Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport - Verfassungsschutz - Verfassungsschutzbericht 2023 Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6258 Telefax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 6709-217 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de Redaktionsschluss: Januar 2024 Layout und Gestaltung: Bonifatius GmbH Druck [?] Buch [?] Verlag, Paderborn Druckerei: Druckerei Flock, Köln-Marsdorf Verfassungsschutzbericht 2023 Liebe Bürgerinnen und Bürger, oberstes Ziel unserer Arbeit ist es, dass Sie in unserem Land sicher leben können. Dafür setzen wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln täglich ein. Frieden, Freiheit und Sicherheit sind die Grundpfeiler unserer Demokratie und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Der Verfassungsschutz ist dabei das Frühwarngehört, dass unsere demokratischen Grundsystem unserer Demokratie. werte geschützt und gestärkt werden. Unsere Sicherheitsbehörden sind hier Allerdings müssen wir im Jahr des 75. Geburtsbesonders gefragt. tags unseres Grundgesetzes wahrnehmen, dass unsere Demokratie, unser friedliches Die Vielfalt der Informationsmöglichkeiten und gesichertes Leben sowie unsere Art zu gerade im digitalen Raum macht es vielen leben nicht mehr selbstverständlich sind. Die Menschen zunehmend schwer, zwischen fundamentalen Werte unseres Zusammenobjektiver Information zur Meinungslebens werden von verschiedensten Gruppen bildung und Desinformationen zur gezielten aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt Stimmungsmache zu unterscheiden. Und und aktiv angegriffen, der vorliegende Vergenau das machen sich die Kräfte in unserem fassungsschutzbericht für das Jahr 2023 zeigt Land zunutze, die unseren Staat und unsere dies leider sehr eindrücklich. demokratischen Grundwerte unterwandern wollen. Der Verfassungsschutz behält all Die aktuellen geopolitischen Krisen und diese Kräfte im Blick, deren einziges Interesse Ereignisse stellen für die Menschen enorme ist, möglichst viele Menschen aus der Mitte Belastungen und Herausforderungen dar. der Gesellschaft mit ihrer Ideologie und Studien belegen: Es gibt eine Verunsicherung Weltanschauung zu erreichen, um so ihren in unserer Gesellschaft. Aber - und das muss extremistischen Zielen näher zu kommen. auch deutlich gesagt werden - die Mehrzahl der Niedersächsinnen und Niedersachsen fühlt Die Angriffe auf unsere freiheitliche demosich sicher! Die Rückmeldungen von unseren kratische Grundordnung kommen aus vielen Bürgerinnen und Bürgern sowie die Umfragen extremistischen Richtungen. All diesen zeugen von einem großen Vertrauen in die Angriffen müssen wir uns bei jeder GelegenSicherheitsbehörden. Und das ist berechtigt. heit entgegenstellen. Unser Ziel ist, dass Vertrauen und SicherDarüber hinaus gilt für uns alle, dass wir heit auch in Zukunft so hoch bleiben. Dazu für unsere Grundrechte eintreten und 2 gegenüber denjenigen verteidigen, die sich und gesellschaftspolitisch relevanten staatüber sie hinwegsetzen wollen. lichen wie nichtstaatlichen Institutionen ist. Häufig werden Desinformationen Schauen wir auf das vergangene Jahr zurück: kampagnenartig über Social-Media-Kanäle Die bereits angespannte geopolitische Lage verbreitet. Umso wichtiger ist es, dass wir alle hat sich nochmals verschärft. Das spüren wir beim Konsum von den dort veröffentlichten auch hier in Europa. Der völkerrechtswidrige Videos und Clips immer wieder hinterfragen, Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine welchen Ursprung ein Beitrag hat und fordert weiterhin alle demokratischen Länder welches Ziel dieser verfolgt. heraus, für die gemeinsamen Werte einzustehen. Wir dürfen nicht darüber hinwegAuch der Angriff der Terrorkommandos sehen, dass auch wir auf subtile Weise der islamistischen HAMAS am 07.10.2023 das Ziel von Angriffen sind. Russland setzt auf Israel wirkt sich auf unser Leben in in Richtung der westlichen Demokratien Deutschland aus. In dessen Kontext werden auf die hybride Kriegsführung. Insgesamt gezielte Falschmeldungen verbreitet. haben Spionageaktivitäten jeglicher Art, Palästinensische Gruppen tragen den Cyberangriffe, Desinformation und andere Konflikt nach Deutschland. In vielen Städten unzulässige ausländische Einflussnahmen finden regelmäßig pround antiisraelische zugenommen. Gerade Desinformationen, Demonstrationen statt. Die Anzahl antialso die gezielte Verbreitung von falschen semitischer Übergriffe und Straftaten ist oder irreführenden Informationen als Teil deutlich gestiegen. Es ist ein Anstieg, der der hybriden Kriegsführung und Möglichmich beschämt und den wir vor dem Hinterkeit der illegalen Einflussnahme auf Staaten grund unserer Geschichte niemals tolerieren durch fremde Staaten, stellen aktuell eine oder achselzuckend zur Kenntnis nehmen Bedrohung für die Innere Sicherheit, den dürfen! Der Antisemitismus gehört nicht gesellschaftlichen Zusammenhalt und die nur zu den Ideologieelementen des Rechtsfreiheitliche demokratische Grundordnung extremismus, antisemitische Narrative sind in der Bundesrepublik Deutschland dar. auch weiterhin Bestandteil islamistischer Propaganda. Insbesondere nach dem Der andauernde russische Angriffskrieg auf Terrorangriff der HAMAS auf Israel sind die Ukraine, der mit internationaler hybrider antisemitische Äußerungen in ihrer QuantiEinflussnahme vorbereitet und weiterhin tät und Qualität vor allem in den sozialen begleitet wird, zeigt, wie Desinformation Medien deutlich angestiegen. und Narrative wirken und dadurch demokratische Institutionen schwächen können. Der Militäreinsatz Israels im Gazastreifen Hier wird deutlich, wie notwendig eine enge nach dem terroristischen Über fall der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und HAMAS hat zu einer starken Präsenz von Kommunen sowie den Sicherheitsbehörden Bildern und Videos, insbesondere in den 3 sozialen Medien, geführt. Das sichtbare Leid Vehikel, um eine fundamentale Ablehnung der palästinensischen Zivilbevölkerung hat zu des politischen Systems, seiner Institutionen einer erheblichen Emotionalisierung israelund Repräsentanten zu transportieren feindlicher und propalästinensischer Personen bzw. zu erzeugen. Damit wird der Nährund Gruppen beigetragen. Antiisraelische und boden bereitet, um rechtsextremistische antisemitische Positionen haben dabei auch Ideologien in unsere Gesellschaft niedrigeine weit über die islamistische Szene hinausschwellig zu implementieren und zu gehende Zustimmung erhalten, obwohl etablieren. Aus diesem Grund müssen wir entsprechende Narrative insbesondere von in allen Themenfeldern besonders wachislamistischen Akteuren formuliert und versam sein und uns mit der Agitation von breitet werden. Rechtsextremisten auseinandersetzen. Der politische und parlamentarische Arm dieser Die Folgen dieser internationalen Konflikte Propaganda und Agitation ist die AfD. Die hab en E skalationsp otenzial für den zu beobachtende Radikalisierung dieser gesamten Nahen Osten und für Europa. Partei erfüllt immer mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger mit großer Sorge. Immer Der schreckliche Terrorangriff der HAMAS deutlicher kommt zum Vorschein, dass die hat uns nach dem Angriffskrieg des AfD aktiv an einer Spaltung der Gesellschaft russischen Präsidenten Putin auf die Ukraine wirkt, gezielt Ressentiments schürt und aus wieder einmal deutlich vor Augen geführt, der so erzeugten Verunsicherung und Auswie schnell weltpolitische Ereignisse auch grenzung politisches Kapital schlagen will. Wirkungen in Deutschland und damit auch Dafür sorgt auch die durch AfD-Mitglieder in Niedersachsen zeigen können. forcierte Verrohung der politischen Debatte. Deshalb ist es absolut notwendig, dass der Eine grundlegende und die größte Bedrohung Verfassungsschutz die weitere Entwicklung für unsere Demokratie stellt jedoch nach dieser Partei intensiv im Blick hat. wie vor der Rechtsextremismus dar. Die Stimmungen und Diskussionen in unserer Weiterhin hoch war im vergangenen Jahr die Gesellschaft sind rechtsextremistischen Bedrohungslage in Deutschland durch den Akteuren sehr bewusst. In diesem Kontext islamistischen Terrorismus. Vor allem Ereigentwickeln sie Methoden und Strategien, nisse wie die Koranverbrennungen im Juni die Bürgerinnen und Bürger für ihre Ideo2023 in Schweden oder der HAMAS-Terrorlogien empfänglich zu machen. Nahezu angriff hatten eine massive mobilisierende alle gegenwärtig relevanten gesellschaftWirkung auf die jihadistische Szene. Interlichen Themen werden dabei aufgegriffen nationale islamistische Terrororganisationen und entsprechend ideologisch aufgeladen. sprechen mit ihrer Propaganda gezielt Zumeist geht es dann nicht mehr nur um Personen an, die nicht in den Gesellschaften das Thema an sich. Dieses dient lediglich als der westlichen Länder integriert sind und 4 versuchen, diese für ihre Ziele, insbesondere Wir werden diesen Demokratiefeinden in Anschlagsvorhaben zu rekrutieren. Durch unserer Gesellschaft nur dann die Stirn die vielfältigen Möglichkeiten zur Verbieten können, wenn neben dem Staat und netzung über Social-Media-Kanäle und seinen Sicherheitsbehörden auch Sie, liebe and ere O nlin e - Ko mmunikati o ns p lat t- Bürgerinnen und Bürger, tagtäglich für die formen sind Anhänger islamistischer Demokratie und die freiheitliche GesellTerrororganisationen nicht mehr auf eine schaft einstehen! Dazu gehört es, im privaten Vernetzung vor Ort angewiesen. Umfeld, in der Kneipe oder auf dem Sportplatz, nicht zuletzt aber auch in der OnlineEin etablierter überregionaler Anlaufpunkt Welt klar Position zu beziehen und zu für salafistische Prediger und Besucher ist widersprechen, wenn Hass und Hetze sich die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinbreitmachen, unser Rechtsstaat, Politikerinnen schaft e. V." (DMG) Braunschweig. Über und Politiker oder andere Menschen, die sich ihre vielfältigen Online-Angebote und ein für das Gemeinwohl engagieren, pauschal weitreichendes Predigerrepertoire sowie verächtlich gemacht, herabgewürdigt oder die Bemühungen, Missionierungs-("Dawa") beschimpft werden. Wir alle sind in diesen Aktionen zu initiieren, konnte die DMG Zeiten besonders gefordert, den DemokratieBraunschweig ihre ideologische Strahlkraft feinden keinen Fußbreit Raum zu lassen! und Relevanz innerhalb und außerhalb der Szene weiter ausbauen. Alle Bemühungen Unsere Demokratie hat sich mit den Grunddes Rechtsstaates müssen auch hier dahinwerten unseres Grundgesetzes über 75 Jahre gehen, die öffentliche Unterwanderung bewährt. Jeder einzelne von uns erlebt dies unserer demokratischen Werte auf dem täglich, auch wenn viele von uns diese häufig Rücken der Meinungsfreiheit zu unterbinden. als selbstverständlich empfinden, gilt es nun, diese im besonderen Maße zu schützen. Die Herausforderungen für unsere wehrAusgrenzung, Hass und Angst dürfen hafte Demokratie im Bereich des Extremisniemals die Oberhand über Meinungsfreimus, der Spionage und der Desinformation heit, Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt sowie sind aktuell immens und vielfältig. Wir soziale und innere Sicherheit gewinnen! stellen fest, dass die Verunsicherung in der Gesellschaft aufgrund einer multiplen Krisensituation die Suche nach vermeintDaniela Behrens lichen einfachen Lösungen stark fördert. Dies ist das Einfallstor für Populisten und Extremisten, die unsere demokratischen Institutionen verächtlich machen, plumpe Botschaften als Lösungen vermarkten und Niedersächsische Ministerin eine angeblich bessere Welt versprechen. für Inneres und Sport 5 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, weltpolitische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen prägen zumeist auch den Extremismus in den verschiedenen Erscheinungsformen. Unser Land ist seit ein paar Jahren von sich ablösenden und überlagernden Krisen und Herausforderungen betroffen. Wenn wir aktuell von einer "multiplen Krisensituation" sprechen, trifft Vom Rechtsextremismus geht derzeit die das die Lage ziemlich genau. größte Gefahr für die Demokratie aus. Rechtsextremismus hat nicht nur eine Die Corona-Pandemie hat bereits den besondere historische Relevanz, sondern gesellschaftlichen Zusammenhalt auf die auch eine gesellschaftliche. Während Probe gestellt. Der völkerrechtswidrige Angriffe auf die Sicherheit der Menschen - Angriff Russlands auf die Ukraine schürt Stichworte: Islamistischer Terrorismus oder Ängste vor Krieg, steigender Inflation, linksextremistische Militanz - die WehrWohlstandsverlust sowie Sorgen um die haftigkeit unseres demokratischen Systems Energiesicherheit. Zunehmende Zukunftsund unseres Rechtsstaats herausfordern, ängste und sinkendes Ver trauen in aber unsere Demokratie nicht zu unterpolitische Entscheidungen sind die Folge. wandern im Stande sind, erweisen sich die Der terroristische Überfall der HAMAS auf Gefahren des Rechtsextremismus als subtiler, Israel kostete über 1.200 Menschen das umfassender und noch herausfordernder. Leben, mehr als 5.400 wurden verletzt, und es wurde massive sexualisierte Gewalt Neben den stetigen Gefahren, die vom gegen Frauen verübt. Zudem wurden bei gewaltorientier ten Recht sex tremismus dem Angriff am jüdischen Feiertag Simchat bzw. Rechtsterrorismus ausgehen, verTorah etwa 240 Menschen als Geiseln nach suchen Rechtsextremisten gezielt in die Gaza entführt. Die Folgen dieser schreckstaatlichen Institutionen vorzudringen lichen Ereignisse wissen Extremisten für ihre sowie den politischen Diskurs und die Ziele zu nutzen. öffentliche Meinungsbildung in ihrem Sinne zu prägen. Diese Prozesse werden durch Der politische Extremismus kann nicht ein koordiniertes und arbeitsteiliges Vorlosgelöst von gesellschaftlichen Entgehen rechtsextremistischer Akteure voranwicklungen betrachtet werden, das zeigt getrieben. Von der Theoriebildung über den die Analyse der verschiedenen PhänomenAktivismus bis zur parlamentarischen Arbeit bereiche in diesem Jahr deutlicher als je werden sämtliche relevanten Bereiche zuvor. abgedeckt. 6 Mit der seit Jahren vor allem von der und Bürgern als gesellschaftskonform und sogenannten Neuen Rechten verfolgten akzeptabel betrachtet werden, bringt auch Strategie der Metapolitik erweitern sich nie dagewesene Herausforderungen für die die Resonanzräume im Rechtsextremismus. Präventionsarbeit mit sich. Gemeint sind damit die Einflussversuche auf den vorpolitischen bzw. gesellschaftFür die nied er s ächsische autonome lichen Raum, die zu einer Veränderung Szene gewinnt das Thema "Antigentriunserer Sprache und zur Akzeptanz rechtsfizierung" zunehmend an Bedeutung, wie extremistischer Narrative im allgemeinen der Anschlag auf das Bürogebäude eines Sprachgebrauch und politischen Diskurs Immobilienunternehmens am 09.03.2023 beitragen sollen. Als Beispiel sind hier in Hannover gezeigt hat. Bleibt die Lage etwa Begriffe wie "Umvolkung", "Großer auf dem Wohnungsmarkt so angespannt, (Bevölkerungs-)Austausch" oder auch muss weiterhin mit Hausbesetzungen "Remigration" zu nennen. und Übergriffen von Linksextremisten auf Immobilienunternehmen und ihre MitMit der "Alternative für Deutschland" (AfD), arbeitenden gerechnet werden. Auch wird die in Folge der Krisenlage mittlerweile in die autonome Szene weiterhin bestrebt fast alle Parlamente eingezogen ist, sind sein, Anschluss an die nichtextremistische insbesondere dem Spektrum der "Neuen Klimaschutzbewegung zu finden und sie Rechten" enorme, vormals nicht vorhandene für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Das Ressourcen, Einflussund Kommunikationszeigte die Beteiligung an den Protesten möglichkeiten zu Teil geworden. Diese gegen den Ausbau des Südschnellwegs, Netzwerke profitieren vom Erfolg der AfD. für den Rodungen im Naherholungsgebiet Gleichzeitig üben sie gezielt inhaltlichen EinLeinemasch erforderlich waren. fluss auf die Partei aus. In der islamistischen Szene haben nach Die recht sex tremistischen Agitationsdem Terrorak t der HAMAS gegen formen sind an die neuen Medien und I sra el am 07.10. 2023 antijüdis che Kommunikationskanäle angepasst und und anitiisraelische Äußerungen, inswurden weitgehend professionalisier t. besondere in den sozialen Medien deutlich Die von Rechtsextremisten transportierten zugenommen. Auf Grundlage einseitiger Inhalte zielen deutlich gegen die freiheitBerichterstattung türkischoder arabischliche demokratische Grundordnung, in sprachiger Medien wurden oft nicht erster Linie gegen das Prinzip der Menschenvalidierte oder falsche Berichte verbreitet würde, aber auch gegen das Demokratieund Israel die alleinige Schuld am Krieg und Rechtstaatsprinzip. Die Tatsache, dass zugewiesen. Der Terrorangriff der HAMAS die von Rechtsextremisten verwendeten hingegen wurde nicht verurteilt, sondern Narrative bereits von vielen Bürgerinnen teilweise glorifiziert. So hatte z. B. auch die 7 säkulare propalästinensische Gruppierung jugendgerechter Sprache über professionell Samidoun bereits am 07.10.2023 in Berlingefertigte Videobeiträge in den sozialen Neukölln auf einer Spontanveranstaltung Netzwerken verbreiten. Die "DeutschSüßigkeiten verteilt, um den Angriff auf sprachige Muslimische Gemeinschaft" in Israel zu feiern. Braunschweig (DMG Braunschweig) nimmt eine zentrale Rolle in der überregionalen "Tr i g g e r n d e" Ereignisse wie der Vernetzung salafistischer Aktivitäten ein, eskalierende Nahostkonflikt oder die Koranindem sie diese Prediger einlädt und deren verbrennungen in Schweden haben auch Auftritte über ihre vielfältigen Onlineeine massive mobilisierende Wirkung auf die Kanäle einer großen Zahl an Zuschauenden jihadistische Szene. Die Gefahr von Terrorzugänglich macht. Die Prediger erreichen anschlägen ist insbesondere durch den ISdamit eine sehr hohe Reichweite, insAbleger "Islamischer Staat in der Provinz besondere auch bei sehr jungen Menschen, Khorasan" weiterhin hoch. Die Nutzung was der Gefahr von Radikalisierung Vorder sozialen Medien durch islamistische schub leistet. Akteure hat sich deutlich professionalisiert. Inhalte und Formate wurden an die BedürfDass politische Ereignisse in der Türkei nisse junger Konsumenten angepasst. regelmäßig Auswirkungen auf die türkische Islamistischen Influencern gelingt es, Community in Deutschland zur Folge islamis tische A nsichten als Jugend - haben, zeigte sich im Zusammenhang mit kultur zu prägen. Dabei deutet sich ein den dortigen Präsidentschaftsund ParlaGenerationenwechsel an. Der aktionsmentswahlen. Der Wahlkampf der Ulkücüorientierte Salafismus in Form von Dawa-, Bewegung in Niedersachsen verlief nach also Missionierungs-Aktionen, hat deutlich Vorgaben der Verbände zurückhaltend. zugenommen mit genehmigungsfreien Nach dem Wahlsieg Erdogans kam es mobilen Verteilaktionen oder dem Auslegen jedoch zu Konfrontationen der türkischen einschlägiger Literatur in Moscheen oder Rechtsex tremisten mit Anhängerinnen Geschäften. und A nhäng er n d er A r b eiter p ar te i Kurdistans, der nach wie vor mitgliederNach wie vor stellen Salafisten die größte stärksten extremistischen Organisation mit Gruppierung innerhalb des Islamismus Auslandsbezug. dar. Etwa die Hälfte der niedersächsischen Islamisten ist der salafistischen Szene zuzuDer völkerrecht swidrige Angrif fskrieg rechnen. Auch wenn die Anhängerzahlen Putins auf die Ukraine wird seit Jahren im rückläufig sind, ist die Szene deutlich aktiver Rahmen der hybriden Kriegsführung mit geworden. Dabei haben sich populäre Desinformationskampagnen vorbereitet deutschsprachige Prediger etabliert, die und begleitet, um die öffentliche Meinung die salafistische Ideologie in verständlicher zu beeinflussen, Ängste zu schüren oder 8 politische Agenden zu fördern. Mit gezielten Blick in unsere Bilanz des Jahres 2023 Cyberat t acken und Desinformationsempfohlen. kampagnen durch russische Akteure sollen gerade auch Deutschland und die übrigen NATO-Bündnispartner getroffen werden. Im Zusammenwirken mit anderen SicherheitsDirk Pejril behörden sind Aktivitäten festzustellen, die prorussische Narrative setzen, Unruhe verbreiten, die Frage der Kriegsschuld umkehren und unser politisches System destabilisieren sollen. G erad e Per s onen aus d em re cht s- Niedersächsischer extremistischen Phänomenbereich und der Verfassungsschutzpräsident AfD erweisen sich als offen für die Desinformationskampagnen, vertreten aktiv prorussische Narrative und verbreiten diese in den sozialen Netzwerken und im Internet. Unternehmen der Rüstungsindustrie sowie deren Zulieferer sind stark in den Fokus von Ausforschung und Spionageangriffen gerückt. Die aktuellen Festnahmen in diesem Zusammenhang zeigen, dass "echtweltliche" Agenten nicht ausgedient haben. Zunehmenden Risiken sind auch Unternehmen der Kritischen Infrastruktur ausgesetzt. Denn Beeinträchtigungen durch Sabotagehandlungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft. Diese "Blitzlichter" aktueller Herausforderungen, denen der Niedersächsische Ve r fa s sungs s chu t z g e g e nüb e r s te ht , geben einen eher unvollständigen Einblick in die Arbeit und die Arbeitsergebnisse dieser Behörde. Deshalb sei ein genauerer 9 Themenübersicht Themenübersicht 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 02 Rechtsextremismus 03 Linksextremismus 04 Islamismus 05 Extremismus mit Auslandsbezug 06 Prävention 07 Spionageabwehr / Proliferation Elektronische / Angriffe 08 Geheimschutz 09 Wirtschaftsschutz 10 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11 Anhang 10 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie ............................................18 1.2 Gesetzliche Grundlagen ......................................................... 20 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes ....................................21 1.4 Organisation ............................................................................. 22 1.5 Informationsgewinnung ............................................................ 22 1.6 Kontrolle ................................................................................... 23 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst .................................... 24 1.8 Beschäftigte .............................................................................. 25 1.9 Haushalt ................................................................................... 26 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ...................... 26 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ-Niedersachsen) ............. 28 1.12 Informationsverarbeitung .......................................................... 29 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ...................... 31 1.14 Presseund Öffentlichkeitsarbeit ............................................... 32 1.15 Kontaktdaten ............................................................................ 35 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes .......... 36 2. Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................. 40 2.2 Einführung ................................................................................ 42 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus .......................... 45 2.4 Rechtsextremistische Musikszene ............................................... 60 2.5 Neonazistische Szene .................................................................74 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ..................................... 85 2.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen ......................................... 94 2.8 Alternative für Deutschland (AfD; Verdachtsobjekt) ...................101 2.9 Die Heimat (ehemals Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD) ........................................................ 111 2.10 Die Rechte ...............................................................................125 11 Inhaltsverzeichnis 2.11 Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen ............................................129 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter .................................................138 3. Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................158 3.2 Einführung ...............................................................................159 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus ............................160 3.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ..................................165 3.5 Anarchisten..............................................................................202 4. Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 208 4.2 Islamismus .............................................................................. 209 4.3 Salafismus ............................................................................... 223 4.4 Salafismus in Niedersachsen .....................................................242 4.5 Islamistischer Terrorismus ........................................................ 250 4.6 Muslimbruderschaft (MB) ........................................................ 266 4.7 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) ....................................................................271 4.8 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) .....................................................274 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) .........................................................277 4.10 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus ..................................... 282 5. Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 290 5.2 Einführung .............................................................................. 290 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug ......291 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)................................................ 295 5.5 Ülkücü-Bewegung ................................................................... 309 12 Inhaltsverzeichnis 6. Extremismusprävention 6.1 Extremismusprävention ............................................................320 6.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen ..............................322 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"................323 6.4 Informationsmaterialien ............................................................325 6.5 Veranstaltungen .......................................................................326 6.6 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) ....................................................................................328 6.6.1 Struktur ...................................................................................328 6.6.2 Arbeitsschwerpunkte ...............................................................331 6.6.3 Arbeitsgruppen ........................................................................332 6.6.4 Jahresveranstaltung ................................................................. 334 6.6.5 KIP NI-Internetseite ................................................................. 336 6.7 Aktion Neustart .......................................................................337 6.8 Kontaktdaten ...........................................................................341 7. Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 7.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen .................................... 344 7.2 Proliferation .............................................................................353 7.3 Cyberabwehr .......................................................................... 356 7.4 Hilfe für Betroffene ..................................................................361 8. Geheimschutz 8.1 Geheimschutz ......................................................................... 364 8.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen ......... 365 8.3 Neues Sicherheitsüberprüfungsgesetz ...................................... 367 8.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes .. 367 13 Inhaltsverzeichnis 9. Wirtschaftsschutz 9.1 Einleitung ................................................................................372 9.2 Aufgaben und Arbeitsweise .....................................................374 9.3 Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) .................... 377 9.4 Hannover Messe ......................................................................378 9.5 Best practice meeting ...............................................................378 9.6 Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen .......379 9.7 22. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ....................................381 9.8 Kontaktdaten .......................................................................... 383 10. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 10.1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) - Vorbemerkung .......... 386 10.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts ............................... 387 10.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links ...................................391 10.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie ........................ 394 11. Anhang 11.1 Definition der Arbeitsbegriffe .................................................. 400 11.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz .............................. 411 11.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen .................................... 448 11.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen ..................................453 11.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen .............................453 11.6 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2023 ........................... 454 11.7 Abkürzungsverzeichnis .............................................................457 11.8 Personenund Stichwortverzeichnis ......................................... 464 11.9 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) ................................................472 11.10 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2023 ............473 11.11 Bilderverzeichnis ..................................................................... 480 14 Inhaltsverzeichnis 15 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Republik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Elemente sind insbesondere die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien unter engen Voraussetzungen von der staatlichen Finanzierung ausschließen (Artikel 21 Abs. 3 GG) oder in Gänze verbieten zu können (Artikel 21 Abs. 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2, 1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt, die in SS 4 Abs. 3 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) aufgezählt sind: f das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, f die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, f das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, f die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und f die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 18 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, wenn sie sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße tätig werden und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremismusphänomenen Rechtsund Linksextremismus und dem Islamismus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt, im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung, auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich in ihrer Einstellung zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, leugnen Rechtsextremisten das in Artikel 3 GG verankerte Gleichheitsprinzip. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: f Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasireligiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. f Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein Freund-Feind-Raster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos bekämpfen zu können. f Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. f Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). 19 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbereiche regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert. Die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" erscheint als einziger Ausweg. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Verfassungsschutz ist Ländersache. Als Folge der föderalen Struktur der Bundesrepublik bestehen bundesweit sechzehn sich teilweise in Aufbau und Befugnissen unterscheidende Verfassungsschutzgesetze. Dem Bund wiederum obliegt die ausschließliche Gesetzgebung über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern (vergl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b GG). Diese ist im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz - Bundesverfassungsschutzgesetz" geregelt. Weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz folgen aus dem "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses - Artikel 10-Gesetz - G10", welches die Telekommunikationsund Briefüberwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden bundeseinheitlich regelt. 20 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ergeben sich aus dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz1 (NVerfSchG). Das NVerfSchG gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil bestimmt Zuständigkeiten und Aufgaben, der zweite das Beobachtungsobjekt. Die Beobachtungsbedürftigkeit gehört zu den zentralen Begriffen der bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden. Der dritte Teil, der sich wiederum in vier Kapitel gliedert, regelt die eigentliche Datenverarbeitung. Neben Regelungen zum Minderjährigenund Kernbereichsschutz finden sich dort Regelungen über die Eingriffsbefugnisse (siehe Kapitel 1.5), die Auskunftsersuchen sowie über die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Behörden. Der vierte Teil des NVerfSchG regelt die parlamentarische Kontrolle, der fünfte enthält die sogenannten Schlussvorschriften. Ausgelöst durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.2022, Az. 1 BvR 1619/17 und vom 28.09.2022, Az. 1 BvR 2354/13, befindet sich das NVerfSchG derzeit in der Novellierung. Dabei sind vor allem die Vorschriften für Datenübermittlungen an andere Behörden, insbesondere die Polizei, zu überarbeiten. Darüber hinaus ergeben sich aus der Praxis weitere Änderungsbedarfe, die eingebracht werden sollen, um die Kompetenzen den Erfordernissen weiter anzugleichen. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung 1 Siehe Kapitel 11.2. 21 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. Ebenso gehören gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten (siehe Kapitel 1.10) zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. 1.4 Organisation Verfassungsschutzbehörde ist das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält hierzu eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die ausschließlich die der Verfassungsschutzbehörde obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch die Verfassungsschutzpräsidentin oder den Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 1.5 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich auch jeder Bürgerin und jedem Bürger zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - die im 22 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Gesetz abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt und besondere Auskunftsverlangen zur Informationsbeschaffung durchgeführt werden. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die Durchführung der Auskunftsverlangen sind in den SSSS 14 bis 19 sowie 20 und 21 NVerfSchG geregelt. Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ausdrücklich keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Satz 1 NVerfSchG). Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen, Observationen und Vertrauenspersonen (VP) eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in das Grundrecht des Artikels 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) geregelt sind. 2 Übrigens: Die Anzahl der G 10-Maßnahmen lag im Berichtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.6 Kontrolle Die Tätigkeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unterliegt vielfältigen Kontrollen. Dazu gehören interne durch den behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen. 2 Siehe hierzu auch das folgende Kapitel 1.6. 23 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Einzelmaßnahmen wie Personenspeicherungen sind gerichtlich überprüfbar. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 34 NVerfSchG verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (AfAV) des Niedersächsischen Landtages umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zu unterrichten. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die sogenannte G 10-Kommission 3 (SS 3 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Im Rahmen der Novellierung des NVerfSchG im Jahr 2016 wurden weitere Zuständigkeiten der Kommission geschaffen. Sie entscheidet als weisungsunabhängige Stelle auch über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz eingesetzten eingriffsintensiven nachrichtendienstlichen Mittel, z. B. längerfristige Observationen oder verdeckt angefertigte Bildaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen (SS 14 Abs. 1 i.V.m. SS 21 Abs. 3 NVerfSchG). Diese Kontrollfunktion ist mit dem Richtervorbehalt des Niedersächsischen Polizeiund Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) bzw. der Strafprozessordnung (StPO) vergleichbar. 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verstehen sich als Nachrichtendienste. Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch 3 Die G10-Kommission besteht aus einer oder einem Vorsitzenden (mit Befähigung zum Richteramt) und zwei Beisitzenden, von denen einer auch die Befähigung zum Richteramt haben muss. Die Mitglieder werden vom Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zu Beginn der Wahlperiode bestellt. 24 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegnerinnen und Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 1.8 Beschäftigte Der vom Niedersächsischen Landtag verabschiedete Haushaltsplan für den Einzelplan 03 (Ministerium für Inneres und Sport) bestimmt durch die Ausweisung von Planstellen im Stellenplan und Beschäftigungsvolumen sowie durch die Festlegung von Rahmenbedingungen für die Personal-Gesamtkosten (Personalkostenbudget), in welchem Umfang der Niedersächsische Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Für das Haushaltsjahr 2023 sind im Stellenplan des Niedersächsischen Verfassungsschutzes 290 Planstellen für Beamtinnen und Beamte ausgewiesen (2022: 290). Darüber hinaus ermöglicht das Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2023 die Finanzierung von 60 Beschäftigungsmöglichkeiten für Tarifpersonal (2022: 60). Entwicklung der Beschäftigten zum Beginn des Haushaltsjahres Stellen VZE 400 300 280 260 240 268,24 280,68 332,99 269,22 314,32 314,32 280,13 334,13 317,46 220 286 286 298 298 350 350 351 351 351 200 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 25 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Das Beschäftigungsvolumen umfasst demgegenüber die Summe der vollbeschäftigten und der auf Vollzeit umgerechneten teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird im Haushaltsplan als Vollzeiteinheiten (VZE) ausgedrückt. Es umfasst im Haushaltsjahr 2023 insgesamt 314,32 Vollzeiteinheiten (VZE) (2022: 314,32 VZE). 1.9 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2023 für Personalausgaben 20.205.000 Euro (2022: 19.735.000 Euro) und für Sachausgaben 6.472.000 Euro (2022: 6.641.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 26.677.000 Euro (2022: 26.376.000 Euro). 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Hinter dem erklärungsbedürftigen Begriff der "Mitwirkungsaufgaben" verbirgt sich eine Funktion des Verfassungsschutzes, die erst in jüngerer Zeit nach und nach in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, nämlich die Regelanfragen bei der zuständigen Verfassungsschutzbehörde, die z. B. im Rahmen von Anträgen auf Einbürgerung oder bei der Erteilung von waffenrechtlichen Erlaubnissen gesetzlich vorgeschrieben sind. Auch Personen, die in bestimmten Funktionen im Bewachergewerbe arbeiten wollen oder auf einem Flughafen in sensiblen Bereichen eingesetzt werden, müssen sich vor der Aufnahme einer derartigen Tätigkeit einer entsprechenden Überprüfung unterziehen. Die gesetzlichen Regelungen finden sich in den jeweiligen Fachgesetzen und werden jeweils zusammen mit den SSSS 3 Abs. 4 und 32 NVerfSchG wie folgt angewendet: Die für die Erteilung des begehrten Verwaltungsaktes zuständige Behörde (z. B. Jagdbehörde, Einbürgerungsbehörde) fragt beim Verfassungsschutz an, ob dort zur Person des Antragstellers Erkenntnisse vorliegen. Je nach Aktenlage werden die dort vorliegende Erkenntnisse an die anfragende Behörde übermittelt. Diese 26 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Erkenntnisse finden dann Eingang in die abschließende Entscheidung der jeweiligen Behörde, z. B. über die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Der Niedersächsische Verfassungsschutz liefert insofern zwar Erkenntnisse zu, entscheidet aber nicht selbst. Trotz der steigenden Anfragezahl, die mit 222.663 Anfragen noch einmal um ungefähr zehn Prozent über der Zahl des vergangenen Jahres (2022: 205.580 Anfragen) liegt, beträgt die Zahl der Personen, zu denen Erkenntnisse beim Verfassungsschutz vorliegen, lediglich 743. Sie ist im Vergleich zum Vorjahr nicht nur nominell, sondern auch im Verhältnis zur Anzahl der Gesamtanfragen gesunken. Damit werden lediglich in 0,33 Prozent der Fälle überhaupt Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu den angefragten Personen mitgeteilt. Zwar ist das Waffenund Jagdrecht mit 90.212 Anfragen (2022: 81.736 Anfragen) noch immer der am meisten nachgefragte Bereich, doch haben die Aufenthaltsanfragen sich mit 75.318 Anfragen wieder auf dem vergleichsweise hohen Niveau aus Zeiten vor der Pandemie eingependelt (2021: 56.752; 2022: 71.371 Anfragen). Signifikant ist der Anstieg allerdings im Staatsangehörigkeitsrecht, denn hier ist die Zahl von 16.585 Anfragen im Jahr 2022 auf 24.857 Anfragen angestiegen. Entwicklung der Mitwirkungsaufgaben 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 196.384 205.580 222.663 165.695 82.429 99.865 85.419 46.173 61.412 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 27 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Es wird davon ausgegangen, dass sich dieser Trend verfestigt, da im Rahmen der Regeleinbürgerung im maßgeblichen Zeitraum ein rechtmäßiger Aufenthalt von acht Jahren im Bundesgebiet Voraussetzung war, sodass die nunmehr gestiegene Zahl der Einbürgerungen statistisch mit den gestiegenen Einwanderungszahlen aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien einhergehen, die in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland ihren Höhepunkt erreichten. Hinzu kommt, dass das Anfang des Jahres 2024 beschlossene Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes die Voraussetzungen, die Einbürgerungsbewerberinnen und Einbürgerungsbewerber erfüllen müssen, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, gesenkt hat, sodass eine Einbürgerung bereits nach fünf Jahren möglich ist. Weitere anfragenstarke Aufgabengebiete sind folgende: f Zuverlässigkeitsüberprüfungen in VISA-Verfahren (9.181 Anfragen) f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach Atomgesetz (6.878 Anfragen) f Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Bewachungspersonal (5.145 Anfragen) 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ-Niedersachsen) Das "Gemeinsame Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZ-Niedersachsen), ist bereits seit 2005 ein fester Bestandteil innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes. Das GIAZ gewährleistet einen kontinuierlichen, konstruktiven und schnellen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz in einem festgelegten Rahmen. Angelehnt an die Arbeit der gemeinsamen Zentren auf Bundesebene finden auch in Niedersachsen, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, sowohl 28 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen wöchentliche als auch anlassbezogenen Lagebesprechungen statt. Diese Form des Austausches optimiert die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismusund Terrorismusbekämpfung und stellt somit eine entscheidende Voraussetzung für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus dar. Zu den Aufgaben des GIAZ-Niedersachsen gehören die Zusammenführung und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationen aus den Themenfeldern: f Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug, f Rechtsextremismus und demokratiefeindliche/sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates/PMK - nicht zuzuordnen (NZ), f Linksextremismus sowie f aktuelle, anlassbezogene Schwerpunkte. Basierend auf der langjährigen Zusammenarbeit im GIAZ hat sich daneben auch der direkte Austausch auf Ebene der Sachbearbeitung etabliert. 1.12 Informationsverarbeitung Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist - wie auch die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und Dienstvorschriften regeln detailliert die Datenverarbeitungsbefugnisse. Deren Beachtung unterliegt der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen und dem bzw. der in der Verfassungsschutzbehörde bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete gemeinsame Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse 29 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. NADIS ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie i. d. R. auf elek tronischem Wege bei dieser an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten beziehen sich nicht nur auf Personen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Darin werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung (SÜ) mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Entwicklung der NADIS-Speicherungen SÜ und Mitwirkung Phänomenbezogen 130.000 120.000 110.000 100.000 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 5.489 4.942 5.228 3.359 5.595 4.561 5.792 3.771 5.138 128.780 128.478 118.326 80.688 69.460 73.226 75.250 74.341 71.530 20.000 10.000 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 30 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als konkrete Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2023 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): f im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwirkungsaufgaben 128.780 (118.326), f im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 3.359 (3.771). 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten; seit der Gesetzesänderung vom 07.07.2021 (Nds. GVBl. S. 483) bedarf es hierzu jedoch der Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines besonderen Interesses an der Auskunft (SS 30 NVerfSchG). Im Jahr 2023 wurden 47 Auskunftsersuchen (2022: 81) beantwortet. In 13 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. In einem Fall wurde der einer Erfassung zugrundeliegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In neun Fällen wurde den Auskunftsersuchenden der ihrer Erfassung zugrundeliegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen Entwicklung der Auskunftsersuchen 500 400 300 200 100 47 450 294 283 195 210 319 133 81 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 31 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen gemäß SS 30 Abs. 3 NVerfSchG an den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen verwiesen. 24 Auskunftsersuchen haben auch nach wiederholter Aufforderung zur Nachlieferung die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt. Eine nur eingeschränkte Auskunft bzw. die Ablehnung einer Auskunftserteilung erfolgt aufgrund der Ablehnungsgründe aus SS 30 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 4 NVerfSchG. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Offenlegung von Informationen Rückschlüsse auf die Identität von Vertrauenspersonen zur Folge haben würde. Auch Erkenntnisse, die der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde von einer anderen Verfassungsschutzbehörde übermittelt werden, dürfen nur mitgeteilt werden, wenn die übermittelnde Behörde zustimmt (SS 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 NVerfSchG i.V.m. SS 6 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG). Jede einzelne Erkenntnis zur Person der Antragstellerin bzw. des Antragstellers wird einer Prüfung unterzogen, sodass in einigen Fällen auch eine eingeschränkte Auskunft erteilt wird, da Ablehnungsgründe auch gegen die Mitteilung nur einzelner Erkenntnisse sprechen können. 1.14 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Die freiheitliche Verfassung zu schützen, bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, sodass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Dies ist eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe. Gemäß SS 3 Abs. 3 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährlich erscheinende Niedersächsische Verfassungsschutzbericht (SS 33 Abs. 2 NVerfSchG). Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfassungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. 32 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Neben dem Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht werden die Informationen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes herausgegeben. Diese als PDF-Dokument zweimonatlich versendete Broschüre richtet sich insbesondere an Polizei-, Justizund kommunale Ordnungsbehörden, aber auch an Mitglieder von Gremien des Niedersächsischen Landtages und Nachrichtendienste. Die Broschüre informiert über aktuelle Themen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit und der Prävention werden in den Organisationsbereichen Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie dem fachübergreifend arbeitenden Bereich der Prävention (siehe Kapitel 6 dieses Berichts) des Niedersächsischen Verfassungsschutzes koordiniert. Beide Bereiche arbeiten eng zusammen und bieten der Öffentlichkeit u. a. Informationen über f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Extremismus mit Auslandsbezug, f Islamismus und f Präventionsmaßnahmen. Der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit ist Ansprechpartner für Medienvertreterinnen und -vertreter und Bürgerinnen und Bürger in allen Fragen zum Extremismus. Die Presseund Bürgeranfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Darin wird häufig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. Neben den Anfragen von Medien sowie Bürgerinnen und Bürgern wird Unterstützung erbeten von z. B. Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die für ihre Arbeiten auf Informationen oder Dokumente des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zurückgreifen möchten. Häufig werden auch Hinweise auf extremistische Flyer, Plakate oder Internetveröffentlichungen aufgenommen und an die entsprechenden Fachbereiche weitergeleitet. Neben einer Weiterleitung an den jeweiligen Extremismusfachbereich bzw. die Polizei kommt eine Beratung mit dem Fachbereich Prävention in Betracht 33 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen bzw. die Einschaltung einer zivilgesellschaftlichen Organisation oder einer Sozialbehörde. Sowohl bei den Medienkontakten als auch bei allen anderen Anfragen dominierte 2023 erneut der Komplex "Rechtsextremismus". Mit Abstand folgen Themen des Islamismus, des Linksextremismus und Fragen zur Organisation, den gesetzlichen Grundlagen, den Befugnissen oder der Verfahrensweise des Verfassungsschutzes. Der Schwerpunkt der Themensetzung wird maßgeblich durch den jeweils aktuellen öffentlichen Diskurs mitbestimmt. Die fortschreitende Digitalisierung macht sich nicht nur in vielen Aspekten des alltäglichen Lebens bemerkbar, sondern beeinflusst die Wahl der genutzten Medien und die damit einhergehende Informationsaufnahme. Extremistische Inhalte und Propaganda können so ungefiltert die Meinungsbildungsprozesse beeinflussen und Desinformationen verbreiten sich viel schneller. Das Risiko, Desinformationen zu rezipieren und zu verbreiten, betrifft Jung und Alt. Neben Lebenserfahrung spielt Medienkompetenz eine wichtige Rolle bei der Informationsaufnahme im Internet und damit für den Meinungsbildungsprozess. Daher ist es wichtig, Nutzerinnen und Nutzer auch online über Gefahren von extremistischen Inhalten aufzuklären und sie für diese zu sensibilisieren. Social Media als Teil der Öffentlichkeitsarbeit Soziale Medien gehören zum Alltag der Menschen. Deshalb ist auch der Niedersächsische Verfassungsschutz in den sozialen Netzwerken präsent. Dies wird aus der Verpflichtung nach SS 3 Abs. 3 NVerfSchG, die Bürgerinnen und Bürger über extremistische Entwicklungen aufzuklären und zu informieren, abgeleitet. Seit Herbst 2019 nutzt der Niedersächsische Verfassungsschutz offizielle Behörden-Accounts zur Presseund Öffentlichkeitsarbeit. Den Anfang machten die Social Media-Plattformen Facebook und Twitter ( jetzt X). Die Social Media-Accounts sollen die eigene Präventionsund Aufklärungsarbeit einer breiteren und jüngeren Zielgruppe zugänglich machen. Gleichzeitig soll so der direkte und offene Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern gefördert und der Niedersächsische Verfassungsschutz als direkter Ansprechpartner im Social Web zur Verfügung stehen. 34 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Zuletzt startete Ende 2020 der behördliche Instagram-Account. Design, Benennung und inhaltliche Ausrichtung sollen dort den Verfassungsschutz als direkten Ansprechpartner für alle Fragen rund um Extremismus sichtbarer machen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten in Social Media steht das Ziel, die Bürgerinnen und Bürger mit transparenter Kommunikation über extremistische Inhalte und Propaganda aufzuklären und ihre Sinne diesbezüglich zu schärfen. Daneben werden Veranstaltungen des Verfassungsschutzes begleitet und präsentiert sowie Stellenausschreibungen beworben. Die bisher veröffentlichten Social Media-Beiträge orientieren sich an den Inhalten des jeweils aktuellen Verfassungsschutzberichts oder beziehen sich auf das politische Tagesgeschehen. Zudem nutzt der Niedersächsische Verfassungsschutz Social Media, um sich mit Text-, Bildund Videoformaten stärker in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Social Media lebt vom Dialog und vom Diskurs. Wir möchten daher dazu motivieren, die Accounts des Niedersächsischen Verfassungsschutzes durch Fragen und einen regen Austausch mitzugestalten. Die Social Media-Profile erreichen Sie unter: Facebook: https://www.facebook.com/Verfassungsschutz. Niedersachsen Instagram: https://www.instagram.com/verfassungsschutz.nds/ X (ehemals Twitter): https://x.com/LfV_NI 1.15 Kontaktdaten Für Fragen steht der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit beim Niedersächsischen Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-217 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de 35 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Niedersächsische Ver fassungsschutz informiert zudem umfassend unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service/Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre sowie Broschüren und Flyer des Niedersächsischen Verfassungsschutzes veröffentlicht. 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte einen Verdacht oder eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrundeliegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 36 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 37 02 Rechtsextremismus Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial4 Den strukturellen Veränderungen im organisierten Rechtsextremismus haben die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern mit einem neuen Kategoriensystem Rechnung getragen. Insbesondere die Grenzen zwischen der subkulturellen und der neonazistischen Szene haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr aufgelöst. Der Neonazismus ist zunehmend strukturloser geworden und vermischt sich zusehends mit dem subkulturellen Bereich. Ideologische und organisatorische Unterschiede sind immer schwerer auszumachen. Seit dem Jahr 2017 erfolgt deshalb die Kategorisierung nach Parteien, nach parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und als weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Rechtsextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland5 2022 In Parteien 15.500 f "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 3.000 f "Die Rechte" 450 f "Der III. Weg" 700 f "Alternative für Deutschland" (AfD; Verdachtsfall) 6 10.200 f Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien7 1.150 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen 8 8.500 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 9 16.000 4 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 5 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland lagen für das Berichtsjahr bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 6 Hierunter werden auch die Mitglieder der der AfD (Verdachtsfall) zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA) gezählt; die geschätzte Zahl der Doppelmitgliedschaften ist dabei berücksichtigt. 7 Unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden unter anderem die Mitglieder der "Freien Sachsen" und der "Neuen Stärke Partei" (NSP) gezählt. 8 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der Beobachtungsobjekte "COMPACT-Magazin GmbH", "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD), "PI-NEWS", "Institut für Staatspolitik" (IfS; Verdachtsfall), "Antaios-Verlag" (Verdachtsfall) und "Ein Prozent e. V." (Verdachtsfall) sowie der Teil von insgesamt 1.250 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gezählt, der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen zuzurechnen ist. 9 Hierzu zählt im Berichtsjahr der Teil von insgesamt 1.250 rechtsextremistischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern", der keiner festen Struktur zuzurechnen ist. 40 Rechtsextremismus Summe 40.000 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 10 38.800 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten 11 14.000 2022 2023 Rechtsextremismus-Potenzial Niedersachsen In Parteien 755 810 f "Die Heimat" (bis 03.06.2023 als "Nationaldemokratische Partei 200 180 Deutschlands", NPD) f "Die Rechte" 30 20 f "Der III. Weg" 10 10 f "Alternative für Deutschland" (AfD; Verdachtsobjekt)12 0 600 f Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien13 515 0 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen14 320 300 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial15 590 610 Summe 1.665 1.720 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.610 1.690 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten16 880 880 10 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 11 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 12 Hierunter werden auch die Mitglieder der der AfD (Verdachtsobjekt) zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA) gezählt; die geschätzte Zahl der Doppelmitgliedschaften ist dabei berücksichtigt. 13 In den Berichtsjahren 2018 bis 2022 wurden unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien die Mitglieder der der AfD (Verdachtsobjekt) zugehörigen Teilorganisationen "Junge Alternative" (JA) und "Der Flügel" gezählt. 14 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) gezählt. 15 Die derzeit 40 rechtsextremistischen "Reichsbürger und Selbstverwalter" finden sich in den Kategorien 2 und 3. 16 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und Mitglieder der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) enthalten. 41 Rechtsextremismus 2.2 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Die Begriffe sind nicht als Prüfliste zu verstehen, bei deren vollständigem Erfüllen erst von rechtsextremistischer Einstellung gesprochen wird. Vielmehr lässt eine zustimmende Haltung zu den einzelnen Begriffen Ansätze eines rechtsextremistischen Weltbildes erkennen. Zu nennen sind im Einzelnen: f Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, f Antisemitismus, f Rassismus, f Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, f Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), f Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), f Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), f Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), f Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), f Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, f Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), f Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus (Geschichtsrevisionismus), f Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien (Ethnopluralismus), f Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit. Im Folgenden stellen wir einige Ideologieelemente ausführlicher dar: 42 Rechtsextremismus Fremdenfeindlichkeit Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Antisemitismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". Neonazismus Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften. 43 Rechtsextremismus Innerhalb der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der Partei übernommen haben. Faschismus Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. Geschichtsrevisionismus Der Begriff Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der historischen Identitätsstiftung. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit Insgesamt ist ein tradiertes, rückwärtsgewandtes Frauenbild im Rechtsextremismus vorherrschend, aus dem sich ein entschiedener Antifeminismus ableitet. Das Frauenbild bzw. die Geschlechterrollen werden dabei in erster Linie durch männliche Akteure definiert. Eine explizite Frauenfeindlichkeit zeigt sich i. d. R. dort, wo Frauen den ihnen zubzw. vorgeschriebenen Tugenden und Verhaltensweisen nicht entsprechen. 44 Rechtsextremismus Die im Rechtsextremismus vertretenen Ideologien stehen in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zur Selbstbestimmung von Frauen. Dadurch ergibt sich in weiten Teilen ein Widerspruch zu den gesellschaftlichen Realitäten. Werden Rechtsextremisten mit diesem Widerspruch konfrontiert, führt dies zwangsläufig zu antifeministischen und frauenfeindlichen Reflexen. Antifeministische Einstellungen sind allen rechtsextremistischen Ausprägungen zu einem gewissen Grad inhärent. Dies basiert im Wesentlichen auf der grundlegenden Ablehnung gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse. Sichtbare Emanzipation und die sichtbare Präsenz von Frauen im öffentlichen und politischen Diskurs werden daher von Rechtsextremisten als Gegenentwurf zum Verständnis von Geschlechterrollen empfunden. Gleichwohl bildet Antifeminismus kein zentrales Ideologieelement rechtsextremistischer Weltanschauung. Vielmehr ist diese Einstellung eine Folge des Widerspruchs, in dem die eigene Utopie mit der realen gesellschaftlichen Entwicklung steht. Eine Erscheinungsform des Antifeminismus ist das Phänomen der "Incels"17, die ein Männlichkeitsbild repräsentieren, das unfreiwillig einer sozial und sexuell enthaltsamen Lebensweise unterworfen ist. Die eigenen Positionen zeigen sich in fremdenfeindlichen Überzeugungen und Selbstmitleid bis hin zu der Bekräftigung und Anwendung von Gewalt gegen Frauen. 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus Die Entwicklung des Rechtsextremismus in Niedersachsen stand auch 2023 unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und den damit verbundenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen. Steigende Inflation, kritische Energiesicherheit und die Herausforderungen bei der Versorgung und Unterbringung von vertriebenen und geflüchteten Menschen haben die politische 17 Der Begriff "Incel" entstammt einer Verkürzung der englischen Begriffe "involuntary celibate", die in etwa mit "unfreiwillig zölibatär" zu übersetzen sind. Hierbei handelt es sich nicht um ein ausschließlich rechtsextremistisches Phänomen. 45 Rechtsextremismus Debatte wesentlich beeinflusst. Hiervon profitierten besonders neurechte Kampagnen, Strömungen und Organisationen wie die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Im traditionellen Rechtsextremismus wirkten die Krisen und ihre Auswirkungen als Katalysator in Bezug auf die bereits in den Jahren zuvor beschriebenen Trends: Marginalisierung der neonazistisch geprägten Parteien "Die Rechte" und "Die Heimat" (vormals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands", NPD) sowie wachsende Heterogenität der neonazistischen Szene und Stagnation der Konzertaktivitäten auf niedrigem Niveau. Als Reaktion auf den nicht nur in Niedersachsen, sondern auch bundesweit festzustellenden Bedeutungsverlust der NPD hat die Partei im Juni 2023 weitreichende Reformen beschlossen, mit dem Versuch eines Neubeginns durch die Umbenennung in "Die Heimat". Etwa drei Viertel der Delegierten des Bundesparteitages in Riesa (Sachsen) stimmten für eine "neue Standortbestimmung" und eine "neue strategische Funktion" und damit für den neuen Namen. Der Parteivorsitzende Frank Franz hatte den Strategiewechsel bereits seit längerer Zeit vehement vertreten und kündigte an, "Die Heimat" solle künftig eine Sammlungsbewegung im Geiste der Parteigründer werden. Als Jugendorganisation bleiben ihr die "Jungen Nationalisten" (JN), für die nach eigenen Aussagen "derzeit keine Namensanpassung" geplant sei, erhalten. In Niedersachsen gehören der Partei "Die Heimat" nach kontinuierlichen Verlusten mittlerweile nur mehr 180 Mitglieder an, zu Hochzeiten im Jahr 2007 waren es noch 680. Aus dem Mitgliederverlust resultieren organisatorische und strukturelle Probleme. Eine Ausnahme bildet der im Parteibesitz befindliche "HeimatHof", wie die Immobilie von den Mitgliedern genannt wird, in Eschede (Landkreis Celle).18 Das Objekt kann als Ankerpunkt der Partei und insbesondere der JN für ihre politische Arbeit in Niedersachsen gesehen werden, auch wenn die Partei selbst in den meisten Landesteilen faktisch nicht mehr präsent oder wahrnehmbar ist. Auffällig sind allenfalls die Aktivitäten der JN, die derzeit mit drei Stützpunkten in Niedersachsen vertreten sind und den "HeimatHof" für ihre Veranstaltungen nutzen. Ob sich vor diesem Hintergrund 18 Siehe hierzu Kapitel 2.9 "Die Heimat (vormals Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD". 46 Rechtsextremismus ein Gemeinschaftsoder Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung in Eschede entwickelt, wie die Partei nach dem Kauf der Immobilie verkündet hatte, lässt sich nach aktuellem Erkenntnisstand nicht einschätzen. Die Sicherheitsbehörden werden das Geschehen in Eschede im engen Kontakt mit den örtlichen Behörden weiterhin aufmerksam verfolgen und analysieren. Aktivitäten der Partei "Die Rechte" in Niedersachsen sind seit der Auflösung ihres letzten aktiven Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim kaum noch wahrzunehmen. Der Mitgliederschwund der vergangenen Jahre konnte weder aufgehalten noch kompensiert werden. Nach weiteren Austritten kommt die Partei aktuell auf nur 25 Mitglieder in Niedersachsen. Bundesweit sind ihre Strukturen erodiert. Die Partei ist kaum noch kampagnenfähig, und das Aktivitätsniveau geht deutlich zurück. Insbesondere die Auflösungen des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen sowie der Kreisverbände Dortmund und Rhein-Erft haben die Partei "Die Rechte" in personeller wie auch in organisatorischer Hinsicht geschwächt. Die ehemaligen Mitglieder wechselten im Januar 2023 zum damaligen NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und beteiligten sich seitdem an dem Versuch einer Neuausrichtung unter dem Namen "Die Heimat". Sowohl die Partei "Die Rechte" als auch die Partei "Die Heimat" und die in Niedersachsen nur mit Einzelpersonen vertretene Partei "Der III. Weg" suchen die Kooperation mit Angehörigen der neonazistischen Szene. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für solche aktionistischen Allianzen, die häufig aus der Not heraus geboren sind. Alle Beteiligten versuchen auf diese Weise, ihrer Mitgliederund Mobilisierungsschwäche entgegenzuwirken. Auch die neonazistische Szene, die noch vor einigen Jahren mit Kameradschaften in fast allen Regionen Niedersachsens präsent war, hat Anhängerpotenzial verloren und ist im Zuge dessen immer heterogener geworden. Die verbliebenen Szeneangehörigen müssen über größere räumliche Distanzen Kontakte pflegen, um die Szeneaktivitäten überhaupt aufrechtzuerhalten. Die Nachwuchsgewinnung leidet unter der lückenhaften Präsenz in der Fläche. Eine Ausnahme bildet lediglich das südöstliche Niedersachsen, wo eine intensive Vernetzung zu beobachten ist. Die Übergänge zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind teilweise fließend. Eigenständige Strukturen und Aktionen der 47 Rechtsextremismus neonazistischen Szene in Niedersachsen waren im Jahr 2023 kaum zu verzeichnen. Beachtung fand dagegen die Bekanntgabe der Auflösung zahlreicher Gruppierungen als Reaktion auf die von der Bundesministerin des Innern und für Heimat im September 2023 ausgesprochenen Verbote der "Hammerskins Deutschland" und der "Artgemeinschaft" (siehe entsprechende Abschnitte weiter unten). Beide Vereinsverbote und die damit einhergegangenen Durchsuchungsmaßnahmen haben unmittelbar innerhalb der rechtsextremistischen Szene zahlreiche Selbstauflösungen nach sich gezogen.19 Für Niedersachsen ist festzuhalten, dass sich der in traditionellen Strukturen organisierte Neonazismus weiter im Niedergang befindet. Die in den letzten Jahren feststellbaren Bemühungen der handelnden Akteure, die Proteste im Rahmen der Pandemie, des UkraineKrieges oder anlässlich steigender Inflation und Energiepreise für sich zu nutzen, konnten diesen Trend nicht stoppen. Dennoch hat sich bei den Protesten wie auch in deren virtuellem Umfeld eine Mischszene aus Personen unterschiedlicher extremistischer Strömungen gezeigt: von traditionellen Rechtsextremisten über Vertreter der "Neuen Rechten" und Anhänger der Reichsbürgerszene bis hin zu sogenannten Staatsdelegitimierern, also Personen aus dem Spektrum der "Corona-Leugner" und "Querdenker", die dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zugeordnet werden. Wenngleich die Anzahl der Demonstrationen deutlich zurückgegangen ist, sind weiterhin Bemühungen festzustellen, die Präsenz auf der Straße zu erhalten und somit das Protestgeschehen zu verstetigen. Die Corona-Pandemie ist in den Hintergrund getreten und wird von neuen Themenfeldern überlagert. Insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die Aufnahme und Unterbringung von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern, aber auch der ab Oktober 2023 erneut gewaltsam ausgetragene Israel-Palästina-Konflikt werden von den extremistischen Teilen der Protestszene genutzt, um staatliche Strukturen und staatliches Handeln zu delegitimieren und so die eigene verfassungsfeindliche Agenda zu verbreiten. In Niedersachsen hat sich insgesamt ein deutlicher Rückgang der Proteste und des allenfalls noch regionalen Mobilisierungspotenzials 19 Siehe hierzu Kapitel 2.5. 48 Rechtsextremismus gezeigt. Den Organisatoren gelingt es kaum noch, neue Personen anzusprechen und zur Teilnahme an den Protesten zu bewegen. Rechtsextremistische Organisationen und Akteure positionieren sich i. d. R. zu allen aktuellen und relevanten gesellschaftspolitischen Ereignissen und Diskussionen. Auf diese Weise versuchen sie, ihre Ideologie und Propaganda in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen. Zum IsraelPalästina-Konflikt lässt sich im rechtsextremistischen Spektrum jedoch keine einheitliche Positionierung erkennen. Beide Konfliktparteien bedienen traditionelle Feindbilder des Rechtsextremismus, sodass im rechtsextremistischen Diskurs weder eine aktive Unterstützung Israels noch eine Empathie mit den Opfern des Terrorangriffs gezeigt wird. Dennoch gestalten sich die Positionierungen unterschiedlich. Innerhalb der "Neuen Rechten" dominiert die Auffassung, Deutschland gehe dieser Konflikt nichts an und man solle sich daher in Gänze heraushalten und nicht Partei ergreifen. In erster Linie gelte es, im Interesse Deutschlands neue Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern. Der traditionelle Rechtsextremismus ist wiederum stark antisemitisch und israelfeindlich geprägt. Vereinzelt gab es, etwa von der Partei "Die Rechte", Soldarisierungsbekundungen mit den Palästinensern und der Terrororganisation HAMAS. Zugleich werden die propalästinischen Proteste in Deutschland und in anderen europäischen Staaten genutzt, um insbesondere Muslime pauschal abzuwerten und ihnen eine grundsätzliche gesellschaftliche Unvereinbarkeit zu attestieren. Anhand der Bilder großer propalästinensischer Versammlungen verbreiten rechtsextremistische Akteure vor allem im virtuellen Raum die Verschwörungstheorie vom "Großen Austausch" bzw. "Volksaustausch" und suggerieren einen Kontrollverlust des Staates. Der Nahost-Konflikt, der Ukraine-Krieg und dessen Folgen, die steigenden Asylbewerberund Flüchtlingszahlen sowie die in Teilen der Bevölkerung existierende Politikverdrossenheit und Distanz zur Demokratie, wie sie in repräsentativen Studien von verschiedenen Forschungsund Umfrageinstituten über das ganze Jahr 2023 hinweg festgestellt wurden, 20 eröffnen insbesondere der AfD ein großes Wählerpotenzial. Das hat sich nicht nur in Wahlumfragen niedergeschlagen, sondern 20 Vgl. u.a. infratest dimap "ARD-DeutschlandTREND" (Januar bis Dezember 2023); siehe auch Andreas Zick/Beate Küpper/Nico Mokros (Hrsg.), "Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23", hrsg. von der Friedrich-EbertStiftung, Bonn 2023; Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung, "Einstellungen und Sorgen der jungen Generation Deutschlands 2023", Gütersloh 2023. 49 Rechtsextremismus im Jahresverlauf zu ganz realen Wahlerfolgen bei Kommunalund Landtagswahlen in Ostwie in Westdeutschland verholfen. Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) seit Februar 2021 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, ebenso von den Verfassungsschutzbehörden mehrerer Bundesländer. Auch der niedersächsische Landesverband der AfD wird seit Mai 2022 aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG rechtfertigen, als Verdachtsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes gemäß SS 7 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG beobachtet. In Sachsen und SachsenAnhalt wurden im Jahr 2023 beide Landesverbände der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. 21 Damit wird die AfD - nach der entsprechenden Einstufung des thüringischen Landesverbandes im Jahr 2021 - von den Verfassungsschutzbehörden in drei Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch bewertet und damit als eine erwiesenermaßen verfassungsfeindliche Bestrebung bearbeitet. Trotz der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sind im Jahr 2023 die Umfragewerte für die AfD sowohl auf Bundesebene als auch in einzelnen Bundesländern, darunter in Niedersachsen, kontinuierlich gestiegen und haben sich teilweise verstetigt. 22 In Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo im September 2024 Landtagswahlen stattfinden, lag die AfD nach Umfragen im Dezember 2023 jeweils auf dem ersten Platz. Sie erreicht dort Zustimmungswerte von mehr als 30 Prozent, in Sachsen und Thüringen sogar von gut 37 Prozent. Wahlumfragen zur Europawahl am 09.06.2024 sehen die AfD bei etwa 23 Prozent hinter der CDU/CSU mit 26 Prozent und vor der SPD mit 19 Prozent. 23 Auch in verschiedenen Umfragen zur Bundestagswahl kommt die AfD mit Werten zwischen 18 und 23 Prozent auf den zweiten Platz hinter der CDU/CSU mit Werten zwischen 21 Vgl. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen, Pressemitteilung "Sächsischer AfD-Landesverband als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft" vom 08.12.2023. 22 Vgl. verschiedene Wahlumfragen unterschiedlicher Institute auf der Internetseite "Wahlen, Wahlrechte und Wahlsystem" (wahlrecht.de) und auf der Internetseite "DAWUM - Darstellung und Auswertung von Wahlumfragen" (dawum.de). 23 Vgl. u. a. auf der Internetseite "dawum.de" die Wahlumfrage des Umfrageinstituts INSA vom 31.07.2023 zur Europawahl 2024. 50 Rechtsextremismus 30 und 34 Prozent, während die Regierungsparteien nur zusammen ähnliche Prozentzahlen erreichen. 24 Dass es der AfD gelingen kann, ihre guten Umfragewerte in tatsächliche Wahlergebnisse umzuwandeln, hat im Jahr 2023 zuerst die Landratswahl im thüringischen Landkreis Sonneberg gezeigt. Der AfD-Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann konnte sich dort in einer Stichwahl am 25.06.2023 mit 52,8 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 59,6 Prozent durchsetzen. Eine Woche später wurde in Sachsen-Anhalt der AfD-Landtagsabgeordnete Hannes Loth in einer Stichwahl mit 52,8 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 61,5 Prozent zum Bürgermeister der Gemeinde Raguhn-Jeßnitz (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gewählt. In der sächsischen Kreisstadt Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) gewann am 17.12.2023 der parteilose, aber von der AfD unterstützte Kandidat Tim Lochner den zweiten und entscheidenden Wahlgang für das Amt des Oberbürgermeisters mit 38,5 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 53,8 Prozent. Zuvor hatten am 08.10.2023 Landtagswahlen in Bayern und Hessen stattgefunden, wo die AfD jeweils ihr bislang bestes Resultat erzielte. In Bayern wurde sie bei einer Wahlbeteiligung von 73,3 Prozent drittstärkste Kraft hinter der CSU und den Freien Wählern. In Hessen erreichte sie bei einer Wahlbeteiligung von 66,0 Prozent sogar den zweiten Platz hinter der CDU. Im Vergleich zu den letzten Wahlen konnte die AfD damit ihr Ergebnis in Bayern um 4,4 Prozentpunkte und in Hessen um 5,3 Prozentpunkte der abgegebenen Stimmen verbessern, was für die relativ junge Partei einen außerordentlichen Erfolg bedeutet und sie mit großen Erwartungen, auch unter dem Eindruck der bundesweiten Wahlumfragen, auf die Europawahl sowie insbesondere auf die drei ostdeutschen Landtagswahlen im Jahr 2024 blicken lässt. Diese Wahlerfolge der AfD sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil es ihr gelingt, immer mehr Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die bereit sind, ihre Stimme einer in Teilen verfassungsfeindlichen Partei zu geben. Trotz oder vielleicht auch wegen der zunehmenden Radikalisierung der Gesamtpartei und einzelner Landesverbände, wie u. a. die Einstufung als gesichert 24 Vgl. verschiedene Wahlumfragen unterschiedlicher Institute auf der Internetseite "Wahlen, Wahlrechte und Wahlsystem" (wahlrecht.de) und auf der Internetseite "DAWUM - Darstellung und Auswertung von Wahlumfragen" (dawum.de). 51 Rechtsextremismus rechtsextremistische Bestrebung durch die Verfassungsschutzbehörden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zeigt, erscheint die AfD für Teile der Wahlberechtigten attraktiv. Für die Wählerschaft der AfD ebenso wie für ihre Mitglieder und Anhänger scheint das völkisch-nationalistische Politikangebot und der populistische Politikstil der Partei eine willkommene Antwort auf gesellschaftliche Krisenentwicklungen zu sein. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht die Ursachen dieser Entwicklung in sozialen wie ökonomischen Anerkennungsund Kontrollverlusten vor dem Hintergrund von Statusängsten und kulturellen Veränderungen, etwa in Bezug auf den Arbeitsplatz, soziale Sicherheit oder familiäre Strukturen. 25 Menschen mit Kontrollverlusten seien dabei besonders anfällig für Verschwörungstheorien und eine ausgrenzende Identitätspolitik, wie sie die AfD vertrete, so der ehemalige Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konfliktund Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. 26 Das Politikangebot der AfD bezeichnet Heitmeyer als "autoritären Nationalradikalismus". 27 Das Autoritäre zeige sich in einem autoritären Gesellschaftsmodell mit traditionellen Lebensweisen, klaren Hierarchien und dichotomischen Gesellschaftsbildern ("Wir gegen die", "Innen gegen außen", "Eigenes gegen Fremdes"). Beim Nationalistischen gehe es um Überlegenheitsansprüche deutscher Kultur, eine veränderte Geschichtsschreibung und Deutschsein als zentralen Identitätsanker. Das Radikale bestehe in einem rabiaten und emotionalisierenden Mobilisierungsstil. Zugleich erweise sich der "autoritäre Nationalradikalismus" als anschlussfähig an eine "rohe Bürgerlichkeit", wie Heitmeyer es nennt. Diese sei in der Bevölkerung weit verbreitet und bezeichne "eine verachtende Haltung gegenüber Schwächeren, mit einer Ideologie, die bestimmte Gruppen von Menschen als ungleichwertig begreift und sich hinter 25 Vgl. Interview mit Wilhelm Heitmeyer in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 09.07.2023, "'Anerkennungsverluste gehen an die Substanz'. Was sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Aufstieg der AfD? Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer über Statusängste, kulturelle Veränderungen und autoritären Nationalismus". 26 Vgl. Interview mit Wilhelm Heitmeyer in der Tageszeitung (taz) vom 27.11.2023, "'Es hat sich etwas verschoben'. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat sich jahrzehntelang mit autoritären Einstellungen und Rechtsextremismus beschäftigt. Wie erklärt er Deutschlands Rechtsruck?". 27 Vgl. Interview mit Wilhelm Heitmeyer auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) vom 16.12.2023, "'Autoritärer Nationalradikalismus'. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer über Hintergründe der Wahlerfolge und des Umfragehochs der AfD seit dem Sommer 2023". 52 Rechtsextremismus einer glatten äußeren Fassade verbirgt". 28 Das damit verbundene Einstellungsund Wählerpotenzial, welches Heitmeyer unter anderem in den Studien zur "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" eingehend erforscht hat, 29 distanziere sich zwar vom traditionellen Rechtsextremismus und von rechtsextremistischer Gewalt, doch es sei dem autoritären Politikangebot der AfD durchaus zugeneigt. 30 In der Vergangenheit war die Entwicklung der AfD immer wieder von innerparteilichen Machtkämpfen verschiedener Strömungen und Lager geprägt. Die extremistischen Kräfte innerhalb der Partei konnten dabei ihre Machtstellung weiter ausbauen. Diese Beobachtung wird vor allem durch den Bundesparteitag im Juni 2022 und die Europawahlversammlung im Juli/August 2023 gestützt. Innerhalb der AfD sind die radikalen Positionen der formal aufgelösten parteiinternen Sammlungsbewegung "Der Flügel" ebenso in das völkischnationalistische Lager aufgegangen wie der dahinterstehende Personenzusammenschluss. Zugleich fehlt die Distanzierung gegenüber jenen Akteuren der "Neuen Rechten", die von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch eingestuft werden, darunter das "Institut für Staatspolitik" und das "COMPACT-Magazin" sowie der Verein "Ein Prozent e. V." oder aber die "Identitäre Bewegung", für die es mit Blick auf die Parteimitgliedschaft zumindest formal einen Unvereinbarkeitsbeschluss gibt.31 Auch die AfD Niedersachsen und ihre Untergliederungen distanzierten sich nicht von radikalen oder gar extremistischen Positionen und Akteuren innerhalb der Partei oder in deren Umfeld. Dies zeigen etwa Äußerungen in den sozialen Medien, mit denen Ideologieelemente propagiert werden, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Es ist jedoch ausdrücklich zu betonen, dass nicht jedes AfD-Mitglied in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Für den Niedersächsischen Verfassungsschutz bietet daher die derzeitige 28 Vgl. ebenda. 29 Vgl. u. a. Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): "Deutsche Zustände", Folgen 1-10, Berlin 2002-2012. 30 Vgl. Interview mit Wilhelm Heitmeyer auf der Internetseite der bpb vom 16.12.2023, a.a.O.; siehe auch Interview mit Wilhelm Heitmeyer in der SZ vom 09.07.2023, a.a.O. 31 Vgl. AfD-Bundesgeschäftsstelle, "Unvereinbarkeitsliste für AfD-Mitgliedschaft", Stand: 18.12.2023. 53 Rechtsextremismus Einstufung als Verdachtsobjekt einen angemessenen Status, um die weitere Entwicklung der Partei fortlaufend zu bewerten. Die Anzahl der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist in Niedersachsen nach einer Stagnation auf 1.080 Personen gestiegen. Dagegen ist die Anzahl derjenigen, die zugleich der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden, um zehn auf nun mehr 40 Personen zurückgegangen. In ihrer Gesamtheit stellt die sogenannte Reichsbürgerszene keine homogene Bewegung dar. Sie setzt sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum erstreckt sich von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch-traditionalistisch orientierte Akteure bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Dass innerhalb der Szene ein gewisses Gewaltpotenzial vorhanden ist, zeigen mehrere Fälle, bei denen "Reichsbürger" Gewalt androhten und körperliche Gewalt tatsächlich ausübten. Auch in Niedersachsen haben sich "Reichsbürger" mit physischer Gewalt, zum Teil unter Einsatz von Waffen, gegen staatliche Maßnahmen zur Wehr gesetzt. Welche Gefahr von "Reichsbürgern" ausgehen kann, zeigt ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen die Mitglieder und Unterstützer einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene, das am 07.12.2022 in Exekutivmaßnahmen gegen 54 Personen mündete, bei denen auch drei niedersächsische Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen wurden. In elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich wurden 25 Haftbefehle vollstreckt, die gegen 22 Beschuldigte und drei Unterstützer verhängt worden waren. Ziel der Vereinigung sei es gewesen, die gewaltsame Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung herbeizuführen. Hierfür seien konkrete Vorbereitungshandlungen in konspirativer Planung durchgeführt worden, um an einem "Tag X" den Bundestag in der Absicht zu erstürmen, die Bundesregierung zu beseitigen und durch eine neue Regierung unter der Verantwortung des Hauptbeschuldigten aus Hessen zu ersetzen. Zur Rechtfertigung ihres Handelns dienten der Vereinigung verschiedene Verschwörungstheorien, die auch in der Reichsbürgerszene Verbreitung finden. Im Laufe des Jahres 2023 erfolgten im gleichen Zusammenhang weitere Durchsuchungsmaßnahmen, u. a. in der Region Hannover 54 Rechtsextremismus und im Landkreis Hameln-Pyrmont sowie die Verhaftung einer weiteren Person aus Niedersachsen und die Ausweitung des Verfahrens auf 69 Beschuldigte. Im gesamten Ermittlungskomplex gibt es mittlerweile sieben Beschuldigte aus Niedersachsen, von denen sich vier in Untersuchungshaft befinden. Am 11.12.2023 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage vor den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main (Hessen), München (Bayern) und Stuttgart (Baden-Württemberg) gegen insgesamt 27 Personen u. a. wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß SS 83 StGB. Die bislang vorliegenden Erkenntnisse zu dem Fall bestätigen die Analyse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, wonach sich tendenziell eine neue, gewaltorientierte Mischszene herausbildet.32 Reichsbürgerideologien, rechtsextremistische Narrative und Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der "Delegitimierung des Staates" sind von den Beschuldigten klar geäußert worden. Das zeigt, dass die Grenzen zwischen den Phänomenbereichen zunehmend verschwimmen. Verschwörungstheorien haben hierbei eine Scharnierfunktion und bilden das gemeinsame Fundament für die ideologisch unterschiedlichen Teilgruppen. Der vorliegende Fall zeigt sehr deutlich, dass von dieser Mischszene eine reale Gefahr ausgeht. Der Zugang ist im virtuellen Raum, etwa über MessengerDienste wie Telegram, niedrigschwellig. Die dort geteilten Inhalte dienen als Bindeglied zwischen Extremisten und Nicht-Extremisten. Zum Teil werden sie auch von politischen Parteien aufgegriffen, um die geäußerten Sorgen und Ängste weiter zu schüren und nach Möglichkeit für die eigene Agenda zu nutzen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat die Entwicklung von Beginn an sehr genau beobachtet. Mit der fortlaufenden Analyse des Verdachtsobjektes "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" wird in Niedersachsen außerdem der neu entstandenen Mischszene Rechnung getragen. Insbesondere radikalisierte Einzelpersonen und Gruppen 32 Siehe hierzu die Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, "Aktuelle Meldungen" vom 21.12.2021, "Analyse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes: Die Vermischung von "Corona-Leugnern", "Reichsbürgern" und Rechtsextremisten führt zu einer gefährlichen Radikalisierung der Corona-Leugnerund Querdenken-Bewegung" (zuletzt aktualisiert am 17.01.2022). 55 Rechtsextremismus vernetzen sich untereinander und die Gefahr der Herausbildung weiterer klandestiner Gruppierungen steigt. Abseits der Gründung terroristischer Gruppen besteht für Extremisten innerhalb der Mischszene eine Möglichkeit, Einfluss auf noch nicht radikalisierte Personen zu nehmen und die Entgrenzung des Extremismus weiter voranzutreiben. Die Verfassungsschutzbehörden wird deshalb die Frage beschäftigen, in welche Richtung sich das dahinterstehende Personenpotenzial entwickelt. Fazit: Die bereits in den Vorjahren beschriebene strukturelle Veränderung des Rechtsextremismus hat sich fortgesetzt. Tradierte Organisationsformen, die die Wahrnehmung des Rechtsextremismus jahrelang bestimmt haben, verlieren zunehmend an Bedeutung. Der Strukturwandel ist wesentlich auf veränderte Kommunikationsformen und damit einhergehende veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Wirkmacht rassistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Positionen bleibt davon unberührt. Sie kommt in anderen, zum Teil fluiden und temporären Organisationsund Aktionsformen zum Ausdruck und wird damit unberechenbarer. Die Sozialisierung von potenziellen Gewalttätern in traditionellen rechtsextremistischen Organisationen steht nicht mehr im Vordergrund. Mindestens von ebenso großer Bedeutung sind einerseits Radikalisierungsprozesse, die sich unter dem Einfluss des Internets vollziehen. Sie können mit den Begriffen Enthemmung (ausufernder Hass) und Entgrenzung (Aufweichung der Grenzmarkierung zwischen nicht extremistischem und extremistischem Protest) beschrieben werden. Die Sicherheitsbehörden stehen vor der Herausforderung, ihr prognostisches Instrumentarium und ihre Aufklärungsmethodik dieser Entwicklung permanent anzupassen. Auf der anderen Seite wird der demokratische Rechtsstaat von extremistischen neurechten Strömungen herausgefordert, die darauf ausgerichtet sind, seine normativen Grundlagen zu unterminieren, ohne auf das Mittel der physischen Gewalt zurück zugreifen. Das veränder te Kommunikationsund Informationsverhalten ist gerade für diese Strömungen ein entscheidender Faktor, um anschlussfähige Feindbilder aufzubauen, 56 Rechtsextremismus in die Gesellschaft hineinzuwirken und den vorpolitischen Raum zu besetzen. Neurechte Autoren geben Vorurteilen und Ressentiments einen ideologischen Legitimationsrahmen und dienen zugleich als Stichwortgeber autoritärer Politikangebote, wie sie die AfD vertritt. Präventionsmaßnahmen müssen deshalb bereits auf der Einstellungsebene, bei der Vorurteilsbildung ansetzen, wenn die Verbreitung von demokratiefeindlichen Positionen eingehegt werden soll, die im schlimmsten Fall zu einem Kreislauf von Hasspropaganda und Gewaltanwendung führen kann. Bei der Analyse des neuen Beobachtungsfeldes "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" wird der Frage nachzugehen sein, ob Rechtsextremisten und "Reichsbürger" der fundamentalen Systemablehnung und der destruktiv-gewaltbereiten Form dieses Extremismus eine ideologische Stoßrichtung geben können. Einflussversuche und eine Vermischung der Szene mit Rechtsextremisten und "Reichsbürgern" sind wiederholt zu beobachten. Die Anpassungsfähigkeit, wiederholt neue, aktuelle Themen zu besetzen, haben diese Kreise bereits bewiesen. Insbesondere die gewaltbereiten Teile der Szene zeigen sich für die Übernahme von reichsbürgertypischen und teils rechtsextremistischen Ideologien offen. Die ersten Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen eine mutmaßlich terroristische Vereinigung aus der Reichsbürgerszene weisen in diese Richtung und werden durch die Anklageerhebung der Bundesanwaltschaft gestützt. Verbot "Hammerskins Deutschland" Die Bundesministerin des Innern und für Heimat hat mit Wirkung vom 19.09.2023 die rechtsextremistische Vereinigung "Hammerskins Deutschland" verboten. Von dem Verbot betroffen sind die insgesamt 13 regionalen deutschen "Chapter" der Vereinigung sowie die ihr zugehörige Teilorganisation "Crew 38". 33 In Niedersachsen existierte kein eigenes "Chapter". Die niedersächsischen Mitglieder, 33 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bundesanzeiger vom 19.09.2023 (BAnz AT 19.09.2023 B1): "Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bekanntmachung eines Vereinsverbots gegen 'Hammerskins Deutschland' einschließlich seiner regionalen Chapter 'Bayern', 'Berlin', 'Brandenburg', 'Bremen', 'Franken', 'Mecklenburg', 'Pommern', 'Rheinland', 'Sachsen', 'Sarregau', 'Westfalen', 'Westwall', 'Württemberg' und seine Teilorganisation 'Crew 38'". 57 Rechtsextremismus deren Anzahl im mittleren einstelligen Bereich zu beziffern waren, konnten jedoch dem "Chapter Bremen" sowie dem "Chapter Brandenburg" und dem "Chapter Westfalen" zugerechnet werden. Ausschlaggebend für das Verbot der "Hammerskins", die in Deutschland insgesamt etwa 130 Anhänger umfassten, waren ihre gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Aktivitäten sowie Verstöße gegen die Strafgesetze. Logo der Hammerskins; Der deutsche Ableger der internationalen "Hammerskin Nation" in Deutschland verboten (HSN) propagierte eine an den historischen Nationalsozialismus angelehnte Rassenlehre und eine kämpferisch-aggressive Ablehnung des demokratischen Staatsund Gesellschaftssystems. Zu den Aktivitäten der Hammerskins zählte der Vertrieb rechtsextremistischer Tonträger und entsprechender Merchandise-Artikel sowie die Veranstaltung rechtsextremistischer Konzerte. Zur Durchsetzung des Verbots wurden im Rahmen der polizeilichen Exekutivmaßnahmen die Räumlichkeiten von insgesamt 28 führenden Mitgliedern der Vereinigung in zehn Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Saarland und Thüringen) durchsucht. Es wurden erhebliche Mengen rechtsextremistischer Devotionalien, eine große Zahl rechtsextremistischer Tonträger, Vereinskleidung und elektronische Speichermedien sowie in Einzelfällen auch Waffen (u. a. eine Panzersprenggranate, zwei Karabiner, eine Armbrust und diverse Dolche) sichergestellt. Auch Vereinsvermögen in Form von Bargeld wurde beschlagnahmt sowie das Clubhaus "Hate Bar" im Saarland und ein zu einem Vereinsheim ausgebauter Garagenanbau in Mecklenburg-Vorpommern. Verbot "Artgemeinschaft" Die Bundesministerin des Innern und für Heimat hat am 27.09.2023 die rechtsextremistische Vereinigung "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) einschließlich der Teilorganisation "Familienwerk e. V." und sämtlicher Regionalgruppen wie "Gefährtschaften", "Gilden" und sogenannte Freundeskreise 58 Rechtsextremismus verboten. 34 Zur Begründung des Verbots der auch kurz als "Artgemeinschaft" bezeichneten Vereinigung heißt es, sie richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere aufgrund antisemitischer Inhalte gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Es handle sich um eine sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung, die eine Wesensverwandtschaft zum historischen Nationalsozialismus aufweise. In diesem Zusammenhang wurde speziell die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen hervorgehoben. Die Kennzeichen des Vereins (u. a. die "Irminsul"35 mit "Nordstern" und "Großem Wagen" sowie die Abbildung "Adler greift Fisch") dürfen nicht mehr öffentlich und nicht in einer Versammlung, im Internet, in Schriften oder auf Tonund Bildträgern verwendet bzw. verbreitet werden. Die Abbildung "Adler greift Fisch" ist z. B. ein Symbol, das die Ablehnung des Christentums versinnbildlicht. Dargestellt wird ein Adler, der einen als Zeichen für den christlichen Irminsul Glauben verwendeten stilisierten Fisch in seinen Klauen hält. Die "Artgemeinschaft" verbreitete ihr rechtsextremistisches Weltbild unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens. Dieses Weltbild verstößt gegen die Menschenwürde und postuliert die Erhaltung und Förderung der eigenen Art. Nach nationalsozialistischer Lesart gehören dazu Rassenlehre, Blutund Bodenideologie sowie das Konzept der biologisch definierten Volksgemeinschaft. Über einen vereinseigenen "Buchdienst" wurde diese rassistische Ideologie beworben und propagiert. Von den polizeilichen Exekutivmaßnahmen im Zuge der VerbotsverAdler greift Fisch fügung waren 39 Mitglieder und 26 Objekte in zwölf Bundesländern Beide Logos sind in Deutschland verboten. betroffen. Es wurden diverse Devotionalien (u. a. HakenkreuzFlaggen, NS-Symbole und eine SS-Uniform) sowie umfangreiche Mengen extremistischer Literatur, aber auch erlaubnisfreie Waffen (Speere, Wurfäxte, Armbrüste) und verschiedene erlaubnispflichtige 34 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bundesanzeiger vom 27.09.2023 (BAnz AT 27.09.2023 B1): "Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bekanntmachung eines Vereinsverbots gegen 'Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.'". 35 Die "Irminsul" war ein frühmittelalterliches Heiligtum der Sachsen. Nach den Einträgen fränkischer Annalen zum Jahr 722 wurde sie von den Franken auf Veranlassung Karls des Großen zerstört. Zur Zeit des Nationalsozialismus spielte die "Irminsul" eine bedeutende Rolle als Symbol neuheidnischer Gruppen. Sie stelle die heilige Weltenesche dar, die auf zwei ausgebreiteten Armen das Himmelsgewölbe trägt. 59 Rechtsextremismus Waffen (u. a. Bauteile eines Maschinengewehrs) beschlagnahmt. Waffenrechtliche Erlaubnisse wurden im Zuge des Vereinsverbots widerrufen und die Waffen eingezogen. In Niedersachsen war ein Objekt im Landkreis Nienburg betroffen. Dort richtete eine mitbetroffene Person in der morgendlichen Dunkelheit eine gespannte Armbrust auf die Einsatzkräfte. Als der potenzielle Schütze die Polizeibeamten erkannte, verhielt er sich kooperativ und legte die Armbrust auf dem Boden ab. 2.4 Rechtsextremistische Musikszene Gründung/ 1980er Jahre Bestehen seit Struktur/ Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten subkulturelRepräsentanz len rechtsextremistischen Szene; eine Ausnahme bilden die am 19.09.2023 verbotenen "Hammerskins"36 mit einem ehemals festen hierarchischen Aufbau; viele Szeneangehörige im jugendlichen Alter Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 590 Unterstützer Veröffentlichungen Publikationen: CD-Veröffentlichungen, Fanzines; Onlineangebote: Online-Versandhandel, Bekanntmachung von Konzertterminen über Foren, Veröffentlichungen von Videos Kurzportrait/Ziele Der subkulturelle Bereich im Rechtsextremismus ist hauptsächlich von szenetypischer Musik und einem damit verbundenen - nicht selten gewaltorientierten - Lebensstil geprägt. Dabei zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass die subkulturelle Szene an eigenständiger Bedeutung verloren hat. Sichtbar wird dieser Wandel vor allem in dem fast vollständigen Verschwinden rechtsextremistischer Skinheads aus dem öffentlichen Straßenbild, die in den 1980er und 1990er Jahren die gewaltbereite rechtsextremistische Szene maßgeblich prägten. 36 Siehe hierzu Kapitel 2.3, Abschnitt "Verbot Hammerskins Deutschland". 60 Rechtsextremismus Zu beobachten sind stattdessen informelle, eher strukturlose Gruppen oder Personenzusammenschlüsse, die kaum regelmäßige Aktivitäten entfalten, die keinen festen Mitgliederstamm haben und die nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind daher fließend und verschwommen, sodass eine Unterscheidung nach trennscharfen Kriterien immer schwieriger wird. Rechtsextremistische Einstellungsmuster sind von größerer Bedeutung als die organisatorische Anbindung an eine bestimmte Gruppierung. In der von Männern dominierten Szene spielen Frauen eine untergeordnete Rolle, auch wenn diese nicht zu vernachlässigen ist und in ihrer Bedeutung für die subkulturelle Szene nicht unterschätzt werden darf. Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell geprägten Rechtsextremisten kommt unreflektiert, häufig spontan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Eine wichtige Rolle spielt die rechtsextremistische Musik mit ihrer aufputschenden Wirkung. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Rechtsextremistische Musik ist zugleich ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen. Rechtsextremistische Parteien nutzen rechtsextremistische Bands und Liedermacher, um ihre Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. In Niedersachsen allerdings ist auch aufgrund der politischen wie organisatorischen Schwäche der rechtsextremistischen Parteien eine derartige Feststellung nicht zu treffen. Allgemein hat die Musik jedoch den Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik erstreckt sich von Black Metal über Schlager bis zu Balladen. Daneben haben die Stilrichtungen Rap und Hip-Hop an Akzeptanz gewonnen, insbesondere bei Angehörigen der "Identitären Bewegung". Den größten Zuspruch innerhalb der subkulturellen Szene erfährt unverändert die Stilrichtung Rock against Communism (RAC). 61 Rechtsextremismus Finanzierung Verkauf von rechtsextremistischen Tonträgern sowie Handel mit Devotionalien, darunter Kleidung, die mit rechtsextremistischen Aussagen bedruckt ist. Handel und Verkauf dienen teilweise ausschließlich wirtschaftlichen Interessen, während Einnahmen aus Musikveranstaltungen mitunter Aktivitäten finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Beobachtungswürdigkeit ergibt sich aus der fremdenfeindlichen Grundeinstellung und aus der Gewaltanwendung oder zumindest der Bereitschaft zur Gewalt, die für subkulturell geprägte Rechtsextremisten einen Ausdruck von Männlichkeit und Dominanz darstellt. Gewalt wird insbesondere unter Alkoholeinwirkung zuweilen hemmungslos, brutal und meistens spontan ausgelebt. Auch die Liedtexte rechtsextremistischer Musik fördern gewaltorientierte Aktivitäten; sie transportieren Gewaltphantasien, Aufrufe zu Gewalt oder vermitteln Feindbilder. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen können die Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Hiermit richten sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) sowie gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG). Damit sind sie verfassungsfeindlich; ihre Beobachtung richtet sich nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist für die subkulturelle Szene von hohem werbestrategischen Stellenwert. Gleiches gilt für die neonazistische Szene und für die rechtsextremistischen Parteien "Die Heimat" (vormals NPD), "Die Rechte" und "Der III. Weg". Musik bietet einen ersten leicht zu konsumierenden Zugang zu rechtsextremistischen Themen und Weltbildern. Damit ist sie ein wesentlicher Faktor für das Gemeinschaftsgefühl und dient darüber hinaus dem Zweck, rechtsextremistische Ideologien - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Anzahl der Zugriffe auf rechtsextremistische Musikvideos im Internet sowie die Präsenz rechtsextremistischer Musik in den 62 Rechtsextremismus sozialen Medien weist darauf hin, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und die nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Musik ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit.37 In der rechtsextremistischen Musikszene werden weiterhin einzelne Themenkomplexe aufgegriffen, die als zentrale Elemente der rechtsextremistischen Ideologie zu verstehen sind. Die nachfolgenden Beispiele dokumentieren, dass diese Einschätzung auch für Neuproduktionen Bestand hat. Anzumerken ist dabei, dass mittels sprachlicher Unschärfe ein größerer Spielraum für die Interpretation einzelner Aussagen gelassen wird. Diese Vorgehensweise dient den Szeneangehörigen als Möglichkeit, Verbote und Indizierungsentscheidungen zu erschweren. Im Mittelpunkt stehen häufig systemund kapitalismuskritische Aussagen, die mit antisemitischen oder fremdenfeindlichen Botschaften verbunden werden. Auf dem Tonträger "Ahnenkampf" (2023) der Band "Blutrein" werden in dem Lied "B.a.d.H" z. B. Politiker, die zu mehr gesellschaftlicher Diversität aufrufen, beschuldigt, von Israel gesteuert zu sein. Damit bedient die Band ein in der rechtsextremistischen Szene verbreitetes Narrativ, demzufolge Menschen jüdischen Glaubens angeblich in der Lage seien, die Geschehnisse auf der Welt zu beeinflussen oder gar zu steuern. So wird in antisemitischer Diktion der Begriff "Hochfinanz" verwendet: "Er redet gern von Liebe und Humanität, Zukunft sei nur möglich mit mehr Diversität. Er will das Gesunde einfach nur verderben, denn echte Vielfalt wird durch ihn nur sterben. Blut an der Hand, Blut an der Hand, 37 Siehe Kapitel 6. 63 Rechtsextremismus er tötet dein Land, er tötet dein Land. Blut an der Hand, Blut an der Hand, Ich habe sein Wesen schon lange erkannt. ... Ihre bunten Fahnen gaukeln nur Toleranz, Denn die bleiben Büttel der Hochfinanz!" Die rheinland-pfälzische Band "Regiment 25" offenbart ihre rechtsextremistische Einstellung in dem Lied "Gieriger Takt" des gleichnamigen Albums (2023) mit szenetypischen Zuschreibungen wie "Takt angeben" und "Gier". Die vordergründig als Kapitalismusund Gesellschaftskritik auszulegenden Textpassagen sind durch die Verwendung stereotyper Symbolik im Booklet des Tonträgers als antisemitische Aussagen zu bewerten. Dazu zählen etwa die Symbole der Freimaurer, die im Rechtsextremismus als jüdische Organisation mystifiziert werden. Gleiches gilt für das Bildnis der Kapitalisten, die Geld aus ausgemergelten Körpern herausquetschen und die Abbildung eines Globus als Synonym einer globalisierten Elite: "Ich bin die Reklame, ich bin das Neonlicht, das immer greller leuchtet, das nimmermehr erlischt. Du gibst dein Geld aus, ich den Takt an. Biet mir ruhig die Stirn, Sinnlos, ich bin Psychologe, fräs mich in dein Hirn ... Ich bin die Gier!" Die Produzenten solcher Musik lassen Tonträger vor der Veröffentlichung durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um Indizierungsmaßnahmen, strafrechtliche Verfahren und damit einhergehende finanzielle Verluste zu vermeiden. Strafrechtlich relevante CDs, deren Anteil weniger als zehn Prozent beträgt, werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Aufgrund des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gem. SS 129 StGB erfolgten am 26.10.2023 bundesweite Exekutivmaßnahmen. Unter der Führung der Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg wurden die Wohnungen und Geschäftsräume von zwölf Beschuldigten in sechs Bundesländern sowie auf der spanischen 64 Rechtsextremismus Insel Mallorca durchsucht. Gegen den mutmaßlichen Rädelsführer aus Niedersachsen wurde ein vorliegender Haftbefehl vollstreckt. Den Beschuldigten wird die Produktion sowie der nationale und internationale Vertrieb von strafrechtlich relevanten rechtsextremistischen Tonträgern vorgeworfen, deren Liedtexte menschenverachtende, antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagieren. Darüber hinaus erscheinen Tonträger, die nur szeneintern und nicht über offen zugängliche Szenevertriebe verkauft werden. Da eine Strafverfolgung hier schwerer möglich ist, äußern die Bandmitglieder in den Texten offen ihr fremdenfeindliches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut. Häufig wird darin offen zu Gewalt gegen Personen aufgerufen, die von der Szene als Feinde betrachtet werden oder sie werden anderweitig bedroht. Derartige Tonträger prüft die Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ) 38 regelmäßig, indiziert diese, oder bewertet sie ggf. als jugendgefährdend und möglicherweise strafrechtlich relevant. Immer häufiger werden neue Tonträger kurz nach ihrer Veröffentlichung in Download-Portalen oder in sozialen Netzwerken im Internet angeboten und gratis zur Verfügung gestellt. Diese Entwicklung bietet zwar einerseits die Möglichkeit, über die Szene hinaus einen größeren Verbreitungsgrad von rechtsextremistischer Musik zu erreichen. Andererseits führt das kostenfreie Herunterladen aus dem Internet zu finanziellen Einbußen der betroffenen Bands und Musiker, die wiederum befürchten, weniger CDs zu verkaufen und die Produktionskosten nicht mehr decken zu können. Hierzu veröffentlichten im Jahr 2023 die Musikprojekte "Ahnenblut" und "Stahlfaust" folgende gemeinsame Erklärung: "Wenn ihr die Bewegung, speziell unsere Musik, weiterhin am Leben erhalten wollt, KAUFT ORIGINALE! Ihr unterstützt damit die Bands und Labels und sichert somit die Produktion neuer Werke." (Veröffentlicht auf dem gemeinsamen Telegram-Kanal der Musikprojekte, abgerufen am 18.07.2023) 38 Ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), Umbenennung zum 01.05.2021. 65 Rechtsextremismus Um dem entgegenzuwirken und dem Nutzerverhalten insbesondere der jungen Hörerschaft entgegenzukommen, versuchen rechtsextremistische Musiker über kostenpflichtige Streaming-Dienste ihre Tonträger zu verbreiten. Bei mehreren gängigen Anbietern solcher Dienste finden sich daher Veröffentlichungen rechtsextremistischer Musiker. Dieses erleichtert den Zugang zu einschlägiger Musik und trägt zu einer Vertrautheit mit der Perspektive des Rechtsextremismus auf diverse Themenfelder bei. War früher die Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen häufig der Einstieg in die rechtsextremistische Szene, genügt heute das weitreichende Angebot der Streaming-Dienste und Videoportale, ohne dass es hierfür zunächst eines Kennverhältnisses zu Szeneangehörigen bedarf. Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleichbleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mitglieder rechtsextremistischer Bands unter neuem Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. Bundesweit fanden 39 rechtsextremistische Konzerte (2022: 35) statt. Deren regionaler Schwerpunkt lag in Sachsen. Mit der Rücknahme der Beschränkungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im März 2023 stieg die Anzahl der Musikveranstaltungen wieder an. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen i. d. R. nur Szeneangehörige, sodass eine Werbewirkung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Der Trend zu rechtsextremistischen Großveranstaltungen mit Musikdarbietungen namhafter Szenebands und Wortbeiträgen einschlägiger Redner, der schon vor der Pandemie aus organisatorischen Gründen ins Stocken geraten war, hat sich nach Beendigung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht fortsetzen können. Derartige Veranstaltungen sind als politische Kundgebungen angemeldet und lassen sich daher nur schwer verhindern. Wegen des erhöhten Organisationsaufwandes und des finanziellen Risikos sind die Organisatoren in diesen Fällen jedoch bereit, die 66 Rechtsextremismus Veranstaltung bei den Ordnungsbehörden anzumelden und die staatlichen Auflagen, bis hin zu einem generellen Alkoholverbot, einzuhalten. Eine solche politische Kundgebung sollte die vierte Auflage des "Schild & Schwert"-Festivals in Ostritz (Sachsen) sein. Die bereits seit dem Jahr 2020 geplante Veranstaltung war erstmalig in das Folgejahr und von dort in das Jahr 2022 verschoben worden. Wegen angedrohter staatlicher Maßnahmen entschied sich der Veranstalter von der Durchführung abzusehen, zugleich kündigte er erneute Planungen für das Jahr 2023 an, deren Umsetzung allerdings nicht erfolgte. Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2023 waren zwei niedersächsische Musikgruppen aktiv. "Stahlgewitter" / "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" / "Zillertaler Virenjäger" Daniel Giese war mit seinen Musikprojekten im Jahr 2023 nicht aktiv. Allerdings veröffentlichten die NS-Rapper "Proto" und "MKD/ MaKss Damage" aus Nordrhein-Westfalen im November 2023 den Tonträger "Snippet", auf dem Giese in dem Lied "Neuer Morgen" Teile des Gesangs beigesteuert hat. Veröffentlichungen seiner Bandprojekte werden regelmäßig auf Videoportalen hochgeladen. Innerhalb weniger Wochen erreichen sie bis zu sechsstellige Aufrufe und werden von den Nutzern positiv kommentiert. Der nachfolgende Kommentar auf einem Videoportal zu dem Lied "Deine Schuld", welches auf dem im Jahr 2011 veröffentlichten Tonträger "25 Jahre - Fette Boite" seines Projektes "Gigi in Musica" erschienen ist und im Juni 2023 hochgeladen wurde, verdeutlicht den Personenkult, der um Giese betrieben wird: "...Hoffentlich hört er niemals auf Musik zu machen. Ich begleite ihn mein ganzes Leben mit seiner Musik. Er ist wie ein Gott für mich". (veröffentlicht von einem User auf Youtube.com, abgerufen am 13.11.2023) Die verschiedenen Projekte Gieses finden seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. Dies resultiert sowohl 67 Rechtsextremismus aus den durchaus versierten musikalischen Darbietungen als auch den rechtsextremistischen Texten, die sich zuweilen an der Grenze der Strafbarkeit bewegen. "Hannes" / "Kategorie C" / "Nahkampf" Die Bands "Nahkampf" und "Kategorie C" sind Projekte um den Sänger Hannes Ostendorf aus Lilienthal (Landkreis Osterholz). Während die Texte der Band "Kategorie C" oftmals eher unpolitisch sind und der Fußballbezug sowie die Gewaltbereitschaft von Hooligans im Vordergrund stehen, bilden bei den Texten der Band "Nahkampf" politische Themen den Schwerpunkt. Daneben ist Ostendorf als Liedermacher "Hannes" in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv, wobei seine Auftritte oftmals als Auftritte von "Kategorie C" beworben werden. Der szeneinterne Bekanntheitsgrad der Band wird dafür genutzt, eine weitreichende Werbewirkung für die Veranstaltungen zu erzielen. Dennoch nehmen an den Liederabenden selten mehr als 50 Personen teil. Ostendorf ist mit einer Vielzahl an Auftritten der aktivste niedersächsische Musiker im Berichtsjahr. Ein für den 07.10.2023 in Ohne (Landkreis Grafschaft Bentheim) geplantes Konzert seiner Band "Kategorie C" wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. Im Mai 2023 erschien unter dem Namen "Kategorie C" der Tonträger "Bootlegs - gesammelte Werke". Darauf enthalten sind Live-Mitschnitte bereits veröffentlichter Lieder der Band. Im Herbst 2023 gab die Band "Kategorie C" den Tonträger "Rabenbanner" heraus, der inhaltlich, wie bereits der im Jahr 2022 erschienene Tonträger "Ruf der Götter", sehr von den eigentlichen Kernthemen der Band abweicht. Die Texte thematisieren die deutschen Bauernaufstände verschiedener Jahrhunderte und glorifizieren deren Anführer. Diese werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene als Symbol für die Verteidigung der "Heimaterde" angesehen und haben daher einen besonderen Stellenwert bei den Szeneangehörigen. Auf 68 Rechtsextremismus dem Tonträger finden sich zum Teil neu aufgenommene alte Lieder, die ihren Ursprung in völkisch-nationalistischen Kreisen haben. Ein Beispiel hierfür ist das Lied "Des Geyers schwarzer Haufen", das um 1920 in Kreisen der Bündischen Jugend entstand und während der Zeit des Nationalsozialismus zum Liedgut der SS gehörte. Der Text verherrlicht die Taten des Bauernführers Florian Geyer und seiner Armee während des Bauernkrieges 1525. In dem Lied "Wer trägt die schwarze Fahne dort", das von Henning Eichberg, einem der Begründer der "Neuen Rechten", stammt, wird Claus Heim, ein radikaler Führer der Landvolkbewegung 1928/1929, glorifiziert. Eine Strophe wurde von der Band umgeschrieben und setzt die sogenannten Montagsdemonstrationen in Dresden (Sachsen) mit den Geschehnissen der Aufstände gleich: "Wer trägt die schwarze Fahne dort durch Schleswig und Holsteiner Land. Das sind die Bauern, das ist Claus Heim, Der trägt sie in der Hand. Sie pfändeten ihnen die Höfe weg, da bombten sie die Behörden entzwei. Im Jahr achtundzwanzig erhoben sie sich gegen Zinsdruck und Ausbeuterei. ... Wer trägt die schwarze Fahne dort durch das mutige Sachsenland. Das sind die Leute aus dem Erz, im ganzen Land bekannt. Sie kämpfen für dich, sie kämpfen für mich, jeden Montag erneut. Sie sind die Helden aus Mitteldeutschland, an denen sich jeder erfreut." Auf dem Tonträger befindet sich zudem eine Coverversion des Liedes "Stedingsehre" der Band "Stahlgewitter", das diese bereits im Jahr 2013 auf ihrem Tonträger "Stählernde Romantik" veröffentlicht hatte. Unter dem Namen "Hannes & Eine Deutsche Frau" veröffentlichte Ostendorf gemeinsam mit einer Szeneangehörigen aus dem Raum 69 Rechtsextremismus Würzburg (Bayern) das Lied "Germanias Kliff". Das Musikstück wurde ausschließlich über soziale Medien und Streamingdienste verbreitet. Ein weiterer Schwerpunkt Ostendorfs überwiegend von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Aktivitäten ist auch im Jahr 2023 seine Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Auf seinem TelegramKanal bewirbt er wiederholt Produkte aus seinem Onlineversand und präsentiert Videos zu einigen seiner Musikproduktionen. Neben seinen Musikprojekten betreibt er einen eigenen Onlineversand, bei dem Tonträger und Merchandise-Artikel seiner aktiven und inaktiven Musikprojekte angeboten werden. Darüber hinaus veröffentlicht Ostendorf seine Produktionen auf verschiedenen Streamingdiensten und Videoportalen. Auch diese Angebote unterstreichen den Eindruck, dass sein Hauptinteresse in der Gewinnoptimierung liegt. Um eine Umsatzbeteiligung dieser Dienste zu umgehen, bietet Ostendorf seine Produktionen seit November 2023 auch auf einer Internetseite eines befreundeten Berliner Rechtsextremisten zum Download an und erklärte dazu: "Die Alben ... sind nun auch digital direkt erhältlich - also ohne Amazon, Apple & Co. Diese verdienen daran keinen Cent mit. Lieber direkt die Band unterstützen als amerikanische Großkonzerne". (veröffentlicht auf seinem Telegram-Kanal, abgerufen am 05.12.2023) Ostendorf nutzt dafür seine Stellung innerhalb der rechtsextremistischen Szene, die er durch seine langjährige Zugehörigkeit und die Vielzahl seiner musikalischen Projekte erlangt hat. Im Kern seines Handelns stehen die Selbstinszenierung und die Vermarktung seiner Produktpalette. "Eichenlaub mit Schwertern" Das Musikprojekt "Eichenlaub mit Schwertern" aus Südniedersachsen veröffentlichte Mitte des Jahres 2023 den Tonträger "Das letzte Eichenlaub", der sich thematisch mit Ereignissen zum Ende des Zweiten Weltkrieges befasst. Dieser Tonträger ist der letzte Teil einer Trilogie und schließt an frühere Tonträger aus den Jahren 2019 und 2021 an, die sich dem Ersten und Zweiten Weltkrieg widmen. 70 Rechtsextremismus Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Bandgründung wurde das Debutalbum "Eichenlaub mit Schwertern" aus dem Jahr 2013 neu aufgelegt. "Gassenraudi" Der im Jahr 2018 veröffentlichte Tonträger "Phonophobie" von der Band "Gassenraudi" aus dem Raum Braunschweig wurde im März 2023 von der BzKJ indiziert und in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufgenommen. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter dem Vorwand, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind als Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall werden Besucher dann per SMS oder Messenger-Diensten über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte dirigiert. Mit solch umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Geschäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen haben im Jahr 2023 keine Konzerte stattgefunden, jedoch ein Liederabend am 29.04.2023 mit einem Auftritt des rechtsextremistischen Liedermachers "Freilich Frei" aus Sachsen. Ein geplantes Konzert der Band "Kategorie C" für den 07.10.2023 in Ohne (Landkreis Grafschaft Bentheim) wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. Daneben wurden Treffen im näheren Bekanntenkreis von Szeneangehörigen festgestellt. Bei derartigen Zusammenkünften, wie am 28.01.2023 im Landkreis Hildesheim, stehen musikalische Darbietungen jedoch nicht im Vordergrund. Den gleichen geringen Stellenwert haben Auftritte von Balladensängern im Rahmen einer politischen Veranstaltung, wie etwa der "Jungen Nationalisten" (JN) am 28.01.2023 und 23.12.2023 in Eschede.39 39 Siehe Kapitel 2.9. 71 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Vertriebe Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot bereithalten. Die unverändert hohe Zahl an Vertrieben zeigt, dass der subkulturelle Bereich fester Bestandteil des Rechtsextremismus ist. Wichtige deutsche Vertriebe sind "PC Records" und "OPOS Records" (beide Sachsen) sowie "Rebel Records" (Brandenburg). Die Betreiber sind oft zugleich Mitglieder rechtsextremistischer Bands oder Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte, bei denen sie ihr Warenangebot offerieren. Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot ausländischer Vertriebe. Zu nennen sind "ISD Records" und "NSM 88". Das Angebot umfasst z. B. Tonträger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (BadenWürttemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind zwei Vertriebe ansässig. Der Versand "Germanitas Othala Klangschmiede" (Goslar) vertreibt ausschließlich Musikproduktionen der NS Black Metal-Szene und Artikel mit Bezügen zur germanischen Mythologie. Der Online-Versand "Kategorie C" bietet ausschließlich Tonträger und Merchandise-Artikel der Musikprojekte von Hannes Ostendorf an. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die subkulturelle Szene verlangt kein stringentes politisches Engagement, sondern stellt in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung dar. Zu diesem Bereich des Rechtsextremismus liegt die Zugangsschwelle für jüngere Personen mit einer fremdenfeindlichen Grundeinstellung am niedrigsten. Rechtsextremistische Musik erfüllt einerseits die Funktion, potenzielle neue Anhänger anzusprechen, andererseits trägt sie zu einer Radikalisierung innerhalb der rechtsextremistischen Szene bei. Mit den Liedtexten werden zumeist rassistische, antisemitische und antidemokratische Ideologien proklamiert. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen fördern das 72 Rechtsextremismus Gemeinschaftsgefühl von Szeneangehörigen, insbesondere gegenüber der als feindlich empfundenen Umwelt. In der Vergangenheit wurde in den Liedtexten vorrangig die NS-Zeit glorifiziert. Heute ist bei neuen Produktionen eher ein Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen festzustellen. Ein Dauerthema rechtsextremistischer Musikproduktionen bleibt die szenetypische Systemkritik. Damit geht der Versuch einher, die eigene Weltsicht als Maßstab für aktuelle politische Themen anzulegen. Hierfür eignen sich die aktuellen Krisen und Konflikte auf der Welt, um einerseits Entscheidungen der Bundesregierung zu verurteilen oder andererseits rechtsextremistische, etwa antisemitische oder rassistische Agitation zu betreiben. Derartige Argumentationslinien zeigen, dass gesellschaftliche Modernisierungsprozesse abgelehnt und durch das eigene rückwärtsgewandte Weltbild ersetzt werden sollen. In Niedersachsen ist die rechtsextremistische Musikszene weitgehend inaktiv. Erwähnenswert ist der Sänger Daniel Giese, dessen verschiedene Projekte seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene finden. Um den gestiegenen Ansprüchen der Hörerschaft zu genügen, sind kostspielige Produktionen in professionellen Tonstudios sowie aufwändig gestaltete Booklets erforderlich. Videound Downloadportale lassen hingegen die Verkaufszahlen von Tonträgern und damit die Einnahmen der Bands und Vertriebe zurückgehen. Hierdurch reduziert sich das finanzielle Potenzial der rechtsextremistischen Szene. Sie folgt einem gesellschaftlichen, insbesondere im jugendlichen Milieu festzustellenden Trend nach schneller Konsumierbarkeit von Musikproduktionen. Diese Entwicklung steht zugleich für einen generell leichteren Zugriff auf rechtsextremistische Musik, da hierfür keine szeneeigenen Zugangsmöglichkeiten genutzt werden müssen. Hieraus erwächst für den Verfassungsschutz die Aufgabe, sich präventiv mit den Inhalten und Hintergründen der Musik der rechtsextremistischen Szene auseinanderzusetzen. 40 40 Siehe Kapitel 6.3. 73 Rechtsextremismus 2.5 Neonazistische Szene Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit Gründung/ 1970er Jahre Bestehen seit Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von Aktionsgruppen, informellen Netzwerken, Kameradschaften oder Kreisverbänden der Partei "Die Rechte"; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 220 Unterstützer Veröffentlichungen Onlineangebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und bei Kurznachrichtendiensten; Zeitschriften, Broschüren, Aufkleber, Flugblätter Kurzportrait/Ziele Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die Verzahnung mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten sowie mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neonazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens zumeist in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Propaganda-, Gedenkoder Störaktionen über die Veranstaltung von Balladenabenden und Zeitzeugenvorträgen bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Im Mittelpunkt der Agitation steht die angeblich drohende und vermeintlich zum "Volkstod" führende "Überfremdung", die durch die anhaltende Flüchtlingssituation nochmals verstärkt worden sei. Finanzierung Beiträge der Anhänger, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. 74 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemeinschaft bildet. Hiermit richtet sich die neonazistische Szene gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Die neonazistische Szene sieht sich als eine politisch-soziale Bewegung, die auf stetigen Aktivismus setzt und nicht auf parlamentarische Erfolge. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine national-revolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kundgebungen oder Demonstrationsteilnahmen bemüht sind, während sich ihre Anhängerzahlen im niedrigen einstelligen Bereich bewegen. Andererseits existieren Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnenwirkung entfalten. Zur Verbesserung personeller und organisatorischer Möglichkeiten dienen überregionale Netzwerke. Allerdings ist deren Bedeutung recht gering. Das dahinterstehende reale Personenpotenzial fällt im Vergleich zur Größe des jeweiligen Einzugsbereichs oftmals deutlich ab. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für Kooperationen mit der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN), aber auch mit den neonazistisch geprägten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg". 41 Darüber hinaus sind die Übergänge zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene teilweise fließend. 41 Siehe Kapitel 2.9 und Kapitel 2.10. 75 Rechtsextremismus Eigenständige Strukturen und Aktionen der neonazistischen Szene in Niedersachsen waren im Berichtsjahr kaum zu verzeichnen. Beachtung fand vielmehr die Bekanntgabe der Auflösung zahlreicher Gruppierungen als Reaktion auf die von der Bundesministerin des Innern und für Heimat im September 2023 ausgesprochenen Verbote der "Hammerskins" und der "Artgemeinschaft". 42 Beide Vereinsverbote und insbesondere die damit einhergegangenen Durchsuchungsmaßnahmen haben innerhalb der rechtsextremistischen Szene zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Selbstauflösung diverser Gruppierungen als Reaktion auf Vereinsverbote Überwogen nach dem Verbot der "Hammerskins" noch Solidaritätsbekundungen und die übliche Kritik an den staatlichen Exekutivmaßnahmen, zogen einzelne einflussreiche Akteure der rechtsextremistischen Szene bereits unmittelbar nach dem Verbot der "Artgemeinschaft" einschneidende Konsequenzen. Der bekannte Neonazi und Funktionär der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) Thorsten Heise aus Fretterode (Thüringen) teilte am 27.09.2023 in einem über seinen Facebook-Account veröffentlichten Videobeitrag mit, dass sich neben der "Kameradschaft Northeim" auch die neonazistischen Gruppierungen "Arische Bruderschaft" und "Brigade 12" aufgelöst hätten. Darüber hinaus habe er sich entschlossen, die Bekleidungsmarke "Arische Bruderschaft Supporter", die bisher über seinen Online-Versand vertriebenen wurde, zu veräußern. Bei der "Arischen Bruderschaft" handelte es sich um eine neonazistische Gruppierung um Heise, die bereits seit der Jahrtausendwende existierte und insbesondere dazu diente, Sicherheitsund Ordnungsdienste für rechtsextremistische Akteure und deren Veranstaltungen zu stellen. In der Vergangenheit beteiligten sich Angehörige der Gruppierung mit entsprechend einheitlicher Bekleidung etwa regelmäßig an den "Eichsfeldtagen" der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) Thüringen in Leinefelde oder auch an den von Heise veranstalteten "Schild & Schwert"-Festivals im sächsischen Ostritz. Regionale Ableger der "Arischen Bruderschaft" firmierten unter den Bezeichnungen "Brigade 12 Mitte" und "Brigade 12 Pommern" und waren u. a. in die 42 Siehe Kapitel 2.3, "Abschnitte 'Verbot Hammerskins Deutschland' und 'Verbot Artgemeinschaft'". 76 Rechtsextremismus Organisation und Durchführung von Konzerten eingebunden. Zuletzt verhinderte die Polizei am 04.03.2023 in Neumünster (SchleswigHolstein) ein unter der Bezeichnung "Der Norden rockt" von der "Brigade 12 Pommern" veranstaltetes Konzert. Die ebenfalls aufgelöste "Kameradschaft Northeim" war bereits zuvor faktisch nicht mehr existent. Vielmehr hatte das seit den 1990er Jahren bei Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene mitgeführte Transparent "Kameradschaft Northeim - Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!" vor allem traditionswahrende und identitätsstiftende Bedeutung für die überregionale neonazistische Szene im Dreiländereck Niedersachsen-Thüringen-Hessen. Im Zuge der Verbotsmaßnahmen gaben weitere rechtsextremistische Gruppierungen ihre Selbstauflösung bekannt. Ebenfalls am 27.09.2023 erklärte zunächst die "Division 45" und später auch die Gruppierung "Brothers of Honour" ihre Auflösung mit sofortiger Wirkung. Am 28.09.2023 folgte die "Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland", die über ihre Internetseite und Social MediaKanäle verkündete, alle Aktivitäten mit sofortiger Wirkung einstellen zu wollen. Am 08.10.2023 erklärte schließlich auch die "Brigade 8" ihre Selbstauflösung bzw. die Auflösung ihrer "Chapter Schlesien", "Chapter Mittel/Elbe" und "Chapter Spreewald". Bei der "Division 45" handelte es sich um einen Personenzusammenschluss subkulturell geprägter Rechtsextremisten mit Strukturen in mehreren Bundesländern, u. a. in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Schwerpunkte ihrer Aktivitäten waren die Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen sowie deren Organisation und Durchführung. Auch die Gruppierung "Brothers of Honour" war dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus zuzuordnen und orientierte sich mit Blick auf Struktur und Habitus an einer sogenannten "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) aus dem Rockermilieu. Ungefähr ab 2019 traten ihre Mitglieder vor allem im Zusammenhang mit der Veranstaltung und dem Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen in Erscheinung. Gleiches gilt für die im Jahr 2012 gegründete rechtsextremistische Gruppierung "Brigade 8", die ebenfalls im Stile einer OMCG über Strukturen ("Chapter") in mehreren Bundesländern verfügte. Die Gruppierung war um Vernetzung mit ähnlich ausgerichteten 77 Rechtsextremismus "Bruderschaften" wie "Nordic 12", "Blood Brother Nation" oder "Midgards Wächter" in Nordund Ostdeutschland bemüht. In Niedersachsen war der "Brigade 8" ein einstelliges Personenpotenzial zuzurechnen. Mangels eigenständiger Strukturen richteten sich ihre Mitglieder an anderen "Chaptern" aus. In Niedersachsen beteiligten sie sich etwa im Jahr 2021 an einem von der "Brigade 8 Bremen" durchgeführten "Heldengedenken" in Dötlingen (Landkreis Oldenburg). Einen organisationsübergreifenden Ansatz verfolgte die "Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland", die als Siedlungsbestrebung mit völkisch-nationalistischer Prägung darum bemüht war, Rechtsextremisten von einem Umzug nach Ostdeutschland zu überzeugen und diese dabei mit Netzwerkarbeit zu unterstützen. In der Gesamtbetrachtung dürften die Selbstauflösungen vor allem taktisch motiviert und in Erwartung weiterer Verbotsmaßnahmen erfolgt sein. Ungeachtet der formal aufgelösten Strukturen werden die personellen Verbindungen voraussichtlich fortbestehen. Es ist deshalb zu erwarten, dass der betroffene Personenkreis an einer Fortsetzung seiner rechtsextremistischen Aktivitäten festhalten wird. Dabei muss mit einer zunehmend konspirativen Vorgehensweise gerechnet werden. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine rief bei Angehörigen der neonazistischen Szene eher Sympathien für die Ukraine hervor, weil sich diese in einem Kampf um nationale Souveränität befindet. Im Zusammenhang mit dem seit den Terroranschlägen der HAMAS in Israel wieder in den Fokus gerückten Nahostkonflikt werden sowohl antimuslimische als auch antisemitische und antizionistische Positionen der neonazistischen Szene deutlich: "Als nationalrevolutionäre Bewegung stehen wir hingegen einzig und allein solidarisch zu unserem Volk und den unserer Völkergemeinschaft angehörenden weißen Brudervölkern. Beim Konflikt im Nahen Osten stellen wir uns weder auf die Seite der imperialistischen Landräuber Zions ..., noch auf die Seite islamistischer Mordbrenner, die nicht allein nur einen berechtigten Anspruch auf einen souveränen palästinensischen Nationalstaat verfolgen, sondern eine dschihadistische Agenda, die im Verborgenen schon längst bei ihren 'friedlich' erobernden Glaubensbrüdern in Deutschland und Europa läuft. Im klaren Gegensatz zu den Herrschenden des BRD-Systems lautet unser Standpunkt deshalb: Keine Soli78 Rechtsextremismus darität mit Israel und keinen Quadratmeter unseres Heimatbodens für mohammedanische Landnehmer!" (Internetseite der Partei "Der III. Weg", "Zions willfährige Knechte: BRD-Regierung solidarisiert sich bedingungslos mit Israel", 16.10.2023) Organisationsübergreifende Zusammenarbeit Organisationsund parteiübergreifende Entwicklungen werden an personellen Zusammenschlüssen wie "Oskars Osna" aus dem Raum Osnabrück deutlich, welche enge Verbindungen zu den Strukturen der JN aufweisen. 43 Über Auftritte in sozialen Medien wie Facebook oder Instagram wird versucht, insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen zielgruppenspezifisch die eigene Deutung von Heimat, Gemeinschaft und Nation als gesellschaftlichen Gegenentwurf zu vermitteln. Die virtuellen Aktivitäten werden ergänzt um realweltliche Angebote wie Kameradschaftsoder Liederabende, Wanderungen und Ausflüge oder den gemeinsamen Besuch von Demonstrationen und Vortragsveranstaltungen. In ideologischen Schulungen, etwa zur Metapolitik oder zum Umgang mit Sicherheitsbehörden, vermitteln die "Oskars Osna" ihren Angehörigen und Sympathisanten theoretische Grundlagen für den politischen Aktivismus. Ihre Ziele werden klar benannt: "Alternativen zum BRD-Alltag schaffen" und "Die Hegemonie unserer Gegner brechen". Grundlagen für organisationsübergreifende Verbindungen werden mitunter im Rahmen von kulturellen oder freizeitlichen Gemeinschaftsveranstaltungen geschaffen und gepflegt. So führten Angehörige der rechtsextremistischen Szene, u. a. aus Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, am 15.07.2023 eine Wanderung zur Gedenkstätte Stedingsehre in Ganderkesee (Landkreis Oldenburg) durch, einer von den Nationalsozialisten errichteten und als "Thingstätte" für Versammlungen genutzten Freilichtbühne. Die etwa 30 Teilnehmenden, die vereinzelt von ihren Kindern begleitet wurden, sind der neonazistischen Szene zuzurechnen, weisen teilweise aber auch Bezüge zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen wie der "Identitären Bewegung" oder den Parteien "Die Heimat/JN" und "Der III. Weg" auf. 43 Siehe Kapitel 2.9, Abschnitt "Aktivitäten der 'Jungen Nationalisten' (JN) in Niedersachsen". 79 Rechtsextremismus Akzelerationismus Neben organisationsgebundenen oder in netzwerkähnliche Strukturen eingebundenen Rechtsextremisten stellen insbesondere über wiegend digital aktive Einzelpersonen eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Imageboards, Messengeroder Chatgruppen, in denen rassistische, fremdenfeindliche, misogyne oder homophobe Inhalte geteilt werden, führen in erster Linie männliche Rechtsextremisten aus verschiedenen Ländern der Welt zusammen und bilden mitunter den Resonanzraum für Radikalisierungsverläufe. In diesem Kontext zu ist das Phänomen des Akzelerationismus zu nennen. Dieses zielt darauf ab, durch rechtsextremistische Gewalt-, Amokoder Terrortaten, bestehende gesellschaftliche Konflikte zu verstärken, um letztlich einen Zusammenbruch des gesellschaftlichen und politischen Systems herbeizuführen. Die Tatsache, dass sich von dieser Form des Rechtsextremismus bereits Kinder und Jugendliche angesprochen fühlen, erfordert neben zielgerichteten Herangehensweisen im Rahmen der Prävention auch eine Anpassung sicherheitsbehördlicher Maßnahmen zur frühzeitigen Aufdeckung entsprechender Vorbereitungshandlungen. Exemplarisch dafür ist ein Ermittlungsverfahren europäischer Strafverfolgungsbehörden gegen die aus internationalen Mitgliedern bestehende Gruppierung "Sturmjäger Division". Die über Messenger-Dienste kommunizierende Gruppierung vertritt eine am Akzelerationismus orientierte Ideologie und strebt den Aufbau nationaler Zellen an. Innerhalb der Gruppe wurden u. a. Manifeste rechtsextremistischer Attentäter sowie Bauanleitungen für Waffen und Sprengstoff verbreitet und zunehmend gewaltorientierte Aktionen von den Mitgliedern eingefordert. Am 09.11.2023 gab es Durchsuchungsmaßnahmen in mehreren europäischen Ländern, von denen auch ein 21-jähriger Mann aus Stade betroffen war. Demonstrationen Demonstrationen waren für die neonazistische Szene lange Zeit das wichtigste Mittel, ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. 80 Rechtsextremismus Demonstrationen können als Indikator für die thematische Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene angesehen werden. Die Bereitschaft zur Demonstrationsteilnahme hat in den letzten Jahren allerdings stark nachgelassen. Von der Demonstrationsmüdigkeit betroffen ist auch der Gedenkmarsch in Dresden (Sachsen), der jedes Jahr aus Anlass der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Februar 1945 stattfindet und der für die neonazistische Szene bislang von großer Bedeutung war. Unter den etwa 670 Teilnehmenden der Veranstaltung am 11.02.2023 befanden sich aus Niedersachsen sowohl Mitglieder der Partei "Die Heimat/JN" als auch Angehörige der neonazistischen Szene. In den Vorjahren hatten die Teilnehmerzahlen mitunter im vierstelligen Bereich gelegen, so etwa im Jahr 2020 mit rund 1.300 Personen, im Jahr 2022 waren es noch rund 800 Personen. An den Demonstrationen zum "Tag der Arbeit" am 1. Mai, die traditionell für die rechtsextremistische Szene bedeutsam sind, beteiligten sich an den verschiedenen dezentralen Versammlungen im Bundesgebiet insgesamt nur noch rund 600 Rechtsextremisten. Auch hier hatte die Gesamtzahl der Teilnehmenden noch vor einigen Jahren im vierstelligen Bereich gelegen. Angemeldet wurden die Versammlungen von der NPD (heute "Die Heimat"), den Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" oder von der ebenfalls neonazistisch geprägten "Neuen Stärke Partei", die im November 2021 gegründet wurde und derzeit in nur wenigen Bundesländern vertreten ist. 44 Rechtsextremistische Netzwerkbestrebungen Das Presseorgan "Deutsche Stimme" der Partei "Die Heimat" veranstaltet seit 2022 den sogenannten "DS-Netzwerktag", an dem sich Angehörige verschiedener rechtsextremistischer Organisationen und Strömungen beteiligten, um der in weiten Teilen des traditionellen Rechtsextremismus festzustellenden strukturellen und organisatorischen Schwäche zu begegnen. Unter dem Motto "Spaltung überwinden" sollten im Rahmen der Auftaktveranstaltung die Möglichkeiten zur Bildung einer organisationsübergreifenden 44 Zur "Neuen Stärke Partei" siehe u. a. Bundesministerium des Innern und für Heimat, Verfassungsschutzbericht 2022, Kapitel V "Rechtsextremistisches Parteienspektrum". 81 Rechtsextremismus "Querfront" gegen die Regierung und letztlich gegen das demokratische System ausgelotet werden. Im Mittelpunkt des 3. DSNetzwerktages am 13.05.2023 in Hessen standen Diskussionen etwa zu den Themen "Zwischen Tradition und Moderne - Wie schaffen wir eine Gegenkultur?" oder "Wie retten wir die Heimat".45 Kampfsport Kampfsport und der dazugehörige Lifestyle haben sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu einem identitätsstiftenden Faktor mit organisationsübergreifender Anziehungskraft entwickelt. Dies gilt insbesondere für einen bestimmten Teil des Neonazismus, der sich selbst als Avantgarde versteht. In Kampfsportseminaren werden Angehörige der rechtsextremistischen Szene auf lokaler Ebene mit den Grundtechniken verschiedener Kampfsportarten vertraut gemacht, die ihnen in professionell organisierten KampfsportEvents vorgeführt werden. Ursprung und Mittelpunkt dieser Entwicklung ist die 2013 ins Leben gerufene Veranstaltung "Kampf der Nibelungen" (KdN), die nach stetig wachsenden Teilnehmerzahlen im Jahr 2019 erstmals von einer Versammlungsbehörde verboten wurde. Gegen das durch die Stadt Ostritz (Sachsen) ausgesprochene Verbot des Kampfsportturniers hatten die Veranstalter eine Fortsetzungsfeststellungsklage geführt, die im Jahr 2022 mit der Abweisung durch das Verwaltungsgericht Dresden (Sachsen) endete. Das Gericht bestätigte in seinem Urteil die von der Verbotsbehörde vorgebrachte Auffassung, dass bei der Veranstaltungsreihe KdN nicht sportliche Aspekte im Vordergrund stehen würden, sondern die Vorführung von Kampftechniken sowie die Kampfertüchtigung als Einstieg in den physischen politischen Kampf. Letztlich habe die Veranstaltung darauf abgezielt, dem Besucherkreis Gewaltkompetenzen zur Überwindung des politischen Systems zu vermitteln. Dem Verbot entsprechender Events in Deutschland versuchen die Veranstalter durch eine Verlagerung ins Ausland zu begegnen. An der "European Fight Night", die am 06.05.2023 von den KdNOrganisatoren zusammen mit ungarischen Neonazis in der Nähe von Budapest durchgeführt wurde, sollen sich 32 Kämpfer aus zwölf Nationen beteiligt haben. Der Zuspruch von lediglich etwa 45 Siehe Kapitel 2.9. 82 Rechtsextremismus 150 Besucherinnen und Besuchern, darunter vereinzelt aus Niedersachsen, dürfte jedoch deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben sein. Urteilsverkündung im Verfahren gegen die "Gruppe S." wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung Am 30.11.2023 ergingen in Baden-Württemberg die Urteile des Oberlandesgerichtes Stuttgart im Strafverfahren gegen die Mitglieder der sogenannten Gruppe S. (benannt nach deren Anführer) wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB sowie wegen weiterer Delikte. 46 Ziel der Gruppe soll die Begehung von Anschlägen auf Moscheen und Geflüchtete sowie auf Politikerinnen und Politiker gewesen sein, um bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Der Hauptangeklagte wurde wegen der Gründung und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie wegen Waffendelikten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ein Mitangeklagter aus Niedersachsen erhielt wegen der Gründung und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Acht weitere Angeklagte wurden ebenfalls zu teils mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, in einem Fall zur Bewährung ausgesetzt. Einen elften Angeklagten sprach das Gericht frei, weil dieser durch seine freiwillige Unterstützung der Ermittlungsarbeit zur Zerschlagung der Vereinigung beigetragen hatte. Ein zwölfter Angeklagter hatte sich noch vor Anklageerhebung in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Hintergrund des Strafverfahrens waren bundesweite Durchsuchungsmaßnahmen am 14.02.2020 auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft und auf richterliche Anordnung bei insgesamt zwölf Beschuldigten, die der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden. Anlass waren Pläne der Gruppe zur Waffenbeschaffung, um mit diesen Waffen Anschläge auf Moscheen in der Bundesrepublik zu begehen. In Niedersachsen richteten sich die Maßnahmen gegen einen zum Tatzeitpunkt 39-jährigen Mann aus Wriedel (Landkreis Uelzen), der zuvor als Angehöriger der Gruppierung "Freikorps Heimatschutz" bekannt geworden war. Die Beschuldigten standen 46 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.11.2023, Az. 5-2 StE 7/20. 83 Rechtsextremismus im Verdacht, der als rechtsterroristisch eingestuften Vereinigung "Gruppe S." anzugehören. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die bereits seit einigen Jahren anhaltende personelle und aktionistische Stagnation der neonazistischen Szene dauerte auch im Jahr 2023 an. Ausschlaggebend sind Attraktivitätsverlust und mangelnde Anschlussfähigkeit infolge einer unzeitgemäßen und vergangenheitsbezogenen ideologischen Verengung auf den historischen Nationalsozialismus. Gruppierungen stellten ihre Aktivitäten ein, verzichteten auf politisch geprägte Aktionen, reduzierten diese auf ein öffentlich nicht wahrnehmbares Maß oder sind lediglich noch virtuell präsent. Neue Gruppierungen sind hingegen nur in wenigen Einzelfällen entstanden. Wegen einer fehlenden Koordinierung oder Steuerung der politischen Aktivitäten vollzieht sich die Entwicklung der neonazistischen Szene in Niedersachsen uneinheitlich. Dies spiegelt sich einerseits in der reinen Größe der Gruppierungen und zumeist losen Netzwerken wider, andererseits in der von den verbliebenen lokalen oder regionalen Strukturen unterschiedlich praktizierten Zusammenarbeit untereinander. Kooperationen über teilweise große räumliche Entfernungen sind ebenso feststellbar wie verschiedene Konstellationen mit Personen und Strukturen anderer Spektren. So sind in zahlreichen Fällen Schnittmengen zu den Parteien "Die Rechte", "Der III. Weg" sowie zur Partei "Die Heimat" (vormals NPD) oder zu deren Jugendorganisation JN zu beobachten, die zur Aufrechterhaltung eines wahrnehmbaren Aktionsniveaus mittlerweile von elementarer Bedeutung sind. Daneben bestehen Kontakte zur rechtsextremistisch beeinflussten Hooliganszene oder zu überwiegend subkulturell geprägten Bruderschaften wie "Blood Brother Nation", "Nordic 12" und der im Oktober 2023 aufgelösten "Brigade 8". Nur durch diese Kooperationen scheint es der neonazistischen Szene derzeit möglich, das schwindende Mobilisierungspotenzial oberflächlich zu kompensieren. Ungeachtet dessen dürfte von der Neonaziszene weiterhin die Vorstellung einer rassistisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft als idealtypischer, zeitlos moderner Gegenentwurf zur liberalen und multikulturellen Gesellschaft gesehen und propagiert 84 Rechtsextremismus werden. Anhänger der neonazistischen Szene werden deshalb auch künftig versuchen, die daraus resultierenden fremdenfeindlichen und rassistischen Überzeugungen verschärft in den gesellschaftlichen Diskurs zur Flüchtlingsund Einwanderungsthematik einfließen zu lassen. Es besteht in diese Zusammenhang die Gefahr einer weiteren Radikalisierung auch über die rechtsextremistische Szene hinaus, die in Gewalttaten gegen politische Gegner, gegen Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte, aber auch gegen Helferinnen und Helfer sowie gegen Politikerinnen und Politiker münden kann. 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gründung/ Oktober 2012; als eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn Bestehen seit (Nordrhein-Westfalen) seit August 2014: "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." Struktur/Repräsentanz Bundesweit diverse Regionalund Ortsgruppen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 30 Unterstützer Veröffentlichungen Wechselnde Internetpräsenzen unter überwiegender Nutzung von alternativen Plattformen und Messenger-Diensten. Die einzelnen Regionalund Ortsgruppen sind nach weitreichenden Löschungen nur noch vereinzelt und oftmals unter neuem Namen in den gängigen sozialen Medien präsent. Kurzportrait/Ziele Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine aktivistische Gemeinschaft im europäischen Rechtsextremismus, deren Vertreter auch in Niedersachsen lokale Untergruppen gebildet haben. Die IBD ist in einer netzwerkähnlichen Struktur organisiert und basiert auf Personenzusammenschlüssen vor allem jüngerer Menschen. Ideologisch wird die IBD dem Umfeld der "Neuen Rechten"47 47 Die mit dem Begriff "Neue Rechte" bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 85 Rechtsextremismus zugeordnet und gehört zu einer intellektuell geprägten Strömung im organisierten Rechtsextremismus, die sich auf die antidemokratischen Theoretiker der "Konservativen Revolution" beruft. Belege hierfür sind ihre programmatischen Positionierungen, ihr ideologisches Konzept der "ethnokulturellen Identität" und die Strategie der "Metapolitik", aber auch diverse europaweite Kontakte zu Personen und Organisationen der "Neuen Rechten". Im Gegensatz zu den Denkzirkeln der "Neuen Rechten" führt die IBD jedoch auch konkrete Aktionen durch und verbreitet diese anschließend medial aufbereitet im Internet. Finanzierung Die IBD finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Verkauf von Artikeln im Internetshop der Organisation. Die eigene Vermarktung erfolgt über das Internet. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) versteht sich als Ableger der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) und der Anfang des Jahres 2021 verbotenen französischen Jugendorganisation "Generation Identitaire" (GI). Bei der GI handelte es sich um die Jugendorganisation des "Bloc Identitaire", welcher die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung "Unite radicale" darstellte. Begründet wurde das offiziell am 03.03.2021 durch das französische Innenministerium verkündete Verbot der GI u. a. mit dem martialischen, paramilitärischen Auftreten der Organisation. Die GI diente der IBD insbesondere in ihrer Gründungsphase als Vorbild für eigene Aktivitäten. Ein Erkennungszeichen der IBD ist weiterhin das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die u. a. im 5. Jahrhundert v. Chr. gegen die Invasion der Perser kämpften. In Anlehnung an den US-amerikanischen Kinofilm "300" wird der Bezug zu den Soldaten des spartanischen Heeres hergestellt, die auf ihren Schilden das Lambda trugen. Es besteht eine enge Verbindung der IBD mit der IBÖ. Die öffentliche Verwendung des Lambda-Symbols wurde im Juli 2021 durch einen Beschluss des österreichischen Parlaments verboten. Gleiches gilt für die Darstellung in elektronischen Medien, 86 Rechtsextremismus woraus ein strategisches Umdenken der IBÖ und auch der IBD resultierte. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich verzichtet die "Identitäre Bewegung" weitgehend auf das Lambda-Symbol, um weiterhin ein einheitliches Auftreten der IB zu erreichen und sich in sozialen Netzwerken vor der Löschung von Beiträgen und Kanälen zu schützen. Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten Bewegung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die ihrer Meinung nach bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch angebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" bezeichnet dabei einen völkischen Nationalismus bzw. Regionalismus im europäischen Kontext. In Anlehnung an den Franzosen Alain de Benoist, der einer der maßgeblichen Vordenker der "Neuen Rechten" in Europa ist, wird darunter eine ethnische, religiöse und kulturelle Prägung von Gemeinschaften und ganzen Völkern verstanden, durch die allein sich die Identität des Einzelnen definiere. Die IBD richtet sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagiert einen europäischen Ethnopluralismus. Dieser begründet die vermeintlichen zu verteidigenden kulturellen und zugleich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus und fordert dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien. Die IBD wendet sich mit ihrer Deutung des Begriffs Staatsvolk als eine durch ethnokulturelle Kontinuität bedingte "Kultur-, Abstammungsund Solidargemeinschaft" gegen die im Grundgesetz definierte Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen, bildungsfern usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden 87 Rechtsextremismus auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremdenund islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können. Hiermit richtet sich die IBD gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die IBD bereits 2017 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln wies am 13.10.2022 die Klage der IBD ab und bestätigte die Beobachtungswürdigkeit. Nach dem Urteil des Gerichts liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vor (VG Köln 13 K 4222/18): "Es finden sich einige Äußerungen, die die Menschenwürdegarantie verletzen. Das in den Äußerungen zutage geförderte Volksverständnis widerspricht dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und ist geeignet, Zugehörige einer anderen Ethnie auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Es tritt das Ziel zutage, Migranten - insbesondere außereuropäische - auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handelt sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses, die sich von der Linie des Klägers abheben würden. Aus dem Grundtenor der zitierten Aussagen lässt sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens des Klägers ist." Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die "Identitäre Bewegung" (IB) wurde in den vergangenen Jahren insbesondere durch die Sperrung ihrer Kanäle auf den gängigen Social Media-Plattformen empfindlich getroffen. Nach der Löschung ihrer Facebook-Profile und dem Entfernen der IBD-Internetseite aus den Mechanismen bei Suchmaschinen wie Google erfolgte 2020 die Löschung zahlreicher Konten der IB (inklusive Untergruppen) beim Messenger-Dienst Twitter (heute X). Als Grund wurden Verstöße gegen die Richtlinien in Bezug auf gewalttätigen Extremismus genannt. Auch das Videoportal YouTube löschte mehrere Konten der IB. Davon war auch Martin Sellner betroffen. Der 33-jährige Österreicher ist nicht nur Führungsfigur und ideologischer Vordenker der deutschsprachigen IB als auch der "Neuen Rechten" insgesamt, sondern zugleich ihr bekanntestes Gesicht. 88 Rechtsextremismus Die anschließenden Versuche, auf alternativen Plattformen wie dem Messenger-Dienst Telegram oder den Videoportalen BitChute, Odysee und Rumble ein ähnlich großes Publikum zu erreichen, sind bislang fehlgeschlagen. Auch im Jahr 2023 konnte die IB keine erfolgreiche Strategie entwickeln, um den fortschreitenden Öffentlichkeitsund damit verbundenen Aufmerksamkeitsverlust aufzuhalten bzw. umzukehren. Die IB nutzt die eigene Medienagentur "Okzident Media", das Finanzdienstleistungsunternehmen "Schanze Eins" und den IBDShop "Phalanx Europa", um die Kommunikationsfähigkeit sicherzustellen und ideologisch nahestehende Nachrichteninhalte online zu verbreiten. Dennoch ist die Verbreitung ihrer Ideologie durch die Löschungen der Internetpräsenzen erheblich eingeschränkt worden. Der durch fortlaufende Sperrungen erzwungene Wechsel auf kleinere, alternative Kommunikationsplattformen, wird zum Großteil nur noch vom Kern der Anhängerschaft wahrgenommen. Darüber hinaus erschwert diese Entwicklung die Rekrutierung neuer Interessenten und Mitglieder. Neuausrichtung bei Aktionsformen und Namensgebung Die seit Ende 2021 begonnene Neuausrichtung bei Aktionsformen und in der Namensgebung konnte dem schleichenden Bedeutungsverlust der IB nicht entgegenwirken. Einhergehend mit der Neuausrichtung wurden deutschlandweit die Ortsund Regionalgruppen umbenannt. Das Ziel war, die regionale Verwurzelung zu betonen und vordergründig den IB-Ursprung zu verdecken, wenngleich der Bezug und die Nähe zur IB durch die Aussagen der Aktivisten und die Verbreitung in Messenger-Diensten durchaus erkennbar bleibt. In Niedersachsen nennt sich der lokale IB-Ableger "Sturmfeste Hannover". Im aktuellen Berichtszeitraum war ein weiterer deutlicher Rückgang an öffentlichkeitswirksamen Aktionen festzustellen. "Sturmfeste Hannover" zählt damit im bundesweiten Vergleich zu den eher inaktiven Regionalgruppen. Insgesamt richten sich die klassischen Protestund Banneraktionen der IB auch weiterhin gegen Migration und die Unterbringung von Geflüchteten sowie gegen den Bau von Moscheen. Im Mai 2023 startete die IBD ihre Kampagne "No Way - Do Not Come To Europe", die fremdenfeindliche Ressentiments verbreitet und auf 89 Rechtsextremismus die Ängste vor einer vermeintlich unkontrollierten Zuwanderung von geflüchteten Menschen abzielt. Die IBD mietete mehrere Großwerbeflächen in afrikanischen Staaten an, um Menschen von der Migration nach Europa abzuhalten. Der Titel der Kampagne wurde dafür um die Worte "Your country needs you" ergänzt. Die IBD verbreitete die Kampagne auf ihren verschiedenen Social MediaPlattformen, mit mäßigem Erfolg. Außer von rechtsextremistischen Zeitschriften und Blogs wurde über die Kampagne nicht nennenswert berichtet. Die "Remigrationsdemo" der IBÖ am 29.07.2023 in Wien war ein zentrales Ereignis. Neben insbesondere bekannten österreichischen, französischen und schweizer Aktivistinnen und Aktivisten beteiligten sich auch zahlreiche IB-Angehörige aus Deutschland, darunter auch Personen aus Niedersachsen. Nach Angaben der Organisatoren sollen an der Demonstration rund 500 Personen teilgenommen haben. Die Demonstration sowie die anschließende Kundgebung dienten der IB dazu, ihre Forderung nach "Remigration" zu unterstreichen und diese wiederholt auch mit dem Hinweis auf die angeblich gestiegene Bedrohungslage durch "Kriminelle und Terroristen" im Zuge der vermeintlichen "Islamisierung" Deutschlands und Europas zu begründen. "Wir als europäische Jugend sind die Zukunft, Multikulti, Überfremdung und Globalisten sind die Vergangenheit." (Telegram-Beitrag auf dem Kanal der Identitären Bewegung vom 30.07.2023) Konkret wurden im Zusammenhang mit der Kundgebung rechtsextremistische, antisemitische und verschwörungstheoretische Narrative bedient. In den Redebeiträgen wurde etwa vor einem "Bevölkerungsaustausch" gewarnt. Der Österreicher Martin Sellner sprach in seiner Rede von einem "menschengemachten Bevölkerungswandel". Kampagne "#Stolzmonat" Mit zahlreichen digitalen wie auch realweltlichen Protestund Banneraktionen bewarb die rechtsextremistische Szene im Juni 2023 als gemeinsame Aktion den sogenannten "Stolzmonat" als 90 Rechtsextremismus rechtsextremistisches Gegennarrativ zur LGBTIQ+-Bewegung 48, die im Juni weltweit den "Pride Month" feiert. Die Aktion sprach aber auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene an, vornehmlich im digitalen Raum. Beworben wurde die Kampagne nicht nur von Personen aus dem Spektrum der "Neuen Rechten", u. a. aus der IB sowie aus der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) und deren Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA), sondern auch von Vertreterinnen und Vertretern des traditionellen Rechtsextremismus wie der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) oder der Partei "Der III. Weg". Durch den "Stolzmonat" versucht die rechtsextremistische Szene insgesamt, Vorurteile gegenüber transund homosexuellen Menschen ideologisch zu besetzen. Die Kampagne ist Ausdruck ihrer Ablehnung von Diversität im Hinblick auf sexuelle Orientierungen, moderne Geschlechterverständnisse und Familienmodelle. Ideologisch ist sie Ausfluss einer metapolitischen Strategie. Während die LGBTIQ+-Bewegung für den "Pride Month" die Regenbogenfahne als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten verwendet, setzen rechtsextremistische Akteure auf die Farben der deutschen Bundesflagge als öffentlichkeitswirksamen Ausdruck für den eigenen Nationalstolz. Auch neonazistisch geprägte Personen und Organisationen wie die JN und die Partei "Der III. Weg" beteiligten sich aus taktischen Motiven, um Anschluss an eine breitere Öffentlichkeit zu erzielen, obwohl sie das politische System und die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnen. 49 Zahlreiche rechtsextremistische Einzelpersonen und Gruppierungen nutzten für ihre Profilbilder in den sozialen Medien veränderte und abgewandelte schwarz-rot-goldene Bundesflaggen. 48 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexuell, transsexual/transgender, queer, intersexual, asexuell. 49 Aus ähnlichen taktischen Motiven dürfte u. a. auch die Kampagne "Werde Heimatschützer" des neonazistisch geprägten und bundesweit agierenden Bündnisses "Inferno Deutschland" erfolgt sein. Am 28.10.2023 hatten etwa Aktivisten der JN mit Gesichtsmasken in den Farben SchwarzRot-Gold ein Banner auf einer Baustelle in Braunschweig entrollt. Auf dem Banner waren ebenfalls vermummte Personen mit den entsprechenden Gesichtsmasken zu sehen, die damit im Widerspruch zur Ideologie der neonazistischen Szene und deren Ablehnung der demokratischen Bundesrepublik Deutschland stehen sowie die Aufschrift "HOL DIR DEIN LAND ZURÜCK!" (siehe Kapitel 2.9). Bei dem Aufruf handelt es sich zugleich um einen bekannten Wahlspruch der AfD, der bereits in mehreren Kampagnen der Partei Verwendung gefunden hat. 91 Rechtsextremismus Sie verbreiteten Dokumentationen ihrer eigenen realweltlichen Aktionen und riefen zur Nachahmung auf. In der Folge konnten rechtsextremistische Akteure eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit erzielen. Insbesondere bei Twitter wurde die Kampagne über die eigenen Sympathisanten und Anhänger hinaus wahrgenommen. Bemerkenswert ist, dass im Rahmen der Aktionen zum "Stolzmonat" keine Distanzierung der neurechten Gruppierungen zum traditionellen Rechtsextremismus erfolgte. Zum Kampagnenende kristallisierte sich ein von der rechtsextremistischen Szene initiierter Hashtag "#Stolzmaus" als Trend heraus, der Bezug auf einen Twitter-Beitrag der beliebten Zeichentrickfigur aus der WDR-Sendung nahm. Die Maus ist darin mit den Regenbogenfarben und der Aussage "Wie schön, dass es dich gibt" zu sehen. Zwei im Rahmen des "Stolzmonat" im Juni 2023 durchgeführte Aktionen der IB in Niedersachsen erzeugten keine öffentliche Resonanz. Aktivisten brachten schwarz-rot-goldene Schilder an Ampelanlagen und Gebäuden an und in Hannover befestigten zwei Personen ein Banner mit der Aufschrift "STOP LGBT" an einem Brückengeländer. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Aktionen und aktuellen Kampagnen der IB bestehen im Kern aus der ideologisch-programmatischen Forderung nach dem Erhalt einer "ethnokulturellen Identität" und zeigen in der begleitenden Darstellung im Internet unverkennbar fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch-nationalistischen Haltungen. Die IB stellt Menschen mit Migrationshintergrund und Einwanderer ungeachtet ihrer Individualität als homogenen Block dar, dessen Handlungen zentral durch die ethnische Herkunft bestimmt sind. Diesem vermeintlich homogenen Block wird unterstellt, einheitliche Interessen zu verfolgen, die stets gegen die autochthone Bevölkerung bzw. die deutsche Nation gerichtet sind sowie eine demographische Übernahme eben dieser anzustreben. Ideologisch verfolgt die IB weiterhin einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Sinne eines 92 Rechtsextremismus volksgemeinschaftlichen Denkens wird die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den ideologischen Bezugsrahmen bieten rechtskonservative Theoretiker der Weimarer Republik wie Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler, die zu den antiliberalen und antiegalitären Denkzirkeln der "Konservativen Revolution" gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffsverständnis von "Freiheit, Heimat, Tradition", das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. Die Aktionen und Veranstaltungen der IB sind in den letzten Jahren wenig geeignet gewesen, ein größeres Publikum anzusprechen oder eine größere mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Entwicklung zeichnet sich auch hinsichtlich der personellen Struktur ab. Die IB Niedersachsen vermag es derzeit kaum, junge Menschen als potenzielle Interessenten bzw. Aktivisten anzuwerben. Gleichzeitig entwachsen die langjährigen und gefestigten Akteure der aktionsund abenteuerorientierten jugendlichen Generation, die das Selbstverständnis der IB geprägt hat. Die IB Niedersachsen befindet sich derzeit in einem langsamen Zerfallsprozess. Es gab im Berichtszeitraum nur sehr wenige Aktionen, deren Öffentlichkeitswirksamkeit zudem stark begrenzt blieb. Auch aktive Maßnahmen zur Gegensteuerung, wie die Umbenennung auf lokaler Ebene oder die Vermummung bei Aktionen, haben bisher keine grundsätzliche Trendumkehr eingeläutet. Die wesentlichen ideologischen Inhalte der IB bestehen fort. Die ethnokulturelle Identität sieht die IB durch den Multikulturalismus bedroht, weshalb sie weiterhin mit der Schwerpunktsetzung auf die Themen Migration und Islam versucht, gesellschaftlich anschlussfähig zu sein und den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Islamfeindlichkeit der IB stützt sich insbesondere auf Narrative über kulturell bedingte Bildungsdefizite bestimmter Migrantengruppen oder die Ethnisierung von sexueller Gewalt. Das stetige Wiederaufgreifen dieser Themenkomplexe zeugt von einem Stillstand innerhalb der ideologischen Entwicklung der IB bzw. von einer Erfolglosigkeit im Aufgreifen neuer Ansätze. 93 Rechtsextremismus 2.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen Gründung/ Auflösung am 04.11.2018; Neugründung am 25.04.2021 Bestehen seit Struktur/ Landesverband Repräsentanz Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 20 Unterstützer Veröffentlichungen Präsenz in den sozialen Medien, eigene Internetseite, Online-Shop (www.patria-laden.de) des Bundesverbands Kurzportrait/Ziele Die "Junge Alternative" (JA) Niedersachsen ist eine eigenständige, dem Bundesverband der "Jungen Alternative für Deutschland"50 untergeordnete politische Vereinigung und fungiert als offizielle Jugendorganisation der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD)51. Nach der Bekanntgabe, dass die JA Niedersachsen mit Wirkung vom 03.09.2018 Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist, wurde der Landesverband am 04.11.2018 aufgelöst. Als eine Art dezentrale Strategie der AfD Niedersachsen unternahmen einzelne Kreisverbände den Versuch, regionale Jugendgruppen ohne einheitliche Organisationsbezeichnung zu etablieren. Ende 2020 intensivierte der damalige AfDLandesvorstand seine Bemühungen um eine Neugründung der JA Niedersachsen, die offiziell am 25.04.2021 vollzogen wurde. Die Ideologie der JA basiert auf einem ethnisch-kulturellen Volksbegriff, der dem Volksbegriff des Grundgesetzes entgegensteht. Ebenso finden sich islam-, einwanderungsund asylfeindliche Positionen wieder. Als Jugendorganisation versucht die JA Einfluss auf die Mutterpartei zu nehmen, um politische Inhalte mitzubestimmen. Gleichzeitig unterstützt sie den Wahlkampf von AfDKandidaten in Form von Veranstaltungen und dem Anbringen von Plakaten. 50 Der Bundesverband "Junge Alternative für Deutschland" ist Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 51 Die Bundespartei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zum Landesverband Niedersachsen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) siehe Kapitel 2.8. 94 Rechtsextremismus Finanzierung Die JA Niedersachsen finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Für die Beobachtungswürdigkeit ist der ethnisch-kulturelle Volksbegriff der JA von zentraler Bedeutung. Mit ihm soll primär das Ziel des Erhalts des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand zum Ausdruck gebracht werden. Dieser ethnisch-kulturelle Volksbegriff ist jedoch mit der Menschenwürde nach Art. 1 GG nicht vereinbar. Die Staatsangehörigkeit spielt als Zugehörigkeitsmerkmal zum Volk nur eine untergeordnete Rolle, denn deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund unterscheiden sich für die JA von ethnisch Deutschen. Es wird ein Weltbild propagiert, in dem ethnisch "Fremde" (vor allem Einwanderer, Asylbewerber, Geflüchtete und Menschen muslimischen Glaubens) abgewertet und ausgegrenzt werden. Sie werden pauschal als Gefahr und kriminelle Bedrohung dargestellt, vor der sich die Gesellschaft schützen müsse. Dies steht in einem Konflikt mit dem Gleichheitsprinzip nach Art. 3 Abs. 3 GG. Im Kontext der Einwanderung spricht die JA nicht von Integration, sondern stets von Assimilation und meint damit eine vollständige Anpassung unter Aufgabe der eigenen kulturellen Identität. Jedoch können auch vollständig assimilierte deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nie den gleichen Stellenwert wie ureingesessene Deutsche erreichen. Diese Kategorisierung von Menschen in unterschiedliche Klassen stellt implizit eine rassistisch begründete Ungleichwertigkeit von Menschen aufgrund ethnischer Merkmale dar. Die JA konstruiert somit eine Vision einer in sich geschlossenen ethnisch-homogenen Gesellschaft. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln bekräftigt in seinem Urteil vom 08.03.2022 die Unvereinbarkeit des Volksbegriffes der JA mit dem des Grundgesetzes: "Die mit dem Volksbegriff des Grundgesetzes unvereinbare Auffassung der JA kommt bereits in ihrem Parteiprogramm - dem sog. 'Deutschlandplan' - unverkennbar zum Ausdruck." (VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 - VG 13 K 326/21, Rn. 240) Der Deutschlandplan gilt als politisches Programm und "Wertekompass" der JA. Er wurde auf dem 11. Bundeskongress am 95 Rechtsextremismus 15.10.2022 in Apolda (Thüringen) durch das Programm "Jugend, die vorangeht!" erneuert. In diesem wird auf explizit fremdenfeindliche Formulierungen größtenteils verzichtet, was im Hinblick auf das Urteil des VG Köln als taktische Entscheidung gewertet werden kann. Neugründung des niedersächsischen Landesverbandes und Nichtanerkennung durch Mitglieder des AfD-Landesverbandes Nachdem sich die JA Niedersachsen am 04.11.2018 aufgelöst hatte, mehrten sich Ende des Jahres 2020 die Indizien, dass eine bis dahin verfolgte dezentrale Strategie durch die Neugründung eines einheitlichen JA-Landesverbandes abgelöst werden könnte. Am 25.04.2021 gab der niedersächsische Landesverband der AfD schließlich bekannt, dass sich die JA Niedersachsen neu gegründet hat: "Für den Landesverband der #AfD war es eine Herzensangelegenheit die Neugründung der JA Niedersachsen zu unterstützen. Nach (zu) langer Pause hat sich heute die JA Niedersachsen gegründet." (Facebook-Eintrag des AfD-Landesverbandes vom 25.04.2021) Während des Landesparteitages der AfD Niedersachsen am 28.05.2022 wurde ein Antrag zur Tagesordnung angemeldet, der auf die Nichtanerkennung der JA-Neugründung als offizielle Jugendorganisation der Partei zielte. Demnach sei es die Angelegenheit des Landesparteitages, über die Anerkennung einer Jugendorganisation zu entscheiden. Die Neugründung der JA Niedersachsen sei hingegen unter der Mitwirkung des damaligen Landesvorstandes erfolgt und somit nichtig. Dieses Vorhaben verdeutlicht die innerparteilichen Machtkämpfe in der AfD Niedersachsen, die ebenfalls die JA zum Streitpunkt machen. Sogenannte gemäßigte Kräfte des niedersächsischen AfD-Landesverbandes wollten einen parallel existierenden Zusammenschluss junger AfD-Mitglieder als offizielle Jugendorganisation der AfD in Niedersachsen etablieren. Als Reaktion auf die Nichtanerkennung bekam die JA Niedersachsen Zuspruch vom damaligen JA-Bundesvorsitzenden Carlo Clemens: "Ich stehe zur JA Niedersachsen und halte es für ein furchtbares Signal, dass die Jugendorganisation heute als Bauernopfer für 96 Rechtsextremismus machtpolitische Muskelspiele herhalten musste. ... Werde beim Bundesvorstand der @AfD Beschwerde über die Nicht-Anerkennung der nach Satzung offiziellen und einzigen Jugendorganisation einlegen. Lasst uns über den Kurs der Partei streiten - aber nicht auf dem Rücken von jungen Menschen, die sich aufopfern für die Sache!" (Twitter-Eintrag des damaligen JA-Bundesvorsitzenden Carlo Clemens vom 28.05.2022) Weiteren Rückhalt erfuhr die JA Niedersachsen durch den thüringischen Landesund Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke. 52 Seiner Ansicht nach gelte die Verankerung der JA in der Parteisatzung auch für Niedersachsen. Auf dem Bundeskongress der JA am 15.10.2022 unterstützte schließlich der AfDBundesvorsitzende den niedersächsischen JA-Landesverband und betonte: "Wir brauchen eine starke JA Niedersachsen!" (AfD-Bundesvorsitzender auf dem JA-Bundeskongress am 15.10.2022 in Apolda, Instagram-Eintrag der JA Niedersachsen vom 15.10.2022) Beim Landeskongress der JA Niedersachsen am 25.09.2022 in Hannover wurden vakante Vorstandsposten mit Personen aus dem "solidarisch-patriotischen" Lager besetzt, welches ideologisch einen völkischen Nationalismus vertritt. Zugleich wurde mit dem "JA-Niedersachsenplan" ein Forderungspapier präsentiert, das an den niedersächsischen AfD-Landesverband gerichtet war. Die Jugendorganisation der Partei stellte damit im Vorfeld der Niedersächsischen Landtagwahl am 09.10.2022 ihre thematischen Schwerpunkte heraus, die eine zukünftige AfD-Landtagsfraktion berücksichtigen sollte. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die JA Niedersachsen organisierte am 25.02.2023 eine Strategietagung im Landkreis Nienburg, bei der laut eigenen Angaben insgesamt mehr als 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den JA-Landesverbänden Brandenburg, Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen anwesend waren. Die Veranstaltung wurde unter 52 Der Landesverband Thüringen der AfD ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Thüringen. 97 Rechtsextremismus dem Motto "Die wilden 20er" abgehalten; eine Anspielung auf die 2020er wie auch die 1920er Jahre. Entsprechend wurden gesellschaftlich und politisch aktuelle Themen wie Energiepolitik und Technologie(-kritik) erörtert. Ferner hielt ein Referent des "Metapol"-Verlages einen Gastvortrag zum Thema "Metapolitik". Der Begriff "Metapolitik" stellt innerhalb der "Neuen Rechten" eine zentrale Kategorie dar und umfasst jenen Versuch, gesellschaftlichkulturelle Diskurse mit den eigenen Positionen zu besetzen und letztlich eine Vormachtstellung im vorpolitischen Raum zu erringen. Welche Bedeutung die Kooperation mit Akteuren aus dem vorpolitischen Raum hat, erläuterte der JA-Bundesverband bereits auf dem Bundeskongress am 15.10.2022 in Apolda, bei dem eine Vielzahl politischer Vorfeldorganisationen eingeladen war. Demnach sieht sich die JA selbst als Teil der "Mosaik-Rechten" und öffnet sich damit nicht nur dem politischen Vorfeld, sondern versteht sich als wichtiger Bestandteil eines "großen Ganzen": "Als Parteijugend des patriotischen Widerstandes sind wir Teil eines größeren Mosaiks. Wir sind stolz, dass viele Vertreter, von Verlagen über Medien bis zu Bürgerinitiativen auf unserem Kongress anwesend sind." (Twitter-Eintrag der "Jungen Alternative für Deutschland" vom 15.10.2022) Die Verbindungen zum neurechten politischen Vorfeld sind auch innerhalb der JA Niedersachsen zu beobachten. Sie reichen von der Weiterverbreitung entsprechender Inhalte und dem Werben für Vorfeldorganisationen bis zur Moderation des Online-Formats "Wir klären das!", das vom rechtsextremistischen Verein "Ein Prozent e. V."53 mit einem eigenen Kanal auf der Videoplattform "frei3" betrieben wird. Der Landesvorsitzende der JA Niedersachsen, zugleich Mitglied des JA-Bundesvorstandes, war als Repräsentant der gesamten JA zu der international ausgerichteten Tagung "Embrace Our Heritage to Build Our Future" in der italienischen Hauptstadt Rom eingeladen, die vom 12. bis zum 14.10.2023 von der Fraktion "Identität und 53 Der Verein "Ein Prozent e. V." ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 98 Rechtsextremismus Demokratie" (ID) im Europäischen Parlament veranstaltet wurde.54 Neben Mitgliedern der ID-Fraktion waren bei diesem Zusammentreffen auch Gäste aus Dänemark, Deutschland, Ungarn und den USA vor Ort. Der niedersächsische JA-Repräsentant äußerte sich zu den Themen Umweltund Energiepolitik. Weitere nennenswerte Veranstaltungen, an denen sich Mitglieder der JA Niedersachsen beteiligten, waren die "Winterakademie" des rechtsextremistischen "Instituts für Staatspolitik" (IfS) 55 vom 27. bis zum 29.01.2023 in Schnellroda (Sachsen-Anhalt), die Kundgebung "Unsere Panzer bleiben hier!" am 10.02.2023 in Berlin, das Sommerfest der JA Sachsen-Anhalt 56 am 11. und 12.08.2023 in Gardelegen als ein wiederkehrendes bundesweites Ereignis der JA mit mehreren hundert Gästen, die "Gneisenau-Wanderung" der JA Sachsen-Anhalt im Oktober 2023 sowie die Demonstration "Der Osten steht zusammen" am 28.10.2023 in Erfurt (Thüringen), an der neben JA-Mitgliedern aus mehreren Bundesländern auch der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke teilnahm. In Erfurt zeigte die JA ein Banner mit der Aufschrift "Deutsche Jugend fordert Remigration". Der Begriff "Remigration" hat sich mittlerweile zu einem zentralen Schlagwort der JA entwickelt. Als politischer Kampfbegriff gehört er zum Vokabular und ideologischen Rüstzeug der "Identitären Bewegung" (IB).57 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Ideologischer Kern der JA ist ein ethnisch-kultureller Volksbegriff, der im Konflikt mit dem Grundgesetz steht. Minderheiten werden 54 Die AfD hat am 28.07.2023 auf ihrer Europaversammlung in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) den Beitritt zur europäischen Partei "Identität und Demokratie" (ID) beschlossen. Laut Internetseite der AfD wurde der Beitritt am 13.09.2023 vollzogen. Bei der Partei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Rechtsaußenparteien aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter "Lega" aus Italien, "Rassemblement National" aus Frankreich, "Vlaams Belang" aus Belgien und die "Partij voor de Vrijheid" aus den Niederlanden sowie die "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ). Das auf der Internetseite der AfD veröffentliche Parteiprogramm der ID entspreche nach eigener Aussage der programmatischen Ausrichtung der AfD. 55 Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. 56 Der Landesverband Sachsen-Anhalt der "Jungen Alternative" ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. 57 Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Siehe auch Kapitel 2.6. 99 Rechtsextremismus abgewertet, und es wird ihnen grundsätzlich die Gleichwertigkeit abgesprochen. Bei den Aktivitäten der JA Niedersachsen ist die Ausrichtung einer Strategietagung am 25.02.2023 unter Beteiligung weiterer JA-Landesverbände hervorzuheben, aber auch ihre Teilnahme an Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Die Vorstandsfunktion des niedersächsischen JA-Landesvorsitzenden im Bundesverband und seine Teilnahme als JA-Repräsentant bei der internationalen Veranstaltung der im Europäischen Parlament vertretenen Fraktion ID in Rom sind eindeutiger Beleg für die Unterstützung der völkisch-nationalistischen Ideologie des auf Bundesebene überlegenen "solidarisch-patriotischen" Lagers innerhalb der JA. Eine Distanzierung von rechtsextremistischen Positionen ist jedenfalls nicht zu erkennen. Die Verbundenheit zum neurechten politischen Vorfeld war bereits beim JA-Bundeskongress im Jahr 2022 zu beobachten und wurde durch den Vortrag eines Referenten des "Metapol"-Verlages bei der o. g. Strategietagung bestätigt. Diese Synergie zwischen JA und politischem Vorfeld geht über die bloße Vernetzung hinaus. Die JA betrachtet sich als Teil eines "größeren Mosaiks", das sich aus verschiedenen Medien, Organisationen, Initiativen usw. zusammensetzt. Dass die Jugendorganisation der AfD in Niedersachsen durchaus umstritten ist und als mögliche Gefahr für die Gesamtpartei gesehen wird, offenbarte der Antrag einiger AfD-Mitglieder beim Landesparteitag am 22.05.2022, die Neugründung der JA nicht anzuerkennen. Das eindeutige Bekenntnis des AfD-Bundesvorsitzenden zur JA Niedersachsen auf dem letzten Bundeskongress der JA lässt jedoch die Schlussfolgerung zu, dass eine rückwirkende Nichtanerkennung als unwahrscheinlich einzuschätzen ist. Denn auch im Jahr 2023 ist die JA Niedersachsen weiterhin als offizielle Jugendorganisation der AfD in Niedersachsen aufgetreten. Inwieweit sich mögliche konkurrierende Jugendorganisationen der AfD in Niedersachsen zu etablieren versuchen, gilt es weiterhin zu beobachten und im Gesamtkontext kontinuierlich zu bewerten. 100 Rechtsextremismus 2.8 Alternative für Deutschland (AfD; Verdachtsobjekt) Sitz/Verbreitung Hauptsitz des Bundesverbandes: Berlin Hauptsitz des Landesverbandes: Hannover Gründung/ Bundesverband: Februar 2013 in Oberursel (Hessen) Bestehen seit Landesverband: Mai 2013 in Lüneburg Struktur/ Bundesvorsitzende: Alice Weidel und Tino Chrupalla Repräsentanz Landesvorsitzender: Frank Rinck Stellv. Landesvorsitzende: Ansgar Schledde, Delia Klages und Stephan Bothe Mitglieder/ Niedersachsen: ca. 600 (rechtsextremistisches Personenpotenzial Anhänger/ im Verdachtsobjekt) Unterstützer Veröffentlichungen Onlineangebote auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene; Präsenz in den sozialen Medien; Zeitung "AfD Kompakt" Kurzportrait/Ziele Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) gliedert sich in einen Bundesverband und 16 Landesverbände. Sie wurde 2013 als politischer Zusammenschluss von primär EUund euroskeptisch orientierten Personen gegründet. Insbesondere vor dem Hintergrund der sogenannten Flüchtlingskrise verlagerte sie jedoch ab 2015 ihren programmatischen und agitatorischen Schwerpunkt zunehmend auf die Themen Flucht, Asyl und Migration. Eine damit einhergehende Radikalisierung führte parteiintern zu einem Zuwachs völkisch-nationalistischer Ideologeme. Der Bundesparteitag im Juni 2022 und die Europawahlversammlung im Juli/August 2023 haben gezeigt, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Partei ihren Einfluss ausweiten konnten. Eine Distanzierung des Landesverbandes Niedersachsen von radikalen Positionen und Akteuren des Bundesverbandes oder anderer Landesverbände, die auf verschiedenen Ebenen Ideologieelemente propagieren, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen, war nicht festzustellen. Zu betonen ist, dass nicht jedes Mitglied der AfD in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. 101 Rechtsextremismus Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsund Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden Einstufung Im Februar 2021 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Gegen diese Einstufung klagte die AfD zunächst vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln, welches jedoch mit Urteil vom 08.03.2022 die Einstufung des BfV bestätigte. 58 Die Partei legte daraufhin Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster ein. Das Verfahren wird im Jahr 2024 fortgesetzt. Der niedersächsische Landesverband der AfD wurde im Mai 2022 aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG rechtfertigen, zum Verdachtsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes gemäß SS 7 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG bestimmt. In dieser Verdachtsphase wird durch planmäßige Beobachtung und Aufklärung geprüft, ob die Voraussetzung des SS 6 Abs. 1 Satz 2 NVerfSchG59 erfüllt wird und damit nicht nur Anhaltspunkte, sondern Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG rechtfertigen. Dabei werden sowohl beals auch entlastende Belege und Erkenntnisse berücksichtigt. Die am 30.04.2020 formal aufgelöste innerparteiliche Sammlungsbewegung "Der Flügel" ist in der Gesamtpartei aufgegangen und ideologisch in die Parteistrukturen integriert. Die niedersächsischen Vertreterinnen und Vertreter des ehemaligen "Flügels" sowie etwaige Fortsetzungsbestrebungen werden im Rahmen der Bearbeitung des Verdachtsobjekts AfD Niedersachsen berücksichtigt. 58 Vgl. Urteil des VG Köln vom 08.03.2022, 13 K 326/21. 59 Voraussetzung für die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt sind Tatsachen, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 belegen. 102 Rechtsextremismus Entwicklung Bundesweit ist festzustellen, dass die radikalen und extremistischen Kräfte innerhalb der AfD stetig an Einfluss gewinnen. Auf dem 13. Bundesparteitag in Riesa (Sachsen) vom 17. bis zum 19.06.2022 sind Personen des völkisch-nationalistischen Lagers in den Bundesvorstand gewählt worden. Der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke und seine Unterstützer haben damit gezeigt, dass sie nicht nur parteiinterne Debatten, sondern auch die politische Ausrichtung der AfD bestimmen können. Auch auf dem 14. Bundesparteitag in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) am 29. und 30.07.2023 sowie vom 04. bis zum 06.08.2023, bei dem an zwei Terminen über die Liste der AfD zur Europawahl am 09.06.2024 abgestimmt wurde, konnten die radikalen Strömungen ihren Einfluss weiter ausbauen. Gleichzeitig ließ sich in den Redebeiträgen eine Verrohung der Sprache sowie ein zunehmender Gebrauch politischer Kampfbegrif fe und verschwörungstheoretischer Narrative feststellen. Dominierend waren Begriffe wie "Remigration", "Festung Europa" oder "menschengemachter Bevölkerungswandel". Die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten unterstreicht abermals die innerparteiliche Vormachtstellung der radikalen Kräfte. Das sogenannte gemäßigte Lager spielt hier nur noch eine untergeordnete Rolle. Der ehemalige Bundessprecher Jörg Meuthen hatte seinen Parteiaustritt am 28.01.2022 u. a. damit begründet, dass sich "große Teile der Partei" und "führende Repräsentanten" radikalisiert hätten. Diese Radikalisierung spiegele sich nicht nur in einem "sprachlich enthemmten Kurs" wider, sondern auch in den "politischen Positionen" und "verbalen Entgleisungen".60 Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nimmt die AfD vor allem prorussische Positionen ein, indem sie den Angriffskrieg fortlaufend relativiert. EU, NATO und USA werden aufgrund ihres außenund geopolitischen Handelns als ausschlaggebend für das Verhalten Russlands gesehen. Im Sinne russischer Staatspropaganda wird der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands als präventiver Akt der Verteidigung legitimiert. Ein Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen veröffentlichte auf 60 Vgl. Facebook-Eintrag der AfD vom 29.01.2022. 103 Rechtsextremismus dem rechtsextremistischen Blog "PI-News"61 einen Beitrag mit der Überschrift "Die Kriegsreiber sind unsere Feinde - nicht Putin!"62. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die AfD seit ihrer Gründung immer wieder den Kontakt und die Nähe zu staatlichen russischen Repräsentanten sucht. "Alle waren sich hierbei einig, dass eine Aggression Russlands durch den Angriff auf das Territorium der Ukraine nicht tolerierbar ist. Selbstverständlich muss man die geopolitischen und außenpolitischen Fehler der Bundesregierung, aber auch der anderen NATO-Partner sehen, die Russland zu diesem Handeln gebracht haben." (Facebook-Eintrag eines Funktionärs der AfD Niedersachsen vom 24.02.2022) Seit der Konstituierung des neuen Landesvorstandes am 28.05.2022 bemüht sich die AfD Niedersachsen um ein eher gemäßigtes öffentliches Auftreten. Angesichts einer zunehmenden Radikalisierung der AfD insgesamt ist beim niedersächsischen Landesverband gleichzeitig keinerlei Distanzierung zur Bundespartei zu erkennen, ebenso wenig zu anderen Landesverbänden oder zu Aussagen verschiedener Funktionäre. Vielmehr lassen sowohl einzelne Mitglieder als auch ganze Kreisverbände der AfD Niedersachsen regelmäßig ihre Zustimmung für extremistische Kräfte innerhalb der Partei erkennen. So werden in den sozialen Medien etwa Inhalte mit und von Björn Höcke geteilt und weiterverbreitet. Beim niedersächsischen Landesverband kann somit nicht von einem aktiven Gegenpol zu den radikalen und extremistischen Kräften innerhalb der Gesamtpartei gesprochen werden. Bemühungen um eine ideologisch-programmatische Mäßigung der AfD sind zumindest öffentlich nicht wahrnehmbar. Die AfD Niedersachsen weist eine heterogene Mitgliederstruktur auf. Es ist daher ausdrücklich zu betonen, dass nicht jedes Parteimitglied in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Ideologie Die AfD vertritt einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff, der in Teilen auf rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Narrative 61 Der Blog "PI-News" (politically incorrect) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 62 Vgl. Beitrag auf "PI-News" vom 24.02.2022. 104 Rechtsextremismus Bezug nimmt. Das dahinterstehende Konzept von "Volk" und "Heimat" schließt Menschen aus, die als "fremd" wahrgenommen werden, z. B. Migrantinnen und Migranten oder Menschen muslimischen Glaubens. In ethnischer wie in kultureller Hinsicht geht es um Fragen gesellschaftlicher Zugehörigkeit und sozialer Ausgrenzung. Diese Menschen würden "den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur" in Deutschland verstärken, wie es im Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016 heißt, weil "die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als unter deutschstämmigen Frauen."63 Eine ähnliche Argumentation findet sich auch im Wahlprogramm der AfD Niedersachsen zur Landtagswahl 2022, die in verschwörungstheoretischer Manier einen "Bevölkerungsaustausch" durch die Zuwanderung ethnisch und kulturell fremder Menschen andeutet: "Der Anteil von Menschen ausländischer Herkunft an der Gesamtbevölkerung ist in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren um etwa das Sechzehnfache gestiegen. Schon jetzt leben in Deutschland mehr als 18 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Bei einer im bisherigen Tempo weitergehenden Masseneinwanderung steigt die Zahl der Migranten bis 2050 auf mindestens 35 Millionen." (Landeswahlprogramm 2022 der AfD Niedersachsen, S. 71) Verschwörungstheoretische Narrative wie der "Große Austausch" oder auch "Umvolkung" sind auf diese Weise anschlussfähig. So werde durch "die Eliten" in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gezielt die Einwanderung muslimischer und nicht weißer Menschen und die daraus folgende Verdrängung der mehrheitlich weißen europäischen Bevölkerung in Europa vorangetrieben. Bei der Europawahlversammlung in Magdeburg hatte z. B. eine niedersächsische Kandidatin in ihrer Bewerbungsrede für einen Listenplatz u. a. vom "Bevölkerungsaustausch" gesprochen, der angeblich mit einer gezielten politischen Agenda verfolgt werde: "Unter dem Deckmantel des sogenannten Multilateralismus wird immer mehr Entscheidungskompetenz auf eine supranationale Ebene gehoben. Die vollständige Abschaffung von Nationalstaaten, das fanatische Verfolgen von utopischen Klimazielen, Genderideologie, Früh63 Grundsatzprogramm der AfD in der Beschlussfassung auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.04. und 01.05.2016, S. 42. 105 Rechtsextremismus sexualisierung und natürlich der Bevölkerungsaustausch. Das alles sind die Symptome eines bösartigen Tumors, der in dieser EU streut." (Redebeitrag einer Kandidatin der AfD Niedersachsen bei der Europawahlversammlung in Magdeburg am 04.08.2023) In diesem Redeauszug wird neben der Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch"64 auch das in rechtsextremistischen Kreisen verbreitete Narrativ des "Great Reset"65 angeschnitten. Eine global agierende Elite versuche demnach, eine internationale Diktatur auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene zu etablieren. Die Ablehnung gegenüber migrantischen und geflüchteten Personen lässt sich im Berichtsjahr durch den von der AfD initiierten "Einzelfallticker" veranschaulichen, der auch vom niedersächsischen Landesverband mehrfach in den sozialen Medien aufgegriffen wurde. Der "Einzelfallticker" wurde im Februar 2023 durch den Bundesverband der AfD vorgestellt und ist über dessen Internetseite aufrufbar.66 Das Portal listet Fälle von Straftaten, insbesondere von Gewaltund Sexualdelikten, auf und visualisiert diese auf einer Deutschlandkarte. Hintergrundinformationen zu diesen Einzelfällen 64 Der "Große Austausch" ist ein politischer Kampfbegriff der "Neuen Rechten". Mit ihm wird die Einwanderung von muslimischen und "nicht-weißen" Menschen auf eine angebliche Verschwörung zurückgeführt, deren Ziel es sei, die "weißen" Mehrheitsbevölkerungen in den westlichen Staaten zu ersetzen. Der Begriff schließt an die im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus verwendeten Ausdrücke wie "Bevölkerungsaustausch", "Überfremdung", "Umvolkung" oder "Volkstod" an und beschwört wie diese einen Untergang der "Weißen" oder einen Genozid an ihnen. Als Urheber des angeblichen Plans werden etwa "die Globalisten", "die Eliten", "die Privatwirtschaft", "die Juden", "Multikulturalisten" oder supranationale Organisationen wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen genannt. Der Begriff steht somit für eine rassistische und antisemitische Verschwörungstheorie. Bekannt wurde er durch das Buch "Le grand replacement" des französischen Autors Renaud Camus aus dem Jahr 2011. In Europa und Nordamerika wurde der Begriff vor allem durch die "Identitäre Bewegung" bzw. in den Vereinigten Staaten von Amerika durch die "Alt-Right-Bewegung" verbreitet (siehe auch Kapitel 2.6 . 65 Der englische Begriff "The Great Reset" (dt. "Der große Neustart") bezeichnet die Initiative des Weltwirtschaftsforums für eine Neugestaltung der Weltwirtschaft und der Weltgesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie. Sie legt einen stärkeren Fokus auf Themen wie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit unter Beteiligung der Betroffenen mit ihren jeweils speziellen Interessen. Die Initiative wurde vom Direktor des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, entworfen und im Juni 2020 vorgestellt. Im Juli 2020 veröffentlichte er zusammen mit Thierry Malleret das dazugehörige Buch "Covid-19: Der große Umbruch". Seitdem verwenden verschiedene Gruppen und Autoren den Ausdruck "Great Reset" für angebliche Weltherrschaftspläne einer mächtigen finanziellen und politischen Elite, die hinter der Pandemie stecke und diese für ihre Zwecke benutze. Schwab und andere mit dem Weltwirtschaftsforum verbundene Einzelpersonen werden dabei zum personifizierten Bösen stilisiert. Der Name der Initiative wurde zum Titel und Sammelbegriff für diese Erklärungsmuster. Jene knüpfen an ältere Verschwörungstheorien einer angeblichen "Neuen Weltordnung" ("New World Order") und eines "Großen Austauschs" ("Great Replacement") an und erweitern sie mit Bezügen zur Pandemie. 66 Vgl. "Einzelfallticker" auf der Internetseite der AfD. 106 Rechtsextremismus können von Bürgerinnen und Bürgern per E-Mail mitgeteilt werden. Konkret suggeriert der "Einzelfallticker" einen direkten Zusammenhang zwischen Migration und dem Anstieg von Straftaten. Es entsteht zudem der Eindruck, dass eigene methodische Fehler durch den Versuch der Skandalisierung überlagert werden sollen. So fehlen stellenweise Quellenbelege und viele der hinterlegten Artikel aus der medialen Berichterstattung, die den jeweiligen "Einzelfall" beschreiben sollen, lassen keinerlei Rückschlüsse auf die Herkunft des Täters zu. Beim "Einzelfallticker" handelt es sich somit nicht um eine faktenbasierte Darstellung, sondern im Wesentlichen um ein Propagandainstrument der AfD. Geflüchtete und Asylsuchende werden pauschal als Gewalttäter dargestellt. In diesem Zusammenhang finden sich Formulierungen wie "importierte Migrantengewalt" oder "importierte Messergewalt", die ein Zerrbild von Migranten, Geflüchteten und insbesondere Muslimen erzeugen, mit dem die AfD ihr parteipolitisches Kernthema untermauert. "Im Zusammenhang mit der importierten Migrantengewalt erschreckt immer wieder die besondere Brutalität und Menschenverachtung der Täter. Es gehört zum Gesamtbild dazu, daß wir es mit einer neuen Dimension zu tun haben - quantitativ und qualitativ." (Facebook-Eintrag eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 27.01.2023) "Ein 'Einzelfall' reiht sich an den nächsten ... Aus allen Teilen Deutschlands häufen sich die Schreckensmeldungen über importierte Messergewalt. Währenddessen schweigt die Ampel-Regierung ... Die einzige Partei, die sich gegen die importierte Gewalt zur Wehr setzen kann und diese offen anspricht ist und bleibt die #AfD!" (Facebook-Eintrag des Landesverbandes der AfD Niedersachsen vom 31.01.2023) Als politisches Stilmittel betreiben Vertreterinnen und Vertreter der AfD Niedersachsen bisweilen eine Verächtlichmachung und Diffamierung des demokratischen Rechtsstaates, seiner Repräsentanten und Institutionen sowie anderer politischer Parteien. Ihre Agitation im politischen Wettbewerb ist dabei nicht immer von Respekt und Fairness geprägt, sondern äußert sich wiederkehrend auf herabwürdigende und verunglimpfende Art und Weise. Die weitgehende Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland mit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), etwa durch die im Zuge der Corona-Pandemie entstandene und bis heute 107 Rechtsextremismus verwendete Formulierung "DDR 2.0", ist hierfür ein Beispiel, ebenso wie NS-Vergleiche, die insbesondere gegen die Partei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gerichtet sind. Die AfD Niedersachsen nutzt diese Art der Gleichsetzung und Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates, um vor allem den Umgang der Regierung mit der Bevölkerung im Allgemeinen und mit der AfD als Oppositionspartei im Speziellen zu kritisieren. "Zensur fand auch in Deutschland statt, gegen die Opposition, gegen die Kritiker von Maßnahmen, gegen andere medizinische Meinungen. Sie alle wurden diskreditiert und zensiert. Zustände eines diktatorischen Entwicklungslandes. Deshalb #NurNochAfD." (Twitter-Eintrag eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 28.12.2022 zu einem Beitrag auf der Internetseite "express. at" mit dem Titel "Twitter Files enthüllen: Gesamte Corona-Debatte dramatisch manipuliert!") "DDR 2.0: Bund und Länder fördern Internet-Portale, auf denen Bürger Vorfälle melden sollen, die zwar nicht strafrechtlich relevant sind, aber nach ihrer Auffassung diskriminierend waren. Besonders krass: Die Bundesregierung will sogar, dass Kritik an der Gender-Sprache gemeldet wird!" (Facebook-Eintrag eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 23.02.2023 zu einem Artikel in der Bild-Zeitung mit der Überschrift "Staat will, dass wir einander anschwärzen!") "Der Nazi von heute ist nicht braun, sondern grün!!! Grünes Reich. Sein Holocaust ist der Mord am eigenen Volk." (Textpassage einer Grafik, die von einem Kommunalpolitiker der AfD Niedersachsen am 28.06.2023 auf Facebook veröffentlicht wurde.) Das letzte Zitat ist Bestandteil einer Grafik, die von einem kommunalen Mandatsträger der AfD Niedersachsen veröffentlicht und anschließend samt erneuter Ablichtung in der medialen Berichterstattung 67 aufgegriffen wurde. In der Grafik wird der Textbaustein durch einen an den historischen Nationalsozialismus angelehnten Reichsadler mit Eichenkranz ergänzt. Im Unterschied zum Original ist der Reichsadler hier jedoch in der Farbe Grün dargestellt und anstelle des Hakenkreuzes als Parteisymbol findet sich in der Mitte 67 Vgl. u. a. das Internetportal "delmenews.de" vom 29.06.2023 mit einem Beitrag zu diesem Thema. 108 Rechtsextremismus des Eichenkranzes eine geöffnete Sonnenblume. 68 Bild und Text sind damit nicht nur als Diffamierung der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu verstehen, sie verharmlosen zugleich den Holocaust und setzen die Partei mit der NSDAP und dem historischen Nationalsozialismus gleich. Durch die Weiterleitung des Postings auf seiner Facebook-Seite hat sich der AfD-Politiker dessen Inhalt zu eigen gemacht und die Verbreitung gefördert. Die AfD Niedersachsen bagatellisiert Ereignisse, die darauf ausgerichtet sind, den demokratischen Rechtsstaat abzuschaffen. Ein Beleg hierfür sind etwa die Reaktionen auf die bundesweiten Razzien gegen die Angehörigen einer Reichsbürgergruppierung im Dezember 2022, bei denen auch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD aus Berlin festgenommen wurde. Hintergrund der Exekutivmaßnahmen war ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gegen eine mutmaßlich terroristische Vereinigung aus der Reichsbürgerszene um den zum damaligen Zeitpunkt 71-jährigen Hauptbeschuldigten aus Hessen.69 In den sozialen Medien reagierten hierauf auch Funktionäre der AfD Niedersachsen, die den geplanten Umsturz als "Rollator-Putsch"70 abtaten und die Mitglieder der Vereinigung als "geistig umnachtete RollatorTruppe"71 bezeichneten. Die Ernsthaftigkeit des Vorhabens wurde grundsätzlich in Zweifel gezogen und das Vorhaben als eine "von den Medien hochgepuschte Realsatire eines angeblich bevorstehenden Staatsstreiches"72 heruntergespielt.73 68 Die Symbolik des "grünen Reichsadlers" samt diffamierender Aussagen gegen die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde im Jahr 2023 vor allem in den sozialen Medien verbreitet, unter anderem durch ein weitergeleitetes Posting auf der Facebook-Seite eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen vom 05.04.2023. 69 Siehe hierzu Kapitel 2.12, Abschnitt "Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene". 70 Facebook-Eintrag der AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 15.12.2022. 71 Beitrag eines Mitglieds der AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 22.12.2022 in einer Online-Kolumne eines Kreisverbandes der AfD Niedersachsen. 72 Facebook-Eintrag eines Funktionärs der AfD Niedersachsen vom 11.12.2022. 73 Siehe hierzu auch die schriftliche Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) vom 20.12.2022 zum Thema "Äußerungen des Niedersächsischen Innenministers in einem Interview der Bild.de" (Landtagsdrucksache 19/198). 109 Rechtsextremismus Verbindungen zur "Neuen Rechten" Eine systematische Vernetzung mit extremistischen Strukturen der "Neuen Rechten" kann für den niedersächsischen Landesverband der AfD nicht in Gänze festgestellt werden. Es lassen sich jedoch Verbindungen einzelner Mitglieder zur "Neuen Rechten" nachweisen. Mit dem "3. Preußenfest" in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) fand am 15.09.2023 in unmittelbarer örtlicher Nähe zum Sitz des "Instituts für Staatspolitik" (IfS)74 und des Verlags "Antaios e. K."75 eine von Mitgliedern der AfD Sachsen-Anhalt76 ausgerichtete Veranstaltung statt. Das IfS und der Verlag "Antaios e. K.", die beide ihren Sitz in Schnellroda haben, sind eng mit dem ebenfalls dort wohnhaften Publizisten und neurechten Vordenker Götz Kubitschek verbunden. Die Moderation der Veranstaltung übernahm ein Funktionär der AfD Niedersachsen. Darüber hinaus sind Kooperationen mit dem "COMPACT-Magazin"77 sowie mit dem Verein "Ein Prozent e. V."78 zu nennen, die beide dem extremistischen Spektrum der "Neuen Rechten" zugeordnet werden. Das "COMPACT-Magazin" mit Sitz in Werder/Havel (Brandenburg) wendet sich permanent gegen die Regierung und staatliche Institutionen, greift verschwörungstheoretische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Inhalte auf und präsentiert sich seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Sprachrohr russischer Propaganda und Desinformation. Der Verein "Ein Prozent e. V." mit Sitz in Dresden (Sachsen) ist ein einflussreicher Akteur im politischen Vorfeld der AfD. Der Verein vertritt ausländer-, migrantenund muslimfeindliche Positionen und verbreitet fortwährend die Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs". 74 Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. 75 Der Verlag "Antaios e. K." ist Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 76 Der Landesverband Sachsen-Anhalt der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. 77 Die "COMPACT-Magazin GmbH" ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Brandenburg. 78 Der Verein "Ein Prozent e. V." ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 110 Rechtsextremismus Ausblick Die Entwicklung einer Partei ist als andauernder Prozess zu verstehen. Dies gilt vor allem für die AfD, deren Profil immer wieder von innerparteilichen Machtkämpfen verschiedener Strömungen und Lager geprägt ist. Dennoch muss konstatiert werden, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Partei ihre Machtstellung weiter ausbauen. Diese Beobachtung wird vor allem durch den Bundesparteitag im Juni 2022 und die Europawahlversammlung im Juli/August 2023 gestützt. Auch bei der AfD Niedersachsen und ihren Untergliederungen konnte keine Distanzierung von radikalen oder gar extremistischen Positionen und Akteuren innerhalb der Partei oder in deren Umfeld festgestellt werden. Dies zeigen etwa Äußerungen in den sozialen Medien, mit denen Ideologieelemente propagiert werden, die sich in Teilen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Es ist jedoch ausdrücklich zu betonen, dass nicht jedes Mitglied der AfD in Niedersachsen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die derzeitige Einstufung als Verdachtsobjekt bietet daher einen angemessenen Status, um die weitere Entwicklung der AfD in Niedersachsen fortlaufend zu bewerten. 2.9 Die Heimat (vormals Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD) Sitz/Verbreitung Die Heimat Sitz des Bundesverbandes: Berlin Sitz des Landesverbandes: Oldenburg Junge Nationalisten (JN) Sitz des Bundesverbandes: Riesa Sitz des Landesverbandes Nord: ohne Angabe Gründung/ 1964 als "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD); Bestehen seit 1969 der Jugendorganisation; 2023 Umbenennung der Partei in "Die Heimat" 111 Rechtsextremismus Struktur/ Die Heimat Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz Landesvorsitzender: Manfred Börm Junge Nationalisten (JN) Bundesvorsitzender: Sebastian Weigler Landesvorsitzender Nord: nicht bekannt Mitglieder/ Die Heimat Anhänger/ Niedersachsen: 180 Unterstützer Junge Nationalisten (JN) Niedersachsen: 15 Veröffentlichungen Bund: Deutsche Stimme (DS; monatlich); Stimme Deutschlands (unregelmäßig); Onlineangebote auf Bundesund Landesebene sowie in sozialen Medien Kurzportrait/Ziele Die Partei "Die Heimat" ist eine rechtsextremistische Partei, die die Demokratie in Deutschland beseitigen will. Sie propagiert offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen. Ihre von völkisch-rassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Ideologie der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) auf. Am 03.06.2023 wurde auf dem Bundesparteitag der NPD die Umbenennung in "Die Heimat" beschlossen. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Partei "Die Heimat" lehnt die freiheitliche Demokratie ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch einzelne, aber wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung. So negiert sie die im Grundgesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Die Partei spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. In dem 2010 verabschiedeten Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" proklamiert sie die Volksgemeinschaft: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in 112 Rechtsextremismus der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit." In konsequenter Umsetzung dieser völkischnationalen Grundordnung will die Partei alles "Fremde" aus der "Solidargemeinschaft aller Deutschen" entfernen. Hierdurch richtet sie sich insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) und gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei "Die Heimat" verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Die Partei "Die Heimat" ist verfassungsfeindlich79 Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). In dem Urteil hatte das BVerfG zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD bestätigt, aber kein Verbot ausgesprochen. In dem Urteil wurde ausgeführt: "Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des BVerfG den zulässigen Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat." In seiner weiteren Urteilsbegründung verwies das Gericht darauf, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten sei, Sanktionsmöglichkeiten für verfassungsfeindliche Parteien zu schaffen. Infolgedessen beschloss der Bundestag im Sommer 2017 die Änderung von Art. 21 Abs. 3 GG wie folgt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen." 79 Siehe auch Kapitel 11.1, Abschnitt "Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/ Verfassungswidrigkeit". 113 Rechtsextremismus Mit Schriftsatz vom 19.07.2019 reichten die drei Verfassungsorgane Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung den Antrag auf Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung beim BVerfG ein. In dem Antrag wird ausführlich begründet, dass die NPD die parlamentarische Demokratie verachtet und ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nach darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die mündliche Verhandlung am 04. und 05.07.2023 boykottierte die Partei durch ihre Nichtteilnahme. Am Abend des Verhandlungstages veröffentlichte der Bundesvorsitzende der Partei "Die Heimat", Frank Franz, auf seinem YouTubeKanal einen Livestream, in dem er sowie der Prozessbevollmächtigte der Partei und ein weiterer Gast zu dem Verfahren Stellung nahmen. 80 In dem Gespräch wurde eine Reihe von angeblichen "Merkwürdigkeiten" im gesamten Verfahren beklagt. Mit Blick auf die mündliche Verhandlung habe man bereits bei der Betrachtung der Tagesordnung gewusst, "wie es ausgeht". Denn "die eigentlich interessanten Fragen" - gemeint sind die Verfassungskonformität der Grundgesetzänderung zur Einführung des Art. 21 Abs. 3 GG 81 und das Vorliegen von Verfahrenshindernissen - würden nachrangig gewichtet bzw. hätten nicht zu einer Einstellung des Verfahrens geführt. Weil es stattdessen darum gehe, ob die NPD verfassungsfeindlich sei, was das Gericht bereits festgestellt habe, 82 müsse man 80 Vgl. YouTube, "Die Heimat vor dem BVerfG - Kommt das AfD-Verbot ..." vom 04.07.2023, Min. 06:47-15:46 (Zugriff: 11.07.2023). 81 Mit Wirkung vom 20.07.2017 erfolgte die bislang letzte Änderung des Art. 21 GG (Parteien). Der Gesetzgeber hat dabei in Art. 21 Abs. 3 GG die Möglichkeit geschaffen, solchen Parteien die staatliche Finanzierung zu verwehren, die gegenüber der demokratischen Grundordnung feindlich eingestellt sind. Wörtlich heißt es dort: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch die steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien." 82 Das BVerfG hatte in seinem Urteil zum zweiten NPD-Verbotsverfahren vom 17.01.2017 die Verfassungsfeindlichkeit der Partei festgestellt, sprach jedoch aufgrund mangelnder "Potenzialität", die eigenen Ziele auch mit zumindest geringer Wahrscheinlichkeit umsetzen zu können, kein Verbot aus. Gleichwohl wies das Gericht in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber freistehe, neben einem Parteiverbot auch abgestufte Sanktionsmöglichkeiten für Parteien mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung zu schaffen, woraufhin der Bundesrat und die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg brachten. Die daraus folgende Grundgesetzänderung (Einführung des Art. 21 Abs. 3 GG) trat schließlich am 20.07.2017 in Kraft. Zwei Jahre später stellten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung mit Schriftsatz vom 19.07.2019 gemeinsam beim BVerfG den Antrag, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. 114 Rechtsextremismus zu dem Ergebnis kommen, dass das Verfahren bereits entschieden sei. In einem Interview mit der Zeitschrift "Sezession", die vom rechtsextremistischen "Institut für Staatpolitik"83 herausgegeben und inhaltlich von dem neurechten Publizisten Götz Kubitschek aus Sachsen-Anhalt verantwortet wird, spricht Frank Franz über das Verfahren gegen seine Partei vor dem BVerfG und die Beweggründe für den Boykott der mündlichen Verhandlung. So habe "das Kartell", welches er nicht näher erläutert, "zweimal versucht, unsere Partei zu verbieten". Im "sogenannten Kleinen Verbotsverfahren" sei es nun darum gegangen, der "Heimat" die staatliche Parteienfinanzierung zu entziehen, wie er weiter ausführt. Die mündliche Verhandlung wäre "ein reiner Schauprozess" geworden, in dem es nur darum gegangen wäre, die Vertreter der Partei vorzuführen. Mit dem Boykott hätten sie deutlich gemacht, "was wir von solch einer Demokratieund Rechtsstaatssimulation halten."84 "Das Verfassungsgericht ist, wie der Verfassungsschutz auch, mit Parteileuten des Kartells besetzt. ... Und das konnten wir unserer Auffassung nach am ehesten dadurch verdeutlichen, indem wir sagen: Macht euren Mist allein, wir machen da nicht mit." (Frank Franz in der Online-Ausgabe der Zeitschrift "Sezession" vom 20.12.2023) Das BVerfG hat mit seinem Urteil vom 23.01.2024 (Az. 2 BvB 1/19) die Partei "Die Heimat" (vormals NPD) für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen. 85 Strategie der NPD/Partei "Die Heimat" Zur Durchsetzung ihrer Ziele hatte der ehemalige Bundesvorsitzende Udo Voigt 1996 eine "Drei-Säulen-Strategie" ("Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente") entwickelt, die 2004 mit dem "Kampf um den organisierten Willen" zu einem VierSäulen-Konzept ausgebaut wurde. Hatte die NPD bei Wahlerfolgen in der Vergangenheit noch von den Protestbewegungen gegen die 83 Das "Institut für Staatspolitik" (IfS) ist Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. 84 Onlineausgabe der Zeitschrift "Sezession" vom 20.12.2023, "Was kann ein 'Kleines Verbotsverfahren' für eine Partei bedeuten, Herr Franz?" (Zugriff: 21.12.2023). 85 Pressemitteilung Nr. 9/2024 des BVerfG vom 23.01.2024. 115 Rechtsextremismus Sozialreformen der Bundesregierung profitiert, verschob sich ihre rechtsextremistische Agitation in Richtung "Asylmissbrauch" und "Überfremdung". Vorübergehend gelang der Partei in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern der Einzug in die Landtage. Auf Grundlage des Positionspapiers "Wille - Gemeinschaft - Tat" und infolge der seit der Bundestagswahl 2017 anhaltenden Schwäche als Wahlpartei (bei der Bundestagswahl am 26.09.2021 erzielte die NPD nur noch 0,1 Prozent der Zweistimmen; 2017: 0,4 Prozent), versucht die NPD, sich verstärkt als Weltanschauungspartei auszurichten. So hatte der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Heise 2018 innerhalb der Partei den sogenannten völkischen Flügel ausgerufen, dem auch einige niedersächsische Funktionäre angehören. Der seit 2014 als Bundesvorsitzender amtierende Frank Franz hatte aufgrund der schlechten Wahlergebnisse immer wieder versucht, die Partei zu modernisieren. Demnach sollte die NPD vermehrt die Probleme und Sorgen der Menschen vor Ort aufgreifen sowie lokalen (Protest-) Bewegungen die nötige Infrastruktur zur politischen Arbeit anbieten. Es sollte der Aufbau eines vorpolitischen Raumes, die Professionalisierung der Medienarbeit und die Konzentration auf die kommunalpolitische Arbeit erfolgen. Im Zuge dessen wurde das Parteiorgan "Deutsche Stimme" ausgegliedert und in ein frei erhältliches Monatsmagazin umgewandelt. Auf dem Bundesparteitag 2022 verfehlte der Antrag zur Abstimmung über die künftige Ausrichtung der Partei noch die notwendige Zweidrittelmehrheit. Dennoch fühlte sich der Parteivorstand - auch durch die (Wieder-) Wahl der Stellvertreter in Person von Heise (Thüringen), Sebastian Schmidtke (Thüringen) und des ehemaligen Bundesvorsitzenden Voigt (Berlin) - bestärkt, diese aus seiner Sicht erforderlichen Neuerungen und Strukturreformen anzugehen, um die NPD von einer Wahlpartei zu einer "Heimatbewegung" zu wandeln. Entsprechend der strategischen Neuausrichtung und für den angestrebten "Schulterschluss der Heimattreuen" veranstaltete die Partei in der Folge die sogenannten DS-Netzwerktage. Damit sollte der rechtsextremistischen Szene eine Plattform geboten werden, um Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Lager und Akteure zu eruieren und diese miteinander zu vernetzen. Unterstützung für ihren neuen Weg hin zur "Heimatbewegung" bekam die NPD von Teilen der neonazistisch geprägten Kleinpartei "Die Rechte". 116 Rechtsextremismus Der Kreisverband Dortmund und der einflussreiche Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei "Die Rechte" lösten sich Anfang Januar 2023 auch vor dem Hintergrund der eigenen politischen Schwäche auf. Die ehemaligen Mitglieder traten daraufhin der NPD bei und gründeten den Kreisverband "Heimat Dortmund". 86 Die Namensgebung kann als Bestätigung und Unterstützung des geplanten Strategiewechsels des NPD-Bundesvorsitzenden Franz verstanden werden. Bundesparteitag der NPD/Partei "Die Heimat" in Riesa Auf dem Bundesparteitag der NPD am 03. und 04.06.2023 in Riesa (Sachsen) sprach sich die erforderliche Mehrheit der Delegierten für das neue Konzept des Bundesvorstandes und die Umbenennung der Partei in "Die Heimat" aus. 77 Prozent der Delegierten stimmten für eine "neue Standortbestimmung" und eine "neue strategische Funktion" und damit auch für den neuen Namen. Laut dem Bundesvorsitzenden Franz soll "Die Heimat" eine Sammlungsbewegung im Geiste der Parteigründer sein. Ihre künftige Aufgabe sieht er darin, "als Antiparteien-Bewegung und patriotischer Dienstleister" am "Aufbau eines Netzwerkes" mitzuwirken. Ein Abweichen von der rechtsextremistischen Ideologie der Partei ist damit aber nicht verbunden. Vereinzelt erfolgten daraufhin Parteiaustritte von Mitgliedern, die den Beschluss des Parteitages und den damit verbundenen Strategiewechsel sowie die Umbenennung nicht mittragen wollten. Zulauf bekam die Partei "Die Heimat" dagegen durch den Beitritt mehrerer Neonazis aus der Partei "Die Rechte". Der Hamburger Landesverband um den Neonazi Lennart Schwarzbach reagierte auf das Votum des Parteitages mit seinem Ausscheiden aus der Partei "Die Heimat". Zur Begründung hieß es, dessen Mitglieder würden "keine Sekunde ihrer Lebenszeit für eine anschlussfähige Anti-Parteien-Familie aufbringen". Schwarzbach war daraufhin zum "Bundesvorsitzenden" einer weiterhin unter dem Namen NPD agierenden Dissidentengruppe ernannt worden. Auf einem "Bundesparteitag" am 26.11.2023 im niedersächsischen Umland Hamburgs bestätigten die "Delegierten" ihn in seinem Amt. 86 Siehe Kapitel 2.10. 