Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport - Verfassungsschutz - Verfassungsschutzbericht 2020 Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6 30169 Hannover Telefon: 0511 120-6258 Telefax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 6709-217 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de Redaktionsschluss: Januar 2021 Layout und Gestaltung: ermisch | Büro für Gestaltung, Hannover Druckerei: QUBUS media GmbH, Hannover Verfassungsschutzbericht 2020 Liebe Bürgerinnen und Bürger, vor mittlerweile 72 Jahren - im Mai 1949 - trat das Grundgesetz in Kraft. Ein bewun dernswertes Werk, in dem kluge und weit sichtige Schlüsse gezogen worden sind aus den bitteren Erfahrungen von nationalsozia listischer Diktatur, Weltkrieg und Holocaust. Dieses Grundgesetz, diese Verfassung ist bis heute die Basis unseres freiheitlichen demo mend schwerer, rechtzeitig auf potenzielle kratischen Rechtsstaates. Es definiert unsere Täter aufmerksam zu werden. In unserer gemeinsamen Werte und Normen und gilt Sicherheitsstrategie ist die Beobachtung des für jede Bürgerin und jeden Bürger unseres Internets in den nächsten Jahren deshalb ein Landes gleichermaßen. Schwerpunkt, um unsere freiheitliche und Verfassungsschutz bedeutet demnach, dafür pluralistische Gesellschaft weiterhin best einzutreten, die Werte und Normen unserer möglich zu schützen. freiheitlichen demokratischen Grundord Das war schon immer wichtig und ist in den nung zu garantieren und sie vor denjenigen vergangenen Jahren vielleicht sogar noch zu schützen, die sie bekämpfen. wichtiger geworden. Schließlich stellen wir Wir erleben immer wieder, wie Menschen fest, dass die Angriffe auf unsere gemeinsa sich über unverrückbare Werte unserer Ver men Grundwerte, auf die Normen und Re fassung hinwegsetzen und uns gemeinsam geln unserer freiheitlichen Demokratie der herausfordern. Ein besonders schreckliches artig vielfältig hasserfüllt sind, dass es umso Beispiel haben viele von uns noch in trau entscheidender ist, diese Attacken frühzeitig riger Erinnerung. Im Februar 2020 erschoss zu erkennen und abzuwehren. Sie kommen ein Attentäter in Hanau neun Menschen. Ein dabei aus allen extremistischen Richtungen, fürchterlicher rechtsextremistischer Terror ob von Islamisten, Linksextremisten oder anschlag, der mich in dieser Dimension bis Rechtsextremisten. In allen diesen Phäno heute fassungslos macht und uns die grau menbereichen ist unser Verfassungsschutz samen Folgen dieses menschenverachten gefordert, sehr wachsam zu sein. den Gedankenguts vor Augen führte. Mittlerweile erleben wir beinahe täglich, Unsere Sicherheitsbehörden versuchen mit dass mit rechtsextremistischen Äußerungen allen ihnen zur Verfügung stehenden Mög bisher bestehende Tabus gebrochen wer lichkeiten, derartige Attentäter zu identi den. Wir hören Berichte über einen stärker fizieren und von ihren Taten abzuhalten. werdenden Alltagsrassismus und wir be Leider gelingt dies nicht immer. Die vielfälti obachten eine mit Vorurteilen aufgelade gen Radikalisierungswege über das Internet ne Debattenkultur in den sozialen Medien. machen es den Sicherheitsbehörden zuneh Auf entsprechenden Internetseiten und in 2 eigenen Chatgruppen können sich Gleich oder "Covid 19". In solchen Fällen schlägt gesinnte leicht austauschen und in ihren der Protest gegen staatliche Maßnahmen Vorurteilen und gezielten Abwertungen von durch die eklatante Relativierung bzw. Ba gesellschaftlichen Minderheiten gegenseitig nalisierung der Shoah in Antisemitismus bestätigen und anstacheln. Fremdenfeindli um. Ein Verhalten, dass durch nichts zu che Ressentiments lassen sich auf diese Weise rechtfertigen ist. Gerade vor dem Hinter schnell und häufig unerkannt verbreiten. grund der Geschichte unseres Landes müs sen wir gemeinsam entschlossen gegen Gerade antisemitische Stereotype spielen diese Menschen aufstehen und derartiges dabei immer wieder eine zentrale Rolle, Verhalten konsequent unterbinden. und zwar in allen extremistischen Feldern. Das gilt genauso für alle weiteren Extre Studien belegen nachdrücklich, dass anti misten, die versuchen im Fahrwasser dieser semitische Einstellungsmuster nach wie vor globalen Pandemie ihr gefährliches Ge verbreitet sind. Angefangen bei Vorurteilen, dankengut zu verbreiten. Außergewöhnli die in allen Gesellschaftsschichten zu finden che Krisen wie diese sind auch immer ein sind, bis hin zu antisemitischer Hetze und Nährboden für Verschwörungsmythen und Verschwörungstheorien in den verschiede extre mistische Einstellungen. Einige Men nen extremistischen Szenen: im Rechtsextre schen sehnen sich nach einfachen Antwor mismus, Linksextremismus und Islamismus. ten und verlangen nach Schuldigen. Diese Das Perfide ist: Alle diese Extremisten kön Suche nach Antworten machen sich Extre nen mit ihren antisemitischen Ideologien an misten zu eigen und versuchen, Anschluss die von vielen Personen mal mehr oder we an die CoronaDemonstrierenden zu fin niger offen zur Schau getragenen Vorurteile den. Gemeinsame Feinde sind der Staat, die gegen Jüdinnen und Juden anknüpfen. Es ist Medien, Menschen die vermeintlich fremd unser aller Aufgabe, dieser Ideologie aktiv oder "anders" sind und immer wieder und entschlossen entgegen zu treten. auch Menschen jüdischen Glaubens. Hinzu Auch bei den Demonstrationen gegen die kommt, dass gerade rechtsextremistische Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona bzw. rechtspopulistische Parteien versu Pandemie spielt der Antisemitismus eine chen, aus der Krise Kapital zu schlagen. Rolle. So wurde auf CoronaDemonstrati Hinter der inhaltlichen Kritik an der Kri onen vielfach in die NSVerbrechen grob senbewältigung durch den Staat verbergen verharmlosender Weise die Bundesrepublik sich häufig fremdenfeindliche und rassisti mit dem HitlerRegime gleichgesetzt. De sche Einstellungen. monstranten trugen beispielsweise Nach Wir müssen uns mit Information, Aufklä bildungen des aus dem Dritten Reich zur rung und einem starken Staat gegen dieje Kennzeichnung und Stigmatisierung von nigen wehren, die unseren Rechtsstaat und Jüdinnen und Juden eingesetzten "Juden unsere Demokratie unterminieren und ab sterns" mit der Aufschrift "Ungeimpft" schaffen wollen. Dabei kommt dem Verfas 3 sungsschutz eine herausragende Rolle zu. Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, unsere freiheitliche demokratische Grund ordnung, und damit alle Menschen in unse rem Land, vor fundamentalen Bedrohungen zu schützen. Das war vor dieser Pandemie unverzichtbar, es ist seit ihrem Beginn un erlässlich, und auch, wenn diese Pandemie überstanden ist, wird die Arbeit des Verfas sungsschutzes weiterhin ein zentraler Bau stein für die Sicherheit aller Menschen sein. Boris Pistorius Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport 4 Liebe Leserinnen und Leser, die sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche auswirkenden Einschränkungen aufgrund der CoronaPandemie haben im Jahr 2020 selbstverständlich wie in vielen Bereichen unseres Lebens ebenso massiv Einfluss auf den politischen Extremismus und damit auch auf die Arbeit des Verfassungsschutzes. Wie der einmal standen und stehen die Sicher Im Phänomenbereich Rechtsextremismus heitsbehörden vor ganz neuen Herausforde werden wir den Fokus u. a. darauf rich rungen, wenn es gilt, Gefahren für unsere ten, ob sich sogenannte Querdenker und freiheitliche demokratische Grundordnung CoronaSkeptiker weiter radikalisieren und zu erkennen und abzuwehren. Öffentlich neue Formen demokratiefeindlichen Denkens keitswirksame Aktionen sind auch in den entwickeln. Die Nichtakzeptanz demokrati extremistischen Szenen bis auf die heraus scher Regulierungsmechanismen, der grund ragenden Ereignisse stark zurückgegangen. sätzliche Zweifel an faktenbasierten Ent Allerdings ist in Teilen der demokratischen scheidungsprozessen, die Orientierung an Gesellschaft der Widerspruch gegen extre Verschwörungstheorien, Kampfbegriffe wie mistische Positionen verstummt, teils stoßen "CoronaDiktatur" oder "Ermächtigungsge sie - vor zehn Jahren noch undenkbar - eher setz" und die Überzeugung, dass die etab auf Zustimmung. Dadurch wagen sich Extre lierten Medien von Eliten gesteuert werden, misten immer weiter in die bürgerliche Mitte um die Bevölkerung zu manipulieren, bilden vor. Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Mixtur, die die Grundlagen der frei die Extremismusprävention des Niedersäch heitlichen demokratischen Grundordnung sischen Verfassungsschutzes. Wir sind des untergräbt. Wir werden im Blick behalten, halb auch mit Onlineformaten zunehmend ob sich hieraus ein Extremismus eigener Art präsent. Für eine differenzierte Analyse der entwickelt, auch wenn sich die Entwicklung extremistischen Bestrebungen ist unsere He in Niedersachsen nicht so ausgeprägt wie in rausforderung als das Frühwarnsystem "Ver anderen Bundesländern zeigt. fassungsschutz", dem Extremismus immer Die bereits in den letzten Jahren beschrie einen Schritt voraus zu sein. Angesichts der bene Struktur und Mobilisierungsschwäche sich weiter entwickelnden Möglichkeiten der der organisierten rechtsextremistischen Sze konspirativen Kommunikation in den zum ne in Niedersachsen verschärfte sich unter Teil geschlossenen Echokammern bedeutet CoronaBedingungen weiter. Dabei kenn das einen sich stets wandelnden personellen zeichnet die neonazistische Szene unverän und technischen Aufwand um auf der Höhe dert eine hohe Gewaltbereitschaft, die in der Entwicklung sein zu können. ihrem sozialdarwinistischen und antisemiti 5 schen Weltbild ideologisch tief verankert ist. verbotenen Deutschsprachigen Islamkreis Die Beobachtung der neonazistischen Szene Hildesheim e. V. vom Oberlandesgericht Celle bildet deshalb weiterhin einen Schwerpunkt zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt der Verfassungsschutzarbeit. wurde. Die Deutschsprachige Muslimische Ein weiterer unserer Schwerpunkte ist es, Gemeinschaft Braunschweig bemüht sich, dem Antisemitismus aktiv und entschlossen diese Lücke zu füllen, indem sie regelmäßig entgegenzutreten. Sind doch Verschwö überregional bekannte Prediger bei sich auf rungstheorien mit deutlich antisemitischen treten lässt - bisher mit mäßiger Wirkung Inhalten aktuell in manchen Zirkeln wieder auf die Szene. Ein Resultat dieser Situation salonfähig, seitdem die Proteste gegen die jedenfalls ist, dass sich Radikalisierung und Maßnahmen zur Eindämmung der Coro Missionierung weiter zunehmend in klan naPandemie auch zur Verbreitung antise destinen Kleingruppen und im Internet voll mitischen Gedankenguts instrumentalisiert ziehen. werden. Information und Prävention sind Die Grenzen zwischen dem Salafismus und wichtige Bausteine, um antisemitische Het anderen Bereichen der islamistischen Szenen ze, auch wenn sie noch so niedrigschwellig verschwimmen mehr und mehr. Grundlage formuliert wird, zu erkennen und Gegen dessen ist das gemeinsame Ziel des islamis strategien zu entwickeln. tischen Spektrums, einen Staat ausschließ Das Internet und die veränderten Formen lich auf Grundlage der Scharia zu errichten. der Kommunikation haben sich zu Keim Die Föderale Islamische Union aus Hannover zellen eines gewandelten Rechtsextremis (FIU) ist dafür ein Beispiel. Maßgebliches mus entwickelt. Während die staatlichen Mobilisierungsthema ist die Diskriminierung Aufklärungs und Sanktionsmöglichkei von Muslimen, die u. a. am Kopftuchver ten erschwert werden, vergrößert sich die bot festgemacht wird. So werden Themen Reichweite rechtsextremistischer Agitation, des öffentlichen Diskurses genutzt, um An entstehen Netzwerke auf antisemitischer schluss an breite gesellschaftliche Bereiche und rassistischer Basis jenseits des tradi zu bekommen. Die FIU klagt derzeit gegen tionellen Rechtsextremismus und werden die Nennung im Niedersächsischen Verfas Radikalisierungsprozesse durch den perma sungsschutzbericht, unterlag allerdings im nenten Austausch mit Gleichgesinnten in Eilverfahren. den bereits genannten "Echokammern" des Die linksextremistische Szene in Niedersach Internets beschleunigt. sen ist auch in unserem Bundesland aktiv Nach Jahren des deutlichen Wachstums und schreckt nicht vor Gewalttaten zurück. stagniert die Anzahl der Anhänger des Sa Höhepunkte waren der Brandanschlag auf lafismus in Niedersachsen bei etwa 900 Per zehn Transporter der Landesaufnahmestelle sonen. Es fehlen derzeit charismatische Füh in Braunschweig und der versuchte Brand rungspersonen wie der Prediger Abu Walaa, anschlag auf das Gebäude der Landesauf der u. a. wegen seines Wirkens im seit 2017 nahmestelle in Hannover im Januar 2021 6 als Protest gegen vermeintlich institutiona lisierten Rassismus. Im Fokus der linksextre mistischen Szene stehen vornehmlich auch Funktionäre und Eigentum der Partei "Alter native für Deutschland" als Sinnbild des aus ihrer Sicht faschistischen und rassistischen Deutschen Staates. Der Extremismus mit Auslandsbezug war dadurch geprägt, dass sowohl die Arbeiter partei Kurdistans (PKK) und ihre Nebenorga nisationen als auch die rechtsextremistischen ÜlkücüDachverbände ihre Kommunikation als auch ihre Konfrontationen untereinander coronabedingt zunehmend in die digitale Welt verlagerten. Der Fortgang der Span nungen zwischen ihnen werden weiterhin in erster Linie von den Entwicklungen in der Türkei und in den kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien und dem Nordirak abhängen. Die vielfältigen Herausforderungen für den Niedersächsischen Verfassungsschutz sind einem ständigen Wandel unterzogen. Die sen werden wir weiterhin auf allen Ebenen - in der Analyse, mit den Informationspflich ten, der Prävention unter maßgeblicher Nut zung der Sozialen Medien und nicht zuletzt mit der Erfüllung unserer Mitwirkungspflich ten - entschieden entgegentreten. Bernhard Witthaut Niedersächsischer Verfassungsschutzpräsident 7 Themenübersicht Themenübersicht 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 02 Rechtsextremismus 03 Linksextremismus 04 Islamismus 05 Extremismus mit Auslandsbezug 06 Prävention 07 ScientologyOrganisation (SO) 08 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe 09 Geheimschutz 10 Wirtschaftsschutz 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 12 Anhang 8 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie ............................................16 1.2 Gesetzliche Grundlagen .............................................................18 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes ....................................19 1.4 Organisation ............................................................................. 20 1.5 Informationsgewinnung ............................................................ 20 1.6 Kontrolle ................................................................................... 21 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst .................................... 22 1.8 Beschäftigte .............................................................................. 23 1.9 Haushalt ................................................................................... 24 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ......................... 24 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ-Niedersachsen) ............. 26 1.12 Informationsverarbeitung .......................................................... 27 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ...................... 29 1.14 Presseund Öffentlichkeitsarbeit ............................................... 30 1.15 Kontaktdaten ............................................................................ 33 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes .......... 34 2. Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................. 38 2.2 Einführung ................................................................................ 39 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus .......................... 42 2.4 Rechtsextremistische Musikszene ............................................... 51 2.5 Neonazistische Szene ................................................................ 65 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ..................................... 77 2.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen ......................................... 87 2.8 "Der Flügel" innerhalb der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ........................................................................................ 93 2.9 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) .................... 100 2.10 Die Rechte ............................................................................... 111 2.11 Verein Gedächtnisstätte e. V. ...................................................123 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter ................................................129 9 Inhaltsverzeichnis 3. Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................140 3.2 Einführung ............................................................................... 141 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus ............................142 3.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten .....................................................................146 3.5 Anarchisten..............................................................................177 4. Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 184 4.2 Islamismus .............................................................................. 185 4.3 Salafismus ............................................................................... 196 4.4 Salafismus in Niedersachsen .................................................... 210 4.5 Internationaler islamistischer Terrorismus ................................. 220 4.6 Islamistischer Terrorismus in Deutschland und Niedersachsen ... 236 4.7 Muslimbruderschaft ................................................................ 244 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) .......................................................................... 248 4.9 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) .................................................... 250 4.10 Hizb Allah (Partei Gottes) ........................................................ 254 5. Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 260 5.2 Einführung .............................................................................. 260 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug ..... 261 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)................................................ 263 5.5 Ülkücü-Bewegung ................................................................... 279 10 Inhaltsverzeichnis 6. Prävention 6.1 Prävention .............................................................................. 286 6.2 Vortragsund Informations veranstaltungen ............................. 287 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"............... 289 6.4 Informationsmaterialien ........................................................... 290 6.5 Symposien .............................................................................. 292 6.6 Podiumsdiskussionen ............................................................... 292 6.7 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI).......................... 293 6.7.1 Struktur .................................................................................. 293 6.7.2 Arbeitsschwerpunkte .............................................................. 295 6.7.3 Ausbau der KIP NI zum Landesprogramm ................................. 296 6.7.4 Arbeitsgruppen ....................................................................... 297 6.7.5 Rückkehrkoordination ............................................................. 298 6.7.6 Jahresveranstaltung ................................................................. 298 6.7.7 KIP NI-Internetseite ................................................................. 298 6.8 Aktion Neustart ...................................................................... 299 6.9 Kontaktdaten Prävention ......................................................... 303 7. Scientology-Organisation (SO)................................. 306 8. Spionageabwehr/Proliferation/ Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen .................................... 310 8.2 Proliferation ............................................................................ 316 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund ............................................................................ 317 8.4 Hilfe für Betroffene ................................................................. 320 11 Inhaltsverzeichnis 9. Geheimschutz 9.1 Geheimschutz ......................................................................... 324 9.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen .......... 325 9.3 Neues Sicherheitsüberprüfungsgesetz ...................................... 327 9.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes .. 329 10. Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung ............................................................................... 332 10.2 Aufgaben und Arbeitsweise .................................................... 333 10.3 19. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes................................................................ 336 10.4 Kontaktdaten .......................................................................... 338 11. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) - Vorbemerkung ........... 342 11.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts ............................................................... 343 11.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links .................................................................. 347 11.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie ... 350 12 Inhaltsverzeichnis 12. Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe .................................................. 356 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz ............................. 366 12.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen .................................... 401 12.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen ................................. 404 12.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen ............................ 405 12.6 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extre - mistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2020 .............................................. 405 12.7 Abkürzungsverzeichnis ............................................................ 407 12.8 Personenund Stichwortverzeichnis ......................................... 413 12.9 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) ............................................... 421 12.10 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2020 ........... 422 12.11 Bilderverzeichnis ..................................................................... 428 13 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Repu blik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Elemente sind insbesondere die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungs grundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien unter engen Vorausset zungen von der staatlichen Finanzierung aus schließen (Artikel 21 Abs. 3 GG) oder in Gänze verbieten zu können (Artikel 21 Abs. 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2,1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokrati schen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt, die in SS 4 Abs. 3 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) auf gezählt sind: f das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstim mungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, f die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, f das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, f die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f der Ausschluss jeder Gewalt und Willkürherrschaft und f die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder be 16 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen zeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremis tisch, die sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Be stand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden im Vorfeld konkreter Gesetzes verstöße tätig werden und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestre bungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremis musphänomenen Rechts und Linksextremismus und dem Islamis mus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiösorthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechts und Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich in ihrer Einstellung zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parla mentarischen Demokratie realisiert werden kann, leugnen Rechts extremisten das in Artikel 3 GG verankerte Gleichheitsprinzip. Links extremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheits und Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: f Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das we der reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasireligiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. f Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein FreundFeindRaster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos zu bekämpfen. f Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittel punkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. f Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. 17 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbereiche regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den demokrati schen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs, Presse und Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Ver hältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und nach Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Welt bild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert, um die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" als einzigen Ausweg erscheinen zu lassen. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Verfassungsschutz ist Ländersache. Als Folge der föderalen Struktur der Bundesrepublik bestehen bundesweit sechzehn sich teilweise in Aufbau und Befugnissen unterscheidende Verfassungsschutzgesetze. Dem Bund wiederum obliegt die ausschließliche Gesetzgebung über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern (vergl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b GG). Diese ist im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz - Bundesverfassungsschutzgesetz" geregelt. Weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz folgen aus dem "Gesetz zur Beschränkung des Brief, Post und Fernmeldegeheimnisses - Arti kel 10Gesetz - G10", welches die Telekommuni kations und Briefüberwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden bundeseinheitlich regelt. 18 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungs schutzes ergeben sich aus dem Niedersächsischen Verfassungs schutzgesetz1 (NVerfSchG). Das NVerfSchG gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil bestimmt Zuständigkeiten und Aufgaben, der zweite das Beobachtungsobjekt. Der Begriff des Beobachtungs objektes gehört zu den zentralen Begriffen der bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden. Der dritte Teil, welcher sich wiederum in vier Kapitel gliedert, regelt die eigentliche Datenverarbeitung. Ne ben Regelungen zum Minderjährigen und Kernbereichsschutz finden sich dort Regelungen über die Eingriffsbefugnisse (siehe Kapitel 1.5), die Auskunftsersuchen sowie über die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Behörden. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Datenübermittlung zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist bei der Novellierung 2016 be rücksichtigt worden. Der Austausch von Daten zwischen Verfas sungsschutz und Polizei muss demnach grundsätzlich einem heraus ragenden öffentlichen Interesse dienen, wobei das herausragende öffentliche Inte resse durch einen Straftatenkatalog definiert wird (SS 31 NVerfSchG). Insbesondere bei terroristischen Straftaten ist ein solches regelmäßig anzunehmen und die Datenübermittlung zwi schen den Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben weit gehend uneingeschränkt möglich. Der vierte Teil des NVerfSchG regelt die parlamentarische Kontrolle, der fünfte enthält die soge nannten Schlussvorschriften. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grund ordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 1 Siehe Kapitel 12.2. 19 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutsch land, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. Ebenso gehören gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten (siehe Kapitel 1.10) zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. 1.4 Organisation Verfassungsschutzbehörde ist das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält hierzu eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die ausschließlich die der Verfassungsschutzbehörde obliegenden Auf gaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch die Verfassungs schutzpräsidentin oder den Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 1.5 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben re levanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quel len, die grundsätzlich auch jedem Bürger zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Pro grammen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen ge setzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informa tionsbeschaffung eingesetzt werden. Nach SS 12 NVerfSchG darf der 20 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Verfassungsschutz zur Beschaffung der erforderlichen Informationen die im Gesetz abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unver zichtbar ist. Dazu gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bild und Ton aufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragun gen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienst licher Mittel sind in den SSSS 14 bis 19 und 21 NVerfSchG geregelt. Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ausdrücklich keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insbe sondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Satz 1 NVerfSchG). Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen, Befragungen, Observationen und Vertrauenspersonen (VP) eingesetzt. Eingriffe in das Brief, Post und Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in das Grundrecht des Artikels 10 GG (Brief, Post und Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrens vorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief, Post und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10Gesetz - G 10) gere gelt sind. 2 Übrigens: Die Anzahl der G 10Maßnahmen lag im Be richtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.6 Kontrolle Die Tätigkeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehören Kontrollen durch den internen behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe Kon trollen durch Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Nieder sachsen (LfD). Einzelmaßnahmen wie Personenspeicherungen sind gerichtlich nachprüfbar. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 34 NVerfSchG verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten 2 Siehe hierzu auch das folgende Kapitel 1.6. 21 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen des Verfassungsschutzes (AfAV) des Niedersächsischen Landtages umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zu un terrichten. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse. Bei Eingriffen in das Brief, Post und Fernmeldegeheimnis entschei det die sogenannte G 10Kommission3 (SS 3 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10Gesetzes). Im Rahmen der Novellierung des NVerfSchG im Jahr 2016 wurden weitere Zustän digkeiten der Kommission geschaffen. Sie entscheidet als weisungs unabhängige Stelle auch über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz einge setzten eingriffsintensiven nachrichtendienstlichen Mittel, z. B. län gerfristige Observationen oder verdeckt angefertigte Bildaufzeich nungen außerhalb von Wohnungen (SS 14 Abs. 1 i.V.m. SS 21 Abs. 3 NVerfSchG). Diese Kontrollfunktion ist dem Richtervorbehalt des Niedersächsischen Polizei und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) bzw. der Strafprozessordnung (StPO) vergleichbar. 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verste hen sich als Nachrichtendienste. Sie sind gesetzlich auf die Beschaf fung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhän gige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentli che Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im In und Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 3 Die G10Kommission besteht aus einem Vorsitzenden (mit Befähigung zum Richteramt) und zwei Beisitzern, von denen einer auch die Befähigung zum Richteramt haben muss. Die Mitglieder werden vom Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zu Beginn der Wahlperiode bestellt. 22 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.8 Beschäftigte Der vom Landtag verabschiedete Haushaltsplan bestimmt durch die Ausbringung von Stellen, durch die Festlegung von Rahmenbedin gungen für die PersonalGesamtkosten (Personalkostenbudgetie rung) sowie durch das Beschäftigungsvolumen, in welchem Umfang der Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Für das Haus haltsjahr 2020 sind dort Stellen für 289 Beamtinnen und Beamte (2019: 289, 2018: 239) ausgebracht. Darüber hinaus ermöglicht das Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2020 die Finanzierung von zurzeit weiteren 62 Tarifbeschäftigten (2019: 62, 2018: 62). Eckpunkt für den tatsächlichen Gesamtpersonalbestand des Ver fassungsschutzes (in Vollzeit und Teilzeitbeschäftigung) ist das im Haushaltsplan festgelegte Beschäftigungsvolumen. Es betrug zu Be ginn des Haushaltsjahres 2020 insgesamt 334,13 Vollzeiteinheiten (2019: 317,46, 2018: 280,13 VZE). Die Differenz im Beschäftigungsvolumen zwischen den Jahren 2019 und 2020 (+ 25,67 VZE) trotz gleicher Anzahl von Stellen ergibt sich aus der erst zum 01.11.2019 erfolgten haushaltstechnischen Zuwei sung der Stellen, die im Jahre 2019 insoweit kein volles Beschäfti gungsvolumen für das gesamte Jahr, sondern nur 2/12 erforderte. Entwicklung der Beschäftigten zum Beginn des Haushaltsjahres Stellen VZE 400 300 280 260 240 220 284 284 288 286 286 298 298 351 351 269,97 268,37 273,97 269,22 268,24 280,68 280,13 317,46 334,13 200 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 23 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.9 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde wa ren im Haushaltsjahr 2020 für Personalausgaben 20.131.000 Euro (2019: 17.663.000 Euro) und für Sachausgaben 6.637.000 Euro (2019: 5.331.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabe volumen von 26.768.000 Euro. 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Neben seinem Beobachtungs und Aufklärungsauftrag nimmt der Verfassungsschutz zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder auch gesetzlich geregelte Mitwirkungsaufgaben gegenüber anderen Be hörden wahr (SS 3 Abs. 4 NVerfSchG). In diesem Rahmen wird ge prüft, ob den Verfassungsschutzbehörden zu bestimmten, von den anfragenden Behörden näher bezeichneten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Der Datenaustausch zum Zweck dieser Überprüfungen wird inzwischen nahezu vollstän dig mittels eines automatisierten Verfahrens abgewickelt. Im Jahr 2020 wurden 165.695 Mitwirkungsanfragen an den Nieder sächsischen Verfassungsschutz gestellt, was einen Zuwachs von mehr als der Hälfte im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres (2019: 99.865 Anfragen) darstellt. Der Grund für diesen Anstieg liegt in der Neure gelung des Waffenrechts, das 2019 in SS 5 WaffG eine Regelabfrage für die Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit vorsieht, von der auch Jagdscheininhaber betroffen sind. Allein auf diesen neuen Prüfungsbereich entfielen 74.393 Einzelanfragen. Die Zahl der Anfra gen, denen eine sicherheitsbezogene Relevanz zugrunde liegt und die manuell bearbeitet wurden, ist mit 815 Fällen im Vergleich zum Vorjahr (2019: 824) nahezu identisch geblieben. Dies liegt zum einen darin be gründet, dass bei den Regelabfragen nach SS 5 WaffG lediglich 0,05 Prozent eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Dieser Wert liegt 24 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen erheblich unter dem statistischen Mittelwert der vergangenen Jahre, der bei 0,8 Prozent aller Anfragen im Mitwirkungsbereich einzuordnen ist. Zum anderen wurden coronabedingt mit 5.037 Anfragen im VISAVer fahren (2019: 13.967) und 51.275 (2019: 54.967) Aufenthaltsanfragen signifikant weniger Anfragen in Bereichen gestellt, die eine hohe sicher heitsbezogene Relevanz aufweisen. Eine Auswirkung der Pandemielage auf die übrigen Beteiligungsverfahren war nicht zu verzeichnen. Die anfragestärksten Bereiche weisen die folgenden Werte auf: f Beteiligung bei Einbürgerungen (13.676 Anfragen), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach Atomgesetz (6.518 Anfragen), f Zuverlässigkeitsprüfungen nach Luftsicherheitsgesetz (5.194 Anfragen), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Bewachungspersonal (4.395 Anfragen), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (1.156 Anfragen), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen der Dolmetscher des LKA (1.693 Anfragen). Entwicklung der Mitwirkungsaufgaben 200.000 150.000 100.000 50.000 38.225 40.729 43.144 46.173 61.412 82.429 85.419 99.865 165.695 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 25 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Zu den Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes zählen der zeit auch Einzelanfragen nach dem Häftlingshilfegesetz, Ordensge setz, Hafensicherheitsgesetz, Bundesvertriebenengesetz und der Überfall und Einbruchmelderichtlinie. Darüber hinaus bilden Ab fragen nach SS 3 Abs. 4 Nr. 4 NVerfSchG, in welchen der Nieder sächsische Verfassungsschutz mitwirkt, wenn die Überprüfungen im öffentlichen Interesse liegen und die zu überprüfende Person ihr Einverständnis erklärt hat, ein wachsendendes Betätigungsfeld, das im Jahr 2019 auf über 1.000 Anfragen zu den verschiedensten Auf gabenkreisen angewachsen ist. 1.11 Gemeinsames Informations und Analysezentrum Polizei und Ver fassungsschutz Niedersachsen (GIAZNiedersachsen) Das "Gemeinsame Informations und Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZNiedersachsen) stellt be reits seit 2005 einen Baustein innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes Niedersachsen dar, mit dem die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismus und Terrorismusbekämpfung optimiert wurde. Der schnelle Austausch ist entscheidende Voraus setzung für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extre mismus und Terrorismus. Zu den Aufgaben des GIAZNiedersachsen gehören die Zusammenführung und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationen aus den Themenfeldern: f Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug, f Rechtsextremismus und f Linksextremismus. Angelehnt an die Arbeit der gemeinsamen Zentren auf Bundese bene wird auch in Niedersachsen, unter Beachtung des Trennungs gebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, im Rahmen von wöchentlich stattfindenden Lagebesprechungen ein Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz ge währleistet. 26 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Aufbauend auf der langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit im GIAZ hat sich daneben auch der direkte Austausch auf Ebene der Sachbearbeitung fest etabliert. 1.12 Informationsverarbeitung Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist - wie die anderen Verfas sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch - gesetzlich be fugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Da ten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und Dienstvorschriften regeln detailliert die Datenverarbeitungsbefug nisse. Deren Beachtung unterliegt der Kontrolle durch Die Landesbeauf tragte für den Datenschutz Niedersachsen (LfD) und dem in der Verfas sungsschutzbehörde bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete gemeinsame Datenbank, das Nachrichtendienst liche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Be fugnisse personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesam ten NADISDatenbestand zugreifen und Daten abrufen. NADIS ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der ge speicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merk male wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespei chert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Verga be des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabener füllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie in der Regel auf elek tronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten beziehen sich nur teilweise auf Personen, die verfassungsfeindliche, sicher 27 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen heitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2020 folgende personenbezogene NADISSpeicherungen veranlasst (Vor jahreszahlen in Klammern): f im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwir kungsaufgaben 80.688 (74.341), f im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungs schutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 5.489 (5.228). Entwicklung der NADISSpeicherungen SÜ und Mitwirkung Phänomenbezogen 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 51.495 65.656 63.093 69.460 73.226 71.530 75.250 74.341 80.688 20.000 10.000 11.750 9.082 8.473 5.595 5.792 4.561 4.942 5.228 5.489 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 28 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Jeder durch eine Datenverarbeitung Betroffene hat das Recht, einen unentgeltlichen Antrag auf Auskunft über die zu seiner Person ge speicherten Daten zu stellen (SS 30 NVerfSchG). Im Jahr 2020 wurden 283 Auskunftsersuchen (2019: 294) beant wortet. In 261 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkennt nisse gespeichert. Fünf Anfragenden wurde der der Erfassung zu grundeliegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In 17 Fällen wurde den Auskunftsersuchenden der ihrer Erfassung zugrundelie gende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 30 Abs. 3 NVerfSchG an Die Landesbeauftragte für den Daten schutz Niedersachsen (LfD) verwiesen. Entwicklung der Auskunftsersuchen 500 400 300 200 100 275 218 295 195 133 319 450 294 283 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Eine nur eingeschränkte Auskunft bzw. die Ablehnung einer Aus kunftserteilung erfolgt aufgrund der Ablehnungsgründe aus SS 30 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 4 NVerfSchG. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Offenlegung von Informationen Rückschlüsse auf die Identität von Vertrauenspersonen zur Folge haben würde. Auch Er kenntnisse, die der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde von einer anderen Verfassungsschutzbehörde übermittelt werden, dürfen nur mitgeteilt werden, wenn die übermittelnde Behörde zustimmt (SS 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 NVerfSchG i.V.m. SS 6 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG). Jede einzelne Erkenntnis zur Person der Antragstellerin bzw. des An tragstellers wird einer Prüfung unterzogen, so dass in einigen Fällen auch eine eingeschränkte Auskunft erteilt wird, da Ablehnungsgrün de gegen die Mitteilung einzelner Erkenntnisse sprechen können. 29 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.14 Presse und Öffentlichkeitsarbeit Die freiheitliche Verfassung zu schützen, bedeutet nicht nur, ex tremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffent lichkeit darüber zu informieren, so dass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Diese Information ist eine gesetzlich vorgeschrie bene Aufgabe. Gemäß SS 3 Abs. 3 NVerfSchG klärt die Verfassungs schutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswer tungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicher heitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährlich er scheinende Niedersächsische Verfassungsschutzbericht (SS 33 Abs. 2 NVerfSchG). Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfas sungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. Neben dem Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht werden die "Informationen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes" herausgegeben. Diese als pdfDokument zweimonatlich versendete Broschüre richtet sich insbesondere an Polizei, Justiz und kommu nale Ordnungsbehörden, aber auch an Mitglieder von Gremien des Niedersächsischen Landtages und Nachrichtendienste. Die Broschüre informiert über aktuelle Themen des Niedersächsischen Verfas sungsschutzes. Die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Prävention wer den in den Organisationsbereichen Presse und Öffentlichkeitsarbeit sowie dem fachübergreifend arbeitenden Bereich der Prävention (siehe Kapitel 6 dieses Berichts) des Niedersächsischen Verfassungs schutzes koordiniert. Beide Bereiche arbeiten eng zusammen und bieten der Öffentlichkeit u. a. Informationen über f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Extremismus mit Auslandsbezug, insbesondere Islamismus und f Präventionsmaßnahmen. 30 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Bereich der Presse und Öffentlichkeitsarbeit ist auch Ansprechpartner für Medienvertreterin nen und vertreter und Bürgerinnen und Bürger in allen Fragen zum Extremismus. Die Bürger und Presseanfragen an die Verfassungsschutz behörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Dabei wird häu fig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. Neben den Anfragen von Medien und Bürgern wird z. B. Unterstützung erbeten von Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Wissen schaftlerinnen und Wissenschaftlern, die für ihre Arbeiten auf Informa tionen oder Dokumente des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zu rückgreifen möchten. Häufig werden auch Hinweise auf extremistische Flyer, Plakate oder Internetveröffentlichungen aufgenommen und an die entsprechenden Fachbereiche weitergeleitet. Ebenso wurden Anhalts punkte für eine Radikalisierung einer Person entgegengenommen und unter Einhaltung der Datenschutzregelungen entschieden, wie mit der Information weiter zu verfahren ist. Neben einer Weiterleitung an den jeweiligen Extremismusfachbereich bzw. die Polizei kommt auch eine Beratung mit dem Fachbereich Prävention in Betracht bzw. die Einschal tung einer zivilgesellschaftlichen Organisation oder einer Sozialbehörde. Sowohl bei den Medienkontakten als auch bei allen anderen An fragen dominiert thematisch der Komplex "Rechtsextremismus". Mit Abstand folgen Themen des Islamismus, des Linksextremismus und Fragen zur Organisation, den gesetzlichen Grundlagen, den Be fugnissen oder der Verfahrensweise des Verfassungsschutzes. Der Schwerpunkt der Themensetzung wird maßgeblich durch den je weils aktuellen öffentlichen Diskurs mitbestimmt. Die fortschreitende Digitalisierung macht sich nicht nur in vielen Aspekten des alltäglichen Lebens bemerkbar, sondern beeinflusst ferner die bisher genutzten Medien und die damit einhergehende Informationsaufnahme. Aber auch extremistische Inhalte und Propaganda können so unge filtert die Meinungsbildungsprozesse beeinflussen und Falschmeldun 31 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen gen, sogenannte Fake News, können sich viel schneller verbreiten. Besonders gefährdet sind hier jüngere Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netzwerke, die die Informationen, ohne sie zu hinterfragen, in ihren Meinungsbildungsprozess einbringen. Nicht immer geschieht dies bewusst, meist werden die Informationen unbewusst verarbeitet und beeinflussen dann die eigene Meinung. Daher ist es umso wichtiger, gerade die jungen Nutzerinnen und Nutzer über Gefahren solcher extremistischen Inhalte aufzuklären und sie für diese zu sensibilisieren. Aufgrund deren zunehmender Bedeutung entschied sich der Nieder sächsische Verfassungsschutz für eine Präsenz in den sozialen Netz werken. Wir leiten dies auch aus der Verpflichtung nach SS 3 Abs. 3 NVerfSchG ab, die Bürgerinnen und Bürger über extremistische Ent wicklungen aufzuklären und zu informieren. Seit Herbst 2019 ist der Niedersächsische Verfassungsschutz auf Facebook, Twitter und Telegram und seit Dezember 2020 auf Instagram vertreten. Soziale Medien bieten eine gute Möglichkeit, um mit den Bürge rinnen und Bürgern in Kontakt zu treten und einen Austausch an zubieten. Im Mittelpunkt der Aktivitäten in den Sozialen Medien steht für den Niedersächsischen Verfassungsschutz das Ziel, die Bür gerinnen und Bürger über extremistische Inhalte und Propaganda aufzuklären und ihre Sinne diesbezüglich zu schärfen. Im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern steht Transparenz an erster Stelle. Durch die verstärkte Präsenz des Verfassungsschutzes in den sozi alen Netzwerken soll die Präventions bzw. Aufklärungsarbeit des Verfassungsschutzes ausgeweitet und unterstützt werden. Grundsätzlich lebt ein solcher Account in den Sozialen Medien nicht nur von den Erstellerinnen und Erstellern der Beiträge, sondern auch von den aktiven Nutzerinnen und Nutzern. Wir möchten Sie daher ermuntern, unsere Accounts durch Fragen und einen regen Aus tausch mitzugestalten. 32 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Unsere Angebote in den Sozialen Medien erreichen Sie wie folgt: Facebook: https://www.facebook.com/Verfassungsschutz.Niedersachsen Instagram: https://instagram.com/inform.ella Twitter: https://twitter.com/LfV_NI Telegram: https://t.me/fairfassung 1.15 Kontaktdaten Für Fragen steht der Bereich der Presse und Öffentlichkeitsarbeit beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfü gung: Telefon: 0511 6709217 EMail: oeffentlichkeitsarbeit@mi.niedersachsen.de Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert zudem umfas send unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageab wehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Nie dersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf der Internetseite des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service/Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Bro schüren und Flyer des Verfassungsschutzes veröffentlicht. 33 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Über Bestrebungen, bei denen aufgrund der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorerst der Verdacht besteht, extremistisch zu sein, wird nicht be richtet. Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibwei se der dem Zitat zugrundeliegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein, als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 34 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 35 02 Rechtsextremismus Rechtsextremismus MitgliederPotenzial 4 2.1 Den strukturellen Veränderungen im organisierten Rechtsextremis mus haben die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern mit einem neuen Kategoriensystem Rechnung getragen. Insbesondere die Grenzen zwischen der subkulturellen und der neonazistischen Szene lösen sich in den letzten Jahren mehr und mehr auf. Der Neonazismus ist zunehmend strukturloser geworden und vermischt sich zusehends mit dem subkulturellen Bereich. Ideologische und organisatorische Unterschiede sind immer schwerer auszumachen. Seit dem Jahr 2017 erfolgt deshalb die Kategorisierung nach Parteien, nach parteiunab hängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und als weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. RechtsextremismusPotenzial Bundesrepublik Deutschland 2019 2020 In Parteien 13.330 f "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 3.600 f "Die Rechte" 550 f "Der III. Weg" 580 f Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien5 8.600 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen 6 6.600 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial7 13.500 Summe 33.430 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 8 32.080 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten9 13.000 4 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 5 Unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden die Mitglieder der Partei "Freie Bürger Union (FBU) - Landesverband Saarland" und der bayrischen Kleinpartei "Deutsche Konservative" gezählt sowie die Mit glieder der Teilorganisationen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), "Junge Alternative" (JA) (Verdachtsfall) und "Der Flügel" (erwiesenermaßen extremistisch). Die AfD selbst ist kein Beobachtungsobjekt. 6 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) gezählt. 7 Die derzeit 1.000 rechtsextremistischen "Reichsbürger und Selbstverwalter" finden sich in den Kategorien 2 und 3. 8 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 9 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 38 Rechtsextremismus RechtsextremismusPotenzial Niedersachsen 2019 2020 In Parteien 305 905 f "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 240 230 f "Die Rechte" 30 40 f "Der III. Weg" 10 10 f Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien10 25 625 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen11 335 335 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial12 590 590 Summe 1.230 1.830 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.160 1.750 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten13 880 880 2.2 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideo logieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu nennen sind im Einzelnen: f Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, f Antisemitismus, f Rassismus, f Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, f Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), 10 Für 2020 werden unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien die Mitglieder der AfDTeil organisationen "Junge Alternative" (JA) und "Der Flügel" gezählt. Die AfD selbst ist kein Beobachtungsobjekt. 11 Hierunter wird auch das Personenpotenzial der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) gezählt. 12 Die derzeit 50 rechtsextremistischen "Reichsbürger und Selbstverwalter" finden sich in den Kategorien 2 und 3. 13 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPDMitglieder enthalten. 39 Rechtsextremismus f Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksge meinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), f Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), f Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), f Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), f Ablehnung demokratischer Regelungs formen bei Konflikten, f Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), f Relativierung der Verbrechen des Natio nalsozialismus (Geschichtsrevisionismus), f Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien (Ethnopluralismus). Fremdenfeindlichkeit Die Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Anti semitismus sind die zentralen Begriffe des Rechtsextremismus. Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggres sion werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechts extremistischen Denkens. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassis mus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen bio logisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkma len der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen mensch lichen Rassen". 40 Rechtsextremismus Antisemitismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden so wohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust14) sind antisemitische Ein stellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechts extremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Neonazismus Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neo oder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die "Hilfsorganisation für nationale politi sche Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG). Innerhalb der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) ist der neo nazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Ent wicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der NPD übernommen haben. Faschismus Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebun gen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Na tionalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus 14 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). 41 Rechtsextremismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. Geschichtsrevisionismus Der Begriff Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deut schen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionisti sche Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der his torischen Identitätsstiftung. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dele gitimieren. 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus Die CoronaPandemie hat im Berichtszeitraum nicht nur Politik und Gesellschaft beherrscht, sondern auch die Entwicklung des Rechts extremismus wesentlich bestimmt. Dies betrifft sowohl die Mobi lisierungs und Aktionsfähigkeit als auch die thematische Schwer punktsetzung. Zur analytischen Einordnung der Entwicklung im Phänomenbereich Rechtsextremismus ist deshalb ein Blick auf die eigendynamischen Prozesse, die von der CoronaPandemie im poli tischen und gesellschaftlichen Raum ausgelöst wurden, unerlässlich. Parallel zu den Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesre gierungen zur Eindämmung der Pandemie bildeten sich Protestfor men von CoronaLeugnerinnen und Leugnern und selbsternannten Querdenkerinnen und denkern heraus, die aufgrund ihrer Merk male für rechtsextremistische Organisationen anschlussfähig sind und die ihrerseits zum Teil Züge verfassungsfeindlichen Denkens aufweisen. Letztere zeigen sich in oft antisemitisch eingefärbten verschwörungstheoretischen Positionen, in der Überzeugung einen imaginierten Volkswillen gegen das herrschende Establishment zu 42 Rechtsextremismus vertreten und, daraus abgeleitet, in der Herabwürdigung des Par lamentarismus, in der Delegitimierung demokratischer Entschei dungsprozesse und in der Schmähung handelnder demokratisch legitimierter Politikerinnen und Politiker. Als Gesamtbild entsteht der Eindruck einer ebenso fundamentalen wie diffusen Systemkritik. Fundamental ist diese Systemkritik, weil sie über den konkreten Anlass der CoronaPandemie hinaus Positio nen offenbart, die die parlamentarische Demokratie ablehnen. Diffus ist die Kritik, weil sie weder in einen theoretischen noch in einen ideologischen Rahmen eingebettet ist. Rechtsextremistischen Orga nisationen eröffnet dies die Möglichkeit, das Demonstrationsgesche hen auf der Basis einer geteilten Systemablehnung ideologisch zu beeinflussen und propagandistisch zu nutzen. Eindrückliche Beispiele für solche Instrumentalisierungsversuche durch Rechtsextremisten sind die Demonstrationen von Gegnern der CoronaMaßnahmen am 29.08.2020 in Berlin und am 07.11.2020 in Leipzig. Rechtsextremisti sche Organisationen hatten im Vorfeld der Veranstaltungen umfang reich für eine Teilnahme mobilisiert. Bereits seit Beginn der Pandemie im März 2020 war im Internet eine massive rechtsextremistische Pro pagandaoffensive gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie zu verzeichnen gewesen. Unabhängig von solchen Beeinflussungsversuchen wird der Fokus darauf zu richten sein, ob Demonstrationen von Querdenkerinnen und denkern und CoronaSkeptikerinnen und Skeptikern einen Trend zur weiteren Radikalisierung aufweisen und neue Formen demokratiefeindlichen Denkens indizieren. Die Nichtakzeptanz de mokratischer Regulierungsmechanismen, der grundsätzliche Zwei fel an faktenbasierten Entscheidungsprozessen, die Orientierung an Verschwörungstheorien, Kampfbegriffe wie "CoronaDiktatur" oder "Ermächtigungsgesetz" und die Überzeugung, dass die eta blierten Medien von Eliten gesteuert werden, um die Bevölkerung zu manipulieren, bilden eine Mixtur, die die Grundlagen der frei heitlichen demokratischen Grundordnung unterminiert. Die Verfas sungsschutzbehörden werden im Blick behalten, ob sich hieraus ein Extremismus eigener Art ("sui generis") entwickelt. In Niedersachsen zeigte sich die beschriebene Entwicklung nicht so ausgeprägt wie in anderen Bundesländern. Die größten De monstrationen im Zusammenhang mit den CoronaMaßnahmen 43 Rechtsextremismus fanden in der Hauptstadt Berlin, in Sachsen und in den süddeut schen Bundesländern statt. Rechtsextremisten und Reichsbürger mobilisierten vornehmlich für diese Großveranstaltungen, zu denen auch Rechtsextremisten aus Niedersachsen anreisten. Im Vergleich mit dem bundesweiten Demonstrationsgeschehen spielten die nie dersächsischen Veranstaltungen insgesamt eine nur untergeordnete Rolle. Verschwörungstheoretische Ansätze sowie pauschalisierende Eliten und Medienkritik waren aber auch hier zu beobachten, eben so wie die Beteiligung von Rechtsextremisten, ohne dass diese den Charakter der Veranstaltungen prägen konnten. Der geringfügige Einfluss von Rechtsextremisten auf das hiesige Demonstrationsgeschehen wirft ein Schlaglicht auf die organisierte rechtsextremistische Szene in Niedersachsen insgesamt. Die bereits in den letzten Jahren beschriebene Struktur und Mobilisierungs schwäche verschärfte sich unter CoronaBedingungen weiter. Die nur noch 230 Mitglieder zählende "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) trat mit drei auf Provokation angelegten kleinen Kundgebungen in Eschede (Landkreis Celle) und einer etwas größe ren Demonstration am 24.10.2020 in Braunschweig in Erscheinung. Zum Ankerpunkt für den NPDLandesverband hat sich der von der Partei erworbene "Hof Nahtz" in Eschede entwickelt, der unter der Bezeichnung "Nationales Niedersachsen" zu einem Gemeinschafts zentrum für die Szene umgebaut werden soll. Angesichts der Mar ginalisierung der NPD, die ihre Führungsrolle in der neonazistischen Szene schon vor Jahren verloren hat, erscheint es derzeit wenig re alistisch, dass sich das Anwesen zu einem Anlaufpunkt von bundes weiter Bedeutung für Rechtsextremisten entwickelt. Die Sicherheits behörden schauen ganz genau hin und verfolgen die Entwicklung vor Ort sehr intensiv, nicht nur, um etwaige Radikalisierungsten denzen durch den Zulauf jüngerer Neonazis erkennen zu können, sondern auch um einem Ausbau zu einem Gemeinschaftszentrum möglichst frühzeitig entgegenzuwirken. Die Jugendorganisation der NPD, die "Jungen Nationalisten" (JN), ha ben ihren Aktivitätsschwerpunkt im östlichen Niedersachsen, speziell in Braunschweig, wo sie mit Flugblattaktionen und zwei resonanzlo sen Kundgebungen gegen den "CoronaWahnsinn" öffentliche Auf merksamkeit auf sich ziehen wollten. Der Bedeutungsverlust der JN 44 Rechtsextremismus kommt in der 2018 getroffenen Entscheidung zum Ausdruck, die drei Landesverbände Hamburg, Bremen und Niedersachsen zum JNLandesverband Nord zusammenschließen. Ohne verstärkte Vernetzungsbestrebungen, das ist eine Beobachtung der letzten Jahre, würden die marginalisierten rechtsextremistischen Parteien und die neonazistische Szene in Niedersachsen ihre bereits ein geschränkte Handlungsfähigkeit vollends verlieren. Folgerichtig stehen die JN in enger Verbindung zur Partei "Die Rechte", die ihrerseits wiederum mit Aktivisten aus dem Bereich der Freien Nationalisten eng verwoben ist. Vom Landesverband der Partei "Die Rechte" gingen im Berichts jahr mit Abstand die meisten öffentlichkeitswirksamen rechts extremistischen Aktivitäten in Niedersachsen aus. Zurückzu führen ist dies wesentlich auf den im Februar neugegründeten Kreisverband Einbeck /Northeim durch Mitglieder der kurz zuvor aufgelösten "Kameradschaft Einbeck", wodurch sich der Mit gliederbestand des Landesverbandes von 30 auf 40 Personen erhöhte. Die zahlreichen Aktivitäten vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die unverhohlen antisemitische Partei "Die Rechte" mit ihren vergangenheitsbezogenen geschichtsre visionistischen Themen nicht anschlussfähig an das bürgerliche Spektrum ist. Ein Beleg hierfür sind die erfolglosen Versuche, den CoronaSkeptizismus in Teilen der Bevölkerung mit Kundgebun gen aufzugreifen. Die Frage nach den politischen Erfolgsaussichten ist also zu vernach lässigen, nicht aber das aus der Gewaltbereitschaft resultierende Gefahrenpotenzial. Im Juni verübten zwei Mitglieder des Kreisver bandes in Einbeck einen Anschlag mit illegalen sogenannten Polen böllern auf die Wohnungstür einer Frau, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert. Das Amtsgericht Einbeck verurteilte die Angeklagten am 24.11.2020 zu zweieinhalb Jahren Haft bzw. wegen Mittäterschaft zu 15 Monaten auf Bewährung. Ungeachtet der strukturellen Marginalisierungstendenzen kenn zeichnet die neonazistische Szene unverändert ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft, das in ihrem sozialdarwinistischen und antisemi tischen Weltbild ideologisch tief verankert ist. Die Beobachtung der neonazistischen Szene bildet deshalb weiterhin einen Arbeitsschwer 45 Rechtsextremismus punkt der Verfassungsschutzarbeit. Die Entwicklung der ehemaligen "Kameradschaft Einbeck" verdeutlicht, wie fließend die Übergänge im neonazistischen Bereich des Rechtsextremismus geworden sind. Sie spiegelt zugleich den Bedeutungs und Attraktivitätsverlust des vor einem Jahrzehnt in Niedersachsen noch dominierenden Organi sationsmodells der neonazistischen Kameradschaften wider. Das Zusammenwirken in losen Netzwerken über größere geogra fische Räume hinweg und die Kooperation mit Mitgliedern der rechtsextremistischen Parteien oder mit überwiegend subkultu rell geprägten Bruderschaften wie "Nordic 12", "Brigade 8" und "Blood Brother Nation" sind der Versuch, den Bedeutungsverlust zu kompensieren. Am ehesten gelingt dies noch in den südlichen und südöstlichen Landesteilen. Insgesamt aber bietet sich ein äußerst heterogenes Bild, das nur noch rudimentär an das ursprüngliche Organisationsmodell der miteinander vernetzten Kameradschaften erinnert. Entsprechend gering ist inzwischen die Mobilisierungskraft. Größere Demonstrationen mit überregionaler Beteiligung, durch die die neo nazistische Szene öffentliche Wirkung erzielen möchte, haben an Zulauf und Bedeutung verloren. An der von norddeutschen Neona zis initiierten Kampagne "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) betei ligten sich 2020 in Worms nur noch 60 Rechtextremisten. Die Kam pagne wird aller Voraussicht nach eingestellt. Die Geschichte des Trauermarsches in Bad Nenndorf, der bereits 2015 letztmals durchgeführt wurde, ist ein weiterer Beleg für den Strukturwandel des Rechtsextremismus, wel cher durch die Auswirkungen der CoronaPandemie noch verstärkt wurde. Die abnehmende Sichtbarkeit des Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit bedeutet keineswegs, dass die von ihm ausge henden Gefahren geringer geworden sind - im Gegenteil. Parallel zum beschriebenen Trend haben sich das Internet und die veränder ten Formen der Kommunikation zu Keimzellen eines gewandelten Rechtsextremismus entwickelt, und das mit gravierenden Folgen. Während die staatlichen Aufklärungs und Sanktionsmöglichkeiten somit erschwert werden, vergrößert sich die Reichweite rechts extremistischer Agitation, entstehen Netzwerke auf antisemitischer und rassistischer Basis jenseits des tradierten Rechtsextremismus 46 Rechtsextremismus und werden Radikalisierungsprozesse durch den permanenten Aus tausch mit Gleichgesinnten in den "Echokammern" des Internets beschleunigt. Als Folge stehen die Sicherheitsbehörden vor der Herausforderung, auf neue Formen von Gefährdungssachverhalten reagieren zu müs sen. