt zu Strukturen der traditionellen Neonazioder Skinheadszene sowie zum rechtsextremistischen Parteienspektrum vor. In Anbetracht des Personenpotenzials und der grundsätzlichen ideologischen Schnittmenge sind jedoch erste Ansätze zur Kooperation mit den Jugendorganisationen rechtsextremistischer Parteien festzustellen. In Niedersachsen lassen sich erste Vernetzungsbestrebungen zu den JN beobachten. Kampfsport Kampfsport und der dazugehörige Lifestyle haben sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu einem identitätsstiftenden Faktor mit organisationsübergreifender Anziehungskraft entwickelt. Dies gilt insbesondere für einen bestimmten Teil des Neonazismus, der sich selbst als Avantgarde versteht. In Kampfsportseminaren werden Angehörige der rechtsextremistischen Szene auf lokaler Ebene mit den Grundtechniken verschiedener Kampfsportarten vertraut gemacht, die ihnen in professionell organisierten KampfsportEvents vorgeführt werden. 99 Rechtsextremismus Ursprung und Mittelpunkt dieser Entwicklung ist die 2013 ins Leben gerufene Veranstaltung "Kampf der Nibelungen" (KdN), die nach stetig wachsenden Teilnehmerzahlen im Jahr 2019 erstmals von einer Versammlungsbehörde verboten wurde. Gegen das durch die Stadt Ostritz (Sachsen) ausgesprochene Verbot des Kampfsportturniers hatten die Veranstalter eine Fortsetzungsfeststellungsklage geführt, die im Jahr 2022 mit der Abweisung durch das Verwaltungsgericht Dresden (Sachsen) endete. Das Gericht bestätigte in seinem Urteil die von der Verbotsbehörde vorgebrachte Auffassung, dass bei der Veranstaltungsreihe KdN nicht sportliche Aspekte im Vordergrund stehen würden, sondern die Vorführung von Kampftechniken sowie die Kampfertüchtigung als Einstieg in den physischen politischen Kampf. Letztlich habe die Veranstaltung darauf abgezielt, dem Besucherkreis Gewaltkompetenzen zur Überwindung des politischen Systems zu vermitteln. Dem Verbot entsprechender Events in Deutschland versuchen die Veranstalter durch eine Verlagerung ins Ausland zu begegnen. Nach der "European Fight Night", die am 06.05.2023 von den KdNOrganisatoren zusammen mit ungarischen Neonazis in der Nähe von Budapest durchgeführt wurde, beteiligten sich deutsche Rechtsextremisten auch an dem Kampfsport-Event "Day of Glory". Die rechtsextremistisch geprägte Veranstaltung mit rund 300 Personen fand am 15.06.2024 im französischen Departement Meuse (Region Grand Est) statt. "Active Clubs" Das Konzept der "Active Clubs" stammt ursprünglich aus den USA. Hinter dem Konzept, das auch in Niedersachsen beworben wird, steht das Bestreben, ein dezentrales Netzwerk von regionalen Gruppen zu schaffen. Niedrigschwellige (Kampf-)Sportangebote sollen die rechtsextremistische Szene beleben und neue Mitglieder werben. Federführend für die Propagierung und Etablierung von "Active Clubs" in Deutschland ist ein Rechtsextremist aus Bayern, der dieses Konzept u. a. in der neonazistischen Zeitschrift "N.S. Heute" ausführlich beworben hat und es auch im Rahmen des JNEuropakongresses "Fighting for Europe" am 18.05.2024 auf dem 100 Rechtsextremismus Grundstück des niedersächsischen Landesverbandes der Partei "Die Heimat" in Eschede (Landkreis Celle) vorstellte.50 Im Rahmen seiner Werbestrategie sind die regionalen "Active Clubs"zu denen sich theoretisch nahezu sämtliche (kampf-)sportaffinen Gruppierungen der rechtsextremistischen Szene zählen können - aufgerufen, Bildund Videomaterialien ihrer Aktivitäten vorzugsweise über die entsprechenden Kanäle in den sozialen Medien zur Verfügung zu stellen, um dadurch eine möglichst breite virtuelle Öffentlichkeit zu erreichen. Akzelerationismus Neben organisationsgebundenen oder in netzwerkähnliche Strukturen eingebundenen Rechtsextremisten stellen überwiegend digital aktive Einzelpersonen eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Imageboards, Messengeroder Chatgruppen, in denen rassistische, fremdenfeindliche, misogyne oder homophobe Inhalte geteilt werden, führen in erster Linie männliche Rechtsextremisten aus verschiedenen Ländern der Welt zusammen und bilden mitunter den Resonanzraum für Radikalisierungsverläufe. Das Phänomen des Akzelerationismus zielt darauf ab, bestehende gesellschaftliche Konflikte durch rechtsextremistische Gewalt-, Amokoder Terrortaten zu verstärken, um letztlich einen Zusammenbruch der gesellschaftlichen und politischen Ordnung herbeizuführen. Die Tatsache, dass sich von dieser Form des Rechtsextremismus bereits Kinder und Jugendliche angesprochen fühlen, erfordert neben zielgerichteten Herangehensweisen im Rahmen der Präventionsarbeit auch eine Anpassung sicherheitsbehördlicher Maßnahmen zur frühzeitigen Aufdeckung entsprechender Vorbereitungshandlungen. Demonstrationen Demonstrationen waren für die neonazistische Szene lange Zeit das wichtigste Mittel, ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Demonstrationen können als Indikator für die thematische 50 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen". 101 Rechtsextremismus Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene angesehen werden. Die Bereitschaft zur Demonstrationsteilnahme hat in den letzten Jahren allerdings stark nachgelassen. Eine Ausnahme stellte im Berichtsjahr der Gedenkmarsch in Dresden (Sachsen) dar, der jedes Jahr aus Anlass der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Februar 1945 stattfindet und der für die neonazistische Szene von großer Bedeutung ist. Unter den etwa 940 teilnehmenden Personen der Veranstaltung am 11.02.2024 befanden sich aus Niedersachsen sowohl Angehörige der neonazistischen Szene als auch Mitglieder der Partei "Die Heimat" bzw. der JN. Hatten in den Vorjahren die Teilnehmerzahlen mitunter im vierstelligen Bereich gelegen (z. B. rund 1.300 im Jahr 2020), waren es 2023 lediglich 670 Personen. Am 21.12.2024 beteiligten sich in Braunschweig etwa 50 Personen aus der neonazistischen Szene sowie einzelne Mitglieder der Partei "Die Rechte" an einer Demonstration unter dem Motto "Braunschweig Nazi-Stadt. Jugend in Bewegung gegen Ausgrenzung und Gewalt". Die Versammlung war von dem Bundesvorsitzenden der Partei "Die Rechte", Christian Worch, als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Parteivorsitzender angemeldet worden.51 Worch trat im Laufe der Veranstaltung auch als Redner auf. Die Teilnehmenden skandierten u. a. die Parolen "Frei, sozial und national" sowie "Nationaler Widerstand jetzt" und sangen "Ausländer raus" nach der Melodie des bekannten Liedes "L'amour toujours", dessen rassistische Umdichtung ("Deutschland den Deutschen, Ausländer raus") im Sommer 2024 bundesweit zu öffentlicher Empörung und medialer Berichterstattung wie auch zu zahlreichen Ermittlungsverfahren von Polizei und Staatsanwaltschaft geführt hatte. Während der Versammlung waren eine Reichsflagge und eine NPD-Fahne zu sehen gewesen. Gegen einen Teilnehmer wurde wegen Zeigens des "Hitler-Grußes" ein Strafverfahren eingeleitet. Die Demonstration wurde vorzeitig beendet, weil einige der anwesenden Personen im Anschluss noch an einer rechtsextremistischen Demonstration in Magdeburg teilnehmen wollten. Anlass hierfür war der Anschlag auf den Magdeburger 51 Zur aktuellen Entwicklung der Partei "Die Rechte" siehe Kapitel 3.10. 102 Rechtsextremismus Weihnachtsmarkt vom 20.12.2024, bei dem ein 50-jähriger Mann saudi-arabischer Herkunft mit einem Pkw sechs Menschen tötete und rund 300 weitere zum Teil schwer verletzte. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die bereits seit einigen Jahren anhaltende personelle und aktionistische Stagnation der neonazistischen Szene dauerte auch im Jahr 2024 an. Ausschlaggebend sind Attraktivitätsverlust und mangelnde Anschlussfähigkeit infolge einer unzeitgemäßen und vergangenheitsbezogenen ideologischen Verengung auf den historischen Nationalsozialismus. Gruppierungen stellten ihre Aktivitäten ein, verzichteten auf politisch geprägte Aktionen, reduzierten diese auf ein öffentlich nicht wahrnehmbares Maß oder sind lediglich noch virtuell präsent. Eine Ausnahme stellt das neue aktionsund erlebnisorientierte Personenpotenzial dar, das im Zusammenhang mit den rechtsextremistisch motivierten Protesten gegen den CSD in Erscheinung getreten ist. Inwieweit sich diese Form rechtsextremistischer Betätigung möglicherweise verfestigt und damit jüngere Personen an die neonazistische Szene bindet, wird in den nächsten Jahren zu beobachten und zu bewerten sein. Wegen einer fehlenden Koordinierung oder Steuerung der politischen Aktivitäten vollzieht sich die Entwicklung der neonazistischen Szene in Niedersachsen uneinheitlich. Dies spiegelt sich einerseits in der reinen Größe der Gruppierungen und zumeist losen Netzwerke wider, andererseits in der von den verbliebenen lokalen oder regionalen Strukturen unterschiedlich praktizierten Zusammenarbeit untereinander. Kooperationen über teilweise große räumliche Entfernungen sind ebenso feststellbar wie verschiedene Konstellationen mit Personen und Strukturen anderer Spektren. So sind in zahlreichen Fällen Schnittmengen zu den Parteien "Die Rechte", "Der III. Weg" sowie zur Partei "Die Heimat" (vormals NPD) oder zu deren Jugendorganisation JN zu beobachten, die zur Aufrechterhaltung eines wahrnehmbaren Aktionsniveaus mittlerweile von elementarer Bedeutung sind. Daneben bestehen Kontakte zur rechtsextremistisch beeinflussten Hooliganszene oder zu überwiegend subkulturell geprägten Bruderschaften wie "Blood Brother Nation", "Nordic 103 Rechtsextremismus 12" und der im Oktober 2023 aufgelösten "Brigade 8". Nur durch diese Kooperationen scheint es der neonazistischen Szene derzeit möglich, das schwindende Mobilisierungspotenzial oberflächlich zu kompensieren. Ungeachtet dessen dürfte von der Neonaziszene weiterhin die Vorstellung einer rassistisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft als idealtypischer, zeitlos moderner Gegenentwurf zur liberalen und multikulturellen Gesellschaft gesehen und propagiert werden. Anhänger der neonazistischen Szene werden deshalb auch künftig versuchen, die daraus resultierenden fremdenfeindlichen und rassistischen Überzeugungen verschärft in den gesellschaftlichen Diskurs zur Flüchtlingsund Einwanderungsthematik einfließen zu lassen. Es besteht in diesem Zusammenhang die Gefahr einer weiteren Radikalisierung auch über die rechtsextremistische Szene hinaus, die in Gewalttaten gegen politische Gegner, gegen Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte, aber auch gegen Helferinnen und Helfer sowie gegen Politikerinnen und Politiker münden kann. 3.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gründung/ Oktober 2012; als eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn Bestehen seit (Nordrhein-Westfalen) seit August 2014: "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." Struktur/Repräsentanz Bundesweit diverse Regionalund Ortsgruppen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 30 Unterstützer Veröffentlichungen Wechselnde Internetpräsenzen unter überwiegender Nutzung von alternativen Plattformen und Messenger-Diensten. Die einzelnen Regionalund Ortsgruppen sind nach weitreichenden Löschungen nur noch vereinzelt und oft unter neuem Namen in den gängigen sozialen Medien präsent. 104 Rechtsextremismus Kurzportrait/Ziele Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine aktivistische Gemeinschaft im europäischen Rechtsextremismus, deren Vertreter auch in Niedersachsen lokale Untergruppen gebildet haben. Die IBD ist in einer netzwerkähnlichen Struktur organisiert und basiert auf Personenzusammenschlüssen vor allem jüngerer Menschen. Ideologisch wird die IBD dem Umfeld der Neuen Rechten52 zugeordnet und gehört zu einer intellektuell geprägten Strömung im organisierten Rechtsextremismus, die sich auf die antidemokratischen Theoretiker der "Konservativen Revolution" beruft. Belege hierfür sind ihre programmatischen Positionierungen, ihr ideologisches Konzept der "ethnokulturellen Identität" und die Strategie der "Metapolitik", aber auch diverse europaweite Kontakte zu Personen und Organisationen der Neuen Rechten. Im Gegensatz zu den Denkzirkeln der Neuen Rechten führt die IBD jedoch auch konkrete Aktionen durch und verbreitet diese anschließend medial aufbereitet im Internet. Finanzierung Die IBD finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Verkauf von Artikeln im Internetshop der Organisation. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In Deutschland trat die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) erstmals im Oktober 2012 in den sozialen Medien in Erscheinung und war spätestens mit der Registrierung als Verein im Mai 2014 auch mit konkreten Aktionen realweltlich als Personenzusammenschluss wahrnehmbar. Die Ursprünge der IBD liegen in Frankreich und Österreich. Sie versteht sich als Ableger der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) und der Anfang des Jahres 2021 verbotenen französischen Jugendorganisation "Generation Identitaire" (GI). Bei der GI handelte es sich um die Jugendorganisation des "Bloc Identitaire", welcher die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung "Unite radicale" war. Begründet wurde das offiziell am 03.03.2021 durch das 52 Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 105 Rechtsextremismus französische Innenministerium verkündete Verbot der GI u. a. mit dem martialischen, paramilitärischen Auftreten der Organisation. Die GI diente der IBD insbesondere in ihrer Gründungsphase als Vorbild für eigene Aktivitäten. Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten "patriotischen Bewegung". Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die ihrer Meinung nach bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch angebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" bezeichnet dabei einen völkischen Nationalismus bzw. Regionalismus im europäischen Kontext. In Anlehnung an den Franzosen Alain de Benoist, der einer der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten in Europa ist, wird darunter eine ethnische, religiöse und kulturelle Prägung von Gemeinschaften und ganzen Völkern verstanden, durch die allein sich die Identität des Einzelnen definiere. Die IBD richtet sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagiert einen europäischen Ethnopluralismus. Dieser begründet die vermeintlichen zu verteidigenden kulturellen und zugleich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus und fordert dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien. Mit ihrer Deutung des Begriffs Staatsvolk als eine durch ethnokulturelle Kontinuität bedingte "Kultur-, Abstammungsund Solidargemeinschaft" wendet sich die IBD gegen das im Grundgesetz definierte Staatsvolk als Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen. Maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk ist für sie allein die ethnische Herkunft. Ethnischen Minderheiten wird dadurch ein geringerer Wert zugestanden. Ihre Positionen sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen, bildungsfern usw.) pauschal zu. 106 Rechtsextremismus Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremdenund islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können. Die inhaltlichen Positionen der IBD und ihre darauf aufbauende Agitation, darunter auch die Verwendung neurechter Kampfbegriffe wie "Remigration" oder "Reconquista", richten sich gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG) und sind damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die IBD bereits 2017 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln wies am 13.10.2022 die Klage der IBD ab und bestätigte die Beobachtungswürdigkeit. Nach dem Urteil des Gerichts liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vor (VG Köln 13 K 4222/18): "Es finden sich einige Äußerungen, die die Menschenwürdegarantie verletzen. Das in den Äußerungen zutage geförderte Volksverständnis widerspricht dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und ist geeignet, Zugehörige einer anderen Ethnie auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Es tritt das Ziel zutage, Migranten - insbesondere außereuropäische - auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handelt sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses, die sich von der Linie des Klägers abheben würden. Aus dem Grundtenor der zitierten Aussagen lässt sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens des Klägers ist." Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die seit Ende 2021 begonnene Neuausrichtung bei Aktionsformen und in der Namensgebung konnte dem schleichenden Bedeutungsverlust der "Identitären Bewegung" (IB) nicht entgegenwirken. Mit der Neuausrichtung wurden deutschlandweit die Ortsund Regionalgruppen mit dem Ziel umbenannt, die regionale Verwurzelung zu betonen und vordergründig den IBUrsprung zu verdecken. Der Bezug und die Nähe zur IB blieb durch die Aussagen der Aktivisten und deren Verbreitung in MessengerDiensten durchaus erkennbar. In Niedersachsen nennt sich der 107 Rechtsextremismus lokale IB-Ableger "Sturmfeste Niedersachsen" bzw. "Sturmfeste Hannover". Die IB wurde in den vergangenen Jahren durch die Sperrung ihrer Kanäle auf den gängigen Social-Media-Plattformen empfindlich getroffen. Nach der Löschung ihrer Facebook-Profile und dem Entfernen der IBD-Internetseite aus den Mechanismen bei Suchmaschinen wie Google erfolgte im Jahr 2020 die Löschung zahlreicher Konten der IB (inklusive Untergruppen) beim MessengerDienst Twitter (heute X). Als Grund wurden Verstöße gegen die Richtlinien in Bezug auf gewalttätigen Extremismus genannt. Auch das Videoportal YouTube löschte mehrere Konten der IB. Davon war auch Martin Sellner betroffen. Der 36-jährige Österreicher ist Führungsfigur und ideologischer Vordenker der deutschsprachigen IB wie auch der Neuen Rechten insgesamt und zugleich ihr bekanntestes Gesicht. Die anschließenden Versuche, auf alternativen Plattformen wie dem Messenger-Dienst Telegram oder den Videoportalen BitChute, Odysee und Rumble ein ähnlich großes Publikum zu erreichen, sind bislang fehlgeschlagen. Auch im Jahr 2024 konnte die IB keine erfolgreiche Strategie entwickeln, um den fortschreitenden Öffentlichkeitsund damit verbundenen Aufmerksamkeitsverlust aufzuhalten bzw. umzukehren. Die IB nutzt die eigene Medienagentur "Okzident Media" und das Finanzdienstleistungsunternehmen "Schanze Eins", aber auch den IBD-Shop "Phalanx Europa", um die Kommunikationsfähigkeit sicherzustellen und ideologisch nahestehende Nachrichteninhalte online zu verbreiten. Dennoch ist die Verbreitung ihrer Ideologie durch die Löschung der Internetpräsenzen erheblich eingeschränkt worden. Der durch fortlaufende Sperrungen erzwungene Wechsel auf kleinere, alternative Kommunikationsplattformen wird zum Großteil nur noch vom Kern der Anhängerschaft wahrgenommen. Diese Entwicklung erschwert der IB die Rekrutierung neuer Interessenten und Mitglieder. Nachdem sie 2019 das Objekt "Haus Flamberg" in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) aufgegeben hat, verfügt die IB seit 2023 mit dem Hausprojekt "Zentrum Chemnitz" über eine neue zentrale Anlaufstelle und Veranstaltungsstätte für verschiedene Akteure aus dem Bereich der Neuen Rechten. 108 Rechtsextremismus Im Berichtszeitraum hielten sich die öffentlichkeitswirksamen Aktionen von "Sturmfeste Niedersachsen" bzw. "Sturmfeste Hannover" auf einem gleichbleibenden Niveau. Ihre Ideologie verbreitet die IB vorwiegend durch Banner-oder Plakataktionen und eine anschließende Veröffentlichung in den sozialen Medien. Insgesamt zählen die niedersächsischen Strukturen im bundesweiten Vergleich zu den eher inaktiveren Regionalgruppen. Zum Jahreswechsel 2023/2024 erfolgte durch "Sturmfeste Hannover" eine Plakataktion mit dem Slogan "Keine No-Go Areas. Fühlst du dich sicher? Wir wollen nicht zur Minderheit im eigenen Land werden". Mit einer Banneraktion im Juni 2024 an einer Brücke in Hannover nahmen Mitglieder des niedersächsischen IB-Ablegers Bezug auf das zehnjährige Jubiläum der "Identitäten Bewegung Deutschland". Im Juli 2024 wurde mit einem Banner und der Aufschrift "Defend Europe" (angelehnt an die frühere IB-Kampagne) die mittlerweile jährlich als zentrales Ereignis durchgeführte "Remigrationsdemo" der IBÖ in Wien beworben. Neben bekannten Aktivistinnen und Aktivisten aus Frankreich, Österreich und der Schweiz beteiligten sich am 20.07.2024 auch zahlreiche IB-Angehörige aus Deutschland. Nach Angaben der Organisatoren sollen an der Demonstration rund 500 Personen teilgenommen haben. Die Demonstration sowie die anschließende Kundgebung unter dem Motto "Kritik an der Wiener Migrationspolitik" dienten der IB dazu, ihre Forderung nach "Remigration" zu unterstreichen und diese wiederholt mit dem Hinweis auf die angeblich gestiegene Bedrohungslage durch "Kriminelle und Terroristen" im Zuge der vermeintlichen "Islamisierung" Europas zu begründen. Im August 2024 verteilte "Sturmfeste Hannover" in mehreren Städten Flyer des europaweiten IB-Projektes "Action Radar Europe". Zu dessen Start im Oktober 2023 waren in Brüssel mehrere Aktivisten aus unterschiedlichen europäischen Ländern zusammengekommen. Das Projekt soll als grenzüberschreitende Vernetzungsplattform für IB-Aktivisten in ganz Europa dienen. Die Verteilaktion durch niedersächsische Mitglieder erfolgte im zeitlichen Zusammenhang mit dem tödlichen Angriff eines 17-jährigen Tatverdächtigen mit einem Messer auf eine Gruppe von Kindern in der englischen Stadt Southport, bei dem drei Mädchen getötet und weitere teils schwer verletzt wurden. Im Internet waren 109 Rechtsextremismus Falschinformationen über die ethnische Herkunft des Täters verbreitet worden. Infolge dessen gab es über einen Zeitraum von mehreren Tagen in Southport und weiteren englischen Städten teilweise rechtsextremistisch motivierte Demonstrationen und gewaltsame Ausschreitungen. Die Flyeraktion der IB in Niedersachsen instrumentalisierte die Tat, indem sie darauf Bezug nehmend "Remigration" forderte. Die grenzüberschreitenden Ausrichtung zeigt, dass die Aktivisten auf Bundesebene gut vernetzt sind und auch die Zusammenarbeit verschiedener europäischer IB-Gruppen funktioniert. Im Herbst 2024 reisten etwa Angehörige der IB aus Niedersachsen zu einem Vernetzungstreffen mit der IBÖ nach Wien. Auch nahm an einem Treffen von "Sturmfeste Niedersachsen" im Herbst 2024, neben mehreren Mitgliedern, der neue Bundesleiter der IBD aus Sachsen teil. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Aktionen und aktuellen Kampagnen der IB bestehen im Kern aus der ideologisch-programmatischen Forderung nach dem Erhalt einer "ethnokulturellen Identität" und zeigen in der begleitenden Darstellung im Internet unverkennbar fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch-nationalistischen Haltungen. Die IB stellt Menschen mit Migrationshintergrund und Einwanderer ungeachtet ihrer Individualität als homogenen Block dar, dessen Handlungen zentral durch die ethnische Herkunft bestimmt sind. Diesem vermeintlich homogenen Block wird unterstellt, einheitliche Interessen zu verfolgen, die stets gegen die autochthone Bevölkerung bzw. die deutsche Nation gerichtet sind sowie eine demographische Übernahme eben dieser anzustreben. Ideologisch verfolgt die IB weiterhin einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Sinne eines volksgemeinschaftlichen Denkens wird die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den 110 Rechtsextremismus ideologischen Bezugsrahmen bieten rechtskonservative Theoretiker der Weimarer Republik wie Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler, die zu den antiliberalen und antiegalitären Denkzirkeln der "Konservativen Revolution" gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffsverständnis von "Freiheit, Heimat, Tradition", das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. Die Aktionen und Veranstaltungen der IB sind in den letzten Jahren wenig geeignet gewesen, ein größeres Publikum anzusprechen oder eine größere mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Entwicklung zeichnet sich auch hinsichtlich der personellen Struktur ab. Die IB Niedersachsen vermag es derzeit kaum, junge Menschen als potenzielle Interessenten bzw. Aktivisten anzuwerben. Gleichzeitig entwachsen die langjährigen und gefestigten Akteure der aktionsund abenteuerorientierten jugendlichen Generation, die das Selbstverständnis der IB geprägt hat. Es gab im Berichtszeitraum nur sehr wenige Aktionen, deren Öffentlichkeitswirksamkeit zudem stark begrenzt blieb. Auch aktive Maßnahmen zur Gegensteuerung, wie die Umbenennung auf lokaler Ebene oder die Vermummung bei Aktionen, haben bisher keine grundsätzliche Trendumkehr eingeläutet. Die wesentlichen ideologischen Inhalte der IB bestehen fort. Die ethnokulturelle Identität sieht die IB durch den Multikulturalismus bedroht, weshalb sie weiterhin mit der Schwerpunktsetzung auf die Themen Migration und Islam versucht, gesellschaftlich anschlussfähig zu sein und den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Islamfeindlichkeit der IB stützt sich insbesondere auf Narrative über kulturell bedingte Bildungsdefizite bestimmter Migrantengruppen oder die Ethnisierung von sexueller Gewalt. Das stetige Wiederaufgreifen dieser Themenkomplexe zeugt von einem Stillstand innerhalb der ideologischen Entwicklung der IB bzw. von einer Erfolglosigkeit im Aufgreifen neuer Ansätze. 111 Rechtsextremismus 3.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen Gründung/ Auflösung am 04.11.2018; Neugründung am 25.04.2021 Bestehen seit Struktur/ Landesverband Repräsentanz Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 50 Unterstützer Veröffentlichungen Präsenz in den sozialen Medien, eigene Internetseite, Online-Shop (www.patria-laden.de) des Bundesverbands Kurzportrait/Ziele Die "Junge Alternative" (JA) Niedersachsen ist eine eigenständige, dem Bundesverband der "Jungen Alternative für Deutschland"53 untergeordnete politische Vereinigung und fungiert als offizielle Jugendorganisation der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) 54. Nach der Bekanntgabe, dass die JA Niedersachsen mit Wirkung vom 03.09.2018 Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist, wurde der Landesverband am 04.11.2018 aufgelöst. Als eine Art dezentrale Strategie der AfD Niedersachsen unternahmen einzelne Kreisverbände den Versuch, regionale Jugendgruppen ohne einheitliche Organisationsbezeichnung zu etablieren. Ende 2020 intensivierte der damalige AfD-Landesvorstand seine Bemühungen um eine Neugründung der JA Niedersachsen, die offiziell am 25.04.2021 vollzogen wurde. Die Ideologie der JA basiert auf einem ethnisch-kulturellen Volksbegriff, der dem Volksbegriff des Grundgesetzes entgegensteht. Ebenso finden sich islam-, einwanderungsund asylfeindliche Positionen wieder. Als Jugendorganisation versucht die JA Einfluss auf die Mutterpartei zu nehmen, um politische Inhalte mitzubestimmen. Gleichzeitig unterstützt sie den Wahlkampf von AfD-Kandidaten in Form von Veranstaltungen und dem Anbringen von Plakaten. 53 Der Bundesverband "Junge Alternative für Deutschland" ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 54 Die Bundespartei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zum Landesverband Niedersachsen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) siehe Kapitel 3.8 "Alternative für Deutschland (AfD) (Verdachtsobjekt)". 112 Rechtsextremismus Finanzierung Die JA Niedersachsen finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Für die Beobachtungswürdigkeit ist der ethnisch-kulturelle Volksbegriff der JA von zentraler Bedeutung. Mit ihm soll primär das Ziel des Erhalts des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand zum Ausdruck gebracht werden. Dieser ethnisch-kulturelle Volksbegriff ist jedoch mit der Menschenwürde nach Art. 1 GG nicht vereinbar. Die Staatsangehörigkeit spielt für die JA als Zugehörigkeitsmerkmal zum Volk nur eine untergeordnete Rolle, denn deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund unterscheiden sich für die JA von ethnisch Deutschen. Es wird ein Weltbild propagiert, in dem ethnisch "Fremde" (vor allem Einwanderer, Asylbewerber, Geflüchtete und Menschen muslimischen Glaubens) abgewertet und ausgegrenzt werden. Sie werden pauschal als Gefahr und kriminelle Bedrohung dargestellt, vor der sich die Gesellschaft schützen müsse. Dies steht in einem Konflikt mit dem Gleichheitsprinzip nach Art. 3 Abs. 3 GG. Im Kontext der Einwanderung spricht die JA nicht von Integration, sondern stets von Assimilation und meint damit eine vollständige Anpassung unter Aufgabe der eigenen kulturellen Identität. Jedoch können auch vollständig assimilierte deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nie den gleichen Stellenwert wie ureingesessene Deutsche erreichen. Diese Kategorisierung von Menschen in unterschiedliche Klassen stellt implizit eine rassistisch begründete Ungleichwertigkeit von Menschen aufgrund ethnischer Merkmale dar. Die JA konstruiert somit eine Vision einer in sich geschlossenen ethnisch-homogenen Gesellschaft. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln bekräftigt in seinem Urteil vom 08.03.2022 die Unvereinbarkeit des Volksbegriffes der JA mit dem des Grundgesetzes: "Die mit dem Volksbegriff des Grundgesetzes unvereinbare Auffassung der JA kommt bereits in ihrem Parteiprogramm - dem sog. 'Deutschlandplan' - unverkennbar zum Ausdruck." (VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 - VG 13 K 326/21, Rn. 240) 113 Rechtsextremismus Der Deutschlandplan gilt als politisches Programm und "Wertekompass" der JA. Er wurde auf dem 11. Bundeskongress am 15.10.2022 in Apolda (Thüringen) durch das Programm "Jugend, die vorangeht!" erneuert. In diesem wird auf explizit fremdenfeindliche Formulierungen größtenteils verzichtet, was im Hinblick auf das Urteil des VG Köln als taktische Entscheidung gewertet werden kann. Hochstufung des JA-Bundesverbandes Im April 2023 gab das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in einer Pressemitteilung die Hochstufung der JA zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung bekannt. Gegen diese Maßnahme klagte die JA im Juni 2023, woraufhin das BfV zusicherte, die Hochstufung vorerst zurückzunehmen und zunächst die gerichtliche Entscheidung abzuwarten. Mit der Entscheidung des VG Köln vom 05.02.2024 ist die Einstufung der Jugendorganisation der AfD durch das BfV als gesichert rechtsextremistisch rechtmäßig. In ihrer Stellungnahme zu dem Urteil lässt die JA keinen Willen zur Mäßigung erkennen. Ganz im Gegenteil zeigt sie sich eher bestrebt, den von ihr eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen: "Wir werden uns als JA selbstverständlich weiterhin für den Erhalt unserer Heimat und eine Zukunft für deutsche Jugend in Deutschland einsetzen, auch wenn die Daumenschrauben des Establishments immer enger geschraubt werden." (Instagram-Eintrag der "Jungen Alternative für Deutschland " vom 06.02.2024) Neugründung des niedersächsischen Landesverbandes und Nichtanerkennung durch Mitglieder des AfD-Landesverbandes Nachdem sich die JA Niedersachsen am 04.11.2018 aufgelöst hatte, mehrten sich Ende des Jahres 2020 die Indizien, dass eine bis dahin verfolgte dezentrale Strategie durch die Neugründung eines einheitlichen JA-Landesverbandes abgelöst werden könnte. Am 25.04.2021 gab der niedersächsische Landesverband der AfD schließlich bekannt, dass sich die JA Niedersachsen neu gegründet hat: 114 Rechtsextremismus "Für den Landesverband der #AfD war es eine Herzensangelegenheit die Neugründung der JA Niedersachsen zu unterstützen. Nach (zu) langer Pause hat sich heute die JA Niedersachsen gegründet." (Facebook-Eintrag des AfD-Landesverbandes vom 25.04.2021) Während des Landesparteitages der AfD Niedersachsen am 28.05.2022 wurde ein Antrag zur Tagesordnung angemeldet, der auf die Nichtanerkennung der JA-Neugründung als offizielle Jugendorganisation der Partei zielte. Demnach sei es die Angelegenheit des Landesparteitages, über die Anerkennung einer Jugendorganisation zu entscheiden. Die Neugründung der JA Niedersachsen sei hingegen unter der Mitwirkung des damaligen Landesvorstandes erfolgt und somit nichtig. Dieses Vorhaben verdeutlicht die innerparteilichen Machtkämpfe in der AfD Niedersachsen, die ebenfalls die JA zum Streitpunkt machen. Sogenannte gemäßigte Kräfte des niedersächsischen AfD-Landesverbandes wollten einen parallel existierenden Zusammenschluss junger AfD-Mitglieder als offizielle Jugendorganisation der AfD in Niedersachsen etablieren. Als Reaktion auf die Nichtanerkennung bekam die JA Niedersachsen Zuspruch vom damaligen JA-Bundesvorsitzenden Carlo Clemens: "Ich stehe zur JA Niedersachsen und halte es für ein furchtbares Signal, dass die Jugendorganisation heute als Bauernopfer für machtpolitische Muskelspiele herhalten musste. ... Werde beim Bundesvorstand der @AfD Beschwerde über die Nicht-Anerkennung der nach Satzung offiziellen und einzigen Jugendorganisation einlegen. Lasst uns über den Kurs der Partei streiten - aber nicht auf dem Rücken von jungen Menschen, die sich aufopfern für die Sache!" (Twitter-Eintrag des damaligen JA-Bundesvorsitzenden Carlo Clemens vom 28.05.2022) Weiteren Rückhalt erfuhr die JA Niedersachsen durch den thüringischen Landesund Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke. 55 Seiner Ansicht nach gelte die Verankerung der JA in der Parteisatzung auch für Niedersachsen. Auf dem Bundeskongress der JA am 15.10.2022 unterstützte schließlich der AfDBundesvorsitzende den niedersächsischen JA-Landesverband und betonte: 55 Der thüringische Landesverband der AfD ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Thüringen. 115 Rechtsextremismus "Wir brauchen eine starke JA Niedersachsen!" (AfD-Bundesvorsitzender auf dem JA-Bundeskongress am 15.10.2022 in Apolda, Instagram-Eintrag der JA Niedersachsen vom 15.10.2022) Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Berichtsjahr war eine Annäherung beider Jugendorganisationen der AfD in Niedersachsen zu beobachten. JA Niedersachsen und "Junge AfD Niedersachsen" traten nun zusammen in Erscheinung. Bei einem gemeinsamen Wahlkampfwochenende der JA Thüringen vom 23. bis zum 25.08.2024 in Sömmerda (Thüringen), das dazu diente, die AfD zur Landtagswahl am 01.09.2024 zu unterstützen, nahmen sowohl Mitglieder der JA Niedersachsen als auch Angehörige der "Jungen AfD Niedersachsen" teil. Bestandteil des Wochenendes war zudem ein "Familienfest" am 24.08.2024, bei dem u. a. der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke auftrat. "Hand in Hand unterstütze die Niedersächsische Jugend gemeinsam mit der Jungen Alternative Thüringen die AfD! Wir hoffen auf ein richtungsweisendes Ergebnis bei der LTW!" [sic!] (X-Eintrag der JA Niedersachsen vom 26.08.2024) Auch zur Landtagswahl in Brandenburg am 22.09.2024 leisteten beide Jugendorganisationen der AfD Niedersachsen erneut Unterstützung. Zusammen nahmen sie an einem Wahlkampfwochenende vom 13. bis zum 15.09.2024 in der Uckermark (Brandenburg) teil. Unter den anwesenden Personen war zudem der JA-Bundesvorsitzende und AfD-Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck aus Brandenburg, der im darauffolgenden Monat einer Einladung des AfD-Kreisverbandes Hannover-Land nach Niedersachsen folgte. Die Veranstaltung am 23.10.2024 in Wunstorf (Region Hannover), an der auch niedersächsische Landtagsageordnete der AfD teilnahmen, hatte das Motto "Jung und kompetent, statt jung & naiv". Weitere nennenswerte Veranstaltungen unter der Beteiligung von Mitgliedern der JA Niedersachsen waren ein Treffen der JA-Landesverbände aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu einem gemeinsamen Wochenende vom 08. bis zum 10.03.2024 in Hamburg, der Wahlkampfauftakt zur Landtagswahl in Sachsen am 13.07.2024 mit dem sächsischen AfD-Europaabgeordneten 116 Rechtsextremismus Maximilian Krah sowie das Sommerfest der JA Sachsen-Anhalt vom 26. bis zum 28.07.2024. Verbindungen zum neurechten politischen Vorfeld Innerhalb der JA Niedersachsen sind Verbindungen zum neurechten politischen Vorfeld zu beobachten. Sie reichen von der Weiterverbreitung entsprechender Inhalte und dem Werben für Vorfeldorganisationen bis zur Moderation des Online-Formats "Wir klären das!", welches vom rechtsextremistischen Verein "Ein Prozent e. V."56 mit eigenen Kanälen auf den Videoplattformen frei3 und YouTube betrieben wird. Welche Bedeutung die Kooperation mit Akteuren aus dem vorpolitischen Raum hat, erläuterte der JA-Bundesverband bereits auf dem Bundeskongress am 15.10.2022 in Apolda (Thüringen), bei dem eine Vielzahl politischer Vorfeldorganisationen eingeladen war. Diese Synergie zwischen JA und politischem Vorfeld geht über die bloße Vernetzung hinaus. Demnach sieht sich die JA selbst als Teil der "Mosaik-Rechten" und öffnet sich damit nicht nur dem politischen Vorfeld, sondern versteht sich als wichtiger Bestandteil eines "großen Ganzen": "Als Parteijugend des patriotischen Widerstandes sind wir Teil eines größeren Mosaiks. Wir sind stolz, dass viele Vertreter, von Verlagen über Medien bis zu Bürgerinitiativen auf unserem Kongress anwesend sind." (Twitter-Eintrag der "Jungen Alternative für Deutschland" vom 15.10.2022) Der Ansatz der "Mosaik-Rechten" ist eng mit dem Begriff "Metapolitik" verknüpft. Dieser stellt innerhalb der Neuen Rechten eine zentrale Kategorie dar und umfasst jenen Versuch, gesellschaftlich-kulturelle Diskurse mit den eigenen Positionen zu besetzen und letztlich eine Vormachtstellung im vorpolitischen Raum zu erringen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Ideologischer Kern der "Jungen Alternative" ist ein ethnischkultureller Volksbegriff, der im Konflikt zum Grundgesetz steht. Minderheiten werden abgewertet, und es wird ihnen grundsätzlich 56 Der Verein "Ein Prozent e. V." ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 117 Rechtsextremismus die Gleichwertigkeit abgesprochen. Die JA Niedersachsen steht hinter der völkisch-nationalistischen Ideologie des auf Bundesebene überlegenen "solidarisch-patriotischen" Lagers innerhalb der JA. Eine Distanzierung von rechtsextremistischen Positionen ist jedenfalls nicht zu erkennen. Bei den Aktivitäten der JA Niedersachsen ist eine Annäherung zur parallel existierenden Jugendorganisation "Junge AfD Niedersachsen" hervorzuheben. Beide leisteten gemeinsam Wahlkampfunterstützung in Brandenburg und Thüringen anlässlich der Landtagswahlen im September 2024. Es ist daher von weiterem Interesse, ob die Kooperation beider Jugendorganisationen fortgesetzt und intensiviert wird oder gegebenenfalls eine Verschmelzung stattfindet. Die Entwicklung der JA Niedersachsen wird einer kontinuierlichen Bewertung durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz im Gesamtkontext unterzogen, auch ob die JA Niedersachsen innerhalb des AfD-Landesverbandes weiterhin umstritten ist und als eine mögliche Gefahr für die Mutterpartei betrachtet wird. Der Auftritt des JA-Bundesvorsitzenden bei einer Parteiveranstaltung in Wunstorf zusammen mit niedersächsischen Landtagsabgeordneten der AfD lässt auf eine mögliche Annäherung zwischen der AfD Niedersachsen und der JA schließen. Die Verbundenheit mit dem neurechten politischen Vorfeld war bereits beim JA-Bundeskongress im Jahr 2022 festzustellen und ist fester Bestandteil der Ausrichtung der JA. Sie betrachtet sich als Teil eines "größeren Mosaiks", das sich aus verschiedenen Medien, Organisationen, Initiativen usw. zusammensetzt. 3.8 Alternative für Deutschland (AfD; Verdachtsobjekt) Sitz/Verbreitung Hauptsitz des Bundesverbandes: Berlin Hauptsitz des Landesverbandes: Hannover Gründung/ Bundesverband: Februar 2013 in Oberursel (Hessen) Bestehen seit Landesverband: Mai 2013 in Lüneburg 118 Rechtsextremismus Struktur/ Bundesvorsitzende: Alice Weidel und Tino Chrupalla Repräsentanz Landesvorsitzender: Ansgar Schledde Stellv. Landesvorsitzende: Jens-Christopher Brockmann, Delia Klages und Stephan Bothe Mitglieder/ Niedersachsen: ca. 800 (rechtsextremistisches Personenpotenzial Anhänger/ im Verdachtsobjekt) Unterstützer Veröffentlichungen Onlineangebote auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene; Präsenz in den sozialen Medien; Zeitung "AfD Kompakt" Kurzportrait/Ziele Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) gliedert sich in einen Bundesverband und 16 Landesverbände. Sie wurde 2013 als politischer Zusammenschluss von primär EUund euroskeptisch orientierten Personen gegründet. Insbesondere vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise verlagerte sie jedoch ab 2015 ihren programmatischen und agitatorischen Schwerpunkt zunehmend auf die Themen Flucht, Asyl und Migration. Eine damit einhergehende Radikalisierung führte parteiintern zu einem Zuwachs völkisch-nationalistischer Ideologeme. Der Bundesparteitag im Juni 2022 und die Europawahlversammlung im Juli/August 2023 haben gezeigt, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Partei ihren Einfluss ausweiten konnten. Eine Distanzierung des Landesverbandes Niedersachsen von radikalen Positionen und Akteuren des Bundesverbandes oder anderer Landesverbände, die auf verschiedenen Ebenen Ideologieelemente propagieren, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen, war nicht festzustellen. Zu betonen ist, dass nicht jedes Mitglied der AfD in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsund Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden Einstufung Im Februar 2021 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Gegen diese Einstufung 119 Rechtsextremismus klagte die AfD zunächst vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln, welches jedoch mit Urteil vom 08.03.2022 die Einstufung des BfV bestätigte.57 Die Partei legte daraufhin Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster ein. Dieses entschied am 13.05.2024, dass die Beobachtung als Verdachtsfall rechtens sei.58 Die Revision und eine darauffolgende Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision wurde durch das OVG Nordrhein-Westfalen abgelehnt: "Mit Beschlüssen vom 16.09.2024 hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts nun abgelehnt, den Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision abzuhelfen. Die Verfahren sind dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerden vorgelegt worden." (Pressemitteilung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.09.2024) Der niedersächsische Landesverband der AfD wurde im Mai 2022 aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG rechtfertigen, zum Verdachtsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes gemäß SS 7 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG bestimmt. In dieser Verdachtsphase wird durch planmäßige Beobachtung und Aufklärung geprüft, ob die Voraussetzung des SS 6 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG59 erfüllt wird und damit nicht nur Anhaltspunkte, sondern Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG rechtfertigen. Dabei werden sowohl beals auch entlastende Belege und Erkenntnisse berücksichtigt. Die am 30.04.2020 formal aufgelöste innerparteiliche Sammlungsbewegung "Der Flügel" ist in der Gesamtpartei aufgegangen und ideologisch in die Parteistrukturen integriert. Die niedersächsischen Vertreterinnen und Vertreter des ehemaligen "Flügels" sowie etwaige Fortsetzungsbestrebungen werden im Rahmen der Bearbeitung des Verdachtsobjekts AfD Niedersachsen berücksichtigt. 57 Vgl. Urteil des VG Köln vom 08.03.2022, 13 K 326/21. 58 Vgl. Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.05.2024, 5 A 1218/22. 59 Voraussetzung für die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt sind Tatsachen, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 belegen. 120 Rechtsextremismus Entwicklung Bundesweit ist festzustellen, dass die radikalen und extremistischen Kräfte innerhalb der AfD stetig an Einfluss gewinnen. Auf dem 13. Bundesparteitag in Riesa (Sachsen) vom 17. bis zum 19.06.2022 sind Personen des völkisch-nationalistischen Lagers in den Bundesvorstand gewählt worden. Der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke und seine Unterstützer haben damit gezeigt, dass sie nicht nur parteiinterne Debatten, sondern auch die politische Ausrichtung der AfD bestimmen können. Auch auf dem 14. Bundesparteitag in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) am 29. und 30.07.2023 sowie vom 04. bis zum 06.08.2023, bei dem an zwei Terminen über die Liste der AfD zur Europawahl am 09.06.2024 abgestimmt wurde, konnten die radikalen Strömungen ihren Einfluss weiter ausbauen. Gleichzeitig ließ sich in den Redebeiträgen eine Verrohung der Sprache sowie ein zunehmender Gebrauch politischer Kampfbegrif fe und verschwörungstheoretischer Narrative feststellen. Dominierend waren Begriffe wie "Remigration", "Festung Europa" oder "menschengemachter Bevölkerungswandel". Die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten unterstreicht abermals die innerparteiliche Vormachtstellung der radikalen Kräfte. Das sogenannte gemäßigte Lager spielt hier nur noch eine untergeordnete Rolle. Der ehemalige Bundessprecher Jörg Meuthen hatte seinen Parteiaustritt am 28.01.2022 u. a. damit begründet, dass sich "große Teile der Partei" und "führende Repräsentanten" radikalisiert hätten. Diese Radikalisierung spiegele sich nicht nur in einem "sprachlich enthemmten Kurs" wider, sondern auch in den "politischen Positionen" und "verbalen Entgleisungen".60 Ein zentrales Schlagwort für die AfD im Jahr 2024 war der Begriff "Remigration". Im Zuge des Bekanntwerdens eines Vernetzungstreffens von Angehörigen der AfD mit Akteuren der Neuen Rechten am 25.11.2023 in Potsdam (Brandenburg) und der daran anschließenden medialen Berichterstattung hatte der Begriff im öffentlichen Diskurs an Relevanz zugenommen. 61 Ein Teilnehmer des Treffens war der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, 60 Vgl. Facebook-Eintrag der AfD vom 29.01.2022. 61 Vgl. u. a. Internetseite der Rechercheplattform "Correctiv", "Geheimplan gegen Deutschland", 10.01.2024 (zuletzt aktualisiert am 27.02.2024). 121 Rechtsextremismus der zu den Vordenkern der Neuen Rechten zählt und zugleich einer der führenden Köpfe der "Identitären Bewegung"62 im deutschsprachigen Raum ist. Sellner hatte im Rahmen der Veranstaltung über sein Konzept der "Remigration" gesprochen. Der Vortrag umfasste Überlegungen zur praktischen Umsetzung einer massenhaften Ausweisung von Menschen nichtdeutscher Herkunft. Als politischer Kampfbegriff war der Terminus "Remigration" bereits in der Vergangenheit von der "Identitären Bewegung" genutzt worden. Im ideologisch-programmatischen Portfolio der AfD steht er für die Positionierungen der Partei zu den Themen Flucht, Migration und Asyl. Ideologie Die AfD vertritt einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff, der in Teilen auf rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Narrative Bezug nimmt. Das dahinterstehende Konzept von "Volk" und "Heimat" schließt Menschen aus, die als "fremd" wahrgenommen werden, z. B. Migrantinnen und Migranten oder Menschen muslimischen Glaubens. In ethnischer wie in kultureller Hinsicht geht es um Fragen gesellschaftlicher Zugehörigkeit und sozialer Ausgrenzung. Dies führt u. a. dazu, dass zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund differenziert wird, wodurch ein Konstrukt Deutscher erster und zweiter Klasse entsteht. Eine Unterscheidung anhand ethnischer Kategorien steht im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes. "Deutschland, Ihr Weltsozialamt! Nigerianer mit deutschem Pass verursacht jährliche Kosten von 1,5 Millionen Euro!" (Facebook-Eintrag eines Mitglieds der AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 25.02.2024) Migrantinnen und Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft würden "den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur" in Deutschland verstärken, wie es im Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016 heißt, weil angeblich "die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als 62 Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Siehe auch Kapitel 3.6 "Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)". 122 Rechtsextremismus unter deutschstämmigen Frauen."63 Eine ähnliche Argumentation findet sich auch im Wahlprogramm der AfD Niedersachsen zur Landtagswahl 2022, die in verschwörungstheoretischer Manier einen "Bevölkerungsaustausch" durch die Zuwanderung ethnisch und kulturell fremder Menschen andeutet: "Der Anteil von Menschen ausländischer Herkunft an der Gesamtbevölkerung ist in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren um etwa das Sechzehnfache gestiegen. Schon jetzt leben in Deutschland mehr als 18 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Bei einer im bisherigen Tempo weitergehenden Masseneinwanderung steigt die Zahl der Migranten bis 2050 auf mindestens 35 Millionen." (Landeswahlprogramm 2022 der AfD Niedersachsen, S. 71) Verschwörungstheoretische Narrative wie der "Große Austausch" oder auch "Umvolkung" sind auf diese Weise anschlussfähig. So werde durch "die Eliten" in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gezielt die Einwanderung muslimischer und nicht weißer Menschen und die daraus folgende Verdrängung der mehrheitlich weißen europäischen Bevölkerung in Europa vorangetrieben. "Dieses Land soll geflutet werden und zwar mit Absicht, ohne Rücksicht auf Verluste." (Facebook-Eintrag eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 07.10.2024) Bei der Europawahlversammlung in Magdeburg hatte z. B. eine niedersächsische Kandidatin in ihrer Bewerbungsrede für einen Listenplatz u. a. vom "Bevölkerungsaustausch" gesprochen, der angeblich mit einer gezielten politischen Agenda verfolgt werde: "Unter dem Deckmantel des sogenannten Multilateralismus wird immer mehr Entscheidungskompetenz auf eine supranationale Ebene gehoben. Die vollständige Abschaffung von Nationalstaaten, das fanatische Verfolgen von utopischen Klimazielen, Genderideologie, Frühsexualisierung und natürlich der Bevölkerungsaustausch. Das alles sind die Symptome eines bösartigen Tumors, der in dieser EU streut." (Redebeitrag einer Kandidatin der AfD Niedersachsen bei der Europawahlversammlung in Magdeburg am 04.08.2023) 63 Grundsatzprogramm der AfD in der Beschlussfassung auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.04. und 01.05.2016, S. 42. 123 Rechtsextremismus In diesem Redeauszug wird neben der Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch"64 auch das in rechtsextremistischen Kreisen verbreitete Narrativ des "Great Reset"65 angeschnitten. Eine global agierende Elite versuche demnach, eine internationale Diktatur auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene zu etablieren. Geflüchtete und asylsuchende Menschen werden von den Repräsentanten der AfD Niedersachsen wiederholt pauschal als Gewalttäter dargestellt. So finden sich Formulierungen wie "importierte Migrantengewalt", "importierte Gewalt", "importierte Messergewalt" oder Import einer "Messerkultur", die ein Zerrbild von insbesondere männlichen Migranten, Geflüchteten und Muslimen erzeugen, mit dem die AfD ihr parteipolitisches Kernthema untermauert. Zwischen Migration und Gewalt wird auf diese Weise ein direkter Zusammenhang konstruiert. "Auf unkontrollierte Migration folgt unkontrollierbare Gewalt!" (Facebook-Eintrag des Landesverbandes der AfD Niedersachsen vom 09.09.2024) "Die AfD wird den mutwilligen Import der Messerkultur aus Ländern wie Afghanistan und Syrien stoppen, ..." (Facebook-Eintrag eines Mitglieds der AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 13.09.2024) 64 Der "Große Austausch" ist ein politischer Kampfbegriff der Neuen Rechten. Mit ihm wird die Einwanderung von muslimischen und "nicht-weißen" Menschen auf eine angebliche Verschwörung zurückgeführt, deren Ziel es sei, die "weißen" Mehrheitsbevölkerungen in den westlichen Staaten zu ersetzen. Der Begriff schließt an die im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus verwendeten Ausdrücke wie "Bevölkerungsaustausch", "Überfremdung", "Umvolkung" oder "Volkstod" an und beschwört wie diese einen Untergang der "Weißen" oder einen Genozid an ihnen. Als Urheber des angeblichen Plans werden etwa "die Globalisten", "die Eliten", "die Privatwirtschaft", "die Juden", "Multikulturalisten" oder supranationale Organisationen wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen genannt. Der Begriff steht somit für eine rassistische und antisemitische Verschwörungstheorie. Bekannt wurde er durch das Buch "Le grand replacement" des französischen Autors Renaud Camus aus dem Jahr 2011. In Europa und Nordamerika wurde der Begriff vor allem durch die "Identitäre Bewegung" bzw. in den Vereinigten Staaten von Amerika durch die "Alt-Right-Bewegung" verbreitet (siehe auch Kapitel 3.6). 65 Der englische Begriff "The Great Reset" (dt. "Der große Neustart") bezeichnet die Initiative des Weltwirtschaftsforums für eine Neugestaltung der Weltwirtschaft und der Weltgesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie. Sie legt einen stärkeren Fokus auf Themen wie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit unter Beteiligung der Betroffenen mit ihren jeweils speziellen Interessen. Die Initiative wurde vom Direktor des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, entworfen und im Juni 2020 vorgestellt. Im Juli 2020 veröffentlichte er zusammen mit Thierry Malleret das dazugehörige Buch "Covid-19: Der große Umbruch". Seitdem verwenden verschiedene Gruppen und Autoren den Ausdruck "Great Reset" für angebliche Weltherrschaftspläne einer mächtigen finanziellen und politischen Elite, die hinter der Pandemie stecke und diese für ihre Zwecke benutze. Schwab und andere mit dem Weltwirtschaftsforum verbundene Einzelpersonen werden dabei zum personifizierten Bösen stilisiert. Der Name der Initiative wurde zum Titel und Sammelbegriff für diese Erklärungsmuster. Jene knüpfen an ältere Verschwörungstheorien einer angeblichen "Neuen Weltordnung" ("New World Order") und eines "Großen Austauschs" ("Great Replacement") an und erweitern sie mit Bezügen zur Pandemie. 124 Rechtsextremismus Als politisches Stilmittel betreiben Vertreterinnen und Vertreter der AfD Niedersachsen bisweilen eine Verächtlichmachung und Diffamierung des demokratischen Rechtsstaates, seiner Repräsentantinnen und Repräsentanten und Institutionen sowie anderer politischer Parteien. Ihre Agitation im politischen Wettbewerb ist dabei nicht immer von Respekt und Fairness geprägt, sondern äußert sich wiederkehrend auf herabwürdigende und verunglimpfende Art und Weise. "Wer auch immer fordert, die AfD zu verbieten, sollte daran denken, das es in der Vergangenheit eine Diktatur war, die dies auch mal mit der Opposition gemacht hat." [sic!] (Facebook-Eintrag eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 19.01.2024) "Faeser betreibt in feinster sozialistischer Manier eine politische Säuberung der Polizei, das Ziel: DDR 2.0" (Facebook-Eintrag eines Mitglieds der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 07.04.2024) Die weitgehende Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland mit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), etwa durch die im Zuge der Corona-Pandemie entstandene und bis heute verwendete Formulierung "DDR 2.0", ist hierfür ein Beispiel, ebenso wie NS-Vergleiche. Die AfD Niedersachsen nutzt diese Art der Gleichsetzung und Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates, um vor allem den Umgang der Regierung mit der Bevölkerung im Allgemeinen und mit der AfD als Oppositionspartei im Speziellen zu kritisieren. Neuer Landesvorstand Am 20. und 21.04.2024 kamen in Unterlüß (Landkreis Celle) etwa 175 Delegierte der AfD Niedersachsen zu einem Landesparteitag zusammen. Auf der Tagesordnung stand insbesondere die Wahl eines neuen Landesvorstandes. Der bis dahin amtierende 1. stellvertretende Vorsitzende und Landtagsabgeordnete aus dem Kreisverband Ems-Vechte, Ansgar Schledde, wurde ohne Gegenkandidaten zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Er folgt damit auf den Bundestagsabgeordneten Frank Rinck aus Uelzen, der den Landesverband seit Mai 2022 geführt hatte. Gäste aus der Bundespartei mit überregionaler Bekanntheit waren etwa der Co-Bundessprecher 125 Rechtsextremismus und Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Tino Chrupalla, sowie der Europaabgeordnete Maximilian Krah. Fehlende Distanzierung Auch unter der Führung des neuen Landesvorsitzenden Ansgar Schledde bemüht sich die AfD Niedersachsen weiterhin um ein eher gemäßigtes öffentliches Auftreten. Angesichts einer zunehmenden Radikalisierung der AfD insgesamt ist jedoch beim niedersächsischen Landesverband keinerlei Distanzierung zur Bundespartei zu erkennen, ebenso wenig zu anderen Landesverbänden oder zu Aussagen verschiedener Funktionäre. Vielmehr lassen sowohl einzelne Mitglieder als auch ganze Kreisverbände der AfD Niedersachsen regelmäßig ihre Zustimmung (etwa in den sozialen Medien) für extremistische Kräfte innerhalb der Partei erkennen. Vernetzungsbestrebungen innerhalb der AfD mit rechtsextremistischen Akteuren werden vom niedersächsischen Landesverband teilweise unterstützt und vorangetrieben. Exemplarisch hierfür steht die Teilnahme von Maximilian Krah am Landesparteitag in Unterlüß. Ein weiteres Beispiel ist die Einladung an Björn Höcke zum Neujahrsempfang des AfD-Kreisverbandes Northeim. Bei der Veranstaltung am 12.01.2024 mit etwa 110 Gästen aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie aus weiten Teilen Niedersachsens, darunter Mandatsträger und Funktionäre, wurde der thüringische AfD-Landesvorsitzende mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet und für seine "Verdienste um die Partei und Deutschland"66 geehrt. "Björn Höcke spricht uns aus unserem politischen Herzen." (Ehrenvorsitzender des AfD-Kreisverbandes Northeim beim Neujahrsempfang am 12.01.2024) Im Rahmen des Wahlkampfes zur Europawahl am 09.06.2024 trat der Europaabgeordnete Maximilian Krah als Redner gemeinsam mit Mandatsträgern der AfD Niedersachsen am 06.04.2024 bei einer Veranstaltung des AfD-Kreisverbandes Gifhorn auf. Bei einer weiteren Veranstaltung am 12.04.2024 in Buxtehude sagte Krah, der als Hauptredner eingeladen war, kurzfristig ab. Im weiteren 66 Hessische/Niedersächsische Allgemeine vom 14.01.2024: "AfD-Kreisverband verleiht Graf-Otto-Preis bei ihrem Neujahrsempfang an Björn Höcke". 126 Rechtsextremismus Verlauf des Jahres besuchte er außerdem einen Stammtisch des Kreisverbandes Hannover am 20.09.2024 und die Kreisvorstandswahl des Kreisverbandes Goslar am 25.10.2024. Die Wahl eines niedersächsischen Bundestagsabgeordneten in den Bundesvorstand beim AfD-Bundesparteitag vom 28. bis zum 30.06.2024 in Essen (Nordrhein-Westfalen) ist ebenfalls ein Beispiel dafür, dass die AfD Niedersachsen die Bundespartei vollumfänglich unterstützt. Anlässlich der Landtagswahlen am 01.09.2024 in Thüringen und Sachsen leisteten verschiedene Delegationen niedersächsischer Kreisverbände sowie Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der AfD Niedersachsen Wahlkampfunterstützung für diese beiden Landesverbände der AfD, die von den Verfassungsschutzbehörden in Thüringen 67 und Sachsen 68 als erwiesenermaßen rechtsextremistisch eingestuft wurden. Bei der AfD Niedersachsen kann somit nicht von einem aktiven Gegenpol zu den radikalen und extremistischen Kräften innerhalb der Gesamtpartei gesprochen werden. Bisweilen lässt sich sogar ein Zugehen auf extremistische Akteure und die bewusste Unterstützung dieser feststellen. Bemühungen um eine ideologischprogrammatische Mäßigung der AfD Niedersachsen sind zumindest öffentlich nicht wahrnehmbar. Verbindungen zur Neuen Rechten Eine systematische Vernetzung mit extremistischen Strukturen der Neuen Rechten kann für den niedersächsischen Landesverband der AfD nicht in Gänze festgestellt werden. Es sind jedoch Kooperationen auf professioneller Ebene mit dem "COMPACT-Magazin"69 sowie 67 Der Landesverband Thüringen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Thüringen. 68 Der Landesverband Sachsen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Sachsen. 69 Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Brandenburg. Ein Verbot durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat vom 14.07.2024 wurde am 14.08.2024 durch das Bundesverwaltungsgericht teilweise außer Kraft gesetzt. Eine endgültige Entscheidung über das Verbot wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich am 10.06.2025 fallen; siehe auch Kapitel 3.3 "Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus", Abschnitt "Verbot COMPACT (nicht abschließend)". 127 Rechtsextremismus mit dem Verein "Ein Prozent e. V."70 zu konstatieren, die beide dem extremistischen Spektrum der Neuen Rechten zugeordnet werden. Das "COMPACT-Magazin" mit neuem Sitz in Stößen (Sachsen-Anhalt) wendet sich permanent gegen die Regierung und staatliche Institutionen, greift verschwörungstheoretische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Inhalte auf und präsentiert sich seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Sprachrohr russischer Propaganda und Desinformation. Der Verein "Ein Prozent e. V." mit Sitz in Görlitz (Sachsen) ist ein einflussreicher Akteur im politischen Vorfeld der AfD. Der Verein vertritt ausländer-, migrantenund muslimfeindliche Positionen und verbreitet fortwährend die Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs". Darüber hinaus wurde im Jahr 2024 der YouTube-Kanal "Idearium" gegründet, der sich "als innerparteiliche Plattform" begreift, "um strategische Fragen zu diskutieren, neuen Ideen Raum zu geben und konstruktive Kräfte in der AfD, die ihre Entwicklung fördern und voranbringen wollen, zusammenzubringen."71 Das auf dem Kanal ausgestrahlte Format "MOSAIK"72 wird von einer niedersächsischen AfD-Politikerin moderiert und dient dazu, mit dem neurechten politischen Vorfeld ins Gespräch zu kommen. Ferner konnte die niedersächsische Teilnahme beim "Sommerfest" des Verlags "Antaios e. K."73 am 13.07.2024 in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) festgestellt werden. Der Verlag steht dem formell aufgelösten, aber lediglich neustrukturierten "Institut für Staatspolitik" (IfS)74 nahe. Beide haben ihren Sitz in Schnellroda und sind dem ebenfalls dort wohnhaften Publizisten und neurechten Vordenker Götz Kubitschek eng verbunden. 70 Der Verein "Ein Prozent e. V." ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 71 Vgl. die sogenannte Kanalinfo auf YouTube. 72 Zum Begriff "Mosaik-Rechte" siehe auch Kapitel 3.7 "Junge Alternative Niedersachsen". 73 Der Verlag "Antaios e. K." ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 74 Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. Im Mai 2024 wurde durch Götz Kubitschek die Auflösung des IfS und auch des "Vereins für Staatspolitik" bekanntgegeben. Im Rahmen der Neustrukturierung entstanden die "Menschenpark Veranstaltungs UG" und die "Metapolitik Verlags UG". 128 Rechtsextremismus Ausblick Die Entwicklung einer Partei ist als andauernder Prozess zu verstehen. Dies gilt vor allem für die AfD, deren Profil immer wieder von innerparteilichen Machtkämpfen verschiedener Strömungen und Lager geprägt ist. Dennoch muss konstatiert werden, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Partei ihre Machtstellung weiter ausbauen. Diese Beobachtung wird vor allem durch den Bundesparteitag im Juni 2022 und die Europawahlversammlung im Juli/August 2023 gestützt. Bei der AfD Niedersachsen und ihren Untergliederungen konnte keine Distanzierung von radikalen oder gar extremistischen Positionen und Akteuren innerhalb der Partei oder in deren Umfeld festgestellt werden. Dies zeigen etwa Äußerungen in den sozialen Medien, mit denen Ideologieelemente propagiert werden, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Es ist jedoch ausdrücklich zu betonen, dass nicht jedes Mitglied der AfD in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die derzeitige Einstufung als Verdachtsobjekt bietet daher einen angemessenen Status, um die weitere Entwicklung der AfD in Niedersachsen fortlaufend zu bewerten. 3.9 Die Heimat (vormals Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD) Sitz/Verbreitung Die Heimat Sitz des Bundesverbandes: Berlin Sitz des Landesverbandes: Oldenburg Junge Nationalisten (JN) Sitz des Bundesverbandes: Riesa Sitz des Landesverbandes Nord: ohne Angabe Gründung/ 1964 als "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD); Bestehen seit 1969 der Jugendorganisation; 2023 Umbenennung der Partei in "Die Heimat" 129 Rechtsextremismus Struktur/ Die Heimat Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz; seit November 2024 Peter Schreiber Landesvorsitzender: Manfred Börm Junge Nationalisten (JN) Bundesvorsitzender: Sebastian Weigler Landesvorsitzender Nord: nicht bekannt Mitglieder/ Die Heimat Anhänger/ Niedersachsen: 180 Unterstützer Junge Nationalisten (JN) Niedersachsen: 15 Veröffentlichungen Bund: Deutsche Stimme (DS; monatlich); Stimme Deutschlands (unregelmäßig); Onlineangebote auf Bundesund Landesebene sowie in sozialen Medien Kurzportrait/Ziele Die Partei "Die Heimat" ist eine rechtsextremistische Partei, die die Demokratie in Deutschland beseitigen will. Sie propagiert offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen. Ihre von völkisch-rassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Ideologie der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) auf. Am 03.06.2023 wurde auf dem Bundesparteitag der NPD die Umbenennung in "Die Heimat" beschlossen. Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei "Die Heimat" lehnt die freiheitliche Demokratie ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch einzelne, aber wesentliche Prinzipien und Grundwerte der Deutschen Verfassung. So negiert sie die im Grundgesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Die Partei spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. In dem 2010 verabschiedeten Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" proklamiert sie die Volksgemeinschaft: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem 130 Rechtsextremismus in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit." In konsequenter Umsetzung dieser völkisch-nationalen Grundordnung will die Partei alles "Fremde" aus der "Solidargemeinschaft aller Deutschen" entfernen. Hierdurch richtet sie sich insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) und gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei "Die Heimat" verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Die Partei "Die Heimat" ist verfassungsfeindlich75 Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). In dem Urteil hatte das BVerfG zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD bestätigt, aber kein Verbot ausgesprochen. In dem Urteil wurde ausgeführt: "Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des BVerfG den zulässigen Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat." In seiner weiteren Urteilsbegründung verwies das Gericht darauf, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten sei, Sanktionsmöglichkeiten für verfassungsfeindliche Parteien zu schaffen. Infolgedessen beschloss der Bundestag im Sommer 2017 die Änderung von Art. 21 Abs. 3 GG wie folgt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen 75 Siehe auch Kapitel 12.1, Abschnitt "Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/ Verfassungswidrigkeit". 131 Rechtsextremismus oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen." Mit Schriftsatz vom 19.07.2019 reichten die drei Verfassungsorgane Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung den Antrag auf Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung beim BVerfG ein. In dem Antrag wird ausführlich begründet, dass die NPD die parlamentarische Demokratie verachtet und ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nach darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die mündliche Verhandlung am 04. und 05.07.2023 boykottierte die Partei durch ihre Nichtteilnahme. Das Urteil des BVerfG vom 23.01.2024 (BVerfGE 2 BvB 1/19) bestätigt die Verfassungsfeindlichkeit der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) und deren Wesensverwandtschaft zum historischen Nationalsozialismus und schließt die Partei zunächst für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung aus.76 Strategie der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) Zur Durchsetzung ihrer Ziele hatte der ehemalige Bundesvorsitzende Udo Voigt 1996 eine "Drei-Säulen-Strategie" ("Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente") entwickelt, die 2004 mit dem "Kampf um den organisierten Willen" zu einem VierSäulen-Konzept ausgebaut wurde. Hatte die NPD bei Wahlerfolgen in der Vergangenheit noch von den Protestbewegungen gegen die Sozialreformen der Bundesregierung profitiert, verschob sich ihre rechtsextremistische Agitation in Richtung "Asylmissbrauch" und "Überfremdung". Vorübergehend gelang der Partei in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern der Einzug in die Landtage. Auf Grundlage des Positionspapiers "Wille - Gemeinschaft - Tat" und infolge der seit der Bundestagswahl 2017 anhaltenden Schwäche als Wahlpartei (bei der Bundestagswahl am 26.09.2021 erzielte die NPD nur noch 0,1 Prozent der Zweistimmen; 2017: 0,4 Prozent), versuchte die NPD, sich verstärkt als Weltanschauungspartei auszurichten. So hatte der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Heise 2018 innerhalb der Partei den sogenannten völkischen Flügel ausgerufen, 76 Pressemitteilung Nr. 9/2024 des BVerfG vom 23.01.2024. 132 Rechtsextremismus dem auch einige niedersächsische Funktionäre angehören. Der ab 2014 als Bundesvorsitzender amtierende Frank Franz hatte aufgrund der schlechten Wahlergebnisse immer wieder versucht, die Partei zu modernisieren. Der im Jahr 2019 begonnene Reformprozess fand auf dem Bundesparteitag 2022 keine Mehrheit. Erst auf dem NPD-Bundesparteitag 2023 in Riesa (Sachsen) sprach sich die erforderliche Mehrheit der Delegierten für das neue Konzept des Bundesvorstandes und die Umbenennung der Partei in "Die Heimat" aus. 77 Prozent der Delegierten stimmten für eine "neue Standortbestimmung" und eine "neue strategische Funktion" und damit auch für den neuen Namen. Laut dem damaligen Bundesvorsitzenden Franz soll "Die Heimat" eine Sammlungsbewegung im Geiste der Parteigründer sein. Ihre künftige Aufgabe sah er darin, "als Antiparteien-Bewegung und patriotischer Dienstleister" am "Aufbau eines Netzwerkes" mitzuwirken. Ein Abweichen von der rechtsextremistischen Ideologie der Partei ist damit aber nicht verbunden. Unterstützung für ihren neuen Weg hin zur "Heimatbewegung" bekam die NPD von Teilen der neonazistisch geprägten Kleinpartei "Die Rechte". Nach der Umbenennung verkündeten die Landesverbände Hamburg und Saarland ihren Austritt aus der Partei und bilden seitdem eine neue "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die unter diesem Namen seit Anfang 2024 beim Bundeswahlleiter eingetragen ist. Die Verfassungsschutzbehörden bezeichnen diese Neugründung zur besseren Unterscheidung von der ursprünglichen NPD, deren rechtmäßige Nachfolgerin die Partei "Die Heimat" ist, als "Dissidentenbewegung NPD". Zur neuen Strategie zählt auch der Aufbau eines vorpolitischen Raums und der Fokus auf die kommunalpolitische Arbeit vor Ort. Im März 2024 gründete die Partei den Arbeitskreis "Heimat.Kultur. Werk". Dessen Leiter ist der rechtsextremistische Musiker Philipp Neumann alias "Phil von Flak". Ende 2023 verfügte "Die Heimat" noch über etwa 100 kommunale Mandate, von denen sie nach den Wahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aber zahlreiche verloren hat. In Brandenburg kam es erstmals zu einer 133 Rechtsextremismus Koalition mit der AfD auf kommunaler Ebene.77 In Niedersachsen verfügt die Partei über je ein Mandat in der Gemeinde Handorf und der Samtgemeinde Bardowick (beide Landkreis Lüneburg). An den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen beteiligte sich die Partei mangels Erfolgsaussichten erst gar nicht. Bei der Europawahl am 09.06.2024 erreichte sie nur 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen (2019: 0,3 Prozent). In Niedersachsen gaben der Partei 2.541 Personen (0,1 Prozent) ihre Stimme. Demonstrationen veranstaltete "Die Heimat" nur noch in Einzelfällen. Zu nennen ist hier etwa die Demonstration am 08.05.2024 in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) mit rund 250 Personen aus der rechtsextremistischen Szene. Am 01.05.2024 beteiligte sich die Partei an den Versammlungen der rechtsextremistischen Kleinpartei "Freie Sachsen" in Aue und Dresden (beide Sachsen). Der Bundesparteitag am 23. und 24.11.2024 im sächsischen Bernsdorf (Landkreis Zwickau) stand unter dem Motto "Alle(s) für die HEIMAT". Als neuen Bundesvorsitzenden stimmten 88,4 Prozent der Delegierten für den 51-jährigen Peter Schreiber78 aus Sachsen. Das Ergebnis der Abstimmung ist zugleich Ausdruck einer breiten parteiinternen Unterstützung für den von Frank Franz angestoßenen Reformprozess. Als Stellvertreter wiedergewählt wurden der langjährige und vormalige Parteivorsitzende Udo Voigt (Berlin) sowie der ebenfalls langjährige stellvertretende Parteivorsitzende Thorsten Heise (Thüringen). Dritter Stellvertreter wurde Philipp Neumann (Sachsen-Anhalt), der laut eigenen Angaben sowohl "frischen Wind" als auch "kreative Impulse" in die Parteiführung bringen soll.79 Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Weigler (Sachsen-Anhalt), der trotz seines Wohnortwechsels auch weiterhin im Landesvorstand Niedersachsen tätig ist, wurde als Beisitzer gewählt. 77 Vgl. u. a. Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), "AfD und Neonazipartei Die Heimat koalieren erstmals in Brandenburg", 25.06.2024. 78 Schreiber ist zugleich Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen sowie Chefredakteur des Parteiorgans "Deutsche Stimme" und Geschäftsführer des "Deutsche Stimme Verlages". Darüber hinaus ist er Fraktionsvorsitzender für die Partei "Freie Sachsen" im Rat der sächsischen Kleinstadt Stehla (Landkreis Meißen). 79 Vgl. Internetseite der Partei "Die Heimat", "Alle(s) für die HEIMAT - 39. Ordentlicher Bundesparteitag" (abgerufen am 20.12.2024). 134 Rechtsextremismus Aktivitäten der "Jungen Nationalisten" (JN) Die "Jungen Nationalisten" (JN) verstehen sich als europaweit vernetzte, sozialrevolutionäre und nationalistische Jugendbewegung. Durch politische Aktionen und ideologische Schulungen festigen die Mitglieder der JN ihre rechtsextremistische Weltanschauung. Sie grenzen sich damit von der modern auftretenden "Identitären Bewegung" aus dem Spektrum der Neuen Rechten ab und nehmen zugleich eine Scharnierfunktion zur neonazistischen Szene ein. Die Neustrukturierung der Mutterpartei wurde von den JN begrüßt, auch wenn sie selbst sich dafür ausgesprochen haben, ihren Namen nicht anzupassen. Seit der Wahl von Sebastian Weigler zum Bundesvorsitzenden im Jahr 2022 haben sich die Aktivitäten der JN verstetigt. Um ihre Inhalte zu verbreiten und ihre Aktivitäten zu dokumentieren, aber auch um neue Mitglieder zu werben, nutzen die JN zielgruppenspezifische Profile in verschiedenen sozialen Medien und bei Messenger-Diensten. Mit den Kampagnen "Gegengift 2022" und "Inferno Deutschland" im Jahr 2023 versuchten die JN, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und Mitglieder zu gewinnen, was tatsächlich auch gelang. Der JN-Bundesvorsitzende sprach in diesem Zusammenhang auf dem Bundesparteitag von einem Mitgliederzuwachs. Zu den öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zählten z. B. die Proteste gegen die Feierlichkeiten des "Christopher Street Day". In Niedersachsen existieren derzeit die JN-Stützpunkte Braunschweig, Hannover und Lüneburger Heide. Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen Der niedersächsische Landesverband der Partei "Die Heimat" unterhält nur noch wenige aktive Unterbezirke mit insgesamt rund 180 Mitgliedern. Vorsitzender ist seit 2022 Manfred Börm aus Handorf (Landkreis Lüneburg). Unter seiner Führung hat sich die NPD Niedersachsen der Neustrukturierung und Umbenennung der Bundespartei angeschlossen. Auf dem 2019 gekauften Anwesen in Eschede (Landkreis Celle), das mittlerweile als "HeimatHof" bezeichnet wird, führt die Partei sowohl Veranstaltungen als auch Arbeitseinsätze in Form von Sanierungsund Renovierungsarbeiten durch. Das Gelände wird auch für Sonnenwendfeiern und andere 135 Rechtsextremismus gemeinschaftliche Aktivitäten genutzt, wie am 09.11.2024 für eine Veranstaltung der JN. Am 18.05.2024 richteten die JN einen "Europakongress 2024" unter dem Motto "Fight for Europe - Kämpfen für Europa" aus. An der Veranstaltung auf dem "HeimatHof" nahmen rund 80 Personen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern teil. Einen thematischen Schwerpunkt bildete die anstehende Europawahl. Redner waren der Bundesvorsitzende der JN, Sebastian Weigler, sowie der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Partei "Die Heimat", Claus Cremer. Grußworte entrichteten Vertreter rechtsextremistischer Parteien aus Bulgarien ("Bulgarian National Union"), Frankreich ("Les Nationalistes"), Griechenland ("Pro Patria"), Serbien ("Serbien Right"), Spanien ("La Falange") und Ungarn ("Legio Hungaria"). Zum weiteren Programm gehörten Infotische, u. a. des rechtsextremistischen europäischen Parteienbündnisses "Allianz für Frieden und Freiheit"80 (APF) sowie Boxkämpfe und musikalische Darbietungen. Bei dem "Europakongress 2024" handelte es sich um die erste Veranstaltung dieser Art in Niedersachsen. Die Veranstaltungsreihe hatte zuvor 2014 in Thüringen sowie 2015 und 2018 in Sachsen stattgefunden. Der erstmals seit sechs Jahren wieder durchgeführte "Europakongress" der JN fiel aber mit nur rund 80 Teilnehmenden, davon nur wenige aus anderen europäischen Ländern, weit hinter den bisherigen Veranstaltungen zurück. Am 15.06.2024 fand auf dem "HeimatHof" eine Sonnenwendfeier der JN mit etwa 50 Personen, u. a. auch mit einigen Kindern statt. Die meist männlichen Besucher kamen vorwiegend aus den norddeutschen Bundesländern und waren einheitlich in schwarze Hosen und weiße Hemden gekleidet. Aufgrund der Anwesenheit von Medienvertretern, die die Veranstaltung aus der Entfernung dokumentierten, trugen viele der teilnehmenden Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten Sturmhauben und diese im Widerspruch zu ihrer eigenen ideologischen Ausrichtung auch in den Nationalfarben der Bundesrepublik Deutschland: 80 Die "Allianz für Frieden und Freiheit" (APF) wurde 2014 unter Mitwirkung der damaligen NPD als rechtsextremistisches europäisches Parteienbündnis gegründet und dient heute der Partei "Die Heimat" wie auch den JN zur internationalen Vernetzung. Die APF ist in den letzten Wahlperioden aufgrund fehlender formeller Voraussetzungen nicht mehr als Partei im Europaparlament anerkannt worden. 136 Rechtsextremismus Schwarz-Rot-Gold. Vor dem Entzünden des Feuers stellten sich die anwesenden Personen mit Fackeln in Zweierreihen auf und zogen unter Begleitung von Trommelklängen zur Feuerstelle, wo sie einen Kreis bildeten. Nach dem Rezitieren von Flammenschwüren wurden alle drei Strophen der deutschen Nationalhymne gesungen. Die Sonnenwendfeier der JN am 20.12.2024 auf dem "HeimatHof" wurde von etwa 30 bis 40 Personen besucht, darunter der JNBundesvorsitzende Sebastian Weigler. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Partei "Die Heimat" befindet sich nach ihrem Strategiewechsel auch weiterhin in einer für sie schwierigen Situation. Zwischen der AfD auf der einen Seite und den weltanschaulich stärker akzentuierten, von Neonazis geprägten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" (in Niedersachsen nur Einzelpersonen) auf der anderen Seite fällt es ihr schwer, sich am rechten Rand des politischen Spektrums zu positionieren. Insgesamt hat die Partei an personeller und organisatorischer Substanz verloren. Die seit Jahren ausbleibenden Wahlerfolge und der Verlust von Mandaten auf Kommunalund Landesebene bedeuten für die Partei eklatante finanzielle Verluste. Auch der Beitritt von ehemaligen Angehörigen der Partei "Die Rechte" täuscht nicht über die bestehenden Schwächen hinweg. Zudem scheint sie unter einem neuen Namen weder politisch noch gesellschaftlich anschlussfähig zu sein. Wie das Ergebnis bei der Europawahl zeigt, fand die Partei "Die Heimat" auch nach ihrem Strategiewechsel und unter dem neuen Namen keinen Anklang in der Bevölkerung. Mit Blick auf das noch schlechtere Wahlergebnis im Vergleich zur Europawahl 2019 scheint sie als Wahlpartei endgültig in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Auch die Gründung des Arbeitskreises "Heimat. Kultur.Werk" sowie die einzelnen kleineren Kundgebungen können nicht über den drohenden Verlust an politischer Relevanz hinwegtäuschen. Es ist fraglich, ob es dem neuen Bundesvorsitzenden gelingt, eine wirkliche Erneuerung im Sinne des Modernisierungsvorhabens und damit einhergehend die Transformation zu einer "Antiparteienbewegung" umzusetzen. Der niedersächsische Landesverband konzentriert sich weiterhin auf Veranstaltungen im eigenen Objekt in Eschede, die im Berichtsjahr 137 Rechtsextremismus jedoch noch weniger Resonanz als in den Vorjahren erzeugt haben. Der "HeimatHof" kann als Ankerpunkt der Partei und insbesondere der JN für ihre politische Arbeit in Niedersachsen betrachtet werden, auch wenn die Partei selbst in den meisten Landesteilen faktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Auffällig sind allenfalls die Aktivitäten der JN, die derzeit mit drei Stützpunkten in Niedersachsen vertreten sind und dabei den "HeimatHof" für ihre Veranstaltungen nutzen. Ob sich vor diesem Hintergrund ein Gemeinschaftsoder Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung in Eschede entwickelt, wie von der Partei nach dem Kauf der Immobilie verkündet wurde, ist derzeit nicht einzuschätzen und bleibt daher weiterhin abzuwarten. 3.10 Die Rechte Sitz/Verbreitung Sitz des Bundesverbandes: Parchim (Mecklenburg-Vorpommern); Sitz des Landesverbandes: Braunschweig Gründung/ 2012 (Bundesverband); Bestehen seit 2013 (Landesverband) Struktur/ Bundesvorsitzender: Christian Worch; Repräsentanz Landesvorsitzender: Martin Kiese Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 10 Unterstützer Veröffentlichungen Internetangebote: Die vorrangige Außendarstellung erfolgt für den Bundesverband über die eigene Internetseite und in den sozialen Medien X (ehemals Twitter) und Telegram. Kurzportrait/Ziele Die Partei "Die Rechte" wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mitgliedern der ehemaligen "Deutschen Volksunion" (DVU) und dem langjährigen Neonazi Christian Worch gegründet. Den Posten des Bundesvorsitzenden übernahm Worch selbst. Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch ehemalige Mitglieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kameradschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzten unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre Aktivitäten 138 Rechtsextremismus fort. Zudem traten der Partei vereinzelt NPD-Mitglieder bei. Anfang Januar 2023 lösten sich der Kreisverband Dortmund und ebenso der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei "Die Rechte" auf. Die ehemaligen Mitglieder wechselten zum NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und beteiligten sich am Versuch einer Neuausrichtung unter dem Namen "Die Heimat". Auch in Niedersachsen kommen der Großteil der Führungsebene und ein relevanter Teil der Mitglieder aus der neonazistischen Szene. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bildet die fremdenfeindliche Agitation gegen die Asylund Flüchtlingspolitik, die vermeintliche Islamisierung Deutschlands sowie die angeblich politisch gewollte Volksvermischung. Hinzu kommt die Kritik an vermeintlich staatlicher Repression zum Nachteil der Partei und ihrer Anhänger. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Landesverband Nordrhein-Westfalen, von dem die Partei "Die Rechte" dominiert wurde, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte. 81 "Die Rechte" steht seitdem hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und der führenden Personen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kameradschaften. Ihre Agitation ist von Demokratieund Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. Hiermit richtet sich "Die Rechte" insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) sowie gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 81 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende Worch "Die Rechte" als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PRO-Bewegung" beschrieben (Internetseite von Christian Worch). 