117 Rechtsextremismus Der NPD-Landesverband Saarland hatte bereits im März 2023 ein Ausschlussverfahren gegen Franz wegen parteischädigenden Verhaltens angestrengt, gegen das der Bundesvorsitzende Berufung eingelegt hat. Bis zu einer endgültigen Entscheidung führt er weiterhin die Geschäfte der Partei. Aktivitäten der "Jungen Nationalisten" (JN) Die "Jungen Nationalisten" (JN) verstehen sich als europaweit vernetzte, sozialrevolutionäre und nationalistische Jugendbewegung. Durch politische Aktionen und ideologische Schulungen festigen die Mitglieder der JN ihre rechtsextremistische Weltanschauung. Sie grenzen sich damit von der modern auftretenden "Identitären Bewegung" aus dem Spektrum der "Neuen Rechten" ab und nehmen zugleich eine Scharnierfunktion zur neonazistischen Szene ein. Die Neustrukturierung der Mutterpartei wurde von den JN begrüßt, auch wenn sie selbst sich dafür ausgesprochen haben, ihren Namen nicht anzupassen. Seit der Wahl von Sebastian Weigler 87 (Sachsen-Anhalt) zum Bundesvorsitzenden im Jahr 2022 haben sich die Aktivitäten der JN, die im Berichtsjahr unter dem Motto "Freiheitskämpfer - damals wie heute!" stattfanden, verstetigt. Um ihre Inhalte zu verbreiten und ihre Aktivitäten zu dokumentieren, aber auch um neue Mitglieder zu werben, nutzen die JN zielgruppenspezifische Profile in verschiedenen sozialen Medien und bei Messenger-Diensten. Aktivitäten der NPD/Partei "Die Heimat" in Niedersachsen Der niedersächsische Landesverband der Partei "Die Heimat" unterhält nur noch wenige aktive Unterbezirke mit rund 180 Mitgliedern. Vorsitzender ist seit 2022 Manfred Börm aus Handorf (Landkreis Lüneburg). Unter seiner Führung hat sich die NPD Niedersachsen der Neustrukturierung und Umbenennung der Bundespartei angeschlossen. Auf dem 2019 gekauften Anwesen in Eschede (Landkreis Celle), das mittlerweile als "HeimatHof" bezeichnet wird, führt die Partei sowohl Veranstaltungen als auch Arbeitseinsätze in Form von Sanierungsund Renovierungsarbeiten durch. Neben dem Landesparteitag wird das Gelände auch für Sonnenwendfeiern und das sogenannte Politische Herbstfest genutzt. 87 Weigler gehört dem Bundesvorstand und dem Landesvorstand Niedersachsen als Beisitzer an. 118 Rechtsextremismus Das "Politische Herbstfest", an dem etwa 30 Personen mitsamt Kindern teilnahmen, fand am 21.10.2023 in Eschede statt und wurde wie im Vorjahr vom niedersächsischen Landesverband der Partei gemeinsam mit den JN ausgerichtet. Das Programm umfasste u. a. einen Vortrag des Buchautors Dr. Jens Woitas aus Wolfsburg zur "Wirtschaftsund Finanzpolitik". Woitas ist ehemaliges Mitglied der Partei "DIE LINKE." und hat im Jahr 2022 das Buch "Revolutionärer Populismus. Das Erwachen der Völker Europas" veröffentlicht. Am 10.09.2022 war er beim ersten "DSNetzwerktag" in Eisenach (Thüringen) zu Gast und nahm dabei zusammen mit dem Parteivorsitzenden der NPD, Franz, und einem ehemaligen Landesprecher der AfD Mecklenburg-Vorpommern an einer Podiumsdiskussion teil. Aktivitäten der "Jungen Nationalisten" (JN) in Niedersachsen In Niedersachsen existieren derzeit die JN-Stützpunkte Braunschweig, Hannover und Lüneburger Heide. Die JN nutzten den "HeimatHof" in Eschede für Schulungen und sonstige Seminare sowie für ihre sogenannten Gemeinschaftstage und als Ausgangspunkt für einen Leistungsmarsch. Laut einer Mitteilung vom 26.11.2023 auf dem Telegram-Kanal der JN habe dort an jenem Wochenende ein "Selbstverteidigungsseminar" stattgefunden. Die Teilnehmenden hätten sowohl verschiedene Rechtsfragen zum Thema Selbstschutz behandelt als auch "praktische Einheiten" absolviert. Bilder vom Training wurden in den sozialen Medien eingestellt, dort wirbt der JN-Stützpunkt Lüneburger Heide regelmäßig für Trainingsund Kampfsportveranstaltungen. Auf dem Instagram-Account des JN-Stützpunktes Lüneburger Heide wurde zudem über eine Schulungsveranstaltung am 28.01.2023 in Eschede berichtet. Im Rahmen eines Vortrages habe man entsprechend des diesjährigen Leitthemas "Freiheitskämpfer - damals wie heute" sowohl dem ehemaligen Freikorps-Angehörigen Albert Leo Schlageter 88 als auch dem ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen 88 Albert Leo Schlageter (1894-1923) war Soldat im Ersten Weltkrieg und Angehöriger verschiedener Freikorps. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung war er militanter Aktivist und wurde wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge von einem französischen Militärgericht im Mai 1923 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Propaganda der Nationalsozialisten machte aus ihm den "ersten Soldaten des Dritten Reiches" und begründete den "Schlageter-Kult". 119 Rechtsextremismus Kurt Eggers 89 gedacht. Zum Abschluss seien gemeinschaftlich alte Freikorpslieder unter Gitarrenbegleitung gesungen worden. Die Glorifizierung der Wehrmacht sowie von Angehörigen völkischnationalistischer Kreise in der Weimarer Republik und von Vertretern des historischen Nationalsozialismus sind innerhalb des traditionellen Rechtsextremismus von großer Bedeutung und sollen als einendes Element dem gemeinschaftlichen Zusammenhalt dienen. Die Schulungsveranstaltung der JN in Verbindung mit dem Gedenken an Schlageter und Eggers ist in diesem Kontext zu sehen. Auf ihrer Internetseite "Aktion Widerstand" berichteten die JN über den "Gemeinschaftstag Nord" in Eschede vom 13. bis zum 15.10.2023 mit etwa 30 Angehörigen der rechtsextremistischen Szene. Während der erste "Gemeinschaftstag" im März nach eigener Aussage in "Mittelsachsen" stattgefunden hatte, diente der "HeimatHof" bereits im Juli als Örtlichkeit für die zweite Veranstaltung dieser Art im Jahr 2023. Die "Gemeinschaftstage" sollen laut JN für "neue Impulse" sorgen und dazu genutzt werden, "sich bundesweit kennenzulernen, weiter zu vernetzen und auszutauschen". "Der Rahmen erstreckt sich von Frühsport und Fahnenappell über Schulungen, Gruppenaufgaben, gemeinsames Essen und gipfelt in der Feierstunde, in der die neuen Mitglieder vereidigt werden. ... Am Abend wurden bei feierlicher Zeremonie unsere neuen Mitglieder vereidigt." (Internetseite "Aktion Widerstand", "Meldung" vom 30.10.2023) Für den 22.10.2023 hatte der ehemals in Braunschweig wohnhafte und mittlerweile nach Sachsen-Anhalt verzogene JNBundesvorsitzende Sebastian Weigler zwei Kundgebungen in Celle angemeldet. Das Motto lautete "Leerstand konstruktiv begegnen - für eine positive Entwicklung der Innenstädte". Im Verlauf der Kundgebungen wurden Transparente gezeigt und Reden gehalten, die sich gegen angebliche Pläne für eine Moschee richteten. An den 89 Kurt Eggers (1905-1943) leitete u. a. 1936 die Abteilung "Feiergestaltung" im Rasseund Siedlungshauptamt der SS. In dieser Eigenschaft war er Autor zahlreicher Dramen, Hörund Singspiele, völkischer Geschichten, Wanderund Soldatenlieder sowie Sprechchöre für kultische Feiern. Nach Kriegsbeginn meldete er sich als Reserveoffizier an die Front und trat der Waffen-SS bei. Als Führer einer Panzerkompanie diente Eggers in der 5. SS-Panzer-Division "Wiking", bis er im Sommer 1943 im Alter von 37 Jahren fiel. Im Herbst 1943 wurde die Propaganda-Standarte, in der die SS ihre Kriegsberichterstatter zusammengefasst hatte, in "SS-Standarte Kurt Eggers" umbenannt. 120 Rechtsextremismus Kundgebungen beteiligten sich 13 Rechtsextremisten. Im Umfeld der Veranstaltungsorte wurden zahlreiche Aufkleber der JN angebracht und in Briefkästen verteilt, u. a. das Bild einer Gruppe junger Männer mit Gesichtsmasken in den Farben Schwarz-Rot-Gold und der Aufschrift "Lüneburger Heide verteidigen". Am 28.10.2023 erfolgte im Rahmen der Kampagne "Werde Heimatschützer" eine Aktion des neonazistisch geprägten und bundesweit agierenden Bündnisses "Inferno Deutschland". Vermummte Aktivisten mit Gesichtsmasken in den Farben Schwarz-Rot-Gold entrollten auf einer Baustelle in Braunschweig ein Banner mit der Aufschrift "HOL DIR DEIN LAND ZURÜCK!" und entzündeten dabei ein bengalisches Feuer. Auf dem Banner sind vier durchgestrichene Symbole zu sehen. Die Kampagne soll sich demnach vor allem gegen Kommunismus, NATO, Antifa und Homosexualität richten. Die drei vermummten Personen auf dem Banner mit den Gesichtsmasken in Schwarz-Rot-Gold stehen dabei im Widerspruch zur Ideologie der neonazistischen Szene und deren Ablehnung der demokratischen Bundesrepublik Deutschland. Die Aktion wurde in den sozialen Medien mit entsprechenden Kommentierungen und Unterstützeraufrufen begleitet, wie hier bei Telegram: "Junge Nationalisten - Speerspitze der Heimat @jungenationalisten. Die deutsche Jugend formiert sich, um dem volksfeindlichen Treiben ein Ende zu setzen. Schließ dich uns an. Werde Heimatschützer! ... wie unsere Jungs hier in #Braunschweig." (Telegram-Kanal der Partei "Die Heimat", KV Dortmund vom 28.10.2023) "Inferno Deutschland" bezeichnet sich selbst als "bundesweites Netzwerk junger Deutscher, die sich das Ziel gesetzt haben, eine goldene Zukunft unserer Heimat zu erkämpfen". Auf einer Karte im Internet sind die dazugehörigen Gruppen aufgeführt. Aus Niedersachsen beteiligen sich die JN-Stützpunkte Braunschweig, Hannover und Lüneburger Heide sowie die Gruppierung "Oskars Osna"90 aus dem Raum Osnabrück. Die Partei "Die Heimat" hatte ihre Untergliederungen im Rahmen der Kampagne "Werde Heimatschützer" bundesweit zu Aktionen vom 21. bis zum 28.10.2023 aufgefordert. Auf der Internetseite der 90 Siehe Kapitel 2.5, Abschnitt "Organisationsübergreifende Zusammenarbeit". 121 Rechtsextremismus Partei wurde über die "Aktionswoche" berichtet. Demnach wurden in mehreren Bundesländern etwa Infostände, Kundgebungen und großflächige Flugblattaktionen gegen Migration und vermeintliche Massenzuwanderung durchgeführt. In Niedersachsen zählen dazu die Kundgebung am 22.10.2023 in Celle und die Banneraktion am 28.10.2023 in Braunschweig. An einer weiteren bundesweiten und zugleich organisationsübergreifenden Kampagne der rechtsextremistischen Szene, dem sogenannten Stolzmonat 91, hatten sich die JN bereits im Juni mit einer Graffiti-Aktion am Kulturund Jugendzentrum in Celle beteiligt, die nicht zuletzt der Provokation des politischen Gegners diente. Auch hier sollte mit dem Motto der Kampagne und mit dem Tragen von Gesichtsmasken in den Farben Schwarz-Rot-Gold Anschlussfähigkeit an breitere gesellschaftliche Kreise hergestellt werden, was aber nicht mit einem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung einherging. Welche rückwärtsgewandte und antidemokratische Ideologie die JN pflegen, hat u. a. die Teilnahme niedersächsischer Vertreter am geschichtsrevisionistischen Gedenkmarsch in Dresden (Sachsen) am 11.02.2023 gezeigt, der von der neonazistischen Szene jedes Jahr aus Anlass der Bombardierung der Stadt im Februar 1945 durchgeführt wird.92 In gleicher Weise zu bewerten ist die Teilnahme von niedersächsischen JN-Angehörigen am sogenannten Marsch der Ehre am 12.02.2023 in Budapest (Ungarn). Mit der Veranstaltung soll der Flucht der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS vor der Roten Armee ebenfalls im Februar 1945 gedacht werden. An dem Wandermarsch nehmen seit 1997 jährlich mehrere Hundert und in den letzten Jahren sogar bis zu 3.000 Neonazis aus ganz Europa teil. Ein zentrales Ideologieelement des Neonazismus ist neben dem Geschichtsrevisionismus der Antisemitismus, der vor dem Hintergrund der militärischen Reaktionen Israels nach dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation HAMAS am 07.10.2023, bei dem rund 1.200 israelische Zivilisten getötet wurden, eine neue Aktualität erfahren hat. Zwischen dem 27. und 29.10.2023 verteilten unbekannte 91 Die Kampagne richtet sich gegen den im Juni weltweit begangenen "Pride Month" der LGBTIQ+-Bewegung; siehe auch Kapitel 2.6, Abschnitt "Kampagne '#Stolzmonat'". 92 Siehe Kapitel 2.5, Abschnitt "Demonstrationen". 122 Rechtsextremismus Täter antisemitische Aufkleber auf dem Gelände der Gedenkstätte Ahlem in Hannover. Die Aufkleber fanden sich an Türen, am Eingangsschild und an der "Wand der Namen" für die deportierten und getöteten Opfer des Holocaust. Bedruckt waren sie zum Teil mit dem Logo der JN und trugen Aufschriften wie "Nazi Zone", "Israel mordet" und "Fuck You Israel". Die Polizei leitete Ermittlungen wegen Volksverhetzung ein. Die JN rechtfertigten mit der Aktion den Terror der HAMAS gegen die israelische Zivilbevölkerung und posteten dazu in den sozialen Medien das Bild eines blutbefleckten Davidsterns mit der Parole "Israel mordet und die Welt schaut zu". "Der neuen Angriffswelle der Hamas geht die völkerrechtswidrige Unterdrückung, die Besetzung und israelischer Massenmord voran." (Telegram-Kanal der JN vom 08.10.2023) Aus Anlass des Volkstrauertages im November führte die JN im Raum Osnabrück und in der Lüneburger Heide sogenannte Heldengedenken durch, bei denen es alljährlich vor allem um die Glorifizierung der Wehrmacht geht und Kränze für die gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege an Ehrenoder Denkmälern niedergelegt werden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Partei "Die Heimat" befindet sich nach ihrem Bundesparteitag im Juni 2023 und dem damit verbundenen Strategiewechsel auch weiterhin in einer für sie schwierigen Situation. Zwischen der AfD auf der einen Seite und den weltanschaulich stärker akzentuierten, von Neonazis geprägten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" (in Niedersachsen nur Einzelpersonen) auf der anderen Seite fällt es ihr schwer, sich am rechten Rand des politischen Spektrums zu positionieren. Insgesamt hat die Partei an personeller und organisatorischer Substanz verloren. So trat sie 2023 lediglich bei der Wiederholungswahl in Berlin an und erreichte nur einen Anteil von 0,1 Prozent (1.589 Stimmen). Zugleich hat die Partei ihre Kampagnenfähigkeit eingebüßt, auch wenn sie mit der Kampagne "Werde Heimatschützer" einige Akzente setzen konnte. Die seit Jahren ausbleibenden Wahlerfolge und der Verlust von Mandaten auf Kommunalund Landesebene bedeuten für die Partei eklatante finanzielle Verluste. Ein im Oktober an die Mitglieder 123 Rechtsextremismus gerichteter Spendenaufruf der Partei lässt ebenfalls finanzielle Probleme erkennen. Auch der Beitritt von ehemaligen Angehörigen der Partei "Die Rechte" täuscht nicht über die bestehenden Schwächen hinweg. Zudem scheint sie unter einem neuen Namen weder politisch noch gesellschaftlich anschlussfähig zu sein. Die auf dem Bundesparteitag beschlossene Umbenennung ist Teil der Parteireform, die erstmals im November 2019 vom Vorsitzenden Frank Franz ins Gespräch gebracht worden ist. Ziel der Umbenennung ist es, die Stigmatisierung durch die Bezeichnung NPD hinter sich zu lassen. Die mögliche Umbenennung wurde innerhalb der Partei kontrovers und teilweise emotional diskutiert. Die Mitglieder sollten Vorschläge für einen neuen Namen abgeben. Ausgewählt wurde "Die Heimat", weil die Bezeichnung positive Identitätsgefühle anspreche und auch für Wähler und Interessenten außerhalb des klassischen rechtsextremistischen Spektrums anschlussfähig sei. Bei der Umbenennung handelt es sich weder um die Gründung einer neuen Partei noch um eine Neuformierung, die sich von der alten NPD abgrenzt. Das Parteiprogramm wurde auf dem Bundesparteitag nicht aufgehoben oder zurückgenommen. Eine inhaltliche Neupositionierung fand nicht statt. Rechtlich gesehen erfolgte lediglich eine Satzungsänderung. Mit Ausnahme einiger Dissidenten gab es auch bei den Führungspersonen keine Veränderungen. Die JN bleiben als Jugendorganisation der Partei erhalten. Der Vorsitzende Sebastian Weigler unterstützt den Reformkurs und betonte auf dem Parteitag in Riesa, dass die JN "gemeinsam den Weg für 'Die Heimat'" gehen wollen. Auf ihrer Internetseite gratulierte die Jugendorganisation der "Mutterpartei zur erfolgreichen Umbenennung". Für die JN sei allerdings "derzeit keine Namensanpassung" geplant. Die Kontinuität von NPD zu "Die Heimat" zeigt sich insofern auch an der unveränderten Bindung zwischen JN und Partei. Am 04.07.2023 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Ausschluss der NPD bzw. der Partei "Die Heimat" von der Parteienfinanzierung statt. Die Partei teilte dem BVerfG kurz vor dem Termin ihr Fernbleiben mit, so dass ohne sie verhandelt wurde. Am 23.01.2024 hat das BVerfG bekanntgegeben, dass die Partei "Die Heimat" für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen wird. 124 Rechtsextremismus Der niedersächsische Landesverband konzentrierte sich auf Veranstaltungen im eigenen Objekt in Eschede, die jedoch wie in den Vorjahren keine größere Resonanz erzeugten und immer wieder von Gegendemonstrationen begleitet wurden. Der "HeimatHof" kann als Ankerpunkt der Partei und insbesondere der JN für ihre politische Arbeit in Niedersachsen betrachtet werden, auch wenn die Partei selbst in den meisten Landesteilen faktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Auffällig sind allenfalls die Aktivitäten der JN, die derzeit mit drei Stützpunkten in Niedersachsen vertreten sind und dabei den "HeimatHof" für ihre Veranstaltungen nutzen. Ob sich vor diesem Hintergrund ein Gemeinschaftsoder Bildungszentrum von überregionaler Bedeutung in Eschede entwickelt, wie von der Partei nach dem Kauf der Immobilie verkündet wurde, ist derzeit nicht einzuschätzen und bleibt daher weiterhin abzuwarten. 2.10 Die Rechte Sitz/Verbreitung Sitz des Bundesverbandes: Parchim (Mecklenburg-Vorpommern); Sitz des Landesverbandes: Braunschweig Gründung/ 2012 (Bundesverband); Bestehen seit 2013 (Landesverband) Struktur/ Bundesvorsitzender: Christian Worch ; Landesvorsitzender: Martin Repräsentanz Kiese; neun Landesverbände im Bundesgebiet; Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 25 Unterstützer Veröffentlichungen Internetangebote: Die vorrangige Außendarstellung erfolgt für den Bundesverband über die eigene Internetseite und in den sozialen Medien X (ehemals Twitter) und Telegram. 125 Rechtsextremismus Kurzportrait/Ziele Die Partei "Die Rechte" wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mitgliedern der ehemaligen "Deutschen Volksunion" (DVU) und dem langjährigen Neonazi Christian Worch gegründet. Den Posten des Bundesvorsitzenden übernahm Worch selbst. Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch ehemalige Mitglieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kameradschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzten unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre bisherigen Aktivitäten fort. Zudem traten der Partei vereinzelt NPDMitglieder bei. Anfang Januar 2023 lösten sich der Kreisverband Dortmund und ebenso der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei "Die Rechte" auf. Die ehemaligen Mitglieder wechselten zum NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und beteiligten sich am Versuch einer Neuausrichtung unter dem Namen "Die Heimat". Auch in Niedersachsen kommen der Großteil der Führungsebene und ein relevanter Teil der Mitglieder aus der neonazistischen Szene. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bildet die fremdenfeindliche Agitation gegen die Asylund Flüchtlingspolitik, die vermeintliche Islamisierung Deutschlands sowie die angeblich politisch gewollte Volksvermischung. Hinzu kommt die Kritik an vermeintlich staatlicher Repression zum Nachteil der Partei und ihrer Anhänger. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Landesverband Nordrhein-Westfalen, von dem die Partei "Die Rechte" dominiert wurde, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte.93 "Die Rechte" steht seitdem hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und 93 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende Worch "Die Rechte" als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PRO-Bewegung" beschrieben (Internetseite von Christian Worch). 126 Rechtsextremismus der führenden Personen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kameradschaften. Ihre Agitation ist von Demokratieund Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. Hiermit richtet sich "Die Rechte" insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) sowie gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen Die seit 2021 wahrnehmbaren personellen und organisatorischen Schwierigkeiten der Partei "Die Rechte" setzten sich im Berichtsjahr weiter fort. Hatte der größte Landesverband Nordrhein-Westfalen 2022 noch mit personellen Problemen aufgrund von Nachwuchsmangel und dem Rückzug seines Führungspersonals zu kämpfen, löste er sich Anfang des Jahres 2023 ganz auf. Zeitgleich verkündeten die Kreisverbände Dortmund und Rhein-Erft (beide Nordrhein-Westfalen) ihre Auflösung. Viele der ehemaligen Mitglieder wechselten zur NPD und gründeten etwa den Kreisverband "Heimat Dortmund". Mit ausschlaggebend hierfür waren neben dem eigenen Stillstand auch die seitens der NPD betriebenen Vernetzungsbestrebungen. So hatten Vertreter der Partei "Die Rechte" bereits 2022 an den "DS-Netzwerktagen" der NPD teilgenommen.94 Der Landesverband Südwest zeigte sich im Berichtsjahr besonders aktiv. Zusammen mit der neonazistischen "Kameradschaft Rheinhessen" wurden mehrere Aktionen durchgeführt, die für öffentliche Aufmerksamkeit sorgten. Gemeinsam demonstrierte man am 01.05.2023 in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) unter dem Motto "1. Mai seit 33 arbeitsfrei" und am 19.08.2023 in Kaiserslautern (RheinlandPfalz) zum Gedenken an den Todestag des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess. Auf dem Bundesparteitag der Partei "Die Rechte" am 02.09.2023 in Hessen mussten aufgrund personeller Abgänge Nachbesetzungen für den Vorstand vorgenommen werden. Der Bundesvorsitzende 94 Siehe Kapitel 2.9, Abschnitt "Strategie der NPD/Partei 'Die Heimat'". 127 Rechtsextremismus Worch (Mecklenburg-Vorpommern) wurde wiedergewählt. Als Stellvertreter wurden Florian Grabowski (Rheinland-Pfalz) und Holger Niemann aus Amt Neuhaus (Landkreis Lüneburg) bestimmt. Der niedersächsische Landesvorsitzende Martin Kiese aus Braunschweig behielt sein Amt als Beisitzer. Auf dem 10. niedersächsischen Landesparteitag der Partei "Die Rechte" am 25.02.2023 wurde Kiese als Vorsitzender und Niemann als Stellvertreter wiedergewählt. Seit der Auflösung des einzig aktiven Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim im Juli 2022 ist der niedersächsische Landesverband kaum öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten. Im Jahr 2023 wurden nur zwei Aktionen durchgeführt. An den Demonstrationen in Braunschweig am 01.05.2023 zum "Arbeiterkampftag" und am 15.07.2023 gegen das "Heizungsgesetz" der Bundesregierung beteiligten sich lediglich 22 bzw. 27 Personen, die allesamt der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen sind. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Auflösung des bisher aktivsten Landesverbandes NordrheinWestfalen sowie der Kreisverbände Dortmund und Rhein-Erft hat die Partei "Die Rechte" sowohl in personeller als auch in organisatorischer Hinsicht geschwächt, so dass bundesweit ihre Strukturen erodieren. Die Partei ist kaum noch kampagnenfähig und das Aktivitätsniveau geht deutlich zurück. Dennoch ist eine Auflösung der Partei und ein geschlossener Übergang zur Partei "Die Heimat" ebenso wenig zu erwarten wie eine Belebung der Parteistrukturen durch die Wiederwahl von Worch zum Parteivorsitzenden. Die Wahl von Kiese und dem ehemaligen Landesvorsitzenden Niemann in den Bundesvorstand ist ähnlich zu bewerten. Der Wirkungsbereich der Partei "Die Rechte" in Niedersachsen erweist sich bereits seit Jahren als eher begrenzt und ist seit der Auflösung des Kreisverbandes Braunschweig/Hildesheim nur noch rudimentär vorhanden. Der Mitgliederschwund konnte weder aufgehalten noch kompensiert werden. Dem Landesvorsitzenden Kiese ist es nicht gelungen, die verloren gegangenen Strukturen wiederaufzubauen. 128 Rechtsextremismus 2.11 Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler in Niedersachsen Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit; regionaler Schwerpunkt im Großraum Lüneburg-Uelzen-Lüchow-Dannenberg Gründung/ In unterschiedlichen Ausprägungen bereits seit Jahrzehnten Bestehen seit Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von lokal agierenden Gruppierungen und Personenkreisen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: k. A.95 Unterstützer Veröffentlichungen Zeitungen, Zeitschriften, Internet Kurzportrait/Ziele Unter dem Sammelbegriff "Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler" werden in Niedersachsen rechtsextremistische völkische Gruppierungen und Personenkreise (Familien-/Siedlerverbände) gefasst, die abseits der urbanen Zentren eine naturorientierte, ländliche und kleinbäuerliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie mit rassistischen und antisemitischen Elementen pflegen und die innerhalb ihres in der Regel kinderreichen Familienund Freundeskreises nach völkischen Denkund Verhaltensmustern und neuheidnischen Riten leben. Die völkischnationalistische Ideologie richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ist in ihrer Wirkungsweise geeignet, deren Schutzgüter erheblich zu beinträchtigen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder. 95 In Niedersachsen werden völkisch orientierte Personen unter dem Rechtsextremismus-Potenzial in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Personenpotenzials der "Völkischen Personenzusammenschlüsse/ Völkischen Siedler" erfolgt nicht; siehe Kapitel 2.1. 129 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit "Völkische Personenzusammenschlüsse/Völkische Siedler in Niedersachsen" sind gefestigte Rechtsextremisten, die sich an der vom Nationalsozialismus propagierten "Volksgemeinschaft", die als "geschichtlich gewachsene Blutsgemeinschaft" idealisiert wird, orientieren. Dies umfasst nach völkischem Denkmuster die Ausgrenzung anderer Ethnien (Blut-und-Boden-Ideologie). Ziel ist der Erhalt der als besonders widerstandsfähig verstandenen "germanisch-nordischen Rasse" und die Verhinderung einer Durchmischung mit anderen Ethnien zum Wohle der "Volksgemeinschaft". Die Grundlagen des völkischen Denkens werden bereits in den frühen Lebensjahren gelegt. Völkische Familien und Freundeskreise haben einen prägenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen. Diesen wird während der Fahrten, Lager und Wanderungen ein völkisch-nationalistisches Leitbild für das Erwachsenenalter vermittelt, das insbesondere der Festigung der Gemeinschaft dienen soll. Um ihre "Volksgemeinschaft" wirtschaftlich unabhängig und weitgehend ungestört leben zu können, bevorzugen völkische Siedler dünnbesiedelte Landstriche. Junge Paare oder Familien erwerben in diesen Regionen zu günstigen Konditionen Resthöfe und Bauernhäuser und restaurieren diese gemeinsam mit Freunden und Verwandten. Der Großraum Lüneburg-Uelzen-Lüchow-Dannenberg ist eine Schwerpunktregion für völkisch orientierte Familien in Niedersachsen. Völkische Familien sind dort seit vielen Generationen ansässig oder haben ihren Lebensmittelpunkt in diese Region verlagert. Die engen familiären Verbindungen reichen zum Teil in die Zeiten gemeinsamer Mitgliedschaft in den verbotenen Organisationen "Wiking-Jugend" und "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) zurück. Deren völkische und rassistische Positionen gehören zu den grundlegenden Elementen rechtsextremistischer Ideologie. Folgerichtig sind viele Personen aus dem Bereich der völkischen Siedler zugleich Mitglieder in diversen rechtsextremistischen Organisationen. Im Vordergrund steht für sie aber das Bestreben, zu der von ihnen abgelehnten Gesellschaftsordnung eine völkische Gegenwelt zu schaffen, in der sie nach ihren Normen der völkischkulturellen Homogenität leben. 130 Rechtsextremismus Die Verfassungsfeindlichkeit "Völkischer Personenzusammenschlüsse/ Völkischer Siedler in Niedersachsen" zeigt sich in ihrer fundamentalen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach SS 4 Abs. 3 NVerfSchG. Sie richtet sich gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG) und in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG). Ebenfalls widerspricht sie dem Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 GG) und dem Gedanken des friedlichen Zusammenlebens der Völker (Art. 26 GG). Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Völkischer Jugendbund veranstaltet sogenanntes Jahreswechsellager In der Zeit vom 27.12.2022 bis zum 01.01.2023 führte der rechtsextremistische Verein "Der Sturmvogel - Deutscher Jugendbund" in Kirchberg (Baden-Württemberg) ein traditionelles "Jahreswechsellager" mit bundesweiter Beteiligung durch. Als Veranstaltungsort wurde das "Jugendheim Hohenlohe" genutzt, welches sich im Besitz des rechtsextremistischen Vereins "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorffer) e. V."96 befindet. Die anwesenden etwa 50 Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen trugen eine einheitliche Kluft (Uniform), teilweise mit schwarz-weiß-rotem Sturmvogel-Abzeichen. Am Veranstaltungsort wurden Fahrzeuge aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt festgestellt. Einige Teilnehmende hatten aus mutmaßlich konspirativen Gründen die Kfz-Kennzeichen von ihren Fahrzeugen entfernt. Zum Programm gehörte ein Morgenappell mit Fackeln, Fahnen und Liedern sowie Sportund Waldaktivitäten in Form eines Survivaltrainings. Über die Neujahrsnacht wurde berichtet, dass die Anwesenden einen Kreis um ein großes Brauchtumsfeuer gebildet und das "Deutschlandlied" in allen drei Strophen gesungen hätten, so auch die im Nationalsozialismus favorisierte erste Strophe: 96 Der Verein "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorffer) e. V." mit Sitz in Bayern vertritt eine fremdenfeindliche, antisemitische und revisionistische Weltanschauung und spricht sich für eine strikte "Rassentrennung" aus. Im "Jugendheim Hohenlohe" in Kirchberg (BadenWürttemberg) haben in der Vergangenheit wiederholt Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppierungen stattgefunden. In Niedersachsen wurden bis zum Beginn der CoronaPandemie mehr als 40 Jahre lang die traditionellen Ostertagungen der "Ludendorffer" in Dorfmark (Landkreis Heidekreis) abgehalten. 131 Rechtsextremismus "Deutschland, Deutschland über alles/ Über alles in der Welt/ Wenn es stets zu Schutz und Trutze/ Brüderlich zusammenhält/ Von der Maas bis an die Memel/ Von der Etsch bis an den Belt/ Deutschland, Deutschland über alles/ Über alles in der Welt". Die Nationalsozialisten hatten die erste Strophe bewusst für ideologische Propaganda genutzt, ohne Rücksicht auf den historischen Kontext des 1841 durch August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verfassten Liedtextes, der die Sehnsucht nach einer geeinten Nation zum Ausdruck bringt. Zum damaligen Zeitpunkt bestand der deutschsprachige Raum aus 39 Einzelstaaten, von denen jeder nur die eigenen Interessen vertrat. Zur Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) wurde allein die erste Strophe gesungen, auf die danach das heute verbotene Horst-Wessel-Lied folgte.97 Seit 1991 ist die dritte Strophe des "Deutschlandliedes" ganz offiziell die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war ab 1952 "Das Lied der Deutschen" insgesamt zur Nationalhymne erklärt worden, wenngleich bei offiziellen Anlässen nur die dritte Strophe gesungen werden sollte. Völkische Aktivitäten in den Bereichen Bildung, Erziehung und Schule Völkische Siedler sind darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Weltanschauung auf Kinder und Jugendliche zu übertragen. Dieser generationenübergreifende Ansatz hat in völkischen Familien einen hohen Stellenwert. Zur völkisch ausgerichteten Lebensweise gehört deshalb auch die Befassung mit pädagogischen Themen. Das Herstellen einer Gruppenkonformität ist dabei als übergeordnetes Ziel zu werten. Sie soll dazu dienen, die eigenen Kinder gegen die als schädlich empfundenen gesellschaftlichen Einflüsse zu immunisieren und sie im Sinne des eigenen extremistischen Weltbildes charakterlich 97 Das Horst-Wessel-Lied war zunächst ab etwa 1929 ein Kampflied der SA und wurde später die Parteihymne der NSDAP. Das Lied wurde 1945 nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg durch den Alliierten Kontrollrat verboten. Dieses Verbot ist bis heute in Kraft. Das Horst-Wessel-Lied erfüllt gemäß SS 86a StGB den Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. 132 Rechtsextremismus zu festigen. Im Fall von schulpflichtigen Kindern ergibt sich daraus zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen der familiären bzw. außerschulischen Sozialisierung einerseits und der insbesondere im schulischen Lehrplan vorgesehenen Vermittlung demokratischer und pluralistischer Wertvorstellungen andererseits. Die Institution Schule ist aus (rechts-)extremistischer Perspektive oftmals ein Indoktrinationsinstrument des verhassten Staates bzw. ein Ort, an dem dieser den Schülerinnen und Schülern gezielt seine "Agenda" von Toleranz, Multikulturalismus und Liberalismus beibringt. Gleichzeitig ist eine elterliche Einflussnahme auf die in staatlichen Schulen vermittelten Inhalte nur schwer möglich. Angesichts dieser kaum lösbaren Konfliktsituation erscheint es für viele extremistisch geprägte Erziehungsberechtigte folgerichtig, ihre Kinder dem staatlichen Schulbetrieb nach Möglichkeit zu entziehen. Im Berichtszeitraum sind diesbezüglich verschiedene Strategien und Vorgehensweisen völkischer Akteure festgestellt worden. So gab es in Einzelfällen Versuche der ideologischen Einflussnahme auf Schulen in freier Trägerschaft. Freie Schulen verfügen mitunter über geringere Kontrollmechanismen, was Lerninhalte, Lehrkörper und Anwesenheitspflichten betrifft. Aufgrund einer i. d. R. geringeren Schülerzahl bieten sie gleichzeitig im Rahmen der Elternarbeit häufig ungleich höhere Beteiligungsund Einflussmöglichkeiten als staatliche Schulen. In diesem Umfeld ist es etwa völkischen Siedlern eher möglich, ihre Ideologie subtil innerhalb der Elternund Lehrerschaft einzustreuen oder durch unterschiedliches Engagement in die schulischen Strukturen einzubringen. Mittelfristig kann dies zu einer Normalisierung bzw. Akzeptanz völkischer Ideologie führen. Innerhalb der Schulgemeinschaft lässt sich so ein Status erlangen, der es erleichtert, Einfluss auf bestimmte Lerninhalte und Unterrichtsabläufe zu nehmen. So wurde u. a. versucht, völkische bzw. rechtsextremistische Schriften in den Schulalltag zu integrieren. Aus dem völkischen Spektrum sind auch Bemühungen festzustellen, Kinder gänzlich dem regulierten Schulbetrieb bzw. dessen Strukturen zu entziehen und diese privat als sogenannte Freilerner zu unterrichten. Eine herausgehobene Rolle sowohl in der Argumentation als auch in der Zielsetzung von Bildung, Erziehung und Schule spielen für 133 Rechtsextremismus völkische Siedler die Schriften der "Anastasia-Bewegung" und ein daraus abgeleitetes Pädagogikkonzept. Im Zentrum der Buchreihe steht die Idee der Gründung von autarken Familienlandsitzen und deren Zusammenschluss. Die in den Büchern hergeleitete Ideologie besteht im Wesentlichen aus der fundamentalen Ablehnung der modernen Gesellschaft bzw. ihrer als überaus schädlich empfundenen Begleiterscheinungen (Drogenkonsum, Kapitalismus, Krieg, Prostitution usw.). Als Gegenmodell wird das Idealbild einer natürlichen und naturverbundenen Lebensweise entworfen. Gesellschaftlicher Pluralismus wird strikt abgelehnt, ethnische Homogenität und "Reinheit" hingegen als das naturgewollte Idealbild präsentiert. Darüber hinaus enthalten die Schriften zahlreiche eindeutig antisemitische Passagen. In der Gesamtbetrachtung bietet die Buchreihe diverse Anknüpfungspunkte für die völkische Blut-und-Boden-Ideologie. In den "Anastasia"-Büchern sind die Themen Bildung und Erziehung von zentraler Bedeutung. Bereits in "unseren" Kindern sei "alles Wissen angelegt", dessen Entfaltung aber durch die Einflüsse der modernen Welt verhindert werde. Diese vermeintliche Erkenntnis dient Anhängern der "Anastasia-Bewegung" als Fundament eigener Pädagogikkonzepte. Die relevanteste pädagogische Umsetzung dieser Ideologie ist das sogenannte Schetinin-Konzept. Im Jahr 1997 gründete der mittlerweile verstorbene russische Staatsbürger Michail Petrowitsch Schetinin in der südrussischen Stadt Tekos eine von der "Anastasia"Buchreihe inspirierte Schule. Das Pädagogikkonzept umfasst weder Lehrpersonal im engeren Sinn noch konkrete Unterrichtsfächer. Kinder sind nach diesem Konzept sowohl Schüler als auch Lehrer. Insgesamt soll eine ganzheitliche Schulbildung entstehen, die sich auf die nach Schetinin elementaren - aus den Lehren der "Anastasia-Bewegung" abgeleiteten - Lebensbereiche erstreckt. Die Schetinin-Pädagogik hat mittlerweile auch in Deutschland viele Unterstützer. Sie wird nicht zuletzt durch weitreichenstarke Multiplikatoren aus völkischen Kreisen, aber auch aus der Szene der "Staatsdelegitimierer" verbreitet und beworben. Im Bereich "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" bildet die aktive Ablehnung des staatlich organisierten Schulsystems ebenfalls ein zentrales Element. Nicht 134 Rechtsextremismus nur die vermittelten Inhalte, auch die Corona-Schutzmaßnahmen, mit denen die Schülerinnen und Schüler während der Pandemie konfrontiert waren, stießen in diesem Milieu teilweise auf erheblichen Widerstand. Er richtete sich konkret gegen einzelne Schulen und Schulvertreter sowie gegen politische Entscheidungsträger und Wissenschaftler. Im Milieu der "Staatsdelegitimierer" ist seither ein verstärktes Interesse bzw. eine vermehrte Sympathie für alternative Konzepte und Methoden in Bezug auf Bildung, Erziehung und Schule zu erkennen, auch hinsichtlich der Schetinin-Pädagogik. Daraus ergeben sich wiederum Schnittmengen und Kontakte zum völkischen Spektrum. In Niedersachsen sind bislang keine an der "Anastasia-Bewegung" bzw. an der Schetinin-Pädagogik angelehnte Schulgründungen oder -gründungsversuche bekannt geworden. Allerdings wurden auch in Niedersachsen Seminare und Schulungen sogenannter Freilernen-Initiativen festgestellt, die stark an der Schetinin-Pädagogik orientiert sind. Ein wesentliches Ziel dieser Schulungen besteht darin, die Teilnehmenden in die Lage zu versetzten, ihre Kinder eigenständig bzw. zu Hause unterrichten zu können. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Zusammenhang mit der Bildung rechtsextremistischer Netzwerke sind die durch mediale Berichterstattung wiederholt in den Blickpunkt gerückten sogenannten völkischen Siedler als ein eigenständiges Phänomen zu betrachten. Aus den bisher zugänglichen Informationen ist abzuleiten, dass eine trennscharfe Zuordnung des aktiven Personenpotenzials zu einzelnen Organisationen nicht zielführend ist, um das gesamte Spektrum völkischer Akteure, den wechselseitigen Austausch und die Vernetzung untereinander sowie ideologische Gemeinsamkeiten umfassend analysieren zu können. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde das Sammelbeobachtungsobjekt "Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen" eingerichtet. Es umfasst einen Personenkreis, den der völkische Siedlungsgedanke, das Engagement in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und eine gemeinsame Vergangenheit - u. a. in den verbotenen völkischrassistischen Organisationen "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) und "Wiking Jugend" (WJ) - miteinander verbindet. Diesen 135 Rechtsextremismus Personenkreis eint, dass die Indoktrination im völkischen Sinne innerhalb der Familien stark ausgeprägt ist. Dadurch entsteht ein geschlossenes System, aus dem eine Abkehr auch den Bruch mit der Familie bedingt. Eingeweihte Kreise versuchen, über verschiedene Ansatzpunkte ihr Gedankengut zu verbreiten, indem man sich in Vereinsstrukturen oder anderen lokalen Strukturen betätigt. Durch ihre umfängliche Brauchtumsund Gemeinschaftspflege (Sonnenwendfeiern, Fahrten, Wanderungen, Oster-, Pfingst-, Sommer-, Winterund Jahreswechsellager sowie Tanzveranstaltungen und Theateraufführungen) tragen sie zur breiten Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene bei und fördern gleichzeitig eine "gleichgeartete Gattenwahl" als "Gewähr für gleichgeartete Kinder".98 Idealisiert wird die Großfamilie als "Keimzelle der Volksgemeinschaft" mit überdurchschnittlich vielen Kindern, weil Kinderreichtum als Garant für den Fortbestand der "deutschen Volksgemeinschaft" angesehen wird. Im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote werden junge Menschen rechtsextremistisch indoktriniert. Abgelegene Orte eigenen sich besonders für Vernetzungsund Schulungszentren sowie für erlebnisorientierte Lager, Fahrten und Wanderungen, die abseits der urbanen Zentren überwiegend ungestört durchgeführt werden können. Die Lager sind eine Mischung aus Märschen und Mutproben, Überlebensund Kampftraining. Bereits ab einem Alter von sieben Jahren ("lagerfähigem Alter") werden Kinder und Jugendliche indoktriniert und Eigenschaften wie Disziplin, Treue, Kameradschaft, Pflichtbewusstsein, Abhärtung und Stärke trainiert. Das Erleben von Gemeinschaft und das Kennenlernen von Gleichgesinnten werden nachhaltig gefördert. Ein durch völkische Familien angestrebter Entzug von Kindern und Jugendlichen aus dem staatlichen Schulbetrieb kann zu einer weiteren Abschottung der Familienverbünde und damit zu einer Festigung rechtsextremistischer Einstellungsmuster beitragen. 98 Vgl. das "Sittengesetz" der am 27.09.2023 durch die Bundesministerin des Innern und für Heimat verbotenen rechtsextremistischen Vereinigung "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG), das zusammen mit dem "Artbekenntnis" in jeder Ausgabe der "Nordischen Zeitung" abgedruckt ist. Unter Punkt 19 heißt es wörtlich: "Das Sittengesetz in uns gebietet gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder." 136 Rechtsextremismus Darüber hinaus besteht der Grundsatz der Wehrhaftigkeit, die mit einer Affinität zur Selbstverteidigung, zum Kampfsport und zu Waffen einhergeht. Gerade im ländlichen, waldund wiesenreichen Raum bestehen Jagdgemeinschaften. Eine Vielzahl der dort lebenden völkischen Siedler ist daher im Besitz von waffenrechtlichen Erlaubnissen. Siedlungsprojekte sind in der rechtsextremistischen Szene immer wieder diskutiert und initiiert worden. Über die regionalen Ansätze hinaus ist es bislang aber zu keiner flächendeckenden Realisierung gekommen. Siedlungsbestrebungen liegen dann vor, wenn Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum gezielt versuchen, Rückzugsräume für eine - häufig bäuerlich ausgerichtete Lebensgestaltung - zu schaffen, indem dünnbesiedelte Regionen durch Zuzug und/oder ideologische Prägung vereinnahmt werden. Der ländliche Raum eignet sich aufgrund niedriger Immobilienpreise und seiner teilweisen Abgeschiedenheit für ein derartiges Lebensmodell in besonderer Weise. Zugleich bilden diese Regionen die zentralen Aktionsund Rückzugsorte von völkischen Siedlern. In einer Gesamtbetrachtung haben "Völkische Personenzusammenschlüsse/ Völkische Siedler in Niedersachsen" keinen prägenden Einfluss auf die ideologische Entwicklung des Rechtsextremismus. Allerdings können sie mit ihren ausgrenzenden Positionen zur Belastung für das gesellschaftliche Zusammenleben auf lokaler Ebene werden. Präventionsansätze müssen deshalb unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure auf die jeweilige Situation vor Ort zugeschnitten sein. Dem Verfassungsschutz obliegt es, zu beobachten und zu analysieren, ob sich aus dem Zusammenwirken völkischer Siedler dynamische Netzwerkstrukturen von überregionaler Bedeutung herausbilden. 137 Rechtsextremismus 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit Gründung/ In unterschiedlichen Ausprägungen bereits seit Jahrzehnten. Bestehen seit 1985 Gründung der ersten konkreten Reichsbürgergruppierung, der "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) in Berlin Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von lokal agierenden, autark handelnden Einzelpersonen und Gruppierungen; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 1.080 Unterstützer davon etwa 40 Rechtsextremisten Veröffentlichungen Onlineangebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter, Formularschreiben Kurzportrait/Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind Gruppierungen oder Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich u. a. auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den demokratisch gewählten Repräsentanten sprechen sie die Legitimation ab oder sie definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder, teilweise Vermarktung und Verkauf von Reichsbürgerutensilien wie Autokennzeichen, Ausweise, Dokumente o. Ä., Veranstaltungen wie Seminare und Kongresse Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Als "Reichsbürger und Selbstverwalter" werden Einzelpersonen und informell organisier te Gruppierungen sowie vir tuelle 138 Rechtsextremismus Netzwerke bezeichnet, deren zentrales organisationsübergreifendes bzw. personenübergreifendes Ideologieelement die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat, seiner gesamten Rechtsordnung und deren Repräsentanten ist. Diese Überzeugung ist eng verknüpft mit einem verschwörungsideologischen Weltbild und der Vorstellung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat. Über diese verbindenden Ideologieelemente hinaus, stellt sich die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" als äußerst heterogen und uneinheitlich dar. "Reichsbürger" sind überzeugt, weiterhin und ausschließlich Angehörige eines "Deutschen Reiches" zu sein und nicht Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Je nach Gruppierung oder Person werden unterschiedliche historische Bezugspunkte, insbesondere die Jahre 1871, 1914 und 1937, für die "Reorganisation des Deutschen Reiches" angeführt. Gemeinsam ist allen der Rückgriff auf einen historischen und undemokratischen deutschen Staat sowie auf Grenzverläufe als Hoheitsgebiet, die deutlich über das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinausgehen. An die Stelle der aktuellen Staatsform und seiner institutionellen Ordnung soll eine eigene selbsternannte "Reichsregierung" treten, die in Zukunft die Regierungsgeschäfte für Deutschland führen soll. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine Gruppe von zumeist Einzelpersonen, die im Gegensatz zu "Reichsbürgern" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung ihrerseits oder durch den Rückgriff auf ein selbstdefiniertes Naturrecht aus der Bundesrepublik Deutschland austreten oder sie verneinen deren Existenz komplett. Einige gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu proklamieren. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend und bei vielen Personen vermischen sich Argumentationsmuster aus beiden Bereichen. Eine scharfe Trennung ist daher in der Praxis häufig nicht möglich. Aus der fundamentalen Ablehnung des Staates, seiner Behörden und Institutionen heraus sehen "Reichsbürger und Selbstverwalter" sich nicht an die Gesetze der Bundesrepublik gebunden, erkennen die geltende Rechtsordnung nicht an und leisten Widerstand gegen 139 Rechtsextremismus ordnungsgemäßes behördliches Handeln. Damit sind hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorhanden. Diese sind vor allem in der grundsätzlichen Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Dabei vertreten nicht alle "Reichsbürger und Selbstverwalter" per se rechtsextremistische Ansichten und können so nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden. Ausgehend von Verschwörungstheorien kommen bei einem Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter" Ideologieelemente des Rechtsextremismus wie Antisemitismus, Rassismus und völkische Vorstellungen zum Tragen. Diese begründen in ihren jeweiligen Ausprägungen ebenfalls hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Im Ergebnis richten sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen das Demokratieprinzip und den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG) sowie in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 bis 4 GG). Sie sind damit verfassungsfeindlich und erfüllen die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aufgrund ihrer fundamentalen Ablehnung des Rechtsstaates zeichnen sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" durch ein besonderes Maß an Renitenz gegenüber staatlichen Institutionen und Maßnahmen aus. Angefangen mit dem massenhaften Versand von Schriftstücken per E-Mail, Fax oder auf dem Postweg (sogenannte Vielschreiberei) über Beleidigungen und Bedrohungen bis zu gewalttätigen Verhaltensweisen versuchen sie auf Behörden und deren Mitarbeitende einzuwirken, um staatliche Maßnahmen zu verhindern oder zu erschweren. Die Entrichtung von Steuern, Gebühren und Abgaben verweigern "Reichsbürger und Selbstverwalter" regelmäßig. Die Aktivitäten der Szene gipfeln in der Errichtung verschiedener "Regierungen", "Verwaltungen" bis hin zur Ausrufung eigener Königreiche oder Staaten. Hierzu zählen auch die von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" angeblich "reaktivierten" oder "reorganisierten" Gemeinden. So bezeichnen sie Ortschaften, wenn 140 Rechtsextremismus sie diese für unabhängig erklären bzw. eine eigene Verwaltung für diese Gemeinden beanspruchen. Einige "Reichsbürger" zeichnen sich zudem durch die Erstellung und Verwendung von Phantasiedokumenten aus. Es wird versucht, eigene selbst produzierte "Reichsführerscheine" oder "Reichspersonenausweise" im offiziellen Rechtsverkehr zu verwenden. Der Verkauf solcher fiktiven Dokumente stellt zudem für einzelne Personen aus der Reichsbürgerszene eine lukrative Einnahmequelle dar. Die Reichsbürgerszene insgesamt verfügt über ein außerordentlich hohes Sendungsbewusstsein und vertritt ihre Ideologie offensiv nach außen. Zur Verbreitung ihrer Ideen und um andere Menschen für die eigene Sache zu gewinnen, greifen sie vorzugsweise auf das Internet zurück. Dabei dienen vor allem umfangreiche selbst erstellte Internetseiten und soziale Medien als Verbreitungsplattformen für die eigenen Inhalte, jedoch werden zunehmend Messenger-Dienste wie Telegram genutzt. Lokale Stammtische und andere niedrigschwellige persönliche Treffen dienen ebenfalls dazu, andere Menschen an die Reichsbürgerideologie heranzuführen und sich untereinander zu vernetzen. In letzter Zeit werden auch vermehrt Veranstaltungen wie Seminare, Kongresse oder Vorträge angeboten, um die realweltliche Vernetzung zu forcieren. Unter "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist seit vielen Jahren eine ausgeprägt prorussische Haltung verbreitet. In der Kommentierung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zeigt sich deutlich die Heterogenität der Szene. Es überwiegt ein Bild von Russland mit einem vermeintlich starken Staatsoberhaupt, militärischer Potenzialität und nationalistischen Interessen, das "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" als idealtypisches Staatsgebilde gilt. Zudem ist die kritiklose Übernahme russischer Staatspropaganda in diesen Kreisen verbreitet. Im Gegensatz dazu wird in einem Video der Internetpräsenz "staatenlos.info", die der Reichsbürgerszene zuzuordnen ist, das transnationale Verteidigungsbündnis NATO als schwach und jüdischen Interessen unterworfen dargestellt. Hierin spiegelt sich der Antisemitismus der Reichsbürgerszene wider.99 99 Vgl. "Was ist, wenn Putin die Ukraine nicht angreift?", in: "staatenlos.info"; abgerufen auf "rutube.ru" am 18.11.2022. 141 Rechtsextremismus Veranstaltungen mit Reichsbürgerbezug im "Leibniz Theater" in Hannover Nachdem bereits Ende 2022 in Hannover Veranstaltungen mit Reichsbürgerbezug im "Leibniz Theater", einer Kabarettund Kleinkunstbühne, stattfanden, waren im Jahr 2023 weitere Veranstaltungen mit Nähe zur Reichsbürgerideologie zu verzeichnen. Rund sieben Jahre nach dessen Eröffnung ist das Veranstaltungshaus seit dem 01.10.2023 als öffentliches Theater für die Allgemeinheit geschlossen. Der Betreiber hat bereits angekündigt, die Räumlichkeiten des "Leibniz Theaters" mit weiteren Beteiligten weiterführen zu wollen und anlassbezogen zur Verfügung zu stellen. Dies soll jedoch nicht mehr öffentlich, sondern privat auf Vereinsebene erfolgen, z. B. für Seminarangebote. Im Rahmen der Medienberichterstattung über die Nähe zur Reichsbürgerideologie haben Angehörige aus der Szene ihre Solidarität bekundet und für Unterstützungsleistungen geworben. Die bisherigen Künstlerinnen und Künstler, die zum Teil bereits Auftritte dort geplant hatten, haben sich aufgrund der offenkundigen Nähe zur Reichsbürgerszene deutlich vom Betreiber distanziert. Damit ist diesem eine wesentliche Einnahmequelle weggebrochen, was den fortgesetzten Betrieb als Theater erschwert haben dürfte. Ermittlungsverfahren der Generalstaatanwaltschaft München gegen mutmaßliche Mitglieder einer kriminellen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene - Durchsuchungsmaßnahmen auch in Niedersachsen Am 23.11.2023 erfolgten in acht Bundesländern, u. a. in Niedersachsen, Durchsuchungsmaßnahmen gegen mehrere Personen aus der Reichsbürgerszene wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB. Anlass war ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München (Bayern) gegen 20 Beschuldigte im Alter zwischen 20 und 74 Jahren, darunter eine 69-jährige Frau aus Cuxhaven. Die Gruppe hatte sich über den Messenger-Dienst Telegram organisiert, um staatliche Behörden durch massenhafte Kontaktaufnahme zu blockieren und Einfluss auf deren Entscheidungen zu nehmen. Die Kontaktaufnahme erfolgte per E-Mail oder Telefonanruf, um die Betroffenen dabei mit Reichsbürgerthesen zu konfrontieren oder sie verschiedener 142 Rechtsextremismus Menschenrechtsund Kriegsverbrechen zu bezichtigen. Zum Teil wurden die Gesprächspartner beleidigt, genötigt oder gar mit dem Tode bedroht. Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene - Anklageerhebung und weitere Exekutivmaßnahmen Am 11.12.2023 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage vor dem jeweiligen Staatsschutzsenat der Oberlandesgerichte (OLG) Frankfurt am Main (Hessen), München (Bayern) und Stuttgart (Baden-Württemberg) gegen insgesamt 27 Personen u. a. wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemäß SS 83 StGB.100 In Frankfurt richtet sich die Anklage gegen neun mutmaßliche Mitglieder dieser Vereinigung sowie gegen eine russische Staatsbürgerin als mutmaßliche Unterstützerin. Einer der Beschuldigten in Stuttgart ist zusätzlich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte angeklagt. Das Strafverfahren gegen die Rädelsführer der Vereinigung soll vor dem OLG Frankfurt geführt werden. Hervorzuheben ist hier als Hauptbeschuldigter der mittlerweile 72-jährige selbständige Finanzberater und Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. Weitere Angeklagte sind u. a die ehemalige AfDBundestagsabgeordnete und ehemalige Richterin Birgit M.-W. aus Berlin, die ehemalige Bundestagskandidatin und Angehörige des Landesvorstandes der Partei "dieBasis", Johanna F.-J., aus BadenWürttemberg, der ehemalige Bundeswehrkommandeur und Fallschirmjäger Rüdiger v. P. aus Baden-Württemberg, der Mitgründer der Bundeswehreinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) Oberst a. D. Maximilian E. aus Bayern, der ehemalige KSK-Angehörige Peter W. aus Bayern, sowie der ehemalige Polizeibeamte und ehemalige Bundestagskandidat der Partei "dieBasis", Michael F. aus 100 Die Anklageergebung richtet sich gegen zehn Personen vor dem OLG Frankfurt, acht Personen vor dem OLG München und neun Personen vor dem OLG Stuttgart; vgl. Pressemitteilungen Nr. 52, Nr. 53 und Nr. 54 der Bundesanwaltschaft vom 12.12.2023. 143 Rechtsextremismus Alfeld (Landkreis Hildesheim) in Niedersachsen. Weitere Angeklagte aus Niedersachsen sind in Frankfurt der Unternehmer Hans-Joachim H. aus Jesteburg (Landkreis Harburg) sowie in München der Jurist Tim Paul G. aus Hannover und die Ärztin Melanie R. aus Vechelde (Landkreis Peine), wobei die Letztgenannten neben Michael F. einflussreiche Positionen nach dem beabsichtigten Sturz der Bundesregierung übernehmen sollten. Hintergrund der Anklageerhebung ist ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung aus der Reichsbürgerszene. Die Ermittlungen mündeten am 07.12.2022 in Exekutivmaßnahmen gegen 54 Personen, bei denen die niedersächsischen Beschuldigten Michael F., Tim Paul G. und Melanie R. verhaftet wurden. Im Laufe des Jahres 2023 erfolgten weitere Durchsuchungsmaßnahmen, u. a. am 22.03.2023 in Springe (Region Hannover) und am 20.06.2023 in Hameln (Landkreis Hameln-Pyrmont) sowie die Verhaftung von Hans-Joachim H. am 22.05.2023 in Jesteburg und die Ausweitung des Verfahrens auf 69 Beschuldigte. In elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich wurden 25 Haftbefehle vollstreckt, die gegen 22 Beschuldigte und drei Unterstützer verhängt worden waren. Im gesamten Ermittlungskomplex gab es zum Jahresende sieben Beschuldigte aus Niedersachsen, von denen sich die vier oben genannten in Untersuchungshaft befinden. Laut Anklageschrift gehörten die jetzt 27 Angeschuldigten zu einer im Juli 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die sich das Ziel gesetzt hatte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Zur Rechtfertigung ihres Handelns dienten ihnen verschiedene Verschwörungstheorien, die auch in der Reichsbürgerszene verbreitet sind. So waren die Angeklagten fest davon überzeugt, dass Deutschland von geheimen Hintergrundmächten eines sogenannten Deep State101 regiert werde. Befreiung habe die sogenannte Allianz versprochen, ein - tatsächlich nichtexistierender - technisch überlegener 101 Der englische Begriff "Deep State" (dt. "Tiefer Staat") wird vor allem in verschwörungsideologischen Erzählungen verwendet und bedeutet sinngemäß "Schattenstaat" oder auch "Staat im Staate". Er bezeichnet illegale oder illegitime Machtstrukturen innerhalb eines Staates. Die dabei verdeckte Macht gehe von Gruppen aus, die sich tatsächlich oder angeblich gegenüber der Regierung eines Staates nicht oder nur eingeschränkt loyal verhalten und ihren eigenen Gesetzen gehorchen. 144 Rechtsextremismus Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten einschließlich der USA und Russlands. Die Vereinigung hatte geplant, mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um dort Abgeordnete des Deutschen Bundestages festzunehmen und so den Systemsturz herbeizuführen. Hierfür seien konkrete Vorbereitungshandlungen in konspirativer Planung erfolgt, etwa die Rekrutierung von militärischem Personal, die Beschaffung von Ausrüstung und ein Schießtraining. Ab Frühjahr 2022 führten ihre Mitglieder dieses Vorhaben im engeren Kreis fort, während sie zugleich den Aufbau bundesweiter, flächendeckend operierender bewaffneter Kräfte vorantrieben. Dafür gliederte sich die Vereinigung in einen "Rat" als zentrales Gremium, der sich - ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung - aus verschiedenen Ressorts zusammensetzte und in einen "militärischen Arm", dessen Führungsstab sich u. a. mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikationsund IT-Struktur sowie mit Plänen für die künftige Unterbringung und Verpflegung der sogenannten Heimatschutzkompanien befasste. Zum Zweck der Rekrutierung wurden diverse Veranstaltungen durchgeführt, bei denen es vor allem darum ging, aktive oder ehemalige Angehörige der Bundeswehr und Polizei anzuwerben. Die Vereinigung verfügte über finanzielle Mittel in Höhe von etwa 500.000 Euro. Sie hatte Zugriff auf ein umfangreiches Waffenarsenal, bestehend aus insgesamt rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hiebund Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffensowie mindestens 148.000 Munitionsteilen. Ihre Mitglieder schafften zudem eine Vielzahl sonstiger militärischer Ausrüstung an, darunter ballistische Helme, schusssichere Westen, Nachtsichtgeräte und Handfesseln. Mit der Zeit schottete sich die Vereinigung nach außen zunehmend ab. Mitglieder und Interessenten hatten eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen. Verstöße dagegen sollten als Hochverrat gelten und mit der Todesstrafe geahndet werden. In Niedersachsen übernahm Ende Dezember 2023 die Generalstaatsanwaltschaft Celle eines von mehr als 60 Ermittlungsverfahren des GBA. Das Verfahren wird bei der Zentralstelle Terrorismusbekämpfung 145 Rechtsextremismus geführt und richtet sich gegen vier Beschuldigte wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. Von den Beschuldigten wohnen drei in Niedersachsen und eine Person im angrenzenden Nordrhein-Westfalen. Gewaltpotenzial und Verhältnis zu Waffen Bei einem Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter" führt die absolute Ablehnung der Legitimität staatlichen Handelns als weitere Eskalationsstufe zu aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen gegenüber Gerichten, Behörden und insbesondere Polizeibeamten. Immer wieder haben "Reichsbürger" körperliche Gewalt angedroht und tatsächlich auch ausgeübt. Exemplarisch seien hier die Schusswechsel von "Reichsbürgern" mit der Polizei in Bayern und Sachsen-Anhalt genannt, bei denen am 19.10.2016 im bayerischen Georgensgmünd (Landkreis Roth) ein Polizeibeamter durch einen "Reichsbürger" erschossen wurde. Auch in Niedersachsen haben sich "Reichsbürger" bereits mit körperlicher Gewalt, zum Teil auch unter Einsatz von Waffen, gegen staatliche Maßnahmen zur Wehr gesetzt. Beispielhaft hierfür ist das Verhalten einer Familie aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont, die in den Jahren 2018 und 2019 wiederholt mit Behördenvertretern in Konflikt geraten war. Zwei Familienmitglieder wurden im Februar 2020 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Aus der staatsablehnenden Grundhaltung der "Reichsbürger und Selbstverwalter" lässt sich ableiten, dass sich derartige Widerstandshandlungen wiederholen dürften. Angehörige der Reichsbürgerszene weisen allgemein eine Affinität zu Waffen auf. Durch die Bereitschaft von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern", ihren eigenen Staatsvorstellungen teilweise auch mit Gewalt Nachdruck zu verleihen bzw. sich bestehendem Recht und Gesetz zu widersetzen, stellt der Waffenbesitz eine potenzielle Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und dessen Repräsentanten dar. Um das Gefahrenpotenzial zu minimieren, werden waffenrechtliche Erlaubnisse, soweit rechtlich möglich, entzogen, sobald eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene bekannt wird. Eine waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit 146 Rechtsextremismus besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist jedoch im Fall einer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene und der darin immanenten Ablehnung des geltenden Rechts zu verneinen. In Niedersachsen wurden aus diesem Grund bereits einigen Personen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Die Überprüfung von Personen mit einer entsprechenden Genehmigung, die zugleich Bezüge zur Reichsbürgerideologie aufweisen, erfolgt fortlaufend und wurde seit der normierten Regelabfrage im Waffenrecht intensiviert. Bundesweit wurden unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörden seit 2016 bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" mehr als 1.000 waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen. Reichsbürgergruppierungen in Niedersachsen In Niedersachsen ist die Reichsbürgerszene äußerst heterogen und durch wenig greifbare Strukturen oder Organisationen geprägt. Dennoch wurde in den letzten Jahren vermehrt ein Organisationsbezug einzelner Szeneangehöriger zu verschiedenen Gruppierungen festgestellt. Gemeinsame ideologische Überzeugungen und Argumentationsmuster dienen als einende Klammer. Diverse überregionale Kleinoder Kleinstgruppen aus der Reichsbürgerszene verfügen zudem über Anhänger in Niedersachsen. Zu nennen ist etwa die Gruppierung "Amt für Menschenrecht", deren Wirken sich vornehmlich auf den eigenen mit aktuellen Beiträgen versehenen Internetauftritt beschränkt. "Königreich Deutschland" (KRD) Das "Königreich Deutschland" (KRD) versteht sich als "völkerrechtskonformer neuer deutscher Staat", welcher durch den "Obersten Souverän", Peter Fitzek, im September 2012 in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) ausgerufen wurde. Das KRD ist aus dem zuvor im Jahr 2009 gegründeten Verein "NeuDeutschland" hervorgegangen. Nach eigenen Angaben verfügt das KRD deutschlandweit derzeit über mehr als 5.000 Mitglieder; rund 710 davon zählt die Gruppierung zu ihrem "Staatsvolk". Es handelt sich damit um eine der mitgliederstärksten Organisationen bundesweit im Bereich der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Ziel des KRD ist es, verschiedene autarke, staatsähnliche Strukturen zu etablieren, wie z. B. die "Deutsche Heilfürsorge", 147 Rechtsextremismus die "Deutsche Rente" und die "Königliche Reichsbank". Das eigenverwaltete "Staatsgebiet" soll durch den Aufbau lokaler, autarker Strukturen mit der Bezeichnung "Gemeinwohldörfer" entstehen. Das KRD wirbt u. a damit, dass die "Bürgerinnen und Bürger" des "Königreichs" von der Steuerpflicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland befreit seien. Durch sogenannte Gemeinwohlkassen soll die Finanzierung des "Königreichs" erfolgen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen hatte den Betreibern der "Gemeinwohlkassen" bereits im Jahr 2021 die Anbahnung, den Abschluss und die Abwicklung von Bankund Versicherungsgeschäften untersagt. Das KRD wird auch weiterhin um Mitglieder und Geldgeber werben, um kontinuierlich seine Strukturen wie auch sein vermeintliches Staatsgebiet bundesweit auszubauen. Besonders aktiv zeigte sich die Organisation zuletzt hinsichtlich des Aufbaus eigener Wirtschaftsund Finanzstrukturen ("autarker Wirtschaftskreislauf"), der Durchführung von Seminaren und der Erweiterung des "Staatsgebietes" durch den Erwerb von Grundstücken und Immobilien. In Niedersachsen haben die Aktivitäten des KRD im Berichtszeitraum deutlich zugenommen. Im Juni 2022 erwarb eine dem KRD zugehörige Frau für rund 200.000 Euro das ehemalige "Kneipp-Kur-Hotel Wiesenbeker Teich" in Bad Lauterberg (Landkreis Göttingen). In einem YouTube-Video sagte die "Reichsbürgerin", dass sie die Immobilie nach bereits begonnenen Aufräumund Sanierungsarbeiten zu einem Seminarund Gesundheitshaus umbauen möchte. Laut eigenen Angaben wollte sie schon im Frühjahr 2024 erste Veranstaltungen in der Immobilie durchführen. Im September 2023 nahm Peter Fitzek an der Eröffnung eines Kiosks durch die Organisation teil, dessen Betrieb auf dem Grundstück aufgrund fehlender Baugenehmigungen durch den Landkreis Göttingen untersagt worden ist. Zusätzlich wurde auch die Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken untersagt. Darüber hinaus fanden mehrere realweltliche Seminare und Treffen in Buchholz in der Nordheide (Landkreis Harburg) und in Hasbergen (Landkreis Osnabrück) statt. Als Organisator trat die Gruppierung "Leucht-Turm" in Erscheinung, bei der es sich um einen Zusammenschluss von Referentinnen und Referenten mit KRD-Bezug handelt, die bundesweit mit Seminaren für dessen Ziele und Strukturen 148 Rechtsextremismus werben. Im August 2023 wurde ein weiteres Treffen der regionalen Anhänger aus Niedersachsen in Walsrode (Landkreis Heidekreis) organisiert. "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) Das "Indigene Volk Germaniten" (IVG) versucht, über sogenannte Missionen die eigene Ideologie im Rahmen von Vortragsveranstaltungen zu verbreiten. Als angebliche Volksangehörige der "Germaniten" würden sie nach eigener Überzeugung allein dem Völkerrecht und nicht dem Staatsrecht unterliegen. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird zwar prinzipiell anerkannt, aber deren Geltungsbereich für die eigenen Mitglieder abgelehnt. Ihre Angehörigen zeigen zudem reichsbürgertypisches Verhalten durch die Ausstellung pseudo-behördlicher Dokumente und durch den massenverhaften Versand von Schreiben an Behörden. Die Gruppierung tritt bewusst öffentlichkeitswirksam auf, um neue Mitglieder zu werben und die weitere Vernetzung voranzutreiben. Im Jahr 2023 war niedersachsenweit ein deutlicher Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) Beim "Vaterländischen Hilfsdienst" (VHD) handelt es sich um eine Reichsbürgergruppierung, die auch unter den Bezeichnungen der mit ihr verbundenen Gruppierungen "Ewiger Bund", "Bismarcks Erben" und "Preußisches Institut" auftritt. Sie besteht etwa seit Sommer 2018 und wurde zum Zweck der aktivistischen Unterstützung der drei vorgenannten Gruppierungen gegründet, welche sich grob in die Bereiche Propaganda/Mitglieder werbung ("Ewiger Bund") und Ideologie/ Vernetzung ("Preußisches Institut", "Bismarcks Erben") einteilen lassen.102 Die ideologische Grundannahme geht dabei von einem Fortbestand des Deutschen Reiches aus. Dieses stelle weiterhin das legitime deutsche Völkerrechtssubjekt dar, sei aber mangels eigener Ordnung handlungsunfähig. Das Ziel des VHD besteht deshalb in der vermeintlichen Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit bzw. in der faktischen 102 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" (Zugriff: 19.12.2023). 149 Rechtsextremismus Wiedererrichtung des Deutschen Reiches auf dem Stand von 1918.103 Seit seiner Gründung organisiert und vernetzt sich der VHD über die sozialen Medien, insbesondere über Telegram-Chatgruppen. Die Organisationseinheiten sind stark hierarchisch aufgebaut. Unter Bezugnahme auf den Belagerungszustand Deutschlands im Ersten Weltkrieg gliedert sich die Gruppierung bundesweit in 24 "Armeekorpsbezirke". Der "X. Armeekorpsbezirk" (Hannover) umfasst dabei den Großteil des Bundeslandes Niedersachsen. Aktivitäten gibt es maßgeblich in den Bereichen Braunschweig, Goslar und Hameln. Hierzu zählen etwa die Verteilung von Flugblättern oder sogenannte Hilfsdiensttreffen. Der VHD und die einzelnen "Armeekorpsbezirke" verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen, auf denen sowohl Kontaktmöglichkeiten und Termine als auch Berichte und Bilder von Hilfsdiensttreffen veröffentlicht werden. Im Berichtszeitraum fand ein solches Hilfsdiensttreffen laut eingestelltem Bericht und Gruppenbild am 27.08.2023 "im Raum Goslar" statt, an dem nach eigenen Angaben 14 "Kameraden" teilnahmen.104 "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) Die vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat am 19.03.2020 verbotene und aufgelöste Reichsbürgervereinigung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt)105 ist nach den Exekutivmaßnahmen im Mai 2022 wegen des mutmaßlichen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot (SS 85 StGB) und der Inhaftierung der aus Hannover stammenden Führungsperson im Berichtsjahr kaum noch in Niedersachsen aktiv gewesen. Vor dem Verbot war der Verein insbesondere durch verbal-aggressive Schreiben aufgefallen, die sich hauptsächlich an Vertreter von Ämtern und Ministerien gerichtet hatten. Die Vereinsmitglieder drohten Amtsträgern mit "Inhaftierung" und "Sippenhaft" und setzten hohe fiktive Strafgebühren fest, für die die Betroffenen persönlich haften sollten. Auf der eigenen Internetseite wurde die Bundesrepublik Deutschland als minderwertige Staatsform und als 103 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Bismarcks Erben" (Zugriff: 19.12.2023). 104 Vgl. Internetseite der Gruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" (Zugriff: 19.12.2023). 105 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Pressemitteilung vom 19.03.2020: "Bundesinnenminister Seehofer verbietet mit 'Geeinte deutsche Völker und Stämme' erstmals Reichsbürgervereinigung". 150 Rechtsextremismus Handelskonstrukt diskreditiert. Angestrebt wurde stattdessen ein alternatives, angeblich "naturstaatliches" Rechtssystem. Das Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Lüneburg endete im November 2022 mit einer Verurteilung der Rädelsführerin wegen Volksverhetzung und einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. "Exilregierung Deutsches Reich" Die "Exilregierung Deutsches Reich" aus dem Raum Hildesheim wurde am 04.05.2004 in Hannover gegründet und ist weiterhin eine der bekanntesten Reichsbürgergruppierungen mit Strukturen in Niedersachsen. Unter der Leitung ihres selbsternannten "Reichskanzlers" Norbert Rudolf Schittke vertritt sie die Ansicht, dass es "nur einen deutschen Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31.12.1937", geben könne und das "Deutsche Reich" somit fortbestehe. Der Bundesrepublik Deutschland wird die staatliche Souveränität und Legitimation abgesprochen; diese sei lediglich ein "provisorisches (besatzungsrechtliches!) Selbstverwaltungskonstrukt". Die Organisation trat in den letzten Jahren nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Seit Anfang des Jahres 2017 wird in Niedersachsen die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in ihrer Gesamtheit beobachtet. In den ersten Jahren zeigte sich auch in Niedersachsen eine deutliche Zunahme der Aktivitäten der Reichsbürgerszene. Die Mehrheit der handelnden Personen gehörte bereits seit Längerem dem Reichsbürgerspektrum an. Vor etwa zwei Jahren hatte sich diese Entwicklung zwischenzeitlich umgekehrt. Im Vergleich zu 2022 ist das erfasste Personenpotenzial wieder angestiegen. Der Rückgang des Personenpotenzials im Berichtsjahr 2022 ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich der Anfangsverdacht gegenüber einigen Personen nicht bestätigt hatte. Durch die Zunahme der medialen Berichterstattung in Bezug auf "Reichsbürger und Selbstverwalter", insbesondere zum Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, wurden wieder deutlich mehr Verdachtsfälle bekannt. Überwiegend handelt es sich nicht um einen 151 Rechtsextremismus fest umrissenen Personenkreis. Vielmehr agieren bis dahin nicht als "Reichsbürger und Selbstverwalter" bekannte Personen im Sinne der ideologischen Ausrichtung, u. a. durch die anhaltende Versendung von Schriftstücken an diverse Empfänger oder durch die Begehung von Straftaten wie Beleidigung, Belästigung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung oder durch Widerstandshandlungen und Gewaltdelikte. Wird ein weitgefasster Maßstab angelegt, liegt die Gesamtzahl der in Niedersachsen auffällig gewordenen "Reichsbürger und Selbstverwalter" bei etwa 1.080 Personen. Von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" im engeren Sinne ist weiterhin in Niedersachsen von wenigen hundert auszugehen. Die in Niedersachsen wohnhaften "Reichsbürger und Selbstverwalter" stellen keine homogene Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum erstreckt sich von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch-nationalistisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Eine strategische Vernetzung der verschiedenen Gruppen oder Einzelpersonen ist bisher kaum zu erkennen, ebenso wenig eine gezielte Steuerung. Gemessen an dem Gesamtpotenzial an "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" liegt der Anteil an Personen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild bei etwa drei Prozent. Im Vorjahr waren es noch fünf Prozent. Die Verbreitung von rechtsextremistischen Ideologiefragmenten und Narrativen ist jedoch bei einem größeren Teil der "Reichsbürger" festzustellen. Insgesamt lebt die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in einer Parallelwelt geprägt von Verschwörungstheorien, die sich verfestigt und gegenüber der Außenwelt weitgehend verschließt. Im Gegensatz zu 2022 und den vorangegangenen Jahren spielten die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Niedersachsen keine wesentliche Rolle mehr. Die damit einhergegangene Verbreitung von Verschwörungserzählungen in Messenger-Diensten und sozialen Medien führt jedoch weiterhin zu einer erhöhten Dynamik. Die ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurde von vielen "Reichsbürgern" in eigenen Verlautbarungen 152 Rechtsextremismus aufgegriffen und ideologisiert. Als Argument führen viele von ihnen an, die Bundesrepublik Deutschland sei kein legitimer Staat, weshalb sämtliche Beschränkungsmaßnahmen keine Rechtsgrundlage besäßen und mithin nicht zu befolgen seien. In einschlägigen Kanälen auf Messenger-Diensten und bei entsprechenden Gruppen in den sozialen Medien vermischen sich zunehmend Reichsbürgerthesen mit allgemeinen Verschwörungserzählungen. Angetrieben von der Dynamik des Protestgeschehens gegen die Corona-Politik haben sich in den sozialen Medien und bei Messenger-Diensten diverse Mischszenen aus Anhängerinnen und Anhängern der Reichsbürgerideologie und weiteren, auch nicht extremistischen Personen aus dem Umfeld der Corona-Leugnerinnen und Corona-Leugner und Anhängerinnen und Anhänger anderer Verschwörungstheorien herausgebildet. Der Kern besteht weiterhin fort. Gerade zu dem stark radikalisierten Teil der Protestszene bestehen deutliche ideologische Schnittmengen. Der Glaube an ähnliche, im Kern oft antisemitische, globale Verschwörungserzählungen und die Überzeugung, das deutsche Volk oder der deutsche Staat seien nicht souverän, dient als verbindendes Element über die Szenegrenzen hinweg. Eine zunehmende Entgrenzung der Reichsbürgerszene in ideologischer und personeller Hinsicht ist die Folge. Viele "Reichsbürger" vertreten neben eindeutigen Reichsbürgerthesen auch antidemokratische oder den Staat delegitimierende Verschwörungserzählungen. Analog zur medialen Berichterstattung hat die Corona-Pandemie bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" an Bedeutung verloren. Aktuelle Themen, die weite Teile der Gesellschaft beschäftigen, wie etwa steigende Inflationsraten und Energiekosten oder Sorgen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie der Palästina-Israel-Konflikt ergänzen das bisherige Hauptthema. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen steht weniger im Mittelpunkt als die Absicht, mit flexiblen Inhalten aktuelle gesellschaftliche Umbrüche und staatsbzw. demokratieferne Haltungen in der Gesellschaft aufzugreifen, um weitere Anhänger für das eigene ablehnende Handeln zu gewinnen. Ein ideologisch kohärentes Weltbild ist bei einem Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter" nicht vorhanden. Gleichzeitig werden Reichsbürgerthesen und typische Argumente in vielen im Zuge des Protestgeschehens neu entstandenen digitalen 153 Rechtsextremismus Kommunikationskanälen häufiger ohne Widerspruch geteilt und verbreitet. Diese stärkere Entgrenzung und Vernetzung über den Phänomenbereich hinaus führt dazu, dass eine alleinige Zuordnung von neu erfassten Personen zum Bereich der "Reichsbürger und Selbstverwalter" teilweise nicht sinnvoll erscheint. In Anbetracht dieser Entwicklungen steht zu befürchten, dass Personen aus dem radikalisierten Umfeld demokratiefeindlicher Proteste mit einer hohen Affinität zu Verschwörungserzählungen, Anschluss in der Reichsbürgerszene finden und dort ein geschlossenes extremistisches Weltbild entwickeln. Durch die weitere Verbreitung dieser Ideologie sowie durch das ausgeprägte Sendungsbewusstsein und das latent steigende Aktivitätsniveau von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Verallgemeinernde Aussagen über eine etwaige gewalttätige Ausrichtung in Bezug auf dieses Personenpotenzial lassen sich wegen der Heterogenität der Szene weiterhin nicht treffen. Gleichwohl besteht jederzeit die Möglichkeit, dass einzelne Personen vor allem im Umgang mit Behördenmitarbeitenden oder als Reaktion auf staatliche Maßnahmen zu Gewalt greifen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Hinweise auf gezielte kriminelle oder gar terroristische Handlungen von einzelnen "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" liegen derzeit nicht vor. Gleiches gilt für den gezielten Aufbau von (verdeckt operierenden) Gruppen zum koordinierten Angriff auf staatliche Einrichtungen oder Mitarbeitende. Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet mehrere Präventionsund Informationsangebote zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" an. Neben Vorträgen hält der Niedersächsische Verfassungsschutz ein Faltblatt mit dem Titel "Reichsbürger und Selbstverwalter" vor, das auf der Internetseite zum Download zur Verfügung steht. 154 Rechtsextremismus 155 03 Linksextremismus Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial106 Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland107 2022 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 27.600 "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten108 10.800 sowie "Anarchisten"109 Summe 38.400 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 36.500 Davon gewaltorientierte Linksextremisten 10.800 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen110 2022 2023 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 415 435 "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten111 810 820 sowie "Anarchisten"112 Summe 1.225 1.255 106 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 107 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland lagen für das Berichtsjahr bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 108 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 109 Das Mitglieder-Potenzial umfasste auch bisher schon die "Anarchisten", ohne diese ausdrücklich zu nennen. 110 Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von circa zwei Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 111 Die Fußnote 108 gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Darüber hinaus wird hier noch das unorganisierte Spektrum abgebildet. 112 Das Mitglieder-Potenzial umfasste auch bisher schon die "Anarchisten", ohne diese ausdrücklich zu nennen. 158 Linksextremismus 3.2 Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus von fundamentaler Bedeutung. Linksextremisten greifen die in der amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1776 und die in der Französischen Revolution von 1789 proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den demokratischen Rechtsstaat zum Teil auch auf revolutionärem und gewaltsamem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunistische Gruppierungen wollen das bestehende politische System zerschlagen und streben über die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" das Absterben des Staates und seinen Ersatz durch eine klassenlose Gesellschaft an. Marxistisch-leninistische Organisationen wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), aber auch die extremistischen Teile der Partei "DIE LINKE." halten daher an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams113 und "vorbildhafter" Selbstorganisation. Da "Anarchisten" generell den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnen, streben sie unmittelbar nach einer erfolgreichen Revolution eine herrschaftsfreie Gesellschaft an. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordere (Internationalismus). Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisationen, Machtstrukturen und Hierarchien generell ab. Beide 113 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 159 Linksextremismus orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. an dem Ideal von der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Zwängen. "Anarchisten", die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Machtstrukturen beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Das westliche Gesellschaftsmodell, d. h. die soziale Marktwirtschaft sowie der demokratische Rechtsstaat und die ihn repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten sowie westlich geprägte Bündnissysteme wie die NATO und die Europäische Union (EU), stehen für den Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die linksextremistische Kritik konzentriert sich vor allem auf die (internationalen) Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Verantwortung für internationale Konflikte und Krisen verorten sie im Westen. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebieten und fordern, wie z. B. die "Interventionistische Linke" (IL) auf ihrer Internetseite "Make capitalism history!". 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus Wie in den Jahren zuvor wurde auch im Berichtsjahr 2023 die Entwicklung des Linksextremismus von der autonomen Szene bestimmt. Als Reaktion auf die bereits seit den 1990er Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autonomen Bewegung sind Teile von ihnen weiter bestrebt, der Ideologie-, Organisationsund Bündnisfrage mehr Raum zu geben. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten 160 Linksextremismus zwei Jahrzehnten bundesweit verschiedene sich als postautonom verstehende Bündnisse entstanden. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu sein, greifen "Autonome", insbesondere "Postautonome" Themen auf, die wie der Klimaschutz bis weit in die Mitte der Gesellschaft berühren und viele Menschen zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Dabei wähnen sie sich im Einklang mit der Mehrheitsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist eine zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus in die Mitte der Gesellschaft bei gleichzeitiger Erosion der Abgrenzung des demokratischen Spektrums gegenüber Linksextremisten nicht zu übersehen. Insofern ist der mittlerweile auch im Rechtsextremismus konstatierte Prozess einer Entgrenzung im Linksextremismus Realität. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der frei ist von systemüberwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung", "Antimilitarismus", "Antirassismus" oder insbesondere in den letzten Jahren der Einsatz für den Klimaschutz daher vor allem als Plattform für ihren Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Auch niedersächsische Linksextremisten sind in diesen Themenfeldern aktiv, wobei der "Kampf gegen den Faschismus" und derjenige gegen den "Kapitalismus" für sie zwei Seiten einer Medaille sind und aus diesem Grunde auch im Vordergrund stehen. Denn erst wenn der Kapitalismus als "Wurzel allen Übels" überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach auch "Faschismus" und alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Nach dem weitgehenden Ende der Corona-Pandemie stand das Jahr 2023 vor allem im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und seinen Folgen. Während im dogmatischen Linksextremismus - wie ihn die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verkörpert - insbesondere die Rolle des Westens und somit der USA und damit verbunden die der NATO heftig kritisiert wurde, lehnte die autonome Szene Niedersachsens die Intervention Russlands in die Ukraine zwar ab und solidarisierte sich mit deren Bevölkerung, 161 Linksextremismus nicht aber mit dem ukrainischen Staat. Dennoch gab sie nicht nur Russland, sondern auch den USA und damit verbunden der NATO eine Mitschuld für die Eskalation in diesem Krieg. Neben diesem Krieg beschäftigte im letzten Jahresviertel auch der mit dem Angriff der terroristischen HAMAS auf Israel am 07.10.2023 ausgelöste Nahost-Krieg die linksextremistische Szene. Der alte Konflikt zwischen antideutsch und antiimperialistisch ausgerichteten "Autonomen" trat dabei wieder deutlich zu Tage. Während sich die antideutsche Szene bedingungslos mit dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern auch durch die Teilnahme an proisraelischen Demonstrationen solidarisierte, ergriffen die Antiimperialisten ebenso wie die dogmatischen Linksextremisten, z. B. aus der DKP Partei für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Sie beteiligten sich an deren bundesweiten Solidaritätsdemonstrationen und kritisierten Israel unter Ausblendung der Verbrechen der HAMAS. Die linksextremistisch motivierten Übergriffe auf Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, bildeten 2023 ebenfalls einen Schwerpunkt der linksextremistischen Aktivitäten. Dabei zeigte sich, dass die Hemmschwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt - auch gegenüber Menschen - weiterhin niedrig ist. Darüber hinaus thematisiert die autonome Szene weiter den Klimaschutz und versucht, an die nicht extremistische Klimaschutzbewegung anschlussfähig zu werden. An dieser Stelle ist eine zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus in Teile der Klimaschutzbewegung nicht zu übersehen. Vor allem die "Interventionistische Linke" (IL) ist hier zu nennen.114 Im Bereich des parteigebundenen Linksextremismus setzte sich die zunehmende politische Bedeutungslosigkeit der orthodox marxistisch-leninistisch ausgerichteten Parteien DKP und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) auch 2023 fort. Neben kontinuierlich schwachen Wahlergebnissen von deutlich unter einem Prozent leiden beide Parteien seit Jahren unter einer massiven Überalterung ihrer Mitglieder und einer Stagnation der Mitgliederzahlen auf niedrigem Niveau. Sowohl die DKP als auch 114 Siehe im Einzelnen Kapitel 3.4, Abschnitt "Klimaschutz". 162 Linksextremismus die MLPD sind in der niedersächsischen Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und spielen für die Beurteilung des linksextremistischen Gesamtpotenzials nur eine untergeordnete Rolle. Die beiden offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei "DIE LINKE.", die "Kommunistische Plattform" (KPF) und die "Antikapitalistische Linke" (AKL), streben nach wie vor, wenn auch in unterschiedlicher Ausführung und Intensität, die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung der Bundesrepublik an und wollen diese durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System ersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen sie Einfluss auf Logo der KPF das politische Profil der Partei "DIE LINKE." und deren inhaltliche Ausrichtung zu nehmen. So beteiligen sich ihre Mitglieder beispielsweise mit eigenen Delegierten an den Parteitagen der Partei "DIE LINKE." und bringen sich dort mit eigenen Anträgen ein. Diese Vorgehensweise dient ihnen dazu, die Deutungshoheit bei bestimmten Themen, wie dem Umgang mit der SED-Diktatur zu erlangen. Aus diesem Grunde geht der Niedersächsische Verfassungsschutz davon aus, dass die beiden extremistischen Zusammenschlüsse der Partei "DIE LINKE." auch 2024 versuchen werden, Einfluss auf ihre Partei in Niedersachsen auszuüben. Welchen Einfluss die extremistischen Zusammenschlüsse der Partei "DIE LINKE." nach dem Zerfall ihrer Bundestagsfraktion und dem Austritt zahlreicher Bundestagsabgeordneter noch auf die Gesamtpartei haben werden, bleibt abzuwarten. Ausblick Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament vom 06. bis zum 09.06.2024 wird der "Antifaschismus" auch 2024 eine zentrale Rolle für die linksextremistische Szene in Niedersachsen spielen. Daneben werden vor allem der Klimaschutz und die Themen "Repression" und "Gentrifizierung"115 von größerer Bedeutung für das linksextremistische Spektrum sein. Solange die Klimaschutzbewegung große gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit 115 Siehe im Einzelnen Kapitel 3.4, Abschnitt "Antigentrifizierung". 163 Linksextremismus erfährt, werden Linksextremisten versuchen, Einfluss auf einzelne Gruppierungen dieser Bewegung zu nehmen, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Dabei könnten sie auf offene Ohren von Klimaaktivisten treffen, denen der Ausstieg aus den fossilen Energiequellen zu langsam voranschreitet. Setzt sich die Wohnraumumgestaltung so massiv fort wie bisher und bleibt die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiterhin so überhitzt und angespannt wie in den letzten Jahren, muss auch künftig mit Hausbesetzungen und Übergriffen auf Immobilienunternehmen und ihre Mitarbeitenden gerechnet werden. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 hat auch das Thema "Antimilitarismus" in der linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Nach der Bewilligung eines 100 Milliarden Euro Sondervermögens für die Bundeswehr und der geplanten dauerhaften Erhöhung des jährlichen Wehretats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dürften vor allem Rüstungsunternehmen wie der auch im niedersächsischen Unterlüß (Landkreis Celle) aktive Konzern Rheinmetall als "Profiteure" dieser Gelder verstärkt in den Fokus von Linksextremisten geraten. Ebenso könnten mögliche Waffenlieferungen zum Schutz Israels vor dem Hintergrund des am 07.10.2023 mit dem Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel begonnenen NahostKriegs israelfeindliche Proteste der antiimperialistisch ausgerichteten linksextremistischen Szene nach sich ziehen. Die Entwicklungen des Jahres 2023 zeigen, dass in Niedersachsen weiterhin Gewalttaten durch die linksextremistische Szene verübt werden. Daher muss auch 2024 damit gerechnet werden, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt - auch gegenüber Menschen - gering sein wird. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene in Niedersachsen 2024 auf gleichbleibend hohem Niveau bewegen wird. Nicht unwichtig für die Zukunft des Linksextremismus in der Bundesrepublik und in Niedersachsen dürfte die Entwicklung innerhalb der 164 Linksextremismus postautonomen Szene sein. Vor allem in der IL sind Auflösungserscheinungen nach dem Austritt mehrerer Ortsgruppen aus dem Bündnis im Jahre 2023 nicht zu übersehen. Sollte sich diese Tendenz fortsetzen, könnte das postautonome Projekt zumindest an seine Grenzen stoßen, wenn nicht sogar obsolet werden. Ebenfalls von Interesse dürften die möglichen Auswirkungen des Zerfalls der Bundestagsfraktion der Partei "DIE LINKE." ihre beiden in Niedersachsen aktiven extremistischen Zusammenschlüsse die KPF und die AKL sein. 3.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Sitz/Verbreitung Landesweite Präsenz mit Schwerpunkten in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 770 Sympathisanten Publikationen "autonomes Blättchen", Hannover (unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, keine Mitgliedsbeiträge Kurzportrait/Ziele Das Ziel autonomer Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung kennt dabei keine mit kommunistischen Organisationen vergleichbare einheitliche und dogmatische Ideologie. Ihr Weltbild setzt sich vielmehr aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammen. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung finden sich über Aktionsund Themenfelder zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern orientieren. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, den autonomen Widerstand öffentlich besser zu vermitteln, um so bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu werden. 165 Linksextremismus Gegenwärtig sind die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung" und vor allem der Klimaschutz für das autonome Spektrum in Niedersachsen von Bedeutung. Die autonome Szene sieht sich seit mehreren Jahren mit der Problematik konfrontiert, dass sie aufgrund interner Streitigkeiten, mangelnder Organisationsfähigkeit und einer oftmals brüchigen Vernetzung nur unzureichend agieren kann. Um diesem Umstand etwas entgegenzusetzen, haben sich bundesweit sogenannte postautonome Zusammenhänge etabliert, die mit langfristigen Bündnisstrukturen versuchen, die "Autonomen" aus der auch von ihnen selbst beklagten dauerhaften Krise zu holen. Für Niedersachsen sind dabei vor allem die "Interventionistische Linke" (IL) und das Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) relevant. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). "Postautonome" Autonome Gruppierungen sind nicht von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. "Autonome" im klassischen Sinne verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke und streben wie die Vertreter der orthodoxen bzw. dogmatischen K-Gruppen116 die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Machtund Herrschaftsstrukturen wie Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Schon seit Jahren leidet die autonome Szene sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen unter internen Streitigkeiten, einer hohen 116 Der Begriff "K-Gruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den "Kommunistischen Bund Westdeutschlands" (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 166 Linksextremismus Fluktuation und mangelnder Motivation ihrer Akteure. So existieren autonome Gruppierungen oft nur kurzfristig: sie benennen sich entweder um, fusionieren oder lösen sich ganz auf. Verantwortlich dafür sind vor allem ungelöste Organisationsdebatten und eine theoretische Orientierungslosigkeit. Diese Entwicklung hat die "Autonomen" in eine schon seit Jahren andauernde substanzielle inhaltliche und strukturelle Krise gestürzt. Teile der autonomen Szene reflektieren diese Missstände schon seit Längerem und versuchen, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Diese sich oft als postautonom bezeichnenden Gruppierungen verstehen sich nach wie vor als "Autonome", auch wenn sie sich in einigen Punkten von diesen unterscheiden. Ihre Politik ist langfristiger angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Sie wollen sich organisieren, vernetzen und betreiben innerhalb des autonomen Spektrums eine strategische Bündnisorientierung mit einer breiten Öffnung ins demokratische Spektrum und zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten. Dort wollen sie für einen Bruch mit dem Kapitalismus und den ihn nach Meinung der "Autonomen" schützenden demokratischen Rechtsstaat werben. Ideologisch orientieren sie sich an marxistischleninistischen und anarchistischen Weltbildern. Sie verzichten aber bewusst auf eine exakte ideologische Festlegung und somit auf eine dogmatische Interpretation der marxistischen und anarchistischen Klassiker. Diese ideologische Unverbindlichkeit macht es ihnen möglich, sich auf der Basis von Minimalkonsensen bis weit in orthodoxe, aber auch in nicht extremistische Kreise zu vernetzen. So wollen sie in einem langfristigen Prozess die herrschenden Verhältnisse überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten. "Postautonome" greifen deshalb gezielt aktuelle politische (Krisen-)Themen auf, die bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und versuchen, über deren gezielte Zuspitzung möglichst viele Menschen zu erreichen und mittelfristig zu radikalisieren. "Interventionistische Linke" (IL) Die IL ist zurzeit das bedeutendste und größte postautonome Bündnis. Sie entstand 1999 als eine "strategische Verabredung" undogmatischer Linksextremisten verschiedener Strömungen. In sogenannten Beratungstreffen fanden sich Gruppierungen und 167 Linksextremismus Einzelpersonen zusammen, um Überlegungen anzustellen, wie die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland erhöht werden könne. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum geöffnet. Es entstand ein bundesweit agierendes Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem in geringem Maße auch nicht extremistische Personen angehörten. Dem folgte ab 2010 eine intensive Organisationsdebatte, die die Umstrukturierung der IL von einem Netzwerk zu einer Organisation mit einem von der IL herausgegebenen "Zwischenstandspapier" vom 11.10.2014 abschloss. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu werden, geben sich ihre Akteure ideologisch bewusst undogmatisch. Zugleich bemühen sie sich um ein konventionelleres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonisten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung, dogmatische Parolen und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, hinter dem sich eine latent vorhandene Militanz verbirgt. Aus diesen Gründen kann die IL eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einnehmen. Das ermöglicht ihr, Bündnisse bis in die Mitte der Gesellschaft zu schmieden und Mobilisierungserfolge zu erzielen. Zugleich unterstreicht diese Entwicklung zum einen die Bedeutung der IL für die gesamte linksextremistische Szene, deren Erfolg bei Protestveranstaltungen zu einem nicht unerheblichen Teil von deren Organisationsfähigkeit abhängt und zum anderen die zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus bis ins demokratische Spektrum. Ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung bringt die IL u. a. in ihrem seit 2014 gültigen Selbstverständnis zum Ausdruck. Darin macht sie deutlich, dass es ihr nicht um grundgesetzkonforme reformerische Veränderungen des deutschen Wirtschaftssystems geht, sondern um die revolutionäre Überwindung des demokratischen Rechtsstaates: 168 Linksextremismus "Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv nicht nur gegen die Zumutungen und Grausamkeiten, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung, Diskriminierung orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, gesellschaftliche radikale Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert." (Internetseite der IL, 16.11.2023) Was die IL vom demokratischen Rechtsstaat und seinen Regeln, insbesondere vom Parlamentarismus hält, verdeutlicht sie in einer Stellungnahme zur Bundestagswahl 2021: "Für uns ist aber auch klar: Der Sozialismus kann nicht auf parlamentarische Mehrheiten und reformistische Kleckerstrategien zählen. Die Strategie linker Regierungen ist eine Sackgasse, denn der Weg der Reformen ist zu begrenzt und die Antworten auf den globalen Kapitalismus ohnehin nicht innerhalb der Nationalstaaten zu finden. Die grundsätzliche Ausrichtung auf Kapitalinteressen ist in die DNA aller bürgerlicher Staaten einprogrammiert. Daran kann keine Regierungskonstellation und kein Parteiprogramm Grundsätzliches ändern. Wer als Antikapitalist:in auf eine Systemüberwindung per Wahl und Regierungspolitik hofft, wird enttäuscht werden ... Denn am Ende entscheidet die Straße." (Internetseite der IL, 22.11.2021) Gegenwärtig bestehen offiziell weiterhin noch in 24 deutschen Städten117 sowie in Graz (Österreich) Ortsgruppen der IL, zwei davon in Niedersachsen (Göttingen und Hannover). Die IL folgt eigentlich dem Prinzip, wonach pro Stadt nur eine Ortsgruppe bestehen soll. In Göttingen ist diese Ausrichtung jedoch bislang nicht angenommen worden. Dort sind die aus der Spaltung der "Antifaschistischen Linken International" (A.L.I.) hervorgegangene Gruppierung "Sozialistische Perspektive" (SP) sowie die "Basisdemokratische Linke" (BL) weiterhin eigenständige Mitglieder der IL. 117 An folgenden deutschen Standorten gibt es IL-Ortsgruppen: Aschaffenburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Göttingen, Halle (Saale), Hamburg, Hannover, Heidelberg, Karlsruhe, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, Marburg, Norderstedt, Nürnberg, Rostock, Stuttgart, Tübingen. 169 Linksextremismus Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) Ein weiteres postautonomes Bündnis mit niedersächsischer Beteiligung stellt das Bündnis uG dar. In ideologischer Abgrenzung zur weitgehend antiimperialistisch ausgerichteten IL ist das Bündnis uG dem antideutschen Lager zuzurechnen.118 Folgt man der Selbstdarstellung des Bündnisses, so wurde es 2006 gegründet, um "linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen". Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG dabei nicht nur um eine "Kritik, für die es weder Institutionen noch Parlamente noch feste Verfahren" gebe, sondern auch um die "Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer".119 Für das Bündnis uG besteht die Herausforderung "immer wieder darin, diese verrückte Logik des kapitalistischen Alltags theoretisch und praktisch aufzubrechen", um die gegenwärtige Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung durch eine herrschaftsfreie kommunistische Gesellschaft zu ersetzen. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im Linksextremismus, äußerst diffus. Das Bündnis uG ist derzeit in zehn deutschen Städten120 organisiert. In Niedersachsen wirkt die Gruppierung "Redical [M]" als "eine kommunistische und antinationale Gruppe" aus Göttingen im Bündnis uG mit. Aus Braunschweig ist die Gruppierung "In/Progress" im Jahr 2022 dem Bündnis uG beigetreten. Logo der Gruppierung "In/Progress" Spätestens seit 2022 hat es den Anschein, als wenn das postautonome Projekt, zumindest was die IL betrifft, an seine Grenzen stößt. So ist das "Zwischenstandspapier" der IL bis heute noch nicht erkennbar weiterentwickelt worden. Stieg die Anzahl ihrer Ortsgruppen zunächst kontinuierlich, so nimmt sie seit 2020 ab. Fünf Ortsgruppen haben sich mittlerweile von der IL getrennt. 118 Zur Erläuterung der Begriffe "antiimperialistisch" und "antideutsch" siehe die Ausführungen im folgenden Abschnitt "Antiimperialisten und Antideutsche". 119 Internetseite des Bündnisses uG, 16.11.2023. 120 In folgenden deutschen Städten gibt es Gruppierungen, die im Bündnis uG organisiert sind: Berlin, Braunschweig, Bremen, Dresden, Frankfurt am Main, Göttingen, Köln, Marburg, München, Münster. 170 Linksextremismus Auch in Niedersachsen ist diese Entwicklung wahrnehmbar. Unter der Überschrift "Die A.L.I. trennt sich - unser Neustart im Jahr 2021" hat die Göttinger linksextremistische Gruppierung "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) Ende Dezember 2021 auf ihrer Internetseite ihren Austritt aus der IL bekannt gegeben. Diese Trennung von der IL betrifft aber nur einen Teil der A.L.I., denn die A.L.I. hat sich im Streit über die Zugehörigkeit zur IL gespalten. Während ein Teil der alten A.L.I. unter diesem Namen unabhängig von der IL weiterbesteht, macht ein anderer Teil unter der Bezeichnung "Sozialistische Perspektive" (SP) in der IL weiter. Im Bündnis uG waren 2023 auch weiterhin zehn Gruppen organisiert. "Antideutsche" und "Antiimperialisten" Die sogenannten Antideutschen bildeten sich mit Beginn der 1990er Jahre vor dem Hintergrund zunehmender rechtsextremistischer Übergriffe auf Migranten als eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus. Ideologisch wenden sie sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus. Mit der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und die Entstehung eines "IV. Reichs" durch eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sich die "Antideutschen" bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA. Eine für "Autonome" ungewöhnliche politische Haltung, da sie prinzipiell staatliche Strukturen, Institutionen und Repräsentanten ebenso ablehnen wie das westliche Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell und jegliche Form von Militär. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit kam es zum Bruch zwischen den "Antideutschen", die bislang immer nur eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums vertraten und vertreten, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung. Dieser ideologische Bruch vollzieht sich nicht nur im autonomen, sondern 171 Linksextremismus auch im postautonomen Spektrum. So ist die IL mit ihren niedersächsischen Ablegern in Göttingen und Hannover als weitgehend antiimperialistisch zu charakterisieren, während das Bündnis uG eindeutig antideutsch geprägt ist.121 Nicht selten führen diese Diskrepanzen zur Lähmung der politischen Arbeit innerhalb der autonomen bzw. postautonomen Szene, da beide Seiten nur bedingt dazu bereit sind, miteinander zu kooperieren. Hatten sich "Antideutsche" und "Antiimperialisten" in den letzten Jahren eher wieder angenähert, so haben die Spannungen zwischen beiden Ausrichtungen in der jüngsten Zeit wieder zugenommen. Auslöser dafür war der Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel am 07.10.2023 mit rund 1.200 Todesopfern. Während sich die antideutsche Szene bedingungslos mit dem Staat Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern u. a. durch die Teilnahme an proisraelischen Demonstrationen solidarisierte, ergriffen die Antiimperialisten reflexartig Partei für die Palästinenser. Sie beteiligten sich ebenso wie die dogmatischen Linksextremisten z. B. aus der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) an den bundesweiten Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser und kritisierten Israel unter Ausblendung der Verbrechen der HAMAS vehement. Autonome Gewalt "Autonome" kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Diese basiert dabei auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat und seine Repräsentanten sowie Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, aber auch szenekritische Wissenschaftler zählen. Politisch motivierte Gewalt dient "Autonomen" als "Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft". Denn um die angestrebte herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten, müsse zuvor der demokratische Rechtsstaat als Garant der bisherigen Ordnung beseitigt werden. Gewalt hat für "Autonome" immer eine Außenund eine Binnenwirkung. Nach außen dient sie u. a. dazu, öffentliche, insbesondere mediale Aufmerksamkeit zu 121 Die beiden Göttinger Gruppen "Antifaschistische Linke International" und "Basisdemokratische Linke Göttingen" (BL) sind Teil der antiimperialistisch ausgerichteten IL. In Hannover gibt es eine IL-Ortsgruppe Hannover. Die "Redical [M]" aus Göttingen und "In/ Progress" aus Braunschweig sind die niedersächsischen Ortsgruppen des antideutsch ausgerichteten Bündnisses uG. Die ursprünglich zum Bündnis uG gehörende Gruppierung "Fast Forward Hannover" hat sich bereits im Jahr 2020 aufgelöst. 172 Linksextremismus erregen und Unterstützung für die eigenen Positionen zu finden. Darüber hinaus soll sie die Kosten für bestimmte politische Entscheidungen so in die Höhe treiben, dass diese langfristig politisch nicht mehr durchsetzbar sind.122 Zugleich wirkt die Gewalt nach innen integrationsund identitätsstiftend für die jeweiligen Bezugsgruppen. Die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei ist oft der förmliche Ritterschlag für den einzelnen "Autonomen", denn sie befördert seinen Aufstieg in den formal nicht existenten Hierarchien innerhalb seiner Bezugsgruppe. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Gewalt - wie auch in anderen Extremismusbereichen - ästhetisiert und heroisiert wird. So stilisieren sich "Autonome" gern auf Fotos und Plakaten als "lonesome cowboy" oder "streetfighter" vor brennenden Barrikaden oder Autos sowie vor Polizeireihen. Dadurch zeigen sie zugleich die Faszination, die Gewalt auf sie ausübt. Gewalt wird somit zu einem unverzichtbaren Lebensgefühl. In manchen Situationen herrscht sogar eine regelrechte Gewaltbegeisterung, denn "es macht einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen ...", wie es in einem ihrer Selbstzeugnisse heißt.123 Ihren Ausdruck findet die autonome Gewalt in erster Linie in Massenmilitanz und klandestinen Aktionen. Massenmilitanz tritt dabei vornehmlich am Rande von Demonstrationen in Erscheinung. Konspirativ agierende Kleingruppen verüben zudem Brandund Sprengstoffanschläge vor allem gegen Luxusund Firmenfahrzeuge, aber auch gegen öffentliche Einrichtungen wie Jobcenter, Polizeistationen und Behörden. Um die von "Autonomen" ausgehende Gewalt richtig einordnen zu können, muss man sich den für sie und die "Postautonomen" geltenden Gewaltbegriff vergegenwärtigen. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" 122 Die Castor-Transporte sind hierfür ein gutes Beispiel. Ihre Gegner wussten, dass sie die Züge mit den Castoren auf dem Weg ins atomare Zwischenlager nach Gorleben nicht aufhalten können. Durch Blockaden und sogenannte Schotter-Aktionen versuchten Teile von ihnen aber, die Transporte möglichst lange aufzuhalten. So wollten sie die Kosten für die Castor-Transporte in die Höhe treiben, in der Hoffnung, dass sie irgendwann allein aus Kostengründen nicht mehr durchführbar sein würden. 123 A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren, Berlin 3. Auflage 2003, Seite 148. 173 Linksextremismus Gewalt gegen ihre Bürger aus: sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen, Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und hindern diese daran, sich ihren Anlagen, Wünschen und Möglichkeiten entsprechend frei entfalten und somit selbst verwirklichen zu können. Aus dieser so empfundenen "Gewalt des Systems" leiten "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten quasi ein Naturrecht auf gewaltsamen Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als ein reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die (angeblich) herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Mit dieser Interpretation wird zugleich das Opfer-Täter-Narrativ definiert: der Staat ist immer der Täter und der "Autonome" bzw. "Postautonome" immer das Opfer. "Postautonome" teilen zwar grundsätzlich das autonome Gewaltverständnis. Im Gegensatz zu den "klassischen Autonomen" ist ihr Verhältnis zur Militanz vor allem taktischer Natur. Einerseits distanzieren sie sich von der Anwendung von Gewalt, um so das demokratische Spektrum als potenziellen Bündnispartner und ihre Scharnierfunktion zwischen den extremistischen und nicht extremistischen Milieus nicht zu gefährden. Andererseits betonen sie, "... unsere Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen, so wie wir sie verantworten können ... Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen." (Internetseite der IL, 16.11.2023) Ein eindeutiges "Nein" zu jeglicher Form der Gewalt gibt es von ihnen nicht. Vor diesem Hintergrund wird schon seit geraumer Zeit in der linksextremistischen Szene eine Debatte über das Für und Wider von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen geführt. In dieser "Militanzdebatte" geht es nicht um ein Ja oder Nein zur Gewalt an sich. Einzig die Legitimität der Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen und nicht allein gegen Sachen wird diskutiert. Da Gewalt dem autonomen Verständnis nach politisch für 174 Linksextremismus diejenigen vermittelbar sein soll, die man befreien will, wird bislang gezielte Gewalt gegen Menschen mehrheitlich abgelehnt. Davon ausgenommen sind aber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten. Sie gelten als das personifizierte Feindbild eines jeden "Autonomen" bzw. "Postautonomen", ihnen werden Menschenwürde und Grundrechte abgesprochen. Gewalt gegen sie gilt als legitim, notwendig und vermittelbar und wird zumindest billigend in Kauf genommen. Aktionsfelder Kampf gegen Faschismus Zentrales Anliegen der "Autonomen" ist der Kampf gegen Faschismus bzw. der "Antifaschismus", einhergehend mit dem für sie damit untrennbar verbundenen Kampf gegen den Kapitalismus und den demokratischen Rechtsstaat. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale (Komintern), Georgi Dimitroff, im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellten These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals"124 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus immanent. Faschismus kann aus linksextremistischer Sicht deshalb nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus als die Wurzel allen Übels beseitigt wird. Konsequenter "Antifaschismus" zielt daher für Linksextremisten zwangsläufig nicht nur auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung, sondern auch auf die "Marionette des Kapitals", den zu überwindenden demokratischen Rechtsstaat. Ereignisse im Zusammenhang mit der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Im Jahr 2023 konzentrierte sich die linksextremistische Szene Niedersachsens im Gegensatz zu den vorherigen Jahren in ihrer 124 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 175 Linksextremismus "Antifaschismus-Arbeit" nicht mehr schwerpunktmäßig auf die direkte Auseinandersetzung mit der AfD. Veranstaltungen der Partei und das Eigentum von AfD-Angehörigen stellten aber weiterhin Angriffsziele des autonomen Spektrums dar. So wurden in der Nacht zum 06.10.2023 alle zur Straße gerichteten und mit dem Logo der AfD beschrifteten Fensterscheiben und das Glas der Eingangstür des AfD-Wahlkreisbüros in Walsrode großflächig beschädigt. Auch von Outing-Aktionen war die AfD 2023 erneut betroffen. So wurden am 29.12.2023 in einem linksextremistischen Online-Portal zahlreiche AfD-Funktionäre mit ihren Wohnanschriften geoutet, darunter sechs niedersächsische Bundestagsabgeordnete. Körperliche Übergriffe auf AfD-Angehörige blieben in Niedersachsen aus. Vom 19. bis zum 20.08.2023 führte die AfD ihren diesjährigen Landesparteitag in Celle durch. Wie schon bei früheren Landesparteitagen formierte sich dagegen Protest. Unter dem Motto "Gegenhalten für ein solidarisches Celle" mobilisierte ein breites Bündnis namens "Celle #noAfD", dem u. a. Gewerkschaften, religiöse Organisationen, Gedenkstätten, Sozialverbände und politische Parteien angehörten. Neben demokratischen Zusammenschlüssen riefen ebenfalls linksextremistische Organisationen zur Beteiligung an den Protesten gegen den Parteitag der AfD auf, darunter die zur postautonomen "Interventionistischen Linken" (IL) gehörenden Gruppierungen "Basisdemokratische Linke" (BL) und "Interventionistische Linke Hannover" (IL Hannover) sowie die dem postautonomen Bündnis "...umsGanze! Kommunistisches Bündnis" (uG) zuzuordnenden Gruppen "In/Progress" und "Redical [M]". Auch autonome Gruppierungen wie die "Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen" (AALG/UE), die "Salt City Antifa" (SCA), das "Antifaschistische Cafe Braunschweig" und die "Antifajugend Lüneburg" (AJL) beteiligten sich. Vor der Tagungshalle versammelten sich am Samstag (19.08.2023) etwa 1.400 Demonstrierende. Einige von ihnen versuchten nach der Anreise der Teilnehmenden die Einfahrt auf das Parteitagsgelände erfolglos zu blockieren. Bereits am Vortag hatten unbekannte Täter auf einer weißen Schutzplane an der Südfassade des Celler Schlosses mit schwarzer Farbe die Buchstaben "NO AFD" und "NO NAZIS" gesprüht. 176 Linksextremismus Parallel zum Parteitag verübten zudem unbekannte Täter einen Farbanschlag auf das AfD-Parteibüro in Hannover. Die IL Hannover kommentierte auf einem ihrer Social Media-Accounts den Farbanschlag mit den Worten: "Dieses Bild wurde uns netterweise zugesandt: Denn auch in Hannover blieb die AfD an diesem Wochenende nicht verschont." Links-Rechts-Auseinandersetzungen in Braunschweig und im Raum Göttingen Gewalttätige Auseinandersetzungen prägen seit Jahren das Verhältnis zwischen Linksund Rechtsextremisten auch in Niedersachsen. Betroffen davon sind vor allem Stadt und Raum Göttingen und in jüngerer Zeit auch Braunschweig, wo es häufig zu Übergriffen zwischen beiden Extremismen kam. Nachdem sich die Lage zwischenzeitlich etwas beruhigt hatte, gab es 2023 in Braunschweig wieder Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten. So attackierten mehrere Personen am 12.08.2023 einen Rechtsextremisten und verletzten ihn mit einer abgebrochenen Flasche am Hinterkopf. Dabei erlitt das Opfer eine Platzwunde und musste im Krankenhaus behandelt werden. Unbekannte Täter sprühten zudem am 15.12.2023 Bauschaum in den Briefkasten eines Rechtsextremisten. Zwischen dem 11. und 18.12.2023 warfen unbekannte Täter eine Scheibe der Wohnung eines Rechtsextremisten ein. Im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten bzw. denjenigen, die Linksextremisten dafür halten, spielte Göttingen auch 2023 weiterhin eine bedeutende Rolle. Gegen die von Personen aus dem Spektrum der "Delegitimierer" und "Querdenker" veranstaltete Kundgebung unter dem Motto "Herbsterwachen für mehr Menschlichkeit" am 16.09.2023 in Göttingen protestierte ein breites Bündnis, dem u. a. Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und politische Parteien angehörten. Neben den demokratischen Organisationen hatten auch linksextremistische Gruppierungen, wie die zur postautonomen 177 Linksextremismus Organisation IL gehörenden Gruppierungen "Basisdemokratische Linke" (BL) und "Sozialistische Perspektive" (SP) sowie die dem postautonomen Bündnis uG zuzuordnende Gruppe "Redical [M]" zu den Protesten aufgerufen. An der Veranstaltung beteiligten sich schließlich etwa 1.500 Demonstrierende, darunter Angehörige der autonomen Szene. Schon während der Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz gelang es Gegendemonstranten, die Redebeiträge der "Delegitimierer" und "Querdenker" zu übertönen. Als diese durch die Göttinger Innenstadt ziehen wollten, versuchten etwa 200 Protestierende, deren Aufzugstrecke zu blockieren. Auf Höhe des Autonomen Zentrums "Jugendzentrum Innenstadt" zogen einige Vermummte u. a. Müllcontainer auf die Fahrbahn und zündeten sie an. Die Polizei leitete daraufhin die Aufzugsstrecke um. Doch auch die Ausweichroute wurde blockiert und Teilnehmende der "Delegitimierer"und "Querdenker"-Demonstration mit Äpfeln beworfen. Im Zusammenhang mit den Sachbeschädigungen wurden zwei Tatverdächtige festgenommen. Zwei ursprünglich zusätzlich zur Kundgebung der "Delegitimierer" und "Querdenker" geplante Autokorsos sagten die Veranstalter ab. Außerdem gab es in Göttingen immer wieder szenetypische Delikte wie Beleidigungen, Pöbeleien, Sachbeschädigungen und körperliche Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten sowie sogenannte Outing-Aktionen zur Bloßstellung des politischen Gegners. Ereignisse im Zusammenhang mit Burschenschaften Vor allem in Göttingen, aber auch in anderen niedersächsischen Universitätsstädten, sind immer wieder Übergriffe auf Verbindungsstudenten und deren Einrichtungen zu verzeichnen, mit zunehmender Tendenz. Den Korps-Angehörigen werden vor allem von der linksextremistischen Szene pauschal Affinitäten ins rechtsextremistische Milieu unterstellt. Aus diesem Grunde gehören sie zu den erklärten Feindbildern der "Autonomen" auch in Niedersachsen. Der Konflikt zwischen Linksextremisten und Verbindungsstudenten war weiterhin in vielen niedersächsischen Universitätsstädten im Jahr 2023 ein Thema. So bewarfen in den frühen Morgenstunden des 31.01.2023 178 Linksextremismus in Göttingen unbekannte Täter die Hausfassade eines Verbindungshauses mit Christbaumkugeln, die mit roter und schwarzer Farbe befüllt waren. Am 02.03.2023 beschmierten ebenfalls in Göttingen unbekannte Täter die Grundstücksmauer einer Burschenschaft mit dem Schriftzug "ANTIFA AREA". In Hannover beschmierten unbekannte Täter am 11.01.2023 den Briefkasten einer Burschenschaft mit den Worten "Faschos", "FCK NZS" (Fuck Nazis), "Fick Burschis", "NZS" (Nazis), "161"125 und "1312".126 Am 27.10.2023 brachten unbekannte Täter den Schriftzug "Fuck the Patriarchy" sowie ein Hammerund Sichel-Zeichen an der Gebäudefassade des Studentenwohnheimes einer hannoverschen Studentenverbindung an. Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen, dass sich Verbindungsstudenten und ihre Örtlichkeiten weiterhin im Fokus der linksextremistischen Szene in Niedersachsen befinden. Daher muss auch künftig mit linksextremistisch motivierten Übergriffen auf Burschenschaftler und ihre Einrichtungen gerechnet werden. Kampf gegen Repression Gewöhnlich wird der Begriff "Repression" dafür verwendet, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in autoritären oder diktatorischen Systemen zu benennen. Linksextremisten übertragen den Begriff aber auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Konkret verstehen sie hierunter die Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung der oder des Einzelnen durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane. Vor allem der Staat und seine sicherheitsbehördlichen Einrichtungen wie die Polizei, die Nachrichtendienste und die Justiz stehen dabei im Fokus der Kritik. Als staatliche bzw. vom Staat gelenkte "Repressionsorgane" bekämpfen sie nach Meinung von Linksextremisten die Bürger ihres Landes, kriminalisieren sie und hindern sie daran, sich frei entfalten zu können. Zugleich schützen sie ihrer Meinung nach "Faschisten", also Rechtsextremisten bzw. 125 Das Kürzel "161" steht für "Antifaschistische Aktion". 126 Das Kürzel "1312" steht für "All Cops are Bastards" (Alle Polizisten sind Bastarde). 179 Linksextremismus diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, und arbeiten mit ihnen zusammen. Ziel der linksextremistischen "AntirepressionsArbeit" ist es, sich selbst als Opfer permanenter Überwachung, Verfolgung und Reglementierung durch den Staat zu stilisieren, um auf diese Weise ihr Handeln zu legitimieren und den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren. Zentrales Thema der linksextremistischen Szene im Aktionsfeld "Antirepression" war auch 2023 der seit dem 08.09.2021 am Oberlandesgericht (OLG) in Dresden laufende Strafprozess gegen Lina E. und ihre drei Mitangeklagten. Am 31.05.2023 fällte das OLG sein Urteil im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren gegen die "Eisenacher Gruppe". Die Hauptanklagte Lina E. erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, ihre Mitangeklagten Philipp Jonathan M. drei Jahre und drei Monate, Lennart A. drei Jahre und Janis R. zwei Jahre und fünf Monate. Sie wurden für schuldig befunden, Mitglieder einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung zu sein und u. a. gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und besonders schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. In Sachsen und Thüringen sollen sie zwischen August 2018 und Sommer 2020 mindestens sechs Überfälle auf insgesamt 13 Rechtsextremisten verübt und ihnen dabei teilweise lebensbedrohliche Verletzungen, wie Gesichtsfrakturen, mit lebenslangen Schäden zugefügt haben. Da das Gericht keine ausreichende Fluchtgefahr erkennen konnte, wurde der Haftbefehl gegen Lina E. außer Vollzug gesetzt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung kam sie daher nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft unter Meldeauflagen solange auf freien Fuß, bis das Urteil rechtskräftig geworden ist. Ihre Mitangeklagten bleiben bis dahin ebenfalls in Freiheit. Sowohl die Angeklagten als auch die Bundesanwaltschaft haben Revision gegen das Urteil eingelegt. Die linksextremistische Szene sieht in dem Verfahren gegen die sogenannte Eisenacher Gruppe und vor allem in dem Urteil gegen ihre Mitglieder einen weiteren Angriff des Staates auf sogenannte antifaschistische Strukturen. Aus diesem Grund gab es bereits während des laufenden Prozesses bundesweit immer wieder Solidarisierungsaktionen mit den Angeklagten, so auch in 180 Linksextremismus Niedersachsen. Im wendländischen Meuchefitz (Landkreis LüchowDannenberg) forderte das autonome Spektrum z. B.: "Free Lina - Free them all. Freiheit für alle Inhaftierten". Sogenannte Autonome Gruppen in Lüneburg betonten in den sozialen Netzwerken: "Lasst uns zusammen am Tag der Urteilsverkündung und an Tag X auf die Straße gehen und kreativ, laut und militant klarmachen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen! Ein Angriff auf eine*n von uns ist ein Angriff auf uns alle!" Unter dem Motto "Free Lina" erhielt die Hauptangeklagte Lina E. so bereits nach kürzester Zeit den Status einer Märtyrerin. Neben Solidarisierungsaufrufen und Protestkundgebungen kam es während des Prozesses immer wieder zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. So gingen etwa in der Nacht auf den 23.03.2023 auf dem Gelände eines Autohauses in Leipzig zahlreiche Autos in Flammen auf. Kurz darauf bekannten sich "Autonome" auf einem linksextremistischen Internetportal zu der Tat. Am Tag der Urteilsverkündung am 31.05.2023 gab es u. a. in Berlin, Bremen, Hamburg und Leipzig Solidarisierungsaktionen mit dem vermeintlich antifaschistisch motivierten Vorgehen der Angeklagten im "Antifa-Ost-Verfahren". Bei Ausschreitungen bewarfen Vermummte die anwesenden Polizeikräfte mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik. Auch in Niedersachsen fanden Solidarisierungsdemonstrationen statt. An ihnen nahmen in Hannover rund 350 Personen teil, darunter Mitglieder der postautonomen "Interventionistischen Linken" (IL). In Göttingen kamen etwa 150 Teilnehmende zusammen, in Hildesheim folgten dem Aufruf des autonomen "Antifaschistischen Kollektivs *37" zur Solidarität mit den Angeklagten im "Antifa-Ost Verfahren" etwa 30 Personen. Zudem nahmen Personen aus der autonomen Szene Niedersachsens an einer gleichgearteten Demonstration in Bremen teil. Über Monate hatte zuvor die linksextremistische Szene sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen - dort u. a. die Redical [M] aus Göttingen - für den Samstag nach der Urteilsverkündung, den sogenannten Tag X, zu einer Demonstration nach Leipzig mobilisiert. Wiederholt hatte zudem die autonome Szene angekündigt, jedes 181 Linksextremismus Jahr Haftstrafe für die Angeklagten mit einem Sachschaden von jeweils einer Million Euro zu beantworten. Aufgrund der Gefahr eines unfriedlichen Verlaufs der Leipziger Demonstration wurde diese am 01.06.2023 von der Versammlungsbehörde ebenso verboten wie alle Versammlungen mit inhaltlichen Bezügen zum "Antifa-Ost-Verfahren". Sowohl das Verwaltungsgericht Leipzig als auch das Oberverwaltungsgericht Bautzen lehnten einen Eilantrag der Organisatoren gegen das Verbot ab. Das Bundesverfassungsgericht nahm ihn nicht zur Entscheidung an und bestätigte damit das Demonstrationsverbot. Bereits am Abend des 02.06.2023 bzw. in der Nacht zu Samstag, den 03.06.2023, dem "Tag X", kam es in Leipzig dennoch zu Ausschreitungen. Polizeieinsatzkräfte wurden von "Autonomen" mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen. Zudem brannten Barrikaden und Autos, eine Polizeistation wurde erheblich beschädigt. Eine unter dem Motto "Die Versammlungsfreiheit gilt auch für Leipzig" für den 03.06.2023 angemeldete Versammlung nutzten Linksextremisten als Ersatzveranstaltung für die verbotene "Tag X"-Demonstration. In deren Verlauf griffen Vermummte die Polizei mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik an. Daraufhin setzte die Polizei etwa 1.000 teilweise vermummte Teilnehmende fest und nahm ihre Personalien auf. Über 100 Personen kamen in Präventivhaft, mindestens 50 Polizisten erlitten im Verlauf des "Tag X"Wochenendes Verletzungen. Auch in Niedersachsen erfolgten am "Tag X" Aktionen, u. a. in Hannover und Osnabrück. So brachte die Ortsgruppe von "Ende Gelände" (EG) Hannover am Neuen Rathaus in Hannover ein Transparent mit einer Solidaritätsbekundung für die Angeklagten im "Antifa-Ost-Verfahren" an. In Osnabrück montierte das "Offene Antifa-Cafe Osnabrück" ein Transparent an das Hegertor mit der Aufschrift "Freiheit für Lina & alle anderen Verfolgten Antifaschist* innen". Vorfälle in der ungarischen Hauptstadt Budapest verdeutlichen, dass das Tatmuster der "Eisenacher Gruppe" nicht singulär und auf Deutschland begrenzt ist. Zwischen dem 09. und 11.02.2023 kam es dort anlässlich des von Rechtsextremisten begangenen "Tages der 182 Linksextremismus Ehre"127 zu fünf gewaltsamen Übergriffen auf Personen, die die Täter z. B. aufgrund ihrer Kleidung der "rechten" Szene zurechneten. Die Geschädigten - zwei deutsche, vier ungarische und drei polnische Staatsangehörige - erlitten dabei teils erhebliche Verletzungen. Der Modus Operandi der Angriffe ähnelte stark der Vorgehensweise der "Eisenacher Gruppe". Mittlerweile wurden von den ungarischen und deutschen Behörden Tatverdächtige ermittelt, die sich mutmaßlich an den Überfällen beteiligt hatten. Bei der Mehrheit dieser Personen handelt es sich um deutsche Linksextremistinnen und -extremisten. Dazu zählen auch relevante Akteure der sogenannten Eisenacher Gruppe und ihres Umfeldes. Die mutmaßliche Beteiligung von Mitgliedern der "Eisenacher Gruppe" und anderer deutscher Linksextremisten an den Überfällen in Budapest zeigt, dass sie auch angesichts laufender Gerichtsverfahren nicht vor weiteren gewalttätigen Angriffen zurückschrecken. Die Akteure fühlen sich verbunden durch ihren ideologischen Hintergrund und ihren gewaltsamen "antifaschistischen Kampf", für den sie offenbar einen aus ihrer Sicht mittlerweile bewährten Modus Operandi gefunden haben, indem Einzelpersonen aus der Überzahl heraus überfallen und erheblich verletzt werden. Weitere Aktionen in Niedersachsen Nach den Rechtsextremistinnen und -extremisten befindet sich auch die Polizei weiterhin als ein zentrales linksextremistisches Feindbild im Fokus der autonomen Szene. So warfen in den frühen Morgenstunden des 07.08.2023 unbekannte Täter mindestens elf mit roter Farbe gefüllte Luftballons gegen die Fassade der Polizeistation List in Hannover. In einem am 17.08.2023 auf einem linksextremistischen Internetportal veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben begründeten die Täter den Farbanschlag u. a. mit dem Tod des 16-jährigen Geflüchteten Mouhamed Lamine Drame, der am 08.08.2022 während eines Polizeieinsatzes in Dortmund ums Leben kam. 127 Jedes Jahr gedenken tausende Teilnehmende am sogenannten Tag der Ehre der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS und ihrer ungarischen Kollaborateure, die im Jahr 1945 versuchten, aus einer Einkesselung durch die Rote Armee rund um Budapest auszubrechen. 183 Linksextremismus Die linksextremistischen "Libertären Kommunist*innen Osnabrück" (LIKOS) riefen gemeinsam mit demokratischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppierungen den August 2023 zum "Monat gegen Polizeigewalt" aus. Anlass dafür war der erste Jahrestag des Todes von Mouhamed Lamine Drame.128 Am 08.11.2023 durchsuchte die Polizei in mehreren Bundesländern Wohnungen von Personen der linksextremistischen Szene. Ihnen wurde im Zusammenhang mit einer Demonstration am 01.05.2023 in Gera (Thüringen) u. a. Landfriedensbruch vorgeworfen. Auch in Niedersachsen wurde bei einem Mitglied der autonomen Szene in Göttingen durchsucht. Aus Solidarität mit der betroffenen Person demonstrierten nach einem Aufruf der linksextremistischen "Basisdemokratischen Linken" (BL) am 11.11.2023 etwa 270 Menschen in Göttingen. Dabei zündeten sie im Verlauf der Veranstaltung Pyrotechnik. Die "Rote Hilfe" Die bedeutendste Gruppierung, die sich in erster Linie der "Antirepressions-Arbeit" widmet, ist der von Linksextremisten getragene Verein "Rote Hilfe e. V." (RH). Die RH wurde 1975 wiedergegründet, nachdem es sie bereits in der Weimarer Republik gab und ist in Göttingen ansässig. Über den Bundesverband hinaus existieren etwa 50 Ortsgruppen bundesweit. In Niedersachsen gibt es mit Braunschweig, Göttingen, Hannover, Oldenburg und Osnabrück fünf selbstständige Ortsgruppen. Logo der "Roten Hilfe e. V." Die RH versteht sich als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Bewusst verzichtet sie darauf, sich von extremistischen Zusammenschlüssen zu distanzieren. Ihre Hauptaufgabe sieht sie im Kampf gegen "staatliche Repression". Sie bietet Linksextremisten politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische und finanzielle Unterstützung, wenn sie straffällig werden. So gewährt sie Rechtshilfe, vermittelt Szeneangehörigen Anwälte und betreut sie sowohl in Strafverfahren als auch während einer möglichen Haftzeit. Außerdem stellt sie zu besonderen Veranstaltungen, beispielsweise 128 Instagram-Account der LIKOS. 184 Linksextremismus bei Demonstrationen, sogenannte Ermittlungsausschüsse129 bereit. Die RH begleitet zudem strafprozessuale Maßnahmen u. a. mit Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen, um auf diese Weise die vermeintliche Repression staatlicher Behörden gegen politische Aktivisten zu "entlarven". So versucht sie, die Vernetzung und den Zusammenhalt der unterschiedlichen linksextremistischen Strömungen zu festigen und zu sichern. Ferner bietet sie Veranstaltungen und Vorträge für die linksextremistische Szene z. B. in Autonomen Zentren an und leistet sowohl für extremistische als auch nicht extremistische Organisationen Rechtsberatung vor, während und nach Demonstrationen. Das "Antifa Ost-Verfahren" gegen die "Eisenacher Gruppe" stellte 2023 das zentrale Thema der RH dar und wurde bundesweit, u. a. von der Ortsgruppe (OG) Osnabrück der RH, mit regelmäßigen Beiträgen eingehend begleitet. Darüber hinaus solidarisierten sich weitere niedersächsische OG der RH mit den Angeklagten im "Antifa-Ost-Verfahren". So teilte am 21.03.2023 die OG Hannover den Spendenaufruf der OG Berlin für die von "Repression betroffenen Genoss:innen im Nachklang der erfolgreichen Proteste gegen den 'Tag der Ehre'".130 Am 31.05.2023 riefen die OG Hannover und die OG Oldenburg zur Teilnahme am "Tag X" in Leipzig sowie zur Demonstration am Tag der Urteilsverkündung in Hannover bzw. in Bremen auf.131 Im Zusammenhang mit den Budapester Gewalttaten während des "Tages der Ehre" gegenüber Rechtsextremisten bzw. denjenigen, die Linksextremisten dafür hielten, startete die RH bundesweit eine Kampagne zur Unterstützung der inhaftierten Tatverdächtigten und beendete ihren Aufruf mit den Worten: "Wir rufen deshalb nachdrücklich alle Linken zur Solidarität mit den Betroffenen auf! Die Rote Hilfe e. V. fordert zudem die sofortige Entlassung der Inhaftierten, sowie die Aufhebung der kürzlich erlassenen Haftbefehle." (Internetseite der Roten Hilfe, 06.11.2023) 129 Die Aufgabe von Ermittlungsausschüssen besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. 130 Internetseite der Roten Hilfe Hannover. 131 Internetseite der Roten Hilfe Hannover. 185 Linksextremismus Da das Aktionsfeld "Antirepression" weiterhin einen hohen Stellenwert innerhalb des linksextremistischen Spektrums, insbesondere in der autonomen Szene, einnimmt, kann die RH seit mehreren Jahren hohe Mitgliederzahlen verbuchen. So sind gegenwärtig in Niedersachsen etwa 1.300 Personen in der RH organisiert, bundesweit waren es 2022 mehr als 12.000 Personen. Zur Struktur des Vereins gehört auch das am 18.02.2005 in Umsetzung eines Beschlusses der RH-Hauptversammlung in Göttingen gegründete und dort ansässige "Hans-Litten-Archiv", benannt nach einem Rechtsanwalt, der zu Zeiten der Weimarer Republik für die "Rote Hilfe Deutschland"132 tätig war. Klimaschutz Der Klimaschutz ist ein Thema, das die Menschen bewegt. Um der globalen Erderwärmung und ihren Folgen entgegenzuwirken, hat sich in den letzten Jahren eine weltweit agierende Klimaschutzbewegung formiert. Ihr Ziel ist es, Druck auf die Regierungen auszuüben, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase drastisch zu verringern. Mit zahlreichen Demonstrationen und sonstigen Protestaktionen will vor allem die nicht extremistische "Fridays for Future"-Bewegung (FFF) dazu beitragen, dass die im Pariser Klimaschutzabkommen vom 12.12.2015 getroffenen Vereinbarungen erreicht werden und die globale Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt wird. Die von der Klimaschutzbewegung initiierten globalen Klimastreiktage haben deutlich gemacht, dass Linksextremisten auch in Niedersachsen versuchen, die Klimaschutzbewegung für ihre Interessen zu vereinnahmen. Dabei folgen sie ihrer Strategie, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, um mit diesen bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu werden. Vor allem postautonome Gruppierungen wie die IL versuchen, strategische Bündnisse mit dem demokratischen Spektrum zu schließen, um dieses für ihre Interessen zu instrumentalisieren und mittelfristig zu radikalisieren. Dass für die IL Klimaschutz Mittel zum Zweck ist, macht sie in einem ihrer Positionspapiere deutlich. Dort heißt es: 132 "Rote Hilfe Deutschland" existierte von 1924 bis zu ihrer Selbstauflösung 1936. 186 Linksextremismus "Die Macht des fossil-industriell-militärischen Komplex und die Binnen-'Logik' des Kapitals sind nicht voneinander zu trennen. Ziel massenhaften Ungehorsams ist nicht 'nur' Bebzw. Verhinderung konkreter Zerstörungen, sondern selbstverständlich auch Vertiefung und Intensivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die herrschenden Zustände insgesamt. Eine Klimabewegung wird bei aller Dringlichkeit ihres Anliegens nicht als EinPunkt-Bewegung erfolgreich sein können. Sie muss sich vielmehr in Beziehung setzen und verbinden mit weiteren Kämpfen u. a. für Solidarität mit Geflüchteten, Care-Revolution, Recht auf Stadt, gegen Austerität, das herrschende Arbeitsbzw. Prekaritätsregime, Militarismus sowie jegliche weiteren Herrschaftsformen." (Internetseite der IL, "Globale Solidarität statt systemischer Wahnsinn", 14.11.2023) Die IL ist bereits seit längerem ein steuernder Faktor in dem linksextremistisch beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" (EG). Unter dem Motto "System Change not Climate Change" wendet sich das Bündnis EG gegen die weitere Nutzung der Braunund Steinkohle und fordert eine "Abkehr vom fossilen Kapitalismus." Auf ihrer Internetseite beansprucht die IL die Gründungsinitiative Logo Ende Gelände des Bündnisses EG für sich, wenn sie schreibt: "Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen." (Internetseite der IL, 17.11.2023) EG hat sich in letzter Zeit organisatorisch und verstärkt auch inhaltlich dem Linksextremismus angenähert. Diese Entwicklung spiegelt sich vor allem in den Publikationen des Bündnisses wider. In ihrem 2022 erschienenen Buch "We shut shit down"133 legt EG unmissverständlich seine Einstellung zum Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten dar. So heißt es dort etwa: "Verbunden mit unserer Forderung nach dem Ende der Kohlenutzung war immer auch die Forderung nach der Überwindung eines Systems, das weltweite Ungleichheit und Zerstörung hervorruft und Haupttreiber der Klimakrise ist: des Kapitalismus." (Ende Gelände, "We shut shit down", Hamburg 2022, S. 139) 133 Vgl. Ende Gelände, "We shut shit down", Hamburg 2022. 187 Linksextremismus Dass es EG mit seinen Forderungen nicht nur um eine Veränderung der bestehenden Wirtschaftsordnung geht, die grundgesetzlich nicht festgelegt ist, sondern zugleich auch um eine Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, macht EG im weiteren Verlauf deutlich, wenn es betont: "Für uns ist Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern eine Gesellschaftsordnung." (Ende Gelände, "We shut shit down", S. 142) In der Praxis bedeutet diese Einstellung, dass sich EG nicht nur für den Klimaschutz engagiert, sondern - und somit im Gegensatz zu den weit überwiegenden Organisationen innerhalb der Klimaschutzbewegung - sich auch thematisch der autonomen Szene annähert. Auch in Niedersachsen ist diese Entwicklung wahrnehmbar. EG Hannover lud z. B. gemeinsam mit der IL zu einer Veranstaltung zur Geschichte der Ökobewegung und des Ökosozialismus unter dem Motto "Klassenkampf, Feminismus, Ökosozialismus" ins Autonome Zentrum "Unabhängiges Jugendzentrum Kornstraße" (UJZ Korn) ein.134 Das Bündnis rief zudem zur "Solidarität mit den Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren" auf und mobilisierte zu Protesten am Tag der Urteilsverkündung in Hannover und am Samstag danach, dem sogenannten Tag X, in Leipzig.135 Zentrales Thema im Aktionsfeld Klimaschutz stellte 2023 die Räumung des Dorfes Lützerath (Nordrhein-Westfalen) dar. Am 11.01.2023 begann die Polizei damit, den von Klimaaktivisten besetzten Erkelenzer Ortsteil Lützerath im Rheinischen Revier zu räumen, damit der Energiekonzern RWE die unter dem Ort liegende Braunkohle abbaggern kann. Klimaaktivisten, unter ihnen auch Linksextremisten, hatten sich seit längerer Zeit sowohl in den von ihnen in Lützerath besetzten Häusern als auch in von ihnen errichteten Baumhäusern auf diesen ebenfalls als "Tag X" bezeichneten Beginn der Räumung vorbereitet. Sie legten u. a. Wassergräben und Tunnel 134 Twitter-Account von "EG Hannover" (gelesen am 12.07.2023). 135 Twitter-Account von "EG Hannover" (gelesen am 12.04.2023). 188 Linksextremismus an und errichteten Barrikaden mit dem Ziel, dadurch die Räumung so lange wie möglich hinauszuzögern. Bereits Anfang Januar hatten erste den Abriss vorbereitende Maßnahmen eingesetzt, die von brennenden Barrikaden und Attacken auf Polizeibeamte mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik begleitet wurden. Vier Tage nach Räumungsbeginn, am 14.01.2023, fand im benachbarten Ortsteil Keyenberg eine Großdemonstration im Dauerregen und bei starken Windböen mit etwa 15.000 Teilnehmenden statt. Etwa 5.000 von ihnen beteiligten sich nicht an der Versammlung, sondern bewegten sich umgehend in Richtung der Abbaukante. Ein Sprecher hatte zuvor mit den Worten "Lasst euch von der Polizei nicht aufhalten. Wir sind mächtig. Wir sind auf der Seite der Gerechtigkeit. Wir lassen uns von diesem repressiven System nicht aufhalten. Wir stoppen diesen Tagebau. Macht alles, was ihr für richtig haltet."136 dazu aufgerufen, sich über Anweisungen der Polizei hinwegzusetzen und betont, er fände es legitim, wenn die Teilnehmenden versuchten, in das abgesperrte Lützerath vorzudringen. Es kam zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei als Teilnehmende versuchten, Absperrungen zu durchbrechen, um an die Abbruchkante bzw. den Tagebau zu gelangen. Einzelne Demonstrierende attackierten Einsatzwagen der Polizei, zerstachen Reifen, zerstörten Außenspiegel und warfen Brandsätze und Pyrotechnik in Richtung der Beamten. Währenddessen ging die Räumung von Lützerath weiter. Einsatzkräfte der Polizei holten Aktivisten aus ihren Baumhäusern. Bereits geräumte Häuser wurden abgerissen. Fünf Tage nach Beginn der Räumung von Lützerath verließen die letzten beiden noch verbliebenen Klimaaktivisten einen selbst gebauten Tunnel unter der Siedlung, in dem sie sich mehrere Tage verschanzt hatten. Die Räumung von Lützerath war damit abgeschlossen. 136 O. V., Tausende bei Demo, viele an der Abbruchkante vom 14.01.2023, in: https://www. tagesschau.de/inland/gesellschaft /luetzerath-protest-demonstration-101.html (abgerufen am 15.01.2023). 189 Linksextremismus Auch niedersächsische Linksextremisten beteiligten sich an den Protesten gegen die Räumung von Lützerath, insbesondere an der Großdemonstration am 14.01.2023. Neben demokratischen Organisationen wie "Fridays for Future" (FFF) riefen auch Linksextremisten wie die postautonomen Bündnisse "Interventionistische Linke" (IL) und das Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) oder die Göttinger Gruppierungen "Basisdemokratische Linke" (BL) und "Redical [M]" zur Teilnahme an den Protesten auf. Die "Redical [M]" distanzierte sich dabei ausdrücklich nicht von der Anwendung von Gewalt. So forderte sie in ihren Social MediaKanälen, der "unsäglichen Gewaltdebatte nicht auf den Leim zu gehen, sie dient dazu die politischen Anliegen in den Hintergrund zu drängen" und betonte: "Wir distanzieren uns von nichts ..." Während und nach der Räumung von Lützerath wurden bundesweit Solidaritätsaktionen durchgeführt und Resonanzstraftaten begangen. Der Räumungsstart in Lützerath hat auch in Niedersachsen zu Protesten geführt. So gingen anlässlich des bundesweiten Aktionstags für Lützerath am 11.01.2023 in Hannover etwa 300 Personen und in Göttingen rund 550 Menschen aus Solidarität mit den Besetzerinnen und Besetzern auf die Straße. Neben demokratischen Organisationen wie FFF riefen z. B. in Göttingen auch linksextremistische Gruppierungen wie die BL zu Protesten auf. Die Göttinger Ortsgruppe des linksextremistisch beeinflussten Bündnisses EG forderte unter dem Motto "Auf nach Lützerath - Gegen Kapital und Staat" zur Teilnahme an den Protesten gegen die Räumung auf. Im Verlauf der Demonstration wurden in Göttingen das Stadtbüro der SPD sowie mehrere Bushaltestellen beschädigt. In Hannover hatten Klimaaktivisten in der Nacht vom 10. auf den 11.01.2023 den Eingang zu den Büros des Energiekonzerns RWE im Stadtteil List versperrt, während am Nachmittag verschiedene Gruppierungen vor dem Hauptbahnhof demonstrierten. In Oldenburg wurde das Türschloss der Geschäftsstelle der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verklebt, in Osnabrück die Fenster und Türen 190 Linksextremismus des Büros einer Bundestagsabgeordneten vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN besprüht. Vor dem Braunschweiger Schloss fand am 11.01.2023 eine Mahnwache statt. Am 22.01.2023 entwendeten ferner mehrere Personen diverse Bauzäune von einer Baustelle und versperrten damit das Parteibüro von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Göttingen. Zudem wurden die Fenster des Parteibüros mittels gelber Farbe mit dem Schriftzug "Lützi bleibt" beschmiert. Weitere Aktionen in Niedersachsen Die Schnellwege in Hannover werden im Laufe der kommenden Jahre einer großflächigen Modernisierung und Instandsetzung unterzogen, so auch der Südschnellweg. Zur Umsetzung dieses Vorhabens mussten Bäume und Büsche des Naherholungsgebiets Leinemasch gerodet werden. Zahlreiche örtliche Klimaund Umweltschutzinitiativen haben sich deshalb im Herbst 2021 in der Initiative "Leinemasch BLEIBT" zum Schutz der Leinemasch gegen die geplante Verbreiterung des Südschnellwegs zusammengeschlossen und machen seitdem in Form von Protesten, Veranstaltungen und Versammlungen auf die Problematik aufmerksam. Während es um die Initiative aufgrund der saisonalen Rodungspause in den Vormonaten etwas ruhiger geworden war, meldete sie sich mit dem Beginn der Rodungssaison am 01.10.2023 mit einer Großdemonstration wieder zurück. Unter dem Motto "System change not climate change" versuchen aber auch Linksextremisten, allen voran die IL, an die nicht extremistische Klimaschutzbewegung und ihre zahlreichen demokratischen Gruppierungen Anschluss zu finden. Ein Beispiel dafür ist das von der IL beeinflusste Klimabündnis EG, das auch an den Protesten gegen den Südschnellweg teilnimmt und in seinen Publikationen linksextremistische Weltbilder verbreitet. Unter dem Motto "Leinemasch Bleibt, Beginn der Rodungssaison" rief die Initiative "Leinemasch BLEIBT" für den 01.10.2023 zu einer Demonstration in Hannover auf. Der Protest richtete sich dabei gegen den Ausbau des Südschnellwegs in der Leinemasch in Hannover und gegen eine aus ihrer Sicht verfehlte Klimapolitik. 191 Linksextremismus Während am 01.10.2023 etwa 3.800 Teilnehmende bis auf das Zünden von Pyrotechnik weitgehend friedlich demonstrierten, besetzten mit Maleranzügen bekleidete und überwiegend vermummte Mitglieder des linksextremistisch beeinflussten Bündnisses EG zwei große Bagger auf der Südschnellwegbaustelle, zündeten Pyrotechnik und skandierten Parolen wie "Leinemasch bleibt". Als die Polizei die 40 bis 60 Aktivisten einzukesseln begann, um ihre Identitäten festzustellen, versuchten einige von ihnen die polizeiliche Absperrung zu durchbrechen und zu fliehen, andere verklebten ihre Fingerkuppen und weigerten sich, sich auszuweisen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt. Am 13.03.2023 brannte in Bramsche (Landkreis Osnabrück) in einer Tonabbaugrube ein Radlader größtenteils aus. In Tatortnähe wurden zudem zwei Jagdhochsitze durch unbekannte Täter beschädigt. Ein Zusammenhang mit dem Feuer ist daher nicht auszuschließen. Der Brandort befindet sich zudem in räumlicher Nähe zu einem unter dem Namen "Waldi45" besetzten Waldstück. In einem auf Englisch und Deutsch verfassten Bekennerschreiben, eingestellt auf einem linksextremistischen Internetportal, beschreiben die unbekannten Täter wie sie "zunächst die scheibe [des Radladers] eingeschlagen und anschließend den innenraum mit brandbeschleunigender flüssigkeit getränkt und in brand gesetzt" haben. Zum Ende ihres Selbstbezichtigungsschreibens erklären sie sich "solidarisch mit allen waldbesetzungen", vor allem mit den Baumbesetzungen in "atlanta forrest" und fordern "gerechtigkeit für tortuguita".137 Mit "Waldi45" wird ein seit dem 05.07.2022 besetztes Waldstück bei Rulle (Landkreis Osnabrück) bezeichnet, durch das eine Autobahn und ein Autobahnkreuz gebaut werden soll. Die Waldbesetzerinnen und -besetzer wenden sich mit ihrer Aktion "gegen den Ausbau der A33Nord", wollen sich aber auch für eine 137 Bei dem im Bekennerschreiben angesprochenen "atlanta forrest" handelt es sich um ein 14 Quadratkilometer großes Waldstück im Süden der US-amerikanischen Stadt Atlanta, das zugunsten eines Polizeitrainingsgeländes gerodet werden soll. Offiziell als South River Forest bezeichnet, haben Aktivisten im "Welaunee", so der indigene Name des Waldstücks, seit Juni 2021 ein Protestcamp mit Baumhäusern errichtet, um gegen das Polizeitrainingsgelände, das sie "Cop City" nennen, zu protestieren. Am 18.01.2023 kam bei einem Räumungsversuch ein venezolanischer Aktivist, genannt "Tortuguita", durch Schüsse ums Leben. 192 Linksextremismus "klimagerechte, antirassistische, antisexistische und hierarchiefreie Zukunft" einsetzen. Dass die Aktivisten bereit sind, zur Durchsetzung ihrer Anliegen auch illegale Methoden anzuwenden, betonen sie auf ihrer Internetseite: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass friedliche Demos und Aktionen, die sich im legalen Rahmen befinden nicht den, unserer Meinung nach, nötigen Druck ausüben, der wichtig ist um die Klimakrise zu bekämpfen und Klimaziele zu erreichen. Wir haben gesehen, dass Massendemos von FFF nicht gereicht haben, um am kapitalistischen und klimafeindlichen Kurs der Bundesund Landesregierungen etwas zu ändern." Ihre Bereitschaft zur Militanz wird hervorgehoben, wenn sie auf ihrer Internetseite schreiben: "Jede Aktion, egal ob legal, illegal, friedlich oder militant ist wichtig und richtig solang sie dabei hilft, den Wald zu erhalten und den Bau der A33Nord zu verhindern." In der Nacht vom 07. auf den 08.02.2023 brachten unbekannte Täter mit Zeitzündern versehende Brandsätze an vier Fahrzeugen der Firma Siemens auf deren Werksgelände in Laatzen (Region Hannover) an. Während ein Auto in Flammen aufging, zündeten die Brandsätze bei den anderen Fahrzeugen nicht. In einem am 10.02.2023 auf einem linksextremistischen Internetportal eingestellten Selbstbezichtigungsschreiben begründen die Täter ihre Tat damit, dass Siemens "weltweit das Grundgerüst der Infrastruktur für kapitalistische und neokoloniale Ausbeutung bereit [stellt]". Im Mittelpunkt ihrer Kritik steht dabei das "Infrastrukturgroßprojekt 'Tren Maya' in Mexiko", an dem Siemens nach wie vor großes Interesse gezeigt habe. Bei dem mexikanischen Eisenprojekt "Maya-Zug" handelt es sich um den geplanten Bau einer mehr als 1.500 Kilometer langen Eisenbahnstrecke für Güterund Personenzüge durch fünf mexikanische Bundesstaaten, an der sich der Siemens-Konzern beteiligen wollte. Nach Meinung der Verfasser des Bekennerschreibens werden durch den geplanten "Bau eines gewaltigen Schienennetzes ... verschiedene Ökosysteme unwiederbringlich zerstört" und die "indigenen Gruppe[n] in Mexiko ... 193 Linksextremismus ihrer Lebensgrundlagen beraubt und teilweise enteignet". Zudem behaupten sie, "Indigene Aktivist_innen, die sich gegen das Projekt stellen, werden durch die mexikanische Armee und paramilitärische Strukturen ermordet". Um das Projekt noch stoppen zu können und eine Beteiligung von Siemens zu verhindern, fordern die Täter: "Siemens und andere ausbeuterische Konzerne überall angreifen! Neokoloniale Infrastruktur zerstören! Gegen jede Herrschaft!"138 Bereits in der Nacht vom 24. auf den 25.11.2021 hatten unbekannte Täter in Hannover-Linden bei einem Transporter des SiemensKonzerns zwei Scheiben eingeschlagen und den Schriftzug "No al Tren Maya" (Nein zum Maya Zug) aufgesprüht. Auch damals erschien kurz darauf auf einem linksextremistischen Internetportal ein Selbstbezichtigungsschreiben, in dem die anonymen Täter ihre Tat u. a. mit dem Bemühen des Siemens-Konzerns um den Zuschlag für das Eisenbahnprojekt "Maya Zug" begründeten. "Antigentrifizierung" Wohnraummangel, hohe Mieten, städtebauliche Umstrukturierungen, die Veränderungen von wohnräumlich und sozial gewachsenen Strukturen und damit einhergehende gesellschaftspolitische Spannungen sind Themen, die bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Menschen bewegen. Linksextremisten wiederum dient diese Auseinandersetzung auch als Plattform für ihren Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Sie nutzen diese Gentrifizierungsdebatten, um eigene Interessen in den gesellschaftlichen Diskurs um hohe Mieten und knappen Wohnraum einfließen zu lassen und um Militanz in die Proteste gegen diese Entwicklung hineinzutragen. Darüber hinaus geht es ihnen immer auch um die Schaffung und Bewahrung sogenannter Freiräume, wie sie Autonome Zentren 138 Der Siemens-Konzern stellte nach dem Brandanschlag auf seine Firmenwagen klar, dass das Unternehmen an dem Projekt nicht beteiligt sei. Zwar habe sich die Unternehmenstochter Siemens Mobility um den Auftrag bemüht, jedoch nicht den Zuschlag erhalten. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die linksextremistische Szene auch künftig Protestaktionen gegen die vermeintliche Beteiligung von Siemens an dem Eisenbahnprojekt "Maya Zug" durchführt, bis hin zu Anschlägen auf den Siemens-Konzern. 194 Linksextremismus darstellen. Sie dienen der autonomen Szene als Rückzugsräume zur Planung politischer Agitation und (gewalttätiger) Aktionen. Als Teil der Auseinandersetzung um diese sogenannten Freiräume haben die "Kämpfe gegen Gentrifizierung" in den autonomen Spektren der großen Ballungsräume, wie z. B. in Berlin und Hamburg oder in Leipzig und Bremen große Bedeutung. Es werden immer wieder teils schwerwiegende Sachbeschädigungen und Brandanschläge, vorwiegend gegen Immobilienfirmen und Infrastruktureinrichtungen verübt. Vor allem Wohnungsunternehmen wie Vonovia wird vorgeworfen, Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen, um diese dann aufwändig zu sanieren und teuer neu zu vermieten. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der sich gegen die Umgestaltung von Stadtteilen aus Sorge vor damit einhergehenden Mietpreiserhöhungen, zunehmendem Mangel an bezahlbarem Wohnraum und dem drohenden Verlust des originären Stadtteilcharakters richtet, dient diese Auseinandersetzung Linksextremisten auch als Plattform für ihren Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Sie nutzen diese Gentrifizierungsdiskussionen, um eigene Interessen in die gesellschaftlichen Debatten um hohe Mieten und knappen Wohnraum einfließen zu lassen und um Militanz in die Proteste gegen diese Entwicklung hineinzutragen. Auch die niedersächsische linksextremistische Szene greift dieses Thema auf. So demonstrierte die Ende 2022 gegründete "Antifa-Jugend Oldenburg" am 27.01.2023 am Bahnhof in Oldenburg unter dem Motto "Solidarität mit allen Besetzungen" gemeinsam mit der nicht extremistischen Klimaschutzgruppierung "Friday's for Future" gegen die Räumung des Weilers Lützerath für den Braunkohletagebau. Nach etwa 15 Minuten beendete der Versammlungsleiter die Veranstaltung mit 35 Teilnehmenden vorzeitig. Die Demonstrierenden setzten sich daraufhin in Bewegung und steuerten auf ein seit zwei Jahren leerstehendes rotes Eckgebäude zu - die "Rot-Schwarze-Ecke". Etwa elf Personen der Initiative "Freiraum Rot-Schwarze-Ecke" (Freiraum RSE) verschafften sich Zugang zu dem mehrstöckigen Gebäude und begannen damit, die Fenster abzukleben. Während die Polizei den Bereich um das besetzte Gebäude absperrte, solidarisierten sich etwa 45 Personen, darunter 195 Linksextremismus auch Linksextremisten, mit den Besetzern. Zugleich informierte Freiraum RSE auf ihren Social Media-Kanälen über die Hausbesetzung und warb um "Unterstützung". In einem Statement auf ihrem Instagram-Account bekundeten die Besetzer, mit ihrer Aktion einen neuen "Freiraum" aufbauen zu wollen. Nachdem der Eigentümer des Gebäudes Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatte, forderte die Polizei die Besetzer auf, das Gebäude zu verlassen. Sechs Personen weigerten sich, der Aufforderung nachzukommen. Im Zuge der Räumung mussten sie schließlich von der Polizei aus dem Gebäude getragen werden. Gegen sie wurden entsprechende Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch eingeleitet, vier von ihnen kamen vorübergehend in Gewahrsam. Nach der Räumung ging gegen 21:15 Uhr in unmittelbarer Nähe ein Altpapiercontainer in Flammen auf. Aufgrund der Hitzeentwicklung platzten die Fensterscheiben eines Nachbarhauses. Zwei Demonstrationsteilnehmende stellte die Polizei als potenzielle Verursacher fest. 2023 kam es auch in Niedersachsen wieder zu Übergriffen auf Immobilienunternehmen. Unbekannte Täter bewarfen in der Nacht zum 09.03.2023 das Bürogebäude eines Immobilienunternehmens in Hannover mit Steinen und beschädigten dabei fünf Fenster. Am 10.03.2023 wurde auf einem linksextremistischen Internetportal ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, das mit der Parole endet: "Gegen Patriarchat, Queerfeindlichkeit, Gentrifizierung und Staat aktiv werden! Für Anarchie!" Kampf gegen den Militarismus Antimilitaristinnen und Antimilitaristen unterstellen der Bundesrepublik, von ihrer Staatsordnung, Gesellschaftsstruktur und Denkweise her militaristisch zu sein. Ihre Proteste richten sich vor allem gegen die Bundeswehr, das westliche Verteidigungsbündnis NATO und die mit ihr zusammenarbeitenden Unternehmen. Auch Linksextremisten sind in dem Themenfeld "Antimilitarismus" aktiv. Im 196 Linksextremismus Gegensatz zu den nicht extremistischen Antimilitaristinnen und -militaristen zielen sie mit ihren Protesten und Aktionen über den eigentlichen Anlass hinaus auf die Überwindung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Neben der im Wesentlichen von Angehörigen des nicht extremistischen Spektrums getragenen Anti-Kriegsbzw. Friedensbewegung reklamieren auch der parteipolitisch organisierte Linksextremismus und Autonome - unter ausdrücklicher Einbeziehung für sie typischer militanter Aktionen - das Thema "Antimilitarismus" für sich. Im Sinne der Militarismustheorie des Mitbegründers der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD), Karl Liebknecht, wonach das Militär im Kapitalismus dazu dient, "kapitalistische Expansionsbestrebungen" gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren, sehen Linksextremisten in der Bundeswehr und in der NATO kriegführende Organe zur nationalen und internationalen Durchsetzung "kapitalistischer" und "imperialistischer" Interessen. Aus diesem Grund ist die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Ziele für die autonome Szene weiterhin von zentraler Bedeutung. Das Aktionsfeld "Antimilitarismus" hat seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 in der linksextremistischen Szene wieder an Bedeutung gewonnen. Vor allem Rüstungsunternehmen wie die auch im niedersächsischen Unterlüß (Landkreis Celle) ansässige Rheinmetall Waffe Munition GmbH rücken seitdem verstärkt in den Fokus auch gewalttätiger Linksextremisten. Mutmaßlich linksextremistisch motivierte Straftaten gegen Unternehmen und Zulieferbetriebe der Rüstungsindustrie können künftig ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Generell wird innerhalb der autonomen Szene Niedersachsens die Intervention Russlands in die Ukraine stark kritisiert, wobei diese Kritik nicht als Wohlgefallen für die NATO verstanden werden darf. Zugleich solidarisiert sich die autonome Szene mit der Bevölkerung der Ukraine. Nicht nur Russland, sondern auch den USA und damit verbunden der NATO wird von der autonomen Szene eine Mitschuld an der Eskalation in diesem Krieg attestiert. Neben überregionalen 197 Linksextremismus Reaktionen der postautonomen Gruppierung IL sowie den linksextremistisch beeinflussten Bündnissen EG und "Rheinmetall Entwaffnen" sind in Niedersachsen insbesondere aus den autonomen Szenen Göttingen, Hannover und Lüneburg entsprechende Äußerungen bekannt. So rief die IL auf ihrer Internetseite im März 2022 unter dem Motto "Den Krieg in der Ukraine stoppen - eine neue Friedensbewegung aufbauen" dazu auf, statt in die "westliche Doppelmoral und den nationalen Aufrüstungstaumel einzustimmen", sich konkret an den Aufbau einer neuen Antikriegsbewegung zu machen. Im linksextremistisch-dogmatischen Spektrum wird insbesondere die Rolle der USA und damit verbunden der NATO stark kritisiert. Die Interaktion dieser Akteure mit der Ukraine und eine damit einhergehende drohende Verschiebung der NATO-Außengrenze seien ihrer Meinung nach ursächlich für den Krieg und stellten eine Provokation Russlands dar. Dennoch wird auch die Intervention Russlands und seine Wandlung zu einem kapitalistischen Staat kritisiert. Im linksextremistisch-dogmatischen Spektrum wird der Konflikt insbesondere von der MLPD sowie der ihr nahestehenden Jugendorganisation "Rebell", der DKP und der linksextremistischen "Sozialistischen Alternative" (SAV) thematisiert. Trotz des Endes der Corona-Pandemie und des weiter andauernden Krieges in der Ukraine fanden auch 2023 kaum nennenswerte Aktionen im Themenfeld "Antimilitarismus" statt. Das von der IL beeinflusste Bündnis "Rheinmetall entwaffnen" rief über die sozialen Medien für die Zeit vom 17. bis zum 25.11.2023 zu globalen Aktionstagen gegen Militarismus auf. Niederländische Streitkräfte haben sich in der Nacht vom 15. auf den 16.11.2023 an einer NATO-Spähübung im Wendland (Landkreis Lüchow-Dannenberg) beteiligt. Die dortige linksextremistische Szene hatte bereits im Vorfeld Kenntnis von der Übung erhalten und rief zu kreativen Protestaktionen, zivilem Ungehorsam und Blockadeaktionen auf. Im Verlauf der Übung machten Transparente an Brücken und Unterführungen Positionen gegen Militär, Krieg und Aufrüstung sichtbar. Nahe Zarenthin (Brandenburg) blockierten "Autonome" zudem zwei Militärlastwagen, infolgedessen musste die Bundesstraße 493 vorübergehend gesperrt werden. 198 Linksextremismus Kampf gegen Rassismus Linksextremisten überspitzen ihre Kritik an der bestehenden Asylund Flüchtlingspolitik und am Handeln von Ausländerbehörden, Polizei und Gerichten zum Vorwurf eines "systemimmanenten" Rassismus. Staatliche Repräsentanten und Akteure werden damit auf eine Stufe mit Rechtsextremisten gestellt und damit Forderungen nach der Abschaffung des politischen Systems legitimiert. Vor diesem Hintergrund wenden sich Teile des niedersächsischen linksextremistischen Spektrums gegen die deutsche Asylund Abschiebepraxis und solidarisieren sich mit den von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen. Das Aktionsfeld "Antirassismus" hatte im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug in den zurückliegenden Jahren auch innerhalb der autonomen Szene an Bedeutung gewonnen. Waren die Flüchtlingszahlen nach ihrem starken Anstieg 2015 in den Folgejahren zunächst wieder rückläufig, so stiegen sie 2022 insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wieder deutlich an. Dennoch spielte das Thema 2023 eher eine untergeordnete Rolle für die autonome Szene in Niedersachsen. Zum Feindbild von Linksextremisten sind vor diesem Hintergrund vor allem staatliche Einrichtungen geworden, die sich mit Fragen der Asylpolitik beschäftigen. So verübten unbekannte Täter in der Nacht vom 07. auf den 08.03.2023 einen Farbanschlag auf das Verwaltungsgebäude der Osnabrücker Ausländerbehörde. Sie sprühten die Wörter "No Border No Nation" und "Mörder Rassisten" sowie das Antifazeichen auf die Hauswand. Zudem verunstalteten sie mit grauer Farbe den gläsernen Eingangsbereich. Am 08.03.2023 veröffentlichte ein "Team Verhässlichung" ein Bekennerschreiben auf einem linksextremistischen Internetportal. Die Täter begründeten ihr Vorgehen mit der Abschiebung einer angeblich suizidgefährdeten Person namens Navid aus einem psychiatrischen Krankenhaus in Osnabrück. Ihren Anschlag verstehen sie als eine "protestaktion gegen die abschiebung von navid aus dem ameosklinikum-osnabrück". Sie selbst bezeichnen sich als eine "angepisste, anarchistische anstreichcrew. unabhängig und neu in der stadt". Zugleich beschimpfen sie in ihrem Selbstbezichtigungsschreiben die Mitarbeitenden der Ausländerbehörde als "mörder und rassisten!". 199 Linksextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Vor dem Hintergrund des offensiven Auftretens rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen wird der "Antifaschismus" auch 2024 im Mittelpunkt der Aktivitäten der autonomen Szene in Niedersachsen stehen. Der Kampf gegen Rechtsextremisten bzw. gegen diejenigen, die Linksextremisten dafür halten sowie zunehmend auch gegen die sogenannten "Delegitimierer" und "Querdenker" gehört zu den zentralen Anliegen auch der niedersächsischen linksextremistischen Szene. Mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament vom 06. bis zum 09.06.2024 werden vor allem die AfD und ihre Aktivitäten im Fokus des linksextremistischen Agierens stehen. Die kontinuierliche Präsenz der AfD in der parteipolitischen Landschaft der Bundesrepublik dürfte die linksextremistische Szene darin bestärken, langfristig entschlossen gegen den aus ihrer Perspektive "faschistoiden" demokratischen Rechtsstaat vorzugehen. Generell muss über das gesamte Jahr 2024 mit Übergriffen auf Informationsstände der AfD ebenso gerechnet werden wie mit Versuchen, Veranstaltungen dieser Partei zu stören bzw. zu verhindern. Körperliche Übergriffe auf einzelne AfD-Funktionsträger können dabei ebenso wenig ausgeschlossen werden wie gezielte Anschläge auf deren Eigentum. Aufgrund des hohen Emotionalisierungsgrades, den das Thema Klimaschutz im Allgemeinen und der künftige Umgang mit fossilen Brennstoffen im Besonderen in den letzten Jahren erlangt hat, wird der Klimaschutz auch weiterhin von großer Bedeutung für die linksextremistische Szene sein. Sie wird weiterhin versuchen, Einfluss auf einzelne Organisationen der Klimaschutzbewegung zu nehmen, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren und langfristig zu radikalisieren. Es muss daher auch künftig mit Störaktionen gegen Energieunternehmen, aber auch mit Besetzungen von für den Abbau fossiler Brennstoffe bestimmte Gebiete bundesweit als auch in Niedersachsen gerechnet werden. Parteieinrichtungen, vor allem von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dürften dabei weiterhin verstärkt im Blickpunkt der extremistischen Teile der Klimaschutzbewegung bleiben. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt, vor allem die steigenden Mieten und die Stadtteilumgestaltungen, aber auch die Übernahme 200 Linksextremismus des Immobilienunternehmens Deutsche Wohnen durch den Wohnungskonzern Vonovia, in dessen Zuge das größte private Immobilienunternehmen Europas entstanden ist, lassen den Schluss zu, dass das Thema "Antigentrifizierung" auch künftig einen verstärkten Anklang in der autonomen Szene finden wird. Auch in Niedersachsen muss deshalb mit weiteren Aktionen gerechnet werden. Vor dem Hintergrund des andauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der damit einhergehenden umfangreichen Aufrüstung der Bundeswehr werden Rüstungsunternehmen, deren Zulieferer und auch Einrichtungen der Bundeswehr weiterhin im Fokus von Linksextremisten sein. Mit der Teilnahme von Linksextremisten an den Protesten gegen Waffenlieferungen, z. B. an die Ukraine oder die Türkei und daran beteiligte Rüstungskonzerne muss gerechnet werden. Auch die von Mitte Februar bis Ende Mai 2024 stattfindende NATOVerlegeübung "Quadriga 2024", nach Aussage der Bundeswehr das größte Übungsvorhaben der Bundeswehr seit 30 Jahren, könnte auf das Interesse auch von niedersächsischen Linksextremisten stoßen. Die in Deutschland vom 14.06. bis zum 14.07.2024 stattfindende Fußballeuropameisterschaft dürfte vor allem für die antideutsch ausgerichteten "Autonomen" ein Ziel darstellen. Vor allem die Vorgehensweise der "Eisenacher Gruppe" um Lina E. zeigt, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen mittlerweile sehr niedrig ist. Linksextremisten sind zunehmend bereit, auch den Tod eines Menschen billigend in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus agieren Linksextremisten zunehmend über klandestine Kleingruppen statt auf Demonstrationen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich bundesweit neben der "Eisenacher Gruppe" weitere Kleingruppen bilden bzw. bereits gebildet haben, die sich an der Vorgehensweise der "Eisenacher Gruppe" orientieren und sich ihrem "antifaschistischen Kampf" anschließen. Künftig muss daher auch mit weiteren Übergriffen, insbesondere in Kleingruppentaktik, auf Polizisten als Repräsentanten des verhassten Staates sowie Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, gerechnet werden. 201 Linksextremismus Für die weitere Entwicklung des Linksextremismus in Niedersachsen und der Bundesrepublik dürfte auch die Situation innerhalb der postautonomen Szene relevant sein. Sollten sich die Auflösungserscheinungen vor allem in der IL fortsetzen, so könnte das postautonome Projekt an seine Grenzen stoßen oder gar scheitern. Wie sich eine solche Entwicklung auf die Organisierung und Durchführung von Protestaktionen der postautonomen Bündnisse auswirkt, bleibt abzuwarten. 3.5 Anarchisten Sitz/Verbreitung Mit Ausnahme der "Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) existieren in Niedersachsen keine gefestigten anarchistischen Strukturen. Die FAU unterhält in Göttingen, Hannover und in Lüneburg einzelne Ortsgruppen. Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 50 Sympathisanten Publikationen "Gai Dao" (Publikation der Föderation deutschsprachiger Anarchisten; monatlich) "Direkte Aktion" (Onlinepublikation der FAU; unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, bei der FAU auch Mitgliedsbeiträge Kurzportrait/Ziele Neben dem Kommunismus ist der Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Strömungen setzen sich dafür ein, die bestehende Ordnung zu überwinden. Anarchisten streben die unmittelbare Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung an, in der der Mensch von allen politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Zwängen befreit leben kann. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund negieren Anarchisten sämtliche Hierarchieund Herrschaftsformen. 202 Linksextremismus Zudem sprechen sie nicht nur dem Staat und seinen Institutionen, sondern ebenso der (sozialen) Marktwirtschaft jegliche Existenzberechtigung ab. Als kleinste Einheit des anarchistischen Zusammenlebens gilt die sogenannte Kommune, im ökonomischen Bereich wird die Gründung föderal strukturierter Genossenschaften und Syndikate angestrebt. Der Anarchismus ist aber keineswegs als geschlossener Theorieblock zu verstehen. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Strömungen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Konzepten. Unter den niedersächsischen "Anarchisten" ist der eher praxisorientierte Anarchosyndikalismus am stärksten vertreten.139 Er entstand im 19. Jahrhundert und fußt auf der Idee revolutionärer Basisgewerkschaften. So orientiert sich z. B. die FAU an anarchosyndikalistischen Konzepten. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller anarchistischen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Ereignisse und Entwicklungen Zu einer der größten anarchosyndikalistischen Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Sie ist eine bundesweite Föderation aus unabhängigen lokalen Einzelund Branchengewerkschaften, sogenannten Syndikaten, und versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft. Das "Allgemeine Syndikat der FAU Hannover" und das "Allgemeine Syndikat der FAU Göttingen" sind die einzigen gefestigten anarchistischen Strukturen in Niedersachsen. Sie sind Teil der Gewerkschaftsföderation der FAU. 139 Unter "Anarchosyndikalismus" versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Der "Anarchosyndikalismus" knüpft an die kollektiven, kommunistischen und solidarischen Varianten des Anarchismus an und überträgt diese auf die gewerkschaftliche Arbeit. Er will die Lohnabhängigen nach den Prinzipien von Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Solidarität organisieren. 203 Linksextremismus In den Grundsätzen des Allgemeinen Syndikats (AS Hannover) heißt es unter der Überschrift "Die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen": "Eine Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft muss an deren Basis ansetzen und setzt Alternativen zu zentralistischen Staatsstrukturen voraus." (Internetseite des AS Hannover, 26.04.2024) Was das AS der FAU Hannover damit meint, verdeutlicht sie in ihrem Selbstverständnis: "In diesem Sinne verfolgt das Allgemeine Syndikat der FAU Hannover eine sozialrevolutionäre Strategie. Wir zielen also auf eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse 'von unten' ab." (Internetseite der FAU Hannover, 24.04.2024) Die "Grundprinzipien des Syndikalismus" konkretisiert die FAU u. a. in einem Grundlagentext, der ebenfalls auf der Internetseite der Organisation aufrufbar ist. In den beiden Kapiteln "Grundsätze und Ziele" sowie "Kritik der bestehenden Verhältnisse" hält die FAU für ihre Arbeit fest: "Wir streben die Überwindung des Kapitalismus an. ... Wir beziehen uns [dabei] auf die Ideen des Anarchosyndikalismus. ... Kapitalismus ist kein Naturgesetz, sondern lediglich ein von Menschen geschaffenes Verhältnis, das durch kollektives Handeln der Arbeitenden aufgehoben werden kann." (Internetseite der FAU, 24.04.2024) Ihr erklärtes Ziel ist es, "... eine Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die auf kollektiver Selbstverwaltung basiert ..." (Internetseite der FAU, 24.04.2024) zu errichten. In der Praxis bedeutet dieses, dass die FAU "eine libertäre, klassenlose Gesellschaft" anstrebt, wie sie ebenfalls auf ihrer Internetseite ausführt. 204 Linksextremismus Der von der FAU angestrebte Systemwechsel soll dabei von basisdemokratisch strukturierten Lokalund Betriebsgruppen organisiert werden, die unter Rückgriff auf direkte und zum Teil auch militante Aktionsformen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen, vor Ort agieren sollen. Im Rahmen ihrer Gewerkschaftsarbeit setzt sich die FAU für bessere Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. Sie unterstützt sie in prekären Situationen und stellt juristische Hilfe bereit. Mit ihrem Engagement für Gewerkschaftsbelange und ihren Solidarisierungsbekundungen mit streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern versucht die FAU aber immer auch anschlussfähig an demokratische Organisationen zu werden. Zugleich möchte sie auf diesem Wege neue Mitglieder für ihre darüberhinausgehenden systemablehnenden Ziele gewinnen. Neben Ortsgruppen in Göttingen und Hannover gibt es seit 2023 auch eine FAU-Ortsgruppe in Lüneburg. Am 01.05.2023 beteiligte sich die FAU Göttingen an einer anarchistischen 1. MaiDemonstration in Göttingen. Vom 08. bis zum 11.09.2023 führte die FAU in Hannover ihre alljährliche Sommerschule mit über 100 Mitgliedern aus dem Bundesgebiet durch. Seit 2017 ist die FAU auch international wieder stärker vernetzt. Nachdem sie nach langjähriger Mitgliedschaft im Dezember 2016 aus der "Internationalen ArbeiterInnen Assoziation" (IAA) ausgeschlossen wurde, beteiligte sich die Gewerkschaft an mehreren Konferenzen zur Gründung eines neuen internationalen Zusammenschlusses anarchosyndikalistischer Organisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Vergleich zu den autonomen bzw. postautonomen Gruppierungen sind anarchistische Organisationen generell von nachrangiger Bedeutung. Allein aufgrund ihrer theoretischen Zersplitterung dürfte sich daran auch künftig kaum etwas ändern. Der Anarchosyndikalismus wird im Jahr 2024 voraussichtlich der am stärksten wahrnehmbare Teil des anarchistischen Spektrums in Deutschland und Niedersachsen bleiben. 205 04 Islamismus Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial Islamismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland140 2022 Salafistische Bestrebungen 11.000 Muslimbruderschaft (MB) 1.450 HAMAS 450 Tablighi Jama'at (TJ) 550 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 700 Hizb Allah 1.250 Weitere islamistisch-extremistische Gruppen 12.080 Summe 27.480 Islamismus-Potenzial Niedersachsen 2022 2023 Salafistische Bestrebungen 800 700 Muslimbruderschaft (MB)141 195 195 Tablighi Jama'at (TJ) 80 50 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 85 80 Hizb Allah 250 250 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer 105 105 Extremismus Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen 50 30 Summe 1.565 1.410 140 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland für das Berichtsjahr lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 141 Das Mitgliederpotenzial der "Muslimbruderschaft" umfasst auch deren regionale Ableger HAMAS und En-Nahda. 208 Islamismus 4.2 Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeuten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, ist diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundgesetz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen im Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Handlungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Entstehung des Islamismus Mit der europäischen Kolonialisierung ab dem 19. Jahrhundert kam zunehmend eine innerislamische Debatte auf, die sich mit den Ursachen der Abhängigkeit vom Westen und der damit verbundenen empfundenen Schwäche der Muslime beschäftigte. Zahlreiche islamische Gelehrte sahen den Grund darin, dass sich die Muslime vom wahren Islam abgekehrt hätten. Während einige islamische Reformer eine Modernisierung muslimischer Gesellschaften nach dem Vorbild westlicher Staaten forderten, nahm die islamistische Gegenbewegung eine antikoloniale und antiwestliche Haltung ein. Sie war davon überzeugt, dass nur eine Rückbesinnung auf den "reinen ursprünglichen Islam" die Muslime zur Unabhängigkeit und zu alter Macht führen könne. Der Islamismus entstand zwar als Reaktion auf die Konfrontation mit dem Westen und der Moderne, entwickelte sich jedoch insbesondere ab Mitte des 20. Jahrhunderts als Protestbewegung gegen die eigenen als tyrannisch wahrgenommenen Regierungen, die nach dem Ende der Kolonialzeit von den säkularen Eliten gestellt wurden. Sie wurden für die kulturelle Entfremdung, sozioökonomischen Probleme und die politische Ohnmacht der islamischen Welt verantwortlich gemacht. Es entstanden unterschiedliche islamistische Organisationen und Bewegungen, die allesamt Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung, 209 Islamismus die Scharia, organisiert sind. Der Interpretationsspielraum dafür, was die Scharia genau umfasst, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia nicht allein als eine Rechtsund Werteordnung, sondern als ein von Gott verordnetes Ordnungsprinzip, das alle Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns reglementiert. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oftmals, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads142, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze verletzt. So lehnen Islamisten die Trennung von Staat und Religion und die Volkssouveränität als unislamisch ab. Ihrer Ansicht nach müsse alle Macht entsprechend der Scharia von Gott allein ausgehen. Dies versuchen sie mit der frühislamischen Herrschaftsform zu begründen, deren weltliches und religiöses Oberhaupt der Kalif darstellte, der auf Basis der Scharia herrschte. Darüber hinaus verletzt die islamistische Ideologie die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, die religiöse und sexuelle Selbstbestimmung sowie die Gleichstellung der Geschlechter. So werden z. B. Frauen von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf das Erbund Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die Aussagen von zwei Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der sogenannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie Diebstahl oder "Unzucht" Körperstrafen vorsehen, 142 Die wörtliche Übersetzung des arabischen Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: Die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") sowie den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 210 Islamismus die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Islamistische Ideologien, die den Islam nicht allein als Religion, sondern als eine Herrschaftsideologie betrachten, verletzen wesentliche Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und sind somit mit der Demokratie unvereinbar. Islamistische Strömungen Obwohl alle islamistischen Organisationen die oben genannte Ideologie vertreten, unterscheiden sie sich wesentlich in den Mitteln, die sie anwenden, um ihre islamistischen Ziele zu erreichen. Demnach können sie entsprechend ihrer Gewaltbereitschaft in zwei Strömungen unterteilt werden, wobei ihre Übergänge fließend sind: f Gruppierungen, die auf Gewalt zurückgreifen: Diese Gruppierungen (auch: Jihadisten oder gewaltorientierte Islamisten) sind der Überzeugung, dass sich ihre Ziele nur mit Gewalt erreichen lassen. Sie erachten den sogenannten Jihad als individuelle Pflicht eines jeden Muslims und fordern von allen "wahren Gläubigen" den Kampf gegen die vermeintlichen Feinde des Islams. Selbstmordattentäter oder im Kampf getötete Jihadisten werden als Märtyrer glorifiziert und als Helden betrachtet, denen das Paradies versprochen ist. Einerseits zählen zu dieser Gruppe internationale terroristische Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen, wie die "al-Qaida" oder der sogenannte Islamische Staat (IS).143 Andererseits sind es regionale terroristische Organisationen, die einen starken Bezug zu ihren Herkunftsländern aufweisen und i. d. R. gegen dortige Regierungen und politische Systeme agieren. Zur Umsetzung ihrer politischen Ziele betrachten sie Gewalt als ein legitimes Mittel unter vielen, die sie jedoch nur begrenzt in akuten Konflikten einsetzen. Oftmals agieren gewaltorientierte islamistische Organisationen in den Herkunftsländern auch als Parteien und sind entsprechend stark in die Politik eingebunden. Darüber hinaus genießen sie aufgrund ihrer karitativen Projekte großen Zuspruch 143 Siehe Kapitel 4.5. 211 Islamismus in der Gesellschaft. Die HAMAS144, die "Hizb Allah"145 und die "Taliban"146 sind Beispiele dafür. f Gruppierungen, die nicht primär auf Gewalt zurückgreifen: Sogenannte Legalisten lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Entsprechend ihres ideologischen Auftrags versuchen sie vielmehr, die Gesellschaft durch Einflussnahme mithilfe legaler Methoden umzugestalten und letztlich einen Umsturz der herrschenden Staatsform herbeizuführen. Legalisten kapseln sich nicht von der Mehrheitsgesellschaft ab, sondern versuchen, aus ihr heraus in sie hineinzuwirken. Es wird versucht, zunächst Freiräume für die Verbreitung der eigenen Ideologie zu schaffen. Dabei greifen sie Themen auf, die insbesondere für hier lebende Muslime relevant sind und oft eine (vermeintliche) Islamfeindlichkeit aufzeigen, wonach Muslime Opfer von Diskriminierung sind. Vor diesem Hintergrund stilisieren sich legalistische Islamisten als Retter der Muslime und erreichen durch diese Strategie auch Muslime jenseits des extremistischen Spektrums. Gruppierungen aus dem Bereich des legalistischen Islamismus können in ihrer ideologischen Ausrichtung, ihrem kulturellen Hintergrund und ihren Aktivitäten sehr unterschiedlich sein. Sie reichen von der "Muslimbruderschaft"147 bis hin zu Akteuren aus dem Bereich des politischen Salafismus. Die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen und Strömungen verschwimmen teilweise zunehmend. Dies ist insbesondere unter Salafisten zu beobachten, die Bereiche besetzen, die vermeintlich keinen Bezug zum Salafismus haben. Beispiele dafür sind Hilfsorganisationen, Reisebüros, Online-Islamkurse oder die Gründung eigener Unternehmen, wie im Bereich der halal148 -konformen Produkte. Gerade im Internet erreichen Salafisten eine enorme Reichweite, indem sie öffentliche Debatten wie Diskussionen über das Kopftuch oder die Diskriminierung von Muslimen aufgreifen und für sich zu 144 Siehe Kapitel 4.6. 145 Siehe Kapitel 4.8. 146 Siehe Kapitel 4.5 147 Siehe Kapitel 4.6. 148 Der arabische Begriff "halal" bedeutet übersetzt "nach islamischem Glauben erlaubt". 212 Islamismus nutzen versuchen. Aber auch andere Islamisten sind vor allem in den sozialen Medien sehr gut aufgestellt und verfügen über eine hohe Zahl an Followern. Als Beispiele sind die islamistischen Kanäle "Generation Islam" oder "Realität Islam" zu nennen, die jeweils mehrere zehntausend Abonnenten auf Social Media-Plattformen wie TikTok, Instagram, Facebook oder YouTube zählen und bereits großen Einfluss auf gesellschaftliche Themen, die den Islam und Muslime betreffen, ausüben. Diese Entwicklung kann zu weiteren Verschachtelungen und Vernetzungen zwischen unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen führen, die allesamt das einigende Ziel einer islamistischen Durchdringung der Gesellschaft anvisieren. Entsprechend der Ausformungen des Islamismus stellt sich auch die Strömung des Salafismus dar. Die meisten Anhängerinnen und Anhänger dieser islamistischen Bestrebung, sogenannte politische Salafisten, lehnen zumindest verbal Gewalt ab. Die sogenannten jihadistischen Salafisten hingegen, im Vergleich zu den politischen Salafisten der kleinere Teil, propagieren als primäres Mittel Gewalt, um ihre politischen Ziele zu erreichen.149 Antisemitismus im Islamismus Antisemitismus ist ein wahrnehmbarer Bestandteil der islamistischen Ideologie und somit aller islamistischen Gruppierungen. Islamisten greifen dabei in ihrer Argumentation auf unterschiedliche Quellen zurück und vermischen diese oft. Antisemitische Narrative knüpfen zum einen an klassische Quellen des Islams (Koran, Hadithe150) an und interpretieren sie dahingehend, dass sich Gott von den Juden abgewandt habe, da sie z. B. "Mörder von Propheten" seien und deren Bekämpfung somit einen Befehl Gottes darstelle. Andererseits gibt es aber auch Elemente des westlichen Antisemitismus, wie sogenannte Ritualmordlegenden151, die "Protokolle der Weisen von 149 Siehe Kapitel 4.3. 150 Der arabische Begriff "Hadithe" bedeutet übersetzt "Überlieferungen des Propheten Muhammad". 151 Ritualmordlegenden stammen aus dem christlichen Kontext des Mittelalters. Dabei wurde den Juden vorgeworfen, dass sie christliche Kinder töten würden, um mit deren Blut ihre religiösen Kulte zu feiern. 213 Islamismus Zion"152 oder die Leugnung des Holocausts, die in die Agitationen im islamistischen Kontext übernommen wurden. Dazu kommen häufig antizionistische Aspekte, die oft unreflektiert aus dem Diskurs innerhalb der arabischen Welt übernommen werden. Dabei werden über eine vorrangig kritische Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern antijüdische Stereotype und israelfeindliche Dämonisierungen verbreitet. Mehreren Studien zufolge sind entsprechende antisemitische Anschauungen bei jugendlichen Muslimen auch über den islamistischen Kontext hinaus weit verbreitet. Zudem hat sich durch den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten die Problematik verschärft. Das in den dortigen Staaten gepflegte Bild vom "Feindstaat Israel" ist, häufig in Verbindung mit judenfeindlichen Stereotypen, prägend für die Einstellung vieler Einwanderer aus der Region. In der islamistischen Szene in Niedersachsen werden regelmäßig Äußerungen gegen Juden und den Staat Israel festgestellt, teilweise wird dabei zur Anwendung von Gewalt gegen Juden in Israel aufgerufen, bzw. wird diese legitimiert. Die antisemitischen Äußerungen und Aufrufe stehen häufig im Zusammenhang mit aktuellen politischen Entwicklungen im Nahen Osten. Dementsprechend hat der Terrorangriff der HAMAS vom 07.10.2023 auf Israel und die anschließende Gegenoffensive der israelischen Armee ein massives Aufkommen an antijüdischen und antiisraelischen Äußerungen im Internet zur Folge gehabt. Auf Grundlage einer einseitigen Berichterstattung türkischund arabischsprachiger Medien wurden häufig falsche oder nicht validierte Berichte verbreitet und eine alleinige Schuldzuweisung an Israel betrieben, während eine Verurteilung des HAMAS-Terrorangriffs gar nicht stattfand, bzw. dieser teilweise sogar noch glorifiziert wurde. Zudem waren die Beiträge in den sozialen Medien davon gekennzeichnet, dass darin häufig die Kritik am staatlichen Handeln Israels mit antisemitischen Stereotypen und Vorurteilen vermischt und ein klares Freund-FeindBild gezeichnet wurde. Die antisemitischen Bildcollagen, Videos und Textbeiträge in den sozialen Medien haben in den Wochen nach 152 Bei den "Protokollen der Weisen von Zion" handelt es sich um eine der weitverbreitetsten antisemitischen Schriften. Das Werk gibt vor, den Plan einer jüdischen Weltverschwörung zu enthüllen und dient damit Antisemiten und Verschwörungstheoretikern aus allen Richtungen als wichtige ideologische Grundlage. 214 Islamismus dem HAMAS-Terrorangriff ein Niveau erreicht, das qualitativ und quantitativ deutlich über das bisherige hinausging. Das Feindbild des Judentums bzw. Israels geht dabei so weit, dass selbst Organisationen wie der IS und "al-Qaida", welche die HAMAS ideologisch eigentlich ablehnen, sich zu Unterstützungsbekundungen veranlasst sahen, die zuvor kaum denkbar waren. Dementsprechend finden sich in der Propaganda der islamistischen Terrororganisationen auch Aufrufe zu Anschlägen gegen israelische und jüdische Einrichtungen sowie den Westen im Allgemeinen. Diese emotional aufgeladene Situation führte auch zu einem intensiven Veranstaltungsgeschehen in niedersächsischen Städten. Bis zum Ende des Jahres 2023 stehen dabei knapp 50 proisraelische Versammlungen fast 100 propalästinensischen Veranstaltungen gegenüber. In diesem Zusammenhang wurden Straftaten im unteren dreistelligen Bereich begangen, die überwiegend einer israeloder judenfeindlichen bzw. propalästinensisch ausgerichteten Motivation zugeordnet werden können. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen und die Honorierung und Billigung von Straftaten. Zudem gab es einzelne Gewaltdelikte wie fahrlässige Körperverletzungen, gefährliche Körperverletzungen und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Im Kontext des aktuellen Geschehens konstruieren Islamisten eine Bewertung des Nahostkonflikts, nach der ein echter Muslim auf der Seite der palästinensischen Glaubensgeschwister stehen müsse. Kritik an der HAMAS oder Solidarität mit Israel wird dementsprechend als Verrat an der eigenen Religion verurteilt, und der deutsche Staat wird aufgrund seiner Anteilnahme für die israelischen Opfer des Terrorangriffs abgelehnt. Allen Muslimen wird demnach die Entscheidung abverlangt, sich für die "richtige Seite" zu entscheiden oder andernfalls kein wahrer Muslim zu sein. Jugend und Familie im Islamismus Islamistische Ideologien haben das Ziel, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern und eine islamistische Ordnung für alle Lebensbereiche wie Politik, Gesellschaft und Kultur zu etablieren. Um dieses Ziel zu erreichen, spielt die Erziehung von heranwachsenden Generationen eine überaus wichtige Rolle. Junge Menschen sollen dahingehend erzogen werden, die islamistische Ideologie in ihrem alltäglichen 215 Islamismus Leben umzusetzen und in der gesamten Gesellschaft weiterzuverbreiten. Für islamistische Eltern hat somit die Familie eine überaus große Bedeutung. Die Erziehung der Kinder nach islamistischen Werten wird dabei als ideologische Pflicht angesehen. Islamistische Erziehungsmethoden bergen eine große Gefahr für die hiesige Gesellschaft, da sich diese Kinder, die bereits von Kindesbeinen an von ihren Eltern entsprechend ideologisiert wurden, nicht mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung identifizieren und ganz besonders gefährdet sind, sich weiter jihadistisch zu radikalisieren. Die ideologische Erziehung nach islamistischer Lehre erfolgt jedoch nicht allein in den Elternhäusern. Einen ebenso entscheidenden Beitrag leisten islamistische Moscheen, die ihren Einfluss vor allem in zwei Richtungen ausüben. Zum einen versuchen sie, die Eltern mit praktischen Ratschlägen und Angeboten zu einer islamistischen Erziehung zu befähigen. Dieser Einfluss wird über Predigten, Vorträge und Literatur in Form von Ratgebern mit praktischen Ratschlägen für die Kindererziehung an die Eltern getragen. Zum anderen bieten islamistische Moscheen gezielte Angebote für Kinder und Jugendliche an. Neben Unterrichtsangeboten in Moscheen werden Freizeitaktivitäten wie mehrtägige Ausflüge in Freizeitparks oder Städte, Grillabende und Kinderfeste angeboten. Auch das gemeinsame Ausüben von Kampfsportarten und Besuche in Paintball-Schießanlagen gehören zu den beliebten Aktivitäten junger Islamisten. "Unterschätzt eure Kinder nicht! Obwohl sie noch klein sind, sind sie wie ein Schwamm ... Tust du einen weißen Schwamm in rote Farbe, zieht er rote Farbe. Tust du einen Schwamm in schwarze Farbe, zieht er schwarze Farbe. Je nachdem, wo du einen Schwamm hinschmeißt, erhältst du deine Farbe. Sie sind unsere Kinder." (Teil einer Predigt des salafistischen Predigers Abu Muslih, YouTube, 12.08.2016) Bei der Indoktrinierung junger Menschen spielen darüber hinaus soziale Medien und Messenger-Dienste eine wichtige Rolle. Dabei werden islamistische Inhalte bewusst allgemein gehalten und sprechen so eine breite Zielgruppe an. Gerade jungen Menschen fällt es bei dieser niedrigschwelligen Form islamistischer Propaganda schwer, diese als extremistisch zu identifizieren. Tatsächlich jedoch 216 Islamismus zielen diese vermeintlich unverfänglichen Inhalte darauf ab, gerade junge Menschen an die islamistische Ideologie heranzuführen. Ob es die Erziehung in der eigenen Familie, der Besuch islamistischer Moscheevereine, die Kontakte im islamistischen Freundeskreis oder der Konsum islamistischer Internetinhalte ist, all diese Angebote zielen auf eine Indoktrinierung und Radikalisierung insbesondere von Kindern und Jugendlichen ab, mit dem Ziel, dass auch sie die hiesige Gesellschaft und die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen. Internetnutzung durch Islamisten Personen des islamistischen Spektrums bewegen sich im Internet grundsätzlich genauso wie der Rest der Gesellschaft. Dies betrifft Social Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok, jedoch auch Messenger-Dienste wie Signal, Telegram und WhatsApp. Discord, Reddit, Steam und Twitch werden insbesondere von interessenbezogenen Communities (z. B. Gaming, Sport, Technik) gerne genutzt. Während bei den unter Dreißigjährigen bereits seit längerer Zeit Instagram und TikTok die beliebtesten Online-Plattformen sind, bleibt Facebook bei den über Dreißigjährigen das am meisten genutzte soziale Netzwerk. Snapchat richtet sich überwiegend an Personen bis Anfang 20. Gewaltbezogene Inhalte und jihadistische Propaganda sind am persistentesten auf Telegram zu finden, das in diesem Spektrum die zentrale Austauschplattform ist. Neben einem geschlossenen Ökosystem mit einer Vielzahl an Gruppen und Kanälen jihadistisch-salafistischer Prägung wird hier niedrigschwellig der Kontakt zu ausländischen Jihadisten ermöglicht und sich in Kleingruppen radikalisiert. Klassische Internetseiten und Foren verlieren hingegen an Bedeutung und sind nur noch in Ausnahmefällen von Relevanz. Insgesamt nehmen islamistische Aktivitäten im Internet quantitativ zu, was vor allem auf die fortschreitende Digitalisierung, die Verjüngung der Szene sowie die Auswirkungen der Coronapandemie zurückzuführen ist. Kommunikation und Diskurs auf Social MediaPlattformen sind zudem immer stärker geprägt von einer visuellen Darstellung der Inhalte, was sich auch im Auftreten und der Reichweite islamistischer Akteure widerspiegelt. Auf TikTok führte das leicht konsumierbare Format der Kurzvideos zu einer großen 217 Islamismus Popularität der Plattform, die auch bei Islamisten ankommt. Ebenfalls eine verbreitete Praxis ist zudem das Aufbauen plattformübergreifender Online-Präsenzen, um verschiedene Zielgruppen auf unterschiedlichen sozialen Netzwerken ansprechen zu können. Bei der Frage, welche phänomenbezogenen Themen für Personen des islamistischen Spektrums auf Social Media relevant sind, lassen sich im Wesentlichen drei narrative Ebenen skizzieren: f Religiöse Indoktrination Hier werden Anweisungen zur Glaubensausübung und Auslegung der religiösen Primärquellen (Koran und Sunna) erteilt, um ein islamkonformes Leben zu führen. Dabei wird der Islam als dem westlichen bzw. demokratischen Wertekonsens übergeordnete Werteordnung dargestellt, nach der sich Gläubige in erster Linie zu richten hätten. Es werden Themen aufgegriffen wie die Verhüllung der Frau, der Vorrang von religiösen Tagespflichten, individuelles Verhalten in Alltagssituationen und Fragen zu erlaubten und verbotenen Handlungen. Feindbilder im religiösen Sinne werden als "Ungläubige" (arab. Kuffar) bzw. Polytheisten (arab. Muschrikun) gebrandmarkt, wobei in fortgeschritten radikalisierten Kreisen die Konstruktion des inneren Feindes in Form von Muslimen, welche dem Glauben nur äußerlich nachgehen und somit "Heuchler" (arab. Munafiqun) seien, vermehrt auftritt. Auf Telegram existiert zudem eine Vielzahl an Kanälen, die z. B. Inhalte bestimmter Prediger sowie Arabischunterricht oder Literatur in Verbindung mit islamistischer Ideologie zielgruppengerecht aufbereitet anbieten. f Gesellschaftsund identitätsbezogene Narrative Diese Narrative betreffen das Leben muslimischer Menschen als soziale Gruppe in Deutschland bzw. die Welt aus der Sicht von Islamisten. In diesen stark verzerrten Diskursen werden Themen wie antimuslimischer Rassismus und die Wahrnehmung des Islams in Deutschland dazu genutzt, um die jeweiligen Adressaten zu radikalisieren und letztlich einen Bruch mit der Gesellschaft herbeizuführen. Eine systematische Unterdrückung von Muslimen, die in Teilen mit der Situation jüdischer Menschen im Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, ist häufig ideologischer Kern der Äußerungen. Dabei wird auch in antisemitische bzw. antizionistische globale Verschwörungstheorien abgeglitten. 218 Islamismus Ebenfalls regelmäßig thematisiert werden gerichtliche Prozesse in Deutschland gegen mutmaßliche islamistische Straftäter und die Situation von hierzulande oder in Syrien gefangenen Personen, die in glorifizierter Weise dargestellt werden. Staatsformen aus der Geschichte der islamischen Welt, wie z. B. das Kalifat oder das Emirat, werden des Weiteren als idealisierte Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschrieben, und es wird ihnen eine höhere (religiöse) Legitimität beigemessen als demokratischen Staaten. f Extremistische und gewaltorientierte Inhalte Offen extremistischer und gewaltorientierter Inhalt ist der quantitativ kleinste Teil der bekannten Äußerungen von Islamisten im Internet. Es dominieren hier vor allem besonders eng gefasste Glaubensauslegungen, takfiristische153 Positionen und absolut gehaltene Freund-Feind-Schemata, welche durch stark aus dem Kontext gerissene Bezugsstellen begründet werden. Verbreitet werden diese Inhalte i. d. R. von dem jihadistischen Salafismus nahestehenden Personen oder sich im Ausland aufhaltenden Jihadisten, die ein hohes Maß an konspirativem Verhalten zeigen. Häufig werden dabei jihadistische Anschläge bzw. die jeweiligen Täter verherrlicht, Videos von Hinrichtungen verbreitet oder zu Gewalttaten gegen vermeintlich feindliche Personen aufgerufen bzw. werden diese zumindest gebilligt. In diese Kategorie fällt auch die Propaganda internationaler jihadistischer Organisationen wie des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder "al-Qaida", deren Reichweiten in den vergangenen Jahren zwar gesunken sind, die jedoch nach wie vor ein gefahrenrelevantes Aktivierungspotenzial für radikalisierte Einzeltäter bieten. Vereinzelt werden derartige Inhalte auf Mainstream-Plattformen wie Instagram festgestellt, der größere Teil dieser Diskurse spielt sich jedoch auf Telegram oder anderen Plattformen bzw. im Darknet ab. 153 Unter dem arabischen Begriff "Takfir" wird die Exkommunizierung von Muslimen aus der Religion verstanden. Diese Strafe wird nach herrschender Meinung in der islamischen Rechtswissenschaft nur von einem Rechtsgelehrten bei besonders schweren Vergehen verhängt und zieht i.d.R. auch die Todesstrafe nach sich. Terroristische Vereinigungen wie der IS werden als "takfiristisch" bezeichnet, da diese Praxis dort teilweise inflationär und durch nicht gelehrte Privatpersonen zur standrechtlichen Aburteilung von Personen genutzt wird. 219 Islamismus Islamistische Botschaften enthalten in aller Regel zwei oder mehr der oben genannten narrativen Ebenen und beanspruchen für sich einen Absolutheitsanspruch, dem zu widersprechen im kurzlebigen Kommunikationsstil auf sozialen Netzwerken kaum möglich ist. Dies ist insbesondere dann erschwert, wenn sich islamistische Aussagen mit Desinformation, z. B. zu Ereignissen im Nahostkonflikt, verbinden. Es geschieht ein Framing religiöser bzw. gesellschaftlicher Wahrnehmungen, die im Sinne einer strengen Religionsauslegung interpretiert werden. Dies wird insbesondere an den Schemata der Glorifizierung inhaftierter Islamisten als "Märtyrer" oder der Wahrnehmung von LGBTIQ+-Personen154 als "Ungläubige" und Feinde der islamischen Gemeinschaft (arab. "Umma") deutlich. Transportiert werden diese Narrative vor allem durch eine Zunahme von populistischen Argumentationsstilen. Dabei werden gesellschaftliche Themen religiös-politisch aufgeladen und skandalisiert, beispielsweise die öffentliche Wahrnehmung von LGBTIQ+-Personen, Religionspolitik oder der Israel-Palästina-Konflikt. Das Ziel dieser populistischen Artikulation ist eine religiöse Aufladung des Diskurses in jeder Hinsicht, die Absonderung muslimischer Menschen von der Mehrheitsgesellschaft und die Delegitimierung der demokratischen Werteordnung. Ausblick Die sichtbarste Strömung innerhalb des Islamismus ist nach wie vor der Salafismus. Auch wenn die Anhängerzahlen zuletzt gesunken sind, hat sich die deutschsprachige salafistische Szene neu formiert. In Deutschland haben sich wieder populäre deutschsprachige Prediger etabliert, welche die salafistische Ideologie in einfach zu verstehender und jugendgerechter Sprache verbreiten. Eine zentrale Rolle in der überregionalen Vernetzung salafistischer Aktivitäten nimmt dabei die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." in Braunschweig (DMG Braunschweig) ein, indem sie entsprechende Prediger einlädt und deren Auftritte über ihre vielfältigen OnlineKanäle einer großen Zahl an Zuschauenden zugänglich macht. Salafistische Akteure greifen aktuelle Trends des Kommunikationsverhaltens sofort auf und sind dementsprechend mit hochprofessionell und ansprechend gestalteten Auftritten in den momentan beliebten 154 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexual, transsexual/transgender, queer, intersexual, asexual. 220 Islamismus sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder TikTok vertreten. Damit verfügen sie mit ihren häufig auf Kurzvideos fokussierten Angeboten über eine noch nicht dagewesene Reichweite. Stärker sichtbar wird auch wieder die dem Salafismus immanente Aktionsorientierung durch verschiedene Dawa-Aktionen155. Hierbei sticht das Projekt "was-danach" heraus, dessen Initiatoren das erste Mal nach der verbotenen "LIES!"-Kampagne wieder eine bundesweite Literaturverteilaktion zu etablieren versuchen. Dies zeigt, dass die salafistische Szene ihren Aktionsradius wieder deutlich erweitert hat und dass auch für 2024 mit zunehmenden Aktivitäten insbesondere im digitalen Raum gerechnet werden muss. Erstmals seit vielen Jahren stellen nicht die Salafisten, sondern die Mitglieder der weiteren islamistischen Gruppierungen und Organisationen die Mehrheit der islamistischen Szene in Niedersachsen dar. Die zunehmende Bedeutung des organisationsbezogenen Islamismus wird ganz konkret auch an den zahlreichen vereinsund strafrechtlichen Maßnahmen im Jahr 2023 deutlich. So wurden im Mai 2023 die ersten Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der "Hizb Allah" in Deutschland erlassen. Betroffen davon waren zwei Personen aus den Kreisen Aurich und Cuxhaven. Im November 2023 folgten dann Durchsuchungsmaßnahmen bei fünf Beschuldigten in der Region Hannover, denen vorgeworfen wurde, sich über mehrere Jahre für die "Hizb Allah" betätigt zu haben, indem sie leitende Funktionen in zwei von der Organisation gelenkten Vereinen in Hannover übernahmen. Im November fanden bundesweit Durchsuchungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem beim Bundesministerium des Innern und für Heimat geführten vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen das "Islamische Zentrum Hamburg" statt. Davon betroffen waren auch rund 20 Objekte sowie die Vereinsräumlichkeiten der "Salman Farsi Moschee" in der Region Hannover. Schließlich wurde ebenfalls im November 2023 seitens des Bundesministeriums des Innern und für Heimat ein Betätigungsverbot gegen die HAMAS ausgesprochen. Auch bei den Durchsuchungen in diesem Zusammenhang war ein Objekt in Niedersachsen betroffen. 155 Der arabische Begriff Dawa bedeutet übersetzt "Einladung" und kann mit Missionierung umschrieben werden. 221 Islamismus Obwohl der Salafismus als dynamische Bewegung die Wahrnehmung des Islamismus in besonderer Weise prägt, machen diese Ereignisse sehr deutlich, dass auch der Bereich des organisationsbezogenen Islamismus äußerst virulent ist und vielfältige Aktivitäten entfaltet. Zudem unterliegen viele islamistische Organisationen einer Steuerung durch ausländische Akteure und verfügen über ihre Strategie der gesellschaftlichen Unterwanderung bereits über eine gute politische und gesellschaftliche Vernetzung. Der Erfolg der legalistischen Vorgehensweise zeigt sich auch darin, dass diese inzwischen häufig auch von salafistischen Akteuren angewandt wird. Dies bietet für die Islamisten den Vorteil, dass sie einerseits unterhalb der Eingriffsschwelle der Sicherheitsbehörden agieren können und andererseits inhaltlich an den Mainstream-Diskurs andocken und ihre islamistische Weltanschauung einem weit größeren Personenkreis zugänglich machen können. Der internationale islamistische Terrorismus hatte zuletzt nicht den mobilisierenden Bezugspunkt, wie es der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak war. Stattdessen war die Situation von mehreren kleineren weltweiten Jihadschauplätzen geprägt, die bislang keinen ausgeprägten Bezug nach Deutschland entwickelt haben. Im Verlauf des Jahres 2023 hat sich jedoch gezeigt, wie schnell sich die scheinbar beruhigte Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus wieder verschärft hat. Der Grund hierfür liegt in der nach wie vor sehr aktiven Propagandatätigkeit der islamistischen Terrororganisationen. Diese haben in ihren Publikationen gezielt Ereignisse, wie die Verbrennung und Schändung von Koranen in Schweden und Dänemark sowie den israelisch-palästinensischen-Konflikt aufgegriffen und emotionalisiert dargestellt. Das Ziel der jihadistischen Terrororganisationen ist es, bei ihren Anhängern ein Verantwortungsgefühl zu wecken, in der Pflicht zu sein, vermeintliche Ungerechtigkeiten gegen den Islam persönlich durch die Verübung eines Anschlags zu bekämpfen. Die in Europa verübten Anschläge zum Ende des Jahres 2023 sowie die zahlreichen Festnahmen aufgrund konkreter Hinweise auf geplante Gewalttaten machen die Gefahr deutlich, die von der Terrorpropaganda für die westlichen Länder ausgeht. Emotionalisierende Ereignisse im Zusammenhang mit dem Islam oder islamischen Ländern können hier jederzeit eine massiv mobilisierende Wirkung entfalten. 222 Islamismus 4.3 Salafismus Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 700 salafistischer Gruppen Der Salafismus ist eine besonders radikale islamistische Bewegung, die sowohl in Deutschland, als auch auf internationaler Ebene einen großen Zulauf insbesondere junger Menschen erlebt. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstandenen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, den rechtschaffenen Altvorderen (arab. as-salaf as-salih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch heißt es in einem auf einer salafistischen Internetseite abrufbaren Text mit dem Titel "Was ist ein Salafi?": "Wir können klar erkennen, dass die ersten drei Generationen dieser Umma156 die besten der Menschen sind. Sollten sie dann nicht diejenigen sein, denen wir folgen? Wenn Du über etwas Bescheid wissen willst, sei es über Mathematik, Physik oder Medizin, dann würdest Du zu Leuten gehen, die davon mehr verstehen als Du selbst. Wenn Du aber nicht zu ihnen gehen könntest, so würdest Du zu den Büchern der Individuen gehen, selbst wenn diese viele Jahre zuvor geschrieben wurden. Und zwar darum, weil Du weißt, dass diejenigen, die die Bücher schrieben, ein besseres Verständnis über das Thema hatten, als Du es hast. Genauso ist es im Islam: Um ihn und seine Praktiken zu verstehen, sollten wir nicht zu denen gehen, die ihn am besten verstanden? Jedoch muss hier eine Unterscheidung gemacht werden. In vielen Aspekten der Wissenschaft und Technologie nimmt das Wissen mit der Zeit zu, d. h. ein viele hundert Jahre altes Buch wäre zu primitiv, um heute in einer medizinischen Hochschule gelehrt zu werden. Heute, im Islam, ist jedoch das Gegenteil der Fall. Je weiter man zu der Zeit des Propheten - Allahs Heil und Segen auf ihm - zurückgeht, desto besser und reiner waren das Verständnis und die Implementierung der Religion." (Salafistische Internetseite, 2021) 156 Der arabische Begriff "Umma" bedeutet übersetzt "Gemeinschaft der Muslime". 223 Islamismus Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa liberalere Formen des Islams und die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie demokratische Strukturen, werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia157, die von Salafisten als eine von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demokratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In einer im Jahr 2012 verteilten Broschüre des "Deutschsprachigen Islamkreises e. V." (DIK) in Hannover heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibada [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Deutschsprachiger Islamkreis e. V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seiten 8-9) Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privatleben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propagieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht und die Begrenzung der Religionsfreiheit. Die von Salafisten propagierte Staatsund Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Damit ist der Salafismus eine verfassungsfeindliche 157 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 224 Islamismus Bestrebung und erfüllt die Voraussetzung für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Ausprägungen des Salafismus Bei den grundsätzlichen ideologischen Auffassungen kann eine weitgehende Übereinstimmung innerhalb des salafistischen Spektrums festgestellt werden. Allerdings gibt es maßgebliche Unterschiede was die Umsetzung der salafistischen Ideologieelemente anbelangt, weshalb nach der gängigen Definition drei Ausprägungen des Salafismus unterschieden werden: f Puristischer Salafismus Sogenannte puristische Salafisten stellen die individuelle Frömmigkeit in den Mittelpunkt. Eine gesellschaftliche und politische Umgestaltung wird von ihnen nicht aktiv propagiert, sie erwarten diese vielmehr als langfristiges Ergebnis ihrer persönlichen Bemühungen. Wenn ihre eigene Religionsausübung möglich ist, stellen die vor allem aus Saudi-Arabien stammenden Gelehrten der puristisch-salafistischen Strömung die existierende staatliche Ordnung nicht in Frage. Solange tatsächlich nur die individuelle Frömmigkeit im Mittelpunkt steht, handelt es sich beim puristischen Salafismus nicht um eine Bestrebung im Sinne des SS 3 NVerfSchG. f Politischer Salafismus Im Unterschied dazu verbinden politische Salafisten mit der Umsetzung der salafistischen Ideale neben der persönlichen Ebene auch eine Umgestaltung der Gesellschaft und des Staates. Der Begriff "politisch" darf dabei jedoch nicht missverstanden werden, denn Salafisten sind grundsätzlich apolitisch und verweigern sich i. d. R. einer Teilnahme an politischen Prozessen. Gemeint ist hiermit die offensive Propagierung ihrer Wertvorstellungen in Predigten, Straßenaktionen oder Internetaktivitäten. Politische Salafisten akzeptieren durchaus andere islamistische Gruppierungen, die gewalttätig agieren, setzen selbst jedoch keine Gewalt zur Schaffung ihrer propagierten Staatsund Gesellschaftsordnung ein. f Jihadistischer Salafismus Darin besteht der Unterschied zu den jihadistischen Salafisten. Diese interpretieren den Begriff des Jihad primär als militärischen 225 Islamismus Kampf und propagieren eine individuelle Pflicht jedes Gläubigen zur Teilnahme an diesem Kampf. Die Pflicht zum Kampf besteht z. B. gegen "unislamische" Herrscher, was dem jihadistischen Verständnis nach autoritäre Staatsoberhäupter in den arabischen Ländern, aber auch demokratische Regierungen im Westen sein können. Ein anderes Beispiel sind "unislamische Aggressoren" in als muslimisch verstandenen Ländern. Das kann militärische Aktivitäten westlicher Länder in Afghanistan oder Syrien und im Irak, aber auch die Existenz des Staates Israel bedeuten. Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Bewegung in Deutschland und Europa. Dies liegt auch darin begründet, dass er ein Angebot macht, welches insbesondere aber nicht nur junge Menschen anspricht. Diese Weltanschauung schafft ein komplettes Gegenmodell zum selbstbestimmten, daher aber auch risikobehafteten westlichen Lebensentwurf. Da die salafistische Ideologie von ihren Anhängern fordert, den Kontakt mit der "ungläubigen" Welt auf ein Minimum zu reduzieren, ist die Folge die Einbettung des Einzelnen in ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die über ähnliche Ansichten verfügen, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies erleben viele von der modernen Welt Verunsicherte als ein stabilisierendes Element in ihrem Leben. Gleichzeitig vermittelt diese theologisch begründete sektenartige Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl, als Salafist einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. Der Salafismus ist eine dynamische und heterogene Bewegung, die sich nicht in klare Strukturen einordnen lässt. Als verbindendes Element fungiert dabei die salafistische Ideologie, deren Anhänger häufig in Kleingruppen und Freundeskreisen organisiert sind. In dem international miteinander verwobenen Netzwerk des Salafismus gibt es aber einzelne Fixpunkte und Organisationsformen, die entscheidende Bestandteile für das Agieren der Szene darstellen: Salafistische Prediger Eine entscheidende Rolle haben die salafistischen Prediger inne. Sie formulieren die salafistische Ideologie aus und machen über ihre Auslegungen der islamischen Schriften konkrete Vorgaben 226 Islamismus zur "richtigen" Lebensführung. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell. Ihre Vertreter setzen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und sich insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher orientieren, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen, darunter auch zum Islam Konvertierte aus. Salafistische Prediger sind über ihre Seminarangebote, Vortragsreisen und Onlineangebote überregional präsent und sammeln damit eine feste Anhängerschaft hinter sich. Durch die voranschreitende Digitalisierung und die Veränderung sozialer Medien hin zu stärker visuell und kurzlebig geprägter Kommunikation wandelt sich auch das Online-Verhalten von Predigern, die sich inzwischen häufig als eine Art "salafistische Influencer" präsentieren. Dabei profitieren die Prediger in besonderem Maße von ihrem Charisma und passen ihren Kommunikationsstil gezielt an die Online-Sprache von Jugendlichen an. Sie besitzen digitale Kompetenzen, wirken freundschaftlich und kommunizieren mit ihrem Publikum auf Augenhöhe, z. B. indem sie durch Frage-Antwort-Runden über Social Media mit ihrem Publikum in direkten Kontakt treten oder über Messenger-Dienste wie WhatsApp direkt mit Fragen angeschrieben werden können. Häufig werden dabei auch Themen behandelt, die zunächst scheinbar nichts mit dem Islam zu tun haben, wenn es z. B. um Fußball, Computerspiele oder Haustiere geht. Dahinter verbirgt sich jedoch eine gezielte Strategie, wie ein salafistischer Prediger in einer Antwort zu der Frage ausführt, welche Weisheit dahinter stecke auf triviale Fragen zu antworten: "... die Weisheit ist eigentlich das, dass man vielleicht auch Leute auf eine islamische Seite aufmerksam macht, die sonst eher auf anderen Sachen unterwegs sind, weißt wie ich meine ... wenn wir sowas mal machen, dann ist das eher marketingtechnisch, verstehst du? Dass wenn die Leute das sehen, dass sie dann beispielsweise abonnieren oder auch auf die anderen Videos gehen oder auf eine Playlist kommen, bei YouTube beispielsweise ..." (YouTube-Video vom 16.03.2023 auf dem Kanal "Echo der Monotheisten": Shaykh Ibrahim im Interview! Die Erfolgsgeschichte von IslamContent5778.