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle (SachsenAnhalt) ist ein drastisches Beispiel für die veränderte Gefahrenlage. Der Täter, der keine Verbindung zum organisierten Rechtsextremismus aufwies, handelte in der Überzeugung, ein Fanal im Namen einer ideologisch gleichgesinnten Netzgemeinde zu setzen. Er verübte den Anschlag zwar als Einzeltäter, verstand sich aber dennoch als Teil eines inter nationalen Geflechts aus Antisemiten, Rassisten und Verschwörungs theoretikern. Mit Blick auf Resonanz im Internet handelte auch Tobias Rathjen, der am 19.02.2020 in Hanau (Hessen) vor zwei SishaBars neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss. Vor dem An schlag hatte er im Internet ein Pamphlet verbreitet, in dem er unter dem Einfluss von Verschwörungstheorien und geleitet von einem ras sistischen Weltbild Vernichtungsfantasien entwickelte. Der Täter wies ebenfalls keinen Bezug zum organisierten Rechtsextremismus auf. Ein weiteres Beispiel für die veränderte Gefahrenlage ist die nach ihrer Führungsfigur benannte "Gruppe S.". Im November erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen zwölf Mitglieder wegen Bil dung einer terroristischen Vereinigung. Die "Gruppe S." hatte über Netzkontakte zusammengefunden, bevor sie Treffen in der Realwelt durchführte. Sie verfolgte das Ziel, über Anschläge u. a. auf Moscheen bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen und auf diese Weise das politische System zu destabilisieren. Eine wesentliche Rolle spielte Tony E. aus dem Landkreis Uelzen, der zuvor als Angehöriger der Gruppierung "Freikorps Heimatschutz" bekannt war. Ähnlich einzuordnen ist die vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat am 23.06.2020 verbotene Gruppierung "Nordadler", die über diverse Internetplattformen und in offenen und geschlos senen ChatGruppen nationalsozialistische und antisemitische Posi tionen verbreitete. An der Gruppierung waren auch Personen aus Niedersachsen beteiligt. Vom Komplex des neonazistischen und gewaltbereiten Rechtsextre mismus zu unterscheiden sind neurechte Strömungen, die unter Bei behaltung der institutionellen Formen des demokratischen Rechts 47 Rechtsextremismus staats eine Umwertung seiner normativen Grundlagen betreiben. Eine eng miteinander verknüpfte Allianz, zu der InternetPlattfor men wie PINews, Organisationen wie die "Identitäre Bewegung", und neurechte Autoren bzw. Verlage gehören, ist bemüht, die Diskurshoheit zu erringen und Begriffe zu bestimmen, indem z. B. der Islam mit dem Islamismus systematisch gleichgesetzt oder der Begriff Flüchtling mit ausschließlich negativen Assoziationen ver wendet wird. Die ausgiebig genutzte Möglichkeit, entsprechende Positionen über das Internet zu verbreiten, hat den Wirkungsradius und die Wirkmacht neurechter Akteure deutlich vergrößert. Neurechte Ideologen knüpfen an eine Entwicklung an, die Sozialwis senschaftlerinnen und wissenschaftler mit den Worten Radikalisierung von Ressentiments beschreiben. Sie sind bemüht, eine aufgeheizte, zum Teil hasserfüllte Stimmung, wie sie sich in vielen Foren und Chat gruppen zeigt, mit verschwörungstheoretischen Erklärungsansätzen vom drohenden "Volkstod" oder einem geplanten "Bevölkerungsaus tausch" ideologisch auszurichten. Ihre Argumentation in Kategorien der Ungleichwertigkeit ist ungleich subtiler als die offen rassistische, sozialdarwinistische und antisemitische Propaganda der Neonazis. Hinter dem von ihnen vertretenen ethnopluralistischen Ansatz ver birgt sich erst bei genauerer Betrachtung ein Homogenitätsdenken, das die Individualrechte und die realen gesellschaftlichen Verhält nisse negiert. In neurechten Theorien bildet die ethnische Zugehö rigkeit die zentrale Bezugsgröße und nicht die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte. Konsequenterweise wird die Einzelperson nach ihrer ethnischen Gruppenzugehörigkeit und nicht nach ihrer Individualität bewertet. Zwischen den Ethnien wiederum bestehen Rangunterschiede, wie sich am Beispiel abwertender Äußerungen insbesondere über Muslime nachweisen lässt. In einer Gesamtbe trachtung entlarvt sich der ethnopluralistische Ansatz somit als ein kulturrassistisches Konstrukt. Der Bedeutungszuwachs neurechter Diskurse ist schon seit länge rem zu beobachten. Am augenfälligsten dokumentierte sich diese Entwicklung im Aufstieg der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD), die mit öffentlichkeitswirksam inszenierten Aktionen auf Prä senz vor allem in den Sozialen Medien zielte. Seitdem einige Anbieter der IBD den Internetzugang gesperrt haben, hat die Organisation an Wirkkraft verloren. Ihre Entwicklung stagniert. Der Einfluss neurech 48 Rechtsextremismus ter Ideologie bleibt hiervon unberührt. Mittlerweile haben neurechte Positionen über den "Flügel", einen parteiinternen Personenzusam menschluss innerhalb der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), Eingang in den parlamentarischen Raum gefunden. "Der Flügel" ist seit dem 19.03.2020 Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, weil er auf der Basis des neurechten ethnoplu ralistischen Ideologieansatzes für eine Individualrechte negierende, Minderheiten ausgrenzende, ethnisch homogene Gesellschaftsord nung eintritt. Formell hat sich der "Flügel" zwar am 30.04.2020 aufgelöst, informelle Strukturen und Einfluss aber bestehen fort. Deutlich wurde dies bei der Abwahl des Landesvorstandes der nie dersächsischen AfD. Die bisherige Landesvorsitzende erklärte ihren Austritt aus der Partei und begründete dies mit "der Dominanz des rechtsextremen Flügels". Die heftigen innerparteilichen Aus einandersetzungen sind Ausdruck einer tiefgreifenden Zerstritten heit um Grundsatzpositionen. Die Beobachtung durch den Verfas sungsschutz wird sich darauf konzentrieren, die Verbindungen des "Flügels" zu anderen Bereichen des Rechtsextremismus aufzuklären und zu beobachten, ob und inwieweit es seinen Vertretern gelingt, die Gesamtausrichtung der AfD zu bestimmen. Fazit: Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus muss auf zwei Ebenen geführt werden. Auf der einen Seite sind durch die veränderten Einfluss und Rekrutierungsmöglichkeiten via Internet neue Formen des gewaltbereiten Rechtsextremismus entstanden. Die Sozialisierung von potenziellen Gewalttätern in traditionellen rechtsextremistischen Organisationen allein steht nicht mehr im Vordergrund. Mindestens von ebenso großer Bedeutung sind Radi kalisierungsprozesse, die sich unter dem Einfluss des Internets voll ziehen. Die Sicherheitsbehörden stehen vor der Herausforderung, ihr prognostisches Instrumentarium und ihre Aufklärungsmethodik dieser Entwicklung anzupassen. Auf der anderen Seite wird der demokratische Rechtsstaat von rechtsextremistischen Strömungen herausgefordert, die darauf ausgerichtet sind, seine normativen Grundlagen zu unterminieren, ohne auf das Mittel der physischen Gewalt zurückzugreifen. Das veränderte Kommunikations und Informationsverhalten ist ein ent 49 Rechtsextremismus scheidender Faktor für den Erfolg solcher demokratiefeindlichen Strömungen. Präventionsmaßnahmen müssen dies berücksichtigen. Vor allem aber müssen sie bereits auf der Einstellungsebene, bei der Vorurteilsbildung ansetzen, wenn die Verbreitung von demokratie feindlichen Positionen eingehegt werden soll, die im schlimmsten Fall zu einem Kreislauf von Hasspropaganda und Gewaltanwendung führen kann. "Völkische Siedler" Im Zusammenhang mit der Bildung rechtsextremistischer Netzwer ke sind die durch die mediale Berichterstattung wiederholt in den Blickpunkt gerückten sogenannten völkischen Siedler als ein eigen ständiges Phänomen zu betrachten. Als völkische Siedler werden Familien bezeichnet, die im ländlichen Raum eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkischnationalistischen Ideologie pflegen. Nach außen geben sie sich harmlos und unauf fällig. Innerhalb ihres kinderreichen Familien und Freundeskreises leben sie nach völkischen Denk und Verhaltensmustern. Dabei orientieren sie sich an der von den Nationalsozialisten propagierten Volksgemeinschaft, die als eine "geschichtlich gewachsene Bluts gemeinschaft" verstanden wird. Das Attribut ist somit ein in sei nem Kern rassistischer Begriff, der die Ausgrenzung anderer Ethnien beinhaltet. Völkische Siedler bevorzugen dünnbesiedelte Landstriche, um ihre "Volksgemeinschaft" wirtschaftlich unabhängig und weitgehend ungestört leben zu können. Junge Paare oder Familien erwerben in diesen Regionen zu günstigen Konditionen Resthöfe und Bau ernhäuser und restaurieren diese gemeinsam mit Freunden und Verwandten. Der Großraum LüneburgUelzenLüchowDannenberg ist eine Schwerpunktregion für völkisch orientierte Familien in Nie dersachsen. Völkische Familien sind dort seit vielen Generationen ansässig oder haben ihren Lebensmittelpunkt in diese Region verla gert. Die engen familiären Verbindungen reichen zum Teil in die Zei ten gemeinsamer Mitgliedschaft in den verbotenen Organisationen "WikingJugend" und "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) zurück. Als Organisationen mit Bezug zu den völkischen Siedlern sind u. a. der "Sturmvogel", der "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." oder die "Artgemeinschaft - Germanische GlaubensGemeinschaft 50 Rechtsextremismus wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." anzuführen.15 Ihre völki schen und rassistischen Positionen gehören zu den grundlegenden Elementen rechtsextremistischer Ideologie. Folgerichtig sind viele Personen aus dem Bereich der völkischen Siedler zugleich Mitglieder in diversen rechtsextremistischen Organisationen wie der "Identitä ren Bewegung". Im Vordergrund steht für sie aber das Bestreben, zu der von ihnen abgelehnten Gesellschaftsordnung eine völkische Gegenwelt zu schaffen, in der sie nach ihren Normen völkischkul tureller Homogenität leben. Siedlungsprojekte sind in der rechtsextremistischen Szene immer wieder diskutiert und initiiert worden, ohne dass es über die re gionalen Ansätze hinaus zu einer flächendeckenden Realisierung gekommen wäre. In einer Gesamtbetrachtung des Rechtsextre mismus gehen von völkischen Siedlern zwar keine ideologischen Zentrifugalkräfte aus, auf lokaler Ebene aber können sie mit ihren ausgrenzenden Positionen zur Belastung für das gesellschaftliche Zusammenleben werden. Präventionsansätze müssen deshalb unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure auf die jeweilige Situati on vor Ort zugeschnitten sein. Dem Verfassungsschutz obliegt es, zu beobachten und zu analysieren, ob sich aus dem Zusammenwirken völkischer Siedler dynamische Netzwerkstrukturen von überregiona ler Bedeutung herausbilden. 2.4 Rechtsextremistische Musikszene Gründung/ 1980er Jahre Bestehen seit Struktur/ Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten subkulturellen Repräsentanz rechtsextremistischen Szene; eine Ausnahme bilden die "Hammer skins" mit einem festen hierarchischen Aufbau; viele Szeneange hörige im jugendlichen Alter Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A.16 Land: 590 Unterstützer 15 Vgl. BTDrs. 19/16742 vom 23.01.2020. 16 Für den Bund wird seit dem Jahr 2018 das MitgliederPotenzial der subkulturell gepräg ten Rechtsextremisten nicht mehr gesondert ausgewiesen; siehe Kapitel 2.1, "Mitglieder Potenzial". 51 Rechtsextremismus Veröffentlichungen Publikationen: CDVeröffentlichungen, Fanzines; WebAngebote: OnlineVersände, Bekanntmachung von Konzertterminen über Foren, Veröffentlichungen von Videos Kurzportrait/Ziele Der subkulturelle Bereich im Rechtsextremismus ist hauptsäch lich von szenetypischer Musik und einem damit verbundenen - nicht selten gewaltorientierten - Lebensstil geprägt. Dabei zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass die subkulturelle Szene zunehmend an eigenständiger Bedeutung verloren hat. Sichtbar wird dieser Wandel vor allem in dem fast vollständigen Verschwin den von rechtsextremistischen Skinheads aus dem öffentlichen Straßenbild, welche in den 1980er und 1990er Jahren die gewalt bereite rechtsextremistische Szene maßgeblich geprägt hatten. Zu beobachten sind stattdessen informelle, eher strukturlose Gruppen oder Personenzusammenschlüsse, die kaum regelmäßige Aktivitäten entfalten, die keinen festen Mitgliederstamm haben und die nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind daher zusehends fließend und verschwommen, so dass eine Unterscheidung nach trennscharfen Kriterien immer schwieriger wird. Rechtsextremistische Einstellungsmuster sind von größerer Bedeutung als die organisatorische Anbindung an eine bestimmte Gruppierung. In der von Männern dominierten Szene spielen Frauen eine untergeordnete Rolle, auch wenn diese nicht zu vernach lässigen ist und in ihrer Bedeutung für die subkulturelle Szene nicht unterschätzt werden darf. Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell gepräg ten Rechtsextremisten kommt dabei unreflektiert, häufig spon tan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Eine wichtige Rolle spielt hier die rechtsextremistische Musik mit ihrer aufputschenden Wirkung. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Rechtsextremistische Musik ist zugleich ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szene angehörigen. Rechtsextremistische Parteien nutzen rechtsextre mistische Bands und Liedermacher, um ihre Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. In Niedersachsen 52 Rechtsextremismus allerdings ist aufgrund der geringen Attraktivität und der politi schen wie organisatorischen Schwäche der rechtsextremistischen Parteien eine derartige Feststellung nicht zu treffen. Allgemein hat die Musik jedoch den Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremden feindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik erstreckt sich von Black Metal über Schlager bis zu Balladenmusik. Daneben haben die Stilrichtungen Rap und HipHop an Akzeptanz gewonnen, welche insbesondere bei Angehörigen der "Identitären Bewe gung" auf Resonanz stoßen. Den größten Zuspruch innerhalb der subkulturellen Szene erfährt unverändert die Stilrichtung Rock against Communism (RAC). Finanzierung Verkauf von rechtsextremistischen Tonträgern sowie Handel mit Devotionalien, darunter Kleidung, die mit rechtsextremistischen Aussagen bedruckt ist. Handel und Verkauf dienen teilweise aus schließlich wirtschaftlichen Interessen, während Einnahmen aus Musikveranstaltungen mitunter Aktivitäten finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Beobachtungswürdigkeit ergibt sich aus der fremdenfeindlichen Grundeinstellung und aus der Gewaltanwendung oder der Bereit schaft zur Gewalt, die für subkulturell geprägte Rechtsextremisten einen Ausdruck von Männlichkeit und Dominanz darstellt. Gewalt wird insbesondere unter Alkoholeinwirkung zuweilen hemmungslos, brutal und meistens spontan ausgelebt. Auch die Liedtexte rechts extremistischer Musik fördern gewaltorientierte Aktivitäten; sie transportieren Gewaltphantasien, Aufrufe zu Gewalt oder vermitteln Feindbilder. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getra gen können die Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Hiermit richten sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten ge gen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits, Gleichheits und Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) sowie gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG). Damit sind sie verfassungsfeindlich; ihre Beobachtung richtet sich nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 53 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist für die subkulturelle Szene von einem hohen werbestrategischen Stellenwert. Gleiches gilt für die neona zistische Szene und für die rechtsextremistischen Parteien NPD, "Die Rechte" und "Der III. Weg". Musik hat insbesondere für den Einstieg in die rechtsextremistische Szene eine wichtige Funktion. Damit ist rechtsextremistische Musik ein wesentlicher Faktor für die Ausprä gung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen und dient darüber hinaus dem Zweck, rechtsextremistische Ideologien - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Aufgrund der allgemeinen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie konnte jedoch die rechtsextremistische Musikszene im Jahr 2020 dieser Funktion kaum nachkommen. Dagegen weist die Anzahl der Zugriffe auf rechtsextremistische Mu sikvideos im Internet darauf hin, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinaus reicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre so ziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und die nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Musik ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit.17 Das Jahr 2020 war geprägt von verschwörungsideologischen Theorien. In diesem Zusammenhang veröffentlichte der ehemals in Nieder sachsen ansässige Vertrieb "Das Zeughaus" (Bayern) ein Musikvideo des Bandprojekts "Zillertaler Virenjäger" mit dem Titel "Fahrt zur Hölle". Im Songtext wird die CoronaPandemie verschwörungstheo retisch mit rechtsextremistischem Unterton thematisiert: "Die WHO, das RKI und die gefakte Pandemie. Ein teuflischer Plan. 17 Siehe Kapitel 6. 54 Rechtsextremismus ... Gleichgeschaltet jedes Land, eure Agenda ist bekannt. Doch nicht mit uns. ... Wir sind nur Dreck und nichts als Vieh für die Milliarden Pharmaindustrie. Deshalb leckt uns alle mal am Arsch. ... Für deine Korruption und deine Gier nach Geld [Anmerkung: gemeint ist Bill Gates] Und deinen Impfzwang für eine schöne neue Welt. Dein perfider langersehnter Plan. Komm fahr damit zur Hölle. ... Ihr großes Ziel ist Terror pur und die verlogene Coronadiktatur, ein satanisch-kabbalistischer Plan. Fahrt damit zur Hölle." Ein wiederkehrendes Thema ist die Verbreitung antisemitischer Ver schwörungstheorien. Ein Beispiel hierfür ist das Lied "Schrei die Wahrheit raus" der Band "Sturm 18" (NordrheinWestfalen). Die ses wurde auf dem im Jahr 2019 herausgegebenen Tonträger "S.A.B.O.T.A.G.E." veröffentlicht, welcher im Jahr 2020 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurde. Neben der Idee, dass die Juden die Weltherr schaft anstrebten und die deutsche Regierung lenken würden, greift der Liedtext auch die rechtsextremistische "Umvolkungs these" auf. Darin finden sich auch antisemitische Stereotype (Bankenhäuser, Freimaurer usw.), die als Synonyme für jüdisch kontrollierte Einrichtungen zu verstehen sind: "Politiker sind Marionetten, Regierungen nur Variete schau hinter die Kulissen, um ihr System zu verstehen. Bankenhäuser, Freimaurer und One-World-Globalisten sind auch ein Teil der Eliten, der Kapitalisten. 55 Rechtsextremismus ... Sie verführen dich, auf ihre Freiheit zu vertrauen, wenn sie Ketten schmieden und Käfige bauen. Sie verführen dich, ihre Worte nachzureden, wenn die Invasoren uns die Heimat stehlen. Die Produzenten solcher Musik lassen Tonträger vor ihrem Erschei nen durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um Indizierungsmaßnahmen, strafrechtliche Verfahren und damit einhergehende finanzielle Verluste zu vermeiden. Strafrechtlich re levante CDs, deren Anteil weniger als zehn Prozent beträgt, werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Nach wie vor erscheinen Tonträger, die nur szeneintern und nicht über offen zugängliche Szenevertriebe verkauft werden. Da eine Strafverfolgung hier fast nicht möglich ist, äußern die Bandmitglie der in den Texten offen ihr fremdenfeindliches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut. Häufig wird offen zur Gewalt gegen die von der Szene als Feinde betrachteten Personen aufgerufen oder sie werden anderweitig bedroht. Derartige Tonträger werden von der BPjM regelmäßig geprüft und ggf. als jugendgefährdend und mögli cherweise strafrechtlich relevant bewertet und indiziert. Immer häufiger werden neue Tonträger kurz nach ihrer Veröffentli chung in DownloadPortalen oder in sozialen Netzwerken im Inter net angeboten und gratis zur Verfügung gestellt. Diese Entwicklung bietet zwar einerseits die Möglichkeit, über die Szene hinaus einen größeren Verbreitungsgrad rechtsextremistischer Musik zu errei chen. Andererseits führt das kostenfreie Herunterladen aus dem In ternet zu finanziellen Einbußen der betroffenen Bands und Musiker, die wiederum befürchten, weniger CDs zu verkaufen und die Pro duktionskosten nicht mehr decken zu können. Um dem entgegen zuwirken und dem Nutzerverhalten insbesondere der jungen Hörer schaft entgegenzukommen, versuchen rechtsextremistische Musiker über StreamingDienste ihre Tonträger zu verbreiten. Der Sänger der rechtsextremistischen Band "FLAK" (RheinlandPfalz) hat die Veröf fentlichung seines Tonträgers "Balladen für Deutschland" bei den StreamingDiensten wie folgt beworben: 56 Rechtsextremismus "FLAK geht in die Online Stores. ... Damit sind wir auch endlich im digitalen Zeitalter angekommen und freuen uns, dass unsere Musik nun auch zeitgemäß Verbreitung findet." Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleichbleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mit glieder rechtsextremistischer Bands unter neuem Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. Bundesweit fanden 27 rechtsextremistische Konzerte (2019: 64) statt, bei denen der regionale Schwerpunkt in Sachsen lag. In Nie dersachsen gab es kein Konzert.18 Die CoronaPandemie hatte massive Auswirkungen auf die Durch führung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. Kontaktbe schränkungen und das Verbot von Veranstaltungen mit größeren Teilnehmerzahlen führten zur Absage geplanter Veranstaltungen oder zu einem Ausweichen auf das nächste Jahr. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextre mistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen in der Regel nur Szeneangehörige, so dass eine Werbewir kung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Ein fortlaufender Trend ist die Durchführung rechtsextremistischer Großveranstaltungen mit Musikdarbietungen namhafter Szene bands als zentralem Bestandteil, die von Wortbeiträgen einschlägi ger Redner flankiert werden. Diese Veranstaltungen sind als politi sche Kundgebungen angemeldet und lassen sich daher nur schwer verbieten. Wegen des erhöhten Organisationsaufwandes und des finanziellen Risikos sind die Organisatoren in diesen Fällen bereit, die Veranstaltung bei den Ordnungsbehörden anzumelden und die staatlichen Auflagen, bis hin zu einem generellen Alkoholverbot, einzuhalten. Eine dieser politischen Kundgebungen sollte die vierte Auflage des "Schild & Schwert"Festivals in Ostritz (Sachsen) sein. Die erneut 18 Siehe Abschnitt "Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen". 57 Rechtsextremismus von dem Neonazi und stellvertretenden NPDBundesvorsitzenden Thorsten Heise aus Thüringen angemeldete Veranstaltung war ur sprünglich für den 12. und 13.06.2020 geplant und wurde zunächst auf den 25. und 26.09.2020 verschoben. Neben populären rechts extremistischen Bands wie "Oidoxie" (NordrheinWestfalen) und "Die Lunikoff Verschwörung" (Berlin) waren auch Auftritte der nie dersächsischen Band "Gassenraudi" sowie von "Hannes", dem So loprojekt von Hannes Ostendorf aus Lilienthal (Landkreis Osterholz) angekündigt. Die politische Kundgebung wurde wegen der staatli chen CoronaBeschränkungen auf das Jahr 2021 verschoben. Das erste "Schild & Schwert"Festival im April 2018 hatten rund 1.300 Personen besucht. Die zweite Veranstaltung im November 2018 fand mit rund 800 Teilnehmenden schon weniger Resonanz. An der dritten politischen Kundgebung am 21. und 22.06.2019 nahmen in der Spitze rund 700 Personen teil. Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2020 waren vier niedersächsische Musikgruppen sowie zwei Liedermacher aktiv. "Stahlgewitter"/"Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" Daniel Giese war mit seinen Musikprojekten im Jahr 2020 nicht ak tiv. Allerdings veröffentlichte die Band "Kahlkopf" den Tonträger "Dein Volk ist alles", bei dem Daniel Giese als Sänger fungiert. Dabei wurden nicht indizierte Lieder der bereits herausgege benen Tonträger "Pogo im Parlament" (1997) und "Im Namen des Herrn" (2001) neu aufgelegt. Der Titel des Tonträgers greift das von den Nationalsozialisten propagierte "Du bist nichts, dein Volk ist alles" auf. Mit diesem Motto wurde der Gedanke einer rassisch verstandenen, homogenen "Volksgemeinschaft" verbunden, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft untergeordnet werden mussten. Die im Jahr 2019 neu aufgelegte CD "TeppichzimmerTerroris ten" der Band "Kahlkopf" mit Daniel Giese als Sänger wurde von der BPjM im Jahr 2020 indiziert. Ebenso wurde der 2017 veröffent lichte Tonträger "Schlimmer als die Pest" von Daniel Gieses Projekt "In Tyrannos" seitens der BPjM auf die Liste der jugendgefährden den Medien gesetzt. 58 Rechtsextremismus Die verschiedenen Projekte von Daniel Giese finden seit vielen Jah ren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. Dies be trifft sowohl die durchaus versierten musikalischen Darbietungen als auch die rechtsextremistischen Texte, die sich zuweilen an der Gren ze der Strafbarkeit bewegen. Der Sänger und Gitarrist der Gruppe "FLAK" erklärte hierzu: "Stahlgewitter ist die größte nationalisti sche Band weltweit." "Hannes"/"Kategorie C"/"Nahkampf" Die Bands "Kategorie C" und "Nahkampf" waren personeniden tische Projekte um den Sänger Hannes Ostendorf aus Lilienthal (Landkreis Osterholz), der diese zum Ende des Jahres 2019 aufgelöst hat. Seit der Beendigung seiner Bandprojekte ist Hannes Ostendorf als Liedermacher "Hannes" in der rechtsextremistischen Musiksze ne aktiv. Ein Auftritt war beim "Schild & Schwert"Festival am 26.09.2020 in Ostritz (Sachsen) geplant, welches jedoch we gen der staatlichen CoronaBeschränkungen abgesagt wurde. Hannes Ostendorf veröffentlichte als Solist "Hannes" den Ton träger "100 Jahre altes Holz". Für das darauf enthaltene Lied "Total dicht" produzierte Hannes Ostendorf gemeinsam mit zwei weiteren rechtsextremistischen Musikern ein Musikvideo. Das Lied thematisiert die CoronaPandemie und die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen: "In Wuhan aus einem Labor herausgeschlichen, ein Virus die Menschen in Angst versetzt, die Medienlandschaft sofort global angeglichen, Alarmstufe rot bei einem grippalen Infekt. Der Tod lauert überall auf jeder Oberfläche, Angst sollst du haben, du könntest verrecken, es gibt natürlich nur noch Coronatote, bleib bloß daheim, warte auf die nächste Prognose. (Ref.) Totale Überwachung und Ausgangssperre, ein Schelm wer sich böses dabei denkt, Passierschein und Abstandsatmosphäre, die Herde wird in einen Stall gedrängt. 59 Rechtsextremismus Überwachung nur für eine Bevölkerungsschicht, Grenzen nur für uns Deutsche geschlossen, denn Flughäfen und Geschäfte bleiben jetzt dicht, lang genug habt ihr eure Freiheit genossen!" "Kategorie C" veröffentlichte als "AbschlussCD" den Tonträ ger "Tradition verpflichtet" sowie eine DVD mit Ausschnitten eines im Jahr 2019 durchgeführten "Abschiedskonzertes". Die als "Kategorie C" veröffentlichten Texte waren eher unpoli tisch, hier standen der Fußballbezug sowie die Gewaltbereit schaft von Hooligans im Vordergrund. Der 1995 veröffentlichte Tonträger "Schutt und Asche" der Band "Nahkampf" wurde von der BPjM 2020 folgeindiziert. Mit den Texten der Band "Nahkampf" widmete sich Hannes Ostendorf eher politischen Themen, aber auch rechtsextremisti schen Inhalten. Neben seinem Musikprojekt betreibt Hannes Ostendorf weiterhin einen eigenen OnlineVersand, bei dem Tonträger und umfangrei che Devotionalien seiner aktiven und inaktiven Musikprojekte an geboten werden. In Ergänzung dazu unterhält er eine eigene Appli kation (App) für mobile Endgeräte. Dieses Angebot macht deutlich, dass ein Hauptinteresse in der Gewinnoptimierung liegt. "Eichenlaub mit Schwertern" Das Musikprojekt "Eichenlaub mit Schwertern" aus Südniedersach sen veröffentlichte im Jahr 2020 den Tonträger "Unter der Sonne". Unterstützt wurde die Band dabei von rechtsextremistischen Mu sikern aus anderen Bundesländern. Des Weiteren ist die Band mit dem Lied "Haltet stand" auf dem 2020 veröffentlichten Sampler "Punikoff hört rein Vol. 2" vertreten. "Gassenraudi" Die aus dem Raum Braunschweig stammende Musikgruppe veröf fentlichte anlässlich ihres fünfjährigen Bandbestehens den Tonträger "Niemals nur Zaungast!". Es handelt sich dabei um eine Zusammen stellung bereits herausgegebener Samplerbeiträge, neuer Lieder so wie um Proberaumaufnahmen. In dem Lied "Sitting Bull" vergleicht die Band den Widerstand der indigenen Bevölkerung gegen die 60 Rechtsextremismus U.S.amerikanische Regierungspolitik mit den Flüchtlingsbewe gungen nach Deutschland. Auch hier kommen szenetypische Überfremdungsängste zum Ausdruck, wenn es heißt: "Doch die Geschichte hat uns eins gelehrt, wer zu spät reagiert wird ins Reservat gesperrt. Die Ureinwohner existieren nicht mehr, denn als Einwanderungsland hat man es doppelt so schwer." Mit dem auf diesem Tonträger ebenfalls veröffentlichen Lied "Un geniert" ist "Gassenraudi" auf dem 2020 herausgegeben Sampler "Punikoff hört rein Vol. 2" vertreten. "Gassenraudi" sollte ebenfalls auf dem abgesagten "Schild & Schwert"Festival in Ostritz (Sachsen) auftreten. "Flatlander" Der Liedermacher "Flatlander" aus dem Landkreis Leer trat am 08.02.2020 beim sogenannten "Tag der Ehre" in Budapest (Ungarn) auf. Die jährliche Veranstaltung wird maßgeblich von Angehörigen des ungarischen "Blood & Honour"Netzwerkes organisiert. Bei dem Aufmarsch wird den bei der Befreiung von Budapest im Jahr 1945 gefallenen Soldaten gedacht, wobei insbesondere der positive Bezug auf die WaffenSS und deren Glorifizierung eine bedeutende Rolle einnehmen. Ein weiterer Auftritt erfolgte während des ersten CoronaLockdowns am 25.04.2020 per Livestream im Internet. "Flatlander" veröffentlichte den Tonträger "MMXX" mit drei eigenen Liedern und fünf Coverversionen, darunter ein Lied des "Blood & Honour"Gründers Ian Stuart Donaldson. Mit dem Sänger der Band "FLAK" (RheinlandPfalz) produzierte er das Lied "Der letzte Kuss", welches in den Sozialen Medien hochgeladen und auf dem 2020 erschienen Sampler "20 Jahre Bruderschaft HSF" der Hammerskins Franken (Bayern) veröf fentlicht wurde. Neben seinen musikalischen Aktivitäten entwirft "Flatlander" Gra fiken für Tonträger anderer rechtsextremistischer Musiker, wie z. B. für die 2020 veröffentlichte SoloCD "Balladen für Deutschland" des Sängers der Band "FLAK" (RheinlandPfalz). 61 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen er folgen häufig unter dem Vorwand, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veran stalter sind als Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall wer den Besucher dann per SMS oder Instant Messaging Diensten über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte umdirigiert. Mit solch umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Ge schäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen wurde im Jahr 2020 wie in den beiden Vorjahren kein Konzert durchgeführt. Die CoronaPandemie hat die Durch führung organisierter rechtsextremistischer Musikveranstaltungen im Jahr 2020 bundesweit merklich eingeschränkt. Auch aus diesem Grund haben in Niedersachsen keine Konzerte oder Liederabende stattgefunden. Nach dem ersten Lockdown galten weiterhin die Beschränkungen für Veranstaltungen mit relevanten Teilnehmerzahlen, so dass le diglich Treffen im näheren Bekanntenkreis von Szeneangehörigen festgestellt wurden. Bei diesen Zusammenkünften, wie sie am 10.07.2020 und am 12.09.2020 stattgefunden haben, stehen musi kalische Darbietungen nicht im Vordergrund. Rechtsextremistische Vertriebe Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die ins besondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot bereithalten. Die unverändert hohe Zahl an Vertrieben zeigt, dass der subkulturelle Bereich fester Bestandteil des Rechtsextremismus ist. Wichtige deutsche Vertriebe sind "PC Records" und "OPOS Re cords" (beide Sachsen) sowie "Rebel Records" (Brandenburg). Die Betreiber sind oft zugleich Mitglieder rechtsextremistischer Bands oder treten als Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte in Er scheinung, bei denen sie ihr Warenangebot offerieren. Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot 62 Rechtsextremismus ausländischer Vertriebe. Zu nennen sind "ISD Records" und "NSM 88". Das Angebot umfasst beispielsweise Tonträger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (BadenWürttemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Verei nigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind sechs Vertriebe ansässig. Dabei spielen "abb shop" (Hildesheim), "Hatecore Lüneburg" und "Wewelsburg Re cords" (Leer) in der Szene eine eher untergeordnete Rolle, weil sie Produktionen weniger namhafter Musikbands vertreiben und damit auch einen geringeren Umsatz verzeichnen. Die Vertriebe "Front musik" und "Front Records" haben ihren Sitz zu Beginn des Jah res 2020 nach Leer verlegt. Weil das Angebot dieser Vertriebe auch namhafte Bands umfasst, ist ihr Bekanntheitsgrad innerhalb der rechtsextremistischen Szene größer. Der Betreiber von "Wewelsburg Records", "Frontmusik" sowie "Front Records" ist im Sommer 2020 nach Thüringen verzogen. Der OnlineVersand "Kategorie C" wird trotz Auflösung der Band weiterhin betrieben. Dieser bietet ausschließlich Tonträger und De votionalien der Musikprojekte von Hannes Ostendorf an. Hannes [Kategorie C/Nahkampf] (Osterholz) f Wewelsburg Records Frontmusik, Front Records Hatecore Lüneburg f Flatlander (Lüneburg) (Leer) Gassenraudi Gigi/Stahlgewitter (Braunschweig) (Meppen) abb-shop (Hildesheim) Vertriebe Eichenlaub mit Schwertern Skinheadbands, (Südniedersachsen) Liedermacher ( ) Stadt 63 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die subkulturelle Szene verlangt kein stringentes politisches Engage ment, sondern stellt in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung dar. Zu diesem Bereich des Rechtsextremismus liegt die Zugangs schwelle für jüngere Personen mit einer fremdenfeindlichen Grundein stellung am niedrigsten. Rechtsextremistische Musik ist dabei nach wie vor ein wichtiges Medium für die Rekrutierung neuer Anhänger sowie für die Radikalisierung innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Mit den Liedtexten werden zumeist rassistische, antisemitische und an tidemokratische Ideologien proklamiert. Rechtsextremistische Musik veranstaltungen fördern das Gemeinschaftsgefühl von Szeneangehö rigen insbesondere gegenüber der als feindlich empfundenen Umwelt. In der Vergangenheit wurde in den Liedtexten vorrangig die NSZeit glorifiziert. Heute ist bei neuen Produktionen eher ein Bezug zur ak tuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung festzustellen. Die rechtsextremistische Musikszene ist im Zusammenhang mit der CoronaPandemie von bestehenden Trends und bekannten Tendenzen abgewichen. Eine Besonderheit stellt zum einen die thematische Be fassung mit dem Virus in den Musiktexten dar. Es ist der Versuch, mit der eigenen rechtsextremistischen Weltsicht an ein aktuelles politisches Thema anzuschließen. Zum anderen bestehen in der CoronaPandemie erhebliche Einschränkungen bei der Durchführung von Veranstaltun gen mit Livemusik. Ein Wiederanstieg der Aktivitäten ist frühestens nach einem möglichen Ende der Pandemie und der Aufhebung der hierzu ergangenen Auflagen und Beschränkungen zu erwarten. Die rechtsextremistische Musikszene in Niedersachsen ist weitge hend inaktiv. Erwähnenswert ist der Sänger Daniel Giese, dessen verschiedene Projekte seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene finden. Niedersächsische Vertriebe ha ben bundesweit keinen großen Stellenwert, eine Ausnahme stellen die Versände "Frontmusik" und "Front Records" dar. Um den gestiegenen Ansprüchen der Hörerschaft zu genügen, sind kostspielige Produktionen in professionellen Tonstudios sowie auf wändig gestaltete Booklets erforderlich. Video und DownloadPor tale lassen hingegen die Verkaufszahlen von Tonträgern und damit die Einnahmen der Bands und Vertriebe zurückgehen. Hierdurch reduziert sich auch das finanzielle Potenzial der rechtsextremistischen Szene. 64 Rechtsextremismus 2.5 Neonazistische Szene Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit; Schwerpunkte in den Regionen Braunschweig, Hannover/Hildesheim, Oldenburg, Ostfriesland/Emsland, Südniedersachsen/Harz Gründung/ 1970er Jahre Bestehen seit Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen in Repräsentanz Form von Aktionsgruppen, informellen Netzwerken, Kamerad schaften oder Kreisverbänden der Partei "Die Rechte"; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A.19 Land: 240 Unterstützer Veröffentlichungen WebAngebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter Kurzportrait/Ziele Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die Verzahnung mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten so wie mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neo nazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens zumeist in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von der Durchführung öf fentlichkeitswirksamer Propaganda, Gedenk oder Störaktionen über die Veranstaltung von Balladenabenden und Zeitzeugenvor trägen bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Im Mittelpunkt der Agitation steht die angeblich drohende und vermeintlich zum "Volkstod" führende "Überfremdung", die durch die anhaltende Flüchtlingssituation nochmals verstärkt wor den sei. Gleichzeitig versuchen Neonazis, an die aktuellen Proteste gegen die CoronaMaßnahmen anzuknüpfen. 19 Für den Bund wird seit dem Jahr 2018 das MitgliederPotenzial der neonazistischen Szene nicht mehr gesondert ausgewiesen; siehe Kapitel 2.1, "MitgliederPotenzial". 65 Rechtsextremismus Finanzierung Beiträge der Anhänger, Vermarktung und Verkauf rechtsextremis tischer Devotionalien wie TShirts o. Ä. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschied lich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemein schaft bildet. Hiermit richtet sich die neonazistische Szene gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits, Gleichheits und Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Die neonazistische Szene sieht sich als eine politischsoziale Bewe gung, die auf stetigen Aktivismus setzt und nicht auf parlamenta rische Erfolge. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine nationalrevolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kund gebungen oder Demonstrationsteilnahmen bemüht sind, während sich ihre Anhängerzahlen im niedrigen einstelligen Bereich bewe gen. Andererseits existieren auch Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnenwirkung entfalten. Zur Verbesserung personeller und organisatorischer Möglichkeiten die nen überregionale Netzwerke. Allerdings ist deren Bedeutung recht gering. Denn das dahinterstehende reale Personenpotenzial fällt im Vergleich zur Größe des jeweiligen Einzugsbereichs oftmals deutlich ab. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für Kooperationen mit der NPD und deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) wie auch mit den Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg". Darüber hin aus sind die Übergänge zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen 66 Rechtsextremismus Szene sowie zur islamfeindlichen Hooliganszene teilweise fließend. Eigenständige Strukturen und Aktionen der neonazistischen Szene in Niedersachsen waren im Berichtsjahr kaum zu verzeichnen. Hinge gen waren von den im Jahr 2020 bundesweit durchgeführten staat lichen Exekutivmaßnahmen gegen die rechtsextremistische Szene auch Gruppierungen und Personen mit Bezug zur neonazistischen Szene in Niedersachsen betroffen. Derartige gewaltorientierte Struk turen bilden einen Schwerpunkt bei der Beobachtung der neonazis tischen Szene durch die Verfassungsschutzbehörden, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten rechtsterroristischen Anschläge in Deutschland, u. a. des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke am 02.06.2019, des Angriffs mit zwei Todesopfern auf eine Synagoge und einen Dönerimbiss in Halle (SachsenAnhalt) am 09.10.2019 und des tödlichen Angriffs auf neun Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau (Hessen) am 19.02.2020. Rechtsextremistische Propagandastraftaten - "Calenberger Bande" Mit der Parole "Wer räumt auf in diesem Lande? Die Calenberger Ban de!" setzten die Angehörigen der Gruppierung aus dem Raum Hanno ver im Januar 2020 ihre Mitte 2019 begonnene Serie von Sachbeschädi gungen fort. Erstmals war die Gruppierung im August 2019 durch eine Plakataktion ("Achtet das Volk") in Ronnenberg (Region Hannover) öffentlich bekannt geworden. Seither erfolgten weitere propagandisti sche Aktivitäten in Form von Flugblattverteilungen und Parolenschmie rereien, u. a. gezielt im Bereich von weiterführenden Schulen in der Region Hannover. Diese Aktionen sind ein Beleg für die fremdenfeind liche, rassistische und antiliberalistische Ausrichtung der Gruppierung. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen bei mutmaßlichen An gehörigen der "Calenberger Bande" wegen des Vorwurfs der Sach beschädigung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungs widriger Organisationen wurden am 28.01.2020 mögliche Tat bzw. Beweismittel, darunter Spraydosen, elektronische Datenträger und Mobiltelefone, beschlagnahmt. Gegenstand der polizeilichen Er mittlungen waren zudem die Brandanschläge auf das Haus eines jüdischen Ehepaares im Mai 2019 und auf das Haus einer kurdischen Familie im November 2019, die beide aufgrund von Internetrecher chen mit der Gruppierung in Verbindung gebracht wurden. Seit Durchführung der Exekutivmaßnahmen sind bislang keine wei teren Aktivitäten der "Calenberger Bande" bekannt geworden. 67 Rechtsextremismus Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB - "Gruppe S." Am 14.02.2020 fanden auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft und auf richterliche Anordnung bundesweit Durchsuchungsmaß nahmen bei insgesamt zwölf Beschuldigten statt, die der rechts extremistischen Szene zugerechnet werden. In Niedersachsen richte ten sich die Maßnahmen gegen einen zum Tatzeitpunkt 39jährigen Mann aus Wriedel (Landkreis Uelzen), der zuvor als Angehöriger der Gruppierung "Freikorps Heimatschutz" bekannt geworden war. Die Beschuldigten stehen im Verdacht, der als rechtsterroristisch ein gestuften Vereinigung "Gruppe S." (benannt nach deren Anführer) anzugehören. Konkreter Anlass für die Durchsuchungen waren Pläne der Grup pe zur Waffenbeschaffung, um mit diesen Waffen Anschläge auf Moscheen in der Bundesrepublik zu begehen. Die Pläne waren im Rahmen eines Treffens von Angehörigen der "Gruppe S." am 08.02.2020 in Minden (NordrheinWestfalen) erörtert worden. Die finanziellen Mittel zur Beschaffung der Waffen sollten von den Mit gliedern zur Verfügung gestellt werden. Bei den polizeilichen Durchsuchungen wurden u. a. Bargeld, Gold und Silber, aber auch Hieb und Stichwaffen, Schreckschusspistolen, selbstgebaute Granaten und eine sogenannte Slam Gun (selbstgebaute Schrotflinte) sowie Anleitungen zum Bombenbau sichergestellt. Die Anklage der Generalbundesanwaltschaft gegen die Mitglieder und Unterstützer der "Gruppe S." lautet daher auf Bildung einer terroristi schen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. Deren Ziel soll die Begehung von Anschlägen auf Moscheen, Geflüchtete und Politiker gewesen sein, um bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Das Verfahren vor dem OLG Stuttgart ist noch nicht abgeschlossen. Androhung einer rechtsextremistisch motivierten Amoktat im Internet - Hildesheim Nachdem er am 29.05.2020 in einem anonymen Chat im Internet einen Anschlag auf eine Moschee mit mehreren Toten angekündigt hatte, wurde ein 21jähriger Mann aus Hildesheim noch am gleichen Tag von der Polizei festgenommen. Im Rahmen der Durchsuchung seiner Woh nung wurden zwei nicht vollständig funktionsfähige Armbrüste sowie ein Teleskopschlagstock und ein Fahrtenmesser sichergestellt. Neben 68 Rechtsextremismus ideologischen Schriften und rechtsextremistischen Tonträgern wurde zudem eine handschriftliche, in Ansätzen einem Manifest ähnelnde An kündigung eines Amoklaufes vorgefunden, zu dessen Durchführung dem Beschuldigten lediglich noch die Waffen fehlen würden. Im Kontext zu den ebenfalls vorgefundenen Hinweisen, dass der Beschuldigte in dem Täter des rechtsterroristischen Anschlages von Christchurch in Neuseeland ein Vorbild gesehen hat und ähnlich handeln wollte, bedeutete diese Ankündigung ein besonderes Ge fahrenpotenzial. Bei dem Angriff auf zwei Moscheen im März 2019 wurden von einem rechtsextremistisch motivierten Angreifer, der seine Tat live im Internet gestreamt hatte, insgesamt 51 Menschen getötet und 50 weitere zum Teil schwer verletzt. Auch das Ziel des Hildeshei mer Beschuldigten sei es gewesen, möglichst viele Muslime zu töten. Die bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle eingerichtete Zentral stelle Terrorismusbekämpfung hatte zunächst Anklage vor der Staats schutzkammer des Landgerichts Lüneburg erhoben. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wurde vom Landgericht Lüneburg Haftbe fehl gegen den Beschuldigten erlassen. Der Vorwurf lautete Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten gemäß SS 126 StGB und auf Verdacht der Terrorismusfinanzierung durch die Anschaffung der zur mutmaßlichen Tatausführung bestimmten Waffen gemäß SS 89c StGB. Weil der Mann zum Tatzeitpunkt einzelner Vorwürfe noch Heranwachsender war, hat die Generalstaatsanwaltschaft ihre An klage vor der Jugendkammer des Landgerichts Hildesheim neu erhoben. Am 14.01.2021 wurde der mittlerweile 22Jährige vom Vorwurf der Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat freigesprochen. Ein Gutachter hatte dem Angeklagten eine Zwangs und Angststörung bescheinigt und ihn als "psychisch gestörten Einzeltäter" bezeich net. Die Staatanwaltschaft hatte dagegen eine Haftstrafe von drei Jahren gefordert. Nach Anordnung des Gerichts soll der junge Mann seine Behandlung in einer psychiatrischen Klinik fortsetzen und da nach in eine Einrichtung für betreutes Wohnen ziehen. Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion - Einbeck Die Zentralstelle Terrorismusbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft in Celle hatte zudem im Juni 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen einen 26 und einen 23 Jahre alten Mann aus Einbeck eingeleitet, die beide der neonazistischen Szene in der Region zugerechnet werden. Die Män 69 Rechtsextremismus ner haben am 10.06.2020 einen nicht zugelassenen pyrotechnischen Gegenstand, einen sogenannten Polenböller, in den Briefkasten der hölzernen Eingangstür eines Wohnhauses in Einbeck geworfen. Bei der Tat verletzte sich einer der Männer schwer an den Händen. Eine Blutspur führte vom Tatort bis zu einer Wohnung, in der sich die Män ner aufhielten. Die Verdächtigen wurden festgenommen und saßen wegen Fluchtgefahr bis zum Prozessbeginn in Untersuchungshaft. Die Anklage lautete auf Sachbeschädigung sowie auf versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion gemäß SS 308 StGB und auf versuchter schwerer Brandstiftung gemäß SS 306a StGB. Am 24.11.2020 verurteilte das Amtsgericht Einbeck den 26jährigen Hauptangeklagten zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren. Der inzwischen 24jährige Mittäter erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Beide hatten zu Prozessbeginn die gegen sie erhobenen Vorwürfe eingeräumt. Die Staatsanwalt schaft hatte zunächst auch gegen einen dritten Beschuldigten ermit telt, konnte dem 21Jährigen aber keine Tatbeteiligung nachweisen. Bei den Verurteilten handelt es sich um langjährige Angehörige bzw. Sympathisanten der ehemaligen "Kameradschaft Einbeck", die sich im Februar 2020 zwar aufgelöst hat, deren Mitglieder aber weiter hin aktiv sind und sich kurze Zeit später im Kreisverband Einbeck/ Northeim der Partei "Die Rechte" neu organisiert haben. Mit der Tat selbst wurde das Ziel verfolgt, die Bewohnerin, die sich gegen rechtsextremistische Aktivitäten in der Region engagiert und im Rahmen der Flüchtlingshilfe für die Organisation "Seebrücke" tätig ist, zu schädigen und einzuschüchtern. Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung - Verbotsverfahren "Nordadler" Am 23.06.2020 hat der Bundesminister des Innern, für Bau und Hei mat die rechtsextremistische Gruppierung "Nordadler" verboten, die auch unter den Bezeichnungen "Völkische Revolution", "Völkische Jugend", "Völkische Gemeinschaft" und "Völkische Renaissance" auftrat. Die Gruppierung richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zu dem verstießen ihre Aktivitäten gegen Strafgesetze. Im Rahmen der Vollstreckung fanden Durchsuchungsmaßnahmen bei führenden Mitgliedern der Gruppierung in Brandenburg, Nie 70 Rechtsextremismus dersachsen (Harz und Region Hannover), NordrheinWestfalen und Sachsen statt. Sichergestellt wurden überwiegend PCs, Laptops und Smartphones sowie NSLiteratur und NSDevotionalien. Waffen wurden nicht gefunden. Bei der Gruppierung "Nordadler" handelte es sich um eine rechts extremistische Vereinigung, die ihre nationalsozialistische und anti semitische Ideologie überwiegend im Internet propagierte. Zur Re krutierung neuer Anhänger sowie zur Verbreitung ihrer Ziele nutzte sie neben einer eigenen Internetseite auch zahlreiche offene und geschlossene Chatgruppen auf diversen Plattformen und Sozialen Medien wie Telegram, Instagram oder Discord. Darüber hinaus fan den aber auch realweltliche Treffen ihrer Anhänger statt. Charakteristisch für die Gruppierung war vor allem die Wesens verwandtschaft zum Nationalsozialismus. Ihre Mitglieder nutzten nationalsozialistische Symbole und Begriffe, propagierten die Wie dererrichtung des NSStaates und glorifizierten die SS, Adolf Hitler und führende Repräsentanten des historischen Nationalsozialismus. Kennzeichnend waren zudem ein stark ausgeprägter Antisemitismus und eine kämpferischaggressive Grundhaltung, die etwa in Gewalt phantasien zum Ausdruck kam20. Demonstrationen Demonstrationen waren für die neonazistische Szene lange Zeit das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlich keit zu tragen und um sich gleichzeitig als Bewegung zu präsen tieren. Demonstrationen können als Indikator für die thematische Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechts extremistischen Szene angesehen werden. Die Bereitschaft zur De monstrationsteilnahme hat in den letzten Jahren allerdings stark nachgelassen. Im Berichtsjahr kamen zudem Einschränkungen im Zusammenhang mit der CoronaPandemie hinzu. Von der Demonstrationsmüdigkeit betroffen ist auch der Gedenk marsch in Dresden (Sachsen), der jedes Jahr aus Anlass der Bombar dierung der Stadt durch die Alliierten im Februar 1945 stattfindet und der für die neonazistische Szene bislang von großer Bedeutung war. An der diesjährigen Veranstaltung am 15.02.2020 mit rund 20 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Pressemitteilung vom 23.06.2020: Bundesinnenminister Seehofer verbietet "Nordadler". 71 Rechtsextremismus 1.300 deutschen und ausländischen Teilnehmenden beteiligten sich aus Niedersachsen sowohl Mitglieder der NPD/JN und der Par tei "Die Rechte" als auch Angehörige der subkulturell geprägten Bruderschaften "Blood Brother Nation" und "Brigade 8" sowie der neonazistischen Szene aus Hannover, dem Harz und Südnie dersachsen. Letztere führten das Transparent der "Kameradschaft Northeim" mit sich, das ein Relikt aus der Zeit der ehemaligen Ka meradschaft um Thorsten Heise darstellt. Trotz des Umzuges von Heise ins thüringische Eichsfeld bestehen die Verbindungen im Dreiländereck von Hessen, Niedersachsen und Thüringen fort. Das Transparent bringt diese nach wie vor bestehende traditionswah rende und identitätsstiftende Bedeutung für die regionale Szene zum Ausdruck. Der Bedeutungsverlust von Demonstrationen zeigt sich insbe sondere am Beispiel der Kampagne "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ), der in diesem Jahr voraussichtlich zum letzten Mal statt gefunden hat. An der Abschlussdemonstration am 06.06.2020 in Worms (Rheinland P falz) beteiligten sich lediglich et wa 60 Rechtsextremisten, darunter einzelne Szeneangehörige aus Niedersachsen um den Mitinitiator der Kampagne, den bekann ten Neonazi Dieter Riefling aus dem Raum Hildesheim. Die ab nehmende Bereitschaft zur Teilnahme am TddZ, der ehemals zu den zentralen Demonstrationen der rechts extremistischen Szene gehörte, ist jedoch kein neuer Trend, sondern zeichnet sich be reits seit Jahren ab. Daneben beteiligten sich Angehörige der neonazistischen Szene in Niedersachsen an verschiedenen Demonstrationen und Kundge bungen der NPD/JN bzw. der Partei "Die Rechte", die überwiegend in Braunschweig und Einbeck stattfanden. Rechtsextremistische Festivals Den Stellenwert ehemals teilnehmerstarker Demonstrationen haben zwischenzeitlich Großveranstaltungen übernommen, die jedoch im Berichtsjahr aufgrund der CoronaPandemie nicht stattfinden konnten. Exemplarisch für die nach wie vor bestehende Attrakti vität und die damit einhergehende Professionalisierung größerer Veranstaltungen mit EventCharakter sind die zuletzt im Jahr 2019 72 Rechtsextremismus zum wiederholten Mal in Ostritz (Sachsen) durchgeführten "Schild & Schwert"Festivals des Neonazis und stellvertretenden NPDBun desvorsitzenden Thorsten Heise aus Thüringen. An den zweitägigen Veranstaltungen unter dem Titel "Schild & Schwert - Sommerfesti val", die neben Politikforen, Verkaufs und Infoständen auch eine "TattooConvention", Kampfsportvorführungen sowie Konzerte bekannter rechtsextremistischer Bands umfassten, nahmen in der Spitze rund 700 Angehörige der neonazistischen und subkulturellen Szene teil. Das Veranstaltungskonzept ist der Versuch, Politik, Ideo logie und rechtsextremistischen Lifestyle miteinander zu verbinden. Kampfsport Kampfsport und der dazugehörige Lifestyle haben sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu einem identitätsstiftenden Faktor mit organisationsübergreifender Anziehungskraft entwickelt. Dies gilt ins besondere für einen bestimmten Teil des Neonazismus, der sich selbst als Avantgarde versteht. In Kampfsportseminaren werden Angehörige der rechtsextremistischen Szene auf lokaler Ebene mit den Grundtech niken verschiedener Kampfsportarten vertraut gemacht, die ihnen in professionell organisierten KampfsportEvents vorgeführt werden. Ursprung und Mittelpunkt dieser Entwicklung ist die seit dem Jahr 2013 jährlich stattfindende Veranstaltung "Kampf der Nibelun gen". Nach einem kurzfristigen Verbot der Veranstaltung im Jahr 2019 und der anschließend zu erwartenden Einschränkungen im Zuge der CoronaPandemie war im Jahr 2020 eine Ausstrahlung der Veranstaltung in Form eines LiveStreams angekündigt worden. Dessen Ausstrahlung, die auch den Kampf eines Niedersachsen aus dem Emsland beinhaltete, erfolgte am 10.10.2020, allerdings lediglich in einer im Vergleich zur Ankündigung stark eingeschränkten Form. Vorausgegan gen waren u. a. ein kurzfristiges Verbot und die Auflö sung einer Veranstaltung am 26.09.2020 in Magdeburg (SachsenAnhalt), bei der offensichtlich eine Aufzeich nung der Kämpfe stattfinden sollte. Die Polizei konnte in diesem Zusammenhang die Personalien von insgesamt 95 Rechtsextremisten aus dem In und Ausland feststellen, die als Kämpfer, Trainer und Betreuer oder als Ringrichter und Techniker angereist waren. 73 Rechtsextremismus "Heldengedenken" Um eine Glorifizierung der Wehrmacht geht es beim sogenann ten Heldengedenken, das regelmäßig im November aus Anlass des Volkstrauertages stattfindet. Am 15.11.2020 beteiligten sich etwa 50 Rechtsextremisten an einer zentralen partei und organisationsübergreifenden Versammlung in Braunschweig unter dem Motto "Für ein würdiges Gedenken gegen den Zeitgeist. Sie für uns - wir für sie - alle für Deutschland". Die mehrheitlich aus den Regionen Braunschweig, Hildesheim und dem Harz angereisten Angehörigen von NPD/JN, der Partei "Die Rechte" und der neonazistischen Szene posierten mit Reichsflaggen vor ei nem Ehrenmal und legten einen Kranz und Grablichter nieder. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die bereits seit einigen Jahren anhaltende personelle und aktionis tische Stagnation der neonazistischen Szene dauerte im Jahr 2020 an. Ausschlaggebend sind Attraktivitätsverlust und mangelnde An schlussfähigkeit infolge einer unzeitgemäßen und vergangenheits bezogenen ideologischen Verengung auf den historischen National sozialismus. Gruppierungen stellten ihre Aktivitäten ein, verzichteten auf politisch geprägte Aktionen, reduzierten diese auf ein öffentlich nicht wahrnehmbares Maß oder sind lediglich noch virtuell präsent. Die Entstehung neuer Gruppierungen war hingegen nur in wenigen Einzelfällen zu beobachten. Durch das Fehlen einer Koordinierung oder Steuerung der politi schen Aktivitäten vollzieht sich die Entwicklung der neonazistischen Szene in Niedersachsen uneinheitlich. Dies spiegelt sich einerseits in der reinen Größe der Gruppierungen und zumeist losen Netzwerke 74 Rechtsextremismus wider, andererseits in der von den verbliebenen lokalen oder re gionalen Strukturen unterschiedlich praktizierten Zusammenarbeit untereinander. Kooperationen über teilweise große räumliche Ent fernungen sind ebenso feststellbar wie verschiedene Konstellatio nen mit Personen und Strukturen anderer Spektren. So sind in zahl reichen Fällen Schnittmengen zu den Parteien "Die Rechte", "Der III. Weg" sowie zur NPD oder zu deren Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) zu beobachten, die zur Aufrechterhaltung eines wahrnehmbaren Aktionsniveaus mittlerweile von elementarer Be deutung sind. Daneben bestehen Kontakte zu überwiegend subkul turell geprägten Bruderschaften wie "Nordic 12" (Bremer Umland), "Brigade 8" (Hannover und Rotenburg) und "Blood Brother Nation" (Oldenburg und Vechta) oder zur rechtsextremistisch beeinflussten Hooliganszene. Nur durch diese Kooperationen scheint es der neo nazistischen Szene derzeit möglich, das grundsätzlich schwindende Mobilisierungspotenzial oberflächlich zu kompensieren. Ungeachtet dessen dürfte von der Neonaziszene weiterhin die Vor stellung von einer rassistisch verstandenen homogenen Volksge meinschaft als idealtypischer, zeitlos moderner Gegenentwurf zur liberalen und multikulturellen Gesellschaft gesehen und propagiert werden. Anhänger der neonazistischen Szene werden deshalb auch zukünftig versuchen, die daraus resultierenden fremdenfeindlichen und rassistischen Überzeugungen verschärft in den gesellschaftli chen Diskurs zur Flüchtlings und Einwanderungsthematik einfließen zu lassen. Es besteht hierdurch die Gefahr einer weiteren Radikali sierung, die in Gewalttaten gegen Asylsuchende und Flüchtlings unterkünfte, aber auch gegen Helferinnen und Helfer sowie gegen Politikerinnen und Politiker münden kann. Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019 und dem Anschlag auf eine Synagoge und einen DönerImbiss in Halle an der Saale (SachsenAnhalt) im Ok tober 2019 durch mutmaßliche Rechtsextremisten hatten die In nenminister und Innensenatoren von Bund und Ländern in ihrer Sondersitzung am 18.10.2019 einen ZehnPunktePlan zur verstärk ten Bekämpfung des Rechtsextremismus vorgestellt, der u. a. die intensive Nutzung des Instruments von Vereinsverboten vorsieht. 21 21 Vgl. Abschlusserklärung der Innenminister und Innensenatoren von Bund und Ländern zur Sondersitzung der IMK am 18.10.2019. 75 Rechtsextremismus Am 23.01.2020 wurde daraufhin durch den Bundesminister des In nern, für Bau und Heimat ein Verbot der Gruppierung "Combat 18 Deutschland" ausgesprochen. In diesem Zusammenhang erfolgten Wohnungsdurchsuchungen führender Vereinsmitglieder in mehre ren Bundesländern (Brandenburg, Hessen, MecklenburgVorpom mern, NordrheinWestfalen, RheinlandPfalz und Thüringen). Die Klage der Gruppierung "Combat 18 Deutschland" gegen das Verbot Logo Combat 18 Deutsch wurde im September 2020 vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig land; in Deutschland verboten wegen voraussichtlicher Rechtmäßigkeit des Verbots abgewiesen. Bei "Combat 18 Deutschland" handelt es sich um eine neonazisti sche, rassistische und fremdenfeindliche Vereinigung, die in ihrer Zielrichtung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialis mus aufweist. Der Verein steht in der Tradition der im Jahr 1992 als rechtsextremistische Saalschutzgruppe gegründeten britischen Vereinigung "Combat 18" und genießt innerhalb der rechtsextre mistischen Szene ein hohes Ansehen. Mit seiner Strahlkraft hat der Verein unter Rechtsextremisten eine Vorbildfunktion inne und wird als Symbol des gewaltbereiten Rechtsextremismus verehrt. 22 "Com bat 18" gilt zudem als der militante Arm von "Blood & Honour", einer ebenfalls aus Großbritannien stammenden Organisation, die seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren zur bedeutendsten und aktivsten internationalen Organisation innerhalb der rechtsextre mistischen SkinheadSzene aufgestiegen ist. In Deutschland wurde "Blood & Honour" bereits im Jahr 2000 verboten. Am 01.12.2020 erfolgte durch den Bundesinnenminister das Ver bot der rechtsextremistischen Vereinigung "Sturmbrigade 44" bzw. "Wolfsbrigade 44". In Hessen, MecklenburgVorpommern und Nord rheinWestfalen wurden daraufhin die Wohnungen von insgesamt elf Vereinsmitgliedern durchsucht. Prägend für die Gruppierung war insbesondere ihr martialisches Auftreten, stark ausgeprägter Rassis mus und Antisemitismus sowie eine kämpferischaggressive Grund haltung, die öffentlich und in Sozialen Medien verbreitet wurde. 23 22 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Pressemitteilung vom 23.01.2020: Bundesinnenminister verbietet "Combat 18 Deutschland". 23 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Pressemitteilung vom 01.12.2020: Bundesinnenminister verbietet rechtsextremistische Vereinigung "Sturm/ Wolfsbrigade 44". 76 Rechtsextremismus 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gründung/ Oktober 2012; als eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn Bestehen seit (NordrheinWestfalen) seit August 2014: "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." Struktur/ Bundesweit diverse Regional und Ortsgruppen; Schwerpunkte in Repräsentanz Niedersachsen sind der Raum HannoverHildesheimBraunschweig sowie der Raum Lüneburg Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A. 24 Land: 50 Unterstützer Veröffentlichungen Eigene Internetseite (Allgemeines) mit Verlinkungen zu Internet präsentationen herausragender Kampagnen ("Sommertour"). Die einzelnen Regional und Ortsgruppen sind nach weitreichen den Löschungen nur noch vereinzelt in den gängigen Sozialen Medien präsent. Stattdessen werden alternative Plattformen wie der MessengerDienst Telegram verstärkt genutzt. Kurzportrait/Ziele Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine aktivisti sche Gemeinschaft im europäischen Rechtsextremismus, deren Vertreter auch in Niedersachsen lokale Untergruppen gebildet haben. Die IBD ist in einer netzwerkähnlichen Struktur organisiert und basiert auf Personenzusammenschlüssen vor allem jüngerer Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Ideologisch wird die IBD dem Umfeld der Neuen Rechten25 zugeordnet und gehört zu einem intellektuell geprägten Spektrum im organisierten Rechts extremismus, das sich auf die antidemokratischen Theoretiker der "Konservativen Revolution" beruft. Belege hierfür sind ihre pro grammatischen Positionierungen und ihr ideologisches Konzept 24 Auf Bundesebene werden die Mitglieder der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) unter dem rechtsextremistischen Personenpotenzial in parteiunabhängigen bzw. partei ungebundenen Strukturen gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Personenpotenzials der IBD erfolgt nicht; siehe Kapitel 2.1, "MitgliederPotenzial". 25 Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Auto ren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremis mus in seiner Gesamtheit. 77 Rechtsextremismus der "ethnokulturellen Identität", aber auch diverse europaweite Kontakte zu Personen und Organisationen der Neuen Rechten. Im Gegensatz zu den Denkzirkeln der Neuen Rechten führt die IBD jedoch auch konkrete Aktionen durch und verbreitet diese anschließend medial aufbereitet im Internet. Finanzierung Die IBD finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Verkauf von Artikeln im Internetshop der Organisation. Die eigene Vermarktung erfolgt über eine Internetseite. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die IBD versteht sich als Ableger der Identitären Bewegung Ös terreich und der französischen Jugendorganisation "Generation Identitaire" (GI). Insbesondere die GI diente der IBD in ihrer Grün dungsphase als Vorbild für eigene Aktivitäten. Bei der GI handelt es sich um die Jugendorganisation des "Bloc identitaire", der die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung "Unite radicale" darstellt und von den französischen Behörden als rechtsextremis tisch eingestuft wird. Erkennungszeichen der "Identitären Bewegung" ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Sym bol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Sparta ner, die u. a. im 5. Jahrhundert v. Chr. gegen die Invasion der Perser kämpften. In Anlehnung an den USamerikanischen Kinofilm "300" wird der Bezug zu den Soldaten des spartanischen Heeres hergestellt, die auf ihren Schilden das Lambda trugen. Die Mitglieder der "Iden titären Bewegung" sehen sich in der Tradition der Spartaner und tra gen dies mit der Verwendung des Lambdas öffentlich zur Schau. Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten Bewe gung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die ihrer Meinung nach bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe hierbei der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch an gebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" bezeichnet dabei ei 78 Rechtsextremismus nen völkischen Nationalismus bzw. Regionalismus im europäischen Kontext. In Anlehnung an den Franzosen Alain de Benoist, der einer der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten in Europa ist, wird darunter eine ethnische, religiöse und kulturelle Prägung von Ge meinschaften und ganzen Völkern verstanden, durch die allein sich die Identität des Einzelnen definiere. Die IBD richtet sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagiert einen europäischen Ethnopluralismus. Dieser begründet die vermeintlich zu verteidigenden kulturellen und zugleich vermeint lich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus und fordert dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimi schen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kul turalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremden und islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können. Hiermit richtet sich die IBD gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits, Gleichheits und Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Seit die IBD im September 2014 ihre Kampagnenfelder auf das The ma Asylsuchende ausgeweitet hat, ist eine weitere Radikalisierung festzustellen. Nach Meinung der "Identitären" sind die Asylsuchen den in ihrer großen Mehrzahl "aggressive Kolonisatoren, die die in digene Bevölkerung immer weiter verdrängen und nicht integrierbar sind". Im Zuge der Asylpolitik der Bundesregierung fokussierte sich die IBD unter Initiierung der Kampagne "Großer Austausch" fortan auf dieses Themenfeld. Im Jahr 2016 wurde die Kampagne mit der Forderung nach "Remigration" weitergeführt und wiederholt mit dem Hinweis auf eine angeblich gestiegene Bedrohungslage durch "Kriminelle und Terroristen" im Zuge der vermeintlichen "Islamisie rung" Deutschlands und Europas verbunden. Im Jahr 2020 wurde das Thema Überfremdung und die steigende Bedrohungslage in der bundesweiten Kampagne "Niemals auf Knien" und mehreren Ak tionen zum Thema "Islamisten abschieben" aufgegriffen. 