139 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen Die seit 2021 wahrnehmbaren personellen und organisatorischen Schwierigkeiten der Partei "Die Rechte" setzten sich im Berichtsjahr weiter fort. Mit der Auflösung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2023 verlor die Partei ihren politischen Schwerpunkt. Anlass für diesen Schritt waren nicht zuletzt personelle Probleme und insbesondere der Rückzug maßgeblicher Führungspersonen. Viele Mitglieder wechselten zur damaligen NPD, die sich im Sommer 2023 in "Die Heimat" umbenannte. 82 Damit ging ein weiterer Bedeutungsverlust für die Partei "Die Rechte" einher, deren Kontakte in die neonazistische Szene deutlich zurückgegangen waren. Zu den bundesweiten Aktivitäten der Partei "Die Rechte" gehörten im Berichtsjahr die jährliche Gedenkveranstaltung anlässlich des Todestages des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess am 17.08.2024 in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) sowie gemeinsame Veranstaltungen mit der "Dissidentenbewegung NPD"83, die als Abspaltung aus der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) hervorgegangen ist. Beispiel hierfür ist die Kundgebung am 09.11.2024 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) unter dem Motto "Gemeinsam für eine deutsche Zukunft". Der niedersächsische Landesverband der Partei "Die Rechte" ist seit der Auflösung des einzig aktiven Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim im Juli 2022 kaum noch öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten. Im Berichtszeitraum fanden zwei Demonstrationen der Partei in Niedersachsen statt, jedoch ohne größere Beteiligung des niedersächsischen Landesverbandes. Beide Veranstaltungen gingen maßgeblich auf die Initiative des Bundesvorsitzenden Worch zurück. Am 01.05.2024 führte die Partei "Die Rechte" in Celle eine Demonstration samt Kundgebung unter dem Motto "Heraus zum Tag der deutschen Arbeit" durch. Unterstützung erhielt sie dabei von Vertreterinnen und Vertretern der "Dissidentenbewegung NPD" sowie von Angehörigen der Kameradschaftsszene und der "Neuen Stärke Partei", die in Niedersachsen aber keine Strukturen aufweist. Die Versammlungsleitung hatte der Bundesvorsitzende der Partei 82 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Strategie der Partei 'Die Heimat' (vormals NPD)". 83 Siehe hierzu Kapitel 3.9, Abschnitt "Aktivitäten der Partei "Die Heimat" und der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen". 140 Rechtsextremismus "Die Rechte", Christian Worch. Anmelder war überraschenderweise der Hamburger Neonazi und Bundesvorsitzende der "Dissidentenbewegung NPD", Lennart Schwarzbach, der in Niedersachsen bisher politisch nicht in Erscheinung getreten ist. Redebeiträge kamen von Schwarzbach und Worch, aber auch vom Landesvorsitzenden der "Dissidentenbewegung NPD" in BadenWürttemberg, Jan Jaeschke, sowie vom Vorsitzenden des Landesverbandes Süd-West der Partei "Die Rechte", Florian Grabowski. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger Niemann aus Amt Neuhaus (Landkreis Lüneburg) stellte die Lautsprecheranlage zur Verfügung. Die 18 vorwiegend männlichen Teilnehmer der Veranstaltung führten u. a. Reichsflaggen mit sich und zeigten ein Banner mit der Aufschrift "Global ist nur das Kapital - Wahrer Sozialismus ist national". Wegen wiederholten Zeigens des Hitlergrußes schloss die Polizei einen Teilnehmer von der Versammlung aus und erteilte ihm ein Aufenthaltsverbot. Dabei wurde festgestellt, dass der Mann ein Messer mit sich führte. Die Demonstration am 21.12.2024 in Braunschweig unter dem Motto "Braunschweig Nazi-Stadt. Jugend in Bewegung gegen Ausgrenzung und Gewalt", an der sich etwa 50 Personen aus der neonazistischen Szene sowie einzelne Mitglieder der Partei "Die Rechte" beteiligten, war von Worch als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Parteivorsitzender angemeldet worden. Der niedersächsische Landesverband war augenscheinlich nicht in die Organisation der Veranstaltung eingebunden gewesen. 84 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Auflösung des bisher aktivsten Landesverbandes NordrheinWestfalen sowie der Kreisverbände Dortmund und Rhein-Erft hat die Partei "Die Rechte" sowohl in personeller als auch in organisatorischer Hinsicht geschwächt, sodass bundesweit ihre Strukturen erodieren. Die Partei ist kaum noch kampagnenfähig und das Aktivitätsniveau geht deutlich zurück. Dennoch ist eine Auflösung der Partei und ein geschlossener Übergang zur Partei "Die Heimat" ebenso wenig zu erwarten wie eine Belebung der Parteistrukturen durch die Wiederwahl von Worch zum Parteivorsitzenden. Die Wahl von Kiese und 84 Siehe Kapitel 3.5 Neonazistische Szene. 141 Rechtsextremismus dem ehemaligen Landesvorsitzenden Niemann in den Bundesvorstand ist ähnlich zu bewerten. Der Wirkungsbereich der Partei "Die Rechte" in Niedersachsen erweist sich bereits seit Jahren als eher begrenzt und ist seit der Auflösung des Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim nur noch rudimentär vorhanden. Der Mitgliederschwund konnte weder aufgehalten noch kompensiert werden. Dem Landesvorsitzenden Kiese ist es nicht gelungen, die verloren gegangenen Strukturen wieder aufzubauen. Die Übernahme der Veranstaltungsorganisation in Celle zum 1. Mai durch Schwarzbach und Worch, die beide weder in der Region noch in Niedersachsen wohnhaft sind und sich hier ansonsten auch nicht politisch engagieren, sowie die geringe Teilnehmerzahl und der hauptsächlich aus anderen Bundesländern stammende Teilnehmerkreis verdeutlichen einmal mehr die Schwäche des niedersächsischen Landesverbandes der Partei "Die Rechte". 3.11 Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler in Niedersachsen Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit; regionaler Schwerpunkt im Großraum Lüneburg-Uelzen-Lüchow-Dannenberg Gründung/ In unterschiedlichen Ausprägungen bereits seit Jahrzehnten Bestehen seit Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von lokal agierenden Gruppierungen und Personenkreisen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: k. A. 85 Unterstützer Veröffentlichungen Zeitungen, Zeitschriften, Internet 85 In Niedersachsen werden völkisch orientierte Personen unter dem Rechtsextremismus-Potenzial in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Personenpotenzials der "Völkischen Personenzusammenschlüsse/ Völkischen Siedler" erfolgt nicht; siehe Kapitel 3.1. 142 Rechtsextremismus Kurzportrait/Ziele Unter dem Sammelbegriff "Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler" werden in Niedersachsen rechtsextremistische völkische Gruppierungen und Personenkreise (Familien-/Siedlerverbände) gefasst, die abseits der urbanen Zentren eine naturorientierte, ländliche und kleinbäuerliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie mit rassistischen und antisemitischen Elementen pflegen und die innerhalb ihres in der Regel kinderreichen Familienund Freundeskreises nach völkischen Denkund Verhaltensmustern und neuheidnischen Riten leben. Die völkischnationalistische Ideologie richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ist in ihrer Wirkungsweise geeignet, deren Schutzgüter erheblich zu beinträchtigen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit "Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler in Niedersachsen" sind gefestigte Rechtsextremisten, die sich an der vom Nationalsozialismus propagierten "Volksgemeinschaft", die als "geschichtlich gewachsene Blutsgemeinschaft" idealisiert wird, orientieren. Dies umfasst nach völkischem Denkmuster die Ausgrenzung anderer Ethnien (Blut-und-Boden-Ideologie). Ziel ist der Erhalt der als besonders widerstandsfähig verstandenen "germanisch-nordischen Rasse" und die Verhinderung einer Durchmischung mit anderen Ethnien zum Wohle der "Volksgemeinschaft". Die Grundlagen des völkischen Denkens werden bereits in den frühen Lebensjahren gelegt. Völkische Familien und Freundeskreise haben einen prägenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen. Diesen wird während der Fahrten, Lager und Wanderungen ein völkisch-nationalistisches Leitbild für das Erwachsenenalter vermittelt, das insbesondere der Festigung der Gemeinschaft dienen soll. Völkische Siedler leben zumeist in (Groß-)Familien oder Familienverbänden, die in ihrer jeweiligen Region mitunter seit Generationen ansässig sind, oder sie haben ihren Lebensmittelpunkt in diese Region verlagert. Sie idealisieren die Großfamilie als "Keimzelle der Volksgemeinschaft" mit überdurchschnittlich vielen Kindern, weil 143 Rechtsextremismus Kinderreichtum als Garant für den Fortbestand der "deutschen Volksgemeinschaft" angesehen wird. Zu der genauen Anzahl völkischer Siedler liegen keine validen Daten vor, da seitens des Niedersächsischen Verfassungsschutzes keine personenbezogenen Daten zu Kindern erhoben werden. Um ihre "Volksgemeinschaft" wirtschaftlich unabhängig und weitgehend ungestört leben zu können, bevorzugen völkische Siedler dünnbesiedelte Landstriche. Junge Paare oder Familien erwerben in diesen Regionen zu günstigen Konditionen Resthöfe und Bauernhäuser und restaurieren diese gemeinsam mit Freunden und Verwandten. Der Großraum Lüneburg-Uelzen-Lüchow-Dannenberg ist eine Schwerpunktregion für völkisch orientierte Familien in Niedersachsen. Völkische Familien sind dort seit vielen Generationen ansässig oder haben ihren Lebensmittelpunkt in diese Region verlagert. Die engen familiären Verbindungen reichen zum Teil in die Zeiten gemeinsamer Mitgliedschaft in den verbotenen Organisationen "Wiking-Jugend" und "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) zurück. Deren völkische und rassistische Positionen gehören zu den grundlegenden Elementen rechtsextremistischer Ideologie. Folgerichtig sind viele Personen aus dem Bereich der völkischen Siedler zugleich Mitglieder in diversen rechtsextremistischen Organisationen. Im Vordergrund steht für sie aber das Bestreben, zu der von ihnen abgelehnten Gesellschaftsordnung eine völkische Gegenwelt zu schaffen, in der sie nach ihren Normen der völkischkulturellen Homogenität leben. Die Verfassungsfeindlichkeit "Völkischer Personenzusammenschlüsse/ Völkischer Siedler in Niedersachsen" zeigt sich in ihrer fundamentalen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach SS 4 Abs. 3 NVerfSchG. Sie richtet sich gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG) und in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG). Ebenfalls widerspricht sie dem Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 GG) und dem Gedanken des friedlichen Zusammenlebens der Völker (Art. 26 GG). Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Berichtszeitraum sind keine Aktivitäten von Gruppierungen oder Einzelpersonen im Zusammenhang mit dem Beobachtungsobjekt 144 Rechtsextremismus "Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler in Niedersachsen" öffentlich bekannt geworden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Zusammenhang mit der Bildung rechtsextremistischer Netzwerke sind die durch mediale Berichterstattung wiederholt in den Blickpunkt gerückten sogenannten "Völkischen Siedler" als ein eigenständiges Phänomen zu betrachten. Aus den bisher zugänglichen Informationen ist abzuleiten, dass eine trennscharfe Zuordnung des aktiven Personenpotenzials zu einzelnen Organisationen nicht zielführend ist, um das gesamte Spektrum völkischer Akteure, den wechselseitigen Austausch und die Vernetzung untereinander sowie ideologische Gemeinsamkeiten umfassend analysieren zu können. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde das Sammelbeobachtungsobjekt "Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen" eingerichtet. Es umfasst einen Personenkreis, den der völkische Siedlungsgedanke, das Engagement in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und eine gemeinsame Vergangenheit - u. a. in den verbotenen völkischrassistischen Organisationen "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) und "Wiking Jugend" (WJ) - miteinander verbindet. Diesen Personenkreis eint, dass die Indoktrination im völkischen Sinne innerhalb der Familien stark ausgeprägt ist. Dadurch entsteht ein geschlossenes System, aus dem eine Abkehr auch den Bruch mit der Familie bedingt. Eingeweihte Kreise versuchen, über verschiedene Ansatzpunkte ihr Gedankengut zu verbreiten, indem man sich in Vereinsstrukturen oder anderen lokalen Strukturen betätigt. Durch ihre umfängliche Brauchtumsund Gemeinschaftspflege (Sonnenwendfeiern, Fahrten, Wanderungen, Oster-, Pfingst-, Sommer-, Winterund Jahreswechsellager sowie Tanzveranstaltungen und Theateraufführungen) tragen sie zur breiten Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene bei und fördern gleichzeitig eine "gleichgeartete Gattenwahl" als "Gewähr für gleichgeartete Kinder". 86 Die Großfamilie wird dabei als Ideal 86 Vgl. das "Sittengesetz" der am 27.09.2023 durch die Bundesministerin des Innern und für Heimat verbotenen rechtsextremistischen Vereinigung "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG), das zusammen mit dem "Artbekenntnis" in jeder Ausgabe der "Nordischen Zeitung" abgedruckt ist. Unter Punkt 19 heißt es wörtlich: "Das Sittengesetz in uns gebietet gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder." 145 Rechtsextremismus angesehen, um den Fortbestand der "deutschen Volksgemeinschaft" zu sichern. Im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote werden junge Menschen rechtsextremistisch indoktriniert. Abgelegene Orte eigenen sich besonders für Vernetzungsund Schulungszentren sowie für erlebnisorientierte Lager, Fahrten und Wanderungen, die abseits der urbanen Zentren überwiegend ungestört durchgeführt werden können. Die Lager sind eine Mischung aus Märschen und Mutproben, Überlebensund Kampftraining. Bereits ab einem Alter von sieben Jahren ("lagerfähigem Alter") werden Kinder und Jugendliche indoktriniert und Eigenschaften wie Disziplin, Treue, Kameradschaft, Pflichtbewusstsein, Abhärtung und Stärke trainiert. Das Erleben von Gemeinschaft und das Kennenlernen von Gleichgesinnten werden nachdrücklich gefördert. Ein durch völkische Familien angestrebter Entzug von Kindern und Jugendlichen aus dem staatlichen Schulbetrieb kann zu einer weiteren Abschottung der Familienverbünde und damit zu einer Festigung rechtsextremistischer Einstellungsmuster beitragen. Darüber hinaus besteht der Grundsatz der Wehrhaftigkeit, die mit einer Affinität zur Selbstverteidigung, zum Kampfsport und zu Waffen einhergeht. Gerade im ländlichen, waldund wiesenreichen Raum bestehen Jagdgemeinschaften. Eine Vielzahl der dort lebenden "Völkischen Siedler" ist daher im Besitz von waffenrechtlichen Erlaubnissen. Siedlungsprojekte sind in der rechtsextremistischen Szene immer wieder diskutiert und initiiert worden. Über die regionalen Ansätze hinaus ist es bislang aber zu keiner flächendeckenden Realisierung gekommen. Siedlungsbestrebungen liegen dann vor, wenn Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum gezielt versuchen, Rückzugsräume für eine - häufig bäuerlich ausgerichtete Lebensgestaltung - zu schaffen, indem dünnbesiedelte Regionen durch Zuzug und/oder ideologische Prägung vereinnahmt werden. Der ländliche Raum eignet sich aufgrund niedriger Immobilienpreise und seiner teilweisen Abgeschiedenheit für ein derartiges Lebensmodell in besonderer Weise. Zugleich bilden diese Regionen die zentralen Aktionsund Rückzugsorte von "Völkischen Siedlern". In einer Gesamtbetrachtung haben "Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen" keinen prägenden 146 Rechtsextremismus Einfluss auf die ideologische Entwicklung des Rechtsextremismus. Allerdings können sie mit ihren ausgrenzenden Positionen zur Belastung für das gesellschaftliche Zusammenleben auf lokaler Ebene werden. Präventionsansätze müssen deshalb unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure auf die jeweilige Situation vor Ort zugeschnitten sein. Dem Verfassungsschutz obliegt es, zu beobachten und zu analysieren, ob sich aus dem Zusammenwirken "Völkischer Siedler" dynamische Netzwerkstrukturen von überregionaler Bedeutung herausbilden. 3.12 Reichsbürger & Selbstverwalter Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit Gründung/ In unterschiedlichen Ausprägungen bereits seit Jahrzehnten. Bestehen seit 1985 Gründung der ersten konkreten Reichsbürgergruppierung, der "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) in Berlin Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen in Repräsentanz Form von lokal agierenden, autark handelnden Einzelpersonen und Gruppierungen; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 1.180 Unterstützer davon etwa 40 Rechtsextremisten Veröffentlichungen Onlineangebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter, Formularschreiben Kurzportrait/Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind Gruppierungen oder Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich u. a. auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den demokratisch gewählten Repräsentanten sprechen sie die Legitimation ab oder sie definieren 147 Rechtsextremismus sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder, teilweise Vermarktung und Verkauf von Reichsbürgerutensilien wie Autokennzeichen, Ausweise, Dokumente o. Ä., Veranstaltungen wie Seminare und Kongresse Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Als "Reichsbürger und Selbstverwalter" werden Einzelpersonen und informell organisierte Gruppierungen sowie virtuelle Netzwerke bezeichnet, deren zentrales organisationsübergreifendes bzw. personenübergreifendes Ideologieelement die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat, seiner gesamten Rechtsordnung und deren Repräsentanten ist. Diese Überzeugung ist eng verknüpft mit einem verschwörungsideologischen Weltbild und der Vorstellung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat. Über diese verbindenden Ideologieelemente hinaus stellt sich die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" als äußerst heterogen und uneinheitlich dar. "Reichsbürger" sind überzeugt, weiterhin und ausschließlich Angehörige eines "Deutschen Reiches" zu sein und nicht Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Je nach Gruppierung oder Person werden unterschiedliche historische Bezugspunkte, insbesondere die Jahre 1871, 1914 und 1937, für die "Reorganisation des Deutschen Reiches" angeführt. Gemeinsam ist allen der Rückgriff auf einen historischen und undemokratischen deutschen Staat sowie auf Grenzverläufe als Hoheitsgebiet, die deutlich über das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinausgehen. An die Stelle der aktuellen Staatsform und seiner institutionellen Ordnung soll eine eigene selbsternannte "Reichsregierung" treten, die in Zukunft die Regierungsgeschäfte für Deutschland führen soll. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine Gruppe von zumeist Einzelpersonen, die im Gegensatz zu "Reichsbürgern" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung ihrerseits oder durch den Rückgriff auf ein selbstdefiniertes Naturrecht aus der 148 Rechtsextremismus Bundesrepublik Deutschland austreten oder sie verneinen deren Existenz komplett. Einige gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu proklamieren. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend und bei vielen Personen vermischen sich Argumentationsmuster aus beiden Bereichen. Eine scharfe Trennung ist daher in der Praxis häufig nicht möglich. Aus der fundamentalen Ablehnung des Staates, seiner Behörden und Institutionen heraus sehen "Reichsbürger und Selbstverwalter" sich nicht an die Gesetze der Bundesrepublik gebunden, erkennen die geltende Rechtsordnung nicht an und leisten Widerstand gegen rechtmäßiges und ordnungsgemäßes behördliches Handeln. Damit sind hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorhanden. Diese sind vor allem in der grundsätzlichen Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Dabei vertreten nicht alle "Reichsbürger und Selbstverwalter" per se rechtsextremistische Ansichten und können so nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden. Ausgehend von Verschwörungstheorien kommen bei einem Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter" Ideologieelemente des Rechtsextremismus wie Antisemitismus, Rassismus und völkische Vorstellungen zum Tragen. Diese begründen in ihren jeweiligen Ausprägungen ebenfalls hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Im Ergebnis richten sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen das Demokratieprinzip und den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG) sowie in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG). Sie sind damit verfassungsfeindlich und erfüllen die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aufgrund ihrer fundamentalen Ablehnung des Rechtsstaates zeichnen sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" durch ein besonderes Maß an Renitenz gegenüber staatlichen Institutionen und Maßnahmen aus. Angefangen mit dem massenhaften Versand von Schriftstücken per E-Mail, Fax oder auf dem Postweg 149 Rechtsextremismus (sogenannte Vielschreiberei) über Beleidigungen und Bedrohungen bis zu gewalttätigen Verhaltensweisen versuchen sie auf Behörden und deren Mitarbeitende einzuwirken, um staatliche Maßnahmen zu verhindern oder zu erschweren. Die Entrichtung von Steuern, Gebühren und Abgaben verweigern "Reichsbürger und Selbstverwalter" regelmäßig. Die Aktivitäten der Szene gipfeln in der Errichtung verschiedener "Regierungen", "Verwaltungen" bis hin zur Ausrufung eigener Königreiche oder Staaten. Hierzu zählen auch die von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" angeblich "reaktivierten" oder "reorganisierten" Gemeinden. So bezeichnen sie Ortschaften, wenn sie diese für unabhängig erklären bzw. eine eigene Verwaltung für diese Gemeinden beanspruchen. Einige "Reichsbürger" zeichnen sich zudem durch die Erstellung und Verwendung von Phantasiedokumenten aus. Es wird versucht, eigene selbst produzierte "Reichsführerscheine" oder "Reichspersonenausweise" im offiziellen Rechtsverkehr zu verwenden. Der Verkauf solcher fiktiven Dokumente stellt zudem für einzelne Personen aus der Reichsbürgerszene eine lukrative Einnahmequelle dar. Die Reichsbürgerszene insgesamt verfügt über ein außerordentlich hohes Sendungsbewusstsein und vertritt ihre Ideologie offensiv nach außen. Zur Verbreitung ihrer Ideen und um andere Menschen für die eigene Sache zu gewinnen, greifen sie vorzugsweise auf das Internet zurück. Dabei dienen vor allem umfangreiche selbst erstellte Internetseiten und soziale Medien als Plattformen zur Verbreitung der eigenen Weltanschauung, jedoch werden zunehmend Messenger-Dienste wie Telegram genutzt. Lokale Stammtische und andere niedrigschwellige persönliche Treffen dienen ebenfalls dazu, andere Menschen an die Reichsbürgerideologie heranzuführen und sich untereinander zu vernetzen. In letzter Zeit werden auch vermehrt Veranstaltungen wie Seminare, Kongresse oder Vorträge angeboten, um die realweltliche Vernetzung zu forcieren. Unter "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist seit vielen Jahren eine ausgeprägt prorussische Haltung verbreitet. In der Kommentierung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zeigt sich deutlich die Heterogenität der Szene. Es überwiegt ein Bild von Russland mit einem vermeintlich starken Staatsoberhaupt, militärischer Potenzialität und nationalistischen Interessen, das "Reichsbürgern 150 Rechtsextremismus und Selbstverwaltern" als idealtypisches Staatsgebilde gilt. Zudem ist die kritiklose Übernahme russischer Staatspropaganda in diesen Kreisen verbreitet. Im Gegensatz dazu wird in einem Video der Internetpräsenz "staatenlos.info", die der Reichsbürgerszene zuzuordnen ist, das transnationale Verteidigungsbündnis NATO als schwach und jüdischen Interessen unterworfen dargestellt. Hierin spiegelt sich der Antisemitismus der Reichsbürgerszene wider. 87 Veranstaltungsreihe "Das Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten" Die Veranstaltungsreihe "Das Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten"88 hat sich in relativ kurzer Zeit als das bundesweit größte Treffen von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" mit teilweise bis zu 950 Personen etabliert. Zwischen August 2023 und August 2024 fanden vier Veranstaltungen in Dresden, Gera (beide Sachsen), Magdeburg (Sachsen-Anhalt) und München (Bayern) statt. Unter den Teilnehmenden waren auch Personen aus Niedersachsen sowie Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden. Die Organisatoren und die Besucher dieser Veranstaltungen lassen sich ideologisch der "1871er Bewegung" zuordnen. Ihre Anhänger sind der Auffassung, das Deutsche Reich von 1871 bestehe in seiner Rechtsordnung fort, sei jedoch derzeit - aufgrund eines andauernden Besatzungszustandes - nicht handlungsfähig. Mit dem "Großen Treffen der Bundesstaaten", wie sich die Gruppierung verkürzt in den sozialen Medien nennt, wird versucht, die ideologische Heterogenität innerhalb der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" zu überwinden und dafür das gemeinsame Ziel einer Wiederherstellung der Verfassung von 1871 in den Vordergrund zu rücken. Durch das Zeigen entsprechender Flaggen und Kleidung soll ihre Ideologie nach außen repräsentiert sowie der Verbundenheitsund Vernetzungsgedanke gefördert werden. Aufgrund der hohen Besucherzahlen hatten alle vier Veranstaltungen eine große Außenwirkung. 87 Vgl. "Was ist, wenn Putin die Ukraine nicht angreift?", in: "staatenlos.info"; abgerufen auf "rutube.ru" am 18.11.2022. 88 Das Deutsche Reich von 1871 bestand aus 25 teilsouveränen Staaten mit jeweils einer eigenen Staatsbürgerschaft. Als sogenanntes Reichsland kam durch Gesetz vom 25.06.1873 das vormals ostfranzösische Elsass-Lothringen hinzu. 151 Rechtsextremismus Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene - Anklageerhebung und weitere Exekutivmaßnahmen Am 11.12.2023 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage vor dem jeweiligen Staatsschutzsenat der Oberlandesgerichte (OLG) Frankfurt am Main (Hessen), München (Bayern) und Stuttgart (Baden-Württemberg) gegen insgesamt 27 Personen u. a. wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß SS 83 StGB. 89 In Frankfurt richtet sich die Anklage gegen neun mutmaßliche Mitglieder dieser Vereinigung sowie gegen eine russische Staatsbürgerin als mutmaßliche Unterstützerin. Einer der Beschuldigten in Stuttgart ist zusätzlich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte angeklagt. Einer der Angeklagten am OLG Frankfurt ist in der Untersuchungshaft verstorben. Das Strafverfahren gegen die Rädelsführer der Vereinigung wird vor dem OLG Frankfurt geführt. Hervorzuheben ist als Hauptbeschuldigter der mittlerweile 72-jährige selbständige Finanzberater und Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. Weitere Angeklagte sind u. a die ehemalige AfDBundestagsabgeordnete und ehemalige Richterin Birgit M.-W. aus Berlin, die ehemalige Bundestagskandidatin und Angehörige des Landesvorstandes der Partei "dieBasis", Johanna F.-J. aus BadenWürttemberg, der ehemalige Bundeswehrkommandeur und Fallschirmjäger Rüdiger v. P. aus Baden-Württemberg, der Mitgründer der Bundeswehreinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) Oberst a. D. Maximilian E. aus Bayern, der ehemalige KSK-Angehörige Peter W. aus Bayern, sowie der ehemalige Polizeibeamte und ehemalige Bundestagskandidat der Partei "dieBasis", Michael F. aus Alfeld (Landkreis Hildesheim) in Niedersachsen. Weitere Angeklagte aus Niedersachsen sind in Frankfurt der Unternehmer Hans-Joachim H. aus Jesteburg (Landkreis Harburg) sowie in München der Jurist 89 Die Anklageergebung richtet sich gegen zehn Personen vor dem OLG Frankfurt, acht Personen vor dem OLG München und neun Personen vor dem OLG Stuttgart; vgl. Pressemitteilungen Nr. 52, Nr. 53 und Nr. 54 der Bundesanwaltschaft vom 12.12.2023. 152 Rechtsextremismus Tim Paul G. aus Hannover und die Ärztin Melanie R. aus Vechelde (Landkreis Peine), wobei die Letztgenannten neben Michael F. einflussreiche Positionen nach dem beabsichtigten Sturz der Bundesregierung übernehmen sollten. Hintergrund der Anklageerhebung ist ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene. Die Ermittlungen mündeten am 07.12.2022 in Exekutivmaßnahmen gegen 54 Personen, bei denen die niedersächsischen Beschuldigten Michael F., Tim Paul G. und Melanie R. verhaftet wurden. Im Laufe des Jahres 2023 erfolgten weitere Durchsuchungsmaßnahmen, u. a. am 22.03.2023 in Springe (Region Hannover) und am 20.06.2023 in Hameln (Landkreis Hameln-Pyrmont) sowie die Verhaftung von Hans-Joachim H. am 22.05.2023 in Jesteburg und die Ausweitung des Verfahrens auf 69 Beschuldigte. In elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich wurden 25 Haftbefehle vollstreckt, die gegen 22 Beschuldigte und drei Unterstützer verhängt worden waren. Im gesamten Ermittlungskomplex gab es zum Jahresende 2023 sieben Beschuldigte aus Niedersachsen, von denen sich die vier oben genannten in Untersuchungshaft befinden. Laut Anklageschrift gehörten die jetzt 27 Angeschuldigten zu einer im Juli 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die sich das Ziel gesetzt hatte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Zur Rechtfertigung ihres Handelns dienten ihnen verschiedene Verschwörungstheorien, die auch in der Reichsbürgerszene verbreitet sind. So waren die Angeklagten fest davon überzeugt, dass Deutschland von geheimen Hintergrundmächten eines sogenannten Deep State90 regiert werde. Befreiung habe die sogenannte Allianz versprochen, ein - tatsächlich nicht existierender - technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten einschließlich der USA und Russlands. 90 Der englische Begriff "Deep State" (dt. "Tiefer Staat") wird vor allem in verschwörungsideologischen Erzählungen verwendet und bedeutet sinngemäß "Schattenstaat" oder auch "Staat im Staate". Er bezeichnet illegale oder illegitime Machtstrukturen innerhalb eines Staates. Die dabei verdeckte Macht gehe von Gruppen aus, die sich tatsächlich oder angeblich gegenüber der Regierung eines Staates nicht oder nur eingeschränkt loyal verhalten und ihren eigenen Gesetzen gehorchen. 153 Rechtsextremismus Die Vereinigung hatte geplant, mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um dort Abgeordnete des Deutschen Bundestages festzunehmen und so den Systemsturz herbeizuführen. Hierfür seien konkrete Vorbereitungshandlungen in konspirativer Planung erfolgt, etwa die Rekrutierung von militärischem Personal, die Beschaffung von Ausrüstung und ein Schießtraining. Ab Frühjahr 2022 führten ihre Mitglieder dieses Vorhaben im engeren Kreis fort, während sie zugleich den Aufbau bundesweiter, flächendeckend operierender bewaffneter Kräfte vorantrieben. Dafür gliederte sich die Vereinigung in einen "Rat" als zentrales Gremium, der sich - ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung - aus verschiedenen Ressorts zusammensetzte und in einen "militärischen Arm", dessen Führungsstab sich u. a. mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikationsund IT-Struktur sowie mit Plänen für die künftige Unterbringung und Verpflegung der sogenannten Heimatschutzkompanien befasste. Zum Zweck der Rekrutierung wurden diverse Veranstaltungen durchgeführt, bei denen es vor allem darum ging, aktive oder ehemalige Angehörige der Bundeswehr und Polizei anzuwerben. Die Vereinigung verfügte über finanzielle Mittel in Höhe von etwa 500.000 Euro. Sie hatte Zugriff auf ein umfangreiches Waffenarsenal, bestehend aus insgesamt rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hiebund Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffensowie mindestens 148.000 Munitionsteilen. Ihre Mitglieder schafften zudem eine Vielzahl sonstiger militärischer Ausrüstung an, darunter ballistische Helme, schusssichere Westen, Nachtsichtgeräte und Handfesseln. Mit der Zeit schottete sich die Vereinigung nach außen zunehmend ab. Mitglieder und Interessenten hatten eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen. Verstöße dagegen sollten als Hochverrat gelten und mit der Todesstrafe geahndet werden. In Niedersachsen übernahm Ende Dezember 2023 die Generalstaatsanwaltschaft Celle eines von mehr als 60 Ermittlungsverfahren des GBA. Das Verfahren wird bei der Zentralstelle Terrorismusbekämpfung geführt und richtet sich gegen vier Beschuldigte wegen 154 Rechtsextremismus des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. Von den Beschuldigten wohnen drei in Niedersachsen und eine Person im angrenzenden Nordrhein-Westfalen. Gewaltpotenzial und Verhältnis zu Waffen Bei einem Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter" führt die absolute Ablehnung der Legitimität staatlichen Handelns als weitere Eskalationsstufe zu aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen gegenüber Gerichten, Behörden und insbesondere Polizeibeamten. Immer wieder haben "Reichsbürger" körperliche Gewalt angedroht und tatsächlich auch ausgeübt, zum Teil unter Einsatz von Waffen. In Cuxhaven leistete z. B. ein Reichsbürger nach einem Verkehrsunfall massiven Widerstand und griff eingesetzte Polizeibeamte tätlich an. Der Mann war in den Abendstunden des 15.06.2024 mit seinem Auto von der Fahrbahn abgekommen und anschließend gegen ein Schild und einen Baum geprallt. Als die Beamten den Unfall aufnehmen wollten, wurde der Mann zunehmend aggressiv, beleidigte und bedrohte die Einsatzkräfte und verletzte schließlich einen der Beamten am Bein. In seinem Auto wurden eine geladene Schreckschusswaffe und zwei Jagdmesser gefunden. Angehörige der Reichsbürgerszene weisen allgemein eine Affinität zu Waffen auf. Durch die Bereitschaft von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern", ihren eigenen Staatsvorstellungen teilweise auch mit Gewalt Nachdruck zu verleihen bzw. sich geltendem Recht und Gesetz zu widersetzen, stellt der Waffenbesitz eine potenzielle Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und dessen Repräsentanten dar. Um das Gefahrenpotenzial zu minimieren, werden waffenrechtliche Erlaubnisse, soweit rechtlich möglich, durch die Waffenbehörde entzogen, sobald eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene bekannt wird. Eine waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist jedoch im Fall einer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene und der darin immanenten Ablehnung des geltenden Rechts zu verneinen. In Niedersachsen wurden aus diesem Grund bereits einigen Personen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Die Überprüfung von Personen mit einer entsprechenden Genehmigung, die zugleich Bezüge zur Reichsbürgerideologie aufweisen, erfolgt fortlaufend 155 Rechtsextremismus und wurde seit der normierten Regelabfrage im Waffenrecht intensiviert. Bundesweit wurden unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörden seit 2016 bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" mehr als 1.000 waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen. Reichsbürgergruppierungen in Niedersachsen In Niedersachsen ist die Reichsbürgerszene äußerst heterogen und durch wenig greifbare Strukturen oder Organisationen geprägt. Dennoch wurde in den letzten Jahren vermehrt ein Organisationsbezug einzelner Szeneangehöriger zu verschiedenen Gruppierungen festgestellt. Gemeinsame ideologische Überzeugungen und Argumentationsmuster dienen als einende Klammer. Diverse überregionale Kleinoder Kleinstgruppen aus der Reichsbürgerszene verfügen zudem über Anhänger in Niedersachsen. Ein regionaler Schwerpunkt der Reichsbürgergruppierungen in Niedersachsen ist jedoch nicht festzustellen. "Königreich Deutschland" (KRD) Das "Königreich Deutschland" (KRD) versteht sich als "völkerrechtskonformer neuer deutscher Staat", welcher durch den "Obersten Souverän", Peter Fitzek, im September 2012 in der Lutherstadt Wittenberg (SachsenAnhalt) ausgerufen wurde. Das KRD ist aus dem zuvor im Jahr 2009 gegründeten Verein "NeuDeutschland" hervorgegangen. Nach eigenen Angaben verfügt das KRD deutschlandweit derzeit über mehr als 5.000 Mitglieder; rund 710 davon zählt die Gruppierung zu ihrem "Staatsvolk". Es handelt sich damit um eine der mitgliederstärksten Organisationen bundesweit im Bereich der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Ziel des KRD ist es, verschiedene autarke staatsähnliche Strukturen zu etablieren, wie z. B. die "Deutsche Heilfürsorge", die "Deutsche Rente" und die "Königliche Reichsbank". Das eigenverwaltete "Staatsgebiet" soll durch den Aufbau autarker lokaler Strukturen mit der Bezeichnung "Gemeinwohldörfer" entstehen. Das KRD wirbt u. a. damit, dass die "Bürgerinnen und Bürger" des "Königreichs" 156 Rechtsextremismus von der Steuerpflicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland befreit seien. Für das angestrebte Ziel staatlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit benötigt das KRD sowohl erhebliche finanzielle Mittel als auch den Zugang zu Gebrauchsgütern und Dienstleistungen. Dem KRD dienen hierfür bundesweit und auch in Niedersachsen sogenannte "Betriebe im KRD". Die Organisation wirbt u. a. damit, dass die "Bürgerinnen und Bürger" des "Königreichs" von der Steuerpflicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland befreit seien. Die Anhänger werden in den Glauben versetzt, ihren rechtlichen und persönlichen Pflichten entgehen zu können. In diesem Zusammenhang erfolgten am 24.10.2024 behördliche Maßnahmen bei einer Firma für Holzprodukte und Brennstoffe in Nordenham (Landkreis Wesermarsch), einschließlich Betriebsschließung und der Beschlagnahmung von Waren. Auf einem Schild am Eingang zum Firmengelände war deutlich sichtbar die Zugehörigkeit zum "Gemeinwohlstaat Königreich Deutschland" und der Hinweis "Betrieb im KRD" zu lesen. Auch durch den Zusatz "KRD" im Firmenlogo und auf Fahrzeugen des Unternehmens haben die Inhaber ihren vermeintlichen Austritt aus dem Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland öffentlich demonstriert. Außerdem weigerten sie sich, der gesetzlichen Steuerpflicht nachzukommen und warben damit, dass Kunden ihre Einkäufe ohne ausgewiesene Mehrwertsteuer tätigen könnten. Die Finanzierung des KRD soll zudem durch eigene "Gemeinwohlkassen" (GK) erfolgen, womit den Anhängern ein "neues, dauerhaft stabiles, unabhängiges und zinsfreies Geldund Finanzwesen zum Wohle des Menschen" suggeriert wird. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) hatte den Betreibern der "Gemeinwohlkassen" bereits im Jahr 2021 die Anbahnung, den Abschluss und die Abwicklung von Bankund Versicherungsgeschäften untersagt. Im Februar 2023 setzte die BaFin die zwangsweise Schließung der Repräsentanzen der "Gemeinwohlkassen" in Dresden (Sachsen), Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) und Menden (Nordrhein-Westfalen) durch. In diesem Zusammenhang erfolgten zuletzt im Oktober 2024 mehrere Durchsuchungsmaßnahmen der BaFin bei den Objekten des KRD in Sachsen, SachsenAnhalt und auch beim "Kneipp-Kur-Hotel Wiesenbeker Teich" 157 Rechtsextremismus in Bad Lauterberg (Landkreis Göttingen). Das KRD wird auch zukünftig mit Nachdruck um Mitglieder und Geldgeber werben und versuchen, seine Strukturen und sein vermeintliches Staatsgebiet weiter auszubauen. Die Aktivitäten des KRD sind im Jahr 2024 in Niedersachsen leicht zurückgegangen. In den letzten Jahren haben mehrfach realweltliche Treffen in Barsinghausen (Region Hannover), Damme (Landkreis Vechta), in Hasbergen (Landkreis Osnabrück) sowie im Bereich des Landkreises Harburg stattgefunden. Als Organisatoren treten Regionalgruppen des KRD sowie die Gruppierung "Leucht-Turm" in Erscheinung, bei der es sich um einen Zusammenschluss von Referentinnen und Referenten mit KRD-Bezug handelt, die bundesweit mit Seminaren für dessen Ziele und Strukturen werben. Insgesamt haben die behördlichen Maßnahmen im Umfeld des KRD zu einer öffentlichen Zurückhaltung der KRD-Angehörigen und zu einer Konzentrierung von Aktivitäten geführt. Darüber hinaus wurde mit Peter Fitzek die zentrale Führungsfigur des KRD wegen Körperverletzung und Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht Wittenberg verurteilte ihn im Juli 2023 zu einer Gesamtfreiheitstrafe von acht Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Fitzek im Mai 2022 eine Mitarbeiterin des Landkreises Wittenberg während einer verbalen Auseinandersetzung zunächst gegen die Tür gestoßen und ihr anschließend einen Fußtritt versetzt hatte. Zudem beschimpfte er zwei Soldaten, die der Frau zur Hilfe gekommen waren, als "Faschistenschweine". Eine Berufung gegen das Urteil wies das Landgericht Dessau-Roßlau im September 2024 zurück. "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) Das "Indigene Volk Germaniten" (IVG) versucht, über sogenannte Missionen die eigene Ideologie im Rahmen von Vortragsveranstaltungen zu verbreiten. Als angebliche Volksangehörige der "Germaniten" würden sie nach eigener Überzeugung allein dem Völkerrecht und nicht dem Staatsrecht unterliegen. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird zwar prinzipiell anerkannt, aber deren Geltungsbereich für die eigenen Mitglieder abgelehnt. Ihre Angehörigen zeigen zudem reichsbürgertypisches Verhalten durch die Ausstellung pseudo-behördlicher Dokumente und durch den massenverhaften Versand von Schreiben an 158 Rechtsextremismus Behörden. Die Gruppierung tritt bewusst öffentlichkeitswirksam auf, um neue Mitglieder zu werben und die weitere Vernetzung voranzutreiben. Sie ist bundesweit in regionale "Missionen" mit entsprechenden "Missionsleitern" unterteilt. Einige davon haben ihren Sitz in Niedersachsen. Durch die zahlreichen "Missionen" soll der Eindruck einer gefestigten, überregionalen Organisationsstruktur vermittelt werden. Im Jahr 2024 wurde ein ehemaliges Hotel in der sächsischen Gemeinde Seiffen (Landkreis Erzgebirgskreis) als neuer "Stammessitz" des IVG eingerichtet. Im Oktober 2024 erhielt die örtliche Polizei Kenntnis über ein in Niedersachsen vermisstes Schulkind, das sich in Seiffen aufhalten sollte. Die Eltern seien der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" zuzurechnen. Ziel des daraufhin erfolgten Polizeieinsatzes am "Stammessitz" des IVG war es, das als vermisst gemeldete Kind aufzufinden. Nach vorliegenden Erkenntnissen handelt es sich bei der Mutter um eine Anhängerin des IVG. Sie war wegen des Verdachts der Kindswohlgefährdung ins Visier mehrerer Behörden geraten. Konkret besuchte das siebenjährige Kind seit geraumer Zeit keine staatliche Schule mehr. Die Mutter verwies die Behörden auf eine schulische Erziehung sowie Bildung des Kindes durch das IVG. Der Frau war daraufhin durch das zuständige Amtsgericht in Niedersachsen sowohl das Aufenthaltsbestimmungsrecht als auch das Recht zur Regelung schulischer Belange ihres Kindes entzogen worden. Daraufhin entzog sie sich und ihr Kind den Behörden und war bis zum Polizeieinsatz im Oktober 2024 zunächst unauffindbar. Mutter und Kind wurden bei dem Einsatz angetroffen und das Kind in Obhut des zuständigen Jugendamtes gegeben. "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) Beim "Vaterländischen Hilfsdienst" (VHD) handelt es sich um eine Reichsbürgergruppierung, die auch unter den Bezeichnungen der mit ihr verbundenen Gruppierungen "Ewiger Bund", "Bismarcks Erben" und "Preußisches Institut" auftritt. Sie besteht etwa seit Sommer 2018 und wurde zum Zweck der aktivistischen Unterstützung der drei vorgenannten Gruppierungen gegründet, welche sich grob in die Bereiche Propaganda/Mitgliederwerbung 159 Rechtsextremismus ("Ewiger Bund") und Ideologie/Vernetzung ("Preußisches Institut", "Bismarcks Erben") einteilen lassen.91 Die ideologische Grundannahme geht dabei von einem Fortbestand des Deutschen Reiches aus. Dieses stelle weiterhin das legitime deutsche Völkerrechtssubjekt dar, sei aber mangels eigener Ordnung handlungsunfähig. Das Ziel des VHD besteht deshalb in der vermeintlichen Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit bzw. in der faktischen Wiedererrichtung des Deutschen Reiches auf dem Stand von 1918.92 Seit seiner Gründung organisiert und vernetzt sich der VHD über die sozialen Medien, insbesondere aber über Telegram-Chatgruppen. Die Organisationseinheiten sind stark hierarchisch aufgebaut. Unter Bezugnahme auf den Belagerungszustand Deutschlands im Ersten Weltkrieg gliedert sich die Gruppierung bundesweit in 24 "Armeekorpsbezirke". Der "X. Armeekorpsbezirk" (Hannover) umfasst dabei den Großteil des Bundeslandes Niedersachsen. Aktivitäten gibt es maßgeblich in den Bereichen Braunschweig, Goslar und Hameln. Hierzu zählen etwa die Verteilung von Flugblättern oder sogenannte Hilfsdiensttreffen. Der VHD und die einzelnen "Armeekorpsbezirke" verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen, auf denen sowohl Kontaktmöglichkeiten und Termine als auch Berichte und Bilder von "Hilfsdiensttreffen" veröffentlicht werden. Im Berichtszeitraum fanden solche "Hilfsdiensttreffen" im August 2024 in der "Region Celle" und in "Winsen" sowie im Oktober 2024 in der "Region Braunschweig" statt.93 Verband Deutscher Wahlkommissionen (VDWK) Die Organisation "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK) bildet den Dachverband der zum Teil eigenständigen, insbesondere seit dem Jahr 2023 regional agierenden sogenannten Wahlkommissionen. Es handelt es sich hierbei um pseudopolitische Strukturen innerhalb der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Erklärtes Ziel der Organisation ist es, durch eine nicht näher definierte Form angeblicher "Wahlen" eine eigene "Regierung" zu 91 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" (Zugriff: 23.12.2024). 92 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Bismarcks Erben" (Zugriff: 23.12.2024). 93 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" (Zugriff: 23.12.2024). 160 Rechtsextremismus legitimieren, um "von unten nach oben" die Verwaltungsstrukturen des Deutschen Reiches wiederherzustellen. Ausgangspunkt ist die Annahme, das "Reich" (hier: das Wilhelminische Kaiserreich von 1871) bestehe weiterhin, sei aber aktuell nicht handlungsfähig, weshalb ein "Notstand" herrsche. Dieser "Notstand" könne nur mit der Wiedereinsetzung der genannten Verwaltungsstrukturen beseitigt werden. Die Aktivitäten der "Wahlkommissionen" äußern sich in der stetigen Durchführung von "Vortragsund Informationsveranstaltungen". Referentinnen und Referenten sind zumeist bekannte Personen aus der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Bewertung, Tendenzen, Ausblick Seit Anfang des Jahres 2017 wird in Niedersachsen die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in ihrer Gesamtheit beobachtet. In den ersten Jahren zeigte sich auch in Niedersachsen eine deutliche Zunahme der Aktivitäten der Reichsbürgerszene. Die Mehrheit der handelnden Personen gehörte bereits seit Längerem dem Reichsbürgerspektrum an. Vor etwa zwei Jahren hatte sich diese Entwicklung zwischenzeitlich umgekehrt. Im Vergleich zu 2022 ist das erfasste Personenpotenzial wieder angestiegen. Der Rückgang des Personenpotenzials im Berichtsjahr 2022 ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich der Anfangsverdacht gegenüber einigen Personen nicht bestätigt hatte. Durch die Zunahme der medialen Berichterstattung in Bezug auf "Reichsbürger und Selbstverwalter", insbesondere zum Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, wurden wieder deutlich mehr Verdachtsfälle bekannt. Überwiegend handelt es sich nicht um einen fest umrissenen Personenkreis. Vielmehr agieren bis dahin nicht als "Reichsbürger und Selbstverwalter" bekannte Personen im Sinne der ideologischen Ausrichtung, u. a. durch die anhaltende Versendung von Schriftstücken an diverse Empfänger oder durch die Begehung von Straftaten wie Beleidigung, Belästigung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung oder durch Widerstandshandlungen und Gewaltdelikte. Die in Niedersachsen wohnhaften "Reichsbürger und Selbstverwalter" stellen keine homogene Bewegung dar. Sie setzen sich 161 Rechtsextremismus vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum erstreckt sich von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch-nationalistisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Eine strategische Vernetzung der verschiedenen Gruppen oder Einzelpersonen ist bisher kaum zu erkennen, ebenso wenig eine gezielte Steuerung. Die Verbreitung von rechtsextremistischen Ideologiefragmenten und Narrativen ist jedoch bei einem größeren Teil der "Reichsbürger" festzustellen. Insgesamt lebt die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in einer Parallelwelt. Diese ist geprägt von Verschwörungstheorien, die sich verfestigen und die Szene gegenüber der Außenwelt weitgehend verschließen. Die Gesamtzahl der in Niedersachsen auffällig gewordenen "Reichsbürger und Selbstverwalter" liegt bei etwa 1.180 Personen. Gemessen an dem Gesamtpotenzial an "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" liegt der Anteil an Personen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild wie im Vorjahr bei etwa drei Prozent. Durch die weitere Verbreitung dieser Ideologie sowie durch das ausgeprägte Sendungsbewusstsein und das latent steigende Aktivitätsniveau von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Verallgemeinernde Aussagen über eine etwaige gewalttätige Ausrichtung in Bezug auf dieses Personenpotenzial lassen sich wegen der Heterogenität der Szene weiterhin nicht treffen. Gleichwohl besteht jederzeit die Möglichkeit, dass einzelne Personen vor allem im Umgang mit Behördenmitarbeitenden oder als Reaktion auf staatliche Maßnahmen zu Gewalt greifen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Hinweise auf gezielte kriminelle oder gar terroristische Handlungen von einzelnen "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" liegen derzeit nicht vor. Gleiches gilt für den gezielten Aufbau von (verdeckt operierenden) Gruppen zum koordinierten Angriff auf staatliche Einrichtungen oder Mitarbeitende. 162 Rechtsextremismus Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet mehrere Präventionsund Informationsangebote zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" an. Neben Vorträgen hält der Niedersächsische Verfassungsschutz ein Faltblatt mit dem Titel "Reichsbürger und Selbstverwalter" vor, das auf der Internetseite zum Download zur Verfügung steht. 163 04 Linksextremismus Linksextremismus 4.1 Mitglieder-Potenzial94 Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 95 2023 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 27.800 "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten96 11.200 sowie "Anarchisten"97 Summe 39.000 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 37.000 Davon gewaltorientierte Linksextremisten 11.200 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen98 2023 2024 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 435 435 "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten99 820 840 sowie "Anarchisten"100 Summe 1.255 1.275 94 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 95 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland lagen für das Berichtsjahr bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 96 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 97 Das Mitglieder-Potenzial umfasste auch bisher schon die "Anarchisten", ohne diese ausdrücklich zu nennen. 98 Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von circa zwei Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 99 Die Fußnote 95 gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Darüber hinaus wird hier noch das unorganisierte Spektrum abgebildet. 100 Das Mitglieder-Potenzial umfasste auch bisher schon die "Anarchisten", ohne diese ausdrücklich zu nennen. 166 Linksextremismus 4.2 Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus von fundamentaler Bedeutung. Linksextremisten greifen die in der amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1776 und die in der Französischen Revolution von 1789 proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf. Sie wollen den demokratischen Rechtsstaat zum Teil auch auf revolutionärem und gewaltsamem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunistische Gruppierungen wollen das bestehende politische System zerschlagen und streben über die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" das Absterben des Staates und seinen Ersatz durch eine klassenlose Gesellschaft an. Marxistisch-leninistische Organisationen wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), halten daher an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams101 und "vorbildhafter" Selbstorganisation. Da "Anarchisten" generell den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnen, streben sie unmittelbar nach einer erfolgreichen Revolution eine herrschaftsfreie Gesellschaft an. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordere (Internationalismus). Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisationen, Machtstrukturen und Hierarchien 101 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" "Anarchisten" der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 167 Linksextremismus generell ab. Steht bei Kommunisten primär das Kollektiv im Vordergrund, so ist es bei "Anarchisten" das Individuum. Beide orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. an dem Ideal von der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Zwängen. "Anarchisten", die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Machtstrukturen beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Das westliche Gesellschaftsmodell, d. h. die soziale Marktwirtschaft sowie der demokratische Rechtsstaat und die ihn repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten sowie westlich geprägte Bündnissysteme wie die NATO und die Europäische Union (EU), stehen für den Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die linksextremistische Kritik konzentriert sich vor allem auf die (internationalen) Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Verantwortung für internationale Konflikte und Krisen verorten sie im Westen. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebieten und fordern, wie z. B. die "Interventionistische Linke" (IL) auf ihrer Internetseite "Make capitalism history!". 4.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus Auch im Berichtsjahr 2024 dominierte die autonome Szene die Entwicklung im Linksextremismus. Als Reaktion auf die bereits seit den 1990er Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autonomen Bewegung sind Teile von ihnen weiter bestrebt, der Ideologie-, Organisationsund Bündnisfrage mehr Raum zu geben. Vor diesem 168 Linksextremismus Hintergrund sind in den letzten zwei Jahrzehnten bundesweit verschiedene sich als postautonom verstehende Bündnisse entstanden. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu sein, greifen "Autonome", insbesondere "Postautonome", Themen auf, die wie der Klimaschutz bis weit in die Mitte der Gesellschaft die Menschen berühren und zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Dabei wähnen sie sich im Einklang mit der Mehrheitsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist eine zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus in die Mitte der Gesellschaft bei gleichzeitiger Erosion der Abgrenzung des demokratischen Spektrums gegenüber Linksextremisten nicht zu übersehen. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der frei ist von systemüberwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dient der "Antikapitalismus" und die unmittelbar mit ihm verbundenen Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung", "Antimilitarismus", "Antirassismus" oder insbesondere in den letzten Jahren der Einsatz für den Klimaschutz vor allem als Plattform für ihren Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Erst wenn der Kapitalismus als "Wurzel allen Übels" überwunden ist, lassen sich nach Auffassung auch der niedersächsischen Linksextremisten "Faschismus" und alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Das Jahr 2024 stand vor allem im Zeichen des Nahostkrieges infolge des Überfalls der terroristischen HAMAS auf Israel am 07.10.2023. Der alte Konflikt zwischen antideutsch und antiimperialistisch ausgerichteten "Autonomen" ist seitdem wieder deutlich spürbar. Während sich die antideutsche Szene bedingungslos mit dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern auch durch die Teilnahme an proisraelischen Demonstrationen solidarisierte, ergriffen die Antiimperialisten ebenso wie die dogmatischen Linksextremisten, z. B. aus der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) Partei für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Sie beteiligten sich an deren bundesweiten Solidaritätsdemonstrationen und kritisierten Israel unter Ausblendung der Verbrechen der HAMAS. 169 Linksextremismus Die linksextremistisch motivierten Übergriffe auf Rechtsextremisten bzw. auf Personen, die Linksextremisten als solche ansehen, bildeten 2024 weiterhin einen deutlichen Schwerpunkt der linksextremistischen Aktivitäten. Dabei zeigte sich, dass die Hemmschwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt - auch gegenüber Menschen - weiterhin niedrig ist. Darüber hinaus thematisiert die autonome Szene weiter den Klimaschutz und versucht, an die nicht extremistische Klimaschutzbewegung anschlussfähig zu werden. An dieser Stelle ist eine zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus in Teile der Klimaschutzbewegung wahrnehmbar. Vor allem die "Interventionistische Linke" (IL) und das Klimabündnis "Ende Gelände" (EG) sind an dieser Stelle zu nennen.102 Im Bereich des parteigebundenen Linksextremismus setzte sich auch 2024 die zunehmende politische Bedeutungslosigkeit der orthodox marxistisch-leninistisch ausgerichteten Parteien DKP und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) fort. Neben kontinuierlich schwachen Wahlergebnissen von deutlich unter einem Prozent leiden beide Parteien seit Jahren unter einer massiven Überalterung ihrer Mitglieder und einer Stagnation der Mitgliederzahlen auf niedrigem Niveau. Sowohl die DKP als auch die MLPD sind in der niedersächsischen Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und spielen für die Beurteilung des linksextremistischen Gesamtpotenzials nur eine untergeordnete Rolle. Ausblick Der "Antifaschismus" wird auch 2025 eine zentrale Rolle für die linksextremistische Szene in Niedersachsen spielen. Daneben werden vor allem der Klimaschutz und die Themen "Repression", "Gentrifizierung"103 und "Antimilitarismus" von größerer Bedeutung für das linksextremistische Spektrum sein. Solange die Klimaschutzbewegung große gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit erfährt, werden Linksextremisten versuchen, Einfluss auf einzelne Gruppierungen dieser Bewegung zu nehmen, 102 Siehe im Einzelnen Kapitel 4.4, Abschnitt "Klimaschutz". 103 Siehe im Einzelnen Kapitel 4.4, Abschnitt "Antigentrifizierung". 170 Linksextremismus um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren und langfristig zu radikalisieren. Dabei könnten sie auf offene Ohren von Klimaaktivisten treffen, denen der Ausstieg aus den fossilen Energiequellen zu langsam erscheint und denen zu wenige sonstige Maßnahmen gegen den Klimawandel umgesetzt werden. Setzt sich die Wohnraumumgestaltung so massiv fort wie bisher und bleibt die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiterhin so überhitzt und angespannt wie in den letzten Jahren, muss auch künftig mit Hausbesetzungen und Übergriffen auf Immobilienunternehmen und ihre Mitarbeitenden gerechnet werden. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 hat auch das Thema "Antimilitarismus" in der linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Bewilligung eines 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr und der geplanten dauerhaften Erhöhung des jährlichen Wehretats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dürften vor allem Rüstungsunternehmen wie der auch im niedersächsischen Unterlüß (Landkreis Celle) aktive Konzern "Rheinmetall Waffe Munition GmbH" als "Profiteure" dieser Gelder verstärkt in den Fokus von Linksextremisten geraten. Ebenso könnten mögliche Waffenlieferungen zum Schutz Israels vor dem Hintergrund des am 07.10.2023 mit dem Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel begonnenen Nahost-Kriegs israelfeindliche Proteste der antiimperialistisch ausgerichteten linksextremistischen Szene nach sich ziehen. Die Entwicklungen des Jahres 2024 zeigen, dass in Niedersachsen weiterhin Gewalttaten durch die linksextremistische Szene verübt werden. Daher muss auch 2025 damit gerechnet werden, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt - auch gegenüber Menschen - gering sein wird. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene in Niedersachsen 2025 auf gleichbleibend hohem Niveau bewegen wird. Nicht unwichtig für die Zukunft des Linksextremismus in der Bundesrepublik und in Niedersachsen dürfte die Entwicklung innerhalb der 171 Linksextremismus postautonomen Szene sein. Vor allem in der IL sind Auflösungserscheinungen nach dem Austritt mehrerer Ortsgruppen aus dem Bündnis in den letzten beiden Jahren nicht zu übersehen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte das postautonome Projekt zumindest an seine Grenzen stoßen, wenn nicht sogar obsolet werden. 4.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Sitz/Verbreitung Landesweite Präsenz mit Schwerpunkten in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 780 Sympathisanten Publikationen "autonomes Blättchen", Hannover (unregelmäßig). Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, keine Mitgliedsbeiträge. Kurzportrait/Ziele Das Ziel autonomer Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung kennt keine mit kommunistischen Organisationen vergleichbare einheitliche und dogmatische Ideologie. Ihr Weltbild setzt sich vielmehr aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammen. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung finden sich über Aktionsund Themenfelder zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern orientieren. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, den autonomen Widerstand öffentlich besser zu vermitteln, um so bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu sein. Gegenwärtig sind die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung" und der Klimaschutz für das autonome Spektrum in Niedersachsen von zentraler Bedeutung. Die autonome Szene sieht sich seit mehreren Jahren mit der Problematik 172 Linksextremismus konfrontiert, dass sie aufgrund interner Streitigkeiten, mangelnder Organisationsfähigkeit und einer oftmals brüchigen Vernetzung nur unzureichend agieren kann. Um diesem Umstand etwas entgegenzusetzen, haben sich bundesweit sogenannte postautonome Zusammenhänge etabliert, die mit langfristigen Bündnisstrukturen versuchen, die "Autonomen" aus der auch von ihnen selbst beklagten dauerhaften Krise zu holen. Für Niedersachsen sind dabei vor allem die "Interventionistische Linke" (IL) und das Bündnis "... ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) relevant. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). "Postautonome" Autonome Gruppierungen sind nicht von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. "Autonome" im klassischen Sinne verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke und streben wie die Vertretenden der orthodoxen bzw. dogmatischen K-Gruppen104 die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Machtund Herrschaftsstrukturen wie Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Schon seit Jahren leidet die autonome Szene sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen unter internen Streitigkeiten, einer hohen Fluktuation und mangelnder Motivation ihrer Akteure. So existieren autonome Gruppierungen oft nur kurzfristig: sie benennen sich entweder um, fusionieren oder lösen sich ganz auf. Verantwortlich dafür 104 Der Begriff "K-Gruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den "Kommunistischen Bund Westdeutschlands" (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 173 Linksextremismus sind vor allem ungelöste Organisationsdebatten und eine theoretische Orientierungslosigkeit. Diese Entwicklung hat die "Autonomen" in eine schon seit Jahren andauernde substanzielle inhaltliche und strukturelle Krise gestürzt. Teile der autonomen Szene reflektieren diese Missstände schon seit Längerem und versuchen, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Diese sich oft als postautonom bezeichnenden Gruppierungen verstehen sich nach wie vor als "Autonome", auch wenn sie sich in einigen Punkten von diesen unterscheiden. Ihre Politik ist langfristiger angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Sie wollen sich organisieren, vernetzen und betreiben innerhalb des autonomen Spektrums eine strategische Bündnisorientierung mit einer breiten Öffnung ins demokratische Spektrum und zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten. Dort wollen sie für einen Bruch mit dem Kapitalismus und den ihn nach Meinung der "Autonomen" schützenden demokratischen Rechtsstaat werben. Ideologisch orientieren sie sich an marxistisch-leninistischen und anarchistischen Weltbildern. Sie verzichten aber bewusst auf eine exakte ideologische Festlegung und somit auf eine dogmatische Interpretation der marxistischen und anarchistischen Klassiker. Diese ideologische Unverbindlichkeit macht es ihnen möglich, sich auf der Basis von Minimalkonsensen bis weit in orthodoxe, aber auch in nicht extremistische Kreise zu vernetzen. So wollen sie in einem langfristigen Prozess die herrschenden Verhältnisse überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten. "Postautonome" greifen deshalb gezielt aktuelle politische (Krisen-) Themen auf, die bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und versuchen, über deren gezielte Zuspitzung möglichst viele Menschen zu erreichen und mittelfristig zu radikalisieren. "Interventionistische Linke" (IL) Die IL ist zurzeit das bedeutendste und größte postautonome Bündnis. Sie entstand 1999 als eine "strategische Verabredung" undogmatischer Linksextremisten verschiedener Strömungen. In sogenannten Beratungstreffen fanden sich Gruppierungen und Einzelpersonen zusammen, um Überlegungen anzustellen, wie die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland erhöht werden könne. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksextremistische 174 Linksextremismus Gruppen aus dem postautonomen Spektrum geöffnet. Es entstand ein bundesweit agierendes Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem in geringem Maße auch nicht extremistische Personen angehörten. Dem folgte ab 2010 eine intensive Organisationsdebatte, die die Umstrukturierung der IL von einem Netzwerk zu einer Organisation mit einem von der IL herausgegebenen "Zwischenstandspapier" vom 11.10.2014 vorerst abschloss. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu sein, geben sich ihre Akteure ideologisch bewusst undogmatisch. Zugleich bemühen sie sich um ein konventionelleres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonisten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung, dogmatische Parolen und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, hinter dem sich eine latent vorhandene Militanz verbirgt. Aus diesen Gründen kann die IL eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einnehmen. Das ermöglicht ihren Akteuren, Bündnisse bis in die Mitte der Gesellschaft zu schmieden und Mobilisierungserfolge zu erzielen. Zugleich unterstreicht diese Entwicklung zum einen die Bedeutung der IL für die gesamte linksextremistische Szene, deren Erfolg bei Protestveranstaltungen zu einem nicht unerheblichen Teil von der Organisationsfähigkeit der IL abhängt und zum anderen die zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus bis ins demokratische Spektrum. Im Juni 2024 hat die IL nach zehn Jahren ihr "Zwischenstandspapier" von 2014 fortgeschrieben. Bereits auf den ersten Seiten ihres "Zwischenstandspapieres #2" wird die Stoßrichtung deutlich: "Die Abschaffung des Kapitalismus ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Im 21. Jahrhundert ist keine Perspektive der Befreiung oder der Überwindung von Ausbeutung ohne diese Voraussetzung denkbar." (Internetseite der IL, 11.10.2024) 175 Linksextremismus Auch ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung wird schnell deutlich, wenn es heißt: "Unser Ziel ist der revolutionäre Bruch mit dem Bestehenden." (Internetseite der IL, 11.10.2024) Konkret bedeutet dieses Ziel den "revolutionäre[n] Bruch mit dem Kapitalismus und allen damit verbundenen Machtund Herrschaftsverhältnissen." Die IL möchte eine "Gegenmacht für ein linkes Hegemonieprojekt mit Vergesellschaftung als zentraler Achse" aufbauen. Über das, was sie darunter versteht, lässt sie keinen Zweifel aufkommen: "Ohne Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums, ohne Aufhebung der Klassen und der Ausbeutung, ohne Überwindung der patriarchalen und rassistischen Unterdrückung und Gewalt wird es eine solche Welt nicht geben. Ohne Bruch mit dem Kapitalismus und seiner Profitlogik kann und wird es keine solidarischen Antworten auf die existenziellen Krisen und Bedrohungen des 21. Jahrhunderts geben - weder in Deutschland noch in Europa oder weltweit. Es braucht eine radikale Demokratisierung aller Lebensbereiche, um die systematische Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu stoppen." (Internetseite der IL, 11.10.2024) Was die IL vom demokratischen Rechtsstaat und seinen Regeln, insbesondere vom Parlamentarismus hält, wird in ihrem "Zwischenstandspapier #2" deutlich: "Wir begreifen Revolution als einen Prozess, in dem der bürgerliche Staat und seine Institutionen schrittweise überwunden werden. Dabei können parlamentarische Politik und Mehrheiten bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Ohne mit seinen Regeln zu brechen, lässt sich das politische System nicht grundlegend ändern." (Internetseite der IL, 11.11.2024) Gegenwärtig bestehen offiziell noch in 24 deutschen Städten105 sowie in Graz (Österreich) Ortsgruppen der IL, zwei davon in Niedersachsen (Göttingen und Hannover). Die IL folgt dabei dem Prinzip, 105 An folgenden deutschen Standorten gibt es IL-Ortsgruppen: Aschaffenburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Göttingen, Halle (Saale), Hamburg, Hannover, Heidelberg, Karlsruhe, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, Marburg, Norderstedt, Nürnberg, Rostock, Stuttgart, Tübingen. 176 Linksextremismus wonach pro Stadt nur eine Ortsgruppe bestehen soll. Spätestens seit 2022 hat es den Anschein, als wenn das postautonome Projekt, zumindest was die IL betrifft, an seine Grenzen stößt. Stieg die Anzahl ihrer Ortsgruppen in früheren Jahren kontinuierlich, so nimmt sie seit 2020 ab. Mehrere Ortsgruppen haben sich mittlerweile von der IL getrennt. Auch in Niedersachsen ist diese Entwicklung wahrnehmbar. Unter der Überschrift "Die A.L.I. trennt sich - unser Neustart im Jahr 2021" hat die Göttinger linksextremistische Gruppierung "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) Ende Dezember 2021 auf ihrer Internetseite ihren Austritt aus der IL bekannt gegeben. Eine ihrer Nachfolgeorganisationen, die "Sozialistische Perspektive" (SP), ist am 01.05.2024 nach zweijähriger Zugehörigkeit aus der IL ausgetreten. Diesen Schritt begründete das Bündnis auf seiner Internetseite u. a. damit, dass "viele positive Entwicklungen in der IL zum Erliegen gekommen sind". Zugleich wirft sie der IL ein "Fremdeln mit demokratischen Organisationsprinzipien und Entscheidungsstrukturen" vor. Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) Ein weiteres postautonomes Bündnis mit niedersächsischer Beteiligung stellt das Bündnis uG dar. In ideologischer Abgrenzung zur weitgehend antiimperialistisch ausgerichteten IL ist das Bündnis uG dem antideutschen Lager zuzurechnen.106 Folgt man der Selbstdarstellung des Bündnisses, so wurde es 2006 gegründet, um "linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen". Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG dabei nicht nur um eine "Kritik, für die es weder Institutionen noch Parlamente noch feste Verfahren" gebe, sondern auch um die "Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer".107 Dabei besteht für das Bündnis uG die Herausforderung "immer wieder darin, diese verrückte Logik des kapitalistischen Alltags 106 Zur Erläuterung der Begriffe "antiimperialistisch" und "antideutsch" siehe die Ausführungen im folgenden Abschnitt "Antiimperialisten und Antideutsche". 107 Internetseite des Bündnisses uG, 16.11.2023. 177 Linksextremismus theoretisch und praktisch aufzubrechen", um die gegenwärtige Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung durch eine herrschaftsfreie kommunistische Gesellschaft zu ersetzen. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im Linksextremismus, äußerst diffus. Das Bündnis uG ist in zehn deutschen Städten108 organisiert. In Niedersachsen wirkt die Gruppierung "Redical [M]" als "eine kommunistische und antinationale Gruppe" aus Göttingen im Bündnis uG mit. Aus Braunschweig ist die Gruppierung "In/Progress" im Jahr 2022 dem Bündnis uG beigetreten. "Antideutsche" und "Antiimperialisten" Die sogenannten Antideutschen bildeten sich mit Beginn der 1990er Jahre vor dem Hintergrund zunehmender rechtsextremistischer Übergriffe auf Migranten als eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus. Ideologisch wenden sie sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus. Mit der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und die Entstehung eines "IV. Reichs" durch eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sich die "Antideutschen" bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA. Eine für "Autonome" ungewöhnliche politische Haltung, da sie prinzipiell staatliche Strukturen, Institutionen und Repräsentanten ebenso ablehnen wie das westliche Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell und jegliche Form von Militär. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit kam es zum Bruch zwischen den "Antideutschen", die bislang immer nur eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums vertraten und vertreten, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung. Dieser ideologische Bruch vollzieht sich nicht nur im autonomen, sondern 108 In folgenden deutschen Städten gibt es Gruppierungen, die im Bündnis uG organisiert sind: Berlin, Braunschweig, Bremen, Dresden, Frankfurt am Main, Göttingen, Köln, Marburg, München, Münster. 178 Linksextremismus auch im postautonomen Spektrum. So ist die IL mit ihren niedersächsischen Ablegern in Göttingen und Hannover als weitgehend antiimperialistisch zu charakterisieren, während das Bündnis uG eindeutig antideutsch geprägt ist.109 Nicht selten führen diese Diskrepanzen zur Lähmung der politischen Arbeit innerhalb der autonomen bzw. postautonomen Szene, da beide Seiten nur bedingt dazu bereit sind, miteinander zu kooperieren. Hatten sich "Antideutsche" und "Antiimperialisten" in den letzten Jahren wieder angenähert, so haben die Spannungen zwischen beiden Ausrichtungen seit dem Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel am 07.10.2023 mit rund 1.200 Todesopfern wieder zugenommen. Während sich die antideutsche Szene bedingungslos mit dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern u. a. durch die Teilnahme an proisraelischen Demonstrationen solidarisierte, ergriffen die "Antiimperialisten" reflexartig Partei für die Palästinenser. Sie beteiligten sich ebenso wie die dogmatischen Linksextremisten z. B. aus der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) an den bundesweiten Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser und kritisierten Israel unter Ausblendung der Verbrechen der HAMAS vehement. Autonome Gewalt "Autonome" kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Diese basiert dabei auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat, seine Institutionen und Repräsentanten sowie Rechtsextremisten bzw. Personen, die Linksextremisten als solche ansehen, aber auch szenekritische Wissenschaftler zählen. Politisch motivierte Gewalt dient "Autonomen" als "Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft". Denn um die angestrebte herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten, müsse zuvor der demokratische Rechtsstaat als Garant der bisherigen Ordnung beseitigt werden. Gewalt hat für "Autonome" immer eine Außenund eine Binnenwirkung. Nach außen dient sie u. a. dazu, öffentliche, insbesondere mediale Aufmerksamkeit zu 109 Die beiden Göttinger Gruppen "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) und "Basisdemokratische Linke Göttingen" (BL) sind Teil der antiimperialistisch ausgerichteten IL. In Hannover gibt es eine IL-Ortsgruppe Hannover. Die "Redical [M]" aus Göttingen und "In/ Progress" aus Braunschweig sind die niedersächsischen Ortsgruppen des antideutsch ausgerichteten Bündnisses uG. 179 Linksextremismus erregen und Unterstützung für die eigenen Positionen zu finden. Darüber hinaus soll sie die Kosten für bestimmte politische Entscheidungen so in die Höhe treiben, dass diese langfristig politisch nicht mehr durchsetzbar sind.110 Zugleich wirkt die Gewalt nach innen integrationsund identitätsstiftend für die jeweiligen Bezugsgruppen. Die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei ist oft der förmliche Ritterschlag für den einzelnen "Autonomen", denn sie befördert seinen Aufstieg in den formal nicht existenten Hierarchien innerhalb seiner Bezugsgruppe. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Gewalt - wie auch in anderen Extremismusbereichen - ästhetisiert und heroisiert wird. So stilisieren sich "Autonome" gern auf Fotos und Plakaten als "lonesome cowboy" oder "streetfighter" vor brennenden Barrikaden oder Autos sowie vor Polizeireihen. Dadurch zeigen sie zugleich die Faszination, die Gewalt auf sie ausübt. Gewalt wird somit zu einem unverzichtbaren Lebensgefühl. In manchen Situationen herrscht sogar eine regelrechte Gewaltbegeisterung, denn "es macht einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen ...", wie es in einem ihrer Selbstzeugnisse heißt.111 Ihren Ausdruck findet die autonome Gewalt in erster Linie in Massenmilitanz und klandestinen Aktionen. Massenmilitanz tritt dabei vornehmlich am Rande von Demonstrationen in Erscheinung. Konspirativ agierende Kleingruppen verüben zudem Brandund Sprengstoffanschläge vor allem gegen Luxusund Firmenfahrzeuge, aber auch gegen öffentliche Einrichtungen wie Jobcenter, Polizeistationen und Behörden. Um die von "Autonomen" ausgehende Gewalt richtig einordnen zu können, muss man sich den für sie und die "Postautonomen" geltenden Gewaltbegriff vergegenwärtigen. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" eine auf gesellschaftlichen Strukturen, 110 Die Castor-Transporte sind hierfür ein gutes Beispiel. Ihre Gegner wussten, dass sie die Züge mit den Castoren auf dem Weg ins atomare Zwischenlager nach Gorleben nicht aufhalten können. Durch Blockaden und sogenannte Schotter-Aktionen versuchten Teile von ihnen aber, die Transporte möglichst lange aufzuhalten. So wollten sie die Kosten für die Castor-Transporte in die Höhe treiben, in der Hoffnung, dass sie irgendwann allein aus Kostengründen nicht mehr durchführbar sein würden. 111 A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren, Berlin 3. Auflage 2003, Seite 148. 180 Linksextremismus Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern aus und hindern diese daran, sich ihren Anlagen, Wünschen und Möglichkeiten entsprechend frei entfalten und somit selbst verwirklichen zu können. Aus dieser so empfundenen "Gewalt des Systems" leiten "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten quasi ein Naturrecht auf gewaltsamen Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als ein reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die (angeblich) herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Mit dieser Interpretation wird zugleich das OpferTäter-Narrativ definiert: der Staat ist immer der Täter und der "Autonome" bzw. "Postautonome" immer das Opfer. "Postautonome" teilen zwar grundsätzlich das autonome Gewaltverständnis. Im Gegensatz zu den "klassischen Autonomen" ist ihr Verhältnis zur Militanz vor allem taktischer Natur. Einerseits distanzieren sie sich von der Anwendung von Gewalt, um so das demokratische Spektrum als potenziellen Bündnispartner und ihre Scharnierfunktion zwischen den extremistischen und nicht extremistischen Milieus nicht zu gefährden. Andererseits betonen sie, unsere "... Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen, so wie wir sie verantworten können ... Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen." (Internetseite der IL, 22.01.2025) Ein eindeutiges "Nein" zu jeglicher Form der Gewalt gibt es von ihnen nicht. Vor diesem Hintergrund wird schon seit geraumer Zeit in der linksextremistischen Szene eine Debatte über das Für und Wider von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen geführt. In dieser "Militanzdebatte" geht es nicht um ein Ja oder Nein zur Gewalt an sich. Einzig die Legitimität der gezielten Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen und nicht allein gegen Sachen wird 181 Linksextremismus diskutiert. Da Gewalt dem autonomen Verständnis nach politisch für diejenigen vermittelbar sein soll, die man befreien will, wird bislang gezielte Gewalt gegen Menschen mehrheitlich abgelehnt. Davon ausgenommen sind aber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und Rechtsextremisten bzw. Personen, die Linksextremisten als solche ansehen. Sie gelten als das personifizierte Feindbild eines jeden "Autonomen" bzw. "Postautonomen", ihnen werden Menschenwürde und Grundrechte abgesprochen. Gewalt gegen sie gilt als legitim, notwendig und vermittelbar und wird zumindest billigend in Kauf genommen. Aktionsfelder Kampf gegen Faschismus Zentrales Anliegen der "Autonomen" ist der Kampf gegen Faschismus bzw. der "Antifaschismus", einhergehend mit dem für sie damit untrennbar verbundenen Kampf gegen den Kapitalismus und den demokratischen Rechtsstaat. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale (Komintern), Georgi Dimitroff, im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellten These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals"112 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus immanent. Faschismus kann aus linksextremistischer Sicht deshalb nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus Meme als Einleitung in ein neues Thema. als die Wurzel allen Übels beseitigt wird. Konsequenter Hier: Was steckt hinter der "Antifa"? "Antifaschismus" zielt daher für Linksextremisten zwangsläufig nicht nur auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung, sondern zugleich immer auch auf die "Marionette des Kapitals", den zu überwindenden demokratischen Rechtsstaat. 