Ägypten,TikTok,Y Kollektiv.) An den salafistischen Predigern wird auch die internationale Dimension des Salafismus deutlich. Viele von ihnen haben eine 227 Islamismus Ausbildung an arabischen Universitäten erhalten. Besonders häufig fällt dabei der Name der "Islamischen Universität Medina" in SaudiArabien. Die Universität wurde bereits mit dem Ziel gegründet "als Zentrum für die Verbreitung der islamischen Wissenschaft und Kultur unter den Muslimen überall in der Welt" zu wirken. Dieses Ziel sei so zu erreichen, dass "... einzelne aus jedem islamischen Land aufgerufen werden, nach Medina zu kommen, den Islam zu studieren ..., und dann zu ihren Leuten zurückzukehren, um zu unterweisen und rechtzuleiten." (Charta der Islamischen Universität Medina vom 11.05.1962) Um möglichst viele Studenten zu erreichen, bietet die Universität ein attraktives Angebot mit umfangreicher finanzieller Unterstützung und Stipendien. Die "Islamische Universität Medina" dient somit als Multiplikator für die wahhabitisch-salafistische158 Lehre, die durch ihre Studenten anschließend in deren Heimatländern weiterverbreitet wird. Gleichzeitig werden über das gemeinsame Studium Netzwerke zwischen den künftigen salafistischen Predigern gebildet. Diese führen dazu, dass regelmäßig auch ausländische Prediger zu Seminaren und Vorträgen in deutsche und damit auch in niedersächsische Moscheen eingeladen werden. Salafistische Angebote im Internet Das Internet hat eine große Bedeutung für Salafisten. Ihre Onlineangebote, Audios, Videos und Schriftstücke dominieren die deutschsprachigen Informationsangebote über den Islam im Internet. Aufgrund eines Imagewandels der eingestellten Angebote, weg von traditionell islamischer bzw. salafistischer Kleidung, hin zu einem modernen Auftreten, lässt sich häufig der salafistische Hintergrund nicht sofort erkennen. Dadurch werden breitere Teile der muslimischen Gesellschaft in Deutschland mit salafistischer Propaganda erreicht. Die Internetauftritte der salafistischen Akteure sind professionell gestaltet und werden oft von einem eigenen Team an Administratoren, 158 Der Wahhabismus ist die Staatsdoktrin Saudi-Arabiens und geht auf die Lehren von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703-1792) zurück. Der Salafismus wurde ideologisch stark vom Wahhabismus beeinflusst, sodass die beiden Ideologien inhaltlich viele Ähnlichkeiten aufweisen. 228 Islamismus Social Media-Redakteuren und -Designern betreut. Die selbst produzierten Grafiken (sogenannte Memes) und Videos sind dazu geeignet, das Interesse auch von außenstehenden Personen zu wecken. Salafisten sind bestrebt, ständig weitere Angebote zu entwickeln, um möglichst viele Menschen anzusprechen und passen sich stetig den technischen Entwicklungen und dem aktuellen Nutzerverhalten an. So wurden zunächst hauptsächlich Internetseiten mit salafistischen Informationsangeboten eingerichtet. Die Kommunikation erfolgte über Foren. Dann verlagerten sich viele Angebote in die sozialen Netzwerke, wie Facebook, Instagram und TikTok, die den Vorteil mitbrachten, dass Inhalte direkt kommentiert und über sie diskutiert werden konnte. Neue Trends in sozialen Netzwerken werden getestet und das Portfolio der Online-Angebote stetig erweitert. So nutzten einige Prediger des salafistischen Spektrums TikToks LivestreamAngebot ("LIVE Gifting"), über das Zuschauende mit Realwährung erworbene "Coins" an die Streamer senden können. Aufgrund des hohen Stellenwerts der Dawa159 haben Salafisten ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Die Indoktrination durch salafistische Prediger zielt jedoch nicht darauf ab, den jeweiligen Adressaten ein reflektiertes und fundiertes Wissen über ihre Religion zu vermitteln. Stattdessen wird dem Publikum ein diffuses Inselwissen über ideologische Versatzstücke nahegebracht, das den Nährboden für religiöse Radikalisierungsprozesse bereitet. Diese Vorgehensweise ist insbesondere auf sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok erfolgreich, da längere Beiträge auf diesen Plattformen i. d. R. keine größere Reichweite erzielen und zugunsten von kurzen Schlagwortbotschaften untergehen. Das Ziel salafistischer Akteure im Internet ist es, junge Menschen zu einer Abwendung von der Gesellschaft im Sinne einer Loyalität zum Glauben und Lossagung vom Unglauben (arab. "al-Wala wal-Bara") zu bewegen und sich ausschließlich unter muslimischen Mitmenschen, die der richtigen Glaubenslehre und -auslegung anhängen, aufzuhalten. In besonderem Maße entfaltet hier auch populistische Kommunikation ihre Wirkung, da eine kritische Betrachtung der angerissenen Themen grundsätzlich nicht geschieht und klassische Feindbilder (wie z. B. der deutsche Staat, Nichtmuslime, der Staat Israel oder die Presse) 159 Siehe Fußnote 155. 229 Islamismus geschürt werden. Durch die Algorithmen sozialer Medien kommt es zur Bildung extremistischer Lager, die niedrigschwellig an Mainstream-Diskurse andocken und allen Nutzerinnen und Nutzern im Feed erscheinen, die sich nur oberflächlich mit Religion beschäftigen möchten. Über das Format des Kurzvideos wird Jugendlichen auf der Plattform TikTok somit nahegebracht, wie sie ihr Alltagsleben mit einem salafistischen Lebensstil vereinbaren können. Dies kann zur Radikalisierung beitragen. Viele Akteure des politischen Salafismus betreiben zudem Kanäle auf Telegram, WhatsApp und YouTube, um die Reichweite ihrer Inhalte noch weiter zu erhöhen und um Personen außerhalb ihrer Stammklientel anzusprechen. Auch auf dieser Ebene werden Beiträge aus Kanälen häufig untereinander geteilt, sodass sich ein Geflecht aus Kontakten zahlreicher Protagonisten ergibt, wie man sehr anschaulich auf dem Screenshot des TikTok Kanals der DMG Braunschweig sehen kann. Eine große Bedeutung für die Reichweite in der salafistischen Szene haben diese Kanäle auch, da seit Juni 2023 auch auf WhatsApp Kanäle erstellt werden können und somit ein Publikum erreichbar ist, das auf sozialen Netzwerken nicht vertreten ist. Auch das Verfassen von Beiträgen via Telegram-Kanälen 230 Islamismus erfährt in der salafistischen Szene einen Zuwachs, da hier zusätzlich noch ein höherer Grad an Anonymität möglich ist. Neben der of fenen Kommunikation salafistischer Szene - protagonisten existieren auch klandestine Netzwerke von Personen und Organisationen. Diese Personenkreise kommunizieren über verschlüsselte Messenger wie Signal, Telegram, Threema oder Rocket Chat miteinander. An dieser Stelle bieten sich für radikalisierte Einzelpersonen häufig niedrigschwellige Möglichkeiten, mit im Ausland aktiven Jihadisten in Kontakt zu kommen. Vor allem Telegram spielt für die jihadistisch-salafistische Szene eine große Rolle, da dort auf einigen Kanälen nach wie vor jihadistische Propaganda ausländischer Terrororganisationen veröffentlicht wird. Sofern Betreiber und Abonnenten eines Kanals anonym sind, profitieren die jeweiligen Akteure von einem erweiterten Aktionsradius im Netz, der eine Identifizierung erschwert und es ihnen erlaubt, ihre ideologischen Einstellungen deutlich offener zu äußern. Eine häufig festgestellte Straftat auf Telegram ist die Abbildung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (SS 86a StGB), wie beispielsweise die Flagge des sogenannten Islamischen Staates (IS). Rolle der Moscheen Auch wenn das Internet eine wichtige Rolle in der Vernetzung und Anwerbung für die salafistische Szene spielt, bleiben die realweltlichen Kontakte doch entscheidend zur Verfestigung der persönlichen Beziehungen. Einer Studie zu den nach Syrien und in den Irak ausgereisten Personen zufolge, hatte besonders der Kontakt in (einschlägige) Moscheen im weiteren Verlauf der Radikalisierung große Bedeutung. Deshalb spielen entsprechend ausgerichtete Moscheegemeinden nach wie vor eine Rolle als lokale Anlaufpunkte und Trefforte für die salafistische Szene. Salafistische Moscheen bieten ein umfangreiches Angebot an Lehrveranstaltungen für verschiedene Zielgruppen an und sorgen so für eine ideologische Festigung und Einbindung in die Strukturen des Salafismus. Sie richten sich an regelmäßig Teilnehmende, aber auch an gelegentliche Besucher sowie an schlicht Interessierte. Die Spannbreite reicht von speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Bildungs-, 231 Islamismus Spielund Freizeitangebote, damit diese möglichst frühzeitig in die internen Strukturen integriert und gemäß der salafistischen Ideologie erzogen werden, bis hin zu Beratungsund Bildungsangeboten für Erwachsene, deren salafistische Einstellung durch eine aktive Teilnahme in der Moschee verfestigt wird. Salafistische Moscheen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung. Bei salafistisch dominierten Moscheen können die Führungspersonen und große Teile der Besucher dem Salafismus zugerechnet werden. In diesen Moscheen wird die salafistische Ideologie zielgerichtet gefestigt und weiterverbreitet. In den salafistisch frequentierten Moscheen ist hingegen nicht grundsätzlich von einer salafistischen Ausrichtung der gesamten Moschee auszugehen. Innerhalb dieser gibt es dagegen salafistische Strömungen, ohne dass die Mehrzahl der Besucher oder der Vorstand im Gesamten Salafisten sind. Teilweise besuchen salafistische Personengruppen solche Moscheen oder es werden salafistische Prediger eingeladen, die eine weitere salafistische Beeinflussung der Moscheebesucher fördern können. Lose Personennetzwerke Spielten sich die Aktivitäten der salafistischen Szene in den vergangenen Jahren noch überwiegend im Umfeld bekannter salafistischer Moscheen ab, so sind die Aktionsorte der Szene mittlerweile vielfältiger geworden. Nachdem salafistische Moscheen als Zentren der Radikalisierung in den Fokus der Sicherheitsbehörden und der Öffentlichkeit gerückt sind, hat sich ein erheblicher Anteil der Salafisten aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, um nach Alternativen und neuen Möglichkeiten zu suchen. In der Folge ist festzustellen, dass sich Salafisten häufig im Rahmen loser Personenzusammenschlüsse organisieren. Für die Zusammensetzung dieser Kleingruppen spielen Freundschaften, die regionale Herkunft, gleiche Altersgruppen und die gemeinsame ideologische Ausrichtung eine entscheidende Rolle. Mit der Zunahme salafistischer Kleingruppen etablierten sich auch neue Trefforte der Szene. Dazu zählen z. B. Restaurants und Cafes, Sportvereine, Fitnessstudios, Gärten und Parks, aber auch Privatwohnungen wichtiger Akteure, die zunehmend ein zentraler Bestandteil für die Vernetzung der Szene werden. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Wohnungsoder "Home-Dawa"-Veranstaltungen, bei denen salafistische Prediger 232 Islamismus Islamunterricht im kleinen Kreis in Privatwohnungen geben und nicht wie noch vor wenigen Jahren ausschließlich in Moscheen mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit. Diese Anlaufpunkte wirken zunächst unverfänglich und erwecken für Außenstehende nicht den Anschein extremistischer Aktivitäten. Damit stellen sie eine neue Möglichkeit der Rekrutierung insbesondere junger Menschen dar, die von den Salafisten direkt in ihrem Lebensumfeld abgeholt werden. Rolle der Frau und salafistische Frauennetzwerke Traditionell ist die Frau dem Mann im Salafismus untergeordnet. Während der Mann nach außen über alle Belange entscheidet und für die alleinige Versorgung und den Schutz der Familie zuständig ist, wird Frauen der innere Bereich zugewiesen: Der Haushalt, die Erziehung der Kinder und die Unterstützung des Ehemannes. Sie haben sich in letzter Instanz immer dem Willen des Mannes zu beugen. In der salafistischen Propaganda wird dieses archaische Bild der Frau jedoch ins Positive gedreht. So stellen Salafisten die Frau als kostbaren Schatz dar, der mit Hilfe der Verschleierung vor den Blicken der "begehrlichen" Öffentlichkeit geschützt werden muss. Gerühmt werden zudem die Rolle der Frau als Mutter und Unterstützerin ihres Ehemannes sowie vermeintlich weibliche Tugenden wie Sanftheit, Gehorsam und Demut. Dem Bild der zerbrechlichen und schutzbedürftigen Frau steht ein Männerbild gegenüber, das Aktivität, Stärke und Durchsetzungsfähigkeit betont. Insbesondere die Gerichtsverfahren der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, dass Frauen in der salafistischen Szene eine größere Rolle spielen als bisher angenommen. Zwar sind Frauen weiterhin öffentlich kaum wahrnehmbar, da ihr Wirkungskreis meist auf den häuslichen Bereich, die rein weiblichen Kreise in der Moschee oder auf geschlossene Gruppen in den sozialen Medien beschränkt ist, jedoch kommt der Frau eine zentrale Bedeutung bei der Verbreitung der salafistischen Ideologie zu. Gerade über das Internet ist es den Frauen möglich, sich überregional und global zu vernetzen und sich über salafistische Inhalte auszutauschen. Besonders deutlich wurde dies zu Hochzeiten des sogenannten Islamischen Staates (IS), als ausgereiste Salafistinnen in eigenen Blogs aus dem damaligen Herrschaftsgebiet berichteten. 233 Islamismus Sie beschrieben auf verführerische Weise die Vorzüge des Lebens in den IS-Gebieten und ermutigten und unterstützten ihre Leserinnen bei der Ausreise. Aber auch Alltagsthemen bieten Möglichkeiten der Missionierung. Wie die Männer ködern auch Salafistinnen andere Frauen zunächst mit niedrigschwelligen Angeboten, z. B. rund um die Themen Kochen und Kindererziehung, um sie dann enger an die Szene zu binden. Regionale Frauennetzwerke bieten Gleichgesinnten und Interessierten vielfältige Aktivitäten. Neben Vorträgen, Kinderveranstaltungen und speziellen Sportangeboten für Musliminnen ist auch eine geschäftliche Vernetzung von Salafistinnen im Rahmen dieser Netzwerke zu beobachten. Darüber hinaus wird bei den o. g. Veranstaltungen oft zu Spenden aufgerufen, zum Teil wurden Beträge im niedrigen fünfstelligen Bereich gesammelt. Die eingenommenen Spenden werden dabei vordergründig für karitative islamkonforme Zwecke gesammelt. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass unter diesem karitativen Deckmantel auch Spenden an islamistische Organisationen im Ausland abfließen könnten. Mit ihrer Rolle als "Hüterin der Familie" leisten Frauen einen weiteren entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der salafistischen Ideologie. Hierbei ist die Mutter aufgrund der geschilderten Machtposition des Mannes entweder das ausführende Organ des Vaters oder sie setzt aufgrund ihrer eigenen salafistischen Ausrichtung selbst entsprechende ideologisch geprägte Erziehungsakzente. Vor allem salafistische Prediger betonen regelmäßig, wie wichtig die Kindererziehung nach den Grundsätzen des Glaubens ist. So bezeichnete Pierre Vogel die Kindererziehung als "... das wichtigste Thema überhaupt, um die Umma [muslimische Gemeinschaft] zu verbessern." (Pierre Vogel, YouTube, 16.09.2018) Dementsprechend wurden immer wieder Fälle von Kindern bekannt, die sich innerhalb salafistischer Familien radikalisiert haben. In solchen Familien werden Kinder schon von klein auf zur Ablehnung der "ungläubigen" Mehrheitsgesellschaft erzogen. Sollten die Kinder ihre Radikalisierung im Erwachsenenalter beibehalten, wird die Gesellschaft umso mehr gefordert sein. 234 Islamismus Salafistische Aktionsorientierung Die Mehrheit der Salafisten in Deutschland lässt sich dem politischen Salafismus zurechnen, zu dessen zentralen Elementen das Konzept der Dawa160 zählt. Praktisch bedeutet dies eine intensive Propagandatätigkeit, um für die Vision einer gottgewollten Staatsund Gesellschaftsform zu werben und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Dies hat zur Folge, dass Salafisten ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein haben, was sich in einer vielfältigen Aktionsorientierung der Szene äußert. In den letzten Jahren waren die sogenannten Islam-Informationsstände eine wichtige Aktionsform zur Verbreitung salafistischer Propaganda in Deutschland. Auf diese Weise verteilen Salafisten Broschüren, Flugblätter, salafistische Grundlagenwerke, aber auch Koranausgaben. Durch eine zunächst scheinbar unverfängliche Kontaktaufnahme mit interessierten Außenstehenden werden vor allem junge Menschen in der Identitätsfindungsphase gezielt an die salafistische Ideologie herangeführt und anschließend in die Szene eingebunden. Zudem haben die Islam-Informationsstände eine wichtige Funktion für Salafisten, nämlich Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen. Die bedeutendste Aktionsform dieser Art war die Koranverteilaktion "LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat". Diese 2012 gestartete Dawa-Aktion wurde von der Vereinigung "Die Wahre Religion" (DWR) organisiert, die im November 2016 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verboten wurde. Maßgeblich für das Verbot der "LIES!"Stände war, dass sich Jihadisten mit Syrienbzw. Irakbezug über die Aktivitäten an den Koranverteilständen miteinander vernetzten. So sind mindestens 140 Aktivistinnen und Aktivisten oder Unterstützerinnen und Unterstützer der "LIES!"-Koranverteilaktionen nach Syrien bzw. in den Irak ausgereist, um sich terroristischen Organisationen wie dem IS anzuschließen. Nach dem Verbot der "LIES!"-Koranverteilaktionen ist es der salafistischen Szene nicht mehr gelungen, eine überregionale Literaturverteilaktion in der Größenordnung von "LIES!" zu etablieren. In Niedersachsen wurden solche Informationsstände und Literaturverteilaktionen zuletzt auf Grundlage des SS 18 Abs. 1a 160 Siehe Fußnote 155. 235 Islamismus Niedersächsisches Straßengesetz (NStrG) (Versagung von Sondernutzungserlaubnissen) wegen der Verfolgung oder Unterstützung verfassungsfeindlicher Aktivitäten nicht mehr genehmigt. Es gab jedoch wieder zunehmend Initiativen von Salafisten, um neue Dawa-Aktivitäten umzusetzen. Dazu zählen "klassische" Literaturverteilaktionen in Fußgängerzonen, bei denen Salafisten Werke zur Aufklärung über den Islam verteilen und versuchen, darüber mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Um die Untersagung stationärer Informationsstände zu umgehen, werden aber auch nicht genehmigungspflichtige mobile Verteilaktionen durchgeführt oder es wird noch niedrigschwelliger entsprechende Literatur in Moscheen und Geschäften ausgelegt. Am 17.07.2023 veröffentlichte der bekannte salafistische Prediger Pierre Vogel ein Video, in dem er ein neues bundesweites DawaProjekt mit dem Namen "was-danach" ankündigt. Ziel sei es, jeden Menschen in Deutschland zum Islam einzuladen. Dabei zieht er mehrfach einen Vergleich zu der verbotenen salafistischen Koranverteilaktion "LIES!" und prägt dabei den Slogan "Make the Dawa great again". Das Projekt "was-danach" behandelt allgemeine und für die Missionierungsarbeit übliche Themen, wie z. B., ob der Koran von Gott sei, wie man die Wahrheit erkenne und warum man sich mit solchen Fragen beschäftigen solle. Als Herausgeber der Publikationen wurde die salafistische "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG Braunschweig) aufgeführt. Bislang wurden die Broschüren und Flyer hauptsächlich über Briefkästen verteilt. Selbstgesetztes Ziel der Aktion ist es aber, deutschlandweit Flyer-Verteilaktionen durchzuführen, bei denen mindestens 20 Millionen Flyer und Broschüren verteilt werden sollen. Pierre Vogel erwähnt explizit, dass dies auch an Schulen geplant sei. Neben diesen missionarischen Aktivitäten hat sich die salafistische Szene zuletzt zunehmend neue Aktionsfelder erschlossen, auch um weitere Geldquellen zu generieren. Demnach sollen salafistische Akteure die Rolle einer gesellschaftlich angesehenen und erfolgreichen Person anstreben, um 236 Islamismus eine stärkere Einbindung in die etablierten Gesellschaftsstrukturen zu erreichen und das Ziel der islamistischen Durchdringung der Gesellschaft zu realisieren. So gründen salafistische Akteure immer häufiger Firmen, die den Bereich des halal161-Sektors ausweiten. Dazu gehören halal-konforme Angebote in Bereichen wie Hilfsorganisationen, Reisen, Finanzen, Investitionen in Immobilien, Warenhandel, Bekleidung, Gastronomie sowie Dienstleistungsund Beratungsangebote. Die Bezüge zur salafistischen Ideologie sind dabei oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen, denn die Akteure haben ihr traditionelles salafistisches Erscheinungsbild durch ein westliches und geschäftsmäßiges ersetzt. Die Intention hinter diesen Wirtschaftsaktivitäten ist, die eigene berufliche Tätigkeit mit den ideologischen Zielen zu verbinden und dadurch neue Personen ohne extremistische Einstellung an das salafistische Gedankengut heranzuführen und die Dawa voranzubringen. Um dabei eine möglichst große Reichweite zu erzielen, wird ein besonderer Fokus auf die Vernetzung zwischen den Akteuren gelegt. Neben Veranstaltungen wie Workshops und Coachings sind gegenseitige Empfehlungen und Bewertungen im Internet ein wichtiges Instrument, um die Bekanntheit der jeweiligen Produkte und Dienstleistungen zu steigern. Über die Vernetzung salafistischer Akteure hinaus findet eine Kooperation auch mit weiteren Personen des islamistischen Spektrums statt. Folglich ist auch in dem Bereich der Wirtschaftsaktivitäten eine Vermischung unterschiedlicher islamistischer und salafistischer Strömungen zu beobachten, infolgedessen die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen und Strömungen zunehmend verschwimmen. In diesem Zusammenhang ist der verbotene Verein "Ansaar International e. V." aus Düsseldorf zu nennen, der insbesondere von salafistischen Akteuren geleitet und von weiten Teilen salafistischer und weiterer islamistischer Personen beworben wurde. Eigenen Angaben zufolge war das Ziel des Vereins die weltweite Unterstützung von Projekten für bedürftige Muslime. Die vermeintliche islamische Hilfsorganisation betrieb neben der Generierung von Spenden auch Reiseveranstaltungen, Onlineshops oder Ladenlokale. Bundesweite Durchsuchungen gegen "Ansaar International e. V." 161 Der arabische Begriff "halal" bedeutet übersetzt "nach islamischem Glauben erlaubt". 237 Islamismus und den mit ihr in Verbindung stehenden Vereinen haben den Verdacht bestätigt, dass "Ansaar International e. V." einschließlich ihrer Teilorganisationen gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen haben, weil sie mithilfe der Spendengelder entgegen eigener Aussagen nicht nur humanitäre Zwecke, sondern insbesondere terroristische Organisationen unterstützt haben. Zudem betrieb "Ansaar International e. V." aktiv salafistische Missionierung und verbreitete islamistische Inhalte. Aufgrund dessen hat der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat am 05.05.2021 die Vereinigung "Ansaar International e. V." einschließlich ihrer Teilorganisationen verboten. Eine Klage des Vereins gegen das Vereinsverbot vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig blieb erfolglos. So urteilte das Bundesverwaltungsgericht am 21.08.2023, dass sämtliche Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt worden seien. Die "Föderale Islamische Union e. V." (FIU) gab an, das Verfahren betreut und begleitet zu haben sowie den Anwalt und Prozessvertreter für genanntes Verfahren vermittelt zu haben. Bereits zum eigentlichen Verbotsverfahren von "Ansaar International e. V." hatte die FIU verkündet, einen speziellen Spendenpool eingerichtet zu haben, um etwaige Anwaltskosten der Organisation zu finanzieren. Am Beispiel des Vereins "Ansaar International e. V." wird deutlich, welches Ausmaß vermeintlich "harmlose" Wirtschaftsaktivitäten salafistischer Akteure - bis hin zur Unterstützung terroristischer Organisationen - annehmen können. Viele salafistische und weitere islamistische Akteure haben für diese auf den ersten Blick nicht extremistische "Hilfsorganisation" geworben, die damit nahezu unbemerkt in breiteren Teilen der Gesellschaft Fuß fassen konnte. Föderale Islamische Union e. V. (FIU) Der Verein "Föderale Islamische Union e. V." wurde Ende des Jahres 2017 von bekannten Akteuren des niedersächsischen salafistischen Spektrums gegründet. Laut eigenen Angaben des in Hannover registrierten Vereins zählt dieser etwa 4.800 Mitglieder. Erklärtes Ziel der FIU ist es, die rechtliche Vertretung der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland einzunehmen sowie die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen. 238 Islamismus Dazu bietet die FIU verschiedene Dienstleistungen an: f Hilfestellung bei rechtlichen Fragen und Problemen, f Schutz vor angeblich verfassungswidrigen Gesetzen, f Bereitstellung von islamischer Literatur in der deutschen Sprache, f Beratung in islamrechtlichen Angelegenheiten durch einen sogenannten Fatwa-Support. Die FIU greift im Kontext der angebotenen Leistungen immer wieder auf ein Opferund Unterdrückungsnarrativ zurück. Das wird insbesondere deutlich, wenn sie behauptet, dass an Schulen ein staatlich gesteuerter Islamunterricht stattfinde, der "mit allem zu tun hat, außer dem Islam" oder es von staatlicher Seite Versuche gebe, die Muslime in Deutschland in ihren Grundrechten zu beschneiden. Die Orientierung der FIU am Salafismus wird nicht nur dadurch ersichtlich, dass sie sich u. a. für nachgewiesen salafistische und inzwischen verbotene Organisationen wie "Ansaar International e. V." aktiv einsetzt. Auch berät sie Muslime in islamrechtlichen Fragen durch einen sogenannten Fatwa-Support, der sich ausdrücklich nach dem Verständnis der "Salaf us Salih" (arab. für "die rechtschaffenen Altvorderen") richtet. Die Ausrichtung an den rechtschaffenen Altvorderen gilt als fundamentales Prinzip der salafistischen Ideologie und ist somit ein deutlicher Hinweis auf die salafistische Ausrichtung des Vereins. Durch derartige Angebote werden salafistische Einstellungen in die muslimische Community transportiert. Im Vergleich zu anderen salafistischen Akteuren bedient sich die FIU einer legalistischen Vorgehensweise, bei der sie in ihrer Öffentlichkeitsarbeit gezielt auf emotional aufgeladene und gesellschaftlich relevante Themen zurückgreift. Die daraus formulierten Ziele werden, wenn nötig unter der Zuhilfenahme von Rechtsmitteln, durchgesetzt. Als Beispiele für Vereinsaktivitäten der FIU können für die zurückliegende Zeit insbesondere die Online-Petition für die "Ernennung eines Bundesbeauftragten zum Schutz der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland", die Einrichtung eines Spendenfonds für die "Rettung von Moscheen im Rahmen der Corona-Pandemie" und die erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein generelles Verbot von Gottesdiensten nach der Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen benannt werden. Auch im Rahmen der Flutkatastrophe 239 Islamismus in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unternahm die FIU, unterstützt von niedersächsischen salafistischen Frauennetzwerken, eine Spendenaktion für (muslimische) Flutopfer, die als weiterer Versuch gewertet werden kann, sich als vermeintlicher Schirmherr aller in Deutschland lebenden Muslime zu präsentieren. Trotz eindeutiger Bezüge zum Salafismus stellte die FIU im August 2020 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht (VG) Hannover. Dem Antrag lag die Behauptung zugrunde, dass der Niedersächsische Verfassungsschutz die FIU unrechtmäßig im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2019 aufgeführt habe. Mit Beschluss vom 26.01.2021 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht den Antrag der FIU auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Nennung der FIU im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2019 abgelehnt und damit einen Beschluss des VG Hannover aus erster Instanz vom 29.10.2020 bestätigt. Der Beschluss ist unanfechtbar und damit rechtskräftig. In der Gesamtschau versucht die FIU mit rechtsstaatlichen Mitteln, u. a. salafistische Ansichten zu verteidigen, die in ihrem Grundgedanken eben diese Rechtsstaatlichkeit nicht anerkennen. Die Möglichkeiten eines Rechtsstaates werden so zu dessen eigenem Nachteil genutzt. Die Vorgehensweise der FIU entspricht den Bestrebungen legalistischer Islamisten, die im Rahmen der demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten eine langfristige Umgestaltung der Gesellschaft auf Grundlage der Scharia162 als alleingültige Ordnung anstreben. Salafistische Gefangenenhilfe Durch die zunehmende Radikalisierung der salafistischen Szene in den letzten Jahren ist auch die Zahl der Strafverfahren mit einem islamistischen Hintergrund gestiegen. Insbesondere Rückkehrende aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak sowie Personen, die Anschlagspläne im Inland vorbereitet oder unterstützt haben, wurden zu Haftstrafen verurteilt. Auf die daraus resultierende Zunahme von Häftlingen aus dem salafistischen Spektrum reagiert die Szene mit organisierten Unterstützungsleistungen für diese Gefangenen und ihr Umfeld. Organisiert wird die salafistische Gefangenenhilfe teilweise von Einzelpersonen, aber auch von professionell agierenden Netzwerken. 162 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 240 Islamismus Eine dieser Initiativen, die sich speziell an inhaftierte Frauen ("Schwestern") der salafistischen Szene richtet, ist "Free our sisters - Fukuu akhwatina". Dort fungierte die aus Niedersachsen stammende Jennifer W. vor ihrer eigenen Festnahme im Sommer 2018 als Administratorin. Ihre salafistische Gesinnung unterstreichen die Administratorinnen auf ihrem Telegram-Kanal u. a. durch Zitate jihadistischer Prediger. So wurden im Jahr 2023 diverse Aussagen eines palästinensisch-amerikanischen Predigers veröffentlicht, der auf seinem eigenen Twitterkanal u. a. den kämpferischen Jihad legitimiert, die Demokratie als ein System des Unglaubens bezeichnet und im Kontext des Israel-Palästina-Konfliktes forderte, "das Land von der Aggression der Affen, Schweine und Heuchler" zu befreien. Zudem wurde durch die Telegramseite "Free our Sisters" am 18.12.2023 Literatur des ehemaligen "al-Qaida"-Propagandisten Anwar al-Awlaqi verbreitet. Ein weiterer Akteur in der salafistischen Gefangenenhilfe ist die Organisation "Al-Asraa - Die Gefangenen" aus NordrheinWestfalen, die Inhaftierte und deren Umfeld durch Besuche und finanzielle Zuwendungen unterstützt. Vor allem über Telegram betreibt "Al-Asraa" eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, um über staatliche Maßnahmen gegen die salafistische Szene zu berichten und damit um Unterstützung zu werben. So hat die Organisation auf ihren Kanälen u. a. auch Gerichtsprozesse aus Niedersachsen, die im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus standen, mit entsprechenden Beiträgen begleitet. Im Jahr 2023 scheint sich der Fokus der Organisation verändert zu haben. Zwar wird punktuell immer noch zur Unterstützung salafistischer Häftlinge aufgerufen, so z. B. am 04.05.2023 zur Beteiligung an einem "Twitter-Sturm" zur Befreiung von Frauen und Kindern aus dem al-Russafa-Gefängnis in Bagdad. Trotzdem scheint die Organisation sich nunmehr vor allem darauf zu konzentrieren, Einzelpersonen durch Spendenaufrufe finanziell zu unterstützen. Zu den Angeboten salafistischer Gefangenenhilfsorganisationen gehört auch eine direkte Unterstützung der Inhaftierten. Z. B. werden vorgefertigte Briefe und religiöse Literatur bereitgestellt, die von Mitgliedern der salafistischen Szene, oft auch von Kindern, 241 Islamismus mit einem persönlichen Gruß versehen an die inhaftierten Personen weitergeleitet werden können. Diese Form der Unterstützung kann enormen Druck auf die inhaftierten Personen ausüben und sich negativ auf ihre Resozialisierung und Loslösung von der Szene auswirken. Denn den Inhaftierten wird damit signalisiert, dass sie weiter im Blick der Szene bleiben. Durch religiöse Literatur wird ein moralischer Druck geschaffen, sich nicht von der Glaubensausübung zu entfernen. 4.4 Salafismus in Niedersachsen Seitdem die "Salafistischen Bestrebungen" im Jahr 2011 zum bundesweiten Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden wurden, verzeichnete die salafistische Szene in Deutschland und Niedersachsen über Jahre starke Zuwachsraten. So hat sich die Zahl der Salafisten bundesweit von circa 3.800 im Jahr 2011 auf 12.150 im Jahr 2019 mehr als verdreifacht. In Niedersachsen ließ sich der gleiche Trend feststellen, hier stieg die Zahl der Salafisten von circa 275 im Jahr 2011 auf 900 im Jahr 2019 und hat sich damit ebenfalls mehr als verdreifacht. Analog zu den bundesweiten Zahlen schwächte sich diese Entwicklung zuletzt jedoch ab und die Anhängerzahlen verringerten sich auf aktuell 700 Salafisten in Niedersachsen. Dies ist ein Rückgang um 100 Personen im Vergleich zum letzten Jahr. Das jahrelange Wachstum der Szene war insbesondere auf das Wirken deutschsprachiger Prediger zurückzuführen, die häufig durch saudische Gelehrte geprägt waren. Zu diesen Vertretern zählen insbesondere Pierre Vogel, dessen vereinfachte und jugendgerechte Botschaften eine enorme Verbreitung erfuhren, Ibrahim Abou-Nagie, der mit seinem Verein "Die Wahre Religion" und der Koranverteilaktion "LIES!" den Salafismus öffentlich sichtbar in die deutschen Innenstädte brachte sowie der ehemalige Braunschweiger Muhamed Seyfudin Ciftci, dessen Aktivitäten um die Islamschule und den Verein "Einladung zum Paradies" maßgeblich zur Etablierung und Strukturierung der salafistischen Szene beitrugen. Zudem haben die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak bis hin zur zwischenzeitlichen Etablierung eines Kalifats durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im 242 Islamismus Jahr 2014 zu einer nicht unerheblichen Strahlkraft und zum Teil zur Radikalisierung in der salafistischen Szene geführt. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass sich das Wachstum der salafistischen Szene in Deutschland und Niedersachsen deutlich abschwächt. Gab es in den Hochphasen Zuwachsraten von um die 30 Prozent, so war zuletzt ein Rückgang der Anhängerzahl der salafistischen Szene festzustellen. Dies dürfte einerseits das Ergebnis der inzwischen wesentlich besseren Aufklärung der Szene durch die Sicherheitsbehörden sowie der höheren gesamtgesellschaftlichen Sensibilität für salafistische Radikalisierungsprozesse sein. Andererseits entfaltet auch der Jihadschauplatz Syrien nicht mehr die Strahlkraft, die er zwischenzeitlich hatte, und die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten von salafistischen Predigern und Dawa163 - Organisationen haben nur noch vereinzelt stattgefunden. Nach einer Art Orientierungsphase sind zuletzt aber wieder vermehrte Aktivitäten der salafistischen Szene festzustellen gewesen. In den sozialen Medien versuchen Salafisten junge Menschen lebensnah zu erreichen und für ihre Ideologie zu gewinnen. Struktur der salafistischen Szene in Niedersachsen Der Salafismus ist ein überwiegend urbanes Phänomen, weshalb dessen Schwerpunkte in den großen Städten liegen. Salafistische Anlaufpunkte und Aktivitäten gibt es darüber hinaus aber in ganz Niedersachsen. Salafistische Aktivitäten gehen insbesondere von salafistisch dominierten Moscheen aus, die maßgeblich von Salafisten geprägt und hauptsächlich von Salafisten besucht werden. Entsprechend ihrer Ideologie bieten diese Moscheen ein umfangreiches Vortragsund Schulungsangebot für alle Altersgruppen an und werben im Sinne der Dawa intensiv für die Verbreitung der salafistischen Ideologie. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder die vereinzelt Veranstaltungen mit bekannten salafistischen Predigern durchführen. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucherinnen und -besucher in diesen Gemeinden ist 163 Siehe Fußnote 155. 243 Islamismus nicht belegbar, bezogen auf einzelne Besucher jedoch nicht auszuschließen. Außerdem ist ein zunehmender Rückzug der salafistischen Szene ins Private sowie eine Fragmentierung der Anlaufpunkte festzustellen. Deshalb spielen immer mehr auch lose Personenzusammenschlüsse eine Rolle, deren gemeinsamer Referenzrahmen die salafistische Ideologie ist und die über die religiöse Betätigung hinaus Freizeitaktivitäten miteinander teilen. Auch werden den Sicherheitsbehörden häufig Einzelpersonen mit salafistischen Bezügen bekannt, bei denen keine Anbindung an eine Moschee oder eine salafistische Gruppe festgestellt werden kann. Dies sind beispielsweise Flüchtlinge, die vor ihrer Einreise nach Deutschland auf Seiten jihadistischer Gruppierungen aktiv waren. DMG Braunschweig Ein Schwerpunkt der salafistischen Aktivitäten in Niedersachsen geht von der Moschee der "Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft e. V." in Braunschweig (DMG Braunschweig) aus. In Verbindung mit ihrem langjährigen Imam Muhamed Seyfudin Ciftci gehörte die DMG Braunschweig schon früh zu den salafistischen Zentren in Deutschland. Zwar ist Ciftci nicht mehr in der DMG Braunschweig aktiv, die Moschee hat ihren Stellenwert niedersachsenund auch bundesweit zuletzt aber deutlich gesteigert. Sie hat auch in Phasen negativer öffentlicher Aufmerksamkeit für salafistische Prediger im Vergleich zu den meisten anderen salafistischen Moscheen nach wie vor regelmäßig szenebekannte Salafistenprediger zu Vortragsveranstaltungen eingeladen. Durch die hohe Anzahl von Gastauftritten etablierter Szeneprediger konnte sich die DMG Braunschweig ein Renommee als bundesweit anerkannte Moschee aufbauen, die sich an der "richtigen" salafistischen Lehre orientiert. Auch jüngere Prediger konnten die DMG Braunschweig als Bühne nutzen, um ihren Bekanntheitsgrad innerhalb des salafistischen Spektrums zu steigern und sich szeneintern zu etablieren. Dass die DMG Braunschweig für Prediger eine effiziente Möglichkeit ist, um an Popularität zu gewinnen, zeigt der Auftritt eines relativ unbekannten Predigers. Er trat am 16.12.2023 erstmals in der DMG Braunschweig auf und wurde auf dem YouTube-Kanal der DMG Braunschweig mittels eines professionell produzierten Trailers beworben und auf Instagram als "junger und 244 Islamismus aufstrebender Prediger in der Dawa164 im deutschsprachigen Raum" angekündigt. Neben den vorgenannten Gastpredigern traten 2023 in der DMG Braunschweig auch Prediger auf, die in anderen Moscheegemeinden als offizielle Imame fungieren. Hierzu zählen Prediger aus Bremen, Leipzig und Cloppenburg. Damit gelang es der DMG Braunschweig, ihre Funktion als bedeutende und einflussreiche Anlaufund Vernetzungsstelle innerhalb der deutschen salafistischen Szene weiter auszubauen. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Zugkraft der DMG Braunschweig ist ihr massives und diversifiziertes Onlineangebot. So werden die wöchentlichen Vorträge per Livestream übertragen und später auf dem eigenen YouTube-Kanal in voller Länge oder in kurzen Videoclips eingestellt. Damit erhöht die DMG Braunschweig ihre Reichweite deutlich und ist auch für ein überregionales Publikum relevant. Zudem passt sich die DMG Braunschweig dem aktuellen Trend sozialer Medien an und stellt kurze Clips, in denen Prediger Antworten auf Zuschauerfragen geben, über ihre Kanäle auf Instagram, Telegram, TikTok oder YouTube ein. Diese Accounts zeigen, welch enorme Strahlkraft die DMG Braunschweig über ihre Online-Aktivitäten inzwischen entfaltet. Viele der eingestellten Videos wurden mehrere tausend Mal aufgerufen und der Zuwachs an Followern hält weiter an. Ende 2023 folgten der DMG Braunschweig auf TikTok 33.700 Personen, während die Zahl der Abonnenten auf YouTube im Laufe des Jahres 2023 von etwa 61.900 auf inzwischen 76.800 gestiegen ist. Der DMG Braunschweig ist es somit möglich, omnipräsent für die eigene salafistische Ideologie zu werben und jungen Menschen ausgerichtet an deren Lebensrealität und Kommunikationsverhalten jederzeit salafistisches Gedankengut zur Verfügung zu stellen. Die in der Moschee der DMG Braunschweig gehaltenen und über die Online-Kanäle verbreiteten Predigten behandeln häufig allgemeine Glaubensthemen. Sie sprechen damit gezielt Menschen an, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind, um sie in einem weiteren Schritt über die entsprechenden Ansprechpartner weiter in die Szene 164 Siehe Fußnote 155. 245 Islamismus hineinzuführen. Jedoch werden dort auch rigide, streng rückwärtsgewandte Ansichten im Namen des Islams propagiert, die eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet und mit einem säkular-pluralistisch ausgerichteten Gemeinwesen, dem Gedanken des friedlichen Zusammenlebens der Völker sowie dem Gedanken der Völkerverständigung unvereinbar sind. Beispielsweise stellte die DMG Braunschweig am 05.06.2023 einen Videoclip eines Predigers auf ihrem YouTube-Kanal ein, in dem Buddhisten explizit als Ungläubige bezeichnet werden. Auf eine diesbezügliche Frage hin führt er aus: "...Buddhisten im Generellen, das sind dann natürlich für uns Kuffar, das sind Leute, die eine Götze anbeten, das sind, wie man auch sieht, Leute, die in Wahrheit nicht so friedlich sind, wie sie sich geben, sondern unsere Geschwister in China und Burma und in anderen Plätzen der Welt brutal abschlachten." (Video vom 05.06.2023 auf dem YouTube-Kanal der DMG Braunschweig: "Buddhismus, Kung-Fu Meinung?") Diese Aussage weist exemplarisch auf das dichotome Weltbild von Salafisten hin, in der die Welt in Gläubige und Ungläubige unterteilt wird. Glaubensausrichtungen, die nicht mit der salafistischen Auslegung des Islams konformgehen, werden demnach strikt abgelehnt. Ferner belegt das vorstehende Zitat die salafistische Grundannahme, dass Andersgläubige, wie u. a. Buddhisten, Muslimen gegenüber feindlich eingestellt seien. Durch die martialisch konnotierte Wortwahl des "Abschlachtens" sollen die Zuhörer in besonderer Weise emotionalisiert und zugleich die (vermeintlich) besonders brutale Gewaltausübung der Ungläubigen gegenüber den Muslimen betont und eindringlich vor Augen geführt werden. Dies ist bezeichnend für das im Salafismus propagierte Opfernarrativ, wonach Muslime einem ihnen feindlich gesonnenen Umfeld ausgesetzt seien. Das äußerst rigide Islamverständnis der DMG Braunschweig wird auch durch einen Videoclip vom 29.08.2023 auf dem YouTubeKanal der DMG Braunschweig deutlich, in welchem der Prediger die physische Züchtigung von Frauen legitimiert: "Es gibt ein Vers, in dem steht, dass man seine Frau an bestimmten Situationen schlagen soll. Wie ist dies gemeint? Es geht hier um eine Frau, die nicht gehorcht. Eine Frau, die dem Ehemann nicht gehorcht, Allah Subhanallah erwähnt aber vor dem Schlagen auch 246 Islamismus noch andere Sachen: dass man sie erst mal ermahnen soll. Wenn sie sich nicht ermahnen lassen, durch Worte, dass man sie meiden soll. Erstmal innerhalb der Wohnung. Wenn sie dann immer noch weitermachen und ungehorsam sind gegenüber dem Ehemann, in den erlaubten Sachen, dann soll man sie im Ehebett, im Ehebett meiden. Wenn selbst das keine Auswirkung auf diese Frau hat, dann sagt Allah Subhanallah soll man sie schlagen. Dieses Schlagen ist aber genau definiert. Zum einen ist es ein leichtes Schlagen. Wa alaykum assalam. Vielleicht ist 'Schlagen' das falsche Wort; sondern sozusagen, wie einige Gelehrte sagen mit einem Miswak zum Beispiel, dass man sie schlägt. Nicht mit einem Gürtel oder irgendwelchen Kabeln oder so was, ja, und diese Schläge dürfen keine, wie sagt man, Spuren hinterlassen, ja. Es dürfen keine blauen Flecken danach auf dieser Frau sein und es dürfen auch nicht mehr als zehn, als zehn Schläge sein. Denn der Prophet salla `llahu 'alayhi wasallam sagt sinngemäß: Alles über zehn sind Hadd-Strafen. Das ist keine Hadd-Strafe. Das ist also nichts, was weh tut. Das ist nichts, was weh tut, sondern es ist eher ein symbolisches Zeigen von: Hier ist jetzt eine Grenze. Hier ist eine Grenze." (Video vom 26.08.2023 auf dem YouTube-Kanal der DMG Braunschweig: "EHEFRAU UNGEHORSAM - WAS TUN?") Mit den vorstehenden Ausführungen wird das salafistische Rollenverständnis zwischen Mann und Frau zum Ausdruck gebracht. So stehe dem Mann letztlich in seiner übergeordneten, patriarchalischen Funktion das einseitige Recht zu, die Frau physisch zu züchtigen. Die Aussage "das ist nichts, was weh tut" ist hier als Kunstgriff zu verstehen um die propagierte Gewaltanwendung zu relativieren und zu rechtfertigen. Letztlich soll auch weiblichen Zuhören verdeutlicht werden, dass die Bestrafung von Ungehorsam religiös legitimiert sei und dem Mann als exklusives Recht zustehe. Die in den Grundrechten verankerte Gleichstellung der Geschlechter, aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird dadurch klar negiert. Die DMG Braunschweig nutzt ihre Strahlkraft nicht nur, um ihr Islamverständnis und die hieraus abgeleiteten Ziele und Ansichten innerhalb des salafistischen Spektrums zu verbreiten, sondern auch im Rahmen des allgemeinen politisch-gesellschaftlichen Diskurses. So werden aktuelle Ereignisse wie der israelisch-palästinensische Konflikt genutzt, um gezielt klischeebehaftete Feindbilder zu bedienen, Zuhörer zu emotionalisieren und Einfluss auf die politische Wahrnehmung und Meinungsbildung zu nehmen. So äußert sich ein Prediger in einem Vortrag am 03.11.2023 folgendermaßen zur deutschen Medienberichterstattung: 247 Islamismus "...schaut mal, das was gerade, was ihr mit eigenen Augen seht, wer die Presse tatsächlich ist, das erlebt meine Person schon über 10 Jahre ... wem glaubt ihr jetzt, mir oder der Presse, ... sollen wir uns Lügnern beugen? Und diese Leute, die heute schreiben, das sind dieselben, die auch seit 10, 15 und 20 Jahren schreiben, sie haben sich nicht geändert ... diese Leute haben ein Ziel, ihr Ziel ist es von was abzuhalten? vom Islam! Was denkt ihr warum Palästinenser anders behandelt werden als die Ukrainer, woran liegt es? ... als die Ukrainer gekämpft haben, Widerstand geleistet haben gegen die russische Armee, wie hat man sie genannt? Freiheitskämpfer! Wie nennt man die Muslime, die kämpfen um sich zu verteidigen? Terroristen! Terroristen, Radikale. Seid doch einfach mal klar, wenn der sich verteidigt, damit sein Leben nicht in Gefahr gerät und der Andere macht das selbe, warum benutzt ihr verschiedene Begriffe? Es gibt nur eine einzige Antwort, weil der eine Muslim ist, den sie abgrundtief hassen und der Andere, er ist blond und sieht ihnen ähnlicher als unsere Leute, das ist der einzige Grund ... diese Leute haben eine Agenda und deswegen rede ich jetzt mit dir Oh Muslim, ich sage dir eins, wenn dein Name Muhammed ist, es bleibt eine Sache die sie stört und das ist dein Name Muhammed, damit du es ganz klar hast ... die Juden und Christen werden nicht mit dir zufrieden sein, bis du ihrem Glauben folgst, sprich die beste Rechtleitung ist die Rechtleitung Allahs. Allah sagt dir damit, wenn du diesen Leuten folgst, du wirst verlieren und nicht nur das, sie werden dich sowieso nicht akzeptieren ..." (Livestream auf YouTube am 03.11.2023, DMG Braunschweig, "Kann Palästina den Krieg gewinnen?") Mit diesen Aussagen wird versucht, eine vermeintliche Doppelmoral der Medien aufzuzeigen und den Eindruck zu erwecken, dass den deutschen Berichterstattungen im Kern eine allgemein antimuslimische und rassistische Agenda zugrunde liege. Der Zuhörer müsse sich bewusst darüber sein, dass die Medien durch ihre antimuslimische Grundausrichtung ein verzerrtes Bild des Konfliktes darstellten, dem man als Muslim nicht glauben dürfe. Durch die diffamierende Beschreibung der Medien als Lügengebilde soll verhindert werden, dass sich Zuhörer eingehend mit einer objektiven Berichterstattung auseinandersetzen und letztlich das propagierte Meinungsbild der Salafisten kritisch hinterfragen. 248 Islamismus Weiter wurde ausgeführt: "... und bei Allah, ich möchte nicht von Allah befragt werden, warum wir sozusagen unser Volk im Stich gelassen haben, dass wir uns nicht mal trauen die Wahrheit zu sagen, dass wir nicht mal den Gegnern der Palästinenser und den Gegnern des Islams und den Gegnern der Menschlichkeit sogar füge ich hinzu, dass wir uns nicht mal trauen, dass sie Leute des Terrors sind, und bei Allah was ist das anderes, ich meine wieviel Kinder haben sie getötet, was habt ihr gehört? Wie viele Kinder? Sind die Kinder von Hamas, sind das Kinder von Hamas? Also geht es um Hamas oder um wen geht es? Es geht ihnen um? Um die Palästinenser im Allgemeinen. Es geht ihnen darum ..." (Livestream auf YouTube am 03.11.2023, DMG Braunschweig, "Kann Palästina den Krieg gewinnen?") Mit seinen Aussagen versucht der Prediger den Verteidigungskrieg Israels, ausgelöst durch die Terrorakte der HAMAS, als einen brutalen und ungerechtfertigten Angriffskrieg gegen die Palästinenser darzustellen, um eine Täter-Opfer-Umkehr im Bewusstsein der Zuhörer zu erwirken. Es soll das Narrativ eines Vernichtungskrieges Israels gegen die palästinensische Zivilbevölkerung suggeriert werden. Eine objektive Darstellung des aktuellen Konfliktes oder zumindest eine klare und unmissverständliche Abgrenzung von dem Terrorangriff der HAMAS wird dabei gezielt vermieden. Vielmehr handelt es sich hier um eine bewusste manipulative Verzerrung des Konfliktes, um das von salafistischen Kreisen propagierte Opfernarrativ zu festigen und weiter zu verbreiten. Die DMG Braunschweig betrieb auch Infostände unter dem Motto "Aufklärung über den Islam". Diese wurden zuletzt durch die Stadt Braunschweig auf Basis des SS 18 Abs. 1a NStrG aufgrund des Extremismusbezuges nicht mehr genehmigt. Das dort verteilte Material umfasste zum Teil Ansichten, die mit einer liberalen Gesellschaft nicht vereinbar sind. So wurden in den Publikationen das Auspeitschen und Amputieren von Gliedmaßen als von Gott festgelegte Strafen postuliert, eine Unterordnung der Frau legitimiert oder der kämpferische Jihad als Pflicht zur Verteidigung des Islams oder der muslimischen Länder gerechtfertigt. Die DMG Braunschweig ist zwar zuletzt nicht mehr mit Infoständen in Erscheinung getreten, jedoch wurden im Jahr 2023 bundesweit mehrere Dawa-Initiativen festgestellt, die einen Bezug zur DMG Braunschweig 249 Islamismus haben. Diese treten mit unterschiedlichen Namen auf, die ausgelegten Infomaterialien sind jedoch zum Großteil identisch mit denen der DMG Braunschweig bzw. wurden von dieser herausgegeben. Häufig sind in diese Dawa-Projekte auch Prediger involviert, die regelmäßig in der DMG Braunschweig auftreten. Somit können diese Infostände als überregionale Ausweitung der Dawa-Aktivitäten der DMG Braunschweig verstanden werden, was einmal mehr ihre große Bedeutung für die salafistische Szene in ganz Deutschland dokumentiert. 4.5 Islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist nach wie vor eine Gefahr für die Innere Sicherheit Europas und Deutschlands. Diese Gefahr realisierte sich auch 2023 weiterhin durch Anschläge und Anschlagsversuche. Die Aktivisten des islamistischen Terrorismus sind überwiegend von der jihadistisch salafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren die Bedrohung der islamischen Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA. Um die von ihnen angestrebten Lebensumstände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Überlegenheit des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Terroristische Organisationen "Al-Qaida" "Al-Qaida" hat seit ihrer Gründung in den 1980er-Jahren durch Usama Bin Ladin das Ziel der Bekämpfung von "Ungläubigen". Neben unzähligen weltweit verübten Anschlägen von "al-Qaida", gelten die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington zweifelsfrei als die verheerendsten auf die westliche Welt. Die damit 250 Islamismus einhergehende Bekämpfung der Terrororganisation - vor allem durch die USA - führte dazu, dass "al-Qaida" ihre Struktur vom einheitlichen stark hierarchischen Gebilde hin zur Regionalisierung in mehrere lokal verankerte terroristische Organisationen veränderte. Die folgende Aufzählung zeigt einige der weltweit agierenden "al-Qaida"-Ableger: f Die "al-Shabab" gilt in Afrika als eine der berüchtigtsten Terrororganisationen mit dem Ziel, einen islamischen Staat zu etablieren. Die Organisation gilt seit 2012 als "al-Qaida"-Ableger vor allem in den Ländern Somalia und Kenia. f Ein weiterer "al-Qaida"-Ableger ist "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM), der vor allem in den Maghreb-Staaten und in der Sahelzone aktiv ist und dort regelmäßig Anschläge verübt. f Der Ableger "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) ist vor allem im Jemen aktiv und konnte die prekäre Lage im JemenKrieg für seine Etablierung im Land nutzen. Die Schlagkraft von AQAH wurde insbesondere durch den Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris am 07.01.2015165 deutlich, für den sie die Verantwortung übernahm. f Mit der "Jabhat al-Nusra" (JaN, auch: "al-Nusra Front") ist "alQaida" seit 2011 in dem weltweit wohl bedeutendsten Jihadschauplatz in Syrien und im Irak vertreten. 2016 trennte sich die JaN formal von "al-Qaida" und nannte sich fortan "Jabhat Fatah al-Sham" (JFS, "Front für die Eroberung der Levante"). Im Jahr 2017 wurde der organisatorische Dachverband "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS, "Organisation zur Befreiung der Levante") gegründet, der mehrere terroristische Milizen - u. a. auch die JFS als stärkstes Mitglied - vereint. Dabei löste sich HTS sowohl ideologisch als auch strategisch zunehmend von "al-Qaida" und verfolgt eine primär lokale Agenda. Dies führte zur Gründung der "al-Qaida"-nahen Gruppierung "Tanzim Hurras al-Din" (THD). Ferner steht HTS dem IS feindlich gegenüber und hat ihn als bedeutendste jihadistisch ausgerichtete Gruppierung in Syrien abgelöst. f Die Gruppierung "Tanzim Hurras al-Din" (THD) trat erstmals im Februar 2018 in Syrien in Erscheinung und besteht vor allem 165 Der Hauptangeklagte wurde am 16.12.2020 in Paris zu 30 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 251 Islamismus aus ehemaligen Mitgliedern der HTS, die "Kern-al-Qaida" ihre Treue schworen. Somit gilt THD als lokaler "al-Qaida"-Ableger in Syrien. f Die Gruppierung "al-Qaida auf dem indischen Subkontinent" (AQIS) wurde im Jahr 2014 gegründet und gilt als "al-Qaida"Ableger in Südasien. Ihr Ziel ist es u. a., ein islamisches Kalifat zu errichten und die Scharia166 einzuführen. Neben den "nahen" Feinden, wie das pakistanische Militär, extremistische Hindus in Indien und die Regierungen in Bangladesch und Myanmar definiert AQIS die USA, Israel und darüber hinaus alle Christen und Juden als "fernen" Feind. f Außerdem unterhält "al-Qaida" gute Beziehungen zu Bereichen der "Taliban", die seit Jahrzehnten vor allem in Afghanistan und in den umliegenden Ländern unzählige Terroranschläge verüben und seit August 2021 Afghanistan faktisch regieren. Oft besteht zwischen den "al-Qaida"-Ablegern eine intensive Verbindung zwecks gegenseitigen Trainings oder Waffenhandels. Im Vergleich zum Beginn der 2000er Jahre geht die eigentliche Gefahr von "al-Qaida" inzwischen von den lokalen Ablegern aus. Diese Organisationen berufen sich - neben einer jeweils eigenen regionalen Agenda - auf die "al-Qaida"-Ideologie des globalen militanten Jihad. Auch die Tötung des "Kern-al-Qaida"-Chefs Ayman az-Zawahiri am 31.07.2022 durch einen US-Drohnenanschlag in Kabul hatte kaum Einfluss auf die terroristischen Ak tivitäten des globalen "alQaida" N et z werk s, zumal az-Zawahiri in den letzten Jahren nur noch wenig öffentlich in Erscheinung getreten ist. Offiziell hat "al-Qaida" nach wie vor keinen Nachfolger für az-Zawahiri ernannt, auch wenn die USA und die Vereinten Nationen inzwischen den Ägypter Saif al-Adel als neuen Führer der Terrororganisation ansehen. "Islamischer Staat" (IS) Nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins im Jahr 2003 entstand im Irak ein Machtvakuum, in dem sich der Ableger "alQaida im Irak" (AQI) unter der Führung von Abu Musab az-Zarqawi behaupten konnte. Nach innerorganisatorischen Differenzen übernahm Abu Bakr al-Baghdadi im Jahre 2010 die Führung dieser 166 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 252 Islamismus Organisation. Al-Baghdadi konnte immer mehr lokale Jihadisten für sich gewinnen und ging Allianzen mit anderen jihadistischen Organisationen ein. Infolge ihrer finanziellen und strukturellen Stärke baute die Gruppierung ihre Macht aus und sagte sich 2013 mit der umbenannten Terrororganisation "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIL) von "al-Qaida" los, womit sie fortan im Konflikt zu "Kern-al-Qaida" und den "al-Qaida"-Ablegern stand. Aufgrund der militärischen Erfolge und einer massiven und professionellen weltweiten Propaganda strömten tausende von europäischen Freiwilligen nach Syrien und in den Irak, um sich dort dem Kampf für einen islamischen Staat anzuschließen. Die Zahlen stiegen insbesondere, als sich die Organisation in "Islamischer Staat" umbenannte und am 29.06.2014 das Kalifat ausrief. Mit dessen Ausrufung beanspruchte al-Baghdadi, nunmehr als Kalif Ibrahim auftretend, die Oberhoheit über alle Muslime weltweit. In der darauffolgenden Zeit etablierte der sogenannte Islamische Staat (IS) in den von ihm eroberten Gebieten mit brutaler Gewalt eine Flagge des IS; in DeutschStaatlichkeit nach den vermeintlich wahren islamischen Prinzipien. land verboten Die Ende 2014 gegründete Internationale Allianz gegen den IS konnte die Terrororganisation dahingehend bekämpfen, dass alBaghdadi Ende Februar 2017 in einer Ansprache vor Anhängern die militärische Niederlage einräumte und die Kämpfer aufforderte, sich in unzugänglichen Bergregionen zu verschanzen. Im Laufe des Jahres 2017 verlor der IS den Großteil des bislang von ihm kontrollierten Territoriums, sodass der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi den IS im Irak für besiegt erklärte. Die andauernde Bekämpfung des IS führte darüber hinaus dazu, dass im Rahmen einer US-Militäroperation am 26.10.2019 al-Baghdadi getötet wurde. Die Nachfolger al-Baghdadis betonten jedoch, die Mission des IS weiterführen zu wollen und rufen nach wie vor zu weltweiten Anschlägen auf. IS-Anhänger wurden aufgefordert, gefangene Kämpfer zu befreien und neue Anhänger zu werben. Auf den territorialen Totalverlust des Kalifats reagierte der IS mit einer Änderung seiner Operationsweise, weg vom Staatsbildungsprojekt, zurück zu einer im Untergrund agierenden Terrororganisation. Durch den massiven militärischen Druck hat der IS zahlreiche Kämpfer und 253 Islamismus materielle Ressourcen verloren, wodurch er deutlich an Handlungsfähigkeit eingebüßt hat. Dennoch konnte der IS auch im Jahre 2023 seine Wirkmächtigkeit unter Beweis stellen und teils komplexe und aufwändige Terroranschläge in Syrien und im Irak verüben. So verübte der IS am 17.02.2023 einen Anschlag in der Stadt Al Suchna in der Provinz Homs (Syrien), bei dem mindestens 53 Menschen getötet wurden. Ein weiterer Angriff fand am 10.08.2023 in Deir Az-Zor (Syrien) statt, bei dem 33 syrische Soldaten getötet wurden. Der IS entfaltet seit seiner Gründung eine starke Strahlkraft auch für die Bundesrepublik Deutschland. Seit Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak sind mit Stand Ende 2023 1.150 deutsche Islamistinnen und Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak ausgereist. Zu etwa 65 Prozent dieser gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, wonach sie u. a. auf Seiten des IS oder der "al-Qaida" an Kampfhandlungen teilgenommen oder diese in sonstiger Weise unterstützt haben. Etwa 40 Prozent der ausgereisten Personen befindet sich mittlerweile wieder in Deutschland. Aus Niedersachsen sind 85 Personen in das Krisengebiet ausgereist, von denen mittlerweile 43 nach Deutschland zurückgekehrt sind. Obgleich der IS in Syrien und im Irak sein Herrschaftsgebiet verloren hat, stärkt er die Präsenz in seinen Außengebieten umso intensiver. Der IS spricht von weltweit 20 Provinzen außerhalb von Syrien und des Irak, in denen er durch regionale Ableger vertreten sei. Oft handelt es sich hierbei um lokale, bereits bestehende Terrororganisationen, die sich dem IS anschließen und in seinem Namen Terroranschläge verüben. Außer mit eigenem Propagandamaterial unterstützt der IS seine lokalen Ableger mit finanziellen Mitteln, die nicht nur zur Umsetzung von Terroranschlägen dienen sollen, sondern ebenfalls zur Rekrutierung neuer Mitglieder sowie zur Behauptung des Einflussgebietes gegenüber konkurrierenden Terrororganisationen. IS-Ableger sind unter anderem in einigen Ländern Asiens vertreten, wie in Afghanistan, Indonesien, Indien oder auf den Philippinen, aber auch in Afrika. Hier konnte sich der IS vor allem in Nordafrika, der Sahelzone, der Tschadseeregion und in Ägypten ausbreiten. In all diesen Gebieten existiert ein idealer Nährboden für den Aufstieg des IS, wie Korruption, schwache oder gescheiterte Regierungen und ethnische und religiöse Konflikte. 254 Islamismus Auch im Jahr 2023 sind weltweit zahlreiche Terroranschläge dem IS zuzuschreiben, die oft von eben diesen IS-Ablegern verübt wurden. Besonders betroffen von IS-Anschlägen ist Afghanistan. Im Jahr 2015 rief der IS die Provinz Khorasan als regionalen Ableger für Afghanistan und Pakistan (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan, ISPK) aus und verübte dort zahlreiche Anschläge insbesondere gegen Schiiten und seit ihrer Machtübernahme auch gegen die "Taliban". So bekannte sich der ISPK zu einem Anschlag am 11.01.2023 in Kabul, bei dem ein Selbstmordattentäter mindestens fünf Menschen getötet haben soll. Bei einem weiteren Anschlag des ISPK am 08.11.2023 ebenfalls in Kabul starben sieben Menschen. Der ISPK gilt damit als einer der derzeit am schnellsten wachsenden und schlagkräftigsten IS-Ableger weltweit. Andere Schwerpunkte von IS-Attentaten sind afrikanische Staaten. Z. B. verübte am 10.03.2023 die IS-nahe Terrororganisation "Boko Haram" in der nigerianischen Ortschaft Diwak in Grenznähe zum benachbarten Tschad einen Anschlag, bei dem 29 Menschen starben. Weitere Jihadschauplätze finden sich insbesondere in Indien, Indonesien, im Jemen, in Libyen, Pakistan, auf den Philippinen, in der Sahelregion und in Sri Lanka, wo der IS nach wie vor präsent ist. Das Ziel der Anschläge ist nicht nur, die Zielländer zu destabilisieren, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein zu bleiben und die Effektivität der eigenen Organisation zu demonstrieren. Jihadistische Organisationen wie der IS reklamieren Attentate für sich in der Hoffnung, mögliche finanzielle Unterstützer, z. B. aus den Golfstaaten für sich gewinnen zu können. "Taliban" Die "Taliban"-Bewegung wurde Anfang der 1990er Jahre in Pakistan gegründet und setzte sich aus paschtunisch-afghanischen Flüchtlingen und Veteranen des Krieges gegen die Sowjetunion zusammen. Nachdem die "Taliban" ab 1994 weite Teile Afghanistans eroberten und sich ihnen zahlreiche Jihadisten anschlossen, riefen sie im Jahr 1996 das "Islamische Emirat Afghanistan" aus. Unter ihrer Herrschaft wurde das Land autoritär regiert und jegliche Opposition brutal unterdrückt. Sie führten die Scharia167 ein, was zu umfang167 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 255 Islamismus reichen Einschränkungen, insbesondere für Frauen und Mädchen, führte. Unter der "Taliban"-Herrschaft fand "al-Qaida" unter der Führung von Usama Bin Ladin einen sicheren UnterFlagge der Taliban schlupf und konnte sich mit der staatlichen Unterstützung der "Taliban" zu einer schlagkräftigen internationalen Terrororganisation entwickeln und die Terroranschläge vom 11.09.2001 vorbereiten und ausführen. Aufgrund dieser Unterstützung wurden neben "al-Qaida" auch die "Taliban" zum Ziel des Anti-Terror-Kampfes der USA. Nach 9/11 intervenierten die USA und weitere Verbündete militärisch, woraufhin die "Taliban"-Herrschaft bereits Ende 2001 beendet wurde und zahlreiche Anhänger vor allem nach Pakistan flüchteten. In den darauffolgenden Jahren entwickelten sich die "Taliban" zu einer brutalen Terrororganisation, die weiterhin bemüht war, Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei verstrickten sie die internationalen Truppen in einen Guerillakrieg und nutzten insbesondere Selbstmordattentäter, um nicht nur ihre Feinde, sondern auch die Stabilität des gesamten Landes zu schwächen. Nach einem UN-Bericht waren die "Taliban" in dem 20 Jahre andauernden Bürgerkrieg für circa 75 Prozent der zivilen Opfer verantwortlich. Nach knapp 20 Jahren führten die USA und die "Taliban" erstmals Gespräche mit dem Ziel, Frieden in das vom Bürgerkrieg geplagte Land zu bringen. In dem sogenannten Abkommen von Doha wurde im Jahr 2020 eine Friedensvereinbarung getroffen, die Sicherheitszusagen seitens der "Taliban" und den Abzug aller USund internationalen Truppen regelten. Danach gab es zwar eine weitgehende Waffenruhe zwischen den "Taliban" und den USA und deren Verbündeten, jedoch bemühten sich die "Taliban" weiterhin, Gebiete in Afghanistan zu erobern und verübten zahlreiche Terroranschläge gegen die afghanischen Streitkräfte. Zum 31.08.2021 wurden entsprechend des Doha-Abkommens alle USund internationalen Truppen aus Afghanistan abgezogen. In der Folge konnten die "Taliban" innerhalb weniger Tage fast das gesamte Land erobern. Die meisten Gebiete wurden kampflos übergeben. Während die "Taliban" schließlich Mitte August 2021 Kabul kampflos einnahmen, floh der afghanische Präsident aus dem 256 Islamismus Land. Die "Taliban" erklärten sich zum Sieger und riefen, wie bereits 1996 erneut das "Islamische Emirat Afghanistan" aus. Seit deren Machtergreifung werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen registriert. U. a. werden die Rechte von Frauen und Mädchen immer stärker eingeschränkt, Medien unterdrückt und vermeintliche Kritikerinnen und Kritiker mundtot gemacht. Bei Verstößen droht die Religionspolizei mit zum Teil öffentlichen Prügelstrafen, Auspeitschungen, Verstümmelungen oder Gefängnis. Terror-Propaganda Terrororganisationen nutzen ganz intensiv das Internet zur Verbreitung ihrer jihadistischen Propaganda. Allen voran sind auch hier "al-Qaida" und der IS zu nennen, die unterschiedliche Formate wie Bilder, Videos, Zeitschriften, Anschlagsberichte und Interviews über soziale Netzwerke im Internet verbreiten. Zur Bedeutung der Online-Propaganda sagte bereits der "al-Qaida"Gründer Usama Bin Ladin: "Es ist offensichtlich, dass in diesem Jahrhundert der Medienkrieg die stärkste Waffe ist." Und tatsächlich besagen zahlreiche Studien, dass die langjährige Existenz von terroristischen Organisationen allein aufgrund der Möglichkeiten des Internets und der damit verbundenen weltweiten Vernetzung möglich ist. Die jihadistische Propaganda dient oft der Verbreitung der eigenen Ideologie, Einschüchterung, Rekrutierung neuer Mitglieder und letztlich der Ausdehnung des eigenen Einflussgebietes. Für die Terrororganisationen hat das Internet als Propaganda-, Rekrutierungsund Ausbildungsinstrument für Jihadisten eine überaus wichtige Funktion. Propagandaaktivitäten im Netz werden in internen Kreisen sogar als eine Form des Jihads anerkannt. Jihadisten nutzen die Möglichkeiten des Internets gezielt und fachkundig und reagieren schnell auf aktuelle Entwicklungen. Anhänger und Sympathisanten der Szene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen können, spielen eine bedeutende Rolle im virtuellen Raum und leisten einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des globalen Jihads. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass in Terrororganisationen überaus viele Ingenieure und Informatiker vertreten sind, die über eine entsprechende IT-Kompetenz verfügen. 257 Islamismus Maßgeblich für die weltweite Verbreitung und Wirksamkeit der Jihadpropaganda war, dass die Terrororganisationen ihre Publikationen zunehmend auch in englischer und später noch in weiteren westlichen Sprachen veröffentlichten. So konnten sie ihren Einfluss auf die Radikalisierung von Islamisten weltweit ausdehnen. In zahlreichen Artikeln wurde zudem detailliert die Funktionsweise von Sprengstoff und die Planung von Anschlägen erklärt, was die Hürden zur Durchführung von Anschlägen für radikalisierte Einzelpersonen maßgeblich reduziert hat. Ein Beispiel hierfür ist der Artikel in einem "al-Qaida"Magazin mit dem Titel "How to make a Bomb in the Kitchen of your Mom". Zwischenzeitlich existierten mehrere professionell aufgemachte und in verschiedene Sprachen übersetzte Online-Zeitschriften von "alQaida" und dem IS. Mit der Zurückdrängung dieser Terrororganisationen haben sich Umfang und Frequenz der Veröffentlichungen deutlich reduziert. Stattdessen greifen die internationalen Terrororganisationen auf die Praxis zurück, Rohmaterial zur Verfügung zu stellen, das ihre Anhänger dann entsprechend aufbereiten und u. a. über ihre Telegram-Kanäle weiterverbreiten. Dabei handelt es sich um gewaltverherrlichende Bilder, Videos und Audiodateien, aber auch Anleitungen zum Bombenbau und klare Aufrufe zu Anschlägen. Im Mittelpunkt der Propaganda der internationalen Terrororganisationen stand zuletzt weniger die Ausreise in die Jihadgebiete, sondern vielmehr der Aufruf, einfach umzusetzende Einzeltäteranschläge mit möglichst leicht zu beschaffenden Hilfsmitteln zu verüben. Anschläge in Europa Vor allem zum Ende des Jahres 2023 wurde wieder eine zunehmende Zahl islamistischer Anschläge in Europa verübt. Dies liegt maßgeblich an der jihadistischen Propaganda, die den Westen zunehmend in ihren Fokus nimmt, sowie einzelnen Ereignissen wie Koranverbrennungen und der Eskalation des israelischpalästinensischen Konflikts, die durch die Terrororganisationen bewusst emotionalisiert dargestellt wurden, um ihre Anhänger zu mobilisieren. 258 Islamismus f Am 09.04.2023 erstach ein 27-jähriger Syrer einen 35-Jährigen in Duisburg mit einem Messer und griff am 18.04.2023 vier Personen in einem Duisburger Fitnessstudio an. Der 27-Jährige soll sich zum IS bekannt und im Internet radikalisiert haben. Am 19.12.2023 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Täter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung. f Am 13.10.2023 drang ein 20-jähriger als radikalisierter Gefährder bekannter Mann in eine Schule in Arras (Nordfrankreich) ein und erstach einen Lehrer. Drei weitere Personen, eine weitere Lehrkraft und ein Mitarbeiter der Schule, wurden schwer verletzt. f Am 16.10.2023 eröffnete ein 45-jähriger Tunesier in Brüssel das Feuer auf drei schwedische Fußballfans. Der in Tunesien wegen versuchten Mordes zu mehr als 26 Jahren Haft verurteilte Attentäter hielt sich illegal in Belgien auf, tötete bei diesem Anschlag zwei schwedische Staatsbürger und verletzte einen schwer. Vermutlich war das Attentat eine Reaktion auf zuvor in Schweden erfolgte Koranverbrennungen. In einem Bekennervideo des Täters, das nach der Tat im Internet kursierte, gab der Täter an, vom IS inspiriert worden zu sein. f Am 02.12.2023 wurde ein 26-Jähriger in Paris (Frankreich) festgenommen. Dieser griff am selbigen Tag mehrere Menschen an und tötete dabei einen deutschen Touristen unweit des Eiffelturms. In einem Video hatte sich der Täter zuvor zum IS bekannt. Motiv seines Anschlags sei der Tod von Muslimen in Gaza und Afghanistan gewesen. 259 Islamismus Vereitelte Anschläge in Deutschland Neben den Anschlägen in Europa gab es im Jahr 2023 auch zahlreiche Anschlagsplanungen tatgeneigter Islamisten, die frühzeitig aufgedeckt oder in einem konkreten Vorbereitungsstadium vereitelt wurden. In Deutschland waren dies u. a. die folgenden Fälle: f Am 08.01.2023 wurde ein Iraner aus Castrop-Rauxel (Nordrhein-Westfalen) festgenommen und am 23.11.2023 durch das Landgericht Dortmund zu vier Jahren Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Er hatte einen islamistisch motivierten Anschlag mit Giftstoff geplant und sich in diesem Zusammenhang im Internet über die Herstellung von Rizin und Cyanid erkundigt. f Am 25.04.2023 wurden zwei syrische Brüder im Alter von 24 und 29 Jahren festgenommen. Der 29-jährige in Hamburg wohnhafte Syrer soll einen Anschlag auf eine Kirche in Schweden geplant und über einen Messenger-Dienst in Verbindung zu einer Kontaktperson des IS gestanden haben. Motiv der Tat sei die Koranverbrennung in Schweden gewesen. Wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie wegen Terrorismusfinanzierung wurde der 29-Jährige zu vier Jahren und neun Monaten Haft und sein jüngerer Bruder wegen Beihilfe zur Terrorismusfinanzierung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. f Am 06.07.2023 wurden in Nordrhein-Westfalen sieben mutmaßliche Mitglieder des IS festgenommen. Die Gruppierung stand demnach in Kontakt mit im Ausland befindlichen Mitgliedern des regionalen IS-Ablegers "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK). Zur Umsetzung von Terroranschlägen sollen die Beschuldigten Anschlagsobjekte in Deutschland ausgekundschaftet haben. f Am 21.11.2023 wurde ein Iraker aus Sachsen-Anhalt in Helmstedt festgenommen, da der dringende Verdacht bestand, dass er einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt plante. Der Beschuldigte wurde am 15.12.2023 aus dem Polizeigewahrsam in den Irak abgeschoben. f Am 29.11.2023 wurden zwei Jugendliche in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg festgenommen. Beide sollen Anschläge auf einen Weihnachtsmarkt in Köln geplant haben. Einer der beiden soll Sympathien für den IS geäußert haben. 260 Islamismus f Am 14.12.2023 wurden vier mutmaßliche Mitglieder der terroristischen Vereinigung HAMAS festgenommen, drei davon in Berlin und eines in Rotterdam (Niederlande). Die Beschuldigten sollen Waffen nach Berlin verbracht haben, um diese für Anschläge gegen jüdische Einrichtungen bereitzuhalten. Islamistisch-terroristische Szene in Deutschland Die geplanten Anschläge zeigen, dass auch in Deutschland Einzelpersonen und Kleingruppen ansässig sind, die an eine terroristische Organisation angebunden sind oder sich durch digital verfügbares Propagandamaterial haben indoktrinieren lassen. Die islamistischterroristische Szene in Deutschland spiegelt dabei die Heterogenität der globalen jihadistischen Bewegung wider. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistisch-terroristischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Kleingruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische Organisation angebunden sind, aber deren Ideologie vertreten und im Sinne der von "al-Qaida" oder dem IS vorgegebenen Leitlinien agieren. Die Rekrutierung und Mobilisierung dieser Personen erfolgt einerseits durch die massive Internetpropaganda der internationalen islamistischen Terrororganisationen für einen individuellen militanten Jihad im Westen. Andererseits können dichotom vermittelte Weltbilder und erzeugte Bedrohungsszenarien heimischer Akteure und Prediger zu einer Radikalisierung mit dem Wunsch führen, aus der vermeintlich wahrgenommenen Ungerechtigkeit mittels Gewalt auszubrechen. Die Erklärung, Andersgläubige seien für die vermeintlichen Missstände und Unterdrückung verantwortlich, weist diese als Zielgruppe für Anschläge aus. Dass die Gefährdungslage in Deutschland weiterhin hoch ist, zeigen nicht nur Festnahmen mutmaßlicher Mitglieder von Terrororganisationen wie der HAMAS und des ISPK, sondern auch die im Jahr 2023 von Einzeltätern verübten Anschläge in Schweden und Frankreich. Hoch emotionalisierende Ereignisse, wie z. B. die Koranverbrennungen oder der israelisch-palästinensische-Konflikt können dazu führen, dass Einzelpersonen im Angesicht vermeintlich wahrgenommener Ungerechtigkeit die Anwendung von Gewalt als legitim und notwendig erachten. Das Gefahrenpotenzial solcher 261 Islamismus Personen ist nur schwer zu erfassen und führt deshalb zu einer erhöhten Bedrohungslage für Deutschland. Die seit Jahren bestehende Drohkulisse islamistischer Terrororganisationen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und das Vorliegen entsprechender Gefährdungshinweise lassen sich aber auch anhand von Zahlen festmachen. Zum Ende des Jahres 2023 liegt das durch die deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistisch-terroristische Personenpotenzial bei rund 1.700 Personen (Stand 16.11.2023). Dabei handelt es sich sowohl um den polizeilich definierten Personenkreis der "Gefährder" und "Relevanten Personen", als auch um die durch die Verfassungsschutzbehörden darüber hinaus als gewaltbereit eingeschätzten Personen. Anschlagsgeschehen/Modus Operandi Die im Jahr 2023 und auch in den Vorjahren verübten Anschläge zeigen durchgehend einen Modus Operandi, der genau den in der jihadistischen Propaganda dargestellten Methoden entspricht. Demnach sollen sich Anschläge durch eine unspezifische Opferauswahl, unterschiedliche Anschlagsorte, lose bis gar keine Kommandostrukturen und eine einfache Durchführbarkeit auszeichnen. Dieses Vorgehen entpuppt sich für die islamistischen Terroristen zunehmend als überaus effektive Strategie: Alle Anschläge wurden von radikalisierten Einzelpersonen oder Kleingruppen begangen. Dabei wurden überwiegend leicht zu beschaffende und sehr effiziente Tatwaffen wie Messer oder Kraftfahrzeuge eingesetzt. Dieses Vorgehen erfordert einen geringeren Planungsaufwand und reduziert das Risiko einer Aufdeckung der Planungen durch die Sicherheitsbehörden im Vorfeld der Tat. Terrororganisationen veröffentlichen regelmäßig Handlungsempfehlungen für derartige Anschläge, die einen größtmöglichen Schaden anrichten sollen. So heißt es in einer Ausgabe der ISZeitschrift "Rumiyah" zu Anschlägen mit Kraftfahrzeugen, dass am besten hierfür ein "doppelrädriger Lastwagen" geeignet sei, der ein "leicht angehobenes Fahrgestell und Stoßstangen" sowie eine "gute Beschleunigung" aufweisen sollte. Derjenige, der auf diese Weise einen Anschlag durchführen wolle, könne einen entsprechenden Lkw kaufen, mieten oder ihn sich "mit Gewalt oder 262 Islamismus Täuschung" von einem "Kafir" (= Ungläubiger) beschaffen. Ebenso gibt es Anweisungen zu Angriffen mit Hiebund Stichwaffen. Der IS veröffentlichte z. B. Videos, in denen die Auswahl der richtigen Stichwaffe und der Einsatz von Messern in den unterschiedlichen Körperregionen erklärt wird, um den angegriffenen Personen größtmöglichen Schaden zuzufügen. Diese Vorgehensweise von Einzeltätern oder Kleingruppen ist u. a. auf den bereits im Jahr 2012 im "al-Qaida"-Propagandamagazin "Inspire" veröffentlichten Aufruf des Jihadtheoretikers Abu Mus'ab al-Suri, der den individuellen Jihad in den westlichen Ländern als eine der wichtigsten Strategien ansieht, zurückzuführen: "Das Fundament der operativen Aktivität ist, dass der Mujahid den individuellen Jihad in dem Land praktiziert, in dem er lebt, so dass er den Aufwand einer Reise in das Gebiet, wo der Jihad direkt praktiziert wird, nicht auf sich nehmen muss." (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) "Ideale Ziele" seien nach Meinung von al-Suri: "1. Große Veranstaltungen im Freien, Kongresse, Feiern und Paraden 2. Überfüllte Fußgängerzonen (Hauptstraßen) 3. Märkte im Freien 4. Kundgebungen im Freien" (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) Täterprofile Die Anschläge der letzten Jahre lassen drei spezifische Profile von islamistischen Attentätern erkennen: f Home-grown-terrorism (einheimischer Terrorismus): Dieser Tätertyp ist im Land des Anschlagsziels aufgewachsen und gilt als eine in der Gesellschaft integrierte Person. Bei diesem Täterprofil kann es sich sowohl um dort aufgewachsene Einwanderer als auch um Konvertiten handeln. f Einsamer Wolf (lone wolf terrorism): Dieser Tätertyp bezeichnet eine Einzelperson, die sich selbst - vor allem über das Internet - radikalisiert und selbstständig einen möglichen Anschlag plant, vorbereitet und ausführt. Ferner wird 263 Islamismus umfangreicher Kontakt zu Gleichgesinnten vermieden. Da die Kommunikation dieses Tätertyps eng begrenzt ist, sind "einsame Wölfe" im Vorfeld schwer zu erkennen. f Personen mit Kampferfahrung aus Jihadgebieten: Bei diesem Tätertyp handelt es sich um Personen, die bereits eine Ausbildung durch eine jihadistische Terrororganisation erhalten haben und nun als Flüchtling oder Jihadrückkehrer im Westen leben. Entweder verfolgen sie eine langfristige Agenda oder externe Einflüsse veranlassen sie kurzfristig, ihr erworbenes Wissen im Sinne einer jihadistischen Organisation für einen Anschlag anzuwenden. Psychische Auffälligkeiten Trotz jahrzehntelanger Forschung zu den Zusammenhängen zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Anschlägen konnten bisher keine eindeutigen Beweise dafür vorgelegt werden. In einer der wenigen phänomenübergreifenden Studien, die sich mit verschiedenen Tätertypen beschäftigt, zeigt sich jedoch, dass im Feld der Einzeltäter psychische Erkrankungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung durchaus häufiger festgestellt wurden, ebenso wie im Vergleich zu in Gruppen agierenden Tätern.168 Sofern bei den Attentätern Hinweise auf psychische Auffälligkeiten vorlagen, waren diese meist nicht offiziell diagnostiziert. Oft sprechen Angehörige oder Bekannte erst nach der Tat von "psychischen Auffälligkeiten". Gründe für eine Radikalisierung und die Tatumsetzung lassen sich häufig aber auch in den zerrütteten Biografien der Attentäter finden, ähnlich wie bei allgemeinkriminell auffällig gewordenen Personen. Ob und inwieweit Personen mit psychischen Erkrankungen anfälliger für extremistische Ideologien und/oder Gewalt sind, bedarf weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen. Die letzten islamistisch motivierten Anschläge in Deutschland und Europa wurden von Einzeltätern begangen. Die Sicherheitsbehörden stellt das vor die Herausforderung zu beurteilen, ob eher die Verhaftung in der islamistischen Ideologie oder die psychische Erkrankung ursächlich für die Tat war. Häufig sind Personen, die nicht in die westlichen Gesellschaften integriert sind, anfälliger 168 Corner, E., Gill, P. (2015): A False Dichotomy? Mental Illness and Lone-Actor Terrorism. In Law and Human Behavior, Bd. 39, Nr. 1, S. 23-24. 264 Islamismus für Propaganda islamistischer Terrororganisationen. Psychische Probleme können die Anfälligkeit bei diesem Personenkreis durchaus verstärken. Dieser Umstand wurde insbesondere bei den Messerangriffen in Bayern im Jahr 2021 deutlich. Im Juni 2021 griff ein junger, aus Somalia stammender Mann mehrere Passanten in der Würzburger Fußgängerzone mit einem Messer an und tötete dabei drei Personen. Bereits kurz nach der Tat wurde diese als islamistisch motivierter Anschlag eingestuft. Im Zuge der Ermittlungen ergaben sich jedoch vermehrt Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Mannes. Im Gerichtsprozess wurde dem Mann Schuldunfähigkeit attestiert und eine unbefristete Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie angeordnet. Ein islamistischer Tathintergrund wurde ausgeschlossen. Besonders ist in diesem Fall, dass bereits vor der Tat eine offizielle Diagnose bezüglich einer psychischen Erkrankung vorlag und der Attentäter bereits mehrfach in Behandlung war. Als im November 2021 ein damals 27-Jähriger in einem ICE bei Passau mehrere Menschen mit einem Messer angriff und sich direkt nach der Tat selbst als "krank" bezeichnete, rückte ein islamistisch motiviertes Tatmotiv vorerst in den Hintergrund. Im Laufe der Ermittlungen wurde jedoch deutlich, dass der Angreifer aus eindeutig islamistisch motivierten Gründen gehandelt hatte. Die Ermittelnden fanden jihadistisches Propagandamaterial bei dem Attentäter. Zudem soll der Täter eigenen Angaben zufolge seine Erkrankung nur vorgetäuscht haben. Der genaue Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung, Radikalisierung und Gewaltausübung ist bislang noch nicht ausreichend aufgeklärt. Da Islamisten oft traditionelle Heilmethoden und mystische Erklärungen für psychische Krankheitssymptome bevorzugen, bleiben psychische Erkrankungen oft unerkannt und/ oder werden falsch behandelt. Auch wenn derzeit keine validen Daten vorliegen, nach denen islamistisch motivierte Anschläge mehrheitlich von psychisch auffälligen Personen verübt werden, wird das mögliche Zusammenspiel zwischen Radikalisierung, Gewaltanwendung und psychischen Erkrankungen die Sicherheitsbehörden weiterhin beschäftigen. 265 Islamismus 4.6 Muslimbruderschaft (MB) Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 195 Publikationen: Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Kurzportrait/Ziele: Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islams" bezeichnete "Muslimbruderschaft" (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Die MB ist nach eigenen Angaben in über 70 Ländern präsent, in Deutschland u. a. durch die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), die sich 2018 in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt hat. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia169 als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islams" verstanden. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: 169 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 266 Islamismus "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970 -1981]"; Berlin 1994, Seite 29) Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische Gruppen beeinflusste. Nach eigenen Angaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Nach nur einjähriger Präsidentschaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit reagierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Die massiven Proteste von Anhängern der MB gegen die Absetzung Mursis wurden vom Militär niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regierung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der sogenannte Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Der derzeitige Murschid Amm, Muhammad Badie, wurde nach dem Sturz Mursis inhaftiert und zum Tode verurteilt, aber bislang nicht hingerichtet. 267 Islamismus Die "Muslimbruderschaft" in Deutschland und in Niedersachsen Bereits der im September 2022 in Doha verstorbene Yusuf alQaradawi, ein weiterer einflussreicher Vordenker der weltweit agierenden MB, bemerkte, "der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf" und formulierte damit das Ziel seiner Bewegung: Eine friedliche Eroberung durch Mission und gezieltes Engagement, eine "Islamisierung von unten". Dabei setzt die MB auf eine Durchdringung der Gesellschaft durch eine geschulte muslimische Elite, die einerseits als Vertreter der Muslime und ihrer Interessenlagen vor Staat und Gesellschaft fungiert, andererseits über erhebliche Einflussmöglichkeiten verfügt. Das macht sie zudem zu augenscheinlich souveränen Ansprechpartnern in Belangen der politischen Bildung, der Integration oder anderen gesamtgesellschaftlichen Frageund Problemstellungen für Kommunen, Land und die Politik im Allgemeinen. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele und der Verbreitung ihrer Interpretation des Islams dienen verschiedene sogenannte islamische Zentren als organisatorische Stützpunkte. Gewalttätige Aktivitäten der MB in Deutschland wurden bisher nicht festgestellt. Die wichtigste Organisation in Deutschland, die das Gedankengut der MB vermittelt, ist die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), die sich vor der Umbenennung im Jahr 2018 als "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) bezeichnete. Die DMG verwendet nach eigenen Angaben den neuen Namen, um eine stärkere Verbundenheit zu Deutschland zu zeigen. Im Jahr 2019 verlegte die DMG ihren Vereinssitz von Köln nach Berlin. Neben diesem Hauptsitz betreibt die DMG mehrere sogenannte islamische Zentren. Ein islamisches Zentrum ist der Verein "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e. V." 170. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt sie u. a. auf Moscheen in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Osnabrück und Wolfsburg Einfluss aus. Durch Lehrangebote, wie z. B. 170 Dieses Zentrum darf nicht verwechselt werden mit der "DMG Braunschweig", Kapitel 4.4, Abschnitt "DMG Braunschweig". 268 Islamismus Korankurse und Sira171-Schulungen in Moscheen werden u. a. auch ideologische Inhalte der MB verbreitet. Die DMG hat 2019 wegen ihrer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Bundes Klage erhoben. Das gerichtliche Verfahren endete im August 2021 mit der Rücknahme der Klage durch die DMG. Anfang 2022 wurde die DMG auf Beschluss der Vertreterversammlung aus dem "Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V." (ZMD) ausgeschlossen. Die DMG war Gründungsmitglied des ZMD. Offiziell hat der ZMD keine Begründung für den Ausschluss der DMG verlautbaren lassen, er ging aber einher mit einer öffentlichen Diskussion über die Verbindungen der DMG zum weltweiten Netzwerk der MB. Insgesamt ist eine Zunahme des Einflusses dieser Dachorganisation auf die Gesellschaft festzustellen. Dies liegt u. a. an den beachtlichen überregionalen Aktivitäten sowie der starken Medienpräsenz der DMG, deren Vertreter gesellschaftlich wichtige Positionen anstreben oder innehaben und deshalb häufig gut vernetzt sind. Oft sind es Verantwortliche in Verbänden, Vereinen und Institutionen, die die Ideologie der MB in die Gesellschaft transportieren Auch die Ableger der MB aus anderen islamischen Staaten, in deren politischen Systemen ihnen eine besondere Rolle zuteilwird, sind teilweise in Deutschland und Niedersachsen aktiv. Zu nennen ist hier die tunesische En-Nahda-Partei, von der einige Mitglieder in Niedersachsen wohnhaft sind. Bei der auf der EU-Terrorliste geführten HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") handelt es sich um den palästinensischen Zweig der MB. Seit 2006 kontrolliert die HAMAS den Gazastreifen und führt dort ein Regime, das die Rechte von Frauen und Minderheiten beschneidet und hart gegen gewaltfrei agierende Oppositionelle vorgeht. Die grundsätzliche Zielsetzung der HAMAS ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas und 171 Der arabische Begriff "Sira" bezeichnet die "Biografie des Propheten Muhammad". 269 Islamismus damit die Vernichtung des Staates Israel. Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, was demzufolge auch das Territorium des Staates Israel einschließt. In ihrer Charta führt die HAMAS aus, dass es eine Pflicht für alle Muslime sei, den Jihad als bewaffneten Kampf gegen Israel zu betreiben und bedient dabei auch antisemitische Verschwörungstheorien. Immer wieder äußern sich Anhängerinnen und Anhänger auch in Deutschland israelfeindlich und antisemitisch unter Bezugnahme auf die islamistische Ideologie. Westliche Staaten wie Deutschland werden von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten. Dementsprechend sind auch in Niedersachsen einzelne Anhänger und Funktionäre der HAMAS ansässig. Mit welcher Brutalität die HAMAS bei der Bekämpfung Israels vorgeht, wurde am 07.10.2023 deutlich, als die HAMAS mit verbündeten palästinensischen Terrorgruppen unter dem Namen "Operation al-Aqsa-Flut" aus dem Gazastreifen heraus einen groß angelegten terroristischen Überfall gegen Israel beging. Bei den dabei verübten Massakern an der israelischen Zivilbevölkerung wurden rund 1.200 Menschen ermordet, mehr als 5.400 Menschen verletzt und massive sexualisierte Gewalt gegen Frauen verübt. Zudem wurden bei dem Angriff am jüdischen Feiertag Simchat Torah etwa 240 Menschen als Geiseln nach Gaza entführt. Der Terrorangriff der HAMAS stellt den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust dar. Infolge des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) die Betätigung der HAMAS am 02.11.2023 verboten. Laut BMI läuft die Tätigkeit der HAMAS im Bundesgebiet Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne von Artikel 9 Abs. 2 GG. Zudem beeinträchtige ihr Zweck oder ihre Tätigkeit erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland (SS 14 Abs. 2 Nr. 1, 4. Var. VereinsG). Im Rahmen von nachgelagerten vereinsrechtlichen Vollzugsmaßnahmen des BMI fanden am 23.11.2023 Durchsuchungen in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und in einem Objekt in Niedersachsen statt. In Deutschland war nach dem Terrorangriff vom 07.10.2023 im gesamten islamistischen Spektrum eine breite Solidarisierung mit 270 Islamismus der HAMAS wahrzunehmen. Dies zeigte sich u. a. in zahlreichen Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken sowie im Rahmen propalästinensischer Demonstrationen, auf denen regelmäßig die Taten der HAMAS verherrlicht und antisemitische Parolen geäußert wurden. Die Sympathiebekundungen für die Taten der HAMAS im Zusammenhang mit dem Terrorangriff vom 07.10.2023 gingen jedoch meist nicht von expliziten HAMAS-Anhängern aus, sondern überwiegend von Personen aus dem gesamten islamistischen Spektrum. 4.7 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) Sitz/Verbreitung Weltzentrum in Lahore (Pakistan); europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung/ 1926 in Britisch-Indien Bestehen seit Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 50 Kurzportrait/Ziele: Die "Tablighi Jama'at" ("Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung", TJ) wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Langfristiges Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Regimes. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen umfasst. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Charakteristisch für diese Gruppierung sind mehrtätige Missionsreisen (Jama'ats). Primäres Ziel dieser Bemühungen sind Muslime, denen man ein falsches Islamverständnis vorwirft. In Deutschland befindliche Moscheen 271 Islamismus der TJ sind an deren globales Netzwerk angeschlossen und stehen im Austausch mit dem europäischen Zentrum in Dewsbury und dem Weltzentrum in Lahore. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallelgesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungsprozesse begünstigen. Durch die Propagierung der Scharia172 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten sogenannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.173 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger weltweit zu den bedeutendsten islamistischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, wird dies von Sicherheitsbehörden anders bewertet. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts und damit in letzter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, sodass damit der Erfüllung 172 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 173 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt. Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen nicht gegen sie der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 272 Islamismus religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an geltenden Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen i. d. R. in Gruppen in sogenannten Jama'ats, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der "Masjid El Ummah-Moschee" im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien bestimmt. Nicht aus Niedersachsen stammende TJ-Anhänger sind aufgrund der missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen festzustellen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. 273 Islamismus 4.8 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz/Verbreitung Vereinsstrukturen sind verboten, ehemaliger Sitz in Köln Gründung/ 1984 Bestehen seit Struktur/ In Deutschland bestehen aktuell keine formellen Strukturen des Repräsentanz "Kalifatsstaats", da die Vereinigung am 12.12.2001 wegen Verstoßes gegen die verfassungsgemäße Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung sowie Gefährdung der Inneren Sicherheit in Deutschland durch den Bundesminister des Innern verboten wurde. Nach wie vor gibt es jedoch auf informeller Ebene noch mehrere, teilweise vereinsähnlich strukturierte Gemeinden, die sich der Ideologie des "Kalifatsstaats" verpflichtet fühlen. Mitglieder/Anhänger/ Niedersachsen: 80 Unterstützer Veröffentlichungen Auf den vom Verein betriebenen Internetseiten werden verschiedene Publikationen wie Kalender, Bücher und digitale Produkte angeboten. Kurzportrait/Ziele: Ziel des "Kalifatsstaats" ist es, einen revolutionär-islamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen. Es wird die Erlangung der Weltherrschaft des Islams mit der Gründung eines Kalifates unter Führung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmäßigen" Nachfolgers unter Einführung der Scharia174 angestrebt. Auch in Niedersachsen vertreten einzelne Gemeinden nach wie vor diese Ideologie. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Am 12.12.2001 wurde die Organisation "Kalifatsstaat" einschließlich ihrer Teilorganisationen durch den Bundesminister des Innern verboten. Gründe hierfür waren Äußerungen des "Kalifatsstaats", wonach dieser die Demokratie für mit dem Islam unvereinbar und für verderblich hält. Weiterhin beansprucht der "Kalifatsstaat" 174 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 274 Islamismus im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen eine eigene Staatsgewalt und verfolgt seine Ziele in kämpferisch-aggressiver Weise. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das eine Klage gegen das Verbot abgewiesen hat, stellte insbesondere die Propagierung gewaltsamer Mittel eine Gefährdung der Inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Äußerungen der Anhängerschaft waren hetzerisch und von Aufrufen zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geprägt. Bei einem Teil der verbliebenen Anhänger des "Kalifatsstaats" handelt es sich auch aktuell um einen Personenzusammenschluss, dessen Ziel die Weltherrschaft des Islams unter dem Kalifat (s)eines Anführers (Metin Kaplan) ist. Unter anderem wird das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Abstimmung zu wählen sowie das Recht auf Bildung einer parlamentarischen Opposition durch diese Weltanschauung beschnitten. Damit verfolgt der "Kalifatsstaat" Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Der "Kalifatsstaat" ging 1994 aus dem "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) hervor. Diesen Verein hatte der als "Khomeini von Köln" bekannt gewordene Cemaleddin Kaplan 1984 gegründet. Nachdem sich Cemaleddin Kaplan 1994 zum Kalifen der Muslime erklärt hatte, nannte sich der ICCB fortan "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"). Das Ziel des 1995 verstorbenen Cemaleddin Kaplan, einen revolutionär-islamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen, behielt auch sein Sohn und Nachfolger Metin Kaplan bei. Die Weltherrschaft des Islams mit Gründung eines Kalifates unter Führung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmäßigen" Nachfolgers und die Einführung der Scharia ist das Ziel der Anhängerschaft. Nach dem Verbot der Organisation im Dezember 2001 gab es intensive juristische Auseinandersetzungen um den Verbleib von Metin Kaplan in Deutschland. Im Oktober 2004 schob man ihn schließlich in die Türkei ab, wo eine lebenslange Haftstrafe gegen ihn verhängt wurde. Im November 2016 wurde Kaplan überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt seitdem weiterhin in der Türkei. 275 Islamismus Das Verbot führte in Niedersachsen zu einer Schwächung der Organisation. Allein der Verlust der Vereinsräumlichkeiten stellte zeitweise ein erhebliches logistisches Problem dar. Teilweise trafen sich ehemalige Mitglieder des "Kalifatsstaats" und ihre Familien, überwiegend zu den Freitagsgebeten in Privatwohnungen bzw. neu angemieteten Unterkünften. Insgesamt ließ sich über Jahre eine Zurückhaltung der Anhänger des "Kalifatsstaats" feststellen, was insbesondere auf polizeiliche Kontrollen und Maßnahmen sowie die Angst, möglicherweise selbst abgeschoben zu werden, zurückzuführen war. Der "Kalifatsstaat" in Deutschland und Niedersachsen Teile der Anhängerschaft sind trotz des Verbots des "Kalifatsstaats" weiterhin aktiv. Insbesondere die jüngere Anhängerschaft fällt durch kontinuierliche Betriebsamkeit auf und sucht bereits mit einer radikalen Ideologie vertraut, auch nach moderneren Ausdrucksformen. In Niedersachsen sind Strukturen des "Kalifatsstaats" in den Bereichen Göttingen, Osnabrück und Salzgitter festzustellen, es bestehen personelle Vernetzungen über Ländergrenzen hinweg. Ideologisch zeigen sich die Kalifatsstaatsstrukturen nach wie vor nicht deutlich nach außen und sind deshalb kaum wahrnehmbar. Allerdings lassen sich weiterhin Schnittmengen zur salafistischen Ideologie und teilweise Abwanderungsbewegungen jüngerer Anhängerinnen und Anhänger in den Salafismus auch in Niedersachsen beobachten. Die niedersächsische Kalifatsstaatsszene ist zurückliegend sowohl durch die Anwendung und Vorbereitung von Gewalt als auch aufgrund einer hohen ideologischen Ausstrahlung durch ihre Internetpräsenz und die Ausrichtung von Veranstaltungen aufgefallen. Ihre Außendarstellung übernehmen sie über die Organisation "Im Auftrag des Islam", hinter der zwar reale Protagonisten auch aus Niedersachsen stehen, deren Botschaften aber in erster Linie online verbreitet werden. Auf den einschlägigen Internetseiten werden Gründung, Werdegang und Grundprinzipien der Organisation erklärt. So könne man die Missionsarbeit von "Im Auftrag des Islam" unter den drei Hauptpunkten "Vermittlung des Tauhid, der Sunna und des Kalifats" zusammenfassen, die allesamt auf dem "prophetischen Weg" basieren würden: "Ein Leben im Auftrag des Islams zu leben ist der Sinn unserer Erschaffung." Die 276 Islamismus Errichtung eines Kalifats - als einzig gültiges Rechtssystem - und die Einführung der Scharia werden als selbsternannte Ziele aufgelistet. Im Zuge überregionaler Maßnahmen in sechs Bundesländern wurden am 28.06.2022 auch mehrere Objekte in Niedersachsen durchsucht und Schuss-, Stichund Hiebwaffen sowie Datenträger und hohe Bargeldsummen sichergestellt. Anfang November 2022 wurde gegen drei Tatverdächtige Anklage wegen des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot erhoben. Die Angeklagten wurden mit Urteil vom 26.06.2023 vom Landgericht Koblenz zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten und einem Jahr und sechs Monaten ausgesetzt zur Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten gegen ein Vereinigungsverbot als Rädelsführer nach SS 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verstoßen haben. Die Angeklagten haben sich aufgrund ihrer festgestellten Tätigkeiten in einem weit über den für ein einfaches Mitglied hinausgehenden Umfang und unter großem persönlichen Einsatz für den Erhalt des organisatorischen Zusammenhalts des "Kalifatsstaats" eingesetzt. Hierdurch zeigte sich abermals die strafrechtliche Relevanz der weiterhin bestehenden Kalifatsstaatsstrukturen. 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz/Verbreitung Beirut Generalsekretär Hassan Nasrallah Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 250 Publikation: Al-Ahd (Die Verpflichtung) Medien: Al-Manar (Der Leuchtturm) Kurzportrait/Ziele: Für die schiitische Gemeinschaft fordert die mit Hilfe der Islamischen Republik Iran gegründete "Hizb Allah" die Anwendung der "islamischen Rechtsordnung der Scharia".175 175 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 277 Islamismus Außerdem bestreitet die "Hizb Allah" das Existenzrecht des Staates Israel und bekämpft ihn mit terroristischen Mitteln. In Deutschland pflegen die Anhänger der "Hizb Allah" den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt u. a. in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spendengelder finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die libanesisch-schiitische Organisation "Hizb Allah" (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben richtet sich die "Hizb Allah" gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 9 Abs. 2 und 26 Abs. 1 GG) und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die Europäische Union den militärischen Arm der "Hizb Allah" (almuqawama alislamiya - "Islamischer Widerstand") auf die Liste der terroristischen Organisationen. Weiterhin verfolgt die "Hizb Allah" durch die Propagierung der Scharia als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Mit Schreiben vom 20.09.2019 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemäß SS 129b Abs. 1 Satz 3 StGB dem Generalbundesanwalt die generelle Ermächtigung zur Verfolgung bereits begangener und zukünftiger Straftaten durch Mitglieder der Vereinigung "Hizb Allah" erteilt. Die "Hizb Allah" wurde bereits in der Vergangenheit in der strafund verwaltungsgerichtlichen Praxis als terroristische Vereinigung gewertet. Diese Rechtsprechung ist im Juli 2019 durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden, in dem die Rechtmäßigkeit des Verbotes des "Hizb Allah"-Spendensammelvereines "Farben für Waisenkinder e. V." (FfW), vormals "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP), aus dem Jahr 2014 rechtlich festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat mit Verfügung vom 26.03.2020 die Vereinigung "Hizb Allah" im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes (VereinsG) mit einem Betätigungsverbot belegt. Das Verbot wurde am 30.04.2020 bekanntgemacht. Ab 278 Islamismus diesem Zeitpunkt gelten entsprechende Betätigungshandlungen für die "Hizb Allah" als Straftat nach dem VereinsG. Am 17.03.2022 wurde der in Bremen ansässige Verein "AL-Mustafa Gemeinschaft e. V." (AMG) aufgrund direkter und indirekter Unterstützung der libanesischen "Hizb Allah" verboten. Im Zuge dessen hat die Bundesanwaltschaft am 10.05.2023 aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs einen libanesischen Staatsangehörigen sowie einen deutschen und libanesischen Staatsangehörigen in den Kreisen Aurich und Cuxhaven durch Beamte des Bundeskriminalamts festnehmen lassen. Die Beschuldigten waren der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, SS 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) dringend verdächtig. In den Haftbefehlen wurde ihnen im Wesentlichen zur Last gelegt, dass die "Hizb Allah" eine Organisation mit militantislamistischer Ausrichtung ist, welche die Bekämpfung Israels und die Befreiung des Libanons von westlichen Einflüssen anstrebt. Hierbei handelte es sich um die ersten Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der "Hizb Allah" in Deutschland. Ebenfalls am 17.03.2022 wurde der Verein "Fatime Versammlung e. V." bzw. das "Imam-Mahdi-Zentrum" in Münster (NordrheinWestfalen) verboten. Der Moscheeverein habe die libanesische "Hizb Allah" direkt und indirekt unterstützt. In den vergangenen Jahren habe das Zentrum mehrere tausend Euro an Spenden gesammelt, um Kinder und Hinterbliebene von islamistischen Kämpfern im Libanon zu versorgen. Der Verein vermittelte antisemitische und islamistische Propaganda schon im Kindesund Jugendalter. Die polizeilichen Durchsuchungen, die der Durchsetzung des Verbots und der Beschlagnahmung des Vereinsvermögens dienten, fanden auch im niedersächsischen Delmenhorst statt. Der geistliche Vertreter bzw. Imam und zugleich Vereinsfunktionär, gegen den sich das Verbot persönlich richtete, stammt aus Niedersachsen. Ursprung und Entwicklung Die "Partei" "Hizb Allah" wurde 1982 unter maßgeblicher Steuerung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die "Hizb Allah" ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungsweisend. 279 Islamismus Der Libanon-Krieg im Sommer 2006 führte zu einer bis heute andauernden Popularität der "Hizb Allah" innerhalb der schiitischen Bevölkerung des Libanons. 2009 stellte der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Nasrallah, ein neues politisches Strategiepapier vor, auf dessen Grundlage die "Hizb Allah" sich von einer Widerstandsgruppe hin zu einer politisch eigenständig agierenden Partei in der libanesischen Politik wandeln sollte und in dem weder die Rede ist von der Errichtung eines "Islamischen Staates" (nach dem Vorbild des Irans), noch von der weltweiten Verbreitung der Revolutionstheorie. Dennoch fühlt sich die "Hizb Allah" auch weiterhin den Konzepten des Ayatollah Khomeini verpflichtet. Dies bezieht sich insbesondere auf die Vorstellung des Konzepts der "wilayat alfaqih"176, das einen konstitutionellen Gottesstaat mit herrschendem Klerus im Libanon vorsieht. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssystem hatte die "Hizb Allah" mit finanzieller Unterstützung des Irans aufbauen können. Im Emblem der "Hizb Allah" kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus dem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" Flagge der Hizb Allah; in gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die Deutschland verboten politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!" Die "Hizb Allah" in Deutschland und in Niedersachsen Die "Hizb Allah" ist global wie auch in Deutschland Teil eines Geflechts schiitisch-islamistischer Organisationen, das stark unter dem Einfluss der Islamischen Republik Iran steht. Dabei entstehen häufig Berührungspunkte zwischen Vereinen, die der "Hizb Allah" zuzurechnen sind und solchen, die dem weiteren schiitisch-islamistischen Spektrum angehören. Auch in Niedersachsen besuchen mitunter Angehörige verschiedener Vereine die gleichen Moscheen. Die Corona-Pandemie führte zu einem Rückgang von religiösen und kulturellen Veranstaltungen. Unterrichte 176 "Herrschaft des Rechtsgelehrten". 280 Islamismus oder Mitgliederversammlungen wurden teilweise als Online-Veranstaltungen abgehalten. Mittlerweile haben die Vereine wieder wie gewohnt ihre Tätigkeiten aufgenommen. Ungeachtet einer gewissen Sympathie in Teilen der hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der "Hizb Allah", tritt diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der "Hizb Allah" in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben, so u. a. in Hannover, Osnabrück, im Bremer Umland und in Südniedersachsen. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die "Hizb Allah" erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie z. B. dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. Von weiterer zentraler Bedeutung für die schiitisch geprägte Islamistenszene in Deutschland und damit auch für die Anhänger der "Hizb Allah" ist der sogenannte "Al-Quds-Tag"177. Dieser gilt in der Islamischen Republik Iran als gesetzlicher Feiertag und soll den Wunsch nach der "Befreiung Palästinas" zum Ausdruck bringen. In Deutschland finden seit den 1980er Jahren Veranstaltungen zum "Al-Quds-Tag" statt. Diese deutlich gegen Israel gerichteten Aktivitäten haben häufig eine antisemitische Ausrichtung.178 Am 16.11.2023 ließ die Bundesanwaltschaft durch das Bundeskriminalamt aufgrund von Beschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs rund 20 Objekte sowie Vereinsräumlichkeiten der "Salman Farsi Moschee" in der Region Hannover durchsuchen. Die Maßnahmen richteten sich gegen fünf namentlich bekannte Beschuldigte. Sie sind der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verdächtig (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, SS 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Die Beschuldigten sollen sich über mehrere Jahre für die "Hizb Allah" betätigt haben, indem sie 177 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt "Jerusalem". 178 Weitere Ausführungen zum "Al-Quds-Tag" siehe Kapitel 4.10. 