79 Rechtsextremismus "Die schweren ethnischen Unruhen in den USA, die nun auch auf Europa übergreifen, führen uns schmerzhaft vor Augen, dass die Propagandaphrase 'Vielfalt ist unsere Stärke' ('Diversity is our strength') eine Lüge ist. Wenn 'Vielfalt' eine ethnisch und kulturell vollkommen fragmentierte Gesellschaft bedeutet, in der verschiedene Minderheiten gegeneinander antreten, dann ist sie nicht unsere Stärke, sondern im Gegenteil unsere Achillesferse." (Internetseite der IBD vom 04.06.2020) Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Flyeraktion zur Kampagne "Niemals auf Knien" Am 25.05.2020 kam der 46jährige Afroamerikaner George Floyd bei einer polizeilichen Festnahme in Minneapolis im U.S.amerika nischen Bundesstaat Minnesota gewaltsam zu Tode. Ein Video des Vorfalls sorgte weltweit für Aufsehen. Die vier an dem Einsatz be teiligten Polizeibeamten wurden nach Bekanntwerden des Vi deos entlassen und wegen des Verdachts auf ein Tötungsdelikt inhaftiert. Unter dem Motto "Black Lives Matter" (BLM) folg ten daraufhin in den USA großflächige Straßenproteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, die meist friedlich verliefen. Als Reaktion auf Protestkundgebungen in Deutschland initiierte die IBD die Kampagne "Niemals auf Knien". Ziel ist es hierbei, die öffentliche Debatte über Rassismus in der Polizei, die nach den Ereignissen in den USA auch in Deutschland entstanden war, für die Verbreitung der eigenen Ideologie zu instrumenta lisieren und den Diskurs auf einen angeblichen Rassismus ge genüber der weißen Bevölkerung zu lenken. Der Kampagnenname bezieht sich unmittelbar auf die Solidari tätsbekundungen mehrere USamerikanischer aber auch deutscher Polizisten, die kniend ein Zeichen gegen strukturellen Rassismus setzen wollten. Von der IBD wurde diese Geste als Zeichen der Un terwerfung umgedeutet. Gegen diese vermeintliche Unterwerfung wurden Transparente in Sichtweite von BLMDemonstrationen ent hüllt und in mehreren Städten plakatiert. Die Plakate selbst zeigen Slogans von "Black Lives Matter" oder deren Abwandlung. In Nie dersachsen plakatierte die IBD unter anderem in Sarstedt, Braun schweig und Hannover, um auf einen angeblichen Rassismus von Einwanderern und von Politikerinnen und Politikern gegenüber der (weißen) europäischen Bevölkerung hinzuwiesen. In mehreren Städ 80 Rechtsextremismus ten deutschlandweit wurde den "europäischen Opfern von Migran tengewalt" gedacht, wie es in den Verlautbarungen der "Identitä ren Bewegung" heißt. 26 Einschränkung der medialen Reichweite Nach der Löschung ihrer FacebookProfile und dem Entfernen der IBDInternetseite aus den Suchmechanismen bei Google erfolgte am 10.07.2020 auch die Löschung zahlreicher Konten der "Identi tären Bewegung" (inklusive Untergruppen) beim MessengerDienst Twitter. Als Grund wurden Verstößen gegen die Richtlinien in Be zug auf gewalttätigen Extremismus genannt. Auch das Videoportal YouTube löschte mehrere Konten der "Identitären Bewegung". Davon war am 13.07.2020 auch Martin Sellner betroffen. Der 32jährige Österreicher ist nicht nur Aktivist und ideologischer Vor denker der "Identitären Bewegung", sondern zugleich ihr bekann testes Gesicht im deutschsprachigen Raum. Die Möglichkeiten der "Identitären", ihre Ideologie und ihre Aktionen in den Sozialen Me dien zu verbreiten und dadurch bekannter zu werden, sind durch die Löschungen erheblich eingeschränkt worden. Auch der Versuch, auf alternativen Plattformen wie dem MessengerDienst Telegram oder dem Videoportal BitChute ein ähnlich großes Publikum zu erreichen, ist bislang fehlgeschlagen. Beteiligung niedersächsischer Aktivisten an der "Sommertour 2020" Nach der Löschung ihrer Profile bei den gängigen Sozialen Medien startete die IBD als Reaktion eine "Sommertour", um direkt und vor Ort mit den Menschen in Kontakt zu treten. Unter dem Motto "Unser Büro ist die Straße" wurde dazu aufgerufen, während des Sommers in 100 Landkreisen einen InfoStand zu betreiben. Auch in Niedersachsen engagierten sich Aktivisten an der Kampagne und verteilten in sieben Landkreisen Flyer der IBD. Die deutschlandweit angepeilten 100 InfoStände kamen jedoch nicht zustande. Nach ei genem Bekunden auf der Internetseite der "Identitären Bewegung" wurden "über 75 Infostände" durchgeführt. 27 Trotz gegenteiliger Aussagen ist die IBD weit davon entfernt, mit dieser Aktion die 26 Vgl. Internetseite der IBD vom 22.06.2020. 27 Vgl. Internetseite der IBD vom 07.10.2020. 81 Rechtsextremismus Löschung ihrer Präsenzen in den Sozialen Medien zu kompensieren. Darüber hinaus waren in Niedersachsen die Aktionen der IB zumeist lokal begrenzt und blieben von der Öffentlichkeit weitgehend un bemerkt. "Unserer Pflicht, die Öffentlichkeit nicht nur im Netz sondern auch auf der Straße [über den 'sanften Totalitarismus'] zu informieren, werden wir weiter nachkommen." (Internetseite der "Identitären Bewegung Deutschland" vom 07.10.2020) Start einer Kampagne gegen die öffentlichrechtlichen Medien Aufgrund einer vermeintlichen medialen Indoktrination und fal schen Berichterstattungen durch die öffentlichrechtlichen Medien organisierte die IB Niedersachsen unter dem Titel "Den Mainzels reichts" eine neue Kampagne. In dieser Kampagne werden die Mainzelmännchen als Whistleblower dargestellt, die die Sichtweise der IB teilen und nun über die mutmaßlich einseitige und verfälschte Berichterstattung des ZDF berichten. Die Themen reichen von einer Kritik an der Gebühreneinzugszentrale über die "Umerziehung" der Jugend durch die Medien bis zu dem Vorwurf, linksextremistische Straftaten zu verharmlosen. Die IB Niedersachsen führt auf Telegram aus, dass Linksextremisten verharmlost werden und die Medien mit diesen sogar sympathisieren würden. Plakate mit der Aufschrift "Auf dem linken Auge blind" wurden von der IB Niedersachsen an gefertigt und am 23.08.2020 in Braunschweig sowie am 04.10.2020 in Helmstedt angebracht. "Sie [die Mainzelmännchen] berichten von zunehmendem Unbehagen, das mit der einseitigen und verfälschten Berichtserstattung über den Ukraine-Konflikt begann. Dieses Unbehagen steigerte sich mit Fortschreiten der Massenmigration nach Deutschland immer mehr." (TelegramAccount der IB Niedersachsen vom 22.08.2020) 82 Rechtsextremismus Banneraktion bei "Querdenken"Demonstration in Berlin Die Proteste von "Querdenken"28 am 29.08.2020 in Berlin gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie wurden von der IBD als Bühne genutzt, um ihre Ideologie zu verbrei ten. Die IBD organisierte für die zweite Großdemonstration in Berlin vier Banner mit der Aufschrift "WIR", "SIND", "DAS" und "VOLK". Die Banner wurden während der Proteste an mehreren Stellen positioniert, um medial wirkmächtige Bilder zu produzieren. Die Protestbewegung sowie andere regierungskritische und politisch rechts orientierte Kreise sollten damit unterstützt werden. Ziel war es aber auch, die erneute mediale Präsenz der IBD zu de monstrieren. Allerdings verfehlte die Aktion ihre angedachte Wirkung. Aufgrund der medial äußerst wirksamen Besetzung der Treppen vor dem Reichstagsgebäude durch andere Protest teilnehmer blieb eine mediale Erwähnung der IBDAktion aus. Lediglich auf ihrer eigenen Internetseite und in den ihr verbliebe nen Sozialen Medien wurde von der IBD selbst ein Bericht über die Aktion verbreitet. 29 Aktion auf dem Braunschweiger Lichtparcours Am 09.09.2020 führten Aktivisten der IB Niedersachsen auf dem sogenannten Lichtparcours in Braunschweig eine Aktion durch, um den Parcours selbst zur Verbreitung ihrer Ideologie zu nut zen. Mit dem üblichen satirischen Unterton bezeichnete sich die IBD dabei selbst als "fester Bestandteil der kulturschaffenden Szene in Braunschweig". 30 Aus diesem Grund habe man einen leuchtenden Kubus mit IBtypischen Symbolen in der Nähe der offiziellen Kunstwerke des Lichtparcours platziert. Weitere Installa tionen wurden angekündigt, aber nicht verwirklicht. Die mediale Verbreitung der Aktion auf verschiedenen Medien erzielte keine nennens werte Resonanz. 28 "Querdenken" ist eine während der CoronaPandemie entstandene bundesweite Pro testbewegung. Die inzwischen in ganz Deutschland vorhandenen lokalen Initiativen von "Querdenken" protestieren gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie. 29 Vgl. Internetseite der IBD vom 04.09.2020. 30 TelegramAccount der IB Niedersachsen vom 09.09.2020. 83 Rechtsextremismus TatortInszenierung eines islamistischen Terroranschlages in der Braunschweiger Altstadt Am 14.11.2020 inszenierten Mitglieder der "Identitären Bewegung" in der Braunschweiger Altstadt einen "gestellten Tatort eines isla mistischen Anschlags", um auf diese Gefahr aufmerksam zu ma chen. Hierbei lagen drei, mit Kunstblut verschmierte Strohpuppen auf dem Straßenpflaster. Der "Tatort" war mit Absperrband ver sehen. Auf Schildern wurde ein Bezug zum islamistischen Terror anschlag in Wien hergestellt, der sich etwa zwei Wochen vorher ereignet hatte. 31 Weitere sechs Aktivisten zeigten ein Transparent, auf dem in Großbuchstaben die Aufschrift "Islamisten Abschie ben!" zu lesen war und forderten striktere Abschiebungen sowie geschlossene Grenzen. Auf ihrem TelegramAccount formulierte die IB Niedersachsen in üblicher Weise einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und islamistischem Terrorismus. 32 Später wurde auf YouTube auch ein Video der Aktion veröffentlicht. Als ideologischer Hintergrund dient hier die Vorstellung vom "Großen Austausch", also dem vermeintlich gezielten Austausch der Bevölkerung durch eine angeblich politisch gewollte "Islamisierung", die nicht nur das Fortbestehen des eigenen Volkes bedrohe, sondern vielmehr eine ganz reale Terrorgefahr darstelle. Auf diese Weise w e rd e n Einwan d e re r, A sylsuchende und ge flüchtete Menschen aus muslimischen L ändern pauschal unter Terror verdacht gestellt und als Sicherheitsproblem dar gestellt. 31 Am Abend des 02.11.2020 hatte in der österreichischen Hauptstadt Wien ein 20Jähriger Attentäter auf Barbesucher und Restaurantangestellte geschossen und dabei vier Men schen getötet. Der Angreifer verletzte zudem 22 weitere Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) reklamierte den Anschlag für sich. Siehe auch Kapitel 4.5, Abschnitt "Anschläge in Europa". 32 Vgl. TelegramAccount der IB Niedersachsen vom 14.11.2020. 84 Rechtsextremismus "Dresden, Paris, Nizza, Wien... die Liste islamistischer Anschläge erweitert sich stetig und verdeutlicht, dass es sich beim islamistischen Terror um ein europaweites Phänomen handelt. Zurückzuführen sind diese tragischen Entwicklungen auf massenhafte Migrationsströme aus überwiegend kulturfremden Regionen. Die demographischen Entwicklungen und die daraus resultierenden Bildungen von Parallelgesellschaften bieten den Islamisten hierbei Rückzugsräume und erhöhen die Terrorgefahr. ... Unsere Forderungen sind klar und deutlich: Masseneinwanderung stoppen und Islamisten konsequent abschieben!" (TelegramAccount der IB Niedersachsen vom 14.11.2020) Bewertung, Tendenzen, Ausblick Nachdem die IBD am 10.10.2012 zunächst als FacebookGruppe ge gründet wurde, war das soziale Netzwerk bis Mai 2018 ihre größte Plattform zur Veröffentlichung von Informationen über eigene Ak tionen und über ideologische Kampagnen. Durch die dortige Ver breitung konnten neue Interessenten angesprochen und für die Teil nahme an Aktionen oder Stammtischen geworben werden. Mit der Sperrung ihrer Facebook und InstagramProfile im Mai 2018 und weiterer Löschungen im Jahr 2020 verlor die "Identitäre Bewegung" ihr größtes Zugpferd hinsichtlich der Verbreitung ihrer Ideologie. Die Aktionen und Veranstaltungen der "Identitären Bewegung" im Jahr 2020 waren wie bereits im Vorjahr kaum geeignet, ein größeres Publikum anzusprechen oder eine größere mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Ob dies in Form von Aktionen wie der Besetzung des Brandenburger Tores im August 2016 oder durch die Mobilisie rung der eigenen Aktivisten zu öffentlichem Auftreten angestrebt wird, ist bisher nicht abzusehen. Die Sommertour 2020 kann hier ein Anfang sein. Die Reichweite solcher Aktionen ist aber ohne die bisher erfolgte Aufbereitung zur Selbstdarstellung in den Sozialen Medien deutlich eingeschränkt. Sollte es nicht gelingen, die eige nen Anhänger entsprechend zu mobilisieren, droht der "Identitä ren Bewegung" ein weiterer herber Rückschlag, auch hinsichtlich der Rekrutierung neuer Aktivisten. Mögliche Folgen aus diesem Umstand sind, dass sich die "Identitäre Bewegung" entweder ra dikalisiert oder letztlich zerfällt, weil sich ihre Anhänger anderen rechtsextremistischen Gruppierungen anschließen oder dem demo kratischkonservativen Lager zuwenden. Inhaltlich hat sich die IBD kaum verändert. Durch das Hineintragen emotional aufgeladener Themen (u. a. "Gewalt gegen Frauen") in 85 Rechtsextremismus den öffentlichen Raum erreicht die "Identitäre Bewegung" eine Anschlussfähigkeit für breitere gesellschaftliche Kreise. Das Wie deraufgreifen von "älteren" Themenkomplexen zeugt ebenfalls von einem Stillstand innerhalb der ideologischen Entwicklung der "Iden titären Bewegung". Beispiele sind hier wiederholte Hinweise auf eine angeblich gestiegene Bedrohungslage durch "Kriminelle und Terroristen" im Zuge der vermeintlichen "Islamisierung" Deutsch lands und Europas, die derzeit im Rahmen der bundesweiten Kam pagne "Niemals auf Knien" thematisiert wird. Die Aktionen und aktuellen Kampagnen der "Identitären Bewegung" stehen auch im Jahr 2020 inhaltlich für eine Fortführung der ideologischpro grammatischen Forderung nach dem Erhalt der "ethnokulturellen Identität" und zeigen in der begleitenden Darstellung im Internet unverkennbar fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch nationalistischen Haltungen. Ideologisch verfolgt die "Identitäre Bewegung" damit weiterhin einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zuge hörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrie ben werden. Im Sinne eines volksgemeinschaftlichen Denkens wird hierbei die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den ideologischen Bezugsrahmen bie ten rechtskonservative Theoretiker der Weimarer Republik wie Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler, die zu den antilibera len und antiegalitären Denkzirkeln der "Konservativen Revolution" gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffsverständnis von "Freiheit, Heimat, Tra dition", das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. 86 Rechtsextremismus 2.7 Junge Alternative (JA) Niedersachsen Gründung/ November 2013 ; Auflösung (vorläufig) am 04.11.2018 Bestehen seit Struktur/ Landesverband; vier Bezirksverbände (Braunschweig, Hannover, Repräsentanz Lüneburg, WeserEms) sowie die Hochschulgruppe Göttingen (vor der Auflösung) Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A.33 Land: 25 Unterstützer Veröffentlichungen Eigene Internetseite, Präsenzen des Landesverbandes und der Bezirksverbände in den gängigen sozialen Netzwerken (vor der Auflösung) Kurzportrait/Ziele Die "Junge Alternative Niedersachsen" war eine eigenständige, dem Bundesverband der "Jungen Alternative für Deutschland" un tergeordnete politische Vereinigung. Die JA Niedersachsen war ein Personenzusammenschluss aus jungen Menschen, überwiegend zwischen 18 und 30 Jahren. Der niedersächsische Landesverband vertrat seit 2017 insbesondere auf Funktionärsebene vermehrt rechtsextremistische Positionen und pflegte gezielt Kontakte zu rechtsextremistischen Akteuren und Gruppierungen, die in erster Linie der Neuen Rechten zuzuordnen sind. Die Verbreitung von geschichtsrevisionistischen und geschichtsrelativierenden Äuße rungen wie auch von verschwörungstheoretischen Inhalten deutet darüber hinaus auf eine geistige Nähe zu klassischen rechtsextre mistischen Argumentationsmustern und Agitationsstrategien hin. Infolge der Mitte 2017 erfolgten Konstituierung eines neuen Landesvorstandes entwickelte die JA Niedersachsen eine politische und ideologische Positionierung, die sich verstärkt an der Grenze zwischen Populismus und Extremismus orientierte und diese 33 Auf Bundesebene werden die Mitglieder der "Jungen Alternative" (JA) unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Personenpotenzials der JA erfolgt nicht; siehe Kapitel 2.1, "Mitglieder Potenzial". 87 Rechtsextremismus bisweilen deutlich überschritt. Die Situation führte zum Austritt bzw. Einflussverlust vieler gemäßigter Kräfte. Fortan dominierten in erster Linie antidemokratische, antipluralistische sowie islam, einwanderungs und asylfeindliche Inhalte die Themensetzung der Organisation. Nach der Bekanntgabe, dass die JA Niedersachsen mit Wirkung vom 03.09.2018 nunmehr Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist, erfolgte im November 2018 die Auflösung des Landesverbandes. Finanzierung Die JA Niedersachsen finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die JA Niedersachsen propagiert ein Weltbild, in dem Minderhei ten (vor allem Einwanderer, Asylbewerber, Muslime) sowie politische Gegner pauschal abgewertet, diffamiert und verächtlich gemacht werden. Indem sie eine repressive, autoritäre und antipluralistische Zielsetzung vertritt, negiert die JA Niedersachsen zentrale Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates. Das formelle Bekenntnis der JA Niedersachsen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann daher lediglich als taktisch gewertet werden. Vielmehr ist es unter Berücksichtigung aller gesammelten Erkenntnisse wahrscheinlich, dass das demokratische System organisationsintern in Frage gestellt wird. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die JA Niedersachsen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, insbesondere gegen die Würde des Menschen (Art. 1 GG), gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), gegen die Freiheit des Glaubens und der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 GG), gegen den Gedanken der Völkerver ständigung (Art. 9 GG) und gegen das Recht auf Asyl (Art. 16a GG). Sie erfüllt damit die Voraussetzungen einer Beobachtung gem. SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Auflösung des niedersächsischen Landesverbandes Als am 03.09.2018 die Beobachtung der JA Niedersachsen sowie der JA Bremen durch die jeweiligen Innenressorts bekannt gegeben wurde, reagierte der JA Bundesverband wenige Stunden später mit einer Pressemitteilung, in welcher er die Entscheidung zur Beob achtung "als nicht nachvollziehbar" bezeichnete. Gleichzeitig wurde in der Pressemitteilung jedoch angekündigt, zeitnah einen außeror 88 Rechtsextremismus dentlichen Bundeskongress abzuhalten, auf dem die Abgliederung bzw. die Auflösung der Landesverbände Niedersachsen und Bremen beschlossen werden sollte.34 Der JA Bundesverband ließ an diesem Tag außerdem verlauten, man wolle die Beobachtung "mit allen rechtlichen Mitteln" anfechten. Letztlich blieb es aber bei der bloßen Ankündigung. Die über beide Landesverbände mitgeteilten Erkenntnisse und Materialien hatten offenbar selbst beim Bundesverband keine Zweifel an einer Recht mäßigkeit der Beobachtung zugelassen, wie es auch später in einer Pressemitteilung heißt: "Dem Landesverband Niedersachsen wurden erhebliche und vorsätzliche Verstöße gegen ... die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen und nachgewiesen." (Pressemitteilung des JABundesverbandes vom 04.11.2018) Im Oktober 2018 intensivierten sich die Planungen für die Auflösung des niedersächsischen Landesverbandes und für eine damit einher gehende Neugründung bzw. Neustrukturierung der Jugendorgani sation. Der angekündigte, außerplanmäßige Bundeskongress fand schließlich am 04.11.2018 im Zechensaal in Barsinghausen (Region Hannover) statt. Der einzige inhaltliche Tagesordnungspunkt be fasste sich erwartungsgemäß mit der "Abgliederung der JA Nie dersachsen". Um die angestrebte Abgliederung bzw. Auflösung durchzusetzen, musste eine Zweidrittelmehrheit unter den etwa 260 Teilnehmenden erreicht werden. Obwohl vom JABundesverband so wie von der AfD massiv für die Auflösung geworben wurde und man sich bemühte, möglichst viele gemäßigte JAMitglieder zur Teilnahme an dem Bundeskongress zu bewegen, waren es am Ende wenige Stimmen, die für die notwendige Mehrheit sorgten. Infolge der Ent scheidung erlosch die Mitgliedschaft von ungefähr 180 Personen. 34 Vgl. Pressemitteilung des JA Bundesverbandes vom 03.09.2018. 89 Rechtsextremismus Reaktionen nach der Auflösung Die knappe Entscheidung rief unterschiedliche Reaktionen und Be wertungen hervor. Während sich der Bundesverband "erleichtert" zeigte und die Entscheidung "ausdrücklich begrüßte", sprachen niedersächsische Mitglieder von "einem schwierigen Tag" für sich selbst und "ihre Kameraden der ehemaligen JA Niedersachsen". Einigkeit herrschte jedoch darin, der JA Niedersachsen einen Neu anfang zu ermöglichen. Doch die nach der Auflösung zeitnah an gestrebte Neugründung des niedersächsischen Landesverbandes kam nicht zustande. Nachdem das Bundesamt für Verfassungs schutz (BfV) den JABundesverband am 15.01.2019 zum extremis tischen Verdachtsfall erhob, gerieten sowohl die Partei als auch die Jugendorganisation und ihre Untergliederungen in die Defensive. Die Verdachtsfalleinstufung des Bundesverbandes führte in Nie dersachsen zunächst dazu, dass sich die für die Koordination und Durchführung der Neugründung des Landesverbandes vorgese henen Mitglieder von der Organisation distanzierten bzw. für ihre geplanten Aufgaben in Niedersachsen nicht mehr zur Verfügung standen. Der Bundesvorstand der JA selbst sprach in einer am 25.06.2019 in Berlin abgehaltenen Pressekonferenz zur Verdachtsfalleinstu fung davon, dass die Auflösung des niedersächsischen JALandes verbandes darauf beruhe, "dass das Verhalten einzelner Mitglieder des Landesverbandes Niedersachsen in eklatanter Weise gegen die Grundsätze der Jungen Alternative verstoßen haben."35 Die Argu mentation, die existierenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung seien lediglich auf einzelne Mitglie der zurückzuführen, bildet den Kern der internen Auseinanderset zung der JA mit der Beobachtung sowohl auf Landes als auch auf Bundesebene. Die für die Beobachtung des niedersächsischen Lan desverbandes entscheidenden strukturellen und programmatischen Dimensionen werden hierbei bewusst ausgeblendet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der JA durch das BfV wurde im Mai 2020 durch das Verwaltungsgericht Berlin festgestellt. Die Be 35 Pressekonferenz der "Jungen Alternative für Deutschland" am 25.06.2019 in Berlin. 90 Rechtsextremismus stätigung des Urteils erfolgte anschließend im Juni 2020 durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) BerlinBrandenburg. Vorausgegan gen war eine Klage der AfD bzw. der JA gegen die Aufführung der Jugendorganisation im Verfassungsschutzbericht des Bundes. Das OVG BerlinBrandenburg bestätigte in seinem Beschluss die Feststel lung, dass tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dafür vorlägen, dass die zentralen politischen Vorstellungen der JA darauf gerichtet seien, das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand zu erhalten, wobei ethnisch "Fremde" nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollten. Ein derart völkischabstammungs mäßiger Volksbegriff verstoße laut Gericht gegen die in Art. 1 GG festgeschriebene Unantastbarkeit der Menschenwürde. 36 "Der von der JA behauptete 'große Austausch' der Bevölkerung, deren 'Abschaffung' und 'Umvolkung' durch 'Messerzuwanderung', 'Messermigranten' und 'Messerstichkultur' ist in Wortwahl, Diktion und Inhalt erkennbar darauf gerichtet, Asylbewerbern und Migranten ihre Menschenwürde abzusprechen." (Zitat aus dem Beschluss des OVG BerlinBrandenburg AZ. OVG 1 S 55/20 vom 19.06.2020) Situation in Niedersachsen Seit dem vergangenen Jahr zeichnete sich in Niedersachsen eine de zentrale Strategie ab, bei der einzelne Kreisverbände den Versuch unternahmen, regionale Jugendgruppen ohne einheitliche Organi sationsbezeichnung zu etablieren. Es ist beispielsweise die Rede von der "Jungen AfD" oder der "Jungen Generation Niedersachsen". Zusätzlich benannten einzelne Kreisverbände offizielle Ansprech partner bzw. Koordinatoren für interessierte Jugendliche. Personell setzen sich diese neuen Jugendstrukturen zum Teil aus ehemaligen Mitgliedern und Funktionären der JA zusammen. Spezifische inhalt liche bzw. politische Verlautbarungen und Zielsetzungen sind bisher nicht zu vernehmen. Hingegen treten diese neu strukturierten Per sonenzusammenschlüsse vereinzelt öffentlich auf. Seit der Landesvorstandswahl der AfD Niedersachsen vom 12.09.2020 mehren sich allerdings die Indizien, dass die bisher ver folgte dezentrale Strategie durch die Neugründung eines einheitli chen JA Landesverbandes abgelöst werden könnte. Grund dafür ist 36 Vgl. Beschluss des VG Berlin vom 28.05.2020. 91 Rechtsextremismus die durch den neuen Landesvorstand wiederholt geäußerte Ansicht, wonach ein eigener Jugendverband für den Landesverband politisch notwendig sei. So verbreitete der neue Landesvorsitzende in einem FacebookEintrag vom 19.10.2020: "Niedersachsen braucht eine starke Jugend für unsere Zukunft! #AfD #Niedersachsen #Jugend #JA". Deutlicher wird der neue niedersächsische AfDLandesvorsitzende in seinem vor der Wahl veröffentlichten 10PunktePlan. Hier heißt es unter Punkt 8 zum Thema Jugendorganisation: "Die Jugend ist die Zukunft Deutschlands und die Zukunft unserer Partei. Deshalb muss die Wiedererrichtung einer Jungen Alternative höchste Priorität haben." Unabhängig von diesen bevorstehenden offiziellen bzw. formalen Neugründungsprozessen nahmen ehemalige Angehörige der JA Niedersachsen im Jahr 2020 bereits vermehrt als Jugendvertreter an Veranstaltungen und Aktionen der JA außerhalb Niedersachsens teil. So wurden bestehende Strukturen etwa bei einer von der JA SachsenAnhalt organisierten Brockenwanderung am 01.08.2020 im Harz sichtbar. Hier führten niedersächsische Vertreter ein Banner mit der Aufschrift "Junge Generation Niedersachsen" mit sich. Darüber hinaus sind ehemalige Mitglieder der JA Niedersachsen mittlerweile in anderen rechtsextremistischen Personenzusammen schlüssen aktiv. Neben vereinzelter Partizipation in neonazistischen Gruppierungen sind insbesondere Bezüge zu rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen der sogenannten Neuen Rechten zu beobachten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Beobachtung der JA Niedersachsen gründet im Wesentlichen auf ideologischen und personellen Überschneidungen mit rechts extremistischen Organisationen. Dies lässt weiterhin eine struktu relle Nähe zum organisierten Rechtsextremismus erkennen. Die Abgliederung bzw. Auflösung des Landesverbandes hat für den Nie dersächsischen Verfassungsschutz und für die durch ihn durchge führte Beobachtung bisher keine Konsequenzen, da zentrale Funk 92 Rechtsextremismus tionäre ihre politische Betätigung weiterhin fortführen. Eine formale Neugründung des Landesverbandes wird an der Einschätzung der JA Niedersachsen als rechtsextremistische Bestrebung vorerst nichts ändern. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die JA Niedersachsen oder ggf. ihr zuzuordnende Nachfolgeorganisationen von rechts extremistischer Ideologie zu trennen vermögen und welche inhaltli chen Auseinandersetzungen diesen Prozess begleiten. 2.8 "Der Flügel" innerhalb der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Gründung/ März 2015; formelle Auflösung 30.04.2020 Bestehen seit Struktur/ Personenzusammenschluss/innerparteiliche Sammlungsbewegung Repräsentanz ohne offizielle Strukturen, Funktionsträger und Ansprechpartner auf Landes und Bundesebene Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A.37 Land: k. A.38 Unterstützer Veröffentlichungen Eigene Website, OnlineVersandhandel, offizielle Kanäle in den Sozialen Medien (bis zum 30.04.2020), Gruppen in den Sozialen Medien Kurzportrait/Ziele Die bundesländerübergreifende Sammlungsbewegung "Der Flügel" ist ein Personenzusammenschluss innerhalb der Partei "Al ternative für Deutschland" (AfD). Ein eigener Internetauftritt, ein OnlineShop, mehrere Gruppen in den sozialen Netzwerken, die ab gehaltenen zentralen "Flügel"Veranstaltungen mit den "Kyffhäu sertreffen" sowie ernannte Funktionsträger und Ansprechpartner 37 Auf Bundesebene werden die Mitglieder des "Flügels" unter dem sonstigen rechtsextre mistischen Personenpotenzial in Parteien gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Perso nenpotenzials des "Flügels" erfolgt nicht; siehe Kapitel 2.1, "MitgliederPotenzial". 38 Auf Landesebene werden die Mitglieder des "Flügels" unter dem sonstigen rechtsextre mistischen Personenpotenzial in Parteien gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Perso nenpotenzials des "Flügels" erfolgt nicht; siehe Kapitel 2.1, "MitgliederPotenzial". 93 Rechtsextremismus in den Bundesländern zeugen dabei von bestehenden Strukturen und einer Professionalität, die weit über einen lediglich losen Zusammenschluss hinausgehen. Als Gründungsdokument des "Flügels" kann die sogenannte Er furter Resolution betrachtet werden. Die Verfasser attestieren darin der AfD eine fehlerhafte Entwicklung und erachten deshalb den Zusammenschluss des "Flügels" als notwendig. Das ideologische Zentrum des "Flügels" bildet ein völkischer Natio nalismus, der auf ein ethnischhomogenes Gesellschaftsbild abzielt. Fremden und islamfeindliche Aussagen stützen diese Ideologie eines völkischen Nationalismus und werden durch antipluralistische sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen ergänzt. Im Januar 2019 wurde "Der Flügel" vom Bundesamt für Verfas sungsschutz zum Verdachtsfall erhoben, die Einstufung als er wiesen rechtsextremistische Bestrebung erfolgte am 12.03.2020. Infolgedessen forderte der AfDBundesvorstand die Auflösung des innerparteilichen Personenzusammenschlusses, welche formell zum 30.04.2020 erfolgte. Der Niedersächsische Verfassungsschutz bestimmte den "Flügel" am 19.03.2020 zum Beobachtungsobjekt. Seine zunehmende Einflussnahme lässt sich auch in Niedersachsen beobachten. Am 12. und 13.09.2020 wurde beim Landesparteitag der AfD Niedersachsen in Braunschweig ein neuer Landesvorstand gewählt, der unter erheblichem Einfluss des "Flügels" steht. Finanzierung Spenden, OnlineVersandhandel Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die völkischnationalistische Ideologie des "Flügels", die von sei nen Anhängern und Funktionären vertreten wird, zeichnet ein ethnischhomogenes Gesellschaftsbild. Das Konzept von Volk und Zugehörigkeit bietet politisch Andersdenkenden und in ethnischer wie in kultureller Hinsicht "fremden" Menschen in der vom "Flügel" Logo des Flügels propagierten Gesellschaft keinen Platz. Diese Anschauung geht mit fremden und islamfeindlichen, antisemitischen und antipluralisti schen Positionen einher und steht in einem eindeutigen Widerspruch zur Menschenwürde sowie dem Demokratie und Rechtsstaatsprin zip. Es existiert demnach eine Konstruktion von Feindbildern auf ethnischkultureller, aber auch auf politischer Ebene. Dies äußert 94 Rechtsextremismus sich auf der einen Seite primär als Agitation gegen Geflüchtete, Migranten und Menschen muslimischen Glaubens, auf der anderen Seite als ablehnende Haltung gegenüber politischen Parteien, politi schem Meinungspluralismus oder der Bundesregierung. Der Parlamentarismus wird strikt von zentralen "Flügel"Akteuren wie Björn Höcke abgelehnt. Das vom "Flügel" vertretene Politikver ständnis stellt vielmehr einen wahren "Volkswillen" ins Zentrum, der die politische Ordnung bestimmen soll und der sich in einem Gegen satz zu einer repräsentativen Demokratie befindet. Hinzu kommen immer wieder Äußerungen von "Flügel"Angehörigen, die auf eine Verharmlosung des historischen Nationalsozialismus abzielen und dabei von geschichtsrevisionistischen Fragmenten ergänzt werden. Darüber hinaus ist die Sammlungsbewegung mit ihren Führungs personen Björn Höcke und Andreas Kalbitz im rechtsextremisti schen Spektrum vernetzt. Die zunehmende Professionalisierung des "Flügels" fördert seinen innerparteilichen Einfluss und Machtge winn. Die auf Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen gerich teten Ansichten des "Flügels" sind in ihrer Gesamtheit nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Der Nieder sächsische Verfassungsschutz hat deshalb am 19.03.2020 die inner parteiliche Sammlungsbewegung "Der Flügel" zum Beobachtungs objekt gemäß SS 6 Abs. 2 NVerfSchG bestimmt. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Nachdem "Der Flügel" im Januar 2019 vom Bundesamt für Ver fassungsschutz (BfV) zum Verdachtsfall erhoben wurde und die Einstufung als erwiesenermaßen extremistische Bestrebung am 12.03.2020 folgte, forderte der AfDBundesvorstand die Auflösung des innerparteilichen Personenzusammenschlusses. In einem Be schluss vom 21.03.2020 heißt es wörtlich: "Der Bundesvorstand erwartet als Ergebnis des morgigen 'Flügel'-Treffens eine Erklärung darüber, dass sich der informelle Zusammenschluss 'Flügel' bis zum 30.04 auflöst." (Beschluss des AfDBundesvorstandes vom 21.03.2020) Die beiden "Flügel"Leitfiguren Björn Höcke und Andreas Kalbitz konstatierten daraufhin in einer Pressemitteilung, dass prinzipiell nichts aufgelöst werden kann, "was formal nicht existiert". Um je 95 Rechtsextremismus doch "die Einheit der Partei zu wahren", wurden alle dem "Flügel" zugehörigen Personen bis zum 30.04.2020 gebeten, "ihre Akti vitäten im Rahmen des Flügels einzustellen". 39 Die Reaktion eines niedersächsischen "Flügel"Anhängers auf dem MessengerDienst Twitter lässt jedoch darauf schließen, dass die Ideologie des "Flügels" weiterhin in der AfD aufrechterhalten bleibt: "'#DerFlügel wird jetzt bald Geschichte sein, aber der Geist des Flügels wird lebendig sein in dieser @AfD. Halten wir an diesem Geist fest, bewahren wir die Einheit der AfD!' Danke @BjoernHoecke für fünf großartige gemeinsame Jahre!" (TwitterEintrag vom 26.04.2020) Veranstaltungen in Northeim und in der Wedemark Im Berichtszeitraum fanden in Niedersachsen einige Veranstaltun gen statt, die aufgrund der Zusammensetzung des Teilnehmer kreises zweifelsfrei einen engen Bezug zum "Flügel" aufwiesen. Am 10.01.2020 veranstaltete der AfD Kreisverband Northeim seinen "6. Patriotischen Neujahrsempfang", zu dem unter anderem Björn Höcke und Andreas Kalbitz eingeladen waren. Am 01.02.2020 be suchte Björn Höcke Niedersachsen erneut zu einer Versammlung von "Flügel"Unterstützenden in der Gemeinde Wedemark (Region Hannover). Dieses Treffen hatte konspirativen Charakter und fand ohne Wissen des damaligen Landesvorstandes statt. Dieser äußerte sich anschließend kritisch zu der Zusammenkunft. 40 Der nicht kom munizierte und auf keine öffentliche Wirksamkeit abzielende Termin deutet auf eine angestrebte parteiinterne Einflussausweitung des "Flügels" in Niedersachsen hin. Am 22.08.2020 fand das "6. Patriotische Sommerfest" des AfDKreis verbandes Northeim statt. Anders als beim Neujahrsempfang im Januar war eine Vielzahl von Anhängern des "Flügels" und der JA aus mehreren Bundesländern anwesend. Zentrale Figur der Veran staltung in Northeim war einmal mehr Björn Höcke, dessen Anwe senheit eindeutig der Unterstützung eines für den Landesvorsitz kandidierenden AfDPolitikers galt. 39 Pressemitteilung des "Flügels" vom 27.03.2020. 40 Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: "AfDPolitiker Höcke besucht Firma in der Wedemark", vom 03.02.2020." 96 Rechtsextremismus Teilnahme an überregionalen "Flügel"Veranstaltungen Neben den Veranstaltungen in Northeim und in der Gemeinde We demark beteiligten sich niedersächsische "Flügel"Anhänger auch beim "1. Flügeltreffen" am 06.03.2020 in Schnellroda (SachsenAn halt). Hier hat das "Institut für Staatspolitik" seinen Sitz, das zu den wichtigsten Denkzirkeln der Neuen Rechten in Deutschland zählt. Die Reden der AfDPolitiker Björn Höcke, Andreas Kalbitz oder HansThomas Tillschneider bei diesem Treffen lockten Sympathisan ten des "Flügels" aus weiten Teilen der Bundesrepublik an. Die Ver anstaltung macht gleichzeitig die Vernetzung des "Flügels" mit der Neuen Rechten deutlich. Am selben Veranstaltungsort finden unter anderem die sogenannten Sommer und Winterakademien des neu rechten Verlegers und ideologischen Vordenkers Götz Kubitschek statt, der zugleich Mitbegründer des "Instituts für Staatspolitik" ist. Zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit veranstaltete die AfD Thüringen am 03.10.2020 in Vacha (Thüringen) ein "Familienfest", bei dem auch Björn Höcke als Redner auftrat. Unter den Besuchern waren auch Anhänger des "Flügels" und der JA aus Niedersach sen. Inhaltlich war die Rede Björn Höckes eine Abrechnung mit der "unpatriotischen Politik" der "verbrauchten Parteien", die seit der Wiedervereinigung betrieben werde. Wahl des neuen Landesvorstandes Am 12. und 13.09.2020 versammelten sich Parteimitglieder der AfD Niedersachsen in Braunschweig, um auf dem Landesparteitag einen neuen Landesvorstand zu wählen. Neben der bisherigen Landesvor sitzenden traten vier weitere Kandidaten zur Wahl an. Es zeichne te sich ein Zweikampf zwischen der bisherigen Landesvorsitzenden und Jens Kestner, MdB aus Northeim ab. Letztlich entschied der He rausforderer die Wahl in einem fünften Wahlgang knapp zu seinen Gunsten. Nachdem viele AfDMitglieder daraufhin den Landespar teitag verließen, wurde der Landesvorstand mit Kandidaten aus dem Lager des neuen Landesvorsitzenden vervollständigt. Mehrheitlich setzt sich der neu gewählte Landesvorstand aus Anhängerinnen und Anhängern des formell aufgelösten "Flügels" zusammen. Viele von ihnen gehörten bereits im Wahlkampf zu Kestners Unterstüt zungsteam und nahmen an den oben genannten Veranstaltungen mit "Flügel"Bezug teil. 97 Rechtsextremismus Reaktionen auf den neuen Landesvorstand Die Reaktionen auf den neuen Landesvorstand fielen äußerst un terschiedlich aus. Während die beiden "Flügel"Führungspersonen Björn Höcke und Andreas Kalbitz dem neuen Landesvorsitzenden zum Wahlsieg gratulierten, traten nur zehn Tage nach der Wahl drei AfDPolitiker aus der Fraktion im Niedersächsischen Landtag aus. Die innerparteilichen Differenzen seien zu groß und ein befürchteter Kurswechsel unter der neuen Führung ermögliche keine weitere Zu sammenarbeit, so die Begründung. Ein aus der Fraktion ausgetrete nes Parteimitglied, das später auch aus der AfD austrat, äußerte sich im Nachhinein folgendermaßen: "Ich habe immer für einen liberalkonservativen und bürgerlichen Kurs gestritten und diesen im Rahmen meiner Möglichkeiten in meinem Kreisverband und der Landtagsfraktion mitgeprägt. Sollte der neue Kurs hierzu im Widerspruch stehen, werde ich das nicht mittragen können und distanziere mich davon ausdrücklich. Die politischen Ziele zahlreicher Vertreter des inzwischen aufgelösten sog. 'Flügels', dem sich ein Teil des Vorstandes angeblich zugehörig fühlt, entsprechen weder meinen eigenen Überzeugungen, noch halte ich es für angemessen, wenn in unseren Landesverband von außen hineinregiert wird." (FacebookSeite eines ehemaligen AfDMitglieds vom 14.09.2020) Ein weiteres AfDLandtagsmitglied betonte konkret, dass es für eine "Flügelfraktion"41 nicht zur Verfügung stehe und war erst aus der Fraktion und später auch aus der Partei ausgetreten. Als Kon sequenz verlor die AfD ihren Fraktionsstatus im Niedersächsischen Landtag. Eine vom Bundesvorstand initiierte Mediation scheiterte, und eine Einladung an die drei ausgetretenen AfDPolitiker zur Fraktionsneugründung wurde von diesen nicht wahrgenommen. 42 Schließlich verkündete ein weiteres aus der Fraktion ausgetretenes AfDMitglied am 31.10.2020 den Austritt aus der Partei. 41 FacebookSeite eines ehemaligen AfDMitglieds vom 19.10.2020. 42 FacebookSeite eines AfDMitglieds vom 28.10.2020. 98 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick "Der Flügel" vertritt die Ideologie eines völkischen Nationalismus, der auf die Entfremdung der Bevölkerung von zentralen Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgelegt ist. Die vorhandene Machtbasis des "Flügels" und sein nicht zu unterschät zender Einfluss auf die Gesamtpartei verdeutlichen die herausge hobene Bedeutung als innerparteiliche und bundesweit agierende Sammlungsbewegung. Seine Dominanz spiegelt sich auch in Nie dersachsen wider: zum einen durch organisierte Veranstaltungen, wobei insbesondere Northeim zu einer überregionalen Anlaufstelle für "Flügel"Angehörige geworden ist; zum anderen durch den neu en Landesvorstand, der sich überwiegend aus "Flügel"Anhängern zusammensetzt. Auch nach der formellen Auflösung am 30.04.2020 gab es Veran staltungen, die sich aufgrund des Teilnehmerkreises eindeutig dem "Flügel" zuordnen lassen. Insofern ist die verkündete Auflösung für die Beobachtung durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz irrelevant, weil zentrale Akteure weiterhin in der Partei aktiv sind und ihre politischen Positionen nach wie vor vertreten. Vielmehr ist zu erwarten, dass durch die formelle Auflösung zukünftig eine inhaltliche Trennung politischer Standpunkte und Äußerungen zwi schen Gesamtpartei und "Flügel" schwieriger zu erkennen sein wird. Die Distanzierung früherer AfDFraktionsmitglieder in Nieder sachsen weist ebenfalls darauf hin, dass die politischen Ideen des "Flügels" weiterhin in der Partei präsent sind. Auch andere (ehe malige) Parteimitglieder haben diesen Umstand bewusst öffentlich kommuniziert. Dem neuen Landesvorstand in Niedersachsen kann zumindest personell eine Nähe zum "Flügel" attestiert werden. Vor allem sucht der neue Landesvorsitzende auffällig offen den Kontakt zu Björn Höcke. Inwieweit sich diese Entwicklung auf die Gesamt partei in Niedersachsen und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit aus wirkt, wird fortlaufend einer Bewertung unterzogen. 99 Rechtsextremismus 2.9 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz/Verbreitung Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz des Bundesverbandes: Berlin; Sitz des Landesverbandes: Oldenburg Junge Nationalisten (JN) 43 Sitz des Bundesverbandes: Riesa (Sachsen); Sitz des Landesverbandes Nord: ohne Angabe Gründung/ 1964; 1969 der Jugendorganisation Bestehen seit Struktur/ Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz; Landesvorsitzender: Manfred Dammann; wenige handlungsfähige Unterbezirke in Niedersachsen Junge Nationalisten (JN) Bundesvorsitzender: Paul Rzehaczek Landesvorsitzender Nord: Sebastian Weigler (Niedersachsen); Mitglieder/ Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Anhänger/ Bund: Land: 230 Unterstützer Junge Nationalisten (JN) Bund: 44 Land: 10 Veröffentlichungen Bund: Deutsche Stimme (DS) (monatlich); Stimme Deutschlands (monatlich) WebAngebote auf Bundes und Landesebene sowie in sozialen Netzwerken Kurzportrait/Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist eine rechtsextremistische Partei, die die Demokratie in Deutschland beseitigen will. Sie propagiert offen und aggressiv fremdenfeind liche, rassistische und antisemitische Positionen. Ihre von 43 Die JN haben sich auf ihrem Bundeskongress am 13.01.2018 in "Junge Nationalisten" umbenannt. 44 Aufgrund eines redaktionellen Versehens war die Mitgliederzahl der JN im Jahr 2019 mit 225 Personen angeben, statt wie es richtig gewesen wäre mit 280. 100 Rechtsextremismus völkischrassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Ideologie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie ab und will diese besei tigen. Dies betrifft auch einzelne, aber wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung. So negiert die Partei die im Grund gesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Die NPD spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. In dem 2010 ver abschiedeten Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" pro klamiert sie die Volksgemeinschaft: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit." In konsequenter Umsetzung dieser völkischnationalen Grundordnung will die NPD alles "Fremde" aus der "Solidargemeinschaft aller Deut schen" entfernen. Hiermit richtet sich die NPD insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) und ge gen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 101 Rechtsextremismus Die NPD ist verfassungsfeindlich Der von den Innenministern und senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). In dem Urteil hatte das BVerfG zwar die Ver fassungsfeindlichkeit der NPD bestätigt, aber kein Verbot ausge sprochen. In dem Urteil wurde ausgeführt: "Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des BVerfG den zulässigen Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat." In seiner weiteren Urteilsbegründung verwies das Gericht darauf, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten sei, Sanktionsmöglichkeiten für verfassungsfeindliche Parteien zu schaf fen. In Folge dessen beschloss der Bundestag im Sommer 2017 die Änderung von Art. 21 Abs. 3 GG wie folgt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen." Mit Schriftsatz vom 19.07.2019 reichten die drei Verfassungsorgane Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung den Antrag auf Aus schluss der NPD von der Parteienfinanzierung beim BVerfG ein. In dem Antrag wird ausführlich begründet, dass die NPD die parlamen tarische Demokratie verachtet und ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nach darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demo kratische Grundordnung zu beseitigen. Nach einem Ausschluss von der Parteienfinanzierung würde dann auch die steuerliche Begünsti gung der Partei entfallen. Sollte der Antrag erfolgreich sein, würde die NPD über sechs Jahre von der Staatsfinanzierung ausgeschlossen werden. 102 Rechtsextremismus Anfang 2019 legte die Bundespartei ihre Kommentierung "Was Wir Wollen" zum Parteiprogramm vor. In der Broschüre werden "die programmatischen Alleinstellungsmerkmale" der Partei benannt, die an den drei ideologischen Säulen, dem "nationalen Dreiklang", "dem lebensrichtigen Menschenbild" und der "Nationaldemokratie" festgemacht werden. 45 Die NPD versteht sich "... als Interessenvertretung der ethnischen Deutschen, als eine politische Partei im Sinne des Art. 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik, die sich für alle Deutschen und ihre Menschenund Bürgerechte einsetzt". (NPDParteivorstand "Was Wir Wollen - Kommentierung des Parteiprogramms", Berlin 2018, Seite 136.) Für das zum Begriff Ethnie zugehörige Eigenschaftswort ethnisch kann nach Meinung der NPD synonym der Begriff völkisch verwen det werden. Weiterhin fordert die Partei "... die Rahmenbedingungen für eine freie und wirklichkeitsgetreue Geschichtsschreibung zu schaffen. ... Einem Schuldkult, wie ihn die politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland betreibt, wäre so die Grundlage entzogen." (ebenda) Mit der positiven Bezugnahme auf den historischen Nationalsozia lismus und geschichtsrevisionistischen Standpunkten geht oft ein in der Partei tief verwurzelter Antisemitismus einher. Aktivitäten der NPD Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die NPD unverändert die 1996 entwickelte "DreiSäulenStrategie" ("Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente"), welche 2004 mit dem "Kampf um den organisierten Willen" zu einem VierSäulen Konzept ausgebaut wurde. Kampf um die Köpfe Der "Kampf um die Köpfe" umfasst neben der Schulung von Mit gliedern auch den Kampf um die Deutung politischer Begriffe (kultu 45 Interview mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Ronny Zaswok in der NPD Broschüre Kommentierung des Parteiprogramms, Seiten 186187. 103 Rechtsextremismus relle Hegemonie). Hierbei versucht die NPD, an vorhandene Ressen timents in Teilen der Bevölkerung anzuschließen. Hatte die NPD bei Wahlerfolgen in der Vergangenheit noch von den Protestbewegun gen gegen die Sozialreformen profitiert, verschob sich ab dem Jahr 2014 der thematische Schwerpunkt in Richtung "Asylmissbrauch" und "Überfremdung". Auf Grundlage des Positionspapiers "Wille - Gemeinschaft - Tat" und der anhaltenden Schwäche als Wahlpartei versucht die NPD, sich seit der Bundestagswahl 2017 verstärkt als Weltanschauungspartei auszurichten. So hatte der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Heise 2018 innerhalb der Partei den sogenannten völkischen Flügel, dem auch einige niedersächsische Funktionäre angehören, ausgerufen. Der Konflikt innerhalb der Partei, der auf dem 37. Bundespartei tag am 30.11. und 01.12.2019 durch eine teils kontrovers geführte Diskussion um die weitere Strategie der Partei zu Tage trat, konnte bisher nicht beigelegt werden. Der für 2020 geplante Bundespartei tag, auf dem das Konzept zur Neustrukturierung der Partei vorge stellt werden sollte, fand aufgrund der CoronaPandemie nicht statt. Unabhängig davon, dass der Bundesvorstand von den Mitgliedern beauftragt wurde, bis zum 31.03.2020 ein Konzept zur Erneuerung der Partei vorzulegen, erschien im Februar die neue NPDPublikati on "Stimme Deutschlands" von Gegnern des Reformkurses um den Hamburger Landesvorsitzenden Lennart Schwarzbach. Schwarz bach kritisierte in der Erstaus gabe, dass die Reformvorhaben, insbesondere die angedachte Umbenennung, einer "Abwick lung der Partei" gleichkämen. Dem Bundesvorstand warf er vor, dass damit "die NPD von der Weltanschauungspartei in eine angepaßte, BRD-hörige und bedeutungslose liberal-konservative Systempartei umgebaut" 104 Rechtsextremismus werde. Als Herausgeber des Periodikums fungiert der Landesverband Niedersachsen stellvertretend für die Gegner des Reformkurses. Zur Strategie der Erneuerung der Partei zählt neben der möglichen Umbenennung 46 und dem Engagement im vorpolitischen Raum auch die Professionalisierung der Medienarbeit. Die Partei hat ei gens hierfür einen Medienraum in Berlin errichtet und will verstärkt "die neuen Medien" nutzen. In einem eigenen Studio im Verlagsge bäude in Riesa (Sachsen) sollen professionelle Interviews und andere Formate aufgezeichnet werden. Im April erschien mit einer fast unveränderten Autoren schaft erstmals eine Neuauflage der ehemaligen Par teizeitung "Deutsche Stimme" als Monatsmagazin im parteineutralen Gewand. In der AugustAusgabe griff die Redaktion offen rassistisch die in den USA teilweise gewalttätig verlaufenen Proteste der Bewegung "Black Lives Matter" (BLM) auf, um bewusst Ängste in der Be völkerung zu schüren. Wörtlich heißt es dort, dass sich bei den angeblich bevorstehenden Auseinandersetzun gen die Menschen "... zu ihren kulturellen und rassischen Wurzeln bekennen müssten ..., da sich mit dem Hinweis auf staatsbürgerliche Werte und Verfassungspatriotismus die völkische und rassische Selbstaufgabe nicht verhindern ..." lasse. Kampf um die Straße Seit 2017 propagiert die NPD die Errichtung sogenannter Schutzzo nen für Deutsche. Auf einer eigenen Internetseite zu der Kampagne finden sich u. a. konkrete Hinweise, wie diese "Schutzzonen" (bspw. Bürgerwehren, Rückzugsräume, Schulwegwachen) praktisch umzu setzen seien und welche juristischen Aspekte dabei Berücksichti gung finden müssten. Ausgehend von der Behauptung, es bestehe hierfür eine "Notwehrsituation" in Deutschland, fordert die NPD 46 Im Vorfeld des Bundesparteitages 2019 hatte sich der Parteivorsitzende Frank Franz für eine strategische Neuausrichtung und eine damit verbundene Namensänderung der Partei ausgesprochen. Das auf dem Parteitag verabschiedete sogenannte Zukunftskonzept bein haltet ggf. die Umbenennung der Partei, auch wenn das "politische und weltanschauliche Fundament der NPD" nicht zur Disposition stehe. 105 Rechtsextremismus ihre Mitglieder und Anhänger auf, selbst aktiv zu werden. Mit der Kampagne werden Flüchtlinge und Migranten pauschal als Gewalt täter und nicht zuletzt als "Bedrohung für das deutsche Volk" dif famiert. Im Zusammenhang mit der CoronaPandemie verunglimpft die Partei sogar Asylbewerber als potenzielle Virusüberträger. Zum "Kampf um die Straße" gehören auch die von der NPD initiierten Kundgebungen und Demonstrationen. Aus Anlass des 75. Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 hat te der stellvertretende sächsische Landesvorsitzende Maik Müller eine Demonstration unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden - 75 Jahre alliierter Bombenterror - Dresden Gedenken 2020" an gemeldet. An der Kundgebung am 15.02.2020 in der sächsischen Landeshauptstadt beteiligten sich rund 1.300 Rechtsextremisten, darunter auch der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Heise und ein größerer Block der Partei "Die Rechte". Auch niedersächsi sche Rechtsextremisten nahmen daran teil. 47 Ansonsten musste auch die NPD die Durchführung ihrer Veranstal tungen aufgrund der CoronaPandemie beschränken und verlagerte ihre Aktivitäten in die Sozialen Medien. So bekannte der Bundesvor sitzende Frank Franz in Ausgabe 28 der "Deutschen Nachrichten aus der Parteizentrale", dass eine breitere Aufstellung der NPD, näm lich nicht nur als Wahlpartei, sondern auch wieder als "Partei auf der Straße", als eine nationale Außerparlamentarische Opposition (APO), nur in Ansätzen vorgeplant werden konnte. 48 Ferner rief die NPD dazu auf, sich an systemkritischen CoronaProtesten zu betei ligen. Jedoch scheiterte der Versuch, diese Veranstaltungen für sich zu vereinnahmen. 47 Siehe hierzu auch Kapitel 2.5, "Demonstrationen". 48 Deutsche Nachrichten aus der Parteizentrale, Ausgabe 28, Seite 3. 106 Rechtsextremismus Kampf um die Parlamente Mit Blick auf den "Kampf um die Parlamente" setzte sich die Ab wärtsspirale der letzten Jahre fort, die mit dem Verlust der Land tagsfraktionen in Sachsen (2014) und MecklenburgVorpommern (2016) eingesetzt hat. Bei den Bürgerschaftswahlen am 23.02.2020 in Hamburg trat die Partei aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten gar nicht erst an. Bei den Kommunalwahlen in NordrheinWestfalen am 13.09.2020 erhielt die Partei gerade einmal 1.776 Stimmen und büßte ihre bis dahin gehaltenen acht Mandate ein. Zu den Kom munalwahlen in Bayern am 15.03.2020 empfahl der Landesverband gar die Wahl von Tarnorganisatoren der Partei. Dabei erzielte die "Bürgerinitiative Ausländerstopp München" (BIA München) um den ehemaligen NPDLandesvorsitzenden Karl Richter lediglich 0,2 Prozent und verpasste damit den Wiedereinzug in den Münche ner Stadtrat. Richter erklärte daraufhin seinen Austritt aus der Partei: "Die NPD ist heute kein ernstzunehmender politischer Faktor mehr. Nichts spricht dafür, dass sie es je wieder sein wird. Wer heute etwas für Deutschland tun will, dem gibt die NPD dafür kein wirksames Instrument mehr an die Hand; nicht erst die letzten Wahlkämpfe machten auch mir das auf ernüchternde, ja bestürzende Weise deutlich." (Eintrag auf der FacebookSeite von Karl Richter (abgerufen am 06.11.2020)) Kampf um den organisierten Willen Zum "Kampf um den organisierten Willen" zählt der Versuch der NPD, alle Rechtsextremisten unter der Vorherrschaft der Partei quasi als eine "Volksfront von rechts" zu vereinen, um so Erfolge bei Wah len erzielen zu können. "Junge Nationalisten" (JN) Die "Jungen Nationalisten" (JN) verstehen sich als europaweit vernetzte, sozialrevolutionäre und nationalistische Jugendbewegung. Durch politi sche Aktionen und ideologische Schulungen festigen die Mitglieder der JN ihre rechtsextremistische Weltanschauung. Sie grenzen sich damit von der modern auftretenden "Identitären Bewegung" aus dem Spektrum der sogenannten Neuen Rechten ab und nehmen zugleich eine Schar nierfunktion zu den Freien Kameradschaften ein. Auf dem 44. JNBun deskongress am 07.03.2020 in Sachsen bestätigten die Mitglieder mit "88,88 %" Paul Rzehaczek in seinem Amt als Bundesvorsitzender. 107 Rechtsextremismus Am 26.04.2020 riefen die JN zur einer "InternetDemonstration" für einen "SystemExit" auf, die kurzzeitig eine bundesweite Aufmerk samkeit in den Sozialen Medien erzeugte. Im Aufruf selbst hieß es: "Noch nie war es so vielen Bürgern klar, dass das System Globalisierung an seine Grenzen gekommen ist. ... Die Globalisierung sorgt nicht für den Export von Sicherheit, Demokratie und Freiheit, sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität." (Kampagne "#SystemExit" auf der Internetseite der NPD vom 22.04.2020, abgerufen am 12.11.2020) Zu den weiteren Aktivitäten zählten eine Kundgebung am 17.06.2020 in Dresden unter dem Motto "Damals wie heute: Widerstand wa gen! Für unsere Grundrechte, Freiheit und Souveränität" sowie die Ausrichtung eines Fußballturniers und des "sächsischböhmischen Kulturtages", aber auch der bundesweite Aktionstag zum 3. Ok tober unter dem Motto "Leisten wir uns den Luxus, eine eigene Meinung zu haben", an dem sich auch Mitglieder der JN aus Nieder sachsen beteiligten. Aktivitäten der NPD in Niedersachsen Der niedersächsische Landesverband unterhält nach wie vor elf Unterbezirke (UB), von denen die meisten lediglich auf dem Pa pier existieren. Zum Jahresende 2020 hatte die Partei nur noch 230 Mitglieder. Anfang 2019 kaufte der Landesverband das Anwe sen des NPDMitgliedes Joachim Nahtz in Eschede (Landkreis Celle), um darauf nach eigenem Bekunden ein Gemeinschaftszentrum "Nationales Niedersachsen" zu errichten. In der Folge gab es Ar beitseinsätze, Sanierungs und Renovierungsarbeiten auf dem Ge lände. Im Jahr 2020 führte die Partei drei Kundgebungen von dem sogenannten Hof Nahtz aus in den Ort Eschede mit jeweils weniger als zehn Personen sowie einen In fotisch durch. Nach Abschluss der Kund gebung am 19.09.2020 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmenden des Aufzuges und Pres severtretern. Das Erntedankfest fand am 26.09.2020 mit rund 60 Personen statt. Am 24.10.2020 demonstrierten NPDAn 108 Rechtsextremismus hängerinnen und Anhänger in Braunschweig unter dem Motto "Ja zur Tradition - kein Verbot stoppt SchwarzWeißRot". Angemeldet wurde die Veranstaltung vom Bundesorganisationsleiter Sebasti an Schmidtke aus Berlin. An der Kundgebung nahmen insgesamt 38 Rechtsextremisten teil, darunter Mitglieder der Partei "Die Rechte". Redner war u. a. der NPDLandesvorsitzende aus MecklenburgVor pommern, Stefan Köster. Am 15.11.2020, dem Volkstrauertag, hielt die NPD ein sogenanntes Heldengedenken mit rund 50 Personen aus der rechtsextremistischen Szene in Braunschweig ab. 49 Aktivitäten der JN in Niedersachsen Aufgrund der personellen und organisatorischen Schwäche schlossen sich im März 2018 die JNVerbände Bremen, Hamburg und Niedersachsen zum JN Landesverband Nord zusammen. Vorsitzender ist seitdem Sebastian Weigler aus Braunschweig. Schwerpunkte der JN in Niedersachsen sind die östlichen Land kreise, insbesondere der Bereich Braunschweig. Ihre Vertreter sind eng mit der niedersächsischen Neonaziszene und der Partei "Die Rechte" vernetzt. Der JNLandesverband Nord richtete am 11. und 12.01.2020 einen Orientierungslauf in Niedersachsen aus. Am 30.08.2020 wurde auf Facebook seitens der JN Nordheide ein Be richt über eine Banneraktion unter dem Motto "Unser Lüneburg - unser Wasser: CocaCola den Hahn abdrehen" veröffentlicht. Der Bericht endet mit einem Bekenntnis zur "raumorientierten Volks wirtschaft". Der JNStützpunkt Braunschweig versuchte, mit einer Vielzahl von Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Beispiele hierfür sind eine Plakataktion zum 1. Mai unter dem Motto "Kapitalismus tötet" und das Verteilen von Flugblättern vor Schulen sowie eine Kampagne unter dem Namen "Braunschweig verteidigen", die sich gegen "Masseneinwanderung" und "linke Versager" richten sollte. 50 Hinzu kommen zwei Kundgebungen am 49 Siehe hierzu auch Kapitel 2.5 "Heldengedenken". 50 Vgl. den Beitrag "Braunschweig verteidigen!" vom 05.08.2020 auf der Internetseite der JN sowie entsprechende Beiträge der NPD Niedersachsen in den Sozialen Medien, u. a. bei Facebook am 06.08.2020 und bei Twitter 12.09.2020. 109 Rechtsextremismus 29.05.2020 und 11.06.2020 in Braunschweig gegen den sogenann ten CoronaWahnsinn. Zu Beginn der CoronaPandemie starteten die JN eine Nachbarschaftshilfe für ältere "Landsleute" unter dem Namen "Jugend packt an". Bewertung, Tendenzen, Ausblick. Die NPD befindet sich in einer für sie schwierigen Situation. Zwi schen der rechtspopulistischen AfD auf der einen Seite und den weltanschaulich stärker akzentuierten, von Neonazis geprägten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" (in Niedersachsen nur Einzelpersonen) auf der anderen Seite fällt es der NPD zunehmend schwer, sich im rechten politischen Spektrum entsprechend zu positionieren. Die seit Jahren ausbleibenden Wahlerfolge und der Verlust von Mandaten auf Kommunal und Landesebene bedeuten für die NPD eklatante finanzielle Verluste. In deren Folge hat die Partei an personeller und organisatorischer Substanz verloren und damit einhergehend ihre Kampagnenfähigkeit eingebüßt. Auch die strategische Ausrichtung als Weltanschauungspartei und der Versuch, sich verstärkt im vorpolitischen Raum zu engagieren, werden den Bedeutungsverlust der NPD nicht aufhalten. Mit Span nung kann das Konzept zur Neuorientierung auf dem nächsten Par teitag erwartet werden. Sollte es zu einer Umbenennung der Partei kommen, dürfte dieser eine Austrittswelle folgen, weil in Teilen der Partei die vom Bundesvorsitzenden Frank Franz vorangetriebene strategische Neuausrichtung der NPD auf erheblichen Widerstand trifft. Auch bei den 2021 anstehenden Wahlen auf Landes und Bun desebene wird die Partei sehr wahrscheinlich nicht in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung gelangen und somit politisch bedeutungslos bleiben. 110 Rechtsextremismus Durch den Erwerb des Grundstückes in Eschede, welches vom Landesverband bereits seit Jahren für Veranstaltungen genutzt wird, hat das Anwesen einen für die Partei identitätsstiftenden Charakter bekommen. Daraus alleine lässt sich aber kein Auf schwung ablesen. Aller Voraussicht nach wird die NPD bei den 2021 stattfindenden Kommunalwahlen in Niedersachsen auch ihre 2016 errungenen 16 kommunalen Mandate nicht verteidigen können. 2.10 Die Rechte Sitz/Verbreitung Sitz des Bundesverbandes: Dortmund (NordrheinWestfalen); Sitz des Landesverbandes: Amt Neuhaus (Landkreis Lüneburg) Gründung/ 2012 (Bundesverband); Bestehen seit 2013 (Landesverband) Struktur/ Bundesvorsitzende: Sascha Krolzig und Sven Skoda; Landesvor Repräsentanz sitzender: Holger Niemann; elf Landesverbände im Bundesgebiet; drei Kreisverbände in Niedersachsen (Verden, Braunschweig/ Hildesheim und Einbeck/Northeim seit 05.02.2020) Mitglieder/Anhänger/ Bund: Land: 40 Unterstützer Veröffentlichungen Flugblätter (VerteilAktionen im Raum Hildesheim); Internetange bote: Die vorrangige Außendarstellung erfolgt für den Bundesver band über die eigene Internetseite und in den Sozialen Medien Twitter und Telegram. Kurzportrait/Ziele Die Partei "Die Rechte" wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mit gliedern der ehemaligen "Deutschen Volksunion" (DVU) und dem langjährigen Neonazi Christian Worch gegründet. Den Posten des Bundesvorsitzenden übernahm Christian Worch selbst. Als stell vertretende Vorsitzende wurde die ehemalige Landesvorsitzende der DVU SchleswigHolstein, Ingeborg Lobocki, gewählt. 111 Rechtsextremismus Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes NordrheinWestfalen durch ehemalige Mit glieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kame radschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzen seitdem unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre bisherigen Aktivitäten fort. Zudem traten der Partei vereinzelt NPDMitglieder bei. Auch in Niedersachsen kommen der Großteil der Führungsebene und ein relevanter Teil der Mitglieder aus der neonazistischen Szene. Die Nutzung des Parteienprivilegs, vor allem die Anmel dung und Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten zur Verbreitung neonazistischer Propaganda, erfolgt in Niedersachsen uneinheitlich. Neben dem Landesverband tritt nur noch der 2019 neu gegründete Kreisverband Braunschweig/Hildesheim öffentlich in Erscheinung und fällt mit Demonstrationen, Kundgebungen und sonstigen Aktionen auf. Den Schwerpunkt dieser Aktivitäten bildet die fremdenfeindliche Agitation gegen die Asyl und Flücht lingspolitik, die vermeintliche Islamisierung Deutschlands sowie die angeblich politisch gewollte Volksvermischung. Hinzu kommt die Kritik an vermeintlich staatlicher Repression zum Nachteil der Partei und ihrer Anhänger. Vom Kreisverband Verden gingen im Jahr 2020 wie auch schon 2019 keine Aktivitäten aus. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Lan desverband NordrheinWestfalen, von dem die Partei "Die Rechte" dominiert wird, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte.51 "Die Rechte" steht seitdem 51 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende Christian Worch "Die Rechte" als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PROBewegung" beschrieben (Internetseite von Christian Worch). 112 Rechtsextremismus hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und der führenden Per sonen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kamerad schaften. Ihre Agitation ist von Demokratie und Fremdenfeindlich keit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. Im Parteiprogramm fordert "Die Rechte" zur "Wahrung der Deutschen Identität" auf. Demnach gelte es, "übermäßige fremde Einflüsse" wie "die Amerikanisierung" zurückzudrängen und einen europäischen Verbund zu schaffen, "in dem jedes Volk nach seiner eigenen, na türlich gewachsenen Ordnung leben kann". Die Partei folgert, dass "alle Anstrengungen für die Bewahrung des deutschen Charakters unseres Vaterlands" sinnlos würden, "wenn es Politikern im Bund mit der Meinungsindustrie gelänge, Deutschland in einem Vielvölkerstaat beziehungsweise einer 'Europäischen Union' aufzulösen." Hiermit richtet sich "Die Rechte" insbesondere gegen die im Grund gesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) sowie gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beob achtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Im Wahlprogramm "25 Forderungen zur Dortmunder Kommunal wahl 2014", mit dem "Die Rechte" symbolisch an das 25 Punkte Programm der NSDAP anknüpft, bekennt sie sich unter Punkt 19 eindeutig zur Volksgemeinschaft: "Eine Gesellschaft, welche die Schwächsten alleine lässt, ist zum Scheitern verurteilt - jeder Volksgenosse, der unverschuldet in Not gerät, muss sich auf Hilfe verlassen können. Die Rechte will eine starke Volksgemeinschaft, in der keiner allein gelassen wird." Im Kapitel "Kriminalität und Überfremdung" werden Migranten pauschal als kriminell bezeichnet, um sie auf diese Weise aus der Gesellschaft ausgrenzen zu können. In der Flüchtlingsdebatte wird ein "sofortiger Einwanderungsstopp" von "Asyltouristen" und "So zialschmarotzern aus EUStaaten" gefordert. Mit ihrem Bekenntnis zur Volksgemeinschaft, das die Mitglieder auf dem 8. Bundesparteitag am 28.10.2017 beschlossen haben, wird der neonazistische Charakter der Partei unterstrichen. Hieran zeigt sich auch, dass die Partei an ideologische Elemente des historischen Nationalsozialismus anknüpft und sich damit unverhohlen gegen die 113 Rechtsextremismus freiheitliche demokratische Grundordnung stellt. Darüber hinaus hat der Bundesvorstand in seiner Veröffentlichung vom 31.12.2018 das Ziel unterstrichen, die Voraussetzungen, die für eine nachhaltige Re volution im Sinne einer Revolution des Geistes notwendig sind, zu verbessern. Am 19.03.2019 hat der Bundesverband der Partei "Die Rechte" auf seiner Internetpräsenz das 25 Punkte umfassende Wahlprogramm zur Europawahl veröffentlicht, das nach eigenen Angaben in en ger Abstimmung mit den Mitgliedern erarbeitet worden sein soll. Ein gesonderter Parteitag zur Verabschiedung des Wahlprogramms hat offensichtlich nicht stattgefunden. Folgende Forderungen bzw. Positionen wurden aufgestellt: f Neben der übergeordneten Kernforderung, den Volksverhetzungs paragraphen abzuschaffen, verlangt die Partei im Themenfeld der Europa und Außenpolitik eine Volksabstimmung mit dem Ziel, die Europäische Union zu verlassen (DEXIT jetzt!). Hierbei werden auch altbekannte und klassische Vorurteile gegenüber der EU und ihren Institutionen geäußert (Deutschland als "Zahlmeister"). Weiterhin wird ein Austritt aus der NATO gefordert und stattdes sen ein Bündnis mit Russland als wichtigem strategischen Partner angestrebt ("Völkerfreundschaft mit Russland"). f Der Erhalt und Schutz des deutschen Heimatlandes spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Daher fordert die Partei die Schaffung einer neuen Armee (Bildung eines Volksheeres) und die Wiedereinfüh rung der Wehrpflicht. Der europäische Kontinent wird in diesem Zusammenhang auch als "Bollwerk der weißen Rasse" beschrieben. f Das Ziel, die Wiederherstellung "Großdeutschlands" in seinen angestammten Grenzen, dürfe nicht aufgegeben werden. Daher seien ehemalige deutsche Gebiete auf diplomatischem Wege wieder "heim ins Reich" zu holen. f In der Innenpolitik versteht sich "Die Rechte" vor allem als die "Abschiebepartei Nr. 1", die die Grenzen schließen und somit die Festung Europa verteidigen will, um die angeblich schleichende Islamisierung Europas zu stoppen. Meterhohe Minarette und Großmoscheen sollen in Europa nicht entstehen dürfen. f Weiterhin fordert die Partei eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe bei Mord, extremen Fällen von Vergewaltigung, Drogenhandel sowie Hoch und Landes verrat. Mit der Einführung von Volksgerichten sollen vor allem 114 Rechtsextremismus "Volksverräter" auf die Anklagebank gebracht werden. Auch das Verbreiten von sogenannten Fake News ("Lügenpresse") soll unter Strafe gestellt werden. f Im Bereich der Wirtschaftspolitik fordert die Partei u. a. die Verstaatlichung von Großkonzernen und die Kontrolle über Schlüsselindustrien. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU sei abzuschaffen, um Lohndumping effektiv zu bekämpfen. Darüber hinaus sei Zeit und Leiharbeit zu verbieten. f Bildungs und gesellschaftspolitisch setzt die Partei auf den traditionellen Familienbegriff und fordert u. a. ein Ende der "GenderIdeologie" und der "Frühsexualisierung" von Kindern. Traditionelle Volks und Familiengemeinschaften seien dagegen zu befürworten und mit der Zahlung von Betreuungsgeld zu fördern. f Entsprechend ihres Namenszusatzes "Partei für Volksabstim mung, Souveränität und Heimatschutz" fordert die Partei "Die Rechte" Volksentscheide auf allen politischen Ebenen und damit die Stärkung von direktdemokratischen Entscheidungen. f Abschließend fordert sie die Einführung eines deutschen Nationalfeiertags, der jährlich am 20. April stattfinden soll. Als Begründung beruft sich die Partei auf die Befreiung der Stadt Augsburg im Jahr 1919. Im Rahmen von verschiedenen Kundgebungen im Jahr 2020 äußer ten sich führende Funktionäre der Partei öffentlich in einer Weise, die die Verfassungsfeindlichkeit der Partei unterstreichen. Bei Ver sammlungen in Braunschweig wird die Stadt regelmäßig als "Einbür gerungsstadt" bezeichnet und so auf die am 25.02.1932 vollzogene Einbürgerung von Adolf Hitler angespielt. Ein ideologischer Bezug auf den historischen Nationalsozialismus wird damit eindeutig hergestellt. Ein ähnlicher Bezug wurde bei der Kundgebung am 08.05.2020 in Einbeck erkennbar, als es um das Ende des Zweiten Weltkrieges ging und in diesem Zusammenhang ein Ende "der Reue und des Schuld kults" gefordert wurde. Insbesondere an der Frage nach der Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lässt sich ein geschichtsrevisi onistischer Ansatz belegen. Darüber hinaus ist an der Art und Weise, wie sich die Partei zur innen politischen Situation Deutschlands in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts öffentlich äußert, nicht nur ein weiterer inhaltlicher Bezug zum historischen Nationalsozialismus, sondern auch eine indi 115 Rechtsextremismus rekte Verherrlichung des Nationalsozialismus zu erkennen. Denn nach Ansicht der Partei ist die nationale Bewegung als Sieger aus der poli tischen Auseinandersetzung mit dem linken Lager hervorgegangen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die meisten öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei "Die Rechte" gingen vom Landesverband NordrheinWestfalen und dessen Kreisverbänden aus. Hierbei spielte die Kommunalwahl in NordrheinWestfalen am 13.09.2020 eine zentrale Rolle. Mit landes weit 2.582 Stimmen (0,0 Prozent) blieb die Partei erwartungsgemäß unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Ihr Mandat im Dortmunder Stadtrat konnte sie allerdings verteidigen. Darüber hinaus sind von den Landesverbänden BadenWürttemberg und Bremen vermehrt parteipolitische Aktivitäten festzustellen. In NordrheinWestfalen übernahm die Partei "Die Rechte" unter dem Schutz des Parteienprivilegs die zuvor von den verbotenen Kame radschaften durchgeführten Aktionen. Das noch in den beiden Vorjahren präsente Themenfeld um die in haftierte Ursula HaverbeckWetzel, die von Mai 2018 bis November 2020 in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld (NordrheinWestfalen) wegen wiederholt begangener Holocaustleugnungen einsaß, spiel te in diesem Jahr keine Rolle. Veranstaltungen wie etwa öffentliche Demonstrationen oder Solidaritätsbekundungen haben nicht statt gefunden. In der rechtsextremistischen Szene wird die Inhaftierung von Ursula HaverbeckWetzel als Gesinnungshaft verstanden. Am 05.11.2020 wurde die mittlerweile 92Jährige aus der Haft entlas sen. Jedoch stand ihr kurz darauf am 17.11.2020 in Berlin ein wei terer Prozesstermin wegen Volksverhetzung bevor. Am 04.12.2020 wurde sie in Abwesenheit vom Amtsgericht BerlinTiergarten wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die traditionelle Demonstration zum 1. Mai wollte die Partei "Die Rechte" ursprünglich in Hamburg durchführen. Allerdings wurde diese wegen der CoronaPandemie von Seiten der Hamburger Ver sammlungsbehörde verboten. Auch eine kurzfristig in Erwägung gezogene Ersatzveranstaltung in Bre merhaven hat nicht stattgefunden. 116 Rechtsextremismus Aktivitäten der niedersächsischen Parteigliederungen In Niedersachsen gingen Aktivitäten der Partei "Die Rechte" haupt sächlich von dem im Juli 2019 gegründeten Kreisverband Braun schweig/Hildesheim aus sowie ab Ende Februar 2020 von dem ebenfalls neu gegründeten Kreisverband Einbeck/Northeim. Der Landesverband selbst trat hingegen kaum in Erscheinung. Im ersten Quartal des Jahres führte der Kreisverband Braun schweig/Hildesheim eine Reihe von Aktionen durch. Darunter war Anfang Januar die Verteilung von Flugblättern und Postkar ten in Hildesheimer Wohngebieten. Am 19.02.2020 folgte eine Flugblattverteilung an der Hochschule für angewandte Wissen schaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim. Hierbei wurde Infoma terial der Kampagne "Werde aktiv" in den Gebäuden der Hoch schule ausgelegt. Ziel der Kampagne ist es, für eine angeblich "fehlende Meinungsfreiheit" zu "sensibilisieren" und zugleich neue Mitglieder für die Partei zu werben. 52 Der Kreisverband Braunschweig/Hildesheim hat darüber hinaus wiederholt Infostände in den Innenstädten von Braunschweig und Hildesheim durchgeführt. Unter dem Motto "Die Rechte stellt sich vor" fanden am 20.01.2020 in Braunschweig und am 25.01.2020 in Hildesheim jeweils stationäre Versammlungen statt, bei denen Infomaterial der Partei zur Mitnahme ausgelegt wurde. Beide Veranstaltungen verliefen friedlich und fanden in der Bevölkerung kaum bis gar keine Beachtung. Bei einem wei teren Infotisch am 11.02.2020 in Braunschweig protestierten je doch etwa 20 bis 25 schwarz gekleidete Personen aus der linken Szene Braunschweigs. Die Polizei verhinderte ein Aufeinander treffen der beiden politischen Lager und somit eine weitere Es kalation. Am 24.01.2020 hatte der Kreisverband Braunschweig/Hildesheim zu einem Interessententreffen in einer Gaststätte in Algermissen (Land kreis Hildesheim) eingeladen, an dem sowohl der Landesvorsitzende Holger Niemann als auch der örtliche Vorsitzende, Johannes Welge, 52 Vgl. Internetseite der Partei "Die Rechte" vom 02.02.2020. 117 Rechtsextremismus teilnahmen. Bei diesem Treffen zeichneten sich neue Entwicklungen innerhalb der Partei ab. So wurde in Einbeck am 05.02.2020 der Kreisverband Einbeck / Northeim gegründet. Der neue Kreisverband umfasst etwa zehn Personen und setzt sich aus den Mitgliedern der ehemaligen "Kameradschaft Einbeck" zusammen, die sich kurz zuvor am 21.01.2020 offiziell aufgelöst hatte. Zum Vorsitzenden wurde der bekannte Rechtsextremist Tobias Haupt aus Moringen (Landkreis Northeim) gewählt. Bereits am 14.02.2020 organisierte der neu gegründete Kreisverband in Einbeck eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945, um der deutschen Opfer zu gedenken. Es gab keine Redebeiträge, statt dessen wurden zwei Reichsflaggen geschwenkt und ein Trans parent mit der Aufschrift "Wir gedenken der 250.000 Toten des Bombenholocaust Dresden" gezeigt. Unter dem Motto "DIE RECHTE - neuer Wind für unsere Region" führte der Kreisverband Einbeck /Northeim am 29.02.2020 mit etwa 15 Teilnehmenden seine offizielle Auftaktveranstaltung durch. Bei der Kundgebung, die auf dem Einbecker Marktplatz stattfand, wurden in einem Wortbeitrag "gewalttätige Ausländer banden" sowie zunehmende "Angriffe durch Linksextremisten" problematisiert. Nach Auffassung der Redner seien Linksextre misten schließlich die "ausführende Gewalt dieses antideutschen Systems", so die Formulierung. Vermeintliche linksextremistische Strukturen werde man daher in Zukunft offenlegen, klar benennen und bekämpfen, um letztlich ein Verbot zu erzielen. Am Rande der Veranstaltung kam es zu einem kleinen Handgemenge mit einem Teilnehmer der Gegenveranstaltung. Eine weitere Demonstration des Kreisverbandes wurde am 08.05.2020 in Einbeck unter dem Motto "Gegen den Schuldkult - Aufklärung statt Reue!" mit etwa zehn Personen durchgeführt. Da die Polizei dem Versammlungsleiter und örtlichen Parteivorsit zenden Tobias Haupt das Abspielen von Musik untersagte, formierte sich noch am selben Abend eine Spontandemonstration vor dem Dienstgebäude, um "gegen Polizeiwillkür", wie das Motto lautete, zu protestieren. 118 Rechtsextremismus Der Landesverband der Partei "Die Rechte" hatte unter dem Titel "Gegen Seuchendiktatur - Grundgesetz durchsetzen!" zu einer Versammlung am 23.05.2020 in Braunschweig aufgerufen. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 25 Personen aus der rechtsextremistischen Szene. Anmelder war der Landesvorsitzende Holger Niemann. Redner waren der ehemalige Bundesvorsitzende Christian Worch (MecklenburgVorpommern) sowie der Landes vorsitzende der NPD Hamburg, Lennart Schwarzbach, und zwei niedersächsische Kreisvorsitzende der Partei "Die Rechte", Johannes Welge aus Hildesheim und Tobias Haupt aus Northeim, die in ihren Wortbeiträgen einmütig auf die ihrer Ansicht nach unzulässigen staatlichen Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona Pandemie eingingen. Eine ganz ähnliche Kundgebung unter demselben Motto führte der Landesverband rund vier Wochen später am 20.06.2020 ebenfalls in Braunschweig durch. Redner waren erneut Chris tian Worch, Johannes Welge und Tobias Haupt sowie der be kannte Neonazi Dieter Riefling aus dem Raum Hildesheim. Von den etwa 250 Gegendemonstrierenden gingen bis auf einzelne Zwischenrufe keine nennenswerten Störungen aus. Im Anschluss fuhren etwa zehn Rechtsextremisten nach Einbeck, um dort eine weitere Kundgebung abzuhalten, diesmal unter dem Motto "Gegen behördliche Willkür". Anmelder und Redner war Christian Worch, darüber hinaus sprachen Johannes Welge und der örtliche Kreisvor sitzende Tobias Haupt. Sämtliche Redebeiträge konnten aufgrund der lautstarken Proteste der rund 300 Gegendemonstrierenden nicht verstanden werden. Die Kundgebung wurde nach etwas über einer halben Stunde beendet. Am 29.09.2020 fand eine Eilversammlung der Partei zum Thema "Gegen Repression und Polizeiterror" in der Braunschweiger Innen stadt statt. Die Kundgebung mit Aufzug war als Reaktion auf die am gleichen Tag durchgeführten polizeilichen Durchsuchungsmaß nahmen bei zwei Mitgliedern der Partei "Die Rechte" gedacht. In einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes durch verbotswidrige Tonaufzeich nungen hatte das Amtsgericht Braunschweig auf Antrag der Staats 119 Rechtsextremismus anwaltschaft Braunschweig mehrere Durchsuchungsbeschlüsse er lassen. An der Versammlung nahmen 17 Rechtsextremisten teil, an den Protesten dagegen rund 100 Personen. Für den 10.10.2020 hatte der Vorsitzende des Kreisverbandes Ein beck/Northeim, Tobias Haupt, eine stationäre Kundgebung unter dem Motto "Schluss mit linkem Terror, linker Hetze und Gewalt" angemeldet. An der Durchführung mit Musik und Redebeiträgen in der Einbecker Innenstadt nahmen 21 Rechtsextremisten teil. Im Anschluss wurde eine Spontandemonstration durchgeführt. Der Ge genprotest umfasste etwa 290 Personen. Am 24.11.2020 wollte die Partei eine "Mahnwache gegen Zionismus" vor dem Jugendamt in Braunschweig abhalten. Gegenüber dem Ju gendamt befindet sich die Braunschweiger Synagoge sowie die Jü dische Gemeinde Braunschweig. Als Uhrzeit wurde "19.33 - 19.45" angegeben, womit die Partei zusätzlich in provokativer Form ihre an tisemitische Ausrichtung und ihre positive Bezugnahme auf den his torischen Nationalsozialismus offenkundig machte. Die Veranstaltung wurde jedoch von den Organisatoren selbst kurzfristig abgesagt. Neben diversen Infoständen im Zeitraum von Juli bis Oktober 2020, die ihren Schwerpunkt in Braunschweig hatten und dort vom örtlichen Kreisverband organisiert wurden, beteiligten sich niedersächsische Mitglieder der Partei "Die Rechte" auch an den NPDDemonstrationen am 17.10.2020 in Bremerhaven und am 24.10.2020 in Braunschweig. Vom Kreisverband Verden sind auch in diesem Berichtszeitraum keine Aktivitäten bekannt geworden. Enge Vernetzung mit Neonazis und subkulturell geprägten Rechtsextremisten Es besteht eine enge Vernetzung von Mitgliedern der Partei "Die Rechte" mit Angehörigen der Neonaziszene sowie mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten. Deutlich wird dies etwa durch die Beteiligung an Musikveranstaltungen oder politischen Aktivitäten. Beispiele sind die Unterstützung einer Mahnwache in Bremerhaven am 25.04.2020 und die Teilnahme an der Abschlusskundgebung der Kampagne "Tag der deutschen Zukunft" am 06.06.2020 in Worms (RheinlandPfalz), die aufgrund rückläufiger Besucherzahlen voraus sichtlich zum letzten Mal stattfand.53 An den diesjährigen Trauer märschen in Magdeburg (SachsenAnhalt) am 17.01.2020 und in 53 Siehe hierzu auch Kapitel 2.5 "Demonstrationen". 120 Rechtsextremismus Dresden (Sachsen) am 15.02.2020 beteiligten sich auch Mitglieder aus dem niedersächsischen Landesverband der Partei "Die Rechte". Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Landesverband Niedersachsen der Partei "Die Rechte" setzt sich überwiegend aus Angehörigen der neonazistischen Szene zusam men, die unter gezielter (Aus)Nutzung des Parteienstatus ihre bis her außerparteilich durchgeführten Aktivitäten fortführen, ohne ein Vereinsverbot fürchten zu müssen. Die Mitgliederzahl ist im Vergleich zum Vorjahr insbesondere auf grund des Übertritts von Angehörigen der aufgelösten "Kame radschaft Einbeck" zum Kreisverband Einbeck/Northeim leicht ge stiegen. Innerhalb des rechtsextremistischen Personenpotenzials in Niedersachsen handelt es sich also lediglich um eine Verschiebung und nicht um einen realen Zuwachs. Die Partei "Die Rechte" hat besonders im Bereich der Kreisverbände Braunschweig/Hildesheim und Einbeck/Northeim öffentlichkeits wirksame Aktivitäten entfaltet. Dies liegt vor allem an den beiden Kreisvorsitzenden Johannes Welge aus Hildesheim und Tobias Haupt aus Northeim, die ein hohes Maß an Aktionismus an den Tag legen. Hierbei spielt deren Vernetzung untereinander, aber auch mit wei teren Personen, die allesamt persönlich miteinander bekannt sind, eine entscheidende Rolle. Mittlerweile hat sich innerhalb Nieder sachsens das Dreieck BraunschweigEinbeckHildesheim als neues Zentrum der Partei herausgebildet, das federführend für deren Akti vitäten in Niedersachsen verantwortlich ist. Der Landesverband um dessen Vorsitzenden Holger Niemann spielt in diesem Personengeflecht hingegen kaum eine Rolle. Vielmehr hat es den Anschein als verlöre der Vorsitzende zunehmend an Einfluss innerhalb seiner eigenen Partei. Selbst bei den beiden vom Landesver band abgehaltenen Kundgebungen in Braunschweig trat Holger Nie mann nicht wahrnehmbar in Erscheinung. Er überlässt das Feld ande ren und wirkt dadurch noch schwächer. Der Landesverband ist unter seiner Führung immer mehr zu einem organisatorischen Platzhalter geworden. Eine inhaltliche Arbeit ist nicht erkennbar. Zudem gehen von ihm bzw. vom Landesverband kaum Impulse aus, die ihn auch nach außen hin als "Anführer" einer Landespartei spürbar werden lassen. Insgesamt ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich die Ära Nie 121 Rechtsextremismus mann langsam ihrem Ende neigt und andere in der Partei die Führung übernehmen werden. Der Partei "Die Rechte" ist es in Niedersach sen jedenfalls nicht gelungen, sich als relevanter politischer Akteur ins Spiel zu bringen und eine mögliche Wahlalternative darzustellen. Als möglicher Nachfolger drängt sich Johannes Welge auf, dem man anhand seines ganzen Auftretens und Agierens anmerkt, dass er nach mehr Einfluss in der Partei strebt und folglich eine wichtigere Rolle über nehmen möchte. Insofern scheinen seine Motive und Absichten seit der Rückkehr nun klarer zu sein. Johannes Welge hatte sich zeitweise zurückgezogen, tritt seit 2019 jedoch wieder öffentlich in Erscheinung. Bundesweit betrachtet gab es in diesem Jahr keine Entwicklungen, die darauf hindeuten, dass die Partei über ihr politisches Machtzen trum in Dortmund hinaus andernorts Fuß gefasst hat und zu einem relevanten politischen Akteur geworden ist. Gerade die Kommunal wahl in NordrheinWestfalen hat deutlich gemacht, dass die Partei sogar in Dortmund, an ihrem vermeintlich stärksten Wirkungsort, an Zuspruch verloren hat. Über Dortmund hinaus spielt die Partei jedenfalls keine Rolle in NordrheinWestfalen. Die in Aussicht gestellte Neuaufstellung der Partei kann nur bedingt als gelungen bezeichnet werden. Organisatorische und inhaltliche Änderungen des Bundesverbandes haben über Dortmund hinaus kaum nennenswerte Wirkungen auf Niedersachsen entfaltet. Das für Frühjahr 2018 angekündigte neue Parteiprogramm wurde auch im Jahr 2020 immer noch nicht vorgelegt. Von einer inhaltlichen Neuausrichtung der Partei "Die Rechte" kann daher keine Rede sein. Die Situation in Einbeck ist von einer offenen "RechtsLinksKon frontation" geprägt. Örtliche Gruppierungen aus dem extremen rechten und linken Lager sowie der linken Szene aus Göttingen fallen regelmäßig auf. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu körperli chen Übergriffen. Auch Sachbeschädigungen wurden als Mittel der politischen Auseinandersetzung begangen. Der von einem örtlichen Rechtsextremisten begangene Anschlag mittels eines Sprengkörpers auf den Briefkasten einer in der Flüchtlingshilfe engagierten Frau er regte bundesweite Aufmerksamkeit. Die Generalstaatsanwaltschaft in Celle führte hierzu ein entsprechendes Ermittlungsverfahren und erhob Anklage gegen zwei Rechtsextremisten.54 54 Siehe hierzu auch Kapitel 2.5 "Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Einbeck". 122 Rechtsextremismus Am 24.11.2020 verurteilte das Amtsgericht Einbeck den 26jährigen Hauptangeklagten zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren und den inzwischen 24jährigen Mittäter zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Öffentlich hat sich die Partei von dieser Tat zwar distanziert und klare Signale gegen Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung gesetzt. Wenn sie aber im selben Atemzug von "geistigen Bomben" spricht, an denen sie baue, zeichnet sie doch einen Weg vor, der den Gewalt aspekt erkennen lässt, wenn auch nicht als Mittel der ersten Wahl. So geschehen im Rahmen einer Kundgebung am 20.06.2020 in Ein beck. Redner war seinerzeit Johannes Welge. In der Gesamtschau muss man sich auf eine weitere Eskalation der Situation in Einbeck einstellen, so dass vor allem mit weiteren Ge waltdelikten gegen Sachen und Personen zu rechnen ist. Bei den Kundgebungen und Demonstrationen der Partei "Die Rechte" im Jahr 2020 hat insbesondere die Thematisierung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie zugenom men. Trotz bundesweiter Aktionen scheint das rechtsextremistische Mobilisierungspotenzial in Niedersachsen aber eher gering zu sein. Eine strategisch erhoffte Anschlussfähigkeit an die sogenannte Mit te der Gesellschaft war bisher nicht erfolgreich. 2.11 Verein Gedächtnisstätte e. V. Sitz/Verbreitung Guthmannshausen (Thüringen) Kultur und Tagungsstätte: Guthmannshausen (Thüringen) Gründung/ 1992 Bestehen seit Struktur/ Vorstand: Wolfram Schiedewitz Repräsentanz Vorstand: Dr. Paul Latussek 2. Vorsitzender: Roland Wuttke Mitglieder/Anhänger/ Bund: k. A.55 Land: 15 Unterstützer 55 Auf Bundesebene werden die Mitglieder des "Vereins Gedächtnisstätte e. V." unter dem rechtsextremistischen Personenpotenzial in parteiunabhängigen bzw. parteiungebunde nen Strukturen gezählt. Eine gesonderte Ausweisung des Personenpotenzials des "Vereins Gedächtnisstätte e. V." erfolgt seit diesem Jahr nicht mehr; siehe Kapitel 2.1, "Mitglie derPotenzial. 123 Rechtsextremismus Veröffentlichungen Publikation: Kulturangebot (Veranstaltungsprogramm); Broschüre: "Gedächtnisstätte" zum 25jährigen Jubiläum; Internetseite Kurzportrait/Ziele Der "Verein Gedächtnisstätte e. V." wurde 1992 in Vlotho (Nord rheinWestfalen) gegründet. Erste Vorsitzende war die Holocaust leugnerin Ursula HaverbeckWetzel. Seit 2003 leitet Wolfram Schiedewitz aus Niedersachsen den Verein. Mit der Einweihung der "Gedächtnisstätte für die 12.000.000 deutsche(n) Opfer durch Bomben des Weltkrieges II, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern" im Jahr 2014 wurde das Vereinsziel er reicht. Unter dem Leitspruch: "Zukunft braucht Herkunft" betreibt der Verein eine revisionistische, antisemitische und fremdenfeind liche Geschichtsbetrachtung und verbreitung. Bereits seit 2011 nutzt der Verein für seine Veranstaltungen das Kultur und Tagungszentrum Guthmannshausen (Thüringen). Re gelmäßig finden dort Vortragsveranstaltungen zu kulturellen und aktuellen Themen mit Zeitzeugen und Historikern statt, darunter auch bekennende Revisionisten und Holocaustleugner sowie Ver treter rechtsextremistischer und anderer im rechtsextremistischen Spektrum agierender Organisationen und Medien. In geschichts revisionistischer Manier werden deutsche Kriegsverbrechen rela tiviert und die Kriegsschuld des NSRegimes geleugnet. 2019 wurde der Verein im Vereinsregister Bad Oeynhausen (NordrheinWestfalen) (VR 668) gelöscht und im Vereinsregister Sömmerda (Thüringen) (VR 150881) neu eingetragen. Im August 2014 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Rittergu tes in Guthmannshausen eine Gedächtnisstätte eingeweiht. Anwe send waren etwa 200 Rechtsextremisten aus dem In und Ausland, darunter Ursula HaverbeckWetzel und der ehemalige Deutsch landleiter der "Europäischen Aktion" (EA)56, Dr. Rigolf Hennig. In seiner Rede kritisierte der Vorsitzende Wolfram Schiedewitz eine angebliche Einseitigkeit deutscher Geschichtsbetrachtung. Im August 2017, anlässlich der Feierlichkeiten zum 25jährigen Jubiläum, sprach der Vereinsvorsitzende in der Jubiläumsbroschüre nachträglich eine offene Drohung aus: "Wer einzelne Besucher unserer Einweihungsfeier in die Nähe der Radikalität stellt, wird für seine unbegründete Boshaftigkeit eines Tages zur Verantwortung 56 Internetseite der EA vom 26.09.2017: "Mitteilung in eigener Sache". 124 Rechtsextremismus gezogen werden."57 In der gleichen Broschüre bedankte sich die Holocaustleugnerin Ursula HaverbeckWetzel ausdrücklich beim "Verein Gedächtnisstätte", der "sich nie von (ihr) distanziert hat, was heute ungewöhnlich und sehr dankenswert ist."58 Der Verein präsentiert sich im Internet mit einem "Kulturangebot", stellt dort seine Veranstaltungen und Ziele vor und bittet um Spenden. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Nachlässe in geldwerter Form, Paten schaften für Gedenksteine, Förderkreis "Verein Gedächtnisstätte (VG)" Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die rechtsextremistische Ausrichtung des "Vereins Gedächtnisstätte e. V." lässt sich aus der Beteiligung von Rechtsextremisten und der Zusam menarbeit mit Rechtsextremisten schließen. Durch die Relativierung der Opfer des NSRegimes versucht der Verein, eine Revision der Geschichte zu betreiben. Die anlässlich des 25jährigen Vereinsjubilä ums im Jahr 2017 herausgegebene Broschüre weist eine Vielzahl von revisionistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Aussagen auf, die eine rechtsextremistische Ideologie belegen. Darüber hinaus bietet der Verein Rechtsextremisten eine Plattform für ihre Positionen. Die Flüchtlingsthematik ist als wichtiges und verbindendes Element im gesamten Rechtsextremismus zu sehen. In den Vorträgen und Veröffentlichungen des "Vereins Gedächtnisstätte e. V." wird die Migration und Integration von Flüchtlingen aufgegriffen und als "Umvolkung" oder "Völkermord", aber auch als "Invasion von Frem den" bezeichnet. Die Art und Weise, wie gegen die Flüchtlingspoli tik der Bundesregierung agiert wird, steht dabei im Widerspruch zur deutschen Rechts und Werteordnung und zum Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 2 GG. Hiermit richtet sich der "Verein Gedächt nisstätte e. V." gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Mit der "Vermittlung identitätsstiftender Wertvorstellungen"59 ar beitet der Verein daran, "ein anderes Staatswesen" und damit einen Systemwechsel zu erzeugen. Die Absicht des Beseitigens bzw. des Ersetzens der Verfassungsordnung oder des Regierungssystems der Bundesrepublik Deutschland steht im Widerspruch zur freiheitlichen 57 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 54. 58 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 16. 59 YouTube, Birgits Welt, "Gedenkstätte Guthmannshausen Sommerfest 2018", veröffent licht am 14.08.2018. 125 Rechtsextremismus demokratischen Grundordnung. Damit ist der Verein verfassungs feindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Gedenken an "12 Millionen zivile deutsche Tote im und nach dem 2. Weltkrieg" gab der "Verein Gedächtnisstätte e. V." das "Kulturan gebot des Vereins im Jahr 2020" bekannt. Es bestand aus monat lichen Vortragsveranstaltungen, dem jährlichen Sommerfest sowie einem "DreiGenerationenWochenende" mit Sachvorträgen, Musik und Volkstanz. Letzteres richtete sich insbesondere an Kinder und Jugendliche. Der Verein möchte nach eigenem Bekunden eine "Brü ckenfunktion zwischen den Generationen" erfüllen und will deshalb "die Begegnung und das Hörensagen von Jung und Alt" fördern. Unter dem Leitsatz "Zukunft hat Herkunft, Zukunft braucht Her kunft und klare Gedanken zur Gegenwart" hat der Verein zu den Veranstaltungen und der Vermittlung "allseitiger, identitärer Ange bote und Sichtweisen" eingeladen. Konkret wurde "die Aufarbei tung zutiefst menschlicher Fragestellungen, wie denen nach Her kunft, Historie, Identität und Lebenssinngestaltung" angeboten. Im ethnopluralistischen Sinne stellt der Verein damit die ethnische und kulturelle Herkunft von Menschen in den Vordergrund. Mit Zeitzeugenvorträgen will der Verein eine "Brücke zwischen Ver gangenheit und Gegenwart" bauen. Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges dürfte es dabei jedoch vielmehr um die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts gehen. "Wir alle sind es im Sinne einer heilenden Integration vergangener Ereignisse sowohl den Opfern als auch unseren Kindern und nicht zuletzt uns selbst schuldig, den allgemein verordneten Mantel des Schweigens über Herkunft und Schicksal unserer Vorund Vorvorfahren aktiv abzulegen. Um einer gesunden und gerechten Zukunft willen ..." (Homepage des "Vereins Gedächtnisstätte e. V.", "Ihre Spende", Oktober 2020) Im Jahr 2020 wurden im gesamten Bundesgebiet und in den ein zelnen Bundesländern diverse Verordnungen zur Eindämmung der CoronaPandemie erlassen, die zum Teil auch Veranstaltungsver bote umfassten. Der "Verein Gedächtnisstätte e. V." konnte aus 126 Rechtsextremismus diesem Grund nicht alle im Jahresprogramm 2020 angekündigten Veranstaltungen durchführen. Unter den angekündigten Referen ten im Jahresprogramm befanden sich bekannte Rechtsextremisten, Holocaustleugner und Rassisten, aber auch Reichsbürger. Im Rahmen seines Satzungszweckes vergibt der Verein kleine "Wis sen und Erkenntnis schaffende Forschungsaufträge ... jenseits gän giger Lehrmeinung" und gibt diese als Buchprojekt unter dem Titel "Wissenswertes - Kleine Leseperlen zum Sammeln" heraus. Der erste Band "Die Umerziehung der Deutschen nach 1945" wurde bereits veröffentlicht. Im Leitwort vom 26.10.2020 wird dem Leser ein geschichtsrevisionistisches "nachvollziehbares, perspektivisches Angebot ... jenseits von gängiger Lehrmeinung" angeboten, wel ches als "ganzheitlich informelles Gegenstück zu handelsüblich ge gossenem Bildungsmaterial" verstanden wird. Auch das 6. Sommerfest des "Vereins Gedächtnisstätte e. V." fand am 01. und 02.08.2020 unter dem Leitgedanken "Herkunft trifft Zukunft" statt. Dieser Leitsatz illustriert die ethnopluralistische For derung nach Bewahrung einer unveränderlichen kulturellen Identi tät durch die Betonung genetischer Homogenität. Das Veranstal tungsprogramm bot vor allem Vorträge, aber auch eine ganztägige Betreuung für Kinder. Der Vereinsvorsitzende Wolfram Schiedewitz war als Referent zum Thema "Der Verein Gedächtnisstätte im Spie gel der Zeit" angekündigt, mit dem er bereits seit dem Vorjahr die angebliche einseitige Geschichtsbetrachtung kritisiert und die Existenz der Bundesrepublik Deutschland infrage stellt. Der Leiter des rassistischen "ThuleSeminars", Pierre Krebs, trug zum Thema "Geistesgegenwart der Zukunft" vor. Am 01.12.2020 wurde Wolfram Schiedewitz vom Landgericht Lüne burg zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. An seinem Wohnort hatte er Flugblätter mit verfassungsfeindlichem In halt in der Filiale einer Bank ausgelegt und in Briefkästen gesteckt. Darüber hinaus hatte er im Internet das Flugblatt zum Download bereitgestellt und beim MessengerDienst Telegram entsprechende Beiträge verbreitet. Weil der 70Jährige zu einem ersten Prozesster min nicht erschienen war, wurde er eine Woche später aufgrund richterlicher Anordnung von der Polizei in den Gerichtssaal gebracht. 127 Rechtsextremismus Veranstaltungen anderer Organisationen/Vereinigungen Der Verein stellt anderen rechtsextremistischen Organisationen seine Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung. Durch die staat lichen Maßnahmen gegen die CoronaPandemie waren diese jedoch im Jahr 2020 stark eingeschränkt. Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen Der "Verein Gedächtnisstätte e. V." verfügt über diverse Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, u. a. zur "Schlesischen Jugend e. V." (SJ), zum "Freundschafts und Hilfswerk Ost e. V." (FHwO), zum "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." und zur "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO), zur NPD und zu neonazistischen Freien Kräften, zum "ThuleSeminar" und zu frü heren Aktivisten der im Jahr 2017 lediglich in ihren Strukturen auf gelösten rechtsextremistischen Organisation "Europäische Aktion" (EA). Im Rahmen der "deutschrussischen Bruderschaft" bestehen Kontakte zu russischen Vertretern einer völkischesoterischen Welt anschauung und zur Organisation "Die Russlanddeutschen Konser vativen - Die NationalKonservative Bewegung der Deutschen aus Russland". Diese Kontakte zeigen ein organisationsübergreifendes nationales und internationales Netzwerk auf. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges agitiert der 1992 gegründete rechtsextremisti sche "Verein Gedächtnisstätte e. V." gegen den demokratischen Ver fassungsstaat und versucht, geschichtsrevisionistisches Gedankengut in demokratische Bevölkerungskreise zu transportieren. Hierzu orga nisiert er regelmäßig im Kultur und Tagungszentrum in Guthmanns hausen Vortragsveranstaltungen mit Zeitzeugen und Historikern, aber auch mit jungen Aktivisten rechtsextremistischer Gruppierungen. Durch die direkte Ansprache von Kindern und Jugendlichen zu den Veranstaltungen "Tag der Generationen" bzw. "Tag der Jugend" mit einem "DreiGenerationenWochenende" besteht die Gefahr einer rechtsextremistischen Indoktrinierung von jungen Menschen. Die Gedächtnisstätte steht allen offen, die Schwierigkeiten haben, aufgrund ihrer rechtsextremistischen Gesinnung, Parteizugehörig keit oder entsprechender Organisation einen geeigneten Treffpunkt 128 Rechtsextremismus zu finden. Dabei nimmt der Verein wohlwollend rechtspopulistische Standpunkte der Bevölkerung auf, fördert diese durch die Verbrei tung nationalistischer und rechtsextremistischer Positionen in seinen Vortragsveranstaltungen und trägt dazu bei, die Grenzen des Sagba ren zu verschieben. Darüber hinaus berichtete Wolfram Schiedewitz in der Vergangenheit mehrfach von steigenden Besucherzahlen in der Gedächtnisstätte, vor allem durch die vielen jungen Menschen, die den "Altersschnitt um rund 20 Jahre" gesenkt hätten. Das Rittergut in Guthmannshausen stellt ein rechtsextremistisches Ver anstaltungs und Schulungszentrum dar. Die vielfältigen, generations übergreifenden Verbindungen des Vereins zu rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien sowie in die rechtsextremistische Skin head und Kameradschaftsszene belegen die Vernetzung des Vereins. 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter Sitz/Verbreitung Niedersachsenweit Gründung/ In unterschiedlichen Ausprägungen bereits seit Jahrzehnten. Bestehen seit 1985 kam es zur Gründung der ersten konkreten Reichsbürger gruppierung, der "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) in Berlin. Struktur/ Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen in Repräsentanz Form von lokal agierenden, autark handelnden Einzelpersonen und Gruppierungen; hinzukommen überwiegend virtuelle Präsenzen. Mitglieder/Anhänger/ Bund: Land: 1.100 Unterstützer davon etwa 50 Rechtsextremisten Veröffentlichungen WebAngebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netz werken; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter, Formularschreiben Kurzportrait/Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind Gruppierungen oder Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit un terschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich u. a. auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheo retische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Natur recht. Den demokratisch gewählten Repräsentanten sprechen sie 129 Rechtsextremismus die Legitimation ab oder sie definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder, teilweise Vermarktung und Verkauf von Reichsbürgerutensilien wie Autokennzeichen, Ausweise, Dokumente o. Ä. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Als "Reichsbürger" werden Einzelpersonen oder pseudoformell organisierte Gruppierungen bezeichnet, die der Bundesrepublik Deutschland ihre Rechtmäßigkeit absprechen und damit ihre Rechts vorschriften ablehnen. "Reichsbürger" treten für die Fortexistenz des Deutschen Reiches und die Rückkehr zu vorherigen territorialen Grenzen ein (je nach Gruppierung zum Beispiel aus den Jahren 1871, 1914 oder 1937). An die Stelle der Bundesrepublik Deutschland soll eine eigene Reichsregierung treten, bei der eigene selbstbestimmte Vertreter die Regierungsgeschäfte führen. Bei "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine heterogene Gruppe von zumeist Einzelpersonen, die im Gegensatz zu "Reichsbürgern" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind, sondern behaupten, sie könnten durch eine Erklärung ihrerseits oder durch den Rückgriff auf ein selbstdefiniertes Naturrecht aus der Bun desrepublik Deutschland ausscheiden oder dass diese gar nicht exis tent sei. Dementsprechend sehen sich "Selbstverwalter" auch nicht mehr den Gesetzen der Bundesrepublik unterworfen. Einige "Selbst verwalter" gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu proklamieren. Zentrales und organisationsübergreifendes bzw. personenübergrei fendes Ideologieelement bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung. Dabei vertreten nicht alle "Reichsbürger und Selbstverwalter" per se rechtsextremistische Ansichten und können so nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden. Trotzdem sind für "Reichsbürger und Selbstverwalter" hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorhanden. Diese sind vor allem in der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Normen und ihrer Institutionen zu 130 Rechtsextremismus sehen. Bei einigen Gruppierungen sowie bei einzelnen "Selbstverwal tern" kommen neben der Verbreitung kruder Verschwörungstheorien auch Ideologieelemente des Rechtsextremismus wie Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit zum Tragen, die in ihren jeweiligen Aus prägungen ebenfalls hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für ex tremistische Bestrebungen begründen. Hiermit richten sich "Reichs bürger und Selbstverwalter" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen den demokratischen Rechts staat (Art. 20 GG) sowie in Teilen gegen die im Grundgesetz ver brieften Freiheits, Gleichheits und Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG). Sie sind damit verfassungsfeindlich und erfüllen die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Aktivitäten von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" Neben der fundamentalen Ablehnung des Rechtsstaates zeichnen sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" durch ein besonderes Maß an Renitenz gegenüber staatlichen Institutionen und staatlichen Maßnahmen aus. Angefangen mit dem massenhaften Versand von Schriftstücken per EMail, Fax oder auf dem Postweg (sogenanntem paperterrorism oder Vielschreiberei) versuchen "Reichsbürger" auf Behörden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuwirken, um staatliche Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu erschwe ren. Hiermit beschäftigen sie zunehmend Behördenmitarbeiterinnen und mitarbeiter und stören Verwaltungsabläufe und verfahren. Die Entrichtung von Steuern, Gebühren und Abgaben verweigern "Reichsbürger und Selbstverwalter" regelmäßig. Die Aktivitäten der Szene gipfeln in der Einrichtung verschiedener "Regierungen", "Ver waltungen" bis hin zur Ausrufung eines eigenen Königreiches oder Staates. Hierzu zählen auch die von "Reichsbürgern und Selbstverwal tern" "aktivierten", "reaktivierten" oder "reorganisierten" Gemein den. So nennen sie Ortschaften, wenn sie diese für unabhängig erklä ren bzw. eine eigene Verwaltung für diese Gemeinden beanspruchen. Um weitere Unterstützung für die eigene Sache zu gewinnen und somit den Kampf gegen die staatlichen Institutionen auszudehnen, verbreiten "Reichsbürger" ihre Ideologie aktiv über das Internet. Neben den genannten Aktivitäten zeichnen sich einige "Reichsbür ger" auch durch die Verwendung von Phantasiedokumenten aus. Es wird versucht, eigene, teils selbst produzierte "Reichsführerscheine" 131 Rechtsextremismus oder "Reichspersonenausweise" im offiziellen Rechtsverkehr zu ver wenden. Der Verkauf solcher fiktiven Dokumente stellt zudem für einzelne Personen aus der Reichsbürgerszene eine lukrative Einnah mequelle dar. Gewaltpotenzial und Verhältnis zu Waffen Als eine weitere Eskalationsstufe nach der reinen schriftlichen und mündlichen Verweigerung kann bei den sogenannten "Reichsbürgerin nen und Reichsbürgern" der fließende Übergang zu Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber staatlichen Stellen festgestellt werden. Dar über hinaus haben "Reichsbürger" körperliche Gewalt angedroht und tatsächlich auch ausgeübt. Exemplarisch seien hier die Schusswechsel von "Reichsbürgern" mit der Polizei in Bayern und SachsenAnhalt genannt, bei denen am 19.10.2016 im bayerischen Georgensgmünd (Landkreis Roth) ein Polizeibeamter durch einen "Reichsbürger" er schossen wurde. Auch in Niedersachsen ist es bereits vorgekommen, dass sich "Reichsbürger" mit körperlicher Gewalt, zum Teil auch unter Einsatz von Waffen gegen staatliche Maßnahmen zur Wehr setzten. Beispielhaft hierfür ist das Verhalten einer Familie aus dem Landkreis HamelnPyrmont, die in den Jahren 2018 und 2019 wiederholt mit Behörden, aber auch mit der Polizei in Konflikt geraten war. Zwei Fa milienmitglieder wurden im Februar 2020 wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zwei Mo naten bzw. von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Angehörige der Reichsbürgerszene haben im Allgemeinen eine Af finität zu Waffen. Durch die Bereitschaft von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern", ihren eigenen Staatsvorstellungen teilweise auch mittels Gewalt Nachdruck zu verleihen bzw. sich bestehen dem Recht und Gesetz zu widersetzen, stellt der Waffenbesitz eine potenzielle Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und dessen Repräsentanten dar. Um das vorhandene Gefahrenpotenzial zu minimieren, werden bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehende waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und, wenn möglich, entzogen. Eine waffen rechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erfor derliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist jedoch im Fall einer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene und der 132 Rechtsextremismus darin immanenten Ablehnung des geltenden Rechts zu verneinen. In Niedersachsen wurden aus diesem Grund bereits mehreren Perso nen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. In einzelnen Fällen erfolgte die Rückgabe der Erlaubnis auch freiwillig. Die Überprüfung von Personen mit einer entsprechenden Genehmigung, die zugleich Bezüge zur Reichsbürgerideologie aufweisen, erfolgt fortlaufend und wird mit der nunmehr normierten Regelabfrage im Waffenrecht intensiviert werden. Reichsbürgergruppierungen in Niedersachsen Als die einzige organisierte Gruppierung mit vorhandenen Struktu ren in Niedersachsen gilt weiterhin die am 04.05.2004 in Hannover gegründete "Exilregierung Deutsches Reich". Diese vertritt unter der Leitung von "Reichskanzler" Norbert Rudolf Schittke die Ansicht, dass es "nur einen deutschen Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31.12.1937"60 geben könne und das Deutsche Reich somit fort bestehe. Der Bundesrepublik Deutschland wird die staatliche Sou veränität und Legitimation abgesprochen; sie sei lediglich ein "pro visorisches (besatzungsrechtliches!) Selbstverwaltungskonstrukt".61 Die "Exilregierung Deutsches Reich" trat im Jahr 2020 wie auch 2019 nicht öffentlich in Erscheinung. Das Wirken der "Exilregierung Deut sches Reich" beschränkt sich auf den mit aktuellen Beiträgen verse henen Internetauftritt und auf das persönliche Werben einzelner Mit glieder für die Organisation. Über die Internetseite wird Interessierten umfassendes Informationsmaterial angeboten. Außerdem werden verschiedene "Reichsdokumente" auf der Internetseite der eigens da für eingerichteten "Reichsmeldestelle" zum Kauf angeboten.62 Dass die Aktivitäten der "Exilregierung Deutsches Reich" weitge hend zum Erliegen gekommen sind, könnte auch mit der Aufspal tung der Organisation im Jahr 2012 zusammenhängen. Nach inter nen Streitigkeiten entstand mit der Gruppierung "Die ExilRegierung Deutsches Reich" eine eigenständige konkurrierende Organisation mit Anschrift in Berlin. 60 Internetseite der "Exilregierung Deutsches Reich" ("Die Entstehung der 'Bundesrepublik Deutschland', 'BRD'"). 61 Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2017, Seite 132, "Exilregierung Deutsches Reich". 62 Internetseite der "Reichsmeldestelle" des "Presse und Informationsamtes" der "Exil regierung Deutsches Reich" ("Beantragung Reichsdokumente"). 133 Rechtsextremismus Neben der "Exilregierung Deutsches Reich" existieren diverse Klein oder Kleinstgruppen in der Reichsbürgerszene, die auch Anhänger in Niedersachsen haben. Exemplarisch hierfür stehen der "Freistaat Preußen", das "Amt für Menschenrecht", das "Aktionsbündnis gel ber Schein", die "JustizOpferHilfe" sowie die "Verfassungsgeben de Versammlung" und die "Religionsgemeinschaft heilsamer Weg". Am weitesten in Niedersachsen verbreitet sind die Argumentationen der "Verfassungsgebenden Versammlung" und der "Religionsge meinschaft heilsamer Weg e. V. i. G." Ein größerer lokaler Personen zusammenschluss ist derzeit nicht zu erkennen. Verbot einer Reichsbürgergruppierung im März 2020 Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat hat am 19.03.2020 den Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) und seiner Teilorganisation "Osnabrücker Landmark e.V." verboten und aufgelöst. Es ist das erste Verbot einer Reichsbür gervereinigung auf Bundesebene überhaupt und erfolgte auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG in Verbindung mit SS 3 VereinsG. Demnach laufen die Zwecke und Tätigkeiten des Vereins den Straf gesetzen zuwider und richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. 400 Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten zeitgleich die Wohnungen von 21 führenden Vereinsmitgliedern in BadenWürttemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rhein landPfalz, SchleswigHolstein, Sachsen und Thüringen. Es wurden u. a. Schusswaffen, Hieb und Stichwaffen, Propagandamittel und eine geringe Menge Betäubungsmittel beschlagnahmt. In Nieder sachsen erfolgte eine Durchsuchung bei einem Mitglied der Gruppie rung im Landkreis Göttingen. Polizeibeamte stellten hier einen Lap top, ein Mobiltelefon und mehrere elektronische Datenträger sicher. Bei dem Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" handelte es sich um eine relativ neue Gruppierung innerhalb der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Im Jahr 2019 war sie insbeson dere durch verbalaggressive Schreiben aufgefallen, die sie haupt sächlich an Vertreter von Ämtern und Ministerien gerichtet hatte. Die teils drastischen Drohungen umfassten im Speziellen die "Inhaf tierung" der Adressaten sowie "Strafgebühren" in hohen Summen und "Sippenhaft". Auf ihrer Internetseite wurde die Bundesrepublik 134 Rechtsextremismus Deutschland als minderwertige Staatsform und Handelskonstrukt diskreditiert. Die Mitglieder der Gruppierung leugneten die Legiti mität der Bundesrepublik Deutschland und wollten stattdessen ein eigenes "naturstaatliches" Rechtssystem etablieren.63 Bewertung, Tendenzen, Ausblick In den Jahren 2016 bis 2019 war auch in Niedersachsen eine deut liche Zunahme an Aktivitäten der äußerst heterogenen Reichsbür gerszene festzustellen. Allerdings handelten dabei meist Personen, die bereits seit Längerem dem Reichsbürgerspektrum angehören. Waren im Jahr 2019 noch etwa 1.300 Personen der niedersächsi schen Szene zugerechnet worden, ist das Personenpotenzial ak tuell weiterhin rückläufig. Mittel bis langfristig kann ein weiterer Rückgang des Personenpotenzials prognostiziert werden. Dies liegt insbesondere daran, dass sich der Anfangsverdacht gegenüber eini gen Personen nicht bestätigt hat bzw. Personen sich von der Szene wegen des behördlichen, medialen und öffentlichen Drucks wieder abgewandt haben. Seit Anfang des Jahres 2017 wird in Niedersachsen die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in ihrer Gesamtheit beobach tet. Wird ein weitgefasster Maßstab angelegt, liegt die Gesamt zahl der in Niedersachsen auffällig gewordenen "Reichsbürger und Selbstverwalter" bei aktuell etwa 1.100 Personen. Inwieweit jeweils eine extremistische Haltung im Sinne einer politischen Bestrebung vorliegt, wird in einer Einzelfallanalyse bewertet. Bislang ist in Nie dersachsen von wenigen hundert "Reichsbürgern und Selbstver waltern" im engeren Sinne auszugehen. Dabei handelt es sich um Personen, die in erheblichem Maße im Zusammenhang mit einer Reichsbürgerideologie aufgefallen sind, u. a. durch die anhaltende Versendung von Schriftstücken an diverse Empfänger oder durch die Begehung von Straftaten wie Beleidigung, Belästigung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung oder durch Widerstandshandlungen und Gewaltdelikte. Gemessen an dem Gesamtpotenzial an "Reichs bürgern und Selbstverwaltern" liegt der Anteil an Rechtsextremis ten bei etwa vier bis fünf Prozent. 63 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Pressemitteilung vom 19.03.2020: Bundesinnenminister Seehofer verbietet mit "Geeinte deutsche Völker und Stämme" erst mals Reichsbürgervereinigung. 135 Rechtsextremismus Die in Niedersachsen wohnhaften "Reichsbürger und Selbstverwal ter" stellen keine homogene Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppie rungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich un terscheiden. Das Spektrum erstreckt sich über esoterisch geprägte Gruppierungen, über völkischtraditionalistisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Eine strategische Vernetzung der verschiedenen Gruppen oder Ein zelpersonen ist bisher ebenso wenig zu erkennen wie eine gezielte Steuerung. Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" lebt in einer Parallelwelt von Verschwörungstheorien, die sich verfestigt und gegenüber der Außenwelt verschließt. Dennoch zeigt sich die Szene als äußerst umtriebig. Mit einem hohen Aktivitätslevel, vor allem im Internet, ist auch weiterhin zu rechnen. Dies lässt sich in der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwal ter" insbesondere am Beispiel der Reaktionen auf die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie feststellen. Über die Verbreitung ihrer Ideologie im Internet hinaus versuchen "Reichsbürger und Selbstverwalter", die bundesweiten Proteste ge gen die CoronaMaßnahmen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Vereinzelt hat es bereits Auseinandersetzungen im Umfeld dieser Demonstrationen gegeben. Ein Beispiel sind die Stein und Fla schenwürfe auf Einsatzkräfte bei einer Spontanversammlung mit rund 2.000 Teilnehmende vor der russischen Botschaft in Berlin am 29.08.2020. Auch bei dem weiteren Demonstrationsgeschehen vom 28. bis 30.08.2020 in Berlin und der dabei kurzzeitig erfolgten Be setzung der Treppen vor dem Reichstagsgebäude waren maßgeblich Personen beteiligt, die der Szene der "Reichsbürger und Selbstver walter" zugerechnet werden. Durch die weitere Verbreitung der Reichsbürgerideologie sowie durch das teilweise ausgeprägte Sendungsbewusstsein und die nach gewiesene Zunahme an Aktivitäten von "Reichsbürgern und Selbst verwaltern" ist die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Allerdings lassen sich verallgemeinernde Aussagen über eine etwaige gewalttätige Aus richtung in Bezug auf dieses Personenpotenzial nicht treffen. Gleich wohl besteht jederzeit die Möglichkeit, dass einzelne Personen vor allem im Umgang mit Behördenmitarbeitenden oder als Reaktion 136 Rechtsextremismus auf staatliche Maßnahmen zu Gewalt greifen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Hierbei handelt es sich in Niedersachsen bisher ausschließlich um Reaktionen auf staatliche Maßnahmen. Hin weise auf gezielte kriminelle oder gar terroristische Handlungen von einzelnen "Reichsbürgern oder Selbstverwaltern" liegen derzeit nicht vor. Gleiches gilt für den gezielten Aufbau von (verdeckt operierenden) Gruppen zum koordinierten Angriff auf staatliche Einrichtungen oder Mitarbeitende. Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet mehrere Präven tions und Informationsangebote zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" an. Neben Vorträgen hält der Niedersächsische Verfassungsschutz ein Faltblatt mit dem Titel "Reichsbürger und Selbstverwalter" vor. Das Faltblatt kann über die Presse und Öf fentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angefordert werden und steht auf der Webseite des Niedersäch sischen Verfassungsschutzes zum Download zur Verfügung. 137 03 Linksextremismus Linksextremismus MitgliederPotenzial 64 3.1 LinksextremismusPotenzial Bundesrepublik Deutschland 2019 2020 MarxistenLeninisten und andere revolutionäre Marxisten 25.300 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 65 9.200 sowie Anarchisten 66 Summe 34.500 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 33.500 Davon gewaltorientierte Linksextremisten 67 9.200 LinksextremismusPotenzial Niedersachsen 68 2019 2020 MarxistenLeninisten und andere revolutionäre Marxisten 425 430 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 780 790 sowie Anarchisten 69 Summe 1.205 1.220 64 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 65 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen auf weisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 66 Das MitgliederPotenzial umfasste auch bisher schon die Anarchisten, ohne diese aus drücklich zu nennen. 67 Bis 2013 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Darstellung des Personen Potenzials ausschließlich die Anzahl der gewaltbereiten Linksextremisten ausgewiesen. Ab 2014 gibt es nunmehr die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten an, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 68 Die für den Bund eingefügte Fußnote gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von circa zwei Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 69 Das MitgliederPotenzial umfasste auch bisher schon die Anarchisten, ohne diese aus drücklich zu nennen. 140 Linksextremismus 3.2 Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Mar xismus und Anarchismus, von fundamentaler Bedeutung. Links extremisten greifen die in der amerikanischen Menschenrechtser klärung von 1776 und die in der Französischen Revolution von 1789 proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den demokratischen Rechtsstaat z. T. auch auf revo lutionärem und gewaltsamem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunistische Gruppierungen wollen das bestehende politische System zerschlagen und streben über die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" das Absterben des Staates und seine Ersetzung durch eine klassenlose Gesellschaft an. MarxistischLeninistische Organisationen wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), die "MarxistischLeninis tische Partei Deutschlands" (MLPD), aber auch die extremistischen Teile der Partei DIE LINKE. halten daher an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Sys tems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams70 und "vor bildhafter" Selbstorganisation. Da Anarchisten generell den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnen, streben sie un mittelbar nach einer erfolgreichen Revolution eine herrschaftsfreie Gesellschaft an. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordert (Internationalismus). Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheits rechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunis tisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisationen, Machtstrukturen und Hierarchien generell ab. Beide orientieren sich an der Utopie einer klassen bzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. an 70 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß ge gen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 141 Linksextremismus dem Ideal von der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, religiösen und kul turellen Zwängen. Anarchisten, die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, vernei nen auf Machtstrukturen beruhende Zwischenstadien zur Realisie rung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Das westliche Gesellschafts modell, d. h. die soziale Marktwirtschaft sowie der demokratische Rechtsstaat und die ihn repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten sowie westlich geprägte Bündnissysteme wie die NATO und die Europäische Union (EU), stehen für den Ge genentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die linksextremistische Kritik konzentriert sich vor allem auf die (internationalen) Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Verantwortung für internationale Konflikte und Krisen verorten sie im Westen. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete west liche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebie ten und fordern, wie z. B. die "Interventionistische Linke" (IL) auf ihrer Internetseite, "Make capitalism history!". 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus Die Entwicklung des Linksextremismus wurde auch im Berichtsjahr 2020 von der autonomen Szene bestimmt. Als Reaktion auf die be reits seit den 1990er Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorie ferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autono men Bewegung sind Teile der autonomen Szene weiter bestrebt, der Ideologie, Organisations und Bündnisfrage mehr Raum zu geben. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren bundesweit ver schiedene sich als postautonom verstehende Bündnisse entstanden. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu sein, greifen "Autonome", insbesondere "Postautonome", Themen auf, die bis 142 Linksextremismus weit in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und viele Men schen zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Dabei wähnen sie sich im Einklang mit der Mehrheitsgesellschaft. Insofern ist der nunmehr auch im Rechtsextremismus konstatierte Prozess einer Entgrenzung für den Linksextremismus schon lange Realität. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der frei ist von system überwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegner schaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizie rung", "Antirassismus" oder der Einsatz für den Klimaschutz daher vor allem als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Auch niedersächsische Links extremisten sind in diesen Themenfeldern aktiv, wobei der "Kampf gegen den Faschismus" und gegen den "Kapitalismus" für sie im Vordergrund steht, denn erst wenn der Kapitalismus als "Wurzel allen Übels" überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Die CoronaPandemie hat 2020 in einem bislang noch nicht dagewe senen Ausmaß das öffentliche Leben in der Bundesrepublik und somit auch das in Niedersachsen zum Erliegen gebracht. So wurden bereits zu Beginn der Pandemie Kontaktbeschränkungen eingeführt und De monstrationen weitgehend untersagt. Die maßgeblichen Autonomen Zentren in Niedersachsen haben seitdem geschlossen. Veranstaltun gen und regelmäßige Treffen der autonomen Szene konnten deshalb nicht mehr stattfinden. Bundesweite Großereignisse wie die länder übergreifende Militärübung "DEFENDER Europe 2020" wurden abge brochen, der für März vorgesehene CastorTransport durch Nieder sachsen ins atomare Zwischenlager im hessischen Biblis auf Anfang November verlegt. Der für Mitte September geplante EUChinaGip fel in Leipzig ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Dadurch fehlten der autonomen Szene zugleich die Themen und insbesondere die Möglichkeiten, um öffentlichkeitswirksam auf sich und ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Zwar beteiligten sich auch Linksextremisten an den Protestaktionen gegen Veranstaltungen von CoronaLeug nern, die Kontaktbeschränkungen führten aber dazu, dass sich die 143 Linksextremismus autonome Szene weitgehend auf den Austausch über Soziale Me dien, MessengerDienste und andere Kommunikationsplattformen beschränkte. Mit der vorübergehenden, schrittweisen Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen öffneten einzelne Autonome Zen tren wieder, Treffen sowie Veranstaltungen konnten bis zum zweiten TeilLockdown ab November 2020 eingeschränkt wieder durchge führt werden. Insgesamt wurden die staatlichen Maßnahmen zur Ein grenzung der Pandemie von der linksextremistischen Szene Nieder sachsens grundsätzlich als "derzeit legitimiert" anerkannt, jedoch mit der Warnung vor einer Ausweitung und Verschärfung von repressiven Maßnahmen des Staates wie einer unbegrenzten Verlängerung der bisher angeordneten Maßnahmen, einer Aufweichung von Grund rechten oder einer Ausweitung der Überwachung verbunden. Die linksextremistisch motivierten Übergriffe auf Funktionäre der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) und die virulente Gewalt gegenüber Rechtsextremisten bzw. denjenigen, die Links extremisten dafür halten, bildeten auch 2020 einen Schwerpunkt der linksextre mistischen Aktivitäten. So beleidigten unbekannte Täter in Emden ein Mitglied der AfD als "scheiß Nazi" und verletzten das Opfer im weiteren Tathergang mit einem Messer. Ferner gewinnt das Thema "Antigentrifizierung" auch für die niedersächsische autonome Szene zunehmend an Bedeutung, wie die Übergriffe auf Einrichtungen und Fahrzeuge von Immobilienfirmen zeigen. Der Kampf gegen Ras sismus hat vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen mehr Gewicht bekommen. Der Farbanschlag auf die Fassade des Gebäu des der CDU Region Hannover und die Zerstörung der Scheiben der Hannoveraner Ausländerbehörde zeigen das. Diese Ereignisse unterstreichen in der Gesamtschau, dass die Hemm schwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt - auch gegenüber Menschen - weiterhin niedrig ist. Darüber hinaus fällt 144 Linksextremismus auf, dass die autonome Szene auch künftig die Klimaschutzproble matik thematisiert und versucht, an die nichtextremistische Klima schutzbewegung anschlussfähig zu werden. Beispielhaft sei hier nur die Fridays for FutureBewegung genannt.71 Im Bereich des parteigebundenen Linksextremismus setzte sich die zunehmende politische Bedeutungslosigkeit der orthodox marxis tischleninistisch ausgerichteten Parteien "Deutsche Kommunisti sche Partei" (DKP) und "MarxistischLeninistische Partei Deutsch lands" (MLPD) 2020 weiter fort. Neben kontinuierlich schwachen Wahlergebnissen von deutlich unter einem Prozent72 leiden beide Parteien unter einer massiven Überalterung ihrer Mitglieder. Zudem stagnieren die Mitgliederzahlen beider Parteien seit Jahren auf nied rigem Niveau. Sowohl die DKP als auch die MLPD sind in der nie dersächsischen Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und werden für die Beurteilung des linksextremistischen Gesamtpotenzials nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die zwei offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE., die "Kommunistische Plattform" (KPF) und die "Antikapi talistische Linke" (AKL), streben nach wie vor, wenn auch in unter schiedlicher Ausführung und Intensität, die Überwindung der be stehenden politischen Ordnung der Bundesrepublik an und wollen diese durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System erset zen. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen sie Einfluss auf das poli tische Profil der Partei DIE LINKE. und deren inhaltliche Ausrichtung zu nehmen. So beteiligen sich ihre Mitglieder beispielsweise mit ei genen Delegierten an den Parteitagen der Partei DIE LINKE. und bringen sich dort mit eigenen Anträgen ein. Diese Vorgehensweise dient ihnen dazu, die Deutungshoheit bei bestimmten Themen, wie beispielsweise den Umgang mit der SEDDiktatur, zu erlangen. Aus diesem Grunde geht der Niedersächsische Verfassungsschutz davon aus, dass die beiden extremistischen Zusammenschlüsse der Partei DIE LINKE. auch 2021 versuchen werden, Einfluss auf ihre Partei in Niedersachsen zu auszuüben. 71 Siehe im Einzelnen Kapitel 3.4, Abschnitt "Klimaschutz". 72 DKP - Bundestagswahl 2017: 0,0 Prozent; Landtagswahl 2017: nicht angetreten; MLPD - Bundestagswahl 2017: 0,1 Prozent; Landtagswahl 2017: nicht angetreten. 145 Linksextremismus Ausblick Vor dem Hintergrund des Auftretens rechtspopulistischer Parteien und rechtsextremistischer Gruppierungen wird der Antifaschismus auch 2021 im Mittelpunkt linksextremistischer Aktivitäten in Nieder sachsen stehen. Setzt sich die Wohnraumumgestaltung so massiv wie bisher fort und bleibt die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiterhin so angespannt wie in den letzten Jahren, so muss auch künftig mit Über griffen auf Immobilienunternehmen und ihre Mitarbeiter gerechnet werden. Gelingt es der Klimaschutzbewegung, die Menschen auch künftig bis weit in die Mitte der Gesellschaft zu mobilisieren, so kann davon ausgegangen werden, dass auch die linksextremistische Szene weiterhin den Anschluss an diese Bewegung suchen wird, um sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Die Entwicklungen des Jahres 2020 zeigen, dass in Niedersachsen kontinuierlich Gewalttaten durch die linksextremistische Szene verübt werden. Auch im Jahre 2021 ist daher davon auszugehen, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt auch gegenüber Menschen weiterhin gering sein wird. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich die Radikalisierung der linksextremistischen Szene in Niedersachsen 2021 auf gleichbleibend hohem Niveau bewegen wird. 3.4 Autonome/Postautonome und sonstige gewaltbereite Links extremisten Sitz/Verbreitung Landesweite Präsenz mit Schwerpunkten in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück Mitglieder/Anhänger/ Bund: Niedersachsen: 760 Sympathisanten Publikationen "Alhambra", Oldenburg (unregelmäßig) "autonomes Blättchen", Hannover (unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, keine Mitgliedsbeiträge 146 Linksextremismus Kurzportrait/Ziele Das Ziel autonomer Gruppierungen ist es, den Staat und seine Insti tutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschafts freie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung kennt dabei keine mit kommunistischen Organisationen vergleichbare ein heitliche und dogmatische Ideologie. Ihr Weltbild setzt sich vielmehr aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammen. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung finden sich über Aktions und Themenfelder zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problem feldern orientieren. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, den autonomen Widerstand öffentlich besser zu vermitteln, um so bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähiger zu werden. Gegenwärtig sind die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepres sion", "Antigentrifizierung", "Antimilitarismus" und vor allem der Klimaschutz für das autonome Spektrum in Niedersachsen von Be deutung. Die autonome Szene sieht sich seit mehreren Jahren mit der Problematik konfrontiert, dass sie aufgrund interner Streitigkei ten, mangelnder Organisationsfähigkeit und einer oftmals brüchi gen Vernetzung nur unzureichend agieren kann. Um diesem Um stand etwas entgegenzusetzen, haben sich bundesweit sogenannte postautonome Zusammenhänge etabliert, die mit langfristigen Bündnisstrukturen versuchen, die "Autonomen" aus der auch von ihnen selbst beklagten Krise zu holen. Für Niedersachsen sind dabei vor allem die "Interventionistische Linke" (IL) und das Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) relevant. "Die Postautonomen" Autonome Gruppierungen sind nicht wie kommunistische Organi sationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. "Autonome" im klassischen Sinne verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke und streben wie die Vertreter der or thodoxen bzw. dogmatischen KGruppen73 die sozialistische Revo 73 Der Begriff "KGruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am MarxismusLeninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 147 Linksextremismus lution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Macht und Herrschaftsstrukturen wie Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Schon seit Jahren leidet die autonome Szene sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen unter internen Streitigkeiten und einer hohen Fluktuation. So existieren autonome Gruppierungen oftmals nur kurzfristig und haben Probleme, ihre Akteure zu motivieren. Verant wortlich dafür sind vor allem ungelöste Organisationsdebatten und eine theoretische Orientierungslosigkeit. Diese Entwicklung hat die "Autonomen" in eine substanzielle inhaltliche und strukturelle Krise gestürzt. Teile der autonomen Szene reflektieren diese Missstände schon seit längerem und versuchen, für konkrete Projekte Grup penstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Diese sich oftmals als postautonom bezeichnenden Gruppierungen verstehen sich nach wie vor als "Autonome", auch wenn sie sich in einigen Punkten von diesen unterscheiden. Ihre Politik ist langfristiger angelegt und ver folgt eine Strategie der kleinen Schritte. Sie wollen sich organisieren, vernetzen und betreiben innerhalb des autonomen Spektrums eine strategische Bündnisorientierung mit einer breiten Öffnung ins de mokratische Spektrum und zu bislang unpolitischen Bevölkerungs schichten. Dort wollen sie für einen Bruch mit dem Kapitalismus und den ihn nach Meinung der "Autonomen" schützenden demo kratischen Rechtsstaat werben. Ideologisch orientieren sie sich an marxistischleninistischen Weltbildern. Sie verzichten aber bewusst auf eine exakte ideologische Festlegung und somit auf eine dogma tische Interpretation der marxistischen und anarchistischen Klassi ker. Diese ideologische Unverbindlichkeit macht es ihnen möglich, sich auf der Basis von Minimalkonsensen bis weit in orthodoxe, aber auch nichtextremistische Kreise zu vernetzen. So wollen sie in einem langfristigen Prozess die herrschenden Verhältnisse überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten. "Postautonome" greifen deshalb aktuelle politische (Krisen)Themen auf, die bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und versuchen, über deren gezielte Zuspitzung möglichst viele Personen zu erreichen und mittelfristig zu radikalisieren. So waren sie beispielsweise im Jahr 2020 an den bundesweiten Protesten gegen den Braunkohleabbau und für den Klimaschutz beteiligt. 