112 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 182 Linksextremismus Ereignisse im Zusammenhang mit der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Im Jahr 2024 konzentrierte sich die linksextremistische Szene Niedersachsens in ihrer "Antifaschismus-Arbeit" wieder schwerpunktmäßig auf die direkte Auseinandersetzung mit der AfD. Veranstaltungen der Partei und das Eigentum von AfD-Angehörigen stellten erneut Angriffsziele des autonomen Spektrums dar. So beschädigten unbekannte Täter/ Täterinnen am 04.03.2024 durch Pflastersteinwürfe den Glaseinsatz der Eingangstür zum AfD-Parteibüro in Hildesheim und versuchten, eine Holzbank in die Schaufensterfront zu werfen. Anschließend entleerten sie im Eingangsbereich eine Biomülltonne. Dasselbe Parteibüro wurde am 08.09.2024 erneut beschädigt, als drei unbekannte Täter/Täterinnen die Außenscheibe des Büros einwarfen. In Nordhorn bewarfen am 04.05.2024 zwei Personen zunächst von einem Boot auf der Vechte aus einen AfDLandtagsabgeordneten mit Eiern. Kurze Zeit später tauchten sie in der Nähe des Informationsstandes der AfD auf und bewarfen den AfD-Funktionär erneut mit Eiern. Als der Abgeordnete den Werfer zur Rede stellen wollte, schlug ihm dieser mit seiner Faust ins Gesicht und beschimpfte ihn dabei mit den Worten "Du Nazi". Unbekannte Täter/ Täterinnen hatten bereits am 21.02.2024 in Buchholz in der Nordheide alle vier Reifen des Fahrzeugs der Ehefrau eines AfDFunktionärs zerstochen. Wenige Tage zuvor klemmte bereits ein Aufkleber mit der Aufschrift "Fuck AfD" an der Heckscheibe ihres Fahrzeuges. Ferner kam es zu Farbschmierereien an den Privatadressen von Funktionären der AfD. So wurde an dem Haus eines AfDRatsherrn in Hannover in der Nacht vom 30.08. auf den 01.09.2024 ein Graffiti mit dem Wortlaut "AFDler ... angreifen!" aufgesprüht. In der Nacht vom 07. auf den 08.09.2024 sprühten unbekannte Täter sieben Mal den Schriftzug "AfD angreifen!" an die Außenfassade des Mehrfamilienhauses eines AfD-Bundestagsabgeordneten in Hannover. Auf den Gehweg vor seinem Hauseingang sprühten sie "AFDLER ... ANGREIFEN!". In derselben Nacht warfen unbekannte Täter erneut die Außenscheibe des AfD-Parteibüros in Hildesheim ein. In Hannover sprühten unbekannte Täter zwischen dem 17. und 18.12.2025 die Schriftzüge "Faschos töten" und "AFDler ermorden" auf eine Lärmschutzwand. Zwei unbekannte Personen beschafften sich in der Nacht auf den 23.11.2024 widerrechtlich Zutritt zu 183 Linksextremismus dem Parkplatz des Niedersächsischen Landtags in Hannover. Sie beschädigten ein Schild, das auf den Parkplatz der AfD-Fraktion hinweist und nach Aussage der AfD einen Kleintransporter der AfDLandtagsfraktion, der auf dem Landtagsparkplatz abgestellt war. Auch Versammlungen der AfD wurden wieder gestört. Vom 19. bis zum 21.04.2024 fand der Landesparteitag der AfD im Bürgerhaus in Unterlüß (Landkreis Celle) statt. Das "Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus" und das aus Gewerkschaften, religiösen Organisationen, Gedenkstätten, Sozialverbänden und politischen Parteien bestehende Bündnis "Solidarisches Celle" mobilisierten zur Teilnahme an einer Demonstration am 20.04.2024 vor dem Veranstaltungsort der AfD. Neben Demokraten riefen auch Linksextremisten wie das autonom bzw. postautonom geprägte Bündnis "Block AfD Hannover", dem u. a. die postautonome "Interventionistische Linke Hannover" (IL Hannover) und die autonome Gruppierung "Anarchistisches Kollektiv Hannover" (AKH) angehören, zu den Protestaktionen auf. Bereits am frühen Morgen des 20.04.2024 versuchten rund 50 größtenteils vermummte Personen die Polizeisperren rund um das Bürgerhaus zu durchbrechen. Als das nicht gelang, sollte die Anreise der Parteitagsteilnehmenden mit einer Sitzblockade, aus der heraus Rauchtöpfe gezündet wurden, verhindert werden. Die Polizei erteilte der Gruppe daraufhin Platzverweise für Unterlüß und begleitete sie zum Bahnhof, um so ihre Abreise sicher zu stellen. Im weiteren Verlauf der Proteste versuchten immer wieder zum Teil vermummte Personen die Zufahrtsstraßen zum Veranstaltungsort zu blockieren und die Polizeisperren um den Veranstaltungsort zu durchbrechen. Einige von ihnen bewarfen das Bürgerhaus mit Gegenständen wie Äpfeln oder einer Kaugummidose. Bereits am 12.04.2024 kontaminierten unbekannte Täter den Saal des Bürgerhauses großflächig mit einem bläulich weißen Feuerlöschpulver. Zudem wurde mit roter Farbe der Schriftzug "Fuck AfD!" an die Gebäudeaußenseite gesprüht. Der Kreisverband der AfD veranstaltete am 20.09.2024 in Hannover ein Treffen mit dem extremistisch ausgerichteten ehemaligen Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl 2024. 184 Linksextremismus Im Anschluss an eine Demonstration versuchten etwa 200 Personen durch Sitzblockaden die Teilnehmenden der AfD-Veranstaltung am Betreten des Veranstaltungsraumes zu hindern. Schließlich mussten die Veranstaltungsteilnehmenden unter Polizeibegleitung dort hingebracht werden. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Gegendemonstrierenden, in deren Verlauf u. a. Sachbeschädigungen begangen und Polizeibeamtinnen und -beamte mit Schlägen, Tritten sowie Flaschenund Steinwürfen angegriffen wurden. Vier Personen wurden vorläufig festgenommen und mehrere Strafverfahren, u. a. wegen Sachbeschädigung, Beleidigung, Verdacht des Landfriedensbruchs und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, eingeleitet. Links-Rechts-Auseinandersetzungen in Braunschweig und im Raum Göttingen Gewalttätige Auseinandersetzungen prägen seit Jahren das Verhältnis zwischen Linksund Rechtsextremisten auch in Niedersachsen. Betroffen davon sind vor allem Göttingen und Braunschweig. So gab es gegen die von Personen aus dem Spektrum der "Delegitimierer" und "Querdenker" veranstaltete Kundgebung unter dem Motto "Versammlungsfreiheit statt Extremismus" am 13.01.2024, wie schon am 01.04.2023 und 13.09.2023, weitreichenden Protest. Das Göttinger "Bündnis gegen Rechts" rief zu Demonstrationen unter dem Titel "Querdenken einfrieren" auf. Neben Demokraten mobilisierten aber auch Linksextremisten wie die postautonome Gruppierung "Basisdemokratische Linke" (BL) in den sozialen Medien für die Teilnahme an den Protesten. Die postautonome Göttinger Gruppierung "Redical [M]" unterstützte die Proteste ebenso wie die autonomen Gruppierungen "Anarchistisches Kollektiv Hannover" (AKH) und "Antifaschistisches Kollektiv*37 Hildesheim" (AfK*37). Die "Redical [M]" distanzierte sich explizit nicht von Gewalt, wie einem Post in den sozialen Netzwerken zu entnehmen ist: "Wir rufen dazu, sich an den kommenden Gegenprotesten zu beteiligen. Außerdem werden wir uns nicht von etwaiger linker Militanz distanzieren. Wir rufen dazu auf, dies ebenfalls nicht zu tun. ... Historisch funktioniert noch mehr als Sitzblockaden: Der Sperrmüll kann mal 185 Linksextremismus wieder bestellt und der Tannenbaum endlich rausgeschmissen werden. Wir sehen uns auf der Straße! Chaos irritiert die Cops." (Instagram-Account der Redical M, 09.01.2024) An den insgesamt elf Gegendemonstrationen beteiligten sich am 13.01.2024 etwa 2.500 Demonstrierende, darunter Angehörige der autonomen Szene. Den Teilnehmenden gelang es immer wieder, den Aufzug der "Delegitimierer" und "Querdenker" durch Sitzblockaden zu stoppen. Als Polizeibeamte versuchten, die Blockaden aufzulösen, wurden Einsatzkräfte mit Nebeltöpfen beworfen. Entlang der Marschroute sind zwei Mülltonnen in Brand gesetzt worden. Die Polizei nahm mehrere Personen vorläufig fest, u. a. wegen tätlichen Angriffs auf Einsatzkräfte. Bereits am Vorabend der Demonstration wurde aus einer Versammlung von etwa 40 Vermummten heraus ein Streifenwagen der Polizei mit Flaschen und Steinen beworfen und mit Pyrotechnik beschossen. Zudem wurden die Scheiben einer Polizeiwache und eines Geldinstituts beschädigt. Am 19.04.2024 griffen drei unbekannte männliche Täter in Braunschweig einen stadtbekannten Rechtsextremisten mit Pfefferspray an und versuchten ihn mit einer Schreckschusspistole mit Reizgasmunition zu beschießen. Zudem schlugen sie mit einem Teleskopschlagstock auf sein Fahrrad ein. Gegen einen Aufzug von Rechtsextremisten am 21.12.2024 in Braunschweig formierte sich ebenfalls Protest. Gegendemonstrierende versuchten, den rechtsextremistischen Aufzug zu blockieren. Polizisten wurden dabei aus der Menge heraus tätlich angegriffen und mit Pyrotechnik beworfen. Ereignisse im Zusammenhang mit Burschenschaften In den niedersächsischen Universitätsstädten waren auch 2024 wieder Übergriffe auf Verbindungsstudenten und deren Einrichtungen zu verzeichnen. Den Korps-Angehörigen werden vor allem von der linksextremistischen Szene pauschal Affinitäten ins rechtsextremistische Milieu unterstellt. Aus diesem Grunde 186 Linksextremismus gehören sie zu den erklärten Feindbildern der "Autonomen", auch in Niedersachsen. Im Gegensatz zu den letzten Jahren, in denen vor allem Studentenverbindungen in Göttingen im Fokus der linksextremistischen Szene standen, traf es 2024 insbesondere in Hannover ansässige Burschenschaften. Immer wieder wurden Verbindungshäuser mit Farbe beschmiert. Unbekannte Täter sprühten z. B. Mitte Juni 2024 an die Hauswand einer Burschenschaft u. a. "Burschis klatschen" und "gegen rechte Strukturen in Hannover und überall". Ende August 2024 fanden sich an der Fassade eines Verbindungshauses in Hannover Graffitis wie "Ihr solltet euch nicht in Sicherheit wagen, denn wir werden euch jagen" oder "Nazis jagen". Beide Schriftzüge waren mit den kommunistischen Hammerund Sichel-Symbolen versehen. Ebenfalls in Hannover schlug am 13.10.2024 eine unbekannte Person einem am geöffneten Fenster eines Verbindungshauses stehenden Burschenschafter mit der Faust in das Gesicht. Am 31.07.2024 bewarf ein unbekannter Täter die Fassade des Sitzes einer Burschenschaft in Hannover und beschädigte eine Fensterscheibe. Etwa 40 bis 50 vermummte Täter haben am 14.12.2024 vor dem Eingang eines Verbindungshauses in Hannover eine etwa 20 Meter lange und vier Meter hohe Wand aus roten Holzplatten mit dem Schriftzug "Nazizentren dichtmachen" errichtet. Dadurch konnte das Grundstück weder betreten noch verlassen werden. Schließlich bewarfen sie die Hausfassade mit mit Farbe befüllten Weihnachtskugeln und zündeten vor dem Gebäude Nebeltöpfe sowie Bengalos. Bevor sie flüchteten, verteilten die unbekannten Täter Flugblätter, in denen sie rechte Strukturen dieser Burschenschaft anprangerten. Die eintreffende Polizei entfernte den Zaun und leitete ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruchs ein. Auch in Göttingen gab es entsprechende Übergriffe. So haben in den frühen Morgenstunden des 22.02.2024 unbekannte Täter die Mauer eines Verbindungsgebäudes mit den Worten "Nazi's auf's Maul", den Ziffern "161" für "Antifaschistische Aktion" und dem Anarchismussymbol besprüht. Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen, dass sich Verbindungsstudenten und die von ihnen genutzten Örtlichkeiten weiterhin im Fokus der linksextremistischen Szene in Niedersachsen befinden. 187 Linksextremismus Daher muss auch künftig mit linksextremistisch motivierten Übergriffen auf Burschenschafter und ihre Einrichtungen gerechnet werden. Sonstiges Unbekannte Täter setzten in den frühen Morgenstunden des 25.04.2024 in Prinzhöfte (Landkreis Oldenburg) eine Kampfsportschule, die sich in einem Anbau eines leerstehenden Wohnhauses befand, in Brand. Die Kampfsportschule brannte vollständig nieder. Einen Tag später ging auf einem linksextremistischen Internetportal ein anonymes Selbstbezichtigungsschreiben ein. Die unbekannten Täter warfen darin dem Besitzer und Cheftrainer der Kampfsportschule vor, "bundesweit über gute Kontakte in die rechte Kampfsportund Hooligan Szene" zu verfügen und "aktive Nazis und Hools im Kampfsport zu unterrichten". Ihrer Meinung nach konnten in der Kampfsportschule "Nazis ihre Gewaltphantasien ungestört professionalisieren". In dem Selbstbezichtigungsschreiben wurden weitere gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus angekündigt: "Die Zahl rechter Straftaten ist auf Rekordniveau und die politischen Verhältnisse treiben uns weiter in die Enge. Zeit sich wirksam zu wehren, statt zu ignorieren und auf eine staatliche Lösung oder bessere Zeiten zu hoffen, militanter Antifaschismus bleibt notwendig!" (linksextremistisches Internetportal, 26.04.2024) Am frühen Abend des 27.10.2024 überfielen mehrere Personen am Bahnhof in Springe Mitglieder der "Jungen Nationalisten", der Jugendorganisation der Partei "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschland", NPD). Als die Polizei eintraf, waren die unbekannten Täter bereits geflohen. Die Angegriffenen gaben später gegenüber der Polizei an, auf dem Weg von einer Raststätte zum Bahnhof von mehreren Personen verfolgt worden zu sein. Innerhalb der Bahnhofsunterführung hätten sich die Täter mit roten Schlauchschals vermummt, seien auf die "Jungen Nationalisten" zugelaufen und hätten sie mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert. Sieben Personen wurden verletzt, eine von ihnen erlitt multiple Kopfverletzungen, eine weitere eine Kopfplatzwunde. 188 Linksextremismus Auch wenn bislang kein Selbstbezichtigungsschreiben vorliegt, lässt der Überfall von der Zielauswahl und der Vorgehensweise her auf einen linksextremistisch motivierten Hintergrund schließen. Der Modus Operandi ähnelt dabei vor allem der Vorgehensweise der "Eisenacher Gruppe" um die Linksextremistin Lina E.113 Auch Parallelen zum Angriff vermummter Täter auf einen Rechtsextremisten aus Thüringen am 15.06.2022 in Hannover sind nicht zu übersehen. Kampf gegen Repression Gewöhnlich wird der Begriff "Repression" dafür verwendet, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in autoritären oder diktatorischen Systemen zu benennen. Linksextremisten übertragen den Begriff aber auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Konkret verstehen sie hierunter die Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung der oder des Einzelnen durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane. Vor allem der Staat und seine sicherheitsbehördlichen Einrichtungen wie die Polizei, die Nachrichtendienste und die Justiz stehen dabei im Fokus der Kritik. Als staatliche bzw. vom Staat gelenkte "Repressionsorgane" bekämpfen sie nach Meinung von Linksextremisten die Bürgerinnen und Bürger ihres Landes, kriminalisieren sie und hindern sie daran, sich frei zu entfalten. Zugleich schützen sie ihrer Meinung nach "Faschisten", also Rechtsextremisten bzw. Personen, die Linksextremisten als solche ansehen, und arbeiten mit ihnen zusammen. Ziel der linksextremistischen "AntirepressionsErzählung" ist es, sich selbst als Opfer permanenter Überwachung, Verfolgung und Reglementierung durch den Staat zu stilisieren, um auf diese Weise ihr Handeln zu legitimieren und den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren. Auch 2024 war das sogenannte Antifa-Ost-Verfahren gegen die "Eisenacher Gruppe" um die Hauptanklagte Lina E. und ihre drei 113 In Sachsen und Thüringen soll die "Eisenacher Gruppe" um Lina E. zwischen August 2018 und Sommer 2020 mindestens sechs Überfälle auf insgesamt 13 Rechtsextremisten verübt und ihnen teilweise lebensbedrohliche Verletzungen wie Gesichtsfrakturen mit lebenslangen Schäden zugefügt haben. 189 Linksextremismus männlichen Mitangeklagten von großer Bedeutung für die linksextremistische Szene. Sie sieht in dem Verfahren gegen die "Eisenacher Gruppe" und vor allem in dem Urteil gegen ihre Mitglieder einen weiteren Angriff des Staates auf sogenannte antifaschistische Strukturen. Aus diesem Grund gab es bereits während des laufenden Prozesses bundesweit immer wieder Solidarisierungsaktionen mit den Angeklagten, auch in Niedersachsen. So veröffentlichte "Ende Gelände Hannover" (EG Hannover) in den sozialen Medien am 24.10.2024 ein Solidaritätsfoto, auf dem u. a. Angehörige von EG Hannover und der autonomen Gruppierung "Anarchistisches Kollektiv Hannover" (AKH) vermummt und mit Pyrotechnik abgebildet sind. Einige Personen halten ein Banner mit der Aufschrift "Wir sind alle Linx" in den Händen, eine Anspielung auf die im "Antifa-Ost-Verfahren" ermittelnde "Sonderkommission Linx" des Landeskriminalamtes Sachsen. Hintergrund des "Antifa-Ost-Verfahrens" sind gewaltsame Übergriffe anlässlich des zwischen dem 09. und 11.02.2023 in Budapest von Rechtsextremisten begangenen "Tages der Ehre"114 auf Personen, die die Täter z. B. aufgrund ihrer Kleidung der rechtsextremistischen Szene zurechneten. Zwei deutsche, vier ungarische und drei polnische Staatsangehörige erlitten teils erhebliche Verletzungen. Der Modus Operandi der Angriffe ähnelte dabei stark der Vorgehensweise der "Eisenacher Gruppe". Mittlerweile wurden von den ungarischen und deutschen Behörden Tatverdächtige ermittelt. Dazu gehört auch ein sich als non-binär verstehender Linksextremist namens "Maja", der an den Übergriffen beteiligt gewesen sein soll. "Maja" wurde bereits im Dezember 2023 von den deutschen Behörden verhaftet und am 28.06.2024 an die ungarische Justiz ausgeliefert. Rund um die Überstellung von "Maja" an die ungarischen Behörden fanden bundesweit zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen gegen die drohende Auslieferung an Ungarn bzw. für die Rückkehr von "Maja" nach Deutschland statt. Thema waren vor allem die dortigen 114 Jedes Jahr gedenken tausende Teilnehmende am sogenannten Tag der Ehre der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS und ihrer ungarischen Kollaborateure, die im Jahr 1945 versuchten, aus einer Einkesselung durch die Rote Armee rund um Budapest auszubrechen. 190 Linksextremismus Haftbedingungen. Diese Veranstaltungen nahmen dabei nicht immer einen friedlichen Verlauf. Beispielsweise wurden in Bremen am 26.07.2024 aus einer Spontandemonstration heraus Einsatzkräfte der Polizei mit Steinen und Pyrotechnik beworfen. Auch die niedersächsische autonome Szene organisierte Solidaritätsveranstaltungen für "Maja". Am 24.07.2024 fand in Hannover im Autonomen Zentrum "Unabhängiges Jugend-Zentrum Kornstraße" (UJZ Korn) eine Vortragsveranstaltung mit dem "Budapest Antifascist Solidarity Committee" statt. Am 24.08.2024 demonstrierten etwa 230 überwiegend der autonomen Szene zuzurechnende Personen in Hannover unter dem Motto "Free Maja - Free All Antifas!" Im Verlauf der Demonstration bildeten etwa 50 weitgehend vermummte Personen an der Spitze der Versammlung einen sogenannten Schwarzen Block. Wiederholt wurden aus diesem heraus Bengalos, Böller und Rauchpyrotechnik eingesetzt. Gegen Ende der Versammlung warfen Vermummte erneut Pyrotechnik in Richtung der Polizei. Die "Rote Hilfe" Die bedeutendste Gruppierung, die sich in erster Linie der Arbeit zu ihrer "Antirepressions-Erzählung" widmet, ist der von Linksextremistinnen und Linksextremisten getragene Verein "Rote Hilfe e. V." (RH). Die RH wurde 1975 wiedergegründet, nachdem es sie bereits in der Weimarer Republik gab und ist in Göttingen ansässig. Über den Bundesverband hinaus existieren etwa 50 Ortsgruppen bundesweit. In Niedersachsen gibt es mit Braunschweig, Logo der "Roten Hilfe e. V." Göttingen, Hannover, Oldenburg und Osnabrück fünf selbstständige Ortsgruppen. Die RH versteht sich als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Bewusst verzichtet sie darauf, sich von extremistischen Zusammenschlüssen zu distanzieren. Ihre Hauptaufgabe sieht sie im Kampf gegen "staatliche Repression". Sie bietet Linksextremisten politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische und finanzielle Unterstützung, wenn sie straffällig werden. So gewährt sie Rechtshilfe, vermittelt Szeneangehörigen Anwälte und betreut sie sowohl in Strafverfahren als auch während einer möglichen 191 Linksextremismus Haftzeit. Außerdem stellt sie zu besonderen Veranstaltungen, beispielsweise bei Demonstrationen, sogenannte Ermittlungsausschüsse115 bereit. Die RH begleitet zudem strafprozessuale Maßnahmen u. a. mit Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen, um auf diese Weise die vermeintliche Repression staatlicher Behörden gegen politische Aktivisten zu "entlarven". So versucht sie, die Vernetzung und den Zusammenhalt der unterschiedlichen linksextremistischen Strömungen zu festigen und zu sichern. Ferner bietet sie Veranstaltungen und Vorträge für die linksextremistische Szene z. B. in "Autonomen Zentren" an und leistet sowohl für extremistische als auch nicht extremistische Organisationen Rechtsberatung vor, während und nach Demonstrationen. Das "Antifa Ost-Verfahren" gegen die "Eisenacher Gruppe" stellte auch 2024 ein zentrales Thema der RH dar und wurde bundesweit begleitet. Im Zusammenhang mit den Budapester Gewalttaten während des "Tages der Ehre" 2023 gegenüber Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die die mutmaßlich linksextremistischen Täterinnen und Täter dafür hielten, setzte die RH bundesweit ihre Kampagne zur Unterstützung der inhaftierten Tatverdächtigten fort. So nahmen Mitglieder der "Roten Hilfe" am 18.03.2024 an einer Demonstration zum Tag der politischen Gefangenen in Hannover teil. Im "Autonomen Zentrum Substanz" in Osnabrück fand vom 06. bis zum 12.05.2024 eine Ausstellung zur Geschichte der Roten Hilfe statt. Da das Aktionsfeld "Antirepression" weiterhin einen hohen Stellenwert innerhalb des linksextremistischen Spektrums, insbesondere in der autonomen Szene, einnimmt, kann die RH seit mehreren Jahren hohe Mitgliederzahlen verbuchen. So sind gegenwärtig in Niedersachsen etwa 1.300 Personen in der RH organisiert, bundesweit waren es 2023 mehr als 13.500 Personen. 115 Die Aufgabe von Ermittlungsausschüssen besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. 192 Linksextremismus Zur Struktur des Vereins gehört auch das am 18.02.2005 in Umsetzung eines Beschlusses der RH-Hauptversammlung in Göttingen gegründete und dort ansässige "Hans-Litten-Archiv", benannt nach einem Rechtsanwalt, der zu Zeiten der Weimarer Republik für die "Rote Hilfe Deutschland"116 tätig war. Klimaschutz Der Klimaschutz ist ein Thema, das die Menschen bewegt. Um der globalen Erderwärmung und ihren Folgen entgegenzuwirken, hat sich in den letzten Jahren eine weltweit agierende Klimaschutzbewegung formiert. Ihr Ziel ist es, Druck auf die Regierungen auszuüben, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase drastisch zu verringern. Mit zahlreichen Demonstrationen und sonstigen Protestaktionen will vor allem die nicht extremistische "Fridays for Future"-Bewegung (FFF) dazu beitragen, dass die im Pariser Klimaschutzabkommen vom 12.12.2015 getroffenen Vereinbarungen erreicht werden und die globale Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt wird. Die von der Klimaschutzbewegung initiierten globalen Klimastreiktage haben deutlich gemacht, dass Linksextremisten auch in Niedersachsen versuchen, die Klimaschutzbewegung für ihre Interessen zu vereinnahmen. Dabei folgen sie ihrer Strategie, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, um mit diesen bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu sein. Vor allem postautonome Gruppierungen wie die "Interventionistische Linke" (IL) versuchen, strategische Bündnisse mit dem demokratischen Spektrum zu schließen, um dieses für ihre Interessen zu instrumentalisieren und mittelfristig zu radikalisieren. Dass für die IL Klimaschutz Mittel zum Zweck ist, macht sie in einem ihrer Positionspapiere deutlich. Dort heißt es: "Die Macht des fossil-industriell-militärischen Komplex und die Binnen-'Logik' des Kapitals sind nicht voneinander zu trennen. Ziel massenhaften Ungehorsams ist nicht 'nur' Bebzw. Verhinderung konkreter Zerstörungen, sondern selbstverständlich auch Vertiefung und In116 Die "Rote Hilfe Deutschland" existierte von 1924 bis zu ihrer Selbstauflösung 1936. 193 Linksextremismus tensivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die herrschenden Zustände insgesamt. Eine Klimabewegung wird bei aller Dringlichkeit ihres Anliegens nicht als EinPunkt-Bewegung erfolgreich sein können. Sie muss sich vielmehr in Beziehung setzen und verbinden mit weiteren Kämpfen u. a. für Solidarität mit Geflüchteten, Care-Revolution, Recht auf Stadt, gegen Austerität, das herrschende Arbeitsbzw. Prekaritätsregime, Militarismus sowie jegliche weiteren Herrschaftsformen." (Internetseite der IL, "Globale Solidarität statt systemischer Wahnsinn", 14.11.2023) Die IL ist bereits seit längerem ein steuernder Faktor in dem linksextremistisch beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" (EG). Unter dem Motto "System Change not Climate Change" wendet sich das Bündnis EG gegen die weitere Nutzung der Braunund Steinkohle und fordert eine "Abkehr vom fossilen Kapitalismus." Auf ihrer Internetseite beansprucht die IL die Gründungsinitiative des Bündnisses EG für sich, wenn sie schreibt: Logo "Ende Gelände" "Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen." (Internetseite der IL, 03.12.2024) EG hat sich in letzter Zeit organisatorisch und verstärkt auch inhaltlich dem Linksextremismus angenähert. Diese Entwicklung spiegelt sich vor allem in den Publikationen des Bündnisses wider. In ihrem 2022 erschienenen Buch "We shut shit down"117 legt EG unmissverständlich seine Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten dar. So heißt es dort etwa: "Verbunden mit unserer Forderung nach dem Ende der Kohlenutzung war immer auch die Forderung nach der Überwindung eines Systems, das weltweite Ungleichheit und Zerstörung hervorruft und Haupttreiber der Klimakrise ist: des Kapitalismus." (Ende Gelände, "We shut shit down", Hamburg 2022, S. 139) Dass es EG mit seinen Forderungen nicht nur um eine Veränderung der bestehenden Wirtschaftsordnung geht, die grundgesetzlich nicht festgelegt ist, sondern zugleich auch um eine Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, macht EG im weiteren Verlauf deutlich, wenn es betont: 117 Vgl. Ende Gelände, "We shut shit down", Hamburg 2022. 194 Linksextremismus "Für uns ist Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern eine Gesellschaftsordnung." (Ende Gelände, "We shut shit down", Hamburg 2022, S. 142) In der Praxis bedeutet diese Einstellung, dass sich EG nicht nur für den Klimaschutz engagiert, sondern sich im Gegensatz zu den weit überwiegenden Organisationen innerhalb der Klimaschutzbewegung auch ideologisch der autonomen Szene annähert. Auch in Niedersachsen ist diese Entwicklung wahrnehmbar. So engagierte sich EG beispielsweise im Kampf gegen staatliche Repression und Wohnraumumgestaltung (Gentrifizierung). Am 16.05.2024 stand dabei ein zum sozialen Brennpunkt gewordener Wohnkomplex in Göttingen im Fokus. Neben der zur IL gehörenden "Basisdemokratischen Linken" (BL) nahm auch EG an einer Protestveranstaltung gegen die Begutachtung dieses Wohnkomplexes durch die Stadt Göttingen teil. Im Anschluss daran drangen Teilnehmende der Protestveranstaltung in das Göttinger Rathaus ein. Dort beleidigten und bedrohten sie Mitarbeitende, verschafften sich Zutritt zu den Büros und öffneten darin befindliche Schränke. Erst durch das Einschreiten des hauseigenen Sicherheitsdienstes konnten weitere Aktionen verhindert werden. Weitere Aktionen in Niedersachsen Die Schnellwege in Hannover sollen im Laufe der kommenden Jahre einer großflächigen Modernisierung und Instandsetzung unterzogen werden. So soll der sanierungsbedürftige Südschnellweg von gegenwärtig 14,50 auf 25,60 Meter verbreitert werden. Zur Umsetzung dieses Vorhabens wurden zwischen dem 15. und 19.01.2024 weiträumig Bäume und Büsche des Naherholungsgebiets Leinemasch gerodet. Zahlreiche örtliche Klimaund Umweltschutzinitiativen haben sich deshalb im Herbst 2021 in der Initiative "Leinemasch BLEIBT" zum Schutz der Leinemasch gegen die geplante Verbreiterung des Südschnellwegs zusammengeschlossen und machen seitdem in Form von Protesten, Veranstaltungen und Versammlungen auf die damit verbundenen Probleme aufmerksam. 195 Linksextremismus Unter dem Motto "System change not climate change" versuchen auch Linksextremisten, allen voran die postautonome IL und das von ihr beeinflusste Klimabündnis EG, an die nicht extremistische Klimaschutzbewegung und ihre zahlreichen demokratischen Gruppierungen Anschluss zu finden, um diese für ihre systemüberwindenden Interessen zu instrumentalisieren und langfristig zu radikalisieren. Bereits Wochen vor Beginn der Rodungssaison hatten Klimaaktivisten ein Protestcamp namens "Tümpeltown" mit Baumhäusern in der Leinemasch errichtet. Darin harrten sie von September 2022 bis zur Räumung im Januar 2024 aus. Am 06.01.2024 versuchten sie mit einer Dauermahnwache und am 14.01.2024 mit einer Demonstration, an der 1.200 Menschen teilnahmen, die geplanten Rodungen zu verhindern. Als gegen Ende der Veranstaltung der Demonstrationszug zwei Baumhäuser passierte, scherten etwa 40 Vermummte aus und versuchten, die Polizeisperre am Schnellwegdamm zu überrennen. Mehrere Polizisten erlitten Verletzungen. Aus Sicherheitsgründen sperrte die Polizei die Schnellstraße kurzzeitig. Begleitet von etwa 50 Demonstrierenden begann die Polizei schließlich am 16.01.2024 mit der Räumung des Protestcamps. Ein Höheninterventionsteam der Polizei holte mit Hilfe von Hebebühnen die Baumbesetzerinnen und -besetzer aus ihren Baumhäusern. Dabei beschossen Gegner des umstrittenen Ausbaus des Südschnellwegs Polizeibeamte mit Pyrotechnik, in einem Fall begossen sie sie gar mit Urin. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wurde die Räumung vorerst unterbrochen. Zuvor hatten bereits einige Aktivistinnen und Aktivisten das Camp freiwillig verlassen. Innerhalb von drei Tagen gelang es der Polizei, die letzten Besetzerinnen und Besetzer aus den verbliebenen Baumhäusern zu holen und die Räumung von "Tümpeltown" abzuschließen. Mehrere Baumbesetzerinnen und -besetzer kamen wegen tätlichen Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Hausfriedensbruch in vorübergehenden Gewahrsam. Dass auch Linksextremisten unter den Besetzerinnen und Besetzern von "Tümpeltown" waren, verdeutlicht einer ihrer Posts auf einem ihrer Social Media-Accounts, in dem sie ihre Ablehnung des Staates und jeglicher Form von Herrschaft deutlich machen: 196 Linksextremismus "Wir kämpfen für eine von Kapitalismus, Patriarchat, Staat, Herrschaft, Rassismus und Diskriminierung befreite und solidarische Gesellschaft!" (Instagram-Account: Barrio Tümpeltown vom 21.01.2024) Bereits vor Beginn der Rodungen nahmen die Straftaten im Kontext Leinemasch zu. So hatten in der Nacht vom 02. auf den 03.01.2024 unbekannte Täter das Gebäude der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Hannover attackiert. Sie zerstörten die Glasfassade eines Eingangs und diverse Fensterscheiben. Darüber hinaus beschmierten sie die Hausfassade mit den Parolen "Gegen den automobilen Kapitalismus" und "Leinemasch bleibt!". In einem auf einem linksextremistischen Webportal eingestellten Selbstbezichtigungsschreiben kritisierten die unbekannten Verfasser den geplanten Ausbau des Südschnellwegs und wendeten sich zugleich gegen die "Logik des automobilen Kapitalismus". So heißt es in dem Bekennerschreiben u. a.: "Die einzige realistische Alternative ist ein System, das nicht auf Wachstum, sondern auf einer gerechten Verteilung der Ressourcen, die uns noch bleiben, aufbaut." (linksextremistisches Internetportal, 20.11.2024) Am 09.01.2024 bewarfen in den Abendstunden zwei vermummte Personen im Bereich der Leinemasch einen Funkstreifenwagen der Polizei mit mehreren Steinen. Die Täter zogen sich nach den Würfen in Richtung des Protestcamps "Tümpeltown" zurück. Zudem besetzten vier Aktivisten in der Schneise vor "Tümpeltown" einen Bagger. Der Räumung der Baumhäuser folgten Resonanzstraftaten. So setzten unbekannte Täter in den frühen Morgenstunden des 18.01.2024 einen Wagen der "Autobahn GmbH" auf dem Gelände der Verkehrsmanagementzentrale Niedersachsen in Hannover in Brand. Am angrenzenden Leitstellengebäude entstanden wegen der Hitze ebenfalls Schäden. In einem Selbstbezichtigungsschreiben, welches auf einem linksextremistischen Portal eingestellt worden war, heißt es hierzu: 197 Linksextremismus "Mit unserer Tat senden wir ein Zeichen der Kompliz*innenschaft mit dem Kampf um Tümpel Town und weiten die Kampffläche aus". (linksextremistisches Internetportal, 20.11.2024) Sie verdeutlichten ihre Ablehnung der bestehenden Ordnung und kündigten indirekt weitere Anschläge an: "Doch wir werden nicht passiv ausharren und uns in die Hände der Schergen und des repressiven, mörderischen, rassistischen Systems begeben. ... Wir finden unsere Antwort auf die Zerstörung im direkten anonymen Angriff gegen die bestehenden Verhältnisse und werden uns nicht kontrollierbar machen lassen." (linksextremistisches Internetportal, 20.11.2024) "Antigentrifizierung" Wohnraummangel, hohe Mieten, städtebauliche Umstruk turierungen, die Veränderungen von wohnräumlich und sozial gewachsenen Strukturen und damit einhergehende gesellschaftspolitische Spannungen sind Themen, die Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft bewegen. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der sich gegen die Umgestaltung von Stadtteilen aus Sorge vor damit einhergehenden Mietpreiserhöhungen, zunehmendem Mangel an bezahlbarem Wohnraum und dem drohenden Verlust des originären Stadtteilcharakters richtet, dient diese Auseinandersetzung Linksextremistinnen und Linksextremisten auch als Plattform für ihren Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Sie nutzen diese Gentrifizierungsdebatten, um eigene Interessen in die gesellschaftlichen Diskussionen um hohe Mieten und knappen Wohnraum einfließen zu lassen und um Militanz in die Proteste gegen diese Entwicklung hineinzutragen. Darüber hinaus geht es ihnen immer auch um die Schaffung und Bewahrung sogenannter Freiräume, wie sie "Autonome Zentren" darstellen. Sie dienen der autonomen Szene als Rückzugsräume zur Planung politischer Agitation und (gewalttätiger) Aktionen. Als Teil der Auseinandersetzung um diese sogenannten Freiräume haben die "Kämpfe gegen Gentrifizierung" in den autonomen Spektren der großen Ballungsräume, wie z. B. in Berlin und Hamburg oder in Leipzig und Bremen große Bedeutung. Es werden 198 Linksextremismus immer wieder teils schwerwiegende Sachbeschädigungen und Brandanschläge, vorwiegend gegen Immobilienfirmen und Infrastruktureinrichtungen verübt. Vor allem Wohnungsunternehmen wie "Vonovia" wird vorgeworfen, Mieterinnen und Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen, um diese dann aufwändig zu sanieren und teuer neu zu vermieten. Auch die niedersächsische linksextremistische Szene griff dieses Thema auf. So besetzten mehrere vermummte Personen am Pfingstsamstag, den 18.05.2024 am Rande der Demonstration zum "Christopher Street Day" (CSD) ein leerstehendes Gebäude in Hannover. Sie zündeten Pyrotechnik, warfen ungezielt Wasserflaschen aus den Fenstern und brachten Transparente mit Aufschriften wie "Unsere Träume brauchen Räume" oder "The first pride was a riot"118 an den Fenstern an. Nach Ende der CSD-Kundgebung zogen Teilnehmende an dem besetzten Haus vorbei und solidarisierten sich lautstark mit den Besetzenden. In der Spitze versammelten sich etwa 70 Personen vor dem besetzten Gebäude und versuchten, in dieses einzudringen. Unter Schlägen und Tritten der Demonstrierenden gelang es der Polizei, dieses erfolgreich zu verhindern. Nachdem die Besetzenden der Forderung, das Gebäude zu verlassen, nicht nachkamen, räumte es die Polizei schließlich. In der Nacht vom 06. auf den 07.09.2024 besetzten unbekannte Personen das einstige "Autonome Zentrum Substanz" (AZ Substanz) in Osnabrück. Bevor die Polizei eintraf, hatten die Besetzenden bereits die Türschlösser ausgewechselt, diverse Banner an der Außenfassade angebracht und Bengalos gezündet. Sie wollten damit gegen die Schließung des AZ Substanz protestieren. Dessen Mietvertrag war wenige Tage zuvor nach 15 Jahren ausgelaufen. Am 08.09.2024 räumten die Eindringlinge das Gebäude freiwillig Mehrere Personen drangen am 21.09.2024 durch eine eingeschlagene Fensterscheibe in ein leerstehendes Gebäude in Hannover ein und besetzten es. Die Eindringlinge hängten auch hier Transparente auf und entzündeten Bengalos. Zur gleichen Zeit versammelten sich etwa 60 Personen vor dem Gebäude 118 Die Parole steht für die Geburtsstunde der LGBTIQ+-Bewegung. In der Nacht zum 28.06.1969 stürmte die New Yorker Polizei den Gay-Klub "The Stonewall Inn" in der Christopher Street. Daraufhin organisierte sich die Community und protestierte gegen die Polizeigewalt. 199 Linksextremismus und protestierten lautstark. Nachdem der Hauseigentümer eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet hatte, forderte die Polizei die Hausbesetzenden auf, das Gebäude zu verlassen. Als niemand der Aufforderung nachkam, begannen die eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten mit der Räumung des Gebäudes. Mehrere Personen wurden vorläufig festgenommen und erhielten Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Kampf gegen den Militarismus Antimilitaristinnen und Antimilitaristen unterstellen der Bundesrepublik, von ihrer Staatsordnung, Gesellschaftsstruktur und Denkweise her militaristisch zu sein. Ihre Proteste richten sich vor allem gegen die Bundeswehr, das westliche Verteidigungsbündnis NATO und die mit ihr zusammenarbeitenden Unternehmen. Auch Linksextremisten sind in dem Themenfeld "Antimilitarismus" aktiv. Im Gegensatz zu den nicht extremistischen Antimilitaristinnen und -militaristen zielen sie mit ihren Protesten und Aktionen über den eigentlichen Anlass hinaus auf die Überwindung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Neben der im Wesentlichen von Angehörigen des nicht extremistischen Spektrums getragenen Anti-Kriegsbzw. Friedensbewegung reklamieren auch der parteipolitisch organisierte Linksextremismus und Autonome - unter ausdrücklicher Einbeziehung von für sie typischen militanten Aktionen - das Thema "Antimilitarismus" für sich. Im Sinne der Militarismustheorie des Mitbegründers der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD), Karl Liebknecht, wonach das Militär im Kapitalismus dazu dient, "kapitalistische Expansionsbestrebungen" gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren, sehen Linksextremisten in der Bundeswehr und in der NATO kriegführende Organe zur nationalen und internationalen Durchsetzung "kapitalistischer" und "imperialistischer" Interessen. Aus diesem Grund ist die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Ziele für die autonome Szene weiterhin von zentraler Bedeutung. Das Aktionsfeld "Antimilitarismus" hat seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 in der linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Vor 200 Linksextremismus allem Rüstungsunternehmen wie die auch im niedersächsischen Unterlüß (Landkreis Celle) ansässige "Rheinmetall Waffe Munition GmbH" rücken seitdem verstärkt in den Fokus auch gewalttätiger Linksextremisten. Unbekannte Täter verübten in der Nacht vom 28. auf den 29.04.2024 offenbar im Rahmen der Mitmachkampagne "Switch off" einen Brandanschlag auf das Gartenhaus des Vorstandsvorsitzenden der "Rheinmetall Waffe Munition GmbH" im niedersächsischen Hermannsburg (Landkreis Celle). Die Feuerwehr konnte ein Übergreifen der Flammen auf benachbarte Gebäude und das Innere des Gartenhauses verhindern. Auf der Webseite von "Switch off" auf einer linksextremistischen und auf einer weiteren, auch von Linksextremisten genutzten Plattform, erschien noch am 29.04.2024 ein anonymes Selbstbezichtigungsschreiben. Darin versuchten die Verfasser den Antimilitarismus mit dem Klimaschutz in einen Begründungszusammenhang für den Anschlag zu stellen: "Der Kampf gegen Klimazerstörung ist auch der Kampf gegen Krieg, Militär und Rüstungsindustrie!" Sie drohten dem Vorstandsvorsitzenden der "Rheinmetall Waffe Munition GmbH", dass er "nicht nur Freund*innen hat und sein Rückzugsort nicht sicher ist." Am 02.05.2024 kommentier ten unbekannte Ver fasser die Taterklärung vom 29.04.2024 auf einem linksextremistischen Portal. U. a. beschwerten sie sich über das "dröhnende Schweigen der Medien" und somit darüber, dass der Brandanschlag in den Medien keinen Widerhall gefunden hat. Der Modus Operandi des Anschlags, die Zielauswahl und die im Selbstbezichtigungsschreiben aufgeführten Begründungszusammenhänge "Antimilitarismus" und "Klimaschutz" sind typisch für die gewaltbereite linksextremistische Szene. Generell wird innerhalb der autonomen Szene Niedersachsens die Intervention Russlands in die Ukraine stark kritisiert, wobei diese Kritik nicht als Wohlgefallen für die NATO verstanden werden sollte. Die autonome Szene solidarisiert sich mit der Bevölkerung der Ukraine. Nicht nur Russland, sondern auch den USA und damit verbunden der 201 Linksextremismus NATO wird von der autonomen Szene eine Mitschuld an der Eskalation in diesem Krieg attestiert. Neben überregionalen Reaktionen der postautonomen Gruppierung IL sowie der linksextremistisch beeinflussten Bündnisse EG und "Rheinmetall Entwaffnen" sind in Niedersachsen auch aus den autonomen Szenen Göttingen, Hannover und Lüneburg entsprechende Äußerungen bekannt. Im linksextremistisch-dogmatischen Spektrum wird insbesondere die Rolle der USA und damit verbunden der NATO stark kritisiert. Die Interaktion dieser Akteure mit der Ukraine und eine damit einhergehende drohende Verschiebung der NATO-Außengrenze seien ihrer Meinung nach ursächlich für den Krieg und stellten eine Provokation Logo des Bündnisses "Rheinmetall entRusslands dar. Dennoch wird auch die Intervention Russwaffnen" lands und seine Wandlung zu einem kapitalistischen Staat kritisiert. Im linksextremistisch-dogmatischen Spektrum wird der Konflikt insbesondere von der MLPD sowie der ihr nahestehenden Jugendorganisation "Rebell" und der DKP thematisiert. Zum 69. Gründungsgeburtstag der Bundeswehr fand am 12.11.2024 ein feierliches Gelöbnis von etwa 230 Rekrutinnen und Rekruten mit einer Festrede des Bundesverteidigungsministers vor dem Rathaus in Hannover statt. Gegen diese Veranstaltung protestierten etwa 50 Personen, darunter auch Linksextremisten, u. a. mit Trillerpfeifen und dem Abspielen lauter Musik. Als mehrere Störer durch Feldjäger aus dem öffentlichen Zuschauerraum geführt wurden, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Einem Feldjäger wurde ins Bein gebissen, ein anderer erhielt einen Schlag gegen das Knie. Bereits in der Nacht vor dem Gelöbnis gab es Farbschmierereien an verschiedenen Objekten mit Parolen wie "Menschen töten für den Frieden? ", "Soldaten sind Mörder" und "VERPISSTORIUS Dich". Trotz des weiter andauernden Krieges in der Ukraine fanden auch 2024 kaum nennenswerte Aktionen im Themenfeld "Antimilitarismus" statt. Kampf gegen Rassismus Linksextremisten überspitzen ihre Kritik an der bestehenden Asylund Flüchtlingspolitik und am Handeln von Ausländerbehörden, Polizei 202 Linksextremismus und Gerichten zum Vorwurf eines "systemimmanenten" Rassismus. Staatliche Repräsentanten und Akteure werden damit auf eine Stufe mit Rechtsextremisten gestellt und damit Forderungen nach der Abschaffung des politischen Systems legitimiert. Vor diesem Hintergrund wenden sich Teile des niedersächsischen linksextremistischen Spektrums gegen die deutsche Asylund Abschiebepraxis und solidarisieren sich mit den von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen. Das Aktionsfeld "Antirassismus" hatte im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug in den zurückliegenden Jahren auch innerhalb der autonomen Szene an Bedeutung gewonnen. Waren die Flüchtlingszahlen nach ihrem starken Anstieg 2015 in den Folgejahren zunächst wieder rückläufig, so stiegen sie 2022 insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wieder deutlich an. Dennoch spielte das Thema auch 2024 eher eine untergeordnete Rolle für die autonome Szene in Niedersachsen. Am 30.03.2024 wurde in Nienburg (Weser) eine Person mit Migrationshintergrund, die Polizeibeamte mit einem Messer bedroht hatte, in Folge eines polizeilichen Schusswaffeneinsatzes tödlich verletzt. Der Vorfall zog kontroverse Debatten nach sich, insbesondere die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen wurde hinterfragt. Gegen diesen Polizeieinsatz demonstrierten am 13.04.2024 etwa 300 Personen. Sie skandierten Sprechchöre gegen die Polizei und warfen die Frontscheibe eines Funkstreifenwagens ein. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Vor dem Hintergrund des offensiven Auftretens rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen wird der "Antifaschismus" auch 2025 im Mittelpunkt der Aktivitäten der autonomen Szene in Niedersachsen stehen. Der Kampf gegen Rechtsextremisten bzw. gegen Personen, die Linksextremisten als solche ansehen sowie auch gegen die sogenannten Delegitimierer und Querdenker gehört zu den zentralen Anliegen auch der niedersächsischen linksextremistischen Szene. Die konstanten Wahlerfolge der AfD und ihre kontinuierliche Präsenz in der parteipolitischen Landschaft der Bundesrepublik dürfte die linksextremistische Szene darin bestärken, langfristig entschlossen gegen den aus ihrer Perspektive "faschistoiden" demokratischen Rechtsstaat vorzugehen. Generell muss über das 203 Linksextremismus gesamte Jahr 2025 mit Übergriffen auf Informationsstände der AfD ebenso gerechnet werden wie mit Versuchen, Veranstaltungen dieser Partei zu stören bzw. zu verhindern. Körperliche Übergriffe auf einzelne AfD-Funktionsträger und -innen können dabei ebenso wenig ausgeschlossen werden wie gezielte Anschläge auf deren Eigentum. Nehmen die Folgen des Klimawandels weiter zu, wird das Thema Klimaschutz auch künftig von großer Bedeutung für die linksextremistische Szene bleiben. Sie wird weiterhin versuchen, Einfluss auf einzelne Organisationen der Klimaschutzbewegung zu nehmen, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren und langfristig zu radikalisieren. Es muss daher nach wie vor mit Störaktionen gegen Energieunternehmen, aber auch mit Besetzungen von für den Abbau fossiler Brennstoffe bestimmter Gebiete bundesweit als auch in Niedersachsen gerechnet werden. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt, vor allem die steigenden Mieten und die Stadtteilumgestaltungen lassen den Schluss zu, dass das Thema "Antigentrifizierung" auch in Zukunft verstärkten Anklang in der autonomen Szene finden wird. Auch in Niedersachsen muss deshalb mit weiteren Aktionen gerechnet werden. Vor dem Hintergrund des andauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der damit einhergehenden umfangreichen Aufrüstung der Bundeswehr werden Rüstungsunternehmen, deren Zulieferer und auch Einrichtungen der Bundeswehr und der NATO im Fokus von Linksextremisten bleiben. Von der Teilnahme von Linksextremisten an den Protesten gegen die NATO und die Bundeswehr im Allgemeinen und ihr öffentliches Auftreten im Besonderen muss ebenso ausgegangen werden wie von Protesten gegen westliche Waffenlieferungen, z. B. an die Ukraine oder die Türkei und gegen die daran beteiligten Rüstungskonzerne. Linksextremistisch motivierte Straftaten gegen Einrichtungen der NATO und der Bundeswehr sowie gegen Unternehmen und Zulieferbetriebe der Rüstungsindustrie können künftig ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Auch das Jahr 2024 hat gezeigt, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen in Teilen der 204 Linksextremismus linksextremistischen Szene weiterhin niedrig ist. Linksextremisten scheinen vermehrt auch in Form klandestiner Kleingruppen zu agieren wie die Gewalt gegen Repräsentanten des Staates und gegen Rechtsextremisten bzw. gegen Personen, die Linksextremisten als solche ansehen, gezeigt haben. Künftig muss daher auch mit weiteren Übergriffen, insbesondere in Kleingruppentaktik, auf Polizisten sowie auf Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten als solche sehen, gerechnet werden. Für die weitere Entwicklung des Linksextremismus in Niedersachsen und der Bundesrepublik dürfte auch die Situation innerhalb der postautonomen Szene relevant sein. Sollte sich vor allem die Kritik an der IL und die damit einhergehenden Auflösungserscheinungen von IL-Ortsgruppen fortsetzen, könnte das postautonome Projekt zunehmend an seine Grenzen stoßen oder womöglich scheitern. Welche Auswirkungen eine solche Entwicklung auf die Organisierung und Durchführung vor allem von Protestaktionen der autonomen Szene im Allgemeinen und auf die postautonomen Bündnisse im Besonderen hat, bleibt abzuwarten. 4.5 Anarchisten Sitz/Verbreitung Mit Ausnahme der "Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) existieren in Niedersachsen keine gefestigten anarchistischen Strukturen. Die FAU unterhält in Göttingen, Hannover und Lüneburg einzelne Ortsgruppen. Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 60 Sympathisanten Publikationen "Gai Dao" (Publikation der "Föderation deutschsprachiger Anarchisten"; monatlich), "Direkte Aktion" (Onlinepublikation der FAU; unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, bei der FAU auch Mitgliedsbeiträge 205 Linksextremismus Kurzportrait/Ziele Neben dem Kommunismus ist der Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Strömungen setzen sich dafür ein, die bestehende Ordnung zu überwinden. "Anarchisten" streben die unmittelbare Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung an, in der der Mensch von allen politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Zwängen befreit leben kann. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund negieren "Anarchisten" sämtliche Hierarchieund Herrschaftsformen. Zudem sprechen sie nicht nur dem Staat und seinen Institutionen, sondern ebenso der (sozialen) Marktwirtschaft jegliche Existenzberechtigung ab. Als kleinste Einheit des anarchistischen Zusammenlebens gilt die sogenannte Kommune, im ökonomischen Bereich wird die Gründung föderal strukturierter Genossenschaften und Syndikate angestrebt. Der Anarchismus ist aber keineswegs als geschlossener Theorieblock zu verstehen. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Strömungen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Konzepten. Unter den niedersächsischen "Anarchisten" ist der eher praxisorientierte Anarchosyndikalismus am stärksten vertreten.119 Er entstand im 19. Jahrhundert und fußt auf der Idee revolutionärer Basisgewerkschaften. So orientiert sich z. B. die FAU an anarchosyndikalistischen Konzepten. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller anarchistischen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). 119 Unter "Anarchosyndikalismus" versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Der "Anarchosyndikalismus" knüpft an die kollektiven, kommunistischen und solidarischen Varianten des Anarchismus an und überträgt diese auf die gewerkschaftliche Arbeit. Er will die Lohnabhängigen nach den Prinzipien von Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Solidarität organisieren. 206 Linksextremismus Ereignisse und Entwicklungen Zu einer der größten anarchosyndikalistischen Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Sie ist eine bundesweite Föderation aus unabhängigen lokalen Einzelund Branchengewerkschaften, sogenannten Syndikaten, und versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft. Das "Allgemeine Syndikat der FAU Hannover" (AS Hannover) und das "Allgemeine Syndikat der FAU Göttingen" sind die einzigen gefestigten anarchistischen Strukturen in Niedersachsen. Sie sind Teil der Gewerkschaftsföderation der FAU. In den Grundsätzen des AS Hannover heißt es unter der Überschrift "Die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen": "Eine Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft muss an deren Basis ansetzen und setzt Alternativen zu zentralistischen Staatsstrukturen voraus." (Internetseite des AS Hannover, 26.04.2024) Was das AS Hannover damit meint, verdeutlicht es in ihrem Selbstverständnis: "In diesem Sinne verfolgt das Allgemeine Syndikat der FAU Hannover eine sozialrevolutionäre Strategie. Wir zielen also auf eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse 'von unten' ab." (Internetseite des AS Hannover, 24.04.2024) Die "Grundprinzipien des Syndikalismus" konkretisiert die FAU u. a. in einem Grundlagentext, der ebenfalls auf der Internetseite der Organisation aufrufbar ist. In den beiden Kapiteln "Grundsätze und Ziele" sowie "Kritik der bestehenden Verhältnisse" hält die FAU für ihre Arbeit fest: "Wir streben die Überwindung des Kapitalismus an. ... Wir beziehen uns [dabei] auf die Ideen des Anarchosyndikalismus. ... Kapitalismus ist kein Naturgesetz, sondern lediglich ein von Menschen geschaffenes Verhältnis, das durch kollektives Handeln der Arbeitenden aufgehoben werden kann." (Internetseite der FAU, 24.04.2024) 207 Linksextremismus Ihr erklärtes Ziel ist es, " ... eine Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die auf kollektiver Selbstverwaltung basiert ..." (Internetseite der FAU, 24.04.2024) zu errichten. In der Praxis bedeutet dieses, dass die FAU "... eine libertäre, klassenlose Gesellschaft an[strebt], in der alle Menschen gemäß ihren Bedürfnissen leben und ihre Fähigkeiten frei entfalten können." (Internetseite der FAU, 23.11.2024) Der von der FAU angestrebte Systemwechsel soll dabei von basisdemokratisch strukturierten Lokalund Betriebsgruppen organisiert werden, die unter Rückgriff auf direkte und zum Teil auch militante Aktionsformen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen, vor Ort agieren sollen. Im Rahmen ihrer Gewerkschaftsarbeit setzt sich die FAU für bessere Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. Sie unterstützt sie in prekären Situationen und stellt juristische Hilfe bereit. Mit ihrem Engagement für Gewerkschaftsbelange und ihren Solidarisierungsbekundungen mit streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern versucht die FAU aber immer auch anschlussfähig an demokratische Organisationen zu sein. Zugleich möchte sie auf diesem Wege neue Mitglieder für ihre darüber hinausgehenden systemablehnenden Ziele gewinnen. Neben Ortsgruppen in Göttingen und Hannover gibt es seit 2023 auch eine FAU-Ortsgruppe in Lüneburg. Vom 09. bis zum 12.08.2024 führte die FAU mit etwa 100 Delegierten und Referenten ihre Sommerschule in Hannover mit Workshops und Diskussionen durch. Auch der FAU-Bundeskongress fand vom 17. bis zum 20.05.2024 in Hannover mit Delegierten und Mandatierten aus dem Bundesgebiet sowie internationalen Gästen statt. 208 Linksextremismus Seit 2017 ist die FAU auch international wieder stärker vernetzt. Nachdem sie nach langjähriger Mitgliedschaft im Dezember 2016 aus der "Internationalen ArbeiterInnen Assoziation" (IAA) ausgeschlossen wurde, beteiligte sich die Gewerkschaft an mehreren Konferenzen zur Gründung eines neuen internationalen Zusammenschlusses anarchosyndikalistischer Organisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Vergleich zu den autonomen bzw. postautonomen Gruppierungen sind anarchistische Organisationen generell von nachrangiger Bedeutung. Allein aufgrund ihrer theoretischen Zersplitterung dürfte sich daran auch künftig kaum etwas ändern. Der Anarchosyndikalismus wird im Jahr 2025 voraussichtlich der am stärksten wahrnehmbare Teil des anarchistischen Spektrums in Deutschland und Niedersachsen bleiben. 209 05 Islamismus Islamismus 5.1 Mitglieder-Potenzial Islamismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland120 2023 Salafistische Bestrebungen 10.500 Muslimbruderschaft (MB) 1.450 HAMAS 450 Tablighi Jama'at (TJ) 550 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 700 Hizb Allah 1.250 Weitere islamistisch-extremistische Gruppen 12.300 Summe 27.200 Islamismus-Potenzial Niedersachsen 2023 2024 Salafistische Bestrebungen 700 650 Muslimbruderschaft (MB)121 195 170 Tablighi Jama'at (TJ) 50 40 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 80 70 Hizb Allah 250 250 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer 105 100 Extremismus Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen 30 15 Summe 1.410 1.295 120 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland für das Berichtsjahr lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 121 Das Mitgliederpotenzial der "Muslimbruderschaft" umfasst auch deren regionale Ableger HAMAS und En-Nahda. 212 Islamismus 5.2 Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeuten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, ist diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundgesetz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen im Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Handlungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Entstehung des Islamismus Mit der europäischen Kolonialisierung ab dem 19. Jahrhundert kam zunehmend eine innerislamische Debatte auf, die sich mit den Ursachen der Abhängigkeit vom Westen und der damit verbundenen empfundenen Schwäche der Muslime beschäftigte. Zahlreiche islamische Gelehrte sahen den Grund darin, dass sich die Muslime vom wahren Islam abgekehrt hätten. Während einige islamische Reformer eine Modernisierung muslimischer Gesellschaften nach dem Vorbild westlicher Staaten forderten, nahm die islamistische Gegenbewegung eine antikoloniale und antiwestliche Haltung ein. Sie war davon überzeugt, dass nur eine Rückbesinnung auf den "reinen ursprünglichen Islam" die Muslime zur Unabhängigkeit und zu alter Macht führen könne. Der Islamismus entstand zwar als Reaktion auf die Konfrontation mit dem Westen und der Moderne, entwickelte sich jedoch insbesondere ab Mitte des 20. Jahrhunderts als Protestbewegung gegen die eigenen als tyrannisch wahrgenommenen Regierungen, die nach dem Ende der Kolonialzeit von den säkularen Eliten gestellt wurden. Sie wurden für die kulturelle Entfremdung, sozioökonomischen Probleme und die politische Ohnmacht der islamischen Welt verantwortlich gemacht. Es entstanden unterschiedliche islamistische Organisationen und Bewegungen, die allesamt Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung, 213 Islamismus die Scharia, organisiert sind. Der Interpretationsspielraum dafür, was die Scharia genau umfasst, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia nicht allein als eine Rechtsund Werteordnung, sondern als ein von Gott verordnetes Ordnungsprinzip, das alle Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns reglementiert. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oft, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads122, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze verletzt. Islamisten lehnen die Trennung von Staat und Religion und die Volkssouveränität als unislamisch ab. Ihrer Ansicht nach müsse alle Macht entsprechend der Scharia von Gott allein ausgehen. Dies versuchen sie mit der frühislamischen Herrschaftsform zu begründen, deren weltliches und religiöses Oberhaupt der Kalif darstellte, der auf Basis der Scharia herrschte. Darüber hinaus verletzt die islamistische Ideologie die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, die religiöse und sexuelle Selbstbestimmung sowie die Gleichstellung der Geschlechter. Frauen werden z. B. von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf das Erbund Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird u. a. dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die Aussagen von zwei Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der sogenannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie Diebstahl oder "Unzucht" Körperstrafen vorsehen, 122 Die wörtliche Übersetzung des arabischen Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: Die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") sowie den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 214 Islamismus die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Islamistische Ideologien, die den Islam nicht allein als Religion, sondern als eine Herrschaftsideologie betrachten, verletzen wesentliche Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und sind mit der Demokratie unvereinbar. Islamistische Strömungen Obwohl alle islamistischen Organisationen die oben genannte Ideologie vertreten, unterscheiden sie sich wesentlich in den Mitteln, die sie anwenden, um ihre islamistischen Ziele zu erreichen. Demnach können sie entsprechend ihrer Gewaltbereitschaft in zwei Strömungen unterteilt werden, wobei ihre Übergänge fließend sind: f Gruppierungen, die auf Gewalt zurückgreifen: Diese Gruppierungen (auch: Jihadisten oder gewaltorientierte Islamisten) sind der Überzeugung, dass sich ihre Ziele nur mit Gewalt erreichen lassen. Sie erachten den sogenannten Jihad als individuelle Pflicht eines jeden Muslims und fordern von allen "wahren Gläubigen" den Kampf gegen die vermeintlichen Feinde des Islams. Selbstmordattentäter oder im Kampf getötete Jihadisten werden als Märtyrer glorifiziert und als Helden betrachtet, denen das Paradies versprochen ist. Einerseits zählen zu dieser Gruppe internationale terroristische Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen, wie "al-Qaida" oder der sogenannte Islamische Staat (IS).123 Andererseits sind es regionale terroristische Organisationen, die einen starken Bezug zu ihren Herkunftsländern aufweisen und i. d. R. gegen dortige Regierungen und politische Systeme agieren. Zur Umsetzung ihrer politischen Ziele betrachten sie Gewalt als ein legitimes Mittel unter vielen, die sie jedoch nur begrenzt in akuten Konflikten einsetzen. Oft agieren gewaltorientierte islamistische Organisationen in den Herkunftsländern auch als Parteien und sind entsprechend stark in die Politik eingebunden. Darüber hinaus genießen sie aufgrund ihrer karitativen Projekte großen Zuspruch 123 Siehe Kapitel 5.5. 215 Islamismus in der Gesellschaft. Die HAMAS124, die "Hizb Allah"125 und die "Taliban"126 sind Beispiele dafür. f Gruppierungen, die nicht primär auf Gewalt zurückgreifen: Sogenannte Legalisten lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Entsprechend ihres ideologischen Auftrags versuchen sie vielmehr, die Gesellschaft durch Einflussnahme mithilfe legaler Methoden umzugestalten und letztlich einen Umsturz der herrschenden Staatsform herbeizuführen. Legalisten kapseln sich nicht von der Mehrheitsgesellschaft ab, sondern versuchen, aus ihr heraus in sie hineinzuwirken. Es wird versucht, zunächst Freiräume für die Verbreitung der eigenen Ideologie zu schaffen. Dabei greifen sie Themen auf, die insbesondere für hier lebende Muslime relevant sind und oft eine (vermeintliche) Islamfeindlichkeit aufzeigen, wonach Muslime Opfer von Diskriminierung sind. Vor diesem Hintergrund stilisieren sich legalistische Islamisten als Retter der Muslime und erreichen durch diese Strategie auch Muslime jenseits des extremistischen Spektrums. Gruppierungen aus dem Bereich des legalistischen Islamismus können in ihrer ideologischen Ausrichtung, ihrem kulturellen Hintergrund und ihren Aktivitäten sehr unterschiedlich sein. Sie reichen von der "Muslimbruderschaft"127 bis hin zu Akteuren aus dem Bereich des politischen Salafismus. Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen und Strömungen verschwimmen teilweise zunehmend. Dies ist insbesondere unter Salafisten zu beobachten, die Bereiche besetzen, die vermeintlich keinen Bezug zum Salafismus haben. Beispiele dafür sind Hilfsorganisationen, Reisebüros, OnlineIslamkurse oder die Gründung eigener Unternehmen, wie im Bereich der halal128 -konformen Produkte. Gerade im Internet erreichen Salafisten eine enorme Reichweite, indem sie öffentliche Debatten wie Diskussionen über das Kopftuch oder die Diskriminierung von 124 Siehe Kapitel 5.5. 125 Siehe Kapitel 5.8. 126 Siehe Kapitel 5.4 127 Siehe Kapitel 5.5. 128 Der arabische Begriff "halal" bedeutet übersetzt "nach islamischem Glauben erlaubt". 216 Islamismus Muslimen aufgreifen und für sich zu nutzen versuchen. Aber auch andere Islamisten sind vor allem in den sozialen Medien sehr gut aufgestellt und verfügen über eine hohe Zahl an Followern. Als Beispiele sind die islamistischen Kanäle "Generation Islam" oder "Realität Islam" zu nennen, die jeweils mehrere zehntausend Abonnenten auf Social-Media-Plattformen wie TikTok, Instagram, Facebook oder YouTube zählen und bereits großen Einfluss auf gesellschaftliche Themen, die den Islam und Muslime betreffen, ausüben. Diese Entwicklung kann zu weiteren Verschachtelungen und Vernetzungen zwischen unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen führen, die allesamt das einigende Ziel einer islamistischen Durchdringung der Gesellschaft anvisieren. Internetnutzung durch Islamisten Personen des islamistischen Spektrums bewegen sich im Internet grundsätzlich genauso wie der Rest der Gesellschaft. Dies betrifft Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok, jedoch auch Messenger-Dienste wie Signal, Telegram und WhatsApp. Discord, Reddit, Steam und Twitch werden insbesondere von interessenbezogenen Communities (z. B. Gaming, Sport, Technik) gerne genutzt. Während bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereits seit längerer Zeit Instagram und TikTok die beliebtesten Online-Plattformen sind, bleibt Facebook bei den über Dreißigjährigen das meistgenutzte soziale Netzwerk. Snapchat richtet sich ebenfalls überwiegend an Jugendliche und junge Erwachsene. Gewaltbezogene Inhalte und jihadistische Propaganda sind am persistentesten auf Telegram (und in zunehmendem Maße auf TikTok) zu finden, das in diesem Spektrum die zentrale Austauschplattform ist. Neben einem geschlossenen Ökosystem mit einer Vielzahl an Gruppen und Kanälen jihadistisch-salafistischer Prägung wird niedrigschwellig der Kontakt zu ausländischen Jihadisten ermöglicht und sich in Kleingruppen radikalisiert. Klassische Internetseiten und Foren verlieren hingegen an Bedeutung und sind nur noch in Ausnahmefällen von Relevanz. Insgesamt nehmen islamistische Aktivitäten im Internet quantitativ zu, was vor allem auf die fortschreitende Digitalisierung und die Verjüngung der Szene zurückzuführen ist. Kommunikation und Diskurs auf Social-Media-Plattformen sind zudem stark geprägt von 217 Islamismus einer visuellen Darstellung der Inhalte, was sich auch im Auftreten und der Reichweite islamistischer Akteure widerspiegelt. Auf TikTok führt das leicht konsumierbare Format der Kurzvideos zu einer großen Popularität der Plattform, die auch bei Islamisten ankommt. Ebenfalls eine verbreitete Praxis ist zudem das Aufbauen plattformübergreifender Online-Präsenzen, um verschiedene Zielgruppen auf unterschiedlichen sozialen Netzwerken ansprechen zu können. Bei der Frage, welche phänomenbezogenen Themen für Personen des islamistischen Spektrums auf Social Media relevant sind, lassen sich im Wesentlichen drei narrative Ebenen skizzieren: f Religiöse Indoktrination Hier werden Anweisungen zur Glaubensausübung und Auslegung der religiösen Primärquellen (Koran und Sunna) erteilt, um ein islamkonformes Leben zu führen. Der Islam wird als eine dem westlichen bzw. demokratischen Wertekonsens übergeordnete Werteordnung dargestellt, nach der sich Gläubige in erster Linie zu richten hätten. Es werden Themen aufgegriffen wie die Verhüllung der Frau, der Vorrang von religiösen Pflichten, individuelles Verhalten in Alltagssituationen und Fragen zu erlaubten und verbotenen Handlungen. Feindbilder im religiösen Sinne werden als "Ungläubige" (arab. Kuffar) bzw. Polytheisten (arab. Muschrikun) bezeichnet. In fortgeschritten radikalisierten Kreisen tritt die Konstruktion des inneren Feindes in Form von Muslimen, welche dem Glauben nur äußerlich nachgehen und somit "Heuchler" (arab. Munafiqun) seien, vermehrt auf. Auf Telegram und Discord existiert eine Vielzahl an Kanälen, die z. B. religiösen Unterricht oder Arabisch-Sprachkurse in Verbindung mit islamistischer Ideologie zielgruppengerecht aufbereitet anbieten. f Identitäre Narrative Diese Narrative betreffen das Leben muslimischer Menschen als soziale Gruppe in Deutschland bzw. die Welt aus der Sicht von Islamisten. In diesen stark verzerrten Diskursen werden Themen wie antimuslimischer Rassismus und die Wahrnehmung des Islams in Deutschland dazu genutzt, um Muslime in Deutschland zu radikalisieren und letztlich einen Bruch mit der Gesellschaft herbeizuführen. Eine systematische Unterdrückung von Muslimen, die in Teilen mit der Situation jüdischer Menschen im 218 Islamismus Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, ist häufig ideologischer Kern der Äußerungen. Insbesondere seit dem Überfall der HAMAS auf Israel am 07.10.2023 werden vermehrt antisemitische bzw. antizionistische Aussagen getroffen, wie z. B. der Vorwurf des Genozids an Muslimen. Ebenfalls regelmäßig thematisiert werden gerichtliche Prozesse in Deutschland gegen mutmaßliche islamistische Straftäter und die Situation von hierzulande oder in Syrien gefangenen Personen, die glorifiziert werden. Staatsformen aus der Geschichte der islamischen Welt, wie z. B. das Kalifat oder das Emirat, werden als idealisierte Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschrieben, und es wird ihnen eine höhere (religiöse) Legitimität beigemessen als demokratischen Staaten. f Extremistische und gewaltorientierte Inhalte Offen extremistische und gewaltorientierte Inhalte sind der quantitativ kleinste Teil der bekannten Äußerungen von Islamisten im Internet. Es dominieren hier vor allem besonders eng gefasste Glaubensauslegungen, takfiristische129 Positionen und absolut gehaltene Freund-Feind-Schemata, welche durch stark aus dem Kontext gerissene Bezugsstellen aus Koran und Hadithen begründet werden. Der Islam wird hier nicht als Religion praktiziert, sondern als Mittel zur Gewaltlegitimation missbraucht. Verbreitet werden diese Inhalte i. d. R. von dem Jihadismus nahestehenden oder sich im Ausland aufhaltenden Personen, die ein hohes Maß an konspirativem Verhalten zeigen und aktiv Szeneangehörige ansprechen. Einerseits werden jihadistische Anschläge und Attentäter verherrlicht und entsprechendes Propagandamaterial (z. B. militärische Darstellungen, Reden, Videos von Hinrichtungen) geteilt, andererseits Gewalttaten gegen Personen gebilligt und dazu aufgerufen. Neben der Propaganda internationaler jihadistischer Organisationen wie des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder al-Qaida ist seit dem 07.10.2023 vermehrt Kriegspropaganda der HAMAS und der libanesischen "Hizb 129 Unter dem arabischen Begriff "Takfir" wird die Exkommunizierung von Muslimen aus der Religion verstanden. Diese Strafe wird nach herrschender Meinung in der islamischen Rechtswissenschaft nur von einem Rechtsgelehrten bei besonders schweren Vergehen verhängt und zieht i. d. R. auch die Todesstrafe nach sich. Terroristische Vereinigungen wie der IS werden als "takfiristisch" bezeichnet, da diese Praxis dort teilweise inflationär und durch nicht gelehrte Privatpersonen zur standrechtlichen Aburteilung von Personen genutzt wird. 219 Islamismus Allah" zu finden. Trotz begrenzter Möglichkeiten zur Verbreitung von Online-Propaganda stellt die Terrororganisation IS nach wie vor eine der größten Gefahren zur (Schnell-)Radikalisierung von Einzelpersonen im Netz weltweit aber auch in Deutschland dar. Vereinzelt werden derartige Inhalte auf Mainstream-Plattformen wie Instagram und TikTok festgestellt, der größere Teil dieser Kommunikation spielt sich jedoch auf Telegram und anderen Plattformen bzw. im Darknet ab. Islamistische Botschaften enthalten in aller Regel zwei oder mehr der o. g. narrativen Ebenen und beanspruchen für sich einen Absolutheitsanspruch, dem zu widersprechen im kurzlebigen Kommunikationsstil auf sozialen Netzwerken kaum möglich ist. Dies ist insbesondere dann erschwert, wenn sich islamistische Aussagen mit Desinformation, z. B. zu Ereignissen im Nahostkrieg verbinden. Es geschieht ein Framing religiöser bzw. gesellschaftlicher Wahrnehmungen, die im Sinne einer strengen Religionsauslegung interpretiert werden. Dies wird insbesondere an den Schemata der Glorifizierung inhaftierter Islamisten als "Märtyrer" oder der Wahrnehmung von LGBTIQ+-Personen130 als "Ungläubige" und Feinde der islamischen Gemeinschaft (arab. "Umma") deutlich. Transportiert werden diese Narrative vor allem durch populistische und identitäre Argumentationsmuster, die spürbar zugenommen haben. Gesellschaftlich relevante Themen werden religiös-politisch aufgeladen und skandalisiert, z. B. die öffentliche Wahrnehmung von LGBTIQ+-Personen, Religionspolitik oder der Israel-PalästinaKonflikt. Das Ziel dieser populistischen Artikulation ist eine religiöse Aufladung des Diskurses in jeder Hinsicht, die Absonderung muslimischer Menschen von der Mehrheitsgesellschaft und die Delegitimierung der demokratischen Werteordnung. Ausblick Der Salafismus zählt nach wie vor zu den sichtbarsten Strömungen des Islamismus. Auch wenn die Zahl seiner Anhänger zuletzt zurückgegangen ist, prägt die deutschsprachige salafistische Szene weiterhin den Islamismus in Deutschland maßgeblich. Dies geht 130 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexual, transsexual/transgender, queer, intersexual, asexual. 220 Islamismus vor allem auf das Wirken populärer deutschsprachiger Prediger zurück, die die salafistische Ideologie leicht verständlich und in jugendgerechter Sprache verbreiten. Viele dieser Prediger wurden in Deutschland sozialisiert und können realitätsnah gesellschaftliche Probleme erfassen und sie im Sinne ihrer islamistischen Aktivitäten instrumentalisieren. Sie nutzen gezielt die sozialen Medien zur Verbreitung ihrer Botschaften und erreichen damit einen sehr großen Empfängerkreis, vor allem unter jungen Menschen. Einer der bundesweit maßgeblichen Akteure der salafistischen Szene war die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." in Braunschweig (DMG Braunschweig). Sie nahm eine zentrale Rolle in der überregionalen Vernetzung salafistischer Aktivitäten ein, indem sie überregional tätige Prediger einlud und deren Auftritte über ihre vielfältigen Online-Kanäle einer großen Zahl an Zuschauenden zugänglich machte. Am Beispiel der DMG Braunschweig zeigte sich besonders, wie strategisch anpassungsfähig salafistische Akteure sind, indem sie z. B. aktuelle Trends des Kommunikationsverhaltens sofort aufgreifen und sich mit hochprofessionell und ansprechend gestalteten Auftritten in den aktuell gängigen sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder TikTok etablieren. Damit verfügen sie mit ihren häufig auf Kurzvideos fokussierten Angeboten über eine weit höhere Reichweite als dies mit realweltlichen Mitteln möglich wäre. Die vor allem dem Salafismus immanente Aktionsorientierung wurde auch an den verschiedenen Dawa131-Aktionen deutlich. Hierbei stach das Projekt "was-danach" heraus, Projekt "was-danach?" der DMG Braunschweig bei dem die DMG Braunschweig gemeinsam mit anderen salafistischen Akteuren erstmals nach der verbotenen "LIES!"-Kampagne wieder versuchte, eine bundesweite Literaturverteilaktion zu etablieren. Die DMG Braunschweig wurde am 12.06.2024 durch das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport verboten, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Das Verbot der DMG Braunschweig stellte eine starke Schwächung für die salafistische Szene in Niedersachsen aber auch darüber hinaus dar. Zum einen entfällt für die Szene damit einer 131 Der arabische Begriff Dawa bedeutet übersetzt "Einladung/Aufruf" und kann im islamistischen Kontext auch mit Missionierung umschrieben werden. 221 Islamismus ihrer wichtigsten überregionalen physischen Anlaufpunkte, in denen die bekannten salafistischen Prediger noch eine Plattform bekommen haben. Zum anderen stehen den deutschsprachigen salafistischen Predigern durch die Abschaltung der Online-Präsenzen ihre wichtigsten Plattformen zur Verbreitung der salafistischen Ideologie nicht mehr zur Verfügung. Und tatsächlich hat sich in den Social Media Erklär-Video der Niedersächsischen InnenminisMonaten nach dem Verbot der DMG Braunterin zum Verbot der DMG schweig gezeigt, dass die Aktivitäten der populären salafistischen Prediger deutlich zurückgegangen sind. Gleichwohl ist bereits zu erkennen, dass es Versuche gibt, neue salafistische Angebote zu etablieren bzw. dass neue salafistische Akteure versuchen, die entstandenen Lücken zu schließen, wie sich das nach früheren Verbotsmaßnahmen bereits gezeigt hat. Aufgrund der starken Aktionsorientierung des Salafismus ist auch künftig damit zu rechnen, dass sich die Szene trotz der erschwerten Bedingungen durch das Verbot der DMG Braunschweig neu strukturieren wird, möglicherweise mit einem noch stärkeren Fokus auf Online-Aktivitäten. Während die salafistische Szene perspektivisch vor allem mit ihrer Neuformierung beschäftigt sein wird, nimmt die Bedeutung des organisationsbezogenen Islamismus zu. Dies lässt sich an den Anhängerzahlen festmachen: Die weiteren islamistischen Gruppierungen und Organisationen liegen seit dem letzten Jahr bereits gleichauf mit dem Salafismus, mit weiter steigender Tendenz. Aber auch maßgebliche Ereignisse des vergangenen Jahres zeugen von dem Bedeutungszuwachs des weiteren islamistischen Spektrums. Zunächst ist das am 24.07.2024 durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ausgesprochene Verbot des irannahen "Islamischen Zentrums Hamburg e. V." (IZH) zu nennen. Dem Verbot gingen im November 2023 bundesweit Durchsuchungsmaßnahmen voraus. Davon betroffen waren rund 20 weitere Objekte sowie die Vereinsräumlichkeiten der "Salman Farsi Moschee" in der Region Hannover. Das Verbot des wichtigsten Zentrums des schiitischen Islamismus in Deutschland hatte eine bundesweite Strahlkraft und 222 Islamismus erfuhr in der gesamten islamistischen Szene eine breite Rezeption. In Bezug auf die Hizb Allah wurden mehrere Personen, auch in Niedersachsen, festgenommen, denen die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Ebenfalls im Fokus stand die HAMAS, deren Betätigung in Deutschland sowie die Verwendung ihrer Kennzeichen durch das BMI bereits Ende 2023 verboten wurde. An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Eskalation des Nahostkonflikts und dessen hohe Mobilisierungsfähigkeit eine wesentliche Rolle bei den zunehmend virulenten Aktivitäten dieser Organisationen spielt. Auch im Jahr 2024 haben regelmäßig aktuelle Ereignisse aus dem Konfliktgeschehen vor Ort zu Demonstrationen und massiven Online-Reaktionen auch in Niedersachsen geführt. Nahezu wöchentlich fanden in den großen Städten Niedersachsens Kundgebungen und Demonstrationen statt. Nur beispielhaft sei hier die Demonstration unter dem Motto "Palästina, Demo am Tag Arafa132" am 15.06.2024 in Hannover genannt. Sie wurde von der Hizb ut-Tahrir nahen Organisation "Generation Islam" organisiert und mobilisierte circa 1.200 Menschen. Aber auch die Solidarisierung mit der "Hizb Allah" war bei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt immer wieder festzustellen, u. a. durch das Tragen von gelben Armbinden mit arabischen Schriftzeichen und das Rufen von Parolen wie: "Hayhat minna al-zilla" (frei übersetzt: "Wir werden standhalten" bzw. "Uns bekommt ihr nicht nieder"). Diese religiöse Aussage wurde häufig von dem mittlerweile getöteten Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Nasrallah verwendet, weshalb das Skandieren während Demonstrationen als Sympathiebekundung mit der islamistischen Gruppierung zu verstehen ist. Das gesamte islamistische Spektrum scheint zunehmend auf eine legalistische Vorgehensweise überzugehen, was zu einem weiteren Verschwimmen der Grenzen zwischen den verschiedenen Organisationen führt. Dies kann als Folge der staatlichen Maßnahmen wie Vereinsverbote und strafrechtliche Ermittlungsverfahren gesehen werden. Mit einer legalistischen Vorgehensweise können Islamisten unterhalb der Eingriffsschwelle der Sicherheitsbehörden agieren. Zudem zeigen langjährig legalistische Akteure, dass sie 132 Mit dem "Tag Arafa" ist der Tag der Auferstehung gemeint. 223 Islamismus über eine gute politische und gesellschaftliche Vernetzung verfügen und damit nicht so kritisch gesehen werden wie andere Akteure des islamistischen Spektrums. Anderseits ist auch eine inhaltliche Annäherung wahrzunehmen, bei der Akteure des gesamten islamistischen Spektrums anstelle von theologischen Fragestellungen zunehmend gesellschaftsund sozialkritische Themen behandeln. Damit gelingt es Islamisten, ihre Ideologie insbesondere Jugendlichen sehr viel effektiver nahezubringen, als dies mit abstrakten rein theologischen Themen möglich wäre. Die islamistische Ideologie tarnt sich dabei als legitime Gesellschaftsoder Sozialkritik, bietet danach jedoch den Islamismus als einzig logische Lösung zur Beseitigung der einseitig dargestellten Missstände an. Insbesondere der Versuch von Islamisten, nach außen anschlussfähig zu wirken, indem sie sich von strikten religiösen Restriktionen lösen, führt dazu, dass der prägende islamistische Charakter in den Hintergrund rückt. Die verstärkte Nutzung identitärer Narrative durch islamistische Gruppierungen zum Zweck der Anschlussfähigkeit, bewirkt eine Entgrenzung der verschiedenen islamistischen Gruppierungen untereinander. Dies fördert die Entstehung eines MainstreamIslamismus, der sich als gesellschaftskritische Weltanschauung inszeniert und dessen ideologisch-theologische Grundlagen nur noch rudimentär wahrnehmbar sind. Dieser identitäre Islamismus, der in seinen Grundzügen von der Ablehnung der bestehenden Ordnung und der Konstruktion von Missständen lebt, ist für eine Vielzahl von islamistischen Gruppierungen und Akteuren, denen diese Ablehnung immanent ist, anschlussfähig. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Vereinsverbote der DMG Braunschweig und des IZH. Auch wenn es sich hierbei um ideologisch diametral gegenüberstehende Akteure handelt, erfuhren beide Vereine große Solidarität aus dem gesamten islamistischen Spektrum. Als einigend erwiesen sich bekannte Opfernarrative, nach denen der deutsche Staat eine Verfolgung der Muslime betreibe und in dem hiesigen gesellschaftlichen System eine freie Religionsausübung für Muslime nicht möglich sei. Der internationale islamistische Terrorismus hatte zuletzt nicht den mobilisierenden Bezugspunkt, wie es zwischenzeitlich der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak war. Stattdessen war die Situation von 224 Islamismus mehreren kleineren weltweiten Jihadschauplätzen geprägt, die bislang keinen ausgeprägten Bezug nach Deutschland entwickelt haben. Im Verlauf des Jahres 2024 hat sich jedoch gezeigt, wie schnell sich die scheinbar beruhigte Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus wieder verschärft. Der Grund hierfür liegt in der nach wie vor sehr aktiven Propagandatätigkeit der islamistischen Terrororganisationen. Diese haben in ihren Publikationen gezielt Ereignisse, wie die Verbrennung und Schändung von Koranen in Schweden und Dänemark sowie den israelisch-palästinensischen Konflikt aufgegriffen und emotional aufgeladen dargestellt. Das Ziel der jihadistischen Terrororganisationen ist es, bei ihren Anhängern ein Verantwortungsgefühl zu wecken, in der Pflicht zu sein, vermeintliche Ungerechtigkeiten gegen den Islam persönlich durch die Verübung eines Anschlags bekämpfen zu müssen. Die Anwendung von Gewalt unter dem dadurch gefestigten Opfernarrativ wird als notwendig und legitim angesehen. Die weltweit verübten Anschläge im Jahr 2024 sowie die zahlreichen Festnahmen aufgrund konkreter Hinweise auf geplante Gewalttaten machen die Gefahr deutlich, die von der Terrorpropaganda für die westlichen Länder ausgeht. Ereignisse im Zusammenhang mit dem Islam oder islamischen Ländern können jederzeit eine massiv mobilisierende Wirkung entfalten, sodass weiter von einer hohen Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus ausgegangen werden muss. Insbesondere die weiteren Entwicklungen des für die jihadistische Szene sehr bedeutenden Jihadschauplatzes in Syrien können hier schnell zu einer Lageverschärfung führen. 5.3 Salafismus Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 650 salafistischer Gruppen Der Salafismus ist eine besonders radikale islamistische Bewegung, die sowohl in Deutschland, als auch auf internationaler Ebene einen großen Zulauf insbesondere junger Menschen erlebt. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie 225 Islamismus versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstandenen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, den rechtschaffenen Altvorderen (arab. as-salaf as-salih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch heißt es in einem auf einer salafistischen Internetseite abrufbaren Text mit dem Titel "Was ist ein Salafi?": "Wir können klar erkennen, dass die ersten drei Generationen dieser Umma133 die besten der Menschen sind. Sollten sie dann nicht diejenigen sein, denen wir folgen? Wenn Du über etwas Bescheid wissen willst, sei es über Mathematik, Physik oder Medizin, dann würdest Du zu Leuten gehen, die davon mehr verstehen als Du selbst. Wenn Du aber nicht zu ihnen gehen könntest, so würdest Du zu den Büchern der Individuen gehen, selbst wenn diese viele Jahre zuvor geschrieben wurden. Und zwar darum, weil Du weißt, dass diejenigen, die die Bücher schrieben, ein besseres Verständnis über das Thema hatten, als Du es hast. Genauso ist es im Islam: Um ihn und seine Praktiken zu verstehen, sollten wir nicht zu denen gehen, die ihn am besten verstanden? Jedoch muss hier eine Unterscheidung gemacht werden. In vielen Aspekten der Wissenschaft und Technologie nimmt das Wissen mit der Zeit zu, d. h. ein viele hundert Jahre altes Buch wäre zu primitiv, um heute in einer medizinischen Hochschule gelehrt zu werden. Heute, im Islam, ist jedoch das Gegenteil der Fall. Je weiter man zu der Zeit des Propheten - Allahs Heil und Segen auf ihm - zurückgeht, desto besser und reiner waren das Verständnis und die Implementierung der Religion." (Salafistische Internetseite, 2021) Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa liberalere Formen des Islams und die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie demokratische Strukturen, werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia, die von Salafisten als eine von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demokratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In einer im Jahr 2012 verteilten Broschüre 133 Der arabische Begriff "Umma" bedeutet übersetzt "Gemeinschaft der Muslime". 