281 Islamismus leitende Funktionen in zwei von der Organisation gelenkten Vereinen in Hannover übernahmen. Die Maßnahmen erfolgten in zeitlicher Koordination mit Exekutivmaßnahmen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat in einem dort geführten vereinsrechtlichen Verfahren. 4.10 Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus Mitglieder/Anhänger: Niedersachsen: 105 Publikationen: Unterschiedliche Auftritte auf Internetplattformen und in den sozialen Medien. Kurzportrait/Ziele: In dem Beobachtungsobjekt "Islamisches Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" werden die Vereinigungen zusammengefasst, die durch die Ideologie der Islamischen Republik Iran geprägt sind. Ihr Ziel ist die Verbreitung der Islamischen Revolution in Anlehnung an das aktuelle Herrschaftssystem der Islamischen Republik Iran. Diese Vereinigungen sind in Deutschland in Vereinen, Moscheen und Zentren sowie in Online-Netzwerken organisiert. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Einführung eines am Iran orientierten theokratischen Herrschaftssystems verletzt insbesondere die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, die Volkssouveränität, die religiöse und sexuelle Selbstbestimmung, die Gleichheit der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Deshalb bilden die einzelnen Organisationen im Bereich des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" zusammen eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entsprechend SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Die antiisraelische und antiwestliche Haltung des Irans, die medienwirksam propagiert wird, verstößt zudem gegen den 282 Islamismus Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker, womit die Organisationen des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" auch eine Bestrebung gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG darstellen und damit die Voraussetzungen für eine Beobachtung erfüllen. Im Zusammenhang mit dem Beobachtungsobjekt des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" werden die Moscheen, Vereine, Netzwerke und Zentren zusammengefasst, die durch den Iran beeinflusst werden und sich an der Politik der Islamischen Republik Iran und deren Staatsdoktrin orientieren bzw. eine Nähe zur Ideologie der Terrororganisation "Hizb Allah" aufweisen. Nicht mit eingeschlossen ist die auch in Deutschland aktive islamistische Gruppierung schiitischer Prägung und libanesischen Ursprungs, die "Hizb Allah". Diese stellt aufgrund ihrer spezifischen Ausprägung und der weitreichenden Aktivitäten ein eigenständiges Beobachtungsobjekt dar. Ursprung und Entwicklung Der schiitisch geprägte Islamismus weist einen starken Bezug zur Islamischen Republik Iran auf, welche als Resultat aus der sogenannten Islamischen Revolution von 1979 hervorging. In der Verfassung des Irans sind die wichtigsten ideologischen Grundlagen niedergelegt, wonach die Islamische Republik Iran ein theokratisches Herrschaftssystem ist, bei dem die Herrschaft des Rechtsgelehrten gilt ("wilayat al-faqih"). Demnach ist die höchste politische Instanz der oberste Rechtsgelehrte, derzeit Ali Chamenei. Dieser verfügt über eine allgemeinverbindliche und uneingeschränkte Führungsbefugnis und bestimmt damit autoritär über die grundlegende Linie der iranischen Innenund Außenpolitik. Die Aufgabe der Verbreitung der Islamischen Revolution im Ausland ist in der Verfassung verankert. Die Organisationen des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" sehen es als ihren Auftrag an, im Sinne dieser Ideologie auf die hier lebenden Schiiten unterschiedlicher Nationalität einzuwirken. 283 Islamismus Das "Islamische Zentrum Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" in Deutschland und in Niedersachsen Von zentraler Bedeutung für die schiitisch-islamistisch geprägte Szene in Deutschland sind die jährlich stattfindenden Demonstrationen und Aktionen rund um den "Al-Quds-Tag"179. Dieser wurde im Jahr 1979 durch den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini als Feiertag ausgerufen, um dem Wunsch nach der Befreiung Jerusalems und der Beendigung der Existenz des Staates Israels Ausdruck zu verleihen. Am letzten Freitag des Ramadans findet grundsätzlich in Berlin jedes Jahr eine zentrale "Al-Quds-Demonstration" statt. Im Jahr 2023 wurde der "Al-Quds-Marsch" in Berlin durch die Veranstalter ohne Begründung abgesagt. Vereinzelt konnten Ersatzveranstaltungen wahrgenommen werden, bei denen es deutschlandweit teilweise auch antisemitische Vorfälle gab. Das IZH steht seit dem Jahr 2022 verstärkt im Fokus der Politik. So hat der stellvertretende Leiter des IZH im Juni 2022 eine Ausweisungsverfügung der Hamburger Innenbehörde erhalten, da Belege für seine Unterstützung schiitisch-terroristischer Organisationen vorlagen. Nachdem er zunächst erfolglos gegen seine Ausweisung geklagt hatte und die Ausreisefrist verstreichen ließ, reiste er am 02.11.2022 freiwillig in den Iran aus und kam damit einer Abschiebung zuvor. Es besteht darüber hinaus ein Wiedereinreiseverbot für ihn. Zudem wird entsprechend eines Beschlusses des Bundestages vom 09.11.2022 eine mögliche Schließung des IZH geprüft. Das Parlament nahm den Antrag auf Schließung mehrheitlich an. Daraufhin gab das IZH am 20.11.2022 u. a. aufgrund des politischen Drucks bekannt, aus dem islamischen Dachverband, dem "Rat der Islamischen Gemeinden Hamburg" (Schura Hamburg), auszutreten. Die Schura Hamburg steht als eine Vertretung der Muslime in Hamburg im engen Kontakt mit der Hansestadt Hamburg. Als Reaktion auf den Austritt des IZH erklärten fünf weitere schiitische Gemeinden ihren Austritt aus der Schura Hamburg. Im Jahr 2023 führte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gegen das IZH sowie fünf weitere Vereinigungen ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren, u. a. wegen des Verdachts, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu richten. Zudem 179 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt "Jerusalem". 284 Islamismus gingen die Sicherheitsbehörden dem Verdacht nach, dass das IZH die in Deutschland verbotenen Aktivitäten der Terrororganisation "Hizb Allah" unterstützt hat. Bei den weiteren Vereinigungen bestand der Verdacht, dass sie Teilorganisationen des IZH waren. Auf Anordnung der zuständigen Verwaltungsgerichte wurden am 16.11.2023 in sieben Bundesländern insgesamt 54 Objekte durchsucht. Hiervon waren auch rund 20 Objekte sowie die Vereinsräumlichkeiten der "Salman Farsi Moschee" in der Region Hannover betroffen. An dem Einsatz waren über 800 Polizeibeamtinnen und -beamte beteiligt. Sichergestellt werden konnten u. a. größere Bargeldmengen, diverse IT-Geräte, CDs sowie Schriftstücke und Flugblätter. Die Maßnahmen des BMI erfolgten in zeitlicher Koordination mit Exekutivmaßnahmen der Bundesanwaltschaft in dem dort geführten Ermittlungsverfahren. Akteure des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus" entfalten im Wesentlichen über verschiedene Internetplattformen Außenwirkung und verbreiten ihre Ideologie. "Muslim-Markt" Hierbei handelt es sich um ein wichtiges deutschsprachiges, in Delmenhorst ansässiges Internetportal, welches mit Nachdruck die Politik des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei unterstützt. Durch Verlinkungen bewirbt es zudem diverse jüngere deutschsprachige Online-Plattformen, -Kanäle und Vereinigungen wie z. B. "Actuarium". Deren Inhalte zeigen verstärkt eine proiranische, antisemitische, antiisraelische und LGBTIQ+180 -kritische bis -feindliche Haltung. "Actuarium" Bei Actuarium handelt es sich um einen deutschsprachigen Youtube-Kanal, der sich mit regelmäßig veröffentlichten Videos zu Wort meldet. Neben szenetypischen proiranischen, pro-"Hizb Allah", antiisraelischen, antisemitischen und anti-LGBTIQ+-Inhalten erscheinen Beiträge zu gesamtgesellschaftlich anschlussfähigen Themen. Damit erzielt der Kanal eine große Reichweite, selbst unter 180 LGBTIQ+ steht für lesbian, gay, bisexual, transsexual/transgender, queer, intersexual, asexual. 285 Islamismus Anhängerinnen und Anhängern gegensätzlicher politischer und ideologischer Anschauungen. In zahlreichen Beiträgen wird dem Staat Israel das Existenzrecht gänzlich abgesprochen und in diesem Rahmen israelbezogener Antisemitismus verbreitet. An Israel gerichtete Schuldzuweisungen erfolgen einseitig und undifferenziert. So werden z. B. die am 07.10.2023 von der HAMAS verübten brutalen Anschläge auf Israel in verherrlichender Weise als Akt des Widerstands dargestellt. Andere Veröffentlichungen auf dem Kanal zeichnen sich u. a. durch eine deutliche Ablehnung bis hin zu einer Diffamierung und Hetze gegenüber Personen aus dem LGBTIQ+-befürwortenden Spektrum aus. Die Kanalinhalte stellen damit das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zum Gedanken der Völkerverständigung in Frage. 286 Islamismus 287 05 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2022 mit Auslandsbezug Bundesrepublik Deutschland 181 Türkische Rechtsextremisten182 12.100 PKK 14.500 Türkische Linksextremisten183 2.550 Summe 29.150 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2022 2023 mit Auslandsbezug Niedersachsen Türkische Rechtsextremisten184 700 700 PKK 1.600 1.600 Türkische Linksextremisten185 200 200 Summe 2.500 2.500 5.2 Einführung Unter der Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" werden in Niedersachsen alle weiteren Erscheinungsformen des Extremismus zusammengefasst, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen, ohne im Zusammenhang mit islamistischen Ideologien zu stehen. Der Extremismus mit Auslandsbezug ist geprägt von einer Vielzahl 181 Die Zahlen des Mitglieder-Potenzials für die Bundesrepublik Deutschland für das Berichtsjahr lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Daher werden nur die Zahlen des Vorjahres genannt. 182 Die ausgewiesenen Zahlen beziehen sich seit 2021 nur auf türkische Rechtsbzw. Linksextremisten. Sie weichen daher von den Zahlen der Vorjahre ab. 183 Siehe Fußnote 182. 184 Siehe Fußnote 182. 185 Siehe Fußnote 182. 290 Extremismus mit Auslandsbezug von Gruppierungen unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe. Im Unterschied zum Islamismus liegt die Zielsetzung dieser Gruppen überwiegend in der Durchsetzung linksextremistischer, separatistischer oder nationalistischer bzw. rassistischer Vorstellungen, die regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in den Heimatregionen abzielen. Die Situation im Herkunftsland und dortige aktuelle Entwicklungen erweisen sich dabei regelmäßig sowohl als richtungsweisend für die Intensität des Aktionismus als auch für den Grad des Militanzniveaus in Deutschland. Extremistische türkische und kurdische Gruppierungen bilden bisher in Niedersachsen den Schwerpunkt der Beobachtung. Die in Deutschland agierenden Gruppierungen werden i. d. R. durch extremistische Ideologien und damit verbundene politischstrategische Vorgaben aus dem Heimatland gesteuert. Deutschland wird dabei in erster Linie als sicherer Rückzugsraum betrachtet, in dem Geld gesammelt, rekrutiert, mobilisiert und propagiert werden kann und von dem aus gewaltsame Aktionen im Bezugsland vorbereitet werden können. In Abhängigkeit der Entwicklung im Heimatland ist gelegentlich auch mit gewalttätigen Aktionen in Deutschland zu rechnen. Die Propaganda für die jeweilige politische Vorstellung und Mobilisierungsaktionen, etwa für Demonstrationen, gehen Hand in Hand und werden überwiegend über das Internet verbreitet. Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste dienen darüber hinaus der Gewinnung neuer Sympathisierender und Mitglieder. Auch Konflikte zwischen den widerstreitenden ideologischen Gruppierungen treten in Deutschland auf und werden sowohl durch Propaganda als auch durch Gewalttaten sichtbar. 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug Schwerpunkt der Beobachtung beim Extremismus mit Auslandsbezug in Niedersachsen bleibt auch im Jahr 2023 die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Wie bereits in den Vorjahren wurden die großen Reizthemen, wie die Sorge um den Gesundheitszustand des in der 291 Extremismus mit Auslandsbezug Türkei lebenslang inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan und das Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdisch besiedelten Gebieten, immer wieder durch die PKK-Anhängerschaft in Deutschland aufgegriffen. Von dem auf der türkischen Insel Imrali seit 1999 inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan fehlt seit dem 25.03.2021 jegliches Lebenszeichen. Parallel zur Kampagne gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien startete daher am 09.10.2023 die europaweite PKK-Kampagne "Freiheit für Öcalan, eine politische Lösung für die kurdische Frage" vor dem Europarat in Straßburg. Außerdem bleibt auch die Hoffnung der PKK auf Streichung von der EU-Terrorliste und eine Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland aufgrund ihres jahrelangen Einsatzes für die Anti-ISKoalition in Syrien und im Irak ein inhaltlicher Schwerpunkt der öffentlichen Aktionen. Die türkische rechtsextremistische Ülkücü (Idealisten)-Bewegung tritt als sogenannte unorganisierte freie Szene in den sozialen Medien mit einer nach westeuropäischem Rechtsverständnis nationalistischen und rassistischen Ideologie auf. Sie bildet dabei regelmäßig einen absoluten Gegenpol zu den von Ülkücü als separatistisch empfundenen ethnischen Minderheiten in der Türkei und auch in Deutschland. Die Ülkücü-Szene bildet zusammen mit drei deutschlandweit agierenden Dachverbänden und ihren angeschlossenen regionalen Vereinsstrukturen ein ausgesprochen großes Anhängerpotenzial. Auch in Deutschland stehen sich die gegensätzlichen türkischen und kurdischen Gruppierungen mit ihren widerstreitenden Ideologien gegenüber. Seit Jahren führte das militärische Vorgehen der Türkei in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und im Nordirak zu massiven Protesten von PKK-Aktivisten in Europa und auch zu Spannungen zwischen den Anhängerinnen und Anhängern der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung und der PKK. Agitation und auch Konfrontation waren auch 2023 maßgeblich geprägt durch die genannten Reizthemen. Jegliche öffentlichkeitswirksamen Aktionen der PKK-Anhängerschaft laufen Gefahr einer - zumeist spontanen - Kontroverse. Mit dem Ende der Corona-Pandemie zeigte sich der öffentliche Aktionismus 2023 292 Extremismus mit Auslandsbezug weniger eingeschränkt als noch im Vorjahr und ließ wieder mehr Veranstaltungen zu. Sowohl die Kommunikation untereinander als auch Konfrontationen zwischen den Gruppierungen nahmen in der digitalen Welt weiterhin zu. Auch linksextremistische türkische Gruppierungen werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Die "Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront" (Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi, DHKP-C) kämpft für die proletarische Revolution und die Umwandlung des türkischen Staates in eine marxistisch-leninistische Diktatur. Bei Attentaten, die seit Gründung der DHKP-C im Jahre 1994 begangen wurden, kamen nach Angaben türkischer Stellen über 200 Menschen ums Leben. In Deutschland wurde die DHKP-C 1998 verboten, seit 2002 wird sie von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet. Trotz des Verbots agiert die DHKP-C bis heute in Deutschland und nutzt dabei die Popularität der Musikgruppe "Grup Yorum", um ihre Anhängerinnen und Anhänger zu mobilisieren und ideologisch im Sinne der DHKP-C zu indoktrinieren. Ebenfalls in Deutschland aktiv sind die türkische "MarxistischLeninistische Kommunistische Partei" (Marksist Leninist Komünist Partisi, MLKP) sowie die "Kommunistische Partei der Türkei/ Marxisten-Leninisten" (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist, TKP/ML). Beide Organisationen bekennen sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und fordern die Zerschlagung des türkischen Staatswesens. In Niedersachsen, wie auch im weiteren Bundesgebiet, ist ein stärkeres Auftreten der jeweiligen Jugendorganisationen der linksextremistischen türkischen Gruppierungen zu beobachten. Ziel ist es, eine Anschlussfähigkeit an deutsche linke und migrantische Gruppen zu verfestigen, um die eigenen Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dies geschieht über Themen wie Klimaschutz, Migration oder die Rechte von Minderheiten. Vor dem Hintergrund des Überfalls der terroristischen HAMAS am 07.10.2023 auf Israel und dem sich daran anschließenden Krieg zwischen Israel und der HAMAS im palästinensischen Gazastreifen 293 Extremismus mit Auslandsbezug rückt neben der islamistischen HAMAS auch wieder der säkulare palästinensische Extremismus bzw. Terrorismus in den Blickpunkt. Die Auswirkungen dieses Konfliktes sind auch in Deutschland vor allem in Form judenund israelfeindlicher Propaganda spürbar. So gab es unmittelbar nach Bekanntwerden des Angriffs der HAMAS auf Israel Sympathiebekundungen aus dem Bereich des säkularen palästinensischen Extremismus durch die Anhängerschaft von "Samidoun" und der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) in Berlin. Als Zeichen der Freude wurden öffentlichkeitswirksam Süßigkeiten verteilt. Um dieses zu unterbinden hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat am 02.11.2023 neben dem deutschen Ableger der im Gazastreifen regierenden terroristischen HAMAS auch das palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk "Samidoun" wegen Judenund israelfeindlicher Propaganda mit einem Betätigungsverbot belegt. Beide Organisationen bestreiten das Existenzrecht Israels und haben den Terrorangriff auf Israel vom 07.10.2023 gutgeheißen und antiisraelische Demonstrationen organisiert und durchgeführt. Ausblick Politische Ereignisse in der Türkei führen weiterhin regelmäßig dazu, dass Deutschland - das seit vielen Jahren in erster Linie von den extremistischen Gruppierungen als sicherer Rückzugsraum gesehen wird - spontan und nachhaltig zum Austragungsort massiven Demonstrationsgeschehens, spontaner gewaltsamer Auseinandersetzungen und von Straftaten wie Blockadeaktionen, Besetzungen, Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen werden kann. Allen voran die PKK zeigt trotz propagierter grundsätzlich friedlicher Linie und Gewaltverzicht für Europa, dass sie nach wie vor in der Lage ist, ihre Anhängerschaft spontan zu mobilisieren und zu emotionalisieren. Auch neue Krisenherde, z. B. in Afrika, drohen aktuell und in nächster Zeit dortige Konfrontationen durch Immigration nach Deutschland zu importieren. Als Beispiel seien hier die Konflikte zwischen verschiedenen eritreischen Gruppen im Sommer 2023 in Gießen genannt. Ob sich dadurch neue Beobachtungsfelder ergeben bzw. vorhandene verstetigen, bleibt abzuwarten. Solange der Krieg zwischen Israel und der HAMAS im Gazastreifen andauert, muss sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen 294 Extremismus mit Auslandsbezug mit einer stark emotionalisierten Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Personen jüdischen Glaubens gerechnet werden. Judenfeindliche Propaganda und antisemitisch motivierte gewaltsame Übergriffe können dabei nicht ausgeschlossen werden. 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weitere "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ Bezeichnungen "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL)/"Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK)/"Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Sitz/Verbreitung Nord-Irak, Türkei, Syrien Gründung/Bestehen 1978 in der Türkei seit Leitung Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 1.600 Publikationen Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik) (werktäglich) Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich) Sterka Ciwan (Stern der Jugend) Sender u. a. Med Nuce TV Kurzportrait/Ziele 1984 rief Abdullah Öcalan, Gründer und unumstrittene Führungsfigur der "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistane, PKK), zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf und gründete eine Guerilla, um die Vision eines unabhängigen Kurdenstaates gewaltsam umzusetzen. Seit dem Jahr 2000 nennt sich dieser militärische Arm der PKK nach vielen Umbenennungen "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel - HPG). 295 Extremismus mit Auslandsbezug Kurzportrait/Ziele Mit Hilfe ihrer Guerillaverbände agiert die PKK in der Türkei, im Norden Syriens und in der nordirakischen Grenzregion. Durch die Konfrontation zwischen der türkischen Armee und der PKK ist in mehr als 30 Jahren eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt entstanden, die in den kurdischen Siedlungsgebieten im Osten und Südosten der Türkei zeitweise zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte. Erst nach der Verhaftung Öcalans verabschiedete sich die PKK in offiziellen Verlautbarungen von der Errichtung eines eigenständigen Kurdenstaates mit Hilfe des bewaffneten Kampfes. Den gewaltsamen Kampf erklärte Öcalan im August 1999 offiziell für beendet. Dennoch behielt sich die PKK vor, jederzeit wieder auf gewaltsame Mittel zurückzugreifen. In frühen Jahren setzte die PKK aber nicht nur in der direkten Konfrontation mit dem türkischen Staat auf Gewalt, sondern auch bei Protesten gegen die türkische Politik in Deutschland und Europa. Dem begegnete das Bundesministerium des Innern (BMI) mit Verfügung vom 22.11.1993 mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot für die PKK im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. Mittlerweile nutzt die PKK Deutschland überwiegend als Rückzugsraum und verzichtet weitgehend auf den Einsatz von Gewalt auf deutschem Boden. Seitdem die PKK 1999 plakativ von ihrer ursprünglichen politischen Zielsetzung eines souveränen kurdischen Staates abrückte, vertritt sie eine kurdisch-nationalistische Ideologie und strebt offiziell eine politische und kulturelle Autonomie für die Kurden in der Türkei an. Sie propagiert die Etablierung einer nichtstaatlichen und länderübergreifenden, demokratischen Selbstverwaltung der Kurden unter Beachtung existierender Grenzen auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet. Das Ausrufen der "Demokratischen Autonomie" in den drei syrisch-kurdischen Kantonen Afrin, Cizre und Kobane im Jahr 2014 unter Federführung ihrer syrischen Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" (PYD) war für die PKK ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem von ihr angestrebten, nationale Grenzen überschreitenden "Kurdistan". 296 Extremismus mit Auslandsbezug Finanzierung Die Beschaffung von finanziellen Mitteln, vorwiegend durch Spenden, ist nach wie vor eine der Hauptaktivitäten der PKK in Deutschland. Der Propagandaapparat, wie z. B. Fernsehsender, digitale Medien und Publikationen, muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die Guerilla-Armee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende sogenannte Spendenkampagne. Im Jahr 2023 lag der Ertrag allein in Deutschland bei geschätzt mehr als 16 Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft der mit der PKK sympathisierenden kurdischen Bevölkerung in Deutschland ist seit Jahren aufgrund der Entwicklungen in der Türkei, in Syrien und im Nordirak gestiegen. Auch die Sorge um den Gesundheitszustand des in der Türkei lebenslang inhaftierten Abdullah Öcalan erhöht die Solidarität und die Bereitschaft, die Organisationsfähigkeit und den Aktionismus der PKK zu finanzieren. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele seit 1984 bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die seit Jahren andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei. Propaganda, Rekrutierungen und Finanzierung über Spendeneintreibung sind hierfür entscheidende Vorbereitungshandlungen, die in ganz Europa, und damit auch in Deutschland, kontinuierlich bis heute vorangetrieben werden. Auch Deutschland war Anfang der 1990er Jahre Schauplatz erheblicher Gewalttaten der PKK. Überfälle und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, türkische Banken und Reisebüros sowie Geschäfte, Gaststätten und Vereinslokale erfolgten häufig und zum Teil sogar bundesweit im Rahmen konzertierter Aktionen. Als Reaktion auf die Gewalttaten in den 1990er Jahren erfolgte 1993 das Betätigungsverbot in Deutschland. Logo der PKK in Europa; in Deutschland verboten 297 Extremismus mit Auslandsbezug Mittlerweile setzt die Organisation im Rahmen einer Doppelstrategie zwar weiterhin in der Türkei auf Waffengewalt - propagiert als "Verteidigungshandlungen". Deutschland jedoch dient überwiegend als Rückzugsraum. Hier werden Geldmittel gesammelt, für die Parteiarbeit und die Guerilla rekrutiert sowie Propaganda betrieben. Trotz allem zeigt sich die Organisation nach wie vor grundsätzlich bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger in Deutschland zumindest zu billigen. Zu nennen sind hier z. B. Auseinandersetzungen mit nationalistischen türkischen Gruppen oder Propagandaaktionen, die aufgrund großer Emotionalisierung in Widerstandshandlungen gegen die Polizei ausufern. Damit gefährdet die Organisation die innere Sicherheit und auch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und erfüllt damit die Voraussetzungen für ihre Beobachtung (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Ursprung und Entwicklung Die PKK wurde am 27.11.1978 von einer Gruppe um Abdullah Öcalan gegründet. Trotz seiner Verhaftung am 15.02.1999 in Nairobi (Kenia) und seiner anschließenden Verurteilung zum Tode wegen Hochverrats in der Türkei, später umgewandelt in eine lebenslange Haftstrafe, gilt Öcalan bis heute als die unumstößliche Führungsfigur der PKK. Angetreten als eine marxistisch-leninistisch-nationalistisch orientierte Organisation mit dem Ziel, einen unabhängigen, sozialistisch ausgerichteten Kurdenstaat zu errichten, führt die PKK bis heute auch mit Hilfe schwerster Gewalttaten bis hin zur Tötung von Menschen einen Guerillakampf gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten, aber auch gegen Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Um den Führungsanspruch der PKK innerhalb der kurdischen Gemeinschaft durchzusetzen, gab es in der Vergangenheit auch parteiinterne "Säuberungen" - Konkurrenten wurden verfolgt oder ermordet. Bereits in ihrem Programm aus dem Jahre 1986 heißt es zur Rolle der Gewalt: "Ein drittes Charakteristikum dieser Revolution ist, dass sie auf dem Weg über die Mobilisierung der breiten Kräfte des Volkes über einen langandauernden Kampf siegen wird ... Die Methoden des Kampfes basieren notwendig in weitem Umfang auf Gewalt." 298 Extremismus mit Auslandsbezug Seit Verkündung des "Friedenskurses" im Jahr 1999 vollzog die PKK zahlreiche Umstrukturierungen, die auch mit Umbenennungen einhergingen. Auf unterschiedliche Weise wollte sie damit ihre politische Neuausrichtung nach außen dokumentieren. Zugleich versuchte sie sich damit dem internationalen Verfolgungsdruck zu entziehen und sich vom Makel einer Terrororganisation zu befreien. Von 2003 bis 2005 trat die PKK als "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA GEL) auf, seit dem Jahr 2007 unter der Bezeichnung "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan, KCK). Die neuen Namen finden zwar Verwendung, sind in der Anhängerschaft aber eher wenig populär. Organisatorische Strukturen "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (Kongreya Civaken Demokratik en Kurdistanyen li Ewropa, KCDK-E) Der in Belgien ansässige KCDK-E bildet die PKK-Europaführung, in die auch die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) als "politischer" Arm der PKK integriert ist. Die CDK unterliegt in Deutschland ebenfalls dem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Organisation unterhält ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die i. d. R. von der PKK-Europaleitung für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Die unteren Hierarchieebenen sind in umgekehrter Weise regelmäßig berichtspflichtig und zur Selbstkritik aufgefordert. "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V." (Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya, KON-MED) Die KON-MED nahm bereits unmittelbar nach ihrer Gründung im Mai 2019 die Aufgaben als Dachverband für die der PKK nahestehenden sogenannten Ortsvereine in Deutschland wahr. KON-MED ist in die o. a. europäische Dachorganisation KCDK-E eingebettet. 299 Extremismus mit Auslandsbezug KON-MED gehören mehrere regionale Föderationen an. Die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Föderationen entspricht dabei nicht zwingend den tatsächlichen Grenzen der Bundesländer. Niedersachsen ist ganz überwiegend dem "Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e. V." (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen le Bakure Almanya, FED-DEM) mit Sitz in Hamburg zuzurechnen. Lediglich der Bereich Osnabrück findet sich in der Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW e. V. (Federasyone Civaken Azad yen Mezopotamya li NRW, FED-MED NRW) wieder. Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bedient sich die PKK überwiegend der örtlichen Vereine in Deutschland. Diese dienen der PKK-Anhängerschaft als Treffpunkte und Anlaufstellen. KON-MED initiiert regelmäßig über die Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse oder bestimmte Jahrestage, etwa den Gründungstag der PKK, beziehen. KON-MED ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. In Niedersachsen existieren Vereine z. B. in Aurich, Celle, Hannover, Hildesheim, Osnabrück, Peine, Salzgitter, Verden und Walsrode. Jugendorganisationen Die Jugend nimmt innerhalb der PKK eine besondere Stellung ein. Aktivistinnen und Aktivisten, altersbezogen reicht die Spanne der sogenannten PKK-Jugend bis ca. Mitte 30, werden als "Avantgarde des Befreiungskampfes" betrachtet. Den PKK-Jugendorganisationen kommt daher seit Jahren in Bezug auf Propaganda, Aktionismus und Rekrutierung eine wichtige Rolle zu. Die PKK-Jugendorganisation "Ciwanen Azad" (Freie Jugend, CA) wurde auf einer europaweiten Jugendversammlung im April 2013 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen) als europäischer Dachverband der PKK-Jugend gegründet. Der Dachverband sollte als legaler Verband fungieren und stand dabei neben der viel älteren Jugendorganisation "Komalen Ciwan" (Gemeinschaft der Jugendlichen, KC). Beide Organisationen umfassen denselben Personenkreis. Der CA sollten ausschließlich positive Schlagzeilen zugeschrieben werden, KC tritt in Aktion, wenn Negatives öffentlich wird. Am 300 Extremismus mit Auslandsbezug 21.10.2018 wurde ein neuer europaweiter Dachverband jugendlicher PKK-Anhänger namens "Tevgera Ciwanen Soresger" (Bewegung der revolutionären Jugend, TCS) gegründet. Die TCS scheint den bisherigen europäischen Dachverband der PKK-Jugend CA abzulösen, ohne dass CA bisher tatsächlich aufgelöst wurde. Am 08.07.2020 berichtete die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF) erstmalig über die Gründung der "Jinen Ciwan en Tekoser" (Bewegung der jungen kämpferischen Frauen, TEKO-JIN) als eigene Organisation für weibliche Jugendliche. TEKO-JIN selbst bezieht sich in ihrer Gründungserklärung ideologisch auf die Ideen des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Aktionen und Kampagnen von jugendlichen PKK-Anhängern wurden in den letzten Jahren von TCS und TEKO-JIN initiiert. Diese Aktionen werden in den eigenen Medien sehr öffentlichkeitswirksam dargestellt und ziehen auch die internationale bzw. überregionale PKK-Anhängerschaft an. Insofern haben zwar die Aktivitäten auch in Niedersachsen zugenommen, sie wirken sich aber nicht auf das seit einigen Jahren konstante Personenpotenzial aus. Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen verfolgen das Ziel, den Einfluss der PKK in möglichst allen Segmenten der kurdischstämmigen Gemeinschaft zu verankern. In diesem Zusammenhang sind besonders der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) sowie der "Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan" (JXK) hervorzuheben, die durch Veranstaltungen oder Aktionen - insbesondere in Universitäten - regelmäßig in Erscheinung treten. Auch auf anderen Gruppen, die als gesellschaftliche Multiplikatoren wirken bzw. in Zukunft wirken könnten, liegt ein besonderes Augenmerk. Entsprechend fungieren die "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK) sowie die "Union der Juristen Kurdistans" (YHK). In diesem Zusammenhang ist auch die Etablierung der "Islamischen Gemeinde Kurdistans" (CIK) als Versuch der Einflussnahme auf kurdischstämmige Muslime zu werten. Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. 301 Extremismus mit Auslandsbezug Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Der Aktionismus der PKK im Jahr 2023 erreichte sowohl spontan als auch in Bezug auf die wiederkehrenden Jahrestage (z. B. Jahrestag der Festsetzung Öcalans, Newroz-Fest, Kurdistanfestival, Jahrestage der PKK-Gründung und des PKK-Betätigungsverbots) in etwa die Intensität und Mobilisierungsfähigkeit wie vor der Corona-Pandemie. PKK-Anhänger feiern Newroz Anlässlich des traditionellen kurdischen Neujahrsfestes Newroz186 nahmen am 25.03.2023 etwa 30.000 Personen aus ganz Deutschland teil, darunter eine Vielzahl von Anhängern der PKK. Die Beteiligung an der zentralen Großkundgebung in Frankfurt am Main lag deutlich über den Erwartungen des Anmelders, der von 15.000 Teilnehmenden ausgegangen war. Ursächlich für diesen großen Zuspruch dürften das Ende der Corona-Pandemie, die Solidarität mit den Erdbebenopfern in der Türkei, die dort bevorstehenden Wahlen sowie die Parteikampagne "Jin, Jiyan, Azadi" gewesen sein. Die Kampagne richtete sich besonders an Frauen und forderte sie auf, sich stärker für die Belange der Frauen einzusetzen. Auch aus Niedersachsen reisten zahlreiche Personen mit angemieteten Bussen nach Frankfurt am Main. Die Versammlung verlief störungsfrei. Vereinzelt wurde gegen das Vereinsgesetz verstoßen, insbesondere durch das Zeigen von Öcalan-Abbildungen und PKK-nahen Symbolen. Des Weiteren wurden vereinzelt unerlaubte Pyrotechnik und Drohnen eingesetzt. Es gab musikalische und folkloristische Darbietungen. In den teils politischen Reden forderte man die Aufhebung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan. Außerdem gedachte man der Opfer des verheerenden Erdbebens vom 06.02.2023 im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Im gesamten Bundesgebiet fanden zahlreiche weitere kleine lokale Newroz-Veranstaltungen statt, die ebenfalls weitestgehend störungsfrei verliefen. In Niedersachsen wurden z. B. Feiern in Celle, 186 Mit dem kurdischen Neujahrsfest Newroz wird neben dem Beginn eines neuen Jahres der Frühlingsanfang (21. März) gefeiert. Newroz bedeutet "neuer Tag" und geht historisch auf die Legende eines kurdischen Schmieds zurück, der zum Widerstand gegen einen Tyrannen aufgerufen und diesen in der Nacht vom 20. auf den 21. 03. im Jahr 612 v. Chr. erschlagen haben soll. 302 Extremismus mit Auslandsbezug Hannover, Lehre (Landkreis Helmstedt), Oldenburg, Osnabrück und Peine bekannt. Die PKK instrumentalisiert das traditionelle Fest, das sich in die von ihr propagierten Themen "Widerstand" und "Befreiungskampf" einfügt, um auf ihre politischen Anliegen aufmerksam zu machen und ein breites Spektrum kurdischer Volkszugehöriger anzusprechen. Die Newroz-Feierlichkeiten stellen einen der Höhepunkte der regelmäßigen Großveranstaltungen im Bereich des kurdischen und PKK-nahen Spektrums dar. 31. Kurdisches Kulturfestival Am 31. Kurdischen Kulturfestival beteiligten sich am 09.09.2023 erneut in Frankfurt am Main etwa 12.000 Teilnehmende. Anmelderin war die "Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans e. V."187 (FCDK-KAWA). Auch 2023 präsentierte sich das Festival als eine Mischung aus Kunst, Kultur, Musik, Folklore und Politik. Zwischen musikalischen Darbietungen wurden auf der Bühne Redebeiträge und Botschaften verlesen und - wie jedes Jahr - Informationsmaterial zu Abdullah Öcalan und seiner Ideologie verkauft. Die Polizei verhinderte bereits im Vorfeld der Veranstaltung, dass verbotene Fahnen auf das Festivalgelände gebracht werden konnten. Bei dem Versuch großer Personengruppen, verbotene Symbole plakativ auf das Gelände zu bringen, kam es auch zu Auseinandersetzungen und zum Teil massiven, auch gewaltsamen Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte. Als vereinzelt verbotene Flaggen auftauchten, wurde der Veranstaltungsleiter aufgefordert, Lautsprecherdurchsagen durchzuführen sowie Ansprachen durch Ordnungsdienstkräfte zu veranlassen. Die Fahnen wurden daraufhin entfernt. PKK bekennt sich zum Anschlag in Ankara und startet in Europa zwei Kampagnen Anfang Oktober 2023 zeichnete sich für Europa eine längere Aktionswelle der PKK im Rahmen mehrerer Kampagnen ab. Den Hintergrund bildete die vom türkischen Militär begonnene erneute Luft-Boden-Offensive in Nordsyrien. Wie der türkische Staatssender TRT am 05.10.2023 unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, 187 Es handelt sich hierbei um die regionale Föderation für Hessen und das Saarland. 303 Extremismus mit Auslandsbezug griffen türkische Streitkräfte "terroristische Ziele" im Norden und Nordosten Syriens an. Auslöser dieser Angriffe soll der in der türkischen Hauptstadt Ankara vor dem türkischen Innenministerium am 01.10.2023 verübte Selbstmordanschlag gewesen sein, zu dem sich die PKK bekannte.188 Die Auseinandersetzungen in Nordsyrien führten bereits Anfang Oktober zu starkem Aktionismus auch in Niedersachsen. So fand bereits am 06.10.2023 eine unangemeldete friedlich verlaufene Veranstaltung in Hannover statt. Nachdem bereits am 05. und 06.10.2023 Flyer im Bahnhof Göttingen verteilt wurden, folgte dort eine Solidaritätsaktion für die Bevölkerung in Rojava189 am 07.10.2023. Weitere unangemeldete Protestaktionen fanden am 13.10.2023 mit etwa 80 Teilnehmenden und am 14.10.2023 mit rund zehn Teilnehmenden in Hannover statt. Am 18.10.2023 suchten Aktivistinnen und Aktivisten der Netzwerke "Women Defend Rojava" und "Defend Kurdistan" in mehreren Städten, u. a. in Hannover, Medieneinrichtungen auf, um auf die Angriffe des türkischen Militärs auf Nordsyrien und den Nordirak aufmerksam zu machen. Parallel startete am 09.10.2023 die europaweite PKK-Kampagne "Freiheit für Öcalan, eine politische Lösung für die kurdische Frage" vor dem Europarat in Straßburg. Inzwischen war es zweieinhalb Jahre her, dass Öcalan das letzte Mal Kontakt mit der Außenwelt hatte. Im März 2021 konnte er ein Telefonat mit seinem Bruder führen, welches nach etwa fünf Minuten abrupt abbrach. Der letzte Verwandtenbesuch fand im März 2020 statt. Seine Anwälte sprach Öcalan zuletzt im August 2019. Ein zentraler Bestandteil dieser Kampagne war ein fünftägiges SitIn vom 09. bis zum 13.10.2023 ebenfalls vor dem Europarat. Die Kampagne forderte, dass Öcalan sich mit seinem Rechtsbeistand und Familienangehörigen treffen darf und schließlich unter Bedingungen 188 Vgl. "NPG: Vorfall in Ankara ,Aktion von Fedai-Team' der Guerilla" veröffentlicht auf den Internetseiten von ANF am 01.10.2023, abgerufen am 04.10.2023; Fedai (türkisch): eine Person, die ihr Leben für ein hohes Ziel opfert. 189 Mit "Rojava" sind die überwiegend von Kurden besiedelten Gebiete in Nordsyrien gemeint. Politisch betrachtet die PKK "Rojava" als quasiautonomes Gebiet, in dem die ideologischen Sichtweisen des PKK-Gründers Abdullah Öcalan im Rahmen des "demokratischen Konföderalismus" gelebt werden. 304 Extremismus mit Auslandsbezug freigelassen wird, um sich bei der Suche nach einer gerechten und demokratischen politischen Lösung für die "kurdische Sache" in der Türkei beteiligen zu können. In Hannover ist diese Kampagne bereits am 07. und 08.10.2023 angelaufen. Weitere Aktionen fanden ebenfalls in Hannover am 26. und 27.10.2023 statt. Am 19.10.2023 führte eine Personengruppe in Hannover Fahnen mit der Aufschrift "Freiheit für Öcalan" mit sich und skandierte lautstark u. a. "Biji Serok Apo"190 und "Freiheit für Öcalan". Im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle dieser nicht angezeigten Versammlung verhielten sich die Teilnehmenden unkooperativ und uneinsichtig. Folglich löste die Polizei die Versammlung auf, stellte die Identität aller Personen fest und erteilte ihnen einen Platzverweis. Aufgrund des Verstoßes gegen SS 20 Vereinsgesetz fertigte die Polizei zwölf Strafanzeigen. Die Kampagnen sollten nicht nur auf wichtige Themen der Organisation hinweisen, sondern gleichzeitig auch von der ausgesprochen desolaten Situation der PKK im Kandilgebirge ablenken. Seit Wochen kursierten Informationen und Gerüchte, dass die massiven militärischen Offensiven der Türkei und eine Vielzahl von Drohnenangriffen zu verheerenden Verlusten bei der PKKGuerilla geführt hätten. Gerüchte besagten sogar, dass hochrangige Funktionäre der Parteizentrale den Angriffen zum Opfer gefallen seien. Insgesamt wurde deutlich, dass die Propaganda aus der Notlage der Organisation heraus besondere strategische Bedeutung hatte. Die mediale Aufmerksamkeit für die PKK-Problematik rückte aufgrund der Berichterstattung zum Israel-Palästina-Konflikt in den Hintergrund und drohte zu verpuffen. Diesem Dilemma begegnete die PKK medial auch mit dem Versuch eines Schulterschlusses. Am 02.11.2023 titelt die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF, Firat News) mit einem Zitat des hochrangigen Parteifunktionärs Duran Kalkan: "Erdogan steht hinter 190 Die kurdische Parole bedeutet übersetzt: Es lebe der Führer Apo; mit Apo ist der PKK-Führer Abdullah Öcalan gemeint. Regelmäßig von PKK-Anhängern als Sympathiebekundung für Öcalan verwendet. 305 Extremismus mit Auslandsbezug dem HAMAS-Angriff auf Israel". In einem ausführlichen Kommentar auf Medya TV bewertete Duran Kalkan die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten als Ausdruck des seit 30 Jahren in der Region ausgetragenen "Dritten Weltkriegs" und stellt fest, wie aus seiner Sicht die Kämpfe zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk hätten verhindert werden können. "Die Lösung liegt in Öcalans Modell des demokratischen Konföderalismus: Hätten das palästinensische Volk, das jüdische Volk und die Werktätigen Israels nicht das Gift des Fundamentalismus und des Nationalismus verinnerlicht und würden sie nicht jeweils die Schaffung ihrer eigenen Nationalstaaten verfolgen, sondern ein Zusammenleben auf der Grundlage ihrer eigenen Werte im Sinne der demokratischen Nation und des demokratischen Konföderalismus angestrebt, hätten diese Kämpfe verhindert werden können." ("Kalkan: Erdogan steht hinter dem HAMAS-Angriff auf Israel", veröffentlicht auf den Internetseiten von ANF am 02.11.2023, abgerufen am 02.11.2023) Staatsschutzverfahren wegen Mitgliedschaft in der PKK eröffnet Am 04.09.2023 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle die Hauptverhandlung gegen einen 43-jährigen kurdischen Aktivisten. Er wurde Anfang 2023 aus Italien an die deutsche Justiz ausgeliefert und befindet sich seit dem 03.03.2023 in Untersuchungshaft. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle legt dem Angeklagten zur Last, sich mitgliedschaftlich in einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK) beteiligt zu haben (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. SS 129b Abs. 1 Satz 1 Strafgesetzbuch (StGB)). Der Angeklagte soll als hauptamtlicher Kader der PKK von 2018 bis 2019 das PKKGebiet Hannover und von 2019 bis Mitte 2021 das PKK-Gebiet Bremen geleitet haben. Er habe dabei die Verantwortung für alle propagandistischen, organisatorischen, finanziellen und personellen Angelegenheiten in diesen Zuständigkeitsbereichen getragen. Der Angeklagte habe Parteiversammlungen und Propagandaveranstaltungen organisiert und darauf hingewirkt, dass möglichst viele Personen aus seinem Zuständigkeitsbereich an entsprechenden Versammlungen, Kundgebungen und Treffen teilnahmen. Zudem habe er die Beitreibung und Abrechnung der alljährlichen Spendenkampagne der PKK innerhalb der von ihm geleiteten Gebiete überwacht. ANF veröffentlichte einen "Aufruf zur Solidarität mit Mehmet Cakas" der Initiativen "Women Defend Rojava" und "Defend 306 Extremismus mit Auslandsbezug Kurdistan", in dem zu einer Solidaritätskundgebung am 04.09.2023 vor dem Gerichtsgebäude des OLG Celle aufgerufen wurde. Ebenfalls auf ANF wurde am 04.09.2023 ein "Verlaufsbericht" mit Videos und Fotos der Solidaritätskundgebung veröffentlicht.191 Am 03.11.2023 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg ein Verfahren wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Die Bundesanwaltschaft wirft einem 49-jährigen Kurden vor, sich zwischen September 2018 und Juni 2020 als Mitglied an der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) beteiligt zu haben (SSSS 129 Abs. 2, 129a Abs. 1 Nr. 1, SS 129b Abs. 1 StGB). Der Angeklagte soll seit September 2018 als hauptamtlicher Kader die typischen Leitungsaufgaben eines "Gebietsverantwortlichen" und "Regionsverantwortlichen", zunächst im PKK-Gebiet Hamburg und in der PKK-Region Hamburg (bestehend aus den PKK-Gebieten Hamburg, Bremen und Kiel)192 sowie anschließend im PKK-Gebiet Köln und der PKK-Region Nordrhein wahrgenommen zu haben. Seit dem 03.06.2023 befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft, zuvor war er am 15.03.2023 in Zypern festgenommen und am 02.06.2023 nach erheblichen Protesten in Zypern nach Deutschland überstellt worden. Auch in Hamburg finden Proteste gegen den Prozess statt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die PKK zeigt sich noch immer als die mitgliederstärkste nichtislamistische extremistische Ausländerorganisation in Deutschland. Es wird deutlich, dass die PKK weiterhin in der Lage ist, schlagkräftig aufzutreten und - bei entsprechendem Anlass - auch Personen weit über die aktive Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. Die Schwerpunkte der Tätigkeit der PKK in Europa sind auf die logistische, finanzielle und propagandistische Unterstützung des Kampfes in der Heimat (Türkei, Syrien und Nordirak) ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militärischen Arms, für die Unterhaltung des 191 Vgl. "Eröffnung der Hauptverhandlung gegen Mehmet Cakas" in https://anfdeutsch.com, abgerufen am 05.09.2023. 192 Die PKK-Gebiete Hamburg und Bremen umfassen auch das jeweilige niedersächsische Umland, z. B. Cuxhaven, Delmenhorst, Lüneburg und Stade. 307 Extremismus mit Auslandsbezug Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Parteiaktivitäten bleibt daher in Europa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebenen vordringlichste Aufgabe. Die Lage der Kurden in der Türkei, den kurdischen Gebieten im Irak und in Syrien sowie die Situation des inhaftierten Abdullah Öcalan haben seit langem Einfluss auf die Sicherheitslage in Deutschland. Trotz der inzwischen 24 Jahre andauernden Inhaftierung bleibt Öcalan Führungsfigur und Leitmotiv der PKK. Die emotionalen Protestaktionen der letzten Jahre zeigen, wie unmittelbar der Konflikt in den Heimatregionen von den Kurden auch in Deutschland wahrgenommen und bewertet wird. Das künftige Verhalten der PKK-Anhängerinnen und -Anhänger hängt daher ganz wesentlich von der weiteren Entwicklung dort ab. Das Jahr 2023 hat gezeigt, dass das politische und militärische Agieren der Türkei gegenüber der PKK nicht an Schärfe verloren hat. Staatspräsident Erdogan stellt sich mit Vehemenz der PKK entgegen und sichert sich damit weiterhin Akzeptanz und Ansehen bei einem Großteil der türkischen Bevölkerung, dies auch in Zeiten innenpolitischer, vor allem wirtschaftlicher Probleme. In Abhängigkeit von der Situation im Heimatland bewegt sich in der Bundesrepublik Deutschland sowohl das Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen mit nationalistischen/rechtsextremistischen Türken als auch das Risiko gewalttätiger Angriffe von PKK-Anhängerinnen und -Anhängern auf türkische Einrichtungen. Wird es 2024 weiterhin kein Lebenzeichen Öcalans sondern vielmehr weitere militärische Offensiven der türkischen Armee in Nordsyrien und im Nordirak geben, so muss auch mit weiteren Demonstrationen und Aktionen gerechnet werden. Insbesondere beim Aufeinandertreffen von Personen aus dem (nationalistischen) türkischen und Personen aus dem kurdischstämmigen Lager kann es aufgrund der hohen Emotionalisierung zu einer spontanen Abkehr von der propagierten friedlichen Linie, hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Auch Besetzungsaktionen, Brandanschläge und Sachbeschädigungen an Gebäuden türkischer Einrichtungen können lageabhängig nicht ausgeschlossen werden. Grundsätzlich ist aber in Deutschland weiterhin von einem friedlichen Protestverlauf auszugehen, denn die PKK propagiert die Beibehaltung einer friedlichen Linie in Europa. 308 Extremismus mit Auslandsbezug 5.5 Ülkücü-Bewegung Sitz/Verbreitung Türkei Gründung/ Mitte des 20. Jahrhunderts Bestehen seit Mitglieder/Anhänger Niedersachsen: 700 Kurzportrait/Ziele Die rechtsextreme türkische Ülkücü (Idealisten)-Bewegung, umgangssprachlich auch "Graue Wölfe" (Bozkurtlar) genannt, wurde 1968 von Alparslan Türkes (1917-1997) gegründet und versteht sich als außerparlamentarischer Arm der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (Milliyetci Hareket Partisi, MHP). Sie fußt auf einer nationalistischen und rassistischen Ideologie, deren Wurzeln im Panturkismus bzw. Turanismus193 liegen. Die Überhöhung des türkischen Volkes geht mit einer gleichzeitig ausgeprägten Abwertung anderer Ethnien, Staaten und Religionen, vor allem von Angehörigen des jüdischen Glaubens, des Staates Israel und der Armenier, einher. Kurden bilden ein weiteres stark ausgeprägtes Feindbild, ebenso Griechen. Kommunismus und Kapitalismus werden zu Gunsten eines dritten Weges abgelehnt. Ziel der extrem nationalistisch, antisemitisch, rassistisch und rechtsextremistisch ausgerichteten Bewegung ist der Schutz des Türkentums sowie eine alle Turkvölker in einem homogenen "Großtürkischen Reich" namens "Turan" vom Balkan bis nach Westchina vereinende Nation. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Bei der Ülkücü-Bewegung handelt es sich aufgrund ihres stark überhöhten Nationalismus in Verbindung mit der Abwertung anderer Ethnien um eine Bestrebung, die gegen den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz verstößt und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richtet. Sie erfüllt damit die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 NVerfSchG). 193 Die Ideologie entstand im 19. Jahrhundert und verfolgt das Ziel, alle turksprachigen Völker in einem einzigen Staat zusammenzuschließen. 309 Extremismus mit Auslandsbezug Ihre Ideologie zeigt sich nach außen durch Symbole wie die "Drei-Halbmondfahnen", den "Grauen Wolf" (Bozkurt) und den "Wolfsgruß". Der "Graue Wolf" findet seinen Ursprung in der türkischen Gründungsmythologie, beispielsweise im Ergenekon-Mythos194 oder in der Asena-Legende195 und gilt als vorherrschendes Abstammungsund Machtsymbol. Vom "Grauen Wolf" abgeleitet ist der sogenannte "Wolfsgruß", eine der bekanntesten Gesten der Ülkücü-Bewegung und auch der türkischen MHP, hier symbolisiert der "Wolfsgruß" Zugehörigkeit. Politische Ereignisse im Heimatland Türkei führen regelmäßig zu hoch emotionalen Reaktionen, auch in der Bundesrepublik Deutschland, wie die Präsidentschaftsund Parlamentswahlen 2023 in der Türkei gezeigt haben. Gewaltaktionen, z. B. gegen PKK-Anhänger, aber auch gewalttätiger Widerstand gegen die Polizei im Rahmen von Demonstrationen, erfolgen immer wieder situativ und spontan, sind aber bisher insgesamt eher überschaubar. Bei den "Grauen Wölfen" handelt es sich in all ihren Ausprägungen um eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Ideologie Das ideologische Fundament der Ülkücü-Lehre bildet die 9-StrahlenDoktrin, verfasst von Alparslan Türkes im Jahr 1965. Die Strahlen symbolisieren dabei die Theorien des Nationalismus, Idealismus, Moralismus, traditionelle Wissenschaftlichkeit, Soziabilität, Förderung der Landwirtschaft, Freiheit und Individualismus, Volksnähe, Förderung der nationalen Industrie und der Technik. Aufbauend auf diese Doktrin entwickelte sich in der ÜlkücüBewegung eine Grundhaltung und Idealvorstellung, die sich auf fast alle Lebensbereiche erstreckt. Sie stellt eine Lebensphilosophie dar, nach der ihre Anhängerinnen und -Anhänger zu leben haben. Die totale Identifikation mit der Nation, dem türkischen Staat sowie der Religion wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Ein 194 Ein Wolf rettete die bedrängten Vorfahren des türkischen Volkes, das Zuflucht im Tal Ergenekon gesucht hatte vor dem Feind, führte das Volk aus dem Tal und verhalf ihm zu neuer Macht. 195 Laut der Asena-Legende wurde der Stammvater der Gök-Türken von der Wölfin Asena gerettet. 310 Extremismus mit Auslandsbezug weiteres Kriterium ist die Absicht, ein "Großtürkisches Reich"196 zu errichten, den sogenannten "Turan". Danach soll ein Volk (das Türkentum) herrschen, mit einer Sprache (Türkisch), unter derselben Flagge (die drei Halbmonde) und auf demselben Territorium (dem "Großtürkischen Reich"). Dabei sind die Überhöhung des Türkentums, des türkischen Charakters und des Kampfes gegen Separatisten wichtige Elemente. Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusstsein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie. Die "Grauen Wölfe" leben nach einem totalitären Normverständnis, nach dem allen Menschen anderer Ethnien, insbesondere Kurden, Juden, Armenier und Griechen oder anderer Minderheiten in der Türkei weder Akzeptanz noch Respekt gewährt werden. Ein "Freund-Feind-Denken" ist stark ausgeprägt. Hass und Gewalt gegenüber fremden Gruppierungen werden als legitim betrachtet. In der Praxis folgt daraus eine ständige Gewaltbereitschaft gegenüber den "Feinden", die insbesondere bei der jungen Anhängerschaft und im Internet zu Tage tritt. Auch eine antidemokratische Grundhaltung mit gezielter Propaganda gegen "Linke", Sozialisten, Kommunisten sowie demokratische Institutionen gehört zur typischen Denkweise. Diese Ideologie verstößt nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz, sondern wirkt einer Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in die deutsche Gesellschaft entgegen. Struktur Die Ülkücü-Bewegung ist in Deutschland in drei Dachverbänden organisiert. In Niedersachsen sind Ortsvereine zweier dieser Dachverbände bekannt. Der größte Dachverband ist die 1978 gegründete "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V." (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF). 196 Das "Großtürkische Reich Turan" umfasst folgende Regionen: Altai, Aserbaidschan, Baschkortostan, Chakassien, Dagestan, Gagau-sien, Kabardino-Balkarien, Karakalpakstan, Karatschai, Kasachstan, Kirgistan, Krim, Nordzypern, Ostturkistan, Tataristan, Tschuwa-schien, Turkmenistan, Tuwa, Türkei, Usbekistan und Yakutistan (Quelle: Selbstdarstellung auf turanhaberajansi.org). 311 Extremismus mit Auslandsbezug Sie versteht sich als Auslandsvertretung der MHP. Die MHP wurde 1969 ebenfalls durch Alparslan Türkes gegründet und ist auf Nationalismus und Turanismus ausgerichtet. Türkes wird von den Anhängern der ADÜTDF bis in die Gegenwart hoch verehrt. Die ADÜTDF pflegt eine Anti-EU-Rhetorik und agitiert vehement gegen die PKK. Seit 2018 besteht ein Wahlbündnis der MHP mit der vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angeführten "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (Adalet ve Kalkinma Partisi, AKP), wodurch beide Parteien zusammen die Mehrheit im türkischen Parlament stellen. Die ADÜTDF mit Sitz in Frankfurt am Main teilt sich in ihrer Organisationsstruktur in Deutschland in mehrere Bölge (Gebiete) auf. Niedersachsen gehört zum Bölge Nord. Aktive Vereine existieren in Braunschweig, Hannover, Osnabrück und Salzgitter. Im bundesweiten Vergleich bildet Niedersachsen keinen Schwerpunkt der Aktivitäten. Auf europäischer Ebene existiert der Dachverband "Türkische Konföderation in Europa" (Avrupa Türk Konfederasyon, ATK). Er besteht aus der ADÜTDF und neun weiteren nationalen Vereinigungen. Ein weiterer Dachverband der Ükücü-Bewegung ist die "Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa" (Avrupa Türk Islam Birligi, ATIB) mit Sitz in Köln. Sie hat sich 1987 von der ADÜTDF abgespalten, ohne sich ideologisch neu auszurichten. Die ATIB steht für einen stärker islamisch-religiös orientierten Teil der "Ülkücü-Bewegung". In Niedersachsen sind ATIB-Vereine mit angegliederten Moscheen in Hannover, Osnabrück und Salzgitter ansässig. Neben den Dachverbänden gibt es zudem eine quantitativ und qualitativ bemerkenswerte, aber schwer fassbare unorganisierte Szene der "Grauen Wölfe". Dabei handelt es sich um Aktivistinnen und Aktivisten, die einzeln oder in kleinen Strukturen rechtsextremistische Bestrebungen entfalten. Insbesondere im Internet und in den sozialen Netzwerken sind rechtsextreme Symbolik, Mobilisierung und Hetze festzustellen. Die sozialen Medien sind hier - allen voran für in Deutschland geborene und aufgewachsene türkischsprachige Jugendliche - eine wichtige Plattform. In dieser Szene steht nicht die Anbindung an eine Partei im Vordergrund, 312 Extremismus mit Auslandsbezug sondern lediglich eine loyale Grundeinstellung gegenüber nationalistischen rassistischen Denkmustern und der Parteiarbeit in der Türkei. Aktuelle Ereignisse in der Türkei werden über die sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok thematisiert. Dabei wird insbesondere mit kurdischstämmigen Türken über reale, aber auch Fake-Accounts kommuniziert, beleidigt und gestritten. Schon Ende 2020, unmittelbar nach dem Verbot der "Grauen Wölfe" in Frankreich, sprach sich der Deutsche Bundestag in einem parteiübergreifenden Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Prüfung eines Organisationsverbots der Vereine der Ülkücü-Bewegung in Deutschland aus. Die Entscheidung der Bundesregierung steht weiterhin aus. Wahlen in der Türkei 2023 Die Vorbereitungen der Präsidentschaftsund Parlamentswahlen 2023 begannen mit Blick auf die im Ausland lebenden türkischen Wahlberechtigten bereits 2021 mit Zusammenkünften einflussreicher Vertreter verschiedener Organisationen mit AKP-Verantwortlichen. Für ein Treffen im April 2021 reisten u. a. die Vorsitzenden von ATIB und ADÜTDF in die Türkei und trafen sich dort mit dem türkischen Präsidenten Erdogan und AKP-Ministern. Bei diesen Gesprächen sollten die Wahlkampfaktivitäten der Verbände abgestimmt und in Einklang gebracht werden. Der Wahlkampf selbst verlief in Niedersachsen bei der ÜlkücüBewegung in Bezug auf die Außendarstellung zurückhaltend. In Hannover haben 63 Prozent der Wahlberechtigten für Erdogan gestimmt, bundesweit waren es 67,4 Prozent. Nach dem Sieg Erdogans kamen auch in Niedersachsen Anhängerinnen und Anhänger von AKP und MHP zusammen, um den Wahlsieg zu feiern, u. a. in Braunschweig, Hannover und Peine. Von Feiernden wurde dabei mehrfach der "Wolfsgruß" gezeigt, was als Bekenntnis zur rechtsextremen MHP und den ihr nahestehenden "Grauen Wölfen" gilt und darüber hinaus provozieren sollte. So musste die Polizei in Hannover türkische Feiernde und kurdische Protestierende trennen, um Zusammenstöße zu unterbinden. Hierbei zeigte sich, dass Anhänger der "Grauen Wölfe" in Deutschland sehr emotional auf politische Ereignisse in der Türkei reagieren. 313 Extremismus mit Auslandsbezug Gerichtsurteil zur Nennung der ATIB in Verfassungsschutzberichten Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil vom 07.09.2023 in einem Verwaltungsstreitverfahren festgestellt, dass die Nennung der ATIB in den Verfassungsschutzberichten des Bundes 2019 und 2020 zulässig ist. Vorausgegangen war eine entsprechende Klage des Dachverbandes gegen die Nennung im Jahresbericht 2019. In dem Urteil bestätigt das Gericht u. a., dass es sich bei der ATIB um einen Personenzusammenschluss handelt, bei dem hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen vorhanden sind, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Des Weiteren könne die ATIB anhand von gewichtigen Anhaltspunkten der türkisch-rechtsextremistischen ÜlkücüBewegung zugeordnet werden. Als Teil der Bewegung verfolge sie eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Die Bestrebung basiere auf nationalistischen, rassistischen und islamistischen Elementen und sei in der Gesamtschau als antidemokratisch, mithin extremistisch, zu bewerten. Gegen das Urteil hat die ATIB Einspruch eingelegt. Aktivitäten in Niedersachsen Die regionalen Vereine der Ülkücü-Bewegung organisieren regelmäßig Treffen zu bestimmten Anlässen. Auf diese Weise wird der patriotische Zusammenhalt der Gemeinschaft - ein türkisch nationalistisches Zusammengehörigkeitsgefühl - gefördert. Auch werden zu bestimmten wichtigen Festtagen, wie z. B. dem religiösen Fastenbrechen oder dem Zuckerfest, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeladen, um ein enges soziokulturelles Zusammenleben zu suggerieren. Das Aktionsspektrum in den Vereinsräumlichkeiten ist vielfältig. Um das ideologische Gedankengut zu festigen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, gehören sowohl kulturelle und familiäre Feste als auch nationale oder religiöse Feierlichkeiten zur Tagesordnung. So werden z. B. seit Jahren Gedenkveranstaltungen für den Urvater der "Grauen Wölfe", Alparslan Türkes ausgerichtet, insbesondere sein Todestag am 4. April wird in den Vereinen gewürdigt. Seit Jahren wird deutlich, dass der beschriebene Aktionismus zwar vordergründig kulturell und religiös geprägt ist; es schwingt i. d. R. aber eine Überhöhung des türkischen Nationalismus mit, z. B. durch die Ausgestaltung der Räumlichkeiten mit Flaggen und Symbolen sowie durch die ausgewählte Musik. 314 Extremismus mit Auslandsbezug Veranstaltungen dieser Art zeigen, dass die Vereine zwar bemüht sind, sich nach außen als sozial und engagiert darzustellen. Sie versuchen aber auch, unter Außerachtlassung demokratischer Grundprinzipien, das Wohl und den Schutz der kulturellen und religiösen Werte beizubehalten, nationalistische Werte hervorzuheben und die Anhänger, insbesondere die Jugendlichen, an sich zu binden und im Sinne der Ülkücü-Ideologie zu sozialisieren. Im Internet wird die ganze Bandbreite der Bewegung und ihrer Anhängerinnen und Anhänger offenbar - häufig in drastischen Bildern und Worten. Viele der meist jugendlichen Anhängerinnen und Anhänger bekräftigen in ihrer Selbstdarstellung über das Internet eine rassistische, kulturelle und mitunter auch religiöse Überlegenheit. Das Vorgehen der türkischen Armee in den kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien und im Nordirak wird von den "Grauen Wölfen" generell unterstützt. Sie hoffen, dass dadurch die Autonomiegebiete an der türkischen Südgrenze beseitigt werden und somit keine Bedrohung mehr für die Souveränität und Integrität des türkischen Staates besteht. Entsprechend gab es immer wieder Spannungen zwischen "Grauen Wölfen" und der PKK. Seit einigen Jahren, insbesondere seit den Einschränkungen aufgrund der Corona - Pandemie, konzentrieren sich die konfrontativen Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen und linksextremistischen türkischstämmigen Personen bzw. PKKSympathisierenden auf das Internet. Das zeigte sich auch auf den Social Media-Accounts des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bei Instagram und Twitter. Auf Info-Beiträge zur Ülkücü-Bewegung und zur PKK reagierte die jeweilige Gegenseite mit abschätzigen und teilweise herablassenden Kommentaren. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die politischen Entwicklungen in der Türkei sind für die "Grauen Wölfe" in der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Impulsgeber. Eine ausgeprägte nationalistische Ausrichtung der Vereine in Deutschland, die gerade seit der politischen Allianz zwischen AKP und MHP bei der Anhängerschaft zugenommen hat, verstärkt dabei 315 Extremismus mit Auslandsbezug eine Abkehr von Integration. Auch die schwierige Wirtschaftslage in der Türkei mit einer extrem hohen Inflation und einem damit einhergehenden Kaufkraftverlust für breite Teile der Bevölkerung führte bislang nicht zu einer nennenswerten Abkehr von der türkischen Regierung und Präsident Erdogan hierzulande. Bisher zeigen die Appelle der Vereine, Provokationen nicht in Gewalt ausarten zu lassen, überwiegend ihre Wirkung. Von den Dachverbänden sind auch im Rahmen des Nahost-Konfliktes keine unfriedlichen Aufrufe zu erwarten, man bleibt um die Außendarstellung einer legalen positiven Vereinsarbeit bemüht. Als Träger der extremistischen Ideologie fördern aber auch die Vereine die grundsätzliche Bereitschaft einzelner Anhängerinnen und Anhänger, Gewalt und Provokationen gegen die vermeintlichen Feinde spontan auszuleben. 316 Extremismus mit Auslandsbezug 317 06 Extremismusprävention Extremismusprävention 6.1 Extremismusprävention Für eine effiziente und nachhaltige Sicherheitspolitik müssen Repression und Prävention Hand in Hand gehen. Aus diesem Bewusstsein heraus hat der Niedersächsische Verfassungsschutz 2014 den phänomenübergreifenden Fachbereich Extremismusprävention eingerichtet. Er umfasst eine Vielzahl von Angeboten, von der Informationsvermittlung über Extremismusphänomene und Radikalisierung, das Engagement im Rahmen der Niedersächsischen Landesprogramme für Extremismusprävention, die Präventionsberatung für Fachkräfte bis hin zum Ausstiegsangebot aus dem Extremismus. Da sich die extremistischen Szenen ständig wandeln, werden die Präventionsangebote des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stetig an die aktuellen Entwicklungen angepasst. Sie sind zudem zielgruppenorientiert und niedrigschwellig erreichbar. Dies stellt sicher, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den Angeboten haben, um sich zu informieren, Ansprechpartner bei konkreten Fragen zu finden und ggf. sogar selbst Hilfe zu erhalten, z. B. beim Ausstieg aus der extremistischen Szene. Extremismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist daher Kooperationspartner innerhalb eines Netzwerkes von unterschiedlichen Präventionsakteuren in Niedersachsen sowie auf Bundesebene. Damit trägt er zu einer gelingenden und ganzheitlich angelegten Extremismusprävention für Niedersachsen bei. Deshalb ist er gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) geschäftsführend im Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) tätig und hat seinerzeit federführend an der Erarbeitung des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus - für Demokratie und Menschenrechte (heute: Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte) mitgearbeitet. 320 Extremismusprävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz hält folgende Präventionsangebote vor: f Bereitstellung von Referentinnen und Referenten für Fachvorträge, f Veröffentlichung von Informationen des Verfassungsschutzes im Rahmen eigener Veranstaltungen und Publikationen, f speziell für bestimmte Adressatenkreise konzipierte Informationsund Beratungsangebote (u. a. Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"197, Lehrkräftefortbildungen, Beratung von Funktionsträgerinnen und -trägern in Städten und Kommunen), f Betreuung von Personen, die sich von extremistischen Ideologien bzw. Szenen abwenden möchten (Aussteigerprogramm Aktion Neustart198). Aktuelle Einflussfaktoren auf die Extremismusprävention 2023 sind die durch die Corona-Pandemie bedingten Einschränkungen der Präventionsarbeit größtenteils entfallen. Die Aktivitäten in den Bereichen Vortragstätigkeit und Veranstaltungen konnten wieder vollumfänglich aufgenommen werden. Auch die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" wurde an zwei Standorten gezeigt. Thematisch wirkt die Pandemie jedoch noch nach. Dies zeigt sich u. a. an weiterhin vielen Anfragen zu den Themen Verschwörungstheorien, Hate Speech und OnlineRadikalisierung. Angesichts teilweise massiver Hetze gegen Amtsund Mandatsträger sowie andere Personen, die sich politisch oder sozial engagieren, widmete sich eine Veranstaltung der Reihe "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" der Frage nach dem Zustand der politischen Debattenkultur. Ein besonderer Schwerpunkt der Präventionstätigkeit lag auch 2023 auf dem Thema Online-Radikalisierung. So wurde im Rahmen des KIP NI eine neue interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Auch die Jahresveranstaltung des KIP NI mit dem Titel "Digitale Gefahren - Chancen und Herausforderungen für die Islamismusprävention" stellte das Thema in den Mittelpunkt.199 197 Siehe Kapitel 6.3. 198 Siehe Kapitel 6.7. 199 Siehe Kapitel 6.6. 321 Extremismusprävention 6.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen Ein wichtiger Baustein der Präventionsangebote des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind Vortragsund Informationsverans t altungen. Mit arbeiterinnen und Mit arbeiter des Verfassungsschutzes können zu allen Aspekten des Extremismus als Referentinnen und Referenten eingeladen werden, z. B. von Kommunen, Vereinen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Ebenso werden Projekttage, Seminare und Workshops auf Anfrage fachlich begleitet. Die Themen und Formate können dabei innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Verfassungsschutzes mit den Referentinnen und Referenten flexibel vereinbart werden. 2023 konnten insgesamt 146 Vortragseinheiten realisiert werden, an denen ca. 4.700 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen. Von diesen 146 Vortragseinheiten dienten 22 als Ersatz für den 2022 pandemiebedingt ausgefallenen Termin der Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" an der Polizeiakademie Hann. Münden. Auch 2023 wurde der Rechtsextremismus als Einzelthema mit 48 Vorträgen am stärksten nachgefragt. In 67 Überblicksvorträgen wurden die Arbeit des Verfassungsschutzes, die verschiedenen Extremismusbereiche und Angebote der Prävention umfassend behandelt. In 14 Vorträgen erfolgte eine Sensibilisierung zum Thema "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Sechs Vorträge thematisierten den Phänomenbereich Islamismus. Die restlichen Vorträge verteilten sich auf die Themen Linksextremismus, Prävention und die Arbeit des Verfassungsschutzes allgemein. Kooperationsprojekt "Riegelstellung gegen Extremismus" mit dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen Seit 2020 fördert der Niedersächsische Verfassungsschutz das beim Landesfeuerwehrverband Niedersachsen angesiedelte Präventionsprojekt "Riegelstellung gegen Extremismus". Ziel des Projektes ist es, die Freiwilligen und Berufsfeuerwehren in Niedersachsen 322 Extremismusprävention zu informieren, wie Extremismus und extremistische Radikalisierung zu erkennen sind sowie Handlungsoptionen im Falle einer Radikalisierung an die Hand zu geben. Der Fachbereich Extremismusprävention ist an der Kooperation in Form von Vorträgen und Seminartagen für die Angehörigen der niedersächsischen Feuerwehren inhaltlich beteiligt. 2023 konnten sieben Veranstaltungen gemeinsam mit dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen realisiert werden. Bereits die vorangehenden Projekte "Löschangriff gegen Rechts" und "Zündstoff für die Feuerwehren in Niedersachsen" hat der Niedersächsische Verfassungsschutz gefördert. 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein seit Jahren erfolgreiches und anschauliches Format der Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bildet die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". Grundlegende Informationen zu verschiedenen Ausprägungen des Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Propaganda werden u. a. anhand einschlägiger Internetvideos, rechtsextremistischer Musik und Szenebekleidung vermittelt. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die rechtsextremistische Jugendszene. Daher eignet sie sich insbesondere für Schülerinnen und Schüler bzw. Auszubildende. Sie wird durch Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes begleitet, die im Rahmen von 90 -minütigen Führungen die Fragen der Teilnehmenden beantworten. 2021 und 2022 wurde die Wanderausstellung durch zwei Module ergänzt. Das erste Modul behandelt mit dem Antisemitismus einen Grundbestandteil der rechtsextremistischen Ideologie, informiert jedoch auch kurz über Formen des Antisemitismus in anderen Extremismusbereichen. Die zweite Erweiterung befasst sich mit 323 Extremismusprävention dem Thema Verschwörungstheorien. Nach vorheriger Absprache besteht die Möglichkeit, die Themen als eigene Schwerpunkte zu behandeln. Nach der pandemiebedingten Pause machte die Wanderausstellung 2023 Station an der BBS Burgdorf und an der Johannes-SelenkaSchule der BBS Braunschweig (in Kooperation mit der BBS OttoBennemann-Schule in Braunschweig). In Burgdorf nahmen 531 Schülerinnen und Schüler an 33 Führungen teil. In Braunschweig besuchten 880 Schülerinnen und Schüler in 33 Führungen die Ausstellung. Bereits seit dem Jahr 2005 setzt der Niedersächsische Verfassungsschutz die inzwischen mehrfach überarbeitete Wanderausstellung zur Informationsvermittlung über den Rechtsextremismus ein. Seitdem fanden rund 1.100 Führungen statt, mit denen ungefähr 24.500 Besucherinnen und Besucher erreicht wurden. Insgesamt 324 Extremismusprävention war die Wanderausstellung seit 2005 in 93 Orten in Niedersachsen sowie in angrenzenden Bundesländern zu sehen. 6.4 Informationsmaterialien Der Niedersächsische Verfassungsschutz erstellt Informationsmaterialien und veröffentlicht den jährlichen Verfassungsschutzbericht, der einen detaillierten Überblick über die extremistischen Entwicklungen in Niedersachsen gibt. Die Materialien können kostenfrei beim Niedersächsischen Verfassungsschutz bestellt werden und stehen auch auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zum kostenlosen Download zur Verfügung. Das Portfolio umfasst derzeit folgende Titel: f "Reichsbürger und Selbstverwalter" (Flyer), f "Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus im Rechtsextremismus" (Flyer), f "Verschwörungstheorien: Erscheinungsformen und Symbole" (Flyer), f "Islamismus" (Flyer) (deutsch, arabisch, türkisch), f "Jihadistischer Salafismus" (Flyer), f "Verfassungsschutz durch Information" (Flyer), f "Spionage - (k)ein Thema?!" (Flyer), f "Immobiliengeschäfte mit extremistischem Hintergrund" (Flyer; nur für Kommunen; kein Download) 325 Extremismusprävention Neuer Flyer "Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus im Rechtsextremismus" Der neue Informationsflyer thematisiert Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus im Rechtsextremismus, beschreibt deren Erscheinungsformen und die dahinterstehende Ideologie. Innerhalb des Rechtsextremismus existieren verschiedene Vorstellungen von idealtypischen Rollenund Frauenbildern. Die dabei vertretenen Ideologien stehen grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis zur Selbstbestimmung von Frauen, wodurch sich ein Widerspruch zu den gesellschaftlichen Realitäten ergibt. Bei Rechtsextremisten führt dies zwangsläufig zu antifeministischen und frauenfeindlichen Reflexen. Hinzu kommt, dass in bestimmten Internetforen ein ungehemmter und offen dargestellter Frauenhass erkennbar ist, der sich auch in nicht eindeutig rechtsextremistischen Gruppen wiederfindet. Exemplarisch hierfür steht die Szene der sogenannten "Incels"200, die durch Verschwörungstheorien, Minderwertigkeitskomplexe und Selbstmitleid sowie in einigen Fällen durch eine gewaltorientierte Radikalisierung geprägt ist. 6.5 Veranstaltungen Symposium Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz jährlich öffentliche Symposien veranstaltet, in deren Rahmen anerkannte Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen des Extremismus diskutieren. 2023 wurde kein Symposium durchgeführt, das Format wird jedoch voraussichtlich 2024 wieder angeboten. Über Termine informiert die Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Podiumsdiskussionen 2014 initiierte der Niedersächsische Verfassungsschutz mit "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" eine weitere Veranstaltungsreihe. Bei diesem Format stehen nicht die eigenen Positionen des Niedersächsischen 200 Siehe Kapitel 2.2. 326 Extremismusprävention Verfassungsschutzes im Vordergrund; vielmehr bietet es ein Forum, um Akteure der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Politik über aktuelle Themen miteinander ins Gespräch zu bringen. Unter dem Titel "Debattenkultur 2.0 - wie umgehen mit Hass und Hetze?" diskutierten Vertreterinnen und Vertreter ziviler und staatlicher Institutionen am 30.08.2023 in Hannover untereinander und mit den etwa 100 anwesenden Gästen über den anwachsenden Hass insbesondere in sozialen Medien gegenüber Amtsträgern und anderen Personen, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren, sowie Möglichkeiten der Prävention und Hilfe für Betroffene. In Ihrer Begrüßung hob die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, hervor, dass demokratische Aushandlungsprozesse auf der Bereitschaft des Zuhörens und des gegenseitigen Respekts beruhen müssen: "Hass und Hetze sind jedoch nicht in Einklang zu bringen mit respektvollem Umgang miteinander. Hass und Hetze sind nicht in Einklang zu bringen mit unserer Demokratie, unseren Werten und unserem Grundgesetz." In Bezug auf eine Strategie zur Begegnung der negativen Folgen der Digitalisierung auf die politische Kultur konstatierte die Ministerin: "Ich bin davon überzeugt, niemand kann diese Herausforderungen allein bewältigen. Nicht die Politik, nicht die Zivilgesellschaft und auch nicht die Medienlandschaft. Vielmehr ist es eine breite Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen." Im Anschluss an die Begrüßung diskutierten Angelika Henkel vom Norddeutschen Rundfunk, Dr. Matthäus Fink von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet der Staatsanwaltschaft Göttingen, Joschua Helmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung, und Anna Wegscheider von der zivilgesellschaftlichen Organisation HateAid unter der Moderation von Silke Leinweber über die aktuelle Debattenkultur 327 Extremismusprävention und die daraus entstandenen Folgen auf politisches Engagement. Des Weiteren wurden Handlungsmöglichkeiten für Menschen, die von Hass und Hetze betroffen sind sowie Maßnahmen der Prävention aufgezeigt. Insgesamt wurde deutlich, dass Hass und Hetze nicht nur das Problem einzelner Betroffener ist, sondern auch negative Auswirkungen auf unsere Demokratie haben können. Denn: Ziehen sich immer mehr politisch aktive Personen aufgrund von Anfeindungen bis hin zur Bedrohung aus ihren Funktionen zurück, kann eine Demokratie nicht in vollem Umfang funktionieren. Dies schwächt insbesondere die politische Arbeit im kommunalen Raum. Wichtig, so das Fazit des Podiums, sei es, Hass und Hetze im Netz bei Betreibern von Internetseiten wann immer möglich zu melden. Betroffene sollten sich zudem nicht scheuen, Hilfe bei der Polizei, der Justiz oder zivilgesellschaftlichen Organisationen zu suchen, um Vorfälle bewerten zu lassen und ggf. zur Anzeige zu bringen. Zudem gelte es, die Öffentlichkeit stärker für das Thema zu sensibilisieren und Strukturen zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet weiter auszubauen. 6.6 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) 6.6.1 Struktur Die islamistische und hierbei vor allem die salafistische Radikalisierung junger Menschen stellt Staat und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Wichtig ist, Radikalisierungsprozessen vorzubeugen oder diese aufzuhalten. Das Land Niedersachsen begegnet dieser Herausforderung, indem es auf eine lebendige und vielfältige 328 Extremismusprävention Präventionslandschaft setzt. Diese Vielfalt sowie die sicherheitspolitische Lage machen eine strukturierte und abgestimmte Vorgehensweise notwendig. Im Juli 2016 hatte die Niedersächsische Landesregierung deshalb die Einrichtung der "Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) beschlossen. Im Mai 2020 wurde KIP NI per Kabinettsbeschluss zum Landesprogramm für Islamismusprävention ausgebaut. Das Landesprogramm trägt den Titel "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI). Das KIP NI hat zur Aufgabe, die vorhandenen Netzwerke der unterschiedlichen Akteure im Bereich der niedersächsischen Islamismusprävention zu bündeln, zu institutionalisieren und zu intensivieren. Es ist damit die zentrale Stelle in Niedersachsen, an der die vielfältigen Ansätze der Islamismusprävention zusammenlaufen, abgestimmt und strukturiert werden. Das Kompetenzforum ist eine ressortübergreifende Einrichtung, in welcher der Sachverstand f des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (MI), f des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI), f des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung (MS) mit der zivilgesellschaftlichen Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung - beRATen e. V., f des Niedersächsischen Justizministeriums (MJ) mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR NI) sowie f des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK) zusammengeführt wird. Die Koordinierungsstelle des Kompetenzforums wird gemeinsam und gleichberechtigt durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz (Fachbereich Extremismusprävention) und das LKA NI (Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität) wahrgenommen. Die am KIP NI beteiligten Ressorts sind auf mehreren Ebenen miteinander vernetzt: f Eine Steuerungsgruppe, bestehend aus den jeweils zuständigen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern der an dem KIP 329 Extremismusprävention NI beteiligten Ministerien, setzt die wesentlichen Weichenstellungen für die Islamismusprävention in Niedersachsen. f Zur interministeriellen Vernetzung auf Arbeitsebene finden regelmäßig Vernetzungstreffen mit den für die Islamismusprävention zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt. Hier werden die Details der ressortübergreifenden Islamismusprävention gemeinschaftlich erarbeitet, neue Trends im Themenfeld Islamismus diskutiert, Präventionsansätze entwickelt und bei Bedarf Projektgruppen eingerichtet. f Die Arbeit des KIP NI wird durch einen Fachbeirat, bestehend aus Mitgliedern aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, beratend begleitet. Darüber hinaus stimmt sich das Landesprogramm KIP NI fachlich und strategisch mit dem Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte (Federführung im MJ) ab, um Synergieeffekte zu nutzen und Doppelstrukturen zu vermeiden. Ziel ist es, in Niedersachsen eine ganzheitliche Extremismusprävention zu gewährleisten. 330 Extremismusprävention 6.6.2 Arbeitsschwerpunkte f Strategische Koordinierung In den verschiedenen Gremien des KIP NI werden nachhaltige Strategien für die Islamismus-/Salafismusprävention in Niedersachsen entwickelt. Der Niedersächsische Verfassungsschutz koordiniert diesen Entwicklungsprozess. f Einzelfallbezogene Koordinierung Zur Koordinierung und Bearbeitung von Einzelfällen beruft das LKA NI Fallkonferenzen mit den jeweils erforderlichen Akteuren ein. Gemeinsam werden einzelfallbezogene Präventionsmaßnahmen der Intervention und Deradikalisierung erarbeitet. f Aufbau von kommunalen Netzwerken für Extremismusprävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz, das LKA NI und beRATen e. V. begleiten den Prozess der lokalen Netzwerkbildung, um sicherzustellen, dass vor Ort u. a. für die Islamismus-/Salafismusprävention Informationen problemlos für die Öffentlichkeit zugänglich sind, Meldewege etabliert werden und die Fallbearbeitung effizient erfolgen kann. f Sensibilisierung Alle am KIP NI beteiligten Akteure bieten Maßnahmen zur Sensibilisierung der mit dem Phänomen Islamismus/Salafismus konfrontierten Einrichtungen und der Öffentlichkeit an. Detaillierte Informationen zu den Sensibilisierungsund Informationsangeboten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind den Kapiteln "6.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen" sowie "6.4 Informationsmaterialien" zu entnehmen. Zudem koordiniert der Niedersächsische Verfassungsschutz die Öffentlichkeitsarbeit des KIP NI mittels einer eigenen Internetseite, Flyern und Broschüren und ist für die öffentliche Jahresveranstaltung des KIP NI verantwortlich. f Intervention und Deradikalisierung Das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Aktion Neustart 201 hilft Ausstiegswilligen dabei, sich von extremistischer Szene und Ideologie zu lösen und ein Leben ohne Extremismus zu führen. Die zivilgesellschaftliche 201 Siehe Kapitel 6.7. 331 Extremismusprävention Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung beRATen e. V. bietet Beratung bei Radikalisierungsverdachtsfällen und steht Angehörigen bzw. dem Umfeld von Radikalisierten als Ansprechpartner zur Verfügung. Beide Angebote sind kostenlos, vertraulich und auf freiwilliger Basis. 6.6.3 Arbeitsgruppen 2023 haben folgende interministerielle Arbeitsgruppen (AG) innerhalb des KIP NI gearbeitet: f AG "Kommunale Strukturen der Islamismusprävention" (AG KoStI): In dieser Arbeitsgruppe geht es um die zielgerichtete Stärkung der Islamismusprävention auf lokaler Ebene. Für eine ganzheitliche Islamismusprävention im Flächenland Niedersachsen ist es notwendig, dass Präventionsstrukturen auf Landesebene durch Strukturen auf kommunaler Ebene ergänzt werden. Da extremistische Szenen sich teilweise ähnlicher Formen und Formate der Ansprache und Propaganda bedienen und die extremistischen Phänomenbereiche in einer dynamischen Wechselwirkung zueinander stehen, stellen sich die Netzwerke phänomenübergreifend auf. Ziel der AG KoStI ist es, ressortübergreifend Standards der Extremismusprävention auf lokaler Ebene zu erarbeiten. Hierfür stimmen sich das LKA NI, der Niedersächsische Verfassungsschutz und beRATen e. V. in regelmäßigen Sitzungen über die Bedarfe vor Ort und Standards für kommunale Netzwerke der Extremismusprävention ab. Außerdem initiieren und begleiten sie die Netzwerkbildung vor Ort und unterstützen z. B. durch Moderation, administrative Tätigkeiten, Vernetzung mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und Angeboten sowie Vermittlung und Durchführung von Fachvorträgen. Die AG KoStI steht dem jeweiligen kommunalen Netzwerk auch langfristig beratend zur Seite. In mehreren Kommunen wurden mittlerweile Netzwerkstrukturen erarbeitet und Meldewege institutionalisiert. f AG "Zusammenarbeit mit Jugendämtern": Unter Federführung des MS wurde eine AG gebildet, deren Aufgabe darin besteht, die Herausforderungen, die Möglichkeiten 332 Extremismusprävention sowie die Stärkung der Zusammenarbeit von Akteuren der Präventionsarbeit mit Jugendämtern im Kontext von islamistischer Radikalisierung zu bearbeiten. Ein besonderer Fokus liegt auf aus Syrien und dem Irak zurückkehrenden Kindern, aber auch auf Schnittstellen von Kinderund Jugendhilfe und Radikalisierungsprävention. In dieser AG wirken Vertreterinnen und Vertreter des Landesjugendamtes, der Fachreferate des MS, der Beratungsstelle beRATen e. V. sowie die Rückkehrkoordination von LKA NI und Verfassungsschutz mit. Verstärkt wird dieses Team durch eine Vertreterin bzw. einen Vertreter des zivilgesellschaftlichen Projektes "Clearingstelle Radikalisierungsprävention an den Schnittstellen des SGB VIII". f AG "Deradikalisierungsforum": In dieser AG wurden unter der Federführung des Aussteigerprogramms Aktion Neustart beim Niedersächsischen Verfassungsschutz gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Violence Prevention Network (VPN) und von beRATen e. V. Standards für die Deradikalisierungsarbeit in Niedersachsen entwickelt. Das Ergebnispapier legt u. a. die jeweiligen grundsätzlichen Zuständigkeiten dar und schreibt fallbezogen die notwendigen Absprachen zwischen den Akteuren fest. f AG "(De-)Radikalisierung und Prävention im Kontext psychischer Auffälligkeiten": Unter der Federführung des MS, der Beratungsstelle beRATen e. V. und des LKA NI arbeiten in dieser AG zivilgesellschaftliche und staatliche Präventionsakteure mit weiteren Professionen aus den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie zusammen. Ziel der AG ist die multiprofessionelle Betrachtung von Fällen sowie eine gut vernetzte Zusammenarbeit unter Wahrung der jeweiligen datenschutzrechtlichen Grenzen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist durch das Aussteigerprogramm Aktion Neustart in der AG vertreten. f AG "Islamismus im Netz": In der AG wird eine Strategie erarbeitet, um die analoge Präventionsarbeit auf die digitale Welt zu übertragen. Hierbei prüft die AG, inwiefern die islamistische Szene im Netz von Präventionsund Deradikalisierungsakteuren erreicht wird. Des Weiteren 333 Extremismusprävention wird die AG Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für das Thema sensibilisieren und über Strategien, Angebote und Methoden der islamistischen Szene im Netz aufklären. Unter der Federführung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes arbeiten hier das MI, LKA NI, MS, die Beratungsstelle beRATen e. V. und der LPR/Landes-Demokratiezentrum NI gleichberechtigt zusammen. 6.6.4 Jahresveranstaltung Seit 2017 bringt die jährliche KIP NI-Tagung die in der Islamismusprävention tätigen Akteurinnen und Akteure in Niedersachsen zusammen und bietet Raum für Vernetzung und Diskussionen. In verschiedenen Formaten, von Podiumsdiskussionen, Workshops, Fachvorträgen bis hin zu Theaterstücken, findet ein Austausch zu aktuellen Themen und Fragestellungen statt. Am 07.11.2023 fand die sechste Jahresveranstaltung des KIP NI unter dem Titel "Digitale Gefahren - Chancen und Herausforderungen für die Islamismusprävention" in Hannover statt. Stephan Manke, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport, begrüßte die 170 Gäste und bedankte sich bei den Teilnehmenden für das große Interesse sowie den Akteuren von KIP NI für die gute Zusammenarbeit im Landesprogramm. Im ersten Fachvortrag klärte Michael Kaspar vom Niedersächsischen Verfassungsschutz über die Aktivitäten der islamistischen Szene im Netz auf. Hierfür ging Kaspar auf die unterschiedlichen Plattformen ein und nahm auf das generelle Nutzerverhalten von Jugendlichen Bezug: "Gerade Salafisten nutzen die aktuell populären Plattformen, wie Instagram oder TikTok, um ihre Ideologie in inhaltlich sehr verkürzter Form, aber modern aufbereitet einem großen Publikum zugänglich zu machen." Im zweiten Fachvortrag verdeutlichte eine Referentin des Landes-Demokratiezentrums die gängigen Narrative deutschsprachiger Islamistinnen und Islamisten im 334 Extremismusprävention Netz. Sie betonte, dass es gerade für die Präventionsund Deradikalisierungsarbeit im Netz wichtig sei, die häufig bedienten Narrative und Strategien der islamistischen Szene zu erkennen. Nur so könne Prävention im Netz richtig greifen. Eine Möglichkeit für die Präventionsarbeit im Netz liege in der Schaffung von Diskussionsräumen oder Orten der Begegnung. Die zwei Geschäftsführerinnen des KIP NI, Daniela Schlicht, Verfassungsschutz Niedersachsen, und Lisa Borchardt, Landeskriminalamt Niedersachsen, betonten bei der Vorstellung ihres Geschäftsberichtes die Chancen und Herausforderungen im Bereich der digitalen Präventionsarbeit. Borchardt: "Gerade im Kontext von Online-Radikalisierung werden die KIP NI-Netzwerkstrukturen relevant. Wo eine vermeintlich stille Radikalisierung im Jugendzimmer stattfindet, ist es umso wichtiger, damit einhergehende Warnverhaltensmuster wahrzunehmen und in Regelstrukturen dafür zu sensibilisieren. Gemeinsam gilt es, Motive hinter der Radikalisierung zu eruieren, repressive und präventive Maßnahmen abzustimmen und als demokratische Gesellschaft alternative Angebote zu extremistischen Kontexten zu machen." Dennis Möller vom Landeskriminalamt Niedersachsen führte das Publikum interaktiv mithilfe der Demonstration von Deepfakes in Video und Bild an die Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz (KI) heran. Hierdurch sensibilisierte er das Publikum für die KI und deren Fortschritte. Anhand einer inszenierten Unterhaltung mit einem KI-Chatbot verdeutlichte Möller die Herausforderungen für die Präventionsund Deradikalisierungsarbeit. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörterten Osman Kösen, Gymnasiallehrer an der KGS Ronnenberg, Beatrice Mansour, MIND prevention GmbH, und Nader Hotait von der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Moderation von Benjamin Franz, TU Braunschweig, zum einen die Fragestellung, wie die islamistische Szene im Netz von Präventionsund Deradikalisierungsakteuren erreicht werden kann, und zum anderen, welche Informationen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren benötigen, um Islamisten im Netz zu erkennen. Nader Hotait nannte folgende Faktoren für eine gelingende Prävention auch im digitalen Raum: 335 Extremismusprävention "Qua ihrer Struktur hinkt die Extremismus-Prävention der digitalen Welt hinterher. Um Schritt zu halten, muss sie sich die Techniken und Mechanismen der digitalen Welt aneignen. Beständigkeit erfährt die Prävention aber nur dann, wenn sie fundamentale Kontextfaktoren mitdenkt. Dazu gehört der öffentliche Umgang mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Benachteiligung." Deutlich wurde, dass der islamistischen Szene im Netz nur gemeinsam begegnet werden kann. Neben einer ausreichenden Medienkompetenz für Schülerinnen und Schüler müsse diese auch an die Eltern vermittelt werden. Zudem ist eine Diskussion über Ethik im Bereich KI und soziale Netzwerke wichtig und notwendig. Die Expertinnen und Experten waren sich einig, dass wir nicht allein auf technische Lösungen seitens der Betreiber von sozialen Netzwerken setzen können, sondern es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, Extremismus zu begegnen. 6.6.5 KIP NI-Internetseite Die Internetseite des KIP NI steht Nutzerinnen und Nutzern, die sich über das Phänomen des Islamismus und die Islamismusprävention in Niedersachsen informieren wollen, zur Verfügung. Dort erhalten Sie Informationen zu den Themen Islamismus und Radikalisierung, zur Arbeit des Landesprogramms für Islamismusprävention, zu Veranstaltungen und zu Hilfsangeboten. Zudem können über die Internetseite Informationsmaterialien abgerufen und kostenlos bestellt werden. Weitere Informationen zum KIP NI erhalten Sie unter folgenden Kontaktdaten: Internet: www.KIPNI.niedersachsen.de E-Mail: info@KIPNI.niedersachsen.de 336 Extremismusprävention Neues Niedersächsisches Internetportal für Extremismusprävention im Aufbau Die Angebote und Informationen der beiden niedersächsischen Landesprogramme für Extremismusprävention, des beim MJ angesiedelten Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte sowie des KIP NI, werden künftig auf einer gemeinsamen Internetseite abrufbar sein. Damit wird erstmalig ein zentrales und niedrigschwelliges Portal für Extremismusprävention in Niedersachsen geschaffen. Voraussichtlich wird das Angebot im Sommer 2024 abrufbar sein. 6.7 Aktion Neustart Das 2010 gegründete Aussteigerprogramm Aktion Neustart unterstützt ausstiegswillige Extremistinnen und Extremisten, die sich von ihrer jeweiligen extremistischen Szene und Ideologie distanzieren wollen. Aktion Neustart ist für alle extremistischen Phänomenbereiche zuständig, seit 2010 für Rechtsextremismus, seit 2016 für Islamismus sowie seit 2019 für Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug und die Scientology-Organisation. Aktion Neustart steht als Ansprechpartner für Ausstiegswillige zur Verfügung, spricht aber auch proaktiv Extremistinnen und Extremisten an, die noch keinen Ausstiegswillen entwickelt haben. Auf diese Weise sollen bei ihnen Ausstiegsimpulse gesetzt werden. Wichtiger Teil der Ausstiegsarbeit ist zudem die Beratung des sozialen Umfeldes von Extremistinnen und Extremisten, z. B. der Eltern, Lehrkräfte, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und des Freundeskreises. Das Aussteigerprogramm unterstützt alle Ausstiegswilligen, vom jungen Menschen, der droht in den E x tremismus abzugleiten, über Mitläufer und Aktivisten bis hin zu langjährigen Führungskadern der extremistischen Szenen. Die 337 Extremismusprävention Unterstützung durch Aktion Neustart ist stets kostenlos, freiwillig und streng vertraulich. Das Angebot des Aussteigerprogramms umfasst: f vertrauliche Beratung am Telefon, f vorurteilsfreie Gespräche über Probleme, Ängste und Wünsche, f persönliche Beratung und Begleitung im Ausstiegsprozess, f Erstellung eines individuellen Ausstiegsplans, f Unterstützung bei der Arbeits-, Ausbildungsoder Wohnungssuche und im Umgang mit Behörden, f Hilfe in Bedrohungssituationen, f Unterstützung bei der Bearbeitung von Alkohol-, Drogenund finanziellen Problemen, f Hilfe bei der Entfernung von extremistischen Tätowierungen und f Unterstützung bei Gesprächen mit Eltern, Lehrkräften, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Aktion Neustart hat seit seiner Gründung zahlreiche Fälle bearbeitet. Sie umfassen Beratungstätigkeiten für soziale Umfelder (Familie, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Freundeskreis etc.) extremistischer Personen, für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie konkrete Ausstiegsbetreuungen. Von den Fällen, die zu einer konkreten Ausstiegsberatung führten, sind im Phänomenbereich Rechtsextremismus seit 2010 insgesamt 338 Extremismusprävention 70 Personen erfolgreich ausgestiegen. 26 Personen werden aktuell betreut. Im Phänomenbereich Islamismus sind seit 2016 insgesamt 17 Personen erfolgreich ausgestiegen. 17 Personen werden derzeit betreut. Im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug sind drei Personen erfolgreich ausgestiegen, eine Person wird aktuell betreut. Das Team von Aktion Neustar t ist interdisziplinär und geschlechterparitätisch zusammengesetzt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ver fügen über langjährige Er fahrung im Umgang mit extremistischen Ideologien und arbeiten auf Grundlage pädagogischer und psychologischer Fachkenntnisse und Methoden. Die umfangreichen Verfassungsschutzerkenntnisse über extremistische Ideologien und Szenen ermöglichen es Aktion Neustart, mögliche Bedrohungslagen für einen Aussteiger bzw. eine Aussteigerin frühzeitig zu erkennen und fundierte Gefahrenprognosen zu erstellen. Im Ausstiegsprozess sollen die persönlichen Einstiegsmotive und die extremistischen Einstellungsmuster erkannt, besprochen und aufgelöst werden. Ziel der Ausstiegsarbeit ist die Hinwendung der oder des Aussteigenden zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den Grundund Menschenrechten. Das Zusammenspiel sicherheitsbehördlicher und pädagogischer Fähigkeiten, kombiniert mit langjähriger Erfahrung in der Ausstiegsarbeit, ermöglicht es, im Ausstiegsprozess nicht nur eine nachhaltige Loslösung von extremistischer Ideologie und Szene zu erreichen, sondern gleichzeitig auch Schutz und Sicherheit für den Aussteiger oder die Aussteigerin zu gewährleisten. Darüber hinaus sind der Aufbau einer nicht extremistischen sozialen Existenz und die Reintegration in die Gesellschaft essenziell für die Arbeit von Aktion Neustart. In der Ausstiegsarbeit bestätigt sich regelmäßig, dass extremistische Szenen gerade für junge Menschen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen bereithalten. Der Wunsch nach Anerkennung und eine Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für die 339 Extremismusprävention Hinwendung zur extremistischen Szene. Allerdings können durch die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Szene Orientierungslosigkeit, Identitätsprobleme, Frustrationen und Ängste nur für eine begrenzte Zeit kompensiert werden. Extremistinnen und Extremisten, die erkannt haben, dass ihnen die extremistische Szene nicht das Erhoffte gibt, erhalten von Aktion Neustart Unterstützung. Gemeinsam mit der Aussteigerin oder dem Aussteiger wird eine sinnvolle Perspektive für ein Leben frei von Extremismus entwickelt. Seit Jahren spielt das Internet, insbesondere soziale Netzwerke, eine herausragende Rolle beim Einstieg junger Menschen in extremistische Ideologien und Szenen. Soziale Netzwerke bieten Menschen die Möglichkeit, erste Kontakte zu Extremistinnen und Extremisten herzustellen. Extremistisches Gedankengut wird teils unreflektiert übernommen und so die Radikalisierung befördert. Neben dem Austausch extremistischer Meinungen können einfach extremistische Schriften, Filme und Musik konsumiert werden. Um dem entgegenzutreten, nutzt Aktion Neustart soziale Netzwerke für seine Ausstiegsarbeit. Extremistinnen und Extremisten werden dort gezielt proaktiv angesprochen und so Ausstiegsimpulse gesetzt. Mittels selbst produzierter Memes und Videos kommuniziert Aktion Neustart alternative Narrative und dringt in die extremistischen Meinungsblasen der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke ein, bietet nicht extremistische Perspektiven an und macht auf sein Unterstützungsangebot für den Ausstieg aufmerksam. Um potenzielle Aussteigerinnen und Aussteiger möglichst niedrigschwellig erreichen zu können, bietet Aktion Neustart zudem die Möglichkeit der anonymen Online-Beratung an. Sie richtet sich an all diejenigen, die sich über Extremismus und den Ausstieg aus dem Extremismus beraten lassen wollen. 340 Extremismusprävention Sie können Aktion Neustart unter folgenden Kontaktdaten erreichen: Mobil: 0172 4444300 E-Mail: aktion.neustart@mi.niedersachsen.de In den sozialen Medien: Facebook, YouTube, Instagram Online-Beratung für alle Extremismusbereiche: www.aktion-neustart.de 6.8 Kontaktdaten Für Wünsche zu Vortragsund Informationsveranstaltungen steht der Fachbereich der Extremismusprävention beim Niedersächsischen Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-215 E-Mail: praevention@mi.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie ebenfalls unter der o. a. Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Siehe hierzu auch Kapitel 1.15. 341 07 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 7.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen Als Teil der jeweiligen Sicherheitsarchitektur verfügen zahlreiche Staaten über Nachrichtendienste, die Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln sammeln und auswerten. Insbesondere totalitäre Staaten verfügen über Geheimdienste, die auch aktiv Maßnahmen ergreifen, z. B. politisch Einfluss nehmen, Sabotage betreiben oder Attentate verüben. Bei manchen Geheimdiensten kommen auch paramilitärische Abteilungen zur Durchführung von geheimen Kommandounternehmungen zum Einsatz. Heute wird die klassische Spionage als Phänomen aus vergangenen Zeiten betrachtet, aber auch in unserer "digitalen" Zeit mit weltweiter Datenvernetzung und schnell voranschreitenden technischen Entwicklungen werben ausländische Nachrichtendienste menschliche Quellen an. In der Bundesrepublik Deutschland sind der Auslandsnachrichtendienst (BND), der Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutz) sowie der militärische Nachrichtendienst (BAMAD) mit der Informationsbeschaffung betraut. Nachrichtendienste unterliegen in Rechtsstaaten einer Fachund Rechtsaufsicht durch die vorgesetzten Dienststellen, weil Nachrichtendienste, wie alle staatliche Gewalt, an Recht und Gesetz gebunden sind. Infolge ihrer verdeckten Arbeitsweise und des häufig regen Interesses von Regierungsstellen an der Informationsgewinnung wird eine Aufsicht durch Exekutivbehörden selbst oftmals nicht als hinreichend erachtet. Die Kontrolle wird daher durch parlamentarische Gremien ergänzt. Diese kann dann durch Debatten, Aktuelle Stunden oder durch parlamentarische Anfragen in und aus den jeweiligen Parlamenten erfolgen. 202 Das Sachgebiet Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten zu erheben 202 Siehe dazu auch Kapitel 1.6. 344 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe und Spionage sowie Proliferation203 zu verhindern. Da Niedersachsen als erfolgreicher Wirtschaftsstandort potenzielles Ziel von Spionageaktivitäten fremder Geheimoder Nachrichtendienste204 ist, gilt es, ihn vor derartigen Aktivitäten zu bewahren. Zudem geht es darum, den Schutz der in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Die im Folgenden aufgeführten Beispiele sollen zu einer Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der niedersächsischen Wirtschaft beitragen. Hauptakteure der klassischen Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China, der Iran, aber in Teilen auch die Türkei. Die Schwerpunkte dieser Länder orientieren sich an den politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Prioritäten. Aufgrund desolater Sicherheitslagen in ihren Heimatländern und damit verbundener existenzieller Bedrohungen, sucht eine große Zahl von Menschen Zuflucht und Schutz in Europa. Insbesondere Deutschland ist Ziel von Flüchtlingsbewegungen, die ihren Ursprung vor allem in Afghanistan, im Irak, in Syrien sowie in der Ukraine, aber auch in den Ländern Zentralund Westafrikas haben. Mit der sich vergrößernden Exilgemeinde ist die Ausforschung oppositioneller Aktivitäten zur wichtigen Zielvorgabe für fremde Dienste in Deutschland geworden. Fremde Geheimoder Nachrichtendienste sind in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. Botschaften, Generalkonsulate = Legalresidenturen) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimund Nachrichtendienstmitarbeitende können dort, als Diplomatinnen und Diplomaten getarnt, tätig werden und Informationen beschaffen, oder sie leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Eine Vielzahl von Informationen, die für fremde Geheimoder Nachrichtendienste interessant erscheinen und früher nur mit klassischen 203 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 7.2. 204 Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen Nachrichtendienste einer rechtsstaatlichen Kontrolle und haben keine polizeilichen Befugnisse. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden sind demnach Nachrichtendienste. Siehe dazu auch Kapitel 1.7. 345 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Spionagetätigkeiten zu erheben waren, sind heutzutage mit relativ geringem technischen Aufwand und fast ohne Risiko auf virtuellem Wege zu erlangen. Zum Teil ist aufgrund bestimmter Parameter (z. B. welcher Angriffsweg und welche Infrastruktur genutzt werden), auch von einer geheimoder nachrichtendienstlichen bzw. staatlichen Beteiligung auszugehen. Vor dem Hintergrund insbesondere des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erlebt die klassische Spionage gewissermaßen eine "Renaissance" nach dem Ende des "Kalten Krieges". Im Umkehrschluss bedeutet dies insoweit jedoch nicht, dass die klassischen Spionageaktivitäten ausgedient haben. Entsprechende Verdachtsfälle sind im Fachbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz auch im Jahr 2023 bekannt geworden. Nachfolgend werden exemplarisch einige Bearbeitungsschwerpunkte der niedersächsischen Spionageabwehr im Berichtszeitraum dargestellt. Russland Der russische Auslandsnachrichtendienst nennt sich Sluschba wneschnei raswedki (SWR, auch SVR, Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation). Seine Aufgabe ist es, Informationen in den Bereichen Politik, Technologie, Wirtschaft und Wissenschaft zu beschaffen, um sie sowohl für die Politik als auch die Wirtschaft in Logo des SWR Russland nutzbar zu machen. 346 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Einflussnahme und Desinformation Über seine Spionageaktivitäten hinaus ist Russland bestrebt, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und den politischen Diskurs in Deutschland auszuüben. Die Einflussnahme erfolgt sowohl durch staatliche Stellen wie auch durch Einzelpersonen über soziale Netzwerke, Institute, Organisationen und russische Staatsmedien. Oft wird versucht, die wahren Urheber durch Fake-Profile und Social Bots zu verschleiern. Jede Zielgruppe wird gezielt angesprochen. Dafür werden ganz unterschiedliche Instrumente und Kanäle benutzt. Die Verbreitung russlandfreundlicher Narrative findet über die offiziellen Kanäle statt, dazu gehören z. B. auch Verlautbarungen des Präsidenten selbst oder des Außenministeriums, über die Staatsmedien, die staatsnahen Informationsportale sowie über soziale Medien. Über diese Kanäle verfolgt Russland das Ziel, Ängste und Sorgen z. B. vor Lebensmittelund Energieknappheit der deutschen Bevölkerung zu schüren und anzuheizen. Diese Aktivitäten zielen u. a. darauf ab, das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität und Handlungsfähigkeit der demokratischen Institutionen und Mechanismen zu untergraben, die westliche Wertegemeinschaft zu diskreditieren und Bündnisse wie EU sowie NATO zu schwächen. Die öffentliche Meinung soll im Sinne Russlands beeinflusst und die eigene Machtposition gestärkt werden. Dafür werden auch aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse sowie Entwicklungen aufgegriffen. So berichten russische Staatsmedien immer wieder einseitig über Demonstrationsgeschehen auch in Deutschland. Insbesondere bei der Berichterstattung über Demonstrationen gegen den Ukraine-Krieg versucht Russland über die Verbreitung von Narrativen sein Handeln gegenüber seiner eigenen Bevölkerung und der russischsprachigen Diaspora im Ausland zu rechtfertigen, aber auch, um in der deutschen Bevölkerung Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Bundesregierung zu schüren. Auf diese Weise kann mittelbar auf die Meinungsbildung und möglicherweise auf das Wahlverhalten der Bevölkerung in Deutschland Einfluss genommen werden. Nicht Kreml-genehme Berichterstattung wird in Russland unter Strafe gestellt. 