148 Linksextremismus "Interventionistische Linke" (IL) Die IL ist zurzeit das bedeutendste postautonome Bündnis. Sie ent stand 1999 als eine "strategische Verabredung" undogmatischer Linksextremisten verschiedener Strömungen. In sogenannten Be ratungstreffen fanden sich Gruppierungen und Einzelpersonen zu sammen, um Überlegungen anzustellen, wie die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland erhöht werden könne. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum geöffnet. Es entstand ein bundesweit agierendes Netz werk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem in geringem Maße auch nichtextremistische Personen ange hörten. Dem folgte ab 2010 eine intensive Organisationsdebatte, die mit einem von der IL herausgegebenen "Zwischenstandspapier" vom 11.10.2014 die Umstrukturierung der IL von einem Netzwerk zu einer Organisation abschloss. Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu sein, geben sich ihre Akteure ideologisch bewusst undogmatisch. Zugleich be mühen sie sich um ein gemäßigteres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonis ten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, hinter dem sich eine latent vorhandene Militanz verbirgt, wie die IL in ihrem "Zwischenstandspapier" deutlich macht: "Unsere Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen. ... Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen." (Internetseite der IL, 16.09.2020) Aus diesem Grund kann die IL eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmati schen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einneh men. Das ermöglicht ihr, Bündnisse bis in die Mitte der Gesellschaft zu schmieden, und Mobilisierungserfolge zu erzielen. Zugleich un terstreicht diese Entwicklung die wachsende Bedeutung des Netz werkes für die gesamte linksextremistische Szene, deren Erfolg bei 149 Linksextremismus Protestveranstaltungen zu einem nicht unerheblichen Teil von der Organisationsfähigkeit der IL abhängt. Ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung bringt die IL u. a. in ihrem Selbstverständnis zum Aus druck. Darin macht sie deutlich, dass es ihr nicht um grundgesetz konforme reformerische Veränderungen des kapitalistischen Wirt schaftssystems geht, sondern um die revolutionäre Überwindung des demokratischen Rechtsstaates: "Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv nicht nur gegen die Zumutungen und Grausamkeiten, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung, Diskriminierung orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, gesellschaftliche radikale Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert." (Internetseite der IL, 16.09.2020) Gegenwärtig bestehen in 29 deutschen Städten74 sowie in Graz (Österreich) Ortsgruppen der IL, zwei davon in Niedersachsen (Göt tingen und Hannover). Die IL folgt eigentlich dem Prinzip, wonach pro Stadt nur eine Ortsgruppe bestehen soll. In Göttingen ist diese Ausrichtung jedoch bislang nicht angenommen worden. Dort sind die beiden Gruppierungen "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) und "Basisdemokratische Linke" (BL) weiterhin eigenständige Mitglieder der IL. 74 An folgenden deutschen Standorten gibt es ILOrtsgruppen: Aschaffenburg, Berlin, Bie lefeld, Bremen, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, Marburg, München, Münster, Norderstedt, Nürnberg, Rostock, Stuttgart, Tübingen. 150 Linksextremismus Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) Ein weiteres postautonomes Bündnis mit niedersächsischer Be teiligung stellt das Bündnis uG dar. In ideologischer Abgrenzung zur antiimperialistisch ausgerichteten IL ist das Bündnis uG dem antideutschen Lager zuzurechnen.75 Folgt man der Selbstdarstel lung des Bündnisses, so wurde es 2006 gegründet, um "links radikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen." Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG dabei nicht nur um eine "Kritik, für die es weder Ins titutionen noch Parlamente noch feste Verfahren" gebe, sondern auch um die "Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer". Das postautonome Bündnis strebt nach einer herrschaftsfreien kom munistischen Gesellschaft. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im Linksextremismus, äußerst diffus. Das Bündnis uG ist derzeit in neun deutschen Städten76 sowie in Wien (Österreich) organisiert. Die Gruppierung "Redical [M]" ist "eine kommunistische und antinationale Gruppe" aus Göttingen. Antiimperialisten und Antideutsche Die sogenannten Antideutschen bildeten sich mit Beginn der 1990er Jahre vor dem Hintergrund zunehmender rechtsextremistischer Übergriffe auf Migranten als eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus. Ideologisch wenden sie sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus. Mit der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und die Entstehung eines "IV. Reichs" durch die Rückkehr zum National sozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sich die Antideutschen bedingungslos mit dem Staat Israel und sei 75 Zur Erläuterung der Begriffe "antiimperialistisch" und "antideutsch" siehe die Ausführun gen im folgenden Abschnitt "Antiimperialisten und Antideutsche". 76 In folgenden deutschen Städten gibt es Gruppierungen, die im Bündnis uG organisiert sind: Bremen, Berlin, Dresden, Göttingen, Köln, Frankfurt am Main, Leipzig, München, Münster. 151 Linksextremismus ner Schutzmacht, den USA. Eine für "Autonome" ungewöhnliche politische Haltung, da sie prinzipiell staatliche Strukturen, Instituti onen und Repräsentanten ebenso ablehnen wie das westliche Wirt schafts und Gesellschaftsmodell und jegliche Form von Militär. Auf grund dieser Widersprüchlichkeit kam es zum Bruch zwischen den Antideutschen, die bislang immer nur eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums vertraten und vertreten, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperia listen mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiame rikanischen und antiisraelischen Haltung. Dieser ideologische Bruch vollzieht sich nicht nur im autonomen, sondern auch im postauto nomen Spektrum. So ist beispielsweise die IL mit ihren niedersächsi schen Ablegern in Hannover und Göttingen als antiimperialistisch zu charakterisieren, während das Bündnis uG eindeutig antideutsch ge prägt ist.77 Nicht selten führen diese Diskrepanzen zur Lähmung der politischen Arbeit innerhalb der autonomen bzw. postautonomen Szene, da beide Seiten nur bedingt dazu bereit sind, miteinander zu kooperieren. Autonome Gewalt "Autonome" kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Die autonome Gewaltbereitschaft basiert dabei auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat und seine Reprä sentanten sowie Rechtsextremisten, aber auch szenekritische Wis senschaftler zählen. Politisch motivierte Gewalt dient Autonomen als "Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft", denn um die ange strebte herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten, muss zuvor der demokratische Rechtsstaat als Garant der bisherigen Ordnung be seitigt werden. Gewalt hat für "Autonome" immer eine Außen und eine Binnenwirkung. Nach außen dient sie u. a. dazu, öffentliche, insbesondere mediale Aufmerksamkeit zu erregen und Unterstüt zung für die eigenen Positionen zu finden. Darüber hinaus soll sie die Kosten für bestimmte politische Entscheidungen so in die Höhe 77 Die beiden Göttinger Gruppen "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) und "Ba sisdemokratische Linke Göttingen" (BL) sind Teil der antiimperialistisch ausgerichteten IL, während die "Redical [M]" die Göttinger Ortsgruppe des antideutsch ausgerichteten Bündnisses uG bildet. In Hannover gibt es eine ILOrtsgruppe Hannover, die zum Bündnis uG gehörende Gruppierung "Fast Forward Hannover" hat sich aufgelöst. 152 Linksextremismus treiben, dass diese politisch nicht mehr durchsetzbar sind.78 Zu gleich wirkt die Gewalt nach innen integrations und identitäts stiftend für die jeweiligen Bezugsgruppen. Die gewaltsame Aus einandersetzung mit der Polizei ist der förmliche Ritterschlag für den einzelnen "Autonomen", denn sie befördert seinen Aufstieg in den formal nicht existenten Hierarchien innerhalb seiner Be zugsgruppe. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Gewalt - wie auch in anderen Extremismusbereichen - ästheti siert und heroisiert wird. So stilisieren sich "Autonome" gern auf Fotos und Plakaten als "lonesome cowboy" oder "streetfighter" vor brennenden Barrikaden oder Autos sowie vor Polizeireihen. Dadurch zeigen sie zugleich die Faszination, die Gewalt auf sie ausübt. Gewalt wird somit zu einem unverzichtbaren Lebensge fühl. In manchen Situationen herrscht sogar eine regelrechte Ge waltbegeisterung, denn "es macht einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen ..." wie es in einem ihrer Selbstzeugnisse heißt.79 Um die von "Autonomen" ausgehende Gewalt richtig einordnen zu können, muss man sich den für sie und die "Postautonomen" gel tenden Gewaltbegriff vergegenwärtigen. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" Gewalt gegen ihre Bürger aus: sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen, Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und hindern diese daran, sich ihren Anlagen und Möglichkeiten entspre chend frei entfalten und somit selbst verwirklichen zu können. Aus dieser so empfundenen "Gewalt des Systems" leiten "Autonome" und sonstige gewaltbereite Linksextremisten quasi ein Naturrecht auf gewaltsamen Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt ver steht sich demzufolge als "Gegengewalt", als ein reaktives und da 78 Die CastorTransporte sind hierfür ein gutes Beispiel. Ihre Gegner wussten, dass sie die Züge mit den Castoren auf den Weg ins atomare Zwischenlager nach Gorleben nicht auf halten können. Durch Blockaden und SchotterAktionen versuchten Teile von ihnen aber, die Transporte möglichst lange aufzuhalten. So wollten sie die Kosten für die CastorTrans porte in die Höhe treiben in der Hoffnung, dass sie irgendwann allein aus Kostengründen nicht mehr durchführbar sein würden. 79 A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren, Berlin 3. Auflage 2003, Seite 148. 153 Linksextremismus durch legitimes Mittel, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. "Postautonome" teilen zwar grundsätzlich das autonome Gewalt verständnis. Im Gegensatz zu den "klassischen" "Autonomen" ist ihr Verhältnis zur Militanz aber vor allem taktischer Natur. Einer seits distanzieren sie sich von der Anwendung von Gewalt, um so das demokratische Spektrum als potenziellen Bündnispartner und ihre Scharnierfunktion zwischen den extremistischen und nichtext remistischen Milieus nicht zu gefährden. Andererseits betonen sie, es gehe ihnen darum, die Wahl der Mittel entsprechend den eige nen Zielen selbst zu bestimmen. Ein eindeutiges "Nein" zu jeglicher Form der Gewalt gibt es von ihnen nicht. Vor diesem Hintergrund wird schon seit geraumer Zeit in der links extremistischen Szene eine Debatte über das Für und Wider von Ge walt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen geführt. In dieser "Militanzdebatte" geht es nicht um ein Ja oder Nein zur Ge walt an sich. Einzig die Legitimität der Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen und nicht allein gegen Sachen wird diskutiert. Da Gewalt dem autonomen Verständnis nach politisch für diejenigen vermittelbar sein soll, die man befreien will, wird bislang gezielte Gewalt gegen Menschen mehrheitlich abgelehnt. Davon ausgenom men sind aber Polizeibeamte und Rechtsextremisten. Sie gelten als das personifizierte Feindbild eines jeden "Autonomen", ihnen wer den Menschenwürde und Grundrechte abgesprochen. Gewalt ge gen sie gilt als legitim und vermittelbar und wird zumindest billigend in Kauf genommen. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). 154 Linksextremismus Auswirkungen der "CoronaPandemie" auf Aktivitäten und ideologische Überlegungen der autonomen Szene in Niedersachsen Wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie waren Demonstrationen weitgehend untersagt und die maßgebli chen Autonomen Zentren in Niedersachsen mussten schließen. Bun desweite Großereignisse wurden abgebrochen oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Teile der autonomen Szene begannen in dieser Zeit, sich theoretisch mit den Ursachen und Wirkungen der CoronaPandemie aus ihrer Sicht auseinander zu setzen. So veröffentlichte das antideutsch aus gerichtete postautonome Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) am 29.03.2020 ein "Statement zur CoronaKrise" auf einem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal. Seiner Meinung nach hat das Virus "eine kapitalistische Produktionskrise und zugleich eine Krise der Gesellschaft, genauer: der gesellschaft lichen Reproduktion ausgelöst." Das Virus sei aber "nur der Auslöser, auf den der immanent krisenhafte Kapitalismus mit seiner latenten Finanzblase, seiner industriellen Überakkumulation und seinen fragilen Lieferketten nun mit empfindlicher Unterbrechung der Produktion reagiert." Ihr kapitalismuskritisches Fazit lautet daher: "Die Ausbreitung des Coronavirus ist letztendlich Ergebnis der kapitalistischen Produk tionsweise in Landwirtschaft und Tierhaltung." Die staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung werden vom Bündnis uG als ein "Rückzug ins Nationale" verstanden. Aus diesem Grunde ist es für das Bündnis uG "... in der jetzigen Situation das Wichtigste, den grassierenden Nationalismus der Selbstsorge zu durchbrechen und sich für diejenigen einzusetzen, die weder Pass noch Krankenkarte haben ...", also für Flüchtlinge, insbesondere für diejenigen, die auf den grie chischen Inseln gestrandet sind. Generell sieht das Bündnis uG "tiefgreifende Veränderungen" auf die Gesellschaft zukommen, die "nur durch gutorganisierte Kämpfe gewonnen" werden können. Um diese Kämpfe zu forcieren, will es ganz im Sinne der postauto nomen Strategie und Bündnispolitik an die "Debatten um CareRe volution, Frauenstreik und die Arbeitskämpfe der Beschäftigten 155 Linksextremismus im Gesundheitswesen anknüpfen."80 Die "vielerorts entstehenden Nachbarschaftshilfen" sollen politisiert und zu solidarischen Stadt teilstrukturen ausgebaut werden. Gegen die "autoritäre Seuchen verwaltung im Dienste von Wirtschaftsstandort und Wettbewerb" will das Bündnis uG letztlich den "Kommunismus als Gegenmacht von unten" setzen. Die "Interventionistsiche Linke" (IL) hat auf ihrer Internetseite ei nen Debattenblog zur "Coronakrise" eingestellt, um ihren Aktivis ten die Gelegenheit zum Austausch in Zeiten einer Kontaktsperre zu geben. In ihrem Papier "Was tun in Zeiten von Corona?" fordert sie u. a., dass die IL auch in Coronazeiten handlungsfähig blei ben muss. Um diese Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, möchte sie "unsere Kommunikation umstellen und überhaupt aufbauen, Strukturen zur Koordinierung neu schaffen, die Geschwindigkeit unseres Reaktionsvermögens erhöhen." Sie fordert, künftig "De mos mit Abstandhalten und Mundschutz und Handschuhen" und konstatiert erfreut: "Nie war es so einfach, sich zu vermummen." Zukünftig hält sie es für unabdingbar, mit "digitalen Widerstand praxen Erfahrung [zu] sammeln, Serverblockaden [zu] organisieren ... ohne den 'öffentlichen physischen Raum'" aufzugeben. Ab schließend hält sie im üblichen linksextremistischen Tenor als ein Ziel fest, "die Grausamkeit der Funktionalität der kapitalistischen Globalisierung offen[zu]legen." Wie das Bündnis uG, so sieht auch die IL die Ursachen der Corona Pandemie in der kapitalistischen Produktionsweise. Für den Mo ment ist man bereit, die restriktiven staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus weitgehend mitzutragen und sich mit öffentlichen Aktionen zurückzuhalten, weil man die Bekämpfung des Virus für notwendig erachtet. Schon jetzt scheint eine strategi sche Vorgehensweise für die Zeit nach der CoronaPandemie fest zustehen: der verhasste Staat soll dann verstärkt in der digitalen 80 In diesen Debatten geht es um den Kampf gegen Lücken in der öffentlichen Daseinsvor sorge und um neue Modelle von SorgeBeziehungen. Diese sollen nicht auf Profitmaxi mierung orientiert sein, sondern die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ressourcen sollen dabei nicht nach rassistischen, geschlechtlichen oder klassenbezogenen Strukturierungen verteilt werden. 156 Linksextremismus Welt, z. B. durch Serverblockaden, attackiert werden. Der Beitrag spiegelt zwar nur die Einzelmeinung einer ILAktivistin wider, es liegt aber nahe, dass vor dem Hintergrund der CoronaPandemie die links extremistische Szene die Auseinandersetzung mit dem Staat verstärkt auch in den digitalen Raum verlegen könnte. Aktionsfelder Kampf gegen Faschismus Zentrales Anliegen der "Autonomen" ist der Kampf gegen Faschis mus bzw. der "Antifaschismus", einhergehend mit dem für sie da mit untrennbar verbundenen Kampf gegen den Kapitalismus. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunisti schen Internationale (Komintern), Georgi Dimitroff, im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellten These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten impe rialistischen Elemente des Finanzkapitals"81 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus imma nent. Faschismus kann deshalb diesem Verständnis nach nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus, beseitigt wird. Konsequenter "Antifaschismus" zielt daher für Linksextremisten zwangsläufig nicht nur auf die ka pitalistische Wirtschaftsordnung, sondern auch auf die "Marionette des Kapitals", den zu überwindenden demokratischen Rechtsstaat. Ereignisse im Zusammenhang mit der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Wie in den Jahren zuvor, konzentrierte sich die autonome Szene auch 2020 auf ihre "AntifaschismusArbeit", insbesondere auf die direkte Auseinandersetzung mit der AfD. Pkws und Wohnhäuser von AfDAngehörigen stellten Angriffsziele der autonomen Szene dar, aber auch Körperverletzungen wurden begangen. So beleidig ten unbekannte Täter am 14.05.2020 in Emden ein Mitglied der AfD. Im Verlauf der Auseinandersetzung stach einer der Täter das Opfer 81 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 157 Linksextremismus mit einem Messer in den rechten Hüftbereich, wo durch das Opfer eine drei Zentimeter tiefe Wun de erlitt. Am 27.01.2020 attackierten im Rahmen der alljährlichen Gedenkfeier zur Befreiung des KZ AuschwitzBirkenau in der KZGedenkstätte Schill straße 25 in Braunschweig Linksextremisten einen AfDFunktionär, schubsten ihn, zerrten an ihm und versuchten ihn abzudrängen. Gegen fünf Be teiligte wurde von Amts wegen Anzeige erstattet. Vor allem das AfDBüro in der Hildesheimer Innen stadt geriet 2020 in den Fokus von Linksextremisten. So sprühten unbekannte Täter am 11.03.2020 mit schwarzer Graffitifarbe den Schriftzug "FGHT NZS" ("Fight Nazis") an das Schaufenster des Büros. An der Fensterscheibe des daneben befindlichen Kosmetik studios wurde "FCK NZS" ("Fuck Nazis") gesprayt. Am 01.05.2020 besprühten unbekannte Täter mit weißer Farbe das Schaufenster sowie die Glasscheibe der Eingangstür des Hildesheimer AfDBü ros abermals mit den Schriftzügen "Fght AfD" ("Fight AfD") sowie mit den Parolen "No Nazis", "161" ("Antifaschistische Aktion") und einem AntifaZeichen. In der Nacht vom 15. auf den 16.10.2020 beschmierten unbekannte Täter erneut die Eingangstür und eine Fensterscheibe des AfDBüros mit Farbe und dem Schriftzug "ZONA Antifa" sowie dem AntifaZeichen. In der Nacht vom 20. auf den 21.10.2020 traf es das Büro der AfD erneut. Diesmal wurden mittels blauer Farbe die Worte "Kein*er mag euch verpisst euch! Zona Antifa" an die Fensterscheibe sowie die Abkürzung "ACAB" ("All Cops Are Bastards") an die Eingangstür des Fraktionsbüros gesprüht. Zwischen dem 12. und 14.11.2020 wurden abermals die Fensterscheibe und die Eingangstür des AfDBüros mit dem Tag "FCK AFD" ("Fuck AFD") besprüht. Auch sogenann te OutingAktionen prägten weiterhin die Auseinandersetzung mit der AfD. So veröffentlichte ein unbekannter Verfasser am 15.01.2020 die privaten Anschriften von AfDMitgliedern im Internet. 158 Linksextremismus Einen Höhepunkt der Auseinandersetzung mit der AfD stell ten die Proteste gegen den Landesparteitag der niedersäch sischen AfD dar, der am 12. und 13.09.2020 im Millenium Event Center am Stadtrand von Brauschweig mit etwa 600 an gemeldeten Teilnehmenden stattfand. Gegen die Durchfüh rung des Parteitages formierte sich breiter gesellschaftlicher Protest. So meldeten u. a. das Braunschweiger "Bündnis ge gen Rechts" und die Partei DIE LINKE. im Rat der Stadt Braun schweig Gegendemonstrationen an. Darüber hinaus riefen aber auch Linksextremisten wie die zu dem postautonomen Bündnis "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) gehörende Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative Braunschweig" (NIKABraunschweig) oder das Autonome Zentrum "Antifaschis tisches Cafe Braunschweig" zu Protesten auf. Während das Gros der circa 2.000 Demonstrierenden friedlich ihre Kritik an der AfD zum Ausdruck brachte, blockierten hunderte Gegendemonst ranten bereits um acht Uhr morgens die Anfahrtswege zu dem Tagungsort. Mutmaßliche Parteitagsteilnehmende wurden von einem "Schwarzen Block" aggressiv angegangen. Etwa 40 dun kel gekleidete Personen versuchten die Polizeireihen zu durchbre chen, um Angehörige der AfD anzugehen. Ein Bus und mehrere Autos mit Parteitagsgästen blieben in einer Blockade stecken. Unter Einsatz von Pfefferspray, Schlagstöcken und Diensthunden mit angelegtem Beißkorb ermöglichte die Polizei den Delegier ten den Zugang zum Veranstaltungsort. Der Parteitag konnte dadurch erst mit zweieinhalbstündiger Verspätung beginnen. Aus einem anschließenden Protestaufzug in der Braunschweiger Innenstadt, an dem circa 1.800 Personen teilnahmen, formier te sich erneut ein etwa 200 Personen umfassender "Schwarzer Block". Dieser führte im Laufe des Protestaufzuges eine spontane Zwischenkundgebung durch und löste sich wenig später in kleine Gruppen auf. Im Vergleich vor allem zum Bundesparteitag der AfD im Dezember 2017 in Hannover verliefen die Proteste gegen den Landesparteitag in Braunschweig in der Gesamtschau friedli cher. Auch die Mobilisierung des linksextremistischen Spektrums war weniger erfolgreich als zuvor. Sie fand nahezu ausschließlich 159 Linksextremismus in Niedersachsen statt und erreichte eine geringere Teilnehmerzahl aus dem autonomen Spektrum als bei den Protesten gegen die Bun desparteitage der AfD. Zudem verfehlte die autonome Szene ihr ei gentliches Ziel, den AfDParteitag zu verhindern bzw. entscheidend zu behindern. Vom 05. bis zum 06.12.2020 führte die AfD Niedersachsen auch ihre Delegiertenversammlung für die Bundestagswahl 2021 im Millenium Event Center in Braunschweig mit 470 Teilnehmenden durch. Gegen diese Zusammenkunft der AfD protestierten etwa 300 Personen aus dem demokratischen und dem autonomen Spektrum. Bereits in den Morgenstunden des 05.12.2020 wurden die Anreisewege der AfDDelegierten blockiert, so dass das Treffen erst mit erheblicher Verzögerung beginnen konnte. Demonstrierende beleidigten Poli zeibeamte und griffen sie z. T. auch tätlich an. Zudem wurden an zwei Einsatzfahrzeugen die Reifen zerstochen. LinksRechtsAuseinandersetzungen im Raum Göttingen und Braunschweig Am 10.06.2020 warfen zwei Rechtsextremisten in Einbeck einen Feuerwerkskörper in den Briefkasten einer Frau, die sich gegen rechtsextremistische Aktivitäten und für die Flüchtlingshilfe enga giert, um sie einzuschüchtern. Unter dem Motto "Menschenrechte statt rechte Menschen" demonstrierten am 12.06.2020 etwa 300 Menschen gegen rechtsextremistische Umtriebe in Einbeck, dar unter auch linksextremistische Gruppierungen wie die "Basisde mokratische Linke" (BL) und die "Redical [M]" aus Göttingen. Am 27.06.2020 demonstrierten erneut etwa 350 Personen in Einbeck, diesmal unter dem Motto "Null Toleranz gegen Rassismus und rechte Hetze". Abermals nahmen auch linksextremistische Gruppierungen wie die Göttinger "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.), die BL und aus Hannover die "Antifa L Hannover" teil. Im Verlauf der Kundgebung kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. 160 Linksextremismus Am 10.10.2020 führte die Partei "Die Rechte" in der Einbecker In nenstadt eine Kundgebung durch. Dagegen protestierten unter dem Motto "Solidarisch kämpfen! NeonaziGewalt stoppen in Einbeck und anderswo!" etwa 300 Personen, darunter auch Linksextremis ten der zur IL gehörenden Göttinger Gruppierungen A.L.I. und BL sowie der ILOrtsgruppe Hannover. Als die Rechtsextremisten einen Spontanaufzug begannen, versuchten die Gegendemonstranten (erfolglos) die polizeilichen Absperrungen zu überwinden, um an die Aufzugsstrecke zu gelangen. Dabei sind vier Rauchgranaten, sogenannte Nebeltöpfe, gezündet worden. Eine weitere Eskalation blieb aus. Es wurden Straf ver fahren nach dem Sprengstoffgesetz und wegen des Verdachts der gefährlichen Körper verletzung eingeleitet. Bereits in der Nacht zum 10.10.2020 hatten un bekannte Täter das Haus einer dem rechtsextre mistischen Spektrum zu zuordnenden Person mit Farbe beschmiert. Was Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, angeht, ist im Jahr 2020 Braunschweig zunehmend in den Blickpunkt gerückt. Ne ben den Protesten gegen den AfDLandesparteitag in Braunschweig gab es häufig Übergriffe zwischen beiden Extremismen. So beschä digten unbekannte Täter am 17.05.2020 in Braunschweig in den frühen Morgenstunden mit zwei Steinen die Fensterscheibe eines Mehrfamilienhauses, in dem ein Angehöriger der rechtsextremisti schen Szene wohnt. Am Tatort wurden zudem mit Farbe gefüllte Bierflaschen gefunden. Am 25.10.2020 fand am Rand der Stadt 161 Linksextremismus Braunschweig eine Kundgebung mit etwa 200 Personen statt, zu der auch linksextremistische Gruppierungen wie der Szenetreff "Nexus Braunschweig", die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative Braunschweig" (NIKA Braunschweig), das "Antifaschistische Cafe Braunschweig" und überregional die autonomen Gruppierungen "IL Hannover", die "Antifa L Hannover" sowie das "AntifaKollektiv*37 Hildesheim" aufriefen. Eine "Gedenkveranstaltung" der "National demokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und der "Jungen Nati onalisten" (JN) am Volkstrauertag (15.11.2020) vor dem Obelisken am Braunschweiger Löwenwall rief 300 Gegendemonstrierende auf den Plan, darunter auch Linksextremisten. Im Rahmen der Abwan derung griffen Versammlungsteilnehmende Polizeibeamte tätlich an. Eine Versammlung der Partei "Die Rechte" rief am 19.12.2020 in Braunschwieg Proteste von etwa 180 Teilnehmenden hervor. Als Gegendemonstrierende versuchten, an den Veranstaltungsort der Rechtsextremisten zu gelangen, kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, in dessen Folge ein Strafverfahren wegen Widerstan des gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet wurde. Am 05.02.2020 wählte der thüringische Landtag mit den Stimmen der AfD den FDPFraktionsvorsitzenden Thomas Kemmerich zum thüringi schen Ministerpräsidenten. Kemmerichs Wahl stieß auf breiten gesell schaftlichen Protest und wurde allgemein als Tabubruch im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien empfunden. In zahlreichen deut schen Großstädten fanden Demonstrationen statt, die erst nach Kem merichs angekündigtem Rücktritt am 06.02.2020 nachließen. Allein in Berlin protestierten mehr als 1.000 Menschen vor den Parteizentralen von FDP und CDU, in Hamburg waren es rund 1.500 Demonstrierende. Auch in Niedersachsen gab es an diesen Tagen Proteste, vor allem ge gen Einrichtungen von FDP und CDU, an denen sich auch Linksextre misten beteiligten. In Braunschweig nahmen 200, in Göttingen 800, in Hannover 400, in Hildesheim 50, in Leer 25, in Lüneburg 15 und in Osnabrück 150 Personen an entsprechenden Veranstaltungen teil. Es gab auch Fälle von Vandalismus. So wurden Plakate der FDP zerstört und am Abend des 05.02.2020 an die Fassade des Parteibüros der FDP in Göttingen der Begriff "Verräter" gesprüht. In Lüneburg zogen Linksextremisten vor die Kreisgeschäftsstelle der FDP mit einer Fackel und einem Plakat mit der Aufschrift "FDP, du mieses Stück Scheiße". 162 Linksextremismus Kampf gegen Repression Gewöhnlich wird der Begriff "Repression" dafür verwendet, Un terdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen und autoritären Systemen zu benennen. Linksextremisten übertra gen den Begriff auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Konkret verstehen sie hierunter die Unterdrückung der individu ellen, sozialen und politischen Entfaltung der oder des Einzelnen durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutiv organe. Vor allem der Staat und seine sicherheitspolitischen Ein richtungen wie die Polizei, die Nachrichtendienste und die Justiz, stehen dabei im Fokus der Kritik. Als staatliche bzw. vom Staat gelenkte "Repressionsorgane" bekämpfen sie nach Meinung von Linksextremisten die Bürger ihres Landes und kriminalisieren sie, während sie zugleich "Faschisten" also Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, schützen. Ziel der linksextremistischen "AntirepressionsArbeit" ist es, sich selbst als Opfer permanenter Überwachung, Verfolgung und Reglementie rung durch den Staat zu stilisieren, um auf diese Weise den demo kratischen Rechtsstaat zu delegitimieren. Im Aktionsfeld "Antirepression" standen in Niedersachsen im Jahr 2020 staatliche Einrichtungen, insbesondere die Polizei im Mittel punkt der linksextremistischen Szene: f Unbekannte Täter warfen in der Nacht vom 05. auf den 06.05.2020 in Seevetal (Landkreis Harburg) zwei Feldsteine ge gen die Fensterscheiben der dortigen Polizeistation. Dabei wurde eine Fensterscheibe zerstört, eine zweite wurde beschädigt. f In HannoverDavenstedt wurde am 27.07.2020 eine Polizeiwache angegriffen. Dabei zerstörten die Täter mit Steinen die Fenster scheiben der Dienststelle und bewarfen die Fassade mit mit Farbe gefüllten Glasbehältern. Darüber hinaus beschmierten sie das Schild mit der Aufschrift "Polizei" mit schwarzer Farbe. Die unbekannten Täter betonten in einem Selbstbezichtigungsschrei ben auf einem auch von Linksextremisten genutzten Internetpor 163 Linksextremismus f tal, sie hätten aus Hass und Verachtung gegenüber der Polizei die "Bullenwache" angegriffen. Zugleich begründeten sie ihre Tat mit vier angeblich rassistischen Morden durch die Polizei in Deutschland, rechten Netzwerken innerhalb der hessischen Poli zei und "Racial Profiling" seitens der Polizei. Zugleich hoben sie hervor, dass die Tat sich auch als eine Solidaritätsaktion für alle "politischen Gefangenen" verstehe. f Am 14.12.2020 bewarfen unbekannte Täter die Fassade einer un besetzten Polizeistation in Hannover mit farbgefüllten Flaschen und sprühten die Schriftzüge "ACAB" ("All Cops are Bastards") und die Zahl "1312" für "All Cops are Bastards" an die Wand. Am 30.07.2020 ist auf dem Baustellengelände für das neue Ama zonLogistikzentrum in Achim (Landkreis Verden) ein Brandanschlag auf einen Kran verübt worden, bei dem die Krankabine und der untere Bereich des Baufahrzeugs vollständig ausbrannten. Dabei entstand ein Sachschaden von mehreren hunderttausend Euro. Auf einigen nationalen wie internationalen von Linksextremisten ge nutzten Internetplattformen wurde wenige Wochen später ein in verschiedenen Sprachen verfasstes Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht, in dem die mutmaßlichen Täter ihre Tat u. a. mit ei ner Kritik am Kapitalismus und der Macht der Konzerne legitimier ten. Da Linksextremisten die kapitalistische Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik mit dem demokratischen Rechtsstaat gleichsetzen, verstehen sich diese Taten auch immer als antirepressive Aktionen gegen "Staat und Nation". Dreieinhalb Jahre nach den Ausschreitungen beim G20Gipfel in Hamburg fahndet die Hamburger Polizei noch immer nach Beschul digten. Zugleich stehen weiterhin Prozesse gegen Beteiligte an den gewaltsamen Ausschreitungen an. So wurden im Juli zwei von fünf Angeklagten im sogenannten Elbchausseeprozess, bei dem es um Ausschreitungen an der Elbchaussee am 07.07.2017 ging, wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zur Brandstiftung zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und fünf Monaten und drei Jahren verurteilt. Am 03.12.2020 begann vor dem Landgericht Hamburg der erste von mindestens acht Prozessen des sogenannten RondenbargKomplexes. Hintergrund sind die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwi 164 Linksextremismus schen 150 bis 200 zumeist schwarz gekleideten Demonstrierenden und der Polizei am frühen Morgen des 07.07.2017 im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg. Demonstrierende warfen Steine und Pyrotechnik auf die Polizei. Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeam ten stellten Brandbeschleuniger, Pyrotechnik, Hämmer, Skimasken, Stahlseile und Präzisionszwillen sicher. Aus Solidarität mit den Ange klagten rief die autonome Szene für den Samstag vor dem Prozess beginn den "Tag X" aus, um mit Demonstrationen und Aktionen u. a. in Berlin und Braunschweig den Prozessbeginn zu begleiten. Die "Rote Hilfe" Die bedeutendste Gruppierung, die sich in erster Linie der "Antire pressionsArbeit" widmet, ist der von Linksextremisten getragene Verein "Rote Hilfe e. V." (RH). Die RH wurde 1975 gegründet und ist in Göttingen ansässig. Über den Bundesverband hinaus existie ren etwa 50 Ortsgruppen bundesweit. In Niedersachsen gibt es mit Braunschweig, Göttingen, Hannover, Oldenburg und Osnabrück fünf selbstständige Ortsgruppen. Die RH versteht sich als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Bewusst verzichtet sie darauf, sich von extremistischen Zusammenschlüssen zu distanzieren. Ihre Hauptaufgabe sieht sie im Kampf gegen "staatliche Repression". Sie bietet Linksextre misten politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische und finanzielle Unterstützung, wenn sie straffällig werden. So gewährt sie Rechtshilfe, vermittelt Szeneangehörigen Anwälte und betreut sie sowohl in Strafverfahren als auch während ih rer Haftzeit. Außerdem stellt sie zu besonderen Veranstaltungen, beispielsweise bei Demonstrationen, sogenannte Ermittlungs ausschüsse bereit. Deren Aufgabe besteht darin, sich um Fest genommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. Die RH begleitet zudem strafprozessuale Maßnahmen u. a. mit Soli daritätsveranstaltungen und Kampagnen, um auf diese Weise die vermeintliche Repression staatlicher Behörden gegen politische Aktivisten zu "entlarven". So versucht sie, die Vernetzung und den Zusammenhalt der unterschiedlichen linksextremistischen Strömungen zu festigen und zu sichern. Logo der RH 165 Linksextremismus Im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der gewalttäti gen Ausschreitungen beim G20Gipfel initiierte die RH eine eigene Spendenkampagne zur Unterstützung der Tatverdächtigen. Unter dem Motto "United We Stand! - Unsere Solidarität gegen ihre Re pression!" sammelt die RH seit August 2017 Gelder für die anste henden Gerichtsprozesse, die nach Aussage der RH als "politische Machtdemonstration des Apparats" zu werten seien. Da das Akti onsfeld "Antirepression" weiterhin einen hohen Stellenwert inner halb des linksextremistischen Spektrums, insbesondere in der auto nomen Szene, einnimmt, kann die RH seit mehreren Jahren einen bundesweit kontinuierlichen Anstieg ihrer Mitgliederzahlen verbu chen. So sind gegenwärtig bundesweit mehr als 11.000 Personen (2019: 10.000) in der RH organisiert, etwa 900 (2019: 700) davon in Niedersachsen. Zur Struktur der RH gehört auch das am 18.02.2005 in Umsetzung eines Beschlusses der RHHauptversammlung in Göttingen gegrün dete und dort ansässige HansLittenArchiv, benannt nach einem Rechtsanwalt, der während der Weimarer Republik für die Rote Hilfe Deutschland 82 tätig war. Klimaschutz Der Klimaschutz ist ein Thema, das die Menschheit bewegt. Um der globalen Erderwärmung und ihren Folgen entgegenzuwirken, hat sich in den letzten Jahren eine weltweit agierende Klimaschutzbe wegung formiert. Ihr Ziel ist es, Druck auf die Regierungen auszu üben, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase drastisch zu verringern. Mit zahlreichen Demonstrationen und sonstigen Protest aktionen will vor allem die nichtextremistische Fridays for Future Bewegung (FFF) dazu beitragen, dass die im Pariser Klimaschutz abkommen vom 12.12.2015 getroffenen Vereinbarungen er reicht werden und die globale Erderwärmung auf deutlich un ter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt wird. 82 Die Rote Hilfe Deutschland existierte von 1924 bis zu ihrer Selbstauflösung 1936. 166 Linksextremismus Neben demokratischen Parteien und Gruppierungen hatten bereits 2019 auch linksextremistische Parteien wie die "Deutsche Kommu nistische Partei" (DKP) und Organisationen wie die IL zur Teilnahme an den Protesten aufgerufen. Deutlich geringer fielen die Teilneh merzahlen am diesjährigen Global Climate Strike for Future am 25.09.2020 aufgrund der andauernden CoronaPandemie aus. Die Proteste erfolgten bundesweit an 400 Orten und erreichten Teil nehmerzahlen vom mittleren zweistelligen Bereich bis etwa 8.000 Personen bei der zentralen Veranstaltung in Berlin. Auch in Nieder sachsen demonstrierten in 37 Städten knapp 14.000 Personen, da von etwa 3.000 allein in Hannover. Bei dezentralen Aktionstagen für den Klimaschutz anlässlich des 5. Jahrestages des Pariser Klimaschutzabkommens wurden am 11.12.2020 Mahnwachen und Fahrraddemonst rationen auch in niedersächsischen Städten abgehalten, so in Göttingen, Lüneburg und Oldenburg. In Hannover blockierten bei einer u. a. von der linksextremistisch beeinflussten Kampagne "Ende Gelände" or ganisierten Versammlung Klimaaktivisten den Straßenverkehr vor dem Niedersächsischen Umweltministerium. Dabei ketteten sich sechs Personen mit Bügelschlössern und Metallrohren am Straßen rand fest. Bei der Räumung der Straße nahm die Polizei neun Per sonen in Gewahrsam. Die globalen Klimastreiktage haben deutlich gemacht, dass Links extremisten auch in Niedersachsen den Klimaschutz für sich entdeckt haben und seitdem versuchen, die Klimaschutzbe wegung für ihre Interessen zu vereinnahmen. Dabei folgen sie ihrer Strategie, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, um mit diesen bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu werden. Vor allem postautonome Gruppierungen wie die IL versuchen, strategische Bündnisse mit dem demokratischen Spektrum zu schließen, um dieses für ihre Interessen zu instru mentalisieren und mittelfristig zu radikalisieren. Die IL ist bereits seit längerem ein steuernder Faktor in der linksextremistisch beeinflussten Kampagne "Ende Gelände", das sich vor allem gegen den Braunkohletagebau im nordrheinwest fälischen Garzweiler und in der sächsischen Lausitz ebenso engagier t 167 Linksextremismus wie gegen die Rodung des Hambacher Forsts. Auf ihrer Internetseite beansprucht die IL sogar die Gründungsinitiative von "Ende Gelände" für sich, wenn sie schreibt: "Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen." (Internetseite der IL, 25.02.2020) Vom 23. bis zum 28.09.2020 führte "Ende Gelände" eine "Massen aktion zivilen Ungehorsams" im rheinischen Braunkohlerevier mit Blockaden, Aktionen und Besetzungsversuchen durch. Dass für die IL der Klimaschutz nur Mittel zum Zweck ist, macht sie in einem ihrer Positionspapiere deutlich. Dort heißt es: "Die Macht des fossil-industriell-militärischen Komplex und die Binnen-'Logik' des Kapitals sind nicht voneinander zu trennen. Ziel massenhaften Ungehorsams ist nicht 'nur' Bebzw. Verhinderung konkreter Zerstörungen, sondern selbstverständlich auch Vertiefung und Intensivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die herrschenden Zustände insgesamt. Eine Klimabewegung wird bei aller Dringlichkeit ihres Anliegens nicht als Ein-Punkt-Bewegung erfolgreich sein können. Sie muss sich vielmehr in Beziehung setzen und verbinden mit weiteren Kämpfen u.a. für Solidarität mit Geflüchteten, Care-Revolution, Recht auf Stadt, gegen Austerität, das herrschende Arbeitsbzw. Prekaritätsregime, Militarismus sowie jegliche weiteren Herrschaftsformen." (Internetseite der IL, "Globale Solidarität statt systemischer Wahnsinn", 24.02.2020) Auch wenn FFF ohne linksextremistische Einflussnahme entstanden ist, gibt es Linksextremisten in ihren Reihen. So hat sich im März 2019 innerhalb von FFF eine "antikapitalistische Plattform" namens "Change for Future" (CFF) gegründet. Darin wirken u. a. die der MLPD nahestehende Jugendorganisation "Rebell" und die der trotzkistischen Gruppe "ArbeiterInnenmacht" (GAM) nahestehende gewaltorientierte Jugendorganisation "Revolution" (REVO) mit. Um "der Kapitalismuskritik mehr Gehör zu verschaffen" will CFF die "Antikapitalisten" innerhalb von FFF vernetzen und die "Arbeiter bewegung und FFF" zusammenbringen. 83 Ihre Mitglieder "eint die Einsicht, dass wir zum Lösen der Klimakrise den Kapitalismus über 83 Internetseite von Rebell: Change for Future - die antikapitalistische Plattform in FFF, Stand: 29. 7. 2020. 168 Linksextremismus winden müssen"84, weshalb sich CFF "klar gegen das momentane System" stellt. 85 Kampf gegen den Militarismus Antimilitaristen unterstellen der Bundesrepublik, von ihrer Staats ordnung, Gesellschaftsstruktur und Denkweise her militaristisch zu sein. Ihre Proteste richten sich deshalb vor allem gegen die Bundes wehr und gegen die mit ihr zusammenarbeitenden Unternehmen. Auch Linksextremisten sind in dem Themenfeld "Antimilitarismus" aktiv. Im Gegensatz zu den nicht extremistischen Antimilitaristen zielen sie mit ihren Protesten und Aktionen über den eigentlichen Anlass hinaus auf die Überwindung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Neben der im Wesentlichen von Angehörigen des nichtextremisti schen Spektrums getragenen sogenannten AntiKriegs bzw. Frie densbewegung reklamieren auch der parteipolitisch organisierte Linksextremismus und "Autonome" - unter ausdrücklicher Einbezie hung für sie typischer militanter Aktionen - das Thema "Antimilita rismus" für sich. Im Sinne der Militarismustheorie Karl Liebknechts, wonach das Militär im Kapitalismus dazu dient, "kapitalistische Ex pansionsbestrebungen" gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungs strukturen" zu stabilisieren, sehen Linksextremisten in der Bundes wehr und dem westlichen Verteidigungsbündnis NATO kriegfüh rende Organe zur nationalen und internationalen Durchsetzung "kapitalistischer" und "imperialistischer" Interessen. Aus diesem Grund ist die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Ziele für die autonome Szene weiterhin von zentraler Bedeutung. Von April bis September 2020 sollte die länderübergreifende Mi 84 Marxisten bei Fridays for Future: "Wir wollen den Planeten retten und nicht die Profite der Konzerne", Interview mit RobertoAntonio Sanchino Martinez, in: www.stern.de, Stand: 29.07.2020. 85 Pressemitteilung von CFF, Internetseite der "Ökologischen Plattform bei DER LINKEN". 169 Linksextremismus litärübung "DEFENDER Europe 2020" in Mitteleuropa und somit auch in der Bundesrepublik stattfinden. Daran waren insgesamt 18 Staaten, darunter die USA und Deutschland, mit bis zu 37.000 Soldaten beteiligt. Im Rahmen dieser Übung planten die USA die Ver legung eines Kampfverbandes nach Europa bzw. innerhalb Europas. In Deutschland, Georgien, Polen und den baltischen Staaten sollten in dieser Zeit umfangreiche Manöver stattfinden, darunter ein Groß manöver auf den niedersächsischen Truppenübungsplätzen in Bergen (Landkreis Celle) und Munster (Landkreis Heidekreis). Ab Ende Januar wurde mit der dafür erforderlichen Truppenverlegung nach Europa begonnen. Vor allem gegen das Großmanöver in Bergen und Muns ter richteten sich Proteste von Antimilitaristen, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Aufgrund der CoronaPandemie wurde das Manöver Mitte März gestoppt und die beteiligten Soldaten in ihre Heimatländer zurückgeführt. Eine größere Protestwelle gegen "DE FENDER Europe 2020" fiel dadurch aus. Aufgrund der andauernden Beschränkungen durch die CoronaPandemie fanden 2020 keine nen nenswerten Aktionen im Themenfeld "Antimilitarismus" statt. Kampf gegen Rassismus Linksextremisten überspitzen ihre Kritik an bestehenden Asyl und Flüchtlingsgesetzen und am Handeln von Ausländerbehörden, Polizei und Gerichten zum Vorwurf eines "systemimmanenten" Rassismus. Staatliche Repräsentanten und Akteure werden damit auf eine Stufe mit Rechtsextremisten gestellt und somit Forderun gen nach der Abschaffung des politischen Systems legitimiert. Vor diesem Hintergrund wenden sich Teile des niedersächsischen links extremistischen Spektrums gegen die bundesrepublikanische Asyl und Abschiebepraxis und solidarisieren sich mit von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen. Das Aktionsfeld "Antirassismus" hatte im Zuge des Flüchtlingszu zugs in den zurückliegenden Jahren auch innerhalb der autono men Szene an Bedeutung gewonnen. Waren die Flüchtlingszahlen nach ihrem starken Anstieg 2015 in den Jahren 2016 und 2017 zu nächst wieder rückläufig, so stiegen sie im Jahr 2020 erneut an. Entsprechenden Wellenbewegungen ist das Thema "Antirassismus" innerhalb der autonomen Szene unterworfen. Trotz der coronabe dingten Einschränkungen von Protestaktionen fand am 21.03.2020 170 Linksextremismus in Lüchow eine zuvor von der Versammlungsbehörde untersagte Kundgebung mit etwa 30 Teilnehmenden zum "Internationalen Tag gegen Rassismus" statt. Die aktuelle Versammlungseinschränkung sollte dadurch unterlaufen werden, dass u. a. vor systemrelevanten Geschäften in Lüchow eine bis maximal drei Personen mit Transpa renten stehen sollten. Die Staatsanwaltschaft prüfte die Einleitung eines Verfahrens wegen Verstoßes nach SS 75 Infektionsschutzge setz gegen mindestens eine Person, die maßgeblich für den Aktions aufruf und die Organisation verantwortlich gewesen sein soll. In der Nacht des 27.09.2020 wurde in Hannover die Fassade des Ge bäudes der CDU Region Hannover mit Farbe beworfen und bei der Ausländerbehörde die Scheiben im Bereich des Eingangs zerschla gen. Zu den Anschlägen bekannten sich unbekannte Täter in einem Selbstbezichtigungsschreiben vom 01.10.2020 auf einem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal. Unter der Überschrift "Solidaritaet mit Moria: Angriff auf Auslaenderbehoerde und CDU in Hannover" stellten sie ihre Tat als Reaktion auf die Flüchtlingssi tuation im mittlerweile abgebrannten griechischen Flüchtlingslager Moria dar, wofür ihrer Meinung nach die "menschenverachtende Fluechtlingspolitik in Europa und hier in Deutschland" verantwort lich sei. Warum gerade diese Ziele ausgewählt wurden, begründeten sie wie folgt: "Unsere pure Feindschaft gegen die CDU und die Maschinerie des Asylsystems kommt daher, dass wir sie im Kampf um die Befreiung nur als Gegenposition und Angriffsziel sehen koennen. ... Aus diesen Gruenden haben wir das CDU Buero und die Auslaenderbehoerde stellvertretend für die europäische und deutsche Politik und deren rassistische Maschinerie angegriffen." Das Schreiben endet mit der Parole "Wir wollen kein besseres Deutschland, wir wollen gar kein Deutschland.", was möglicherweise auf einen antideutschen Hintergrund der Täter schließen lässt. Antigentrifizierung Wohnraummangel, hohe Mieten, städtebauliche Umstrukturierun gen, die Veränderungen von sozial und wohnräumlich gewachse nen Strukturen und damit einhergehende gesellschaftspolitische 171 Linksextremismus Spannungen sind Themen, die bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Menschen bewegen. Die von jugendlichem Rebellentum, al ternativem Erscheinungsbild und wirtschaftlichen Nöten geprägten Bewohner von Wohnprojekten, die sich gegen eine Verdrängung aus ihren Wohngebieten wehren, fallen grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes. Eine andere Situation entsteht, wenn Linksextremisten diese Pro blematik aufgreifen und versuchen, durch ihren Kampf für die Schaf fung und den Erhalt von sogenannten Freiräumen Einfluss auf diese gesellschaftliche Auseinandersetzung zu nehmen. Als "Freiräume" verstehen Linksextremisten vor allem besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte und selbstverwaltete sogenannte Jugend und Kul turzentren, die u. a. durch Hausbesetzungen und den Widerstand gegen "Zwangsräumungen" erkämpft werden sollen. "Freiräume" sind sozusagen Rückzugsräume für Linksextremisten zur Planung politischer Agitation und (militanter) Aktionen. Als Teil der Auseinandersetzung um diese sogenannten Freiräume gewinnen in den autonomen Spektren der großen Ballungsräume, wie z. B. in Berlin und Hamburg oder in Leipzig und Bremen die "Kämpfe gegen Gentrifizierung" zunehmend an Bedeutung. Es werden immer wieder teils schwerwiegende Sachbeschädigungen und Brandanschläge, vorwiegend gegen Immobilienfirmen und In frastruktureinrichtungen, verübt. Vor allem Wohnungsunternehmen wie Vonovia rücken in diesem Zusammenhang in den Blickpunkt der autonomen Szene. Ihnen wird vorgeworfen, Mieter aus ihren Woh nungen zu verdrängen, um diese dann aufwändig zu sanieren und teuer neu zu vermieten. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der sich gegen die Umgestaltung von Stadtteilen aus Sorge vor da mit einhergehenden Mietpreiserhöhungen, zunehmendem Mangel an bezahlbarem Wohnraum und dem drohenden Verlust des ori ginären Stadtteilcharakters richtet, dient diese Auseinandersetzung Linksextremisten als Plattform für ihren Kampf gegen den demokra tischen Rechtsstaat. Sie nutzen diese Gentrifizierungsdebatte, um Militanz in die Proteste gegen diese Entwicklung hineinzutragen. Auch die niedersächsische linksextremistische Szene greift dieses Thema auf. So wurde in der Nacht vom 26. auf den 27.03.2020 die Glasfassade der Hausverwaltungsfirma Delta Fond in Hannover 172 Linksextremismus eingeschlagen. Auf einer auch von Linksextremisten genutzten In ternetplattform wurde noch am selben Tag ein Selbstbezichtigungs schreiben veröffentlicht, in dem als Grund für diese Tat angeführt wird, dass das Unternehmen "seit Jahren für Verdrängungs und Entmietungsprozesse verantwortlich ist". Verstärkt ist mittlerweile auch in Niedersachsen die Wohnungsbaugesellschaft Vonovia in den Fokus von Linksextremisten gerückt. In Lüneburg besprühten unbekannte Täter am 30.04.2020 die Fenster und die Hauswände des Verwaltungsbüros der Vonovia mit Anarchiezeichen und der Pa role "Vonovia enteignen". Unbekannte Täter zerstörten zudem am 15.06.2020 in Hannover die Scheiben eines VonoviaFahrzeuges. In einem Selbstbezichtigungsschreiben vom 15.06.2020 auf einem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal bekannten sie sich zu der Tat und betonten: "Das freut uns und hoffentlich andere, die mit den beschissenen Vermietungspolitiken von Vonovia struggeln müssen. ... Vandalismus in den Straßen! Für eine widerständige Praxis, die sich auch immer wieder in kleinen und großen Sachschäden im Alltag zeigt." Am 09.10.2020 räumte die Polizei, begleitet von lautstarken Protes ten, das sich als "anarchaqueerfeministisches Hausprojekt" verste hende und von 57 Personen besetzte Haus in der Liebigstraße 34 im Berliner Stadtteil Friedrichshain. "Liebig 34" war eines der letzten Symbolprojekte der autonomen Szene in der Hauptstadt. Die Ein satzkräfte mussten sich zu dem verbarrikadierten Gebäude Zutritt verschaffen, um rund 20 Personen aus dem Haus zu führen. Es pro testierten etwa 1.000 Menschen gegen die Räumung. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Einsatzkräften und schwarz vermummten Demonstrierenden; vereinzelt wurden Flaschen ge worfen. Bei der Räumung wurden elf Polizistinnen und Polizisten verletzt, eine 28jährige Person ist in Untersuchungshaft genommen worden, weil sie Flaschen auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte geworfen hatte. Bundesweit wurde Solidarität für die geräumte Liebigstraße 34 be kundet. Rund 1.700 Demonstrierende zogen durch Berlin und warfen Feuerwerkskörper, Flaschen und Steine gezielt auf Einsatzkräfte. Bis zum frühen Samstagmorgen gingen in der Umgebung des Aufzugs 173 Linksextremismus zwölf Fahrzeuge in Flammen auf. Eine Vielzahl von Fahrzeugen und Schaufensterscheiben anliegender Geschäfte wurden beschädigt. Im Bremer Stadtteil Neustadt besetzte die queerfeministische Grup pe "Rosarote Zora" ein leerstehendes Gebäude. Eine Gruppe von 15 Personen blockierte in Bochum die Türen einer SBahn, um meh rere Graffiti mit Bezug zu den Räumungsmaßnahmen "Liebig34" in Berlin anzubringen. In Leipzig gab es eine Solidaritätskundgebung. In Niedersachsen erklärte der "Offene antifaschistische Treff Olden burg" bereits im Vorfeld der Räumung: "Ein Angriff auf die Liebig34 ist ein Angriff auf feministische Freiräume" (Internetseite des "Offenen antifaschistischen Treff Oldenburg" vom 09.10.2020) Am Abend nach der Räumung zogen etwa 70 bis 80 überwiegend schwarz gekleidete und vermummte "Autonome" durch Hannover. Auf einem mitgeführten Plakat war "Rache für Liebig 34" zu lesen. Im Verlauf des Aufzuges zündeten sie eine Mülltonne an, besprüh ten eine Bushaltestelle mit dem Schriftzug "L34", zündeten Feuer werkskörper und brannten sogenannte Bengalos ab. Eintreffende Funkstreifenwagen bewarfen die Demonstrierenden mit Farbbeu teln. Gegen fünf Personen wurde wegen Landfriedensbruchs, Sach beschädigung und tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte ermittelt. Be reits am Vormittag waren in Hannover offenbar in Zusammenhang mit der Räumung in Berlin drei Mülltonnen im Kreuzungsbereich Lie bigstraße/Hammerstraße auf die Fahrbahn verbracht und in Brand gesetzt worden. In Lüneburg versammelten sich in der Nacht auf 174 Linksextremismus den 10.10.2020 etwa 50 vermummte Personen zu einer Spontan demonstration für die Liebigstraße 34. Fünf vermummte Personen zeigten sich ferner in den frühen Morgenstunden des 10.10.2020 unter Abbrennen von sogenannten Bengalos auf einer Straßenüber führung in Lüneburg mit einem Transparent "Defend Liebig34!". Hausbesetzungen gab es Ende 2020 auch in Niedersachsen. Im Anschluss an eine Demonstration am 05.12.2020 in Hannover ge gen Wohnraumumgestaltung und für Wohnraum für alle mit etwa 500 Teilnehmenden, darunter auch Linksextremisten, besetzten elf Personen ein leerstehendes Gebäude in HannoverHainholz. Bereits Anfang November hatten sie angedroht, ein Haus zu be setzen, wenn die Stadt Hannover den Obdachlosen nicht bessere Lebensbedingungen böte. Nachdem sich unter den Demonstrieren den die Hausbesetzung herumgesprochen hatte, löste sich die Ver anstaltung auf. Eine Spontandemonstration mit etwa 30 Personen setzte sich allerdings in Richtung des besetzten Hauses in der Schu lenburger Landstraße in Bewegung. Dort angekommen, schlossen sich die Teilnehmenden einer Sitzblockade auf der Straße vor dem besetzten Haus an, die in der Spitze bis zu 250 Personen umfasste. Es gab tätliche Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizeibeamten, bei der zwei Per sonen, eine davon minderjährig, vor läufig festgenommen wurden. Noch am Abend räumte die Polizei das von elf Personen besetzte Haus. Während acht Personen das Haus freiwillig ver ließen, setzte die Polizei an mehreren Türen schwere Rammen ein, um die drei verbliebenen Besetzer herauszu führen. Am 28.12.2020 besetzten unbekannte Täter kurzzeitig ein leerste hendes Wohn und Geschäftshaus in der Göttinger Innenstadt. Sie brachten an der Außenfassade ein Banner an mit der Aufschrift "Gegen die Pandemie der Immobilienhaie, besetzen und aneignen, bezahlbarer Wohnraum für alle, jahrzehntelanger Leerstand, schämt euch". Außerdem warfen sie Flugblätter auf die Straße, in denen sie 175 Linksextremismus sich gegen die Gentrifizierung positionierten. Als die Polizei eintraf, war das Gebäude bereits wieder verlassen und verschlossen. Auf einer auch von Linksextremisten genutzten Internetseite riefen die Besetzer dazu auf, "Häuser zu besetzen, Wohnraum anzueignen und dem Spekulationsmarkt zu entziehen. Es liegt an uns, den Druck weiter zu erhöhen." Bewertung, Tendenzen, Ausblick Vor dem Hintergrund des immer offensiveren Auftretens rechts populistischer Parteien und rechtsextremistischer Gruppierungen wird der "Antifaschismus" weiterhin im Mittelpunkt der Aktivitä ten der autonomen Szene in Niedersachsen stehen. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt, vor allem die steigenden Mieten und die Stadtteilumgestaltungen, lassen den Schluss zu, dass das Thema "Antigentrifizierung" auch künftig einen verstärkten Anklang in der autonomen Szene finden wird und somit auch in Niedersachsen mit weiteren Aktionen zu rechnen ist. Aufgrund der andauernden Popularität der Klimaschutzbewegung, wird der Klimaschutz auch weiterhin von großer Bedeutung vor allem für die postautonome Szene sein. Die Lage der Flüchtlinge in Deutschland und Europa, insbesondere ihre teilweise menschenunwürdige Unterbringung in Flüchtlingslagern wie im griechischen Moria, könnte dazu führen, dass das Themenfeld "Antirassismus" einen hohen Stellenwert in der autonomen Szene behält. Auch mit der Teilnahme von Links extremisten an den Protesten gegen Waffenlieferungen an die Tür kei und daran beteiligte Rüstungskonzerne ist, abhängig u. a. von der Entwicklung der Situation der Kurden in Nordsyrien, zu rechnen. Im Fokus des linksextremistischen Agierens werden weiterhin ins besondere die AfD und ihre Aktivitäten in Niedersachsen stehen. Die Wahlerfolge der AfD dürften die Autonomen darin bestärken, langfristig entschlossen gegen den aus ihrer Perspektive faschistoi den demokratischen Rechtsstaat vorzugehen. Generell muss über das gesamte Jahr 2021 mit Übergriffen auf Informationsstände der AfD ebenso gerechnet werden, wie mit Versuchen, Veranstaltungen dieser Partei zu stören bzw. zu verhindern. Körperliche Übergriffe auf einzelne AfDFunktionsträger sind dabei ebenso wahrscheinlich 176 Linksextremismus wie gezielte Anschläge auf deren Hab und Gut. Vor allem die am 26.09.2021 stattfindenden 20. Wahlen zum Deutschen Bundestag und die für den 12.09.2021 angesetzten Kommunalwahlen in Nie dersachsen könnten vor diesem Hintergrund in den Blickpunkt von Linksextremisten geraten und zu einer verstärkten Auseinanderset zung zwischen Linksextremisten und der AfD führen. Die linksextremistische Szene verübt auch in Niedersachsen kontinu ierlich Gewalttaten. Deren Radikalisierung bewegt sich auf einem ho hen Niveau, ohne dass dieses gegenwärtig erkennbar weiter ansteigt. 3.5 Anarchisten Sitz/Verbreitung Mit Ausnahme der Freien Arbeiterinnen und ArbeiterUnion (FAU) existieren in Niedersachsen keine gefestigten anarchisti schen Strukturen. Die FAU unterhält in Göttingen und Hannover einzelne Ortsgrup pen, zudem existiert eine Jugendgruppe in Göttingen. Mitglieder/Anhänger/ Bund: Niedersachsen: 30 Sympathisanten Publikationen "Gai Dao" (Publikation der Föderation deutschsprachiger Anarchisten; monatlich) "Direkte Aktion" (Onlinepublikation der FAU; unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, bei der FAU auch Mitgliedsbeiträge Kurzportrait/Ziele Neben dem Kommunismus ist der Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Strömungen setzen sich dafür ein, die bestehende Ordnung zu überwinden. "Anarchisten" streben die unmittelbare Errich tung einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung an, in der der Mensch von allen politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen befreit leben kann. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund negieren "Anarchisten" sämtliche Hierarchie und Herrschaftsformen. Zudem sprechen 177 Linksextremismus sie nicht nur dem Staat und seinen Institutionen, sondern ebenso der (sozialen) Marktwirtschaft jegliche Existenzberechtigung ab. Als kleinste Einheit des anarchistischen Zusammenlebens gilt die sogenannte Kommune, im ökonomischen Bereich wird die Gründung föderal strukturierter Genossenschaften und Syndikate angestrebt. Der Anarchismus ist aber keineswegs als geschlos sener Theorieblock zu verstehen. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Strömungen mit z. T. sehr unterschied lichen Konzepten. Unter den niedersächsischen "Anarchisten" ist der eher praxisorientierte Anarchosyndikalismus am stärksten vertreten. 86 Er entstand im 19. Jahrhundert und fußt auf der Idee revolutionärer Basisgewerkschaften. So orientiert sich z. B. die FAU an anarchosyndikalistischen Konzepten. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller anarchistischen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen abzuschaffen und durch eine "herr schaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Ereignisse und Entwicklungen Zu einer der größten anarchosyndikalistischen Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete "Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion" (FAU). Sie ist eine bundesweite Föderation aus unabhängigen lokalen Einzel und Branchengewerkschaften, soge nannten Syndikaten, und versteht sich als eine nach basisdemokrati schen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft. Das "Allgemeine Syndi kat der FAU Hannover" (AS) ist die einzige gefestigte anarchistische Struktur in Niedersachsen. Sie ist Teil der Lokalföderation FAU Han nover, die wiederum Teil der bundesweiten FAU ist. 86 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Der Anarchosyndikalismus knüpft an die kollektiven, kommunistischen und solidarischen Varianten des Anarchismus an und überträgt diese auf die gewerkschaftliche Arbeit. Er will die Lohnabhängigen nach den Prinzipien von Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Solidarität organisieren. 178 Linksextremismus In den Grundsätzen des AS der FAU Hannover heißt es unter der Überschrift "Die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufbauen": "Eine Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft muss an deren Basis ansetzen und setzt Alternativen zu zentralistischen Staatsstrukturen voraus." (Internetseite der FAU, 08.10.2020) Was das AS damit meint, verdeutlicht die FAU in ihrem Selbstver ständnis: "In diesem Sinne verfolgt das Allgemeine Syndikat der FAU Hannover eine sozialrevolutionäre Strategie. Wir zielen also auf eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse 'von unten' ab." (Internetseite der FAU, 08.10.2020) Die "Grundprinzipien des Syndikalismus" konkretisiert die FAU u. a. in einem Grundlagentext, der ebenfalls auf der Internetseite der Organisation aufrufbar ist. In den beiden Kapiteln "Grundsätze und Ziele" sowie "Kritik der bestehenden Verhältnisse" hält die FAU für ihre Arbeit fest: "Wir streben die Überwindung des Kapitalismus an. ... Wir beziehen uns [dabei] auf die Ideen des Anarchosyndikalismus. ... Kapitalismus ist kein Naturgesetz, sondern lediglich ein von Menschen geschaffenes Verhältnis, das durch kollektives Handeln der Arbeitenden aufgehoben werden kann." (Internetseite der FAU, 14.10.2020) Ihr erklärtes Ziel ist es, "eine Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die auf kollektiver Selbstverwaltung basiert" (Internetseite der FAU, 08.10.2020) zu errichten, In der Praxis bedeutet dieses, dass die FAU "eine libertäre, klassen lose Gesellschaft" anstrebt, wie sie ebenfalls auf ihrer Internetseite ausführt. 179 Linksextremismus Der von der FAU angestrebte Systemwechsel soll dabei von basis demokratisch strukturierten Lokal und Betriebsgruppen organisiert werden, die unter Rückgriff auf direkte und z. T. auch militante Ak tionsformen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageak tionen, vor Ort agieren sollen. Im Rahmen ihrer Gewerkschaftsarbeit setzt sich die FAU für bes sere Arbeitsbedingungen ein. Sie unterstützt Arbeiter in prekären Situationen und stellt juristische Hilfe bereit. Mit ihrem Engage ment für Gewerkschaftsbelange und ihren Solidarisierungsbekun dungen mit streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern versucht die FAU anschlussfähig an demokratische Organisationen zu werden. Zugleich möchte sie auf diesem Wege neue Mitglieder für ihre über diese Themen hinausgehenden systemablehnenden Ziele gewinnen. Neben einer Ortsgruppe in Hannover gibt es seit September 2017 auch eine FAUOrtsgruppe und eine FAUJugendgruppe in Göttin gen. Zudem ist die FAU seit 2017 international wieder stärker ver netzt. Nachdem sie nach langjähriger Mitgliedschaft im Dezember 2016 aus der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation (IAA) aus geschlossen wurde, beteiligte sich die Gewerkschaft an mehreren Konferenzen zur Gründung eines neuen internationalen Zusammen schlusses anarchosyndikalistischer Organisationen. Weiterhin besteht in Göttingen seit Anfang 2010 die der FAU nahe stehende "Anarchosyndikalistische Jugendorganisation" (ASJ). Sie ist Mitglied in der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen, einem "Zusammenschluss anarchistischer Gruppen, Föderationen, Projekten und Einzelpersonen aus dem deutschsprachigen Raum." Auf ihrer Internetseite beschreibt sie sich wie folgt: 180 Linksextremismus "Anarchistischen und syndikalistischen Ideen verbunden, streben wir eine herrschaftsfreie und selbstverwaltete Gesellschaft an." (Internetseite der ASJ Göttingen, 14.10.2020) Die ASJ organisiert in Göttingen regelmäßig öffentliche Abende und beteiligt sich an von Linksextremisten (mit) initiierten Demonstra tionen und Kundgebungen, so auch im Jahr 2020. Neben der ASJ Göttingen agieren im Bundesgebiet noch mindestens drei weitere Jugendorganisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Vergleich zu den autonomen bzw. postautonomen Gruppierun gen sind anarchistische Organisationen generell von nachrangiger Bedeutung. Allein aufgrund ihrer theoretischen Zersplitterung dürf te sich daran auch künftig kaum etwas ändern. Der Anarchosyndika lismus wird auch im Jahr 2021 der am stärksten wahrnehmbare Teil des anarchistischen Spektrums in Deutschland und Niedersachsen bleiben. 181 04 Islamismus Islamismus 4.1 MitgliederPotenzial IslamismusPotenzial Bundesrepublik Deutschland 2019 2020 Salafistische Bestrebungen 12.150 Muslimbruderschaft (MB) 87 1.730 Tablighi Jama'at (TJ) 650 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 700 Hizb Allah 1.050 Milli GörüsBewegung 10.000 Sonstige islamistischextremistische Gruppen 1.740 Summe 28.020 IslamismusPotenzial Niedersachsen 2019 2020 Salafistische Bestrebungen 900 900 Muslimbruderschaft (MB) 88 190 170 Tablighi Jama'at (TJ) 75 50 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 100 100 Hizb Allah 160 180 Sonstige islamistischextremistische Gruppen 175 150 Summe 1.600 1.550 87 Das Mitgliederpotenzial der Muslimbruderschaft umfasst auch deren regionale Ableger HAMAS und EnNahda. 88 Siehe Fußnote 87. 