226 Islamismus des "Deutschsprachigen Islamkreises e. V." (DIK) in Hannover heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibada [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Deutschsprachiger Islamkreis e. V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seiten 8-9) Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privatleben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propagieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht und die Begrenzung der Religionsfreiheit. Die von Salafisten propagierte Staatsund Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Damit ist der Salafismus eine verfassungsfeindliche Bestrebung und erfüllt die Voraussetzung für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Ausprägungen des Salafismus Bei den grundsätzlichen ideologischen Auffassungen kann eine weitgehende Übereinstimmung innerhalb des salafistischen Spektrums festgestellt werden. Allerdings gibt es maßgebliche Unterschiede was die Umsetzung der salafistischen Ideologieelemente anbelangt, weshalb nach der gängigen Definition drei Ausprägungen des Salafismus unterschieden werden: f Puristischer Salafismus Sogenannte puristische Salafisten stellen die individuelle Frömmigkeit in den Mittelpunkt. Eine gesellschaftliche und politische Umgestaltung wird von ihnen nicht aktiv propagiert, 227 Islamismus sie erwarten diese vielmehr als langfristiges Ergebnis ihrer persönlichen Bemühungen. Wenn ihre eigene Religionsausübung möglich ist, stellen die vor allem aus Saudi-Arabien stammenden Gelehrten der puristisch-salafistischen Strömung die existierende staatliche Ordnung nicht in Frage. Solange tatsächlich nur die individuelle Frömmigkeit im Mittelpunkt steht, handelt es sich beim puristischen Salafismus nicht um eine Bestrebung im Sinne des SS 3 NVerfSchG. f Politischer Salafismus Im Unterschied dazu verbinden politische Salafisten mit der Umsetzung der salafistischen Ideale neben der persönlichen Ebene auch eine Umgestaltung der Gesellschaft und des Staates. Der Begriff "politisch" darf dabei jedoch nicht missverstanden werden, denn Salafisten sind grundsätzlich apolitisch und verweigern sich i. d. R. einer Teilnahme an politischen Prozessen. Gemeint ist hiermit die offensive Propagierung ihrer Wertvorstellungen in Predigten, Straßenaktionen oder Internetaktivitäten. Politische Salafisten akzeptieren durchaus andere islamistische Gruppierungen, die gewalttätig agieren, setzen selbst jedoch keine Gewalt zur Schaffung ihrer propagierten Staatsund Gesellschaftsordnung ein. f Jihadistischer Salafismus Darin besteht der Unterschied zu den jihadistischen Salafisten. Diese interpretieren den Begriff des Jihad primär als militärischen Kampf und propagieren eine individuelle Pflicht jedes Gläubigen daran teilzunehmen. Die Pflicht zum Kampf besteht z. B. gegen "unislamische" Herrscher, was dem jihadistischen Verständnis nach autoritäre Staatsoberhäupter in den arabischen Ländern, aber auch demokratische Regierungen im Westen sein können. Ein anderes Beispiel sind "unislamische Aggressoren" in als muslimisch verstandenen Ländern. Das können militärische Aktivitäten westlicher Länder in Afghanistan oder Syrien und im Irak, aber auch die Existenz des Staates Israel sein. Die aufgeführten Ausprägungen des Salafismus stellen keine in sich geschlossenen Gruppierungen dar, vielmehr gibt es zwischen den verschiedenen Strömungen einen weitgehenden Konsens über die ideologischen Grundlagen. Daraus folgt, dass die Übergänge 228 Islamismus zwischen den unterschiedlichen Ausprägungen fließend sind. Insbesondere vom politischen zum jihadistischen Salafismus können häufig sehr kurzfristige Radikalisierungsprozesse festgestellt werden. Der Salafismus ist mittlerweile zwar nicht mehr die einzig dominante islamistische Strömung in Deutschland, ist aber weiterhin öffentlich sehr präsent. Die Wahrnehmbarkeit und damit einhergehende Abgrenzung, auch durch das äußere Erscheinungsbild, bilden für viele Salafisten einen wichtigen Teil ihrer Identität und Selbstwahrnehmung als vermeintlich "einzig wahre" Muslime in einer feindlichen Mehrheitsgesellschaft. In diesem Zusammenhang schafft die salafistische Weltanschauung ein komplettes Gegenmodell zum selbstbestimmten, daher aber auch risikobehafteten westlichen Lebensentwurf. Da die salafistische Ideologie von ihren Anhängerinnen und Anhängern fordert, den Kontakt mit der "ungläubigen" Welt auf ein Minimum zu reduzieren, ist die Folge die Einbettung des Einzelnen in ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die über ähnliche Ansichten verfügen, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies erleben viele von der modernen Welt Verunsicherte als ein stabilisierendes Element in ihrem Leben. Gleichzeitig vermittelt diese theologisch begründete sektenartige Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl, als Salafist einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. Entwicklung des salafistischen Personenpotenzials Seitdem die "Salafistischen Bestrebungen" im Jahr 2011 zum bundesweiten Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden wurden, verzeichnete die salafistische Szene in Deutschland und Niedersachsen über Jahre starke Zuwachsraten. So hat sich die Zahl der Salafisten bundesweit von circa 3.800 im Jahr 2011 auf 12.150 im Jahr 2019 mehr als verdreifacht. Diese Entwicklung schwächte sich zuletzt jedoch ab und die Anhängerzahlen verringerten sich bis zum Jahr 2023 auf 10.500 Mitglieder bundesweit sowie in Niedersachsen auf aktuell 650 Mitglieder. Das starke Wachstum der salafistischen Szene insbesondere in den 2010er Jahren stand maßgeblich in Verbindung mit vielfältigen salafistischen Aktivitäten deutschsprachiger Prediger, bundesweit öffentlichkeitswirksamen Dawa-Projekten wie der Koranverteilaktion 229 Islamismus "LIES!" sowie dem syrischen Bürgerkrieg und der zwischenzeitlichen Ausrufung eines Kalifats durch den IS, das zu einer nicht unerheblichen Strahlkraft und zum Teil zur Radikalisierung in der salafistischen Szene geführt hat. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass sich das Wachstum der salafistischen Szene in Deutschland und Niedersachsen stetig abschwächt. Der damit einhergehende Rückgang der Anhängerzahl dürfte einerseits das Ergebnis der inzwischen wesentlich besseren Aufklärung über die Szene durch die Sicherheitsbehörden sowie der gewachsenen gesellschaftlichen Sensibilität für salafistische Radikalisierungsprozesse sein. Andererseits gibt es aktuell keinen globalen Jihadschauplatz mit großer Strahlkraft mehr. Die abnehmenden Zahlen sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die voranschreitende Digitalisierung sowie die vermehrte Nutzung von Social Media vor allem unter jungen Menschen eine erhöhte Dunkelziffer im virtuellen Raum existiert, die durch Sicherheitsbehörden aufgrund der Anonymität des Internets nur schwer beobachtet werden kann. Dies geht mit einer Verjüngung der Szene einher. Entwicklung des salafistischen Personenpotenzials in Niedersachsen 1.000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 230 Islamismus Gleichwohl bleibt der Salafismus nach wie vor die zahlenmäßig größte Bewegung innerhalb des islamistischen Spektrums. Der Salafismus ist eine dynamische und heterogene Bewegung, die sich nicht in klare Strukturen einordnen lässt. Als verbindendes Element fungiert dabei die salafistische Ideologie, deren Anhänger häufig in Kleingruppen und Freundeskreisen organisiert sind. In dem international miteinander verwobenen Netzwerk des Salafismus gibt es aber einzelne Fixpunkte und Organisationsformen, die entscheidende Bestandteile für das Agieren der Szene darstellen. Prediger Eine entscheidende Rolle haben die salafistischen Prediger inne. Sie formulieren die salafistische Ideologie aus und machen über ihre Auslegungen der islamischen Schriften konkrete Vorgaben zur "richtigen" Lebensführung. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell und setzen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und sich insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher orientieren, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen, darunter auch zum Islam Konvertierte aus. Salafistische Prediger sind über ihre Seminarangebote, Vortragsreisen und Onlineangebote überregional präsent und sammeln damit eine feste Anhängerschaft hinter sich. Durch die voranschreitende Digitalisierung und die Veränderung sozialer Medien hin zu stärker visuell und kurzlebig geprägter Kommunikation wandelt sich auch das Online-Verhalten von Predigern, die sich inzwischen häufig als eine Art "salafistische Influencer" präsentieren. Sie profitieren in besonderem Maße von ihrem Charisma und passen ihren Kommunikationsstil gezielt an die Online-Sprache von Jugendlichen an. Sie besitzen digitale Kompetenz, wirken freundschaftlich und kommunizieren mit ihrem Publikum auf Augenhöhe, z. B. indem sie durch Frage-Antwort-Runden über Social Media mit ihrem Publikum in direkten Kontakt treten oder über Messenger-Dienste wie WhatsApp direkt mit Fragen angeschrieben werden können. Häufig werden Themen behandelt, die zunächst scheinbar nichts mit dem Islam zu tun haben, wenn es z. B. um Fußball, Computerspiele oder Haustiere geht. Dahinter verbirgt sich jedoch eine gezielte 231 Islamismus Strategie. Deutlich wird dies bei einer Antwort des salafistischen Predigers Ibrahim Al Azzazi auf die Frage, "welche Weisheit hinter trivialen Fragen steckt?": "... die Weisheit ist eigentlich das, dass man vielleicht auch Leute auf eine islamische Seite aufmerksam macht, die sonst eher auf anderen Sachen unterwegs sind, weißt wie ich meine ... wenn wir sowas mal machen, dann ist das eher marketingtechnisch, verstehst du? Dass wenn die Leute das sehen, dass sie dann beispielsweise abonnieren oder auch auf die anderen Videos gehen oder auf eine Playlist kommen, bei YouTube beispielsweise..." (YouTube-Video vom 16.03.2023 auf dem Kanal "Echo der Monotheisten": Shaykh Ibrahim im Interview! Die Erfolgsgeschichte von IslamContent5778.Ägypten,TikTok,Y Kollektiv.) An den salafistischen Predigern wird auch die internationale Dimension des Salafismus deutlich. Viele von ihnen haben eine Ausbildung an arabischen Universitäten erhalten. Besonders häufig fällt dabei der Name der "Islamischen Universität Medina" in SaudiArabien. Die Universität wurde bereits mit dem Ziel gegründet "als Zentrum für die Verbreitung der islamischen Wissenschaft und Kultur unter den Muslimen überall in der Welt" zu wirken. Dieses Ziel sei so zu erreichen, dass "... einzelne aus jedem islamischen Land aufgerufen werden, nach Medina zu kommen, den Islam zu studieren ..., und dann zu ihren Leuten zurückzukehren, um zu unterweisen und rechtzuleiten." (Charta der Islamischen Universität Medina vom 11.05.1962) Um möglichst viele Studenten zu erreichen, bietet die Universität ein attraktives Angebot mit umfangreicher finanzieller Unterstützung und Stipendien. Die "Islamische Universität Medina" dient somit als Multiplikator für die wahhabitisch-salafistische134 Lehre, die durch ihre Studenten anschließend in deren Heimatländern weiterverbreitet wird. Gleichzeitig werden über das gemeinsame Studium Netzwerke zwischen den künftigen salafistischen Predigern gebildet. Diese führen dazu, dass regelmäßig auch ausländische 134 Der Wahhabismus ist die Staatsdoktrin Saudi-Arabiens und geht auf die Lehren von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703-1792) zurück. Der Salafismus wurde ideologisch stark vom Wahhabismus beeinflusst, sodass die beiden Ideologien inhaltlich viele Ähnlichkeiten aufweisen. 232 Islamismus Prediger zu Seminaren und Vorträgen in deutsche und damit auch in niedersächsische Moscheen eingeladen werden. Angebote im Internet Die Internetauftritte salafistischer Akteure sind professionell gestaltet und werden oft von einem eigenen Team von Administratoren, SocialMedia-Redakteuren und -Designern betreut. Die selbst produzierten Grafiken (sogenannte Memes) und Videos sind dazu geeignet, das Interesse auch von außenstehenden Personen zu wecken. Salafisten sind bestrebt, ständig weitere Angebote zu entwickeln, um möglichst viele Menschen anzusprechen und passen sich stetig den technischen Entwicklungen und dem aktuellen Nutzerverhalten an. So wurden zunächst hauptsächlich Internetseiten mit salafistischen Informationsangeboten eingerichtet. Die Kommunikation erfolgte über Foren. Dann verlagerten sich viele Angebote in die sozialen Netzwerke, wie Facebook, Instagram und TikTok, die den Vorteil mitbrachten, dass Inhalte direkt kommentiert und über sie diskutiert werden konnte. Neue Trends in sozialen Netzwerken werden getestet und das Portfolio der Online-Angebote stetig erweitert. So nutzten einige Prediger des salafistischen Spektrums TikToks Livestream-Angebot ("LIVE Gifting"), über das Zuschauende mit Realwährung erworbene "Coins" an die Streamer senden können. Aufgrund des hohen Stellenwerts der Dawa135 haben Salafisten ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Die Indoktrination durch salafistische Akteure zielt jedoch nicht darauf ab, den jeweiligen Adressaten ein reflektiertes und fundiertes Wissen über ihre Religion zu vermitteln. Stattdessen wird dem Publikum ein diffuses Inselwissen über ideologische Versatzstücke nahegebracht, das den Nährboden für religiöse Radikalisierungsprozesse bereitet. Diese Vorgehensweise ist insbesondere auf sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok erfolgreich, da längere Beiträge auf diesen Plattformen i. d. R. keine größere Reichweite erzielen und zugunsten von kurzen Schlagwortbotschaften untergehen. Das Ziel salafistischer Akteure im Internet ist es, junge Menschen zu einer Abwendung von der Gesellschaft im Sinne einer Loyalität zum Glauben und 135 Siehe Fußnote 5.2, Abschnitt "Ausblick". 233 Islamismus zur Lossagung vom Unglauben (arab. "al-Wala wal-Bara") zu bewegen und sich ausschließlich unter muslimischen Mitmenschen, die der "richtigen" Glaubenslehre und -auslegung anhängen, aufzuhalten. In besonderem Maße entfaltet hier auch populistische Kommunikation ihre Wirkung, da eine kritische Betrachtung der angerissenen Themen grundsätzlich nicht geschieht und klassische Feindbilder (wie z. B. der deutsche Staat, Nichtmuslime, der Staat Israel oder die Presse) geschürt werden. Durch die Algorithmen sozialer Medien kommt es zur Bildung extremistischer Lager, die niedrigschwellig an Mainstream-Diskurse andocken und allen Nutzerinnen und Nutzern im Feed erscheinen, die sich nur oberflächlich mit Religion beschäftigen möchten. Über das Format des Kurzvideos wird Jugendlichen auf der Plattform TikTok somit nahegebracht, wie sie ihr Alltagsleben mit einem salafistischen Lebensstil vereinbaren können. Dadurch gelingt es, die salafistische Ideologie als "Lifestyle" attraktiv zu machen und Zugehörigkeit innerhalb der eigenen Bezugsgruppe zu schaffen, obgleich theologisch-ideologisches Wissen nur rudimentär vorhanden ist. Viele Akteure des politischen Salafismus betreiben Kanäle auf Telegram, WhatsApp und YouTube, um die Reichweite ihrer Inhalte noch weiter zu erhöhen und um Personen außerhalb ihrer Stammklientel anzusprechen. Auch auf dieser Ebene werden Beiträge aus Kanälen häufig untereinander geteilt, sodass sich ein Geflecht aus Kontakten zahlreicher Protagonisten ergibt. Auch innerhalb der salafistischen Szene haben diese Kanäle eine große Bedeutung für die Reichweite, da seit Juni 2023 auch auf WhatsApp Kanäle erstellt werden können und somit ein Publikum erreichbar ist, das auf sozialen Netzwerken nicht vertreten ist. Das Verfassen von Beiträgen via TelegramKanälen erfährt in der salafistischen Szene einen Zuwachs, da hier zusätzlich noch ein höherer Grad an Anonymität möglich ist. Neben der offenen Kommunikation salafistischer Szeneprotagonisten existieren klandestine Netzwerke von Personen und Organisationen. Diese Personenkreise kommunizieren über verschlüsselte Messenger wie Signal, Telegram, Threema oder Rocket Chat miteinander. An dieser Stelle bieten sich für radikalisierte Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, mit im Ausland aktiven Jihadisten in Kontakt zu kommen. Vor allem Telegram spielt für die jihadistischsalafistische Szene eine große Rolle, da dort auf einigen Kanälen nach 234 Islamismus wie vor jihadistische Propaganda ausländischer Terrororganisationen veröffentlicht wird. Sofern Betreiber und Abonnenten eines Kanals anonym sind, profitieren die jeweiligen Akteure von einem erweiterten Aktionsradius im Netz, der eine Identifizierung erschwert und es ihnen erlaubt, ihre ideologische Einstellung deutlich offener zu äußern. Eine häufig festgestellte Straftat auf Telegram ist die Abbildung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (SS 86a StGB), wie z. B. die Flagge des IS. Moscheen Auch wenn das Internet eine wichtige Rolle in der Vernetzung und Anwerbung für die salafistische Szene spielt, bleiben die realweltlichen Kontakte entscheidend zur Festigung der persönlichen Beziehungen. Einer Studie zu den nach Syrien und in den Irak ausgereisten Personen zufolge, hatte besonders der Kontakt in (einschlägige) Moscheen im Verlauf der Radikalisierung große Bedeutung. Deshalb spielen entsprechend ausgerichtete Moscheegemeinden nach wie vor eine Rolle als lokale Anlaufpunkte und Trefforte für die salafistische Szene. Salafistische Moscheen bieten ein umfangreiches Angebot an Lehrveranstaltungen für verschiedene Zielgruppen an und sorgen so für eine ideologische Festigung und Einbindung in die Strukturen des Salafismus. Sie richten sich an regelmäßig Teilnehmende, aber auch an gelegentliche Besucher sowie an schlicht Interessierte. Die Spannbreite reicht von speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Bildungs-, Spielund Freizeitangebote, damit diese möglichst frühzeitig in die internen Strukturen integriert und gemäß der salafistischen Ideologie erzogen werden, bis hin zu Beratungsund Bildungsangeboten für Erwachsene, deren salafistische Einstellung durch eine aktive Teilnahme in der Moschee gefestigt wird. Salafistische Moscheen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung. Bei salafistisch dominierten Moscheen können die Führungspersonen und große Teile der Besucherinnen und Besucher dem Salafismus zugerechnet werden. In diesen Moscheen wird die salafistische Ideologie zielgerichtet gefestigt und weiterverbreitet. In den salafistisch frequentierten Moscheen ist hingegen nicht grundsätzlich von einer salafistischen Ausrichtung der gesamten Moschee auszugehen. Innerhalb dieser gibt es dagegen salafistische 235 Islamismus Strömungen, ohne dass die Mehrzahl der Besucher oder der Vorstand im Gesamten Salafisten sind. Teilweise besuchen salafistische Personengruppen solche Moscheen oder es werden salafistische Prediger eingeladen, die eine weitere salafistische Beeinflussung der Moscheebesucherinnen und -besucher fördern können. Lose Personennetzwerke Spielten sich die Aktivitäten der salafistischen Szene in den vergangenen Jahren noch überwiegend im Umfeld salafistischer Moscheen ab, so sind die Aktionsorte der Szene mittlerweile vielfältiger geworden. In der Folge ist festzustellen, dass sich Salafisten häufig im Rahmen loser Personenzusammenschlüsse organisieren. Für die Zusammensetzung dieser Kleingruppen spielen Freundschaften, die regionale Herkunft, gleiche Altersgruppen und die gemeinsame ideologische Ausrichtung eine entscheidende Rolle. Mit der Zunahme salafistischer Kleingruppen etablierten sich auch neue Treffpunkte der Szene. Dazu zählen z. B. Restaurants und Cafes, Sportvereine, Fitnessstudios, Gärten und Parks, aber auch Privatwohnungen wichtiger Akteure, die zunehmend ein zentraler Bestandteil der Vernetzung der Szene werden. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Wohnungsoder "Home-Dawa"-Veranstaltungen, bei denen salafistische Prediger Islamunterricht im kleinen Kreis in Privatwohnungen geben und nicht wie noch vor wenigen Jahren ausschließlich in Moscheen mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit. Diese Anlaufpunkte wirken zunächst unverfänglich und erwecken für Außenstehende nicht den Anschein extremistischer Aktivitäten. Damit stellen sie eine neue Möglichkeit der Rekrutierung insbesondere junger Menschen dar, die von den Salafisten direkt in ihrem Lebensumfeld abgeholt werden. Struktur der salafistischen Szene in Niedersachsen Der Salafismus ist ein überwiegend urbanes Phänomen, weshalb dessen Schwerpunkte in den großen Städten liegen. Salafistische Anlaufpunkte und Aktivitäten gibt es darüber hinaus aber in ganz Niedersachsen. Salafistische Aktivitäten gehen insbesondere von salafistisch dominierten Moscheen aus, die maßgeblich von Salafisten geprägt 236 Islamismus und hauptsächlich von Salafisten besucht werden. Entsprechend ihrer Ideologie bieten diese Moscheen ein umfangreiches Vortragsund Schulungsangebot für alle Altersgruppen an und werben im Sinne der Dawa intensiv für die Verbreitung der salafistischen Ideologie. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder die vereinzelt Veranstaltungen mit populären salafistischen Predigern anbieten. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucherinnen und -besucher in diesen Gemeinden ist nicht belegbar, bezogen auf einzelne Besucher jedoch nicht auszuschließen. Außerdem ist ein zunehmender Rückzug der salafistischen Szene ins Private sowie eine Fragmentierung der Anlaufpunkte festzustellen. Deshalb spielen immer mehr auch lose Personenzusammenschlüsse eine Rolle, deren gemeinsamer Referenzrahmen die salafistische Ideologie ist. Deren Angehörige teilen über die religiöse Betätigung hinaus Freizeitaktivitäten miteinander. Auch werden den Sicherheitsbehörden häufig Einzelpersonen mit salafistischen Bezügen bekannt, bei denen keine Anbindung an eine Moschee oder eine salafistische Gruppe festgestellt werden kann. Dies sind z. B. Flüchtlinge, die vor ihrer Einreise nach Deutschland auf Seiten jihadistischer Gruppierungen aktiv waren. DMG Braunschweig Bis zu ihrem Verbot am 12.06.2024 stellte die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." Braunschweig (DMG Braunschweig) einen Schwerpunkt der salafistischen Aktivitäten in Niedersachsen dar. Hintergrund des Verbots war, dass sich die Aktivitäten der DMG Braunschweig gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten (SS 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Vereinsgesetz i. V. m. Art 9 Abs. 2 Alt. 2 und 3 GG). In Verbindung mit ihrem langjährigen Imam Muhamed Seyfudin C. gehörte die DMG Braunschweig schon früh zu den salafistischen Zentren in Deutschland. Bis zum Verbot des Vereins konnte die Moschee ihren Stellenwert niedersachsenund auch bundesweit stetig steigern. Auch in Phasen negativer öffentlicher Aufmerksamkeit lud der Verein im Vergleich zu den meisten anderen salafistischen Moscheen nach wie vor regelmäßig salafistische 237 Islamismus überregionale Prediger zu Vortragsveranstaltungen ein. Hierzu zählten insbesondere szenebekannte Salafistenprediger wie Pierre Vogel alias Abu Hamza, Ahmad Armih alias Abul Baraa, Ibrahim Al Azzazi, Amir Al Kinani alias Abu Azma und Abdelillah Belatouani alias Abu Rumaisa. Durch die hohe Anzahl von Gastauftritten etablierter Szeneprediger baute sich die DMG Braunschweig ein Renommee als bundesweit anerkannte Moschee auf, die sich an der "richtigen" salafistischen Lehre orientiert. Andererseits konnten damals eher unbekannte Prediger wie Ibrahim Al Azzazi und Amir Al Kinani die DMG Braunschweig als Bühne nutzen, um ihren Bekanntheitsgrad innerhalb des salafistischen Spektrums zu steigern und sich szeneintern zu etablieren. Neben den Gastpredigern traten ab 2023 in der DMG Braunschweig auch Prediger auf, die in anderen Moscheegemeinden als offizielle Imame fungieren. Hierzu zählten der Bremer Imam Abbas Chihi, der Leipziger Imam Hassan Dabbagh sowie der Cloppenburger Imam Sami Henia. Damit gelang es der DMG Braunschweig, ihre Funktion als bedeutende und einflussreiche Anlaufund Vernetzungsstelle innerhalb der deutschen salafistischen Szene weiter auszubauen und den Eindruck einer geschlossenen salafistischen Gemeinschaft zu erwecken, die alle wesentlichen deutschsprachigen Akteure mit einbezieht. Vor allem ihr massives und diversifiziertes Onlineangebot ließ die DMG Braunschweig neben ihrem realweltlichen Wirken auch im virtuellen Raum zu einem wirksamen Multiplikator werden. Im Rahmen ihres professionellen Internetangebotes bot sie wöchentliche Vorträge per Livestream sowie aufbereitete Versionen auf den eigenen Social-Media-Kanälen an. Damit erhöhte die DMG Braunschweig ihre Reichweite deutlich und war durch ihr virtuelles Angebot für ein überregionales Publikum relevant. Nicht nur versuchte die DMG Braunschweig ihre Relevanz durch ihre Präsenz auf verschiedenen Social-Media-Kanälen zu steigern, auch passte sie ihre Formate dem Konsumverhalten der Zuschauer an. Viele der eingestellten Videos wurden mehrere tausend Mal aufgerufen, analog dazu stiegen auch die Abonnentenzahlen stetig an. Mit Stand des Verbots der DMG Braunschweig konnte der YouTube-Kanal seine Abonnentenzahl von etwa 76.800 im Jahr zuvor auf circa 84.000 steigern. Der DMG Braunschweig war es durch ihre Aktivitäten und 238 Islamismus breite Aufstellung möglich, omnipräsent für die eigene salafistische Ideologie zu werben und jungen Menschen, ausgerichtet an deren Lebensrealität und Kommunikationsverhalten, jederzeit salafistisches Gedankengut zur Verfügung zu stellen. Screenshot des TikTok-Kanals der verbotenen DMG Braunschweig Es wurde eine Weltsicht propagiert, die nicht nur zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterteilte, sondern auch ein Freund-Feind-Bild prägte. Insbesondere wurden andere Religionsauslegungen sowie vom Normbild der Salafisten abweichende Lebensstile diffamiert. So bezeichnete der Prediger Abu Rumaisa Homosexualität als Auslöser von Krankheiten, die angeblich durch eine widernatürliche Lebensart entstehen würden. So konstatierte er am 15.01.2022 in einer Predigt der DMG Braunschweig: "...und Homosexualität, wie ich ja gesagt habe, ist ja unnatürlich, und deshalb entstehen die meisten Krankheiten dadurch... Die meisten Krankheiten, die verbreitet werden, eine ganz spezielle Krankheit, welche ist es? Was sagt ihr? Ja? Genau HIV... Dann eine Krankheit, die sehr weit verbreitet ist unter den Homosexuellen, Syphilis. Das ist eine Geschlechtskrankheit. Tripper genauso, wird verbreitet dadurch, äh, Herpes ja... und etliche Entzündungen. Aids, Tripper, Herpes, Entzündungen, warum? Weil es nicht natürlich ist, weil es nicht geht, also die Homosexuellen, wenn sie Beischlaf miteinander begehen, dann machen sie es auf eine Art, die nicht normal ist..." (Livestream auf YouTube, DMG Braunschweig, "Große Sünden: Falsche Zeugenaussage mit Abu Rumaisa live in Braunschweig") 239 Islamismus Das in der DMG Braunschweig gepredigte verachtende Frauenbild zeigte der Prediger Abu Azma mit seinen Einlassungen zur Beschneidung der Frau am 12.11.2022: "...ist die Beschneidung eine Pflicht? Wenn wir hier von dem Mann sprechen, dann ist die Beschneidung eine Pflicht und bei der Frau sind sich die Gelehrten uneinig. Ist das für die Frau eine Pflicht oder ist das für die Frau keine Pflicht? Natürlich, wenn wir von der Frau sprechen, viele Leute haben, wenn wir dieses Wort, Beschneidung' sagen, irgendwelche Hinterhöfe in Namibia im Kopf, davon ist natürlich nicht die Rede, sondern wir reden hier von einem sauberen Krankenhaus, wo einfach nur aus Sauberkeitsgründen diese Beschneidung stattfindet. Und hier sagen wir sind die Gelehrten sich uneinig, bei der Frau ist die Beschneidung eine Pflicht oder ist sie erwünschenswert, das sind die Meinungen der Gelehrten..." (Livestream auf YouTube am 12.11.2022, DMG Braunschweig, "8) BEKÄMPFUNG DER MENSCHEN, BIS... mit Amir") In der Gesamtbewertung hat die DMG Braunschweig durch die fortlaufende Indoktrinierung mit einem äußerst rigiden Islamverständis versucht, eine Ideologie zu festigen, die zwangsläufig auf Untergrabung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem Grundsatz der Völkerverständigung ausgerichtet war und der Bildung von Parallelgesellschaften Vorschub leistete. Salafistische Prediger Als ein Prediger der salafistischen Szene, der verstärkt im Raum Niedersachsen tätig ist, gilt Sami Henia alias Abu Hamza. Er trat ab 2023 bis zum Verbot der DMG Braunschweig dort mehrmals als Vortragender, auch in Kooperation mit dem mittlerweile zur Abschiebung anstehenden Imam des Islamischen Kulturzentrums Bremen (IKZ Bremen), Abbas Chihi auf. Obgleich das Verbot der DMG Braunschweig die DawaBetätigung der meisten dort aufgetretenen Prediger im realweltlichen Raum eingeschränkt hat, konnte Sami Henia seine Aktivitäten in Niedersachsen weiter ausbauen und festigen. Mittlerweile tritt er regelmäßig mit Lehrveranstaltungen in verschiedenen niedersächsischen Moscheen, aber auch mit Vorträgen in Bremen auf. Henia unterhält mehrere Accounts auf verschiedenen Social-Media-Plattformen. In seinen Videos fordert 240 Islamismus er mehrheitlich zum Gebet auf und warnt davor, als Sünder zu sterben. Zudem scheint er sich vermehrt mit Krankenheilung und der Totenwaschung zu beschäftigen. Trotz der vermeintlich unverfänglichen Themenschwerpunkte wird in seinen Social-MediaBeiträgen ein rigides Islamverständnis deutlich. Hierzu zählen abwertende Posts von Überlieferungen über Frauen als "Unzuchttreibende" und Flyer seiner Auftritte in der DMG Braunschweig. Zudem verbreitet er Inhalte fundamentalistischer wahhabitischer Großgelehrter wie Sheikh Ibn Salih al Uthaymin und Sheikh Salih Ibn Fawzan aus Saudi-Arabien. Neben seinen Abwertender Post des salafistischen Predigers Sami Henia zur "Unzucht" Lehrveranstaltungen in Niedersachsen und Bremen und seinen Social-Media-Aktivitäten ist Henia auch als Hajjund Umra136 -Reiseleiter tätig. Föderale Islamische Union e. V. (FIU) Der Verein "Föderale Islamische Union e. V." (FIU) wurde Ende des Jahres 2017 von dem salafistischen Prediger Marcel K., Dennis R. und weiteren bekannten Akteuren des niedersächsischen salafistischen Spektrums gegründet. Laut eigenen Angaben des in Hannover registrierten Vereins zählt dieser etwa 5.000 Mitglieder. Erklärtes Ziel der FIU ist es, die rechtliche Vertretung der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland einzunehmen sowie die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen. Dazu bietet die FIU verschiedene Dienstleistungen an: f Hilfestellung bei rechtlichen Fragen und Problemen, f Schutz vor angeblich verfassungswidrigen Gesetzen, f Bereitstellung von islamischer Literatur in deutscher Sprache, f Beratung in islamrechtlichen Angelegenheiten durch einen sogenannten Fatwa-Support. 136 Bei der sogenannten Hajj handelt es sich um die Pilgerfahrt nach Mekka. Diese zählt zu den 5 Säulen des Islams und soll von jedem Gläubigen einmal im Leben während des islamischen Monats Dhu l -Hidscha durchgeführt werden. Wird die Pilgerfahrt außerhalb des Monats Dhu l-Hidscha durchgeführt, dann handelt es sich um die sogenannte Umra. Diese ist nicht verpflichtend, gilt aber als verdienstvoll. 241 Islamismus Die FIU greift im Kontext der angebotenen Leistungen immer wieder auf ein Opferund Unterdrückungsnarrativ zurück, das insbesondere deutlich wird, wenn sie behauptet, dass an Schulen ein staatlich gesteuerter Islamunterricht stattfände, der "mit allem zu tun hat, außer dem Islam" oder es von staatlicher Seite Versuche gebe, die Muslime in Deutschland in ihren Grundrechten zu beschneiden. Die Orientierung der FIU am Salafismus wird nicht nur dadurch ersichtlich, dass sie sich für nachgewiesen salafistische und inzwischen verbotene Organisationen wie "Ansaar International e. V." aktiv einsetzt. Auch berät sie Muslime in islamrechtlichen Fragen durch einen sogenannten Fatwa-Support. Bis 2023 kommunizierte die FIU, dass sie sich dabei ausdrücklich nach dem Verständnis der "Salaf us Salih" (arab. für "die frommen Altvorderen") richtet. Seither äußert sie sich allerdings moderater, so dass deren salafistische Ausdeutung der Öffentlichkeit nicht augenfällig wird. Die Ausrichtung an den frommen Altvorderen gilt als fundamentales Prinzip der salafistischen Ideologie. Durch derartige Angebote werden salafistische Einstellungen in die muslimische Community transportiert. Im Vergleich zu anderen salafistischen Akteuren bedient sich die FIU einer legalistischen Arbeitsweise. Sie greift bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit gezielt auf emotional aufgeladene und gesellschaftlich relevante Themen zurück. Die daraus formulierten Ziele werden, wenn nötig unter Zuhilfenahme von Rechtsmitteln durchgesetzt. Als Beispiele für aktionsorientierte Vereinsaktivitäten der FIU können für die zurückliegende Zeit insbesondere die Online-Petition für die "Ernennung eines Bundesbeauftragten zum Schutz der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland", die Einrichtung eines Spendenfonds für die "Rettung von Moscheen im Rahmen der Corona-Pandemie" und die erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein generelles Verbot von Gottesdiensten nach der Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen benannt werden. Auch im Rahmen der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen unternahm die FIU, unterstützt von niedersächsischen salafistischen Frauennetzwerken, eine Spendenaktion für (muslimische) Flutopfer, die als weiterer Versuch gewertet werden kann, sich als vermeintlicher Schirmherr aller in Deutschland 242 Islamismus lebenden Muslime zu präsentieren. Trotz eindeutiger Bezüge zum Salafismus stellte die FIU im August 2020 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht (VG) Hannover. Dem Antrag lag die Behauptung zugrunde, dass der Niedersächsische Verfassungsschutz die FIU unrechtmäßig im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2019 aufgeführt habe. Mit Beschluss vom 26.01.2021 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht den Antrag der FIU auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Nennung der FIU im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2019 abgelehnt und damit einen Beschluss des VG Hannover aus erster Instanz vom 29.10.2020 bestätigt. In der Gesamtschau versucht die FIU mit rechtsstaatlichen Mitteln, salafistische Ansichten zu verteidigen, die in ihrem Grundgedanken eben diese Rechtsstaatlichkeit nicht anerkennen. Die Möglichkeiten eines Rechtsstaates werden so zu dessen eigenem Nachteil genutzt. Die Vorgehensweise der FIU entspricht den Bestrebungen legalistischer Islamisten, die im Rahmen der demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten eine langfristige Umgestaltung der Gesellschaft auf Grundlage der Scharia als alleingültige Ordnung anstreben. 5.4 Islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist nach wie vor eine Gefahr für die Innere Sicherheit Europas und Deutschlands. Diese Gefahr realisierte sich auch 2024 weiterhin durch Anschläge und Anschlagsversuche. Die Aktivisten des islamistischen Terrorismus sind überwiegend von der jihadistischsalafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren die Bedrohung der islamischen Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA. Um die von ihnen angestrebten Lebensumstände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel 243 Islamismus herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Überlegenheit des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Terroristische Organisationen "Al-Qaida" "Al-Qaida" hat seit ihrer Gründung in den 1980er-Jahren durch Usama Bin Ladin das Ziel der Bekämpfung von "Ungläubigen". Neben unzähligen weltweit verübten Anschlägen von "al-Qaida", gelten die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington zweifelsfrei als die verheerendsten auf die westliche Welt. Die damit einhergehende Bekämpfung der Terrororganisation führte dazu, dass "al-Qaida" ihre Struktur vom einheitlichen stark hierarchischen Gebilde hin zur Regionalisierung in mehrere lokal verankerte terroristische Organisationen veränderte. Die folgende Aufzählung zeigt einige der weltweit agierenden "al-Qaida"-Ableger: f Die "al-Shabab" gilt in Afrika als eine der berüchtigtsten Terrororganisationen mit dem Ziel, einen islamischen Staat zu etablieren. Die Organisation gilt seit 2012 als "al-Qaida"-Ableger vor allem in den Ländern Somalia und Kenia. f Ein weiterer "al-Qaida"-Ableger ist "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM), der vor allem in den Maghreb-Staaten und in der Sahelzone aktiv ist und dort regelmäßig Anschläge verübt. f Der Ableger "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) ist vor allem im Jemen aktiv und nutzte die prekäre Lage im JemenKrieg für seine Etablierung im Land. Die Schlagkraft von AQAH wurde insbesondere durch den Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris am 07.01.2015137 deutlich, für den sie die Verantwortung übernahm. f Mit der "Jabhat al-Nusra" (JaN, auch: "al-Nusra Front") ist "alQaida" seit 2011 in dem weltweit wohl bedeutendsten Jihadschauplatz in Syrien und im Irak vertreten. 2016 trennte sich die JaN formal von "al-Qaida" und nannte sich fortan "Jabhat Fatah al-Sham" (JFS, "Front für die Eroberung der Levante"). Im Jahr 2017 wurde der organisatorische Dachverband "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS, "Organisation zur Befreiung der Levante") gegründet, der mehrere terroristische Milizen - u. a. auch 137 Der Hauptangeklagte wurde am 16.12.2020 in Paris zu 30 Jahren Haft verurteilt. 244 Islamismus die JFS als stärkstes Mitglied - vereint. Dabei löste sich HTS sowohl ideologisch als auch strategisch zunehmend von "alQaida" und verfolgt eine primär lokale Agenda. Dies führte zur Gründung der "al-Qaida"-nahen Gruppierung "Tanzim Hurras al-Din" (THD). Ferner steht HTS dem IS feindlich gegenüber und hat ihn als bedeutendste jihadistisch ausgerichtete Gruppierung in Syrien abgelöst. Im Dezember 2024 leitete HTS die Offensive "Abschreckung der Aggression" gegen das AssadRegime ein, unterstützt von türkisch-affiliierten Milizen. Diese Operation führte zum Sturz der Assad-Herrschaft in Syrien und zur Ernennung des HTS-Anführers Ahmed al-Scharaa (früher verwendeter Kampfname: Muhammed al-Dschaulani) als Übergangspräsidenten. f Die Gruppierung "Tanzim Hurras al-Din" (THD) trat erstmals im Februar 2018 in Syrien in Erscheinung und besteht vor allem aus ehemaligen Mitgliedern der HTS, die "Kern-al-Qaida" ihre Treue schworen. Somit gilt THD als lokaler "al-Qaida"-Ableger in Syrien. f Die Gruppierung "al-Qaida auf dem indischen Subkontinent" (AQIS) wurde im Jahr 2014 gegründet und gilt als "al-Qaida"Ableger in Südasien. Ihr Ziel ist es u. a., ein islamisches Kalifat zu errichten und die Scharia138 einzuführen. Neben den "nahen" Feinden, wie das pakistanische Militär, extremistische Hindus in Indien und die Regierungen in Bangladesch und Myanmar definiert AQIS die USA, Israel und darüber hinaus alle Christen und Juden als "fernen" Feind. f Außerdem unterhält "al-Qaida" gute Beziehungen zu Teilen der "Taliban", die seit Jahrzehnten vor allem in Afghanistan und in den umliegenden Ländern unzählige Terroranschläge verüben und seit August 2021 Afghanistan faktisch regieren. Oft besteht zwischen den "al-Qaida"-Ablegern eine intensive Verbindung zwecks gegenseitigen Trainings oder Waffenhandels. Im Vergleich zum Beginn der 2000er Jahre geht die eigentliche Gefahr von "al-Qaida" inzwischen von den lokalen Ablegern aus. Diese Organisationen berufen sich - neben einer jeweils eigenen 138 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 245 Islamismus regionalen Agenda - auf die "al-Qaida"-Ideologie des globalen militanten Jihad. Auch die Tötung des "Kern-al-Qaida"-Chefs Ayman az-Zawahiri am 31.07.2022 durch einen US-Drohnenanschlag in Kabul hatte kaum Einfluss auf die terroristischen A k tivit äten des globalen "al - Qaida"- N et z werk s, zumal az-Zawahiri in den letzten Jahren nur noch wenig öffentlich in Erscheinung getreten ist. Offiziell hat "al-Qaida" nach wie vor keinen Nachfolger für az-Zawahiri ernannt, auch wenn die USA und die Vereinten Nationen inzwischen den Ägypter Saif al-Adel als neuen führenden Kopf der Terrororganisation ansehen. Seit dem Angriff der HAMAS auf Israel am 07.10.2023 zeigte "alQaida" vermehrt Solidarität mit der HAMAS und dem "Islamischen Dschihad" im Gaza-Streifen. Historisch gesehen stand "al-Qaida" der HAMAS kritisch gegenüber, da sie deren nationale Agenda ablehnte und eine stärkere globale jhadistische Ausrichtung verfolgte. Dennoch versucht "al-Qaida" aktuell, das durch den GazaKrieg entstandene antiisraelische Klima zu nutzen, um sich wieder ins Zentrum des internationalen Jihad zu rücken. Die Propaganda der "al-Qaida"-Führung fokussiert sich auf die Unterstützung der palästinensischen Sache und ruft weltweit zu Angriffen gegen Israel und seine Verbündeten auf. Zudem vergleicht "al-Qaida" die Ereignisse des 07.10.2023 mit den Anschlägen vom 11.09.2001 und stellt sie damit in eine Reihe mit ihrer antiwestlichen Rhetorik. Diese Strategie dient dazu, neue Rekruten zu gewinnen und die Relevanz der Organisation in einer Zeit zu steigern, in der sie im Vergleich zur Terrororganisation "Islamischer Staat" an Einfluss verloren hat. "Islamischer Staat" (IS) Nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins im Jahr 2003 entstand im Irak ein Machtvakuum, in dem sich der Ableger "alQaida im Irak" (AQI) unter der Führung von Abu Musab az-Zarqawi behaupten konnte. Nach innerorganisatorischen Differenzen übernahm Abu Bakr al-Baghdadi im Jahr 2010 die Führung dieser Organisation. Al-Baghdadi konnte immer mehr lokale Jihadisten für sich gewinnen und ging Allianzen mit anderen jihadistischen Organisationen ein. Infolge ihrer finanziellen und strukturellen Stärke baute die Gruppierung ihre Macht aus und sagte sich 2013 mit der umbenannten Terrororganisation "Islamischer Staat im Irak und 246 Islamismus der Levante" (ISIL) von "al-Qaida" los, womit sie fortan im Konflikt zu "Kern-al-Qaida" und den "al-Qaida"Ablegern stand. Aufgrund der militärischen Erfolge und einer massiven und professionellen weltweiten Propaganda strömten tausende von europäischen Freiwilligen nach Syrien und in den Irak, um sich dort dem Kampf für einen islamischen Staat anzuschließen. Die Zahlen stiegen insbesondere, als sich die Organisation in Flagge des IS; In Deutschland verboten "Islamischer Staat" umbenannte und am 29.06.2014 das Kalifat ausrief. Mit dessen Ausrufung beanspruchte al-Baghdadi, nunmehr als Kalif Ibrahim auftretend, die Oberhoheit über alle Muslime weltweit. In der darauffolgenden Zeit etablierte der sogenannte Islamische Staat (IS) in den von ihm eroberten Gebieten mit brutaler Gewalt eine Staatlichkeit nach den vermeintlich wahren islamischen Prinzipien. Die Ende 2014 gegründete Internationale Allianz gegen den IS konnte die Terrororganisation dahingehend bekämpfen, dass alBaghdadi Ende Februar 2017 in einer Ansprache vor Anhängern die militärische Niederlage einräumte und die Kämpfer aufforderte, sich in unzugänglichen Bergregionen zu verschanzen. Im Laufe des Jahres 2017 verlor der IS den Großteil des bislang von ihm kontrollierten Territoriums, sodass der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi den IS im Irak für besiegt erklärte. Die andauernde Bekämpfung des IS führte darüber hinaus dazu, dass im Rahmen einer US-Militäroperation am 26.10.2019 al-Baghdadi getötet wurde. Die Nachfolger al-Baghdadis betonten jedoch, die Mission des IS weiterführen zu wollen und rufen nach wie vor zu weltweiten Anschlägen auf. IS-Anhänger wurden aufgefordert, gefangene Kämpfer zu befreien und neue Anhänger zu werben. Auf den territorialen Totalverlust des Kalifats reagierte der IS mit einer Änderung seiner Operationsweise, weg vom Staatsbildungsprojekt, zurück zu einer im Untergrund agierenden Terrororganisation. Durch den massiven militärischen Druck hat der IS zahlreiche Kämpfer und materielle Ressourcen verloren, wodurch er deutlich an Handlungsfähigkeit eingebüßt hat. Dennoch konnte der IS auch im Jahr 2024 seine Wirkmächtigkeit unter Beweis stellen und teils komplexe und aufwändige Terroranschläge 247 Islamismus in Syrien und im Irak verüben. Am 09.01.2024 tötete der IS in Syrien bei einem Angriff in der Nähe von Palmyra 14 syrische Soldaten und am 06.03.2024 in der Stadt Kobajeb in der Provinz Deir ez Zor mindestens 18 Menschen. Ein weiterer Angriff fand am 13.03.2024 in Ostdiyala (Irak) statt, bei dem sechs irakische Soldaten getötet wurden. In einer öffentlichen Erklärung gab das Zentralkommando der US-Streitkräfte (CENTCOM) am 16.07.2024 bekannt, dass der IS in Syrien und im Irak in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 153 Anschläge verübt hat. Dies entspricht einer Verdopplung der Anschläge im Vergleich zu 2023. Während der IS in der Vergangenheit groß angelegte, koordinierte und besonders medienwirksame Angriffe mit hoher Opferzahl durchführte, handelt es sich heute allerdings vielfach um kleinere, lokal begrenzte Operationen mit geringerem taktischen "Know-how". Laut CENTCOM deutet die Zunahme der Anschläge darauf hin, dass der IS versuchte, sich nach mehreren Jahren des Rückzugs neu zu formieren. Der IS entfaltet seit seiner Gründung eine starke Strahlkraft auch für die Bundesrepublik Deutschland. Seit Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak sind mit Stand Ende 2024 1.150 deutsche Islamistinnen und Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak ausgereist. Zu etwa 65 Prozent dieser gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, wonach sie u. a. auf Seiten des IS oder der "al-Qaida" an Kampfhandlungen teilgenommen oder diese in sonstiger Weise unterstützt haben. Etwa 40 Prozent der ausgereisten Personen befinden sich mittlerweile wieder in Deutschland. Aus Niedersachsen sind 85 Personen in das Krisengebiet ausgereist, von denen mittlerweile 43 nach Deutschland zurückgekehrt sind. Obgleich der IS in Syrien und im Irak sein Herrschaftsgebiet verloren hat, stärkt er die Präsenz in seinen Außengebieten umso intensiver. Der IS spricht von weltweit 20 Provinzen außerhalb von Syrien und des Irak, in denen er durch regionale Ableger vertreten sei. Oft handelt es sich hierbei um lokale Terrororganisationen, die sich dem IS anschließen und in seinem Namen Terroranschläge verüben. Außer mit eigenem Propagandamaterial unterstützt der IS seine lokalen Ableger mit finanziellen Mitteln, die nicht nur zur Umsetzung von Terroranschlägen dienen sollen, sondern ebenfalls zur Rekrutierung neuer Mitglieder sowie zur Behauptung des Einflussgebietes gegenüber konkurrierenden Terrororganisationen. 248 Islamismus IS-Ableger sind unter anderem in einigen Ländern Asiens vertreten, wie in Afghanistan, Indonesien, Indien oder auf den Philippinen, aber auch in Afrika. Hier konnte sich der IS vor allem in Nordafrika, der Sahelzone, der Tschadseeregion und in Ägypten ausbreiten. In all diesen Gebieten existiert ein idealer Nährboden für den Aufstieg des IS, wie Korruption, schwache oder gescheiterte Regierungen und ethnische und religiöse Konflikte. Auch im Jahr 2024 waren weltweit zahlreiche Terroranschläge dem IS zuzuschreiben, die häufig von seinen Ablegern verübt worden sind. Der derzeit bedeutendste dieser Ableger ist der "Islamische Staat in Afghanistan, Provinz Khorasan" (ISPK). Der ISPK, der 2015 gegründet wurde, hat seit seiner Entstehung zahlreiche Anschläge verübt, insbesondere gegen die schiitische Gemeinschaft sowie gegen die Taliban. Während Afghanistan lange Zeit im Mittelpunkt der Angriffe stand, führte die Terrororganisation im Jahr 2024 mehrere verheerende Anschläge im Ausland durch, darunter die Bombenanschläge am 03.01.2024 in Kerman, Iran und den Angriff auf die Crocus City Hall am 22.03.2024 in Moskau. Durch diese Taten demonstrierte der ISPK nicht nur seine internationale Handlungsfähigkeit, sondern auch seine Dominanz unter den globalen islamistischen Terrororganisationen, wodurch er unmissverständlich bewies, dass er in der Lage ist, komplexe und groß angelegte Anschlagszenarien weltweit zu verwirklichen. Andere Schwerpunkte von IS-Attentaten sind afrikanische Staaten. Z. B. verübte am 10.03.2023 die IS-nahe Terrororganisation "Boko Haram" in der nigerianischen Ortschaft Diwak in Grenznähe zum benachbarten Tschad einen Anschlag, bei dem 29 Menschen starben. Weitere Jihadschauplätze finden sich insbesondere in Indien, Indonesien, im Jemen, in Libyen, Pakistan, auf den Philippinen, in der Sahelregion und in Sri Lanka, wo der IS nach wie vor präsent ist. Das Ziel der Anschläge ist nicht nur, die Zielländer zu destabilisieren, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein zu bleiben und die Effektivität der eigenen Organisation zu demonstrieren. Jihadistische Organisationen wie der IS reklamieren Attentate für sich in der Hoffnung, mögliche finanzielle Unterstützer, z. B. aus den Golfstaaten für sich gewinnen zu können. 249 Islamismus "Taliban" Die "Taliban"-Bewegung wurde Anfang der 1990er Jahre in Pakistan gegründet und setzte sich aus paschtunisch-afghanischen Flüchtlingen und Veteranen Flagge der Taliban des Krieges gegen die Sowjetunion zusammen. Nachdem die "Taliban" ab 1994 weite Teile Afghanistans eroberten und sich ihnen zahlreiche Jihadisten anschlossen, riefen sie im Jahr 1996 das "Islamische Emirat Afghanistan" aus. Unter ihrer Herrschaft wurde das Land autoritär regiert und jegliche Opposition brutal unterdrückt. Sie führten die Scharia139 ein, was zu umfangreichen Einschränkungen, insbesondere für Frauen und Mädchen, führte. Unter der "Taliban"-Herrschaft fand "al-Qaida" unter der Führung von Usama Bin Ladin einen sicheren Unterschlupf und konnte sich mit der staatlichen Unterstützung der "Taliban" zu einer schlagkräftigen internationalen Terrororganisation entwickeln und die Terroranschläge vom 11.09.2001 vorbereiten und ausführen. Aufgrund dieser Unterstützung wurden neben "al-Qaida" auch die "Taliban" zum Ziel des Anti-Terror-Kampfes der USA. Nach 9/11 intervenierten die USA und weitere Verbündete militärisch, woraufhin die "Taliban"-Herrschaft bereits Ende 2001 beendet wurde und zahlreiche Anhänger vor allem nach Pakistan flüchteten. In den darauffolgenden Jahren entwickelten sich die "Taliban" zu einer brutalen Terrororganisation, die weiterhin bemüht war, Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei verstrickten sie die internationalen Truppen in einen Guerillakrieg und nutzten insbesondere Selbstmordattentate, um nicht nur ihre Feinde, sondern auch die Stabilität des gesamten Landes zu schwächen. Nach einem UN-Bericht waren die "Taliban" in dem 20 Jahre andauernden Bürgerkrieg für circa 75 Prozent der zivilen Opfer verantwortlich. Nach knapp 20 Jahren führten die USA und die "Taliban" erstmals Gespräche mit dem Ziel, Frieden in das vom Bürgerkrieg geplagte Land zu bringen. In dem sogenannten Abkommen von Doha wurde im Jahr 2020 eine Friedensvereinbarung getroffen, die Sicherheitszusagen seitens der "Taliban" und den Abzug aller USund internationalen Truppen regelten. Danach gab es zwar eine weitgehende 139 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 250 Islamismus Waffenruhe zwischen den "Taliban" und den USA und deren Verbündeten, jedoch bemühten sich die "Taliban" weiterhin, Gebiete in Afghanistan zu erobern und verübten zahlreiche Terroranschläge gegen die afghanischen Streitkräfte. Zum 31.08.2021 wurden entsprechend des Doha-Abkommens alle USund internationalen Truppen aus Afghanistan abgezogen. In der Folge konnten die "Taliban" innerhalb weniger Tage fast das gesamte Land erobern. Die meisten Gebiete wurden kampflos übergeben. Während die "Taliban" schließlich Mitte August 2021 Kabul kampflos einnahmen, floh der afghanische Präsident aus dem Land. Die "Taliban" erklärten sich zum Sieger und riefen erneut das "Islamische Emirat Afghanistan" aus. Seit deren Machtergreifung werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen registriert. U. a. werden die Rechte von Frauen und Mädchen immer stärker eingeschränkt, Medien unterdrückt und (vermeintliche) Kritikerinnen und Kritiker mundtot gemacht. Bei Verstößen droht die Religionspolizei mit zum Teil öffentlichen Prügelstrafen, Auspeitschungen, Verstümmelungen oder Gefängnis. Die Taliban sehen sich in Afghanistan weiterhin mit der Bedrohung durch den "Islamischen Staat Provinz Khorasan" (ISPK) konfrontiert. Während die "Taliban" eine islamistische Regierung führen, verfolgt der ISPK das Ziel, ein umfassendes Kalifat zu errichten, das Afghanistan, Pakistan sowie Teile Zentralasiens umfassen soll. Rund drei Viertel der ISPK-Anschläge zielen auf die "Taliban", deren Herrschaft von der Terrororganisation als nicht legitim betrachtet wird. Die Instabilität des Landes ermöglicht es dem ISPK, neue Kämpfer zu rekrutieren und seine Präsenz insbesondere entlang der Grenzen zu Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan auszubauen. Ebenso haben die "Taliban" im Jahr 2024 ihre Repressionen gegenüber afghanischen Frauen weiter verschärft. Zu den neuen, restriktiven Gesetzen gehört die vollständige Verhüllung von Frauen in der Öffentlichkeit. Zudem wurde Frauen das öffentliche Sprechen untersagt, da die Taliban behaupten, ihre Stimmen seien eine Quelle von Sünde und als "Aura"140 zu betrachten. Dies stellt eine weitere massive Einschränkung für Frauen in Afghanistan dar. Mit diesen 140 Arabisch für "Schambereich". 251 Islamismus Vorschriften verfolgen die Taliban das Ziel, Frauen vollständig aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, indem sie ihre Körper und Stimmen sexualisieren und objektifizieren. Trotz innerafghanischen Widerstands, internationalen Drucks und scharfer Kritik, etwa von den Vereinten Nationen, zeigt das Regime keine Anzeichen, seine rigiden Gesetze zu lockern. Terror-Propaganda Terrororganisationen nutzen das Internet ganz intensiv zur Verbreitung ihrer jihadistischen Propaganda. Allen voran sind auch hier "al-Qaida" und der IS zu nennen, die unterschiedliche Formate wie Bilder, Videos, Zeitschriften, Anschlagsberichte und Interviews über soziale Netzwerke im Internet verbreiten. Zur Bedeutung der Online-Propaganda sagte bereits der "al-Qaida"Gründer Usama Bin Ladin: "Es ist offensichtlich, dass in diesem Jahrhundert der Medienkrieg die stärkste Waffe ist." Und tatsächlich besagen zahlreiche Studien, dass die langjährige Existenz von terroristischen Organisationen allein aufgrund der Möglichkeiten des Internets und der damit verbundenen weltweiten Vernetzung möglich ist. Die jihadistische Propaganda dient oft der Verbreitung der eigenen Ideologie, der Einschüchterung, der Rekrutierung neuer Mitglieder und letztlich der Ausdehnung des eigenen Einflussgebietes. Für die Terrororganisationen hat das Internet als Propaganda-, Rekrutierungsund Ausbildungsinstrument für Jihadisten eine überaus wichtige Funktion. Propaganda im Netz wird in internen Kreisen sogar als eine Form des Jihads anerkannt. Jihadisten nutzen die Möglichkeiten des Internets gezielt und fachkundig und reagieren schnell auf aktuelle Entwicklungen. Anhänger und Sympathiserende der Szene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen können, spielen eine bedeutende Rolle im virtuellen Raum und leisten einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des globalen Jihads. Dies gilt umso mehr, als in Terrororganisationen überaus viele Ingenieure und Informatiker vertreten sind, die über eine entsprechende ITKompetenz verfügen. Maßgeblich für die weltweite Verbreitung und Wirksamkeit der Jihadpropaganda war, dass die Terrororganisationen ihre 252 Islamismus Publikationen zunehmend auch in englischer und später noch in weiteren westlichen Sprachen veröffentlichten. So konnten sie ihren Einfluss auf die Radikalisierung von Islamisten weltweit ausdehnen. In zahlreichen Artikeln wurde zudem detailliert die Funktionsweise von Sprengstoff und die Planung von Anschlägen erklärt, was die Hürden zur Durchführung von Anschlägen für radikalisierte Einzelpersonen maßgeblich reduziert hat. Ein Beispiel hierfür ist der Artikel in einem "al-Qaida"-Magazin mit dem Titel "How to make a Bomb in the Kitchen of your Mom". Zwischenzeitlich existierten mehrere professionell aufgemachte und in verschiedene Sprachen übersetzte Online-Zeitschriften von "alQaida" und dem IS. Mit der Zurückdrängung dieser Terrororganisationen haben sich Umfang und Frequenz der Veröffentlichungen deutlich reduziert. Stattdessen greifen die internationalen Terrororganisationen auf die Praxis zurück, Rohmaterial zur Verfügung zu stellen, das ihre Anhänger dann entsprechend aufbereiten und u. a. über ihre Telegram-Kanäle weiterverbreiten. Dabei handelt es sich um gewaltverherrlichende Bilder, Videos und Audiodateien, aber auch Anleitungen zum Bombenbau und klare Aufrufe zu Anschlägen. Im Mittelpunkt der Propaganda der internationalen Terrororganisationen stand zuletzt weniger die Ausreise in die Jihadgebiete, sondern vielmehr der Aufruf, einfach umzusetzende Einzeltäteranschläge mit möglichst leicht zu beschaffenden Hilfsmitteln zu verüben. Seit dem Angriff der HAMAS auf Israel am 07.10.2023 ist wieder eine intensivere Verbreitung der Terrorpropaganda wahrzunehmen, wobei der Fokus verstärkt auf dem schwelenden Nahost-Konflikt liegt. Vor allem heroisiert die Propaganda den Kampf gegen Israel und fordert Solidarität mit den jihadistischen Kämpfern. Der andauernde Konflikt wird als Katalysator genutzt, um zum globalen Jihad aufzurufen und für Einzelangriffe im Westen zu mobilisieren. Der Inhalt der Propaganda ist ausdrücklich darauf ausgerichtet, 253 Islamismus Einzelpersonen zu radikalisieren, zu mobilisieren und zu befähigen, Angriffe auszuführen. Es werden detaillierte Anweisungen zur Auswahl von Zielen und zur Wahl des Modus Operandi gegeben sowie umfassende Handbücher zur Waffenherstellung bereitgestellt. Ein weiterer zentraler Aspekt dieser Propaganda ist die Heroisierung von Einzeltätern. Diese werden als Märtyrer und als Symbol des Widerstands gegen den Westen stilisiert, wodurch eine emotionale Bindung erzeugt wird, die den Drang zur Nachahmung und zur Durchführung von Anschlägen verstärkt. Diese emotionalisierende Darstellung soll die Vorstellung fördern, dass die Täter für eine größere, globale Sache kämpfen und eine bedeutende Rolle im Kampf gegen den "Feind" spielen. Dies dient nicht nur der Motivation, Anschläge zu begehen, sondern auch der Schaffung eines Ideals, das zur Nachahmung anregen soll. Dass dieses Muster verfängt, ließ sich in mehreren Anschlägen in Europa im Jahr 2024 erkennen. Anschlagsgeschehen 2024 Im Jahr 2024 war weltweit eine Vielzahl an islamistischen Anschlägen zu verzeichnen. Dies ist maßgeblich der jihadistischen Propaganda geschuldet, die den Westen zunehmend in ihren Fokus nimmt sowie einzelnen Ereignissen wie Koranverbrennungen und dem israelischpalästinensischen Konflikt, die durch die Terrororganisationen bewusst emotional kommuniziert werden, um für Anschläge zu mobilisieren. 254 Islamismus f Am 03.01.2024 forderte ein Bombenanschlag während der Gedenkfeier für den iranischen General Soleimani in Kerman (Iran) etwa 90 Tote und 280 Verletzte. Der ISPK übernahm die Verantwortung für die Tat. f Am 28.01.2024 griffen mehrere Täter einen katholischen Gottesdienst in der Santa-Maria-Kirche in Istanbul (Türkei) an und erschossen einen Mann. Die Terrororganisation ISPK bekannte sich zu dem Anschlag. f Am 07.02.2024, einen Tag vor den Parlamentswahlen in Pakistan, töteten zwei Bombenanschläge auf Wahlkampfbüros in der pakistanischen Provinz Belutschistan mindestens 30 Personen und verletzten über 40 Personen. Der IS bekannte sich in einer Erklärung, die über die IS-nahe Nachrichtenagentur Amaq veröffentlicht wurde, zu der Tat. f Am 02.03.2024 erstach ein 15-jähriger Schweizer tunesischer Herkunft in der Züricher Innenstadt (Schweiz) einen orthodoxen Juden. Er soll ein Video produziert haben, in dem er dem IS die Treue schwört. f Am 21.03.2024 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf eine Filiale der New Kabul Bank in Kandahar (Afghanistan) mindestens 21 Menschen getötet und mindestens 51 verletzt. Der IS übernahm die Verantwortung und erklärte, das Ziel seien die "Taliban" gewesen. f Am 22.03.2024 verübte der ISPK einen Anschlag in Krasnogorsk (Russland). Vier Angreifer eröffneten das Feuer auf die Menschen in der Veranstaltungshalle Moscow Crocus Hall und legten Feuer, wodurch 144 Menschen ums Leben kamen und 360 verletzt wurden. f Am 15.04.2024 stach ein 16-Jähriger während einer Predigt in Sydney (Australien) auf einen Bischof und mehrere Kirchenbesucher ein. Er soll während des Angriffs "Allahu Akbar" gerufen haben. f Am 15.06.2024 wurden in der Nähe einer schiitischen Moschee in Muscat (Oman) sechs Personen durch Schüsse getötet und 28 verletzt. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag. f Am 29.06.2024 griff ein 25-jähriger serbischer Konvertit die israelische Botschaft in Belgrad (Serbien) mit einer Armbrust an. Der Angreifer wurde von einem Wachbeamten erschossen. 255 Islamismus f Am 29.07.2024 griff ein 17-Jähriger ein Tanzstudio in Southport (Vereinigtes Königreich) an und tötete dabei drei Mädchen im Alter von sechs bis neun Jahren. Außerdem wurden Anklagen wegen der Herstellung des Giftes Ricin und des Besitzes einer militärischen Studie eines "Al-Qaida"-Ausbildungshandbuchs erhoben. Inwiefern die islamistische Ideologie ausschlaggebend für die Tatdurchführung gewesen ist, wird noch ermittelt. Anschläge in Deutschland f Am 31.05.2024 griff ein 25-jähriger Afghane mit einem Messer mehrere Teilnehmende der Versammlung der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) in Mannheim (Hessen) an. Ein eingreifender Polizeibeamter erlitt lebensgefährliche Verletzungen durch mehrere Stiche im Hals und verstarb infolge der Verletzungen am 02.06.2024. Der Täter hegt Sympathien für den IS und teilt dessen Ideologie. f Am 23.08.2024 attackierte ein 26-jähriger Syrer während des Festivals der Vielfalt in Solingen (Nordrhein-Westfalen) mehrere Personen mit einem Messer. Drei Festivalbesucher wurden getötet, acht weitere verletzt. Der Attentäter hatte dem IS einen Treueeid geschworen. f Am 06.09.2024 griff ein 29-jähriger Albaner eine Polizeiwache in Linz (Rheinland-Pfalz) mit einer Machete an und schrie "Allahu Akbar". Die Ermittlungen ergaben, dass er IS-Sympathisant war. Vereitelte Anschläge in Deutschland Neben den aufgeführten Anschlägen gab es im Jahr 2024 auch zahlreiche Anschlagsplanungen tatgeneigter Islamisten, die frühzeitig aufgedeckt oder in einem konkreten Vorbereitungsstadium vereitelt wurden. In Deutschland waren dies u. a. die folgenden Fälle: f Am 19.03.2024 ließ die Bundesanwaltschaft in Gera (Thüringen) zwei mutmaßliche Islamisten festnehmen, die Anschläge auf Polizisten und andere Personen in Stockholm (Schweden) geplant haben sollen. Das Motiv war die Koranverbrennung in Schweden. Die Beschuldigten stehen dem IS und dessen regionalem Ableger ISPK nahe. f Am 12.09.2024 wurde in Hof (Bayern) ein 27-jähriger Syrer festgenommen, der einen Angriff auf Bundeswehrsoldaten geplant 256 Islamismus haben soll. Der Verdächtige hatte sich zwei Macheten besorgt, um Soldaten während ihrer Mittagspause in der Innenstadt anzugreifen. Ermittler gehen davon aus, dass er möglicherweise Anhänger des IS ist. Der Mann befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. f Am 20.10.2024 wurde in Bernau bei Berlin (Brandenburg) ein 28-jähriger Libyer festgenommen, der einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben soll. Er gilt als Anhänger des IS und soll einen "öffentlichkeitswirksamen" Angriff mit Schusswaffen vorbereitet haben. Der Verdächtige sitzt in Untersuchungshaft. Die Behörden wurden auf ihn aufmerksam, weil er sich in einem Chat mit einem IS-Mitglied über die Anschlagspläne ausgetauscht hat. Das Motiv für den geplanten Anschlag wird sowohl im Antisemitismus als auch im Islamismus verortet. f Am 06.11.2024 wurde in Elmshorn (Schleswig-Holstein) ein 17-jähriger Deutsch-Türke festgenommen, der einen Anschlag mit einem Lkw auf einen Weihnachtsmarkt geplant haben soll. Es wird wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt und von einem islamistischen Hintergrund ausgegangen. Bereits am 07.11.2025 wurde Haftbefehl gegen den Verdächtigen erlassen. Islamistisch-terroristische Szene in Deutschland Die geplanten Anschläge zeigen, dass auch in Deutschland Einzelpersonen und Kleingruppen ansässig sind, die an eine terroristische Organisation angebunden sind oder sich durch digital verfügbares Propagandamaterial haben indoktrinieren lassen. Die islamistischterroristische Szene in Deutschland spiegelt die Heterogenität der globalen jihadistischen Bewegung wider. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistisch-terroristischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Kleingruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische Organisation angebunden sind, aber deren Ideologie vertreten und im Sinne der von "al-Qaida" oder dem IS vorgegebenen Leitlinien agieren. Die Rekrutierung und Mobilisierung dieser Personen erfolgt einerseits durch die massive Internetpropaganda der internationalen 257 Islamismus islamis tis chen Terrororganis ationen für einen individuellen militanten Jihad im Westen. Andererseits können dichotom vermittelte Weltbilder und erzeugte Bedrohungsszenarien heimischer Akteure und Prediger zu einer Radikalisierung mit dem Wunsch führen, aus der wahrgenommenen vermeintlichen Ungerechtigkeit mittels Gewalt auszubrechen. Die Erklärung, Andersgläubige seien für die vermeintlichen Missstände und Unterdrückung verantwortlich, weist diese als Zielgruppe für Anschläge aus. Social Media Erklär-Video der NiedersächDass die Gefährdungslage in Deutschland weiterhin sischen Innenministerin zur islamistischen Bedrohungslage im Kontext der Veröffenthoch ist, zeigt die hohe Zahl der im Jahr 2024 verübten lichung des Jahresberichts 2023 und vereitelten Anschläge. Hoch emotionalisierende politische Ereignisse, wie der israelisch-palästinensische Konflikt können dazu führen, dass Einzelpersonen im Angesicht wahrgenommener vermeintlicher Ungerechtigkeit die Anwendung von Gewalt als legitim und nötig erachten. Das Gefahrenpotenzial solcher Personen ist nur schwer zu erfassen und führt deshalb zu einer erhöhten Bedrohungslage für Deutschland. Die seit Jahren bestehende Drohkulisse islamistischer Terrororganisationen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und das Vorliegen entsprechender Gefährdungshinweise lassen sich auch anhand von Zahlen festmachen. Zum Ende des Jahres 2024 liegt das durch die deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistischterroristische Personenpotenzial bei rund 1.660 Personen. Dabei handelt es sich sowohl um den polizeilich definierten Personenkreis der "Gefährder" und "Relevanten Personen", als auch um die durch die Verfassungsschutzbehörden darüber hinaus als gewaltbereit eingeschätzten Personen. Modus Operandi Die im Jahr 2024 und auch in den Vorjahren verübten Anschläge zeigen durchgehend einen Modus Operandi, der genau den in der jihadistischen Propaganda dargestellten Methoden entspricht. Demnach sollen sich Anschläge durch eine unspezifische Opferauswahl, unterschiedliche Anschlagsorte, lose bis gar keine Kommandostrukturen und eine einfache Durchführbarkeit auszeichnen. Dieses Vorgehen entpuppt sich für die islamistischen 258 Islamismus Terroristen zunehmend als überaus effektive Strategie: Alle Anschläge wurden von radikalisierten Einzelpersonen oder Kleingruppen begangen. Dabei wurden überwiegend leicht zu beschaffende und sehr effiziente Tatwaffen wie Messer oder Kraftfahrzeuge eingesetzt. Dieses Vorgehen erfordert einen geringeren Planungsaufwand und reduziert das Risiko einer Aufdeckung der Planungen durch die Sicherheitsbehörden im Vorfeld der Tat. Terrororganisationen veröffentlichen regelmäßig Handlungsempfehlungen für derartige Anschläge, die einen größtmöglichen Schaden anrichten sollen. So heißt es in einer Ausgabe der IS-Zeitschrift "Rumiyah" zu Anschlägen mit Kraftfahrzeugen, dass am besten ein "doppelrädriger Lastwagen" geeignet sei, der ein "leicht angehobenes Fahrgestell und Stoßstangen" sowie eine "gute Beschleunigung" aufweisen sollte. Derjenige, der auf diese Weise einen Anschlag durchführen wolle, könne einen entsprechenden Lkw kaufen, mieten oder ihn sich "mit Gewalt oder Täuschung" von einem "Kafir" (= Ungläubiger) beschaffen. Ebenso gibt es Anweisungen zu Angriffen mit Hiebund Stichwaffen. Der IS veröffentlichte z. B. Videos, in denen die Auswahl der richtigen Stichwaffe und der Einsatz von Messern in den unterschiedlichen Körperregionen erklärt wird, um den angegriffenen Personen größtmöglichen Schaden zuzufügen. Diese Vorgehensweise von Einzeltätern oder Kleingruppen ist u. a. auf den bereits im Jahr 2012 im "al-Qaida"-Propagandamagazin "Inspire" veröffentlichten Aufruf des Jihadtheoretikers Abu Mus'ab al-Suri, der den individuellen Jihad in den westlichen Ländern als eine der wichtigsten Strategien ansieht, zurückzuführen: "Das Fundament der operativen Aktivität ist, dass der Mujahid den individuellen Jihad in dem Land praktiziert, in dem er lebt, so dass er den Aufwand einer Reise in das Gebiet, wo der Jihad direkt praktiziert wird, nicht auf sich nehmen muss." (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) 259 Islamismus "Ideale Ziele" seien nach Meinung von al-Suri: "1. Große Veranstaltungen im Freien, Kongresse, Feiern und Paraden 2. Überfüllte Fußgängerzonen (Hauptstraßen) 3. Märkte im Freien 4. Kundgebungen im Freien" (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) Täterprofile Die Täter islamistisch motivierter Anschläge haben unterschiedliche Hintergründe, die sich nicht durch ein eindeutiges Profil beschreiben lassen. Allerdings lassen sich bei der Betrachtung einzelner Aspekte gewisse wiederkehrende Muster identifizieren. Dies ist zum einen die Frage, wo die jihadistische Radikalisierung stattfand: f Einheimische Terroristen sind im Land des Anschlagsziels aufgewachsen und gelten gemeinhin als in der Gesellschaft integrierte Personen. Bei diesem Täterprofil kann es sich sowohl um Einwanderer als auch um Konvertiten handeln. Die Radikalisierung solcher Personen erfolgt zumeist online, wenn auch in einigen Fällen durch Einfluss lokaler extremistischer Prediger. f Terroristen mit Kampferfahrung aus Jihadgebieten haben bereits eine Ausbildung durch eine jihadistische Terrororganisation erhalten und leben z. B. als Jihadrückkehrer oder getarnt als Flüchtlinge im Westen. Sie verfolgen entweder eine langfristige Agenda oder externe Einflüsse veranlassen sie kurzfristig, für eine jihadistische Organisation zu handeln. Die Radikalisierung solcher Personen erfolgt generell im Heimatland durch den direkten Kontakt mit jihadistischen Organisationen. Zum anderen unterscheiden sich die Attentäter dadurch, inwieweit sie in Strukturen eingebunden sind: f Einzeltäter oder "Einsame Wölfe" agieren im Wesentlichen allein, ohne Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe und ihre Handlungen sind in der Regel selbstbestimmt. Die genaue Ausführung der Tat ist von zentraler Bedeutung. Auch wenn ein Einzeltäter einer extremistischen Organisation angehören kann, ist entscheidend, dass der Anschlag oder das Attentat von ihm selbst geplant und durchgeführt wird, ohne eine 260 Islamismus direkte Einwirkung von anderen Personen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Täter durch eine extremistische Ideologie beeinflusst oder durch gesellschaftliche Strömungen motiviert wurden. Ein Treueeid allein zeigt zwar eine erhebliche ideologische Nähe zur Terrorgruppe, zeugt aber noch von keiner tatsächlichen operativen Einbindung. Sowohl einheimische selbst radikalisierte Akteure als auch Personen mit Kampferfahrung aus Jihad-Gebieten können potenziell als "Einsame Wölfe" agieren. Der Begriff "Einzeltäter" bezieht sich daher primär auf die eigenständige Planung und Umsetzung der Tat, auch wenn der Täter ideologisch motiviert ist oder in indirektem Kontakt mit einer größeren Gruppe steht. f Terrorgruppen oder Terrorzellen hingegen sind durch enge Verbindungen zu einer Terrororganisation gekennzeichnet. Die Täter stehen in direkter Verbindung zu dieser Gruppe, erhalten möglicherweise spezifische Anweisungen sowie Unterstützung bei der Umsetzung eines Anschlagsplans. Im Gegensatz zu den sogenannten Einsamen Wölfen handelt es sich hier um koordinierte Aktionen, bei denen nicht nur einzelne Individuen, sondern auch organisierte Strukturen eine Rolle spielen. Die Tat wird oft im Rahmen von "Teamwork" ausgeführt, bei der mehrere Personen in die Planung und Umsetzung des Anschlags eingebunden sind. Die Verbindungen zur Terrororganisation und deren Unterstützung führen zu einer differenzierten und komplexeren Dynamik, die sich von den Handlungen von Einzeltätern erheblich unterscheidet. Psychische Auffälligkeiten Häufig ist im Zusammenhang mit Anschlägen durch Einzeltäter festzustellen, dass Täter psychische Auffälligkeiten aufweisen. Allerdings ist meist nicht eindeutig zu klären, ob diese Auffälligkeiten tatsächlich die Hauptursache für die Tat sind oder ob islamistische Motive im Vordergrund stehen. Trotz jahrzehntelanger Forschung zu den Zusammenhängen zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Anschlägen konnten bisher keine eindeutigen Beweise dafür vorgelegt werden. In einer der wenigen phänomenübergreifenden Studien, die sich mit verschiedenen Tätertypen beschäftigt, zeigt sich jedoch, dass im Feld 261 Islamismus der Einzeltäter psychische Auffälligkeiten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung durchaus häufiger festgestellt wurden, ebenso wie im Vergleich zu in Gruppen agierenden Tätern.141 Sofern bei den Attentätern Hinweise auf psychische Auffälligkeiten vorlagen, waren diese meist nicht offiziell diagnostiziert. Oft sprechen Angehörige oder Bekannte erst nach der Tat von psychischen Auffälligkeiten. Gründe für eine Radikalisierung und die Tatumsetzung lassen sich häufig aber auch in zerrütteten Biografien der Attentäter finden, ähnlich wie bei allgemeinkriminell auffällig gewordenen Personen. Ob und inwieweit Personen mit psychischen Erkrankungen anfälliger für extremistische Ideologien und/oder Gewalt sind, bedarf weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Sicherheitsbehörden stellt das vor die Herausforderung zu beurteilen, ob eher die Verhaftung in der islamistischen Ideologie oder die psychische Erkrankung ursächlich für die Tat war. Häufig sind Personen, die nicht in die westlichen Gesellschaften integriert sind, und sich verloren fühlen anfälliger für Propaganda islamistischer Terrororganisationen. Psychische Probleme können die Anfälligkeit bei diesem Personenkreis jedoch verstärken. Der genaue Zusammenhang zwischen psychischer Auffälligkeit, Radikalisierung und Gewaltausübung ist bislang noch nicht ausreichend aufgeklärt. Da Islamisten oft traditionelle Heilmethoden und mystische Erklärungen für psychische Krankheitssymptome bevorzugen, bleiben psychische Erkrankungen oft unerkannt und/ oder werden falsch behandelt. Auch wenn derzeit keine validen Daten vorliegen, nach denen islamistisch motivierte Anschläge mehrheitlich von psychisch auffälligen Personen verübt werden, wird das mögliche Zusammenspiel zwischen Radikalisierung, Gewaltanwendung und psychischen Erkrankungen die Sicherheitsbehörden weiterhin beschäftigen. 5.5 Muslimbruderschaft (MB) Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 170 Publikationen: Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) 141 Corner, E., Gill, P. (2015): A False Dichotomy? Mental Illness and Lone-Actor Terrorism. In Law and Human Behavior, Bd. 39, Nr. 1, S. 23-24 262 Islamismus Kurzportrait/Ziele: Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islams" bezeichnete "Muslimbruderschaft" (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Die MB ist nach eigenen Angaben in über 70 Ländern präsent, in Deutschland u. a. durch die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), die sich 2018 in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt hat. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia142 als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islams" verstanden. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) 142 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 263 Islamismus Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische Gruppen beeinflusste. Nach eigenen Angaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zutage Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Nach nur einjähriger Präsidentschaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit reagierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Die massiven Proteste von Anhängern der MB gegen die Absetzung Mursis wurden vom Militär niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regierung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der sogenannte Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Der derzeitige Murschid Amm, Muhammad Badie, wurde nach dem Sturz Mursis in Ägypten inhaftiert und zum Tode verurteilt, aber bislang nicht hingerichtet. Die "Muslimbruderschaft" in Deutschland und in Niedersachsen Bereits der im September 2022 in Doha verstorbene Yusuf alQaradawi, ein weiterer einflussreicher Vordenker der weltweit agierenden MB, bemerkte, "der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf" und formulierte damit das Ziel seiner 264 Islamismus Bewegung: Eine friedliche Eroberung durch Mission und gezieltes Engagement, eine "Islamisierung von unten". Dabei setzt die MB auf eine Durchdringung der Gesellschaft durch eine geschulte muslimische Elite, die einerseits als Vertreter der Muslime und ihrer Interessenlagen vor Staat und Gesellschaft fungiert, andererseits über erhebliche Einflussmöglichkeiten verfügt. Das macht sie zudem zu augenscheinlich souveränen Ansprechpartnern in Belangen der politischen Bildung, der Integration oder anderen gesamtgesellschaftlichen Frageund Problemstellungen für Kommunen, Land und die Politik im Allgemeinen. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele und der Verbreitung ihrer Interpretation des Islams dienen verschiedene sogenannte islamische Zentren als organisatorische Stützpunkte. Gewalttätige Aktivitäten der MB in Deutschland wurden bisher nicht festgestellt. Die wichtigste Organisation in Deutschland, die das Gedankengut der MB vermittelt, ist die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), die sich vor der Umbenennung im Jahr 2018 als "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) bezeichnete. Die DMG verwendet nach eigenen Angaben den neuen Namen, um eine stärkere Verbundenheit zu Deutschland zu zeigen. Im Jahr 2019 verlegte die DMG ihren Vereinssitz von Köln nach Berlin. Neben diesem Hauptsitz betreibt die DMG mehrere sogenannte islamische Zentren. Ein islamisches Zentrum ist der Verein "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e. V."143. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt sie u. a. auf Moscheen in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Osnabrück und Wolfsburg Einfluss aus. Durch Lehrangebote, wie z. B. Korankurse und Sira144 -Schulungen in Moscheen werden u. a. auch ideologische Inhalte der MB verbreitet. Die DMG hat 2019 wegen ihrer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Bundes Klage erhoben. Das gerichtliche Verfahren 143 Dieses Zentrum darf nicht verwechselt werden mit der zwischenzeitlich verbotenen "DMG Braunschweig". 144 Der arabische Begriff "Sira" bezeichnet die "Biografie des Propheten Muhammad". 265 Islamismus endete im August 2021 mit der Rücknahme der Klage durch die DMG. Anfang 2022 wurde die DMG auf Beschluss der Vertreterversammlung aus dem "Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V." (ZMD) ausgeschlossen. Die DMG war Gründungsmitglied des ZMD. Offiziell hat der ZMD keine Begründung für den Ausschluss der DMG kommuniziert, er ging aber einher mit einer öffentlichen Diskussion über die Verbindungen der DMG zum weltweiten Netzwerk der MB. Insgesamt ist eine Zunahme des Einflusses dieser Dachorganisation auf die Gesellschaft festzustellen. Dies liegt u. a. an den beachtlichen überregionalen Aktivitäten sowie der starken Medienpräsenz der DMG, deren Vertreter gesellschaftlich wichtige Positionen anstreben oder innehaben und deshalb häufig gut vernetzt sind. Oft sind es Verantwortliche in Verbänden, Vereinen und Institutionen, die die Ideologie der MB in die Gesellschaft transportieren Auch die Ableger der MB aus anderen islamischen Staaten, in deren politischen Systemen ihnen eine besondere Rolle zuteil wird, sind teilweise in Deutschland und Niedersachsen aktiv. Zu nennen ist hier die tunesische Partei "En-Nahda", von der einige Mitglieder in Niedersachsen wohnhaft sind. Bei der auf der EU-Terrorliste geführten HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") handelt es sich um den palästinensischen Zweig der MB. Seit 2006 kontrolliert die HAMAS den Gazastreifen und führt dort ein Regime, das die Rechte von Frauen und Minderheiten beschneidet und hart gegen gewaltfrei agierende Oppositionelle vorgeht. Die grundsätzliche Zielsetzung der HAMAS ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas und damit die Vernichtung des Staates Israel. Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, was demzufolge auch das Territorium des Staates Israel einschließt. In ihrer Charta führt die HAMAS aus, dass es eine Pflicht für alle Muslime sei, den Jihad als bewaffneten Kampf gegen Israel zu betreiben und bedient dabei auch antisemitische Verschwörungstheorien. Immer wieder äußern sich Anhängerinnen und Anhänger 266 Islamismus auch in Deutschland israelfeindlich und antisemitisch unter Bezugnahme auf die islamistische Ideologie. Westliche Staaten wie Deutschland werden von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten. Dementsprechend sind auch in Niedersachsen einzelne Anhänger und Funktionäre der HAMAS ansässig. Mit welcher Brutalität die HAMAS bei der Bekämpfung Israels vorgeht, wurde am 07.10.2023 deutlich, als die HAMAS mit verbündeten palästinensischen Terrorgruppen unter dem Namen "Operation alAqsa-Flut" aus dem Gazastreifen heraus einen groß angelegten terroristischen Überfall gegen Israel beging. Bei den dabei verübten Massakern an der israelischen Zivilbevölkerung wurden rund 1.200 Menschen ermordet, mehr als 5.400 Menschen verletzt und massive sexualisierte Gewalt gegen Frauen verübt. Zudem wurden bei dem Angriff am jüdischen Feiertag Simchat Torah etwa 240 Menschen als Geiseln nach Gaza entführt. Der Terrorangriff der HAMAS stellt den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust dar. Der durch den Terrorangriff ausgelöste Krieg Israels gegen die HAMAS hatte die Tötung zahlreicher Führungspersönlichkeiten und die Zerschlagung wichtiger Strukturen der HAMAS zur Folge. Besonders die Tötungen von Ismail Haniyya, dem Chef des Politbüros der HAMAS am 31.07.2024 und seines Nachfolgers Yahya Sinwar, der auch als Planer des Terrorangriffs vom 07.10.2023 gilt, am 16.10.2024 sind hier herauszustellen und haben zu einer deutlichen Schwächung der Schlagkraft der HAMAS geführt. Infolge des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) die Betätigung der HAMAS sowie die Verwendung von Kennzeichen der HAMAS am 02.11.2023 verboten. Das Verbot ist seit dem 20.12.2023 unanfechtbar. Laut BMI läuft die Tätigkeit der HAMAS im Bundesgebiet Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG. Zudem beeinträchtige ihr Zweck oder ihre Tätigkeit erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland (SS 14 Abs. 2 Nr. 1, 4. Var. VereinsG). Im Rahmen von nachgelagerten vereinsrechtlichen Vollzugsmaßnahmen des BMI fanden am 23.11.2023 Durchsuchungen in Berlin, 267 Islamismus Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und in einem Objekt in Niedersachsen statt. Zu den verbotenen Kennzeichen gehört laut Verfügungstenor auch die Parole "Vom Fluss bis zum Meer" sowohl auf Deutsch als auch in anderen Sprachen. Im Nachgang zur Verbotsverfügung stellte das BMI im Oktober 2024 fest, dass es sich bei dem "auf der Spitze stehenden roten Dreieck" um ein Kennzeichen der HAMAS handelt und dessen Verwendung aufgrund der Verfügung vom 02.11.2023 ebenfalls verboten und strafbar ist. Dieses Kennzeichen wurde vermehrt im Zusammenhang mit propalästinensischen Aktivitäten, z. B. als Graffiti-Bestandteil am Gebäude des Niedersächsischen Landtags verwendet. In Deutschland war nach dem Terrorangriff vom 07.10.2023 im gesamten islamistischen Spektrum eine breite Solidarisierung mit der HAMAS wahrzunehmen. Dies zeigte sich u. a. in zahlreichen Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken sowie im Rahmen propalästinensischer Demonstrationen, auf denen regelmäßig die Taten der HAMAS verherrlicht und antisemitische Parolen geäußert wurden. Seit dem 07.10.2023 ist in niedersächsischen Städten eine intensive Veranstaltungsdynamik im Zusammenhang mit dem HAMAS-Angriff auf Israel festzustellen. Der Fokus der Versammlungen verlagerte sich zunehmend von dem Terrorangriff am 07.10.2023 hin zu den aktuellen Entwicklungen im Gazastreifen und seit September 2024 im Libanon. Zum Jahrestag des Angriffs wurden zahlreiche, auch proisraelische, Demonstrationen durchgeführt. Die Versammlungen verliefen überwiegend friedlich, vereinzelt gab es Störungen mit folgenden Delikten: Belohnung und Billigung von Straftaten, Volksverhetzungen, Körperverletzungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung/Beleidigung, auch bejubelten einzelne Demonstrierende den Überfall der HAMAS auf Israel. Registriert wurde sowohl das Ausrufen der Parole "From the river to the sea, Palestine will be free", als auch Abwandlungen davon. 