347 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurden im Verfassungsschutzverbund daher gemeinsame Anstrengungen unternommen, um die mit diesem Konflikt in Zusammenhang stehenden nachrichtendienstlichen Aktivitäten, Cyberoperationen sowie Propaganda-, Desinformationsund Einflussnahmeaktivitäten in Deutschland zu beobachten und aufzuklären. Es besteht ein intensiver Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Im besonderen Fokus stehen dabei die Desinformationsund Propagandaaktivitäten russischer Akteure. Nach einer Analyse des Institute for Strategic Dialogue (ISD) nutzen russische Staatsmedien, wie RT, angebliche "Faktenchecks", um deutsche "Desinformation" über Gaslieferungen aufzuzeigen. Kremlnahe Social Media-Accounts verbreiten ein inszeniertes Telefongespräch zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und seiner Frau, in dem der amerikanische Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz verbal beleidigt werden. Die Verbreitung des gefälschten Telefonats soll Selenskyjs Besuch in Washington untergraben und Ressentiments gegenüber der Ukraine bei den westlichen Verbündeten schüren. In Bezug auf die Debatten um die Haushaltsaufstellung 2024 in Deutschland nehmen russische Narrative zu einer instabilen politischen Lage in Deutschland zu. Kreml-nahe Medien berichten, in Deutschland würde ein neuer "Schattenkanzler" entstehen. Demnach würde "Der Finanzminister Christian Lindner ein Schattenkanzler werden, da die Mittel der Bundeskasse unter seiner Kontrolle stehen." Ferner wird die angespannte Haushaltssituation in Verbindung mit den deutschen Unterstützungsleistungen für die Ukraine gebracht, um das bekannte Narrativ zur abnehmenden westlichen Unterstützung der Ukraine weiter zu verbreiten. Das auf Desinformation spezialisierte sogenannte Komikerduo "Vovan und Lexus" hat Ausschnitte aus einem Fakeanruf mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf Social MediaKanälen veröffentlicht. Ziel war es, Robert Habeck zu einem ukraine-kritischen Statement zu bewegen - was in diesem Fall nicht gelang. Russische Staatsmedien greifen die Fakeanrufe auf, um Deutschland zu diskreditieren. Demnach sei Robert Habeck "entgegen einer Warnung deutscher Geheimdienste auf den Prank reingefallen". 348 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Für die Erkennung und Einordnung von Risiken sowie die Bewältigung von Herausforderungen, die eine illegitime Einflussnahme fremder Staaten auf Bund, Länder und Kommunen nach sich zieht sowie für eine wirksame Prävention, ist ein koordiniertes, gesamtstaatliches Zusammenwirken unerlässlich. Russischer Motorradclub Night Wolves Bei dem Motorradclub Night Wolves (Nachtwölfe) handelt es sich um den 1989 gegründeten größten Motorradund Rockerclub Russlands. Die Mitglieder vertreten nationalistische und christlichorthodoxe Ansichten. Seit 2009 pflegen der Präsident der Night Wolves und der Russische Staatspräsident, Wladimir Putin, einen guten Kontakt. Seit mehreren Jahren gedenkt der Club am 9. Mai, dem "Tag des Sieges", mit Fahrten und Kranzniederlegungen den Opfern des Zweiten Weltkrieges. Abschluss und Höhepunkt der Fahrten sind die Veranstaltungen zur Erinnerung an das Kriegsende am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow. Der Motorradclub ist in Chaptern organisiert. Im Jahr 2023 wurde ein Chapter in Deutschland gegründet. Geführt wird dieses durch das russische "Motherchapter" "ROSSIJA". Aufgrund der Nähe zum russischen Präsidenten Putin liegt die Vermutung nahe, dass die Night Wolves politische Ziele Putins unterstützen und in seinem Auftrag handeln. Durch ihr medienwirksames Auftreten signalisieren sie Zustimmung für die russische Politik und könnten damit Einfluss auf die politische Meinungsbildung in Deutschland nehmen. China Um ihren Machtanspruch zu sichern und die wirtschaftlichen Ziele erreichen zu können, setzt auch die Volksrepublik China Geheimdienste ein. Von den vier chinesischen Geheimdiensten ist insbesondere das chinesische Ministerium für Staatssicherheit (MSS) für die Auslandsaufklärung zuständig. Es gilt als weltweit größter ziviler Geheimdienst. Wesentliche Strategien chinesischer Nachrichtendienste Die Volksrepublik China bedient sich ihrer Nachrichtendienste als Mittel zum Regimeerhalt. Übergeordnetes Ziel allen nachrichtendienstlichen Handelns ist die Aufrechterhaltung des Machtanspruchs Logo des MSS 349 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). China strebt eine aktive Gestaltung der internationalen Ordnung an und propagiert offen das Ziel, im Jahr 2049 - dem 100. Gründungsjahr der Volksrepublik - wirtschaftlich wie militärisch global führend zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, besteht ein allumfassender Informationsbedarf, den China offensiv auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln deckt. Zu den wesentlichen nachrichtendienstlichen Akteuren zählen der nichtmilitärische Inund Auslandsnachrichtendienst MSS 205, der militärische Nachrichtendienst MID206 , das MÖS 207 sowie der technisch-militärische Nachrichtendienst NSD208. Gegenwärtig räumen chinesische Nachrichtendienste - neben den Themen um die Belt-and-Road-Initiative209 - insbesondere den Entwicklungen im Sektor der Informationstechnologie (Cloud, Internet of Things, Quantentechnologien, Robotik sowie der 5G-Technologie) höchste Priorität ein. Dabei setzen die Dienste auch ausgeklügelte und technologisch anspruchsvolle Cyberoperationen zur Gewinnung von technologischem Know-how (auch für den eigenen Entwicklungsbedarf) ein. Die Ziele chinesischer Spionage werden nach einer Nutzenkalkulation ausgewählt. Beabsichtigt wird vor allem der Vorteil für die eigene Nation durch Informationsgewinnung und -beschaffung. Die Schädigung des Gegners wird von den chinesischen Diensten als zweckdienliches Mittel in Kauf genommen, ist aber als solches oft selbst nicht Ziel des nachrichtendienstlichen Handelns. China hat sich in Bezug auf den Ukraine-Krieg diplomatisch an die Seite Russlands gestellt. Das Land hat jedoch betont, dass es eine neutrale Position einnehme und sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetze. Die Weigerung Chinas, den Angriffskrieg 205 Ministerium für Staatssicherheit = Inlandsnachrichtendienst mit Exekutivbefugnissen, Schwerpunkt: Beobachtung oppositioneller Bestrebungen. 206 Militärischer Inund Auslandsnachrichtendienst = Abschirmung gegen Aufklärungsversuche, Informationsgewinnung zu ausländischen Streitkräften. 207 Ministerium für öffentliche Sicherheit = Dem Polizeiministerium unterstellt, Bereitstellung nachrichtendienstlicher Spezialeinheiten. 208 technische-militärischer Nachrichtendienst = Spezialisiert auf Satellitenaufklärung und hochentwickelte Cyberoperationen gegen kritische Infrastrukturen. 209 Der Begriff bezeichnet die Neue Seidenstraße. Sie ist ein langfristiges Projekt der Kommunistischen Partei Chinas zum Aufbau von Infrastrukturen für Transport, Versorgung und Handel. Vorbild sind historische Routen zwischen China und dem Westen, die man erweitert und verändert. 350 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Russlands zu verurteilen, hat bisher keine erkennbaren wirtschaftlichen Nachteile für die Volksrepublik zur Folge gehabt. Iran Die Geheimdienste der Islamischen Republik Iran sind eine wichtige Stütze für das dortige Regime. Das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS oder VAJA, Ministerium für Nachrichtenwesen der Islamischen Republik Iran) ist der zivile Auslandsgeheimdienst der Islamischen Republik Iran. Die Ausspähung der Oppositionellengemeinde ist ein wesentlicher Aufgabenbereich der iranischen Nachrichtendienste. Die Hinweise erstreckten sich über die Beobachtung irankritischer Demonstrationen, bis hin zu konkreten Gefährdungssachverhalten gegenüber Einzelpersonen, die in Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsbehörden bearbeitet werden. Der Niedersächsische Verfassungsschutz nimmt derartige Hinweise sehr ernst und leitet entsprechende Aufklärungsmaßnahmen ein. Logo des VAJA Türkei Der türkische Inund Auslandsnachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT, "Nationaler Nachrichtendienst") hat primär zur Aufgabe, den Machterhalt der türkischen Regierung sicherzustellen und Informationen zu beschaffen, die zur Vorbereitung politischer Entscheidungen hilfreich sind. Insoweit nehmen die Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden eine zentrale Rolle im Gefüge der türkischen Regierung ein. Ein weiteres zentrales Thema ist die Oppositionellenausspähung, die in verschiedenste Bereiche hineinreicht. Hierbei bieten die Vielzahl türkischer Organisationen und Institutionen und die große türkeistämmige Gemeinde in der Bundesrepublik hinreichend Möglichkeiten, um an Informationen zu gelangen. So hat es in den vergangenen Jahren Hinweise darauf gegeben, dass die türkische Religionsbehörde Diyanet über die Entsendung von Imamen in die DITIB-Moscheen Einfluss auf die Moscheegemeinden genommen haben soll. Die Imame sollen Informationen über 351 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe nicht-regimetreue Moscheebesucher an die Religionsbehörde gemeldet haben. Außerdem besteht ein politischer und militärischer Konflikt zwischen der Türkei und der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)210. Die Türkei wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, nicht in ausreichendem Maße gegen die PKK vorzugehen. Auch aus diesem Grunde dürfte die Türkei ein hohes Interesse an den hiesigen Aktivitäten der PKKAnhängerinnen und -Anhänger in Niedersachsen haben. Es ist daher davon auszugehen, dass auch diese Aktivisten ausgespäht werden. Darüber hinaus machte die türkische Regierung die nach dem Prediger Fetullah Gülen benannte "Gülen-Bewegung" für den Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs im Jahr 2016 verantwortlich. Auch 2023 wurden in Niedersachsen durch den Verfassungsschutz Sensibilisierungsgespräche mit türkischen Oppositionellen und sachverhaltsaufklärende Maßnahmen durchgeführt. Wie türkische Nachrichtendienste vorgehen, wurde in einem Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) deutlich. Das OLG verurteilte einen türkischen Staatsangehörigen am 14.07.2022 u. a. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Der Verurteilte hatte Informationen von in Deutschland lebenden türkischen Oppositionellen an türkische Nachrichtendienste übermittelt. Außerdem verurteilte das OLG Düsseldorf einen deutschen Staatsangehörigen, den der Verurteilte als Helfer angeworben hatte, am 10.11.2022 u. a. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Für die Türkei, aber auch für die anderen genannten Länder gilt, dass es sich bei der Oppositionellenausspähung und der damit verbundenen nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung um klassische Spionageaktivitäten handelt, die nach SS 99 StGB strafbewährt sind. Sie stellt für fremde Nachrichtendienste ein wichtiges Instrument zur Informationsbeschaffung im Ausland dar. 210 Siehe hierzu auch Kapitel 5.4. 352 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 7.2 Proliferation Proliferation ist die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffensystemen und den dazugehörigen Trägersystemen. Wesentliches Merkmal der Proliferation ist, dass diese nicht von Einzelpersonen, sondern durch proliferationsrelevante Staaten 211 - unter Einbeziehung Ihrer Nachrichtendienste - betrieben wird. Die aktuell dynamischen Entwicklungen in den lokalen Krisenund Konfliktherden, ebenso wie die geopolitischen Machtkämpfe autoritärer Regime, verdeutlichen das zunehmende Gefährdungspotenzial dieses Phänomens innerhalb der sicherheitspolitischen Weltlage. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich neben vielen anderen Staaten international dazu verpflichtet, den Einsatz und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, um damit das friedliche Zusammenleben der Völker sicherzustellen. Da Massenvernichtungswaffen und entsprechende Trägertechnologien nicht komplett auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich das Interesse der proliferationsrelevanten Staaten auf den Erwerb einzelner Produkte. Im Mittelpunkt stehen dabei die sogenannten DualUse-Güter (einschließlich Software und Know-how), die sowohl im zivilen aber auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Bei dem Erwerb solcher Güter ist es Ziel, eine militärische Nutzung durch die Beschaffung für einen vermeintlich zivilen Einsatzzweck zu verschleiern. Durch den Einsatz von Tarnfirmen sowie durch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächlichen Bestimmungsort und -zweck, ist es oft sehr aufwändig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. 211 Es handelt sich um Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABC-Waffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 353 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Niedersachsen ist erfolgreicher Standort zahlreicher innovativer Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die hier entwickelten und produzierten Güter sowie deren Technologien können teilweise zur Herstellung oder Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen verwendet werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass Unternehmen und Forschungseinrichtungen proliferationsrelevante Absichten oft nicht erkennen. Grundsätzlich gilt, dass die Umgehung von Exportbestimmungen eine Ordnungswidrigkeit bzw. einen Straftatbestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschaftsverordnung und ggf. dem Kriegswaffenkontrollgesetz darstellt. Emerging Technologies Einen zunehmenden Stellenwert in der Proliferationsbekämpfung nehmen die Entwicklungen technischer Innovationen - sogenannter Emerging Technologies (EMT) - ein, die von zahlreichen Staaten priorisiert werden, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Beispielhaft können die Entwicklung von Quantencomputern und die Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) genannt werden. Besonders problematisch ist dies, da insbesondere EMT mit einem zivil-militärischen "Dual Use"-Charakter das Potenzial haben, zukünftige militärische Konflikte in einem Ausmaß zu beeinflussen, das dem Effekt von Massenvernichtungswaffen ähnelt. Aufgrund der geltenden Gesetzeslage bezüglich der Exportkontrolle für EMT kann der Verfassungsschutz i. d. R. nur durch Sensibilisierung von Politik und Unternehmen gegensteuern. Volksrepublik China Die Anstrengungen der Volksrepublik China im Bereich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unterscheiden sich grundlegend von denen anderer Staaten. Es gibt in Deutschland keine signifikanten Beobachtungen hinsichtlich chinesischer Bestrebungen, Wissen oder Güter im Zusammenhang mit ABC-Waffen und Trägertechnologie zu erlangen. China hat bereits erhebliche Fortschritte auf technologischem Gebiet gemacht und ist daher weitgehend autark. Im Bereich der EMT arbeitet die Volksrepublik mit Hochdruck an ihrem "Sprung an die Weltspitze". Dazu nutzt China intensiv den 354 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe deutschen Markt und die deutsche Wissenschaftslandschaft. Die Übertragungskanäle, wie beispielsweise der Erwerb von Unternehmen oder Kooperationen in Forschung und Wissenschaft sind äußerst vielfältig. Diese Situation generiert eine Anfälligkeit Deutschlands für den Abfluss hochtechnologischer Güter und entsprechendem Fachwissen. Dem wird durch intensive Aufklärung und Sensibilisierung betroffener Unternehmen entgegengewirkt. Russische Föderation Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg hat die Europäische Union seit Ende Februar 2022 gegen die Russische Föderation mehrere Sanktionspakete verhängt, die über die bisherigen Beschränkungen deutlich hinausgehen. Diese umfassen nicht nur weitreichende finanzielle Sanktionen, sondern beinhalten auch ein Verbot für die Lieferung sämtlicher Güter und Technologien, die dazu dienen könnten, die militärische und technologische Stärke Russlands zu erhöhen oder die Entwicklung des Verteidigungsund Sicherheitssektors zu fördern. Es ist zu erwarten, dass Russland trotz oder gerade wegen dieser Sanktionen weiterhin intensive Bemühungen zur Beschaffung von Dual-Use-Produkten unternehmen wird. Ausblick/Fazit Der Niedersächsische Verfassungsschutz leistet Prävention durch konsequente Aufklärung und Sensibilisierungsgespräche. Er steht den niedersächsischen Wirtschaftsunternehmen, Behörden und Forschungseinrichtungen als vertraulicher Ansprechpartner zur Verfügung. Zur Aufdeckung und Verhinderung von proliferationsrelevanten Aktivitäten arbeitet der Niedersächsische Verfassungsschutz eng mit anderen Sicherheitsbehörden zusammen. 355 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 7.3 Cyberabwehr Die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von Informationsund Kommunikationstechnologien steigt. Die dadurch verursachte Verwundbarkeit moderner Gesellschaften stellt eine große sicherheitspolitische Herausforderung dar, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsund Kommunikationsinfrastrukturen ist immens. Staat, Kritische Infrastrukturen 212, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung sind auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des Internets, angewiesen. Zeitgleich werden Cyberangriffe zahlreicher, komplexer und professioneller. Häufig kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlossen werden; kriminelle, terroristische, militärische und/oder nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die für solche Angriffe häufig genutzten hoch entwickelten Schadprogramme abzuwehren und zurückzuverfolgen, erfordert eine enge Kooperation der beteiligten Sicherheitsbehörden. Fremde Staaten bedienen sich gezielter Cyberangriffe, um Informationen zu erlangen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Täglich gibt es bundesweit eine Vielzahl an Cyberangriffen, mit dem Ziel der Verschlüsselung und der anschließenden Erpressung der Betroffenen 213. Auf den einschlägigen Seiten für die Internetsicherheit, wie, z. B.: https:// www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Publikationen/Lagebericht /lagebericht_node.html werden die Angriffe statistisch dargestellt. Neben den auch im Jahr 2023 fortgesetzten Angriffen auf Großunternehmen sind in Niedersachsen diverse kleinere und mittelständische Unternehmen, politische Entscheidungsträger oder auch Privatpersonen betroffen. Das verdeutlicht, welch hohen Stellenwert die IT-Sicherheit in jedem Bereich hat. 212 Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen und Einrichtungen von hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 213 Auch bekannt als Einsatz von Ransomware (aus dem englischen: ransom für "Lösegeld"). 356 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Eine große Gefahr für Unternehmen und Behörden stellen nach wie vor "Advanced Persistant Threats"214 dar. Diese zielgerichteten Cyberangriffe durch fortgeschrittene, gut organisierte und professionell ausgestattete Angreifer, die Anweisungen und Unterstützung in der Regel von Regierungen erhalten könnten, verlaufen typischerweise in mehreren Phasen und sind sehr komplex in der Vorbereitung und Durchführung. Ziel eines solchen Angriffs ist es, sich möglichst lange unentdeckt in fremden IT-Systemen zu bewegen, um sensible Daten auszuleiten oder anderweitig Schäden anzurichten. Im Gegensatz zu vielen anderen Cyberkriminellen verfolgen diese Angreifer ihre Ziele jedoch grundsätzlich langfristig, meist über mehrere Monate oder Jahre hinweg. Sie stimmen ihre Aktivitäten auf die Sicherheitsmaßnahmen ihrer anvisierten Opfer ab und greifen diese oft mehrfach an. Die Bearbeitung solcher Cyberangriffe stellt aufgrund der Anonymität des Angriffs und der nicht erkennbaren Motivation der Angreifer für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung dar. Die Abgrenzung zwischen Cybercrime und Cyberspionage ist häufig sehr schwierig, da auch bei einem Sachverhalt mit einem augenscheinlich in erster Linie bestehenden finanziellen Interesse des Angreifers, wie dem Einsatz von Ransomware, staatliche Akteure im Vorfeld an der Kompromittierung beteiligt gewesen sein können. Denn auch einem staatlichen Akteur kann eine Verschlüsselung der Systeme des Opfers zur Verschleierung der Aktivitäten und finanziellen Bereicherung dienen. Neben direkten Cyberangriffen zum Zweck der Spionage oder Sabotage können häufig kompromittierte Systeme festgestellt werden, die als Bestandteil eines Botnetzes 215 von dem jeweiligen 214 Bei "Advanced Persistant Threats" handelt es sich um zielgerichtete Cyberangriffe auf spezifisch ausgewählte Institutionen und Einrichtungen, bei denen sich ein Angreifer persistent (= andauernd) Zugriff auf ein Opfersystem verschafft und in der Folge auf weitere Systeme ausweitet. Die Angriffe zeichnen sich durch einen sehr hohen Ressourceneinsatz und erhebliche technische Fähigkeiten aufseiten der Angreifer aus und sind i. d. R. schwierig festzustellen (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 215 Ein Botnet oder Botnetz, besteht aus gekaperten IT-Systemen, deren Besitzer und Nutzer in aller Regel nichts davon wissen, dass ihre Rechner ferngesteuert werden. Die heimliche Übernahme des Rechners beginnt mit einer Malware-Infektion. Die Schadsoftware ermöglicht es dem Angreifer, die Kontrolle über das System zu übernehmen, der Computer agiert wie ein Roboter oder kurz Bot. Gesteuert werden die gekaperten Computer meistens über sogenannte Command-and-Control-Server (C2-Server), welche wiederum vom Angreifer gesteuert werden. 357 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Akteur gesteuert werden. Hierbei handelt es sich meist um kompromittierte Systeme von Unternehmen, Behörden oder gar Privatpersonen. Häufig will der Angreifer ohne Wissen des Betroffenen seine IP-Adresse für weitere Angriffe nutzen. Die 358 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe potenziellen Opfer müssen sich nicht notwendigerweise in Deutschland befinden. Beim Aufbau eines Botnetzes geht es hauptsächlich um Verschleierungsaktivitäten und Stärkung der eigenen Ressourcen in Form von Rechenkapazität durch die Vernetzung mehrerer PCs. 359 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Eine andere Art der staatlich gesteuerten Angriffe zielte auf Politiker, die im Bundestag, im Landtag oder auch in den Kommunalparlamenten tätig sind oder waren. Dort wurde durch einen mutmaßlich ausländischen Cyberakteur versucht, E-Mail-Konten zu übernehmen, um anschließend, möglicherweise durch eine Desinformationskampagne, Einfluss nehmen zu können. Eine weitere im Jahr 2023 vermehrt festgestellte Angriffsmethode staatlicher Akteure sind Supply Chain-Angriffe216, deren Intention die Manipulation oder Kompromittierung von Lieferketten darstellt. Ein solcher Angriff kann auf verschiedene Arten erfolgen, u. a. durch die Injektion von Schadsoftware in Hardware oder Software während des Herstellungsprozesses, die Kompromittierung von Lieferantenoder Herstellerdatenbanken oder die Unterwanderung von Drittanbieterdiensten. Z. B. war ein Unternehmen betroffen, dessen Telekommunikationssoftware Opfer eines Supply Chain-Angriffes geworden ist. Die Manipulation durch die Softwarebibliothek eines Drittanbieters erfolgte mutmaßlich durch einen staatlichen Akteur. Somit waren alle Systeme, die diese Software nutzen, potenziell verwundbar. Auch Systeme niedersächsischer Unternehmen waren betroffen. Ein weiterer Punkt, der im Jahr 2023 die Sicherheitsbehörden beschäftigte, ist die voranschreitende Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI). Deren Nutzung kann potenziell sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Sicherheit der Gesellschaft haben. Im Rahmen der Funktion als Frühwarnsystem für Politik und Gesellschaft ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Gefahren solcher Entwicklungen zu bewerten. Im Bereich der KI-Technologie existieren bereits konkrete Verwendungsmöglichkeiten für staatliche Akteure. Zu nennen sind hier Desinformationskampagnen, die mittels KI gezielt gefälschte Nachrichten, Videos oder Bilder generieren. Weitere Verwendungsmöglichkeiten dieser Technologie, 216 Bei Supply Chain-Angriffen werden Viren oder andere Schadsoftware über einen Lieferanten oder Drittanbieter verbreitet. Z. B. kann ein Keylogger auf einem USB-Laufwerk bei einem großen Einzelhändler eingeschleust werden und dann Tastenanschläge protokollieren, um Passwörter von Mitarbeiterkonten zu ermitteln. 360 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe die auch staatlichen Akteuren neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen oder bereits vorhandene Vorgehensweisen vereinfachen oder verbessern, sind zukünftig zu erwarten. 7.4 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheimdienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzabteilung Postfach 44 20 30044 Hannover Telefon 0511 6709-0 zu wenden. Weitere Informationen können Sie auch dem Flyer "Spionage - (k)ein Thema?!" entnehmen, den Sie sowohl auf unserer Internetseite herunterladen, als auch über die vorstehenden Kontaktdaten bestellen können. 361 08 Geheimschutz Geheimschutz 8.1 Geheimschutz Zunehmende und komplexer werdende Cyberangriffe (siehe Kapitel 7.3) gefährden geheimhaltungsbedürftige Informationen in Behördennetzen verstärkt. Aus diesem Grund ist ein hohes Niveau an Datensicherheit durch technische, organisatorische und personelle Maßnahmen unerlässlich. Dazu gehören insbesondere eine Zugangsbegrenzung und eine Überprüfung der Berechtigten. Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines seiner Länder gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTR AULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende technische und organisatorische Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes 217 erzielt wird. VS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTR AULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Dazu gehören auch bestimmte Tätigkeiten innerhalb lebensoder verteidigungswichtiger Einrichtungen. Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt nur mit schriftlicher Einwilligung der zu überprüfenden Personen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel i. S. v. SS 14 NVerfSchG ist hierbei unzulässig. Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde 217 Der personelle Geheimschutz setzt an den Personen an, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben (sollen), weil sie Zugang zu VS haben. Der materielle Geheimschutz macht Vorgaben zum Zugang zu VS, zur Geheimschutzorganisation, zur Einstufung, Handhabung, Kennzeichnung und Weitergabe von VS. Ferner erfolgen Vorgaben zu organisatorischen, materiellen und technischen Maßnahmen zum Schutz von VS sowie den Einsatz von IT zur Verarbeitung von VS (VS-IT) (vgl. https://www.bsi.bund.de/DE/ Themen/Oeffentliche-Verwaltung/Geheimschutz/geheimschutz_node.html). 364 Geheimschutz wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz führt für die eigenen Geheimnisträger die erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen durch, ebenso für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren befindlichen Personen des personellen vorbeugenden Geheimund Sabotageschutzes. Bei diesen handelt es sich um eine weitere Mitwirkungsaufgabe i. S. d. SS 3 Abs. 4 Nr. 1 NVerfSchG. Darüber hinaus schreiben Spezialgesetze, z. B. das Atomgesetz oder das Luftsicherheitsgesetz, Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, mit denen Personen, deren Zuverlässigkeit aufgrund festgestellter Sicherheitsrisiken zweifelhaft ist, von einer Tätigkeit in sicherheitsempfindlichen Stellen, wie etwa Atomkraftwerken, ferngehalten werden sollen. Auch bei derartigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen kommt der Verfassungsschutzbehörde eine Mitwirkungspflicht zu. 218 8.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen Entwicklung der Sicherheitsüberprüfungen 1.800 1.685 1.600 1.572 1.400 625 1.278 1.247 1.200 480 1.000 540 563 395 800 415 124 SÜ-Sabotage 600 135 400 Einfache SÜ (Ü1) 524 618 559 494 Erweiterte SÜ (Ü2) 200 0 90 55 79 86 Erweiterte SÜ (Ü3) 2020 2021 2022 2023 Die Gesamtzahl der Sicherheitsüberprüfungen im Jahr 2023 bewegte sich insgesamt weiterhin auf einem hohen Niveau. Auch in diesem Jahr konnte beobachtet werden, dass sich die Sicherheitsüberprüfungsverfahren oft langwieriger gestalteten. Dies 218 Zu den Mitwirkungsaufgaben siehe Kapitel 1.10. 365 Geheimschutz ist dem Umstand geschuldet, dass von der mitwirkenden Behörde219 vermehrt sicherheitserhebliche Erkenntnisse festgestellt wurden und zur Bewertung, ob aufgrund dieser Erkenntnisse ein Sicherheitsrisiko vorliegt, deutlich häufiger Anhörungen der betroffenen Personen gem. SS 10 Abs. 1 Nds. SÜG durchgeführt werden mussten. Mit einer Anhörung wird der betroffenen Person die Möglichkeit eröffnet, in einem persönlichen Gespräch mit der mitwirkenden Behörde ihre Sichtweise zu sicherheitserheblichen Erkenntnissen darzulegen. Außerdem ist festzustellen, dass immer häufiger die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung betroffenen Personen weniger als fünf (bei Ü1) bzw. zehn Jahre (bei Ü2 oder Ü3) in Deutschland gelebt haben. Damit ist die Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar, da ein Verfahrenshindernis vorliegt. Erfahrungsgemäß können die fraglichen Zeiträume nicht belegt, ausländische Sicherheitsbehörden oder sonstige öffentliche Stellen zu Erkenntnissen über die zu überprüfende Person nicht befragt werden, oder es stehen keine Auskunftspersonen zur Verfügung. Das hat zur Folge, dass eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit grundsätzlich nicht übertragen werden könnte. Dabei ist nicht die Herkunft oder die Partnerwahl entscheidend, sondern die Überprüfbarkeit der entsprechenden Person. Auf die Überprüfung der einbezogenen Person kann aus Sicherheitsgründen nicht verzichtet werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes schöpfen alle Möglichkeiten aus, dieses Verfahrenshindernis zu heilen, z. B. durch die Befragung von Auskunftspersonen über die zu überprüfende Person. Dies ist jedoch kein vollwertiger Ersatz zu den Informationen der Sicherheitsbehörden. Das Ergebnis der Befragung kann daher nur akzeptiert werden, wenn die Zuverlässigkeit der entsprechenden Person damit ohne Zweifel festgestellt werden kann. Auch wenn dem Niedersächsischen Verfassungsschutz das Problem und die Konsequenzen bewusst sind und die entsprechende Person nicht verantwortlich für die Nichtüberprüfbarkeit ist, gilt - wie in allen anderen Sicherheitsüberprüfungsgesetzen auch - der Grundsatz "im Zweifel für die Sicherheit". 219 Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde. Diese trifft zur Feststellung und Aufklärung, ob tatsächliche Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko gegeben sind, Maßnahmen nach SS 9 Nds. SÜG, so z. B. Anfragen an das Bundeskriminalamt/Landeskriminalamt zu abgeschlossenen und laufenden Strafverfahren der zu überprüfenden Person. 366 Geheimschutz 8.3 Neues Sicherheitsüberprüfungsgesetz Am 21.06.2017 ist das überarbeitete Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) des Bundes in Kraft getreten. Das Gesetz enthält zahlreiche Änderungen, wie etwa die erstmalige Aufnahme von Regelungen zum materiellen Geheimschutz, sowie die einheitliche Verpflichtung zur Wiederholungsüberprüfung im Abstand von zehn Jahren für alle Stufen der Sicherheitsüberprüfung. Erstmalig ist im Gesetz die Befugnis geregelt, Erkenntnisse aus Internetseiten und sozialen Netzwerken bei der Sicherheitsüberprüfung zu berücksichtigen, indem offen zugängliche Inhalte eingesehen werden dürfen. Inzwischen liegt ein Referentenentwurf zum Niedersächsischen SÜG vor. Zum derzeit gültigen Gesetz, das bereits seit dem 30.03.2004 in Kraft ist, hat sich ein erheblicher Änderungsbedarf ergeben. Um das Gesetz den aktuellen Erfordernissen anzupassen, ist daher eine komplette Neufassung beabsichtigt. Dabei stellen die Regelungen des Bundes einen Maßstab dar, an dem es sich zu orientieren gilt. Außerdem wurde im engen Austausch mit den anderen Bundesländern ein gemeinsamer Rahmen zur Anpassung der Sicherheitsüberprüfungsgesetze entwickelt, der dazu beiträgt, dass die Sicherheitsüberprüfungen weiterhin gegenseitig anerkennungsfähig sind. Wegen der Komplexität des Gesetzentwurfs konnte das Gesetzgebungsverfahren in der letzten Legislaturperiode nicht mehr abgeschlossen werden. Am Anfang der neuen Legislaturperiode ist das Gesetzgebungsverfahren neu gestartet. Der bisher erarbeitete Gesetzentwurf dient dabei als Grundlage. 8.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes Der personelle Geheimschutz stellt in Zusammenhang mit durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen einen Beratungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörde dar, z. B. in Form von individuellen 367 Geheimschutz Beratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltenden anderer Behörden. Der materielle Geheimschutz umfasst alle technischen und organisatorischen Maßnahmen, die zum Schutz gegen die unbefugte Kenntnisnahme von VS in schriftlicher, elektronischer oder mündlicher Form erforderlich sind. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes Niedersachsen sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestufte Informationen sicher bearbeitet, verwahrt, verwaltet und erörtert werden. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder Stahlschränken (VS-Verwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. 368 Geheimschutz Außerdem bezog sich ein Teil der Beratungsfunktion auf den Umgang mit Verschlusssachen in informationstechnischen Systemen und die ordnungsgemäße Vernichtung von Verschlusssachen verschiedener Geheimhaltungsgrade in Papierform oder als elektronischer Datenträger nach Standards des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Geheimschutz findet aber nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z. B. Firmen der Rüstungsindustrie. 369 09 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsschutz 9.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation abhängig von auf Forschung und Erfahrung beruhendem Wissen (Know-how) und Innovation als wertvollste Ressourcen der Volkswirtschaft. Dieses Wissen und diese Informationen sind sowohl für fremde Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) als auch konkurrierende Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die gezielt und professionell Ausspähung betreiben, von höchstem Interesse. Effektive Forschung und Entwicklung zu betreiben ist zeitaufwändig und teuer, zudem bedarf es hervorragend ausgebildeten Personals. Mangelt es einem Staat oder einem Unternehmen an einer der genannten Ressourcen, kann versucht werden, sich die fehlenden Erkenntnisse über eine gezielte Ausspähung anzueignen. Insbesondere durch die Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung sowie die besonderen wirtschaftlichen Herausforderungen der vergangenen Jahre erhöht sich der Druck auf Unternehmen, schneller und besser produzieren zu können, bzw. neue Produkte auf den Markt zu bringen. Potenziell b etrof fen sind innovative und te chnologie - orientierte Branchen, besonders Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie der Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind insbesondere Produktinnovationen und Marktstrategien. Aber auch auf den ersten Blick weniger innovative oder sensible Daten und Informationen können für Spionageaktivitäten attraktiv sein. Die fortschreitende Entwicklung KI-basierter Systeme (Künstliche Intelligenz) stellt in dem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar. Das Erlangen von Informationen über technologische Fortschritte kann einerseits Gegenstand von Spionageaktivitäten sein, andererseits können solche Systeme bei der Spionage an sich eingesetzt werden, was deren Aufdeckung weitaus schwieriger machen kann. Insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind einerseits Unternehmen der Rüstungsindustrie sowie 372 Wirtschaftsschutz deren Zulieferer, andererseits aber auch Unternehmen, die als Kritische Infrastruktur (KRITIS) gelten, in den Fokus geraten. Hier stehen weniger Aspekte der Spionage als solche der Sabotage im Vordergrund. Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobilund Schifffahrtsbranche, der Laserund Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und können damit Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2000 beim Niedersächsischen Verfassungsschutz aus der Spionageabwehr heraus der Fachbereich Wirtschaftsschutz geschaffen. Dieser Fachbereich des Niedersächsischen Verfassungsschutzes versteht sich als Partner der Wirtschaft. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern haben sich auf folgendes gemeinsames Aufgabenverständnis der Fachbereiche Wirtschaftsschutz geeinigt: "Die Verfassungsschutzbehörden informieren im Rahmen des präventiven Wirtschaftsschutzes über eigene Erkenntnisse und Analysen, die dazu beitragen, dass Wirtschaft und Wissenschaft sich eigenverantwortlich effektiv gegen Ausforschung (insbes. Wirtschaftsspionage), Sabotage und Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können." Das Beratungsangebot des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zu den Themen Wirtschaftsund Industriespionage, Cybersicherheit 220 , Know-how-Schutz, Sicherheit in der Informationsund Kommunikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, Innentäterproblematik und Social Engineering 221 wird stark nachgefragt. Es sind bereits 220 Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen IT-Sicherheit auf den gesamten Cyber-Raum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwendungen, Prozesse und verarbeitete Informationen mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informationsund Kommunikationstechnik zu einem Teil des Cyber-Raumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 221 Social Engineering bezeichnet eine Methodik zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 373 Wirtschaftsschutz zahlreiche Unternehmen bei Vortragsveranstaltungen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht worden. Im Sinne eines verlässlichen Partners ist der Fachbereich Wirtschaftsschutz single Point of Contact (SPOC) für die Wirtschaft und damit auch Ansprechpartner bei fachlichen Fragen über die genannten Themengebiete hinaus. So können z. B. auch Fragen zum Extremismus in Absprache mit den jeweiligen Fachbereichen in den Beratungsgesprächen thematisiert werden. 9.2 Aufgaben und Arbeitsweise Im vergangenen Jahr wurden durch Veranstaltungen des Fachbereiches Wirtschaftsschutz im Niedersächsischen Verfassungsschutz eine Vielzahl von Unternehmen erreicht. Beratungen Zum Kerngeschäft des Fachbereiches Wirtschaftsschutz zählen individuelle Sensibilisierungsund Informationsgespräche bei den Unternehmen vor Ort. Insgesamt wurden im Jahr 2023 69 Beratungen aufgrund spezieller Anfragen durchgeführt (2022 waren es 75). Der Verfassungsschutz unterliegt nicht dem Legalitätsprinzip. Das ermöglicht es, gegenüber den in den Unternehmen verantwortlich handelnden Personen Vertraulichkeit zuzusagen, ohne dass Gesprächsinhalte ggf. eine strafrechtliche Bearbeitung nach sich ziehen. Sind Unternehmen von einem Sicherheitsvorfall betroffen, befürchten sie unter Umständen einen Imageverlust, sofern der Vorfall öffentlich bekannt wird. Dadurch bedingt ist auch von einem großen Dunkelfeld vorhandener, aber nicht mitgeteilter oder angezeigter Sicherheitsvorfälle auszugehen. Im Jahr 2023 war bei Sicherheitsvorfällen häufig die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen. In den meisten Fällen waren Firmennetzwerke durch Schadsoftware manipuliert. Eine nachrichtendienstliche Steuerung dieser Angriffe war nicht auszuschließen. 374 Wirtschaftsschutz Wie verschiedene Meldungen an den Verfassungsschutz zeigen, werden Unternehmen nach wie vor häufig Opfer von Verschlüsselungstrojanern. In den überwiegenden Fällen werden diese per E-Mail eingeschleust. Entweder befindet sich in der E-Mail eine Verlinkung, die auf eine schadhafte Internetseite verweist oder es wird eine Schadsoftware in einem manipulierten Anhang mitgeschickt. Moderne Schadsoftware ist z. B. in der Lage, eine bestehende E-Mail-Kommunikation auszulesen und so eine schadhafte E-Mail zu generieren, die sich von der vorherigen Kommunikation kaum unterscheidet. Die Gefahr, auf den Anhang einer so generierten E-Mail zu klicken, ist damit sehr hoch. Entwicklungen der KI können in diesem Zusammenhang ebenfalls für Angriffe genutzt werden. Eine Vielzahl von Cyberangriffen wird durch intensives Social Engineering vorbereitet bzw. begleitet. Je mehr im Vorfeld über Adressaten einer (maliziösen) E-Mail bekannt ist, umso besser kann diese formuliert und angepasst werden, womit sich die Wahrscheinlichkeit, für authentisch gehalten und geöffnet zu werden, entsprechend erhöht. Soweit ein Unternehmen Opfer eines solchen Angriffs wird, erfolgt in den meisten Fällen keine sofortige Verschlüsselung. Stattdessen wird zunächst versucht, das infiltrierte Netzwerk genauer zu untersuchen und nach Möglichkeit Unternehmensdaten auszuleiten. Die Verschlüsselung der Daten erfolgt erst im letzten Schritt und ist meist verbunden mit der Aufforderung einer Lösegeldzahlung. Der Schaden für das betroffene Unternehmen ist so erheblich höher. Oft liegt die Infektion mit der Schadsoftware schon längere Zeit zurück, wird aber erst mit Eintreten der Verschlüsselung bemerkt. Dies erschwert die forensische Analyse enorm. In den Fällen, die dem Niedersächsischen Verfassungsschutz mitgeteilt wurden, konnte nach eingehender Prüfung der Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit nicht begründet werden. Es handelte sich eher um Fälle von Wirtschaftskriminalität. Vor den im Informationsverbund der Verfassungsschutzbehörden im Verlauf des Jahres 2023 bekannt gewordenen Risiken (meist Cyberangriffe) wurden die betreuten Unternehmen in Niedersachsen 375 Wirtschaftsschutz in zahlreichen Newslettern des Fachbereiches Wirtschaftsschutz gewarnt. Die Newsletter dienen in erster Linie der Sensibilisierung in den Unternehmen. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass soziale Netzwerke (Xing, Facebook, LinkedIn o. a.) genutzt werden, um im Rahmen von Social Engineering Informationen zu beschaffen, um diese im späteren Verlauf für Cyberangriffe zu verwenden. Vortragstätigkeit Im Jahr 2023 hielten Mitarbeitende des Fachbereiches Wirtschaftsschutz 81 Vorträge bei unterschiedlichen Veranstaltungen (2022 waren es 91). Neben Industrieund Handelskammern, Wirtschaftsverbänden, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen werden die Vorträge des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stark von Unternehmen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie insbesondere auch für Führungskräfte nachgefragt, um für ein sicheres Verhalten zu sensibilisieren. Netzwerkarbeit Ein bedeutsamer Aspekt der Arbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Bereich des Wirtschaftsschutzes ist die Netzwerkarbeit. Ein wichtiger Partner, auch für den Informationsaustausch, ist die niedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche Wirtschaftsspionagefälle ist. Häufig arbeitet der Verfassungsschutz mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) und der dortigen "Zentralen Ansprechstelle Cybercrime für die niedersächsische Wirtschaft" (ZAC) zusammen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung sowie zunehmender Bedeutung von Industrie 4.0, der Verzahnung von Produktion mit modernster Informationsund Kommunikationstechnik und damit verbunden der Cybersicherheit, haben sich Netzwerke gebildet, die für Unternehmen Hilfestellungen und Lösungen bieten. Seit vielen Jahren ist das Netzwerk "niedersachsen.digital e. V." ein fester Partner des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Der Fachbereich Wirtschaftsschutz ist regelmäßig bei der dort ansässigen Fokusgruppe Cybersicherheit vertreten. Darüber hinaus wirkt der Fachbereich Wirtschaftsschutz im IT-Gesprächskreis der Industrieund Handelskammer Hannover und bei der interdisziplinären Expertengruppe "Indy4" mit 376 Wirtschaftsschutz und ist mit einem Mitglied im Außenwirtschaftsausschuss vertreten. Außerdem ist er Multiplikator in der Allianz für Cybersicherheit beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). 9.3 Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) Eine besonders herausfordernde Aufgabe ist gerade in unsicheren Zeiten die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls. Deren sehr wichtige Bestandteile sind Unternehmen, die als Kritische Infrastruktur (KRITIS) gelten, da deren Produktionsanlagen bzw. -systeme von wesentlicher Bedeutung für die Produktion lebensnotwendiger Güter oder Dienstleistungen sind. Ein umfangreicher Lieferausfall dieser Produkte kann i. d. R. nicht durch andere Akteure aufgefangen oder ausgeglichen werden. Mögliche Konsequenzen daraus wären, dass die Bevölkerung entsprechende Waren bzw. Leistungen nicht mehr beziehen kann und in nächster Konsequenz Hunger, Durst, mangelhafte Gesundheitsund/oder Energieversorgung etc. folgen können. Der Schutz Kritischer Infrastrukturen ist somit eine immens wichtige Aufgabe, die insbesondere mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stärker in den Fokus geraten ist. Der Fachbereich Wirtschaftsschutz pflegt sehr gute Kontakte zu allen dem Niedersächsischen Verfassungsschutz bekannten Betreibern Kritischer Infrastrukturen in Niedersachsen, um diese bestmöglich zu unterstützen. Er berät in Fragen der Spionageund Sabotageabwehr, um die Versorgungssicherheit möglichst umfassend zu gewährleisten. Die ganzheitliche Sicht "Steigerung der inneren Sicherheit für Niedersachsen" durch Erhöhung der Resilienz in KRITIS-Unternehmen ist hier der treibende Faktor, welchem auch durch Mitarbeit in verschiedenen Gremien Rechnung getragen wird. In Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport und dem Landeskriminalamt Niedersachsen wurde am 21.03.2023 die dritte Tagung für Sicherheitsverantwortliche der KRITIS-Unternehmen durchgeführt. 377 Wirtschaftsschutz Teilgenommen haben daran circa 80 Personen, überwiegend Security Officer der unterschiedlichen KRITIS-Sektoren. Die Vortragenden aus verschiedenen Bereichen der Bundesund Landesverwaltung (u. a. auch des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI) sowie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), des Deutschen Institutes für Normung (DIN), des Helmholtz Centers for Information Security (CISPA), des Brandenburgischen Institutes für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (BIGS) und T-Systems International GmbH boten ein für alle KRITISSektoren nützliches Programm. Ein Schwerpunkt der Tagung lag darin, die unterschiedlichen behördlichen Akteure sowie deren Aufgaben und Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Themenfeld KRITIS kennenzulernen. Ein zweiter Schwerpunkt war der Austausch über Herausforderungen hiesiger KRITIS-Unternehmen nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. 9.4 Hannover Messe Der Niedersächsische Verfassungsschutz beteiligte sich vom 19. bis 21.04.2023 am Gemeinschaftsstand "Digitalisierung" des Landes Niedersachsen auf der Hannover Messe. Das Angebot diente dem Austausch der ausstellenden Institutionen mit den Besucherinnen und Besuchern, die sich über aktuelle Trends und Entwicklungen (z. B. Digitalisierung, Cybersecurity oder allgemeine Awareness in Unternehmen) informieren wollten. Einer der Messetage stand unter dem Motto "Cybersicherheit und Wirtschaftsschutz", in dessen Kontext Vorträge und Diskussionen zu Spionageabwehr und Cyberangriffen angeboten wurden, an denen auch der Fachbereich Wirtschaftsschutz beteiligt war. 9.5 Best practice meeting Das "best practice meeting" ist ein Veranstaltungsformat des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für maximal 25 Personen je Veranstaltung. Jede Veranstaltung setzt einen thematischen Schwerpunkt zu dem nach einem einleitenden Kurzvortrag in einer 378 Wirtschaftsschutz moderierten Diskussionsrunde verschiedene Standpunkte und Erfahrungen ausgetauscht werden. Aufgrund des überschaubaren Teilnehmerkreises hat sich dieses Format als äußerst zielorientiert für die jeweils vertretenen Unternehmen erwiesen. Am 09. und 10.03.2023 fanden zwei Veranstaltungen zum Thema "Cyberangriff - und dann?" in Osnabrück statt. Inhaltlich beschäftigten sich beide Veranstaltungen mit bestmöglichen Abwehrmaßnahmen sowie mit dem Umgang und den Folgen eines solchen Angriffs. Das dritte "best practice meeting" fand am 09.06.2023 zum Thema "Zero-Trust" in der Region Hannover statt. Kennzeichnend für den Zero-Trust-Ansatz ist, dass prinzipiell keinem Dienst, Nutzer oder Gerät in der Informationstechnik vertraut wird. Damit soll das Risiko für Unternehmensnetzwerke und -applikationen auf ein Minimum reduziert und sowohl externe Bedrohungen als auch interne Gefahrenquellen ausgeschaltet werden. Die Tatsache, dass die Implementierung eines solchen Ansatzes mit unterschiedlichen Herausforderungen verbunden ist, bildete die Grundlage für eine umfangreiche Diskussion. 9.6 Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen Vom 10. bis 11.05.2023 fand die jährliche Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes mit etwa 70 Sicherheitsbevollmächtigten sowie Vertreterinnen und Ver tretern einzelner Sicherheitsbehörden in Wildeshausen statt. Zu Beginn informierte Christian Krebs vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz als dortiger Betreuer für geheimschutzbetreute Unternehmen über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Geheimschutzbetreuung sowie anstehende Veränderungen für die betroffenen Unternehmen. 379 Wirtschaftsschutz Anschließend referierte ein Vertreter des österreichischen Abwehramtes über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Geheimschutzbetreuung der deutschen bzw. österreichischen Behörden. Er klärte auch über Besonderheiten auf, die relevant für geheimschutzbetreute Unternehmen sind, die sowohl in Deutschland als auch in Österreich tätig sind. Stefan Lukas, Nahost-Analyst und Gastdozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, referierte über die sicherheitspolitische Lage im Iran. Er gab einen Überblick über die derzeit herrschenden Machtverhältnisse im Iran und die weiterhin anhaltende Autorität der Pasdaran. Zudem verdeutlichte er die oft unterschätzte Position des Irans als Drehund Angelpunkt der Weltwirtschaft sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf zukünftige Konflikte im und um das Land. Dominik Johannes von der Deutschen Telekom Security GmbH stellte verschiedene Mittel der Lauschabwehr vor, mit deren Hilfe Räume auf ihre Abhörsicherheit geprüft werden. So kommen u. a. Hochfrequenzmessungen und Thermografiedetektion, aber auch die visuelle Überprüfung eines Raumes und seiner Einrichtungsgegenstände zum Einsatz. Anschließend charakterisierte Michael Willer von der Human Risk Consulting GmbH verschiedene Angriffskanäle des Social Engineerings, also dem Manipulieren von Menschen durch psychologische Techniken, um ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen. Er veranschaulichte, mit welchen Mitteln er in seiner Arbeit Unternehmen auf ihren "Sicherheitsfaktor Mensch" testet, z. B. mit Phishing-Mails oder durch legendierte Telefonanrufe. Ergänzt wurde die Tagung um zwei Fachvorträge des Verfassungsschutzes: zum einen mit einem Überblick über Aktivitäten der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates und zum anderen über aktuelle Entwicklungen in Bezug auf staatlich gesteuerte Cyberangriffe. Zum Abschluss der Tagung stellte Lena Bennefeld vom geschäftsführenden Vorstand des Laserzentrum Hannover e. V. die aktuelle Forschung und Arbeit des Laserzentrums vor, darunter z. B. die Erforschung von Produktionstechnik auf dem Mond oder von innovativer Agrartechnik. 380 Wirtschaftsschutz 9.7 22. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes An d er W ir t s chaf t s s chut z t agung am 06.11.2023 in Hannover nahmen etwa 255 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft und von staatlichen Institutionen teil. Die Niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens eröffnete die Tagung und gab u. a. einen kurzen Ausblick zur Entwicklung der nicht abschwellenden Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sowie den Angriffen der HAMAS auf Israel. Michael Kaspar, Islamwissenschaftler beim Niedersächsischen Verfassungsschutz, informierte über den Nahost-Konflikt und gab Einblicke in die Ziele und Vorgehensweise der terroristischen Organisationen "HAMAS" und "Hizb Allah". Die Auswirkungen des Krieges auf Deutschland und Niedersachsen zeigten sich aktuell virtuell hauptsächlich durch Sympathiebzw. Antipathiebekundungen sowie aufgeheizte Diskussionen und Desinformationskampagnen, in der Realwelt allerdings auch in einem gesteigerten Demonstrationsgeschehen mit ansteigendem Aggressionspotenzial. Stefan Wöhlken von der TELCAT MULTIKOM GmbH und Markus Dietz von der GRASS-MERKUR GmbH stellten Möglichkeiten dar, wie sich Unternehmen sowohl in der (Festnetz-)Telefonie als auch in der allgemeinen Informationstechnik krisenfester aufstellen und Bedrohungen im Vorfeld durch ein Schwachstellenmanagement rechtzeitig erkennen können. Die Referenten wiesen u. a. auf wichtige Leitlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie die Richtlinie der Europäischen Union zur Netzwerkund Informationssicherheit (NIS2-Richlinie) hin, deren Ziel die Stärkung der Cyberresilienz in der Europäischen Union ist. Dr. Kristin Masuch, als Vertreterin für das Projekt "ITS.Kompetent", ergänzte das Thema durch Ausführungen zur Human Firewall und 381 Wirtschaftsschutz appellierte an die Unternehmen, auf maßgeschneiderte Cybersicherheitsmaßnahmen zu setzen. So sollten die Trainingsmaterialien und Awareness-Maßnahmen anhand der individuell vorhandenen ITKompetenz ganz gezielt ausgewählt werden. David Richter, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, berichtete über die internationale Vorgehensweise bei Cyberangriffen durch ausländische Akteure und machte das Ziel der gemeinsamen Bemühungen deutlich: Resilienz-Erhöhung, und somit der Schutz einer "gemeinsamen digitalen Welt". Ein zweiter Themenblock setzte sich mit den Risiken durch unseren "Partner, Konkurrenten und systemischen Rivalen", wie es in der China-Strategie der Bundesregierung heißt, auseinander und beleuchtete die Umgangsweise von Wissenschaft und Wirtschaft mit dem Handelspartner China. Sophia Stahl von der paper trail GmbH berichtete gemeinsam mit Till Eckert von der Investigativ-Redaktion CORRECTIV über wissenschaftliche Kooperationen zwischen chinesischen und deutschen Universitäten. Thomas König von der Deutschen Industrieund Handelskammer referierte über Inhalte und Verbesserungsansätze der im Juli 2023 veröffentlichten China-Strategie der Bundesregierung. Flankierend erhielt das Auditorium Einblicke in die Rüstungsindustrie, vorgetragen von Peter Kunkel, Chief Security Officer (CSO) der Rheinmetall AG. Das Thema "Rüstung im Fokus" griff die aktuellen Entwicklungen, aber auch die Herausforderungen eines lokalen Rüstungsunternehmens mit weltweiten Standorten und Produktionsstätten in Kriegszeiten auf. Der Niedersächsische Verfassungsschutzpräsident, Dirk Pejril, schloss die thematische Klammer um die Wirtschaftsschutztagung mit Ausführungen über die erstarkende Verbreitung von Verschwörungstheorien und das Weltbild von "Reichsbürgerinnen" und "Reichsbürgern". Insgesamt spiele der Faktor Sicherheit eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der Attraktivität eines Landes, so Pejril, und sei damit ein wichtiger Faktor auch für die Ansiedlung und den Bestand von Wirtschaftsunternehmen. Daher seien die Vernetzung, der Austausch und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Unternehmensvertreterinnen und -vertretern immens wichtig. 382 Wirtschaftsschutz 9.8 Kontaktdaten Für Fragen steht der Fachbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709-284 Telefax: 0511 6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 383 10 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 10.1 Politisch motivierte Kriminalität 222 (PMK) - Vorbemerkung Die Politisch motivierte Kriminalität wird durch die Polizei auf der Grundlage des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" erfasst. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) gemäß den Richtlinien des KPMD-PMK. Dazu zählen "echte Staatsschutzdelikte" (SSSS 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a StGB, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Definitionssystem der PMK zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzdelikte"). Den letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Tatbestände der "echten Staatsschutzdelikte" werden auch erfasst, wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Außerdem finden Straftaten Berücksichtigung, die durch Anwendung von Gewalt 223 oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. 222 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 223 Zu denen werden hier auch die im KPMD-PMK zu einem gesonderten Deliktsbereich gehörenden Terrorismusdelikte gezählt. 386 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 10.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Gesamtzahl der Straftaten im Phänomenbereich der PMK -rechtsist mit 2.313 Fällen im Vergleich zum Vorjahreswert (1.844) um 25,43 Prozent gestiegen. Im Vergleich der letzten zehn Jahre liegt die Fallzahl über dem Mittelwert (1.863 Fälle). Von den 2.313 rechtsmotivierten Fällen in 2023 sind 2.211 extremistisch motiviert (2022: 1.702). Die Anzahl der rechtsextremistischen Politisch motivierten Gewaltdelikte sank im Vorjahresvergleich um zwei Fälle auf insgesamt 55 Taten, vornehmlich handelte es sich um Körperverletzungsdelikte224 (46). Der Anteil an den rechtsextremistischen Gesamttaten reduzierte sich von 3,35 Prozent auf 2,49 Prozent. Insgesamt stehen die rechtsextremistischen Politisch motivierten Gewaltdelikte (wie auch im Vorjahr) überwiegend im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen (48), ausländerfeindlichen (42) oder rassistisch (21) motivierten Taten und richten sich dabei gegen Menschen mit vermeintlichem Migrationshintergrund. Vereinzelt richten sich die Taten gegen die Polizei (2) oder stehen im Kontext von Rechts-/ Links-Konfrontationen (1). Unter den rechtsextremistischen Politisch motivierten Gewaltdelikten sind drei Branddelikte verzeichnet (2022: 5). Hierbei wurde in einem Fall ein Hofladen mit rechtsgerichteten Parolen beschmiert und Gegenstände im Innern teils durch Feuer beschädigt sowie in einem Fall ein Brand an einem im Umbau zu einer Flüchtlingsunterkunft befindlichen Objekt verursacht. In einem Fall der besonders schweren Brandstiftung wurde ein mit Brandbeschleuniger übergossener Lappen vor der Haustür eines zuvor mit einem Hakenkreuz und dem Wort "RAUS" angesprühten Hauses angezündet. Zu Personenschäden kam es in keinem Fall. 224 Diese beinhalten 23 Fälle der einfachen (SS 223 StGB) und 16 Fälle der gefährlichen Körperverletzung (SS 224 StGB). 387 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Bereich der sonstigen rechtsextremistischen Straftaten225 ist mit 2.156 Fällen im Jahr 2023 ein Anstieg in Höhe von 511 Delikten im Vergleich zum Vorjahr (2022: 1.645 Fälle) festzustellen, welcher u. a. durch Steigerungen in Verstößen gegen die folgenden Rechtsnormen begründet ist: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (+ 164), Volksverhetzung (+ 160), Belohnung und Billigung von Straftaten (+ 96) sowie Beleidigung (+ 57). Ursächlich hierfür sind u. a. zwei Sachverhalte mit Bezug zu sozialen Medien. Dabei standen zum Erhebungszeitpunkt 119 Taten im Zusammenhang mit Kommentaren zu einem Video, in welchem offenbar ein fremdsprachiger Lkw-Fahrer eine Gruppe mutmaßlicher Flüchtlinge gewaltsam mit einem schlagstockähnlichen Gegenstand von der Ladefläche eines Lkw vertreibt und 40 Taten in Verbindung mit dem Posten bzw. Teilen eines gegen die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerichteten, antisemitischen Satzes. Insgesamt standen 74 Taten in Zusammenhang mit aktuellen geopolitischen Krisenherden, davon 51 mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie 23 im Kontext des aktuell infolge der Terrorangriffe der HAMAS gegen den Staat Israel am 07.10.2023 verschärften Nahostkonflikts. Die Anzahl rechtsextremistischer Propagandadelikte steigt im Vorjahresvergleich (1.093) auf 1.256 Taten an; diese bilden weiterhin den Schwerpunkt am Gesamtaufkommen der rechtsextremistischen PMK. Im Jahr 2023 wurden im Phänomenbereich PMK -rechtsinsgesamt 957 fremdenfeindlich extremistische Taten begangen (2022: 565). Ein Großteil dieser Taten sind Volksverhetzungen (450), welche teils in sozialen Medien und teils in der direkten Konfrontation begangen wurden. Vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Motivation erfolgten 48 der 55 rechtsextremistischen Politisch motivierten Gewaltdelikte und stellen damit den größten Anteil der gesamten Politisch motivierten Gewaltdelikte im Phänomenbereich der PMK -rechtsdar. Die Fälle ereigneten sich u. a. in Form von 41 Körperverletzungen226 und zwei der o. a. Fälle der Brandstiftung. Weitere 225 Im Sinne des KPMD-PMK sind hier die extremistischen Straftaten der Deliktsqualität "Politisch motivierte Kriminalität" gemeint. 226 Davon 30 Fälle gem. SS 223 StGB und 11 Fälle gem. SS 224 StGB. 388 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Gewaltdelikte ereigneten sich jeweils in einem Fall in Form eines Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, als tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, als versuchte Erpressung, als versuchte räuberische Erpressung und in Form eines gefährlichen Eingriffes in den Straßenverkehr. Im Kontext Konfrontation/Politische Einstellung - gegen links ereigneten sich im Jahr 2023 46 rechtsextremistische Taten. Dies stellt einen Anstieg um elf Taten und somit um mehr als 31 Prozent dar. Die Steigerung ist u. a. auf die Zunahme von Sachbeschädigungsdelikten (2022: 6, 2023: 15227 ), meist in Form von Graffiti mit Parolen, zurückzuführen. Im Versammlungskontext stand diesbezüglich im Jahr 2023 eine rechtsextremistische Tat (2022: 4). Der Anteil an Politisch motivierter Gewaltkriminalität belief sich im Jahr 2023 auf einen Fall (2022: 3), in dessen Rahmen eine ätzend riechende Flüssigkeit in den Briefkasten gesprüht wurde, welche beim Opfer u. a. Unwohlsein und Augentränen auslöste. Im Jahr 2023 wurden 13 rechtsextremistische Straftaten gegen Asylunterkünfte festgestellt (2022: 10). Bei einer Tat handelt es sich um eines der o. a. Branddelikte. In einem weiteren Fall kam es zum Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz, als ein Schüler unter Vorzeigen einer Schreckschusswaffe eine zunächst nicht näher bestimmte Aktion gegen eine Flüchtlingsunterkunft androhte. In keinem Fall kam es zu Personenschäden. In vier Fällen kam es zu Sachbeschädigungsdelikten sowie in fünf weiteren Fällen zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zum Nachteil von Asylunterkünften. Diese erfolgten, ebenso wie ein Volksverhetzungsdelikt, meist in Form von Graffiti mit fremdenfeindlichem Inhalt. Ein Fall, in welchem ein strafrechtlich relevantes Video gepostet wurde, wurde als Belohnung und Billigung von Straftaten zum Nachteil von Asylunterkünften erfasst. Nach bisherigem Erkenntnisstand lassen die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte keinen Rückschluss auf landesweit gesteuerte Strategien zu. 227 Davon 14 Fälle gem. SS 303 StGB, ein Fall gem. SS 304 StGB. 389 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität -rechts-" in Niedersachsen228 Politisch motivierte Gewalttaten: 2022 2023 Körperverletzungen 42 46 Brandstiftungen 5 3 Widerstandsdelikte 10 3 Erpressungsdelikte 0 2 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 1 Insgesamt 57 55 Sonstige Straftaten: Propagandadelikte 1.093229 1.256230 Volksverhetzung 319 479 Beleidigungen 69 126 Belohnung und Billigung von Straftaten 4 100 Sachbeschädigungen 40231 69232 Nötigungen/Bedrohungen 29 28 Andere Straftaten 91 98 Insgesamt 1.645 2.156 Straftaten insgesamt 1.702 2.211 228 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, sodass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 229 Davon 3 Fälle gem. SS 86 StGB, 1.090 Fälle gem. SS 86a StGB. 230 Davon 2 Fälle gem. SS 86 StGB, 1.254 Fälle gem. SS 86a StGB. 231 Davon 32 Fälle gem. SS 303 StGB, 8 Fälle gem. SS 304 StGB. 232 Davon 53 Fälle gem. SS 303 StGB, 16 Fälle gem. SS 304 StGB. 390 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 10.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Die Fallzahl im Phänomenbereich der PMK -linksweist im Berichtsjahr gegenüber dem Jahr 2022 eine Reduzierung um 25,18 Prozent auf. Mit 526 Fällen wurde im Jahr 2023 in diesem Phänomenbereich im Zehn-Jahres-Vergleich ein Tiefstand erreicht (2022: 703). Das dafür zu Grunde liegende Kriminalitätsgeschehen wurde in ca. 45 Prozent der Fälle dem Themenfeld Antifaschismus und in ca. 34 Prozent dem Themenfeld Ökologie, Industrie und Wirtschaft zugeordnet, in welchem die Entwicklung insbesondere durch Aktionen aus dem Bereich von Klimaaktivistinnen und -aktivisten geprägt wurde. Mit Blick auf im Berichtsjahr 2023 insgesamt zu verzeichnende 103 extremistisch motivierte Fälle im Phänomenbereich der PMK -linksreduzierte sich die Fallzahl im Vorjahresvergleich (2022: 364) um 71,70 Prozent. Ausschlaggebend erscheint dafür, dass im Berichtszeitraum keine in besonderer öffentlicher Wahrnehmung stehenden Wahlen in Niedersachsen stattfanden. Im Jahr 2022 standen hiermit 154 linksextremistisch motivierte Fälle in Zusammenhang (2023: 0). Die Anzahl festgestellter linksextremistischer Politisch motivierter Gewaltdelikte sank im Berichtsjahr 2023 ebenfalls deutlich auf 10 Fälle (2022: 44). Den größten Anteil in diesem Bereich bilden Körperverletzungsdelikte233 mit drei Fällen. Darüber hinaus konnten zwei Widerstandshandlungen, zwei Brandstiftungen, zwei Landfriedensbrüche, davon ein schwerer Fall des Landfriedensbruchs, sowie ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr festgestellt werden. Im Vergleich zum Vorjahr ergaben sich v. a. bei den Widerstandsdelikten (2022: 18) sowie den Körperverletzungsdelikten (2022: 19) und den Landfriedensbrüchen (2022: 2) erkennbare Rückgänge. Bei den als extremistisch eingestuften Brandstiftungsdelikten handelte es sich in einem Fall um das Inbrandsetzen eines Pkws 233 Davon 1 Fall gem. SS 223 StGB, 2 Fälle gem. SS 224 StGB. 391 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) eines international agierenden Unternehmens, in dem anderen Fall um das Inbrandsetzen eines Radladers in einer Tongrube in örtlicher Nähe zu einem Waldbesetzungscamp mit Klimabezug. Im Bereich der sonstigen linksextremistischen Straftaten234 (93 Fälle) ist eine Reduzierung um 227 Delikte im Vorjahresvergleich (2022: 320 Fälle) festzustellen, was u. a. an sinkenden Fallzahlen von Sachbeschädigungen235 (- 119) sowie Diebstahlsdelikten236 (- 51) liegt und maßgeblich auf das verminderte Wahlgeschehen zurückzuführen ist. Im Jahr 2022 standen allein 80 Sachbeschädigungsund 51 Diebstahlsdelikte im Kontext der Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag. Dem Themenfeld Antifaschismus sind für das Berichtsjahr insgesamt 58 linksextremistische Taten zugeordnet (2022: 262). Im Jahr 2022 ereignete sich ein Großteil dieser Taten im Kontext der seinerzeitigen Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag. Im Berichtsjahr sind fünf linksextremistisch antifaschistische Politisch motivierte Gewaltdelikte (2022: 25) verzeichnet, darunter drei Körperverletzungsdelikte237, eine Widerstandshandlung und ein Fall des Landfriedensbruchs. Eine Tat erfolgte im Versammlungskontext. Dem Themenfeld Konfrontation/Politische Einstellung - gegen rechts sind für das Jahr 2023 insgesamt 57 linksextremistische Taten zugeordnet (2022: 236). Straftaten im Themenfeld Konfrontation/ Politische Einstellung - gegen rechts werden im KPMD-PMK häufig wegen der Themenüberschneidung ebenfalls dem Themenfeld Antifaschismus zugeschrieben, wodurch der Datenbestand in den beiden Themenfeldern annähernd deckungsgleich ist. 234 Im Sinne des KPMD-PMK sind hier die extremistischen Straftaten der Deliktsqualität "Politisch motivierte Kriminalität" gemeint. 235 Im Jahr 2022 186 Fälle gem. SS 303 StGB, 13 Fälle gem. SS 304 StGB, im Jahr 2023 69 Fälle gem. SS 303 StGB, 11 Fälle gem. SS 304 StGB. 236 Im Betrachtungszeitraum ausschließlich Diebstahl gem. SS 242 StGB. 237 Davon 1 Fall gem. SS 223 StGB, 2 Fälle gem. SS 224 StGB. 392 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität -links-" in Niedersachsen238 Politisch motivierte Gewalttaten: 2022 2023 Körperverletzungen 19 239 3240 Brandstiftungen 1 2 Widerstandsdelikte 18 2 Landfriedensbrüche 2 2 Gefährl. Eingriffe in den Straßenverkehr 2 1 Raubdelikt 1 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Insgesamt 44 10 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 199241 80242 Nötigungen/Bedrohungen 6 1 Diebstahl 243 52 1 Andere Straftaten 63 11 Insgesamt 320 93 Straftaten insgesamt 364 103 238 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, sodass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 239 Davon 9 Fälle gem. SS 223 StGB, 10 Fälle gem. SS 224 StGB. 240 Davon 1 Fall gem. SS 223 StGB, 2 Fälle gem. SS 224 StGB. 241 Davon 186 Fälle gem. SS 303 StGB, 13 Fälle gem. SS 304 StGB. 242 Davon 69 Fälle gem. SS 303 StGB, 11 Fälle gem. SS 304 StGB. 243 Im Betrachtungszeitraum ausschließlich Diebstahl gem. SS 242 StGB. 393 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 10.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Die Gesamtzahl der im Jahr 2023 in den Phänomenbereichen der PMK -religiöse Ideologieund der PMK -ausländische Ideologieerfassten Straftaten beträgt 489 Fälle und ist somit im Vorjahresvergleich erheblich angestiegen (2022: 219 Fälle). Die Zunahme ist insbesondere im Bereich der PMK -ausländische Ideologiezu verzeichnen, wobei sich die Anzahl der Straftaten von 164 auf 402 Taten mehr als verdoppelt hat. Bei Straftaten im Bereich der PMK -religiöse Ideologieist ein Anstieg von 55 auf 87 Taten und somit um 58,18 Prozent zu verzeichnen. Als extremistisch motivierte Taten wurden zu den Phänomenbereichen insgesamt 206 Fälle für das Jahr 2023 erfasst (2022: 105), was im Vorjahresvergleich einem Anstieg von 96,19 Prozent entspricht. Davon entfallen 144 Fälle auf den Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologie(2022: 67) und 62 Fälle auf den Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie(2022: 38). Der deutliche Anstieg der Extremismusdelikte im Phänomenbereich der PMK -ausländische Ideologieund PMK -religiöse Ideologieum 101 Fälle im Vorjahresvergleich lässt sich hauptsächlich mit Straftaten im Kontext des aktuell entbrannten Nahostkonfliktes begründen. Von den 206 extremistisch motivierten Taten werden 119 Taten dem Themenfeld Krisenherde/Bürgerkriege Palästina bzw. Israel zugeordnet (2022: 3). Im Phänomenbereich der PMK -religiöse Ideologiesind in 2023 neun Fälle der Deliktsqualität Terrorismus erfasst (2022: 9), bei denen es sich um Fälle gemäß SS 89a bzw. SS 89c StGB sowie SS 129b StGB handelt. Den anderen Phänomenbereichen der PMK sind im Berichtsjahr bislang keine Terrorismusdelikte zugeordnet (2022: 1). 394 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Für den Berichtszeitraum sind neun Politisch motivierte Gewaltdelikte mit extremistischem Hintergrund verzeichnet (2022: 4). Davon entfallen fünf auf den Phänomenbereich der PMK -ausländische Ideologie-, bei denen es sich um drei gefährliche Körperverletzungen, welche mittels Tritten und Schlägen, gemeinschaftlich und mit Hilfe eines Messers begangen worden sind, um eine einfache Körperverletzung und um eine schwere Brandstiftung, bei der zwei Brandvorrichtungen gegen die Fensterscheibe eines Restaurants mit türkischem Speisenangebot geworfen worden sind, handelt. Auf den Phänomenbereich der PMK -religiöse Ideologieentfallen vier Politisch motivierte Gewaltdelikte, davon drei Körperverletzungen sowie eine Freiheitsberaubung, bei der das Opfer beeinflusst werden sollte, die getätigte Aussage in einem Strafverfahren zurückzunehmen. Fünf der insgesamt neun Politisch motivierten Gewaltdelikte werden dem Themenfeld Hasskriminalität Fremdenfeindlich zugeordnet (2022: 3). Im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt stehen zwei der Politisch motivierten Gewalttaten. Die den Phänomenbereichen zugeordneten sonstigen extremistischen Straftaten244 steigen mit der Gesamtentwicklung einhergehend an. Hervorzuheben ist hier v. a. die Zunahme bei Volksverhetzungen, (2023: 59, 2022: 10). Diese stellen sich überwiegend durch das Ausrufen von Parolen bei Versammlungen, Schmierereien oder Beiträgen im Internet im Kontext des Nahostkonfliktes dar. 244 Im Sinne des KPMD-PMK sind hier die extremistischen Straftaten der Deliktsqualität "Politisch motivierte Kriminalität" gemeint. 395 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht über Politisch motivierte Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich -ausländische Ideologieund -religiöse Ideologiein Niedersachsen245 Politisch motivierte 2022 2023 Gewalttaten: 246 ausländische religiöse ausländische religiöse Ideologie Ideologie Ideologie Ideologie Terrorismusdelikte 1 8 0 9 (SSSS 89a, 89b, 89c, 91, 129a, b StGB sowie Katalogtaten) Körperverletzungen 2 1 4 3 Brandstiftungen 0 0 1 0 Freiheitsberaubung 0 0 0 1 Raub 0 1 0 0 Widerstandsdelikte 0 0 0 0 Insgesamt 3 10 5 13 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 2 0 14 1 Nötigungen/Bedrohungen 2 3 1 4 Verwenden von Kennzeichen 36 5 19 8 verfassungswidriger und terroristischer Organisationen Volksverhetzung 4 6 54 5 Andere Straftaten 20 (17) 14 (3) 51 (19) 31 (6) (davon SS 20 VereinsG247) Insgesamt 64 28 139 49 Straftaten insgesamt 67 38 144 62 245 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, sodass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 246 Zu diesen werden hier auch die Terrorismusdelikte gezählt. Die Deliktsqualitäten Gewalt, Terrorismus und sonst. PMK gem. KPMD-PMK werden grundsätzlich gesondert ausgewiesen und werden nur an dieser Stelle entsprechend der Maßgabe zusammengefasst. 247 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins-)Verbote. 396 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 397 11 Anhang Anhang 11.1 Definition der Arbeitsbegriffe Antisemitismus Der Antisemitismus beschreibt ein Weltbild, welches auf Unterstellungen und Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden basiert. Er tritt häufig in Form von Verschwörungstheorien in Erscheinung. Antisemitische Verschwörungstheorien haben eine lange Geschichte und lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Studien belegen eindrücklich, dass antisemitische Einstellungsmuster in der Bevölkerung nach wie vor verbreitet sind. Angefangen bei antisemitischen Vorurteilen, die in allen Gesellschaftsschichten zu finden sind, bis hin zu antisemitischer Hetze und Verschwörungstheorien in den verschiedenen extremistischen Szenen: Im Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus. Antisemitische Straftaten sind in Deutschland noch immer überwiegend politisch rechtsextremistisch motiviert. Entsprechende Einstellungsmuster und Handlungen stellen ein zentrales Element der rechtsextremistischen Ideologie dar. Der israelbezogene Antisemitismus erfüllt eine Brückenfunktion zwischen den extremistischen Phänomenbereichen. Er gehört zum Kernbestand politischer Propaganda in vielen Staaten im Nahen und Mittleren Osten und ist ein Wesenszug aller islamistischen und salafistischen Organisationen. Er hat aber auch innerhalb linker Bewegungen eine lange Tradition. Entgrenzung Dieser Begriff steht für eine Aufweichung der Grenzmarkierung zwischen nicht extremistischem und extremistischem Protest. Er steht für Entwicklungen sowohl im Rechtsextremismus als auch im Linksextremismus. Extremismus Die Ver fassungsschut zbehörden unterscheiden z wischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische 400 Anhang Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug umfassen das Agieren einer Vielzahl von Gruppierungen mit linksextremistischen, separatistischen oder nationalistischen Vorstellungen. Ihr Aktionismus zielt regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in der Heimatregion. Aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen im Herkunftsland sind dabei richtungsweisend für die Intensität des Auftretens und auch für das Militanzniveau. Türkische und kurdische Gruppierungen, die ihre jeweilige Ideologie zudem noch in gegeneinander gerichtete gewalttätige Auseinandersetzungen kanalisieren, bilden dabei einen Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes. Als mitgliederstärkste Organisation ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zu nennen. Alle ausländerextremistischen Organisationen sehen Deutschland als Raum für Rückzug, Rekrutierung, Propaganda und Finanzierung. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: f sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, 401 Anhang f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden oder f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistischterroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: f Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. f Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Ausgehend von einer Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens bemühen sich im Rahmen einer legalistischen Strategie, auch ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. 402 Anhang Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. Nationalismus Im Gegensatz zum Patriotismus, der sogenannten Vaterlandsliebe, wird mit dem Nationalismus die Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker bezeichnet. Neben dem deutschen Rechtsextremismus findet sich dieses Merkmal auch bei den nationalistisch geprägten Bestrebungen der türkischen "Ülkücü-Bewegung", die sich ideologisch über andere Gruppen und Ethnien stellen. Der türkische Nationalismus vertritt eine antieuropäische Haltung und richtet sich auch gegen eine Demokratisierung. Rassismus Rassismus ist ein wesentliches Ideologieelement des Rechtsextremismus. Er zielt auf eine konstruierte Unterscheidung zwischen Menschengruppen ab, indem ihnen ein Set von Eigenschaften zugeschrieben wird. Diese Eigenschaften werden zum Wesen der Gruppenangehörigen erklärt. Es lassen sich beispielsweise spezifische Rassismen gegen schwarze Menschen, gegen jüdische Menschen, gegen Sinti und Roma und gegen muslimische Menschen erfassen. Im Nationalsozialismus erreichte der Rassismus und daraus abgeleitete Gewaltpraktiken ihren Höhepunkt. Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt häufig Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Der Begriff Rassismus findet allerdings nicht nur im Rechtsextremismus, sondern auch in anderen Extremismusphänomenen 403 Anhang Verwendung. Ausgehend von der Definition für den Rechtsextremismus sollen die anderen Phänomene hier ergänzt werden. Für den Bereich des Linksextremismus findet der Begriff eher im Zusammenhang mit dem Themenfeld Antirassismus Verwendung. Die grundsätzliche Bedeutung ist aber identisch. Einen eigenen Rassismus im Linksextremismus gibt es nicht. Rassistische Ausprägungen im Islamismus sind religiös motiviert. Im Fokus stehen dabei Andersgläubige, bzw. die westliche Welt im Allgemeinen, aber auch Muslime, die der vermeintlich falschen Glaubensrichtung anhängen. Diese werden als Ungläubige bezeichnet. Im Extremismus mit Auslandsbezug gibt es Rassismus bei den nationalistisch geprägten Bestrebungen der türkischen "ÜlkücüBewegung". Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusstsein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie, die sich gegen ethnische Minderheiten in der Türkei richtet. Ihr Rassismus gestaltet sich nach einem totalitären Normverständnis, nach dem insbesondere Kurden, Angehörigen des jüdischen Glaubens oder anderen Minderheiten in der Türkei, keine Akzeptanz bzw. kein Respekt gewährt wird. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Linksradikalismus Bis 1974 wurden die Begriffe "Extremismus" sowie "Radikalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in 404 Anhang der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, Seite 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiy ya) bezeichnet jene islamistischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen islamistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradition überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Verheiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont militant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die 405 Anhang Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der sogenannten westlichen Welt ausgeht. Diese sogenannten jihadistischen Salafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines jeden Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Durchführung von Terroranschlägen ein. Separatismus Politischer oder ethnisch begründeter Separatismus steht für Bestrebungen von Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), sich von dem Staat, in dem sie leben, loszulösen, um einen neuen eigenen Staat zu errichten bzw. sich in einem anderen Staat einzugliedern. Religiös begründeter Separatismus ist das Bestreben eines Teils der Gläubigen, sich von der Glaubensgemeinschaft abzuspalten. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Straftatbestände des StGB mit Verfassungsschutzbezug (Auszug der im Verfassungsschutzbericht genannten Paragraphen) SS 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens SS 85 Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot SS 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen SS 89a Vorbereitung einer schweren staat sgefährdenden Gewalttat SS 89c Terrorismusfinanzierung SS 99 Geheimdienstliche Agententätigkeit SS 129 Bildung krimineller Vereinigungen SS 129a Bildung terroristischer Vereinigungen 406 Anhang SS 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche/extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das BVerfG unterscheidet zwischen den Tatbestandsmerkmalen "beseitigen" und "beeinträchtigen". "Beseitigen" bezeichnet die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes nicht demokratisches Regierungssystem (BVerfGE 144, 20 (211 Rn. 550)). Demgegenüber 407 Anhang sei von einem "beeinträchtigen" auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt. Ausreichend sei, dass sich die Partei gegen eines der Wesens elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet. Entscheidend sei, dass die Partei sich gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind (BVerfGE 144, 20 (213f. Rn. 556)). Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Im Jahr 2003 wurde ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens aufgrund der Beobachtung durch V-Personen der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungierten, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. 408 Anhang Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). Grundlage für den Verbotsantrag waren die durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über die NPD, die fortlaufend ergänzt wurden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahr 2003 wurden dafür alle V-Personen in den Führungsebenen der Partei zurückgezogen. Mit dem einstimmig gefassten Urteil wird der NPD jedoch höchstrichterlich bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Ihr Ziel sei es, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so der damalige Gerichtspräsident Andreas Voß kuhle. Allerdings reiche eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein für ein Verbot der NPD nicht aus. Die Partei müsse auch das Potenzial haben, ihre Ziele erfolgreich umzusetzen, wie es in der Urteilsbegründung weiter heißt. Zu den Zielen heißt es in der Urteilsbegründung: "Die NPD missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf. Die Programmatik der NPD ist auf die Beseitigung der fdGO gerichtet." (BVerfG NJW 2017, 611, 634 ff.) Das Bundesverfassungsgericht setzt mit dem Urteil einen neuen Maßstab, der von der bisherigen Rechtsprechung zum Parteiverbot abweicht, vor allem zum KPD-Verbot im Jahr 1956. "Anders als im KPD-Urteil kommt nach Auffassung des Senats ein Parteiverbot nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht", so Voßkuhle. Dies sei bei der NPD aber nicht der Fall248. 248 Weitere Ausführungen zum NPD-Verbot siehe Kapitel 2.9, Abschnitt "Die NPD ist verfassungsfeindlich". 409 Anhang Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. 410 Anhang 11.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2021 (Nds. GVBl. S. 564) Inhaltsübersicht Erster Teil Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS4 Begriffsbestimmungen SS5 Trennungsgebot Zweiter Teil Bestimmung zum Beobachtungsobjekt SS6 Beobachtungsobjekt SS7 Verdachtsobjekt SS8 Verdachtsgewinnung Dritter Teil Befugnisse zur Datenverarbeitung Erstes Kapitel Allgemeine Vorschriften SS9 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 10 Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung SS 11 Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs 411 Anhang Zweites Kapitel Erhebung und sonstige Kenntnisnahme SS 12 Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 14 Nachrichtendienstliche Mittel SS 15 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel SS 16 Besondere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Personen SS 17 Besondere Voraussetzungen für Observationen sowie Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen SS 18 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler SS 19 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz bestimmter technischer Mittel SS 20 Besondere Auskunftsverlangen SS 21 Verfahrensvorschriften SS 22 Mitteilung an Betroffene SS 23 Ersuchen und automatisierte Abrufverfahren SS 24 Registereinsicht SS 25 Verpflichtung zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde Drittes Kapitel Speicherung, Veränderung, Nutzung, Löschung SS 26 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten, Zweckbindung SS 27 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu anderen Zwecken SS 28 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten SS 29 -- aufgehoben -- Viertes Kapitel Auskunft SS 30 Auskunft an betroffene Personen 412 Anhang Fünftes Kapitel Übermittlung SS 31 Übermittlung personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden SS 32 Übermittlung an sonstige Behörden und Stellen SS 32 a Übermittlung personenbezogener Daten für Angebote zum Ausstieg SS 33 Aufklärung der Öffentlichkeit, Verfassungsschutzbericht Sechstes Kapitel Unabhängige Datenschutzkontrolle, Anwendung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 33 a Unabhängige Datenschutzkontrolle SS 33 b Anwendbarkeit des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes Vierter Teil Parlamentarische Kontrolle SS 34 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 35 Zusammensetzung und Verfahrensweise des Ausschusses SS 36 Unterrichtungspflichten des Fachministeriums SS 37 Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht SS 38 Beauftragung einer oder eines Sachverständigen SS 39 'Beteiligung der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 40 Berichterstattung des Ausschusses gegenüber dem Landtag Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten SS 42 Übergangsvorschrift 413 Anhang Erster Teil SS3 Allgemeine Vorschriften Aufgaben SS1 (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde Zweck des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund Der Verfassungsschutz dient dem Schutz personenbezogenen Auskünften, Nachder freiheitlichen demokratischen Grundrichten und Unterlagen, über ordnung, des Bestandes und der Sicherheit 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitlides Bundes und der Länder. che demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes SS2 oder eines Landes gerichtet sind oder Zuständigkeit eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für des Bundes oder eines Landes oder Inneres zuständige Ministerium (Fachihrer Mitglieder zum Ziel haben, ministerium). 2Das Fachministerium unter2. sicherheitsgefährdende oder geheimhält eine Abteilung, die gesondert von dienstliche Tätigkeiten in der Bundesder für die Polizei zuständigen Abteilung republik Deutschland für eine fremde ausschließlich die der VerfassungsschutzMacht, behörde nach diesem Gesetz und anderen 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben Deutschland, die durch Anwendung von wahrnimmt (Verfassungsschutzabteilung). Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei(2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer tungshandlungen auswärtige Belange Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im der Bundesrepublik Deutschland gefährEinvernehmen mit der Verfassungsschutzden, behörde tätig werden. 2 Ihre Befugnisse 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanbestimmen sich dabei nach den Vorschriften ken der Völkerverständigung (Artikel 9 dieses Gesetzes. Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf das friedliche Zusammenleben der andere Verfassungsschutzbehörden nicht Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgeum Maßnahmen ersuchen, zu denen sie setzes) gerichtet sind. selbst nicht befugt ist. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet den Landtag und die Landesregierung über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung soll diese Organe in die Lage 414 Anhang versetzen, die erforderlichen Maßnahmen Einzelpersonen, die nicht in einem oder für zu treffen. einen Personenzusammenschluss handeln, (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung Auswertungsergebnisse durch zusammenvon Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer fassende Berichte und andere Maßnahmen Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut über Bestrebungen und Tätigkeiten nach dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. Absatz 1 auf. Sie tritt solchen Bestrebungen 2 (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind und Tätigkeiten auch durch Angebote zur 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Information und zum Ausstieg entgegen. Bundes oder eines Landes: solche, die (4) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit darauf gerichtet sind, die Freiheit des 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von PerBundes oder eines Landes von fremder sonen nach Maßgabe des NiedersächsiHerrschaft aufzuheben, ihre staatliche schen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahgehörendes Gebiet abzutrennen; men zum Schutz von im öffentlichen 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Interesse geheimhaltungsbedürftigen Bundes oder eines Landes: solche, die Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntdarauf gerichtet sind, den Bund, Länder nissen gegen die Kenntnisnahme durch oder deren Einrichtungen in ihrer FunkUnbefugte, tionsfähigkeit erheblich zu beeinträchti3. bei der Überprüfung von Personen in gen; sonstigen gesetzlich vorgesehenen 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche Fällen, demokratische Grundordnung: solche, 4. bei einer im öffentlichen Interesse liedie darauf gerichtet sind, einen der in genden Überprüfung von Personen mit Absatz 3 genannten Verfassungsgrundderen Einverständnis. sätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. SS4 (3) Zur freiheitlichen demokratischen GrundBegriffsbestimmungen ordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 zählen: (1) 1 Bestrebungen im Sinne des SS 3 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch in Wahlen und Abstimmungen und bestimmte, zielund zweckgerichtete Verdurch besondere Organe der Gesetzhaltensweisen in einem oder für einen gebung, der vollziehenden Gewalt und Personenzusammenschluss. 2 Für einen der Rechtsprechung auszuüben und die Personenzusammenschluss handelt, wer Volksvertretung in allgemeiner, unmitihn in seinen Bestrebungen nachdrücktelbarer, freier, gleicher und geheimer lich unterstützt. 3 Verhaltensweisen von Wahl zu wählen, 415 Anhang 2. die Bindung der Gesetzgebung an die Zweiter Teil verfassungsmäßige Ordnung und die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und SS6 Recht, Beobachtungsobjekt 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, (1) 1Beobachtungsobjekt ist ein Personen4. die Ablösbarkeit der Regierung und zusammenschluss oder eine Einzelperson ihre Verantwortlichkeit gegenüber der nach SS 4 Abs. 1, der oder die zur Erfüllung Volksvertretung, der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, planmäßig beobachtet und aufgeklärt wird. 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Will- 2 Voraussetzung für die Bestimmung zum kürherrschaft und Beobachtungsobjekt sind Tatsachen, die, ins7. die im Grundgesetz konkretisierten gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Menschenrechte. nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange vergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 3 liegt nur Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 dann vor, wenn die Gewalt innerhalb der belegen. Bundesrepublik Deutschland angewendet (2) 1 Das Beobachtungsobjekt wird von oder vorbereitet wird und sie sich gegen der Fachministerin oder dem Fachminister die politische Ordnung oder Einrichtungen bestimmt, im Vertretungsfall von der Staatsanderer Staaten richtet oder richten soll. sekretärin oder dem Staatssekretär oder (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist deren oder dessen Vertreterin oder Verdie erhebliche, aggressive und unmitteltreter. 2Die Gründe sind zu dokumentieren. bar gegen Personen oder fremde Sachen 3 Die Bestimmung ist auf höchstens vier gerichtete Anwendung physischer Kraft. Jahre zu befristen. 4 Die Verlängerung der Bestimmung um jeweils höchstens vier Jahre SS5 ist zulässig, wenn die Voraussetzung des Trennungsgebot Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend. 5 Wird 1 Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsdie Bestimmung nicht verlängert, so ist die befugnisse stehen der VerfassungsschutzBeobachtung und Aufklärung unverzüglich behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu beenden; die zu dem Beobachtungszu. 2Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen objekt gespeicherten personenbezogenen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt Daten sind nach Maßgabe des SS 28 zu ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. löschen. (3) 1 Spätestens z wei Jahre nach der Bestimmung zum Beobachtungsobjekt oder 416 Anhang einer Verlängerung ist von der VerfassungsBestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 schutzbehörde zu prüfen, ob die Vorausrechtfertigen. setzung des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin (2) 1 Die Gründe für die Bestimmung erfüllt ist. Ist das der Fall, so sind die Gründe 2 zum Verdachtsobjekt und der Zeitpunkt zu dokumentieren. 3 Andernfalls ist die des Beginns der Verdachtsphase sind zu Bestimmung zum Beobachtungsobjekt von dokumentieren. 2Die Verdachtsphase ist auf der Fachministerin oder dem Fachminister zwei Jahre begrenzt. 3 Die Verdachtsphase aufzuheben, im Vertretungsfall von der kann einmalig um höchstens zwei Jahre verStaatssekretärin oder dem Staatssekretär längert werden, wenn die Voraussetzung oder deren oder dessen Vertreterin oder des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; Vertreter; Absatz 2 Satz 5 gilt entsprechend. die Gründe sind zu dokumentieren. 4 Endet (4 ) Endet die Bestimmung zum die Verdachtsphase, ohne dass das VerBeobachtungsobjekt, so soll die Verfassungsdachtsobjekt zum Beobachtungsobjekt schutzbehörde den ihr bekannten in dem bestimmt wird, so ist die Beobachtung Personenzusammenschluss verantwortlich und Aufklärung unverzüglich zu beenden; tätigen Personen oder der Einzelperson die die zu dem Verdachtsobjekt gespeicherten Beendigung der Beobachtung mitteilen. personenbezogenen Daten sind nach Maß(5) Zur planmäßigen Beobachtung und Aufgabe des SS 28 zu löschen. 5SS 6 Abs. 5 gilt klärung nach Absatz 1 Satz 1 gehört auch die entsprechend. Berücksichtigung derjenigen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, die SS8 gegen die Bestimmung zum BeobachtungsVerdachtsgewinnung objekt sprechen. (1) 1In einer Verdachtsgewinnungsphase SS7 wird geprüft, ob die Voraussetzung des SS 7 Verdachtsobjekt Abs. 1 Satz 2 erfüllt ist. 2Voraussetzung für den Beginn der Verdachtsgewinnungsphase (1) In einer Verdachtsphase wird durch plan- 1 sind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insmäßige Beobachtung und Aufklärung eines gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Personenzusammenschlusses oder einer nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus Einzelperson (Verdachtsobjekt) geprüft, ob vergleichbaren Fällen, den Anfangsverdacht das Verdachtsobjekt die Voraussetzung des einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 SS 6 Abs. 1 Satz 2 erfüllt. 2Voraussetzung oder 4 begründen. für die Bestimmung zum Verdachtsobjekt (2) 1Die Gründe für den Beginn der Verdachtssind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insgewinnungsphase und der Zeitpunkt ihres gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Beginns sind zu dokumentieren. 2Die Verdachtsnachrichtendienstlicher Erfahrungen aus gewinnungsphase ist auf ein Jahr begrenzt. vergleichbaren Fällen, den Verdacht einer 3 Endet die Verdachtsgewinnungsphase, 417 Anhang ohne dass ein Verdachtsobjekt oder ein nicht nur zufällig Daten erhoben werden, die Beobachtungsobjekt bestimmt wird, so ist die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung Prüfung unverzüglich zu beenden; die in der zuzurechnen sind. Verdachtsgewinnungsphase gespeicherten (2) 1 Wenn sich während einer bereits personenbezogenen Daten sind nach Maßlaufenden Datenerhebung tatsächliche gabe des SS 28 zu löschen. 4SS 6 Abs. 5 gilt Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Daten aus entsprechend. dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben werden, ist die Datenerhebung unverzüglich und so lange wie erforderlich Dritter Teil zu unterbrechen, soweit dies informationsBefugnisse zur Datenverarbeitung technisch möglich ist und dadurch die Datenerhebung den betroffenen Personen nicht bekannt wird. 2 Bereits erhobene Erstes Kapitel Daten aus dem Kernbereich privater LebensAllgemeine Vorschriften gestaltung dürfen nicht gespeichert, verändert, verwendet oder übermittelt werden; SS9 sie sind unverzüglich unter Aufsicht einer Grundsatz der oder eines besonders bestellten, mit der Verhältnismäßigkeit Auswertung nicht befassten Beschäftigten, die oder der die Befähigung zum Richter- 1 Die Verfassungsschutzbehörde ist an die amt hat, zu löschen. 3 Die Tatsache, dass allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. Daten aus dem Kernbereich privater Lebens- 2 Bei der Verarbeitung von personengestaltung erhoben wurden, und deren bezogenen Daten hat sie von mehreren Löschung sind zu dokumentieren. 4 Die in der geeigneten Maßnahmen diejenige zu Dokumentation enthaltenen Daten dürfen wählen, die betroffene Personen vorausausschließlich zur Datenschutzkontrolle versichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3Eine wendet werden. 5Sie sind zu löschen, wenn Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiseit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein führen, der erkennbar außer Verhältnis zu Jahr vergangen ist oder es einer Mitteilung dem beabsichtigten Erfolg steht. gemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens jedoch zwei Jahre nach der SS 10 Dokumentation. Schutz des Kernbereichs priva(3) Ergeben sich erst bei der Speicherung, ter Lebensgestaltung Veränderung oder Verwendung von Daten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Daten (1) Eine Datenerhebung dar f nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung angeordnet werden, wenn tatsächliche zuzurechnen sind, so gilt Absatz 2 Sätze 2 Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dadurch bis 5 entsprechend. 418 Anhang (4) Daten aus dem durch das Berufsgeheimdie Verfassungsschutzbehörde personennis geschützten Vertrauensverhältnis nach bezogene Daten nur aus allgemein zugängden SSSS 53 und 53 a der Strafprozessordnung lichen Quellen erheben. 3 Voraussetzung (StPO) sind dem Kernbereich privater Lebensfür die Erhebung von personenbezogenen gestaltung zuzurechnen. Daten zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 (5) Bestehen Zweifel, ob Daten dem KernAbs. 1 Nr. 2 ist das Vorliegen tatsächlicher bereich privater Lebensgestaltung zuzuAnhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet rechnen sind, so sind diese der Leiterin oder und unter Einbeziehung nachrichtendem Leiter der Verfassungsschutzabteilung dienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren zur Entscheidung über die Zurechnung Fällen, den Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 vorzulegen. Abs. 1 Nr. 2 rechtfertigen. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei SS 11 betroffenen Personen mit deren Kenntnis Überwachung des Brief-, Posterhoben, so ist der Erhebungszweck anzuund Fernmeldeverkehrs geben. 2Werden personenbezogene Daten bei Dritten außerhalb des öffentlichen Für die Überwachung des Brief-, Postund Bereichs erhoben, so ist der ErhebungsFernmeldeverkehrs einschließlich der Verzweck auf deren Verlangen anzugeben. arbeitung der durch eine solche Maßnahme 3 Die betroffenen Personen und die Dritten erlangten personenbezogenen Daten gelten sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben die Vorschriften des Artikel 10-Gesetzes. hinzuweisen. (3) Ist zum Zweck der Erhebung die Übermi t t lung p e r s o n e nb ezo g e n e r Date n Zweites Kapitel unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Erhebung und sonstige Kenntnisnahme Interessen der betroffenen Personen nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt SS 12 werden. Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die Daten von Minderjährigen zu einer planmäßigen Beobachtung und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 Abs. 1 (1) Die Erhebung von personenbezogenen Satz 1 oder zu einer Prüfung nach SS 8 Abs. 1 Daten über eine minderjährige Person, die Satz 1 erforderlichen personenbezogenen das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Daten erheben, soweit in den Vorschriften ist unzulässig. dieses Kapitels nicht anderes geregelt ist. (2) Die Erhebung von personenbezogenen 2 In der Verdachtsgewinnungsphase darf Daten über eine minderjährige Person, die das 419 Anhang 14. Lebensjahr, aber noch nicht das nahme technischer Mittel unter den 16. Lebensjahr vollendet hat, ist nur zulässig, Voraussetzungen des SS 15; wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür 3. Teilnahme an einer Kommunikationsbebestehen, dass sie ziehung im Internet unter einer Legende 1. in einem oder für ein Beobachtungs(Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) und unter Ausoder Verdachtsobjekt tätig ist, das auf nutzung eines schutzwürdigen Vertraudie Anwendung oder Vorbereitung von ens der betroffenen Person oder der Gewalt gerichtet ist, und sie diese Ausoder des Dritten, um ansonsten nicht richtung fördert, zugängliche personenbezogene Daten 2. in herausgehobener Funktion in einem zu erhalten, unter den Voraussetzungen Beobachtungsoder Verdachtsobjekt des SS 15; tätig ist oder 4. planmäßig angelegte verdeckte Perso3. eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausnenbeobachtung (Observation), auch übt. unter Einsatz besonderer für Observa(3) 1Die Datenerhebung darf kein Verhalten tionszwecke bestimmter technischer einer Person aus der Zeit vor Vollendung Mittel, soweit dieser Einsatz allein der ihres 14. Lebensjahres erfassen. 2Das VerBestimmung des jeweiligen Aufenthaltshalten einer Person aus der Zeit zwischen ortes der beobachteten Person dient, Vollendung ihres 14. und 16. Lebensjahres unter den Voraussetzungen des SS 15; darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn 5. einzelne verdeckt angefertigte fotozum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Vorausgrafische Bildaufzeichnungen außerhalb setzungen des Absatzes 2 vorlagen. von Wohnungen unter den Vorausset(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, soweit zungen des SS 15; minderjährige Personen von der Daten6. Inanspruchnahme von erhebung unvermeidbar als Dritte betroffen a) Personen, deren planmäßig angewerden. legte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht SS 14 bekannt ist (Vertrauenspersonen), Nachrichtendienstliche Mittel b) Personen, die in Einzelfällen Hinweise geben und deren Zusammen(1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf arbeit mit der Verfassungsschutzzur Erhebung personenbezogener Daten behörde Dritten nicht bekannt ist nur folgende nachrichtendienstliche Mittel (sonstige geheime Informantinnen einsetzen: und Informanten), 1. verdeckte Ermittlungen bei betroffenen c) Personen mit einer bereits bestePersonen und Dritten unter den Voraushenden Verbindung zu einem Nachsetzungen des SS 15; richtendienst einer fremden Macht, 2. verdecktes Mithören ohne Inanspruchdie zum Zweck der Spionageabwehr 420 Anhang überworben worden sind (überaußerhalb von Wohnungen unter den worbene Agentinnen und Agenten), Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; sowie 11. technische Mittel, mit denen zur Ermittd) Personen, die der Verfassungslung der Geräteund der Kartennumschutzbehörde logistische oder mern aktiv geschaltete Mobilfunkendsonstige Hilfe leisten, ohne Vereinrichtungen zur Datenabsendung an trauenspersonen, sonstige geheime eine Stelle außerhalb des TelekommuniInformantinnen oder Informanten kationsnetzes veranlasst werden, unter oder überworbene Agentinnen oder den Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; Agenten zu sein (Gewährsperso12. Beobachtung des Funkverkehrs auf nen), unter den Voraussetzungen nicht für den allgemeinen Empfang der SSSS 15 und 16; bestimmten Kanälen unter den Voraus7. Observation, die innerhalb einer Woche setzungen der SSSS 15 und 19; insgesamt länger als 24 Stunden oder 13. Überwachung des Brief-, Postund über einen Zeitraum von einer Woche Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des hinaus durchgeführt wird (längerfristige SS 11. Observation) oder bei der besondere 2 Die durch den Einsatz besonderer für für Observationszwecke bestimmte Observationszwecke bestimmter technischer technische Mittel zu einem anderen als Mittel nach Satz 1 Nr. 4 erhobenen personendem in Nummer 4 genannten Zweck bezogenen Daten dürfen nicht zu einem eingesetzt werden, unter den VorausBewegungsbild verbunden werden. 3 Die in setzungen der SSSS 15 und 17; Satz 1 Nrn. 5 und 8 genannten Mittel dürfen 8. verdeckt angefertigte Bildübertragunnicht gegen Versammlungen im Sinne des gen und Bildaufzeichnungen außerNiedersächsischen Versammlungsgesetzes halb von Wohnungen, die nicht unter (NVersG) eingesetzt werden. 4 Der Einsatz Nummer 5 fallen, unter den Voraussetunbemannter Fluggeräte ist unzulässig. zungen der SSSS 15 und 17; (2) 1 Soweit es für den Einsatz eines 9. Einsatz von hauptamtlichen Beschäfnachrichtendienstlichen Mit tels nach tigten der Verfassungsschutzbehörde, Absat z 1 er forderlich ist, dar f die die planmäßig angelegt und langfristig Verfassungsschutzbehörde unter einer Legende (Absatz 2 Satz 1 1. fingierte biografische, berufliche oder Nr. 1) personenbezogene Daten ergewerbliche Angaben (Legende) mit heben (verdeckte Ermittlerinnen und Ausnahme solcher beruflichen Angaben Ermittler), unter den Voraussetzungen verwenden, die sich auf Berufsgeheimder SSSS 15 und 18; nisträgerinnen oder Berufsgeheimnisträ10. verdecktes Mithören und Aufzeichnen ger nach SS 53 StPO oder Berufshelferindes nicht öffentlich gesprochenen nen oder Berufshelfer nach SS 53 a StPO Wortes unter Einsatz technischer Mittel beziehen, und 421 Anhang 2. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen beerreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür schaffen, herstellen und verwenden. ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese 2 Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen Weise erreicht werden kann. auch zum Schutz der Beschäftigten, Ein(2) 1Ein nachrichtendienstliches Mittel darf richtungen und Gegenstände der Vernur eingesetzt werden, wenn fassungsschutzbehörde sowie zum Schutz 1. sich der Einsatz gegen ein Beobachder in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 genannten tungsoder Verdachtsobjekt oder Personen beschafft, hergestellt und vergegen eine Person richtet, bei der tatwendet werden. 