184 Islamismus 4.2 Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeu ten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, ist diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundge setz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen in der Religion des Islams nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbe reiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Hand lungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Entstehung des Islamismus Mit der europäischen Kolonialisierung ab dem 19. Jahrhundert kam zunehmend eine innerislamische Debatte auf, die sich mit den Ur sachen der Abhängigkeit vom Westen und der damit verbundenen empfundenen Schwäche der Muslime beschäftigte. Zahlreiche isla mische Gelehrte sahen den Grund darin, dass sich die Muslime vom wahren Islam abgekehrt hätten. Während einige islamische Refor mer eine Modernisierung muslimischer Gesellschaften nach dem Vorbild westlicher Staaten forderten, nahm die islamistische Gegen bewegung eine antikoloniale und antiwestliche Haltung ein. Sie war davon überzeugt, dass nur eine Rückbesinnung auf den "reinen ursprünglichen Islam" die Muslime zur Unabhängigkeit und zu alter Macht führen könne. Der Islamismus entstand zwar als Reaktion auf die Konfrontation mit dem Westen und der Moderne, entwickelte sich jedoch insbesonde re ab Mitte des 20. Jahrhunderts als Protestbewegung gegen die ei genen als tyrannisch wahrgenommenen Regierungen, die nach dem Ende der Kolonialzeit von den säkularen Eliten gestellt wurden. Sie wurden für die kulturelle Entfremdung, sozioökonomischen Probleme und die politische Ohnmacht der islamischen Welt verantwortlich gemacht. Es entstanden unterschiedliche islamistische Organisati onen und Bewegungen, die allesamt Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung der Scharia organisiert sind. 185 Islamismus Der Interpretationsspielraum dafür, was die Scharia genau beinhal tet, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia nicht allein als eine Rechts und Werteordnung, sondern als ein von Gott verordnetes Ordnungsprinzip, das alle Bereiche des staatlichen und gesellschaft lichen Handelns reglementiert. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oftmals, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads 89, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind, und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheb lichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze verletzt. So lehnen Islamisten die Trennung von Staat und Religion und die Volkssouveränität als unis lamisch ab. Ihrer Ansicht nach müsse alle Macht entsprechend der Scharia von Gott allein ausgehen. Dies versuchen sie mit der frühisla mischen Herrschaftsform zu begründen, deren weltliches und religiö ses Oberhaupt der Kalif darstellte, der auf Basis der Scharia herrschte. Darüber hinaus verletzt die islamistische Ideologie die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, die religiöse und sexuelle Selbst bestimmung sowie die Gleichstellung der Geschlechter. So werden z. B. Frauen von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf das Erb und Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Zeugen aussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die Aussagen von zwei Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der sogenannten HaddStrafen, die für Vergehen wie Diebstahl oder "Unzucht" Körperstrafen vorse hen, die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todes strafe reichen. 89 Die wörtliche Übersetzung des arabischen Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Be mühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: Die geistigspirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") sowie den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 186 Islamismus Islamistische Ideologien, die den Islam nicht allein als Religion, son dern als eine Herrschaftsideologie betrachten, verletzen wesentliche Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und sind somit mit der Demokratie unvereinbar. Islamistische Strömungen Obwohl alle islamistischen Organisationen die oben genannte Ideo logie vertreten, unterscheiden sie sich wesentlich in den Mitteln, die sie anwenden, um ihre islamistischen Ziele zu erreichen. Demnach können sie entsprechend ihrer Gewaltbereitschaft in drei Strömun gen unterteilt werden, wobei ihre Übergänge fließend sind: f Jihadistische Islamisten: Sogenannte Jihadisten sind der Überzeugung, dass sich ihre Ziele nur mit Gewalt erreichen lassen. Sie erachten den sogenannten Jihad als individuelle Pflicht eines jeden Muslims und fordern von allen "wahren Gläubigen" den Kampf gegen die vermeintlichen Feinde des Islams. Selbstmordattentäter oder im Kampf getötete Jihadisten werden als Märtyrer glorifiziert und als Helden be trachtet, denen das Paradies versprochen ist. Als Beispiele solcher terroristischer Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen, sind "alQaida" oder der sogenannte Islamische Staat (IS) zu nennen.90 f Gewaltorientierte Islamisten: Gewaltorientierte Islamisten weisen einen starken Bezug zu ihren Herkunftsländern auf und agieren in der Regel gegen dorti ge Regierungen und politische Systeme. Zur Umsetzung ihrer politischen Ziele betrachten sie Gewalt als ein legitimes Mittel unter vielen, die sie jedoch nur begrenzt in akuten Konflikten einsetzen. Oftmals agieren gewaltorientierte islamistische Orga nisationen in den Herkunftsländern auch als Parteien und sind entsprechend stark in die Politik eingebunden. Darüber hinaus genießen sie aufgrund ihrer karitativen Projekte großen Zuspruch in der Gesellschaft. Die "HAMAS"91 und die "Hizb Allah"92 sind Beispiele dafür. 90 Siehe Kapitel 4.5. 91 Siehe Kapitel 4.7. 92 Siehe Kapitel 4.9. 187 Islamismus f Legalistische Islamisten: Sogenannte Legalisten lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer po litischen Ziele ab. Entsprechend ihres ideologischen Auftrags ver suchen sie vielmehr die Gesellschaft durch Einflussnahme mithilfe legaler Methoden umzugestalten und letztlich einen Umsturz der herrschenden Staatsform herbeizuführen. Legalisten kapseln sich nicht von der Mehrheitsgesellschaft ab, sondern versuchen eben aus ihr heraus in sie hineinzuwirken. Es wird versucht, zunächst Freiräume für die Verbreitung der eigenen Ideologie zu schaffen. Dabei greifen sie Themen auf, die insbesondere für hier lebende Muslime relevant sind und oftmals eine vermeintliche Islamfeind lichkeit aufzeigen, wonach Muslime Opfer von Diskriminierung sind. Vor diesem Hintergrund stilisieren sich legalistische Islamis ten als Retter der Muslime und erreichen durch diese Strategie auch Muslime jenseits des extremistischen Spektrums. Gruppierungen aus dem Bereich des legalistischen Islamismus kön nen in ihrer ideologischen Ausrichtung, ihrem kulturellen Hinter grund und ihren Aktivitäten sehr unterschiedlich sein. Sie reichen von der Muslimbruderschaft 93 bis hin zu Akteuren aus dem Bereich des politischen Salafismus. Die Grenzen zwischen den unterschied lichen Gruppierungen und Strömungen verschwimmen teilweise zunehmend. Dies ist insbesondere unter Salafisten zu beobachten, die Bereiche besetzen, die vermeintlich keinen Bezug zum Salafis mus haben. Beispiele dafür sind Hilfsorganisationen, Reisebüros, OnlineIslamkurse oder die Gründung eigener Unternehmen, wie im Bereich der halal94 konformen Produkte. Gerade im Internet er reichen Salafisten eine enorme Reichweite, indem sie öffentliche Debatten wie Diskussionen über das Kopftuch oder die Diskrimi nierung von Muslimen aufgreifen und für sich zu nutzen versuchen. Aber auch andere Islamisten sind vor allem in den Sozialen Medien sehr gut aufgestellt und verfügen über eine hohe Zahl an Followern. Als Beispiele sind die islamistischen Kanäle "Generation Islam" oder "Realität Islam" zu nennen, die jeweils mehrere zehntausend Abonnenten auf Facebook oder YouTube zählen und bereits großen 93 Siehe Kapitel 4.7. 94 Der arabische Begriff "halal" bedeutet übersetzt "nach islamischem Glauben erlaubt". 188 Islamismus Einfluss auf gesellschaftliche Themen, die den Islam und Muslime betreffen, ausüben. Diese Entwicklung kann zu weiteren Verschachtelungen und Vernet zungen zwischen unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen führen, die allesamt das einigende Ziel einer islamistischen Durch dringung der Gesellschaft anvisieren. Entsprechend der drei Ausformungen des Islamismus stellt sich auch die Strömung des Salafismus dar. Die meisten Anhängerinnen und Anhänger dieser islamistischen Bestrebung, sogenannte politische Salafisten, lehnen zumindest verbal Gewalt ab. Die sogenannten jihadistischen Salafisten hingegen, im Vergleich zu den politischen Salafisten der kleinere Teil, propagieren als primäres Mittel Gewalt, um ihre politischen Ziele zu erreichen.95 Antisemitismus im Islamismus Antisemitismus ist ein wahrnehmbarer Bestandteil der islamistischen Ideologie und somit aller islamistischer Gruppierungen. Islamisten greifen dabei in ihrer Argumentation auf unterschiedliche Quellen zurück und vermischen diese oftmals. Antisemitische Narrative knüp fen zum einen an klassische Quellen des Islams (Koran, Hadithe 96) an und interpretieren sie dahingehend, dass sich Gott von den Juden abgewandt habe, da sie z. B. "Mörder von Propheten" seien und deren Bekämpfung somit einen Befehl Gottes darstelle. Anderer seits gibt es aber auch Elemente des westlichen Antisemitismus, wie sogenannte Ritualmordlegenden97, die "Protokolle der Weisen von Zion"98 oder die Leugnung des Holocausts, die in die Agitationen im islamistischen Kontext übernommen wurden. Dazu kommen häufig antizionistische Aspekte, die häufig unreflektiert aus dem Diskurs innerhalb der arabischen Welt übernommen werden. Dabei werden 95 Siehe Kapitel 4.3. 96 Der arabische Begriff "Hadithe" bedeutet übersetzt "Überlieferungen des Propheten Muhammad". 97 Ritualmordlegenden stammen aus dem christlichen Kontext des Mittelalters. Dabei wurde den Juden vorgeworfen, dass sie christliche Kinder töten würden, um mit deren Blut ihre religiösen Kulte zu feiern. 98 Bei den "Protokollen der Weisen von Zion" handelt es sich um eine der weitverbreitetsten antisemitischen Schriften. Das Werk gibt vor, den Plan einer jüdischen Weltverschwörung zu enthüllen und dient damit Antisemiten und Verschwörungstheoretikern aus allen Rich tungen als wichtige ideologische Grundlage. 189 Islamismus über eine vorrangig kritische Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern antijüdische Stereotype und is raelfeindliche Dämonisierungen verbreitet. Mehreren Studien zufolge sind entsprechende antisemitische An schauungen bei jugendlichen Muslimen auch über den islamisti schen Kontext hinaus weit verbreitet. Zudem hat sich durch den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten aus dem Nahen und Mittle ren Osten die Problematik verschärft. Das in den dortigen Staaten gepflegte Bild vom "Feindstaat Israel" ist, häufig in Verbindung mit judenfeindlichen Stereotypen, prägend für die Einstellung vieler Ein wanderer aus der Region. In der islamistischen Szene in Niedersachsen werden regelmäßig Äu ßerungen gegen Juden und den Staat Israel festgestellt, teilweise wird dabei zur Anwendung von Gewalt gegen Juden in Israel aufge rufen, bzw. wird diese legitimiert. Die antisemitischen Äußerungen und Aufrufe stehen häufig im Zusammenhang mit aktuellen politi schen Entwicklungen im Nahen Osten. Jugend und Familie im Islamismus Islamistische Ideologien haben das Ziel, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern und eine islamistische Ordnung für alle Lebensberei che, wie Politik, Gesellschaft und Kultur zu etablieren. Um dieses Ziel zu erreichen, spielt die Erziehung von heranwachsenden Ge nerationen eine überaus wichtige Rolle. Junge Menschen sollen dahingehend erzogen werden, die islamistische Ideologie in ihrem alltäglichen Leben umzusetzen und in der gesamten Gesellschaft weiterzuverbreiten. Für islamistische Eltern hat somit die Familie eine überaus große Bedeutung. Die Erziehung der Kinder nach is lamistischen Werten wird dabei als ideologische Pflicht angesehen. Islamistische Erziehungsmethoden bergen eine große Gefahr für die hiesige Gesellschaft, da sich diese Kinder, die bereits von Kindesal ter an von ihren Eltern entsprechend ideologisiert wurden, nicht mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung iden tifizieren und ganz besonders gefährdet sind, sich weiter jihadistisch zu radikalisieren. Die ideologische Erziehung nach islamistischer Lehre erfolgt jedoch nicht allein in den Elternhäusern. Einen ebenso entscheidenden Bei trag leisten islamistische Moscheen, die ihren Einfluss vor allem in 190 Islamismus zwei Richtungen ausüben. Zum einen versuchen sie, die Eltern mit praktischen Ratschlägen und Angeboten zu einer islamistischen Er ziehung zu befähigen. Dieser Einfluss wird über Predigten, Vorträge und Literatur in Form von Ratgebern mit praktischen Ratschlägen für die Kindererziehung an die Eltern getragen. Zum anderen bieten islamistische Moscheen gezielte Angebote für Kinder und Jugend liche an. Neben Unterrichtsangeboten in Moscheen werden Frei zeitaktivitäten, wie mehrtägige Ausflüge in Freizeitparks oder Städte, Grillabende und Kinderfeste, angeboten. Auch das gemeinsame Ausüben von Kampfsportarten und Besuche in PaintballSchießanla gen gehören zu den beliebten Aktivitäten junger Islamisten. "Unterschätzt eure Kinder nicht! Obwohl sie noch klein sind, sind sie wie ein Schwamm ... Tust du einen weißen Schwamm in rote Farbe, zieht er rote Farbe. Tust du einen Schwamm in schwarze Farbe, zieht er schwarze Farbe. Je nachdem, wo du einen Schwamm hinschmeißt, erhältst du deine Farbe. Sie sind unsere Kinder." (Teil einer Predigt des salafistischen Predigers Abu Muslih, YouTube, 12.08.2016) Bei der Indoktrinierung junger Menschen spielen darüber hinaus Soziale Medien und MessengerDienste eine wichtige Rolle. Dabei werden islamistische Inhalte bewusst allgemein gehalten und spre chen so eine breite Zielgruppe an. Gerade jungen Menschen fällt es bei dieser niedrigschwelligen Form islamistischer Propaganda schwer, diese als extremistisch zu identifizieren. Tatsächlich jedoch zielen diese vermeintlich unverfänglichen Inhalte darauf ab, gerade junge Menschen an die islamistische Ideologie heranzuführen. Ob es die Erziehung in der eigenen Familie, der Besuch islamistischer Moscheevereine, die Kontakte im islamistischen Freundeskreis oder der Konsum islamistischer Internetinhalte sind, all diese islamisti schen Angebote zielen auf eine Indoktrinierung und Radikalisierung insbesondere von Kindern und Jugendlichen ab, mit dem Ziel der 191 Islamismus Ablehnung der hiesigen Gesellschaft im Kern ihrer freiheitlichen de mokratischen Grundordnung. Ein aktuelles Beispiel solch einer möglichen Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wird durch die jüngst in Frankreich veröffentlichten MuhammadKarikaturen sichtbar. Auf die darauffolgende Diskussion über den Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty und die Grenzen der Meinungsfreiheit hat es auch in niedersächsischen Schulen Fälle von Schülerinnen und Schü lern gegeben, die den Mord an Samuel Paty befürworteten und als Begründung die Beleidigung Muhammads in Form von Karikaturen nannten. Extremistische (internetbasierte) Fernsehsendungen Durch die immer schneller und stabiler werdende Internetverbin dung vergrößerten sich insbesondere in den letzten zehn Jahren in den muslimischen Haushalten die Angebote und Präsenz von Fernsehsendern, die die extremistische Ideologie verbreiten und wesentlich zur weltweiten islamistischen Radikalisierung beitragen. Zahlreiche dieser Fernsehsender nutzen zwar auch die klassischen Satellitenantennen zur Ausstrahlung ihrer extremistischen Sendun gen, jedoch bietet das Internet sowohl für den Sender als auch den Empfänger entscheidende Vorteile: Das Internet ist u. a. kostengüns tiger, benötigt im Vergleich nur einfache technische Gerätschaften zum Ausstrahlen bzw. Empfangen (wie ein Smartphone) und extre mistische Sendungen können weltweit über zahlreiche Plattformen, wie Facebook, YouTube, Twitter, Telegram, Instagram oder LiveTV Applikationen ausgestrahlt werden. Zahlreiche Fernsehsender sympathisieren in ihren extremistischen Sendungen nicht nur mit unterschiedlichen Terrororganisationen, sondern werden teilweise von diesen betrieben oder finanziert. Ferner gibt es neben privaten Financiers auch zahlreiche staatlich finanzierte und betriebene Fernsehsender, die extremistische Sen dungen ausstrahlen. Sie werden u. a. als Predigten oder Talkshows ausgestrahlt, in denen bekannte Salafisten und Jihadisten zu Wort kommen. Dabei werden Themen behandelt, die auf einer extremis tischen IslamAuslegung basieren, wie ein autoritäres Frauenbild, kämpferisches JihadVerständnis oder die Ablehnung anderer Re ligionsgemeinschaften. Islamistische Prediger legitimieren in diesen 192 Islamismus Sendungen u. a. Gewalt und Terror, rufen zum Jihad gegen Ungläu bige auf, schüren konfessionelle Konflikte und verbreiten antijüdi sche und demokratiefeindliche Thesen. Folglich hat sich das Internet als wichtigste Plattform für extremis tische Fernsehsender entwickelt, wodurch Islamisten eine rasante Verbreitung ihres Gedankenguts weltweit sicherstellen und zur Radikalisierung von unzähligen Menschen beitragen. Der familiäre Konsum entsprechender Fernsehsender, die oftmals einen Bezug zur verlassenen Heimat darstellen, ist im Hinblick auf seine Radikali sierungswirkung insbesondere auf Kinder und Jugendliche nicht zu unterschätzen. Reaktionen der islamistischen Szene auf die CoronaPandemie Eine besondere Herausforderung für die ganze Gesellschaft stellte im Jahr 2020 die CoronaPandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens dar. Auch wenn dem Isla mismus - und insbesondere dem Salafismus - die Ablehnung demo kratischer Regierungen immanent ist, ist festzustellen, dass sich die islamistische Szene in Niedersachsen weitgehend an die staatlichen angeordneten Maßnahmen zur Eingrenzung der CoronaPandemie hält. In den meisten Fällen wurden jedoch religiöse über die wis senschaftlichen und staatlichen Erklärungen gestellt. Den Islamisten kommt entgegen, dass in den Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Muhammad und seiner Gefährten der Umgang mit an steckenden Krankheiten umfassend geregelt wurde und dass auch dort Maßnahmen wie Kontaktverbote oder die Aussetzung der Ge meinschaftsgebete praktiziert wurden. Deutlich wird an den islamis tischen Reaktionen aber auch, dass die Szene ihr Lebensmodell ge genüber dem westlichen für überlegen hält. Immer wieder wird dem Westen der Vorwurf gemacht, die CoronaPandemie sei eine Strafe Gottes für dessen sündiges Verhalten und eine Ablösung des kapita listischen Systems mit dem damit einhergehenden Zusammenbruch des westlichen Lebensmodells stehe bevor. Auch die jihadistische Szene thematisiert das CoronaVirus. Sie greift die üblichen Feindbilder auf, wonach das Virus eine Strafe Gottes darstellen soll. Es richte sich gegen den Westen wegen des dort ver breiteten Unglaubens, gegen China wegen der Unterdrückung der uigurischen Minderheit oder gegen den Iran wegen dessen Unter 193 Islamismus stützung des syrischen Regimes. In jihadistischen Kreisen wird zwar zu besonderen Glaubensanstrengungen in dieser "Zeit der Prüfung" aufgerufen, womit auch Anschläge gemeint sind. Diese Anschlags aufrufe unterscheiden sich in ihrer Qualität aber nicht von der ohne hin kursierenden jihadistischen Propaganda, sodass nach aktuellem Stand nicht von einer spezifischen Gefährdungslage aufgrund der CoronaPandemie auszugehen ist. Ausblick Der größte Anteil der niedersächsischen Islamisten ist der salafisti schen Szene zuzurechnen, die in den letzten Jahren immer weiter an gewachsen ist. Diese Entwicklung schwächte sich zuletzt etwas ab, die Szene befindet sich in einer Art Orientierungsphase. Ein Grund dafür ist, dass für die Mobilisierung und Vernetzung der salafistischen Szene das Wirken von charismatischen Führungspersonen maßgeb lich war. Dieses ist aktuell jedoch kaum mehr feststellbar, was ins besondere auf staatliche Maßnahmen zurückzuführen ist. So läuft gegen den ehemaligen Prediger des verbotenen "Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim" e. V. (DIK Hildesheim), Abu Walaa, nach wie vor das Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle, der bun desweit bekannte Prediger Sven Lau befindet sich offiziell in einem Aussteigerprogramm in NordrheinWestfalen und nach dem Verbot der überregionalen Koranverteilaktion "LIES!" um Ibrahim Abou Na gie konnte sich keine ähnliche DawaKampagne mehr etablieren. In Niedersachsen bemüht sich die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V." in Braunschweig (DMG Braunschweig) im Mo ment darum, diese Lücke zu füllen und lädt regelmäßig überregional bekannte salafistische Prediger, wie Pierre Vogel oder Abul Baraa zu Vorträgen ein. Bislang ist noch keine nachhaltige Wirkung dieser Aktivitäten auf die salafistische Szene festzustellen. Allgemein kann beobachtet werden, dass die salafistischen Moscheen ihre Bedeu tung als zentrale Aktionsorte von Salafisten zunehmend verlieren. Stattdessen nutzen insbesondere die jihadistischen Salafisten we niger im Blickpunkt stehende Möglichkeiten zur Rekrutierung und Radikalisierung, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die ses konspirative Verhalten findet in Kleingruppen statt, aber auch die verschlüsselte Kommunikation über das Internet, sowohl über Soziale Medien als auch Messenger, spielt dabei eine bedeutende 194 Islamismus Rolle. Auch die politischen Salafisten haben ihr Verhalten entspre chend angepasst, indem salafistische Prediger Islamunterricht als sogenannte Wohnungs oder "HomeDawa" in Privatwohnungen durchführen. Es ist zu erwarten, dass die wahrnehmbare Bereitschaft zur Anwen dung von Gewalt zur Durchsetzung salafistischer Ziele in großen Teilen der salafistischen Szene weiter nachlassen wird. Vielmehr wird auch künftig versucht, die hiesige Gesellschaft unter Anwendung legaler Mittel zu beeinflussen. Dies führt dazu, dass die Unterschiede der ver schiedenen islamistischen Gruppierungen zunehmend geringer wer den. Das einende Thema der verschiedenen islamistischen Gruppie rungen wird dabei die Abgrenzung von der (ungläubigen) deutschen Gesellschaft und das damit verbundene Ziel der Schaffung einer an den islamistischen Prinzipien orientierten Lebensordnung sein. Islamistische Gruppierungen werden auch weiterhin bemüht sein, ihre OnlineAktivitäten zu intensivieren. Infolgedessen wird es unter den unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen sicherlich zu einem Wettstreit um die attraktivsten Angebote mit der größten Reichweite kommen. Dahingegen zeigte sich im Bereich des internationalen jihadistischen Islamismus, dass im Laufe des Jahres 2020 die jihadistische Propa ganda nach wie vor äußerst virulent ist. Sie umfasst häufig profes sionell aufbereitete Aufrufe und konkrete Anleitungen zur Durch führung eines Terroranschlags. Damit ist es quasi jeder einzelnen Person mit entsprechenden jihadistischen Vorstellungen möglich, eine jihadistische Gewalttat zu verüben, ohne in ein entsprechen des Netzwerk eingebunden zu sein. Eine besondere Mobilisierungs wirkung auf die jihadistische Szene hatte im Jahr 2020 die erneute Veröffentlichung von MuhammadKarikaturen in Frankreich. Die darauffolgenden Aufrufe zu Anschlägen wurden mehrfach in Eu ropa durch Einzeltäter in die Tat umgesetzt. Daher muss auch für das Jahr 2021 jederzeit damit gerechnet werden, dass Sympathisan tinnen und Sympathisanten der islamistischen Terrororganisationen entsprechende Taten ausüben können. 195 Islamismus 4.3 Salafismus Mitglieder/Anhänger Bund: Niedersachsen: 900 salafistischer Gruppen Der Salafismus ist eine besonders radikale und die derzeit bedeu tendste islamistische Bewegung in Deutschland, aber auch auf inter nationaler Ebene. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisier ten UrIslam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstan denen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Mu hammad und der frühen Muslime, den rechtschaffenen Altvorderen (arab. alsalaf alsalih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch heißt es in einem auf einer salafistischen Website ab rufbaren Text mit dem Titel "Was ist ein Salafi?": "Wir können klar erkennen, dass die ersten drei Generationen dieser Ummah99 die besten der Menschen sind. Sollten sie dann nicht diejenigen sein, denen wir folgen? Wenn Du über etwas Bescheid wissen willst, sei es über Mathematik, Physik oder Medizin, dann würdest Du zu Leuten gehen, die davon mehr verstehen als Du selbst. Wenn Du aber nicht zu ihnen gehen könntest, so würdest Du zu den Büchern der Individuen gehen, selbst wenn diese viele Jahre zuvor geschrieben wurden. Und zwar darum, weil Du weißt, dass diejenigen, die die Bücher schrieben, ein besseres Verständnis über das Thema hatten, als Du es hast. Genauso ist es im Islam: Um ihn und seine Praktiken zu verstehen, sollten wir nicht zu denen gehen, die ihn am besten verstanden? Jedoch muss hier eine Unterscheidung gemacht werden. In vielen Aspekten der Wissenschaft und Technologie nimmt das Wissen mit der Zeit zu, d. h. ein viele hundert Jahre altes Buch wäre zu primitiv, um heute in einer medizinischen Hochschule gelehrt zu werden. Heute, im Islam, ist jedoch das Gegenteil der Fall. Je weiter man zu der Zeit des Propheten - Allahs Heil und Segen auf ihm - zurückgeht, desto besser und reiner waren das Verständnis und die Implementierung der Religion." (Salafistische Internetseite, 2019) 99 Der arabische Begriff "Ummah" bedeutet übersetzt "Gemeinschaft der Muslime". 196 Islamismus Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Früh zeit eingesetzt haben, wie etwa liberalere Formen des Islams und die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie demokratische Strukturen, werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia, die von Salafisten als von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie je der weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demo kratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In einer im Jahr 2012 verteilten Broschüre des "Deutschsprachigen Islamkreises e. V." (DIK) in Hannover heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibadah [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Deutschsprachiger Islamkreis e. V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seiten 8-9) Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privatleben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propa gieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte unglei che Verhältnis zwischen den Geschlechtern, u. a. ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht und die Begrenzung der Religionsfreiheit. Die von Salafisten propagierte Staats und Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grund sätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichberechti gung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unver sehrtheit verletzt. Damit ist der Salafismus eine verfassungsfeindli che Bestrebung und erfüllt die Voraussetzung für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). 197 Islamismus Der Salafismus lässt sich in eine politische, der die Mehrheit der Sa lafisten in Deutschland zuzurechnen sind, und eine jihadistischter roristische Ausprägung aufschlüsseln. Alle Salafisten streben die gleichen Ziele an, doch unterscheiden sich politische und jihadisti sche Salafisten in der Wahl ihrer Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Pro pagandatätigkeit, die sie als Dawa100 Arbeit bezeichnen, um für ihre Vision einer gottgewollten Staats und Gesellschaftsform zu werben und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Jihadistische Salafisten setzen darüber hinaus und vor allem auf das Mittel der Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am schnellsten gewachsene islamistische Bewegung in Deutschland und Europa. Dies liegt auch darin begründet, dass er ein Angebot macht, welches insbesondere, aber nicht nur, junge Menschen an spricht. Diese Weltanschauung schafft ein komplettes Gegenmodell zum selbstbestimmten, daher aber auch risikobehafteten westlichen Lebensentwurf. Da die salafistische Ideologie von ihren Anhängern fordert, den Kontakt mit der "ungläubigen" Welt auf ein Minimum zu reduzieren, ist die Folge die Einbettung des Einzelnen in ein Netz werk von Gleichgesinnten, die über ähnliche Ansichten verfügen, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies erleben viele von der modernen Welt Verunsicherte als ein stabilisierendes Ele ment in ihrem Leben. Gleichzeitig vermittelt diese theologisch be gründete sektenartige Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl, als Salafist einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. Der Salafismus ist eine dynamische und heterogene Bewegung, die sich nicht in klare Strukturen einordnen lässt. Als verbindendes Element fungiert dabei die salafistische Ideologie, deren Anhänger häufig in Kleingruppen und Freundeskreisen organisiert sind. In dem international miteinander verwobenen Netzwerk des Salafismus gibt es aber einzelne Fixpunkte und Organisationsformen, die entschei dende Bestandteile für das Agieren der Szene darstellen. 100 Der arabische Begriff "Dawa" bedeutet übersetzt "Einladung" und kann mit Missionie rung umschrieben werden. 198 Islamismus Salafistische Prediger Eine entscheidende Bedeutung haben salafistische Prediger. Sie sind es, die die salafistische Ideologie ausformulieren und über ihre Ausle gungen der islamischen Schriften konkrete Vorgaben zur "richtigen" Lebensführung machen. Die salafistischen Prediger sind über ihre Seminarangebote, Vortragsreisen und Onlineangebote überregional präsent und sammeln damit eine feste Anhängerschaft hinter sich. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell. Ihre Vertreter set zen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und sich insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher orientieren, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Men schen, darunter auch zum Islam Konvertierte, aus. An den salafistischen Predigern wird auch die internationale Dimen sion des Salafismus deutlich. Viele von ihnen haben eine Ausbildung an arabischen Universitäten erhalten. Besonders häufig fällt dabei der Name der "Islamischen Universität Medina" in SaudiArabien, u. a. hat der ehemalige Braunschweiger Imam Muhamed Ciftci dort studiert. Die Universität wurde bereits mit dem Ziel gegründet "als Zentrum für die Verbreitung der islamischen Wissenschaft und Kul tur unter den Muslimen überall in der Welt" zu wirken. Dieses Ziel Logo der "Islamischen Universität Medina" sei so zu erreichen, dass "... einzelne aus jedem islamischen Land aufgerufen werden, nach Medina zu kommen, den Islam zu studieren ..., und dann zu ihren Leuten zurückzukehren, um zu unterweisen und rechtzuleiten." (Charta der Islamischen Universität Medina vom 11.05.1962) Um möglichst viele Studenten zu erreichen, bietet die Universität ein attraktives Angebot mit umfangreicher finanzieller Unterstützung und Stipendien. Die "Islamische Universität Medina" dient somit als Multiplikator für die wahhabitischsalafistische101 Lehre, die durch ihre Studenten anschließend in deren Heimatländern weiterverbrei tet wird. Gleichzeitig werden über das gemeinsame Studium Netz werke zwischen den künftigen salafistischen Predigern geschlossen. 101 Der Wahhabismus ist die Staatsdoktrin SaudiArabiens und geht auf die Lehren von Muhammad Ibn Abd alWahhab (1703-1792) zurück. Der Salafismus wurde ideologisch stark vom Wahhabismus beeinflusst, sodass die beiden Ideologien inhaltlich viele Ähn lichkeiten aufweisen. 199 Islamismus Diese führen dazu, dass regelmäßig auch ausländische Prediger zu Seminaren und Vorträgen in deutsche und niedersächsische Mo scheen eingeladen werden. Salafistische Angebote im Internet Eine große Bedeutung hat das Internet für Salafisten. Ihre Onlinean gebote, Audios, Videos und Schriftstücke dominieren die deutsch sprachigen Informationsangebote über den Islam im Internet. Auf grund eines Imagewandels bei den eingestellten Angeboten, weg von traditionell islamischer bzw. salafistischer Kleidung, hin zu einem modernen Auftreten, lässt sich häufig der salafistische Hin tergrund nicht sofort erkennen. Dadurch werden breitere Teile der muslimischen Gesellschaft in Deutschland mit salafistischer Propag anda erreicht. In der jüngeren Vergangenheit wurden durch salafistische Protago nisten, auch aus Niedersachsen, neue Formate propagiert, die sich zum Teil an Zielgruppen mit einem höheren intellektuellen Niveau richten. Dabei werden neben klassischen Vorträgen und Freitagspre digten, wie sie z. B. die "Deutschsprachige Muslimische Gemein schaft e.V." in Braunschweig (DMG Braunschweig)102 regelmäßig ins Internet stellt, zunehmend auch LifeCoachings oder mehrtägige Webinare angeboten, die auf die persönliche und berufliche islam konforme Weiterentwicklung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgerichtet sind. Die Internetauftritte der salafistischen Akteure sind professionell ge staltet und werden oft von einem eigenen Team an Administratoren betreut. Die selbst produzierten Grafiken (sogenannte Memes) und Videos wirken attraktiv und wecken das Interesse auch von außen stehenden Personen. Aufgrund der großen Bedeutung moderner Medien für die Rekrutierung neuer Anhängerinnen und Anhänger sind Salafisten ständig bestrebt, weitere Angebote zu entwickeln, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Salafisten passen sich dabei stetig den technischen Entwicklungen und dem aktuellen Nut zerverhalten an. So wurden zunächst hauptsächlich Internetseiten mit salafistischen Informationsangeboten eingerichtet. Die Kommu nikation erfolgte dabei über Foren. Dann verlagerten sich viele An 102 Siehe auch Kapitel 4.4, Abschnitt "DMG Braunschweig". 200 Islamismus gebote in die sozialen Netzwerke, wie Facebook und Instagram, die den Vorteil mitbrachten, dass Inhalte direkt kommentiert und über sie diskutiert werden konnte. Inzwischen bekommen Messenger Dienste wie WhatsApp oder Telegram eine immer größere Bedeu tung. Aufgrund des hohen Stellenwerts der Dawa haben Salafisten ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, was zur Folge hat, dass Au ßenstehende oft proaktiv angeschrieben und anschließend gezielt an die Szene herangeführt werden. Rolle der Moscheen Auch wenn das Internet eine wichtige Rolle in der Vernetzung und Anwerbung für die salafistische Szene spielt, bleiben die realwelt lichen Kontakte doch entscheidend zur Verfestigung der persönli chen Beziehungen. Einer Studie zu den nach Syrien und in den Irak ausgereisten Personen zufolge, hatte besonders der Kontakt in (ein schlägige) Moscheen im weiteren Verlauf der Radikalisierung große Bedeutung. Deshalb spielen entsprechend ausgerichtete Moschee gemeinden nach wie vor eine Rolle als lokale Anlaufpunkte und Trefforte für die salafistische Szene. Salafistische Moscheen bieten ein umfangreiches Angebot an Lehrveranstaltungen für verschiede ne Zielgruppen an und sorgen so für eine ideologische Festigung und Einbindung in die Strukturen des Salafismus. Sie richten sich dabei an regelmäßige Teilnehmer, aber auch an gelegentliche Be sucher sowie an einfache Interessierte. Die Spannbreite reicht von speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Bildungs, Spiel und Freizeitangebote, damit diese möglichst frühzeitig in die inter nen Strukturen integriert und gemäß der salafistischen Ideologie erzogen werden, bis hin zu Beratungs und Bildungsangeboten für Erwachsene, deren salafistische Einstellung durch eine aktive Teil nahme in der Moschee verfestigt wird. Salafistische Moscheen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung. Bei salafistisch dominierten Moscheen können die Führungspersonen und große Teile der Besucher dem Salafismus zugerechnet werden. In diesen Moscheen wird die salafistische Ideologie zielgerichtet ge festigt und weiterverbreitet. In den salafistisch frequentierten Mo scheen ist hingegen nicht grundsätzlich von einer salafistischen Aus richtung der gesamten Moschee auszugehen. Innerhalb dieser gibt es dagegen salafistische Strömungen, ohne dass die Mehrzahl der 201 Islamismus Besucher oder der Vorstand im Gesamten Salafisten sind. Teilweise besuchen salafistische Personengruppen solche Moscheen oder es werden salafistische Prediger eingeladen, die eine weitere salafisti sche Beeinflussung der Moscheebesucher befördern können. Lose Personennetzwerke Spielten sich die Aktivitäten der salafistischen Szene in den ver gangenen Jahren noch überwiegend im Umfeld bekannter sa lafistischer Moscheen ab, so haben diese zuletzt an Bedeutung verloren. Dies ist vor allem auf die vermehrten Beobachtungs und Durchsuchungsmaßnahmen zurückzuführen, bei denen sa lafistische Moscheen als Zentren der Radikalisierung im Fokus der Sicherheitsbehörden standen. Dies beeinflusste die Mitglieder der Szene, von denen sich ein erheblicher Anteil aus der Öffentlich keit zurückzog, um nach Alternativen und neuen Möglichkeiten zu suchen. In der Folge ist festzustellen, dass sich Salafisten häu fig im Rahmen loser Personenzusammenschlüsse organisieren. Für die Zusammensetzung dieser Kleingruppen spielen Freund schaften, die regionale Herkunft, gleiche Altersgruppen und die gemeinsame ideologische Ausrichtung eine entscheidende Rolle. Mit der Zunahme salafistischer Kleingruppen etablierten sich auch neue Trefforte der Szene. Dazu zählen z. B. Restaurants und Ca fes, Sportvereine, Fitnessstudios, Gärten und Parks aber auch Pri vatwohnungen wichtiger Akteure, die zunehmend ein zentraler Be standteil für die Vernetzung der Szene werden. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Wohnungs oder "HomeDawa"Veranstaltungen, bei denen salafistische Prediger Islamunterricht im kleinen Kreis in Privatwohnungen geben und nicht wie noch vor wenigen Jahren in Moscheen mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit. Diese neuen An laufpunkte wirken zunächst unverfänglich und erwecken für Außen stehende nicht den Anschein extremistischer Aktivitäten. Damit stel len sie eine neue Möglichkeit der Rekrutierung insbesondere junger Menschen dar, die von den Salafisten direkt in ihrem Lebensumfeld abgeholt werden. Rolle der Frau und salafistische Frauennetzwerke Traditionell ist die Frau dem Mann im Salafismus untergeordnet. Wäh rend der Mann nach außen über alle Belange entscheidet und für 202 Islamismus die alleinige Versorgung und den Schutz der Familie zu ständig ist, wird Frauen der innere Bereich zugewiesen. Ihre Bereiche sind der Haushalt, die Erziehung der Kinder und die Unterstützung des Ehemanns. Sie haben sich in letzter Instanz immer dem Willen des Mannes zu beugen. In der salafistischen Propaganda wird dieses archaische Bild der Frau jedoch ins Positive gedreht. So stellen Sa lafisten die Frau als kostbaren Schatz dar, der mit Hilfe der Verschleierung vor den Blicken der "begehrlichen" Öffentlichkeit geschützt werden muss. Gerühmt werden zudem die Rolle der Frau als Mutter und Unterstützerin ihres Ehemannes sowie vermeintlich weibliche Tugenden wie Sanft heit, Gehorsam und Demut. Dem Bild der zerbrechlichen und schutz bedürftigen Frau steht ein Männerbild gegenüber, das Aktivität, Stärke und Durchsetzungsfähigkeit betont. Insbesondere die Gerichtsverfahren der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, dass Frauen in der salafistischen Szene eine größere Rolle spielen als bisher angenommen. Zwar sind Frauen weiterhin öffentlich kaum wahrnehmbar, da ihr Wirkungskreis meist auf den häuslichen Bereich, die rein weiblichen Kreise in der Moschee oder auf geschlossene Gruppen in den Sozialen Medien beschränkt ist, jedoch kommt der Frau eine zentrale Bedeutung bei der Verbreitung der salafistischen Ideologie zu. Gerade über das Internet ist es den Frauen möglich, sich überregional und global zu vernetzen und sich über salafistische Inhalte auszutau schen. Besonders deutlich wurde dies zu Hochzeiten des sogenannten Islamischen Staates (IS), als ausgereiste Salafistinnen in eigenen Blogs aus dem damaligen Herrschaftsgebiet berichteten. Sie beschrieben in verführerischer Sprache die Vorzüge des Lebens in den ISGebieten und ermutigten und unterstützten ihre Leserinnen bei der Ausreise. Aber auch Alltagsthemen bieten Möglichkeiten der Missionierung. Wie die Männer ködern auch Salafistinnen andere Frauen zunächst mit niedrigschwelligen Angeboten, z. B. rund um die Themen Kochen und Kindererziehung, um sie dann enger an die Szene zu binden. Regionale Frauennetzwerke bieten Gleichgesinnten und Interessier ten vielfältige Aktivitäten. Neben Vorträgen, Kinderveranstaltungen und speziellen Sportangeboten für Musliminnen ist auch eine ge 203 Islamismus schäftliche Vernetzung von Salafistinnen im Rahmen dieser Netz werke zu beobachten. Darüber hinaus wird bei den o. g. Veranstal tungen oft zu Spenden aufgerufen, zum Teil wurden Beträge im niedrigen fünfstelligen Bereich gesammelt. Mit ihrer Rolle als "Hüterin der Familie" leisten Frauen einen weite ren entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der salafistischen Ideo logie. Hierbei ist die Mutter aufgrund der geschilderten Machtposi tion des Mannes entweder das ausführende Organ des Vaters oder sie setzt aufgrund ihrer eigenen salafistischen Ausrichtung selbst entsprechende ideologisch geprägte Erziehungsakzente. Vor allem salafistische Prediger betonen regelmäßig, wie wichtig die Kinder erziehung nach den Grundsätzen des Glaubens ist. So bezeichnete Pierre Vogel die Kindererziehung als "das wichtigste Thema überhaupt, um die Umma [muslimische Gemeinschaft] zu verbessern." (Pierre Vogel, YouTube, 16.09.2018) Dementsprechend wurden zunehmend Fälle von Kindern bekannt, die sich innerhalb salafistischer Familien radikalisiert haben. Insbe sondere nach der Gewalttat gegen einen Lehrer in Paris haben sich vereinzelt Kinder und Jugendliche in der Schule solidarisch mit dem Täter gezeigt. In solchen Familien werden Kinder schon von klein auf zur Ablehnung der "ungläubigen" Mehrheitsgesellschaft erzogen. Literaturverteilaktionen und IslamInformationsstände In den letzten Jahren waren die sogenannten IslamInformations stände eine wichtige Aktionsform zur Verbreitung salafistischer Propaganda in Deutschland. Auf diese Weise verteilen Salafisten Broschüren, Flugblätter, salafistische Grundlagenwerke, aber auch Koranausgaben. Durch eine zunächst scheinbar unverfängliche Kon taktaufnahme mit interessierten Außenstehenden werden vor allem junge Menschen in der Identitätsfindungsphase gezielt an die sala fistische Ideologie herangeführt und anschließend in die Szene ein gebunden. Zudem haben die Islaminformationsstände eine wichtige Funktion für Salafisten, um Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen. 204 Islamismus Die bedeutendste Aktionsform dieser Art war die Koranver teilaktion "LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat". Diese 2012 gestartete DawaAktion wurde von der Ver einigung "Die Wahre Religion" (DWR) organisiert, welche im November 2016 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verboten wurde. Maßgeblich für das Verbot der "LIES!"Stände war, dass sich Jihadisten mit Syrien bzw. Irakbezug über die Aktivitäten an den Koranverteilständen miteinander vernetzten. So sind mindestens 140 Aktivisten oder Unterstützer der "LIES!"Koranverteilaktionen nach Sy rien bzw. in den Irak ausgereist, um sich terroristischen Orga nisationen wie dem IS anzuschließen. Nach dem Verbot der "LIES!"Koranverteilaktionen ist es der sala fistischen Szene nach wie vor nicht gelungen, weitere überregio nale Literaturverteilaktionen in der Größenordnung von "LIES!" zu etablieren. In Niedersachsen wurden regelmäßig IslamInfostände in Braunschweig und Gifhorn durch die DMG Braunschweig103 or ganisiert. Seit November 2020 hat die Stadt Braunschweig weitere beantragte Informationsstände in der Innenstadt von Braunschweig nach dem Niedersächsischen Straßengesetz (NStrG) nicht mehr ge nehmigt. Aufgrund der großen Bedeutung der DawaAktionen für die sa lafistische Ideologie ist davon auszugehen, dass es perspektivisch zumindest lokal weitere salafistische Literaturverteilaktionen oder auch neue Arten von DawaAktivitäten geben wird. Daher kommt der konsequenten Anwendung des SS 18 Abs. 1a NStrG zur Versa gung von Sondernutzungserlaubnissen wegen der Verfolgung oder Unterstützung verfassungsfeindlicher Aktivitäten auch weiterhin eine besondere Bedeutung zu. Weitere Aktionsfelder von Salafisten Der Rückgang der salafistischen Literaturverteilaktionen zeigt, wie sich Salafisten zuletzt mehr und mehr aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen haben. Damit reagiert die salafistische Szene auf den gestiegenen Verfolgungsdruck durch die Sicherheitsbehörden 103 Siehe auch Kapitel 4.4, Abschnitt "DMG Braunschweig". 205 Islamismus sowie auf eine erhöhte gesamtgesellschaftliche Sensibilität. Aus diesen Gründen meiden es viele Salafisten inzwischen, mit öffent lich bekannten salafistischen Personen oder Vereinen in Verbindung gebracht zu werden. Stattdessen gibt es zunehmend Veranstal tungen in kleineren Kreisen, die in geschlossenen Internetgruppen beworben werden und vorrangig im privaten Rahmen stattfinden. Gleichzeitig suchen sich Salafisten weitere Aktionsfelder mit denen Geldquellen erschlossen werden können und die keinen expliziten Bezug zur salafistischen Ideologie zulassen. So gründen Personen aus dem salafistischen Spektrum immer häufiger Firmen, die bei spielsweise in dem Bereich der halal104 konformen Produkte aktiv sind. Vordergründig geht es dabei um unternehmerische Ziele, tat sächlich findet über diese Aktivitäten aber eine Vernetzung salafis tischer Akteure unter einem vermeintlich unbedenklichen Anstrich statt, worüber wiederum auch neue Personen an die Szene heran geführt werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Verein "Ansaar International e. V." aus Düsseldorf zu nennen. Eigenen Angaben zufolge ist das Ziel des Vereins die weltweite Unterstützung von Projekten für bedürfti ge Muslime. Dazu unterhält der Verein ein bundesweites Netzwerk an sogenannten AnsaarTeams, die Kleider und Geldspenden für "Ansaar International e. V." sammeln. Darüber hinaus hat sich "An saar International e. V." weitere Geschäftsfelder, wie Reiseveranstal tungen, Onlineshops oder Ladenlokale, erschlossen. Am 10.04.2019 fanden bundesweit zeitgleich circa 90 Durchsuchungsmaßnahmen gegen die Vereinigung "Ansaar International e. V." und dem mit ihr in Verbindung stehenden Verein "WorldWide ResistanceHelp e. V." (WWRHelp e. V.) statt. In Niedersachsen waren drei Personen be troffen. Die Durchsuchungen dienten der Beweissicherung für ein mögliches Vereinsverbot nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG. Zur Be gründung führte das federführende Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) aus, dass diese Vereinigungen dringend verdächtig seien, gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu verstoßen, weil sie in ihren Aktivitäten propagandistisch und finan 104 Der arabische Begriff "halal" bedeutet übersetzt "nach islamischem Glauben erlaubt". 206 Islamismus ziell in Gestalt der "HAMAS"105 eine Organisation unterstützten, die sich ihrerseits gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Ein weiteres Projekt bekannter salafistischer Akteure ist der in Hannover ansässige Verein "Föderale Islamische Union" (FIU). Am 27.04.2018 führten Marcel Krass und Pierre Vogel eine sogenannte OnlineKundgebung zu einem angeblich drohenden Kopftuchverbot für Muslime durch. Am Ende jenes FacebookLivestreams stellte Mar cel Krass die Gründung der FIU vor, deren Ziel es sein soll, die Rechte der Muslime in Deutschland zu vertreten. Als konkretes Anliegen führt die FIU u. a. die uneingeschränkte Möglichkeit zur Verschlei erung von Frauen, die Aufhebung von Fastenverboten und einen getrennten Schwimmunterricht in Schulen an. Jene Anliegen sollen, falls nötig, auch mit Gerichtsverfahren durchgesetzt werden. Für das Jahr 2020 vermochte die FIU mehrere solcher öffentlichkeits wirksamen Aktionen durchzuführen. Unter anderem initiierte Marcel Krass, im Nachgang des rechtextremistisch motivierten Anschlags in Hanau eine Petition zur "Ernennung eines Bundesbeauftragten zum Schutz der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland". Der Aufruf führte innerhalb weniger Wochen zu dem erforderlichen Quorum von mehr als 50.000 Unterschriften. Außerdem konnte die FIU im April 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht eine einstwei lige Außerkraftsetzung des Verbots von Gottesdiensten, das im Rah men der Pandemieverordnungen eingesetzt wurde, erreichen. Zeit gleich rief Krass zu Spenden für Moscheen in Deutschland auf, die sich aufgrund der Pandemie in finanziellen Schwierigkeiten befän den. Außerdem klagte die FIU im Jahr 2020 gegen ihre Erwähnung im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2019. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Nennung der FIU im Ver fassungsschutzbericht wurde sowohl vom Verwaltungsgericht Han nover in erster Instanz, als auch vom Niedersächsischen Oberverwal tungsgericht rechtskräftig abgelehnt. Damit wurde die Bewertung und Darstellung der FIU als salafistische und somit extremistische Organisation auch durch die Gerichte bestätigt. Insgesamt gibt sich die FIU durch ihr Handeln aber betont distanziert von islamistischen Positionen, wenngleich die maßgeblichen Akteure des Vereins ihre 105 Siehe Kapitel 4.7. 207 Islamismus Bekanntheit über Aktivitäten in der salafistischen Szene erlangt ha ben und die Beiträge der FIU in den Sozialen Medien maßgeblich innerhalb der salafistischen Szene verbreitet werden. Salafistische Gefangenenhilfe Durch die zunehmende Radikalisierung der salafistischen Szene in den letzten Jahren ist auch die Zahl der Strafverfahren mit einem is lamistischen Hintergrund angestiegen. Insbesondere Rückkehrende aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak sowie Personen, die Anschlagspläne im Inland vorbereitet oder unterstützt haben, wur den zu Haftstrafen verurteilt. Auf die daraus resultierende Zunahme von Häftlingen aus dem salafistischen Spektrum reagiert die Szene mit organisierten Unterstützungsleistungen für diese Gefangenen und ihr Umfeld. Einer der Hauptakteure der salafistischen Gefangenenhilfe ist der ehemalige Linksextremist Bernhard Falk. Nach seiner Konvertierung zum Islam ist er unter dem Namen Muntasir Billah106 in der salafis tischen Szene aktiv. Dabei hat er die linksextremistische Rhetorik beibehalten und in den islamistischen Kontext übertragen. Seiner Meinung nach sind inhaftierte Islamisten politische Gefangene, da die Bundesrepublik Deutschland einen Kampf gegen den Islam be treibe. Als Zielsetzung seiner Arbeit gibt er an: "Subhana-LLAH, die Verhaftung von Muslimen in der BRD aus politischen Gründen ist derart 'alltäglich' geworden, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. ... Mittlerweile gibt es in der BRD mehr als 150 muslimische politische Gefangene, davon mehr als ein Dutzend Schwestern - eine im Vergleich zur kleinen Ummah in diesem Land hohe Zahl !!! LIEBE GESCHWISTER UNTERSTÜTZT DIE GEFANGENEN UND DEREN UNTERSTÜTZER." (Internetseite von Bernhard Falk, 01.09.2020) Tatsächlich handelt es sich bei den Personen, die von Falk unter stützt werden, ausschließlich um Personen, denen Terrorismus vor geworfen wird oder die aufgrund eines terroristischen Straftatbe stands inhaftiert sind. 106 Der arabische Name Muntasir Billah bedeutet übersetzt "siegreich durch Gott". 208 Islamismus Ein weiteres Aktionsfeld ist der Besuch von Gerichtsprozessen, um die Angeklagten zu stärken und öffentlich Präsenz zu zeigen. So nahm Falk im Jahr 2020 an Verhandlungen im Prozess gegen den salafistischen Prediger Abu Walaa und vier weitere mutmaßliche Un terstützer des IS am Oberlandesgericht (OLG) Celle sowie an dem Prozess gegen Jennifer W. vor dem OLG München teil. Gerade das Verfahren gegen Abu Walaa nimmt breiten Raum in der Berichter stattung von Falk ein. Über die Sozialen Medien ruft er zur Solidari tät mit den Angeklagten auf und beschuldigt den deutschen Staat, einen "Schauprozess" durchzuführen. Ein weiterer Akteur in der salafistischen Gefangenenhilfe ist die Organisation "AlAsraa - Die Gefangenen" aus NordrheinWestfa len, die Inhaftierte und deren Umfeld durch Besuche und finanzielle Zuwendungen unterstützt. Über verschiedene Internetauftritte be treibt "AlAsraa" dabei eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, um über staatliche Maßnahmen gegen die salafistische Szene zu berichten und damit um Unterstützung zu werben. So werden auf den Online präsenzen Berichte und Bilder über die Haftsituation salafistischer Gefangener veröffentlicht. Darüber hinaus existieren auch Initiativen von Frauen der sa lafistischen Gefangenenhilfe, die sich speziell an inhaftierte Frauen ("Schwestern") richten. Eine der bekanntesten Or ganisationen ist "Free our sisters - Fukuu akhwatina". Dort fungierte die aus Niedersachsen stammende Jennifer W. vor ihrer eigenen Festnahme im Sommer 2018 als Administrato rin. Mittlerweile erhält sie selbst Unterstützung aus der sala fistischen Szene. Zu den Angeboten salafistischer Gefangenenhilfsorganisationen gehört auch eine direkte Unterstützung der Inhaftierten. Z. B. wer den vorgefertigte Briefe und religiöse Literatur bereitgestellt, die von Mitgliedern der salafistischen Szene, oft auch von Kindern, mit einem persönlichen Gruß versehen an die inhaftierten Perso nen weitergeleitet werden können. Diese Form der Unterstützung kann enormen Druck auf die inhaftierten Personen ausüben und sich negativ auf ihre Resozialisierung und Loslösung von der Szene 209 Islamismus auswirken. Denn den Inhaftierten wird damit signalisiert, dass sie weiter im Blick der Szene bleiben. Durch religiöse Literatur wird ein moralischer Druck geschaffen, sich nicht von der Glaubensausübung zu entfernen. 4.4 Salafismus in Niedersachsen Seitdem die "Salafistischen Bestrebungen" im Jahr 2011 zum bun desweiten Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden wurden, verzeichnete die salafistische Szene in Deutschland und Niedersachsen über Jahre starke Zuwachsraten. So hat sich die Zahl der Salafisten bundesweit von circa 3.800 im Jahr 2011 auf 12.150 im Jahr 2019 mehr als verdreifacht. In Niedersachsen lässt sich der selbe Trend feststellen, hier stieg die Zahl der Salafisten von circa 275 im Jahr 2011 auf 900 im Jahr 2019 und hat sich damit eben falls mehr als verdreifacht. Analog zu den bundesweiten Zahlen schwächte sich diese Entwicklung zuletzt jedoch ab. Von 2018 auf 2019 nahm die Anzahl der Salafisten in Niedersachsen nur noch um 20 auf 900 zu. Für das Jahr 2020 ist nun sogar erstmals eine Stagna tion der salafistischen Szene in Niedersachsen und auch bundesweit zu verzeichnen. Quantitative Entwicklung des Salafismus Bundesweit Niedersachsen 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 4.500 5.500 7.000 8.350 9.700 10.800 11.300 12.150 900 2.000 300 330 400 520 680 850 880 900 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 210 Islamismus In der Vergangenheit sind insbesondere in Deutschland geborene und aufgewachsene Prediger, die häufig durch saudische Gelehrte geprägt wurden, zu Schlüsselfiguren der Rekrutierungsbemühungen geworden. Zu diesen Vertretern zählen insbesondere Pierre Vogel, dessen vereinfachte und jugendgerechte Botschaften eine enorme Verbreitung erfuhren, Ibrahim AbouNagie, der mit seinem Verein "Die Wahre Religion" und der Koranverteilaktion "LIES!" den Sala fismus öffentlich sichtbar in die deutschen Innenstädte brachte so wie der ehemalige Braunschweiger Muhamed Seyfudin Ciftci, des sen Aktivitäten um die Islamschule und den Verein "Einladung zum Paradies" maßgeblich zur Etablierung und Strukturierung der sala fistischen Szene beitrugen. Zudem haben die kriegerischen Ausein andersetzungen in Syrien und im Irak bis hin zur zwischenzeitlichen Etablierung eines Kalifats durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Jahr 2014 zu einer nicht unerheblichen Strahlkraft und zum Teil zur Radikalisierung in der salafistischen Szene geführt. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass sich das Wachstum der salafistischen Szene in Deutschland und Niedersachsen deutlich abschwächt. Gab es in den Hochphasen Zuwachsraten von um die 30 Prozent, so bewegte sich der Zuwachs zur salafistischen Szene in den letzten Jahren nur noch im niedrigen einstelligen Prozentbe reich, bzw. stagnierte zuletzt. Dies dürfte einerseits das Ergebnis der inzwischen wesentlich besseren Aufklärung der Szene durch die Si cherheitsbehörden sowie der höheren gesamtgesellschaftlichen Sen sibilität für salafistische Radikalisierungsprozesse sein. Andererseits entfaltet auch der Jihadschauplatz Syrien nicht mehr die Strahlkraft, die er zwischenzeitlich hatte und die öffentlichkeitswirksamen Akti vitäten von salafistischen Predigern und DawaOrganisationen haben zuletzt stark nachgelassen. Daraus ist zu schließen, dass sich die sala fistische Szene aktuell in einer Art Orientierungsphase befindet. Struktur der salafistischen Szene in Niedersachsen Die Schwerpunkte der salafistischen Szene in Niedersachsen liegen in den großen Städten. Salafistische Aktivitäten gehen dabei insbeson dere von den salafistisch dominierten Moscheen aus, die auch einem großen Teil der Szene eine Heimat geben. Dabei sind vor allem zwei Moscheen zu nennen, die DMG Braunschweig und der DIK Hannover. 211 Islamismus DMG Braunschweig Die "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V." in Braun schweig (DMG Braunschweig) stellt einen der Schwerpunkte sala fistischer Aktivitäten in Niedersachsen dar. In Verbindung mit ih rem langjährigen Imam Muhamed Seyfudin Ciftci gehörte die DMG Braunschweig schon früh zu den salafistischen Zentren in Deutsch land und ist nach wie vor überregional in salafistische Strukturen eingebunden. In den Jahren 2019 und 2020 traten regelmäßig über regional tätige und bekannte Prediger der salafistischen Szene auf, unter anderem Pierre Vogel, Efsthathios Tsiounis, Stef Keris, Abde lilah Belatouani alias Abu Rumaisa, Marcel Krass, Eyad Hadrous und Hassan Dabbagh. Im Jahr 2020 war Ahmad Armih alias Abul Baraa der auswärtige Prediger mit den meisten Auftritten in der DMG Braunschweig. Er predigte bis vor kurzem noch in der SahabaMoschee in Berlin, die bis zu ihrer Schließung eines der salafistischen Zentren in der deut schen Hauptstadt darstellte. Die Vorträge der Prediger werden von der DMG Braunschweig per Livestream übertragen, später wird eine - meist geschnittene - Auf nahme bei YouTube veröffentlicht. Die Predigten behandeln häufig allgemeine Glaubensthemen und sprechen damit gezielt Menschen an, die auf der Suche nach dem Sinn im Leben sind, um sie in einem weiteren Schritt über die entsprechenden Ansprechpartner weiter in die Szene hineinzuführen. U. a. stellt sich die DMG durch die Verbreitung von LinkAdressen unter den eingestellten Videos als Anlaufstelle für Fragen oder Konvertierungen zur Verfügung. Immer häufiger wird auch die Situation der Muslime und des Islams aufgegriffen. Schwerpunkt dabei ist es, eine angebliche Opferrolle der Muslime darzustellen und die Gesellschaft in ein vereinfachtes "Freund-FeindSchema" zu unterteilen. Damit soll eine Geschlos senheit der "Gläubigen" und eine Abgrenzung gegenüber den "Ungläubigen" hervorgerufen bzw. verstärkt werden. So behauptet Abul Baraa in seinen Ausführungen regelmäßig, dass die Muslime unterdrückt werden würden, der Islam unter ständigen Anfeindun gen zu leiden hätte und angegriffen werde und eine Integration der Muslime seitens der Gesellschaft gar nicht erwünscht sei. Aus Angst vor Ausgrenzung oder Diskriminierung würden sich angeblich 212 Islamismus viele Muslime von ihrem Glauben abwenden und sich der westlichen Gesellschaft anpassen. Damit zeichnet Abul Baraa ein typisches Be drohungsszenario im Salafismus, das die Komplexität menschlichen Zusammenlebens auf eine einfache Weltsicht reduziert, in der es nur "Freund" oder "Feind" gibt. In einem Video, eingestellt von der DMG am 11.10.2020, behauptet auch Pierre Vogel, dass sich der Muslim der Mehrheitsgesellschaft anbiedern würde. Dies wird von ihm u. a. als "Schleimerei" bezeichnet. Weiterhin führte er aus, dass westliche Ansichten wie Demokratie, Säkularismus und Menschenrechte falsch seien. Nur Allahs Gesetze wären für den Muslim bindend, und nur Gott habe das Recht, den Maßstab von "falsch" und "richtig" zu definieren. So sagte er in einer Freitagspredigt im besagten Video: "Ich war einmal bei einem Vortrag gewesen der sogenannten Menschenrechte nach westlichem Vorbild, sagen wir es so. Einmal, ... da kommt ein Student zu mir und sagt zu mir: Es gibt ja diese Konferenz XY in den arabischen Ländern, wo festgestellt wurde, dass die Rechte im Koran und der Sunna nicht mit der Genfer 'blablabla' übereinstimmen - also der westlichen Vorstellung. Die Rechte im Koran stimmen also nicht mit der Menschenrechtsvorstellung vom Demokratie, Säkularismus, 'blablabla' überein, sagt er zu mir. ... Wisst ihr, was ich dem gesagt habe? ... Dann sind diese Menschenrechte falsch. Weil der Koran ist von Allah. ... Was Allah sagt, ist richtig und das, was die sagen, ist falsch ... Das was Allah im Koran sagt, ist richtig. Und uns interessiert das nicht, was andere Leute sagen." Pierre Vogel behauptet weiterhin, dass die Muslime sich an solche Vorstellungen anpassen würden, bzw. den Islam aufgrund des ge sellschaftlichen Drucks im Sinne einer Rechtfertigung verfremden und somit nicht mehr in der Lage seien, ihre Religion zu verteidi gen. Diese Vorstellungen würden durch das Internet, die Schule und Missionare verbreitet. Eine Folge dieser Anpassung wäre u. a., dass Homosexualität durch Muslime akzeptiert würde. Die DMG bietet mehreren überregionalen Predigern der salafisti schen Szene einen regelmäßigen Anlaufpunkt, um salafistisches Gedankengut verbreiten zu können. Dadurch kann sie eine weite 213 Islamismus Bandbreite unterschiedlicher Präferenzen von Predigern und ihrer jeweiligen Predigtstile in der DMG bündeln. Auf der anderen Seite nutzen die salafistischen Prediger die DMG als effektive Wirkungs plattform, um ihre ideologische Strahlkraft durch Predigten, Vorträge, Infostände, mediale Aufbereitung der Vorträge und Einstellungen der Videos auf der YouTubeSeite der DMG zu erhöhen und ihr Prestige in der Szene zu steigern. Die DMG hat zudem ihre Präsenz in der Öffentlichkeit seit Anfang 2020 erheblich gesteigert. Dies tat sie vor allem durch Infostände unter dem Motto "Aufklärung über den Islam" in Braunschweig und Gifhorn. Mittlerweile genehmigt die Stadt Braunschweig auf Basis des SS 18 Abs. 1 a NStrG die Informationsstände in der Innenstadt von Braunschweig aufgrund des Extremismusbezugs nicht mehr. Das dort verteilte Material umfasste zum Teil Ansich ten, die mit einer liberalen Gesellschaft nicht vereinbar sind. So werden in den Materialen das Auspeitschen und Amputieren von Gliedmaßen als von gottgewollte festgelegte Strafen postuliert, eine Unterordnung der Frau legitimiert oder der kämpferische Jihad als Pflicht zur Verteidigung des Islams oder der muslimi schen Länder gerechtfertigt. Zudem versuchen Prediger an den Ständen mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Diese Gesprä che werden gefilmt und teilweise im Nachhinein - möglicherwei se entsprechend geschnitten - im Internet veröffentlicht. Ziel ist es, den Islam als angeblich logisch überlegen gegenüber anderen Glaubensausrichtungen darzustellen. Positionierung im Zusammenhang mit den MuhammadKarikaturen Die erneute Veröffentlichung von MuhammadKarikaturen in der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die Ermordung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty, der diese Karikaturen als Unterrichtsmaterial verwendete und den islamistischen Anschlag in Wien am 02.11.2020 instrumentalisierten mehrere Prediger in der 214 Islamismus DMG, um eine angebliche Unterdrückung der Muslime aufzuzeigen. Sie nutzen diese Ereignisse auch, um Muslime stärker an die salafis tische Szene zu binden und den Anschein zu erwecken, man könne nur innerhalb der eigenen Gruppe in einer feindlichen Mehrheits gesellschaft überleben, um so der Abspaltung der Muslime und der Bildung von Parallelgesellschaften Vorschub zu leisten. Abul Baraa distanzierte sich zwar klar von den Gewalttaten im Zu sammenhang mit der Veröffentlichung der MuhammadKarikaturen, nutzte aber gleichzeitig die Situation, um die angebliche Opferrolle der Muslime hervorzuheben. So behauptete er, dass die Medien und die Regierung die Anschläge nutzen würden, um die Muslime als Terro risten darstellen zu können. Dies würde zu neuen gesetz lichen Regelungen führen, die Muslime in Deutschland unter drücken. So sagte Abul Baraa in einem Video der DMG vom 10.11.2020: "... die meisten Muslime haben nicht so ein Gedankengut, aber das wissen auch diejenigen, die oben sitzen und die Zügel der Presse in der Hand haben. Aber für sie ist es ein gefundenes Fressen, so ein Anschlag, um uns Muslime zu diffamieren, schlecht zu machen. Das ist ein gefundenes Fressen, da brauchen wir nicht darüber zu reden. ... Und das sehen wir daran, liebe Geschwister: In Kabul gab's an diesem Tag auch einen Anschlag. Warum hat man die Sache nicht groß gemacht? Nummer eins: Hat muslimisches Blut keinen Wert? Nummer zwei: Bei dem Anschlag in Wien gab es Muslime, die den Opfern geholfen haben. Wurde das genauso groß gemacht wie die Nachricht selber? Man will nicht die Muslime in einem Licht bringen, wo man denken könnte, das sind doch nicht alle Terroristen. Das ist nicht das Ziel von manchen Leuten in der Obrigkeit, daher versuchen sie uns immer eins auszuwischen, ganz gleich wie." Auch der Prediger Abu Rumaisa distanzierte sich in einem Video der DMG vom 13.11.2020 von der Gewalttat, hob aber ebenfalls die angebliche Opferrolle der Muslime hervor: 215 Islamismus "... meint ihr, dass dieser Lehrer für Macron eine Bedeutung hat? Ich bitte euch, wie viele Menschen werden in Frankreich ermordet, wie viele Menschen werden dort misshandelt und schlecht behandelt, wie viele arme Leute gibt es dort? Meint ihr, es interessiert diesen Mann? Interessiert ihn nicht. Also warum ausgerechnet dieser Mann? Ganz einfach, weil er von einem Muslim getötet worden ist, deswegen ist es so interessant. Die Muslime, die von Islamhassern getötet werden, sind ihm egal, weil es sind ja nur Muslime. Aber warte mal, wenn ... ein Nichtmuslim ihn ermordet hätte aus irgendeinem Grund, hätte ihn auch nicht gejuckt. Aber aha warte mal, es war ein Muslim der ihn getötet hat und der dabei 'Allahu Akbar' gerufen hat. Das ist die Story, mit der wir die Muslime weiter unterdrücken können." Pierre Vogel hinterfragte in einem seiner ersten Statements nach den Gewalttaten von Wien den "Nutzen", den solche Anschläge für die muslimische Gemeinschaft haben. So sagte er in einem Video vom 03.11.2020: "... falls das ein Anschlag von Muslimen ist, ist das natürlich eine große Katastrophe, die wir momentan in dieser Situation, in der wir uns befinden absolut nicht leisten können. Wir müssen uns vorstellen, was die ganzen Aktionen jetzt in Frankreich gebracht haben, als Beispiel. Es hat dazu geführt, dass unsere Kinder zu bestimmten Sachen gezwungen werden in der Schule, worauf wir eigentlich gar keinen Bock haben. ... Wer hat einen Nutzen davon, wer hat einen Nutzen von solchen Anschlägen, das ist die Frage. ... Die einzigen Leute die davon profitieren, sind die Leute die gegen den Islam sind." Eine klare Distanzierung von Gewalt ist hier nicht zu erkennen, viel mehr stellt Vogel den "Mehrwert" der Anschläge in Frage. Die Argumentationen der Prediger in der DMG zeichnen ein Feind bild in Form einer übermächtigen "Mehrheitsgesellschaft", der Me dien, des Staates und "der Mächtigen". Diese stünden den Musli men in einem nicht zu vereinbarenden Widerspruch gegenüber. Die Feindbilder werden nur vage umrissen. Mit dieser angeblichen und nicht genau definierten Gefahr versuchen die Prediger der DMG, gezielt Ängste zu schüren und den Blickwinkel auf das gesellschaft liche Leben in Deutschland zu manipulieren. Geltende Grundrechte werden als "Waffe" dargestellt, mit der "die Mächtigen" versuchen, die Muslime vom "wahren Glauben" und von der angeblich richtigen islamischen Lebensweise abzubringen. Das Kreieren einer Opferrolle soll hierbei das Gefühl der Ausgrenzung fördern. Die Behauptung, 216 Islamismus die Muslime könnten jederzeit Opfer dieser "Mächtigen" werden, soll die salafistische Klientel als einzig mögliche gesellschaftliche Be zugsgruppe darstellen und somit Muslime aus einem integrierten Leben herauslösen. Die Behauptung, die Medien seien korrupt bzw. darauf fokussiert, Muslime zu diffamieren, führt zu einem gesteiger ten Misstrauen bis hin zur totalen Ablehnung der Berichterstattung. Dies soll die gepredigten Inhalte als einzig wahre meinungsbildende Quelle aufwerten und gewährleisten, dass sich Muslime nur noch mit bestimmten salafistisch konformen Quellen auseinandersetzen. Das gedankliche Zusammenspiel von Verschwörungstheorien einer feindlichen Übermacht, einer behaupteten Opferrolle, die Steige rung des Gefühls des AusgegrenztSeins, aber auch des Ausgren zens anderer, soll die Schaffung einer Parallelgesellschaft befeuern und zugleich innerhalb dieser dem Salafismus eine absolute Vor machtstellung einräumen. Die DMG tritt durch ihre Aktivitäten der zeit als Hauptakteur in Niedersachsen auf. DIK Hannover Ein weiterer Schwerpunkt des Salafismus in Niedersachsen liegt in Hannover mit der Moschee des "Deutschsprachigen Islamkreis e. V. Hannover" (DIK Hannover). Zu den Freitagsgebeten versammeln sich hier jede Woche im Durchschnitt 300 Personen. Bedingt durch die CoronaPandemie und die damit einhergehenden HygieneRe geln musste auch der DIK Hannover seine Organisation verändern. Um den Sicherheitsabstand zu wahren und die genehmigte Höchst anzahl an Besuchern nicht zu überschreiten, finden im DIK Han nover drei Freitagspredigten statt, für die man sich im Vorhinein anmelden muss. Ein Teil jener Predigten wird über OnlinePlattfor men live übertragen. Überdies bietet der DIK Hannover seit den coronabedingten Einschränkungen in unregelmäßigen Abständen OnlineSeminare an. Auftritte auswärtiger (Gast)Prediger waren im Jahr 2020 ebenfalls festzustellen. Bei einem der Prediger handelte es sich um den Salafisten Marcel Krass, der sich vor dem Hintergrund der CoronaPandemie von einem gelegentlichen Gast prediger zu einem regelmäßig wiederkehrenden Ausrichter eines der drei Freitagsgebete im DIK Hannover entwickelte. 