268 Islamismus 5.6 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) Sitz/Verbreitung Weltzentrum in Lahore (Pakistan); europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung/ 1926 in Britisch-Indien Bestehen seit Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 40 Kurzportrait/Ziele: Die "Tablighi Jama'at" ("Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung", TJ) wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Langfristiges Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Regimes. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen umfasst. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Charakteristisch für diese Gruppierung sind mehrtägige Missionsreisen (Jama'ats). Primäres Ziel dieser Bemühungen sind Muslime, denen man ein falsches Islamverständnis vorwirft. In Deutschland befindliche Moscheen der TJ sind an deren globales Netzwerk angeschlossen und stehen im Austausch mit dem europäischen Zentrum in Dewsbury und dem Weltzentrum in Lahore. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallelgesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungsprozesse begünstigen. Durch die Propagierung der Scharia145 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die 145 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 269 Islamismus freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten sogenannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.146 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger zu den bedeutendsten islamistischen Bewegungen weltweit. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, wird dies von Sicherheitsbehörden anders bewertet. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts und damit in letzter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, sodass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an geltenden Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen i. d. R. in Gruppen in sogenannten Jama'ats, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. 146 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt. Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen nicht gegen sie der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 270 Islamismus Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der "Masjid El Ummah-Moschee" im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien bestimmt. Nicht aus Niedersachsen stammende TJ-Anhänger sind aufgrund der missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen festzustellen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. 5.7 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz/Verbreitung Vereinsstrukturen sind verboten, ehemaliger Sitz in Köln Gründung/ 1984 Bestehen seit Struktur/ In Deutschland bestehen aktuell keine formellen Strukturen des Repräsentanz "Kalifatsstaats", da die Vereinigung am 12.12.2001 wegen Verstoßes gegen die verfassungsgemäße Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung sowie Gefährdung der Inneren Sicherheit in Deutschland durch den Bundesminister des Innern verboten wurde. Nach wie vor gibt es jedoch auf informeller Ebene noch mehrere, teilweise vereinsähnlich strukturierte Gemeinden, die sich der Ideologie des "Kalifatsstaats" verpflichtet fühlen. Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 70 Unterstützer 271 Islamismus Veröffentlichungen Auf den vom Verein betriebenen Internetseiten werden verschiedene Publikationen wie Kalender, Bücher und digitale Produkte angeboten. Kurzportrait/Ziele: Ziel des "Kalifatsstaats" ist es, einen revolutionär-islamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen. Es wird die Erlangung der Weltherrschaft des Islams mit der Gründung eines Kalifates unter Führung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmäßigen" Nachfolgers unter Einführung der Scharia147 angestrebt. Auch in Niedersachsen vertreten einzelne Gemeinden nach wie vor diese Ideologie. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Am 12.12.2001 wurde die Organisation "Kalifatsstaat" einschließlich ihrer Teilorganisationen durch den Bundesminister des Innern verboten. Gründe hierfür waren Äußerungen des "Kalifatsstaats", wonach dieser die Demokratie für mit dem Islam unvereinbar und für verderblich hielt. Weiterhin beanspruchte der "Kalifatsstaat" im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen eine eigene Staatsgewalt und verfolgte seine Ziele in kämpferisch-aggressiver Weise. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das eine Klage gegen das Verbot abgewiesen hat, stellte insbesondere die Propagierung gewaltsamer Mittel eine Gefährdung der Inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Äußerungen der Anhängerschaft waren hetzerisch und von Aufrufen zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geprägt. Bei einem Teil der verbliebenen Anhänger des "Kalifatsstaats" handelt es sich auch aktuell um einen Personenzusammenschluss, dessen Ziel die Weltherrschaft des Islams unter dem Kalifat (s)eines Anführers (Metin Kaplan) ist. U. a. wird das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Abstimmung zu wählen sowie das Recht auf Bildung einer parlamentarischen Opposition durch diese Weltanschauung beschnitten. Damit verfolgt der "Kalifatsstaat" Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 147 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 272 Islamismus Ursprung und Entwicklungen Der "Kalifatsstaat" ging 1994 aus dem "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) hervor. Diesen Verein hatte der als "Khomeini von Köln" bekannt gewordene Cemaleddin Kaplan 1984 gegründet. Nachdem sich Cemaleddin Kaplan 1994 zum Kalifen der Muslime erklärt hatte, nannte sich der ICCB fortan "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"). Das Vorhaben des 1995 verstorbenen Cemaleddin Kaplan, einen revolutionär-islamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen, behielt auch sein Sohn und Nachfolger Metin Kaplan bei. Das Ziel der Anhängerschaft ist die Weltherrschaft des Islams mit Gründung eines Kalifates unter Führung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmäßigen" Nachfolgers und die Einführung der Scharia. Nach dem Verbot der Organisation im Dezember 2001 gab es intensive juristische Auseinandersetzungen um den Verbleib von Metin Kaplan in Deutschland. Im Oktober 2004 schob man ihn schließlich in die Türkei ab, wo eine lebenslange Haftstrafe gegen ihn verhängt wurde. Im November 2016 wurde Kaplan überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt seitdem weiterhin in der Türkei. Das Verbot führte in Niedersachsen zu einer Schwächung der Organisation. Allein der Verlust der Vereinsräumlichkeiten stellte zeitweise ein erhebliches logistisches Problem dar. Teilweise trafen sich ehemalige Mitglieder des "Kalifatsstaats" und ihre Familien überwiegend zu den Freitagsgebeten in Privatwohnungen bzw. neu angemieteten Unterkünften. Insgesamt ließ sich über Jahre eine Zurückhaltung der Anhänger des "Kalifatsstaats" feststellen, was insbesondere auf polizeiliche Kontrollen und Maßnahmen sowie die Angst, möglicherweise selbst abgeschoben zu werden, zurückzuführen war. Der "Kalifatsstaat" in Deutschland und Niedersachsen Teile der Anhängerschaft sind trotz des Verbots des "Kalifatsstaats" weiterhin aktiv. Insbesondere die jüngere Anhängerschaft fällt durch kontinuierliche Aktivitäten auf und sucht bereits mit einer radikalen Ideologie vertraut, auch nach moderneren Ausdrucksformen. In Niedersachsen sind Strukturen des "Kalifatsstaats" in den Bereichen Göttingen, Osnabrück und Salzgitter festzustellen, es bestehen personelle Vernetzungen über Ländergrenzen hinweg. Ideologisch zeigen sich die Kalifatsstaatsstrukturen nach wie vor nicht deutlich 273 Islamismus nach außen und sind deshalb kaum wahrnehmbar. Allerdings lassen sich weiterhin Schnittmengen zur salafistischen Ideologie und teilweise Abwanderungsbewegungen jüngerer Anhängerinnen und Anhänger in den Salafismus auch in Niedersachsen beobachten. Die niedersächsische Kalifatsstaatsszene ist zurückliegend sowohl durch die Anwendung und Vorbereitung von Gewalt als auch aufgrund einer hohen ideologischen Ausstrahlung durch ihre Internetpräsenz und die Ausrichtung von Veranstaltungen aufgefallen. Ihre Außendarstellung übernehmen sie über die Organisation "Im Auftrag des Islam", hinter der zwar reale Protagonisten auch aus Niedersachsen stehen, deren Botschaften aber in erster Linie online verbreitet werden. Auf den einschlägigen Internetseiten werden Gründung, Werdegang und Grundprinzipien der Organisation erklärt. So könne man die Missionsarbeit von "Im Auftrag des Islam" unter den drei Hauptpunkten "Vermittlung des Tauhid, der Sunna und des Kalifats" zusammenfassen, die allesamt auf dem "prophetischen Weg" basieren würden: "Ein Leben im Auftrag des Islams zu leben ist der Sinn unserer Erschaffung." Die Errichtung eines Kalifats - als einzig gültiges Rechtssystem - und die Einführung der Scharia werden als selbsternannte Ziele aufgelistet. 5.8 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz/Verbreitung Beirut Generalsekretär Bis zum 27.09.2024 Hassan Nasrallah Seit Oktober 2024 Naim Kassim Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 250 Publikation: Al-Ahd (Die Verpflichtung) Medien: Al-Manar (Der Leuchtturm) Kurzportrait/Ziele: Für die schiitische Gemeinschaft fordert die mit Hilfe der Islamischen Republik Iran gegründete "Hizb Allah" die Anwendung der "islamischen Rechtsordnung der Scharia".148 148 Zur Scharia siehe Kapitel 5.2. 274 Islamismus Die "Hizb Allah" bestreitet das Existenzrecht des Staates Israel und bekämpft ihn mit terroristischen Mitteln. In Deutschland pflegen die Anhänger der "Hizb Allah" den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt u. a. in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spendengelder finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die libanesisch-schiitische Organisation "Hizb Allah" (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben richtet sich die "Hizb Allah" gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 9 Abs. 2 und 26 Abs. 1 GG) und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die Europäische Union den militärischen Arm der "Hizb Allah" ("Islamischer Widerstand") auf die Liste der terroristischen Organisationen. Weiterhin verfolgt die "Hizb Allah" durch die Propagierung der Scharia als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Mit Schreiben vom 20.09.2019 erteilte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemäß SS 129b Abs. 1 Satz 3 StGB dem Generalbundesanwalt die generelle Ermächtigung zur Verfolgung bereits begangener und zukünftiger Straftaten durch Mitglieder der Vereinigung "Hizb Allah". Die "Hizb Allah" wurde bereits in der Vergangenheit in der strafund verwaltungsgerichtlichen Praxis als terroristische Vereinigung gewertet. Diese Rechtsprechung wurde im Juli 2019 durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, indem die Rechtmäßigkeit des Verbotes des "Hizb Allah"-Spendensammelvereines "Farben für Waisenkinder e. V." (FfW), vormals "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP), aus dem Jahr 2014 rechtlich festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat belegte mit Verfügung vom 26.03.2020 die Vereinigung "Hizb Allah" im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes (VereinsG) mit einem Betätigungsverbot. Das Verbot wurde am 30.04.2020 275 Islamismus bekanntgemacht. Ab diesem Zeitpunkt gelten Betätigungen für die "Hizb Allah" als Straftat nach dem VereinsG. Im Zuge der Verbote der Vereine "Al-Mustafa Gemeinschaft e. V." (AMG) in Bremen sowie "Fatime Versammlung e. V." in Münster (Nordrhein-Westfalen) im März 2022 aufgrund direkter und indirekter Unterstützung der libanesischen "Hizb Allah" hatte die Bundesanwaltschaft am 10.05.2023 aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs einen libanesischen Staatsangehörigen sowie einen deutschen und libanesischen Staatsangehörigen in den Kreisen Aurich und Cuxhaven durch Beamte des Bundeskriminalamts festnehmen lassen. Hierbei handelte es sich um die ersten Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der "Hizb Allah" in Deutschland. Am 28.06.2024 wurden die beiden Beschuldigten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bzw. fünf Jahren und sechs Monaten wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, SS 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) verurteilt. Der in Niedersachsen gemeldete ehemalige Vorsitzende des AMG soll sich spätestens im Jahr 2004 der "Hizb Allah" angeschlossen haben und seitdem als Auslandsfunktionär tätig gewesen sein. Der Verurteilte habe mit den Führungskadern der Vereinigung in Kontakt gestanden und den AMG bei Treffen mit anderen libanesischen Vereinen vertreten. Unter dem Namen "Al-Mustafa Pfadfinder" soll er eine der Jugendorganisation der "Hizb Allah" ähnliche Jugendgruppe des Vereins gegründet haben. In den Jahren 2015 und 2016 soll er sich - bewaffnet und die Uniform der "Hizb Allah"-Eliteeinheit "AlRadwan-Bataillon" tragend - in Syrien aufgehalten haben, um die Kampfkraft des Bataillons zu stärken. Bei der genannten Eliteeinheit handelt es sich um eine Spezialeinheit der "Hizb Allah", die in ihren offen zugänglichen Propagandavideos zu Anschlägen auf Juden und israelische Ziele aufruft. Ursprung und Entwicklung Die "Partei" "Hizb Allah" wurde 1982 unter maßgeblicher Steuerung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die "Hizb Allah" ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungsweisend. 276 Islamismus Der Libanon-Krieg im Sommer 2006 führte zu einer bis heute andauernden Popularität der "Hizb Allah" innerhalb der schiitischen Bevölkerung des Libanons. 2009 stellte der am 27.09.2024 durch einen gezielten israelischen Luftangriff auf das "Hizb Allah"Hauptquartier in Beirut getötete Generalsekretär Hassan Nasrallah ein neues politisches Strategiepapier vor, auf dessen Grundlage die "Hizb Allah" sich von einer Widerstandsgruppe hin zu einer politisch eigenständig agierenden Partei in der libanesischen Politik wandeln sollte und in dem weder die Rede ist von der Errichtung eines "Islamischen Staates" (nach dem Vorbild des Irans), noch von der weltweiten Verbreitung der Revolutionstheorie. Dennoch fühlt sich die "Hizb Allah" auch weiterhin den Konzepten des Ayatollah Khomeini verpflichtet. Dies bezieht sich insbesondere auf die Vorstellung des Konzepts der "wilayat al-faqih"149, das einen konstitutionellen Gottesstaat mit herrschendem Klerus im Libanon vorsieht. Im Zuge des schwelenden Nahost-Konflikts hat die "Hizb Allah" den Norden Israels seit dem Angriff der HAMAS auf Israel am 07.10.2023 im Jahr 2024 fast täglich u. a. mit Raketen beschossen, sodass etwa 60.000 Israelis dauerhaft evakuiert werden mussten. Die Miliz handelte dabei nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der islamistischen HAMAS, gegen die Israel im Gazastreifen Krieg führt. Als Reaktion darauf griff die israelische Armee seit September 2024 verstärkt die terroristische Infrastruktur der "Hizb Allah" im Libanon aber auch deren führende Vertreter an. So wurden tausende von Angehörigen der "Hizb Allah" genutzte Pager und Walkie-Talkies zur Explosion gebracht. Einschneidend für die Terrororganisation war vor allem die Tötung ihres langjährigen Generalsekretärs, Hassan Nasrallah, der am 27.09.2024 bei einem gezielten Luftangriff auf das "Hizb Allah"-Hauptquartier in Beirut ums Leben kam. Der bisherige Vize-Chef der "Hizb Allah", Naim Kassim, wurde im Oktober 2024 als Nachfolger Nasrallahs bestätigt. Unter dem neuen Generalsekretär solle die Politik Nasrallahs fortgesetzt werden, "bis der Sieg errungen ist". Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen auch auf die soziale und 149 "Herrschaft des Rechtsgelehrten". 277 Islamismus karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende soziale System hatte die "Hizb Allah" mit finanzieller Unterstützung des Irans aufbauen können. Im Emblem der "Hizb Allah" kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus dem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dieses Zitat kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!". Die "Hizb Allah" in Deutschland und in Niedersachsen Die "Hizb Allah" ist global wie auch in Deutschland Teil eines Geflechts schiitisch-islamistischer Organisationen, das stark unter dem Einfluss der Islamischen Republik Iran steht. Dabei entstehen häufig Berührungspunkte zwischen Vereinen, die der "Hizb Allah" zuzurechnen sind und solchen, die dem weiteren schiitisch-islamistischen Spektrum angehören. Auch in Niedersachsen besuchen mitunter Angehörige verschiedener Vereine die gleichen Moscheen. Ungeachtet einer gewissen Sympathie in Teilen der hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der "Hizb Allah", trat diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Seit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der "Hizb Allah" im Südlibanon ist jedoch eine hohe Emotionalisierung von libanesischen Staatsangehörigen sowie "Hizb Allah"Anhängern, die in Deutschland und Niedersachsen wohnhaft sind, festzustellen. Insbesondere in Hannover fanden diesbezüglich seit September 2024 wiederholt Demonstrationen statt, bei denen mehrfach Sympathiebekundungen zu der verbotenen Terrororganisation beobachtet werden konnten. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der "Hizb Allah" in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben, so u. a. in Hannover, Osnabrück, im Bremer Umland und in Südniedersachsen. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge 278 Islamismus und Spendensammlungen. Die Anbindung an die "Hizb Allah" erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie z. B. dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. Von weiterer zentraler Bedeutung für die schiitisch geprägte Islamistenszene in Deutschland und damit auch für die Anhänger der "Hizb Allah" ist der sogenannte Al-Quds-Tag150. Dieser gilt in der Islamischen Republik Iran als gesetzlicher Feiertag und soll den Wunsch nach der "Befreiung Palästinas" zum Ausdruck bringen. In Deutschland finden seit den 1980er Jahren Veranstaltungen zum "Al-Quds-Tag" statt. Diese deutlich gegen Israel gerichteten Aktivitäten haben häufig eine antisemitische Ausrichtung.151 Am 16.11.2023 ließ die Bundesanwaltschaft durch das Bundeskriminalamt aufgrund von Beschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs rund 20 Objekte sowie Vereinsräumlichkeiten der "Salman Farsi Moschee" in der Region Hannover durchsuchen. Die Maßnahmen richteten sich gegen fünf namentlich bekannte Beschuldigte. Sie sind der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verdächtig (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, SS 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Die Beschuldigten sollen sich über mehrere Jahre für die "Hizb Allah" betätigt haben, indem sie leitende Funktionen in zwei von der Organisation gelenkten Vereinen in Hannover übernahmen. Die Maßnahmen erfolgten in zeitlicher Koordination mit Exekutivmaßnahmen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. Sie dienten den Vorbereitungen für ein Verbotsverfahren gegen den Verein "Islamisches Zentrum Hamburg e. V." (IZH)152. Dieser wurde am 24.07.2024 durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) mit seinen bundesweiten Teilorganisationen aufgrund verfassungsfeindlicher Ziele verboten. Bei den Teilorganisationen handelte es sich um Vereine in Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen. 150 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt "Jerusalem". 151 Weitere Ausführungen zum "Al-Quds-Tag" siehe Kapitel 5.9, Abschnitt 'Das "Islamische Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" in Deutschland und in Niedersachsen'. 152 Weitere Ausführungen zum IZH siehe Kapitel 5.9. 279 Islamismus 5.9 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 100 Publikationen: Unterschiedliche Auftritte auf Internetplattformen und in den sozialen Medien Kurzportrait/Ziele: In dem Beobachtungsobjekt "Islamisches Zentrum Hamburg e. V. und sonstiger schiitischer Extremismus" werden die Vereinigungen zusammengefasst, die durch die Ideologie der Islamischen Republik Iran geprägt sind. Ihr Ziel ist die Verbreitung der Islamischen Revolution in Anlehnung an das aktuelle Herrschaftssystem der Islamischen Republik Iran. Diese Vereinigungen sind in Deutschland in Vereinen, Moscheen und Zentren sowie in Online-Netzwerken organisiert. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Einführung eines am Iran orientierten theokratischen Herrschaftssystems verletzt insbesondere die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, die Volkssouveränität, die religiöse und sexuelle Selbstbestimmung, die Gleichheit der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Deshalb bilden die einzelnen Organisationen im Bereich des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" zusammen eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Die antiisraelische und antiwestliche Haltung des Irans, die medienwirksam propagiert wird, verstößt zudem gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker, womit die Organisationen des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" auch eine Bestrebung gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG darstellen und damit die Voraussetzungen für eine Beobachtung erfüllen. Mit dem Beobachtungsobjekt des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" werden die 280 Islamismus Moscheen, Vereine, Netzwerke und Zentren zusammengefasst, die durch den Iran beeinflusst werden und sich an der Politik der Islamischen Republik Iran und deren Staatsdoktrin orientieren bzw. eine Nähe zur Ideologie der Terrororganisation "Hizb Allah" aufweisen. Nicht mit eingeschlossen ist die auch in Deutschland aktive islamistische Gruppierung schiitischer Prägung und libanesischen Ursprungs, die "Hizb Allah". Diese stellt aufgrund ihrer spezifischen Ausprägung und der weitreichenden Aktivitäten ein eigenständiges Beobachtungsobjekt dar.153 Ursprung und Entwicklung Der schiitisch geprägte Islamismus weist einen starken Bezug zur Islamischen Republik Iran auf, welche als Resultat aus der sogenannten Islamischen Revolution von 1979 hervorging. In der Verfassung des Irans sind die wichtigsten ideologischen Grundlagen niedergelegt, wonach die Islamische Republik Iran ein theokratisches Herrschaftssystem ist, bei dem die Herrschaft des Rechtsgelehrten gilt ("wilayat al-faqih"). Demnach ist die höchste politische Instanz der oberste Rechtsgelehrte, derzeit Ali Chamenei. Dieser verfügt als "Oberster Führer" über eine allgemeinverbindliche und uneingeschränkte Führungsbefugnis und bestimmt damit autoritär über die grundlegende Linie der iranischen Innenund Außenpolitik. Die Aufgabe der Verbreitung der sogenannten Islamischen Revolution im Ausland ist in der Verfassung verankert. Die Organisationen des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" sehen es als ihren Auftrag an, im Sinne dieser Ideologie auf die hier lebenden Schiiten unterschiedlicher Nationalität einzuwirken. Das "Islamische Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" in Deutschland und in Niedersachsen Von zentraler Bedeutung für die schiitisch-islamistisch geprägte Szene in Deutschland sind die jährlich stattfindenden Demonstrationen und Aktionen rund um den "Al-Quds-Tag"154. Dieser wurde im Jahr 1979 durch den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini als Feiertag ausgerufen, um dem Wunsch nach der Befreiung Jerusalems 153 Siehe hierzu Kapitel 5.8. 154 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt "Jerusalem". 281 Islamismus und der Beendigung der Existenz des Staates Israels Ausdruck zu verleihen. Am letzten Freitag des Ramadans fanden in der Vergangenheit hauptsächlich in Berlin und Frankfurt am Main zentrale "Al-Quds"-Demonstrationen statt. Weitere kleine Veranstaltungen waren darüber hinaus bundesweit zu verzeichnen. Im Rahmen dieser Veranstaltungen kam es auch zu antisemitischen Vorfällen, insbesondere durch das Skandieren entsprechender Parolen. Als "verlängerter Arm der Islamischen Republik Iran" stand das IZH seit Jahren im Fokus deutscher Sicherheitsbehörden. Eine mögliche Schließung wurde laut Bundestagsbeschluss seit dem 09.11.2022 geprüft. Im Jahr 2023 führte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gegen das IZH und fünf weitere Vereinigungen ein vereinsrechtliches Verfahren. Zudem gingen die Sicherheitsbehörden dem Verdacht der Unterstützung der Aktivitäten der in Deutschland verbotenen "Hizb Allah" durch das IZH nach, stellten umfassende Beweismittel sicher und werteten diese aus. Am 24.07.2024 verbot das BMI das IZH und seine bundesweiten Teilorganisationen. Begründet wurde das Verbot u. a. damit, dass sich Zweck und Tätigkeit des Vereins gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Ebenso liefen sie hiesigen Strafgesetzen und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwider. Darüber hinaus wurden durch das IZH Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets gefördert, deren Ziele bzw. Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind. Das IZH verbreitete als direkte Vertretung des iranischen "Revolutionsführers" die Ideologie der sogenannten Islamischen Revolution in der Bundesrepublik Deutschland in aggressiv-kämpferischer Weise und strebte an, diese auch zu verwirklichen. Statt einer Gesellschaft auf Basis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wurde durch das IZH und seine Teilorganisationen die Errichtung einer autoritärtheokratischen Herrschaft propagiert. Außerdem verbreitete das IZH einen aggressiven Antisemitismus. Überdies unterstützte es die in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Terrororganisation "Hizb Allah". 282 Islamismus "Muslim-Markt" Hierbei handelt es sich um ein wichtiges deutschsprachiges, in Delmenhorst ansässiges Internetportal, welches mit Nachdruck die Politik des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei unterstützt. Durch Verlinkungen bewirbt es zudem diverse deutschsprachige Online-Plattformen, -Kanäle und Vereinigungen wie z. B. "Actuarium". "Muslim-Markt" zeigt verstärkt eine proiranische, antisemitische, antiisraelische und LGBTIQ+155 -kritische bis -feindliche Haltung. "Actuarium" Bei "Actuarium" handelt es sich um einen deutschsprachigen YouTube-Kanal, der sich regelmäßig mit veröffentlichten Videos zu Wort meldet. Neben szenetypischen proiranischen, pro-"Hizb Allah", antiisraelischen, antisemitischen und anti-LGBTIQ+-Inhalten erscheinen Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Themen. Damit erzielt der Kanal eine große Reichweite, selbst unter Anhängerinnen und Anhängern gegensätzlicher politischer und ideologischer Anschauungen. In zahlreichen Beiträgen wird dem Staat Israel das Existenzrecht gänzlich abgesprochen und in diesem Rahmen israelbezogener Antisemitismus verbreitet. An Israel gerichtete Schuldzuweisungen erfolgen einseitig und undifferenziert. So werden z. B. die am 07.10.2023 von der HAMAS verübten brutalen Anschläge auf Israel in verherrlichender Weise als Akt des Widerstands dargestellt. Andere Veröffentlichungen auf dem Kanal zeichnen sich u. a. durch eine deutliche Ablehnung bis hin zu einer Diffamierung und Hetze gegenüber Personen aus dem LGBTIQ+-befürwortenden Spektrum aus. Zudem sind die Inhalte stark von aus Verschwörungstheorien bekannten Narrativen geprägt und betreiben eine Delegitimierung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Z. B. beschreibt "Actuarium" die Verbote des IZH und der DMG Braunschweig als Willkürmaßnahmen eines totalitären Staates oder setzt eine (vermeintliche) Verfolgung der Muslime mit der Judenverfolgung während der NS-Zeit gleich. 155 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexual, transsexual/transgender, queer, intersexual, asexual. 283 06 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug 6.1 Mitglieder-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2023 mit Auslandsbezug Bundesrepublik Deutschland 156 Türkische Rechtsextremisten157 12.500 PKK 15.000 Türkische Linksextremisten158 2.500 Summe 30.000 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2023 2024 mit Auslandsbezug Niedersachsen Türkische Rechtsextremisten159 700 700 PKK 1.600 1.600 Türkische Linksextremisten160 200 180 Säkulare extremistische Pro-Palästinenser - ohne Angabe Summe 2.500 2.480 6.2 Einführung Unter der Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" werden in Niedersachsen alle Erscheinungsformen des Extremismus zusammengefasst, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen, ohne im Zusammenhang mit religiösen Ideologien zu stehen. Der 156 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland für das Berichtsjahr lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 157 Die ausgewiesenen Zahlen beziehen sich seit 2021 nur auf türkische Rechtsbzw. Linksextremisten. Sie weichen daher von den Zahlen der Vorjahre ab. 158 Siehe Fußnote 156. 159 Siehe Fußnote 156. 160 Siehe Fußnote 156. 286 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug ist geprägt von einer Vielzahl von Gruppierungen unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe. Die Zielsetzung dieser Gruppen liegt überwiegend in der Durchsetzung linksextremistischer, separatistischer oder nationalistischer bzw. rassistischer Vorstellungen, die regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in den Heimatregionen abzielen - dort oft auch durch den Einsatz von Gewalt und Terrorismus. Damit verstoßen die von Deutschland aus agierenden Strukturen extremistischer Auslandsorganisationen gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Situation im Herkunftsland und dortige aktuelle Entwicklungen erweisen sich regelmäßig sowohl als richtungsweisend für die Intensität des Aktionismus als auch für den Grad des Militanzniveaus in Deutschland. Die Zusammensetzung dieser Organisationen ist häufig uneinheitlich und umfasst ausländische sowie deutsche Staatsangehörige mit oder ohne Migrationshintergrund. Extremistische türkische und kurdische Gruppierungen sowie extremistische säkulare propalästinensische Gruppierungen bildeten 2024 in Niedersachsen den Schwerpunkt der Beobachtung. Die in Deutschland agierenden Gruppierungen werden i. d. R. durch extremistische Ideologien und damit verbundene politischstrategische Vorgaben aus dem Heimatland gesteuert. Deutschland dient dabei in erster Linie als sicherer Rückzugsraum, in dem Geld gesammelt, rekrutiert, mobilisiert und propagiert werden kann und von dem aus gewaltsame Aktionen im Bezugsland vorbereitet werden können. Hierdurch gefährden die Gruppierungen die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. In Abhängigkeit der Entwicklung im Heimatland ist gelegentlich auch mit gewalttätigen Aktionen in Deutschland sowie mit einem gewaltsamen Aufeinandertreffen verfeindeter extremistischer Lager zu rechnen. Durch Straftaten bei Versammlungen und durch Angriffe auf Einrichtungen des bekämpften (Heimat-)Staates ist auch die Innere Sicherheit Deutschlands gefährdet. Die Propaganda für die jeweilige politische Vorstellung und Mobilisierungsaktionen, etwa für Demonstrationen, gehen Hand in Hand und werden überwiegend über das Internet verbreitet. Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste dienen darüber hinaus der Gewinnung neuer Sympathisierender und Mitglieder. 287 Extremismus mit Auslandsbezug 6.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug Einen neuen Schwerpunkt der Beobachtung des Extremismus mit Auslandsbezug in Niedersachsen bildeten 2024 extremistische s äkulare propaläs tinensische Gruppierung en. S eit dem terroristischen Überfall der HAMAS auf Israel am 07.10.2023 ist auch in niedersächsischen Städten eine intensive Veranstaltungsdynamik festzustellen. Zunächst überwogen proisraelische Kundgebungen, doch rasch nahmen propalästinensische Versammlungen zu und dominierten schließlich das Geschehen. Während die Versammlungen Ende 2023 insgesamt deutlich abflauten, stieg deren Zahl ab Anfang 2024, insbesondere an den Wochenenden, erneut an. In 2024 wurden mehr als 400 Versammlungen vorwiegend in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Salzgitter und Wolfsburg registriert. Der Fokus der Versammlungen verlagerte sich zunehmend von dem Terrorangriff der HAMAS am 07.10.2023 hin zu den aktuellen Entwicklungen im Gazastreifen und zu den Kriegshandlungen im Libanon. Zum Jahrestag des Angriffs wurden erwartungsgemäß wieder zahlreiche, auch proisraelische, Demonstrationen erfasst. Der 07.10.2023 und die daraus resultierenden Entwicklungen im Nahen Osten haben in Deutschland und auch in Niedersachsen zur Neugründung und/oder Wiederbelebung einiger propalästinensischer Gruppierungen geführt, die dem säkularen Spektrum zuzurechnen sind. Dabei stammen die Teilnehmenden dieser Kundgebungen überwiegend aus migrantisch geprägten Gesellschaftsteilen. Es ist aber auch zu beobachten, dass sich darüber hinaus Personen mit nicht extremistischen pazifistischen, antimilitaristischen und linken politischen Einstellungen am Protestgeschehen beteiligen. Das Personenpotenzial ist also äußerst heterogen; präzise Schätzungen oder eindeutige Zuordnungen sind mitunter schwierig, da es sich um "Mitgliedschaften durch Mitmachen" handelt und oft die gleichen Personen aus Solidarität an mehreren Veranstaltungen teilnehmen. So kommt es auch zu Überschneidungen mit dem türkisch-linksextremistischen Spektrum, 288 Extremismus mit Auslandsbezug deren Anhänger sich teils in propalästinensischen Gruppierungen organisieren. Einen weiteren Schwerpunkt der Beobachtung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bildete 2024 nach wie vor die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Im Frühjahr verübten PKKAnhänger im Zuge des Newroz-Festes161 einen Anschlag auf das Türkische Generalkonsulat in Hannover und beschädigten das Gebäude mit Steinen und Eisenstangen. 2024 war auch das Jahr, in dem es erstmals seit 2021 ein Lebenszeichen des in der Türkei lebenslang inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan gab. Der Besuch des Cousins Ömer Öcalan, Mitglied der "Partei für Gleichberechtigung und Demokratie" (DEM-Partei), auf der Insel Imrali, bei dem er Öcalan offensichtlich bei guter Gesundheit vorfand, fiel in eine Zeit der innenpolitischen Debatte über einen möglichen Waffenstillstand mit der PKK bei Niederlegung der Waffen. Diese wenn auch noch so vage Friedenshoffnung wurde jedoch am 23.10.2024 - dem Tag des Besuches bei Öcalan - durch einen Anschlag der PKK auf das staatliche Rüstungsunternehmen TUSAS in Ankara mit fünf Toten zunichtegemacht. Gegen die daraufhin gestarteten Luftangriffe auf PKK-Stellungen im Südosten der Türkei und in Nordsyrien gab es auch in Niedersachsen zahlreiche Proteste der PKK-Anhängerschaft. Die türkische rechtsextremistische Ülkücü (Idealisten)-Bewegung tritt als sogenannte unorganisierte freie Szene in den sozialen Medien mit einer nationalistischen und rassistischen Ideologie auf. Sie bildet regelmäßig einen absoluten Gegenpol zu den von Ülkücü als separatistisch empfundenen ethnischen Minderheiten in der Türkei und auch in Deutschland - wie die der Kurden. Die ÜlkücüSzene hat mit drei deutschlandweit agierenden Dachverbänden und ihren angeschlossenen regionalen Vereinsstrukturen ein ausgesprochen großes Anhängerpotenzial. Auch in Deutschland stehen sich die gegensätzlichen türkischen und kurdischen Gruppierungen mit ihren widerstreitenden Ideologien gegenüber. So führte die Newroz-Feier in Brüssel im Frühjahr 161 "Newroz" oder "Neuer Tag" ist sowohl das kurdische Neujahr als auch der Beginn der Frühlingssaison und der Wiederbelebung der Natur. 289 Extremismus mit Auslandsbezug 2024 zu massiven Eskalationen zwischen der PKK-Anhängerschaft und Personen, die der türkisch nationalistischen Ülkücü-Bewegung zuzurechnen sind. Auswirkungen waren noch tagelang in den sozialen Medien, in den Szenen der Beobachtungsobjekte aber auch im öffentlichkeitswirksamen Aktionismus zu spüren. Auch linksextremistische türkische Gruppierungen werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) kämpft für die proletarische Revolution und die Umwandlung des türkischen Staates in eine marxistisch-leninistische Diktatur. Bei Attentaten, die seit Gründung der DHKP-C im Jahr 1994 von ihr begangen wurden, kamen nach Angaben türkischer Stellen über 200 Menschen ums Leben. In Deutschland wurde die DHKP-C 1998 verboten, seit 2002 wird sie von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet. Trotz des Verbots agiert die DHKP-C bis heute in Deutschland und nutzt die Popularität der Musikgruppe "Grup Yorum", um ihre Anhängerinnen und Anhänger zu mobilisieren und ideologisch im Sinne der DHKP-C zu indoktrinieren. Ebenfalls in Deutschland aktiv sind die türkische "MarxistischLeninistische Kommunistische Par tei" (MLKP) sowie die "Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ ML). Beide Organisationen bekennen sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und fordern die Zerschlagung des türkischen Staatswesens. In Niedersachsen, wie auch im weiteren Bundesgebiet, ist ein stärkeres Auftreten der jeweiligen Jugendorganisationen der linksextremistischen türkischen Gruppierungen zu beobachten. Ziel ist es, eine Anschlussfähigkeit an deutsche linke und migrantische Gruppen zu verfestigen, um die eigenen Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dies geschieht über Themen wie Klimaschutz, Migration, die Rechte von Minderheiten und seit 2024 auch über den Nahost-Konflikt. Bei Demonstrationen im Kontext der Kriegshandlungen in Israel, im Gazastreifen und im Libanon waren auch Teilnehmende aus dem türkisch-linksextremistischen Spektrum dabei. 290 Extremismus mit Auslandsbezug Ausblick Agitation und Militanzniveau im auslandsbezogenen Extremismus hängt überwiegend von den strategischen Richtlinien der Organisationen und der politischen Entwicklung in den jeweiligen Heimatländern ab. Das Versammlungsgeschehen rund um den Nahost-Konflikt hat durch den Sturz des Assad-Regimes Ende 2024 noch einmal eine neue Dynamik bekommen. Auch die Entwicklungen in Israel, im Gazastreifen, im Libanon und im Iran werden weiterhin mit ausschlaggebend sein für mögliche Proteste oder auch eskalierende Auseinandersetzungen der verschiedenen Lager. Für die Sicherheitslage in Niedersachsen bedeutet die Entwicklung, dass das Risiko für emotionalisierte, spontane und teils gewalttätige Demonstrationen in größeren Städten weiterhin hoch ist. Es ist zu erwarten, dass trotz des Erreichens erklärter Kriegsziele Israels (Ausschalten der HAMASFührung und Schwächung der Terrororganisation, Schwächung der "Hizb Allah") die Militärschläge im Gazastreifen und im Libanon mittelfristig fortgesetzt werden. Damit haben die Kriegshandlungen weiterhin das Potenzial, auch hier Personen zu mobilisieren, die nicht nur ihre Solidarität mit den Kriegsopfern zeigen möchten, sondern die auch aktiv kämpferisch gegen die Existenz Israels vorzugehen bereit sind. Politische Ereignisse in der Türkei führen weiterhin regelmäßig dazu, dass Deutschland spontan und nachhaltig zum Austragungsort massiven Demonstrationsgeschehens, spontaner gewaltsamer Auseinandersetzungen und von Straftaten wie Blockadeaktionen, Besetzungen, Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen werden kann. Allen voran zeigt die PKK trotz ihrer propagierten grundsätzlich friedlichen Linie und ihres Gewaltverzichts innerhalb Europas, dass sie nach wie vor in der Lage ist, ihre Anhängerschaft spontan zu mobilisieren und zu emotionalisieren. Nach dem Sturz des AssadRegimes wird es in Nordsyrien, wo die Kurden einen Teil des Landes autonom verwalten, weiteres Konfliktpotenzial mit der Türkei geben. In ihrer Absicht, kurdische Autonomiebestrebungen zu unterbinden, wird die Türkei weiterhin auf PKK-Stellungen im Süden der Türkei, aber auch in Nordsyrien zielen. Demonstrationen gegen dieses Vorgehen und Solidaritätsbekundungen mit den Kurden sind 291 Extremismus mit Auslandsbezug in Niedersachsen vor allem in Städten mit einer großen kurdischen Bevölkerung, wie Hannover und Osnabrück wahrscheinlich. 6.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weitere "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ Bezeichnungen "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL)/"Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK)/"Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Sitz/Verbreitung Nord-Irak, Türkei, Syrien Gründung/Bestehen 1978 in der Türkei seit Leitung Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 1.600 Publikationen Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik) (werktäglich) Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich) Sterka Ciwan (Stern der Jugend) Sender u. a. Med Nuce TV Kurzportrait/Ziele 1984 rief Abdullah Öcalan, Gründer und unumstrittene Führungsfigur der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf und gründete eine Guerilla, um die Vision eines unabhängigen Kurdenstaates gewaltsam umzusetzen. Seit dem Jahr 2000 nennt sich dieser militärische Arm der PKK nach vielen Umbenennungen "Volksverteidigungskräfte" (HPG). Mit Hilfe ihrer Guerillaverbände agiert die PKK in der Türkei, im Norden Syriens und in der nordirakischen Grenzregion. Durch die Konfrontation zwischen der türkischen Armee und der PKK ist in mehr als 40 Jahren eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt entstanden, die in den kurdischen Siedlungsgebieten im Osten und Südosten der Türkei zeitweise zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte. Erst nach der Verhaftung Öcalans am 15.02.1999 verabschiedete sich die PKK in offiziellen Verlautbarungen von 292 Extremismus mit Auslandsbezug der Errichtung eines eigenständigen Kurdenstaates mit Hilfe des bewaffneten Kampfes. Den gewaltsamen Kampf erklärte Öcalan im August 1999 offiziell für beendet. Dennoch behielt sich die PKK vor, jederzeit wieder auf gewaltsame Mittel zurückzugreifen. In frühen Jahren setzte die PKK aber nicht nur in der direkten Konfrontation mit dem türkischen Staat auf Gewalt, sondern auch bei Protesten gegen die türkische Politik in Deutschland und Europa. Dem begegnete das Bundesministerium des Innern (BMI) mit Verfügung vom 22.11.1993 mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot für die PKK im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. Mittlerweile nutzt die PKK Deutschland überwiegend als Rückzugsraum und verzichtet weitgehend auf den Einsatz von Gewalt auf deutschem Boden. Seitdem die PKK 1999 plakativ von ihrer ursprünglichen politischen Zielsetzung eines souveränen kurdischen Staates abrückte, vertritt sie eine kurdisch-nationalistische Ideologie und strebt offiziell eine politische und kulturelle Autonomie für die Kurden in der Türkei an. Sie propagiert die Etablierung einer nicht staatlichen und länderübergreifenden demokratischen Selbstverwaltung der Kurden unter Beachtung existierender Grenzen auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem und syrischem Gebiet. Das Ausrufen der "Demokratischen Autonomie" in den drei syrisch-kurdischen Kantonen Afrin, Cizre und Kobane im Jahr 2014 unter Federführung ihrer syrischen Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" (PYD) war für die PKK ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem von ihr angestrebten, nationale Grenzen überschreitenden "Kurdistan". Finanzierung Die Beschaffung von finanziellen Mitteln, vorwiegend durch Spenden, ist nach wie vor eine der Hauptaktivitäten der PKK in Deutschland. Der Propagandaapparat, wie z. B. Fernsehsender, digitale Medien und Publikationen muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die GuerillaArmee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende sogenannte Spendenkampagne. Im Jahr 2023 lag der Ertrag allein 293 Extremismus mit Auslandsbezug in Deutschland bei geschätzt mehr als 16 Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft der mit der PKK sympathisierenden kurdischen Bevölkerung in Deutschland ist seit Jahren aufgrund der Entwicklungen in der Türkei, in Syrien und im Nordirak groß. Auch die Sorge um den Gesundheitszustand des in der Türkei lebenslang inhaftierten Abdullah Öcalan erhöht die Solidarität und die Bereitschaft, die Organisationsfähigkeit und den Aktionismus der PKK zu finanzieren. Überdies werden Einkünfte durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele seit 1984 bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die seit Jahren andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei. Propaganda, Rekrutierungen und Finanzierung über SpendeneinLogo der PKK in Europa; in Deutschland verboten treibung sind hierfür entscheidende Vorbereitungshandlungen, die in ganz Europa und damit auch in Deutschland kontinuierlich bis heute vorangetrieben werden. Auch Deutschland war Anfang der 1990er-Jahre Schauplatz erheblicher Gewalttaten der PKK. Überfälle und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, türkische Banken und Reisebüros sowie Geschäfte, Gaststätten und Vereinslokale erfolgten häufig und zum Teil sogar bundesweit im Rahmen konzertierter Aktionen. Als Reaktion auf die Gewalttaten in den 1990er-Jahren erfolgte 1993 das Betätigungsverbot in Deutschland. Mittlerweile setzt die Organisation im Rahmen einer Doppelstrategie zwar weiterhin in der Türkei auf Waffengewalt - propagiert als "Verteidigungshandlungen". Deutschland jedoch dient überwiegend als Rückzugsraum. Hier werden Geldmittel gesammelt, für die Parteiarbeit und die Guerilla rekrutiert sowie Propaganda betrieben. Trotz allem zeigt sich die Organisation nach wie vor grundsätzlich bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger in Deutschland zumindest zu billigen. Zu nennen sind hier z. B. Auseinandersetzungen mit nationalistischen türkischen Gruppen oder Propagandaaktionen, 294 Extremismus mit Auslandsbezug die aufgrund großer Emotionalisierung in Widerstandshandlungen gegen die Polizei ausufern. Damit gefährdet die Organisation die Innere Sicherheit und auch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und erfüllt damit die Voraussetzungen für ihre Beobachtung (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Ursprung und Entwicklung Die PKK wurde am 27.11.1978 von einer Gruppe um Abdullah Öcalan gegründet. Trotz seiner Verhaftung am 15.02.1999 in Nairobi (Kenia) und seiner anschließenden Verurteilung zum Tode wegen Hochverrats in der Türkei, später umgewandelt in eine lebenslange Haftstrafe, gilt Öcalan bis heute als die unumstößliche Führungsfigur der PKK. Angetreten als eine marxistisch-leninistisch-nationalistisch orientierte Organisation mit dem Ziel, einen unabhängigen, sozialistisch ausgerichteten Kurdenstaat zu errichten, führt die PKK bis heute auch mithilfe schwerster Gewalttaten bis hin zur Tötung von Menschen einen Guerillakampf gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten, aber auch gegen Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Um den Führungsanspruch der PKK innerhalb der kurdischen Gemeinschaft durchzusetzen, gab es in der Vergangenheit auch parteiinterne "Säuberungen" - Konkurrenten wurden verfolgt oder ermordet. Bereits in ihrem Programm aus dem Jahr 1986 heißt es zur Rolle der Gewalt: "Ein drittes Charakteristikum dieser Revolution ist, dass sie auf dem Weg über die Mobilisierung der breiten Kräfte des Volkes über einen langandauernden Kampf siegen wird ... Die Methoden des Kampfes basieren notwendig in weitem Umfang auf Gewalt." Seit Verkündung des "Friedenskurses" im Jahr 1999 vollzog die PKK zahlreiche Umstrukturierungen, die auch mit Umbenennungen einhergingen. Auf unterschiedliche Weise wollte sie damit ihre politische Neuausrichtung nach außen dokumentieren. Zugleich versuchte sie sich damit dem internationalen Verfolgungsdruck zu entziehen und sich vom Makel einer Terrororganisation zu befreien. Von 2003 bis 2005 trat die PKK als "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) auf, seit dem Jahr 2007 unter der Bezeichnung "Vereinigte 295 Extremismus mit Auslandsbezug Gemeinschaften Kurdistans" (KCK). Die neuen Namen finden zwar Verwendung, sind in der Anhängerschaft aber eher wenig populär. Organisatorische Strukturen "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (KCDK-E) Der in Belgien ansässige KCDK-E bildet die PKK-Europaführung, in die auch die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) als "politischer" Arm der PKK integriert ist. Die CDK unterliegt in Deutschland ebenfalls dem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Organisation unterhält ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die i. d. R. von der PKK-Europaleitung für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Die unteren Hierarchieebenen sind in umgekehrter Weise regelmäßig berichtspflichtig und zur Selbstkritik aufgefordert. "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V." (KON-MED) Die KON-MED nahm bereits unmittelbar nach ihrer Gründung im Mai 2019 die Aufgaben als Dachverband für die der PKK nahestehenden sogenannten Ortsvereine in Deutschland wahr. KON-MED ist in die o. a. europäische Dachorganisation KCDK-E eingebettet. KON-MED gehören mehrere regionale Föderationen an. Die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Föderationen entspricht dabei nicht zwingend den tatsächlichen Grenzen der Bundesländer. Niedersachsen ist ganz überwiegend dem "Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e. V." (FED-DEM) mit Sitz in Hamburg zuzurechnen. Lediglich der Bereich Osnabrück findet sich in der Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e. V. (FED-MED NRW) wieder. Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bedient sich die PKK überwiegend der 296 Extremismus mit Auslandsbezug örtlichen Vereine in Deutschland. Diese dienen der PKK-Anhängerschaft als Treffpunkte und Anlaufstellen. KON-MED initiiert regelmäßig über die Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse oder bestimmte Jahrestage, etwa den Gründungstag der PKK, beziehen. KON-MED ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. In Niedersachsen existieren Vereine z. B. in Aurich, Bad Fallingbostel, Celle, Hannover, Hildesheim, Osnabrück, Peine und Verden. Jugendorganisationen Die Jugend nimmt innerhalb der PKK eine besondere Stellung ein. Aktivistinnen und Aktivisten - die Altersspanne der sogenannten PKK-Jugend reicht bis etwa Mitte 30 - werden als "Avantgarde des Befreiungskampfes" betrachtet. Den PKK-Jugendorganisationen kommt daher seit Jahren in Bezug auf Propaganda, Aktionismus und Rekrutierung eine wichtige Rolle zu. Die PKK-Jugendorganisation "Ciwanen Azad" ("Freie Jugend", CA) wurde auf einer europaweiten Jugendversammlung im April 2013 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen) als europäischer Dachverband der PKK-Jugend gegründet. Der Dachverband sollte als legaler Verband fungieren und stand dabei neben der viel älteren Jugendorganisation "Komalen Ciwan" ("Gemeinschaft der Jugendlichen", KC). Beide Organisationen umfassen denselben Personenkreis. Der CA sollten ausschließlich positive Schlagzeilen zugeschrieben werden, KC tritt in Aktion, wenn Negatives öffentlich wird. Am 21.10.2018 wurde ein neuer europaweiter Dachverband jugendlicher PKKAnhänger namens "Tevgera Ciwanen Soresger" ("Bewegung der revolutionären Jugend", TCS) gegründet. Die TCS scheint den bisherigen europäischen Dachverband der PKK-Jugend CA abzulösen, ohne dass CA bisher tatsächlich aufgelöst wurde. Am 08.07.2020 berichtete die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF) erstmalig über die Gründung der "Jinen Ciwan en Tekoser" ("Bewegung der jungen kämpferischen Frauen", TEKO-JIN) als eigene Organisation für weibliche Jugendliche. TEKO-JIN selbst bezieht sich in ihrer Gründungserklärung ideologisch auf die Ideen des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Aktionen und Kampagnen von jugendlichen PKK-Anhängerinnen und -Anhängern wurden in den letzten Jahren von TCS und 297 Extremismus mit Auslandsbezug TEKO-JIN initiiert. Diese Aktionen werden in den eigenen Medien sehr öffentlichkeitswirksam dargestellt und ziehen auch die internationale bzw. überregionale PKK-Anhängerschaft an. Insofern haben zwar die Aktivitäten auch in Niedersachsen zugenommen, sie wirken sich aber nicht auf das seit einigen Jahren konstante Personenpotenzial aus. Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen verfolgen das Ziel, den Einfluss der PKK in möglichst allen Segmenten der kurdischstämmigen Gemeinschaft zu verankern. In diesem Zusammenhang sind besonders der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) sowie der "Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan" (JXK) hervorzuheben, die durch Veranstaltungen oder Aktionen - insbesondere in Universitäten - regelmäßig in Erscheinung treten. Auch auf anderen Gruppen, die als gesellschaftliche Multiplikatoren wirken bzw. in Zukunft wirken könnten, liegt ein besonderes Augenmerk. Entsprechend fungieren die "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK) sowie die "Union der Juristen Kurdistans" (YHK). In diesem Zusammenhang ist auch die Etablierung der "Islamischen Gemeinde Kurdistans" (CIK) als Versuch der Einflussnahme auf kurdischstämmige Muslime zu werten. Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Der PKK gelang es 2024 sowohl spontan als auch in Bezug auf die wiederkehrenden Gedenktage (z. B. Jahrestag der Festsetzung Öcalans, Newroz-Fest, Kurdistanfestival, Jahrestage der PKKGründung und des PKK-Betätigungsverbots) ihre Anhängerschaft mit hoher Intensität auch in Niedersachsen zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang wurden bundesweit PKK-Kader festgenommen, Örtlichkeiten polizeilich durchsucht und PKK-Kader verurteilt. PKK-Anhänger attackieren das Türkische Generalkonsulat in Hannover Als herausragendes Ereignis gilt der Angriff von mutmaßlichen PKKAnhängern auf das Türkische Generalkonsulat (TGK) in Hannover am 26.03.2024. Auslöser war eine Neujahrsfeier (Newroz) am 24.03.2024 in Brüssel, bei der es zu massiven Eskalationen zwischen 298 Extremismus mit Auslandsbezug der PKK-Anhängerschaft und Personen kam, die der türkisch nationalistischen Ülkücü-Bewegung162 zuzurechnen sind. So riefen in Deutschland Anhänger der PKK zur Solidarität mit den "kurdischen Opfern" auf. Protestveranstaltungen verliefen größtenteils störungsfrei, vereinzelt kam es dabei aber auch zu Auflagenverstößen und zu Ausschreitungen. Eine zuvor in den sozialen Medien beworbene versammlungsrechtliche Aktion in Hannover am 26.03.2024 unter dem Motto "Gegen die Angriffe von Nationaltürken in Belgien" zeigte von Anfang an einen hoch emotionalen und aggressiven Zulauf. Immer wieder skandierten die bis dahin etwa 250 Teilnehmenden PKK-typische Ausrufe oder zeigten verbotene PKK-Symbole. Auch nachdem die Versammlung aufgrund der aufgeheizten Stimmung für beendet erklärt wurde, fand keinerlei Abwanderung statt. Die Versammlung wuchs vielmehr auf etwa 450 zum Teil vermummte Personen an. Im weiteren Verlauf wurden auch strafrechtlich relevante Parolen skandiert, mehrere pyrotechnische Gegenstände (sogenannte Polenböller) gezündet und auf die Polizeikräfte geworfen. Außerdem wurden aus der Versammlung heraus insgesamt zwei Messer sowie ein "schlagstockähnlicher Gegenstand" an die Polizei übergeben. Da die Stimmung zunehmend aggressiver wurde und mehrere Demonstrierende versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen, löste die Polizei die Versammlung auf. Daraufhin bewegten sich die vormaligen Versammlungsteilnehmenden in diversen Kleingruppen durch die hannoversche Innenstadt. Gegen 21:00 Uhr beschädigte eine Gruppe von etwa 20 teilweise vermummten Personen dann das TGK durch Steine und Eisenstangen. Der Vorfall zeigt zum einen, dass tagespolitische Ereignisse - nicht nur in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten, sondern auch in Europa - einen erheblichen Einfluss auf das Veranstaltungsgeschehen in Niedersachsen haben können. Zum zweiten macht der Angriff auf das TGK deutlich, dass PKK-Anhänger dazu bereit und fähig sind, Gewalt in erheblichem Maße anzuwenden. Die PKK-Führung billigte dieses Vorgehen, indem sie nicht explizit einschritt oder dem tagelangen Aufwiegeln der Aggressionen aktiv entgegenwirkte. 162 Zur Ülkücü-Bewegung siehe Kapitel 6.5. 299 Extremismus mit Auslandsbezug Exekutivmaßnahmen gegen PKK-Anhänger Am 10.01.2024 wurden in Hannover und Umgebung fünf kurdische Objekte durchsucht. Den von den Durchsuchungen betroffenen Personen wurde die "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland" vorgeworfen. Als Reaktion auf den "Polizeiübergriff" protestierten rund 80 Personen am 12.01.2024 vor dem Hauptbahnhof in Hannover. Gleichzeitig forderten sie die Aufhebung des bestehenden PKK-Betätigungsverbotes in Deutschland. Am 21.11.2024 fanden Durchsuchungen und Festnahmen wegen mutmaßlicher Betätigung für die PKK im Bundesgebiet (Berlin, Bremen, Haldensleben und Magdeburg)163 statt, bei der insgesamt vier Personen festgenommen wurden. Die Festnahme in Berlin erfolgte aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters am BGH. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt den Kurden, als "hauptamtlicher Kader" verschiedene Sektoren und Gebiete ab 2014, u. a. seit Juni 2024 die Region Berlin und den Sektor Nord mit den Regionen Niedersachsen, Berlin und Hamburg, geleitet zu haben. Aufgrund eines Haftbefehls des OLG Koblenz wurde ein Kurde in Bremen festgenommen, dem die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vorwirft, sich als Mitglied der PKK betätigt zu haben. Zum Zweck seiner Festnahme wurde auch das Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Bremen durchsucht. Dort hatte erst im Januar 2024 eine Durchsuchung stattgefunden. Verurteilungen von PKK-Funktionären mit Niedersachsen-Bezug 2024 wurden einige Staatsschutzverfahren gegen Kader der PKK in ganz Deutschland geführt, die meistens mit einer Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach SSSS 129a/b StGB endeten. f So stand im Frühjahr der in Hannover lebende ehemalige Vorsitzende der KON-MED in München vor dem OLG. Die Generalstaatsanwaltschaft München warf dem 59-Jährigen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK) vor. Der Angeklagte sei fest in der kurdischen Szene verwurzelt und unterhalte deutschland-, europaund weltweit enge Kontakte 163 Die Festnahmen in Haldensleben sowie in Magdeburg wiesen keine Bezüge zu Niedersachsen auf. Sie wurden lediglich vollständigkeitshalber erwähnt. 300 Extremismus mit Auslandsbezug zu PKK-Aktivisten und - auch führenden - PKK-Kadern. Am 15.03.2024 verurteilte ihn das OLG München zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten. Das Urteil ist rechtskräftig. f Im März hat der Staatsschutzsenat beim OLG Koblenz das Urteil gegen einen PKK-Funktionär verkündet. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 53-Jährige als "hauptamtlicher Kader" die "PKK-Gebiete Saarbrücken und Hannover" verantwortlich geleitet habe, und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das Urteil ist rechtskräftig. f Das OLG Frankfurt am Main verurteilte am 22.03.2024 einen 56-jährigen Kurden zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte seit Mitte 2019 bis zu seiner Festnahme Ende Mai 2022 als "hauptamtlicher Kader" für die PKK als "Gebietsverantwortlicher" für das "PKK-Gebiet" Gießen und später auch Kassel164 tätig war. Straferschwerend kam hinzu, dass der Angeklagte bereits 2016 vom OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. f Der Staatsschutzsenat beim OLG Celle hat am 12.04.2024 das Urteil gegen einen Funktionär der PKK verkündet. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 44-Jährige als "hauptamtlicher Kader" von 2019 bis Mitte 2021 das "PKK-Gebiet Bremen"165 verantwortlich geleitet habe, und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Ursprünglich umfasste die Anklage neben der Gebietsleitertätigkeit in Bremen auch die Leitung des Gebietes Hannover von 2018 bis 2019. Von der Verfolgung dieses Vorwurfes wurde im Laufe des Verfahrens abgesehen. Das Urteil ist rechtskräftig f Das Hanseatische OLG Hamburg hat am 02.09.2024 einen PKKFunktionär zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Der 50-Jährige habe als "hauptamtlicher Kader" zwischen Herbst 2018 und Sommer 2020 als 164 Zum PKK-Gebiet Kassel gehört u. a. auch die südniedersächsische Region mit Göttingen und Northeim. 165 Zum PKK-Gebiet Bremen gehört z. B. auch das niedersächsische Umland mit z. B. Cuxhaven, Delmenhorst u. a. 301 Extremismus mit Auslandsbezug sogenannter Gebietsund Regionsverantwortlicher zunächst das "PKK-Gebiet Hamburg"166 und die "PKK-Region Hamburg" (bestehend aus den PKK-Gebieten Hamburg, Bremen167 und Kiel) und anschließend das "PKK-Gebiet Köln" sowie die "PKK-Region Nordrhein" (bestehend aus den PKK-Gebieten Köln, Bonn, Düsseldorf, Duisburg und Essen) verantwortlich geleitet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. f Der Staatsschutzsenat beim OLG Koblenz verurteilte am 11.12.2024 einen 37-jährigen Kurden zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Kurde als "Mitglied der PKK" von Ende 2019 bis Anfang 2022 nacheinander die "PKK-Gebiete Darmstadt, Saarbrücken und Hannover" geleitet habe. PKK bekennt sich zu Anschlag in Ankara Am 23.10.2024 wurde die türkische Hauptstadt Ankara von einem Anschlag mit fünf Toten und 22 Verletzten erschüttert, zu dem sich die PKK bekannte. Ein Attentäter und eine Attentäterin schossen auf dem Gelände des staatlichen türkischen Luftund Raumfahrtkonzerns Turkish Aerospace Industries (TAI oder TUSAS) mit Waffen um sich. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF bezeichnete den Anschlag als "Warnung gegen die genozidale Praxis und Massaker in Kurdistan sowie die Isolationspolitik der türkischen Staatsmacht". Der Angriff ereignete sich kurz nach der Äußerung des Vorsitzenden der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP), die Regierungspartner der "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP) von Staatspräsident Erdogan ist. Die Koalition hatte eine mögliche Freilassung des PKK-Führers Abdullah Öcalan thematisiert. Der MHPParteivorsitzende hatte dies jedoch an eine Entwaffnung der PKK geknüpft. Diese könnte ein Zeichen dafür sein, dass es möglicherweise zu einem neuen Friedensprozess zwischen Regierung und PKK kommen könnte. In der Mitteilung der HPG wurde ein Zusammenhang des Anschlags mit dem Vorschlag jedoch explizit bestritten. Die türkische Regierung hatte wenige Stunden nach dem Anschlag mit Luftangriffen auf Ziele im Nordirak und in Syrien reagiert. 166 Zum PKK-Gebiet Hamburg gehört auch das niedersächsische Umland mit z. B. Lüneburg. 167 Siehe Fußnote 162. 302 Extremismus mit Auslandsbezug Daraufhin riefen der KCDK-E, die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJK-E) sowie insbesondere auch KON-MED zu Protestaktionen in Europa und Deutschland auf. Daraufhin fand am 24.10.2024 in Niedersachsen in Hannover eine unangemeldete Versammlung statt, die mit 30 Teilnehmenden friedlich verlief. Auch die ebenfalls in Hannover kurzfristig angemeldete Versammlung am 26.10.2024 verlief mit 170 Teilnehmenden überwiegend friedlich. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die PKK zeigt sich noch immer als die mitgliederstärkste nichtislamistische extremistische Ausländerorganisation in Deutschland. Es wird deutlich, dass die PKK weiterhin in der Lage ist, schlagkräftig aufzutreten und - bei entsprechendem Anlass - auch Personen weit über die aktive Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. Die Schwerpunkte der Tätigkeit der PKK in Europa sind auf die logistische, finanzielle und propagandistische Unterstützung des Kampfes in der Heimat (Türkei, Syrien und Irak) ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militärischen Arms, für die Unterhaltung des Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Parteiaktivitäten bleibt daher in Europa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebenen vordringlichste Aufgabe. Die Lage der Kurden in der Türkei, den kurdischen Gebieten im Irak und in Syrien sowie die Situation des inhaftierten Abdullah Öcalan168 haben seit langem Einfluss auf die Sicherheitslage in Deutschland. Trotz der inzwischen 25 Jahre andauernden Inhaftierung bleibt Öcalan Führungsfigur und Leitmotiv der PKK. Die emotionalen Protestaktionen der letzten Jahre zeigen, wie unmittelbar der Konflikt in den Heimatregionen von den Kurden auch in Deutschland wahrgenommen und bewertet wird. Das künftige Verhalten der PKK-Anhängerinnen und -Anhänger hängt daher ganz wesentlich von der weiteren Entwicklung dort ab. Das Jahr 2024 hat gezeigt, dass das politische und militärische Agieren der Türkei 168 Der Aufruf Öcalans vom 27.02.2025 und die Verkündung eines Waffenstillstands seitens der PKK bieten die Möglichkeit, einen Prozess in Gang zu setzen, der den bewaffneten Kampf beenden könnte. Dies dürfte jedoch einen langwierigen politischen Prozess voraussetzen, bei dem die türkische Regierung der PKK Zugeständnisse machen müsste. Die weitere Entwicklung in der Türkei kann aktuell jedoch nicht prognostiziert werden. 303 Extremismus mit Auslandsbezug gegenüber der PKK nicht an Schärfe verloren hat. Staatspräsident Erdogan stellt sich mit Vehemenz der PKK entgegen und sichert sich damit weiterhin Akzeptanz und Ansehen bei einem Großteil der türkischen Bevölkerung, dies auch in Zeiten innenpolitischer, vor allem wirtschaftlicher Probleme. In Abhängigkeit von der Situation im Heimatland bleibt das Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen mit nationalistischen/ rechtsextremistischen Türken als auch das Risiko gewalttätiger Angriffe von PKK-Anhängerinnen und -Anhängern auf türkische Einrichtungen weiterhin hoch, wie der Anschlag auf das Türkische Generalkonsulat in Hannover im Frühjahr 2024 gezeigt hat. Insbesondere beim Aufeinandertreffen von Personen aus dem (nationalistischen) türkischen und dem kurdischstämmigen Lager kann es aufgrund der hohen Emotionalisierung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Auch Besetzungsaktionen, Brandanschläge und Sachbeschädigungen an Gebäuden türkischer Einrichtungen sind möglich. Grundsätzlich ist aber in Deutschland weiterhin von einem friedlichen Protestverlauf auszugehen, denn die PKK propagiert die Beibehaltung einer friedlichen Linie in Europa. 6.5 Ülkücü-Bewegung Sitz/Verbreitung Türkei Gründung/ Mitte des 20. Jahrhunderts Bestehen seit Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 700 Kurzportrait/Ziele Die rechtsextreme türkische Ülkücü (Idealisten)-Bewegung, umgangssprachlich auch "Graue Wölfe" (Bozkurtlar) genannt, wurde 1968 von Alparslan Türkes (1917-1997) gegründet und versteht sich als außerparlamentarischer Arm der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP). Sie fußt auf einer nationalistischen und rassistischen Ideologie, deren Wurzeln 304 Extremismus mit Auslandsbezug im Panturkismus bzw. Turanismus169 liegen. Die Überhöhung des türkischen Volkes geht mit einer gleichzeitig ausgeprägten Abwertung anderer Ethnien, Staaten und Religionen, vor allem von Angehörigen des jüdischen Glaubens, des Staates Israel und der Armenier, einher. Kurden und Griechen bilden ein weiteres stark ausgeprägtes Feindbild. Kommunismus und Kapitalismus werden zugunsten eines dritten Weges abgelehnt. Ziel der extrem nationalistisch, antisemitisch, rassistisch und rechtsextremistisch ausgerichteten Bewegung ist der Schutz des Türkentums sowie eine alle Turkvölker in einem homogenen "Großtürkischen Reich" namens "Turan" vom Balkan bis nach Westchina vereinende Nation. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Bei der Ülkücü-Bewegung handelt es sich aufgrund ihres stark überhöhten Nationalismus in Verbindung mit der Abwertung anderer Ethnien um eine Bestrebung, die gegen den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richtet. Sie erfüllt damit die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 NVerfSchG). Ihre Ideologie zeigt sich nach außen durch Symbole wie die "DreiHalbmondfahnen", den "Grauen Wolf" (Bozkurt) und den "Wolfsgruß". Der "Graue Wolf" findet seinen Ursprung in der türkischen Gründungsmythologie, beispielsweise im Ergenekon-Mythos170 oder in der Asena-Legende171 und gilt als vorherrschendes Abstammungsund Machtsymbol. Vom "Grauen Wolf" abgeleitet ist der sogenannte "Wolfsgruß", eine der bekanntesten Gesten der Ülkücü-Bewegung und auch der türkischen MHP, hier symbolisiert der "Wolfsgruß" Zugehörigkeit. 169 Die Ideologie entstand im 19. Jahrhundert und verfolgt das Ziel, alle turksprachigen Völker in einem einzigen Staat zusammenzuschließen. 170 Ein Wolf rettete die bedrängten Vorfahren des türkischen Volkes, das Zuflucht im Tal Ergenekon gesucht hatte vor dem Feind, führte das Volk aus dem Tal und verhalf ihm zu neuer Macht. 171 Laut der Asena-Legende wurde der Stammvater der Gök-Türken (das urtürkische Volk) von der Wölfin Asena gerettet. 305 Extremismus mit Auslandsbezug Politische Ereignisse im Heimatland Türkei führen regelmäßig zu hoch emotionalen Reaktionen, auch in der Bundesrepublik Deutschland, wie die Präsidentschaftsund Parlamentswahlen 2023 in der Türkei gezeigt haben. Gewaltaktionen, z. B. gegen PKK-Anhänger, aber auch gewalttätiger Widerstand gegen die Polizei im Rahmen von Demonstrationen erfolgen immer wieder situativ und spontan, sind aber bisher insgesamt eher überschaubar. Bei den "Grauen Wölfen" handelt es sich in all ihren Ausprägungen um eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Ideologie Das ideologische Fundament der Ülkücü-Lehre bildet die 9-StrahlenDoktrin, verfasst von Alparslan Türkes im Jahr 1965. Die Strahlen symbolisieren die Theorien des Nationalismus, des Idealismus, des Moralismus, die traditionelle Wissenschaftlichkeit, die Soziabilität, die Förderung der Landwirtschaft, die Freiheit und den Individualismus, die Volksnähe, die Förderung der nationalen Industrie sowie der Technik. Aufbauend auf diese Doktrin entwickelte sich in der ÜlkücüBewegung eine Grundhaltung und Idealvorstellung, die sich auf fast alle Lebensbereiche erstreckt. Sie stellt eine Lebensphilosophie dar, nach der ihre Anhängerinnen und Anhänger zu leben haben. Die totale Identifikation mit der Nation, dem türkischen Staat sowie der Religion wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Ein weiteres Kriterium ist die Absicht, ein "Großtürkisches Reich" zu errichten, den sogenannten "Turan". Danach soll ein Volk (das Türkentum) herrschen, mit einer Sprache (Türkisch), unter derselben Flagge (die drei Halbmonde) und auf demselben Territorium (dem "Großtürkischen Reich"). Dabei sind die Überhöhung des Türkentums, des türkischen Charakters und des Kampfes gegen Separatisten wichtige Elemente. Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusstsein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie. Die "Grauen Wölfe" leben nach einem totalitären Normverständnis, nach dem allen Menschen anderer Ethnien, insbesondere Kurden, Juden, Armeniern und Griechen oder anderen Minderheiten in der Türkei weder Akzeptanz noch Respekt gewährt werden. Ein "Freund-Feind-Denken" ist stark ausgeprägt. Hass und Gewalt gegenüber fremden Gruppierungen werden als legitim betrachtet. In der Praxis folgt daraus eine ständige Gewaltbereitschaft gegenüber 306 Extremismus mit Auslandsbezug den "Feinden", die insbesondere bei der jungen Anhängerschaft und im Internet zutage tritt. Auch eine antidemokratische Grundhaltung mit gezielter Propaganda gegen "Linke", Sozialisten, Kommunisten sowie demokratische Institutionen gehört zur typischen Denkweise. Diese Ideologie verstößt nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz, sondern wirkt einer Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in die deutsche Gesellschaft entgegen. Struktur Die Ülkücü-Bewegung ist in Deutschland in drei Dachverbänden organisiert. In Niedersachsen sind Ortsvereine zweier dieser Dachverbände bekannt. Der größte Dachverband ist die 1978 gegründete "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V." (ADÜTDF). Sie versteht sich als Auslandsvertretung der MHP. Die MHP wurde Logo des ADÜTDF 1969 ebenfalls durch Alparslan Türkes gegründet und ist auf Nationalismus und Turanismus ausgerichtet. Türkes wird von den Anhängern der ADÜTDF bis heute hoch verehrt. Die ADÜTDF pflegt eine Anti-EU-Rhetorik und agitiert vehement gegen die PKK. Seit 2018 besteht ein Wahlbündnis der MHP mit der vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angeführten "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP), wodurch beide Parteien zusammen die Mehrheit im türkischen Parlament stellen. Die ADÜTDF mit Sitz in Frankfurt am Main teilt sich in ihrer Organisationsstruktur in mehrere Bölge (Gebiete) auf. Niedersachsen gehört zum Bölge Nord. Aktive Vereine existieren in Braunschweig, Hannover, Osnabrück und Salzgitter. Im bundesweiten Vergleich bildet Niedersachsen keinen Schwerpunkt der Aktivitäten. Auf europäischer Ebene existiert der Dachverband "Türkische Konföderation in Europa" (ATK). Er besteht aus der ADÜTDF und neun weiteren nationalen Vereinigungen. Ein weiterer Dachverband der Ülkücü-Bewegung ist die "Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V." (ATIB) mit Sitz in Köln. Sie hat sich 1987 von der ADÜTDF abgespalten, ohne sich ideologisch neu auszurichten. Die ATIB steht für einen stärker Logo des ATIB 307 Extremismus mit Auslandsbezug islamisch-religiös orientierten Teil der "Ülkücü-Bewegung". In Niedersachsen sind ATIB-Vereine mit angegliederten Moscheen in Hannover, Osnabrück und Salzgitter ansässig. Neben den Dachverbänden gibt es zudem eine quantitativ und qualitativ bemerkenswerte, aber schwer fassbare unorganisierte Szene der "Grauen Wölfe". Dabei handelt es sich um Aktivistinnen und Aktivisten, die einzeln oder in kleinen Strukturen rechtsextremistische Bestrebungen entfalten. Insbesondere im Internet und in den sozialen Netzwerken sind rechtsextreme Symbolik, Mobilisierung und Hetze festzustellen. Die sozialen Medien sind hier - allen voran für in Deutschland geborene und aufgewachsene türkischsprachige Jugendliche - eine wichtige Plattform. In dieser Szene steht nicht die Anbindung an eine Partei im Vordergrund, sondern lediglich eine loyale Grundeinstellung gegenüber nationalistischen rassistischen Denkmustern und der Parteiarbeit in der Türkei. Aktuelle Ereignisse in der Türkei werden über die sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok thematisiert. Dabei wird insbesondere mit kurdischstämmigen Türken über reale, aber auch Fake-Accounts kommuniziert, gestritten und sich beleidigt. Schon Ende 2020, unmittelbar nach dem Verbot der "Grauen Wölfe" in Frankreich, sprach sich der Deutsche Bundestag in einem parteiübergreifenden Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Prüfung eines Organisationsverbots der Vereine der Ülkücü-Bewegung in Deutschland aus. Die Entscheidung der Bundesregierung steht weiterhin aus. Aktivitäten in Niedersachsen Die regionalen Vereine der Ülkücü-Bewegung organisieren regelmäßig Treffen zu bestimmten Anlässen. Auf diese Weise wird der patriotische Zusammenhalt der Gemeinschaft - ein türkisch nationalistisches Zusammengehörigkeitsgefühl - gefördert. Auch werden zu bestimmten wichtigen Festtagen, wie z. B. dem religiösen Fastenbrechen oder dem Zuckerfest, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeladen, um ein enges soziokulturelles Zusammenleben zu suggerieren. Fotos dieser Veranstaltungen 308 Extremismus mit Auslandsbezug werden dann öffentlichkeitswirksam in den Sozialen Netzwerken verbreitet. Das Aktionsspektrum in den Vereinsräumlichkeiten ist vielfältig. Um das ideologische Gedankengut zu festigen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, gehören sowohl kulturelle und familiäre Feste als auch nationale oder religiöse Feierlichkeiten zur Tagesordnung. So werden z. B. seit Jahren Gedenkveranstaltungen für den Urvater der "Grauen Wölfe", Alparslan Türkes ausgerichtet, insbesondere sein Todestag am 4. April wird in den Vereinen gewürdigt. Seit Jahren wird deutlich, dass der beschriebene Aktionismus zwar vordergründig kulturell und religiös geprägt ist; es schwingt i. d. R. aber eine Überhöhung des türkischen Nationalismus mit, z. B. durch die Ausgestaltung der Räumlichkeiten mit Flaggen und Symbolen sowie durch die ausgewählte Musik. Veranstaltungen dieser Art zeigen, dass die Vereine zwar bemüht sind, sich nach außen als sozial und engagiert darzustellen. Sie versuchen aber auch, unter Außerachtlassung demokratischer Grundprinzipien, das Wohl und den Schutz der kulturellen und religiösen Werte beizubehalten, nationalistische Werte hervorzuheben und die Anhänger, insbesondere die Jugendlichen, an sich zu binden und im Sinne der Ülkücü-Ideologie zu sozialisieren. Damit arbeiten die Vereine aktiv einer erfolgreichen Integration türkischstämmiger Personen entgegen. Eine besondere Bedeutung kommt der Geste des "Wolfsgrußes" zu, dem Erkennungszeichen der "Grauen Wölfe". Der "Wolfsgruß" wird von ÜlkücüAnhängern ganz bewusst eingesetzt, um die als Gegner und minderwertig empfundenen Personen und Volksgruppen zu provozieren. Als Beispiel hierfür kann das Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft 2024 gelten, bei dem ein türkischer Nationalspieler beim Torjubel gegen Österreich den "Wolfsgruß" zeigte. Damit löste er nicht nur einen politischen Skandal aus (Untersuchungsverfahren der UEFA, Einbestellung des Türkische Fußballfans zeigen den Wolfsgruß auf dem Weg zum nächsten EM-Spiel im Berliner Olympiastadion. Der deutschen Botschafters durch die Türkei, Wolfsgruß wird auch von türkischen Nationalisten in Niedersachsen gezeigt. Anreise Erdogans zum weiteren Spiel der 309 Extremismus mit Auslandsbezug türkischen Mannschaft), sondern sorgte auch für eine emotionalisierte Lage in den Fußballstadien und auf den Straßen. In Osnabrück kam es zu einer spontanen Gruppenbildung, bei der türkische Fußballfans, den "Wolfsgruß" offen zeigend, durch die Innenstadt zogen. Im Internet wird die ganze Bandbreite der Bewegung und ihrer Anhängerinnen und Anhänger offenbar - häufig in drastischen Bildern und Worten. Viele der meist jugendlichen Anhängerinnen und Anhänger bekräftigen in ihrer Selbstdarstellung über das Internet eine rassistische, kulturelle und mitunter auch religiöse Überlegenheit. Das Vorgehen der türkischen Armee in den kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien und im Nordirak wird von den "Grauen Wölfen" generell unterstützt. Sie hoffen, dass dadurch die Autonomiegebiete an der türkischen Südgrenze beseitigt werden und somit keine Bedrohung mehr für die Souveränität und Integrität des türkischen Staates besteht. Entsprechend gab es immer wieder Spannungen zwischen "Grauen Wölfen" und der PKK. Seit einigen Jahren konzentrieren sich die konfrontativen Aus e inand e r s et zung en z w is ch e n nat i o nalis t is ch e n und linksextremistischen türkischstämmigen Personen bzw. PKKSympathisierenden auf das Internet. Das zeigte sich auch auf den Accounts des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bei Instagram und Twitter. Auf Info-Beiträge zur Ülkücü-Bewegung und zur PKK reagierte die jeweilige Gegenseite mit abschätzigen und teilweise herablassenden Kommentaren. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die politischen Entwicklungen in der Türkei sind für die "Grauen Wölfe" in der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Impulsgeber. Eine ausgeprägte nationalistische Ausrichtung der Vereine in Deutschland, die seit der politischen Allianz zwischen AKP und MHP bei der Anhängerschaft zugenommen hat, verstärkt dabei eine Abkehr von Integration. Auch die schwierige Wirtschaftslage in der Türkei mit einer extrem hohen Inflation und einem damit einhergehenden Kaufkraftverlust für breite Teile der Bevölkerung führte 310 Extremismus mit Auslandsbezug bislang nicht zu einer nennenswerten Abkehr von der türkischen Regierung und Präsident Erdogan hierzulande. Bisher zeigen die Appelle der Vereine, Provokationen nicht in Gewalt ausarten zu lassen, überwiegend ihre Wirkung. Von den Dachverbänden sind auch im Rahmen des Nahost-Konfliktes keine unfriedlichen Aufrufe zu erwarten, man bleibt um die Außendarstellung einer legalen positiven Vereinsarbeit bemüht. Als Träger der extremistischen Ideologie fördern aber auch die Vereine die grundsätzliche Bereitschaft einzelner Anhängerinnen und Anhänger, Gewalt und Provokationen gegen die Personen und Volksgruppen auszuleben, die durch die Ideologie als Feinde wahrgenommen werden. 311 07 Extremismusprävention Extremismusprävention 7.1 Extremismusprävention Für eine effiziente und nachhaltige Sicherheitspolitik müssen Repression und Prävention Hand in Hand gehen. Aus diesem Bewusstsein heraus hat der Niedersächsische Verfassungsschutz 2014 den phänomenübergreifenden Fachbereich Extremismusprävention eingerichtet. Er umfasst eine Vielzahl von Angeboten, von der Informationsvermittlung über Extremismusphänomene und Radikalisierung, das Engagement im Rahmen der Niedersächsischen Landesprogramme für Extremismusprävention, die Präventionsberatung für Fachkräfte bis hin zum Ausstiegsangebot aus dem Extremismus. Da sich die extremistischen Szenen ständig wandeln, werden die Präventionsangebote des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stetig an die aktuellen Entwicklungen angepasst. Sie sind zudem zielgruppenorientiert und niedrigschwellig erreichbar. Dies stellt sicher, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den Angeboten haben, um sich zu informieren, Ansprechpersonen bei konkreten Fragen zu finden und ggf. sogar selbst Hilfe zu erhalten. Extremismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist daher Kooperationspartner innerhalb eines Netzwerkes von unterschiedlichen Präventionsakteuren in Niedersachsen sowie auf Bundesebene. Damit trägt er zu einer gelingenden und ganzheitlich angelegten Extremismusprävention für Niedersachsen bei. Deshalb ist er gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) geschäftsführend im Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) tätig und hat seinerzeit federführend an der Erarbeitung des im Niedersächsischen Justizministerium angesiedelten "Landesprogramms gegen Rechtsextremismus - für Demokratie und Menschenrechte" (heute: "Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte") mitgearbeitet. 314 Extremismusprävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz hält folgende Präventionsangebote vor: f Bereitstellung von Referentinnen und Referenten für Fachvorträge, f Veröffentlichung von Informationen des Verfassungsschutzes im Rahmen eigener Veranstaltungen und Publikationen, f speziell für bestimmte Adressatenkreise konzipierte Informationsund Beratungsangebote (u. a. Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"172, Lehrkräftefortbildungen, Beratung von Funktionsträgerinnen und -trägern in Städten und Kommunen), f Betreuung von Personen, die sich von extremistischen Ideologien bzw. Szenen abwenden möchten (Aussteigerprogramm Aktion Neustart173). 7.