3 Die Behörden des Landes sächliche Anhaltspunkte dafür vorlieund der Kommunen sind verpflichtet, der gen, dass sie in diesem oder für dieses Ver fassungsschut zbehörde technische tätig ist, Hilfe bei der Beschaffung und Herstellung 2. sich der Einsatz gegen eine Person richvon Tarnpapieren und Tarnkennzeichen zu tet, bei der tatsächliche Anhaltspunkte leisten. für die Ausübung einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen, SS 15 3. sich der Einsatz gegen eine Person Allgemeine Voraussetzungen richtet, von der aufgrund bestimmter für den Einsatz nachrichtenTatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dienstlicher Mittel einer der in den Nummern 1 und 2 genannten Personen in Verbindung steht (1) 1Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen und dass deshalb der Einsatz des Mittels Mittels ist unzulässig, wenn die Erforschung unumgänglich ist, um Erkenntnisse über des Sachverhalts auf andere, die betroffenen ein Beobachtungsoder VerdachtsPersonen weniger beeinträchtigende Weise objekt, das auf die Anwendung oder möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist wenn die Information aus allgemein zugängoder aus anderen Gründen erhebliche lichen Quellen erhoben oder durch ein Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit Ersuchen nach SS 23 beschafft werden kann. nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen, 2 Der Einsatz eines nachrichtendienstlichen 4. dadurch die zur planmäßigen BeobachMittels darf nicht erkennbar außer Vertung und Aufklärung eines Beobachhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden tungsoder Verdachtsobjekts oder zur Sachverhalts stehen, insbesondere nicht Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 außer Verhältnis zu der Gefahr, die von dem Nr. 2 erforderlichen Vertrauenspersojeweiligen Beobachtungsoder Verdachtsnen, sonstigen geheimen Informantinobjekt oder der Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 nen und Informanten, überworbenen Nr. 2 ausgeht oder ausgehen kann. Der Ein- 3 Agentinnen und Agenten sowie Gesatz eines nachrichtendienstlichen Mittels ist währspersonen gewonnen oder überunverzüglich zu beenden, wenn sein Zweck prüft werden können oder 422 Anhang 5. dies zum Schutz der Beschäftigten, person nicht auf Dauer deren wesentEinrichtungen und Gegenstände der liche Lebensgrundlage sind, Verfassungsschutzbehörde sowie zum 4. sie nicht ein Angebot zum Ausstieg Schutz der Vertrauenspersonen, sonstiannehmen und nicht die Absicht dazu gen geheimen Informantinnen und Inhaben und formanten, überworbenen Agentinnen 5. sie nicht und Agenten sowie Gewährspersonen a) Mandatsträgerin oder Mandatsträerforderlich ist. ger des Europäischen Parlaments, 2 Ein nachrichtendienstliches Mittel darf auch des Bundestages oder eines Landeseingesetzt werden, wenn Dritte unvermeidparlaments oder bar betroffen werden. b) Mitarbeiterin oder Mitarbeiter einer (3) Bei dem Einsatz eines nachrichtensolchen Mandatsträgerin oder eines dienstlichen Mittels dürfen die Beschäftigten solchen Mandatsträgers oder einer der Verfassungsschutzbehörde keine StrafFraktion oder Gruppe eines solchen taten begehen. Parlaments sind. (4) Die Zielsetzung und die Aktivitäten von 2 Die Verfassungsschutzbehörde darf BerufsBeobachtungsund Verdachtsobjekten geheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisdürfen von der Verfassungsschutzbehörde träger (SS 53 StPO) sowie Berufshelferinnen weder unmittelbar noch mittelbar steuernd und Berufshelfer (SS 53 a StPO) nicht von sich beeinflusst werden. aus in Anspruch nehmen. (2) 1 Eine Vertrauensperson darf dauerSS 16 haft nur gegen ein Beobachtungsoder Besondere Voraussetzungen Verdachtsobjekt in Anspruch genommen für die Inanspruchnahme von werden, das auf die Anwendung oder VorPersonen bereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen Gründen erhebliche Bedeutung (1) 1Vertrauenspersonen, sonstige geheime hat. 2Wenn die erhebliche Bedeutung eines Informantinnen und Informanten, überBeobachtungsoder Verdachtsobjekts worbene Agentinnen und Agenten sowie noch nicht festgestellt werden kann und zu Gewährspersonen dürfen nur in Anspruch dessen Beobachtung und Aufklärung andere genommen werden, wenn nachrichtendienstliche Mittel nicht den1. sie volljährig sind, selben Erfolg versprechen, darf abweichend 2. keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür von Satz 1 eine Vertrauensperson vorübervorliegen, dass sie rechtswidrig einen gehend gegen dieses Beobachtungsoder Straftatbestand von besonderer BedeuVerdachtsobjekt in Anspruch genommen tung (Absatz 6) verwirklicht haben, werden. 3. die Geldoder Sachzuwendungen für (3) 1Bei Vertrauenspersonen sowie überdie Inanspruchnahme einer Vertrauensworbenen Agentinnen und Agenten soll 423 Anhang der Zeitraum zwischen dem ersten Heran- 2 Wird die Inanspruchnahme beendet, weil treten an die Person und dem Beginn der sich tatsächliche Anhaltspunkte ergeben planmäßig angelegten Zusammenarbeit haben, dass die Person rechtswidrig einen (Werbung) ein Jahr nicht überschreiten. Straftatbestand von besonderer Bedeutung 2 Die Werbung einer Vertrauensperson darf (Absatz 6) verwirklicht hat, so sind die Straferst beginnen, wenn die G 10-Kommission verfolgungsbehörden zu unterrichten, wenn die Zustimmung nach SS 21 Abs. 5 Satz 5 nicht der Schutz von Leib und Leben der in erteilt hat. 3 Vertrauenspersonen sowie Anspruch genommenen Person ein Unterüberworbene Agentinnen und Agenten lassen erfordert. sollen höchstens fünf Jahre von derselben (6) Straftaten von besonderer Bedeutung im oder demselben Beschäftigten der VerSinne dieser Vorschrift sind fassungsschutzbehörde geführt werden. 1. Verbrechen, 4 Ihre Werbung und Inanspruchnahme sind 2. die in SS 138 StGB genannten Vergehen, fortlaufend zu dokumentieren. 5Die Sätze 3 3. Vergehen nach SS 129 StGB sowie und 4 gelten für die Betreuung sonstiger 4. gewerbsoder bandenmäßig begangegeheimer Informantinnen und Informanten ne Vergehen nach entsprechend. a) den SSSS 243, 244, 260, 261, 263 (4) 1Eine in Absatz 1 genannte Person darf bis 264 a, 265 b, 266, 283, 283 a, nur folgende Straftatbestände verwirklichen: 291 und 324 bis 330 StGB, 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, b) SS 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c und d SSSS 86 a, 98, 99, 129, 129 a sowie 129 b des Waffengesetzes, Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs c) SS 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und SS 29 a (StGB), soweit er auf SS 129 a StGB verAbs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgeweist, setzes sowie 2. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2, 4 und 5 d) den SSSS 96 und 97 des AufenthaltsgeNVersG und setzes. 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. 2 Dabei darf weder auf die Gründung einer SS 17 strafbaren Vereinigung hingewirkt noch Besondere Voraussetzungen für eine steuernde Einflussnahme auf sie ausObservationen sowie geübt werden. 3 Erlaubt sind nur solche Bildübertragungen und BildaufHandlungen, die unter Berücksichtigung der zeichnungen Verhältnismäßigkeit im Einzelfall unumgänglich sind. Die Ve r fa s sungs s chu t zb e h ö rd e dar f (5) 1 Liegen die Vorausset zungen für die nachrichtendienstlichen Mittel der die Inanspruchnahme einer in Absatz 1 Observation nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 genannten Person nicht mehr vor, so ist die sowie der Bildübertragungen und BildInanspruchnahme unverzüglich zu beenden. aufzeichnungen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 424 Anhang Nr. 8 nur einsetzen, um Erkenntnisse über dacht bestehen, dass sie eine Straftat ein Beobachtungsoder Verdachtsobjekt, nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes das auf die Anwendung oder Vorbereitung plant, begeht oder begangen hat, oder von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzuGründen erhebliche Bedeutung hat, oder nehmen ist, dass sie über ihren Teilüber eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu nehmeranschluss für eine Person nach gewinnen. Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennimmt SS 18 oder weitergibt oder dass eine Person Besondere Voraussetzungen für nach Nummer 1 ihren Teilnehmeranden Einsatz verdeckter schluss nutzt, und dass deshalb der EinErmittlerinnen und Ermittler satz unumgänglich ist, um Erkenntnisse über ein Beobachtungsoder Verdachts(1) Eine verdeckte Ermittlerin oder ein verobjekt oder über eine Tätigkeit nach SS 3 deckter Ermittler darf nur unter den VorausAbs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. setzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes eingesetzt SS 20 werden. Besondere Auskunftsverlangen (2) 1Der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin oder eines verdeckten Ermittlers ist fort(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann laufend zu dokumentieren. SS 16 Abs. 4 gilt 2 anordnen, dass ein Diensteanbieter nach SS 2 für verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler Satz 1 Nr. 1 des Telemediengesetzes (TMG) entsprechend. ihr Auskunft erteilt 1. zu Bestandsdaten (SS 14 TMG) oder SS 19 2. zu Nutzungsdaten (SS 15 Abs. 1 TMG). Besondere Voraussetzungen für 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 den Einsatz bestimmter technidarf nur im Einzelfall und unter der Vorausscher Mittel setzung angeordnet werden, dass sie zu einer planmäßigen Beobachtung und Auf(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf ein klärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 technisches Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der Auf- 1 Nrn. 10 bis 12 nur unter den Vorausgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist setzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 und dass tatsächliche Anhaltspunkte für Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einsetzen. eine schwerwiegende Gefahr für ein in (2) Der Einsatz eines technischen Mittels SS 3 Abs. 1 genanntes Schutzgut vorliegen. nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 darf sich nur 3 Die Erteilung einer Auskunft zu Bestandsgegen eine Person richten, bei der daten darf im Einzelfall auch angeordnet 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verwerden, wenn durch die Erteilung der 425 Anhang Auskunft die zur planmäßigen Beobachtung 1. zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG und Aufklärung eines Beobachtungsoder erhobenen Bestandsdaten (einfache BeVerdachtsobjekts oder zur Erfüllung der standsdaten), Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforder2. zu Bestandsdaten nach Nummer 1, lichen Ver trauenspersonen, sonstigen mittels derer der Zugriff auf Endgegeheimen Informantinnen und Informanten, räte oder auf Speichereinrichtungen, überworbenen Agentinnen und Agenten die in diesen Endgeräten oder hiervon sowie Gewährspersonen gewonnen oder räumlich getrennt eingesetzt werden, überprüft werden können und tatsächgeschützt wird oder die anhand einer liche Anhaltspunkte für eine schwerzu einem bestimmten Zeitpunkt zuwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 gewiesenen Internetprotokoll-Adresse genanntes Schut zgut vorliegen. 4 Zur bestimmt werden (besondere BestandsErfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 daten), oder Nr. 1 darf die Erteilung einer Auskunft zu 3. zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nutzungsdaten nur angeordnet werden, Nrn. 1 bis 4 TKG und sonstigen zum wenn das Beobachtungsoder VerdachtsAufbau und zur Aufrechterhaltung der objekt auf die Anwendung oder VorTelekommunikation notwendigen Verbereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus kehrsdaten. anderen Gründen erhebliche Bedeutung hat. 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 5 Die Erteilung einer Auskunft zu Nutzungsdarf nur angeordnet werden, wenn sie im daten darf nur zu einer Person angeordnet Einzelfall zu einer planmäßigen Beobachtung werden, und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder 1. bei der tatsächliche Anhaltspunkte SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der dafür vorliegen, dass sie die schwerAufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderwiegende Gefahr nachdrücklich fördert, lich ist. 3 Die Erteilung einer Auskunft zu oder einfachen Bestandsdaten darf im Einzelfall 2. bei der aufgrund bestimmter Tatsachen auch angeordnet werden, wenn dadurch anzunehmen ist, dass sie Telemedien für die zur planmäßigen Beobachtung und eine Person nach Nummer 1 nutzt und Aufklärung eines Beobachtungsoder Verdass deshalb die Anordnung unumdachtsobjekts oder zur Erfüllung der Aufgänglich ist, um Erkenntnisse über ein gabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlichen Beobachtungsoder Verdachtsobjekt Vertrauenspersonen, sonstigen geheimen oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Informantinnen und Informanten, überNr. 2 zu gewinnen. worbenen Agentinnen und Agenten sowie (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann Gewährspersonen gewonnen oder überanordnen, dass ein Diensteanbieter nach prüft werden können. 4 Die Erteilung einer SS 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes Auskunft zu besonderen Bestandsdaten (TKG) ihr Auskunft erteilt und zu Verkehrsdaten darf nur unter den 426 Anhang Voraussetzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und berinnen, Kontoinhabern, sonstigen Bedes SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes und rechtigten und weiteren am Zahlungsnur zu einer Person angeordnet werden, bei verkehr Beteiligten, erteilen. der 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdarf nur im Einzelfall und unter der Vorausdacht bestehen, dass sie eine Straftat setzung angeordnet werden, dass sie zu nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einer planmäßigen Beobachtung und Aufplant, begeht oder begangen hat, klärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzuAbs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der Aufgabe nehmen ist, dass sie über ihren Teilnach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und nehmeranschluss für eine Person nach dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine Nummer 1 bestimmte oder von ihr herschwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 rührende Mitteilungen entgegennimmt genanntes Schutzgut vorliegen; Absatz 1 oder weitergibt oder dass eine Person Satz 4 gilt entsprechend. 3 Die Erteilung nach Nummer 1 ihren Teilnehmeraneiner Auskunft nach Satz 1 darf nur zu einer schluss nutzt und dass deshalb die Person angeordnet werden, bei der Anordnung unumgänglich ist, um Er1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorkenntnisse über ein Beobachtungsoder liegen, dass sie die schwerwiegende Verdachtsobjekt oder über eine TätigGefahr nachdrücklich fördert, oder keit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. 2. aufgrund bestimmter Tatsachen an(3) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann zunehmen ist, dass sie eine in Satz 1 anordnen, dass genannte Dienstleistung für eine Person 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreiber nach Nummer 1 in Anspruch nimmt und von Computerreservierungssystemen dass deshalb die Anordnung unumund Globalen Distributionssystemen für gänglich ist, um Erkenntnisse über ein Flüge Auskunft zu Namen und AnschrifBeobachtungsoder Verdachtsobjekt ten von Kundinnen und Kunden sowie oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 zur Inanspruchnahme und den UmstänNr. 2 zu gewinnen. den von Transportleistungen, insbeson(4) Die Verfassungsschutzbehörde kann dere zum Zeitpunkt von Abfertigung unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 und Abflug und zum Buchungsweg, Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 3 das Bundessowie amt für Steuern um Abrufe aus dem gemäß 2. Kreditinstitute, FinanzdienstleistungsinsSS 24 c Abs. 1 des Kreditwesengesetzes titute und Finanzunternehmen Auskunft zu führenden Dateis ystem er suchen zu Konten und Geldanlagen, insbe(Kontostammdatenabfrage). sondere zu Kontoständen, Zahlungs(5) 1 Auskünfte nach den Absätzen 1 einund -ausgängen und sonstigen und 3 sind unentgeltlich zu erteilen. 2Die Geldbewegungen, sowie zu KontoinhaVerfassungsschutzbehörde hat für die 427 Anhang Erteilung von Auskünften nach Absatz 2 Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, eine Entschädigung entsprechend SS 23 des Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Justizvergütungsund -entschädigungsund Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 sowie für gesetzes zu gewähren. Ersuchen nach SS 20 Abs. 4. 3Der Einsatz nach(6) Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 3 richtendienstlicher Mittel nach SS 14 Abs. 1 sowie Ersuchen nach Absatz 4 und die überSatz 1 Nrn. 4 bis 6 wird von der Leiterin oder mittelten Daten dürfen den betroffenen dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung Personen oder Dritten von den Verangeordnet, im Vertretungsfall von der Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. treterin oder dem Vertreter. 4 Die Gründe für (7) Den Verpflichteten ist es verboten, 1 die Anordnungen nach den Sätzen 1 bis 3 allein aufgrund einer Anordnung nach den sind zu dokumentieren. Absätzen 1 bis 3 einseitige Handlungen vor(2) 1Anordnungen nach Absatz 1 sind zu zunehmen, die für die betroffene Person befristen auf höchstens nachteilig sind und die über die Erteilung 1. drei Jahre in den Fällen des SS 14 Abs. 1 der Auskunft hinausgehen, insbesondere Satz 1 Nr. 6, ein Jahr in den Fällen der bestehende Verträge oder Geschäftsvervorübergehenden Inanspruchnahme bindungen zu beenden, ihren Umfang zu einer Vertrauensperson (SS 16 Abs. 2 beschränken oder ein Entgelt zu erheben Satz 2), oder zu erhöhen. 2Die Anordnung ist mit 2. drei Monate in den Fällen des SS 14 dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12, Verbot und darauf zu verbinden, dass 3. drei Monate bei der Erteilung von das Auskunftsersuchen nicht die Aussage Auskünften zu künftig anfallenden beinhaltet, dass sich die betroffene Person Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 gerichteter Verdacht besteht. Satz 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1. SS 21 2 Verlängerungen um jeweils höchstens Verfahrensvorschriften den in Satz 1 genannten Zeitraum sind zulässig, wenn die Voraussetzungen der (1) 1 Der Einsatz nachrichtendienstlicher Anordnung weiterhin erfüllt sind; Absatz 1 Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 gilt entsprechend. 3Satz 2 gilt nicht für die wird von der Fachministerin oder dem vorübergehende Inanspruchnahme einer Fachminister angeordnet, im VertretungsVertrauensperson (SS 16 Abs. 2 Satz 2). fall von der Staatssekretärin oder dem (3) 1Anordnungen und Verlängerungen Staatssekretär oder deren oder dessen Verdes Einsatzes nachrichtendienstlicher treterin oder Vertreter. Dasselbe gilt für die 2 Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 Erteilung von Auskünften zu Nutzungsdaten bis 12 bedürfen der Zustimmung der nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonderen G 10 -Kommission. 2 Dasselbe gilt für 428 Anhang Anordnungen und Verlängerungen der (5) 1 Die Beobachtungsund VerdachtsErteilung von Auskünften zu Nutzungsobjekte, gegen die die Inanspruchnahme daten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, von Vertrauenspersonen nach Absatz 1 besonderen Bestandsdaten nach SS 20 Satz 3 angeordnet werden darf, werden Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach zuvor von der Fachministerin oder dem SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sowie Daten nach Fachminister bestimmt, im VertretungsSS 20 Abs. 3 Satz 1 und für Ersuchen nach fall von der Staatssekretärin oder dem SS 20 Abs. 4. Die G 10-Kommission prüft 3 Staatssekretär oder deren oder dessen Verim Rahmen der Erteilung der Zustimmung treterin oder Vertreter. 2Die Gründe sind die Zulässigkeit und Notwendigkeit des zu dokumentieren. 3 Die Bestimmung ist Einsatzes des nachrichtendienstlichen auf höchstens vier Jahre zu befristen. 4 Die Mittels oder des besonderen AuskunftsVerlängerung der Bestimmung um jeweils verlangens. 4Stimmt die G 10-Kommission höchstens vier Jahre ist zulässig, wenn die einer Anordnung oder Verlängerung nicht Voraussetzung des SS 16 Abs. 2 weiterhin zu, so hat die Fachministerin oder der erfüllt ist. 5 Die Bestimmung und die VerFachminister, im Vertretungsfall die Staatslängerung bedürfen der Zustimmung der sekretärin oder der Staatssekretär oder G 10-Kommission. 6Absatz 3 Satz 3 gilt entderen oder dessen Vertreterin oder Versprechend. 7Stimmt die G 10-Kommission treter, die Anordnung oder Verlängerung einer Verlängerung nicht zu, so ist die unverzüglich aufzuheben. Inanspruchnahme von Vertrauenspersonen (4) 1Bei Gefahr im Verzug kann in den Fällen gegen das betroffene Beobachtungsobjekt des Absatzes 3 die Fachministerin oder der unverzüglich zu beenden. Fachminister, im Vertretungsfall die Staats(6) 1Die Wahrnehmung der Aufgaben der sekretärin oder der Staatssekretär oder G 10-Kommission nach den Absätzen 3 bis deren oder dessen Vertreterin oder Vertreter, 5 obliegt der G 10-Kommission nach SS 3 des anordnen, dass der Einsatz des nachrichtenNiedersächsischen Gesetzes zur Ausführung dienstlichen Mittels vor der Zustimmung der des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10). G 10-Kommission begonnen oder die Aus- 2 SS 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 und Abs. 2 bis 4 kunft vor der Zustimmung erteilt wird. 2In Nds. AG G 10 gilt entsprechend. diesem Fall ist die Zustimmung unverzüg(7) Die weiteren Einzelheiten des Einsatzes lich nachträglich einzuholen. 3 Stimmt die nachrichtendienstlicher Mittel sind in Dienst- G 10-Kommission nicht nachträglich zu, so vorschriften umfassend zu regeln. gilt Absatz 3 Satz 4 entsprechend; der Einsatz des nachrichtendienstlichen Mittels ist unverzüglich zu beenden. 4 Bereits erhobene Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, verwendet oder übermittelt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 429 Anhang SS 22 schutzwürdige Belange einer Person Mitteilung an betroffene Persogefährdet werden, nen 3. ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer anderen betroffenen Person (1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat entgegenstehen oder den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel 4. durch das Bekanntwerden des Einsatzes nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 bis 12 des nachrichtendienstlichen Mittels der nach seiner Beendigung den betroffenen weitere Einsatz der in SS 14 Abs. 1 Satz 1 Personen mitzuteilen. 2 Dasselbe gilt für Nrn. 6 und 9 genannten Personen gefährObservationen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, det wird und deshalb die Interessen der soweit besondere für Observationszwecke betroffenen Person zurücktreten müssen. bestimmte technische Mittel eingesetzt 2 Wird die Mitteilung nicht innerhalb eines wurden. 3 Die Verfassungsschutzbehörde Jahres nach der Beendigung des Einsatzes hat auch die besonderen Auskunftsdes nachrichtendienstlichen Mittels oder der verlangen nach Erteilung der Auskunft den Erteilung der Auskunft vorgenommen, so betroffenen Personen mitzuteilen; dies gilt bedarf die Zurückstellung der Zustimmung nicht für Auskunftsverlangen zu einfachen der G 10 - Kommission. 3 Stimmt die Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 G 10-Kommission der Zurückstellung zu, so Nr. 1. 4 In der Mitteilung ist auf die Rechtshat sie diese zu befristen. 4Auch jede weitere grundlage für den Einsatz des nachrichtenZurückstellung bedarf der Zustimmung der dienstlichen Mittels oder für das besondere G 10-Kommission; Satz 3 gilt entsprechend. Auskunftsverlangen und auf das Auskunfts- 5 Stimmt die G 10-Kommission der Zurückrecht nach SS 30 hinzuweisen. 5Die Sätze 1 stellung oder der weiteren Zurückstellung bis 4 gelten nicht, wenn für die Mitteilung nicht zu oder entfällt zwischenzeitlich der in unverhältnismäßiger Weise weitere Grund für die Zurückstellung, so ist die Mitpersonenbezogene Daten der betroffenen teilung unverzüglich von der VerfassungsPerson erhoben werden müssten. schutzbehörde vorzunehmen. 6 Die Sätze 2 (2) 1 Die Mitteilung wird zurückgestellt, bis 5 gelten nicht für die Mitteilung des Einsolange satzes nachrichtendienstlicher Mittel nach 1. eine Gefährdung des Zwecks des EinsatSS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und für die Mitzes des nachrichtendienstlichen Mittels teilung von besonderen Auskunftsverlangen oder des besonderen Auskunftsverzu Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 langens nicht ausgeschlossen werden Nr. 1. 7 Wird in diesen Fällen die Mitteilung kann, nicht innerhalb von zwei Jahren nach der 2. durch das Bekanntwerden des EinsatErteilung der Auskunft vorgenommen, so zes des nachrichtendienstlichen Mittels ist die Zurückstellung unter Angabe des oder des besonderen AuskunftsverlanGrundes der oder dem Landesbeauftragten gens Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich für den Datenschutz mitzuteilen. 430 Anhang (3) 1Einer Mitteilung bedarf es endgültig Quellen oder nur mit übermäßigem Aufnicht, wenn wand oder nur durch eine die betroffene 1. die Voraussetzung der Zurückstellung Person stärker belastende Maßnahme auch fünf Jahre nach Beendigung des erhoben werden können. 2Die Gründe für Einsatzes des nachrichtendienstlichen das Ersuchen sind zu dokumentieren. Mittels oder nach Erteilung der Aus(2) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf kunft noch nicht entfallen ist, anstelle eines Ersuchens nach Absatz 1 oder 2. die Voraussetzungen der Zurückstellung SS 18 Abs. 3 Satz 2 des Bundesverfassungsmit an Sicherheit grenzender Wahrschutzgesetzes (BVerfSchG) automatisierte scheinlichkeit auch in Zukunft nicht Abrufverfahren nutzen, soweit die Nutzung entfallen werden, eines automatisier ten Abrufver fahrens 3. die Voraussetzungen für eine Löschung durch die Verfassungsschutzbehörden ausder personenbezogenen Daten vorliedrücklich gesetzlich geregelt ist und durch gen und technische und organisatorische Maß4. die G 10-Kommission zustimmt. nahmen Risiken für die Rechte und Frei- 2 Bei nachrichtendienstlichen Mitteln nach heiten der betroffenen Personen vermieden SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und bei besonderen werden können. 2Die Einrichtung eines autoAuskunftsverlangen zu Bestandsdaten nach matisierten Abrufverfahrens wird von der SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bedarf es abweichend Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsvon Satz 1 Nr. 4 der Zustimmung der oder des schutzabteilung oder der Vertreterin oder Landesbeauftragten für den Datenschutz. dem Vertreter angeordnet. 3 Soweit die gesetzlichen Regelungen nach Satz 1 die SS 23 abrufende Stelle nicht zur Dokumentation Ersuchen und automatisierte der Abrufe verpflichten, sind die Gründe Abrufverfahren für den Abruf im automatisierten Abrufverfahren zu dokumentieren. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur (3) 1Die ersuchte Behörde, Körperschaft, planmäßigen Beobachtung und Aufklärung Anstalt oder Stiftung ist verpflichtet, eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts die personenbezogenen Daten zu übersowie zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 mitteln. 2 Sie darf nur solche personenAbs. 1 Nr. 2 die Behörden des Landes, insbezogenen Daten übermitteln, die bei ihr besondere die Staatsanwaltschaften und die bereits bekannt sind oder von ihr aus allPolizeibehörden, sowie die der ausschließgemein zugänglichen Quellen entnommen lichen Aufsicht des Landes unterstehenden werden können. 3 Erweisen sich personenKörperschaften, Anstalten und Stiftungen bezogene Daten nach ihrer Übermittlung des öffentlichen Rechts um Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie personenbezogener Daten ersuchen, wenn gegenüber der empfangenden Verfassungsdiese nicht aus allgemein zugänglichen schutzbehörde unverzüglich zu ergänzen 431 Anhang oder zu berichtigen, es sei denn, dass der nach SS 100 c StPO oder nach SS 35 a NPOG Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts erlangt worden sind, ist unzulässig. offensichtlich ohne Bedeutung ist. (6) Die aufgrund eines Ersuchens nach (4) Um Übermittlung personenbezogener den Absätzen 4 und 5 übermittelten Daten, die von einer Staatsanwaltschaft oder per sonenbezogenen Daten sind von einer Polizeibehörde aufgrund einer strafder übermittelnden Staatsanwaltschaft prozessualen Zwangsmaßnahme oder nach oder Polizeibehörde unter Angabe des SS 32 Abs. 2 oder den SSSS 33 a bis 37 a des zur Erhebung eingesetzten Mittels zu Niedersächsischen Polizeiund Ordnungskennzeichnen. behördengesetzes (NPOG) erhoben worden sind, darf nur ersucht werden, wenn die SS 24 personenbezogenen Daten auch von der Registereinsicht Ver fassungsschut zbehörde mit einem vergleichbaren nachrichtendienstlichen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Mittel oder besonderen Auskunftsverlangen planmäßigen Beobachtung und Aufklärung hätten erhoben werden dürfen. eines Beobachtungsoder Verdachts(5) 1 Um die Übermittlung personenobjekts, das auf die Anwendung oder Vorbezogener Daten, die aufgrund einer strafbereitung von Gewalt gerichtet ist, sowie prozessualen Zwangsmaßnahme oder einer zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 dieser vergleichbaren Maßnahme nach dem Nr. 2 die von öffentlichen Stellen geführten Niedersächsischen Polizeiund OrdnungsRegis ter, insbesondere Grundbücher, behördengesetz erhoben worden sind, zu Per sonens t andsbücher, M elderegis ter, der die Verfassungsschutzbehörde nach Personalausweisregister, Passregister, Führerdiesem Gesetz nicht befugt ist, darf nur scheinkartei, Waffenscheinkartei einsehen. ersucht werden, wenn dies zur planmäßigen (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn Be obachtung und Aufklärung eines 1. ein Ersuchen nach SS 23 Abs. 1 oder Beobachtungsoder Verdachtsobjekts, das ein Abruf im automatisierten Abrufverauf die Anwendung oder Vorbereitung von fahren nach SS 23 Abs. 2 den Zweck der Gewalt gerichtet ist, oder zur Erfüllung der Maßnahme gefährden würde und Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich 2. die betroffene Person durch eine anderist. 2Satz 1 gilt nicht für Ersuchen um Überweitige Datenerhebung unverhältnismämittlung von personenbezogenen Daten, ßig beeinträchtigt würde. die aufgrund einer Identitätsfeststellung 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr nach SS 163 b StPO, auch in Verbindung mit eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift SS 111 Abs. 3 StPO, oder nach SS 13 NPOG oder eine Pflicht zur Wahrung von Berufserhoben worden sind. Ein Ersuchen um die 3 geheimnissen entgegensteht. Übermittlung personenbezogener Daten, ( 3) Die Einsichtnahme wird von die aufgrund einer Wohnraumüberwachung d er L eiterin o d er d em L eiter d er 432 Anhang Verfassungsschutzabteilung oder der VerAufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich treterin oder dem Vertreter angeordnet. ist. 2Personenbezogene Daten, die aufgrund (4) 1Jede Einsichtnahme ist zu dokumentieren. einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme 2 Die in der Dokumentation enthaltenen oder einer vergleichbaren Maßnahme personenbezogenen Daten dürfen ausnach dem Niedersächsischen Polizeiund schließlich zur Datenschutzkontrolle verOrdnungsbehördengesetz erhoben worden wendet werden. 3Sie sind zwei Jahre nach sind, dürfen nur übermittelt werden, wenn der Dokumentation zu löschen. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung und SS 25 Aufklärung eines Beobachtungsoder VerVerpflichtung zur Datenüberdachtsobjekts, das auf die Anwendung oder mittlung an die VerfassungsVorbereitung von Gewalt gerichtet ist, oder schutzbehörde zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 3 Die Übermittlung (1) Die Behörden des Landes sowie die der personenbezogener Daten, die aufgrund ausschließlichen Aufsicht des Landes untereiner Wohnraumüberwachung nach SS 100 c stehenden Körperschaften, Anstalten und StPO oder nach SS 35 a NPOG erlangt worden Stiftungen des öffentlichen Rechts übersind, ist unzulässig. 4Satz 2 gilt nicht für mitteln von sich aus der Verfassungsschutzdie Übermittlung von personenbezogenen behörde die ihnen bekannt gewordenen Daten, die aufgrund einer IdentitätsfestInformationen einschließlich personenstellung nach SS 163 b StPO, auch in Verbezogener Daten, wenn tat sächliche bindung mit SS 111 Abs. 3 StPO, oder nach Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur SS 13 NPOG erhoben worden sind. 5Die nach planmäßigen Beobachtung und Aufklärung Satz 2 übermittelten personenbezogenen eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts, Daten sind unter Angabe des zur Erhebung das auf die Anwendung oder Vorbereitung eingesetzten Mittels zu kennzeichnen. von Gewalt gerichtet ist, oder zur Erfüllung (3) Die Übermit tlung von personender Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderbezogenen Daten über eine Person, die das lich ist. 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist (2) 1Die Staatsanwaltschaften und Polizeiunzulässig. behörden des Landes übermitteln von sich (4) SS 23 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts oder zur Erfüllung der 433 Anhang Drittes Kapitel oder Agenten oder Gewährspersonen Speicherung, Veränderung, Verwendung, erforderlich ist. Löschung 2 Die in Satz 1 Nrn. 1 bis 4 genannten Voraussetzungen gelten nicht in der SS 26 Verdachtsgewinnungsphase. 3 Sind mit Speicherung, Veränderung und personenbezogenen Daten, die nach Satz Verwendung personenbezoge- 1 gespeichert, verändert und verwendet ner Daten, Zweckbindung werden dürfen, weitere personenbezogene Daten von betroffenen Personen oder von (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die Dritten so verbunden, dass sie nicht oder zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erhobenen personenbezogenen Daten getrennt werden können, so dürfen sie speichern, verändern und verwenden, wenn gemeinsam mit den personenbezogenen dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem Daten nach Satz 1 gespeichert werden; sie sie erhoben worden sind, und sind nach Maßgabe des SS 28 Abs. 3 in ihrer 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorVerarbeitung einzuschränken. liegen, dass die betroffene Person in (2) 1Die mit nachrichtendienstlichen Mitteln dem oder für das Beobachtungsoder oder durch ein besonderes AuskunftsVerdachtsobjekt tätig ist, verlangen erhobenen personenbezogenen 2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorDaten sind unter Angabe des eingesetzten liegen, dass die betroffene Person eine Mittels zu kennzeichnen. 2Bei den nach Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausübt, SS 23 Abs. 6 gekennzeichneten personen3. aufgrund bestimmter Tatsachen anzubezogenen Daten ist die Kennzeichnung nehmen ist, dass die betroffene Person beizubehalten. mit einer der in den Nummern 1 und (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf 2 genannten Personen in Verbindung die personenbezogenen Daten, von denen steht und dass deshalb die Speicherung, sie durch Übermittlung nach SS 25 rechtVeränderung oder Verwendung zur mäßig Kenntnis erlangt hat, nur speichern, planmäßigen Beobachtung und Aufverändern und verwenden, wenn dies zu klärung eines Beobachtungsoder Vereinem Zweck erforderlich ist, zu dem sie dachtsobjekts, das auf die Anwendung die übermittelnde Behörde gemäß SS 23 um oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet Übermittlung dieser personenbezogenen ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe nach Daten hätte ersuchen dürfen, und wenn SS 3 Abs. 1 Nr. 2 unumgänglich ist, oder eine der in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 4. dies zur Gewinnung oder Überprüfung genannten Voraussetzungen erfüllt ist. 2Die von Vertrauenspersonen, sonstigen Zweckbestimmung ist bei der Speicherung geheimen Informantinnen oder Inforfestzulegen. 3 Absatz 1 Satz 3 gilt entmanten, überworbenen Agentinnen sprechend. 4 Bei den nach SS 25 Abs. 2 Satz 5 434 Anhang gekennzeichneten personenbezogenen und dadurch schutzwürdige Interessen Daten ist die Kennzeichnung beizubehalten. der betroffenen Person beeinträchtigt sein (4) Die Speicherung von personenbezogenen können. 3Wird die Richtigkeit von personenDaten über eine minderjährige Person ist nur bezogenen Daten von der betroffenen unter den Voraussetzungen des SS 13 Abs. 3 Person bestritten und lässt sich weder die zulässig. Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen, so ist dies zu vermerken; die betroffene SS 27 Person kann sich an die Landesbeauftragte Speicherung, Veränderung und oder den Landesbeauftragten für den Verwendung personenbezogeDatenschutz wenden. ner Daten zu anderen Zwecken (2) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Daten zu löschen, wenn 1 Eine Speicherung, Veränderung oder Ver1. ihre Speicherung unzulässig ist oder wendung der nach SS 26 gespeicherten 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung personenbezogenen Daten für einen nicht mehr erforderlich ist. anderen in SS 12 Abs. 1 genannten Zweck 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu ist zulässig, wenn die personenbezogenen der Annahme besteht, dass durch sie schutzDaten zur Erfüllung dieses Zwecks erforderwürdige Interessen der betroffenen Person lich sind und im Fall eines zur Erhebung einbeeinträchtigt würden; die entsprechenden gesetzten nachrichtendienstlichen Mittels personenbezogenen Daten sind nach Maßoder besonderen Auskunftsverlangens gabe des Absatzes 3 in ihrer Verarbeitung dieses auch für den anderen Zweck hätte einzuschränken. 3 Ein schut z würdiges eingesetzt werden dürfen. 2Die nach SS 26 Interesse liegt insbesondere dann vor, wenn Abs. 3 gespeicherten personenbezogenen die betroffene Person einen Antrag auf AusDaten dürfen nur unter den dort genannten kunft nach SS 30 gestellt hat oder aufgrund Voraussetzungen für einen anderen Zweck einer Mitteilung nach SS 6 Abs. 4 oder SS 22 gespeichert, verändert und ver wendet Abs. 1 die Stellung eines solchen Antrags zu werden. erwarten ist. 4Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so ist die Löschung SS 28 nach Satz 1 Nr. 2 erst durchzuführen, wenn Berichtigung, Löschung und die gesamte Akte nach Maßgabe der entEinschränkung der Verarbeitung sprechenden Rechtsoder Verwaltungsvorvon personenbezogenen Daten schriften zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 5 Werden durch die weitere (1) 1 Die Verfassungsschutzbehörde hat Speicherung von personenbezogenen Daten personenbezogene Daten zu berichtigen, nach Satz 4 schutzwürdige Interessen der wenn sie unrichtig sind. 2 Sie hat sie zu betroffenen Person erheblich beeinträchtigt, ergänzen, wenn sie unvollständig sind so sind diese personenbezogenen Daten 435 Anhang nach Maßgabe des Absatzes 3 in ihrer Verlöschen oder nach Maßgabe des Absatzes 3 arbeitung einzuschränken. in ihrer Verarbeitung einzuschränken sind. (3) 1In ihrer Verarbeitung eingeschränkte (6) 1Die Löschung von personenbezogenen personenbezogene Daten sind mit einem Daten ist zu dokumentieren, wenn sie Vermerk über die Einschränkung der Vermit nachrichtendienstlichen Mitteln oder arbeitung zu versehen. 2 Im Fall einer besonderen Auskunftsverlangen erhoben automatisierten Verarbeitung ist die Einwurden, die der Mitteilungspflicht nach schränkung der Verarbeitung durch SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 2Die in zusätzliche technische Maßnahmen zu der Dokumentation enthaltenen personengewährleisten. 3 In ihrer Verarbeitung einbezogenen Daten dürfen ausschließlich zur geschränkte personenbezogene Daten Datenschutzkontrolle verwendet werden. darf die Verfassungsschutzbehörde nur in 3 Sie sind zu löschen, wenn seit einer Mitbehördlichen und gerichtlichen Verfahren, teilung nach SS 22 Abs. 1 ein Jahr vergangen mit denen eine Person ein schutzwürdiges ist oder es einer Mitteilung gemäß SS 22 Interesse nach Absatz 2 verfolgt, oder mit Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens Einwilligung der betroffenen Person verjedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. ändern, verwenden oder übermitteln. (7) Die Löschung personenbezogener Daten, (4) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft die mit nachrichtendienstlichen Mitteln bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder nach jeweils fünf Jahren, ob personenmit besonderen Auskunftsverlangen zu bezogene Daten zu berichtigen oder zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. ergänzen, zu löschen oder nach Maßgabe 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 des Absatzes 3 in ihrer Verarbeitung einAbs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 zuschränken sind. Bei personenbezogenen 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Daten, die mit nachrichtendienstlichen Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, ist unter AufMitteln nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis sicht einer oder eines besonders bestellten, 12 oder mit besonderen Auskunftsverlangen mit der Auswer tung nicht befassten zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Beschäftigten, die oder der die Befähigung Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 zum Richteramt hat, vorzunehmen. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 SS 29 Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, beträgt die -- aufgehoben -- Prüfungsfrist nach Satz 1 sechs Monate. (5) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach jeweils sechs Monaten, ob personenbezogene Daten über eine minderjährige Person zu berichtigen oder zu ergänzen, zu 436 Anhang Viertes Kapitel Ausforschung des Erkenntnisstandes Auskunft oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist und SS 30 deshalb die Interessen der antragstelAuskunft an betroffene Persolenden Person ausnahmsweise zurücknen treten müssen. 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Leiter der Verfassungsschutzabteilung. 3 Die betroffenen Personen auf Antrag unentLeiterin oder der Leiter der Verfassungsgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person schutzabteilung kann eine besonders gespeicherten Daten, soweit hierzu auf bestellte Beschäftigte oder einen besonders einen konkreten Sachverhalt hingewiesen bestellten Beschäftigten, die oder der mit und ein besonderes Interesse an der Ausder Auswertung nicht befasst war und die kunft dargelegt wird. 2 Über personenBefähigung zum Richteramt hat, damit bezogene Daten aus Akten, die nicht zu den beauftragen, ebenfalls Entscheidungen betroffenen Personen geführt werden, wird nach Satz 1 zu treffen. Auskunft nur erteilt, soweit die personen(3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich bezogenen Daten, namentlich aufgrund nicht auf die Herkunft der Daten und die von Angaben der betroffenen Personen, mit Empfänger der Übermittlung. angemessenem Aufwand auffindbar sind. (4) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf 3 Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt keiner Begründung, soweit durch die Verfahren und Form der Auskunftserteilung Begründung der Zweck der Ablehnung nach pflichtgemäßem Ermessen. gefährdet würde. 2 Die Gründe der (2) Die Auskunftserteilung ist abzulehnen, 1 A blehnung sind zu dokumentieren. soweit 3 Wird der antragstellenden Person keine 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit Begründung für die Ablehnung der Ausgefährden oder sonst dem Wohl des kunft gegeben, so ist ihr die RechtsgrundBundes oder eines Landes Nachteile belage dafür zu nennen. 4 Ferner ist sie darauf reiten würde, hinzuweisen, dass sie sich an die Landes2. die personenbezogenen Daten oder beauftragte oder den Landesbeauftragten die Tatsache ihrer Speicherung nach für den Datenschutz wenden kann. 5 Der einer Rechtsvorschrift geheim gehalten oder dem Landesbeauftragten für den werden müssen, Datenschutz ist auf Verlangen die von der 3. die Interessen eines Dritten an der Geantragstellenden Person begehrte Auskunft heimhaltung die Interessen der antragzu erteilen. 6 Mitteilungen der oder des stellenden Person überwiegen oder Landesbeauftragten für den Datenschutz 4. durch die Auskunftserteilung Informaan die antragstellende Person dürfen keine tionsquellen gefährdet würden oder die Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der 437 Anhang Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür diese nicht einer weitergehenden Mitteilung vorliegen, dass dies zur Verhütung zustimmt. a) terroristischer Straftaten nach SS 2 Nr. 15 NPOG, b) von Straftaten der Gefährdung des Fünftes Kapitel demokratischen Rechtsstaates geÜbermittlung mäß den SSSS 87, 88, 89, 89 a und 89 c Abs. 1 bis 4 StGB, SS 31 c) der Bildung einer kriminellen VereiÜbermittlung personenbezonigung nach SS 129 Abs. 1 in Verbingener Daten an Staatsanwaltdung mit Abs. 5 Satz 3 StGB sowie schaften und Polizeibehörden die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde überSS 129 a Abs. 1, 2, 4 und 5 Satz 1 mittelt von sich aus personenbezogene StGB, jeweils auch in Verbindung Daten an die Staatsanwaltschaften und mit SS 129 b Abs. 1 StGB, Polizeibehörden des Landes, wenn tatsächd) von Straftaten gegen die sexuelle liche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Selbstbestimmung gemäß SS 176 dies zur Verfolgung besonders schwerer Abs. 1 bis 3, SS 176 a Abs. 3, SS 177 Straftaten gemäß SS 100 b Abs. 2 StPO Abs. 6 bis 8 und SS 184 b Abs. 2 oder von Straftaten gemäß den SSSS 87, StGB, 88 und 89 StGB unumgänglich ist. 2Den e) von Straftaten gegen das Leben Polizeibehörden des Landes übermittelt die nach den SSSS 211 und 212 StGB soVerfassungsschutzbehörde von sich aus wie der schweren Körperverletzung personenbezogene Daten auch nach SS 226 Abs. 2 StGB, 1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenf) von Straftaten gegen die persönden Gefahr für den Bestand oder die liche Freiheit gemäß SS 232, SS 232 a Sicherheit des Bundes oder des Landes, Abs. 3, 4 und 5 Satzteil 2, SS 232 b für Leib, Leben oder Freiheit einer Abs. 3 und 4 in Verbindung mit Person, für lebensoder verteidigungsSS 232 a Abs. 4 oder 5 Satzteil 2, wichtige Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 SS 233 Abs. 2, SS 233 a Abs. 3 und 4 und 5 Satzteil 2, SS 234 und SS 234 a StGB, des Niedersächsischen Sicherheitsüberg) von gemeingefährlichen Straftaten prüfungsgesetzes - Nds. SÜG -) oder gemäß SS 310 Abs. 1 und SS 316 a für Kulturdenkmale (SS 1 des NiederStGB, sächsischen Denkmalschutzgesetzes), h) von Straftaten der gewerbsund deren Erhaltung im herausragenden bandenmäßigen Verleitung zur öffentlichen Interesse liegt, oder missbräuchlichen Asylantragstellung 438 Anhang nach SS 84 a Abs. 1 des Asylverfah(2) 1Sind die zu übermittelnden personenrensgesetzes oder des gewerbsund bezogenen Daten gekennzeichnet (SS 26 bandenmäßigen Einschleusens von Abs. 2 und 3 Satz 4), so ist die Kennzeichnung Ausländern nach SS 97 Abs. 2 des bei der Übermittlung aufrechtzuerhalten. Aufenthaltsgesetzes oder 2 Die Fachministerin oder der Fachminister, i) von Straftaten gemäß SS 30 a Abs. 1 im Vertretungsfall die Staatssekretärin und 2 des Betäubungsmittelgesetoder der Staatssekretär oder deren oder zes (BtMG), auch in Verbindung mit dessen Vertreterin oder Vertreter, kann SS 30 b anordnen, dass bei der Übermittlung auf die BtMG und mit SS 129 Abs. 5 StGB, nach Satz 1 erforderliche Kennzeichnung unumgänglich ist. der personenbezogenen Daten verzichtet 3 Die Übermittlung nach den Sätzen 1 und 2 wird, wenn dies unerlässlich ist, um die ist nur zulässig, wenn das zur Datenerhebung Geheimhaltung der Datenerhebung nicht verwendete Mittel auch für den anderen zu gefährden, und die G 10-Kommission Zweck hätte angewendet werden dürfen. zugestimmt hat. 3Bei Gefahr im Verzug kann 4 Personenbezogene Daten, die nicht durch die Anordnung bereits vor der Zustimmung den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel getroffen werden. 4 In diesem Fall ist die oder durch besondere Auskunftsverlangen Zustimmung unverzüglich nachträglich einerhoben worden sind, darf die Verfassungszuholen. 5Stimmt die G 10-Kommission nicht schutzbehörde auch zu sonstigen Zwecken der nachträglich zu, so ist die Kennzeichnung Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr an unverzüglich durch die empfangende die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden Staatsanwaltschaft oder Polizeibehörde des Landes übermitteln. 5Sind mit personennachzuholen; darauf ist sie von der Verbezogenen Daten, die nach den Sätzen 1 bis 4 fassungsschutzbehörde hinzuweisen. 6 Die übermittelt werden dürfen, weitere personenÜbermittlung ist zu dokumentieren. 7Über die bezogene Daten der betroffenen Person oder Übermittlung von personenbezogen Daten, von Dritten so verbunden, dass eine Trennung die unter Einsatz nachrichtendienstlicher nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 Aufwand möglich ist, so dürfen auch diese oder mit besonderen Auskunftsverlangen personenbezogenen Daten übermit telt zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 werden; sie sind nach Maßgabe des SS 28 Abs. 3 Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 in ihrer Verarbeitung einzuschränken. Die 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Übermittlung ist unzulässig, wenn dadurch Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Informationsquellen oder die Arbeitsweise der Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, entscheidet Verfassungsschutzbehörde gefährdet würden eine besonders bestellte Beschäftigte oder und diese Sicherheitsinteressen das Interesse ein besonders bestellter Beschäftigter, die an der Strafverfolgung oder an der Gefahrenoder der mit der Auswertung nicht befasst abwehr überwiegen. war und die Befähigung zum Richteramt hat. 439 Anhang (3) 1Erweisen sich personenbezogene Daten eines besonders bestellten Beschäftigten, nach ihrer Übermittlung als unvollständig die oder der die Befähigung zum Richteroder unrichtig, so sind sie gegenüber der amt hat, zu löschen. 5 Die Löschung ist zu empfangenden Staatsanwaltschaft oder dokumentieren. 6 Die VerfassungsschutzPolizeibehörde unverzüglich zu ergänzen behörde ist unverzüglich über die Löschung oder zu berichtigen, es sei denn, dass der zu unterrichten. Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts (5) 1 Die Polizeibehörden des L andes offensichtlich ohne Bedeutung ist. Absatz 2 2 dür fen die Ver fassungsschut zbehörde gilt entsprechend. um Übermit tlung personenbezogener (4) 1Die empfangende Staatsanwaltschaft Daten ersuchen, wenn diese zur Abwehr oder Polizeibehörde darf die übermittelten einer Gefahr für die öffentliche Sicherpersonenbezogenen Daten, soweit gesetzheit erforderlich sind. 2Um Übermittlung lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem personenbezogener Daten, die von der VerZweck verarbeiten, zu dem sie ihr überfassungsschutzbehörde durch den Einsatz mittelt wurden. 2 Sind die übermittelten nachrichtendienstlicher Mittel oder durch personenbezogenen Daten nach Absatz 2 besondere Auskunftsverlangen erhoben Satz 1 gekennzeichnet, so hat sie die Kennworden sind, darf nur ersucht werden, wenn zeichnung aufrechtzuerhalten. 3 Wurden die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 personenbezogene Daten übermittelt, die vorliegen. 3 Die Verfassungsschutzbehörde unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist verpflichtet, die personenbezogenen nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder Daten zu übermitteln; Absatz 1 Sätze 5 mit besonderen Auskunftsverlangen zu und 6 sowie die Absätze 2 bis 4 gelten entNutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. sprechend. 4Sie darf nur solche personen2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 bezogenen Daten übermitteln, die bei ihr Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 bereits bekannt sind oder von ihr aus allAbs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 gemein zugänglichen Quellen entnommen Abs. 3 Satz 1 erhoben worden sind, so prüft werden können. die empfangende Staatsanwaltschaft oder (6) In der Verdachtsgewinnungsphase (SS 8) Polizeibehörde unverzüglich und danach in ist die Übermittlung personenbezogener Abständen von höchstens sechs Monaten, Daten nicht zulässig. ob die übermittelten personenbezogenen Daten für den Zweck erforderlich sind, zu SS 32 dem sie übermittelt wurden. 4Soweit die Übermittlung an sonstige Bein Satz 3 genannten personenbezogenen hörden und Stellen Daten für diesen Zweck oder für eine rechtmäßige zweckändernde Verwendung oder (1) 1An sonstige inländische Behörden darf Übermittlung nicht erforderlich sind, sind die Verfassungsschutzbehörde personensie unverzüglich unter Aufsicht einer oder bezogene Daten übermitteln, wenn dies 440 Anhang 1. zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 nach Artikel 3 des Zusatzabkommens zu Abs. 2 bis 4 erforderlich ist oder dem Abkommen zwischen den Parteien 2. die empfangende Behörde die persodes Nordatlantikvertrages über die Rechtsnenbezogenen Daten zu Zwecken der stellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Gefahrenabwehr benötigt. Bundesrepublik Deutschland stationierten 2 An Finanzämter darf die Verfassungsschutzausländischen Truppen vom 3. August 1959 behörde personenbezogene Daten auch (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. übermitteln, wenn dies zu den in SS 51 Abs. 2 Die Übermittlung ist zu dokumentieren und 3 der Abgabenordnung genannten Zwecken der oder dem Landesbeauftragten für den erforderlich ist. 3 Personenbezogene Daten, Datenschutz mitzuteilen. die durch den Einsatz nachrichtendienstlicher (3) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf Mittel oder durch besondere Auskunftspersonenbezogene Daten im Einvernehmen verlangen erhoben worden sind, darf die mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 Nr. 2 an ausländische öffentliche Stellen sowie an nur übermitteln, wenn die empfangende überund zwischenstaatliche Stellen überBehörde die personenbezogenen Daten mitteln, soweit die Übermittlung in einem zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit Gemeinschaften oder einer internationalen des Bundes oder des Landes, für Leib, Leben Vereinbarung geregelt ist. 2Eine Übermittlung oder Freiheit einer Person, für lebensoder darf auch erfolgen, wenn sie zum Schutz von verteidigungswichtige Einrichtungen (SS 1 Leib oder Leben einer Person erforderlich ist Abs. 4 und 5 Nds. SÜG) oder für Kulturund für die empfangende Stelle gleichwertige denkmale (SS 1 des Niedersächsischen Datenschutzregelungen gelten. 3 Die ÜberDenkmalschutzgesetzes), deren Erhaltung mittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige im herausragenden öffentlichen Interesse Belange der Bundesrepublik Deutschland oder liegt, benötigt. 4SS 31 Abs. 1 Sätze 5 und 6 überwiegende schutzwürdige Interessen der sowie Abs. 2, 3 und 6 gilt entsprechend. 5Für betroffenen Personen, insbesondere deren die Übermittlung an Behörden des Landes Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Vergilt auch SS 31 Abs. 4 entsprechend. 6 An folgung, entgegenstehen. 4 Die Übermittlung Behörden des Bundes und anderer Länder der von einer Ausländerbehörde empfangenen darf nur übermittelt werden, wenn für die personenbezogenen Daten unterbleibt, es sei empfangende Behörde den Vorschriften denn, die Übermittlung ist völkerrechtlich dieses Gesetzes vergleichbare Datenschutzgeboten. 5Übermittlungen nach den Sätzen 1 regelungen gelten. und 2 sind zu dokumentieren und der oder (2) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf dem Landesbeauftragten für den Datenpersonenbezogene Daten an Dienststellen schutz mitzuteilen. der alliier ten Streitkräfte übermitteln, (4) 1 Personenbezogene Daten dür fen soweit dies im Rahmen der Zusammenarbeit an Personen oder Stellen außerhalb des 441 Anhang öffentlichen Bereichs nicht übermittelt SS 32 a werden, es sei denn, dass dies zum Schutz Übermittlung personenvor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach bezogener Daten für Angebote SS 3 Abs. 1 oder zur Gewährleistung der zum Ausstieg Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 1 Die Ver fas sungs s chut zb ehörd e dar f Nds. SÜG) erforderlich ist und die Fachpersonenbezogene Daten ministerin oder der Fachminister, im Ver1. an Polizeibehörden des Landes in tretungsfall die Staatssekretärin oder der entsprechender Anwendung des SS 31 Staatssekretär oder deren oder dessen VerAbs. 1 Sätze 5 und 6 sowie Abs. 2 bis 4 treterin oder Vertreter, der Übermittlung und 6, zugestimmt hat. Jede Übermittlung ist zu 2 2. an sonstige inländische Behörden in dokumentieren. 3 Die in der Dokumentation entsprechender Anwendung des SS 32 enthaltenen personenbezogenen Daten Abs. 1 Sätze 4 bis 6 und dürfen ausschließlich zur Datenschutz3. an in der Präventionsarbeit bewährte kontrolle verwendet werden. 4Sie sind zu Stellen außerhalb des öffentlichen Belöschen, wenn seit der Mitteilung gemäß reichs in entsprechender Anwendung Satz 7 ein Jahr vergangen ist, frühestens des SS 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 7 jedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. übermitteln, soweit die empfangende 5 Der Empfänger darf die übermittelten Behörde oder Stelle die personenbezogenen personenbezogenen Daten, soweit gesetzDaten für Angebote zum Ausstieg aus lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Zweck verarbeiten, zu dem sie ihm überAbs. 1 benötigt. 2 Satz 1 gilt nicht für mittelt wurden. Er ist auf die Verarbeitungs- 6 personenbezogene Daten, die mit nachbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass richtendienstlichen Mitteln oder besonderen sich die Verfassungsschutzbehörde vorAuskunf t sverlangen erhoben wurden, behält, Auskunft über die Verarbeitung der welche der Mitteilungspflicht nach SS 22 personenbezogenen Daten zu verlangen. Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 7 Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch die SS 33 Ver fassungsschutzbehörde mitzuteilen, Aufklärung der Öffentlichkeit, sobald eine Gefährdung der AufgabenerVerfassungsschutzbericht füllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann die Öffentlichkeit über Beobachtungsobjekte und über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 aufklären. 2Sie kann auch über Verdachtsobjekte aufklären, wenn die den 442 Anhang Verdacht rechtfertigenden tatsächlichen Sechstes Kapitel Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der Unabhängige Datenschutzkontrolle, Interessen der betroffenen Personen hinAnwendung des Niedersächsischen reichend gewichtig sind. Datenschutzgesetzes (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, zur Aufklärung der Öffentlichkeit SS 33 a einen jährlichen Verfassungsschutzbericht Unabhängige Datenschutzkonvorzulegen, in dem auch die Summe der Haustrolle haltsmittel sowie die Gesamtzahl der in der Verfassungsschutzabteilung Beschäftigten (1) 1Die oder der Landesbeauftragte für den nach Stellen und Beschäftigungsvolumen Datenschutz kontrolliert bei der Verfassungsdarzustellen sind. 2 Ferner sind in dem schutzbehörde die Einhaltung der gesetzBericht allgemein die Anwendung nachlichen Vorschriften über die Verarbeitung richtendienstlicher Mittel nach SS 14, die personenbezogener Daten (Datenschutzvorbesonderen Auskunftsverlangen nach SS 20, schriften). 2Die Einhaltung der gesetzlichen die Auskunftsersuchen nach SS 30 und die Vorschriften über die Verarbeitung von Strukturdaten der von der Verfassungspersonenbezogenen Daten, die mit nachschutzbehörde in Dateien im Sinne des SS 6 richtendienstlichen Mitteln oder besonderen Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG gespeicherten Auskunftsverlangen erhoben wurden, die Personendatensätze darzustellen. der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 (3) Bei der Aufklärung der ÖffentlichSätze 1 bis 3 unterliegen, kontrolliert sie keit dür fen personenbezogene Daten oder er im Abstand von höchstens zwei nur bekannt gegeben werden, wenn die Jahren. 3SS 57 Abs. 2 Nrn. 1 bis 9 NDSG gilt Bekanntgabe für das Verständnis der Darentsprechend. stellung, insbesondere von Organisationen (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist veroder unorganisier ten Gruppierungen, pflichtet, die Landesbeauftragte oder den erforderlich ist und das Interesse der AllLandesbeauftragten für den Datenschutz gemeinheit das schutzwürdige Interesse der bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben betroffenen Person überwiegt. zu unterstützen. 2Dabei ist insbesondere 1. Auskunft zu Fragen sowie Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten personenbezogenen Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Datenschutzkontrolle stehen, 2. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. 443 Anhang 3 Soweit im Einzelfall die Sicherheit des Grundlage von Vorschriften dieses Gesetzes, Bundes oder eines Landes gefährdet würde, wenn die Verarbeitung der Erfüllung der dürfen die Rechte nach Satz 2 nur von der Aufgaben nach SS 3 dient. oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz oder im Vertretungsfall von der SS 33 b Vertreterin oder dem Vertreter persönlich Anwendbarkeit des Niedersächausgeübt werden. sischen Datenschutzgesetzes (3) 1Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine beabsichtigte Verarbeitung personenBei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben bezogener Daten gegen eine Datenschutznach SS 3 findet das Niedersächsische Datenvorschrift verstößt, so kann die oder der schutzgesetz keine Anwendung mit AusLandesbeauftragte für den Datenschutz die nahme der SSSS 24, 27, 29, und 33 Abs. 1 Verfassungsschutzbehörde vor einer solchen bis 4, der SSSS 34 und 35 Abs. 1, der SSSS 36, Datenverarbeitung warnen. 2Stellt die oder 37, 38, 45, 54, 55 und 58 mit Ausnahme von der Landesbeauftragte für den Datenschutz Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 sowie der SSSS 59 und 60, im laufenden Betrieb einer Verarbeitung soweit nicht in diesem Gesetz abweichende personenbezogener Daten einen Verstoß Regelungen enthalten sind. der Verfassungsschutzbehörde gegen eine Datenschutzvorschrift fest, so kann sie oder er Vierter Teil 1. den Verstoß gegenüber der VerfasParlamentarische Kontrolle sungsschutzbehörde mit der Aufforderung beanstanden, innerhalb einer SS 34 bestimmten Frist Stellung zu nehmen, Ausschuss für Angelegenheiten und des Verfassungsschutzes 2. den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes darüber unterrichDie parlamentarische Kontrolle auf dem ten. Gebiet des Ver fassungsschut zes übt (4) Wenn der jährliche Tätigkeitsbericht der unbeschadet der Rechte des Landtages und oder des Landesbeauftragten für den Datenseiner sonstigen Ausschüsse ein besonderer, schutz die Verarbeitung personenbezogener vom Landtag unverzüglich nach Beginn der Daten durch die Verfassungsschutzbehörde Wahlperiode einzusetzender Ausschuss für berührt, nimmt die Landesregierung auch Angelegenheiten des Verfassungsschutzes dazu innerhalb von sechs Monaten gegenaus. über dem Landtag Stellung. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch andere Stellen auf der 444 Anhang SS 35 enspersonen angeordnet werden darf, Zusammensetzung und Verfahsowie die beabsichtigte Verlängerung rensweise des Ausschusses der Bestimmung (SS 21 Abs. 5), 4. den beabsichtigten Erlass oder die (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des beabsichtigte Änderung einer DienstVerfassungsschutzes soll aus mindestens vorschrift für den Einsatz nachrichtensieben Abgeordneten des L andtages dienstlicher Mittel (SS 21 Abs. 7) und bestehen. Mitglieder der Landesregierung 2 5. die beabsichtigte Änderung des Verkönnen dem Ausschuss nicht angehören. zeichnisses von Verarbeitungstätigkei- 3 Jede Fraktion erhält mindestens einen Sitz. ten nach SS 33 b in Verbindung mit 4 Das Nähere regelt die Geschäftsordnung SS 38 NDSG. des Niedersächsischen Landtages. (2) Das Fachministerium unterrichtet den (2) Für die Verhandlungen des Ausschusses Ausschuss für Angelegenheiten des Vergelten die Vorschriften der Geschäftsfassungsschutzes in Abständen von längstens ordnung des Niedersächsischen Landsechs Monaten über den Einsatz nachrichtentages, soweit in diesem Gesetz nichts dienstlicher Mittel, die der Mitteilungspflicht Abweichendes bestimmt ist. nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 unterliegen. (3) 1Das Fachministerium unterrichtet im SS 36 Abstand von höchstens sechs Monaten Unterrichtungspflichten des den Ausschuss für Angelegenheiten des Fachministeriums Verfassungsschutzes über die besonderen Auskunftsverlangen nach SS 20; dabei ist (1) 1Das Fachministerium ist verpflichtet, insbesondere ein Überblick über Anlass, den Ausschuss für Angelegenheiten des Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Verfassungsschutzes umfassend über seine im Berichtszeitraum durchgeführten MaßTätigkeit als Verfassungsschutzbehörde nahmen zu geben. 2Satz 1 gilt nicht für im Allgemeinen sowie über Vorgänge von Auskunftsverlangen zu einfachen Bestandsbesonderer Bedeutung zu unterrichten. Es 2 daten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. unterrichtet insbesondere über (4) Das Fachministerium unterrichtet das 1. die Bestimmung eines BeobachtungsobParlamentarische Kontrollgremium des jekts und die Verlängerung der BestimBundes jährlich über besondere Auskunftsmung (SS 6 Abs. 2), verlangen zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 2. die Beendigung der Beobachtung und 1 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Aufklärung eines Beobachtungsobjekts Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 (SS 6 Abs. 2 und 3), Abs. 3 Satz 1; dabei ist ein Überblick über 3. die beabsichtigte Bestimmung eines BeAnlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten obachtungsoder Verdachtsobjekts, in der im Berichtszeitraum durchgeführten dem die Inanspruchnahme von VertrauMaßnahmen zu geben. 445 Anhang SS 37 der oder des Sachverständigen anzuhören. Aufhebung der Verschwiegen- 3 Die oder der Sachverständige kann nach heitspflicht Maßgabe ihres oder seines Auftrages die dem Ausschuss nach Artikel 24 Abs. 2 der (1) 1Die Beschäftigten der VerfassungsNiedersächsischen Verfassung vorgelegten schutzbehörde dürfen sich in dienstlichen Akten einsehen. 4 Die Einsicht in vertrauliche Angelegenheiten ohne Einhaltung des Unterlagen setzt voraus, dass sie oder er Dienstweges unmittelbar an den Ausschuss zuvor von der Landtagsverwaltung förmfür Angelegenheiten des Verfassungslich zur Geheimhaltung verpflichtet worden schutzes oder an einzelne Mitglieder des ist. 5Die oder der Sachverständige hat dem Ausschusses wenden. 2Einzelne Mitglieder Ausschuss über das Ergebnis der Unterdes Ausschusses dürfen die nach Satz 1 suchungen zu berichten. erhaltenen Mitteilungen sowie die ihnen dazu vorgelegten Unterlagen ausschließlich SS 39 an den Ausschuss weitergeben. 3Sie dürfen Beauftragung der oder des dabei von der Bekanntgabe des Namens der Landesbeauftragten für den oder des Beschäftigten absehen. Datenschutz (2) 1Die Verhandlungen des Ausschusses über Mitteilungen nach Absatz 1 und die 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des dazu vorgelegten Unterlagen sind vertraulich Verfassungsschutzes hat auf Antrag von im Sinne der Geschäftsordnung des Niedermindestens einem Fünftel seiner Mitglieder sächsischen Landtages. 2 Der Ausschuss die Landesbeauftragte oder den Landeskann die Vertraulichkeit nach Maßgabe der beauftragten für den Datenschutz zu Geschäftsordnung des Niedersächsischen beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Landtages einschränken oder aufheben. Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde zu überprüfen. 2Die oder der LandesbeaufSS 38 tragte für den Datenschutz hat dem AusBeauftragung einer oder eines schuss über das Ergebnis der Prüfung zu Sachverständigen berichten. 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des SS 40 Verfassungsschutzes kann mit der Mehrheit Berichterstattung des Ausschusvon zwei Dritteln seiner Mitglieder eine Sachses gegenüber dem Landtag verständige oder einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung der Kon(1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten trollaufgaben des Ausschusses im Einzeldes Verfassungsschutzes legt dem Landfall Untersuchungen durchzuführen. 2Die tag einmal jährlich einen Bericht über seine Landesregierung ist vor der Beauftragung Tätigkeit vor. 2 Ausschussmitglieder, die den 446 Anhang Bericht für unzutreffend halten, können ihre Auffassung in einem Zusatz zu diesem Bericht darstellen. (2) Der Ausschuss legt dem Landtag einmal jährlich einen Bericht über die Durchführung der nachrichtendienstlichen Mittel und besonderen Auskunftsverlangen vor, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes) und das Grundrecht auf Wahrung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. SS 42 Übergangsvorschrift Auf Vertrauenspersonen, die am 31. Oktober 2016 bereits in Anspruch genommen werden, finden SS 16 Abs. 2 und SS 21 Abs. 5 erst am 1. Mai 2017 Anwendung. 447 Anhang 11.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 27.01.1982 "Volkssozialistische Bewegung Bundesministerium des Innern Deutschlands/Partei der Arbeit" (VSBD/PdA, einschließlich der "Jungen Front" (JF)) 07.12.1983 "Aktionsfront Nationaler SoBundesministerium des Innern zialisten/ Nationale Aktivisten" (ANS/NA) 09.02.1989 "Nationale Sammlung" (NS) Bundesministerium des Innern (ANS/NA-Ersatzorganisation) 27.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 10.12.1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 21.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund Niedersächsisches Wilhelmshaven (DKB) Innenministerium 22.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 11.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 14.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Landes Deutschlands (HVD) Baden-Württemberg 02.09.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Landes Deutschland (FFD) Nordrhein-Westfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e. V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Bundesministerium des Innern Arbeiterpartei (FAP) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg 448 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 05.05.1995 Direkte Aktion/MitteldeutschInnenministerium des land (JF) Landes Brandenburg 30.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 15.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 11.02.1998 Heide-Heim e. V. und Niedersächsisches Heideheim e. V. Innenministerium 11.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 14.09.2000 Blood & Honour-Division Bundesministerium des Innern Deutschland mit Jugendorganisation White Youth 05.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz Sächsisches Staatsministerium (SSS) mit Skinheads Sächsische des Innern Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des Landes für Lübeck Schleswig-Holstein 22.01.2004 Fränkische Aktionsfront (F.A.F.) Bayerisches Staatsministerium des Innern 09.03.2005 "Kameradschaft Tor Berlin" mit Innensenator des Landes Berlin "Mädelgruppe Kameradschaft Tor Berlin" 09.03.2005 Berliner Alternative Süd-Ost Innensenator des Landes Berlin (BASO) 12.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Jugendorganisation "Sturm 27" Landes Brandenburg 14.07.2005 Alternative Nationale StrausberInnenministerium des ger Dart-, Piercingund TattooLandes Brandenburg Offensive (ANSDAPO) 449 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Innenministerium des Landes Brandenburg 26.04.2007 Kameradschaft "Sturm 34" Sächsisches Staatsministerium des Innern 01.04.2008 Blue White Street Elite (BWSE) Innenministerium des rechtsextremistisch beeinflusste Landes Brandenburg Hooligan-Vereinigung 07.05.2008 Collegium Humanum (CH) mit Bundesministerium des Innern Bauernhilfe e. V. 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der Bundesministerium des Innern wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Jugend Bundesministerium des Innern - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e. V. (HDJ) 28.05.2009 Mecklenburgische Aktionsfront Innenministerium des Landes (M.A.F.) Mecklenburg-Vorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin 11.04.2011 Freie Kräfte Teltow-Fläming Innenministerium des (FKTF) Landes Brandenburg 21.09.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 19.06.2012 Widerstandsbewegung in Innenministerium des Südbrandenburg Landes Brandenburg 10.05.2012 Kameradschaft Walter Innenministerium des Landes Spangenberg Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Kameradschaft Aachener Land Innenministerium des Landes (KAL) Nordrhein-Westfalen 450 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 23.08.2012 Kameradschaft Hamm (KS Innenministerium des Landes Hamm) Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Nationaler Widerstand Innenministerium des Landes Dortmund (NWDO) Nordrhein-Westfalen 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 18.02.2013 Nationale Sozialisten Döbeln mit Sächsisches Staatsministerium Division Döbeln, Initiative für des Innern Döbeln und Freies Döbeln sowie der Band INKUBATION 28.03.2014 Nationale Sozialisten Chemnitz Sächsisches Staatsministerium (NSC) mit Interessengemeindes Innern schaft Chemnitzer Stadtgeschichten und Aktionsgemeinschaft "Raus in die Zukunft" 23.07.2014 Freies Netz Süd (FNS) Bayerisches Staatsministerium des Innern 18.12.2014 Autonome Nationalisten Innenministerium Göppingen (AN Göppingen) Baden-Württemberg 29.10.2015 Sturm 18 e. V. Hessisches Ministerium des Innern 27.01.2016 Altermedia Deutschland Bundesministerium des Innern 16.03.2016 Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) Bundesministerium des Innern 20.11.2019 Phalanx 18 Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen 23.01.2020 Combat 18 Deutschland (C18 Bundesministerium des Innern, Deutschland) für Bau und Heimat 451 Anhang Verbot am Vereinigung Verbotsbehörde 23.06.2020 Nordadler (auch handelnd und Bundesministerium des Innern, auftretend unter den Bezeichfür Bau und Heimat nungen "Völkische Revolution", "Völkische Jugend", "Völkische Gemeinschaft" und "Völkische Renaissance") 01.12.2020 Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade Bundesministerium des Innern, 44 für Bau und Heimat 24.06.2021 "Nationale Sozialisten Rostock" Ministerium für Inneres (auch handelnd und auftretend und Europa Mecklenburgunter der Bezeichnung "NSR" Vorpommern und "Aktionsblog") einschließlich seiner Teilorganisation "Baltik Korps" (BK) 19.09.2023 Hammerskins Deutschland Bundesministerium des Innern einschließlich seiner regionalen und für Heimat Chapter und seiner Teilorganisation "Crew 38" 27.09.2023 "Die Artgemeinschaft - GermaniBundesministerium des Innern sche Glaubens-Gemeinschaft weund für Heimat sensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) einschließlich der Teilorganisation "Familienwerk e. V." und sämtlicher Regionalgruppen wie "Gefährtschaften", "Gilden" und sogenannte Freundeskreise. 452 Anhang 11.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 19.03.2020 "Geeinte deutsche Völker und Bundesministerium des Innern, Stämme" (GdVuSt), einschl. für Bau und Heimat Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" 11.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 25.08.2017 linksunten.indymedia Bundesministerium des Innern 453 Anhang 11.6 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2023 Organisation Verbotsverfügung Phänomenbereich Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Nationale 22.11.1993 AE Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Teilorganisationen, Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKA-Kurdistan), Kurdistan-Komitee e. V. Kurdistan Informationsbüro (KIB) alias Kurdis20.02.1995 AE tan Informationsbüro in Deutschland Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 06.08.1998 AE (DHKP-C) Türkische Volksbefreiungspartei/-Front 06.08.1998 AE (THKP/-C) Kalifatstaat und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 ISiT 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002 al-Aqsa e. V. 31.07.2002 ISiT Hizb ut-Tahrir (HuT) 10.01.2003 ISiT Yeni Akit GmbH, Verlegerin der Europa-Aus22.02.2005 ISiT gabe der türkisch-sprachigen Tageszeitung Anadoluda Vakit Bremer Hilfswerk e. V. 18.01.2005 ISiT Selbstauflösung mit Wirkung vom 29.06.2005 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 454 Anhang Organisation Verbotsverfügung Phänomenbereich YATIM-Kinderhilfe e. V. 249 30.08.2005 ISiT Mesopotamia Broadcast A/S, Roj TV A/S 13.06.2008 AE VIKO Fernseh Produktion GmbH 13.06.2008 al-Manar TV 29.10.2008 ISiT Internationale Humanitäre Hilfsorganisation 23.06.2010 ISiT e. V. (IHH) Millatu Ibrahim 29.05.2012 ISiT Dawa FM einschließlich der Teilorganisation 25.02.2013 ISiT Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V. an-Nussrah 25.02.2013 ISiT DawaTeam Islamische Audios 25.02.2013 ISiT Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 02.04.2014 ISiT Islamischer Staat 12.09.2014 ISiT Tauhid Germany 26.03.2015 ISiT Zeitschrift "Yürüyüs" 06.05.2015 AE Die Wahre Religion (DWR) alias "LIES! 25.10.2016 ISiT Stiftung" / "Stiftung LIES" Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH 12.02.2019 AE MIR Multimedia GmbH 12.02.2019 AE Hizb Allah (Betätigungsverbot) 26.03.2020 ISiT Deutsche Libanesische Familie e. V., Men19.05.2021 ISiT schen für Menschen e. V., Gib Frieden e. V. als Ersatzorganisationen des verbotenen Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 249 Das BMI hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 455 Anhang Organisation Verbotsverfügung Phänomenbereich Ansaar International e. V. einschließlich ihrer 05.05.2021 ISiT Teilorganisationen Aktion Ansar Deutschland e. V., Somalisches Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e. V. (SKIB), Frauenrechte ANS.Justice e. V., Änis Ben-Hatira Help e. V./Änis Ben-Hatira Foundation, Ummashop, Helpstore Secondhand UG sowie Better World Appeal e. V. HAMAS 02.11.2023 ISiT Samidoun - Palästinian Solidarity Network 02.11.2023 AE AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 456 Anhang 11.7 Abkürzungsverzeichnis A AALG/UE Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen ADÜTDF Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) AfD Partei Alternative für Deutschland AG-GGG Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. AJL Antifajugend Lüneburg AKL Antikapitalistische Linke A.L.I. Antifaschistische Linke International AMG AL-Mustafa Gemeinschaft e.V. ANF Ajansa Nuceyan a Firate AQAH Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel AQI Al-Qaida im Irak AQIS Al Qaida auf dem indischen Subkontinent AQM Al-Qaida im islamischen Maghreb ATK Türkische Konföderation in Europa (Avrupa Türk Konfederasyon) ATIB Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Avrupa Türk Islam Birligi) B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BL Basisdemokratische Linke BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, seit dem 08.12.2021 Bundesministerium des Inneren und für Heimat BND Bundesnachrichtendienst BVerfGE Entscheidungssammlung des BVerfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz BzKJ Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) 457 Anhang C CA Ciwanen Azad (Freie Jugend) CDK Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CIK Islamische Gemeinde Kurdistans D DIK Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover und Hildesheim DKP Deutsche Kommunistische Partei DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi) DMG Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (vormals IGD) DMG Braunschweig Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V. in Braunschweig DS Deutsche Stimme - Publikation der Partei Die Heimat DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EG Ende Gelände ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans F FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union FCDK-KAWA Föderation der Demokratischen Gesellschaften Kurdistans e.V. (Saarland und Hessen) fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FED-DEM Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e.V FED-MED Die Föderation der freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens in NRW, FED-MED e.V. FFF Fridays for Future-Bewegung 458 Anhang FfW Farben für Waisenkinder e.V. FIU Föderale Islamische Union e. V. G GBA Generalbundesanwalt GdVuSt Geeinte deutsche Völker und Stämme GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GI Generation Identitaire GIAZ Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen G 10 Artikel 10-Gesetz H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama alIslamiya) HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. HPG Volksverteidigungskräfte der PKK (Hezen Parastina Gel) HTS Hai'at Tahrir al-Sham (Organisation zur Befreiung der Levante) I IAA Internationale ArbeiterInnen Assoziation IB Identitäre Bewegung IBD Identitäre Bewegung Deutschland IBÖ Identitäre Bewegung Österreich ID Identität und Demokratie - Fraktion im Europäischen Parlament IfS Institut für Staatspolitik IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (jetzt DMG) IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat IZH Islamisches Zentrum Hamburg e.V. ISPK Islamischer Staat Provinz Khorasan IVG Indigenes Volk Germaniten 459 Anhang J JA Junge Alternative JaN Jabhat al-Nusra (Unterstützungsfront für das syrische Volk) JFS Jabhat Fatah al-Sham (Front für die Eroberung der Levante) JN Junge Nationalisten JXK Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan (Jinen Xwendekar en Kurdistan) K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KC Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) KCDK-E Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans KdN Kampf der Nibelungen KI Künstliche Intelligenz KIP NI Kompetenzforum Extremismusprävention Niedersachsen KKK Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KON-MED Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V. KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan) KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität KRD Königreich Deutschland KSK Kommando Spezialkräfte L LfD Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen LIKOS Libertäre Kommunist*innen Osnabrück LKA NI Landeskriminalamt Niedersachsen LPR NI Landespräventionsrat Niedersachsen 460 Anhang M MB Muslimbruderschaft MHP Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi) MIT Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer ziviler Nachrichtendienst MLKP (türkische) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi) MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands (jetzt Die Heimat) NPG Zentrales Hauptquartier der Volksverteidigungskräfte der PKK (Navenda Parastina Gel) NPOG Niedersächsisches Polizeiund Ordnungsbehördengesetz NStrG Niedersächsisches Straßengesetz NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz O OLG Oberlandesgericht OMCG Outlaw Motorcycle Gang P PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität PYD Partei der Demokratischen Union 461 Anhang R RAC Rock Against Communism RH Rote Hilfe e. V. S SAV Sozialistische Alternative SCA Salt City Antifa SP Sozialistische Perspektive SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch T TCS Bewegung der revolutionären Jugend, ("Tevgera Ciwanen Soresger") TEKO-JIN Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (Jinen Ciwan en Tekoser) THD Tanzim Hurras al-Din TJ Tablighi Jama'at TKP/ML Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) U uG Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis V VHD Vaterländischer Hilfsdienst VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung 462 Anhang W WDR Women Defend Rojava (Kurdische Kampagne) WJ Wiking-Jugend e. V. Y YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. 463 Anhang 11.8 Personenund Stichwortverzeichnis A ANF (PKK-nahe Nachrichtenagentur) | 301, 305 ff. Abou-Nagie, Ibrahim | 242 Ansaar International e. V. | 237 ff., 456 Actuarium (Youtube-Kanal) | 285 Antaios e. K. (Verlag) | 40, 110 Ahnenblut (Musikband) | 65 Antideutsche | 171 f. Ajansa Nuceyan a Firate (ANF) | s. ANF Antifaschismus | 161, 163, 166, 175 f., 200, al-Baghdadi, Abu Bakr | 252 f. 391 f. al-Banna, Hasan | 266 Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen al-Nusra Front | s. Jabhat Fatah al-Sham (AALG/UE) | 176 al-Qaida | 211, 215, 219, 241, 250 ff., 256 Antifajugend Lüneburg (AJL) | 176 ff., 261, 263 Antifa-Jugend Oldenburg | 195 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel Antifaschistische Linke International (AQAH) | 251 (A.L.I.) | 169, 171 al-Qaida im Irak (AQI) | 252 Antifaschistisches Cafe Braunschweig | 176 al-Qaida auf dem indischen Subkontinent Antifeminismus | 42, 44 f., 325 f. (AQIS) | 252 Antigentrifizierung | 161, 166, 194, 201 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) | Antiimperialisten | 162, 170 ff. 251 Antikapitalistische Linke (AKL) | 163, 165 al-Shabab | 251 Antimilitarismus | 161, 164, 196 ff. al-Suri, Abu Mus'ab | 263 Antirassismus | 161, 199, 404 AL-Mustafa Gemeinschaft e.V. (AMG) | 279 Antirepression | 161, 166, 180, 186 Allgemeines Syndikat der FAU Hannover | Antisemitismus | 42 f., 122, 140 f., 213, 203 f. 286, 323, 400 Almanya Demokratik Ülcücü Türk DernekleArbeiterpartei Kurdistans (PKK) | 290ff, 294 ri Federasyonu (ADÜTDF) | 311 ff. ff., 295-308, 310, 312, 315, 352, 401, 406, Altermedia | 451 454, 462 Alternative für Deutschland (AfD) | 40 f., Arische Bruderschaft | 76 46, 49 ff., 57, 91, 94, 96 f., 99 ff., 123, 175 Arische Bruderschaft Supporter | 76 ff., 200 Artgemeinschaft | s. Die Artgemeinschaft Amt für Menschenrecht | 147 - Germanische Glaubens-Gemeinschaft Anarchismus | 159, 202 f. wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. Anarchisten | 158 ff., 202 f. (AG-GGG) Anarchosyndikalismus | 203 ff. Artikel 10-Gesetz | 20, 23f., 424, 428-431, Anastasia-Bewegung | 134 f. 439 464 Anhang Ausländerextremismus | s. Extremismus mit C Auslandsbezug Autonome | 158, 161 f., 165 ff., 171 ff., Ciftci, Muhamed Seyfudin | 242, 244 178, 181 f., 197 f. Civata Demokratik Kurdistan (CDK) | 299 az-Zawahiri, Ayman | 252 Ciwanen Azad (CA) | 300 f. Collegium Humanum (CH) | 450 Combat 18 / Combat 18 Deutschland | 451 B COMPACT (Publikation) | 53, 110 Basisdemokratische Linke (BL) | 169, 176, 178, 184, 190 D Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) | s. Tevgera Ciwanen Soresger Dawa | 221, 229, 235 ff., 243, 245, 249 f., Bewegung der jungen kämpferischen Frau455 en (TEKO-JIN) | 301, 462 Delegitimierung des Staates | 29, 55, 57, Bin Ladin, Usama | 250, 256 f. 134, 380 Bismarcks Erben | s. Vaterländischer HilfsDemokratiefeindliche und/oder sicherheitsdienst gefährdende Delegitimierung des Staates | Blood Brother Nation | 78, 84 s. Delegitimierung des Staates Blood & Honour | 449 Demokratisches Gesellschaftszentrum der Blutrein (Musikband) | 63 KurdInnen in Nord Deutschland e.V. (FedeBörm, Manfred | 112, 118 rasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen Brigade 8 | 77 f., 84 le Bakure Alman) (FED-DEM) | 300 Brigade 12 | 76 Der Flügel | 53, 102 Brothers of Honour | 77 Der Sturmvogel - Deutscher Jugendbund | Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches 131 Bündnis (uG) | 166, 170 ff., 176, 178, 190 Der III. Weg | 40 f., 47, 62, 75, 79, 81, 84, Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) | 91, 123 20, 29, 50, 88, 102 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | Bundesministerium des Innern und für Hei159, 161 f., 172, 198 mat (BMI) | 221, 235, 270, 278, 282, 284 f., Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. 294, 296, 448-453, 454 ff. (DMG, vormals IGD) | 266, 268 f., 286 Bundeszentrale für Kinderund JugendmeDeutsche Stimme (Publikation) | 81, 112, dienschutz (BzKJ, ehemals Bundesprüfstelle 116 für jugendgefährdende Medien) | 65, 71 Deutsche Volksunion (DVU) | 126 Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. in Braunschweig (DMG Braunschweig) | 220, 230, 236, 244 ff. 465 Anhang Deutschsprachiger Islamkreis e.V. Hannover F (DIK Hannover) | 224 Deutschsprachiger Muslimkreis BraunFatime Versammlung e.V. | 279 schweig e.V. | 268 Farben für Waisenkinder e.V. (FfW) | 278, Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi 455 (DHKP-C) | 293, 454 Fast Forward Hannover | 172 Die Artgemeinschaft - Germanische Fitzek, Peter | 147 Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Föderale Islamische Union e. V. (FIU) | 238 Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) | 48, 58 f., Föderation der demokratischen Gesellschaf75 f., 136, 452 ten Kurdistans e. V. (FCDK-KAWA) | 303 Die Heimat (vormals NPD) | 40 f., 44, 46 f., Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft 62, 75 f., 79, 81, 84, 91, 111-118, 121, 123 Mesopotamiens in NRW e.V. (FED-MED f., 126 f., 128, 408 f. NRW) | 300 DIE LINKE. | 119, 159, 163, 165 Föderation der Türkisch-Demokratischen Die Rechte | 40 f., 46 f., 49, 62, 74 f., 81, Idealistenvereine in Deutschland e.V. 84, 116 f., 123 ff. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk DernekDie Wahre Religion (DWR) | 235, 242, 455 leri Federasyonu, ADÜTDF) | 311 f. Direkte Aktion (Publikation) | 202, 449 Franz, Frank | 46, 112, 114 ff., 124 Division 45 | 77 Frauenfeindlichkeit | 42, 44, 325 f. Drei-Säulen-Strategie | 115 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union Dschihad/Dschihadismus | s. Jihad (FAU) | 202 f. Dual-Use-Güter | 353, 355 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Fremdenfeindlichkeit (Begriff) | 42 f., 127 E Fridays for Future-Bewegung (FFF) | 186, 190 Einladung zum Paradies | 242 En-Nahda | 208, 269, 476 Entgrenzung | 56, 153 f., 161 f., 168, 400 G Enthemmung | 56 Ethnopluralismus | 42, 87, 92 G 10 | s. Artikel 10-Gesetz EU-Terrorliste | 269, 292, 296 Gai Dao (Publikation) | 202 Ewiger Bund | s. Vaterländischer Hilfsdienst Gassenraudi (Musikband) | 71 Exilregierung Deutsches Reich | 151 Geeinte deutsche Völker und Stämme Extremismus mit Auslandsbezug | 29, 33, (GdVuSt) | 150, 453 290 f., 337, 339, 401, 404 Gefangenenhilfe | 240 f. Geheimschutz | 364, 367 ff., 373 466 Anhang Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan Holocaust (Leugnung/Relativierung) | 43, (KKK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans 108 f., 123, 214 Generation identitaire (GI) | 86 Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. | s. Die I Artgemeinschaft - Germanische GlaubensGemeinschaft wesensgemäßer LebensgeIdentitäre Bewegung Deutschland (IBD) | staltung e. V. (AG-GGG) 40, 85f., 99 Germanitas Othala Klangschmiede (VerIdentitäre Bewegung Österreich (IBÖ) | 86 sand) | 72 Identität und Demokratie (ID) | 99 Germaniten | s. Indigenes Volk Germaniten Imam-Mahdi-Zentrum | 279 Geschichtsrevisionismus (Begriff) | 42, 44, In/Progress | 170, 172, 176 122 Indigenes Volk Germaniten (IVG) | 149 Giese, Daniel | 67, 73 Inferno Deutschland, Bündnis | 91, 121 Gigi / Stahlgewitter / Die Braunen StadtmuInitiative Zusammenrücken in Mittelsikanten (Musikband) | 67, 69 deutschland | 77 f. Inspire (Publikation) | 263 Institut für Staatspolitik (IfS) | 40, 53, 99, H 110, 115 Internationale ArbeiterInnen Assoziation Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) | 251 (IAA) | 205 HAMAS | s. Islamische WiderstandsbeweInterventionistische Linke (IL) | 160, 162, gung 166 f., 176, 190 Hammerskins Deutschland | 48, 57, 60, 76, ISD Records (Versand) | 72 452 Islamfeindlichkeit | 87, 93, 212 Hannes (Musikband) | s. Ostendorf, Hannes Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | 301 HeimatHof | 46, 118 ff., 125 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ) | (IGD) | s. Deutsche Muslimische Gemein130, 135 schaft e.V. Heise, Thorsten | 76, 116 Islamische Widerstandsbewegung (HAHeldengedenken | 78, 123 MAS) | 49, 78, 122 f., 162, 164, 172, 208, Hilfsorganisation für nationale politische 212, 214 f., 221, 249, 261, 269 ff., 286, 293 Gefangene und ihre Angehörigen e. V. f., 306, 381, 388, 456 (HNG) | 450 Islamischer Staat (IS) | 242, 252-255, 260 Hizb Allah | 208, 212, 221, 277-281, 283, Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) | 285, 381, 455 260 Höcke, Björn | 97, 99, 103 f. Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) | 208, 282 467 Anhang Islamismus (Begriff) | 283-287, 291 Konföderation der Gemeinschaften KurdisIslamistischer Terrorismus | 250 tans in Deutschland e. V. (KON-MED) | 299 Islamschule Braunschweig | 242 Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) | 299 J Konvertiten, Konvertierte | 227, 263 Konzerte | s. Musikveranstaltungen Jabhat al-Nusra (JaN) | s. Jabhat Fatah alKoordination der kurdisch-demokratischen Sham Gesellschaft in Europa (CDK) | 299 Jabhat Fatah al-Sham (JFS) | 251, 474 Kubitschek, Götz | 110, 115 Jihad/Jihadismus (Begriff) | 210 f., 213, 216219, 222, 225 f. Jihadistischer Salafismus | 225, 325 L Jinen Ciwan en Tekoser (TEKO-JIN) | 301 Junge Alternative (JA) | 40 f., 91, 94 Landser (Musikband) | 72 Junge Nationalisten (JN) | 75, 91, 111 f., 124 Libertäre Kommunist*innen Osnabrück (LIKOS) | 184 LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich er- K schaffen hat | 235 Linksextremismus (Begriff) | 159 f., 403 Kameradschaft Northeim | 76 f. Kampf der Nibelungen (KdN) | 82 Kampf um den organisierten Willen | 115 M Kampf um die Köpfe | 115 Kampf um die Parlamente | 115 Marxismus | 159, 166, 293 Kampf um die die Straße | 115 Marxistisch-Leninistische Partei DeutschKategorie C (Musikband) | 68, 71 f. lands (MLPD) | 159, 162 f., 166, 198 Kategorie C (Versand) | 72 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Kiese, Martin | 125, 128 Partei der Türkei - Marksist Leninist KomüKönigreich Deutschland | 147 nist Partisi (MLKP) | 293 Komalen Ciwan (KC) | 300 Med Nuce TV | 295 Kommunistischer Bund Westdeutschland Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH | (KBW) | 166 455 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) | Midgards Wächter | 78 408 MIT (Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer Kommunistische Partei der Türkei/Marxisziviler Nachrichtendienst) | 351 ten-Leninisten (TKP/ML) | 293 MKD/MaKss Damage (Musiker) | 67 Kommunistische Plattform (KPF) | 163 468 Anhang MHP (Milliyetci Hareket Partisi") | 309 f., OPOS Records (Versand) | 72 312 f, 315 Oskars Osna | 79, 121 Musikveranstaltungen | 58, 62, 66, 71 f., 77 Osnabrücker Landmark | 453 Muslim-Markt | 285 Ostendorf, Hannes | 68 f., 70, 72 Muslimbruderschaft (MB) | 208, 212, 266, Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) | 77 268 P N Pakistanzentrum Hannover | 273 Nahkampf (Musikband) | s. Kategorie C Partei der Nationalistischen Bewegung Nationaldemokratische Partei Deutschlands (Milliyetci Hareket Partisi - MHP) | 309 f., (NPD) | s. Die Heimat 312 f., 315 Nationale Befreiungsfront Kurdistans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (ERNK) | 454 (Adalet ve Kalkinma Partisi - AKP) | 312, Nationalismus | 42, 52, 87, 97, 171, 306, 313, 315 309f., 312, 314, 403 PC Records (Versand) | 72 Neonazismus (Begriff) | 40, 43, 48, 82, 122 Phalanx Europa | 89 Neonazistische Kameradschaften | 43, PKK | s. Arbeiterpartei Kurdistans 126 f. Politischer Salafismus | 225 Neonaziszene | 44, 84 Politisch motivierte Kriminalität | 329, 386 Neue Rechte | 48f., 53, 69, 85-88, 91, 98, ff., 390-395 106, 110, 118 Postautonome | 161, 165 ff., 173 ff. Niedersächsisches Polizeiund OrdnungsbePrävention | 33, 80, 320 ff., 327 ff., 332 f., hördengesetz (NPOG) | 24, 432 f. 335 f., 349, 355 Niedersächsisches Straßengesetz (NStrG) | Prinz Reuß, Heinrich XIII. | 143 236, 249 Proliferation | 345, 353 Nordadler | 452 Proto (Musiker) | 67 Nordic 12 | 78, 84 Preußisches Institut | s. Vaterländischer NSM 88 (Versand) | 72 Hilfsdienst O Q Öcalan, Abdullah | 292, 295, 297 f., 301Querdenken, Querdenker | 48, 177 f., 200 305, 308 Offenes Antifa-Cafe Osnabrück | 182 Okzident Media | 89 469 Anhang R Sozialistische Alternative (SAV) | 198 Sozialistische Perspektive (SP) | 169, 171, Race War (Musikband) | 72 178 Radikalisierung | 51, 72, 85, 101, 103 f., Sozialistische Reichspartei (SRP) | 18, 408 217, 230 ff., 234, 240, 243, 258, 261, 264 Stahlfaust (Musikband) | 65 f., 320 ff., 328 f., 332 f., 336, 340 Stahlgewitter (Musikband) | s. Gigi Rassismus (Begriff) | 43, 403 f. Sterka Ciwan | 295 Rebel Records (Versand) | 72 Sturmbrigade 44 | 452 Rebell (Jugendorganisation der MLPD) | 198 Sturmfeste Hannover | 89 Rechtsextremismus (Begriff) | 42 ff., 404 Sturmjäger Division | 80 Redical [M] | 170, 176, 178, 181, 190 Sturmvogel | s. Der Sturmvogel Regiment 25 (Musikband) | 64 Reichsbürger | 54 ff., 138 ff., 322, 325, 382 Revisionismus | s. Geschichtsrevisionismus T Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) | s. Devrimci Halk Kurtulus PartisiTablighi Jama'at (TJ) | 208, 271 ff. Cephesi Tanzim Hurras al-Din (THD, "Organisation Rock against Communism (RAC) | 61 der Wächter der Religion") | 251 f. Rote Hilfe e. V. (RH) | 184 ff. Terrorismus | 29, 31, 222, 241, 250, 263, Rumiyah (Publikation) | 262 294, 394, 396, 407 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS) | 301 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist S (TKP/ML) | 293 Türkische Konföderation in Europa (ATK) | Salafismus | 212 f., 220 ff., 230 ff., 239 f., s. Föderation der Türkisch-Demokratischen 242 f., 276, 331, 405 Idealistenvereine in Deutschland e.V. Salt City Antifa (SCA) | 176 Schanze Eins | 89 Scharia | 210, 224, 240, 252, 255, 266, 272, U 274 ff., 402 Schetinin, Michail Petrowitsch | 134 f. Ülkücü-Bewegung | 292, 309 ff., 403 f. Schild & Schwert-Festival | 67, 76 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) | Schittke, Norbert Rudolf | 151 301 Scientology-Organisation | 337 Union der Juristen Kurdistans (YHK) | 301 Selbstverwalter | 54, 138 ff., 146 ff., 151 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 301 ff., 322 Union der Türkisch-Islamischen KulturvereiSkinheadkonzerte | s. Musikveranstaltungen ne in Europa (ATIB) | 312 ff. Skinheads | 60, 449 470 Anhang V W Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) | 149 f. Waisenkinderprojekt Libanon e.V. | s. FarVerband der Studierenden aus Kurdistan ben für Waisenkinder e. V. (YXK) | 301 was-danach (Projekt) | 221, 236 Verband der studierenden Frauen aus KurWeigler, Sebastian | 112, 118, 120, 124 distan (JXK) | 301 Weisse Wölfe Terrorcrew | 451 Verbote neonazistischer Vereinigungen | Wiking-Jugend e. V. (WJ) | 130, 135, 448 448 Wirtschaftsschutz | 373f, 376 ff., 383, 410 Verbote islamistischer Vereinigungen | 454 Wirtschaftsspionage | 372 f., 410 ff. Wolfsbrigade 44 | s. Sturmbrigade 44 Verbote linksextremistischer VereinigunWomen Defend Rojava (Kampagne, WDR) | gen | 453 304, 306 Verbote von Reichsbürgervereinigungen | Worch, Christian | 125 f., 128 453 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten Y (VRBHV) | 450 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans Yeni Özgür Politika (YÖP) | 295 (KCK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates | 48 Z Völkische Gemeinschaft | s. Nordadler Völkische Jugend | s. Nordadler Zillertaler Virenjäger (Musikband) | s. Gigi Völkische Renaissance | s. Nordadler Völkische Revolution | s. Nordadler Vogel, Pierre | 234, 236, 242 Völkische Siedler | 129 f., 132, 134 f., 137 Volksgemeinschaft | 42, 59, 75, 84, 112 f., 130, 136 Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele Kurdistan, KONGRA GEL) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der PKK (Hezen Parastina Gel, HPG) | 295 471 Anhang 11.9 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) Aurich | 221, 279, 300 Nienburg | 60, 97 Alfeld | 144 Ohne | 68, 71 Bad Lauterberg | 148 Oldenburg | 64, 78 f., 111, 165, 184, 190, Bramsche | 192 195, 303 Braunschweig | 47, 71, 91, 119-122, 125, Osnabrück | 79, 121, 123, 148, 165, 182, 128, 150, 165, 170, 172, 176 f., 184, 192, 184, 190, 192, 199, 268, 276, 281, 300, 220, 230, 236, 244-250, 268, 312 f., 324, 303, 312, 379 335 Peine | 144, 300, 303, 313 Buchholz in der Nordheide | 148 Rulle | 192 Celle | 46, 118, 120, 122, 145, 176, 197, Salzgitter | 276, 300, 312 300, 302, 306 f. Springe | 144 Cuxhaven | 142, 221, 279, 307 Stade | 80, 307 Delmenhorst | 279, 285, 307 Südniedersachsen (Region) | 70, 281 Dötlingen | 78 Uelzen | 83, 129 f. Eschede | 46 f., 71, 118 ff., 125 Unterlüß | 164, 197 Ganderkesee | 79 Vechelde | 144 Goslar | 72, 150 Verden | 300 Göttingen | 148,165, 169 f.,172, 177 ff., Walsrode | 149, 176, 300 181, 184, 186, 190 f., 198, 202 f., 205, Wolfsburg | 119, 268 268, 276, 304, 327 Wriedel | 83 Hameln | 55, 144, 146, 150 Handorf | 118 Hannover | 54, 89, 92, 97, 101, 119, 121, 123, 142, 144, 150 f., 165, 169, 172, 176 f., 179, 181-185, 188, 190 f., 193 f., 196, 198, 202-205, 221, 224, 238, 240, 268, 273, 281 f., 285, 300, 303-306, 312 f., 327, 334, 361, 376, 378-381 Hasbergen | 148 Hildesheim | 47, 71, 128, 144, 151, 181, 300 Jesteburg | 144 Lilienthal | 68 Lüneburg | 101, 118, 128 ff., 151, 165, 176, 181, 198, 202, 205, 307 Meuchefitz | 181 472 Anhang 11.10 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2023 In diesem Verzeichnisanhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl al-Qaida und ihre weltweit agierenden Ableger (al-Qaida 211, 215, 219, 241, 250 ff., auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida auf dem 256 ff., 261, 263 indischen Subkontinent ( AQIS), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), al-Shabab, Hai'at Tahrir al-Sham (HTS, ehem. Jabhat al-Nusra), Tanzim Hurras al-Din (THD) Amt für Menschenrecht 147 Antaios e. K. (Verlag) 40, 110 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) 169, 171 Antikapitalistische Linke (AKL) der Partei DIE LINKE. 163, 165 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 290ff, 294 ff., 295-308, 310, 312, 315, 352, 401, 406, 454, 462 Arische Bruderschaft 76 Arische Bruderschaft Supporter 76 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft 48, 58 f., 75 f., 136, 452 wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. Basisdemokratische Linke Göttingen (BL) 169, 176, 178, 184, 190 Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (TEKO-JIN) 301, 462 Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) Bismarcks Erben s. Vaterländischer Hilfsdienst Blood & Honour 449 473 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Blood Brother Nation 78, 84 Brigade 8 77 f., 84 Brigade 12 76 Brothers of Honour 77 Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) 166, 170 ff., 176, 178, 190 Blutrein (Musikband) 63 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) 299 Ciwanen Azad (CA) 300 f. Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und 450 Lebensschutz e. V. (CH) Combat 18 / Combat 18 Deutschland 451 Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen 300 und Kurden in Norddeutschland e.V. (FED-DEM) Der Flügel (innerhalb der Partei Alternative für Deutsch53, 102 land) Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 159, 161 f., 172, 198 Deutsche Stimme (Publikation) 81, 112, 116 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) (vor266, 268 f., 286 mals IGD) Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. 220, 230, 236, 244 ff. in Braunschweig (DMG Braunschweig) Deutschsprachiger Islamkreis e.V. Hannover 224 (DIK Hannover) Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. 268 Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi (DHKP-C) 293, 454 474 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Die Heimat (vormals NPD) 40 f., 44, 46 f., 62, 75 f., 79, 81, 84, 91, 111-118, 121, 123 f., 126 f., 128, 408 f. Die Rechte 40 f., 46 f., 49, 62, 74 f., 81, 84, 116 f., 123 ff. Division 45 77 En-Nahda 208, 269, 476 Ewiger Bund S. Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) Exilregierung Deutsches Reich 151 Fast Forward Hannover 172 Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopota300 miens in NRW e.V. (FED-MED NRW) Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenverei311 f. ne in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 202 f. Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Gassenraudi (Musikband) 71 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 150, 453 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten (Gigi / Stahlgewit67, 69 ter / Die Braunen Stadtmusikanten (Musikband)) HAMAS s. Islamische Widerstandsbewegung Hammerskins Deutschland 48, 57, 60, 76, 452 Hannes (Liedermacher) 68 f., 70, 72 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 130, 135 475 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Hilfsorganisation f. nationale politische Gefangene und 450 deren Angehörige e. V. (HNG) Hizb Allah 208, 212, 221, 277-281, 283, 285, 381, 455 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 40, 85f., 99 Identität und Demokratie (ID) 99 Indigenes Volk Germaniten (IVG) 149 Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland 77 f. Institut für Staatspolitik (IfS) 40, 53, 99, 110, 115 Interventionistische Linke (IL) 160, 162, 166 f., 176, 190 In/Progress 170, 172, 176 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 301 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 49, 78, 122 f., 162, 164, 172, 208, 212, 214 f., 221, 249, 261, 269 ff., 286, 293 f., 306, 381, 388, 456 Islamischer Staat (IS) 242, 252-255, 260 Junge Alternative (JA) 11, 40 f., 91, 94 Junge Nationalisten (JN) 75, 91, 111 f., 124 Kameradschaft Northeim 76 f. Kategorie C (Musikband und Versand) 68, 71 f. Komalen Ciwan (KC) 300 Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten 293 (TKP/ML) Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. 163 Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans 299 in Deutschland e. V. (KON-MED) 476 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft 299 Kurdistans in Europa (KCDK-E) Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft 299 in Europa (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) Königreich Deutschland (KRD) 147 Landser (Musikband) 72 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 159, 162 f., 166, 198 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei 293 der Türkei (MLKP) Midgards Wächter 78 MKD/MaKss Damage (Musiker) 67 Muslimbruderschaft (MB) 208, 212, 266, 268 Muslim-Markt 285 Nahkampf (Musikband) s. Kategorie C Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) s. Die Heimat Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), s. Die Heimat Landesverband Niedersachsen Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 454 Nordic 12 78, 84 Oskars Osna 79, 121 Pakistanzentrum Hannover 273 PC Records (Versand) 72 PKK s. Arbeiterpartei Kurdistans Preußisches Institut s. Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) Proto (Musiker) 67 477 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Race War (Musikband) 72 Redical [M] 170, 176, 178, 181, 190 Regiment 25 (Musikband) 64 Reichsbürger 54 ff., 138 ff., 322, 325, 382 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) s. Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi Rote Hilfe e. V. (RH) 184 ff. Selbstverwalter 54, 138 ff., 146 ff., 151 ff., 322 Stahlgewitter (Musikband) s. "Gigi" Tablighi Jama'at (TJ) 208, 271 ff. Türkische Konföderation in Europa s. Föderation der Türkisch(Avrupa Türk Konfederasyon, ATK) Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) 293 Ülkücü-Bewegung 292, 309 ff., 403 f. Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 301 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 301 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 301 Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa 312 ff. (ATIB) Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) 149 f. Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 301 Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan (JXK) 301 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens 450 des Holocaust Verfolgten (VRBHV) Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) s. Arbeiterpartei Kurdistans 478 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der Arbeiterpartei 295 Kurdistans (HPG) 479 Anhang 11.11 Bilderverzeichnis 18 pusteflower9024 - stock.adobe.com 20 MQ-Illustrations - stock.adobe.com 22 domoskanonos - stock.adobe.com 33 Niedersächsischer Verfassungsschutz 34 Niedersächsischer Verfassungsschutz 42 Pusteflower9024/shutterstock.com 58 Logo der "Hammerskins" 59 Logo der "Artgemeinschaft" 59 Abbildung "Adler greift Fisch" (Kennzeichen der Artgemeinschaft) 63 CD-Cover "Blutrein: Ahnenkampf" 64 CD-Cover "Regiment 25: Gieriger Takt" 68 CD-Cover "Kategorie C: Bootlegs" 68 CD-Cover "Kategorie C: Rabenbanner" 71 CD-Cover "Eichenlaub mit Schwertern: Das letzte Eichenlaub" 79 Logo der "Oskars Osna" 86 Logo der IBD 96 Logo der "Junge Alternative" 102 Logo der "AfD Niedersachsen" 113 Logo der Partei "Die Heimat" 127 Logo der Partei "Die Rechte" 151 Logos Geeinte Deutsche Völker und Stämme; aus Schreiben extrahiert 154 Niedersächsischer Verfassungsschutz 159 Logos der DKP und der MLPD 163 Logo der KPF 163 Logo der AKL 168 Logo der IL 169 Logo "Sozialistische Perspektive" 170 Logo des Bündnisses uG 170 Logo der Gruppierung "In/Progress" 171 Logo der A.L.I. 182 Logo der "Redical [M]" 184 Logo der "Rote Hilfe" 187 Logo des Bündnisses "Ende Gelände" 204 Logo der FAU 230 Kollage der Prediger, Screenshot des TikTok-Kanals der DMG Braunschweig 236 Logo des Projektes "was-danach?" 480 Anhang 238 Logo der FIU 245 Logo der DMG Braunschweig 248 Prediger, Screenshot des TikTok-Kanals der DMG Braunschweig 250 Prazis Images Artikel-ID 357864002/shutterstock.com 253 Flagge des IS 256 Flagge der Taliban; https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Flag_of_the_Taliban.svg; Eigenes Werk 258 Al-Qaida Propagandamagazin "Inspire" 259 The World in HDR, Artikel-ID 355924961 / shutterstock.com 266 Logo der "Muslimbruderschaft" 272 Logo der "Tablighi Jama'at" 280 Flagge der "Hizb Allah" 297 Logo der PKK in Europa 299 Logo des KCDK-E 301 Logos der "Jinen Ciwan en Tekoser" und der TEKO-JIN 309 Logo der "Ülkücü-Bewegung" 311 Logo der ADÜTDF 323 Landesfeuerverband Niedersachsen 324 Niedersächsischer Verfassungsschutz 325 Niedersächsischer Verfassungsschutz 327 Niedersächsischer Verfassungsschutz 329 Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen 330 Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen 334 Niedersächsischer Verfassungsschutz 337 Niedersächsischer Verfassungsschutz 338 Niedersächsischer Verfassungsschutz 340 Niedersächsischer Verfassungsschutz 346 Niedersächsischer Verfassungsschutz 346 Logo des SWR 349 Logo des MSS 351 Logo des VAJA 353 Bundesamt für Verfassungsschutz 356 Bundesamt für Verfassungsschutz 358 BSI, Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2023 359 BSI, Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2023 360 Alexander - stock.adobe.com 361 Niedersächsischer Verfassungsschutz 364 Zerbor - stock.adobe.com 481 Anhang 368 Niedersächsischer Verfassungsschutz 374 tashatuvango - stock.adobe.com 375 xiaoliangge - stock.adobe.com 376 Niedersächsischer Verfassungsschutz 379 Niedersächsischer Verfassungsschutz 381 Niedersächsischer Verfassungsschutz 383 Niedersächsischer Verfassungsschutz 482 Anhang Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. (c) Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12, 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Telefax: 0511 120-6555 Internet: www.mi.niedersachsen.de 483 Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Schiffgraben 12, 30159 Hannover Telefon: 0511 120-6258 Telefax: 0511 120-6555 Internet: www.mi.niedersachsen.de