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen Ein wichtiger Baustein der Präventionsangebote des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind Vortragsund Informationsverans t altungen. Mit arbeiterinnen und Mit arbeiter des Verfassungsschutzes können zu allen Aspekten des Extremismus als Referentinnen und Referenten eingeladen werden, z. B. von Kommunen, Vereinen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Ebenso werden Projekttage, Seminare und Workshops auf Anfrage fachlich begleitet. Die Themen und Formate können innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Verfassungsschutzes mit den Referentinnen und Referenten flexibel vereinbart werden. 2024 wurden insgesamt 149 Vortragseinheiten realisiert, an denen ca. 5.900 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen. 172 Siehe Kapitel 7.3. 173 Siehe Kapitel 7.7. 315 Extremismusprävention Auch 2024 wurde der Rechtsextremismus als Einzelthema mit 48 Vorträgen am stärksten nachgefragt. In 84 Überblicksvorträgen wurden die Arbeit des Verfassungsschutzes, die verschiedenen Extremismusbereiche und Angebote der Prävention umfassend behandelt. In acht Vorträgen erfolgte eine Sensibilisierung zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter". Neun Vorträge thematisierten ausschließlich den Phänomenbereich Islamismus. Kooperationsprojekt "Riegelstellung gegen Extremismus" mit dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen Seit 2020 fördert der Niedersächsische Verfassungsschutz das beim Landesfeuerwehrverband Niedersachsen angesiedelte Präventionsprojekt "Riegelstellung gegen Extremismus". Ziel des Projektes ist es, die Freiwilligen und Berufsfeuerwehren in Niedersachsen zu informieren, wie Extremismus und extremistische Radikalisierung zu erkennen sind sowie Handlungsoptionen im Falle einer Radikalisierung an die Hand zu geben. Der Fachbereich Extremismusprävention ist an der Kooperation in Form von Vorträgen und Seminartagen für die Angehörigen der niedersächsischen Feuerwehren inhaltlich beteiligt. 2024 fanden 16 Veranstaltungen gemeinsam mit dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen statt. Bereits die vorangehenden Projekte "Löschangriff gegen Rechts" und "Zündstoff für die Feuerwehren in Niedersachsen" hat der Niedersächsische Verfassungsschutz gefördert. 7.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein seit Jahren erfolgreiches und anschauliches Format der Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bildet die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". Grundlegende Informationen zu verschiedenen Ausprägungen des Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Propaganda werden u. a. anhand einschlägiger Internetvideos, rechtsextremistischer 316 Extremismusprävention Musik und Szenebekleidung vermittelt. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die rechtsextremistische Jugendszene. Daher eignet sie sich insbesondere für Schülerinnen und Schüler bzw. Auszubildende. Sie wird durch Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes begleitet, die im Rahmen von 90-minütigen Führungen auch die Fragen der Teilnehmenden beantworten. Ein zusätzliches Modul behandelt mit dem Antisemitismus einen Grundbestandteil der rechtsextremistischen Ideologie, informiert jedoch auch kurz über Formen des Antisemitismus in anderen Extremismusphänomenen. Ein weiteres befasst sich mit Verschwörungstheorien. Nach vorheriger Absprache besteht die Möglichkeit, diese beiden Themen als eigene Schwerpunkte zu behandeln. 2024 war die Wanderausstellung bei der Bundeswehr in Hannover, der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Stuhr-Brinkum und dem Gymnasium Ernestinum Rinteln zu Gast. In Hannover nahmen 379 317 Extremismusprävention Bundeswehrangehörige an 23 Führungen teil. In der KGS StuhrBrinkum besuchten 506 Schülerinnen und Schüler im Rahmen von 16 Führungen die Ausstellung. Am Gymnasium Ernestinum in Rinteln wurden 294 Schülerinnen und Schülern in 13 Führungen Kenntnisse über die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus vermittelt. Bereits seit dem Jahr 2005 setzt der Niedersächsische Verfassungsschutz die inzwischen mehrfach überarbeitete Wanderausstellung zur Informationsvermittlung über den Rechtsextremismus ein. Seitdem fanden rund 1.150 Führungen statt, mit denen ungefähr 25.600 Besucherinnen und Besucher erreicht wurden. Insgesamt war die Wanderausstellung seit 2005 in 96 Orten in Niedersachsen sowie in angrenzenden Bundesländern zu sehen. 7.4 Informationsmaterialien Der Niedersächsische Verfassungsschutz erstellt Informationsmaterialien und veröffentlicht den jährlichen Verfassungsschutzbericht, der einen detaillierten Überblick über die extremistischen Entwicklungen in Niedersachsen gibt. Die Materialien können kostenfrei beim Niedersächsischen Verfassungsschutz bestellt werden und stehen auch auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zum kostenlosen Download zur Verfügung. Das Portfolio umfasst derzeit folgende Titel: f "Reichsbürger und Selbstverwalter" (Flyer), 318 Extremismusprävention f "Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus im Rechtsextremismus" (Flyer), f "Verschwörungstheorien: Erscheinungsformen und Symbole" (Flyer), f "Islamismus" (Flyer) (deutsch, arabisch, türkisch), f "Jihadistischer Salafismus" (Flyer), f "Verfassungsschutz durch Information" (Flyer), f "Spionage - (k)ein Thema?!" (Flyer), f "Immobiliengeschäfte mit extremistischem Hintergrund" (Flyer; nur für Kommunen; kein Download). 7.5 Veranstaltungen Symposium Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz regelmäßig öffentliche Symposien veranstaltet, in deren Rahmen anerkannte Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen des Extremismus diskutieren. Das Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes fand am 21.08.2024 unter dem Titel "Desinformation und politische Mobilisierung - Einflussnahme auf politische Meinungsbildung im digitalen Zeitalter" in Hannover statt. Etwa 150 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, um sich einerseits über aktuelle Kampagnen der Desinformation und andererseits über mögliche repressive und präventive Ansätze dagegen zu informieren und auszutauschen. Die 319 Extremismusprävention Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, betonte in ihrem Grußwort: "Desinformationen und Falschmeldungen haben das Potenzial, die politische Landschaft und das gesellschaftliche Miteinander in heftigen Aufruhr zu versetzen und die Sicherheitsbehörden massiv herauszufordern. Ein ganz konkretes Beispiel dafür sind die jüngsten rechtsextremen Ausschreitungen in Großbritannien. Auch hier in Deutschland und in Niedersachsen erleben wir immer wieder falsche Verdächtigungen, voreilige Behauptungen und politische Mobilisierung. Verantwortlich dafür sind häufig extremistische Akteure, die so ganz gezielt versuchen, die Meinungsbildung zu beeinflussen." Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril äußerte sich zu den Zielen solcher Kampagnen: "Desinformationskampagnen zielen darauf ab, gesellschaftliche Spannungen hervorzurufen, demokratische Prozesse zu stören und Einfluss auf Strukturen und Entscheidungen zu nehmen. Damit rütteln sie an den Grundpfeilern unserer Demokratie. Es gilt, solche Versuche zu identifizieren und alles dafür zu tun, dass sich Narrative nicht verfestigen, andererseits aber auch im Bildungsbereich frühzeitig den Umgang mit Informationen und deren Verbreitung zu schulen, Stichwort: Medienkompetenz." In einem kurzen, interaktiv gestalteten P ro grammteil w urd en grundle g end e Begriffe wie "Desinformation", "Fake News" oder "Deepfakes" kurz erläutert. Die Gäste hatten die Gelegenheit, sich online an einer Echtzeitumfrage zu beteiligen. Dabei wurde vor allem deutlich, dass "Desinformation" insgesamt als wichtiges Thema wahrgenommen wird, mit dem auch einige Grafisch aufbereitete Ergebnisse der Echtzeitumfrage Befürchtungen verbunden sind. Im Rahmen von Workshops erhielten die Teilnehmenden des Symposiums einen Einblick in verschiedene Dimensionen des Themas. Jörg Peine-Paulsen, Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, stellte in einem Workshop mit dem Titel "KI und Desinformation" die aktuellen technischen Möglichkeiten von KI vor. 320 Extremismusprävention Ausführlich diskutierte er mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern über ihre Hoffnungen und Befürchtungen bezüglich KI und Desinformation. Peine-Paulsen betonte, dass die menschliche Fähigkeit zu kommunizieren und zu hinterfragen, der beste Schutz gegen die missbräuchliche Nutzung von KI sei. So solle jeder Tag wie ein 1. April angegangen werden. "Diskursverschiebung durch 'Mainstreaming' - Sprache als versteckte Waffe" bildete das Thema des zweiten Workshops, der von Jannis Herdan und Julian Tannigel, beide Mitarbeiter im Niedersächsischen Verfassungsschutz, gestaltet wurde. Sie erläuterten die Diskursverschiebung durch "Mainstreaming" anhand von Beispielen aus dem Phänomenbereich Islamismus. Dabei spielten bekannte Szenepersönlichkeiten, aber auch Staaten wie Saudi-Arabien oder der Iran eine bedeutende Rolle. Alexander Hensel von der Forschungsund Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx) thematisierte in seinem Workshop mögliche Herangehensweisen im Umgang mit Rechtspopulismus. Dabei weitete er den Blick auch auf den europäischen Kontext und wies auf die Besonderheiten der deutschen Debatte hin. In der abschließenden Podiumsdiskussion ging es vor allem um repressive und präventive Möglichkeiten, Desinformation zu begegnen. Unter der Moderation von Lena Reuter (Moderatorin und Präsentationstrainerin) diskutierten die Rechtsanwältin Dr. Jessica Flint, LL.M. (Edinburgh), Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement und politische Kommunikation von der Universität Leipzig, der Jurist und Journalist Dr. Torben Klausa, Forscher bei Innovation Lead Agora Digitale Transformation, sowie der Niedersächsische Verfassungsschutzpräsident, Dirk Pejril. Die Bewertung der Relevanz von Desinformation scheint abhängig von der jeweiligen Sichtweise. Es sei z. B. wissenschaftlich erforscht, dass Desinformation nicht so weit verbreitet ist, wie die meisten Menschen annähmen. Allein die Annahme der weiten Verbreitung könne jedoch das Vertrauen der Bevölkerung in den Wahrheitsgehalt von Informationen senken. Großangelegte Informationskampagnen liefen also Gefahr, die Menschen weiter zu verunsichern. Diese wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, 321 Extremismusprävention so wurde in der Diskussion deutlich, widersprechen allerdings den Erfahrungen, die aufseiten der Sicherheitsbehörden bezüglich der Reichweite von Desinformationskampagnen gemacht werden. Einigkeit herrschte auf dem Podium hingegen darüber, dass in manchen Bereichen Desinformation und Sabotage wichtige Themen seien, die dringend adressiert werden müssen, z. B. in der Wirtschaft und in der Prävention von Extremismus. Diskutiert wurde zudem über Verantwortlichkeiten zur Lösung des Problems. Einigkeit bestand auch darin, dass die Herausforderung nur im Zusammenspiel von rechtlichen, sicherheitsbehördlichen und bildungspolitischen Maßnahmen bewältigt werden könne. Dazu Ministerin Behrens: "Desinformation wirkt sich nicht nur demokratieschädigend, sondern demokratiezersetzend aus. Deshalb müssen wir uns den beschriebenen Gefahren deutlich aktiv entgegenstellen. Lösungen müssen sowohl repressiv als auch präventiv ansetzen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Projekte und Initiativen, die sich genau diesem Ziel verschrieben haben. Sie bieten Faktenchecks an, mit denen sie falsche und verfälschte Informationen entlarven und eigene Recherchen anbieten. Dazu muss man zunächst einmal erkennen, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt. Das klingt einfacher, als es in Wahrheit ist. Denn es ist nicht immer zweifelsfrei zu klären, welche Intention mit der Verbreitung einer falschen oder verfälschenden Information verfolgt wird. Manche Menschen glauben fest an die vermeintliche Wahrheit dieser Inhalte und verbreiten sie. Hier kann jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten, indem man falschen Behauptungen z. B. in sozialen Medien oder im privaten Umfeld aktiv widerspricht." 322 Extremismusprävention Graphic Recording des Symposiums Podiumsdiskussionen 2014 initiierte der Niedersächsische Verfassungsschutz mit "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" eine weitere Veranstaltungsreihe, die im jährlichen Wechsel mit dem Symposium stattfindet. Bei diesem Format stehen nicht die eigenen Positionen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Vordergrund; vielmehr bietet es ein Forum, um Akteure der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Politik über aktuelle Themen miteinander ins Gespräch zu bringen. Dieses Veranstaltungsformat ist für 2025 in Planung. 323 Extremismusprävention 7.6 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) 7.6.1 Struktur Die islamistische und vor allem die salafistische Radikalisierung junger Menschen stellt Staat und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Wichtig ist, Radikalisierungsprozessen vorzubeugen oder diese aufzuhalten. Das Land Niedersachsen begegnet dieser Herausforderung, indem es auf eine lebendige und vielfältige Präventionslandschaft setzt. Diese Vielfalt sowie die angespannte sicherheitspolitische Lage machen eine strukturierte und abgestimmte Vorgehensweise notwendig. Im Juli 2016 hatte die Niedersächsische Landesregierung deshalb die Einrichtung der "Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen" beschlossen. Im Mai 2020 wurde KIP NI per Kabinettsbeschluss zum Landesprogramm für Islamismusprävention ausgebaut. Das Landesprogramm trägt den Titel "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI). Das KIP NI hat zur Aufgabe, die vorhandenen Netzwerke der unterschiedlichen Akteure im Bereich der niedersächsischen Islamismusprävention zu bündeln, zu institutionalisieren und zu intensivieren. Es ist damit die zentrale Stelle in Niedersachsen, an der die vielfältigen Ansätze der Islamismusprävention zusammenlaufen, abgestimmt und strukturiert werden. Das Kompetenzforum ist eine ressortübergreifende Einrichtung, in welcher der Sachverstand f des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (MI), f des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI), f des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung (MS) mit der zivilgesellschaftlichen 324 Extremismusprävention Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung - beRATen e. V., f des Niedersächsischen Justizministeriums (MJ) mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR NI) sowie f des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK) zusammengeführt wird. Die Koordinierungsstelle des Kompetenzforums wird gemeinsam und gleichberechtigt durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz (Fachbereich Extremismusprävention) und das LKA NI (Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität) wahrgenommen. Die am KIP NI beteiligten Ressorts sind auf mehreren Ebenen miteinander vernetzt: f Eine Steuerungsgruppe, bestehend aus den jeweils zuständigen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern der an dem KIP NI beteiligten Ministerien, setzt die wesentlichen Weichenstellungen für die Islamismusprävention in Niedersachsen. 325 Extremismusprävention f Zur interministeriellen Vernetzung auf Arbeitsebene finden regelmäßig Treffen mit den für die Islamismusprävention zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt. Hier werden die Details der ressortübergreifenden Islamismusprävention gemeinschaftlich erarbeitet, neue Trends im Themenfeld Islamismus diskutiert, Präventionsansätze entwickelt und bei Bedarf Projektgruppen eingerichtet. f Die Arbeit des KIP NI wird durch einen Fachbeirat, bestehend aus Mitgliedern aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, beratend begleitet. Darüber hinaus stimmt sich das Landesprogramm KIP NI fachlich und strategisch mit dem Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte (Federführung im MJ) ab, um Synergieeffekte zu nutzen und Doppelstrukturen zu vermeiden. Ziel ist es, in Niedersachsen eine ganzheitliche Extremismusprävention zu gewährleisten. 7.6.2 Arbeitsschwerpunkte f Strategische Koordinierung In den verschiedenen Gremien des KIP NI werden nachhaltige Strategien für die Islamismus-/Salafismusprävention in Niedersachsen entwickelt. Der Niedersächsische Verfassungsschutz koordiniert diesen Entwicklungsprozess. f Einzelfallbezogene Koordinierung Zur Koordinierung und Bearbeitung von Einzelfällen beruft das LKA NI Fallkonferenzen mit den jeweils erforderlichen Akteuren ein. Gemeinsam werden individuelle Präventionsmaßnahmen der Intervention und Deradikalisierung erarbeitet. f Aufbau von kommunalen Netzwerken für Extremismusprävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz, das LKA NI und beRATen e. V. begleiten den Prozess der lokalen Netzwerkbildung, um sicherzustellen, dass vor Ort u. a. für die Islamismus-/Salafismusprävention Informationen problemlos für die Öffentlichkeit zugänglich sind, Meldewege etabliert werden und die Fallbearbeitung effizient erfolgen kann. 326 Extremismusprävention f Sensibilisierung Alle am KIP NI beteiligten Akteure bieten Maßnahmen zur Sensibilisierung der mit dem Phänomen Islamismus/Salafismus konfrontierten Einrichtungen und der Öffentlichkeit an. Detaillierte Informationen zu den Sensibilisierungsund Informationsangeboten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind den Kapiteln "7.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen" sowie "7.4 Informationsmaterialien" zu entnehmen. Zudem koordiniert der Niedersächsische Verfassungsschutz die Öffentlichkeitsarbeit des KIP NI mittels einer eigenen Internetseite, Flyern und Broschüren und ist für die öffentliche Jahresveranstaltung des KIP NI verantwortlich. f Intervention und Deradikalisierung Das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Aktion Neustart174 hilft Ausstiegswilligen dabei, sich von extremistischer Szene und Ideologie zu lösen und ein Leben ohne Extremismus zu führen. Die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung beRATen e. V. bietet Beratung bei Radikalisierungsverdachtsfällen und steht Angehörigen bzw. dem Umfeld von Radikalisierten als Ansprechpartner zur Verfügung. Beide Angebote sind kostenfrei, vertraulich und auf freiwilliger Basis. 7.6.3 Arbeitsgruppen 2024 haben folgende interministerielle Arbeitsgruppen (AG) innerhalb des KIP NI gearbeitet: f AG "Kommunale Strukturen der Extremismusprävention" (AG KoStX)175: In der Arbeitsgruppe geht es um die zielgerichtete Stärkung der Extremismusprävention auf lokaler Ebene. Für eine ganzheitliche Extremismusprävention im Flächenland Niedersachsen ist es notwendig, dass Präventionsstrukturen auf Landesebene durch Strukturen auf kommunaler Ebene ergänzt werden. Ziel der AG KoStX ist es, ressortübergreifend Standards der 174 Siehe Kapitel 7.7. 175 Vormals als AG "Kommunale Strukturen der Islamismusprävention" (AG KoStI) bekannt. 327 Extremismusprävention Extremismusprävention auf lokaler Ebene zu erarbeiten. Hierfür stimmen sich das LKA NI, der Niedersächsische Verfassungsschutz und beRATen e. V. in regelmäßigen Sitzungen über die Bedarfe vor Ort und Standards für kommunale Netzwerke der Extremismusprävention ab. Im Berichtzeitraum wurde das Konzept der AG KoStX neu aufgelegt und der Wandel von einer dezidierten Fokussierung auf die Islamismusprävention zur weiter gefassten Extremismusprävention vollzogen. In diesem Zuge hat die AG KoStX ein modulares Curriculum zur Etablierung kommunaler Präventionsnetzwerke entwickelt. f AG "Zusammenarbeit mit Jugendämtern": Unter Federführung des MS wurde eine AG gebildet, deren Aufgabe darin besteht, die Herausforderungen, die Möglichkeiten sowie die Stärkung der Zusammenarbeit von Akteuren der Präventionsarbeit mit Jugendämtern im Kontext von islamistischer Radikalisierung zu bearbeiten. Ein besonderer Fokus liegt auf aus Syrien und dem Irak zurückkehrenden Kindern, aber auch auf Schnittstellen von Kinderund Jugendhilfe und Radikalisierungsprävention. In dieser AG wirken Vertreterinnen und Vertreter des Landesjugendamtes, der Fachreferate des MS, der Beratungsstelle beRATen e. V. sowie die Rückkehrkoordination von LKA NI und Verfassungsschutz mit. f AG "(De-)Radikalisierung und Prävention im Kontext psychischer Auffälligkeiten": Unter der Federführung des MS, der Beratungsstelle beRATen e. V. und des LKA NI arbeiten in dieser AG zivilgesellschaftliche und staatliche Präventionsakteure mit weiteren Professionen aus den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie zusammen. Ziel der AG ist die multiprofessionelle Betrachtung von Fällen sowie eine gut vernetzte Zusammenarbeit unter Wahrung der jeweiligen datenschutzrechtlichen Grenzen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist durch das Aussteigerprogramm Aktion Neustart in der AG vertreten. f AG "Islamismus im Netz": In dieser AG arbeiten unter Federführung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes gleichberechtigt das MS, die Beratungsstelle 328 Extremismusprävention beRATen e. V., der LPR NI, das MI sowie das LKA NI zusammen. Der inhaltliche Auftrag dieser AG fokussiert zwei Kernfragen: Erstens: Wie können Islamistinnen und Islamisten im Netz erreicht werden, um sie für den Ausstieg aus der Szene oder die Demobilisierung gewinnen zu können? Zweitens: Welche Informationen benötigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Bildungs-, Jugendoder Sozialarbeit, um in ihrer Arbeitspraxis das Themenfeld "Islamismus im Netz" bearbeiten zu können? In einem ersten Arbeitsschritt wurden von Aktion Neustart entwickelte und an die islamistische Szene adressierte Memes in sozialen Netzwerken gepostet. Derzeit werden die Reaktionen aus der Szene auf die Memes inhaltlich ausgewertet. Auf dieser Basis werden fachliche Grundlagen für zielführende Ansprachen entwickelt, um Nutzerinnen und Nutzern nicht extremistische Perspektiven aufzuzeigen und sie für den Ausstieg aus islamistischer Szene und Ideologie gewinnen zu können. f Arbeitskreis "Extremismus im Kontext von Flüchtlingsarbeit": Im Rahmen dieses Arbeitskreises wurde unter Federführung des MS 2024 begonnen, Herausforderungen und Bedarfe von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren im Bereich der Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen zu erheben. Ziel ist, u. a. bedarfsgerechte Sensibilisierungs-, Informationsund Fortbildungsformate für einschlägige Einrichtungen und Institutionen anzupassen bzw. neu zu entwickeln. 7.6.4 Jahresveranstaltung Seit 2017 bringt die jährliche KIP NI-Tagung die in der Islamismusprävention tätigen Akteurinnen und Akteure in Niedersachsen zusammen und bietet Raum für Vernetzung und Diskussionen. In verschiedenen Formaten, von Podiumsdiskussionen, Workshops, Fachvorträgen bis hin zu Theaterstücken, findet ein Austausch zu aktuellen Themen und Fragestellungen statt. Die siebte Jahresveranstaltung des Landesprogramms fand am 13.11.2024 unter dem Titel "Deradikalisierungsarbeit im Spannungsfeld von Prävention und Repression" in Hannover statt. Die 329 Extremismusprävention Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, begrüßte die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und sprach ihre Anerkennung für die gute Zusammenarbeit innerhalb des KIP NI sowie dessen Vorbildfunktion auch auf Bundesund internationaler Ebene aus. Sie betonte: "Das bestehende Spannungsfeld zwischen Repression und Prävention im Bereich des Islamismus macht eine genaue Abstimmung erforderlich: In dem multiprofessionellen und ressortübergreifenden Setting der Islamismusprävention in Niedersachsen müssen alle Akteure ihre jeweiligen Rollen kennen und wissen, wann ihr jeweiliges Handeln gefragt ist." Die beiden Geschäftsführerinnen des KIP NI, Daniela Schlicht, Verfassungsschutz Niedersachsen, und Lisa Borchardt, LKA NI, stellten den Geschäftsbericht vor. Dabei wiesen sie auch auf die Notwendigkeit hin, die richtige Balance zwischen Sicherheitsbelangen und präventiven Maßnahmen zu finden - welche im KIP NI gezielt ausgelotet werden. Im ersten Fachvortrag mit dem Titel "Islamismusprävention und ihre Nebenwirkungen: Reflexion über nicht-intendierte Effekte" stellte Jamuna Oehlmann in ihrer Funktion als Co-Geschäftsführerin die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus e. V. (BAG RelEx) als eine Plattform für Vernetzung, fachlichen Austausch, inhaltliche Weiterentwicklung und Interessenvertretung der zivilgesellschaftlichen Träger im Arbeitsfeld der Demokratieförderung und Prävention von religiös begründetem Extremismus vor. Als unbeabsichtigte Nebenfolgen von Islamismusprävention beschrieb sie die Stigmatisierung, die Aussprache von Generalverdachten und die "Versicherheitlichung" der Präventionslandschaft. Zentrale Elemente, um diesen Herausforderungen zu begegnen, seien u. a. eine kritische Selbstreflexion, ein langfristiger Aufbau und Erhalt von Vertrauen durch transparente und differenzierte Zielgruppenansprache, strukturelle Änderungen insbesondere bei der Finanzierung von Projekten sowie letztlich die 330 Extremismusprävention Normalisierung muslimischer Lebenswelten in der Gesellschaft. Sie konstatierte: "Präventionsarbeit erfordert Fingerspitzengefühl und einen kontinuierlichen Austausch aller beteiligten Akteure, aber auch ein Bewusstsein im gesamtgesellschaftlichen Kontext." Ihren "Call-to-Action" verknüpfte Jamuna Oehlmann mit dem Wunsch eines intensiveren Dialogs zwischen Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft, um gemeinsam an nachhaltigen Präventionsansätzen zu arbeiten und Rollenklarheit herzustellen. Im zweiten Fachvortrag "Erkennen, vernetzen, stärken: zum Wert der akteursübergreifenden Zusammenarbeit in der Islamismusprävention von Bund und Ländern" ging Christoph Dieter vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf die Schwierigkeiten in der Islamismusprävention ein, benannte aber auch das "Kraftfeld" zwischen Repression und Prävention. Durch die Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteure sei ein koordiniertes Handeln auf Vertrauensbasis und mithilfe offener Kommunikation zwar eine Herausforderung, aber zugleich auch eine Stärke, um der Dynamik und Komplexität der Fallkonstellationen zu begegnen. Mittels eines Praxisbeispiels verdeutlichte er die Relevanz eines ganzheitlichen Umgangs in der Islamismusprävention. Im Ausblick stellte er die von der Bundesregierung eingesetzte Task Force Islamismusprävention als neuen Impuls zur akteursübergreifenden Zusammenarbeit vor, die Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung von präventionspraktischen Ansätzen vor allem im Bereich des internetbeeinflussten Radikalisierungsgeschehens und der Online-Prävention erarbeiten soll. Im letzten Vortrag mit dem Titel "Verfolgungsdruck, wahrgenommene Perspektivlosigkeit und Unsicherheit als Risikofaktoren für extremistische Gewalt" befasste sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundeskriminalamts Dr. Katharina Seewald mit den im Titel genannten drei Risikofaktoren aus psychologischer Perspektive. Sie kam zu dem Schluss: "Ein Mangel an Lebensperspektiven bzw. eine wahrgenommene Bedeutungslosigkeit kann den Rückbezug auf extremistische Ideologien zur Folge haben, indem Sinnhaftigkeit, Bedeutung, Gruppenzugehörigkeit und auch höhere Ziele propagiert werden." 331 Extremismusprävention Extremistische Einstellungen und Überzeugungen würden helfen, so die BKA-Mitarbeiterin, wenn eigene Bewältigungsmechanismen nicht mehr ausreichten, indem sie gefühlte Sicherheit suggerieren. Eine Gruppenzugehörigkeit sei einem gesteigerten Sicherheitsgefühl zuträglich. In der nachmittäglichen Podiumsdiskussion erörterten Jamuna Oehlmann, Dr. Katharina Seewald, Dieter Uden vom Aussteigerprogramm Aktion Neustart des Verfassungsschutzes Niedersachsen und der Journalist Florian Flade unter der Moderation der Journalistin Dilek Üsük die Frage, inwiefern sich Repression und Prävention in der Deradikalisierungsarbeit ergänzen und bedingen, jedoch auch, inwieweit sie in direkter Konkurrenz stehen. Insbesondere der Begriff des "Kraftfeldes", welchen Christoph Dieter in seinem Vortrag nutzte, wurde positiv aufgegriffen, da er das Potenzial und mögliche Chancen des Verhältnisses zwischen Repression und Prävention aufzeigt. Eine Gleichzeitigkeit von Prävention und Repression sieht Dieter Uden als möglich an: "Durch staatliche Repression wird Druck erzeugt, welcher wiederum eine Irritationsbereitschaft bei der betroffenen Person erzeugen und zu einer positiven Veränderung führen kann." Thematisiert wurde zudem der Einfluss von Medien: Dazu Florian Flade: "Extremismus ist eine Idee und es gilt, eine bessere Idee zu schaffen." Extremisten nutzten die sozialen Medien, insbesondere TikTok sehr effizient. Das Feld dürfe den Extremisten nicht allein überlassen werden. Bestätigt wurde von allen Teilnehmenden des Podiums die Notwendigkeit des Ausbaus der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik, zivilen Trägern und Sicherheitsbehörden. Auch sei der Bereich des Streetwork und der Online-Prävention stärker in den Fokus zu nehmen, um dem Hass im Netz Einhalt zu gebieten. Insbesondere die Schulung der Medienkompetenz im jungen Alter zur Schaffung einer Resilienz und eines Bewusstseins für extremistische Inhalte sei laut Florian Flade essenziell. Insgesamt lässt sich aus der Veranstaltung folgender Schluss ziehen, den Innenministerin Behrens bereits in ihrer Einleitung anregte: "Es gilt zu verhindern, dass zu früh repressive Maßnahmen ergriffen und ggf. eine Radikalisierung dadurch erst verschärft oder ausgelöst wird. Und das gilt gleichermaßen auch anders herum: Dass Sicherheitsbelange zu spät berücksichtigt werden und repressive Maßnahmen erforderlich gewesen wären. 332 Extremismusprävention Wichtig ist bei all dem Dreierlei: Es braucht eine vertrauensvolle Kommunikation, eine Abstimmung hinsichtlich der Maßnahmen und eine ganzheitliche und nachhaltige Betrachtung der Fälle." 7.6.5 KIP NI-Internetseite Die Internetseite des KIP NI steht allen Nutzerinnen und Nutzern, die sich über das Phänomen des Islamismus und die Islamismusprävention in Niedersachsen informieren wollen, zur Verfügung. Dort erhalten Sie Informationen zu den Themen Islamismus und Radikalisierung, zur Arbeit des Landesprogramms für Islamismusprävention, zu Veranstaltungen und zu Hilfsangeboten. Zudem können über die Internetseite Informationsmaterialien abgerufen und kostenlos bestellt werden. Weitere Informationen zum KIP NI erhalten Sie unter folgenden Kontaktdaten: Internet: www.KIPNI.niedersachsen.de E-Mail: info@KIPNI.niedersachsen.de Neues Niedersächsisches Internetportal für Extremismusprävention im Aufbau Die Angebote und Informationen der beiden niedersächsischen Landesprogramme für Extremismusprävention, des beim MJ angesiedelten Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte sowie des KIP NI, werden künftig auf einer gemeinsamen Internetseite abrufbar sein. Damit wird erstmalig ein zentrales und niedrigschwelliges Portal für Extremismusprävention in Niedersachsen geschaffen. Voraussichtlich wird das Angebot 2025 abrufbar sein. 7.7 Aktion Neustart Das 2010 gegründete Aussteigerprogramm Aktion Neustart unterstützt ausstiegswillige Extremistinnen und Extremisten, die sich von ihrer jeweiligen extremistischen Szene und Ideologie distanzieren wollen. Aktion Neustart ist für alle extremistischen Phänomenbereiche zuständig, seit 2010 für Rechtsextremismus, seit 2016 333 Extremismusprävention auch für Islamismus sowie seit 2019 auch für Linksextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug. Aktion Neustart steht als Ansprechpartner für Ausstiegswillige zur Verfügung, spricht aber auch proaktiv Extremistinnen und Extremisten an, die noch keinen Ausstiegswillen entwickelt haben. Auf diese Weise sollen bei ihnen Ausstiegsimpulse gesetzt werden. Wichtiger Teil der Ausstiegsarbeit ist zudem die Beratung des sozialen Umfeldes von Extremistinnen und Extremisten, z. B. der Eltern, Lehrkräfte, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und des Freundeskreises. Das Aussteigerprogramm unterstützt alle Ausstiegswilligen, vom jungen Menschen, der droht in den Extremismus abzugleiten, über Mitläufer und Aktivisten bis hin zu langjährigen Führungskadern der extremistischen Szenen. Die Unterstützung durch Aktion Neustart ist stets kostenfrei, freiwillig und streng vertraulich. Das Angebot des Aussteigerprogramms umfasst: f vertrauliche Beratung am Telefon, f vorurteilsfreie Gespräche über Probleme, Ängste und Wünsche, f persönliche Beratung und Begleitung im Ausstiegsprozess, f Erstellung eines individuellen Ausstiegsplans, f Unterstützung bei der Arbeits-, Ausbildungsoder Wohnungssuche und im Umgang mit Behörden, f Hilfe in Bedrohungssituationen, f Unterstützung bei der Bearbeitung von Alkohol-, Drogenund finanziellen Problemen, f Hilfe bei der Entfernung von extremistischen Tätowierungen und f Unterstützung bei Gesprächen mit Eltern, Lehrkräften, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Aktion Neustart hat seit seiner Gründung in zahlreichen Fällen extremistische Personen im Ausstiegsprozess begleitet. Sie umfassen Beratungstätigkeiten für das soziale Umfeld (Familie, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Freundeskreis etc.) extremistischer Personen, für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie konkrete Ausstiegsbetreuungen. 334 Extremismusprävention Im Phänomenbereich Rechtsextremismus haben hiervon seit 2010 insgesamt 75 Personen der Szene den Rücken gekehrt. 22 Personen werden aktuell betreut. Im Phänomenbereich Islamismus sind seit 2016 insgesamt 19 Personen ausgestiegen. 14 Personen werden derzeit betreut. Im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug sind vier Personen erfolgreich ausgestiegen. Das Team von Aktion Neustar t ist interdisziplinär und geschlechterparitätisch zusammengesetzt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ver fügen über langjährige Er fahrung im Umgang mit extremistischen Ideologien und arbeiten auf Grundlage pädagogischer und psychologischer Fachkenntnisse und Methoden. Die umfangreichen Verfassungsschutzerkenntnisse über extremistische Ideologien und Szenen ermöglichen es Aktion Neustart, mögliche Bedrohungslagen für eine Aussteigerin oder einen Aussteiger frühzeitig zu erkennen und fundierte Gefahrenprognosen zu erstellen. Im Ausstiegsprozess sollen die persönlichen Einstiegsmotive und die extremistischen Einstellungsmuster erkannt, besprochen und aufgelöst werden. Ziel der Ausstiegsarbeit ist die Hinwendung der oder des Aussteigenden zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den Grundund Menschenrechten. Das Zusammenspiel sicherheitsbehördlicher und pädagogischer Fähigkeiten, kombiniert mit langjähriger Erfahrung in der Ausstiegsarbeit, ermöglicht es, im Ausstiegsprozess nicht nur eine nachhaltige Loslösung von extremistischer Ideologie und Szene zu erreichen, sondern gleichzeitig auch für Schutz und Sicherheit für die Aussteigerin oder den Aussteiger zu sorgen. Darüber hinaus sind der Aufbau einer nicht extremistischen sozialen Existenz und die Reintegration in die Gesellschaft essenziell für die Arbeit von Aktion Neustart. Es bestätigt sich regelmäßig, dass extremistische Szenen gerade für junge Menschen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen bereithalten. Der Wunsch nach Anerkennung und eine Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für die Hinwendung zur 335 Extremismusprävention extremistischen Szene. Allerdings können durch die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Szene Orientierungslosigkeit, Identitätsprobleme, Frustrationen und Ängste nur für eine begrenzte Zeit kompensiert werden. Extremistinnen und Extremisten, die erkannt haben, dass ihnen die Szene nicht das Erhoffte gibt, erhalten von Aktion Neustart Unterstützung. Gemeinsam wird eine sinnvolle Perspektive für ein Leben frei von Extremismus entwickelt. Seit Jahren spielt das Internet, insbesondere die sozialen Netzwerke, eine herausragende Rolle beim Einstieg junger Menschen in extremistische Ideologien und Szenen. Soziale Netzwerke bieten Menschen die Möglichkeit, erste Kontakte zu Extremistinnen und Extremisten herzustellen. Extremistisches Gedankengut wird teils unreflektiert übernommen und so die Radikalisierung befördert. Neben dem Austausch extremistischer Ansichten können extremistische Schriften, Filme und Musik konsumiert werden. Um dem entgegenzutreten, spricht Aktion Neustart dort Extremistinnen und Extremisten gezielt proaktiv an, mit der Absicht, Ausstiegsimpulse zu setzen. Mittels selbst produzierter Memes und Videos kommuniziert Aktion Neustart alternative Narrative und dringt in die extremistischen Meinungsblasen der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke ein, bietet nicht extremistische Perspektiven an und macht auf sein Unterstützungsangebot für den Ausstieg aufmerksam. Um potenzielle Aussteigerinnen und Aussteiger möglichst niedrigschwellig erreichen zu können, bietet Aktion Neustart zudem die Möglichkeit der anonymen Online-Beratung an. Sie richtet sich an all diejenigen, die sich über Extremismus und den Ausstieg aus dem Extremismus beraten lassen wollen. 336 Extremismusprävention Sie können Aktion Neustart unter folgenden Kontaktdaten erreichen: Mobil: 0172 4444300 E-Mail: aktion.neustart@mi.niedersachsen.de In den sozialen Medien: Facebook, YouTube, Instagram, TikTok Online-Beratung für alle Extremismusbereiche: www.aktion-neustart.de 7.8 Kontaktdaten Für Wünsche zu Vortragsund Informationsveranstaltungen steht der Fachbereich der Extremismusprävention beim Niedersächsischen Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-215 E-Mail: praevention@mi.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie ebenfalls unter der o. a. Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Siehe hierzu auch Kapitel 1.16. 337 08 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen Als Teil der jeweiligen Sicherheitsarchitektur verfügen zahlreiche Staaten über Nachrichtendienste, die Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln sammeln und auswerten. Insbesondere totalitäre Staaten verfügen über Geheimdienste, die auch aktiv Maßnahmen ergreifen, z. B. politisch Einfluss nehmen, Sabotage betreiben oder Attentate verüben. Bei manchen Geheimdiensten kommen auch paramilitärische Abteilungen zur Durchführung von geheimen Kommandounternehmungen zum Einsatz. Bis vor wenigen Jahren wurde die klassische Spionage als Phänomen aus vergangenen Zeiten betrachtet, aber auch im digitalen Zeitalter mit weltweiter Datenvernetzung und rasant voranschreitenden technischen Entwicklungen werben ausländische Nachrichtendienste menschliche Quellen an. In der Bundesrepublik Deutschland sind der Auslandsnachrichtendienst (Bundesnachrichtendienst [BND]), der Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutz) sowie der militärische Nachrichtendienst (Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst [BAMAD]) mit der Informationsbeschaffung betraut. Nachrichtendienste unterliegen in Rechtsstaaten einer Fachund Rechtsaufsicht durch die vorgesetzten Dienststellen, weil Nachrichtendienste, wie alle staatliche Gewalt, an Recht und Gesetz gebunden sind. Infolge ihrer verdeckten Arbeitsweise und des Interesses von Regierungsstellen an der Informationsgewinnung und Analyseergebnissen wird eine Aufsicht durch Exekutivbehörden selbst oft nicht als hinreichend erachtet. Die Kontrolle wird daher durch parlamentarische Gremien ergänzt. Diese kann durch Debatten, Aktuelle Stunden oder durch parlamentarische Anfragen in und aus den jeweiligen Parlamenten erfolgen.176 Das Sachgebiet Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten 176 Siehe dazu auch Kapitel 1.6. 340 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe zu erheben, zu analysieren und Spionage sowie Proliferation177 möglichst zu verhindern. Da Niedersachsen als erfolgreicher Wirtschaftsstandort potenzielles Ziel von Spionageaktivitäten fremder Geheimoder Nachrichtendienste178 ist, gilt es ihn vor derartigen Aktivitäten zu bewahren. Zudem geht es darum, den Schutz der in Nieder360-Grad-Blick der Verfassungsschutzbehörden sachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Hauptakteure der klassischen Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China und der Iran. Die Schwerpunkte der Interessen dieser Länder orientieren sich an den politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Prioritäten. Aufgrund desolater Sicherheitslagen in ihren Heimatländern und damit verbundener existenzieller Bedrohungen sucht eine große Zahl von Menschen Zuflucht und Schutz in Europa. Insbesondere Deutschland ist Ziel von Flüchtlingsbewegungen, die ihren Ursprung vor allem in Afghanistan, im Irak, in Syrien sowie in der Ukraine, aber auch in den Ländern Zentralund Westafrikas haben. Mit der sich vergrößernden Exilgemeinde ist die Ausforschung oppositioneller Aktivitäten zur wichtigen Zielvorgabe für fremde Dienste in Deutschland geworden. Fremde Geheimoder Nachrichtendienste sind in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. Botschaften, Generalkonsulate = Legalresidenturen) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimund Nachrichtendienstmitarbeitende können dort, als Diplomatinnen und Diplomaten getarnt, tätig werden und Informationen beschaffen oder sie leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Außenpolitische Spannungen haben im vergangenen Jahr dazu 177 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 8.2. 178 Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen Nachrichtendienste einer rechtsstaatlichen Kontrolle und haben keine polizeilichen Befugnisse. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden sind demnach Nachrichtendienste. Siehe dazu auch Kapitel 1.7. 341 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe geführt, dass Russland vier seiner ehemals fünf Generalkonsulate in Deutschland schließen musste. Als Reaktion auf die Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd wurde im Oktober 2024 auch der Iran aufgefordert, seine drei Generalkonsulate in Deutschland zu schließen, was dann ca. vier Wochen später auch erfolgte. Eine Vielzahl von Informationen, die für fremde Geheimoder Nachrichtendienste interessant erscheinen und früher nur mit klassischen Spionagetätigkeiten zu erheben waren, sind heutzutage mit relativ geringem technischen Aufwand und fast ohne Aufdeckungsrisiko auf virtuellem Wege zu erlangen. Zum Teil ist aufgrund bestimmter Parameter auch von einer geheimoder nachrichtendienstlichen bzw. staatlichen Beteiligung auszugehen. Durch die regelmäßige Nutzung identischer Infrastrukturen und der gleichen Vorgehensweisen bei verschiedenen Angriffen, können Angreifer häufig identifiziert werden. Exemplarisch sind im Folgenden einige Bearbeitungsschwerpunkte der Spionageabwehr des Niedersächsischen Verfassungsschutzes dargestellt. Russland Der russische Auslandsnachrichtendienst nennt sich Sluschba wneschnei raswedki (SWR, auch SVR, Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation). Seine Aufgabe ist es, Informationen in Logo des SWR den Bereichen Politik, Technologie, Wirtschaft und Wissenschaft zu 342 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe beschaffen, um sie sowohl für die Politik als auch die Wirtschaft in Russland nutzbar zu machen. Einflussnahme und Desinformation Über seine Spionageaktivitäten hinaus ist Russland bestrebt, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und den politischen Diskurs in Deutschland auszuüben. Die Einflussnahme erfolgt sowohl durch staatliche Stellen wie auch durch Einzelpersonen über soziale Netzwerke, Institute, Organisationen und russische Staatsmedien. Oft wird versucht, die wahren Urheber durch Fake-Profile und Social Bots zu verschleiern. Jede Zielgruppe wird gezielt angesprochen. Dafür werden ganz unterschiedliche Instrumente und Kanäle benutzt. Die Verbreitung russlandfreundlicher Narrative findet über die offiziellen Kanäle statt, dazu gehören z. B. auch Verlautbarungen des Präsidenten selbst oder des Außenministeriums, über die Staatsmedien, die staatsnahen Informationsportale sowie über soziale Medien. Über diese Kanäle verfolgt Russland das Ziel, Ängste und Sorgen z. B. vor Lebensmittelund Energieknappheit der deutschen Bevölkerung zu schüren und anzuheizen. Diese Aktivitäten zielen u. a. darauf ab, das Vertrauen in die Stabilität und Handlungsfähigkeit der demokratischen Institutionen und Mechanismen grundsätzlich zu untergraben, die westliche Wertegemeinschaft zu diskreditieren und Bündnisse wie EU sowie NATO zu schwächen. Die öffentliche Meinung soll im Sinne Russlands beeinflusst und die eigene Machtposition gestärkt werden. Dafür werden auch aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse sowie Entwicklungen aufgegriffen. So berichten russische Staatsmedien immer wieder einseitig über Demonstrationsgeschehen z. B. in Deutschland. Insbesondere bei der Berichterstattung über Demonstrationen gegen den UkraineKrieg versucht Russland über die Verbreitung von Narrativen sein Handeln gegenüber seiner eigenen Bevölkerung und der russischsprachigen Diaspora im Ausland zu rechtfertigen, aber auch, um in der deutschen Bevölkerung Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Bundesregierung zu schüren. Auf diese Weise kann mittelbar auf die Meinungsbildung und möglicherweise auf das Wahlverhalten der Bevölkerung in Deutschland Einfluss genommen werden. Nicht 343 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Kreml-genehme Berichterstattung wird in Russland unter Strafe gestellt. Die massive und anhaltende politische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine durch die europäischen Staaten und die USA hat in Russland Reaktionen hervorgerufen, die zu erheblichen Veränderungen der Sicherheitslage in den Unterstützerländern geführt hat. Die Vorgangsbearbeitung in der Spionageabwehr war im Jahr 2024 im Wesentlichen durch die weltpolitischen Ereignisse, insbesondere durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, geprägt. Nicht zuletzt deshalb bleibt Russland auch weiterhin ein Schwerpunkt im Fachbereich Spionageabwehr. Alle deutschen Sicherheitsbehörden stellen sich kontinuierlich aktiv auf die sich stets verändernde Sicherheitslage und die mit dem Russland-Ukraine-Krieg zusammenhängenden Herausforderungen ein. Neben den Aspekten und Auswirkungen "Hybrider Bedrohungen", waren im Wesentlichen die Fachbereiche Rechtsextremismus, Wirtschaftsschutz und Spionageabwehr in diesem Zusammenhang gefordert. Weitere Ausführungen speziell zum Russland-Ukraine-Krieg finden Sie im Kapitel 2.2, Brennpunktthema "Der Krieg Russlands gegen die Ukraine: Auswirkungen auf Niedersachsen". China Um ihren Machtanspruch zu sichern und die eigenen wirtschaftlichen Ziele erreichen zu können, setzt die Volksrepublik China Geheimdienste ein. Von den vier chinesischen Geheimdiensten ist insbesondere das chinesische "Ministerium für Staatssicherheit" (MSS) für die Auslandsaufklärung zuständig. Es gilt als weltweit größter ziviler Geheimdienst. Die Volksrepublik China bedient sich ihrer Geheimdienste als Mittel zum Regimeerhalt. Übergeordnetes Ziel allen geheimdienstlichen Handelns ist die Aufrechterhaltung des Machtanspruchs der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). China strebt eine aktive Gestaltung der internationalen Ordnung an und propagiert offen das Ziel, im Jahr 2049, dem 100. Gründungsjahr der Volksrepublik, 344 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe wirtschaftlich wie militärisch global führend zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, besteht ein allumfassender Informationsbedarf, den China offensiv auch mit geheimdienstlichen Mitteln deckt. Zu den wesentlichen geheimdienstlichen Akteuren zählen der nichtmilitärische Inund Auslandsgeheimdienst MSS179, der militärische Geheimdienst MID180, das MÖS181 sowie der technisch-militärische Geheimdienst NSD182. Logo des MSS China hat sich in Bezug auf den Ukraine-Krieg diplomatisch an die Seite Russlands gestellt. Das Land hat jedoch betont, dass es eine neutrale Position einnehme und sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetze. Die Weigerung Chinas, den Angriffskrieg Russlands zu verurteilen, hatte bisher keine erkennbaren wirtschaftlichen Nachteile für die Volksrepublik zur Folge. Gegenwärtig räumen chinesische Geheimdienste, neben den Themen um die Belt-and-Road-Initiative183 - insbesondere den Entwicklungen im Sektor der Informationstechnologie (Cloud, Internet of Things, Quantentechnologien, Robotik sowie der 5G-Technologie) höchste Priorität ein. Dabei setzen die Dienste auch ausgeklügelte und technologisch anspruchsvolle Cyberoperationen zur Gewinnung von technologischem Know-how, auch für den eigenen Entwicklungsbedarf, ein. Die Ziele chinesischer Spionage werden nach einer Nutzenkalkulation ausgewählt. Beabsichtigt ist vor allem der Profit für die eigene Nation durch die Informationsbeschaffung. Die Schädigung des Gegners wird von den chinesischen Diensten als zweckdienliches 179 Ministerium für Staatssicherheit = Inund Auslandsgeheimdienst mit Exekutivbefugnissen, Schwerpunkt: Beobachtung oppositioneller Bestrebungen. 180 Militärischer Inund Auslandsgeheimdienst = Abschirmung gegen Aufklärungsversuche, Informationsgewinnung zu ausländischen Streitkräften. 181 Ministerium für öffentliche Sicherheit = Dem Polizeiministerium unterstellt, Bereitstellung geheimdienstlicher Spezialeinheiten. 182 Technisch-militärischer Geheimdienst = Spezialisiert auf Satellitenaufklärung und hochentwickelte Cyberoperationen gegen kritische Infrastrukturen. 183 Der Begriff bezeichnet die Neue Seidenstraße. Sie ist ein langfristiges Projekt der Kommunistischen Partei Chinas zum Aufbau von Infrastrukturen für Transport, Versorgung und Handel. Vorbild sind historische Routen zwischen China und dem Westen, die man erweitert und verändert. 345 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Mittel in Kauf genommen, ist aber oft selbst nicht Ziel des geheimdienstlichen Handelns. Iran Die Geheimdienste der Islamischen Republik Iran sind eine wichtige Stütze für das dortige Regime. Das Ministerium für Nachrichtenwesen der Islamischen Republik Iran (MOIS oder VAJA) ist der zivile Auslandsgeheimdienst der Islamischen Republik Iran. Die Ausspähung der Oppositionellengemeinde ist ein wesentlicher Aufgabenbereich der iranischen Geheimdienste. Die Hinweise erstreckten sich über die Beobachtung irankritischer Demonstrationen bis hin zur konkreten Gefährdung von EinzelLogo des VAJA personen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz leitet in diesen Fällen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Sicherheitsbehörden entsprechende Aufklärungsmaßnahmen ein. 8.2 Proliferation Der Begriff Proliferation bezeichnet die Verbreitung atomarer, biologischer und chemischer Waffensysteme sowie deren zugehörige Trägersysteme. Ein zentrales Merkmal der Proliferation ist, dass sie in der Regel nicht von Einzelpersonen, sondern von Staaten betrieben wird, oft unter Einbeziehung ihrer Geheimoder Nachrichtendienste. Es handelt sich dabei um Länder, von denen zu befürchten ist, dass sie ABC-Waffen in einem bewaffneten Konflikt einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Die derzeitigen dynamischen Entwicklungen in regionalen Krisenund Konfliktgebieten sowie die geopolitischen Machtspiele autoritärer Regime verdeutlichen das wachsende Risiko für die globale sicherheitspolitische Lage. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich, ebenso Broschüre des Bundesamtes für Verfassungswie viele andere Staaten, international dazu verschutz pflichtet, den Einsatz und die Verbreitung von 346 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Massenvernichtungswaffen zu verhindern, um das friedliche Zusammenleben der Völker zu sichern. Da Massenvernichtungswaffen und deren Trägersysteme nicht in Gänze auf dem Weltmarkt erhältlich sind, konzentrieren sich proliferationsrelevante Staaten auf den Erwerb einzelner Komponenten. Im Fokus stehen sogenannte Dual-Use-Güter, also Produkte, Technologien, Software und Know-how, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Ziel der proliferationsrelevanten Staaten ist es, die militärische Verwendung solcher Güter durch die Vortäuschung eines zivilen Verwendungszwecks zu verschleiern. Durch den Einsatz von Tarnfirmen sowie falsche Angaben zu Ware, Bestimmungsort und Verwendungszweck ist es häufig äußerst schwierig, durch Geheimoder Nachrichtendienste gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. In den vergangenen Jahren wurde das Aufgabenspektrum der Proliferationsabwehr um den Bereich der sogenannten Emerging Technologies (EMT) erweitert. Hierbei handelt es sich um innovative Entwicklungen und Hochtechnologien, die militärische Konflikte in einem Ausmaß beeinflussen können, das den Auswirkungen von Massenvernichtungswaffen ähnelt. Da die geltenden Exportkontrollgesetze im Bereich EMT oft begrenzt sind, hat der Niedersächsische Verfassungsschutz es sich zur Aufgabe gemacht, durch gezielte Sensibilisierung präventiv tätig zu werden. Niedersachsen ist ein erfolgreicher Standort von zahlreichen innovativen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die hier entwickelten und produzierten Güter und Technologien könnten potenziell zur Herstellung oder Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt werden. Bei der Beschaffung proliferationsrelevanter Güter gehen die Länder häufig mit großer Kreativität vor, um die geltenden Exportbestimmungen zu umgehen. Unter Nutzung geheimoder nachrichtendienstlicher Strukturen und bestehender Unternehmensnetzwerke wird versucht, die mit der Lieferung beauftragten deutschen Unternehmen zu täuschen. Um den tatsächlichen Endempfänger zu verschleiern, werden zudem Umweglieferungen über befreundete Nachbarstaaten organisiert. Es hat sich gezeigt, dass proliferationsrelevante Absichten von deutschen Unternehmen und Forschungseinrichtungen als solche oft nicht erkannt werden. 347 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Abgesehen von der Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen ausgeht, stellt die Verletzung von Exportbestimmungen eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat gemäß dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschaftsverordnung und gegebenenfalls dem Kriegswaffenkontrollgesetz dar. In den vergangenen Jahren wurde ein solides Netzwerk zu niedersächsischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen aufgebaut und kontinuierlich erweitert. Das Netzwerk aus Wissenschaftlern, Exportbeauftragten und den Geheimschutzbevollmächtigten in niedersächsischen Unternehmen tauscht Fachinformationen aus und baut so Hemmschwellen ab. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit führte zu einer hohen Sensibilität bei den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern und trägt zur Steigerung des Hinweisaufkommens bei. Die meisten Hinweise betrafen 2024 Russland, China und den Iran.184 Das Bestreben der Volksrepublik China im Bereich nach Massenvernichtungswaffen unterscheidet sich grundlegend von anderen Staaten mit ähnlichen Zielen. In Deutschland gibt es weniger relevante Hinweise darauf, dass China gezielt versucht, sich Güter im Zusammenhang mit ABC-Waffen und Trägersystemen zu beschaffen. Aufgrund seines technologischen Fortschritts ist China in diesem Bereich vermutlich weitgehend unabhängig. Im Bereich der sogenannten EMT verfolgt China hingegen mit großem Engagement das Ziel, eine globale Führungsposition zu erreichen. Dafür wird gezielt der deutsche Markt sowie die deutsche Wissenschaftslandschaft genutzt. China verfolgt ambitionierte Ziele, um die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden. Um das hierfür notwendige Know-how zu erlangen, macht die Volksrepublik häufig durch den Erwerb vollständiger Unternehmen, durch ein besonderes Engagement im Rahmen wissenschaftlicher Kooperationen und auch durch die gezielte Suche nach sozialer Nähe zu politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern auf ihr Interesse aufmerksam. Die 184 Zu den Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges siehe Kapitel 2.2. 348 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Vorgehensweisen sind vielfältig und unterliegen häufig weder internationalen Sanktionen noch nationalen Exportkontrollen. Dies macht Deutschland besonders anfällig für den Abfluss von Hochtechnologie. Die Problematik wird durch den zivil-militärischen Dual-Use-Charakter vieler sogenannter EMT zusätzlich verschärft. Der Iran entsendet zahlreiche Gastwissenschaftler an deutsche und auch niedersächsische Universitäten und Forschungseinrichtungen. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob dies vor dem Hintergrund der Informationsbeschaffung für Massenvernichtungswaffenprogramme erfolgt. Die Sensibilisierung für die Proliferationsproblematik der betreuenden Wissenschaftler erfolgt bei Bedarf und wird regelmäßig vom Niedersächsischen Verfassungsschutz aktualisiert. Der Niedersächsische Verfassungsschutz leistet Präventionsarbeit durch gezielte Aufklärung und steht als vertraulicher Ansprechpartner zur Verfügung. Durch die enge Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden trägt er aktiv zur Aufdeckung und Verhinderung proliferationsrelevanter Aktivitäten bei und leistet so auf lokaler Ebene einen bedeutenden Beitrag zur internationalen Sicherheit. 8.3 Cyberabwehr Die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von Informationsund Kommunikationstechnologien steigt. Die dadurch verursachte Verwundbarkeit moderner Gesellschaften stellt eine große sicherheitspolitische Herausforderung dar, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsund Kommunikationsinfrastrukturen ist immens. Staat, Kritische Infrastrukturen185, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung sind auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des 185 Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen und Einrichtungen von essenzieller Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 349 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Internets, angewiesen. Cyberangriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller. Häufig kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlossen werden; kriminelle, terroristische, militärische und /oder geheimbzw. nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die für solche Angriffe häufig genutzten hoch entwickelten Schadprogramme abzuwehren und zurückzuverfolgen, erfordert eine enge Kooperation der Sicherheitsbehörden. Fremde Staaten bedienen sich gezielter Cyberangriffe, um Informationen zu erlangen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Täglich gibt es bundesweit eine Vielzahl an Cyberangriffen, mit dem Ziel der Verschlüsselung und Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsder anschließenden Erpressung der Betroffenen186 . schutz Auf den einschlägigen Seiten für die Internetsicherheit, wie z. B. auf der Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (https://www.bsi.bund.de/DE/ Service-Navi/Publikationen/Lagebericht /lagebericht_node.html) werden die Angriffe statistisch dargestellt. Neben den auch im Jahr 2024 fortgesetzten Angriffen auf Großunternehmen waren in Niedersachsen diverse kleinere und mittelständische Unternehmen, politische Parteien oder auch Privatpersonen betroffen. Das verdeutlicht, welch hohen Stellenwert die IT-Sicherheit in jedem Bereich hat. Eine große Gefahr für Unternehmen und Behörden stellen nach wie vor "Advanced Persistant Threats"187 dar. Diese zielgerichteten Cyberangriffe durch gut organisierte und professionell ausgestattete Hacker, die Anweisungen und Unterstützung in der Regel von Regierungen erhalten könnten, verlaufen typischerweise in mehreren Phasen und sind sehr komplex in der Vorbereitung 186 Auch bekannt als Einsatz von Ransomware (aus dem englischen: ransom für "Lösegeld"). 187 Bei "Advanced Persistant Threats" handelt es sich um zielgerichtete Cyberangriffe auf spezifisch ausgewählte Institutionen und Einrichtungen, bei denen sich ein Angreifer persistent (=andauernd) Zugriff auf ein System verschafft und auf weitere Systeme ausweitet. Die Angriffe zeichnen sich durch einen sehr hohen Ressourceneinsatz und erhebliche technische Fähigkeiten aufseiten der Angreifer aus und sind in der Regel schwierig festzustellen (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www. bsi.bund.de). 350 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe und Durchführung. Ziel eines solchen Angriffs ist es, sich möglichst lange unentdeckt in fremden IT-Systemen zu bewegen, um sensible Daten auszuleiten oder anderweitig Schäden anzurichten. Im Gegensatz zu vielen anderen Cyberkriminellen verfolgen diese Angreifer ihre Ziele grundsätzlich langfristig, meist über mehrere Monate oder Jahre hinweg. Sie stimmen ihre Aktivitäten auf die Sicherheitsmaßnahmen ihrer anvisierten Opfer ab und greifen diese oft mehrfach an. Die Bearbeitung solcher Cyberangriffe stellt aufgrund der Anonymität des Angriffs und der nicht erkennbaren Motivation der Angreifer für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung dar. Die Abgrenzung zwischen Cybercrime und Cyberspionage ist häufig sehr schwierig, da auch bei einem augenscheinlich in erster Linie bestehenden finanziellen Interesse des Angreifers, wie dem Einsatz von Ransomware, staatliche Akteure im Vorfeld an der 351 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Kompromittierung beteiligt gewesen sein können. Denn auch einem staatlichen Akteur kann eine Verschlüsselung der Systeme des Opfers zur Verschleierung der Aktivitäten und finanziellen Bereicherung dienen. Auch Hochschulen befinden sich weiterhin im Zielspektrum einiger staatlicher Akteure, deren vorrangiges Ziel es ist, Informationen und Forschungsergebnisse zu erlangen, um sich so einen Wissensvorsprung zu verschaffen oder bestehende Know-how-Lücken zu schließen. In diesem Kontext sind iranische und nordkoreanische Akteure besonders auffällig geworden. Des Weiteren gab es im vergangenen Jahr in Niedersachsen Verdachtsmomente, wonach staatliche Akteure an Cyberangriffen auf KRITIS beteiligt sind. Diese besonders sensiblen Einrichtungen der Daseinsvorsorge sind aufgrund diverser (gesetzlicher) Vorgaben grundsätzlich gut vor Cyberangriffen geschützt. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass keine hundertprozentige Sicherheit zu gewährleisten ist. Erkenntnisse über erfolgreiche Kompromittierungen von Systemen der KRITIS in Niedersachsen durch staatliche Akteure liegen jedoch bislang nicht vor. Neben direkten Cyberangriffen zum Zweck der Spionage oder Sabotage können häufig kompromittierte Systeme festgestellt werden, die als Bestandteil eines Botnetzes188 von dem jeweiligen Akteur gesteuert werden. Hierbei handelt es sich meist um kompromittierte Systeme von Unternehmen, Behörden, Parteien oder Privatpersonen. Häufig will der Angreifer ohne Wissen der Betroffenen deren IP-Adresse für weitere Angriffe nutzen. Beim Aufbau eines Botnetzes geht es hauptsächlich um Verschleierungsaktivitäten und Stärkung der eigenen Ressourcen in Form von Rechenkapazität durch die Vernetzung mehrerer PCs. Im Jahr 2024 wurde in Zusammenarbeit mit verschiedenen Sicherheitsbehörden, auch auf internationaler Ebene, ein von russischen 188 Ein Botnet oder Botnetz besteht aus gekaperten IT-Systemen, deren Besitzer und Nutzer in aller Regel nichts davon wissen, dass ihre Rechner ferngesteuert werden. Die heimliche Übernahme des Rechners beginnt mit einer Malware-Infektion. Die Schadsoftware ermöglicht es dem Angreifer, die Kontrolle über das System zu übernehmen, der Computer agiert wie ein Roboter oder kurz Bot. Gesteuert werden die gekaperten Computer meistens über sogenannte Command-and-Control-Server (C2-Server), welche wiederum vom Angreifer gesteuert werden. 352 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Akteuren genutztes Botnetz abgeschaltet. Zum Aufbau des Netzwerks wurden vorwiegend Router eines bestimmten Anbieters mit Schadsoftware versehen, um zu einem späteren Zeitpunkt Cyberspionageoder Cybersabotagehandlungen zu betreiben. Auch in Niedersachsen wurden diesem Botnetz zugehörige kompromittierte Systeme festgestellt. Niedersachsen im Fokus von Cyberangriffen Eine weitere Angriffsmethode staatlicher Akteure sind Supply ChainAngriffe189, deren Intention die Manipulation oder Kompromittierung von Lieferketten darstellt. Ein solcher Angriff kann auf verschiedene Arten erfolgen, u. a. durch die Injektion von Schadsoftware in Hardware oder Software während des Herstellungsprozesses, die Kompromittierung von Lieferantenoder Herstellerdatenbanken oder die Unterwanderung von Drittanbieterdiensten. Die Detektion solcher Angriffe stellt auch Systeme niedersächsischer Unternehmen vor große Herausforderungen, da die Anzahl von Abhängigkeiten zu Softwarebibliotheken und eingesetzten Programmen stetig zunimmt. 189 Bei Supply Chain-Angriffen werden Viren oder andere Schadsoftware über einen Lieferanten oder Drittanbieter verbreitet. Z. B. kann ein Keylogger auf einem USB-Laufwerk bei einem großen Einzelhändler eingeschleust werden und dann Tastenanschläge protokollieren, um Passwörter von Mitarbeiterkonten zu ermitteln. 353 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Die Sicherheitsbehörden beschäftigt auch die voranschreitende Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI), deren Nutzung sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Sicherheit haben kann. Als Frühwarnsystem für Politik und Gesellschaft ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Gefahren solcher Entwicklungen zu bewerten. Staatliche Akteure verwenden KI-Technologie bereits für Desinformationskampagnen, indem mittels KI gezielt gefälschte Nachrichten, Videos oder Bilder generiert werden. Diese Technologie eröffnet auch staatlichen Akteuren neue Handlungsmöglichkeiten und vermag künftig Verfahrensweisen zu vereinfachen oder zu verfeinern. 8.4 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheimdienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzabteilung Postfach 44 20 30044 Hannover Telefon 0511 6709-0 zu wenden. Weitere Informationen können Sie auch dem Flyer "Spionage - (k)ein Thema?!" entnehmen, den Sie sowohl auf unserer Internetseite herunterladen, als auch über die vorstehenden Kontaktdaten bestellen können. 354 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 355 09 Geheimschutz Geheimschutz 9.1 Geheimschutz Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines seiner Länder gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VSNUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende technische und organisatorische Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes190 erzielt wird. Verschlusssachen ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt nur mit schriftlicher Einwilligung der zu überprüfenden Personen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel i. S. v. SS 14 NVerfSchG ist hierbei unzulässig. Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz führt für die eigenen Geheimnisträger die erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen durch. Im Jahr 2024 konnte, bedingt durch die zunehmend angespannte weltweite Sicherheitslage als auch durch ein erhöhtes Sicherheitsbewusstsein von Gesellschaft, Behörden und Unternehmen, ein Anstieg der Gesamtzahl der Sicherheitsüberprüfungen von 1.685 im Jahr 2023 auf nunmehr 1.949 beobachtet werden. 190 Der personelle Geheimschutz setzt an den Personen an, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben (sollen), weil sie Zugang zu VS haben. Der materielle Geheimschutz macht Vorgaben zum Zugang zu VS, zur Geheimschutzorganisation, zur Einstufung, Handhabung, Kennzeichnung und Weitergabe von VS. Ferner erfolgen Vorgaben zu organisatorischen, materiellen und technischen Maßnahmen zum Schutz von VS sowie den Einsatz von IT zur Verarbeitung von VS (VS-IT) (vgl. https://www.bsi.bund.de/DE/ Themen/Oeffentliche-Verwaltung/Geheimschutz/geheimschutz_node.html). 358 Geheimschutz 2.000 1.949 1.900 1.800 1.685 1.600 1.572 803 1.400 625 1.247 480 1.200 1.000 563 395 800 415 456 600 135 SÜ-Sabotage 400 Einfache SÜ (Ü1) 618 559 610 494 Erweiterte SÜ (Ü2) 200 0 55 79 86 80 Erweiterte SÜ (Ü3) 2021 2022 2023 2024 Eine Sicherheitsüberprüfung dient der Feststellung der erforderlichen Zuverlässigkeit zur Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Dazu gehören auch bestimmte Tätigkeiten innerhalb lebensoder verteidigungswichtiger Einrichtungen. Ein mögliches Sicherheitsrisiko soll so auf ein Minimum reduziert werden. Zweifel an der Zuverlässigkeit werden insbesondere begründet, f wenn das persönliche, dienstliche oder berufliche Verhalten der zu überprüfenden Person die erforderliche Geheimhaltung gefährdet, f die Gefahr besteht, dass die zu überprüfende Person, insbesondere wegen der Besorgnis ihrer Erpressbarkeit, Anwerbungsversuchen fremder Nachrichtendienste ausgesetzt sein könnte oder f infrage steht, dass die zu überprüfende Person jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten wird. So können beispielsweise ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung durch Verstöße gegen Strafvorschriften oder eine Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten Zweifel an der Zuverlässigkeit begründen. Im Rahmen weiter fortschreitender Globalisierung, auch der Arbeitsmärkte, gewinnt das Thema der Beziehungen in Staaten mit 359 Geheimschutz besonderen Sicherheitsrisiken zunehmend an Bedeutung. Eine nachrichtendienstliche Gefährdung kann sich z. B. aus verwandtschaftlichen Beziehungen in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken ergeben. Diese können dazu geeignet sein, durch fremde Nachrichtendienste als Druckmittel gegenüber den Betroffenen eingesetzt zu werden und diese zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu zwingen. Hierbei spielt auch die sich verändernde internationale Sicherheitslage, nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine wichtige Rolle in der Bewertung. Maßgebend ist für alle Sicherheitsüberprüfungsverfahren der Grundsatz "im Zweifel für die Sicherheit". Neben den Sicherheitsüberprüfungen für das Personal beschreibt die Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes Niedersachsen Anforderungen des materiellen Geheimschutzes an die sichere Erstellung, Einstufung, Bearbeitung, Aufbewahrung und Vernichtung von Verschlusssachen. Sie enthält auch grundsätzliche technische und organisatorische Regelungen zur Nutzung von ITSystemen zur Verarbeitung von VS. Die zunehmende Verzahnung von IT-Infrastrukturen und Ablösung der analogen Welt durch die Digitalisierung erzeugen neue Herausforderungen für den IT-Schutz von VS. Im Rahmen des personellen und materiellen Geheimschutz berät der Verfassungsschutz auch andere Behörden und Dienststellen des Landes zum sicheren Umgang mit VS. Beratungsschwerpunkte sind u. a. die Einrichtung und der Betrieb besonders gesicherter Aktensicherungsräume und Stahlschränke, bauliche, technische und organisatorische Sicherheitsvorkehrungen sowie die individuelle Beratung von Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltenden anderer Behörden. 360 Geheimschutz 361 10 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation abhängig von Wissen (Know-how) und Innovation. Beides sind wertvolle Ressourcen der Volkswirtschaft und basieren auf Forschung und Erfahrungen. Dieses Wissen und diese Informationen sind sowohl für fremde Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) als auch konkurrierende Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die gezielt und professionell Ausspähung betreiben, von höchstem Interesse. Effektive Forschung und Entwicklung zu betreiben ist zeitaufwändig und teuer, zudem bedarf es hervorragend ausgebildeten Personals. Mangelt es einem Staat oder einem Unternehmen an einer der genannten Ressourcen, besteht hohes Interesse an der Aneignung dieses Wissens durch gezielte Ausspähung. Insbesondere durch die Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung und die besonderen wirtschaftlichen Herausforderungen der vergangenen Jahre erhöht sich der Druck auf Unternehmen, schneller und besser produzieren zu können und neue Produkte auf den Markt zu bringen. Von diesen Aktivitäten betroffen sind innovative und technologieorientierte Branchen, besonders Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind insbesondere Produktinnovationen und Marktstrategien. Aber auch auf den ersten Blick weniger innovative oder sensible Daten und Informationen können für Spionageaktivitäten attraktiv sein. Die fortschreitende Entwicklung von Systemen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren, stellt in dem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar. Das Erlangen von Informationen über technologische Fortschritte kann einerseits Gegenstand von Spionage sein, andererseits können KI-basierte Tools auch für Spionagezwecke eingesetzt werden. Insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind Unternehmen der Rüstungsindustrie und deren Zulieferer sowie Unternehmen, die als Kritische Infrastruktur (KRITIS) 364 Wirtschaftsschutz gelten, in den Fokus geraten. Hier steht weniger die Spionage als vielmehr die Sabotage im Vordergrund. Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge und können damit Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2000 beim Niedersächsischen Verfassungsschutz aus der Spionageabwehr heraus der Fachbereich Wirtschaftsschutz geschaffen, der als Ansprechpartner für die Wirtschaft zur Verfügung steht. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern haben sich auf folgendes gemeinsames Aufgabenverständnis der Fachbereiche Wirtschaftsschutz geeinigt: "Die Verfassungsschutzbehörden informieren im Rahmen des präventiven Wirtschaftsschutzes über eigene Erkenntnisse und Analysen, die dazu beitragen, dass Wirtschaft und Wissenschaft sich eigenverantwortlich effektiv gegen Ausforschung (insbes. Wirtschaftsspionage), Sabotage und Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können." Das B eratungs ang e b ot des N i e d ersächsischen Verfassungsschutzes umfasst die Themen Wirtschaftsund Industriespionage, Cybersicherheit191, Know-howSchutz, Sicherheit in der Informationsund Kommunikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, Innentäterproblematik und Social Engineering192. Zahlreiche Unternehmen sind bereits im Rahmen von Vortragsveranstaltungen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht worden. 191 Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen IT-Sicherheit auf den gesamten Cyber-Raum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwendungen, Prozesse und verarbeitete Informationen mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informationsund Kommunikationstechnik zu einem Teil des Cyber-Raumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 192 Social Engineering bezeichnet eine Methodik zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 365 Wirtschaftsschutz Der Fachbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist auch zentrale Ansprechstelle für die Wirtschaft, z. B. bei Fragen des Extremismus und arbeitet eng mit den dafür zuständigen Fachbereichen zusammen. 10.2 Aufgaben und Arbeitsweise Der Verfassungsschutz unterliegt nicht dem Legalitätsprinzip. Das ermöglicht es, gegenüber den in den Unternehmen verantwortlich handelnden Personen Vertraulichkeit zuzusagen, ohne dass Gesprächsinhalte ggf. eine strafrechtliche Bearbeitung nach sich ziehen. Sind Unternehmen von einem Sicherheitsvorfall betroffen, befürchten sie unter Umständen einen Imageverlust, sofern dies öffentlich bekannt würde. Dadurch ist auch von einem großen Dunkelfeld von nicht mitgeteilten oder angezeigten Sicherheitsvorfällen auszugehen. Im Jahr 2024 war bei Sicherheitsvorfällen häufig die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen. In den meisten Fällen waren Firmennetzwerke durch Schadsoftware manipuliert. Eine nachrichtendienstliche Steuerung dieser Angriffe war nicht auszuschließen. Der Newsletter des Fachbereiches Wirtschaftsschutz informiert die Unternehmen regelmäßig über aktuelle Erkenntnisse, die im Verbund der Verfassungsschutzbehörden gewonnen wurden. Diese Newsletter dienen in erster Linie der Sensibilisierung, aber auch der Weitergabe von Informationen und Hinweisen auf Veranstaltungen. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass soziale Netzwerke wie z. B. Xing, Facebook oder LinkedIn genutzt werden, um im Rahmen von Social Engineering Informationen zu beschaffen, und diese für Cyberangriffe oder Anbahnungen im Bereich der Spionage (HUMINT) zu verwenden. Je mehr im Vorfeld über Adressaten einer (maliziösen) E-Mail bekannt ist, umso besser kann diese formuliert und angepasst werden. Damit 366 Wirtschaftsschutz erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine E -Mail für authentisch gehalten und geöffnet wird. Beratungen, Vorträge, Netzwerkarbeit Die Arbeit des Fachbereiches Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes umfasst im Wesentlichen Vorträge, gezielte Firmenberatungen sowie eine intensive Netzwerkarbeit. Vorträge werden häufig von den Industrieund Handelskammern, Wirtschaftsverbänden, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen und von Unternehmen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Führungskräfte nachgefragt. Dabei wird über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes berichtet, auf aktuelle Risiken hingewiesen und mögliche Abwehrmaßnahmen aufgezeigt. Es wird generell versucht, für sicherere Abläufe in Unternehmen zu sensibilisieren, z. B. bei organisatorischen Regularien oder baulichen Maßnahmen. Bei gezielten Firmenberatungen können einzelne Fragestellungen intensiver erörtert und anhand konkreter Situationen und Begebenheiten Lösungsansätze aufgezeigt werden. Wichtige Netzwerkpartner im Bereich des Wirtschaftsschutzes sind Polizeibehörden, insbesondere die "Zentrale Ansprechstelle Cybercrime für die niedersächsische Wirtschaft" (ZAC) des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI), das Netzwerk "niedersachsen. digital e. V." sowie verschiedene IT-Gesprächskreise der Industrieund Handelskammern und die Allianz für Cybersicherheit beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). 367 Wirtschaftsschutz 10.3 Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) Eine besonders herausfordernde Aufgabe stellt gerade in unsicheren Zeiten die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls dar. Wichtige Bestandteile dafür sind Unternehmen, die als Kritische Infrastruktur (KRITIS) gelten, da deren Anlagen und Systeme von wesentlicher Bedeutung für die Produktion lebensnotwendiger Güter oder Dienstleistungen sind. Ein umfangreicher Lieferausfall dieser Produkte kann i. d. R. nicht durch andere Akteure aufgefangen oder ausgeglichen werden. Mögliche Konsequenz daraus wäre, dass die Bevölkerung entsprechende Waren bzw. Leistungen nicht mehr beziehen kann und Hunger, Durst, mangelhafte Gesundheitsund/oder Energieversorgung etc. folgt. Der Schutz von KRITIS ist somit eine immens wichtige Aufgabe, die insbesondere mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stärker in den Fokus geraten ist. Der Niedersächsische Verfassungsschutz unterstützt die Betreiber von KRITIS in Niedersachsen, indem er in Fragen der Spionageund Sabotageabwehr berät, um die Versorgungssicherheit möglichst umfassend zu gewährleisten. Die Verbesserung der Inneren Sicherheit für Niedersachsen durch Stärkung der Resilienz in KRITISUnternehmen, ist der treibende Faktor, dem auch durch die Mitwirkung in verschiedenen Gremien Rechnung getragen wird. 10.4 Best practice meeting Das "best practice meeting" ist ein Veranstaltungsformat für maximal 30 Personen mit einem thematischen Schwerpunkt. Im Anschluss an einen einleitenden Kurzvortrag werden in einer moderierten Diskussionsrunde verschiedene Standpunkte und Erfahrungen ausgetauscht. Aufgrund des bewusst reduzierten Teilnehmerkreises hat sich dieses Format als äußerst effektiv für die Unternehmen erwiesen, weil sich aus den Diskussionen z. B. konkrete Ansätze für umsetzbare Maßnahmen entwickeln können. Am 15.03.2024 war das Thema "Pre-Employment Screening (PES)". Darunter sind (Sicherheits-)Überprüfungen zu verstehen, die bereits 368 Wirtschaftsschutz während des Bewerbungsprozesses und vor Eintritt der Person in das Unternehmen durchgeführt werden. Das Ziel ist, Personen, die möglicherweise einen Unsicherheitsfaktor darstellen könnten, vorbeugend vom Unternehmen fernzuhalten. Viele Unternehmen konstatierten den Bedarf, ein PES bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zu etablieren und rechtssicher einzusetzen. Mehrere Praktiker berichteten unter verschiedenen Blickwinkeln über ihre Erfahrungen mit der Implementierung eines PES. 10.5 Geheimschutztagung Vom 10. bis zum 11.04.2024 fand die jährliche Geheimschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes mit etwa 75 Sicherheitsbevollmächtigten der geheimschutzbetreuten Unternehmen sowie Vertreterinnen und Vertretern einzelner Sicherheitsbehörden in Aurich statt. Im Mittelpunkt der Tagung standen die Themen Wissenstransfer, Vernetzung und der Austausch zwischen am Geheimschutzverfahren beteiligten Behörden, wie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dem Verfassungsschutz und den jeweiligen Unternehmen. Ver fassungsschutzpräsident Dirk Pejril gab einen Überblick über die derzeitige Sicherheitslage und betonte die Herausforderungen im Kontext hybrider Bedrohungen und die damit einhergehenden Desinformationskampagnen. U. a. berichtete der Geschäftsführer eines von einem Cyberangriff betroffenen weltweit agierenden Unternehmens, wie dieser erfolgreich aufgearbeitet wurde. Der Aufbau einer Notinfrastruktur und die professionelle Betreuung eines externen Cyber-Security-Partners seien wegweisend gewesen. Weitere Themen waren u. a. Internationaler Geheimschutz, Spionage, Datenschutz und abhörsichere Kommunikation. 369 Wirtschaftsschutz 10.6 Geheimschutztag Ergänzend zur zweitägigen Geheimschutztagung fand am 26.11.2024 zum ersten Mal ein Geheimschutztag in Bad Zwischenahn statt, an dem etwa 60 Sicherheitsbevollmächtigte geheimschutzbetreuter Unternehmen teilnahmen. Zielgruppe sind speziell Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, die neu mit dieser Thematik konfrontiert sind und umfangreich mit den Grundlagen des Geheimschutzes vertraut gemacht werden. Ergänzt wurde die Informationsveranstaltung mit Beiträgen des Fachbereichs Geheimschutz im Niedersächsischen Verfassungsschutz, des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) sowie eines Unternehmens der Rüstungsindustrie, das über langjährige Erfahrungen im Umgang mit Verschlusssachen verfügt. Zudem hat sich der Fachbereich Prävention vorgestellt und dabei seine Aufgaben sowie Angebote dargestellt, basierend auf der Frage "Was kann ich als Sicherheitsbevollmächtigter eines Unternehmens tun, wenn sich Mitarbeitende des Unternehmens radikalisieren?" 10.7 23. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes An der 23. Wirtschaftsschutztagung am 11.11.2024 in Hannover nahmen etwa 280 Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und von staatlichen Institutionen teil. Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril eröffnete die Vortragsreihe u. a. mit einem Überblick über hybride Bedrohungen, Desinformationskampagnen sowie Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz (KI) und warnte vor der Zunahme russischer Cyberund Spionageangriffe. 370 Wirtschaftsschutz Beim Themenschwerpunkt KI ging es um deren Anwendungsbereiche in der Arbeitswelt und rechtliche Fragestellungen. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit Deepfakes und Desinformationen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erheblich gefährden können, den möglichen Auswirkungen der Präsidentschaftswahl in den USA auf die hiesige Wirtschaft sowie aktuellen Spionagefällen aus Mediensicht. 10.8 Kontaktdaten Für Fragen steht der Fachbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-284 Telefax: 0511 6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 371 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität193 (PMK) - Vorbemerkung Die Politisch motivierte Kriminalität wird durch die Polizei auf der Grundlage des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" erfasst. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) gemäß den Richtlinien des KPMD-PMK. Dazu zählen "echte Staatsschutzdelikte" (SSSS 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a StGB, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Definitionssystem der PMK entsprechend zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzdelikte"). Den letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Tatbestände der "echten Staatsschutzdelikte" werden auch erfasst, wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Außerdem finden Straftaten Berücksichtigung, die durch Anwendung von Gewalt194 oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. 193 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 194 Zu denen werden hier auch die im KPMD-PMK zu einem gesonderten Deliktsbereich gehörenden Terrorismusdelikte gezählt. 374 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/ Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, sodass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 11.2 Politisch motivierte Kriminalität195 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Gesamtzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK -rechtsist mit 3.643 Fällen im Vergleich zum Vorjahreswert (2.552) um 42,75 Prozent gestiegen. Im Vergleich der letzten zehn Jahre liegt die Fallzahl deutlich über dem Mittelwert (2.147 Fälle). Im Berichtsjahr sind 3.463 dieser Fälle als rechtsextremistisch eingestuft, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von ca. 43 Prozent bedeutet (2023: 2.418). Hierbei sind insbesondere fremdenfeindliche, rechtsextremistische Straftaten angestiegen (1.326; + 320). Die Anzahl der rechtsextremistischen Gewaltdelikte steigt im Vorjahresvergleich um 24 Fälle auf insgesamt 82 Taten, hierzu zählen ein versuchtes Tötungsdelikt sowie darüber hinaus vornehmlich Körperverletzungsdelikte196 (71). Im Rahmen des versuchten Tötungsdeliktes kam es zu einem fremdenfeindlichen Angriff mittels eines Schlitz-Schraubendrehers gegen den Kopf, Hals und Oberkörper des Opfers. Insgesamt stehen die rechtsextremistischen Gewaltdelikte (wie auch im Vorjahr) überwiegend im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen (67), ausländerfeindlichen (59) oder rassistisch (14) motivierten Taten und richten sich dabei gegen Menschen mit z. T. vermeintlichem Migrationshintergrund. Vereinzelt richten sich die Taten gegen die Polizei (5) oder stehen im Kontext von Rechts-/ Links-Konfrontationen (4). 195 Siehe Fußnote 193. 196 Diese beinhalten 48 Fälle der einfachen (SS 223 StGB), 22 Fälle der gefährlichen Körperverletzung (SS 224 StGB) sowie einen Fall der schweren Körperverletzung (SS 226 StGB). 375 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Bereich der sonstigen rechtsextremistischen Straftaten197 ist mit 3.381 Fällen im Jahr 2024 ein Anstieg in Höhe von 1.021 Delikten im Vorjahresvergleich (2023: 2.360 Fälle) festzustellen, welcher insbesondere auf einen Fallzahlenanstieg bei Taten gem. SS 86a StGB, dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (+ 715) zurückzuführen ist. Darüber hinaus kam es zu einer häufigeren Begehung von Volksverhetzungen gem. SS 130 StGB (+ 202), wofür u. a. die ideologisch instrumentalisierte Umdichtung des Liedes "L'Amour toujours" des Künstlers Gigi D'Agostino zu "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" ursächlich war. Zum Erhebungszeitraum standen hiermit 82 Taten im Zusammenhang. In direktem Bezug zur Europawahl198 stehen 73 Taten, wenngleich ein Fallzahlenanstieg rechtsextremistischer Delikte insbesondere im zeitlichen Kontext zur Europawahl festzustellen war. In den Monaten Mai und Juni 2024 ereigneten sich über 25 Prozent der rechtsextremistischen Taten des Jahres 2024 (883 Delikte). Vor allem bei den Delikten Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie Volksverhetzungen ist ein erhöhtes Fallzahlenaufkommen festzustellen.199 Mit aktuellen geopolitischen Krisenherden stehen 75 rechtsextremistische Taten in Zusammenhang, davon 43 im Kontext des Nahostkonflikts sowie 32 mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Anzahl rechtsextremistischer Propagandadelikte steigt im Vorjahresvergleich (1.407) auf 2.121 Taten an; diese bilden weiterhin den Schwerpunkt am Gesamtaufkommen der rechtsextremistischen PMK. Im Jahr 2024 wurden im Phänomenbereich PMK -rechtsinsgesamt 1.326 fremdenfeindlich extremistische Taten begangen (2023: 1.006). Bei einem Großteil dieser Taten handelte es sich um Volksverhetzungen (713), welche teils in sozialen Medien und teils in der direkten Konfrontation begangen wurden. Die 197 Im Sinne des KPMD-PMK sind hier die extremistischen Straftaten der Deliktsqualität "Politisch motivierte Kriminalität" gemeint. 198 Die Wahl zum 10. Europäischen Parlament erfolgte am 09.06.2024. 199 In diesem Zeitraum ereigneten sich ca. 29 % aller Volksverhetzungen sowie 25 % aller Verstöße gem. des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. 376 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 67 rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen Gewaltdelikte ereigneten sich in Form des o. g. versuchten Totschlags sowie durch Körperverletzungen200 (60). Weitere rechtsextremistische, fremdenfeindliche Gewaltdelikte ereigneten sich in je zwei Fällen in Form von tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte sowie Erpressungen und jeweils eine Tat durch einen Raub, einen schweren Raub und einer räuberischen Erpressung. Im Jahr 2024 ereigneten sich 100 rechtsextremistische Taten Im Kontext Konfrontation/Politische Einstellung gegen links. Dies stellt einen Anstieg um 44 Taten und somit um mehr als 78 Prozent dar. Die Steigerung ist u. a. auf das zunehmende Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (2023: 13, 2024: 48) zurückzuführen. Im Versammlungskontext standen diesbezüglich neun rechtsextremistische Taten (2023: 1). Gegen links gerichtete, rechtsextremistische Gewaltkriminalität belief sich auf vier Fälle (2023: 1), bei welchen es sich um Körperverletzungsdelikte handelte. 201 Im Jahr 2024 wurden, wie im Vorjahr, 13 rechtsextremistische Straftaten gegen Asylunterkünfte festgestellt, wobei es zu keinem Gewaltdelikt kam. Vornehmlich handelte es sich um Sachbeschädigungsdelikte (5) sowie Volksverhetzungen (3). 200 Davon 43 Fälle gem. SS 223 StGB, 16 Fälle gem. SS 224 StGB sowie ein Fall gem. SS 226 StGB. 201 Davon jeweils 2 Fälle gem. SS 223 StGB sowie SS 224 StGB. 377 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität -rechts-" in Niedersachsen202 Politisch motivierte Gewalttaten: 2023 2024 Körperverletzungen 49 71 Widerstandsdelikte 3 5 Erpressungsdelikte 2 3 Raubdelikte 0 2 Totschlag 0 1 Brandstiftungen 3 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 0 Insgesamt 58 82 Sonstige Straftaten: Propagandadelikte 1.407203 2.121204 Volksverhetzung 566 768 Beleidigungen 141 167 Sachbeschädigungen 66 205 112206 Verhetzende Beleidigungen 51 83 Nötigungen/Bedrohungen 30 42 Andere Straftaten 98 88 Insgesamt 2.359 3.381 Straftaten insgesamt 2.417 3.463 202 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 203 Davon 3 Fälle gem. SS 86 StGB, 1.404 Fälle gem. SS 86a StGB. 204 Davon 2 Fälle gem. SS 86 StGB, 2.119 Fälle gem. SS 86a StGB. 205 Davon 50 Fälle gem. SS 303 StGB, 16 Fälle gem. SS 304 StGB. 206 Davon 92 Fälle gem. SS 303 StGB, 20 Fälle gem. SS 304 StGB. 378 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.3 Politisch motivierte Kriminalität 207 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Die Fallzahl im Phänomenbereich der PMK -linksweist mit 1.159 Fällen im Berichtsjahr gegenüber dem Jahr 2023 einen Anstieg um ca. 103 Prozent auf (2023: 572). Das dafür zu Grunde liegende Kriminalitätsgeschehen wurde in ca. 79 Prozent der Fälle dem Themenfeld Konfrontation/Politische Einstellung - gegen rechts zugeordnet (942), in welchem das Fallzahlenaufkommen insbesondere im Zeitraum der Europawahl anstieg. Etwa 46 Prozent der dem Themenfeld zugeordneten Taten erfolgten im Mai und Juni 2024. Mit Blick auf im Berichtsjahr 2024 insgesamt zu verzeichnende 532 extremistisch motivierte Fälle im Phänomenbereich der PMK -linkssteigerte sich die Fallzahl im Vorjahresvergleich (2023: 109) um ca. 388 Prozent. Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere das Straftatenaufkommen im direkten Sachzusammenhang zur Europawahl (329). Im Jahr 2023 war dagegen kein signifikantes Straftatengeschehen im Zusammenhang mit Wahlen festzustellen. Die Anzahl linksextremistischer Gewaltdelikte steigt im Berichtsjahr 2024 auf 34 Fälle (2023: 10) ebenfalls deutlich an. Den größten Anteil in diesem Bereich bilden Körperverletzungsdelikte208 mit 14 Fällen. Darüber hinaus wurden 12 Widerstandshandlungen, fünf Landfriedensbrüche, davon zwei schwere Fälle des Landfriedensbruchs, sowie drei Brandstiftungen festgestellt. Mehr als die Hälfte der linksextremistischen Gewalttaten hatte einen Demonstrationsbezug (19; ca. 56 Prozent) Im Bereich der sonstigen linksextremistischen Straftaten209 (498 Fälle) ist eine Steigerung um 399 Delikte im Vorjahresvergleich (2023: 99 Fälle) festzustellen, was u. a. mit einer ansteigenden Fallzahl von 207 Siehe Fußnote 193. 208 Davon 8 Fälle gem. SS 224 StGB, 6 Fälle gem. SS 223 StGB. 209 Im Sinne des KPMD-PMK sind hier die extremistischen Straftaten der Deliktsqualität "Politisch motivierte Kriminalität" gemeint. 379 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Diebstahlsdelikten210 (+ 191) sowie Sachbeschädigungen211 (+ 171) von und an Wahlplakaten einhergeht und maßgeblich auf das Kriminalitätsgeschehen im Kontext der Europawahl zurückzuführen ist. Insgesamt standen 186 Diebstahlsund 129 Sachbeschädigungsdelikte im Kontext der Europawahl. Dem Themenfeld Konfrontation/Politische Einstellung - gegen rechts sind für das Berichtsjahr insgesamt 462 linksextremistische Taten zugeordnet (2023: 62), wovon sich 334 und damit etwa 72 Prozent im Zeitraum der Europawahl, im Mai und Juni 2024 ereigneten. Im Berichtsjahr sind 24 linksextremistische -gegen rechtsgerichtete Gewaltdelikte (2022: 5) verzeichnet, darunter 14 Körperverletzungsdelikte212, fünf Widerstandshandlungen213, vier Landfriedensbrüche, davon zwei Fälle des schweren Landfriedensbruchs sowie eine Brandstiftung. 13 Taten standen im Versammlungskontext. 210 Im Betrachtungszeitraum ausschließlich Diebstahl gem. SS 242 StGB. 211 Im Jahr 2023 68 Fälle gem. SS 303 StGB, 12 Fälle gem. SS 304 StGB, im Jahr 2024 227 Fälle gem. SS 303 StGB, 24 Fälle gem. SS 304 StGB. 212 Davon 6 Fall gem. SS 223 StGB, 8 Fälle gem. SS 224 StGB. 213 Davon 4 Fälle gem. SS 114 StGB, 1 Fall gem. SS 113 StGB 380 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität -links-" in Niedersachsen214 Politisch motivierte Gewalttaten: 2023 2024 Körperverletzungen 3 14215 Widerstandsdelikte 2 12 Landfriedensbrüche 2 5 Brandstiftungen 2 3 Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr 1 0 Insgesamt 10 34 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 80216 251217 Diebstahl218 1 192 Andere Straftaten 18 55 Insgesamt 99 498 Straftaten insgesamt 109 532 214 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 215 Davon 8 Fälle gem. SS 224 StGB, 6 Fälle gem. SS 223 StGB. 216 Davon 69 Fälle gem. SS 303 StGB, 11 Fälle gem. SS 304 StGB. 217 Davon 227 Fälle gem. SS 303 StGB, 24 Fälle gem. SS 304 StGB. 218 Im Betrachtungszeitraum ausschließlich Diebstahl gem. SS 242 StGB. 381 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.4 Politisch motivierte Kriminalität 219 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Die Gesamtzahl der im Jahr 2024 in den Phänomenbereichen der PMK -ausländische Ideologieund der PMK -religiöse Ideologieerfassten Straftaten beträgt 565 Fälle und weist somit im Vorjahresvergleich ein ähnliches Fallzahlenaufkommen auf (2023: 555 Fälle), wobei es im Bereich der PMK -religiöse Ideologiezu einem Anstieg (+ 23 Fälle) und im Bereich der PMK -ausländische Ideologiezu einem Rückgang kam (- 13 Fälle). Als extremistisch motivierte Taten wurden zu den Phänomenbereichen insgesamt 271 Fälle für das Jahr 2024 erfasst (2023: 254). Davon entfallen 158 Fälle auf den Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologie(2023: 174) und 113 Fälle auf den Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie(2023: 80). Die um 16 Fälle leicht rückläufige Entwicklung der Extremismusdelikte im Phänomenbereich der PMK -ausländische Ideologieist maßgeblich auf die geringere Anzahl von Straftaten im Kontext des Nahostkonfliktes zurückzuführen (2024: 102, 2023: 111), während der Anstieg im Bereich der PMK -religiöse Ideologieum 33 Fälle mit einer Zunahme von Delikten mit Bezug zum Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus im Zusammenhang steht (2024: 26, 2023: 9). Hier wurden vermehrt Bombendrohungen vor allem gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, bei denen ein Schadenseintritt ausblieb. Die phänomenübergreifend höhere Anzahl an Sachbeschädigungsdelikten steht überwiegend im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Zu den Phänomenbereichen der PMK -ausländische Ideologieund PMK -religiöse Ideologiesind in 2024 jeweils drei extremistische Fälle der Deliktsqualität Terrorismus erfasst (2023: 10; alle im Phänomenbereich -religiöse Ideologie-), bei denen es sich um 219 Siehe Fußnote 193. 382 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Fälle gemäß SS 89a sowie SSSS 129a, b StGB handelt. 220 Den anderen Phänomenbereichen der PMK sind im Berichtsjahr keine Terrorismusdelikte zugeordnet (2023: 0). Für den Berichtszeitraum sind phänomenbezogen 15 politisch motivierte Gewaltdelikte mit extremistischem Hintergrund verzeichnet (2023: 10). Davon entfallen zehn Fälle auf den Phänomenbereich der PMK -ausländische Ideologie-, bei denen es sich um fünf gefährliche Körperverletzungen, welche mittels Tritten und Schlägen, gemeinschaftlich und mit Hilfe eines Messers oder Pyrotechnik begangen wurden, um vier einfache Körperverletzungen und um einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs handelt, bei dem eine Gruppe bestehend aus einer niedrigen zweistelligen Personenanzahl das Gebäude des türkischen Generalkonsulats unter Zuhilfenahme von Gegenständen beschädigte. Auf den Phänomenbereich der PMK -religiöse Ideologieentfallen fünf extremistische Gewaltdelikte, davon drei Körperverletzungen sowie zwei gefährliche Körperverletzungen, bei denen das Opfer gemeinschaftlich oder mittels eines Schlagringes angegriffen wurde. Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt stehen zwei der politisch motivierten Gewalttaten. 220 Im Bereich PMK -ausländische Ideologiewurde hierbei eine Straftat gem. SS 129a StGB über den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) gemeldet, bei der es sich nach rechtlicher Bewertung der zuständigen Staatsanwaltschaft um kein Terrorismusdelikt handelt. Aufgrund der statistischen Erfassung zum Erhebungszeitpunkt wird dieses noch als solches gewertet. 383 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich -ausländische Ideologieund -religiöse Ideologiein Niedersachsen221 Politisch motivierte 2023 2024 Gewalttaten:222 ausländische religiöse ausländische religiöse Ideologie Ideologie Ideologie Ideologie Terrorismusdelikte 0 10 3 3 (SSSS 89a, 89b, 89c, 91, 129a, b StGB sowie Katalogtaten) Körperverletzungen 5 3 9 5 Brandstiftungen 1 0 0 0 Freiheitsberaubung 0 1 0 0 Insgesamt 6 14 12 8 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 15223 1224 31225 6226 Volksverhetzung 65 8 42 16 Verwenden von Kennzeichen 25 16 26 15 verfassungswidriger und terroristischer Organisationen Bedrohungen 2 4 6 7 Andere Straftaten 61 (20) 37 (6) 41 (4) 61 (7) (davon SS 20 VereinsG227) Insgesamt 168 66 146 105 Straftaten insgesamt 174 80 158 113 221 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 222 Zu diesen werden hier auch die Terrorismusdelikte gezählt. Die Deliktsqualitäten Gewalt, Terrorismus und sonst. PMK gem. KPMDPMK werden grundsätzlich gesondert ausgewiesen und werden nur an dieser Stelle entsprechend der Maßgabe zusammengefasst. 223 Davon 12 Fälle gem. SS 303 StGB, 3 Fälle gem. SS 304 StGB. 224 Gem. SS 304 StGB. 225 Davon 26 Fälle gem. SS 303 StGB, 5 Fälle gem. SS 304 StGB. 226 Davon 4 Fälle gem. SS 303 StGB, 2 Fälle gem. SS 304 StGB. 227 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins-)Verbote. 384 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.5 Politisch motivierte Kriminalität 228 (PMK) - sonstige Zuordnung Dieser Phänomenbereich wird hier erstmalig genannt. Im kommenden Verfassungsschutzbericht werden wir die Zahlen wie für die vorangegangenen Phänomenbereiche in einer Tabelle darstellen. Die Fallzahlen im Phänomenbereich PMK -sonstige Zuordnungstiegen im Vorjahresvergleich um ca. 50 Prozent von 1.515 auf 2.266 Fälle an und stellen damit den zweitgrößten Anteil der Gesamt-PMK (ca. 30 Prozent) in 2024. Nach einer Trendumkehr im Jahr 2023 befindet sich die PMK -sonstige Zuordnungwieder auf dem zahlenmäßigen Niveau der Jahre 2021 (2.068 Fälle) und 2022 (2.394 Fälle), Der Anteil der extremistischen Straftaten hat sich 2024 um ca. 28 Prozent erhöht (2023: 305, 2024: 390). Thematisch resultiert dies u. a. aus fremden(2023: 74, 2024: 154) sowie LGBTIQ+-feindlichen Taten (2023: 36, 2024: 76). Die Anzahl der dem Themenfeld Reichsbürger/Selbstverwalter zugeordneten PMK-Delikte nahm im Vorjahresvergleich erneut ab (- 81 Fälle) (2023: 176, 2024: 95) und fällt auf den niedrigsten Stand seit der kaum mehr Relevanz entfaltenden COVID-19-Pandemie. In 65 Fällen wurde eine Zuordnung zum Phänomenbereich sonstige Zuordnung vorgenommen. In 29 Fällen waren es Fälle für die PMK -rechtsund in einem Fall für die PMK -links-. Der Anteil der extremistischen Straftaten im Themenfeld der Reichsbürger/Selbstverwalter ist von 151 (2023) auf 77 (2024) gesunken. 228 Siehe Fußnote 193. 385 12 Anhang Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe Antisemitismus Der Antisemitismus beschreibt ein Weltbild, welches auf Unterstellungen und Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden basiert. Er tritt häufig in Form von Verschwörungstheorien in Erscheinung. Antisemitische Verschwörungstheorien haben eine lange Geschichte und lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Studien belegen eindrücklich, dass antisemitische Einstellungsmuster in der Bevölkerung nach wie vor verbreitet sind. Angefangen bei antisemitischen Vorurteilen, die in allen Gesellschaftsschichten zu finden sind, bis hin zu antisemitischer Hetze und Verschwörungstheorien in den verschiedenen extremistischen Szenen: im Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus. Antisemitische Straftaten sind in Deutschland noch immer überwiegend politisch rechtsextremistisch motiviert. Entsprechende Einstellungsmuster und Handlungen stellen ein zentrales Element der rechtsextremistischen Ideologie dar. Der israelbezogene Antisemitismus erfüllt eine Brückenfunktion zwischen den extremistischen Phänomenbereichen. Er gehört zum Kernbestand politischer Propaganda in vielen Staaten im Nahen und Mittleren Osten und ist ein Wesenszug aller islamistischen und salafistischen Organisationen. Er hat aber auch innerhalb linksextremistischer Bewegungen eine lange Tradition. Cyberangriffe s. Elektronische Angriffe Cybersicherheit Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen IT-Sicherheit auf den gesamten Cyber-Raum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwendungen, Prozesse und verarbeitete Information mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informationsund Kommunikationstechnik zu einem Teil des Cyber-Raumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 388 Anhang Delegitimierung des Staates Unter dem Begriff der "Delegitimierung des Staates" erfassen die Verfassungsschutzbehörden Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen, die einen Extremismus sui generis (also eigener Art) darstellen. Sie kennzeichnet die fundamentale Ablehnung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Für die konkrete Zuordnung wurden bestimmte Kriterien festgelegt, die - eine hinreiche Erheblichkeitsschwelle vorausgesetzt - zur Einstufung einer Person führen können. Diese Kriterien wurden unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes der Grundrechte auf Meinungsund Demonstrationsfreiheit entwickelt. Zu ihnen zählen insbesondere die Androhung oder Ausübung von Gewalt gegen staatliche Akteure und Institutionen oder der öffentliche Aufruf zum Umsturz oder zur Abschaffung des demokratischen Systems. Delegitimierer kennzeichnet die fundamentale Ablehnung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. In Abgrenzung zu den Beobachtungsfeldern "Reichsbürger und Selbstverwalter" und "Rechtsextremismus" fehlt ihnen das Ziel eines alternativen Staatsmodells, sowie der Gedanke an eine Volksgemeinschaft oder einen ethnisch homogenen Nationalstaat. Desinformation Desinformation ist die gezielte Verbreitung falscher oder verfälschter Informationen. Damit wird versucht, auf die Meinungsbildung Einfluss zu nehmen. Die Bevölkerung soll verunsichert und über die Bedeutung und Tragweite aktueller Ereignisse vorsätzlich getäuscht oder in eine bestimmte Richtung beeinflusst werden. Ziel ist es auch, bestimmte politische Positionen zu schwächen und einflussreiche Personen oder Unternehmen in Verruf zu bringen. Desinformation ist daher demokratiegefährdend. In diesem Zusammenhang werden zahlreiche Begriffe genannt: Fehlinformation, Malinformation, Desinformation, Fake News, Propaganda. Fehlinformationen sind versehentlich falsch veröffentlichte Inhalte, möglicherweise ein redaktioneller Fehler. Die Inhalte von Malinformationen beruhen zwar auf der Wahrheit, ihre Verbreitung wird aber genutzt, um einer Person, Organisation oder einem Land Schaden zuzufügen. Hierbei werden meist private, 389 Anhang geheime oder sensible Informationen einer breiten Masse zugänglich gemacht, wie z. B. Daten-Leaks. Bei Fake-News handelt es sich um Desinformation. Der Begriff suggeriert allerdings, dass es sich bei der veröffentlichten Information um eine - wenngleich falsche oder fingierte - Neuigkeit im journalistischen Sinne handelt, während die "Neuigkeit" selbst häufig frei erfunden ist. Propaganda ist der Versuch der gezielten Beeinflussung des Denkens, Handelns und Fühlens von Menschen. Wer Propaganda betreibt, verfolgt damit immer ein bestimmtes Interesse. (geklaut von der BpB) Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe, also Angriffe auf ein IT-System durch ein IT-System, werden mithilfe von Schadprogrammen ausgeführt. Diese kommen auf unterschiedlichen Wegen (z. B. E-Mail-Anhang, maliziöse Webserver, Exploit) zum Einsatz und ermöglichen dadurch Cyberangriffe (s. Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2023, www.BSI.bund.de) Grundsätzlich ist bei Cyberangriffen zwischen Cybercrime (Zuständigkeit Polizei) und Cyberspionage/-sabotage (Zuständigkeit Verfassungsschutz) zu unterscheiden. Entgrenzung Dieser Begriff steht für eine Aufweichung der Grenzmarkierung zwischen nicht extremistischem und extremistischem Protest. Er steht für Entwicklungen sowohl im Rechtsextremismus als auch im Linksextremismus. Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym genutzt werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung 390 Anhang beseitigt werden. So ist z. B. Kapitalismuskritik, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußert und sie von Grund auf verändern will, noch kein Extremismus. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug umfassen das Agieren einer Vielzahl von Gruppierungen mit linksextremistischen, separatistischen oder nationalistischen Vorstellungen. Ihr Aktionismus zielt regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in der Heimatregion. Aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen im Herkunftsland sind dabei richtungsweisend für die Intensität des Auftretens und auch für das Militanzniveau. Türkische und kurdische Gruppierungen, die ihre jeweilige Ideologie zudem noch in gegeneinander gerichtete gewalttätige Auseinandersetzungen kanalisieren, bilden dabei einen Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes. Als mitgliederstärkste Organisation ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zu nennen. Alle ausländerextremistischen Organisationen sehen Deutschland als Raum für Rückzug, Rekrutierung, Propaganda und Finanzierung. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: f sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige 391 Anhang Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden oder f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistischterroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: f Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. f Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Ausgehend von einer Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens bemühen sie sich im Rahmen einer legalistischen Strategie, auch ihren Anhängerinnen und Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. 392 Anhang Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen und Einrichtungen von großer Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. Nationalismus Im Gegensatz zum Patriotismus, der sogenannten Vaterlandsliebe, wird mit dem Nationalismus die Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker bezeichnet. Neben dem deutschen Rechtsextremismus findet sich dieses Merkmal auch bei den nationalistisch geprägten Bestrebungen der türkischen "Ülkücü-Bewegung", die sich ideologisch über andere Gruppen und Ethnien stellen. Der türkische Nationalismus vertritt eine antieuropäische Haltung und richtet sich auch gegen eine Demokratisierung. Neue Rechte Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 393 Anhang Proliferation Proliferation ist die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffensystemen und den dazugehörigen Trägersystemen. Wesentliches Merkmal der Proliferation ist, dass diese nicht von Einzelpersonen, sondern durch proliferationsrelevante Staaten - unter Einbeziehung Ihrer Nachrichtendienste - betrieben wird. Die dynamischen Entwicklungen in den lokalen Krisenund Konfliktherden ebenso wie die geopolitischen Machtkämpfe autoritärer Regime, verdeutlichen das zunehmende Gefährdungspotenzial dieses Phänomens innerhalb der sicherheitspolitischen Weltlage. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich neben vielen anderen Staaten international dazu verpflichtet, den Einsatz und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, um damit das friedliche Zusammenleben der Völker sicherzustellen. Rassismus Rassismus ist ein wesentliches Ideologieelement des Rechtsextremismus. Er zielt auf eine konstruierte Unterscheidung zwischen Menschengruppen ab, indem ihnen ein Set von Eigenschaften zugeschrieben wird. Diese Eigenschaften werden zum Wesen der Gruppenangehörigen erklärt. Es lassen sich beispielsweise spezifische Rassismen gegen schwarze Menschen, gegen Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens oder gegen Sinti und Roma erfassen. Im Nationalsozialismus erreichte der Rassismus seinen Höhepunkt. Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt häufig Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Der Begriff Rassismus findet allerdings nicht nur im Rechtsextremismus, sondern auch in anderen Extremismusphänomenen Verwendung. Einen Rassismus im Linksextremismus gibt es nicht. Der Begriff findet hier eher im Zusammenhang mit dem Themenfeld Antirassismus Verwendung. Rassistische Ausprägungen im Islamismus sind religiös motiviert. Im Fokus stehen Andersgläubige bzw. die westliche Welt im Allgemeinen, aber auch Muslime, die der vermeintlich falschen 394 Anhang Glaubensrichtung anhängen. Diese werden als Ungläubige bezeichnet. Im Extremismus mit Auslandsbezug gibt es Rassismus bei den nationalistisch geprägten Bestrebungen der türkischen "ÜlkücüBewegung". Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusstsein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie, die sich gegen ethnische Minderheiten in der Türkei richtet. Ihr Rassismus gestaltet sich nach einem totalitären Normverständnis, nach dem insbesondere Kurden, Angehörigen des jüdischen Glaubens oder anderen Minderheiten in der Türkei keine Akzeptanz bzw. kein Respekt gewährt wird. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Linksradikalismus Bis 1974 wurden die Begriffe "Extremismus" sowie "Radikalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutzbehörden als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung [trägt], dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, Seite 4). 395 Anhang Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Reichsbürger Als "Reichsbürger und Selbstverwalter" werden Einzelpersonen und informell organisierte Gruppierungen sowie virtuelle Netzwerke bezeichnet, deren zentrales organisationsübergreifendes bzw. personenübergreifendes Ideologieelement die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat, seiner gesamten Rechtsordnung und deren Repräsentanten ist. Diese Überzeugung ist eng verknüpft mit einem verschwörungsideologischen Weltbild und der Vorstellung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat. "Reichsbürger" sind überzeugt, weiterhin und ausschließlich Angehörige eines "Deutschen Reiches" zu sein und nicht Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Je nach Gruppierung oder Person werden unterschiedliche historische Bezugspunkte, insbesondere die Jahre 1871, 1914 und 1937, für die "Reorganisation des Deutschen Reiches" angeführt. Gemeinsam ist allen der Rückgriff auf einen historischen und undemokratischen deutschen Staat sowie auf Grenzverläufe als Hoheitsgebiet, die deutlich über das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinausgehen. An die Stelle der aktuellen Staatsform und seiner institutionellen Ordnung soll eine eigene selbsternannte "Reichsregierung" treten, die in Zukunft die Regierungsgeschäfte für Deutschland führen soll. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine Gruppe von zumeist Einzelpersonen, die im Gegensatz zu "Reichsbürgern" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung ihrerseits oder durch den Rückgriff auf ein selbstdefiniertes Naturrecht aus der Bundesrepublik Deutschland austreten oder sie verneinen deren Existenz komplett. Einige gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu 396 Anhang proklamieren. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend und bei vielen Personen vermischen sich Argumentationsmuster aus beiden Bereichen. Eine scharfe Trennung ist daher in der Praxis häufig nicht möglich. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiy ya) bezeichnet jene islamistischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen islamistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradition überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Verheiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont militant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der sogenannten westlichen Welt ausgeht. Diese sogenannten jihadistischen Salafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines jeden Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Begehung von Terroranschlägen ein. Selbstverwalter s. Reichsbürger 397 Anhang Separatismus Politischer oder ethnisch begründeter Separatismus steht für Bestrebungen von Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), sich von dem Staat, in dem sie leben, loszulösen, um einen neuen eigenen Staat zu errichten bzw. sich in einem anderen Staat einzugliedern. Religiös begründeter Separatismus ist das Bestreben eines Teils der Gläubigen, sich von der Glaubensgemeinschaft abzuspalten. Social Engineering Social Engineering bezeichnet eine Methode zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Straftatbestände des StGB mit Verfassungsschutzbezug (Auszug der im Verfassungsschutzbericht genannten Paragraphen) SS 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens SS 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot SS 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen SS 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat SS 89c Terrorismusfinanzierung SS 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit SS 129 Bildung krimineller Vereinigungen SS 129a Bildung terroristischer Vereinigungen 398 Anhang SS 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche/extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig wird umgangssprachlich häufig synonym zu "verfassungsfeindlich" genutzt. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das BVerfG unterscheidet zwischen den Tatbestandsmerkmalen "beseitigen" und "beeinträchtigen". "Beseitigen" bezeichnet die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Austausch durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes nicht demokratisches Regierungssystem (BVerfGE 144, 20 (211 Rn. 550)). Demgegenüber sei von einem "beeinträchtigen" auszugehen, wenn eine Partei nach 399 Anhang ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt. Ausreichend sei, dass sich die Partei gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet. Entscheidend sei, dass die Partei sich gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind (BVerfGE 144, 20 (213f. Rn. 556)). Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/ Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Im Jahr 2003 wurde ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens aufgrund der Beobachtung durch V-Personen der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungierten, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. 400 Anhang Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). Grundlage für den Verbotsantrag waren die durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über die NPD, die fortlaufend ergänzt wurden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahr 2003 wurden dafür alle V-Personen in den Führungsebenen der Partei abgezogen. Mit dem einstimmig gefassten Urteil wird der NPD jedoch höchstrichterlich bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Ihr Ziel sei es, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so der damalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Allerdings reiche eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein für ein Verbot der NPD nicht aus. Die Partei müsse auch das Potenzial haben, ihre Ziele erfolgreich umzusetzen, wie es in der Urteilsbegründung weiter heißt. Zu den Zielen heißt es in der Urteilsbegründung: "Die NPD missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf. Die Programmatik der NPD ist auf die Beseitigung der fdGO gerichtet." (BVerfG NJW 2017, 611, 634 ff.) Das Bundesverfassungsgericht setzt mit dem Urteil einen neuen Maßstab, der von der bisherigen Rechtsprechung zum Parteiverbot abweicht, vor allem zum KPD-Verbot im Jahr 1956. "Anders als im KPD-Urteil kommt nach Auffassung des Senats ein Parteiverbot nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht", so Voßkuhle. Dies sei bei der NPD aber nicht der Fall229. 229 Weitere Ausführungen zum NPD-Verbot siehe Kapitel 2.9, Abschnitt "Die NPD ist verfassungsfeindlich". 401 Anhang Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Völkische Siedler Unter dem Sammelbegriff "Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler" werden in Niedersachsen rechtsextremistische völkische Gruppierungen und Personenkreise (Familien-/Siedlerverbände) gefasst, die abseits der urbanen Zentren eine naturorientierte, ländliche und kleinbäuerliche Lebensweise auf Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie mit rassistischen und antisemitischen Elementen pflegen. Innerhalb ihres kinderreichen Familienund Freundeskreises leben sie nach völkischen Denkund Verhaltensmustern und neuheidnischen Riten. "Völkische Siedler" sind gefestigte Rechtsextremisten, die sich an der vom Nationalsozialismus propagierten "Volksgemeinschaft" orientieren, die als "geschichtlich gewachsene Blutsgemeinschaft" idealisiert wird. Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. 402 Anhang 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2021 (Nds. GVBl. S. 564) Inhaltsübersicht Erster Teil Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS4 Begriffsbestimmungen SS5 Trennungsgebot Zweiter Teil Bestimmung zum Beobachtungsobjekt SS6 Beobachtungsobjekt SS7 Verdachtsobjekt SS8 Verdachtsgewinnung Dritter Teil Befugnisse zur Datenverarbeitung Erstes Kapitel Allgemeine Vorschriften SS9 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 10 Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung SS 11 Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs 403 Anhang Zweites Kapitel Erhebung und sonstige Kenntnisnahme SS 12 Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 14 Nachrichtendienstliche Mittel SS 15 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel SS 16 Besondere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Personen SS 17 Besondere Voraussetzungen für Observationen sowie Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen SS 18 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler SS 19 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz bestimmter technischer Mittel SS 20 Besondere Auskunftsverlangen SS 21 Verfahrensvorschriften SS 22 Mitteilung an Betroffene SS 23 Ersuchen und automatisierte Abrufverfahren SS 24 Registereinsicht SS 25 Verpflichtung zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde Drittes Kapitel Speicherung, Veränderung, Nutzung, Löschung SS 26 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten, Zweckbindung SS 27 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu anderen Zwecken SS 28 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten SS 29 -- aufgehoben -- Viertes Kapitel Auskunft SS 30 Auskunft an betroffene Personen Fünftes Kapitel Übermittlung SS 31 Übermittlung personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden 404 Anhang SS 32 Übermittlung an sonstige Behörden und Stellen SS 32 a Übermittlung personenbezogener Daten für Angebote zum Ausstieg SS 33 Aufklärung der Öffentlichkeit, Verfassungsschutzbericht Sechstes Kapitel Unabhängige Datenschutzkontrolle, Anwendung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 33 a Unabhängige Datenschutzkontrolle SS 33 b Anwendbarkeit des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes Vierter Teil Parlamentarische Kontrolle SS 34 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 35 Zusammensetzung und Verfahrensweise des Ausschusses SS 36 Unterrichtungspflichten des Fachministeriums SS 37 Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht SS 38 Beauftragung einer oder eines Sachverständigen SS 39 Beteiligung der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 40 Berichterstattung des Ausschusses gegenüber dem Landtag Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten SS 42 Übergangsvorschrift 405 Anhang Erster Teil SS3 Allgemeine Vorschriften Aufgaben SS1 (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde Zweck des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund Der Verfassungsschutz dient dem Schutz personenbezogenen Auskünften, Nachder freiheitlichen demokratischen Grundrichten und Unterlagen, über ordnung, des Bestandes und der Sicherheit 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitlides Bundes und der Länder. che demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes SS2 oder eines Landes gerichtet sind oder Zuständigkeit eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für des Bundes oder eines Landes oder Inneres zuständige Ministerium (Fachihrer Mitglieder zum Ziel haben, ministerium). 2Das Fachministerium unter2. sicherheitsgefährdende oder geheimhält eine Abteilung, die gesondert von dienstliche Tätigkeiten in der Bundesder für die Polizei zuständigen Abteilung republik Deutschland für eine fremde ausschließlich die der VerfassungsschutzMacht, behörde nach diesem Gesetz und anderen 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben Deutschland, die durch Anwendung von wahrnimmt (Verfassungsschutzabteilung). Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei(2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer tungshandlungen auswärtige Belange Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im der Bundesrepublik Deutschland gefährEinvernehmen mit der Verfassungsschutzden, behörde tätig werden. 2 Ihre Befugnisse 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanbestimmen sich dabei nach den Vorschriften ken der Völkerverständigung (Artikel 9 dieses Gesetzes. Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf das friedliche Zusammenleben der andere Verfassungsschutzbehörden nicht Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgeum Maßnahmen ersuchen, zu denen sie setzes) gerichtet sind. selbst nicht befugt ist. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet den Landtag und die Landesregierung über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung soll diese Organe in die Lage 406 Anhang versetzen, die erforderlichen Maßnahmen Einzelpersonen, die nicht in einem oder für zu treffen. einen Personenzusammenschluss handeln, (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung Auswertungsergebnisse durch zusammenvon Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer fassende Berichte und andere Maßnahmen Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut über Bestrebungen und Tätigkeiten nach dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. Absatz 1 auf. Sie tritt solchen Bestrebungen 2 (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind und Tätigkeiten auch durch Angebote zur 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Information und zum Ausstieg entgegen. Bundes oder eines Landes: solche, die (4) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit darauf gerichtet sind, die Freiheit des 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von PerBundes oder eines Landes von fremder sonen nach Maßgabe des NiedersächsiHerrschaft aufzuheben, ihre staatliche schen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahgehörendes Gebiet abzutrennen; men zum Schutz von im öffentlichen 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Interesse geheimhaltungsbedürftigen Bundes oder eines Landes: solche, die Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntdarauf gerichtet sind, den Bund, Länder nissen gegen die Kenntnisnahme durch oder deren Einrichtungen in ihrer FunkUnbefugte, tionsfähigkeit erheblich zu beeinträchti3. bei der Überprüfung von Personen in gen; sonstigen gesetzlich vorgesehenen 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche Fällen, demokratische Grundordnung: solche, 4. bei einer im öffentlichen Interesse liedie darauf gerichtet sind, einen der in genden Überprüfung von Personen mit Absatz 3 genannten Verfassungsgrundderen Einverständnis. sätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. SS4 (3) Zur freiheitlichen demokratischen GrundBegriffsbestimmungen ordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 zählen: (1) 1 Bestrebungen im Sinne des SS 3 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch in Wahlen und Abstimmungen und bestimmte, zielund zweckgerichtete Verdurch besondere Organe der Gesetzhaltensweisen in einem oder für einen gebung, der vollziehenden Gewalt und Personenzusammenschluss. 2 Für einen der Rechtsprechung auszuüben und die Personenzusammenschluss handelt, wer Volksvertretung in allgemeiner, unmitihn in seinen Bestrebungen nachdrücktelbarer, freier, gleicher und geheimer lich unterstützt. 3 Verhaltensweisen von Wahl zu wählen, 407 Anhang 2. die Bindung der Gesetzgebung an die Zweiter Teil verfassungsmäßige Ordnung und die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und SS6 Recht, Beobachtungsobjekt 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, (1) 1Beobachtungsobjekt ist ein Personen4. die Ablösbarkeit der Regierung und zusammenschluss oder eine Einzelperson ihre Verantwortlichkeit gegenüber der nach SS 4 Abs. 1, der oder die zur Erfüllung Volksvertretung, der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, planmäßig beobachtet und aufgeklärt wird. 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Will- 2 Voraussetzung für die Bestimmung zum kürherrschaft und Beobachtungsobjekt sind Tatsachen, die, ins7. die im Grundgesetz konkretisierten gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Menschenrechte. nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange vergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 3 liegt nur Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 dann vor, wenn die Gewalt innerhalb der belegen. Bundesrepublik Deutschland angewendet (2) 1 Das Beobachtungsobjekt wird von oder vorbereitet wird und sie sich gegen der Fachministerin oder dem Fachminister die politische Ordnung oder Einrichtungen bestimmt, im Vertretungsfall von der Staatsanderer Staaten richtet oder richten soll. sekretärin oder dem Staatssekretär oder (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist deren oder dessen Vertreterin oder Verdie erhebliche, aggressive und unmitteltreter. 2Die Gründe sind zu dokumentieren. bar gegen Personen oder fremde Sachen 3 Die Bestimmung ist auf höchstens vier gerichtete Anwendung physischer Kraft. Jahre zu befristen. 4 Die Verlängerung der Bestimmung um jeweils höchstens vier Jahre SS5 ist zulässig, wenn die Voraussetzung des Trennungsgebot Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend. 5 Wird 1 Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsdie Bestimmung nicht verlängert, so ist die befugnisse stehen der VerfassungsschutzBeobachtung und Aufklärung unverzüglich behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu beenden; die zu dem Beobachtungszu. 2Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen objekt gespeicherten personenbezogenen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt Daten sind nach Maßgabe des SS 28 zu ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. löschen. (3) 1 Spätestens z wei Jahre nach der Bestimmung zum Beobachtungsobjekt oder 408 Anhang einer Verlängerung ist von der VerfassungsBestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 schutzbehörde zu prüfen, ob die Vorausrechtfertigen. setzung des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin (2) 1 Die Gründe für die Bestimmung erfüllt ist. Ist das der Fall, so sind die Gründe 2 zum Verdachtsobjekt und der Zeitpunkt zu dokumentieren. 3 Andernfalls ist die des Beginns der Verdachtsphase sind zu Bestimmung zum Beobachtungsobjekt von dokumentieren. 2Die Verdachtsphase ist auf der Fachministerin oder dem Fachminister zwei Jahre begrenzt. 3 Die Verdachtsphase aufzuheben, im Vertretungsfall von der kann einmalig um höchstens zwei Jahre verStaatssekretärin oder dem Staatssekretär längert werden, wenn die Voraussetzung oder deren oder dessen Vertreterin oder des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; Vertreter; Absatz 2 Satz 5 gilt entsprechend. die Gründe sind zu dokumentieren. 4 Endet (4 ) Endet die Bestimmung zum die Verdachtsphase, ohne dass das VerBeobachtungsobjekt, so soll die Verfassungsdachtsobjekt zum Beobachtungsobjekt schutzbehörde den ihr bekannten in dem bestimmt wird, so ist die Beobachtung Personenzusammenschluss verantwortlich und Aufklärung unverzüglich zu beenden; tätigen Personen oder der Einzelperson die die zu dem Verdachtsobjekt gespeicherten Beendigung der Beobachtung mitteilen. personenbezogenen Daten sind nach Maß(5) Zur planmäßigen Beobachtung und Aufgabe des SS 28 zu löschen. 5SS 6 Abs. 5 gilt klärung nach Absatz 1 Satz 1 gehört auch die entsprechend. Berücksichtigung derjenigen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, die SS8 gegen die Bestimmung zum BeobachtungsVerdachtsgewinnung objekt sprechen. (1) 1In einer Verdachtsgewinnungsphase SS7 wird geprüft, ob die Voraussetzung des SS 7 Verdachtsobjekt Abs. 1 Satz 2 erfüllt ist. 2Voraussetzung für den Beginn der Verdachtsgewinnungsphase (1) In einer Verdachtsphase wird durch plan- 1 sind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insmäßige Beobachtung und Aufklärung eines gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Personenzusammenschlusses oder einer nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus Einzelperson (Verdachtsobjekt) geprüft, ob vergleichbaren Fällen, den Anfangsverdacht das Verdachtsobjekt die Voraussetzung des einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 SS 6 Abs. 1 Satz 2 erfüllt. 2Voraussetzung oder 4 begründen. für die Bestimmung zum Verdachtsobjekt (2) 1Die Gründe für den Beginn der Versind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insdachtsgewinnungsphase und der Zeitpunkt gesamt betrachtet und unter Einbeziehung ihres Beginns sind zu dokumentieren. nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus 2 Die Ve rda cht s g e w innung s p ha s e is t vergleichbaren Fällen, den Verdacht einer auf ein Jahr begrenz t. 3 Endet die 409 Anhang Verdachtsgewinnungsphase, ohne dass ein nicht nur zufällig Daten erhoben werden, die Verdachtsobjekt oder ein Beobachtungsdem Kernbereich privater Lebensgestaltung objekt bestimmt wird, so ist die Prüfung zuzurechnen sind. unverzüglich zu beenden; die in der Ver(2) 1 Wenn sich während einer bereits dachtsgewinnungsphase gespeicher ten laufenden Datenerhebung tatsächliche personenbezogenen Daten sind nach MaßAnhaltspunkte dafür ergeben, dass Daten aus gabe des SS 28 zu löschen. 4SS 6 Abs. 5 gilt dem Kernbereich privater Lebensgestaltung entsprechend. erhoben werden, ist die Datenerhebung unverzüglich und so lange wie erforderlich zu unterbrechen, soweit dies informationsDritter Teil technisch möglich ist und dadurch die Befugnisse zur Datenverarbeitung Datenerhebung den betroffenen Personen nicht bekannt wird. 2 Bereits erhobene Erstes Kapitel Daten aus dem Kernbereich privater LebensAllgemeine Vorschriften gestaltung dürfen nicht gespeichert, verändert, verwendet oder übermittelt werden; SS9 sie sind unverzüglich unter Aufsicht einer Grundsatz der oder eines besonders bestellten, mit der Verhältnismäßigkeit Auswertung nicht befassten Beschäftigten, die oder der die Befähigung zum Richter- 1 Die Verfassungsschutzbehörde ist an die amt hat, zu löschen. 3 Die Tatsache, dass allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. Daten aus dem Kernbereich privater Lebens- 2 Bei der Verarbeitung von personengestaltung erhoben wurden, und deren bezogenen Daten hat sie von mehreren Löschung sind zu dokumentieren. 4 Die in der geeigneten Maßnahmen diejenige zu Dokumentation enthaltenen Daten dürfen wählen, die betroffene Personen vorausausschließlich zur Datenschutzkontrolle versichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3Eine wendet werden. 5Sie sind zu löschen, wenn Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiseit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein führen, der erkennbar außer Verhältnis zu Jahr vergangen ist oder es einer Mitteilung dem beabsichtigten Erfolg steht. gemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens jedoch zwei Jahre nach der SS 10 Dokumentation. Schutz des Kernbereichs priva(3) Ergeben sich erst bei der Speicherung, ter Lebensgestaltung Veränderung oder Verwendung von Daten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Daten (1) Eine Datenerhebung dar f nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung angeordnet werden, wenn tatsächliche zuzurechnen sind, so gilt Absatz 2 Sätze 2 Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dadurch bis 5 entsprechend. 410 Anhang (4) Daten aus dem durch das Berufsgeheimdie Verfassungsschutzbehörde personennis geschützten Vertrauensverhältnis nach bezogene Daten nur aus allgemein zugängden SSSS 53 und 53 a der Strafprozessordnung lichen Quellen erheben. 3 Voraussetzung (StPO) sind dem Kernbereich privater Lebensfür die Erhebung von personenbezogenen gestaltung zuzurechnen. Daten zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 (5) Bestehen Zweifel, ob Daten dem KernAbs. 1 Nr. 2 ist das Vorliegen tatsächlicher bereich privater Lebensgestaltung zuzuAnhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet rechnen sind, so sind diese der Leiterin oder und unter Einbeziehung nachrichtendem Leiter der Verfassungsschutzabteilung dienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren zur Entscheidung über die Zurechnung Fällen, den Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 vorzulegen. Abs. 1 Nr. 2 rechtfertigen. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei SS 11 betroffenen Personen mit deren Kenntnis Überwachung des Brief-, Posterhoben, so ist der Erhebungszweck anzuund Fernmeldeverkehrs geben. 2Werden personenbezogene Daten bei Dritten außerhalb des öffentlichen Für die Überwachung des Brief-, Postund Bereichs erhoben, so ist der ErhebungsFernmeldeverkehrs einschließlich der Verzweck auf deren Verlangen anzugeben. arbeitung der durch eine solche Maßnahme 3 Die betroffenen Personen und die Dritten erlangten personenbezogenen Daten gelten sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben die Vorschriften des Artikel 10-Gesetzes. hinzuweisen. (3) Ist zum Zweck der Erhebung die Übermi t t lung p e r s o n e nb ezo g e n e r Date n Zweites Kapitel unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Erhebung und sonstige Kenntnisnahme Interessen der betroffenen Personen nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt SS 12 werden. Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die Daten von Minderjährigen zu einer planmäßigen Beobachtung und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 Abs. 1 (1) Die Erhebung von personenbezogenen Satz 1 oder zu einer Prüfung nach SS 8 Abs. 1 Daten über eine minderjährige Person, die Satz 1 erforderlichen personenbezogenen das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Daten erheben, soweit in den Vorschriften ist unzulässig. dieses Kapitels nicht anderes geregelt ist. (2) Die Erhebung von personenbezogenen 2 In der Verdachtsgewinnungsphase darf Daten über eine minderjährige Person, 411 Anhang die das 14. Lebensjahr, aber noch nicht nahme technischer Mittel unter den das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist nur Voraussetzungen des SS 15; zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 3. Teilnahme an einer Kommunikationsbedafür bestehen, dass sie ziehung im Internet unter einer Legende 1. in einem oder für ein Beobachtungs(Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) und unter Ausoder Verdachtsobjekt tätig ist, das auf nutzung eines schutzwürdigen Vertraudie Anwendung oder Vorbereitung von ens der betroffenen Person oder der Gewalt gerichtet ist, und sie diese Ausoder des Dritten, um ansonsten nicht richtung fördert, zugängliche personenbezogene Daten 2. in herausgehobener Funktion in einem zu erhalten, unter den Voraussetzungen Beobachtungsoder Verdachtsobjekt des SS 15; tätig ist oder 4. planmäßig angelegte verdeckte Perso3. eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausnenbeobachtung (Observation), auch übt. unter Einsatz besonderer für Observa(3) 1Die Datenerhebung darf kein Verhalten tionszwecke bestimmter technischer einer Person aus der Zeit vor Vollendung Mittel, soweit dieser Einsatz allein der ihres 14. Lebensjahres erfassen. 2Das VerBestimmung des jeweiligen Aufenthaltshalten einer Person aus der Zeit zwischen ortes der beobachteten Person dient, Vollendung ihres 14. und 16. Lebensjahres unter den Voraussetzungen des SS 15; darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn 5. einzelne verdeckt angefertigte fotozum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Vorausgrafische Bildaufzeichnungen außerhalb setzungen des Absatzes 2 vorlagen. von Wohnungen unter den Vorausset(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, soweit zungen des SS 15; minderjährige Personen von der Daten6. Inanspruchnahme von erhebung unvermeidbar als Dritte betroffen a) Personen, deren planmäßig angewerden. legte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht SS 14 bekannt ist (Vertrauenspersonen), Nachrichtendienstliche Mittel b) Personen, die in Einzelfällen Hinweise geben und deren Zusammen(1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf arbeit mit der Verfassungsschutzzur Erhebung personenbezogener Daten behörde Dritten nicht bekannt ist nur folgende nachrichtendienstliche Mittel (sonstige geheime Informantinnen einsetzen: und Informanten), 1. verdeckte Ermittlungen bei betroffenen c) Personen mit einer bereits bestePersonen und Dritten unter den Voraushenden Verbindung zu einem Nachsetzungen des SS 15; richtendienst einer fremden Macht, 2. verdecktes Mithören ohne Inanspruchdie zum Zweck der Spionageabwehr 412 Anhang überworben worden sind (überaußerhalb von Wohnungen unter den worbene Agentinnen und Agenten), Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; sowie 11. technische Mittel, mit denen zur Ermittd) Personen, die der Verfassungslung der Geräteund der Kartennumschutzbehörde logistische oder mern aktiv geschaltete Mobilfunkendsonstige Hilfe leisten, ohne Vereinrichtungen zur Datenabsendung an trauenspersonen, sonstige geheime eine Stelle außerhalb des TelekommuniInformantinnen oder Informanten kationsnetzes veranlasst werden, unter oder überworbene Agentinnen oder den Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; Agenten zu sein (Gewährsperso12. Beobachtung des Funkverkehrs auf nen), unter den Voraussetzungen nicht für den allgemeinen Empfang der SSSS 15 und 16; bestimmten Kanälen unter den Voraus7. Observation, die innerhalb einer Woche setzungen der SSSS 15 und 19; insgesamt länger als 24 Stunden oder 13. Überwachung des Brief-, Postund über einen Zeitraum von einer Woche Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des hinaus durchgeführt wird (längerfristige SS 11. Observation) oder bei der besondere 2 Die durch den Einsatz besonderer für für Observationszwecke bestimmte Observationszwecke bestimmter technischer technische Mittel zu einem anderen als Mittel nach Satz 1 Nr. 4 erhobenen personendem in Nummer 4 genannten Zweck bezogenen Daten dürfen nicht zu einem eingesetzt werden, unter den VorausBewegungsbild verbunden werden. 3 Die in setzungen der SSSS 15 und 17; Satz 1 Nrn. 5 und 8 genannten Mittel dürfen 8. verdeckt angefertigte Bildübertragunnicht gegen Versammlungen im Sinne des gen und Bildaufzeichnungen außerNiedersächsischen Versammlungsgesetzes halb von Wohnungen, die nicht unter (NVersG) eingesetzt werden. 4 Der Einsatz Nummer 5 fallen, unter den Voraussetunbemannter Fluggeräte ist unzulässig. zungen der SSSS 15 und 17; (2) 1 Soweit es für den Einsatz eines 9. Einsatz von hauptamtlichen Beschäfnachrichtendienstlichen Mit tels nach tigten der Verfassungsschutzbehörde, Absat z 1 er forderlich ist, dar f die die planmäßig angelegt und langfristig Verfassungsschutzbehörde unter einer Legende (Absatz 2 Satz 1 1. fingierte biografische, berufliche oder Nr. 1) personenbezogene Daten ergewerbliche Angaben (Legende) mit heben (verdeckte Ermittlerinnen und Ausnahme solcher beruflichen Angaben Ermittler), unter den Voraussetzungen verwenden, die sich auf Berufsgeheimder SSSS 15 und 18; nisträgerinnen oder Berufsgeheimnisträ10. verdecktes Mithören und Aufzeichnen ger nach SS 53 StPO oder Berufshelferindes nicht öffentlich gesprochenen nen oder Berufshelfer nach SS 53 a StPO Wortes unter Einsatz technischer Mittel beziehen, und 413 Anhang 2. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen beerreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür schaffen, herstellen und verwenden. ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese 2 Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen Weise erreicht werden kann. auch zum Schutz der Beschäftigten, Ein(2) 1Ein nachrichtendienstliches Mittel darf richtungen und Gegenstände der Vernur eingesetzt werden, wenn fassungsschutzbehörde sowie zum Schutz 1. sich der Einsatz gegen ein Beobachder in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 genannten tungsoder Verdachtsobjekt oder Personen beschafft, hergestellt und vergegen eine Person richtet, bei der tatwendet werden. 3 Die Behörden des Landes sächliche Anhaltspunkte dafür vorlieund der Kommunen sind verpflichtet, der gen, dass sie in diesem oder für dieses Ver fassungsschut zbehörde technische tätig ist, Hilfe bei der Beschaffung und Herstellung 2. sich der Einsatz gegen eine Person richvon Tarnpapieren und Tarnkennzeichen zu tet, bei der tatsächliche Anhaltspunkte leisten. für die Ausübung einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen, SS 15 3. sich der Einsatz gegen eine Person Allgemeine Voraussetzungen richtet, von der aufgrund bestimmter für den Einsatz nachrichtenTatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dienstlicher Mittel einer der in den Nummern 1 und 2 genannten Personen in Verbindung steht (1) 1Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen und dass deshalb der Einsatz des Mittels Mittels ist unzulässig, wenn die Erforschung unumgänglich ist, um Erkenntnisse über des Sachverhalts auf andere, die betroffenen ein Beobachtungsoder VerdachtsPersonen weniger beeinträchtigende Weise objekt, das auf die Anwendung oder möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist wenn die Information aus allgemein zugängoder aus anderen Gründen erhebliche lichen Quellen erhoben oder durch ein Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit Ersuchen nach SS 23 beschafft werden kann. nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen, 2 Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen 4. dadurch die zur planmäßigen BeobachMittels darf nicht erkennbar außer Vertung und Aufklärung eines Beobachhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden tungsoder Verdachtsobjekts oder zur Sachverhalts stehen, insbesondere nicht Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 außer Verhältnis zu der Gefahr, die von dem Nr. 2 erforderlichen Vertrauenspersojeweiligen Beobachtungsoder Verdachtsnen, sonstigen geheimen Informantinobjekt oder der Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 nen und Informanten, überworbenen Nr. 2 ausgeht oder ausgehen kann. Der Ein- 3 Agentinnen und Agenten sowie Gesatz eines nachrichtendienstlichen Mittels ist währspersonen gewonnen oder überunverzüglich zu beenden, wenn sein Zweck prüft werden können oder 414 Anhang 5. dies zum Schutz der Beschäftigten, person nicht auf Dauer deren wesentEinrichtungen und Gegenstände der liche Lebensgrundlage sind, Verfassungsschutzbehörde sowie zum 4. sie nicht ein Angebot zum Ausstieg Schutz der Vertrauenspersonen, sonstiannehmen und nicht die Absicht dazu gen geheimen Informantinnen und Inhaben und formanten, überworbenen Agentinnen 5. sie nicht und Agenten sowie Gewährspersonen a) Mandatsträgerin oder Mandatsträerforderlich ist. ger des Europäischen Parlaments, 2 Ein nachrichtendienstliches Mittel darf auch des Bundestages oder eines Landeseingesetzt werden, wenn Dritte unvermeidparlaments oder bar betroffen werden. b) Mitarbeiterin oder Mitarbeiter einer (3) Bei dem Einsatz eines nachrichtensolchen Mandatsträgerin oder eines dienstlichen Mittels dürfen die Beschäftigten solchen Mandatsträgers oder einer der Verfassungsschutzbehörde keine StrafFraktion oder Gruppe eines solchen taten begehen. Parlaments sind. (4) Die Zielsetzung und die Aktivitäten von 2 Die Verfassungsschutzbehörde darf BerufsBeobachtungsund Verdachtsobjekten geheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisdürfen von der Verfassungsschutzbehörde träger (SS 53 StPO) sowie Berufshelferinnen weder unmittelbar noch mittelbar steuernd und Berufshelfer (SS 53 a StPO) nicht von sich beeinflusst werden. aus in Anspruch nehmen. (2) 1 Eine Vertrauensperson darf dauerSS 16 haft nur gegen ein Beobachtungsoder Besondere Voraussetzungen Verdachtsobjekt in Anspruch genommen für die Inanspruchnahme von werden, das auf die Anwendung oder VorPersonen bereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen Gründen erhebliche Bedeutung (1) 1Vertrauenspersonen, sonstige geheime hat. 2Wenn die erhebliche Bedeutung eines Informantinnen und Informanten, überBeobachtungsoder Verdachtsobjekts worbene Agentinnen und Agenten sowie noch nicht festgestellt werden kann und zu Gewährspersonen dürfen nur in Anspruch dessen Beobachtung und Aufklärung andere genommen werden, wenn nachrichtendienstliche Mittel nicht den1. sie volljährig sind, selben Erfolg versprechen, darf abweichend 2. keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür von Satz 1 eine Vertrauensperson vorübervorliegen, dass sie rechtswidrig einen gehend gegen dieses Beobachtungsoder Straftatbestand von besonderer BedeuVerdachtsobjekt in Anspruch genommen tung (Absatz 6) verwirklicht haben, werden. 3. die Geldoder Sachzuwendungen für (3) 1Bei Vertrauenspersonen sowie überdie Inanspruchnahme einer Vertrauensworbenen Agentinnen und Agenten soll 415 Anhang der Zeitraum zwischen dem ersten Heran- 2 Wird die Inanspruchnahme beendet, weil treten an die Person und dem Beginn der sich tatsächliche Anhaltspunkte ergeben planmäßig angelegten Zusammenarbeit haben, dass die Person rechtswidrig einen (Werbung) ein Jahr nicht überschreiten. Straftatbestand von besonderer Bedeutung 2 Die Werbung einer Vertrauensperson darf (Absatz 6) verwirklicht hat, so sind die Straferst beginnen, wenn die G 10-Kommission verfolgungsbehörden zu unterrichten, wenn die Zustimmung nach SS 21 Abs. 5 Satz 5 nicht der Schutz von Leib und Leben der in erteilt hat. 3 Vertrauenspersonen sowie Anspruch genommenen Person ein Unterüberworbene Agentinnen und Agenten lassen erfordert. sollen höchstens fünf Jahre von derselben (6) Straftaten von besonderer Bedeutung im oder demselben Beschäftigten der VerSinne dieser Vorschrift sind fassungsschutzbehörde geführt werden. 1. Verbrechen, 4 Ihre Werbung und Inanspruchnahme sind 2. die in SS 138 StGB genannten Vergehen, fortlaufend zu dokumentieren. 5Die Sätze 3 3. Vergehen nach SS 129 StGB sowie und 4 gelten für die Betreuung sonstiger 4. gewerbsoder bandenmäßig begangegeheimer Informantinnen und Informanten ne Vergehen nach entsprechend. a) den SSSS 243, 244, 260, 261, 263 (4) 1Eine in Absatz 1 genannte Person darf bis 264 a, 265 b, 266, 283, 283 a, nur folgende Straftatbestände verwirklichen: 291 und 324 bis 330 StGB, 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, b) SS 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c und d SSSS 86 a, 98, 99, 129, 129 a sowie 129 b des Waffengesetzes, Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs c) SS 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und SS 29 a (StGB), soweit er auf SS 129 a StGB verAbs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgeweist, setzes sowie 2. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2, 4 und 5 d) den SSSS 96 und 97 des AufenthaltsgeNVersG und setzes. 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. 2 Dabei darf weder auf die Gründung einer SS 17 strafbaren Vereinigung hingewirkt noch Besondere Voraussetzungen für eine steuernde Einflussnahme auf sie ausObservationen sowie geübt werden. 3 Erlaubt sind nur solche Bildübertragungen und BildaufHandlungen, die unter Berücksichtigung der zeichnungen Verhältnismäßigkeit im Einzelfall unumgänglich sind. Die Ve r fa s sungs s chu t zb e h ö rd e dar f (5) 1 Liegen die Vorausset zungen für die nachrichtendienstlichen Mittel der die Inanspruchnahme einer in Absatz 1 Observation nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. genannten Person nicht mehr vor, so ist die 7 sowie der Bildübertragungen und BildInanspruchnahme unverzüglich zu beenden. aufzeichnungen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 416 Anhang Nr. 8 nur einsetzen, um Erkenntnisse über dacht bestehen, dass sie eine Straftat ein Beobachtungsoder Verdachtsobjekt, nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes das auf die Anwendung oder Vorbereitung plant, begeht oder begangen hat, oder von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzuGründen erhebliche Bedeutung hat, oder nehmen ist, dass sie über ihren Teilüber eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu nehmeranschluss für eine Person nach gewinnen. Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennimmt SS 18 oder weitergibt oder dass eine Person Besondere Voraussetzungen für nach Nummer 1 ihren Teilnehmeranden Einsatz verdeckter schluss nutzt, und dass deshalb der EinErmittlerinnen und Ermittler satz unumgänglich ist, um Erkenntnisse über ein Beobachtungsoder Verdachts(1) Eine verdeckte Ermittlerin oder ein verobjekt oder über eine Tätigkeit nach SS 3 deckter Ermittler darf nur unter den VorausAbs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. setzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes eingesetzt SS 20 werden. Besondere Auskunftsverlangen (2) 1Der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin oder eines verdeckten Ermittlers ist fort(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann laufend zu dokumentieren. 2SS 16 Abs. 4 gilt anordnen, dass ein Diensteanbieter nach SS 2 für verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler Satz 1 Nr. 1 des Telemediengesetzes (TMG) entsprechend. ihr Auskunft erteilt 1. zu Bestandsdaten (SS 14 TMG) oder SS 19 2. zu Nutzungsdaten (SS 15 Abs. 1 TMG). Besondere Voraussetzungen für 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 den Einsatz bestimmter technidarf nur im Einzelfall und unter der Vorausscher Mittel setzung angeordnet werden, dass sie zu einer planmäßigen Beobachtung und Auf(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf ein klärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 technisches Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der Auf- 1 Nrn. 10 bis 12 nur unter den Vorausgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist setzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 und dass tatsächliche Anhaltspunkte für Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einsetzen. eine schwerwiegende Gefahr für ein in (2) Der Einsatz eines technischen Mittels SS 3 Abs. 1 genanntes Schutzgut vorliegen. nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 darf sich nur 3 Die Erteilung einer Auskunft zu Bestandsgegen eine Person richten, bei der daten darf im Einzelfall auch angeordnet 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verwerden, wenn durch die Erteilung der 417 Anhang Auskunft die zur planmäßigen Beobachtung 1. zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG und Aufklärung eines Beobachtungsoder erhobenen Bestandsdaten (einfache BeVerdachtsobjekts oder zur Erfüllung der standsdaten), Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforder2. zu Bestandsdaten nach Nummer 1, lichen Ver trauenspersonen, sonstigen mittels derer der Zugriff auf Endgegeheimen Informantinnen und Informanten, räte oder auf Speichereinrichtungen, überworbenen Agentinnen und Agenten die in diesen Endgeräten oder hiervon sowie Gewährspersonen gewonnen oder räumlich getrennt eingesetzt werden, überprüft werden können und tatsächliche geschützt wird oder die anhand einer Anhaltspunkte für eine schwerwiegende zu einem bestimmten Zeitpunkt zuGefahr für ein in SS 3 Abs. 1 genanntes gewiesenen Internetprotokoll-Adresse Schutzgut vorliegen. 4 Zur Erfüllung der bestimmt werden (besondere BestandsAufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 darf die daten), oder Erteilung einer Auskunft zu Nutzungs3. zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 daten nur angeordnet werden, wenn das Nrn. 1 bis 4 TKG und sonstigen zum Beobachtungsoder Verdachtsobjekt auf Aufbau und zur Aufrechterhaltung der die Anwendung oder Vorbereitung von Telekommunikation notwendigen VerGewalt gerichtet ist oder aus anderen kehrsdaten. Gründen erhebliche Bedeutung hat. 5 Die 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 Erteilung einer Auskunft zu Nutzungsdarf nur angeordnet werden, wenn sie im daten darf nur zu einer Person angeordnet Einzelfall zu einer planmäßigen Beobachtung werden, und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder 1. bei der tatsächliche Anhaltspunkte SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der dafür vorliegen, dass sie die schwerAufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderwiegende Gefahr nachdrücklich fördert, lich ist. 3 Die Erteilung einer Auskunft zu oder einfachen Bestandsdaten darf im Einzelfall 2. bei der aufgrund bestimmter Tatsachen auch angeordnet werden, wenn dadurch anzunehmen ist, dass sie Telemedien für die zur planmäßigen Beobachtung und eine Person nach Nummer 1 nutzt und Aufklärung eines Beobachtungsoder Verdass deshalb die Anordnung unumdachtsobjekts oder zur Erfüllung der Aufgänglich ist, um Erkenntnisse über ein gabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlichen Beobachtungsoder Verdachtsobjekt Vertrauenspersonen, sonstigen geheimen oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Informantinnen und Informanten, überNr. 2 zu gewinnen. worbenen Agentinnen und Agenten sowie (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann Gewährspersonen gewonnen oder überanordnen, dass ein Diensteanbieter nach prüft werden können. 4 Die Erteilung einer SS 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes Auskunft zu besonderen Bestandsdaten (TKG) ihr Auskunft erteilt und zu Verkehrsdaten darf nur unter den 418 Anhang Voraussetzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und berinnen, Kontoinhabern, sonstigen Bedes SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes und rechtigten und weiteren am Zahlungsnur zu einer Person angeordnet werden, bei verkehr Beteiligten, erteilen. der 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdarf nur im Einzelfall und unter der Vorausdacht bestehen, dass sie eine Straftat setzung angeordnet werden, dass sie zu nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einer planmäßigen Beobachtung und Aufplant, begeht oder begangen hat, klärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzuAbs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der Aufgabe nehmen ist, dass sie über ihren Teilnach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und nehmeranschluss für eine Person nach dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine Nummer 1 bestimmte oder von ihr herschwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 rührende Mitteilungen entgegennimmt genanntes Schutzgut vorliegen; Absatz 1 oder weitergibt oder dass eine Person Satz 4 gilt entsprechend. 3 Die Erteilung nach Nummer 1 ihren Teilnehmeraneiner Auskunft nach Satz 1 darf nur zu einer schluss nutzt und dass deshalb die Person angeordnet werden, bei der Anordnung unumgänglich ist, um Er1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorkenntnisse über ein Beobachtungsoder liegen, dass sie die schwerwiegende Verdachtsobjekt oder über eine TätigGefahr nachdrücklich fördert, oder keit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. 2. aufgrund bestimmter Tatsachen an(3) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann zunehmen ist, dass sie eine in Satz 1 anordnen, dass genannte Dienstleistung für eine Person 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreiber nach Nummer 1 in Anspruch nimmt und von Computerreservierungssystemen dass deshalb die Anordnung unumund Globalen Distributionssystemen für gänglich ist, um Erkenntnisse über ein Flüge Auskunft zu Namen und AnschrifBeobachtungsoder Verdachtsobjekt ten von Kundinnen und Kunden sowie oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 zur Inanspruchnahme und den UmstänNr. 2 zu gewinnen. den von Transportleistungen, insbeson(4) Die Verfassungsschutzbehörde kann dere zum Zeitpunkt von Abfertigung unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 und Abflug und zum Buchungsweg, Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 3 das Bundessowie amt für Steuern um Abrufe aus dem gemäß 2. Kreditinstitute, FinanzdienstleistungsinsSS 24 c Abs. 1 des Kreditwesengesetzes titute und Finanzunternehmen Auskunft zu führenden Dateis ystem er suchen zu Konten und Geldanlagen, insbe(Kontostammdatenabfrage). sondere zu Kontoständen, Zahlungs(5) 1 Auskünfte nach den Absätzen 1 einund -ausgängen und sonstigen und 3 sind unentgeltlich zu erteilen. 2Die Geldbewegungen, sowie zu KontoinhaVerfassungsschutzbehörde hat für die 419 Anhang Erteilung von Auskünften nach Absatz 2 Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, eine Entschädigung entsprechend SS 23 des Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Justizvergütungsund -entschädigungsund Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 sowie für gesetzes zu gewähren. Ersuchen nach SS 20 Abs. 4. 3Der Einsatz nach(6) Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 3 richtendienstlicher Mittel nach SS 14 Abs. 1 sowie Ersuchen nach Absatz 4 und die überSatz 1 Nrn. 4 bis 6 wird von der Leiterin oder mittelten Daten dürfen den betroffenen dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung Personen oder Dritten von den Verangeordnet, im Vertretungsfall von der Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. treterin oder dem Vertreter. 4 Die Gründe für (7) Den Verpflichteten ist es verboten, 1 die Anordnungen nach den Sätzen 1 bis 3 allein aufgrund einer Anordnung nach den sind zu dokumentieren. Absätzen 1 bis 3 einseitige Handlungen vor(2) 1Anordnungen nach Absatz 1 sind zu zunehmen, die für die betroffene Person befristen auf höchstens nachteilig sind und die über die Erteilung 1. drei Jahre in den Fällen des SS 14 Abs. 1 der Auskunft hinausgehen, insbesondere Satz 1 Nr. 6, ein Jahr in den Fällen der bestehende Verträge oder Geschäftsvervorübergehenden Inanspruchnahme bindungen zu beenden, ihren Umfang zu einer Vertrauensperson (SS 16 Abs. 2 beschränken oder ein Entgelt zu erheben Satz 2), oder zu erhöhen. 2Die Anordnung ist mit 2. drei Monate in den Fällen des SS 14 dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12, Verbot und darauf zu verbinden, dass 3. drei Monate bei der Erteilung von das Auskunftsersuchen nicht die Aussage Auskünften zu künftig anfallenden beinhaltet, dass sich die betroffene Person Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 gerichteter Verdacht besteht. Satz 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1. SS 21 2 Verlängerungen um jeweils höchstens Verfahrensvorschriften den in Satz 1 genannten Zeitraum sind zulässig, wenn die Voraussetzungen der (1) 1 Der Einsatz nachrichtendienstlicher Anordnung weiterhin erfüllt sind; Absatz 1 Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 gilt entsprechend. 3Satz 2 gilt nicht für die wird von der Fachministerin oder dem vorübergehende Inanspruchnahme einer Fachminister angeordnet, im VertretungsVertrauensperson (SS 16 Abs. 2 Satz 2). fall von der Staatssekretärin oder dem (3) 1Anordnungen und Verlängerungen Staatssekretär oder deren oder dessen Verdes Einsatzes nachrichtendienstlicher treterin oder Vertreter. Dasselbe gilt für die 2 Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 Erteilung von Auskünften zu Nutzungsdaten bis 12 bedürfen der Zustimmung der nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonderen G 10 -Kommission. 2 Dasselbe gilt für 420 Anhang Anordnungen und Verlängerungen der (5) 1 Die Beobachtungsund VerdachtsErteilung von Auskünften zu Nutzungsobjekte, gegen die die Inanspruchnahme daten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, von Vertrauenspersonen nach Absatz 1 besonderen Bestandsdaten nach SS 20 Satz 3 angeordnet werden darf, werden Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach zuvor von der Fachministerin oder dem SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sowie Daten nach Fachminister bestimmt, im VertretungsSS 20 Abs. 3 Satz 1 und für Ersuchen nach fall von der Staatssekretärin oder dem SS 20 Abs. 4. Die G 10-Kommission prüft 3 Staatssekretär oder deren oder dessen Verim Rahmen der Erteilung der Zustimmung treterin oder Vertreter. 2Die Gründe sind die Zulässigkeit und Notwendigkeit des zu dokumentieren. 3 Die Bestimmung ist Einsatzes des nachrichtendienstlichen auf höchstens vier Jahre zu befristen. 4 Die Mittels oder des besonderen AuskunftsVerlängerung der Bestimmung um jeweils verlangens. 4Stimmt die G 10-Kommission höchstens vier Jahre ist zulässig, wenn die einer Anordnung oder Verlängerung nicht Voraussetzung des SS 16 Abs. 2 weiterhin zu, so hat die Fachministerin oder der erfüllt ist. 5 Die Bestimmung und die VerFachminister, im Vertretungsfall die Staatslängerung bedürfen der Zustimmung der sekretärin oder der Staatssekretär oder G 10-Kommission. 6Absatz 3 Satz 3 gilt entderen oder dessen Vertreterin oder Versprechend. 7Stimmt die G 10-Kommission treter, die Anordnung oder Verlängerung einer Verlängerung nicht zu, so ist die unverzüglich aufzuheben. Inanspruchnahme von Vertrauenspersonen (4) 1Bei Gefahr im Verzug kann in den Fällen gegen das betroffene Beobachtungsobjekt des Absatzes 3 die Fachministerin oder der unverzüglich zu beenden. Fachminister, im Vertretungsfall die Staats(6) 1Die Wahrnehmung der Aufgaben der sekretärin oder der Staatssekretär oder G 10-Kommission nach den Absätzen 3 bis deren oder dessen Vertreterin oder Vertreter, 5 obliegt der G 10-Kommission nach SS 3 des anordnen, dass der Einsatz des nachrichtenNiedersächsischen Gesetzes zur Ausführung dienstlichen Mittels vor der Zustimmung der des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10). G 10-Kommission begonnen oder die Aus2SS 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 und Abs. 2 bis 4 kunft vor der Zustimmung erteilt wird. 2In Nds. AG G 10 gilt entsprechend. diesem Fall ist die Zustimmung unverzüg(7) Die weiteren Einzelheiten des Einsatzes lich nachträglich einzuholen. 3 Stimmt die nachrichtendienstlicher Mittel sind in Dienst- G 10-Kommission nicht nachträglich zu, so vorschriften umfassend zu regeln. gilt Absatz 3 Satz 4 entsprechend; der Einsatz des nachrichtendienstlichen Mittels ist unverzüglich zu beenden. 4 Bereits erhobene Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, verwendet oder übermittelt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 421 Anhang SS 22 schutzwürdige Belange einer Person Mitteilung an betroffene Persogefährdet werden, nen 3. ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer anderen betroffenen Person (1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat entgegenstehen oder den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel 4. durch das Bekanntwerden des Einsatzes nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 bis 12 des nachrichtendienstlichen Mittels der nach seiner Beendigung den betroffenen weitere Einsatz der in SS 14 Abs. 1 Satz 1 Personen mitzuteilen. 2 Dasselbe gilt für Nrn. 6 und 9 genannten Personen gefährObservationen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, det wird und deshalb die Interessen der soweit besondere für Observationszwecke betroffenen Person zurücktreten müssen. bestimmte technische Mittel eingesetzt 2 Wird die Mitteilung nicht innerhalb eines wurden. 3 Die Verfassungsschutzbehörde Jahres nach der Beendigung des Einsatzes hat auch die besonderen Auskunftsdes nachrichtendienstlichen Mittels oder der verlangen nach Erteilung der Auskunft den Erteilung der Auskunft vorgenommen, so betroffenen Personen mitzuteilen; dies gilt bedarf die Zurückstellung der Zustimmung nicht für Auskunftsverlangen zu einfachen der G 10 - Kommission. 3 Stimmt die Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 G 10-Kommission der Zurückstellung zu, so Nr. 1. 4 In der Mitteilung ist auf die Rechtshat sie diese zu befristen. 4Auch jede weitere grundlage für den Einsatz des nachrichtenZurückstellung bedarf der Zustimmung der dienstlichen Mittels oder für das besondere G 10-Kommission; Satz 3 gilt entsprechend. Auskunftsverlangen und auf das Auskunfts- 5 Stimmt die G 10-Kommission der Zurückrecht nach SS 30 hinzuweisen. 5Die Sätze 1 stellung oder der weiteren Zurückstellung bis 4 gelten nicht, wenn für die Mitteilung nicht zu oder entfällt zwischenzeitlich der in unverhältnismäßiger Weise weitere Grund für die Zurückstellung, so ist die Mitpersonenbezogene Daten der betroffenen teilung unverzüglich von der VerfassungsPerson erhoben werden müssten. schutzbehörde vorzunehmen. 6 Die Sätze 2 (2) 1 Die Mitteilung wird zurückgestellt, bis 5 gelten nicht für die Mitteilung des Einsolange satzes nachrichtendienstlicher Mittel nach 1. eine Gefährdung des Zwecks des EinsatSS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und für die Mitzes des nachrichtendienstlichen Mittels teilung von besonderen Auskunftsverlangen oder des besonderen Auskunftsverzu Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 langens nicht ausgeschlossen werden Nr. 1. 7 Wird in diesen Fällen die Mitteilung kann, nicht innerhalb von zwei Jahren nach der 2. durch das Bekanntwerden des EinsatErteilung der Auskunft vorgenommen, so zes des nachrichtendienstlichen Mittels ist die Zurückstellung unter Angabe des oder des besonderen AuskunftsverlanGrundes der oder dem Landesbeauftragten gens Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich für den Datenschutz mitzuteilen. 422 Anhang (3) 1Einer Mitteilung bedarf es endgültig diese nicht aus allgemein zugänglichen nicht, wenn Quellen oder nur mit übermäßigem Auf1. die Voraussetzung der Zurückstellung wand oder nur durch eine die betroffene auch fünf Jahre nach Beendigung des Person stärker belastende Maßnahme Einsatzes des nachrichtendienstlichen erhoben werden können. 2Die Gründe für Mittels oder nach Erteilung der Ausdas Ersuchen sind zu dokumentieren. kunft noch nicht entfallen ist, (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf 2. die Voraussetzungen der Zurückstellung anstelle eines Ersuchens nach Absatz 1 oder mit an Sicherheit grenzender WahrSS 18 Abs. 3 Satz 2 des Bundesverfassungsscheinlichkeit auch in Zukunft nicht schutzgesetzes (BVerfSchG) automatisierte entfallen werden, Abrufverfahren nutzen, soweit die Nutzung 3. die Voraussetzungen für eine Löschung eines automatisier ten Abrufver fahrens der personenbezogenen Daten vorliedurch die Verfassungsschutzbehörden ausgen und drücklich gesetzlich geregelt ist und durch 4. die G 10-Kommission zustimmt. technische und organisatorische Maß- 2 Bei nachrichtendienstlichen Mitteln nach nahmen Risiken für die Rechte und FreiSS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und bei besonderen heiten der betroffenen Personen vermieden Auskunftsverlangen zu Bestandsdaten werden können. 2Die Einrichtung eines autonach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bedarf es matisierten Abrufverfahrens wird von der abweichend von Satz 1 Nr. 4 der Zustimmung Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsder oder des Landesbeauftragten für den schutzabteilung oder der Vertreterin oder Datenschutz. dem Vertreter angeordnet. 3 Soweit die gesetzlichen Regelungen nach Satz 1 die SS 23 abrufende Stelle nicht zur Dokumentation Ersuchen und automatisierte der Abrufe verpflichten, sind die Gründe Abrufverfahren für den Abruf im automatisierten Abrufverfahren zu dokumentieren. (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur 1 (3) 1Die ersuchte Behörde, Körperschaft, planmäßigen Beobachtung und Aufklärung Anstalt oder Stiftung ist verpflichtet, die eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts personenbezogenen Daten zu übermitteln. sowie zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 2 Sie darf nur solche personenbezogenen Abs. 1 Nr. 2 die Behörden des Landes, insDaten übermitteln, die bei ihr bereits bekannt besondere die Staatsanwaltschaften und die sind oder von ihr aus allgemein zugängPolizeibehörden, sowie die der ausschließlichen Quellen entnommen werden können. lichen Aufsicht des Landes unterstehenden 3 Erweisen sich personenbezogene Daten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen nach ihrer Übermittlung als unvollständig des öffentlichen Rechts um Übermittlung oder unrichtig, so sind sie gegenüber der personenbezogener Daten ersuchen, wenn empfangenden Verfassungsschutzbehörde 423 Anhang unver züglich zu ergänzen o d er zu die aufgrund einer Wohnraumüberwachung berichtigen, es sei denn, dass der Mangel für nach SS 100 c StPO oder nach SS 35 a NPOG die Beurteilung des Sachverhalts offensichterlangt worden sind, ist unzulässig. lich ohne Bedeutung ist. (6) Die aufgrund eines Ersuchens nach (4) Um Übermittlung personenbezogener den Absätzen 4 und 5 übermittelten Daten, die von einer Staatsanwaltschaft oder per sonenbezogenen Daten sind von einer Polizeibehörde aufgrund einer strafder übermittelnden Staatsanwaltschaft prozessualen Zwangsmaßnahme oder nach oder Polizeibehörde unter Angabe des SS 32 Abs. 2 oder den SSSS 33 a bis 37 a des zur Erhebung eingesetzten Mittels zu Niedersächsischen Polizeiund Ordnungskennzeichnen. behördengesetzes (NPOG) erhoben worden sind, darf nur ersucht werden, wenn die SS 24 personenbezogenen Daten auch von der Registereinsicht Ver fassungsschut zbehörde mit einem vergleichbaren nachrichtendienstlichen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Mittel oder besonderen Auskunftsverlangen planmäßigen Beobachtung und Aufklärung hätten erhoben werden dürfen. eines Beobachtungsoder Verdachts(5) 1 Um die Übermittlung personenobjekts, das auf die Anwendung oder Vorbezogener Daten, die aufgrund einer strafbereitung von Gewalt gerichtet ist, sowie prozessualen Zwangsmaßnahme oder einer zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 dieser vergleichbaren Maßnahme nach dem Nr. 2 die von öffentlichen Stellen geführten Niedersächsischen Polizeiund OrdnungsRegister, insbesondere Grundbücher, behördengesetz erhoben worden sind, zu Per sonenstandsbücher, M elderegister, der die Verfassungsschutzbehörde nach Per s onalaus weisregis ter, Pas sregis ter, diesem Gesetz nicht befugt ist, darf nur Führerscheinkar tei, Waffenscheinkar tei ersucht werden, wenn dies zur planmäßigen einsehen. Be obachtung und Aufklärung eines (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn Beobachtungsoder Verdachtsobjekts, das 1. ein Ersuchen nach SS 23 Abs. 1 oder auf die Anwendung oder Vorbereitung von ein Abruf im automatisierten AbrufverGewalt gerichtet ist, oder zur Erfüllung der fahren nach SS 23 Abs. 2 den Zweck der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich Maßnahme gefährden würde und ist. Satz 1 gilt nicht für Ersuchen um Über- 2 2. die betroffene Person durch eine andermittlung von personenbezogenen Daten, weitige Datenerhebung unverhältnismädie aufgrund einer Identitätsfeststellung ßig beeinträchtigt würde. nach SS 163 b StPO, auch in Verbindung mit 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr SS 111 Abs. 3 StPO, oder nach SS 13 NPOG eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift erhoben worden sind. 3Ein Ersuchen um die oder eine Pflicht zur Wahrung von BerufsÜbermittlung personenbezogener Daten, geheimnissen entgegensteht. 424 Anhang (3) Die Einsichtnahme wird von der Leiterin und Aufklärung eines Beobachtungsoder oder dem Leiter der VerfassungsschutzVerdachtsobjekts oder zur Erfüllung der abteilung oder der Vertreterin oder dem Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich Vertreter angeordnet. ist. 2Personenbezogene Daten, die aufgrund (4) Jede Einsichtnahme ist zu dokumentieren. 1 einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme 2 Die in der Dokumentation enthaltenen oder einer vergleichbaren Maßnahme personenbezogenen Daten dürfen ausnach dem Niedersächsischen Polizeiund schließlich zur Datenschutzkontrolle verOrdnungsbehördengesetz erhoben worden wendet werden. 3Sie sind zwei Jahre nach sind, dürfen nur übermittelt werden, wenn der Dokumentation zu löschen. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung und SS 25 Aufklärung eines Beobachtungsoder VerVerpflichtung zur Datenüberdachtsobjekts, das auf die Anwendung oder mittlung an die VerfassungsVorbereitung von Gewalt gerichtet ist, oder schutzbehörde zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 3 Die Übermittlung (1) Die Behörden des Landes sowie die der personenbezogener Daten, die aufgrund ausschließlichen Aufsicht des Landes untereiner Wohnraumüberwachung nach SS 100 c stehenden Körperschaften, Anstalten und StPO oder nach SS 35 a NPOG erlangt worden Stiftungen des öffentlichen Rechts übersind, ist unzulässig. 4Satz 2 gilt nicht für mitteln von sich aus der Verfassungsschutzdie Übermittlung von personenbezogenen behörde die ihnen bekannt gewordenen Daten, die aufgrund einer IdentitätsfestInformationen einschließlich personenstellung nach SS 163 b StPO, auch in Verbezogener Daten, wenn tat sächliche bindung mit SS 111 Abs. 3 StPO, oder nach Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur SS 13 NPOG erhoben worden sind. 5Die nach planmäßigen Beobachtung und Aufklärung Satz 2 übermittelten personenbezogenen eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts, Daten sind unter Angabe des zur Erhebung das auf die Anwendung oder Vorbereitung eingesetzten Mittels zu kennzeichnen. von Gewalt gerichtet ist, oder zur Erfüllung (3) Die Übermit tlung von personender Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderbezogenen Daten über eine Person, die das lich ist. 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist (2) Die Staatsanwaltschaften und Polizei- 1 unzulässig. behörden des Landes übermitteln von sich (4) SS 23 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung 425 Anhang Drittes Kapitel oder Agenten oder Gewährspersonen Speicherung, Veränderung, Verwendung, erforderlich ist. Löschung 2 Die in Satz 1 Nrn. 1 bis 4 genannten Voraussetzungen gelten nicht in der SS 26 Verdachtsgewinnungsphase. 3 Sind mit Speicherung, Veränderung und personenbezogenen Daten, die nach Satz Verwendung personenbezoge- 1 gespeichert, verändert und verwendet ner Daten, Zweckbindung werden dürfen, weitere personenbezogene Daten von betroffenen Personen oder von (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die Dritten so verbunden, dass sie nicht oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erhobenen personenbezogenen Daten getrennt werden können, so dürfen sie speichern, verändern und verwenden, wenn gemeinsam mit den personenbezogenen dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem Daten nach Satz 1 gespeichert werden; sie sie erhoben worden sind, und sind nach Maßgabe des SS 28 Abs. 3 in ihrer 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorVerarbeitung einzuschränken. liegen, dass die betroffene Person in (2) 1Die mit nachrichtendienstlichen Mitteln dem oder für das Beobachtungsoder oder durch ein besonderes AuskunftsVerdachtsobjekt tätig ist, verlangen erhobenen personenbezogenen 2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorDaten sind unter Angabe des eingesetzten liegen, dass die betroffene Person eine Mittels zu kennzeichnen. 2 Bei den nach Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausübt, SS 23 Abs. 6 gekennzeichneten personen3. aufgrund bestimmter Tatsachen anzubezogenen Daten ist die Kennzeichnung nehmen ist, dass die betroffene Person beizubehalten. mit einer der in den Nummern 1 und (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf 2 genannten Personen in Verbindung die personenbezogenen Daten, von denen steht und dass deshalb die Speicherung, sie durch Übermittlung nach SS 25 rechtVeränderung oder Verwendung zur mäßig Kenntnis erlangt hat, nur speichern, planmäßigen Beobachtung und Aufverändern und verwenden, wenn dies zu klärung eines Beobachtungsoder Vereinem Zweck erforderlich ist, zu dem sie dachtsobjekts, das auf die Anwendung die übermittelnde Behörde gemäß SS 23 um oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet Übermittlung dieser personenbezogenen ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe nach Daten hätte ersuchen dürfen, und wenn SS 3 Abs. 1 Nr. 2 unumgänglich ist, oder eine der in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 4. dies zur Gewinnung oder Überprüfung genannten Voraussetzungen erfüllt ist. 2Die von Vertrauenspersonen, sonstigen Zweckbestimmung ist bei der Speicherung geheimen Informantinnen oder Inforfestzulegen. 3 Absatz 1 Satz 3 gilt entmanten, überworbenen Agentinnen sprechend. 4 Bei den nach SS 25 Abs. 2 Satz 5 426 Anhang gekennzeichneten personenbezogenen und dadurch schutzwürdige Interessen Daten ist die Kennzeichnung beizubehalten. der betroffenen Person beeinträchtigt sein (4) Die Speicherung von personenbezogenen können. 3Wird die Richtigkeit von personenDaten über eine minderjährige Person ist nur bezogenen Daten von der betroffenen unter den Voraussetzungen des SS 13 Abs. 3 Person bestritten und lässt sich weder die zulässig. Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen, so ist dies zu vermerken; die betroffene SS 27 Person kann sich an die Landesbeauftragte Speicherung, Veränderung und oder den Landesbeauftragten für den Verwendung personenbezogeDatenschutz wenden. ner Daten zu anderen Zwecken (2) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Daten zu löschen, wenn 1 Eine Speicherung, Veränderung oder Ver1. ihre Speicherung unzulässig ist oder wendung der nach SS 26 gespeicherten 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung personenbezogenen Daten für einen nicht mehr erforderlich ist. anderen in SS 12 Abs. 1 genannten Zweck 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu ist zulässig, wenn die personenbezogenen der Annahme besteht, dass durch sie schutzDaten zur Erfüllung dieses Zwecks erforderwürdige Interessen der betroffenen Person lich sind und im Fall eines zur Erhebung einbeeinträchtigt würden; die entsprechenden gesetzten nachrichtendienstlichen Mittels personenbezogenen Daten sind nach Maßoder besonderen Auskunftsverlangens gabe des Absatzes 3 in ihrer Verarbeitung dieses auch für den anderen Zweck hätte einzuschränken. 3 Ein schut z würdiges eingesetzt werden dürfen. 2Die nach SS 26 Interesse liegt insbesondere dann vor, wenn Abs. 3 gespeicherten personenbezogenen die betroffene Person einen Antrag auf AusDaten dürfen nur unter den dort genannten kunft nach SS 30 gestellt hat oder aufgrund Voraussetzungen für einen anderen Zweck einer Mitteilung nach SS 6 Abs. 4 oder SS 22 gespeichert, verändert und ver wendet Abs. 1 die Stellung eines solchen Antrags zu werden. erwarten ist. 4Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so ist die Löschung SS 28 nach Satz 1 Nr. 2 erst durchzuführen, wenn Berichtigung, Löschung und die gesamte Akte nach Maßgabe der entEinschränkung der Verarbeitung sprechenden Rechtsoder Verwaltungsvorvon personenbezogenen Daten schriften zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 5 Werden durch die weitere (1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat Speicherung von personenbezogenen Daten personenbezogene Daten zu berichtigen, nach Satz 4 schutzwürdige Interessen der wenn sie unrichtig sind. 2 Sie hat sie zu betroffenen Person erheblich beeinträchtigt, ergänzen, wenn sie unvollständig sind so sind diese personenbezogenen Daten 427 Anhang nach Maßgabe des Absatzes 3 in ihrer Verlöschen oder nach Maßgabe des Absatzes 3 arbeitung einzuschränken. in ihrer Verarbeitung einzuschränken sind. (3) 1In ihrer Verarbeitung eingeschränkte (6) 1Die Löschung von personenbezogenen personenbezogene Daten sind mit einem Daten ist zu dokumentieren, wenn sie Vermerk über die Einschränkung der Vermit nachrichtendienstlichen Mitteln oder arbeitung zu versehen. 2 Im Fall einer besonderen Auskunftsverlangen erhoben automatisierten Verarbeitung ist die Einwurden, die der Mitteilungspflicht nach schränkung der Verarbeitung durch SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 2Die in zusätzliche technische Maßnahmen zu der Dokumentation enthaltenen personengewährleisten. 3 In ihrer Verarbeitung einbezogenen Daten dürfen ausschließlich zur geschränkte personenbezogene Daten Datenschutzkontrolle verwendet werden. darf die Verfassungsschutzbehörde nur in 3 Sie sind zu löschen, wenn seit einer Mitbehördlichen und gerichtlichen Verfahren, teilung nach SS 22 Abs. 1 ein Jahr vergangen mit denen eine Person ein schutzwürdiges ist oder es einer Mitteilung gemäß SS 22 Interesse nach Absatz 2 verfolgt, oder mit Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens Einwilligung der betroffenen Person verjedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. ändern, verwenden oder übermitteln. (7) Die Löschung personenbezogener Daten, (4) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft die mit nachrichtendienstlichen Mitteln bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder nach jeweils fünf Jahren, ob personenmit besonderen Auskunftsverlangen zu bezogene Daten zu berichtigen oder zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. ergänzen, zu löschen oder nach Maßgabe 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 des Absatzes 3 in ihrer Verarbeitung einAbs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 zuschränken sind. Bei personenbezogenen 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Daten, die mit nachrichtendienstlichen Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, ist unter AufMitteln nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis sicht einer oder eines besonders bestellten, 12 oder mit besonderen Auskunftsverlangen mit der Auswer tung nicht befassten zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Beschäftigten, die oder der die Befähigung Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 zum Richteramt hat, vorzunehmen. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 SS 29 Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, beträgt die -- aufgehoben -- Prüfungsfrist nach Satz 1 sechs Monate. (5) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach jeweils sechs Monaten, ob personenbezogene Daten über eine minderjährige Person zu berichtigen oder zu ergänzen, zu 428 Anhang Viertes Kapitel Ausforschung des Erkenntnisstandes Auskunft oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist und SS 30 deshalb die Interessen der antragstelAuskunft an betroffene Persolenden Person ausnahmsweise zurücknen treten müssen. 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Leiter der Verfassungsschutzabteilung. 3 Die betroffenen Personen auf Antrag unentLeiterin oder der Leiter der Verfassungsgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person schutzabteilung kann eine besonders gespeicherten Daten, soweit hierzu auf bestellte Beschäftigte oder einen besonders einen konkreten Sachverhalt hingewiesen bestellten Beschäftigten, die oder der mit und ein besonderes Interesse an der Ausder Auswertung nicht befasst war und die kunft dargelegt wird. 2 Über personenBefähigung zum Richteramt hat, damit bezogene Daten aus Akten, die nicht zu den beauftragen, ebenfalls Entscheidungen betroffenen Personen geführt werden, wird nach Satz 1 zu treffen. Auskunft nur erteilt, soweit die personen(3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich bezogenen Daten, namentlich aufgrund nicht auf die Herkunft der Daten und die von Angaben der betroffenen Personen, mit Empfänger der Übermittlung. angemessenem Aufwand auffindbar sind. (4) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf 3 Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt keiner Begründung, soweit durch die Verfahren und Form der Auskunftserteilung Begründung der Zweck der Ablehnung nach pflichtgemäßem Ermessen. gefährdet würde. 2 Die Gründe der (2) Die Auskunftserteilung ist abzulehnen, 1 A blehnung sind zu dokumentieren. soweit 3 Wird der antragstellenden Person keine 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit Begründung für die Ablehnung der Ausgefährden oder sonst dem Wohl des kunft gegeben, so ist ihr die RechtsgrundBundes oder eines Landes Nachteile belage dafür zu nennen. 4 Ferner ist sie darauf reiten würde, hinzuweisen, dass sie sich an die Landes2. die personenbezogenen Daten oder beauftragte oder den Landesbeauftragten die Tatsache ihrer Speicherung nach für den Datenschutz wenden kann. 5 Der einer Rechtsvorschrift geheim gehalten oder dem Landesbeauftragten für den werden müssen, Datenschutz ist auf Verlangen die von der 3. die Interessen eines Dritten an der Geantragstellenden Person begehrte Auskunft heimhaltung die Interessen der antragzu erteilen. 6 Mitteilungen der oder des stellenden Person überwiegen oder Landesbeauftragten für den Datenschutz 4. durch die Auskunftserteilung Informaan die antragstellende Person dürfen keine tionsquellen gefährdet würden oder die Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der 429 Anhang Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern vorliegen, dass dies zur Verhütung diese nicht einer weitergehenden Mitteilung a) terroristischer Straftaten nach SS 2 zustimmt. Nr. 15 NPOG, b) von Straftaten der Gefährdung des Fünftes Kapitel demokratischen Rechtsstaates geÜbermittlung mäß den SSSS 87, 88, 89, 89 a und 89 c Abs. 1 bis 4 StGB, SS 31 c) der Bildung einer kriminellen VereiÜbermittlung personenbezonigung nach SS 129 Abs. 1 in Verbingener Daten an Staatsanwaltdung mit Abs. 5 Satz 3 StGB sowie schaften und Polizeibehörden die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde überSS 129 a Abs. 1, 2, 4 und 5 Satz 1 mittelt von sich aus personenbezogene StGB, jeweils auch in Verbindung Daten an die Staatsanwaltschaften und mit SS 129 b Abs. 1 StGB, Polizeibehörden des Landes, wenn tatsächd) von Straftaten gegen die sexuelle liche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Selbstbestimmung gemäß SS 176 dies zur Verfolgung besonders schwerer Abs. 1 bis 3, SS 176 a Abs. 3, SS 177 Straftaten gemäß SS 100 b Abs. 2 StPO Abs. 6 bis 8 und SS 184 b Abs. 2 oder von Straftaten gemäß den SSSS 87, StGB, 88 und 89 StGB unumgänglich ist. 2Den e) von Straftaten gegen das Leben Polizeibehörden des Landes übermittelt die nach den SSSS 211 und 212 StGB soVerfassungsschutzbehörde von sich aus wie der schweren Körperverletzung personenbezogene Daten auch nach SS 226 Abs. 2 StGB, 1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenf) von Straftaten gegen die persönden Gefahr für den Bestand oder die liche Freiheit gemäß SS 232, SS 232 a Sicherheit des Bundes oder des Landes, Abs. 3, 4 und 5 Satzteil 2, SS 232 b für Leib, Leben oder Freiheit einer Abs. 3 und 4 in Verbindung mit Person, für lebensoder verteidigungsSS 232 a Abs. 4 oder 5 Satzteil 2, wichtige Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 SS 233 Abs. 2, SS 233 a Abs. 3 und 4 und 5 Satzteil 2, SS 234 und SS 234 a StGB, des Niedersächsischen Sicherheitsüberg) von gemeingefährlichen Straftaten prüfungsgesetzes - Nds. SÜG -) oder gemäß SS 310 Abs. 1 und SS 316 a für Kulturdenkmale (SS 1 des NiederStGB, sächsischen Denkmalschutzgesetzes), h) von Straftaten der gewerbsund deren Erhaltung im herausragenden bandenmäßigen Verleitung zur öffentlichen Interesse liegt, oder missbräuchlichen Asylantragstellung 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür nach SS 84 a Abs. 1 des Asylverfah430 Anhang rensgesetzes oder des gewerbsund (2) 1Sind die zu übermittelnden personenbandenmäßigen Einschleusens von bezogenen Daten gekennzeichnet (SS 26 Ausländern nach SS 97 Abs. 2 des Abs. 2 und 3 Satz 4), so ist die Kennzeichnung Aufenthaltsgesetzes oder bei der Übermittlung aufrechtzuerhalten. i) von Straftaten gemäß SS 30 a Abs. 1 2 Die Fachministerin oder der Fachminister, und 2 des Betäubungsmittelgesetim Vertretungsfall die Staatssekretärin zes (BtMG), auch in Verbindung mit oder der Staatssekretär oder deren oder SS 30 b dessen Vertreterin oder Vertreter, kann BtMG und mit SS 129 Abs. 5 StGB, anordnen, dass bei der Übermittlung auf die unumgänglich ist. nach Satz 1 erforderliche Kennzeichnung 3 Die Übermittlung nach den Sätzen 1 und 2 der personenbezogenen Daten verzichtet ist nur zulässig, wenn das zur Datenerhebung wird, wenn dies unerlässlich ist, um die verwendete Mittel auch für den anderen Geheimhaltung der Datenerhebung nicht Zweck hätte angewendet werden dürfen. zu gefährden, und die G 10-Kommission 4 Personenbezogene Daten, die nicht durch zugestimmt hat. 3Bei Gefahr im Verzug kann den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel die Anordnung bereits vor der Zustimmung oder durch besondere Auskunftsverlangen getroffen werden. 4 In diesem Fall ist die erhoben worden sind, darf die VerfassungsZustimmung unverzüglich nachträglich einschutzbehörde auch zu sonstigen Zwecken zuholen. 5Stimmt die G 10-Kommission nicht der Strafverfolgung oder der Gefahrennachträglich zu, so ist die Kennzeichnung abwehr an die Staatsanwaltschaften und unverzüglich durch die empfangende Polizeibehörden des Landes übermitteln. Staatsanwaltschaft oder Polizeibehörde 5 Sind mit personenbezogenen Daten, die nachzuholen; darauf ist sie von der Vernach den Sätzen 1 bis 4 übermittelt werden fassungsschutzbehörde hinzuweisen. 6 Die dürfen, weitere personenbezogene Daten Übermittlung ist zu dokumentieren. 7Über die der betroffenen Person oder von Dritten so Übermittlung von personenbezogen Daten, verbunden, dass eine Trennung nicht oder die unter Einsatz nachrichtendienstlicher nur mit unverhältnismäßigem Aufwand Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 möglich ist, so dürfen auch diese personenoder mit besonderen Auskunftsverlangen bezogenen Daten übermittelt werden; zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 sie sind nach Maßgabe des SS 28 Abs. 3 in Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 ihrer Verarbeitung einzuschränken. 6 Die Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Übermittlung ist unzulässig, wenn dadurch Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Informationsquellen oder die Arbeitsweise Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, entscheidet der Verfassungsschutzbehörde gefährdet eine besonders bestellte Beschäftigte oder würden und diese Sicherheitsinteressen das ein besonders bestellter Beschäftigter, die Interesse an der Strafverfolgung oder an der oder der mit der Auswertung nicht befasst Gefahrenabwehr überwiegen. war und die Befähigung zum Richteramt hat. 431 Anhang (3) 1Erweisen sich personenbezogene Daten eines besonders bestellten Beschäftigten, nach ihrer Übermittlung als unvollständig die oder der die Befähigung zum Richteroder unrichtig, so sind sie gegenüber der amt hat, zu löschen. 5 Die Löschung ist zu empfangenden Staatsanwaltschaft oder dokumentieren. 6 Die VerfassungsschutzPolizeibehörde unverzüglich zu ergänzen behörde ist unverzüglich über die Löschung oder zu berichtigen, es sei denn, dass der zu unterrichten. Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts (5) 1 Die Polizeibehörden des L andes offensichtlich ohne Bedeutung ist. Absatz 2 2 dür fen die Ver fassungsschut zbehörde gilt entsprechend. um Übermit tlung personenbezogener (4) 1Die empfangende Staatsanwaltschaft Daten ersuchen, wenn diese zur Abwehr oder Polizeibehörde darf die übermittelten einer Gefahr für die öffentliche Sicherpersonenbezogenen Daten, soweit gesetzheit erforderlich sind. 2Um Übermittlung lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem personenbezogener Daten, die von der VerZweck verarbeiten, zu dem sie ihr überfassungsschutzbehörde durch den Einsatz mittelt wurden. 2 Sind die übermittelten nachrichtendienstlicher Mittel oder durch personenbezogenen Daten nach Absatz 2 besondere Auskunftsverlangen erhoben Satz 1 gekennzeichnet, so hat sie die Kennworden sind, darf nur ersucht werden, wenn zeichnung aufrechtzuerhalten. 3 Wurden die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 personenbezogene Daten übermittelt, die vorliegen. 3 Die Verfassungsschutzbehörde unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist verpflichtet, die personenbezogenen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder Daten zu übermitteln; Absatz 1 Sätze 5 mit besonderen Auskunftsverlangen zu und 6 sowie die Absätze 2 bis 4 gelten entNutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. sprechend. 4Sie darf nur solche personen2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 bezogenen Daten übermitteln, die bei ihr Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 bereits bekannt sind oder von ihr aus allAbs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 gemein zugänglichen Quellen entnommen Abs. 3 Satz 1 erhoben worden sind, so prüft werden können. die empfangende Staatsanwaltschaft oder (6) In der Verdachtsgewinnungsphase (SS 8) Polizeibehörde unverzüglich und danach in ist die Übermittlung personenbezogener Abständen von höchstens sechs Monaten, Daten nicht zulässig. ob die übermittelten personenbezogenen Daten für den Zweck erforderlich sind, zu SS 32 dem sie übermittelt wurden. 4Soweit die Übermittlung an sonstige Bein Satz 3 genannten personenbezogenen hörden und Stellen Daten für diesen Zweck oder für eine rechtmäßige zweckändernde Verwendung oder (1) 1An sonstige inländische Behörden darf Übermittlung nicht erforderlich sind, sind die Verfassungsschutzbehörde personensie unverzüglich unter Aufsicht einer oder bezogene Daten übermitteln, wenn dies 432 Anhang 1. zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 nach Artikel 3 des Zusatzabkommens zu Abs. 2 bis 4 erforderlich ist oder dem Abkommen zwischen den Parteien 2. die empfangende Behörde die persodes Nordatlantikvertrages über die Rechtsnenbezogenen Daten zu Zwecken der stellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Gefahrenabwehr benötigt. Bundesrepublik Deutschland stationierten 2 An Finanzämter darf die Verfassungsschutzausländischen Truppen vom 3. August 1959 behörde personenbezogene Daten auch (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. übermitteln, wenn dies zu den in SS 51 Abs. 3 2 Die Übermittlung ist zu dokumentieren und der Abgabenordnung genannten Zwecken der oder dem Landesbeauftragten für den erforderlich ist. 3 Personenbezogene Daten, Datenschutz mitzuteilen. die durch den Einsatz nachrichtendienstlicher (3) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf Mittel oder durch besondere Auskunftspersonenbezogene Daten im Einvernehmen verlangen erhoben worden sind, darf die mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 Nr. 2 an ausländische öffentliche Stellen sowie an nur übermitteln, wenn die empfangende überund zwischenstaatliche Stellen überBehörde die personenbezogenen Daten mitteln, soweit die Übermittlung in einem zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit Gemeinschaften oder einer internationalen des Bundes oder des Landes, für Leib, Leben Vereinbarung geregelt ist. 2Eine Übermittlung oder Freiheit einer Person, für lebensoder darf auch erfolgen, wenn sie zum Schutz von verteidigungswichtige Einrichtungen (SS 1 Leib oder Leben einer Person erforderlich ist Abs. 4 und 5 Nds. SÜG) oder für Kulturund für die empfangende Stelle gleichwertige denkmale (SS 1 des Niedersächsischen Datenschutzregelungen gelten. 3 Die ÜberDenkmalschutzgesetzes), deren Erhaltung mittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige im herausragenden öffentlichen Interesse Belange der Bundesrepublik Deutschland oder liegt, benötigt. 4SS 31 Abs. 1 Sätze 5 und 6 überwiegende schutzwürdige Interessen der sowie Abs. 2, 3 und 6 gilt entsprechend. 5Für betroffenen Personen, insbesondere deren die Übermittlung an Behörden des Landes Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Vergilt auch SS 31 Abs. 4 entsprechend. 6 An folgung, entgegenstehen. 4 Die Übermittlung Behörden des Bundes und anderer Länder der von einer Ausländerbehörde empfangenen darf nur übermittelt werden, wenn für die personenbezogenen Daten unterbleibt, es sei empfangende Behörde den Vorschriften denn, die Übermittlung ist völkerrechtlich dieses Gesetzes vergleichbare Datenschutzgeboten. 5Übermittlungen nach den Sätzen 1 regelungen gelten. und 2 sind zu dokumentieren und der oder (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf dem Landesbeauftragten für den Datenpersonenbezogene Daten an Dienststellen schutz mitzuteilen. der alliier ten Streitkräfte übermitteln, (4) 1 Personenbezogene Daten dür fen soweit dies im Rahmen der Zusammenarbeit an Personen oder Stellen außerhalb des 433 Anhang öffentlichen Bereichs nicht übermittelt SS 32 a werden, es sei denn, dass dies zum Schutz Übermittlung personenvor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach bezogener Daten für Angebote SS 3 Abs. 1 oder zur Gewährleistung der zum Ausstieg Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 1 Die Ver fas sungs s chut zb ehörd e dar f Nds. SÜG) erforderlich ist und die Fachpersonenbezogene Daten ministerin oder der Fachminister, im Ver1. an Polizeibehörden des Landes in tretungsfall die Staatssekretärin oder der entsprechender Anwendung des SS 31 Staatssekretär oder deren oder dessen VerAbs. 1 Sätze 5 und 6 sowie Abs. 2 bis 4 treterin oder Vertreter, der Übermittlung und 6, zugestimmt hat. Jede Übermittlung ist zu 2 2. an sonstige inländische Behörden in dokumentieren. 3 Die in der Dokumentation entsprechender Anwendung des SS 32 enthaltenen personenbezogenen Daten Abs. 1 Sätze 4 bis 6 und dürfen ausschließlich zur Datenschutz3. an in der Präventionsarbeit bewährte kontrolle verwendet werden. 4Sie sind zu Stellen außerhalb des öffentlichen Belöschen, wenn seit der Mitteilung gemäß reichs in entsprechender Anwendung Satz 7 ein Jahr vergangen ist, frühestens des SS 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 7 jedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. übermitteln, soweit die empfangende 5 Der Empfänger darf die übermittelten Behörde oder Stelle die personenbezogenen personenbezogenen Daten, soweit gesetzDaten für Angebote zum Ausstieg aus lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Zweck verarbeiten, zu dem sie ihm überAbs. 1 benötigt. 2 Satz 1 gilt nicht für mittelt wurden. Er ist auf die Verarbeitungs- 6 personenbezogene Daten, die mit nachbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass richtendienstlichen Mitteln oder besonderen sich die Verfassungsschutzbehörde vorAuskunf t sverlangen erhoben wurden, behält, Auskunft über die Verarbeitung der welche der Mitteilungspflicht nach SS 22 personenbezogenen Daten zu verlangen. Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 7 Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch die SS 33 Ver fassungsschutzbehörde mitzuteilen, Aufklärung der Öffentlichkeit, sobald eine Gefährdung der AufgabenerVerfassungsschutzbericht füllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann die Öffentlichkeit über Beobachtungsobjekte und über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 aufklären. 2Sie kann auch über Verdachtsobjekte aufklären, wenn die den 434 Anhang Verdacht rechtfertigenden tatsächlichen Sechstes Kapitel Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der Unabhängige Datenschutzkontrolle, Interessen der betroffenen Personen hinAnwendung des Niedersächsischen reichend gewichtig sind. Datenschutzgesetzes (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, zur Aufklärung der Öffentlichkeit SS 33 a einen jährlichen Verfassungsschutzbericht Unabhängige Datenschutzkonvorzulegen, in dem auch die Summe der Haustrolle haltsmittel sowie die Gesamtzahl der in der Verfassungsschutzabteilung Beschäftigten (1) 1Die oder der Landesbeauftragte für nach Stellen und Beschäftigungsvolumen den Datenschutz kontrolliert bei der Verdarzustellen sind. 2 Ferner sind in dem fassungsschutzbehörde die Einhaltung Bericht allgemein die Anwendung nachder gesetzlichen Vorschriften über die richtendienstlicher Mittel nach SS 14, die Verarbeitung personenbezogener Daten besonderen Auskunftsverlangen nach SS 20, (Datenschutzvorschriften). 2Die Einhaltung die Auskunftsersuchen nach SS 30 und die der gesetzlichen Vorschriften über die VerStrukturdaten der von der Verfassungsarbeitung von personenbezogenen Daten, schutzbehörde in Dateien im Sinne des SS 6 die mit nachrichtendienstlichen Mitteln Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG gespeicherten oder besonderen Auskunf t sverlangen Personendatensätze darzustellen. erhoben wurden, die der Mitteilungspflicht (3) Bei der Aufklärung der Öffentlichnach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen, keit dür fen personenbezogene Daten kontrolliert sie oder er im Abstand von nur bekannt gegeben werden, wenn die höchstens zwei Jahren. 3SS 57 Abs. 2 Nrn. 1 Bekanntgabe für das Verständnis der Darbis 9 NDSG gilt entsprechend. stellung, insbesondere von Organisationen (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist veroder unorganisier ten Gruppierungen, pflichtet, die Landesbeauftragte oder den erforderlich ist und das Interesse der AllLandesbeauftragten für den Datenschutz gemeinheit das schutzwürdige Interesse der bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben betroffenen Person überwiegt. zu unterstützen. 2Dabei ist insbesondere 1. Auskunft zu Fragen sowie Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten personenbezogenen Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Datenschutzkontrolle stehen, 2. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. 435 Anhang 3 Soweit im Einzelfall die Sicherheit des Grundlage von Vorschriften dieses Gesetzes, Bundes oder eines Landes gefährdet würde, wenn die Verarbeitung der Erfüllung der dürfen die Rechte nach Satz 2 nur von der Aufgaben nach SS 3 dient. oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz oder im Vertretungsfall von der SS 33 b Vertreterin oder dem Vertreter persönlich Anwendbarkeit des Niedersächausgeübt werden. sischen Datenschutzgesetzes (3) 1Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine beabsichtigte Verarbeitung personenbezogener Daten gegen eine DatenschutzBei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben vorschrift verstößt, so kann die oder der nach SS 3 findet das Niedersächsische DatenLandesbeauftragte für den Datenschutz die schutzgesetz keine Anwendung mit AusVerfassungsschutzbehörde vor einer solchen nahme der SSSS 24, 27, 29, und 33 Abs. 1 Datenverarbeitung warnen. 2Stellt die oder bis 4, der SSSS 34 und 35 Abs. 1, der SSSS 36, der Landesbeauftragte für den Datenschutz 37, 38, 45, 54, 55 und 58 mit Ausnahme von im laufenden Betrieb einer Verarbeitung Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 sowie der SSSS 59 und 60, personenbezogener Daten einen Verstoß soweit nicht in diesem Gesetz abweichende der Verfassungsschutzbehörde gegen eine Regelungen enthalten sind. Datenschutzvorschrift fest, so kann sie oder er Vierter Teil 1. den Verstoß gegenüber der VerfasParlamentarische Kontrolle sungsschutzbehörde mit der Aufforderung beanstanden, innerhalb einer SS 34 bestimmten Frist Stellung zu nehmen, Ausschuss für Angelegenheiten und des Verfassungsschutzes 2. den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes darüber unterrichten. Die parlamentarische Kontrolle auf dem (4) Wenn der jährliche Tätigkeitsbericht der Gebiet des Ver fassungsschut zes übt oder des Landesbeauftragten für den Datenunbeschadet der Rechte des Landtages und schutz die Verarbeitung personenbezogener seiner sonstigen Ausschüsse ein besonderer, Daten durch die Verfassungsschutzbehörde vom Landtag unverzüglich nach Beginn der berührt, nimmt die Landesregierung auch Wahlperiode einzusetzender Ausschuss für dazu innerhalb von sechs Monaten gegenAngelegenheiten des Verfassungsschutzes über dem Landtag Stellung. aus. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch andere Stellen auf der 436 Anhang SS 35 enspersonen angeordnet werden darf, Zusammensetzung und Verfahsowie die beabsichtigte Verlängerung rensweise des Ausschusses der Bestimmung (SS 21 Abs. 5), 4. den beabsichtigten Erlass oder die (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des beabsichtigte Änderung einer DienstVerfassungsschutzes soll aus mindestens vorschrift für den Einsatz nachrichtensieben Abgeordneten des L andtages dienstlicher Mittel (SS 21 Abs. 7) und bestehen. Mitglieder der Landesregierung 2 5. die beabsichtigte Änderung des Verkönnen dem Ausschuss nicht angehören. zeichnisses von Verarbeitungstätigkei- 3 Jede Fraktion erhält mindestens einen Sitz. ten nach SS 33 b in Verbindung mit 4 Das Nähere regelt die Geschäftsordnung SS 38 NDSG. des Niedersächsischen Landtages. (2) Das Fachministerium unterrichtet den (2) Für die Verhandlungen des Ausschusses Ausschuss für Angelegenheiten des Vergelten die Vorschriften der Geschäftsfassungsschutzes in Abständen von längstens ordnung des Niedersächsischen Landsechs Monaten über den Einsatz nachrichtentages, soweit in diesem Gesetz nichts dienstlicher Mittel, die der Mitteilungspflicht Abweichendes bestimmt ist. nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 unterliegen. (3) 1Das Fachministerium unterrichtet im SS 36 Abstand von höchstens sechs Monaten Unterrichtungspflichten des den Ausschuss für Angelegenheiten des Fachministeriums Verfassungsschutzes über die besonderen Auskunftsverlangen nach SS 20; dabei ist (1) 1Das Fachministerium ist verpflichtet, insbesondere ein Überblick über Anlass, den Ausschuss für Angelegenheiten des Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Verfassungsschutzes umfassend über seine im Berichtszeitraum durchgeführten MaßTätigkeit als Verfassungsschutzbehörde nahmen zu geben. 2Satz 1 gilt nicht für im Allgemeinen sowie über Vorgänge von Auskunftsverlangen zu einfachen Bestandsbesonderer Bedeutung zu unterrichten. Es 2 daten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. unterrichtet insbesondere über (4) Das Fachministerium unterrichtet das 1. die Bestimmung eines BeobachtungsobParlamentarische Kontrollgremium des jekts und die Verlängerung der BestimBundes jährlich über besondere Auskunftsmung (SS 6 Abs. 2), verlangen zu Nutzungsdaten nach SS 20 2. die Beendigung der Beobachtung und Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Aufklärung eines Beobachtungsobjekts Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 (SS 6 Abs. 2 und 3), Abs. 3 Satz 1; dabei ist ein Überblick über 3. die beabsichtigte Bestimmung eines BeAnlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten obachtungsoder Verdachtsobjekts, in der im Berichtszeitraum durchgeführten dem die Inanspruchnahme von VertrauMaßnahmen zu geben. 437 Anhang SS 37 der oder des Sachverständigen anzuhören. Aufhebung der Verschwiegen- 3 Die oder der Sachverständige kann nach heitspflicht Maßgabe ihres oder seines Auftrages die dem Ausschuss nach Artikel 24 Abs. 2 der (1) 1Die Beschäftigten der VerfassungsNiedersächsischen Verfassung vorgelegten schutzbehörde dürfen sich in dienstlichen Akten einsehen. 4 Die Einsicht in vertrauliche Angelegenheiten ohne Einhaltung des Unterlagen setzt voraus, dass sie oder er Dienstweges unmittelbar an den Ausschuss zuvor von der Landtagsverwaltung förmfür Angelegenheiten des Verfassungslich zur Geheimhaltung verpflichtet worden schutzes oder an einzelne Mitglieder des ist. 5Die oder der Sachverständige hat dem Ausschusses wenden. 2Einzelne Mitglieder Ausschuss über das Ergebnis der Unterdes Ausschusses dürfen die nach Satz 1 suchungen zu berichten. erhaltenen Mitteilungen sowie die ihnen dazu vorgelegten Unterlagen ausschließlich SS 39 an den Ausschuss weitergeben. 3Sie dürfen Beauftragung der oder des dabei von der Bekanntgabe des Namens der Landesbeauftragten für den oder des Beschäftigten absehen. Datenschutz (2) 1Die Verhandlungen des Ausschusses über Mitteilungen nach Absatz 1 und die 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des dazu vorgelegten Unterlagen sind vertraulich Verfassungsschutzes hat auf Antrag von im Sinne der Geschäftsordnung des Niedermindestens einem Fünftel seiner Mitglieder sächsischen Landtages. 2 Der Ausschuss die Landesbeauftragte oder den Landeskann die Vertraulichkeit nach Maßgabe der beauftragten für den Datenschutz zu Geschäftsordnung des Niedersächsischen beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Landtages einschränken oder aufheben. Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde zu überprüfen. 2Die oder der LandesbeaufSS 38 tragte für den Datenschutz hat dem AusBeauftragung einer oder eines schuss über das Ergebnis der Prüfung zu Sachverständigen berichten. 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des SS 40 Verfassungsschutzes kann mit der Mehrheit Berichterstattung des Ausschusvon zwei Dritteln seiner Mitglieder eine Sachses gegenüber dem Landtag verständige oder einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung der Kon(1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten trollaufgaben des Ausschusses im Einzeldes Verfassungsschutzes legt dem Landfall Untersuchungen durchzuführen. 2Die tag einmal jährlich einen Bericht über seine Landesregierung ist vor der Beauftragung Tätigkeit vor. 2 Ausschussmitglieder, die den 438 Anhang Bericht für unzutreffend halten, können ihre Auffassung in einem Zusatz zu diesem Bericht darstellen. (2) Der Ausschuss legt dem Landtag einmal jährlich einen Bericht über die Durchführung der nachrichtendienstlichen Mittel und besonderen Auskunftsverlangen vor, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes) und das Grundrecht auf Wahrung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. SS 42 Übergangsvorschrift Auf Vertrauenspersonen, die am 31. Oktober 2016 bereits in Anspruch genommen werden, finden SS 16 Abs. 2 und SS 21 Abs. 5 erst am 1. Mai 2017 Anwendung. 439 Anhang 12.3 Verbote rechtsextremistischer Vereinigungen Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 27.01.1982 "Volkssozialistische Bewegung Bundesministerium des Innern Deutschlands/Partei der Arbeit" (VSBD/PdA, einschließlich der "Jungen Front" (JF)) 07.12.1983 "Aktionsfront Nationaler Bundesministerium des Innern Sozialisten/ Nationale Aktivisten" (ANS/NA) 09.02.1989 "Nationale Sammlung" (NS) Bundesministerium des Innern (ANS/NA-Ersatzorganisation) 27.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 10.12.1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 21.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund Niedersächsisches Wilhelmshaven (DKB) Innenministerium 22.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 10.11.1994 Wiking Jugend e. V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Bundesministerium des Innern Arbeiterpartei (FAP) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 11.02.1998 Heide-Heim e. V. und Niedersächsisches Heideheim e. V. Innenministerium 14.09.2000 Blood & Honour-Division Bundesministerium des Innern Deutschland mit Jugendorganisation White Youth 07.05.2008 Collegium Humanum (CH) mit Bundesministerium des Innern Bauernhilfe e. V. 440 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der Bundesministerium des Innern wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Jugend Bundesministerium des Innern - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V. (HDJ) 21.09.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 27.01.2016 Altermedia Deutschland Bundesministerium des Innern 16.03.2016 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) Bundesministerium des Innern 23.01.2020 Combat 18 Deutschland (C18 Bundesministerium des Innern, für Deutschland) Bau und Heimat 23.06.2020 Nordadler (auch handelnd und Bundesministerium des Innern, für auftretend unter den BezeichBau und Heimat nungen "Völkische Revolution", "Völkische Jugend", "Völkische Gemeinschaft" und "Völkische Renaissance") 01.12.2020 Sturmbrigade 44/ Bundesministerium des Innern, für Wolfsbrigade 44 Bau und Heimat 19.09.2023 Hammerskins Deutschland einBundesministerium des Innern schließlich seiner regionalen und für Heimat Chapter und seiner Teilorganisation "Crew 38" 441 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 27.09.2023 "Die Artgemeinschaft - GermaBundesministerium des Innern nische Glaubens-Gemeinschaft und für Heimat wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) einschließlich der Teilorganisation "Familienwerk e. V." und sämtlicher Regionalgruppen wie "Gefährtschaften", "Gilden" und sogenannte Freundeskreise. 12.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 19.03.2020 "Geeinte deutsche Völker und Bundesministerium des Innern, Stämme" (GdVuSt), einschl. Teilfür Bau und Heimat organisation "Osnabrücker Landmark" 12.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 25.08.2017 linksunten.indymedia Bundesministerium des Innern 442 Anhang 12.6 Verbote islamistischer Bestrebungen Verbotsverfüg. Organisation Verbotsbehörde 08.12.2001 Kalifatstaat und 35 TeilorganisaBundesministerium des Innern 14.12.2001 tionen 13.05.2002 16.09.2002 31.07.2002 al-Aqsa e. V. Bundesministerium des Innern 10.01.2003 Hizb ut-Tahrir (HuT) Bundesministerium des Innern 22.02.2005 Yeni Akit GmbH, Verlegerin der Bundesministerium des Innern Europa-Ausgabe der türkisch-sprachigen Tageszeitung Anadoluda Vakit 18.01.2005 Bremer Hilfswerk e. V. Bundesministerium des Innern 29.06.2005 Selbstauflösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 30.08.2005 YATIM-Kinderhilfe e. V. 230 Bundesministerium des Innern 29.10.2008 al-Manar TV Bundesministerium des Innern 23.06.2010 Internationale Humanitäre HilfsBundesministerium des Innern organisation e. V. (IHH) 29.05.2012 Millatu Ibrahim Bundesministerium des Innern 25.02.2013 Dawa FM einschließlich der TeilorBundesministerium des Innern ganisation Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V. 25.02.2013 an-Nussrah Bundesministerium des Innern 25.02.2013 DawaTeam Islamische Audios Bundesministerium des Innern 02.04.2014 Waisenkinderprojekt Libanon e. V. Bundesministerium des Innern 230 Das BMI hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 443 Anhang Verbotsverfüg. Organisation Verbotsbehörde 12.09.2014 Islamischer Staat Bundesministerium des Innern 26.03.2015 Tauhid Germany Bundesministerium des Innern 25.10.2016 Die Wahre Religion (DWR) alias Bundesministerium des Innern "LIES! Stiftung" / "Stiftung LIES" 19.04.2017 Deutschsprachiger Islamkreis HilNiedersächsisches Ministerium für desheim e. V. (DIK Hildesheim) Inneres und Sport 26.03.2020 Hizb Allah (Betätigungsverbot) Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 19.05.2021 Deutsche Libanesische Familie e. V., Bundesministerium des Innern, Menschen für Menschen e. V., Gib für Bau und Heimat Frieden e. V. als Ersatzorganisationen des verbotenen Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 05.05.2021 Ansaar International e. V. einBundesministerium des Innern, schließlich ihrer Teilorganisationen für Bau und Heimat Aktion Ansar Deutschland e. V., Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e. V. (SKIB), Frauenrechte ANS.Justice e. V., Änis BenHatira Help e. V./Änis Ben-Hatira Foundation, Ummashop, Helpstore Secondhand UG sowie Better World Appeal e. V. 02.11.2023 HAMAS Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 12.06.2024 Deutschsprachige Muslimische GeNiedersächsisches Ministerium für meinschaft e. V." in Braunschweig Inneres und Sport (DMG Braunschweig) 444 Anhang Verbotsverfüg. Organisation Verbotsbehörde 24.07.2024 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. Bundesministerium des Innern, einschließlich der Teilorganisatiofür Bau und Heimat nen Islamische Akademie Deutschland e. V., Verein der Förderer einer iranischen-islamischen Moschee in Hamburg e. V., Zentrum der Islamischen Kultur e. V., Islamische Vereinigung Bayern e. V., Islamisches Zentrum Berlin e. V. 445 Anhang 12.7 Verbote extremistischer Bestrebungen mit Bezug zum Ausland Verbotsverfügung Vereinigung Verbotsbehörde 22.11.1993 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/ Bundesministerium des Innern Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Teilorganisationen, Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKA-Kurdistan), Kurdistan-Komitee e. V. 20.02.1995 Kurdistan Informationsbüro (KIB) Bundesministerium des Innern alias Kurdistan Informationsbüro in Deutschland 06.08.1998 Revolutionäre VolksbefreiungsparBundesministerium des Innern tei-Front (DHKP-C) 06.08.1998 Türkische Volksbefreiungspartei/Bundesministerium des Innern Front (THKP/-C) 13.06.2008 Mesopotamia Broadcast A/S, Roj Bundesministerium des Innern TV A/S 13.06.2008 VIKO Fernseh Produktion GmbH Bundesministerium des Innern 06.05.2015 Zeitschrift "Yürüyüs" Bundesministerium des Innern 12.02.2019 Mezopotamien Verlag und VerBundesministerium des Innern trieb GmbH 12.02.2019 MIR Multimedia GmbH Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 02.11.2023 Samidoun - Palästinian Solidarity Bundesministerium des Innern, für Network Bau und Heimat 446 Anhang 12.8 Abkürzungsverzeichnis A ADÜTDF Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) AfD Partei Alternative für Deutschland AG-GGG Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. AKH Anarchistisches Kollektiv Hannover A.L.I. Antifaschistische Linke International AMG Al-Mustafa Gemeinschaft e.V. ANF Ajansa Nuceyan a Firate AQAH Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel AQI Al-Qaida im Irak AQIS Al Qaida auf dem indischen Subkontinent AQM Al-Qaida im islamischen Maghreb ATK Türkische Konföderation in Europa (Avrupa Türk Konfederasyon) ATIB Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Avrupa Türk Islam Birligi) B BDS Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (Bewegung) BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BL Basisdemokratische Linke BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, seit dem 06.05.2025 wieder Bundesministerium des Inneren BND Bundesnachrichtendienst BVerfGE Entscheidungssammlung des BVerfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz BzKJ Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) 447 Anhang C CA Ciwanen Azad (Freie Jugend) CDK Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CIK Islamische Gemeinde Kurdistans D DIK Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover und Hildesheim DKP Deutsche Kommunistische Partei DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi) DJV Deutsche Jugend voran DMG Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (vormals IGD) DMG Braunschweig Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V. in Braunschweig DRJ Deutsche Rechte Jugend DS Deutsche Stimme - Publikation der Partei Die Heimat DST Der Störtrupp DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EG Ende Gelände EMT Emerging Technologies ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans F FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FED-DEM Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e.V FED-MED Die Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW, FED-MED e.V. FFF Fridays for Future-Bewegung FfW Farben für Waisenkinder e.V. 448 Anhang FIU Föderale Islamische Union e. V. G GBA Generalbundesanwalt GdVuSt Geeinte deutsche Völker und Stämme GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GI Generation Identitaire GIAZ Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen G 10 Artikel 10-Gesetz H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama alIslamiya) HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. HPG Volksverteidigungskräfte der PKK (Hezen Parastina Gel) HTS Hai'at Tahrir al-Sham (Organisation zur Befreiung der Levante) I IAA Internationale ArbeiterInnen Assoziation IB Identitäre Bewegung IBD Identitäre Bewegung Deutschland IfS Institut für Staatspolitik IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (jetzt DMG) IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat ISPK Islamischer Staat in Afghanistan, Provinz Khorasan IVG Indigenes Volk Germaniten IZH Islamisches Zentrum Hamburg e. V. 449 Anhang J JA Junge Alternative JaN Jabhat al-Nusra (Unterstützungsfront für das syrische Volk) JFS Jabhat Fatah al-Sham (Front für die Eroberung der Levante) JN Junge Nationalisten JXK Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan (Jinen Xwendekar en Kurdistan) JR Jugend Rechts JS Jung & Stark K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KC Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) KCDK-E Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans KdN Kampf der Nibelungen KI Künstliche Intelligenz KIP NI Kompetenzforum Extremismusprävention Niedersachsen KKK Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KON-MED Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V. KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan) KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität KRD Königreich Deutschland KSK Kommando Spezialkräfte L LfD Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen LKA NI Landeskriminalamt Niedersachsen LPR NI Landespräventionsrat Niedersachsen 450 Anhang M MB Muslimbruderschaft MHP Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi) MLKP (türkische) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi) MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) Nds. SÜG Niedersächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands (jetzt Die Heimat) NPG Zentrales Hauptquartier der Volksverteidigungskräfte der PKK (Navenda Parastina Gel) NPOG Niedersächsisches Polizeiund Ordnungsbehördengesetz NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz O OLG Oberlandesgericht P PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität PYD Partei der Demokratischen Union R RAC Rock Against Communism RH Rote Hilfe e. V. 451 Anhang S SP Sozialistische Perspektive SPoC Hybrid Single Point of Contact Hybride Bedrohungen SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch T TCS Bewegung der revolutionären Jugend, ("Tevgera Ciwanen Soresger") TEKO-JIN Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (Jinen Ciwan en Tekoser) THD Tanzim Hurras al-Din TJ Tablighi Jama'at TKP/ML Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) U uG Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis V VDWK Verband Deutscher Wahlkommissionen VHD Vaterländischer Hilfsdienst VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung W WJ Wiking-Jugend e. V. 452 Anhang Y YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. Z ZOG Zionist Occupied Government 453 Anhang 12.9 Personenund Stichwortverzeichnis A Actuarium (YouTube-Kanal) | 283 Ajansa Nuceyan a Firate (ANF) | s. ANF al-Adel, Saif | 246 Al Azzazi, Ibrahim | 232, 238 al-Baghdadi, Abu Bakr | 246 f. al-Banna, Hasan | 263 al-Dschaulani, Muhammed | s. al-Scharaa, Ahmed Al Kinani, Amir (alias Abu Azma) | 238, 240 Al-Mustafa Gemeinschaft e. V. (AMG) | 276 al-Nusra Front | s. Jabhat Fatah al-Sham al-Qaida | 4, 45, 215, 219, 244-248, 250, 252 f., 256 f., 259 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) | 244 al-Qaida im Irak (AQI) | 246 al-Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS) | 245 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) | 244 al-Qaradawi, Yusuf | 264 al-Shabab | 244 al-Scharaa, Ahmed (alias al-Dschaulani, Muhammed) | 245 al-Suri, Abu Mus'ab | 259 f. al Uthaymin, Ibn Salih | 241 Allgemeines Syndikat der FAU Hannover | 207 Almanya Demokratik Ülcücü Türk Dernekleri Federasyonu (ADÜTDF) | 307 Altermedia | 441 Alternative für Deutschland (AfD) | 4 f., 6, 68 f., 74 f., 82, 112, 114 ff., 118-129, 134, 137, 152, 183 ff., 203 f. Anarchismus | 167, 206 Anarchisten | 166 ff., 205 f. Anarchistisches Kollektiv Hannover (AKH) | 184 f., 190 Anarchosyndikalismus | 206 f., 209 ANF (PKK-nahe Nachrichtenagentur) | 297, 302 Ansaar International e. V. | 242, 444 Antaios e. K. (Verlag) | 128 Antideutsche | 47, 177 ff. Antifaschismus | 169 f., 172, 182 f., 188, 203 454 Anhang Antifaschistische Linke International (A.L.I.) | 177, 179 Antifeminismus | 70, 72 f., 319 Antigentrifizierung | 169, 172, 198, 204 Antiimperialisten | 47, 55, 169, 178 f. Antimilitarismus | 6, 54 f., 169 ff., 200 ff. Antirassismus | 169, 203, 394 Antirepression | 169, 172, 189, 192 Antisemitismus | 7, 40, 42-51, 70 f., 149, 151, 257, 282 f., 317, 388 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) | 6, 286, 289-304, 306 f., 310, 391, 398, 445 Armih, Ahmad (alias Abul Baraa) | 238 Artgemeinschaft | s. Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Artikel 10-Gesetz | 18, 21 f. Ausländerextremismus | s. Extremismus mit Auslandsbezug Autonome | 47, 166, 169, 172 ff., 178-182, 187, 192, 200 az-Zawahiri, Ayman | 246 B Basisdemokratische Linke (BL) | 179, 185, 195 Belatouani, Abdellillah (alias Abu Rumaisa) | 238 f. Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) | 297 Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (TEKO-JIN) | 297 f. Bin Ladin, Usama | 244, 250, 252 Bismarcks Erben | s. Vaterländischer Hilfsdienst Block AfD Hannover (Bündnis) | 184 Blood Brother Nation | 103 Blood & Honour | 440 Börm, Manfred | 130, 135 Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (Bewegung, BDS) | 43 Brigade 8 | 104 Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) | 173, 177 ff. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) | 18, 28, 74, 107, 114, 119 Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) | 80 f., 83, 222 f., 267 f., 279, 282, 293 Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ, ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) | 87, 91 455 Anhang C Chihi, Abbas | 238, 240 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) | 296 Ciwanen Azad (CA) | 297 Collegium Humanum (CH) | 440 Combat 18 / Combat 18 Deutschland | 441 COMPACT (Publikation) | 75, 80 ff., 127 f. D Dabbagh, Hassan | 238 Dawa | 221, 229, 233, 236 f., 240, 443 Delegitimierung des Staates | 79, 125, 389 Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates | s. Delegitimierung des Staates Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Nord Deutschland e.V. (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen le Bakure Alman) (FED-DEM) | 296 Der Flügel | 120 Der Störtrupp (DST) | 99 Der III. Weg | 68 f., 76, 86, 91, 97, 103, 137 Desinformation | 3, 55 ff., 128, 220, 319-322, 343, 389 f. Deutsche Jugend voran (DJV) | 99 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | 54, 167, 169 f., 179, 202 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG, vormals IGD) | 263, 265 f. Deutsche Rechte Jugend (DRJ) | 99 Deutsche Stimme (Publikation) | 130, 134 Deutsche Volksunion (DVU) | 138 f. Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. in Braunschweig (DMG Braunschweig) | 221 f., 224, 237-241, 283 Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover (DIK Hannover) | 227 Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. | 265 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) | 290, 445 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) | 145, 442 Die Heimat (vormals NPD) | 68 f., 72, 75 f., 86, 97, 101 ff., 129-137, 139 ff., 188, 400 f. Die Rechte | 48, 68 f., 75 f., 86, 95, 97, 102 f., 133, 137-142 Die Wahre Religion (DWR) | 444 456 Anhang Direkte Aktion (Publikation) | 205 Dissidentenbewegung NPD | 133, 140 f. Drei-Säulen-Strategie | 132 Dschihad/Dschihadismus | s. Jihad Dual-Use-Güter | 347 E Eichenlaub mit Schwertern (Musikband) | 90 f. Ein Prozent e. V. | 68, 75, 117, 128 Emerging Technologies | 347 ff. En-Nahda | 212, 266 Entgrenzung | 79, 169 f., 175, 224, 390 Enthemmung | 79 Ethnopluralismus | 70, 106, 110 EU-Terrorliste | 266, 293 Ewiger Bund | s. Vaterländischer Hilfsdienst Extremismus mit Auslandsbezug | 6, 27, 32, 42, 286 ff., 333 f., 391, 395 F Fatime Versammlung e. V. | 276 Farben für Waisenkinder e. V. (FfW) | 275 Fitzek, Peter | 156, 158 Föderale Islamische Union e. V. (FIU) | 241 Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e. V. (FED-MED NRW) | 296 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) | 307 Franz, Frank | 130, 133 f. Frauenfeindlichkeit | 70, 72 f., 319 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) | 207 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Fremdenfeindlichkeit (Begriff) | 53, 70 f., 139 Fridays for Future-Bewegung (FFF) | 193 457 Anhang G G 10 | s. Artikel 10-Gesetz Gai Dao (Publikation) | 205 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) | 442 Geheimschutz | 358, 360, 365, 369 f. Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Generation Identitaire (GI) | 105 Generation Islam | 46, 217, 223 Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. | s. Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Germanitas Othala Klangschmiede (Versand) | 93 Germaniten | s. Indigenes Volk Germaniten Geschichtsrevisionismus (Begriff) | 70, 72 Giese, Daniel | 88 f., 94 Gigi / Stahlgewitter / Die Braunen Stadtmusikanten (Musikband) | 88 f. H Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) | 244 HAMAS | s. Islamische Widerstandsbewegung Hammerskins Deutschland | 83, 441 Hannes (Musikband) | s. Ostendorf, Hannes Henia, Sami (alias Sami Abu Hamza) | 238, 240 f. HeimatHof | 76, 135-138 Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ) | 144 f., 441 Heise, Thorsten | 132, 134 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) | 441 Hizb Allah | 40 f., 46, 212, 216, 223, 274-279, 281 ff., 291, 444 Höcke, Björn | 115 f., 121, 126 Holocaust (Leugnung/Relativierung) | 44, 49 458 Anhang I Ibn Fawzan, Salih | 241 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) | 68, 104 f., 122 In/Progress | 178 f. Indigenes Volk Germaniten (IVG) | 158 Inferno Deutschland, Bündnis | 135 Inspire (Publikation) | 259 f. Institut für Staatspolitik (IfS) | 68, 75, 128 Internationale ArbeiterInnen Assoziation (IAA) | 209 Interventionistische Linke (IL) | 168, 170, 173 f., 184, 193 ISD Records (Versand) | 93 Islamfeindlichkeit | 106, 111, 216 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | 298 Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) | s. Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) | 40 ff., 45-48, 51, 169, 171, 179, 212, 216, 219, 223, 246, 253, 266 ff., 277, 283, 288, 291, 444 Islamische Universität Medina | 232 Islamischer Staat (IS) | 246 f., 444 Islamischer Staat in Afghanistan, Provinz Khorasan (ISPK) | 249, 251, 255 f. Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) | 212, 279-282 Islamismus (Begriff) | 213 f., 392 Islamistischer Terrorismus | 243 J Jabhat al-Nusra (JaN) | s. Jabhat Fatah al-Sham Jabhat Fatah al-Sham (JFS) | 244 f. Jihad/Jihadismus (Begriff) | 214 f., 228, 243, 246, 252 f., 258 f., 266, 397 Jihadistischer Salafismus | 228, 319 Jinen Ciwan en Tekoser (TEKO-JIN) | 297 Jugend Rechts (JR) | 99 Jung & Stark (JS) | 99 Junge Alternative (JA) | 68 f., 112, 128 Junge Nationalisten (JN) | 97, 129 f. 459 Anhang K K., Marcel | 241 Kampf der Nibelungen (KdN) | 100 Kampf um den organisierten Willen | 132 Kampf um die Köpfe | 132 Kampf um die Parlamente | 132 Kampf um die die Straße | 132 Kaplan, Cemaleddin | 273 Kassim, Naim | 274, 277 Kategorie C (Musikband) | 89 f., 92 Kategorie C (Versand) | 93 Kiese, Martin | 138, 141 f. Königreich Deutschland (KRD) | 156 f. Komalen Ciwan (KC) | 297 Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) | 173 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) | 200, 400 f. Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) | 290 Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V. (KON-MED) | 296 f., 300, 303 Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) | 296, 303 Konvertiten, Konvertierte | 231, 260 Konzerte | s. Musikveranstaltungen Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) | 296 Kubitschek, Götz | 128 Künstliche Intelligenz (KI) | 354, 364, 370 L Landser (Musikband) | 93 LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat | 221, 230, 444 Linksextremismus (Begriff) | 167 f., 393 460 Anhang M Marxismus | 167, 173, 290 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) | 54, 167, 170, 173, 202 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei der Türkei - Marksist Leninist Komünist Partisi (MLKP) | 42, 290 Med Nuce TV | 292 Menschenpark Veranstaltungs UG | 75, 128 Metapolitik Verlags UG | 75, 128 Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH | 445 MHP (Milliyetci Hareket Partisi") | 302, 304 f., 307, 310 Mursi, Mohammed | 264 Musikveranstaltungen | 85, 88, 91, 93 Muslim-Markt | 283 Muslimbruderschaft (MB) | 44, 46, 212, 216, 262 ff. N Nahkampf (Musikband) | s. Kategorie C Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) | s. Die Heimat Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) | 445 Nationalismus | 53, 70, 106, 178, 305 ff., 309, 393 Neonazismus (Begriff) | 71, 77, 99 Neonazistische Kameradschaften | 72, 138 f. Neonaziszene | 72, 77, 99, 104 Neue Rechte | 48, 75, 79 ff., 105 f., 108, 117, 121 f., 124, 127 f., 135, 393 Neue Stärke Partei (NSP) | 68, 140 Neumann, Philipp | 133 f. Niedersächsisches Polizeiund Ordnungsbehördengesetz (NPOG) | 22, 424 f., 430 Niedersächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) | 358, 430, 433 f. Nordadler | 441 NSM 88 (Versand) | 93 461 Anhang O Öcalan, Abdullah | 289, 292-298, 302 f. Okzident Media | 108 OPOS Records (Versand) | 93 Osnabrücker Landmark | 442 Ostendorf, Hannes | 89 f., 93 P Pakistanzentrum Hannover | 271 Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi - MHP) | 302, 304 f., 307, 310 Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalkinma Partisi - AKP) | 302, 307, 310 PC Records (Versand) | 93 Phalanx Europa | 108 PKK | s. Arbeiterpartei Kurdistans Politischer Salafismus | 228 Politisch motivierte Kriminalität | 325, 374-385 Postautonome | 169, 172 ff., 177, 179-185, 193, 196, 202, 205, 209 Postkoloniale Linke | 47 Prävention | 32 ff., 64, 80, 101, 147, 163, 314-337, 349, 370, 434 Prinz Reuß, Heinrich XIII. | 152 Proliferation | 58, 61, 346-349 Proto (Musiker) | 92 Preußisches Institut | s. Vaterländischer Hilfsdienst R R., Dennis | 241 Race War (Musikband) | 93 Radikalisierung | 4, 79, 93, 101, 104, 119, 121, 126, 171, 174, 193, 196, 204, 218, 220, 229 f., 233, 235, 253 f., 258, 260, 262, 269, 314, 316, 323, 325, 327 f., 331 f., 335, 370 Rassismus (Begriff) | 70 ff., 106, 149, 169, 197, 202 f., 218, 394 f. Rebel Records (Versand) | 93 Rebell (Jugendorganisation der MLPD) | 54, 202 Rechtsextremismus (Begriff) | 70-73, 395 462 Anhang Redical [M] | 178, 185 f. Regiment 25 (Musikband) | 470 Reichsbürger | 53, 68 f., 78 f., 147-153, 155 f., 158-163, 316, 318, 385, 389, 396 f., 442 Revisionismus | s. Geschichtsrevisionismus Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) | s. Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi Risalat ul-Ikhwan | 262 Rock against Communism (RAC) | 85 Rote Hilfe e. V. (RH) | 191 ff. Rumiyah (Publikation) | 259 S Salafismus | 220 ff., 225-229, 231 f., 234 ff., 242 f., 274, 316, 319, 326, 397 Schanze Eins | 108 Scharia | 226 f., 243, 270, 273 ff., 314, 392 Selbstverwalter | 53, 78, 147-151, 155 f., 159-163, 316, 318, 385, 389, 396 f. Single Point of Contact Hybride Bedrohungen (SPoC Hybrid) | 58 Skeptika (Musiker) | 91 Skinheadkonzerte | s. Musikveranstaltungen Skinhead | 77, 84, 99 Sozialistische Perspektive (SP) | 177 Sozialistische Reichspartei (SRP) | 16, 400 Stahlgewitter (Musikband) | s. Gigi Sterka Ciwan | 292 Sturmbrigade 44 | 441 Sturmfeste Hannover/Niedersachsen | 108 ff. Sturmrebellen (Musikband) | 90 Switch off (Mitmachkampagne) | 201 463 Anhang T Tablighi Jama'at (TJ) | 212, 269 ff. Tanzim Hurras al-Din (THD, "Organisation der Wächter der Religion") | 245, 466 Terrorismus | 4, 27, 29, 224 f., 243, 287, 365, 382, 399 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) | 290, 451, 469 f. Türkische Konföderation in Europa (ATK) | s. Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. U Ülkücü-Bewegung | 289 f., 299, 304-310, 393, 395 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) | 298 Union der Juristen Kurdistans (YHK) | 298 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 298 Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB) | 307 f. V Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) | 159 f. Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) | 298 Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan (JXK) | 298 Verband Deutscher Wahlkommissionen (VDWK) | 160 Verbote rechtsextremistischer Vereinigungen | 440 ff. Verbote islamistischer Vereinigungen | 443 f. Verbote linksextremistischer Vereinigungen | 442 Verbote von Reichsbürgervereinigungen | 442 Verbote extremistischer Bestrebungen mit Bezug zum Ausland | 445 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) | 441 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Völkische Gemeinschaft | s. Nordadler Völkische Jugend | s. Nordadler Völkische Renaissance | s. Nordadler Völkische Revolution | s. Nordadler Vogel, Pierre (alias Abu Hamza) | 238, 240 Voigt, Udo | 132, 134 Völkische Siedler | 142-146, 402 Volksgemeinschaft | 70, 96, 104, 110, 130 f., 143 f., 146, 389, 402 464 Anhang Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA GEL) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der PKK (Hezen Parastina Gel, HPG) | 292 W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. | s. Farben für Waisenkinder e. V. was-danach (Projekt) | 221 Weigler, Sebastian | 130, 134-137 Weisse Wölfe Terrorcrew | 441 Wiking-Jugend e. V. (WJ) | 144 Wirtschaftsschutz | 52, 344, 364-371, 402 Wirtschaftsspionage | 364 f., 402 Wolfsbrigade 44 | s. Sturmbrigade 44 Worch, Christian | 102, 138-142 Y Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik) | 292 Young Struggle | 42 Z Zillertaler Virenjäger (Musikband) | s. Gigi Zionist Occupied Government (ZOG) | 45 465 Anhang 12.10 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) Aurich | 276, 297, 369 Lilienthal | 89 Alfeld | 152 Lüneburg | 41, 87, 118, 134f., 141f., 144, Amt Neuhaus | 141 172, 202, 205, 208, 288, 302 Bad Fallingbostel | 297 Nienburg | 203 Bad Lauterberg | 158 Nordenham | 157 Bardowick | 134 Nordhorn | 183 Barsinghausen | 158 Oldenburg | 41, 43, 63, 87, 129, 172, 188, Braunschweig | 4, 41, 48, 76, 97f., 102, 191, 288 135, 138, 140ff., 160, 172, 178f., 185f., Osnabrück | 41, 158, 172, 191f., 199, 265, 191, 221f., 224, 237-241, 265, 283, 288, 273, 278, 288, 292, 296f., 307f., 310, 442 307, 444 Peine | 153, 297 Buchholz in der Nordheide | 183 Prinzhöfte | 188 Celle | 55, 76, 92, 101, 125, 135, 140, 142, Rotenburg/Wümme | 82 154, 160, 171, 184, 201, 297, 301 Salzgitter | 41, 43, 273, 288, 307f. Cuxhaven | 155, 276, 301 Springe | 153, 188 Damme | 158 Südniedersachsen (Region) | 90, 278 Delmenhorst | 283, 301 Uelzen | 92, 125, 142, 144 Eschede | 76, 92, 101, 135, 137f. Unterlüß | 55, 125f., 171, 184, 201 Goslar | 93, 97, 127, 160 Vechelde | 153 Göttingen | 41, 158, 172, 176, 178f., 185, Verden | 82, 297 187, 191, 193, 195, 202, 205, 207f., 265, Winsen | 98 273, 288, 301 Wolfsburg | 41, 265, 288 Hameln | 153, 160 Wunstorf | 116, 118 Handorf | 134f. Hannover | 6, 41, 46, 108f., 116, 118, 127, 135, 153, 158, 160, 172, 176, 179, 183ff., 187, 189-192, 195, 197, 199, 202, 205, 207f., 222f., 227, 241, 243, 265, 271, 278f., 288f., 292, 297-304, 307f., 317, 319, 329, 354, 370, 441 Harburg | 98, 152, 158 Hasbergen | 158 Hermannsburg | 201 Hildesheim | 41, 76, 140, 142, 152, 183, 185, 288, 297, 444 Jesteburg | 152f. 466 Anhang 12.11 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2024 In diesem Verzeichnisanhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl al-Qaida und ihre weltweit agierenden Ableger (al-Qaida 4, 45, 215, 219, 244-248, 250, auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida im Irak (AQI), 252 f., 256 f., 259 al-Qaida auf dem indischen Subkontinent ( AQIS), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), al-Shabab, Hai'at Tahrir al-Sham (HTS, ehem. Jabhat al-Nusra), Tanzim Hurras al-Din (THD) Antaios e. K. (Verlag) 128 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) 177, 179 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 6, 286, 289-304, 306 f., 310, 391, 398, 445 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft 145, 442 wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. Basisdemokratische Linke Göttingen (BL) 179, 185, 195 Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (TEKO-JIN) 297 f. Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) 297 Bismarcks Erben s. Vaterländischer Hilfsdienst Blood & Honour 440 Blood Brother Nation 103 Brigade 8 104 Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) 173, 177 ff. 467 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und 440 Lebensschutz e. V. (CH) Combat 18 / Combat 18 Deutschland 441 Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und 296 Kurden in Norddeutschland e.V. (FED-DEM) Der III. Weg 68 f., 76, 86, 91, 97, 103, 137 Der Flügel (in der Partei Alternative für Deutschland auf120 gegangen) Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 54, 167, 169 f., 179, 202 Deutsche Stimme (Publikation) 130, 134 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (vormals 263, 265 f. IGD) Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. 221 f., 224, 237-241, 283 in Braunschweig (DMG Braunschweig) Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover 227 (DIK Hannover) Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. 265 Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi (DHKP-C) 290, 445 Die Heimat (vormals NPD) 68 f., 72, 75 f., 86, 97, 101 ff., 129-137, 139 ff., 188, 400 f. Die Rechte 48, 68 f., 75 f., 86, 95, 97, 102 f., 133, 137-142 En-Nahda 212, 266 Eichenlaub mit Schwertern (Musikband) 90 f. Ewiger Bund s. Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in 296 NRW e.V. (FED-MED NRW) 468 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in 307 Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 207 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 442 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten (Gigi / Stahlgewitter / 88 f. Die Braunen Stadtmusikanten (Musikband)) HAMAS s. Islamische Widerstandsbewegung Hammerskins Deutschland 83, 441 Hannes (Liedermacher) 89 f., 93 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 144 f., 441 Hilfsorganisation f. nationale politische Gefangene und 441 deren Angehörige e. V. (HNG) Hizb Allah 40 f., 46, 212, 216, 223, 274 - 279, 281 ff., 291, 444 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 68, 104 f., 122 Indigenes Volk Germaniten (IVG) 158 Institut für Staatspolitik (IfS) 68, 75, 128 Interventionistische Linke (IL) 168, 170, 173 f., 184, 193 In/Progress 178 f. Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 298 469 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 40 ff., 45-48, 51, 169, 171, 179, 212, 216, 219, 223, 246, 253, 266 ff., 277, 283, 288, 291, 444 Islamischer Staat (IS) 246 f., 444 Junge Alternative (JA) 68 f., 112, 128 Junge Nationalisten (JN) 97, 129 f. Kategorie C (Musikband und Versand) 89 f., 92 f. Königreich Deutschland (KRD) 156 f. Komalen Ciwan (KC) 297 Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (TKP/ 290 ML) Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans 296 f., 300, 303 in Deutschland e. V. (KON-MED) Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdis296, 303 tans in Europa (KCDK-E) Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in 296 Europa (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) Landser (Musikband) 93 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 54, 167, 170, 173, 202 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei 42, 290 der Türkei (MLKP) Menschenpark Veranstaltungs UG (Nachfolgeorganisation 75, 128 des IfS) Metapolitik Verlags UG (Nachfolgeorganisation des IfS) 75, 128 Muslimbruderschaft (MB) 44, 46, 212, 216, 262 ff. 470 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Muslim-Markt 283 Nahkampf (Musikband) s. Kategorie C Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) s. Die Heimat Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), s. Die Heimat Landesverband Niedersachsen Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 445 Pakistanzentrum Hannover 271 PC Records (Versand) 93 PKK s. Arbeiterpartei Kurdistans Preußisches Institut s. Vaterländischer Hilfsdienst Proto (Musiker) 92 Race War (Musikband) 93 Redical [M] 178, 185 f. Regiment 25 (Musikband) 470 Reichsbürger 53, 68 f., 78 f., 147-153, 155 f., 158-163, 316, 318, 385, 389, 396 f., 442 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) s. Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi Rote Hilfe e. V. (RH) 191 ff. Selbstverwalter 53, 78, 147-151, 155 f., 159163, 316, 318, 385, 389, 396 f. Skeptika (Musiker) 91 Stahlgewitter (Musikband) s. Gigi Tablighi Jama'at (TJ) 212, 269 ff. 471 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Türkische Konföderation in Europa s. Föderation der Türkisch(Avrupa Türk Konfederasyon, ATK) Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) 290, 451 Ülkücü-Bewegung 289 f., 299, 304-310, 393, 395 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 298 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 298 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 298 Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa 307 f. (ATIB) Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) 159 f. Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 298 Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan (JXK) 298 Verband Deutscher Wahlkommissionen (VDWK) 160 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens 441 des Holocaust Verfolgten (VRBHV) Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der Arbeiterpartei 292 Kurdistans (HPG) 472 Anhang 12.12 Bilderverzeichnis 16 pusteflower9024 - stock.adobe.com 18 MQ-Illustrations - stock.adobe.com 20 domoskanonos - stock.adobe.com 33 Niedersächsischer Verfassungsschutz 34 Niedersächsischer Verfassungsschutz 34 Niedersächsischer Verfassungsschutz 41 MD Sumsudden Hossain - shutterstock.com 55 Collage stock.adobe.com 89071015 und shutterstock. com 2142191115 56 Niedersächsischer Verfassungsschutz 58 Niedersächsischer Verfassungsschutz 70 Pusteflower9024 - shutterstock.com 90 CD-Cover "Kategorie C: Ruf der Götter 2" 90 CD-Cover "Eichenlaub mit Schwertern: Weltkriegslieder" 100 Logo "Kampf der Nibelungen" 105 Logo der IBD 113 Logo der "Junge Alternative" 120 Logo der "AfD Niedersachsen" 130 Logo der Partei "Die Heimat" 139 Logo der Partei "Die Rechte" 156 Logo "Königreich Deutschland" 162 Niedersächsischer Verfassungsschutz 167 Logos der DKP und der MLPD 175 Logo der IL 177 Logo "Sozialistische Perspektive" 177 Logo der A.L.I. 177 Logo des Bündnisses uG 178 Logo der Gruppierung "In/Progress" 182 Niedersächsischer Verfassungsschutz 184 Logo "Anarchistisches Archiv Hannover" 185 Logo der "Redical [M]" 191 Logo der "Rote Hilfe" 194 Logo des Bündnisses "Ende Gelände" 202 Logo des Bündnisses "Rheinmetall Entwaffnen" 207 Logo der FAU 221 Logo des Projektes "was-danach? " 473 Anhang 222 Niedersächsischer Verfassungsschutz 238 Logo der DMG Braunschweig 239 Kollage der Prediger, Screenshot des TikTok-Kanals der DMG Braunschweig 240 Instagram.com, Sami Henia 241 Instagram.com, Sami Henia 241 Logo der FIU 243 Prazis Images Artikel-ID 357864002/shutterstock.com 247 Flagge des IS 250 Flagge der Taliban; https://de.wikipedia.org /wiki/ Datei:Flag_of_the_Taliban.svg; Eigenes Werk 253 Al-Qaida Propagandamagazin "Inspire" 254 The World in HDR, Artikel-ID 355924961 / shutterstock. com 258 Niedersächsischer Verfassungsschutz 263 Logo der "Muslimbruderschaft" 270 Logo der "Tablighi Jama'at" 278 Flagge der "Hizb Allah" 282 Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg 294 Logo der PKK in Europa 296 Logo des KCDK-E 298 Logos der "Jinen Ciwan en Tekoser" und der TEKO-JIN 305 Logo der "Ülkücü-Bewegung" 307 Logo der ADÜTDF 307 Logo des ATIB 309 Mo Photogarphy Berlin - shutterstock.com 316 Landesfeuerverband Niedersachsen 317 Niedersächsischer Verfassungsschutz 317 Niedersächsischer Verfassungsschutz 317 Niedersächsischer Verfassungsschutz 318 Niedersächsischer Verfassungsschutz 318 Niedersächsischer Verfassungsschutz 319 Niedersächsischer Verfassungsschutz 320 Niedersächsischer Verfassungsschutz 323 StiftMarkerPapier Graphic Recording und Niedersächsischer Verfassungsschutz 324 Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen 325 Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen 474 Anhang 330 Niedersächsischer Verfassungsschutz 333 Niedersächsischer Verfassungsschutz 334 Niedersächsischer Verfassungsschutz, beide KI-generiert 336 Niedersächsischer Verfassungsschutz 341 Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg 342 Niedersächsischer Verfassungsschutz 342 Logo des SWR 345 Logo des MSS 346 Logo des VAJA 346 Bundesamt für Verfassungsschutz 350 Bundesamt für Verfassungsschutz 351 BSI, Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2023 353 Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg und Niedersächsischer Verfassungsschutz 354 Niedersächsischer Verfassungsschutz 358 Zerbor - stock.adobe.com 360 Niedersächsischer Verfassungsschutz 365 tashatuvango - stock.adobe.com 366 xiaoliangge - stock.adobe.com 367 Niedersächsischer Verfassungsschutz 369 Niedersächsischer Verfassungsschutz 370 Niedersächsischer Verfassungsschutz 371 Niedersächsischer Verfassungsschutz 371 Niedersächsischer Verfassungsschutz 475 Anhang Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. (c) Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Spor t und Digitalisierung Abteilung Verfassungsschutz Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12, 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Telefax: 0511 120-6555 Internet: www.mi.niedersachsen.de Umschlaginnenseite 476 Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Digitalisierung Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12, 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6258 Telefax: 0511 120-6555 Internet: www.mi.niedersachsen.de