217 Islamismus Obwohl die Moschee des DIK Hannover strukturelle und organisa torische Veränderungen vorgenommen hat, zeigt sich in der ideo logischen Ausrichtung der Moschee eine Kontinuität. Die Moschee vorstände und die Prediger des DIK Hannover sind in Gänze dem politischen Salafismus zuzuordnen. Eine fortdauernde inhaltliche Orientierung am salafistischen Gedankengut zeigt sich zudem durch die Ablehnung der Bid'a (Neuerung). Die handelnden Akteure des DIK Hannover, und Salafisten im Generellen, betrachten alle Ent wicklungen, die nach der islamischen Frühzeit eingesetzt haben als religiösen Irrweg, der mit der ursprünglichen und reinen Lehre des Islams im Widerspruch stehe und strikt abzulehnen sei. Diese strenge Auslegung des Islams zieht ein Personenspektrum an, das im überwiegenden Anteil dem politischen Spektrum des Sa lafismus zuzurechnen ist. Gleichwohl wird die Moschee ebenfalls von Einzelpersonen besucht, die der gewaltaffinen Strömung des jihadistischen Salafismus zuzuordnen sind. Beispielhaft sind hierfür unter anderem die Geschwister Saleh und Safia S. anzuführen, wel che 2016 in Hannover zwei voneinander unabhängige, islamistisch motivierte Anschläge verübten. Saleh S. warf am 05.02.2016 zwei MolotowCocktails vom Dach eines Einkaufszentrums in Hannover, um nach eigener Aussage so viele Menschen wie möglich zu töten. Die damals Fünfzehnjährige Safia S. stach am 26.02.2016 bei einer Personenkontrolle im Hauptbahnhof Hannover einem Beamten der Bundespolizei in den Hals und verletzte ihn schwer. Bereits zuvor hatte sie versucht, sich über die Türkei nach Syrien abzusetzen und sich dort dem "Islamischen Staat" (IS) anzuschließen. In ihrem Ra dikalisierungsprozess ist dem Geschwisterpaar Saleh und Safia S. gemein, dass sie das DIK Hannover bereits seit ihren Kindertagen regelmäßig besuchten. Safia S. trat dort sogar mehrfach mit dem überregional bekannten salafistischen Prediger Pierre Vogel auf. Nicht zuletzt ist auf eine strukturelle Verflechtung des DIK Hanno ver mit der "Föderalen Islamischen Union" (FIU) hinzuweisen. Seit Anfang des Jahres befindet sich der Organisationssitz der FIU unter derselben postalischen Anschrift wie das DIK Hannover. Weitere salafistische Strukturen in Niedersachsen Die Moschee des "Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim e. V." (DIK Hildesheim) war als Standort salafistischer Aktivitäten bekannt 218 Islamismus und galt als Anziehungspunkt im bundesweiten salafistischen und projihadistischen Spektrum. Etwa ein Drittel der niedersächsischen Ausreisefälle in das Jihadgebiet Syrien/Irak kam aus dem Umfeld des DIK Hildesheim. Neben Freitagspredigten mit 200 bis 400 Besuche rinnen und Besuchern wurden regelmäßig Islamseminare und Vor träge mit überregional tätigen salafistischen Predigern angeboten. Prägend für den DIK Hildesheim war Ahmad Abdulaziz Abdullah, alias Abu Walaa, der dem jihadistischsalafistischen Spektrum zuzu rechnen ist. Seit 2017 läuft gegen ihn und weitere mutmaßliche Un terstützer des IS das Hauptverfahren vor dem OLG Celle. Abu Walaa wird die Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereini gung IS, Terrorismusfinanzierung sowie die Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat vorgeworfen. Am 29.04.2020 wurde einer der Mitangeklagten, Ahmed Fifen Youssouf, wegen Un terstützung des IS in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der Anstiftung zu drei Fällen des Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der DIK Hildesheim wurde am 19.04.2017 vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport vereinsrechtlich verboten, weil dort Personen auf konspirative Art und Weise zielgerichtet radika lisiert und für eine Ausreise in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak für den IS rekrutiert wurden. Auch nach dem Verbot des DIK Hildesheim hält sich ein salafistisches Personenpotenzial vor Ort. Es ist eine gewisse Wanderungsbewegung von Perso nen aus dem Umfeld des ehemaligen DIK Hildesheim in andere Objekte in Niedersachsen festzustellen. Im Zuge von Ermittlungen des Generalbundesanwalts wurde am 28.07.2020 in Hildesheim ein mutmaßlicher Unterstützer des IS festgenommen und inhaftiert. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, Mitglieder des IS bei der Ausreise ins syrischirakische Kriegsgebiet finanziell, logistisch sowie materiell unterstützt zu haben. Neben den aufgeführten salafistischen Schwerpunkten haben sich weitere Moscheen etabliert, in denen die salafistische Ideologie verbreitet wird. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder 219 Islamismus die vereinzelt Veranstaltungen mit bekannten salafistischen Pre digern durchführen. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucherinnen und besucher in diesen Gemeinden ist nicht belegbar, bezogen auf einzelne Besucher je doch nicht auszuschließen. Außerdem ist, möglicherweise als Folge der sicherheitsbehördlichen Maßnahmen und der erhöhten öffent lichen Sensibilität in den letzten Jahren, ein zunehmender Rückzug der salafistischen Szene ins Private sowie eine Fragmentierung der Anlaufpunkte festzustellen. Deshalb spielen immer mehr auch lose Personenzusammenschlüsse eine Rolle, deren gemeinsamer Refe renzrahmen die salafistische Ideologie ist und die über die religi öse Betätigung hinaus Freizeitaktivitäten miteinander teilen. Auch werden den Sicherheitsbehörden häufig Einzelpersonen mit sala fistischen Bezügen bekannt, bei denen keine Anbindung an eine Moschee oder eine salafistische Gruppe festgestellt werden kann. Dies sind beispielsweise Flüchtlinge, zu denen Erkenntnisse vorlie gen, wonach sie vor ihrer Einreise nach Deutschland auf Seiten jiha distischer Gruppierungen aktiv waren. Der Salafismus ist ein überwiegend urbanes Phänomen und ist des halb vor allem in den niedersächsischen Großstädten festzustellen. Salafistische Anlaufpunkte und Aktivitäten gibt es darüber hinaus aber in ganz Niedersachsen. 4.5 Internationaler islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Her ausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit Europas und Deutschlands. Diese Gefahr realisierte sich auch 2020 weiterhin durch Anschläge und Anschlagsversuche. Die Aktivisten des is lamistischen Terrorismus sind überwiegend von der jihadistisch salafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren, dass die islamische Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA, bedroht sei. Um die von ihnen angestrebten Lebensum 220 Islamismus stände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Überlegenheit des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Terroristische Organisationen "AlQaida" "AlQaida" hat seit ihrer Gründung in den 1980erJahren durch Usama Bin Ladin das Ziel der Bekämpfung von "Ungläubigen". Ne ben unzähligen weltweit ausgeführten Anschlägen von "alQaida", gelten die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington zweifelsfrei als die verheerendsten auf die westliche Welt. Die da mit einhergehende Bekämpfung der Terrororganisation - vor allem durch die USA - führte dazu, dass "alQaida" ihre Struktur vom einheitlichen stark hierarchischen Gebilde hin zur Regionalisierung in mehrere regional verankerte terroristische Organisationen ver änderte. Die folgende Aufzählung zeigt die weltweit agierenden "alQaida"Ableger: f Die "alShabab" gilt in Afrika als eine der berüchtigtsten Terrororganisationen mit dem Ziel einen islamischen Staat zu etablieren. Die Organisation gilt seit 2012 als "alQaida"Ableger vor allem in den Ländern Somalia und Kenia. f Ein weiterer "alQaida"Ableger ist "alQaida im islamischen Maghreb" (AQM), der vor allem in den Maghreb Staaten und in der Sahel Zone aktiv ist und dort regelmäßig Anschläge verübt. f Der Ableger "alQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) ist vor allem im Jemen aktiv und konnte die prekäre Lage im 221 Islamismus f JemenKrieg für seine Etablierung im Land nutzen. Die Schlag kraft von AQAH wurde insbesondere durch den Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris am 07.01.2015107 deutlich, da sie für diesen Terroranschlag die Ver antwortung übernahm. f Mit der "Jabhat alNusra" (JaN, auch: "alNusra Front") ist "alQaida" seit 2011 in dem weltweit wohl bedeutendsten Jihadschauplatz in Syrien und im Irak vertreten. 2016 trennte sich die JaN formal von "alQaida" und nannte sich fortan "Jabhat Fatah alSham" (JFS, "Front für die Eroberung der Levante"). Im Jahre 2017 wurde der organisatorische Dachverband "Hai'at Tahrir alSham" (HTS, "Organisation zur Befreiung der Levante") gegründet, der mehrere terroristische Milizen - u. a. auch die JFS als stärkstes Mitglied - vereint. Zwar gilt HTS nach wie vor als "alQaida"nahe Organisation, löst sich jedoch zunehmend von ihr und verfolgt eine primär lokale Agenda. HTS steht dem IS feindlich gegenüber und hat ihn als bedeutendste jihadistisch ausgerichtete Gruppierung in Syrien abgelöst. f Der Ableger "alQaida im Irak" (AQI) gilt als Vorgängerorgani sation des IS. Im Jahre 2010 übernahm der spätere ISKalif Abu Bakr alBaghdadi die Führung dieser Organisation und verfolgte seine eigenen Ziele zur Etablierung eines Kalifats. 2013 sagte sich alBaghdadi mit der umbenannten Terrororganisation "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIL) von "alQaida" los und stand fortan im Konflikt zu KernalQaida und den "alQaida"Ablegern. f Außerdem unterhält "alQaida" gute Beziehungen zu Bereichen der Taliban, die seit Jahrzehnten vor allem in Afghanistan und in den umliegenden Ländern unzählige Terroranschläge verüben. Oft besteht zwischen den "alQaida"Ablegern eine intensive Ver bindung zwecks gegenseitigen Trainings oder Waffenhandels. Im Vergleich zu Beginn der 2000er Jahre geht die eigentliche Gefahr von "alQaida" inzwischen von den lokalen Ablegern aus. Diese Or ganisationen berufen sich - neben einer jeweils eigenen regionalen Agenda - auf die "alQaida"Ideologie des globalen militanten Jihad. 107 Der Hauptangeklagte wurde am 16.12.2020 in Paris zu 30 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 222 Islamismus "Islamischer Staat" (IS) Nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins im Jahr 2003 ent stand im Irak ein Machtvakuum, in dem sich der Ableger "alQaidas" im Irak unter der Führung von Abu Musab alZarqawi behaupten konnte. Nach innerorganisatorischen Differenzen übernahm Abu Bakr alBaghdadi im Jahre 2010 die Führung dieser Organisation. AlBaghdadi konnte immer mehr lokale Jihadisten für sich gewinnen und ging Allianzen mit anderen jihadistischen Organisationen ein. Infolge ihrer finanziellen und strukturellen Stärke baute die Gruppie rung ihre Macht aus und sprach sich von "alQaida" los. Aufgrund der militärischen Erfolge und einer massiven und professionellen weltweiten Propaganda strömten tausende von europäischen Frei willigen nach Syrien und in den Irak, um sich dort dem Kampf für einen islamischen Staat anzuschließen. Die Zahlen steigerten sich insbesondere, als sich die Organisation in "Islamischer Staat" umbe nannte und am 29.06.2014 das Kalifat ausrief. Mit dessen Ausrufung beanspruchte alBaghdadi, nunmehr als Kalif Ibrahim auftretend, die Oberhoheit über alle Muslime weltweit. In der darauffolgenden Zeit etablierte der sogenannte Islamische Staat (IS) in den von ihm eroberten Gebieten mit brutaler Gewalt eine Staatlichkeit nach den Flagge des IS; in Deutsch vermeintlich wahren islamischen Prinzipien. land verboten Die Ende 2014 gegründete Internationale Allianz gegen den IS konnte die Terrororganisation dahingehend bekämpfen, dass alBaghdadi Ende Februar 2017 in einer Ansprache vor Anhängern die militä rische Niederlage einräumte und die Kämpfer aufforderte, sich in unzugänglichen Bergregionen zu verschanzen. Im Laufe des Jah res 2017 verlor der IS den Großteil des bislang von ihm kontrollierten Territoriums, sodass der irakische Ministerpräsident Haider alAbadi den IS im Irak für besiegt erklärte. Die andauernde Bekämpfung des IS führte darüber hinaus dazu, dass im Rahmen einer USMilitärope ration am 26.10.2019 alBaghdadi getötet wurde. Der IS bestätigte den Tod seines Kalifen und ernannte daraufhin in einer AudioBot schaft am 31.10.2019 Abi Ibrahim alHaschimi alKuraischi zum Nachfolger alBaghdadis und schwor Rache für dessen Tod. Ferner würde man die Mission des IS weiterführen und zu weltweiten An schlägen aufrufen. ISAnhänger wurden aufgerufen, gefangene Kämpfer zu befreien und neue Anhänger zu werben. 223 Islamismus Auf den territorialen Totalverlust des Kalifats reagierte der IS mit einer Änderung seiner Operationsweise, weg vom Staatsbildungs projekt, zurück zu einer im Untergrund agierenden Terrororganisa tion. Durch den massiven militärischen Druck hat der IS zahlreiche Kämpfer und materielle Ressourcen verloren, wodurch er deutlich an Handlungsfähigkeit eingebüßt hat. Im Jahr 2020 war zu beobachten, dass sich der IS auf Basis seiner zuvor geschaffenen Untergrundstrukturen neu aufgestellt hat, was insbesondere an der wachsenden Anzahl der teils komplexen und aufwändigen Terroranschläge in Syrien und im Irak zu beobachten ist. Der IS versucht das aus dem Abzug der USTruppen entstandene Machtvakuum auszunutzen. Ergo ist in der Region von einem Wie dererstarken des IS auszugehen. Obgleich der IS in Syrien und im Irak sein Herrschaftsgebiet ver loren hat, stärkt er die Präsenz in seinen Außengebieten umso in tensiver. Der IS spricht von weltweit 20 Provinzen außerhalb von Syrien und des Irak, in denen er durch regionale Ableger vertreten sei. Oft handelt es sich hierbei um lokale bereits bestehende Terror organisationen, die sich dem IS anschließen und in seinem Namen Terroranschläge verüben. Außer mit eigenem Propagandamaterial unterstützt der IS seine lokalen Ableger mit finanziellen Mitteln, die nicht nur zur Umsetzung von Terroranschlägen dienen sollen, son dern ebenfalls zur Rekrutierung neuer Mitglieder sowie zur Behaup tung des Einflussgebietes gegenüber konkurrierenden Terroror ganisationen. ISAbleger sind unter anderem in einigen Ländern Asiens vertreten, wie in Afghanistan, Indonesien, Indien oder auf den Philippinen, aber auch in Afrika. Hier konnte sich der IS vor allem in Nordafrika, der Sahelzone, der Tschadseeregion und in Ägypten ausbreiten. In all diesen Gebieten existiert ein idealer Nährboden für den Aufstieg des IS, wie Korruption, schwache oder gescheiterte Regierungen und ethnische und religiöse Konflikte. Auch im Jahr 2020 sind weltweit zahlreiche Terroranschläge dem IS zuzuschreiben, die oft von eben diesen ISAblegern verübt wurden. Besonders betroffen von ISAnschlägen ist Afghanistan. Im Jahr 2015 rief der IS die Provinz Khorasan als regionalen Ableger für Af ghanistan und Pakistan aus und verübte dort zahlreiche Anschläge. 224 Islamismus Beispielhaft seien hier die Anschläge am 12.05.2020 auf eine Be erdigung in der afghanischen Ostprovinz Nangarhar mit 32 Toten und mindestens 133 Verletzten oder am 02.08.2020 in der afgha nischen Stadt Dschalalabad bei einem Anschlag auf ein Gefängnis mit 39 Toten und mindestens 50 Verletzten genannt. Kämpfer der Terrormiliz stürmten ein Gefängnis, in dem mehrere hundert Anhän ger des IS inhaftiert waren. Circa 1.000 Häftlinge flohen, konnten größtenteils jedoch wieder gefasst werden. Ein weiterer Schwerpunkt von ISAttentaten sind afrikanische Staa ten. Am 23.03.2020 verübte beispielsweise die ISnahe Terrororga nisation Boko Haram in der tschadischen Provinz "Region Lac" einen Anschlag auf einen Militärstützpunkt, bei dem mindestens 92 Men schen starben. Ebenso griff Boko Haram am 09.06.2020 im nigeria nischen Bundesstaat Borno ein Dorf an und tötete dabei mindestens 81 Menschen. Im Dezember 2020 verschleppte die Terrormiliz hun derte Schüler im Nordwesten Nigerias. Weitere Jihadschauplätze finden sich insbesondere in der Sahelregion, im Jemen, in Libyen, Pakistan, Indien, Indonesien, auf den Philippi nen und in Sri Lanka, wo der IS nach wie vor präsent ist und regel mäßig Anschläge verübt. Im Vergleich zu "alQaida" sucht der IS die globale Auseinander setzung und betrachtet die westlichen Länder als Hauptanschlags ziele. "AlQaida" dagegen fokussiert sich mehr auf den regionalen Kampf und versucht dabei Gebiete langfristig unter Kontrolle zu bringen. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen beider konkurrie render Terrororganisationen spiegeln sich in der Propaganda beider Terrornetzwerke wider. TerrorPropaganda Terrororganisationen nutzen ganz intensiv das Internet zur Verbrei tung ihrer jihadistischen Propaganda. Allen voran sind auch hier "alQaida" und der IS zu nennen, die unterschiedliche Formate wie Bilder, Videos, Zeitschriften, Anschlagsberichte und Interviews über soziale Netzwerke im World Wide Web verbreiten. Zur Bedeutung der OnlinePropaganda sagte bereits der "alQaida" Gründer Usama Bin Ladin: "Es ist offensichtlich, dass in diesem Jahr hundert der Medienkrieg die stärkste Waffe ist." Und tatsächlich 225 Islamismus besagen zahlreiche Studien, dass die langjährige Existenz von terro ristischen Organisationen allein aufgrund der Existenz des Internets und der damit verbundenen weltweiten Vernetzung möglich ist. Das Ziel der jihadistischen Propaganda dient oft der Verbreitung der eigenen Ideologie, Einschüchterung, Rekrutierung neuer Mitglie der und letztlich der Ausdehnung des eigenen Einflussgebietes. Für die Terrororganisationen hat das Internet als Propaganda, Rekru tierungs und Ausbildungsinstrument für Jihadisten weiterhin eine überaus wichtige Funktion. Propagandaaktivitäten im Internet wer den in internen Kreisen sogar als eine Form des Jihads anerkannt. Dabei nutzen Jihadisten die Möglichkeiten des Internets gezielt und fachkundig und reagieren auch schnell auf aktuelle Entwicklungen. Anhänger und Sympathisanten der Szene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen können, nehmen eine bedeutende Rolle im virtuellen Raum ein und leisten dadurch einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des globalen Jihads. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass in Terrororganisati onen überaus viele Ingenieure und Informatiker vertreten sind, die über eine entsprechende ITKompetenz verfügen. Es ist zu beobachten, dass jihadistische Propaganda die Radikalisie rungsprozesse beschleunigen kann und dass die Phasen der Radika lisierungsverläufe dabei immer kürzer werden. Bei den großen islamistischen Terrororganisationen, "alQaida" und IS gilt das Internet - mehr noch als Moscheen oder Gefängnisse - als wichtigste Plattform für Rekrutierung und Radikalisierung. Trotzdem hat die Propaganda der Organisationen jeweils einen eigenen in haltlichen Fokus und wird dementsprechend auch mit einer eigenen Taktik verbreitet. 226 Islamismus "AlQaida"Propaganda Mit der Regionalisierung "alQaidas" hat sich auch ihre Propaganda verändert. Bereits in den 1990er Jahren hatte "alQaida" begonnen, das Internet zur Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen. Jedoch erfolgte die Propaganda bis Ende des letzten Jahrzehnts vorwie gend auf Arabisch und in weiteren nahöstlichen Sprachen, sodass Muslime im Westen nur eingeschränkt erreicht werden konnten. Mit der Regionalisierung der Organisation und der gleichzeitigen Fort entwicklung des Internets veränderte sich dies. Die verschiedenen jihadistischen Organisationen sind dazu übergegangen, zunächst in englischer, dann auch in weiteren westlichen Sprachen für den mili tanten Jihad zu werben. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der zunehmenden Radikalisierung von Islamisten, die in autark operie renden Kleinstgruppen oder als Einzeltäter im Westen tätig werden und Anschläge durchführen sollen. Für den "alQaida"Ableger AQAH ist das Internet das wichtigste Werkzeug für ihren gewaltsamen Jihad. In den vergangenen Jahren gehörten die beiden OnlineZeitschriften "Inspire" und "alHaqiqa" zu den wichtigsten Propagandamedien der Terrororganisation für die westliche Welt. In den Jahren 2010 bis 2017 stand die englisch sprachige Internetzeitschrift "Inspire" im Fokus ihrer jihadistischen Propagandaaktivität. Inhalt dieser Zeitschrift waren - neben dem Aufruf jede erdenkliche Art von Anschlägen zu verüben - vor allem Anleitungen zum Bombenbau wie "How to make a Bomb in the Kitchen of your Mom" und Kurzanleitungen zum Erlernen grundle gender Internetfertigkeiten. Während die Herausgabe der Zeitschrift "Inspire" Ende 2017 kom plett eingestellt wurde, erschien eine neue AQAHnahe Internetzeit schrift für den englischsprachigen Raum unter dem Titel "alHaqiqa" (Die Wahrheit), die über den MessengerDienst "Telegram" verbreitet wird. Zahlreiche Kapitel widmeten sich dem Jihad im virtuellen Raum und Möglichkeiten, wie man die OnlinePropaganda erweitern und intensivieren kann. Das Ziel in nahezu jeder Ausgabe war es, die Wirk mächtigkeit des Internets für den jihadistischen Bereich zu thematisie ren und die "großartige Arbeit" der Mujahideen108 im medialen Raum darzustellen und somit vor allem neue Anhänger zu mobilisieren. 108 Der arabische Begriff "Mujahideen" (plural, singular "Mujahid") bezeichnet "islamistische Kämpfer". 227 Islamismus "KernalQaida" brachte über die eigene Medienstelle "Al Sahab Media" am 06.04.2019 zuerst nur eine neue arabisch sprachige OnlineZeitschrift mit dem Titel "One Ummah" (eine islamische Gemeinschaft) heraus. Darin ruft "alQaida" zur Einheit aller Mujahideen auf und betont die große Be deutung von "alQaida", um dieses Ziel zu erreichen. Die Zeitschrift ruft zu vermehrten Anschlägen von islamistischen Einzeltätern auf westliche Länder auf. Die erste englischspra chige Ausgabe dieser Zeitschrift wurde eigenen Angaben zufolge zum "18jährigen Jubiläum" der Anschläge auf das World Trade Center am 11.09.2019 veröffentlicht. Die zweite englischsprachige Ausgabe erschien im Juni 2020 und griff vor allem die weltweiten "Black Lives Matter" Proteste auf. "AlQaida" forderte die afroamerikanischen Bürger dazu auf, den Islam anzu nehmen und im Jihad gegen die Diskriminierung und Unterdrückung Anschläge zu verüben und als Märtyrer zu sterben. Darüber hinaus veröffentlichte "alQaida" auch im Jahr 2020 regelmäßig einmal im Quartal die arabischsprachige OnlineZeitschrift "Ibnat ulIslam" ("Töchter des Islams"), die auch mit einem englischsprachigen Teil erscheint. Diese speziell auf die Interessen von Frauen ausgerichtete Propa gandaPublikation macht deutlich, welch große Bedeutung Frauen für jihadistische Terrororganisationen haben. Den Mädchen und Frauen wird dabei die Botschaft vermittelt, dass sie im Jihad und für das Ziel der Etablierung eines isla mischen Staates eine wichtige Funktion erfüllen, indem sie heiraten, Kinder gebären und diese dann entsprechend der jihadistischen Ideologie erziehen. Ebenso veröffentlicht der "alQaida"Ableger "AlQaida im in dischen Subkontinent" seit Juni 2019 Propagandavideos, die die Scharia als gültiges Gesetz in Pakistan fordern und zu Anschlägen sowohl in Pakistan als auch Indien aufrufen. Darüber hinaus richtet sich "KernalQaida"Chef Ayman alZawahiri regelmäßig mit unterschiedlichen VideoBotschaften nicht nur an die zahlreichen "alQaida"Ableger, sondern an alle Jihadisten welt weit. Diese Botschaften werden oft mit englischem Untertitel oder einer englischsprachigen Übersetzung hinterlegt. Auch einige der "alQaida"Publikationen werden ins Englische übersetzt, um die 228 Islamismus Propaganda international zu gestalten und eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen. ISPropaganda Der Rückzug des IS im militärischen Bereich spiegelt sich auch in der offiziellen Propagandaproduktion wider. Wäh rend der IS noch im Jahr 2016 regelmäßig diverse Propa gandazeitschriften produzierte, um dadurch neue Kämpfer zu rekrutieren, ist spätestens mit dem Zerfall seines Territo riums die Propagandaproduktion massiv reduziert worden. Zu den wichtigsten Zeitschriften des IS zählen: f AlNaba: seit März 2014, f Voice of Hind: seit Februar 2020, die noch erscheinen, und weiterhin Wochenzeitung alNaba f Dabiq: letzte Ausgabe erschienen am 31.07.2016, f Konstantiniyye: letzte Ausgabe erschienen am 16.08.2016, f Dar alIslam: letzte Ausgabe erschienen am 20.08.2016, f Rumiyah: letzte Ausgabe erschienen am 09.09.2017, f Shabab alKhilafa: letzte Ausgabe erschienen Ende 2019. Während der Großteil der OnlineMagazine bereits gegen Ende des Jahres 2016 nicht mehr publiziert wurde, konnte der IS die Veröffent lichung des Jihadmagazins "Rumiyah" noch bis ins Jahr 2017 halten. Die Zeitschrift "Rumiyah" zählte zu den einflussreichsten Zeitschriften des IS. Eine der Medienorganisationen des IS, das "alHayat Media Center", veröffentlichte in den Jahren 2016 und 2017 insge samt 13 Ausgaben des OnlineMagazins in diversen Sprachen, unter anderem auch in Deutsch. Komplett eingestellt hat der IS die Produktion von Propagandazeitschriften aber nicht. Der IS veröffentlichte in unregelmäßigen Abständen die Wo chenzeitung "alNaba", in der über Anschläge berichtet und die Wirkmächtigkeit des IS propagiert wird. Bis Dezember 2020 sind bereits 268 Ausgaben der Wochenzeitung erschienen. Die monatliche englischsprachige OnlineZeitschrift "Voice of Hind" erscheint seit Februar 2020 und deckt insbesondere die Länder Indien und Pakistan ab. Neben dem Versuch, die Präsenz des IS auf dem indischen Subkontinent zu stärken, ruft die Zeitschrift zu Terroranschlägen in der Region auf. 229 Islamismus ISAnhänger werden in allen Veröffentlichungen des IS ausdrücklich dazu aufgerufen, sich mit eigenen Beiträgen zu beteiligen und bei der Gestaltung der Inhalte aktiv mitzuwirken. Die offizielle Propagandaproduktion des IS wurde im Jahr 2018 zwar massiv reduziert, trotzdem werden aber - abgesehen von den ISei genen Publikationen - jihadistische Inhalte in sozialen Netzwerken von Einzelpersonen und losgelöst vom IS verbreitet. Dies ist vor allem auf die Strategie des IS zurückzuführen, der sei nen Sympathisantinnen und Sympathisanten Rohmaterial zur Pro duktion eigener Propaganda zur Verfügung stellt, das von diesen dann entsprechend aufbereitet und verbreitet werden kann. Der Fortbestand des Kalifats, zumindest im virtuellen Raum, ist dabei das Ziel, welches die Anführer aber auch die Anhänger der jiha distischen Szene in verschiedenen sozialen Netzwerken verfolgen. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl an ISSympathisantinnen und Sympathisanten wirkt dabei aktiv mit. Dabei hat sich vor allem der MessengerDienst Telegram als für den IS geeignetes Medium für propagandistische Aktivitäten bewährt. Aber auch andere soziale Netzwerke werden von ISAktivisten als Plattformen für ihre eige nen Zwecke genutzt. Die Nutzer veröffentlichen dabei nicht nur gewaltverherrlichende Bilder, Videos und Audiodateien, sondern auch Anleitungen zum Bombenbau und klare Aufrufe zu Anschlä gen. Eine wichtige Zielsetzung ist dabei, neue Anhänger zu finden, die sich der Ideologie anschließen und diese aktiv unterstützen. Das Internet ermöglicht dabei eine weltweite Vernetzung der ISSympa thisantinnen und Sympathisanten und durch die Übersetzung der jihadistischen Inhalte in unterschiedliche Sprachen kann noch ein mal ein viel breiteres Publikum erreicht werden. Es ist zu beobachten, dass sich auch in der deutschsprachigen ISUn terstützerszene die Aktivitäten der Szene zunehmend in private und geschlossene Räume verlagern. Auch für die deutsche ISUnterstüt zerszene spielt Telegram eine wichtige Rolle. In unterschiedlichen Kanälen und Gruppen verfolgen ISSympathisanten das Fortbeste hen des IS mit dem neuen Kalifen Abi Ibrahim alHaschimi alKurai schi als ihrem Anführer. Vielfach enthält die Propaganda dabei auch Aufrufe zu Gewalttaten. Der Schwerpunkt der ISPropaganda lag grundsätzlich auf der Si tuation in Syrien und im Irak sowie dem Aufruf zur Ausreise in die 230 Islamismus Gebiete des IS. Mit dem militärischen Niedergang des IS ist die Wer bung für Ausreisen nach Syrien und Irak jedoch weniger geworden. Gleichzeitig wird vermehrt zu Anschlägen im Westen aufgerufen. Die militärische Zurückdrängung des IS in Syrien und im Irak führt also nicht zu einer Entspannung der terroristischen Gefährdungslage, vielmehr rücken die westlichen Länder stärker in den Fokus der ISPropaganda. Bereits im Mai 2016 wurde diese veränderte Aus richtung des IS an der RamadanBotschaft des damaligen ISSpre chers Abu Muhammad AlAdnani deutlich. Darin führte er aus, dass das Kalifat nicht zwingend an ein Territorium gebunden sei und betonte gleichzeitig, dass selbst kleine Anschläge im Westen eine große Bedeutung für den IS hätten. Dem folgend rief alBaghdadi in einer im Jahre 2018 veröffentlichten AudioBotschaft seine Anhänger unter anderem dazu auf, Einzeltä teranschläge weltweit durchzuführen. Von besonderer Bedeutung seien dabei insbesondere Anschläge in westlichen Ländern, da diese mehr Schaden anrichten. Abschließend wies alBaghdadi auf ein fach zu verübende Anschläge, wie Messerattacken oder Anschläge mit Fahrzeugen, hin. AlBaghdadi richtete sich am 29.04.2019 erstmals nach fünf Jahren und damit auch letztmalig vor seinem Tod109 mit einer Videobot schaft an seine Anhänger. Unter anderem nahm er Bezug auf die fortschreitenden territorialen Verluste und bezeichnete den Jihad gegen die Feinde des IS als langanhaltenden Zermürbungskrieg. Da rüber hinaus rief alBaghdadi zu weiteren Anschlägen weltweit auf. Ende Juli 2020 veröffentlichte die zentrale Medienstelle des IS, das "alHayat Media Center", erstmals nach 18 Monaten ein Propa gandavideo, in dem der IS zu weltweiten Brandanschlägen aufruft. In dem Video fordert der IS erneut, einfach durchzuführende An schläge mit möglichst leicht zu beschaffenden Hilfsmitteln zu verüben. Anschläge in Europa110 Während in den Vorjahren die Anzahl der Anschläge in Europa auf einem niedrigen Niveau blieb (2019: vier Anschläge; 2018: fünf An schläge), weist das Jahr 2020 mit insgesamt zehn Terroranschlägen 109 AlBaghdadi wurde am 26.10.2019 im Rahmen einer USMilitäroperation getötet. 110 Ohne Deutschland. Für Anschläge in Deutschland siehe Kapitel 4.6. 231 Islamismus einen deutlichen Anstieg auf. Dies zeigt, wie es Terrororganisatio nen trotz des hohen Verfolgungsdrucks gelingt, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen und ihre Handlungsfähigkeit auch im Westen zu beweisen. f Am 03.01.2020 erstach ein 22jähriger Mann nahe Paris einen Menschen und verletzte zwei weitere. Obwohl der Attentäter unter psychischen Störungen leidet, gehen die Ermittler von einem terroristischen Motiv aus. f Am 05.01.2020 bedrohte ein 30jähriger Mann in der nordost französischen Stadt Metz mit einem Messer Polizeibeamte und rief dabei Allahu Akbar111. Als der Angreifer auf die Polizisten losging, schossen sie auf den Mann und verletzten ihn dabei. Der Angreifer war u. a. wegen seiner Radikalisierung polizeibekannt. f Am 02.02.2020 verletzte ein 20jähriger Angreifer in London bei einer Messerattacke drei Menschen. Bei dem Angriff trug der Attentäter eine Sprengstoffattrappe und wurde von der Polizei erschossen. Der IS reklamierte die Tat für sich. f Am 04.04.2020 erstach ein 33jähriger Mann in der französischen Kleinstadt RamanssurIsere zwei Menschen und verletzte fünf weitere. Die Ermittler gehen von einem terroristischen Motiv aus. f Am 27.04.2020 fuhr ein 29jähriger Mann in der französischen Stadt Colombes mit einem Auto drei Polizisten an und verletzte sie 111 Der arabische Begriff "Allahu Akbar" bedeutet übersetzt "Gott ist der Größte". 232 Islamismus zum Teil schwer. Im Wagen des Angreifers fand die Polizei ein Mes ser sowie ein Schreiben, in welchem er dem IS die Treue schwor. f Am 12.09.2020 erstach ein 26jähriger in der schweizerischen Stadt Morges einen 29jährigen Portugiesen. Der Angreifer saß bereits im Jahre 2019 wegen versuchter Brandstiftung in Un tersuchungshaft. Die Ermittler gehen unter anderem von einem terroristischen Motiv aus. f Am 25.09.2020 verletzte ein 18jähriger Pakistaner in der Nähe des einstigen Sitzes der "Charlie Hebdo" Redaktion in Paris zwei Passanten mit einem Messer. Als Grund gab der Angreifer die erneuten Veröffentlichungen von MuhammadKarikaturen an. f Am 16.10.2020 enthauptete ein 18jähriger Tschetschene in einem Vorort von Paris auf offener Straße einen Geschichtslehrer, der zuvor in seiner Schulklasse MuhammadKarikaturen gezeigt hatte. f Am 29.10.2020 tötete ein 21jähriger Tunesier in Nizza drei Men schen und verletzte mehrere teils schwer. Der Täter betrat eine Kirche und tötete drei Menschen mit einem Messer. Die Polizei nahm den Täter schwerverletzt fest. f Am 02.11.2020 verübte ein 20Jähriger in Wien einen Terror anschlag, bei dem vier Menschen getötet und 23 weitere teils schwer verletzt wurden. Bei dem Amoklauf in der Innenstadt Wiens führte der Attentäter ein Sturmgewehr, eine Pistole und eine Machete mit sich und schoss wahllos auf Passanten. Der in Österreich geborene Attentäter mit nordmazedonischen Wurzeln bezeichnete sich als Mitglied des IS und versuchte im Jahr 2018 nach Syrien auszureisen, um für den IS zu kämpfen. Im Zuge des Amoklaufs wurde der Attentäter von der Polizei erschossen. Der IS bekannte sich zum Anschlag und veröffentlichte ein Bekenner video des Attentäters. f Am 24.11.2020 verletzte eine 28jährige Schweizerin im Schwei zer Kanton Tessin zwei Passantinnen mit einem Messer. Die Täterin war bereits polizeibekannt. Die Bundesanwaltschaft geht von einer islamistisch motivierten Attacke aus. Anschlagsgeschehen/ Modus Operandi Die im Jahr 2020, und auch in den Vorjahren verübten Anschläge zei gen durchgehend einen Modus Operandi, der genau den in der jiha distischen Propaganda dargestellten Methoden entspricht. Demnach 233 Islamismus sollen sich Anschläge durch eine unspezifische Opferauswahl, unter schiedliche Anschlagsorte, lose bis gar keine Kommandostrukturen und eine leichte Durchsetzbarkeit auszeichnen. Dieses Vorgehen of fenbart sich für die islamistischen Terroristen zunehmend als überaus effektive Strategie: Alle Anschläge wurden von radikalisierten Einzel personen oder Kleingruppen begangen. Dabei wurden überwiegend leicht zu beschaffende und sehr effiziente Tatwaffen, wie Messer oder Kraftfahrzeuge, eingesetzt. Dieses Vorgehen erfordert einen ge ringeren Planungsaufwand und reduziert das Risiko einer Aufdeckung der Planungen durch die Sicherheitsbehörden im Vorfeld der Tat. Terrororganisationen veröffentlichen regelmäßig Handlungsemp fehlungen für einfach durchzuführende Anschläge, die einen größt möglichen Schaden anrichten sollen. So heißt es in einer Ausgabe der ISZeitschrift "Rumiyah" zu Anschlägen mit Kraftfahrzeugen, dass am besten hierfür ein "doppelrädriger Lastwagen" geeignet sei, der ein "leicht angehobenes Fahrgestell und Stoßstangen" so wie eine "gute Beschleunigung" aufweisen sollte. Derjenige, der auf diese Weise einen Anschlag durchführen wolle, könne einen ent sprechenden Lkw kaufen, mieten oder ihn sich "mit Gewalt oder Täuschung" von einem "Kafir" (=Ungläubiger) beschaffen. Ebenso gibt es Anweisungen zu Angriffen mit Hieb und Stichwaffen. Dazu veröffentlichte der IS beispielsweise Videos, in denen die Auswahl der richtigen Stichwaffe und der Einsatz von Messern in den un terschiedlichen Körperregionen erklärt wird, um den angegriffenen Personen den größtmöglichen Schaden zuzufügen. 234 Islamismus Diese Vorgehensweise von Einzeltätern oder Kleingruppen ist u. a. auf den bereits im Jahr 2012 im alQaidaPropagandamagazin "Inspire" veröffentlichten Aufruf des Jihadtheoretikers Abu Mus'ab alSuri, der den individuellen Jihad in den westlichen Ländern als eine der wichtigsten Strategien ansieht, zurückzuführen: "Das Fundament der operativen Aktivität ist, dass der Mujahid den individuellen Jihad in dem Land praktiziert, in dem er lebt, so dass er den Aufwand einer Reise in das Gebiet, wo der Jihad direkt praktiziert wird, nicht auf sich nehmen muss." (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) "Ideale Ziele" seien nach Meinung von alSuri: "1. Große Veranstaltungen im Freien, Kongresse, Feiern und Paraden 2. Überfüllte Fußgängerzonen (Hauptstraßen) 3. Märkte im Freien 4. Kundgebungen im Freien". (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) Täterprofile Anhand der Anschläge der letzten Jahre lassen sich drei spezifische Profile von islamistischen Attentätern erkennen: f Homegrownterrorism (einheimischer Terrorismus): Dieser Tätertyp ist im Land des Anschlagsziels aufgewachsen und gilt als in der Gesellschaft integrierte Person. Bei diesem Täter profil kann es sich sowohl um dort aufgewachsene Einwanderer, als auch um Konvertiten handeln. f Einsamer Wolf (lone wolf terrorism): Dieser Tätertyp bezeichnet eine Einzelperson, die sich selbst - vor allem über das Internet - radikalisiert und selbstständig einen möglichen Anschlag plant, vorbereitet und durchführt. Ferner vermeidet dieser umfangreichen Kontakt zu Gleichgesinnten. Da die Kommunikation dieses Tätertyps eng begrenzt ist, sind "einsame Wölfe" im Vorfeld schwer zu erkennen. f Personen mit Kampferfahrung aus Jihadgebieten: Bei diesem Tätertyp handelt es sich um Personen, die bereits eine Ausbildung durch eine jihadistische Terrororganisation erhalten haben und nun als Flüchtling oder Jihadrückkehrer im 235 Islamismus Westen leben. Entweder verfolgen sie eine langfristige Agenda oder externe Einflüsse veranlassen sie kurzfristig, ihr erworbe nes Wissen im Sinne einer jihadistischen Organisation für einen Anschlag anzuwenden. 4.6 Islamistischer Terrorismus in Deutschland und Niedersachsen Der Islamische Staat ist trotz seiner territorialen Zurückdrängung weiterhin bemüht, seine Handlungsfähigkeit zu beweisen und welt weit Anschläge zu verüben. Über seine Propagandaaktivitäten ruft er seine Anhänger dazu auf, für den Jihad nicht mehr nach Syrien/ in den Irak auszureisen, sondern stattdessen Anschläge in den je weiligen Heimatländern durchzuführen. Dabei stellt der IS in sei ner Propaganda mehrfach klar, dass Deutschland als Angriffsziel betrachtet wird. Eine konkrete Gefahr für Deutschland geht neben Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus den Jihadgebieten auch von einer quantitativ nur schwer eingrenzbaren Zahl an Personen aus, die sich im Inland radikalisiert haben. Diese können auch eine Flüchtlings eigenschaft aufweisen. Der IS nimmt hinsichtlich der Gefährdungssituation für Deutschland zwar eine übergeordnete Rolle ein, jedoch erklären auch weitere Terrororganisationen, wie "alQaida" und ihre regionalen Ableger, die Bundesrepublik als auserkorenes Ziel von Anschlägen. Folglich steht die Bundesrepublik Deutschland weiterhin im Fokus islamistischer Terroristen, sodass eine ernstzunehmende Bedro hungslage auch für Niedersachsen vorliegt. Die jüngsten Anschläge in Deutschland und Europa haben deutlich gemacht, dass jederzeit mit einem islamistisch motivierten Terroranschlag zu rechnen ist. Islamistischterroristische Szene in Deutschland Die islamistischterroristische Szene in Deutschland spiegelt die He terogenität der globalen jihadistischen Bewegung wider. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistischterroris tischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Klein gruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische 236 Islamismus Organisation angebunden sind. Gerade die unabhängigen Gruppen und Einzelpersonen agieren in der Regel im Sinne der von internati onalen Organisationen wie "alQaida" oder dem IS vorgegebenen Leitlinien, was sich nicht zuletzt auf deren massive Internetpropa ganda für einen individuellen militanten Jihad im Westen zurück führen lässt. Die seit Jahren bestehende Drohkulisse islamistischer Terrororga nisationen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und das Vorliegen entsprechender Gefährdungshinweise lassen sich auch quantitativ festmachen. Zum Ende des Jahres 2020 liegt das durch die deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistischterro ristische Personenpotenzial bei rund 2.040 Personen. Dabei han delt es sich sowohl um den polizeilich definierten Personenkreis der "Gefährder" und "Relevanten Personen", als auch um die durch die Verfassungsschutzbehörden darüber hinaus als gewaltbereit einge schätzten Personen. Beispiele für die weiterhin hohe Gefährdungslage des islamistischen Terrorismus sind die im Folgenden genannten durchgeführten An schläge, vereitelten Tatausführungen und Verurteilungen. Anschläge in Deutschland Insbesondere im Jahr 2016 realisierten sich die Propagandaaufrufe in mehreren islamistischen Terroranschlägen in Deutschland, die in den meisten Fällen einen Bezug zum IS hatten. Dazu zählt das Messerat tentat auf einen Bundespolizisten am 26.02.2016 im Hauptbahnhof Hannover, der Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Religions gemeinschaft der Sikhs in Essen am 16.04.2016, die am 18.07.2016 ausgeführte Beilattacke in einem Regionalzug bei Würzburg und der Sprengstoffanschlag von Ansbach am 24.07.2016. Der bislang blutigste Anschlag aus einer islamistischen Motivation heraus in Deutschland wurde am 19.12.2016 in Berlin verübt. Dabei brachte sich der seit dem Jahr 2015 in Deutschland aufhaltende Tu nesier Anis Amri in den Besitz eines schweren Lkw, indem er dessen Fahrer ermordete. Gegen 20 Uhr steuerte Amri den Sattelzug in die Einfahrt des Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche und fuhr von dort etwa 80 Meter über den Markt durch die Besuchermenge. Dabei starben elf Besucher des Weihnachtsmarktes, über 50 wurden verletzt, einige davon schwer. Amri konnte fliehen, wurde jedoch 237 Islamismus bei einer Routinekontrolle in Norditalien durch italienische Polizisten erschossen, nachdem er auf diese das Feuer eröffnet hatte. Während in den vergangenen zwei Jahren kein islamistischer Terroranschlag in Deutschland verübt wurde, waren im Jahr 2020 vier Anschläge zu verzeichnen: f In den Monaten April und Mai 2020 soll ein 25jähriger Mann in Waldkraiburg (Bayern) mehrere Steinwurfattacken und Brandan schläge auf Läden türkischstämmiger Inhaber verübt haben. Am 08.05.2020 nahm die Bundespolizei den Attentäter auf einem Bahnhof zufällig fest, weil er "schwarzgefahren" war. In der Tasche des Verdächtigen wurden zehn funktionsfähige Rohrbomben gefunden. Im Zuge weiterer Durchsuchungen wurden in seinem Auto weitere 13 funktionsfähige Rohrbomben und in seiner Wohnung neben weiteren Materialien zum Bau von Sprengsät zen auch eine Pistole gefunden. Der Attentäter bezeichnete sich selbst als ISAnhänger. f Am 18.08.2020 rammte ein 30jähriger Iraker in Berlin mit seinem Auto zwei Motorräder und ein Auto. Dabei verletzte er sechs Menschen, drei von ihnen schwer. Anschließend drohte er der Polizei, gefährliche Gegenstände in einer von ihm zuvor auf das Autodach gestellten Metallkiste explodieren zu lassen. Der Inhalt der Kiste stellte sich später als ungefährlich heraus. Die Ermittler stufen den Angriff trotz der psychischen Störungen des Attentäters als islamistisch motivierten Anschlag ein. f Am 13.09.2020 verletzte ein 21Jähriger in Stolberg einen Mann mit einem Messer und rief dabei "Allahu Akbar". Der Angreifer riss die Autotür des Opfers auf und verletzte ihn schwer. Der Ver dächtige soll bereits einige Monate zuvor einen Bekannten mit einem Messer angegriffen haben. Die Ermittler gehen von einem islamistisch motivierten Anschlag aus. f Am 04.10.2020 tötete ein 20jähriger Syrer in der Dresdner Innenstadt einen Mann mit einem Messer und verletzte einen weiteren schwer. Der Angreifer war bereits als ISSympathisant bekannt und war u. a. wegen der Anleitung zur Begehung einer staatsgefährdenden Gewalttat zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Ende September 2020 wurde er aus der Haft entlassen. 238 Islamismus Die Anschläge in Deutschland zeigen die anhaltend hohe Gefahr von islamistischen Terroranschlägen auf und spiegeln die Strate gie und Propagandabemühungen von Terrororganisationen wider, möglichst einfach durchzuführende Anschläge durch Einzeltäter oder Kleingruppen zu verüben. Vereitelte Anschläge Auch im Jahr 2020 wurden Anschlagsplanungen tatgeneigter Is lamisten frühzeitig aufgedeckt oder in einem konkreten Vorberei tungsstadium vereitelt: f Am 14.01.2020 durchsuchte die Polizei zeitgleich in Berlin, Brandenburg, NordrheinWestfalen und Thüringen Objekte mutmaßlicher Islamisten. Die Razzien richteten sich gegen vier Verdächtige tschetschenischer Abstammung, die laut Ermittlern im Verdacht standen, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten. Die Verdächtigen sollen eine Synagoge in Berlin und mehrere Einkaufszentren als mögliche Anschlagsziele ausge kundschaftet haben. f Am 15.04.2020 konnte in NordrheinWestfalen eine ISTerror zelle ausgehoben werden. Alle fünf Verdächtigen tadschikischer Abstammung sollen Anhänger des IS sein und in Deutschland mehrere Terroranschläge geplant haben. Als mögliche Ziele soll die Gruppe zwei USLuftwaffenstützpunkte ausgespäht und einen Mordanschlag auf einen Islamkritiker geplant haben. Die Verdächtigen hatten bereits scharfe Schusswaffen, Munition und BombenbauAnleitungen beschafft. Am 06.11.2020 wurde im Rahmen der AntiTerror Bekämpfung ein Islamist im Landkreis Lüneburg aufgrund von Hinweisen auf mögliche geplante schwere Straftaten festgenommen. Demnach soll der Islamist Angriffe auf Polizeidienststellen geplant haben. Er wurde in Langzeitge wahrsam genommen und konnte bereits einige Tage nach seiner Verhaftung in sein Herkunftsland abgeschoben werden. Verurteilungen wegen Mitgliederwerbung oder Mitgliedschaft in ausländischen terroristischen Vereinigungen In Niedersachsen verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Celle im Jahr 2020 drei Personen wegen Mitgliederwerbung für den IS. Da rüber hinaus gibt es einige Verfahren gegen Personen, denen u. a. 239 Islamismus der Vorwurf der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung IS gemacht wird: f Am 13.03.2020 hat das OLG Celle einen 33jährigen Syrer u. a. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte nahm im syrischen Bürgerkrieg an Kampfhandlungen gegen das Assad Regime teil und leistete bewaffnete Patrouillendienste. f Am 29.04.2020 hat das OLG Celle den Mitangeklagten Ahmed F.Y. im "Abu WalaaProzess" wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Anstiftung zum Betrug in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte soll u. a. den Islamischen Staat - teilweise als Mitglied - in einem überregionalen salafistischjihadistischen Netzwerk unterstützt haben und insbesondere junge Männer im Sinne der ISIdeologie radikalisiert und zur Ausreise nach Syrien bewegt haben. Darüber hinaus war der Angeklagte eng in der Organisationsstruktur des inzwischen verbotenen DIK Hildesheim eingebunden und ein wichtiger Vertrauter Abu Walaas. f Am 20.08.2020 verurteilte das OLG Celle die Angeklagte Lorin I. u. a. wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung IS und wegen Besitzes von Kriegswaffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Die Angeklagte hatte sich im Jahr 2014 dem IS angeschlossen und ihren Ehemann bei seinen Aktivitäten für den IS unterstützt. Darüber hinaus versuchte sie, u. a. ihre minder jährige Schwester zur Reise nach Syrien zu bewegen. f Der Prozess des im Jahre 2016 festgenommenen Imams des DIK Hildesheim Abu Walaa wurde im Jahre 2020 fortgeführt. Abu Walaa galt in der Zeit von 2014 bis 2017 als hochrangiger Ver antwortlicher des IS in Deutschland und soll gezielt Personen für den IS geworben haben. Demnach hat das OLG Celle im Septem ber 2017 das Hauptverfahren gegen Abu Walaa gemäß SS 129a, b (Bildung einer terroristischen Vereinigung, auch im Ausland), SS 89c (Terrorismusfinanzierung) sowie SS 89a StGB (Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat) eröffnet. 240 Islamismus f Auch der vor dem OLG München im April 2019 begonnene Pro zess gegen eine deutsche ISRückkehrerin wurde im Jahre 2020 fortgeführt. Der aus Oldenburg stammenden Jennifer W. wird vorgeworfen, Mitglied in der ausländischen terroristischen Ver einigung IS gewesen zu sein und Kriegsverbrechen begangen zu haben. Sie soll u. a. ein fünfjähriges Mädchen verdursten lassen haben, welches sie mit ihrem Mann als Sklavin hielt. Auswirkungen des Syrienkonflikts auf Deutschland Ausreisen aus Deutschland Die Auseinandersetzung in Syrien und im Irak betreffen auch die Bundesrepublik Deutschland direkt. Mit Stand November 2020 lie gen Erkenntnisse zu mehr als 1.070 deutschen Islamistinnen und Islamisten bzw. Islamistinnen und Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind. Zu etwa der Hälfte dieser Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS, der alQaida oder denen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teil nehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsäch lichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Einzelne Ausreisesachverhalte werden unverändert erst nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in Richtung Syrien/Irak werden aktuell nur noch sehr vereinzelt registriert. Etwa ein Viertel der betreffenden Personen ist weiblich. Der über wiegende Teil der Ausgereisten war zu diesem Zeitpunkt jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 100 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hier für eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unver ändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu mehr 241 Islamismus als 260 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Im Zusammenhang mit den Gebietsverlusten des IS liegen Erkennt nisse zu Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die aktuell aus Syrien oder dem Irak ausreisen möchten und/oder die sich ak tuell in Syrien oder im Irak in Haft befinden. Zur Mehrheit der Per sonen liegen Erkenntnisse vor, wonach sie beabsichtigen u. a. nach Deutschland zurückzukehren. Ausreisen aus Niedersachsen Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien sind 85 Personen aus Nieder sachsen in das Krisengebiet ausgereist. Nicht in allen Fällen liegen gesicherte Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten oder aufgehalten haben. Zu Personen im niedrigen zweistelligen Bereich liegen Erkenntnisse vor, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in Aus bildungslagern aufgehalten haben. Weitere Personen sind aus un terschiedlichen Gründen nicht bis nach Syrien gelangt. Von den aus Niedersachsen stammenden Ausgereisten sind vermut lich 24 in Syrien oder dem Irak zu Tode gekommen. In keinem dieser Fälle liegt für Niedersachsen jedoch eine behördliche Bestätigung eines Todes vor. 39112 der ausgereisten Islamisten (darunter neun Frauen) aus Niedersachsen sind zwischenzeitlich zurückgekehrt. Weiterhin sind bereits 22 Minderjährige (davon allein 16 im Alter von 0 bis 6 Jahren) mit ihren Eltern/einem Elternteil oder anderen Verwandten zurückgekehrt. Zu sechs der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hier für eine Ausbildung absolviert haben. Präzise Angaben zu der zu erwartenden Rückkehr von Minderjährigen können nicht gemacht werden, da keine belastbare Zahl über die im Kampfgebiet gebore nen Kinder vorliegt. Folglich ist von einer Dunkelziffer insbesondere bei den jüngeren Minderjährigen auszugehen. 112 Abweichende statistische Erfassung zu 2019 aufgrund eines Wohnungswechsels in ein anderes Bundesland. 242 Islamismus Auswertung von potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrern Die in die Jihadgebiete ausgereisten und somit potenziellen Rück kehrerinnen und Rückkehrer rücken zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Personen eine militärische Ausbildung erhalten haben, hochgradig radikali siert wurden oder an Kampfhandlungen teilgenommen haben und daher mit einem konkreten Ziel nach Deutschland zurück entsandt wurden. Auch wenn die "Rückkehrerwelle" bislang ausgeblieben ist, stellt jeder einzelne Rückkehrende ein Sicherheitsrisiko dar. Grund sätzlich ist bei jeder Person von einem erhöhten Gefahrenpotenzial auszugehen. Da eine flächendeckende Überwachung nicht möglich ist, wird anhand einer Einzelfallprüfung ein individuelles Maßnah menkonzept in Zusammenarbeit mit allen handelnden Akteuren im Bereich der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr realisiert. Aufgrund einer geänderten Rechtsprechung geht der Generalbun desanwalt (GBA) weiterhin auch gegen Frauen, die sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt haben, vor. Der Straftatbestand der Mit gliedschaft in einer terroristischen Organisation gilt durch eine akti ve Förderungshandlung, wie die Wahrnehmung häuslicher Pflichten oder der Kindererziehung im Sinne des IS, als erfüllt. Potenzielle Rückkehrende in kurdischer Haft Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS befindet sich der überwiegende Teil der potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrer nach wie vor in kurdischer Haft oder in "offenen Lagern". Es gibt immer wieder Meldungen über Aufstände in kurdischen Gefängnis sen, die durch die ISGefangenen zur Flucht genutzt werden sollen. Für in Syrien oder dem Irak festgenommene und dort in Haft sitzen de Islamistinnen und Islamisten mit deutscher Staatsangehörigkeit ist grundsätzlich das Auswärtige Amt gemäß SS 7 Konsulargesetz (Hilfe für Gefangene) zuständig. In Fällen des Vorliegens eines straf rechtlichen Anfangsverdachts gemäß SS 129a, b StGB ergibt sich auf Bundesebene eine Zuständigkeit des GBA. Aufgrund der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern werden gegen Rückkehrende sofort ent sprechende Strafverfahren eingeleitet und diese - sofern rechtlich möglich - inhaftiert. Darüber hinaus leiten die Sicherheitsbehörden alle weiteren erforderlichen gefahrenabwehrenden und strafverfol 243 Islamismus genden Maßnahmen ein. Die Sicherheit unserer Gesellschaft insge samt steht dabei im Vordergrund. Die Auswirkung der aktuellen Entwicklung im TürkeiSyrienKonflikt ist derzeit noch unklar und bedarf einer ständigen Beobachtung durch die deutschen Sicherheitsbehörden. Zudem wäre denkbar, dass der mit den Maßnahmen gegen die CoronaPandemie verbun dene Rückgang der Aktivitäten der westlichen AntiISKoalition zum Wiedererstarken des IS in Syrien und Irak führen könnte. 4.7 Muslimbruderschaft Mitglieder/Anhänger: Bund: Niedersachsen: 170 Publikationen: Risalat ulIkhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Kurzportrait/Ziele: Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islam" bezeichnete "Muslimbruderschaft" (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Die MB ist nach eigenen Angaben in über 70 Ländern präsent, in Deutschland u. a. durch die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD), die sich 2018 in "Deut sche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt hat. Der MB zugerechnete Gruppen haben sich in der Vergangenheit auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der 1990er Jahre beteiligt. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zwei gen der "Muslimbruderschaft" (MB) ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia113 als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Be strebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 113 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 244 Islamismus Ursprung und Entwicklungen Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan alBanna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Für den Gründer alBanna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft ver deutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar asSadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittle ren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische Gruppen beeinflusste. Nach eigenen An gaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamisti scher Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wir ken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist wei terhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Früh lings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Nach nur einjähriger Präsident schaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit re agierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Die massiven Proteste von Anhängern der MB gegen die Absetzung Mursis wurden vom Mili tär niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regie 245 Islamismus rung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Ober haupt fungiert der sogenannte Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Ge folgschaft verpflichtet. Der derzeitige Murschid Amm, Muhammad Badie, wurde nach dem Sturz Mursis inhaftiert und zum Tode verur teilt, aber bislang nicht hingerichtet. Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen Bereits Yusuf alQaradawi, ein weiterer einflussreicher Vordenker der weltweit agierenden Muslimbruderschaft, bemerkte, "der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf" und formu lierte damit das Ziel seiner Bewegung: Eine friedliche Eroberung durch Mission und gezieltes Engagement, eine "Islamisierung von unten". Dabei setzt die MB auf eine Durchdringung der Gesellschaft durch eine geschulte muslimische Elite, die einerseits als Vertreter der Muslime und ihrer Interessenlagen vor Staat und Gesellschaft fungiert, andererseits über erhebliche Einflussmöglichkeiten ver fügt, was sie zudem zu augenscheinlich souveränen Ansprechpart nern in Belangen der politischen Bildung, der Integration oder an deren gesamtgesellschaftlichen Frage und Problemstellungen für Kommunen, Land und die Politik im Allgemeinen macht. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele und bei der Verbreitung ihrer In terpretation des Islams dienen verschiedene sogenannte islamische Zentren als organisatorische Stützpunkte. Gewalttätige Aktivitäten der MB in Deutschland wurden bisher nicht festgestellt. Die wichtigste Organisation in Deutschland, die das Gedankengut der MB vermittelt, ist die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), die sich vor der Umbenennung im Jahr 2018 als "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) bezeichnete. Die DMG ver wendet nach eigenen Angaben den neuen Namen, um eine stärkere Verbundenheit zu Deutschland zu zeigen. Im Jahr 2019 verlegte die DMG ihren Vereinssitz von Köln nach Berlin. Neben diesem Haupt sitz betreibt die DMG mehrere sogenannte islamische Zentren. Ein islamisches Zentrum ist der Verein "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e. V." in Braunschweig. 246 Islamismus Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt die MB ihren Einfluss auf Moscheen in Niedersachsen in Braunschweig, Göt tingen, Hannover, Osnabrück und Wolfsburg aus. Durch ihr Lehran gebot, wie z. B. Korankurse und Sira114 Schulungen in Moscheen, verbreitet die MB ihre Ideologie. Im Zuge der Beschränkungen aufgrund der CoronaPandemie setzte der Verein "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e. V." im Jahr 2020 auf regelmäßig online stattfindende Seminare jeweils für weibliche und männliche Gemeindemitglieder getrennt. Insgesamt ist eine Zunahme des Einflusses dieser Dachorganisation auf die Gesellschaft festzustellen. Dies liegt u. a. an den beachtli chen überregionalen Aktivitäten sowie der starken Medienpräsenz der DMG, deren Vertreter gesellschaftlich wichtige Positionen an streben oder gar innehaben und deshalb häufig gut vernetzt sind. Oft sind es Verantwortliche in Verbänden, Vereinen und Institutio nen, die die Ideologie der MB in die Gesellschaft transportieren Auch die Ableger der MB aus anderen islamischen Staaten, in deren politischen Systemen ihnen eine besondere Rolle zuteil wird, sind teilweise in Deutschland und Niedersachsen aktiv. Zu nennen ist hier die tunesische "EnNahda"Partei, von der einige Mitglieder in Nie dersachsen wohnhaft sind. Bei der auf der EUTerrorliste geführten "HAMAS" ("Islamische Wi derstandsbewegung"), handelt es sich um den palästinensischen Zweig der MB. Seit 2006 kontrolliert die "HAMAS" den Gazastrei fen und führt dort ein Regime, das die Rechte von Frauen und Min derheiten beschneidet und hart gegen gewaltfrei agierende Oppo sitionelle vorgeht. In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre des palästinensischen Arms der MB ansässig. Die grundsätzliche Zielsetzung der "HAMAS" ist die Errichtung ei nes islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas und damit die Vernichtung des Staates Israel. In ihrer Charta führt die "HAMAS" aus, dass es eine Pflicht für alle Muslime ist, den Jihad als bewaffneten Kampf gegen Israel zu betreiben und bedient dabei auch antisemitische Verschwörungstheorien. Immer wieder äußern 114 Der arabische Begriff "Sira" bezeichnet die "Biografie des Propheten Muhammad". 247 Islamismus sich Anhängerinnen und Anhänger auch in Deutschland islamfeind lich und antisemitisch unter Bezugnahme auf die islamistische Ideo logie. 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemein schaft der Missionierung und Verkündung) Sitz/Verbreitung Weltzentrum in Lahore (Pakistan); europäisches Zentrum in Dews bury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung/ 1926 in BritischIndien Bestehen seit Mitglieder/Anhänger: Bund: Niedersachsen: 50 Kurzportrait/Ziele: Die "Tablighi Jama'at" (TJ, "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde im letzten Jahrhundert als Missions bewegung gegründet. Langfristiges Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Regimes. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Aus grenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmusli men umfasst. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrich tungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Charakteristisch für diese Gruppierung sind mehrtägige Missionsreisen (Jama'ats). Primäres Ziel dieser Bemühungen sind Muslime, denen man ein falsches Islamverständnis vorwirft. In Deutschland befindliche Moscheen der TJ sind an deren globales Netzwerk angeschlossen und stehen im Austausch mit dem europäischen Zentrum in Dewsbury und dem Weltzentrum in Lahore. 248 Islamismus Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegen über Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallel gesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungs prozesse begünstigen. Durch die Propagierung der Scharia115 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propa gierten sogenannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indopakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreini gungen.116 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger welt weit zu den bedeutendsten islamistischen Bewegungen. Ihre An hänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, son dern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, wird dies von Sicherheitsbehörden anders bewertet. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts und damit in letz ter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, sodass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an staatlichen Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. 115 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 116 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt. Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnis sen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 249 Islamismus Aktivitäten von TJAnhängern in Deutschland und Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen in der Regel in Gruppen, in sogenannten Jama'ats, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beach tung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missi onarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Sub kontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Dias pora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der Masjid El UmmahMoschee im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die nieder sächsischen TJAnhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundes und europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungs zentren der TJ in Pakistan und Indien bestimmt. Nicht aus Niedersachsen stammende TJAnhänger sind aufgrund der missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen festzustellen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. 4.9 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Sitz/Verbreitung Vereinsstrukturen sind verboten, ehemaliger Sitz in Köln Gründung/ 1984 Bestehen seit Struktur/ In Deutschland bestehen aktuell keine formellen Strukturen des Repräsentanz "Kalifatsstaats", da die Vereinigung am 12.12.2001 wegen Versto ßes gegen die verfassungsgemäße Ordnung und den Gedanken 250 Islamismus der Völkerverständigung sowie Gefährdung der inneren Sicherheit in Deutschland durch den Bundesminister des Innern verboten wurde. Nach wie vor gibt es jedoch auf informeller Ebene noch mehrere, teilweise vereinsähnlich strukturierte Gemeinden, die sich der Ideologie des "Kalifatsstaats" verpflichtet fühlen. Mitglieder/Anhänger/ Bund: Niedersachsen: 100 Unterstützer Veröffentlichungen Auf den vom Verein betriebenen Internetseiten werden verschie dene Publikationen wie Kalender, Bücher und digitale Produkte angeboten. Kurzportrait/Ziele: Ziel des "Kalifatsstaats" ist es, einen revolutionärislamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen. Es wird die Erlangung der Weltherrschaft des Islams mit der Gründung eines Kalifates unter Anführung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmäßigen" Nachfolgers, unter Einführung der Scharia angestrebt. Auch in Niedersachsen vertreten einzelne Gemeinden nach wie vor diese Ideologie. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Am 12.12.2001 wurden die Organisation "Kalifatsstaat" und wei tere Teilorganisationen durch den Bundesminister des Innern ver boten. Gründe hierfür waren Äußerungen des "Kalifatsstaats", wonach dieser die Demokratie für mit dem Islam unvereinbar und für verderblich hält. Weiterhin beansprucht der "Kalifatsstaat" im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen eine eigene Staats gewalt und verfolgt seine Ziele in kämpferischaggressiver Weise. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das eine Klage gegen das Verbot abgewiesen hat, stellte insbesondere die Propa gierung gewaltsamer Mittel eine Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Äußerungen der Anhän gerschaft waren hetzerisch und von Aufrufen zur gewaltsamen Aus einandersetzung mit dem politischen Gegner geprägt. Bei einem Teil der verbliebenen Anhänger des "Kalifatsstaats" handelt es sich auch aktuell um einen Personenzusammenschluss, dessen Ziel die Weltherrschaft des Islams unter dem Kalifat (s)eines Anführers (Metin Kaplan) ist. Unter anderem wird das Recht des 251 Islamismus Volkes, die Staatsgewalt durch Abstimmung zu wählen sowie das Recht auf Bildung einer parlamentarischen Opposition durch diese Weltanschauung beschnitten. Damit verfolgt der "Kalifatsstaat" Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundord nung und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Der "Kalifatsstaat" ging 1994 aus dem Verband der islamischen Ver eine und Gemeinden e. V. Köln (ICCB) hervor. Diesen Verein hatte der als "Khomeini von Köln" bekannt gewordene Cemaleddin Kaplan 1984 gegründet. Nachdem sich Cemaleddin Kaplan 1994 zum Kalifen der Muslime erklärt hatte, nannte sich der ICCB fortan "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti). Das Ziel des 1995 verstorbenen Cemaleddin Ka plan, einen revolutionärislamistischen Umsturz in der Türkei her beizuführen, behielt auch sein Sohn und Nachfolger Metin Kaplan bei. Die Weltherrschaft des Islams mit Gründung eines Kalifates unter Anführung des Kalifen Metin Kaplan oder seines "rechtmä ßigen" Nachfolgers, unter Einführung der Scharia, ist das Ziel der Anhängerschaft. Nach dem Verbot der Organisation im Dezember 2001 gab es inten sive juristische Auseinandersetzungen um den Verbleib von Metin Kaplan in Deutschland. Im Oktober 2004 wurde er schließlich in die Türkei abgeschoben, wo eine lebenslange Haftstrafe gegen ihn verhängt wurde. Im November 2016 wurde Kaplan überraschend vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt seitdem weiterhin in der Türkei. Das Verbot führte in Niedersachsen zu einer Schwächung der Or ganisation. Allein der Verlust der Vereinsräumlichkeiten stellte zeit weise ein erhebliches logistisches Problem dar. Teilweise trafen sich ehemalige Mitglieder des "Kalifatsstaats" und ihre Familien, über wiegend zu den Freitagsgebeten, in Privatwohnungen bzw. neu 252 Islamismus angemieteten Unterkünften. Insgesamt ließ sich über Jahre eine Zurückhaltung der Anhänger des "Kalifatsstaats" feststellen, was insbesondere auf polizeiliche Kontrollen und Maßnahmen sowie die Angst, möglicherweise selbst abgeschoben zu werden, zurückzu führen war. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Teile der Anhängerschaft sind trotz des Verbots des "Kalifatsstaats" weiterhin aktiv. Insbesondere die jüngere Anhängerschaft fällt durch kontinuierliche Betriebsamkeit auf und sucht, bereits mit einer radika len Ideologie vertraut, auch nach moderneren Ausdrucksformen. In Niedersachsen sind Strukturen des "Kalifatsstaats" in den Bereichen Osnabrück, Göttingen, und Salzgitter festzustellen. Besonders per sonelle Vernetzungen über Ländergrenzen hinaus können in jüngster Zeit vermehrt beobachtet werden. Ideologisch zeigen sich die Kali fatsstaatsstrukturen nach wie vor nicht deutlich nach außen und sind deshalb kaum wahrnehmbar. Metin Kaplan hat trotz seiner Haftent lassung im Jahr 2016 den Einfluss in Deutschland fast gänzlich verlo ren. Allerdings lassen sich weiterhin Schnittmengen zur salafistischen Ideologie und teilweise Abwanderungsbewegungen jüngerer Anhän gerinnen und Anhänger in den Bereich des Salafismus auch in Nie dersachsen beobachten. Die niedersächsische Kalifatsstaatsszene ist zurückliegend sowohl durch die Anwendung und Vorbereitung von Gewalt, als auch aufgrund einer hohen ideologischen Ausstrahlung durch die Ausrichtung von Veranstaltungen und ihrer Internetpräsenz aufgefallen. Ihre Außendarstellung übernehmen sie über die Organi sation "Im Auftrag des Islam", hinter der zwar reale Protagonisten ste hen, deren Botschaften aber in erster Linie online verbreitet werden. Auf den einschlägigen Internetseiten werden Gründung, Werdegang und Grundprinzipien der Organisation erklärt. So könne man die Mis sionsarbeit von "Im Auftrag des Islam" unter den drei Hauptpunkten "Vermittlung des Tauhid, der Sunna und des Kalifats" zusammenfas sen, die allesamt auf dem "prophetischen Weg" basieren würden: "Ein Leben im Auftrag des Islam zu leben ist der Sinn unserer Erschaffung." Die Errichtung eines Kalifats - als einzig gültiges Rechtssystem - und die Einführung der Scharia werden als selbsternannte Ziele aufgelistet. Im April 2020 riefen Anhänger des Kalifatsstaates im Internet zu Solidarität mit Halis Bayancuk auf, der sich seinerzeit in der Türkei in 253 Islamismus Untersuchungshaft befand, im September 2020 durch ein türkisches Gericht als hochrangiges Mitglied der Terrormiliz IS gewertet und zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Die Übergänge zwischen dem Wunsch der Umsetzung aller Rechte und Pflichten für in Deutsch land lebende Muslime, dem Streben nach einer eigenen Regierungs form auf Grundlage der Scharia und der Unterstützung auch ge waltbereiter Muslime sind folglich fließend. 4.10 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz/Verbreitung Beirut Generalsekretär Hassan Nasrallah Mitglieder/Anhänger: Bund: Niedersachsen: 180 Publikation AlAhd (Die Verpflichtung) Kurzportrait/Ziele: Für die schiitische Gemeinschaft fordert die mit Hilfe der Islami schen Republik Iran gegründete "Hizb Allah" die Anwendung der islamischen Rechtsordnung der Scharia.117 Außerdem bestreitet die "Hizb Allah" das Existenzrecht des Staates Israel und bekämpft ihn mit terroristischen Mitteln. In Deutschland pflegen die Anhänger der "Hizb Allah" den organi satorischen und ideologischen Zusammenhalt u. a. in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spendengelder finanzieren. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Die libanesischschiitische Organisation "Hizb Allah" (Partei Got tes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit die sem Bestreben richtet sich die "Hizb Allah" gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 9 Abs. 2 und 26 Abs. 1 GG) und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die 117 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 254 Islamismus Europäische Union den militärischen Arm der "Hizb Allah" (al muqawama alislamiya - Islamischer Widerstand) auf die Liste der terroristischen Organisationen. Weiterhin verfolgt die "Hizb Allah" durch die Propagierung der Scharia als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Mit Schreiben vom 20.09.2019 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemäß SS 129b Absatz 1 Satz 3 StGB dem GBA die generelle Ermächtigung zur Verfolgung bereits begangener und zukünftiger Straftaten durch Mitglieder der Vereinigung "Hizb Allah" erteilt. Die "Hizb Allah" wurde bereits in der Vergangenheit in der straf und verwaltungsgerichtlichen Praxis als terroristische Verei nigung gewertet. Diese Rechtsprechung ist im Juli 2019 durch einen Beschluss des BVerfG bestätigt worden, in dem die Rechtmäßigkeit des Verbotes des Hizb AllahSpendensammelvereines "Farben für Wai senkinder e. V." (FfW), vormals "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP), aus dem Jahr 2014 rechtlich festgehalten wurde. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat mit Verfügung vom 26.03.2020 die Vereinigung "Hizb Allah" im Gel tungsbereich des VereinsG mit einem Betätigungsverbot gem. SS 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 3, SS 14 Abs. 1 Satz Var. 1 i.V.m. SS 15 Abs. 1 Satz 1 und SS 18 Satz 2 des Vereinsgesetzes belegt. Das Verbot wur de am 30.04.2020 bekannt gemacht. Ab diesem Zeitpunkt gelten entsprechende Betätigungshandlungen für die Hizb Allah als Straf tat nach dem Vereinsgesetz. Ursprung und Entwicklung Die "Partei" "Hizb Allah" wurde 1982 unter maßgeblicher Steue rung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die "Hizb Allah" ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungsweisend. Der LibanonKrieg im Sommer 2006 führte zu einer bis heute an dauernden Popularität der "Hizb Allah" innerhalb der schiitischen Be völkerung des Libanons. 2009 stellte der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hassan Nasrallah, ein neues politisches Strategiepapier vor, auf dessen Grundlage die "Hizb Allah" sich von einer Widerstands 255 Islamismus gruppe hin zu einer politisch eigenständig agierenden Partei in der libanesischen Politik wandeln sollte und in dem weder die Rede ist von der Errichtung eines "Islamischen Staates" (nach dem Vorbild des Irans), noch von der weltweiten Verbreitung der Revolutionstheorie. Dennoch fühlt sich die "Hizb Allah" auch weiterhin den Konzepten des Ayatollah Khomeini verpflichtet. Dies bezieht sich insbesondere auf die Vorstellung des Konzepts der "wilayat alfaqih", das einen kon stitutionellen Gottesstaat mit herrschendem Klerus im Libanon vorsieht. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie an dere islamistische Organisationen auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssys tem hatte die "Hizb Allah" mit finanzieller Unterstützung des Irans aufbauen können. Im Emblem der "Hizb Allah" kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus dem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die politische Zielrichtung: "Islami sche Revolution im Libanon!" Die "Hizb Allah" in Deutschland und in Niedersachsen Die "Hizb Allah" ist global wie auch in Deutschland Teil eines Ge flechts schiitischislamistischer Organisationen, das stark unter dem Einfluss der Islamischen Republik Iran steht. Dabei entstehen häufig Berührungspunkte zwischen Vereinen, die der "Hizb Allah" zuzu rechnen sind und solchen, die dem weiteren schiitischislamistischen Spektrum angehören. Auch in Niedersachsen besuchen mitunter Angehörige verschiedener Vereine die gleichen Moscheen. Ungeachtet einer gewissen Sympathie in Teilen der hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der "Hizb Allah", tritt diese Organisation in der deutschen Öffent lichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Veranstaltungen, für die bundesweit geworben wird, haben in der Regel nur geringen Zulauf. Dennoch darf das Mobilisierungspotenzial der "Hizb Allah" in Deutschland nicht unterschätzt werden. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der "Hizb Al lah" in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung 256 Islamismus der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben, so u. a. in Hannover, Osna brück und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersäch sischen Umland Bremens zu beobachten. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die "Hizb Allah" erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie z. B. dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Süd libanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. Von zentraler Bedeutung für die schiitisch geprägte Islamistensze ne in Deutschland ist der sogenannte AlQudsTag118. Dieser gilt in der Islamischen Republik Iran als gesetzlicher Feiertag und soll den Wunsch nach der "Befreiung Palästinas" zum Ausdruck bringen. In Deutschland finden seit den 1980er Jahren Veranstaltungen zum QudsTag statt. Diesen deutlich gegen Israel gerichteten Aktivitäten wird mitunter ein antisemitischer Akzent unterstellt. Aufgrund der CoronaPandemie sagte der Veranstalter die diesjährige Demonstration anlässlich des alQudsTages am 16.05.2020 in Berlin ab. Stattdessen wurde über das Internet zu einem "LIVE QUDSTAG" aufgerufen. Diese Veranstaltung wurde am 16.05.2020 als Livestream über YouTube mit Beiträgen aus verschiedenen Städten ausgestrahlt. Aus Niedersachsen konnten Beiträge aus Delmenhorst, Hannover und dem Harz festgestellt werden. In dem Livestream wurde betont, dass der internationale "alQudsTag" "ein weltweiter Demonstrationstag der Unterdrückten gegen die Unter drücker" sei, der "den Kernkonflikt der Zeit, die Vertrei bungen der ethnischen Säuberung Palästinas verdeutli chen" soll. Der Staat Israel wird im Video als rassistischer Staat bezeichnet, der ein Apartheidregime führe. Neben den LiveEinspielungen wurden immer wieder Zitate des politischen und religiösen Oberhauptes des Iran Ali Kha menei eingespielt. An den Aussagen Khameneis, wie z. B., dass von einem "allumfassenden großen Krieg ge gen die Gesamtheit der Islamischen Gemeinschaft" die Rede ist, oder "einer der Korridore des Sieges über die Islamische Welt ist der Sieg über Palästina" wird deutlich, dass der Veranstaltung eine klar antiisraelische und anti semitische Ausrichtung zugrunde liegt. 118 Der arabische Begriff "AlQuds" bedeutet übersetzt "Jerusalem". 257 05 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 MitgliederPotenzial Mitglieder/AnhängerPotenzial extremistischer Organisationen mit 2019 2020 Auslandsbezug Bundesrepublik Deutschland Türkische Rechtsextremisten119 11.000 PKK 14.500 Türkische Linksextremisten120 2.550 Summe 28.050 Mitglieder/AnhängerPotenzial extremistischer Organisationen mit 2019 2020 Auslandsbezug Niedersachsen Türkische Rechtsextremisten121 700 700 PKK 1.600 1.600 Türkische Linksextremisten122 200 200 Summe 2.500 2.500 5.2 Einführung Unter der Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" werden in Niedersachsen alle weiteren Erscheinungsformen des Extremismus zusammengefasst, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen, ohne im Zusammenhang mit islamistischen Ideologien zu stehen. Der Extremismus mit Auslandsbezug ist geprägt von einer Vielzahl von Gruppierungen unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe. Im Unterschied zum Islamismus liegt die Zielsetzung dieser Gruppen überwiegend in der Durchsetzung linksextremistischer, separatistischer oder nationalistischer bzw. rassistischer Vorstellungen, die regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in den Heimat 119 Die ausgewiesenen Zahlen beziehen sich im Gegensatz zu den Vorjahren nur auf türkische Rechts bzw. Linksextremisten. Sie weichen daher von den Zahlen der Vorjahre ab. 120 Siehe Fußnote 119. 121 Siehe Fußnote 119. 122 Siehe Fußnote 119. 260 Extremismus mit Auslandsbezug regionen abzielen. Die Situation im Herkunftsland ist dabei richtungs weisend für die Intensität des Auftretens und auch das Militanzniveau in Deutschland. Extremistische türkische und kurdische Gruppierungen bilden in Niedersachsen den Schwerpunkt der Beobachtung. Die in Deutschland agierenden Gruppierungen werden i. d. R. durch politischstrategische Vorgaben aus dem Heimatland gesteuert. Deutschland wird dabei in erster Linie als sicherer Rückzugsraum betrachtet, in dem Geld gesammelt, rekrutiert, mobilisiert und pro pagiert werden kann und von dem aus gewaltsame Aktionen im eigentlichen Bezugsland vorbereitet werden können. In Abhängig keit der Entwicklung im Heimatland ist gelegentlich auch mit ge walttätigen Aktionen in Deutschland zu rechnen. Die Propaganda für die jeweilige politische Vorstellung und Mobilisierungsaktionen, etwa für Demonstrationen, gehen dabei Hand in Hand und werden überwiegend über das Internet verbreitet. Soziale Netzwerke (z. B. Facebook) und MessengerApps (z. B. WhatsApp) dienen darüber hinaus der Gewinnung neuer Sympathisierender und Mitglieder. Auch Konflikte zwischen den widerstreitenden Gruppierungen tre ten in Deutschland auf und werden sowohl durch Propaganda als auch durch Gewaltanwendung sichtbar. 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug Schwerpunkt der Beobachtung beim Extremismus mit Auslandsbe zug in Niedersachsen bleibt auch im Jahr 2020 die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Wie bereits in den Vorjahren sorgte auch 2020 das Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdisch besiedelten Gebieten, insbesondere in Syrien und dem Nordirak, unter den PKKAnhängern in Deutschland für Empörung. Durch die coronabe dingten Einschränkungen fanden 2020 jedoch weitaus weniger öf fentlichkeitswirksame Protestveranstaltungen statt. Die Hoffnung der PKK auf Streichung von der EUTerrorliste und eine Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland aufgrund ihres jahrelangen Einsatzes für die AntiISKoalition in Syrien und im Irak ist weiter geschwunden. 261 Extremismus mit Auslandsbezug Die türkisch nationalistische "Ülkücü (Idealisten)Bewegung" mit einer nach westeuropäischem Rechtsverständnis rassistischen Ideo logie tritt als absoluter Gegenpol zu den von "Ülkücü" als separa tistisch empfundenen ethnischen Minderheiten in der Türkei auch in Deutschland in Erscheinung. In den vergangenen Jahren führte das militärische Vorgehen der Tür kei in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und im Nordirak zu massiven Protesten von PKKAktivisten in Europa. In diesem Zu sammenhang wuchsen auch die Spannungen zwischen den Anhän gerinnen und Anhängern der nationalistischenrechtsextremistischen "ÜlkücüBewegung" und PKKAnhängerinnen und Anhängern. Das Jahr 2020 hingegen war maßgeblich geprägt durch die die Co ronaPandemie. Sowohl die PKK und ihre Nebenorganisationen, als auch die ÜlkücüDachverbände riefen dazu auf, sich an die staatlichen Vorgaben zu halten. Vereinsräumlichkeiten wurden geschlossen und viele geplante Veranstaltungen und Treffen konnten nicht stattfinden. Sowohl die Kommunikation untereinander, als auch Konfrontatio nen zwischen den Gruppierungen verlagerten sich zunehmend in die digitale Welt. Auch linksextremistische türkische Gruppierungen werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Die "Revolutio näre VolksbefreiungsparteiFront" ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi", DHKPC) kämpft für die proletarische Revolution und die Umwandlung des türkischen Staates in eine marxistischleni nistische Diktatur. Bei Attentaten, die seit Gründung der DHKPC (1994) begangen wurden, kamen nach Angaben türkischer Stellen über 200 Menschen ums Leben. In Deutschland wurde die DHKPC 1998 verboten, seit 2002 wird sie von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet. Trotz des Verbots agiert die DHKPC bis heute in Deutschland und nutzt dabei die Popularität der Musikgruppe "Grup Yorum", um ihre Anhängerinnen und An hänger zu mobilisieren und ideologisch im Sinne der DHKPC zu indoktrinieren. 262 Extremismus mit Auslandsbezug Ebenfalls aktiv sind die türkische "MarxistischLeninistische Kommu nistische Partei" ("Marksist Leninist Komünist Partisi", MLKP) sowie die "Kommunistische Partei der Türkei/MarxistenLeninisten" ("Tür kiye Komünist Partisi/Marksist Leninist", TKP/ML). Beide Organisati onen bekennen sich zum revolutionären MarxismusLeninismus und fordern die Zerschlagung des türkischen Staatswesens. Mitglieder der MLKP sind im syrischen Bürgerkrieg im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat im Einsatz, mehrere MLKP Mitglieder kamen dabei ums Leben. Ausblick Politische Ereignisse in der Türkei führen weiterhin regelmäßig dazu, dass Deutschland - das seit vielen Jahren in erster Linie von den extremistischen Gruppierungen als sicherer Rückzugsraum gesehen wird - spontan und nachhaltig zum Austragungsort massiven De monstrationsgeschehens, gewaltsamer Auseinandersetzungen und von Straftaten wie Blockadeaktionen, Besetzungen, Brandstiftun gen oder Sachbeschädigungen werden kann. Allen voran die PKK zeigt trotz propagierter grundsätzlich friedlicher Linie und Gewalt verzicht für Europa, dass sie nach wie vor in der Lage ist, ihre Anhän ger spontan zu mobilisieren und zu emotionalisieren. Auch in 2021 werden der Gesundheitszustand Öcalans oder auch das Agieren des türkischen Präsidenten Erdogan in den kurdisch besiedelten Gebie ten der Türkei, Syriens und im Nordirak als Auslöser der beschriebe nen Konflikte wirken. 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weitere "Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ Bezeichnungen "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL)/"Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK)/"Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Sitz/Verbreitung NordIrak, Türkei, Syrien Gründung/ 1978 in der Türkei Bestehen seit 263 Extremismus mit Auslandsbezug Leitung Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger Bund: Niedersachsen: 1.600 Publikationen Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik) (werktäglich) Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich) Sterka Ciwan (Stern der Jugend) vormals Ciwanen Azad (Freie Jugend) (monatlich) Sender u. a. Med Nuce TV Kurzportrait/Ziele Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet. Öcalan gilt bis heute als unum stößliche Führungsfigur. Ursprünglich durch marxistischleninistische Programmatik geprägt, vertritt die PKK heute eine kurdischnationalistische Ideologie. Sie propagiert die Etablierung einer nichtstaatlichen und länderüber greifenden, demokratischen Selbstverwaltung der Kurden unter Beachtung existierender Grenzen auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet. Das Ausrufen der "Demokratischen Autonomie" in den drei syrischkur dischen Kantonen Afrin, Cizre und Kobane im Jahr 2014 war für die PKK ein eminent wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem von ihr angestrebten, nationale Grenzen überschreitenden "Kurdistan". Die PKK kämpft in der Türkei seit dem Jahr 1984 mit ihrem mi litärischen Arm, den "Volksverteidigungskräften" (HPG) gegen türkische Gendarmerie und Militäreinheiten, aber auch gegen Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Seit Verkündung des "Friedenskurses" im Jahr 1999 vollzog die PKK zahlreiche Umstrukturierungen, die auch mit Umbenennungen einhergingen. Auf unterschiedliche Weise wollte sie damit ihre politische Neuausrichtung nach außen dokumentieren und sich vom Makel einer Terrororganisation befreien. Entsprechend benannte sie sich im Jahr 2002 in "Freiheits und Demokratiekon gress Kurdistans" (KADEK) und im Jahr 2003 in "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) um. Ab dem Jahr 2005 trat die PKK unter der Bezeichnung "Gemeinschaften der Kommunen in Kur distan" (KKK) und seit dem Jahr 2007 unter "Vereinigte Gemein schaften Kurdistans" (KCK) auf. Die neuen Namen finden zwar Verwendung, sind in der Anhängerschaft aber eher wenig populär. 264 Extremismus mit Auslandsbezug Am 15.02.1999 wurde Öcalan in Nairobi (Kenia) verhaftet und an schließend in der Türkei wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Bundesministerium des Innern (BMI) erließ mit Verfügung vom 22.11.1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot für die PKK im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Nach einem Be schluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EUTerrorliste") aufgenommen. Finanzierung Die Beschaffung von finanziellen Mitteln, vorwiegend durch Spenden, ist nach wie vor eine der Hauptaktivitäten der PKK in Deutschland. Der Propagandaapparat, wie z. B. Fernsehsender oder Publikationen, muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die GuerillaArmee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende Spendenkampagne. Im Jahr 2020 lag der Er trag allein in Deutschland - wie in den letzten Jahren - bei mehreren Millionen Euro. In den letzten 10 Jahren konnte die PKK die jährliche Spendensumme mehr als verdreifachen. Die Spendenbereitschaft der mit der PKK sympathisierenden kurdischen Bevölkerung in Deutsch land ist auch in diesem Jahr aufgrund der aktuellen Situation in der Türkei, in Syrien und im Nordirak noch einmal gewachsen. Auch die Sorge um den Gesundheitszustand des in der Türkei lebenslang inhaf tierten Abdullah Öcalan erhöht die Solidarität und die Bereitschaft, Organisationsfähigkeit und Aktionismus der PKK zu finanzieren. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Ver kauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintritts karten zu Großveranstaltungen erzielt. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele seit 1984 bis heute mit Waf fengewalt. Dies zeigen die bis in das Jahr 2020 andauernden Aus einandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKKGuerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei. Propaganda, Rekrutierungen und Finanzierung über Spendeneintrei bung sind hierfür entscheidende Vorbereitungshandlungen, die in ganz Europa und damit auch in Deutschland kontinuierlich bis heute vorange trieben werden. Auch Deutschland war Anfang der 1990er Jahre Schau 265 Extremismus mit Auslandsbezug platz erheblicher Gewalttaten der PKK. Überfälle und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, türkische Banken und Reise büros sowie Geschäfte, Gaststätten und Vereinslokale erfolgten häufig und zum Teil sogar bundesweit im Rahmen konzertierter Aktionen. Als Reaktion auf die Gewalttaten in den 1990er Jahren erfolgte 1993 das Betätigungsverbot in Deutschland. Logo der PKK in Europa; in Deutschland verboten Mittlerweile setzt die PKK im Rahmen einer Doppelstrategie zwar weiterhin in der Türkei auf Waffengewalt, Deutschland jedoch dient überwiegend als Rückzugsraum. Hier werden Geldmittel gesammelt, für die Parteiarbeit und die Guerilla rekrutiert sowie Propaganda be trieben. Trotz allem zeigt sich die Organisation nach wie vor grund sätzlich bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger in Deutschland zu mindest zu billigen. Zu nennen sind hier z. B. Auseinandersetzungen mit nationalistischen türkischen Gruppen oder Propagandaaktionen, die aufgrund großer Emotionalisierung in Widerstandshandlungen gegen die Polizei ausufern123. Damit gefährdet die Organisation weiterhin die innere Sicherheit und auch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und erfüllt damit die Voraussetzungen für ihre Beobachtung (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Organisatorische Strukturen "Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (Kongreya Civaken Demokratik en Kurdistanyen li Ewropa) Der in Belgien ansässige "Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (KCDKE) bildet die PKKEu ropaführung, in die auch die "Koordination der kurdisch demokratischen Gesellschaft in Europa" (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) als politischer Arm der PKK integriert ist. Die CDK unterliegt in Deutschland ebenfalls dem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Organisation unterhält ein verzweigtes Netz verdeckt handeln der Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisati 123 Siehe z. B. Abschnitt "Ausschreitungen beim 'Langen Marsch' der Jugendlichen". 266 Extremismus mit Auslandsbezug onsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die in der Regel von der PKKEuropaleitung für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (aufgelöst) Das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAVDEM) mit Sitz in Düsseldorf, welches lan ge Zeit als Dachverband für die der PKKnahestehenden Vereine in Deutschland fungierte, hat sich zum 30.01.2020 aufgelöst. Durch die Auflösung von NAVDEM ist jedoch kein Vakuum ent standen. Die "Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KONMED) nahm bereits unmittelbar nach ihrer Gründung im Mai 2019 die Aufgaben wahr, die NAVDEM oblagen. Genau wie zuvor NAVDEM ist KONMED als deutscher Dachver band in die o. a. europäische Dachorganisation KCDKE eingebettet. KONMED gehören folgende regionale Föderationen an124: KONMED - Konföderation der Gemeinschaften in Deutschland e. V. 124 Vgl. www.KONMED.com, abgerufen am 09.02.2021. 267 Extremismus mit Auslandsbezug Die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Föderationen entspricht dabei nicht zwingend den tatsächlichen Grenzen der Bundesländer. Nie dersachsen ist ganz überwiegend der FEDDEM zuzurechnen. Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Infor mationsfluss zur Basis bedient sich die PKK überwiegend der örtli chen Vereine in Deutschland. Diese dienen der PKK als Treffpunkte und Anlaufstellen. KONMED initiiert regelmäßig über die Ortsvereine öffentlichkeits wirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse oder bestimmte Jahrestage, etwa den Gründungstag der PKK, beziehen. KONMED ist nicht vom PKKBetätigungsverbot betroffen. In Nie dersachsen existieren Vereine z. B. in Aurich, Hannover, Hildesheim, Lohne, Osnabrück, Peine, Salzgitter und Stade. Jugendorganisationen Den PKKJugendorganisationen kommt seit Jahren in Bezug auf Propaganda, Aktionismus und Rekrutierung eine wichtige Rolle zu. Die PKKJugendorganisation "Ciwanen Azad" (CA) wurde auf ei ner europaweiten Jugendversammlung im April 2013 in Troisdorf (NordrheinWestfalen) als europäischer Dachverband der PKKJu gend gegründet. Der Dachverband soll als legaler Verband fun gieren und steht dabei neben der viel älteren Jugendorganisation "Komalen Ciwan" (KC). Beide Organisationen umfassen denselben Personenkreis. Der CA sollen ausschließlich positive Schlagzeilen zugeschrieben werden, KC tritt in Aktion, wenn Nega tives öffentlich wird. Am 21.10.2018 wurde ein neuer europaweiter Dachverband jugendlicher PKKAnhän ger namens "Tevgera Ciwanen Soresger" ("Bewegung der revolutionären Jugend", TCS) gegründet. Die TCS scheint den bisherigen europäischen Dachverband der PKKJugend CA abzulösen, ohne dass CA bisher tat sächlich aufgelöst wurde. Am 08.07.2020 berichtet die PKKnahe Nachrichtenagentur Firat News (ANF) erstmalig über die Gründung der "Jinen Ciwan en Tekoser" ("Bewegung der jungen kämpferischen Frauen", TEKOJIN) als eigene Organisation für weibliche Jugendliche. TEKOJIN selbst bezieht sich in ihrer Gründungserklärung ideologisch auf die Ideen des PKKFührers Abdullah Öcalan. 268 Extremismus mit Auslandsbezug Aktionen und Kampagnen von jugendlichen PKKAnhängern im Jahr 2020 wurden von TCS und TEKOJIN Aktivisten initiiert125. Diese Aktionen werden einerseits in den eigenen Medien sehr öffentlich keitswirksam dargestellt. Andererseits ist festzustellen, dass diese Aktionen126 auch internationale bzw. überregionale PKKAnhänger anziehen. Insofern haben zwar die Aktivitäten in Niedersachsen zu genommen, sie wirken sich aber nicht zählbar auf das Personen potenzial aus, das daher seit einigen Jahren konstant ist. Sonstige Massenorganisationen Weitere PKKnahe Massenorganisationen verfolgen das Ziel, den Einfluss der PKK in möglichst allen Segmenten der kurdischstämmi gen Gemeinschaft zu verankern. In diesem Zusammenhang sind be sonders der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) sowie der "Verband der studierenden Frauen aus Kurdistan" (JXK) hervor zuheben, die durch Veranstaltungen oder Aktionen - insbesondere in Universitäten - regelmäßig aktiv in Erscheinung treten. Auch auf anderen Gruppen, die als gesellschaftliche Multiplikatoren wirken bzw. in Zukunft wirken könnten, liegt ein besonderes Augenmerk. Entsprechend fungieren die "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK) sowie die "Union der Juristen Kurdistans" (YHK). In diesem Zusammenhang ist auch die Etablierung der "Islamischen Gemeinde Kurdistans" (CIK) als Ver such der Einflussnahme auf kurdischstämmige Muslime zu werten. Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Reaktionen auf türkische Militäroperationen Mehrere - aus Sicht der PKK einschneidende - Entwicklungen in den Heimatregionen (Türkei, Irak und Syrien) gaben ab Mitte 2020 Anlass zu vermehrten Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet. Auslöser waren Luftangriffe des türkischen Militärs gegen (mutmaß liche) PKKStellungen im Nordirak. In der Nacht auf den 15.06.2020 startete die türkische Luftwaffe 125 Siehe z. B. Abschnitt "Kampagne 'Zusammen zum Aufstand'" und Abschnitt "Ausschrei tungen beim 'Langen Marsch' der Jugendlichen". 126 Siehe Abschnitt "Ausschreitungen beim "Langen Marsch" der Jugendlichen". 269 Extremismus mit Auslandsbezug unter dem Namen "Adlerklaue" eine Militäroffensive im Irak. In der Nacht zum 17.06.2020 begann unter dem Namen "Tigerkralle" eine Bodenoffensive der türkischen Armee in der Region Heftanin (Irak). Aufgrund der Angriffe rief die PKKEuropaführung KCDKE "die gesamte Menschheit" zum "totalen Widerstand" gegen den "um fassenden Angriff des AKP/MHPFaschismus und zur Verteidigung Kurdistans" auf.127 Auch KONMED kritisierte die Angriffe und rief zu Aktionen auf.128 In Niedersachsen fanden Protestveranstaltungen in Göttingen, Han nover, Hildesheim, Oldenburg, Osnabrück und Salzgitter statt. An den Versammlungen nahmen bis zu 300 Personen teil. Sie verliefen - abgesehen von vereinzelten Verstößen gegen das Vereinsgesetz (überwiegend Zeigen verbotener Symbolik) - friedlich. Auch deut sche Linksextremisten, die sich solidarisch erklärten, sowie das de mokratische Spektrum beteiligten sich an den Protesten. Murat Karayilan, Kommandant der "Volksverteidigungskräfte" (HPG, militärischer Arm der PKK in der Türkei) machte im Rahmen einer TVSondersendung am 21.06.2020 darauf aufmerksam, dass zwischen dem türkischen Staat und "uns" ein umfassender Krieg stattfinde. "Wir möchten in dieser Zeit nicht, dass Menschen aus Europa und Russland als Touristen in die Türkei kommen. ... Das Geld, das Touristen in der Türkei ausgeben, wird zu einer gegen das kurdische Volk gerichteten Kugel. ... Falls sie es doch tun und Schaden erleiden, sind wir nicht dafür verantwortlich. Ich sage nicht, dass wir sie angreifen werden, aber hier findet ein Krieg statt. Wenn sie ins Kriegsgebiet kommen und Schaden davontragen, können wir nicht die Verantwortung übernehmen. ... Dieser Staat führt Krieg gegen unser Volk und wir leisten legitimen Widerstand." ("Karayilan: Touristen sollten nicht in die Türkei kommen", veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News am 22.06.2020, abgerufen am 22.06.2020) 127 Vgl. "Kurdische Verbände rufen zum Protest auf", veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News am 15.06.2020, abgerufen am 15.06.2020. 128 Vgl. "KCDKE ruft Protestwoche gegen türkische Angriffe aus", veröffentlicht auf der In ternetseite der Nachrichtenagentur Firat News am 16.06.2020, abgerufen am 16.06.2020. 270 Extremismus mit Auslandsbezug Kampagne "Zusammen zum Aufstand" Die PKKJugendorganisationen TCS und TEKOJIN initiierten am 20.07.2020 eine Kampagne unter dem Motto "Zusammen zum Aufstand" (Bi hev Re Serhildan). Mit dieser Kampagne kämpfen die jugendlichen PKKAnhänger für die Freiheit Öcalans, das Ende sei ner Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali und gegen die Be satzung "Kurdistans". Erste Aktionen zivilen Ungehorsams wurden Ende Juli festgestellt. Aktivisten von TCS und TEKOJIN protestierten u. a. auf einem Ausflugsboot in Paris gegen die türkischen Angriffe in Südkurdistan (Nordirak). Die Jugendlichen trugen Transparente und PKKFahnen bei sich und skandierten Parolen wie "Biji serok Apo"129. Am 03.08.2020 wurde auf der Internetseite der PKKJugend "Nuce Ciwan" ein Aufruf von PKKAktivistInnen der TCS und TEKOJIN aus Wuppertal und Hannover veröffentlicht. Unter der Überschrift "Ju gendliche aus Wuppertal und Hannover rufen zum gemeinsamen Aufstand auf" warben sie für die Kampagne "Zusammen zum Auf stand". Die Jugendlichen sollen nicht zum "Faschismus, Kapitalismus und den mörderischen Plänen des türkischen Besatzerstaates in Kurdistan schweigen und sich aktiv dagegen organisieren". (Internetseite der PKKJugend "Nuce Ciwan") In einem Video rufen die Jugendlichen aus Hannover dazu auf, an der "gemeinsamen Rebellion" teilzunehmen. Auf der Internetseite von "Nuce Ciwan" wird über eine Aktion der PKKStudentenorganisationen YXK und YJK zusammen mit TCS und TEKOJIN in Hannover berichtet. Sie klebten am 06.08.2020 an der Universität Hannover Plakate und machten mit einem Transparent auf das Thema "Gewalt an Frauen" aufmerksam. Kampagne "Schluss mit Isolation, Faschismus, Besatzung - Zeit für Freiheit" gestartet Der Exekutivrat der KCK hat zum 12.09.2020, dem 40. Jahrestages des Militärputsches in der Türkei (12.09.1980) eine wegweisende Erklärung abgegeben. In der Erklärung kündigt die KCK eine neue weltweite Offensive gegen den "Faschismus des türkischen Staates" 129 Die kurdische Parole bedeutet übersetzt: Es lebe der Führer Apo; mit Apo ist der PKK Führer Abdullah Öcalan gemeint. 271 Extremismus mit Auslandsbezug an.130 Die Erklärung der KCK wurde vom KCDKE aufgegriffen, der zum Start der Kampagne die Kurdinnen und Kurden weltweit zum aktiven Widerstand aufrief.131 Bereits am 12.09.2020 fanden bun desweit Veranstaltungen statt; in Niedersachsen in Braunschweig und Oldenburg. Für die Freiheit und gegen die Isolation Öcalans rief KONMED zu einem dezentralen Aktionstag am 10.10.2020 unter dem Motto "#RiseUpAgainstIsolation" auf.132 Der Aktionstag dürfte ebenfalls Teil der Kampagne sein. Im weiteren Verlauf der Kampagne fanden Veranstaltungen z. B. in Hannover, Hildesheim, Norden, Oldenburg und Salzgitter statt. An einer Großdemonstration für die Freiheit Abdullah Öcalans am 05.12.2020 in Stuttgart nahmen bis zu 300 Personen aus dem ge samten Bundesgebiet, auch aus Niedersachsen, teil. Für die Veran staltung wurde im Vorfeld im Internet u. a. durch KONMED und TCS mobilisiert. Außerdem rief der KCDKE zu einer breiten Plakat und Transparent aktion für die Freiheit Öcalans auf. Es soll für jeden Tag der 21jäh rigen Isolationshaft Öcalans ein Plakat aufgehängt werden.133 In Nie dersachsen wurde der Aufruf z. B. in Aurich und Wilhelmshaven134 aber auch in Celle135, Hannover und Stade umgesetzt. Ausschreitungen beim "Langen Marsch" der Jugendlichen Bedingt durch die CoronaPandemie konnte das alljährlich im Sep tember stattfindende "Internationale Kurdische Kulturfestival" erst mals seit 1992 nicht als Großveranstaltung durchgeführt werden. Als Ersatz sollten kleinere Veranstaltungen dienen. Der traditionell 130 Vgl. "KCK startet Offensive gegen Isolation, Faschismus und Besatzung" vom 12.09.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News. 131 Vgl. "KCDKE: Zeit für Freiheit!" vom 12.09.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 14.09.2020. 132 Vgl. "Aktionstag: Rise up against isolation!" vom 24.09.2020, veröffentlicht auf der Inter netseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 24.09.2020. 133 Vgl. "KCDKE: Ein Plakat für jeden Hafttag Öcalans" vom 05.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 05.11.2020. 134 Vgl. "Europa: Überall hängen ÖcalanBilder" vom 09.11.2020, veröffentlicht auf der Inter netseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 11.11.2020. 135 Vgl. "Celle: Wir sagen NEIN zum Foltersystem!" vom 21.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 23.11.2020 oder vgl. "Wir sagen NEIN zum Foltersystem!: TranspiAktion der TekoJIN in Celle" vom 21.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite von Nuce Ciwan, abgerufen am 23.11.2020. 272 Extremismus mit Auslandsbezug dem Festival vorgeschaltete "Mesa Direj", der "Lange Marsch" der Jugendlichen fand je doch statt. Er führte unter dem Motto "Für die Freiheit Abdullah Öcalans - Zusammen erheben" vom 05. bis 11.09.2020 in mehre ren Etappen von Hannover nach Hamburg. Es beteiligten sich täglich bis zu 200 Personen an dem Marsch. Der Großteil der Teilnehmenden kann den PKKJugendorganisationen TCS und TEKOJIN zugerechnet werden. Die ersten Etappen des "Langen Marsches" verliefen störungsfrei, am 10.09.2020 gab es aber einen Zwischenfall, als etwa 90 Teilneh mende des Marsches mit dem Zug von Lüne burg nach Winsen/Luhe fuhren. Im Zug stellte das eingesetzte Personal fest, dass die Grup pe nicht über gültige Fahrausweise verfügte und viele Teilnehmende keinen MundNasen Schutz trugen. Die Gruppe wurde daraufhin von der weiteren Fahrt ausgeschlossen, woraufhin die Jugendlichen begannen, das Zugpersonal anzufeinden. Deswegen stoppte der Zug außerplanmäßig im Bahnhof in Bardowick (Landkreis Lüneburg). Einsatzkräfte von Bundes und Landespolizei sprachen zunächst mit den Reisenden. Als sie die Personalien feststellen wollten, wurden die Einsatzkräfte massiv körperlich angegriffen. 14 festgestellte Personen hielten sich unerlaubt in Deutschland auf. Gegen neun Personen lagen Fahndungsnotierungen vor, unter an derem wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung PKK. Gegen eine weitere Person lag ein europäischer Haftbefehl vor. Es wurden 87 Anzeigen wegen des Erschleichens von Leistungen, sechs wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie we gen mehrerer Körperverletzungsdelikte und eines Falls von Gefan genenbefreiung gefertigt. Die letzte Etappe des Marsches am 11.09.2020 verlief ebenfalls nicht störungsfrei. Während einer Zwischenkundgebung im Hamburger Schanzenviertel entzündeten vermummte Personen ein Feuerwerk auf dem Dach der "Roten Flora" und entrollten ein Transparent mit 273 Extremismus mit Auslandsbezug dem Bildnis des PKKFührers Öcalan. Die Teilnehmenden schwenk ten Fahnen mit dem Bildnis Öcalans und skandierten Parolen. Auf polizeiliche Aufforderung hin wurde dies nicht unterlassen. Die Poli zei drohte daraufhin damit, die Versammlung aufzulösen. Dem kam der Versammlungsleiter zuvor und beendete die Veranstaltung. Die PKKJugendorganisationen TCS und TEKOJIN sowie die Stu dentenorganisationen YXK und JXK verurteilten in einer gemeinsa men Presseerklärung den Polizeieinsatz in Bardowick als willkürlich, unrechtmäßig und politisch motiviert. Auch KONMED verurteilte in einer Pressemitteilung die "Polizeigewalt" scharf. Die PKKnahe Nachrichtenagentur ANF schrieb dazu auf ihrer Homepage: "Das Ausmaß der völlig unbegründeten, willkürlichen Polizeigewalt erinnere an die Zustände in der Türkei." Die Ausschreitungen beim diesjährigen "Langen Marsch" überra schen nicht. Bereits in den Vorjahren war es im Zusammenhang mit dem "Langen Marsch" regelmäßig zu Auseinandersetzungen ent weder mit rechtsextremistischen Türken oder mit den Marsch be gleitenden Polizeikräften gekommen. Dies zeigt die weiterhin vorhandene Gewaltbereitschaft unter der Anhängerschaft der PKKJugendorganisationen. Wie in der Ver gangenheit wurden die Straf und Gewalttaten der jugendlichen PKKAnhängerinnen und Anhänger, insbesondere nach empfunde nen Provokationen, impulsiv verübt. Proteste gegen den "BagdadHewlerPakt"136 Am 09.10.2020 schlossen die irakische Zentralregierung in Bagdad und die Regierung der Autonomen Region Kurdistans im Nordirak unter Führung der "Demokratischen Partei Kurdistans" ("Partiya De mokrata Kurdistane" - PDK)137 ein Abkommen für die Region Shen gal ("BagdadHewlerPakt"). Das Abkommen soll im Vorfeld von den USA mit initiiert und von der Türkei unterstützt worden sein. 136 Hewler ist die kurdische Bezeichnung der Stadt Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak. 137 Die PDK ist eine kurdische Partei im Irak. Sie gehört zu den dominierenden Parteien in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. 274 Extremismus mit Auslandsbezug Teil der Vereinbarung sei, die ShengalRegion unter die Verwaltung der PDKRegierung zu stellen und die dort etablierte Selbstverwal tung sowie die ezidischen138 Selbstverteidigungskräfte aufzulösen. Zur Umsetzung des Paktes sollen laut ANF über 10.000 Soldaten der irakischen Armee in diese Region verlegt worden sein. Aufgrund dieser Entwicklung fanden dort seit Unterzeichnung des Abkommens Proteste statt. Auch in Europa fanden Protestveranstal tungen statt, um Solidarität mit den nach dem ISGenozid von 2014 aufgebauten autonomen Strukturen zu demonstrieren. Sowohl der KCDKE139 als auch KONMED140 stehen dem Pakt kri tisch gegenüber und riefen weltweit zu Protestaktionen auf. Beide Organisationen warfen der PDK und der irakischen Zentralregierung eine Kollaboration mit der Türkei vor. Außerdem kritisiert der KCDKE, dass die PDK und die irakische Zen tralregierung die ezidische Bevölkerung im Jahr 2014 allein gelassen habe, als die "türkische Marionette namens IS" angriff. Am Wochenende des 21. und 22.11.2020 fand in Hannover ein Ju gendseminar der TCS statt. Das Seminar befasste sich mit der ak tuellen politischen Lage in Kurdistan und Europa. Thema war auch die "verräterische Politik" der PDK dem eigenen Volk gegenüber. Nach dem Seminar nahmen die Jugendlichen ein kurzes Video auf, in dem sie ihren Protest gegen die PDK durch Slogans wie "Biji Serok APO" und "Biji Berxwedan"141 zum Ausdruck brachten. Die Teilneh menden des Seminars in Hannover posierten im Video hinter einer Öcalan und der verbotenen PKKFahne. 138 Ezidisch: Die Eziden oder Jesiden sind eine ethnischreligiöse Minderheit, deren ursprüng liche Hauptsiedlungsgebiete im Nordirak, in Nordsyrien und im Südosten der Türkei liegen. Heute sind Eziden durch Auswanderung und Flucht auch in anderen Ländern verbreitet. Traurige Bekanntheit erlangte das Ezidentum 2014 durch den Völkermord, den der Islami sche Staat (IS) im Nordirak an der religiösen Minderheit verübte. 139 Vgl. "KCDKE ruft zu Aktionen für Sengal am 26. November auf" vom 24.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 25.11.2020. 140 Vgl. "KONMED ruft zu Aktionen gegen SengalBesetzung auf", vom 25.11.2020, ver öffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 25.11.2020. 141 Die kurdischen Parolen bedeuten übersetzt: "Es lebe der Führer APO" (siehe auch Fußnote 126) und "Es lebe der Widerstand". 275 Extremismus mit Auslandsbezug Am Abend des 23.11.2020 versammelten sich jugendliche Aktivis ten und Aktivistinnen von TEKOJIN und TCS u. a. in Hannover vor dem Hauptbahnhof, um gegen die Aggression der PDKRegierung gegenüber der ShengalRegion zu protestieren. Sie beklagten in einer Rede "den Verrat" an der ezidischen Bevölkerung während der ISAngriffe und stellten klar, dass sie die aktuelle Situation nicht akzeptieren würden.142 Am 12.12.2020 fand in Hildesheim eine von einem dortigen PKKna hen Verein organisierte Solidaritätsaktion für die Ezidinnen und Ezi den in der südkurdischen Region Shengal statt. Eingeleitet wurde die Versammlung mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Gefallenen des Befreiungskampfes. In Redebeiträgen wurde das zwischen Hewler und Bagdad ohne Einbeziehung der ezidischen Be völkerung getroffene Abkommen verurteilt. Bundesweite Proteste gegen das PKKVerbot am 21.11.2020 Anlässlich des 27. Jahrestages des Verbots der PKK hatten im Vor feld über 60 deutsche und kurdische Organisationen, u. a. KON MED, YXK, JXK, TCS, TEKOJIN sowie der "Verband der Frauen aus Kurdistan in Deutschland" (YJKE), in einer gemeinsamen Erklärung zu einem dezentralen Aktionstag unter dem Motto "Unsere Utopie gegen ihre Repression" am 21.11.2020 aufgerufen. KONMED teilte in ihrer Erklärung mit, dass die PKK eine Freiheits bewegung sei, die von Millionen von Kurden unterstützt werde. Mit dem vor 27 Jahren erlassenen PKKVerbot seien den in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden elementare Rechte genommen worden. KONMED forderte eine sofortige Aufhebung des PKKVer botes, weil es eine politische Lösung der Kurdenfrage verhindere.143 In Hannover führte "NAVDEM - Demokratisches Gesellschaftszent rum der Kurdinnen und Kurden in Hannover e.V." eine Versammlung zum Thema "Weg mit dem Verbot der PKK! PKKVerbot aufheben" mit etwa 40 Teilnehmenden durch. 142 Vgl. "Hände weg von Sengal" vom 24.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News und "Hannover: Jugendliche protestieren gegen den Bag dadHewlerPakt" vom 23.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite von Nuce Ciwan, beide abgerufen am 25.11.2020. 143 Vgl. "KONMED mobilisiert zu 'Unsere Utopie gegen ihre Repression'" vom 17.11.2020, veröffentlicht auf der Internetseite der Nachrichtenagentur Firat News, abgerufen am 19.11.2020. 276 Extremismus mit Auslandsbezug In Osnabrück organisierte das "Demokratische kurdische Gesell schaftszentrum - Osnabrück e. V." eine Kundgebung gegen das "Verbot der PKK". Im Lauf der Versammlung mit etwa 60 Teil nehmenden wurden verbotene Fahnen und Plakate gezeigt. Nach polizeilicher Ansprache wurden diese widerwillig und unter Protest eingepackt. Exekutivmaßnahmen Am 06.01.2020 wurde in Bremen ein hochrangiger PKKFunktionär wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Verei nigung verhaftet. Der Festgenommene war in der Funktion eines PKKGebietsleiters für die Bereiche Bremen, Bremerhaven und Teile Niedersachsens zuständig. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die logistische und finanzielle Unterstützung der PKK sicherzustellen. Zu seinen Aufgaben zählte darüber hinaus die Organisation von Veran staltungen und die Rekrutierung neuer Mitglieder für die PKK. Der Betroffene war bereits 2016 vom OLG Celle zu einer Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in der verbotenen PKK verurteilt worden. Sei nerzeit wurden ihm Funktionärstätigkeiten für die PKK im Bereich Oldenburg und Hamburg vorgeworfen. Das OLG Hamburg verurteil te ihn am 01.10.2020 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten. Aufgrund eines Beschlusses der Staatsanwaltschaft Lüneburg wur den die Wohnungen der Vorstandsmitglieder des "Ezidischen Kul turZentrums in Hameln e. V." von der Polizei am 18.06.2020 durch sucht. Die Vorstandsmitglieder des Vereins stehen im Verdacht, PKKSymbolik mit propagandistischer Außenwirkung zu veröffent lichen, um so den inneren Zusammenhalt der illegalen Strukturen der PKK in der Bundesrepublik ideologisch zu fördern. Es wurden u. a. Propagandamaterialen, Fahnen und elektronische Datenträger beschlagnahmt. Die Auswertung der Asservate dauert an. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Tätigkeit der PKK in Europa ist weiterhin auf die logistische, fi nanzielle und propagandistische Unterstützung des Kampfes in der Heimat (Türkei, Syrien und Nordirak) ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militä 277 Extremismus mit Auslandsbezug rischen Arms, für die Unterhaltung des Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Parteiaktivitäten bildet daher in Eu ropa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebe nen einen Schwerpunkt. Die Lage der Kurden in der Türkei, den kurdischen Gebieten im Irak und in Syrien sowie die Situation des inhaftierten PKKFüh rers Öcalan haben seit langem Einfluss auf die Sicherheitslage in Deutschland. Die emotionalen Protestaktionen zeigen, wie unmit telbar der Konflikt in den dortigen Regionen von den Kurden auch in Deutschland wahrgenommen und bewertet wird. Das künftige Ver halten der PKKAnhängerinnen und Anhänger hängt daher ganz wesentlich von der weiteren Entwicklung dort ab. In Abhängigkeit von der Situation im Heimatland steigt sowohl das Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen mit nationalistischen/ rechtsextremistischen Türken - insbesondere nach wechselseiti gen Provokationen - als auch das Risiko gewalttätiger Angriffe von PKKAnhängerinnen und Anhängern - insbesondere emotionali sierter jugendlicher PKKAnhängerinnen und Anhänger - auf tür kische Einrichtungen. Die angeführten Entwicklungen bedürfen insbesondere hinsichtlich einer möglichen weitergehenden Tendenz zur Anwendung von Ge walt als Mittel zu politischen Auseinandersetzungen auch weiterhin der intensiven nachrichtendienstlichen Beobachtung. 278 Extremismus mit Auslandsbezug 5.5 ÜlkücüBewegung Sitz/Verbreitung Türkei Gründung/ Mitte des 20. Jahrhunderts Bestehen seit Mitglieder/Anhänger Bund: Niedersachsen: 700 Kurzportrait/Ziele Die rechtsextreme türkische "Ülkücü (Idealisten)Bewegung" entwickelte sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei. Ihr Fundament ist ein stark überhöhter Nationalismus, bei dem die Historie der Türkei und vor allem die nach dem 1. Weltkrieg erfolgte Aufteilung des ehemaligen osmanischen Reiches eine grundlegende Rolle spielen. Die Überhöhung geht mit einer gleichzeitig ausgeprägten Abwertung anderer Ethnien einher. Ziel der Bewegung ist der Schutz des Türkentums sowie eine alle Turkvölker in einem "Großtürkischen Reich" vereinende Nation. Grund der Beobachtung/Verfassungsfeindlichkeit Bei der "ÜlkücüBewegung" handelt es sich bedingt durch den stark überhöhten Nationalismus in Verbindung mit der Abwertung anderer Ethnien um eine Bestrebung, die die innere Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sowie gegen den Gedanken der Völker verständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet ist. Aufgrund ihrer Ideologie, die insbesondere gegen Ju den, Griechen, Kurden und Armenier gerichtet ist und sich nach au ßen durch Symbole wie die "DreiHalbmondfahne" und den "Wolfs gruß" zeigt, handelt es sich bei der "ÜlkücüBewegung" in all ihren Ausprägungen um eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Sie erfüllt damit die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfas sungsschutz (SS 3 Abs. 1. Nr. 1 und 4 NVerfSchG). Das ideologische Fundament der ÜlkücüLehre bildet die 9Strah lenDoktrin, verfasst von Alparslan Türkes (1917-1997) im Jahr 1965. Die Strahlen symbolisieren dabei die Theorien des Nationalismus, Idealismus, Moralismus, traditionelle Wissenschaftlichkeit, Soziabi lität, Förderung der Landwirtschaft, Freiheit und Individualismus, Volksnähe, Förderung der nationalen Industrie und der Technik. Aufbauend auf die Doktrin entwickelte sich in der "ÜlkücüBewe 279 Extremismus mit Auslandsbezug gung" eine Grundhaltung und Idealvorstellung. Diese Vorstellung erstreckt sich auf fast alle Lebensbereiche und stellt eine Lebensphi losophie dar, nach der ÜlkücüAnhängerinnen und Anhänger zu le ben haben. Die totale Identifikation mit der Nation, dem Staat sowie der Religion wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Ein weiteres Kriterium ist die Absicht, ein "Großtürkisches Reich"144 zu errich ten, den sogenannten "Turan". Danach soll ein Volk (das Türkentum) herrschen, mit einer Sprache (das Türkisch), unter derselben Flagge (die drei Halbmonde), auf demselben Territorium (dem "Großtür kischen Reich"). Dabei sind die Überhöhung des Türkentums, des türkischen Charakters und des Kampfes gegen Separatisten wich tige Elemente. Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusstsein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie. Die ÜlkücüAnhängerinnen und Anhänger leben nach einem totali tären Normverständnis, nach dem allen Menschen anderer Ethnien, insbesondere Kurden, Angehörige des jüdischen Glaubens oder an derer Minderheiten in der Türkei, keine Akzeptanz oder Respekt ge währt werden. Abgeleitet davon werden Hass und Gewalt gegenüber fremden Gruppierungen als legitim betrachtet. In der Praxis folgt daraus eine ständige Gewaltbereitschaft gegen über den Feindbildern, die insbesondere bei den jungen Anhänge rinnen und Anhängern und im Internet zu Tage tritt. Auch eine antidemokratische Grundhaltung mit gezielter Propa ganda gegen Linke, Sozialisten, Kommunisten sowie demokratische Institutionen gehört zur typischen Denkweise. Der größte ÜlkücüDachverband in Deutschland ist die 1978 gegrün dete "Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF, "Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu"), die als Auslandsvertretung der extrem na tionalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP, "Milliyetci Hareket Partisi") zu sehen ist. Die MHP wurde 1969 Logo der ADÜTDF durch Alparslan Türkes gegründet und ist auf Nationalismus und Turanismus ausgerichtet. Alpaslan Türkes wird von den Anhängern der ADÜTDF bis in die Gegenwart sehr verehrt. Die ADÜTDF pflegt 144 Das "Großtürkische Reich Turan" umfasst folgende Regionen: Altai, Aserbaidschan, Baschkortostan, Chakassien, Dagestan, Gagausien, KabardinoBalkarien, Karakalpakstan, Karatschai, Kasachstan, Kirgistan, Krim, Nordzypern, Ostturkistan, Tataristan, Tschuwa schien, Turkmenistan, Tuwa, Türkei, Usbekistan und Yakutistan (Quelle: Selbstdarstellung auf turanhaberajansi.org). 280 Extremismus mit Auslandsbezug eine AntiEURhetorik und agitiert vehement gegen die PKK. Seit 2018 besteht ein Wahlbündnis mit der "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP, "Adalet ve Kalkinma Partisi"), wodurch beide Parteien zusammen die Mehrheit im türkischen Parlament stellen. Die ADÜTDF mit Sitz in Frankfurt am Main teilt sich in ihrer Or ganisationsstruktur in Deutschland in mehrere Bölge (Gebiete) auf. Niedersachsen gehört zum Bölge Nord. Aktive Vereine exis tieren in Braunschweig, Hannover, Osnabrück und Salzgitter. Im bundesweiten Vergleich bildet Niedersachsen keinen Schwer punkt der Aktivitäten. Auf europäischer Ebene existiert der Dach verband "Türkische Konföderation in Europa" ("Avrupa Türk Kon federasyon", ATF). Er besteht aus der ADÜTDF und neun weiteren nationalen Vereinigungen. Ein weiterer Dachverband der "ÜlkücüBewegung" ist die "Union der TürkischIslamischen Kulturvereine in Europa" ("Avrupa Türk Is lam Birligi", ATIB), die sich 1987 von der ADÜDTF abgespalten hat, ohne dass jedoch eine ideologische Neuausrichtung erfolgte. Die ATIB steht für einen stärker islamischreligiös orientierten Teil der "ÜlkücüBewegung". In Niedersachsen sind ATIBVereine mit angegliederten Moscheen unter anderem in Hannover und Osnabrück ansässig. Verbot der "Grauen Wölfe" in Frankreich und Reaktionen Am 04.11.2020 hat die französische Regierung die "Grauen Wölfe" verboten. Begründet wurde das Verbot damit, dass die Gruppierung wiederholt gewaltsame und bewaffnete Demonstrationen provoziert und zu Hass und Gewalt gegen Armenier aufgerufen habe. Anlass für das Verbot dürften u. a. handgreifliche Auseinandersetzungen zwi schen türkischen und armenischen Migranten in Frankreich gewesen sein. Presseberichten zufolge seien am 29.10.2020 mehr als 80 extre mistische Türken, die Todesdrohungen gegen Armenier skandierten, durch Dijon gezogen. Darüber hinaus wurde am 31.10.2020 das an den Völkermord in Armenien erinnernde Mahnmal in der Nähe von Lyon u. a. mit den Worten "Loup gris" (Grauer Wolf) verunstaltet. Ausschlaggebend dürfte hier auch der BergKarabachKonflikt ge wesen sein, bei dem die Türkei und türkische Rechtsextremisten für Aserbaidschan und entsprechend gegen Armenien Partei ergriffen. 281 Extremismus mit Auslandsbezug Die "TürkFöderasyon" Frankreich - die Auslandsvertretung der tür kischen MHP in Frankreich, vergleichbar mit der ADÜTDF in Deutsch land - distanzierte sich in den Sozialen Medien ausdrücklich von den gewalttätigen Vorkommnissen in Frankreich und rief ihre Mitglieder auf, Ruhe zu bewahren und nicht auf Provokationen einzugehen. Der ADÜTDFVorsitzende forderte die Mitglieder in Deutschland anlässlich des Verbots in Frankreich zur strikten Zurückhaltung auf. Bislang sind in Deutschland und Niedersachsen keinen nennenswer ten Reaktionen auf das Verbot in Frankreich bekannt geworden. Der Vorsitzende der ADÜTDF in Deutschland repostete in den Sozialen Medien einen Beitrag der "TürkFöderasyon" Frankreich, in dem diese sich ausdrücklich von den gewalttätigen Vorkommnissen distanzierte und sich angesichts der aktuellen islamistischen Terrorwelle mit dem französischen Volk solidarisierte. Aktivitäten in Niedersachsen Die Vereine, die der "ÜlkücüBewegung" zugerechnet werden, or ganisieren regelmäßig Treffen zu bestimmten Anlässen. Das Aktions spektrum ist ziel und zweckorientiert. Um das ideologische Gedan kengut zu verfestigen und das Gemeinschaftsgefühl zu etablieren, gehören sowohl kulturelle und familiäre Feste als auch nationale oder religiöse Feierlichkeiten zur Tagesordnung. So werden z. B. seit Jahren Gedenkveranstaltungen für den Urvater Alparslan Türkes, insbeson dere sein Todestag am 4. April, in den Vereinen gewürdigt. Im Jahr 2020 war dieser Aktionismus aufgrund der CoronaRegelungen stark eingeschränkt. Die Vereine beachteten die behördlichen Regelungen. Insgesamt wird seit Jahren deutlich, dass der beschriebene Aktionis mus nur vordergründig kulturell und religiös geprägt ist. Es schwingt in der Regel eine Überhöhung des türkischen Nationalismus, z. B. durch die Ausgestaltung der Räumlichkeiten mit Flaggen und Sym bolen sowie durch die ausgewählte Musik, mit. Veranstaltungen dieser Art zeigen, dass die der "ÜlkücüBewegung" zu zurechnenden Vereine zwar bemüht sind, sich nach außen hin als sozial und engagiert darzustellen. Sie versuchen dabei aber, auch unter außer Acht lassen demokratischer Grundprinzipien, das Wohl und den Schutz der kulturellen und religiösen Werte beizubehalten, nationalistische Wer te hervorzuheben und die Anhänger, insbesondere die Jugendlichen, an sich zu binden und im Sinne der ÜlkücüIdeologie zu sozialisieren. 282 Extremismus mit Auslandsbezug Im Internet wird die ganze Bandbreite der Bewegung und ihrer An hängerinnen und Anhänger offenbar - häufig in drastischen Bildern und Worten. Viele der meist jugendlichen Anhängerinnen und An hänger bekräftigen in ihrer Selbstdarstellung über das Internet eine rassistische, kulturelle und mitunter auch religiöse Überlegenheit. Das Vorgehen der türkischen Armee in den kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien und im Nordirak wertete die "ÜlkücüBewe gung" positiv, da dadurch die Autonomiegebiete an der türkischen Südgrenze beseitigt werden sollen und somit nicht mehr die Souverä nität und Integrität des türkischen Staates bedrohen können. Entspre chend waren Spannungen zwischen den Anhängerinnen und Anhän gern der "ÜlkücüBewegung" und der PKK durchaus wahrzunehmen. Bedingt durch die Einschränkungen aufgrund der CoronaPandemie gab es jedoch keine direkten Auseinandersetzungen zwischen natio nalistischen und linksextremistischen Türken bzw. PKKSympathisie renden. Die Konfrontationen verlagerten sich vielmehr ins Internet. Wahrscheinlich in der Nacht vom 03. auf den 04.10.2020 wurde jedoch an der Fassade des autonomen Zentrums "Alhambra" in Oldenburg mit roter Farbe mehrmals das Wort "Bozkurt" ("Grauer Wolf") und die türkische Fahne mit Halbmond und Stern gesprüht. Zudem wurde ein "Free Öcalan" Bild übermalt. Insgesamt wirkten jedoch die Anweisungen der ÜlkücüVereine, auf Gewaltanwendung und Provokationen grundsätzlich zu verzichten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die politischen Entwicklungen in der Türkei sind für die "ÜlkücüBe wegung" in der Bundesrepublik Deutschland sowohl Impulsgeber als auch richtungsweisende Grundlage. Eine ausgeprägte ProEr doganStimmung in Deutschland, die gerade seit der politischen Al lianz zwischen AKP und MHP bei den Anhängern zunimmt, verstärkt dabei die nationalistische Ausrichtung der Vereine und eine Abkehr von Integration. Bisher zeigen die Appelle der Vereine, Provokationen nicht in Gewalt ausarten zu lassen, jedoch überwiegend ihre Wirkung. Solange die militärischen Einsätze der Türkei gegen die PKK andau ern, muss aber weiterhin im gesamten Bundesgebiet mit Demonst rationen, Spannungen und im Einzelfall auch Ausschreitungen zwi schen beiden Gruppierungen gerechnet werden. 283 06 Prävention Prävention 6.1 Prävention Für eine effiziente und nachhaltige Sicherheitspolitik müssen Re pression und Prävention Hand in Hand gehen. Aus diesem Bewusst sein heraus hat der Niedersächsische Verfassungsschutz 2014 den phänomenübergreifenden Fachbereich Extremismusprävention ein gerichtet. Dieser ist seit seiner Entstehung stetig angewachsen und umfasst eine Vielzahl von Angeboten, von der Informationsvermitt lung über Extremismusphänomene und Radikalisierung bis hin zum Aussteigerprogramm. Da sich die extremistischen Szenen ständig wandeln, werden die Präventionsangebote des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stetig an die aktuellen Entwicklungen angepasst. Sie sind zudem zielgruppenorientiert und niedrigschwellig erreichbar. Dies stellt si cher, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den Angeboten haben, um sich zu informieren, Ansprechpartner bei konkreten Fra gen zu finden und ggf. sogar selbst Hilfe zu erhalten, beispielsweise beim Ausstieg aus der extremistischen Szene. Extremismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Heraus forderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist daher Kooperationspartner innerhalb eines Netzwerkes von unterschiedlichen Präventionsakteuren in Nieder sachsen sowie auf Bundesebene. Damit trägt er zu einer gelingen den und ganzheitlich angelegten Extremismusprävention für Nieder sachsen bei. Deshalb hat er federführend an der Erarbeitung des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus - für Demokratie und Menschenrechte (heute: "Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte") mitgearbeitet und ist gemeinsam mit dem Lan deskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) geschäftsführend im Lan desprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Islamis musprävention Niedersachsen" (KIP NI) tätig. 286 Prävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz hält folgende Präventions angebote bereit: f Bereitstellung von Referentinnen und Referenten für Fachvorträge, f Veröffentlichung von Informationen des Verfassungsschutzes im Rahmen eigener Veranstaltungen und Publikationen, f speziell für bestimmte Adressatenkreise konzipierte Informations reihen (u. a. Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextre mismus"145, Lehrkräftefortbildungen, Beratung von Funktionsträ gerinnen und trägern in Städten und Kommunen), f Betreuung von Personen, die sich von extremistischen Ideologien bzw. Szenen abwenden möchten (Aussteigerprogramm Aktion Neustart146). Auswirkungen der CoronaPandemie Die CoronaPandemie beeinflusste die Präventionstätigkeit des Nie dersächsischen Verfassungsschutzes im Jahr 2020 maßgeblich. So musste die Mehrzahl der von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Prävention gestalteten Vorträge ebenso entfallen wie die jährlich stattfindenden Veranstaltungen. Die Wanderausstellung "Gemein sam gegen Rechtsextremismus" konnte statt wie üblich an fünf Or ten 2020 nur an einem Ort gezeigt werden. Außerdem rückte das CoronaVirus Themen in den Vordergrund, die bisher wenig ange fragt wurden. Dazu gehört der Komplex der Verschwörungstheo rien und deren Verbindungen mit extremistischen Ideologien und Gruppen sowie die Frage, wie mit diesem Phänomen in präventiver Hinsicht umgegangen werden kann. 6.2 Vortrags und Informations veranstaltungen Ein wichtiger Baustein der Präventionsangebote des Niedersächsi schen Verfassungsschutzes sind Vortrags und Informationsveran staltungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschut 145 Siehe Kapitel 6.3. 146 Siehe Kapitel 6.8. 287 Prävention zes können zu allen Aspekten des Extremismus als Referentinnen und Referenten eingeladen werden, z. B. von Kommunen, Vereinen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden, Schu len und anderen Bildungseinrichtungen. Ebenso werden Projektta ge, Seminare und Workshops auf Anfrage fachlich begleitet. Die Themen und Formate können dabei innerhalb des Zuständigkeitsbe reichs des Verfassungsschutzes mit den Referentinnen und Referen ten flexibel vereinbart werden. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach fachlicher Begleitung stetig gestiegen. Während im Jahr 2014 noch 62 Fachvorträge zu al len Erscheinungsformen des Extremismus gehalten wurden, waren es 2019 bereits 392. Auch 2020 erhielt der Fachbereich Extremismusprä vention wieder zahlreiche Anfragen. Aufgrund der CoronaPandemie konnten 2020 lediglich 190 Vorträge zum Teil online realisiert wer den, an denen ca. 6.200 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen. Bei den Themen setzt sich der Trend von 2019 fort, dass der Rechts extremismus anteilig wieder stärker nachgefragt wurde als in den Jahren zuvor. Auf dieses Thema entfielen 55 Vorträge mit mehr als 2.000 Teilnehmenden. Nach wie vor sehr gefragt waren auch Vor träge zum Islamismus, hier insbesondere dem Salafismus (33 Vorträge mit rund 800 Teilnehmenden). Über das Thema Linksextremismus haben sich etwa 500 Personen in 22 Vorträgen informieren lassen. Die übrigen 73 Vorträge betrafen vor allem die Bereiche Prävention/ Deradikalisierung und Aufgaben des Verfassungsschutzes. Im Frühjahr 2020 setzte der Niedersächsische Verfassungsschutz die 2019 begonnene Veranstaltungsreihe "Sicherheit von Amts und Mandatsträgern" fort, die vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport niedersachsenweit für die Regionen der sechs Polizeidirektionen organisiert wurde. 2020 wurde ein gemeinsames Projekt der Jugendoffiziere Braun schweig und des Fachbereiches Prävention des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ins Leben gerufen. In den circa dreistündigen Vorträgen wird aufgezeigt, welche Auswirkungen internationale Krisen, Kriege und Konflikte auf extremistische Gruppierungen in 288 Prävention Deutschland haben. Vorgestellt werden zudem die Aufgabenberei che von Bundeswehr und Verfassungsschutz, die rechtlichen Grund lagen der Arbeit sowie die Zusammenarbeit der beiden Akteure. 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein seit Jahren erfolgreiches und anschauliches Format der Präven tionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bildet die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". U. a. anhand einschlägiger Internetvideos, rechtsextremistischer Musik und Szenebekleidung werden grundlegende Informationen zu ver schiedenen Ausprägungen des Rechtsextremismus und rechtsextre mistischer Propaganda vermittelt. Einen Schwerpunkt der Ausstel lung bildet die rechtsextremistische Jugendszene. Daher eignet sie sich insbesondere für Schülerinnen und Schüler bzw. Auszubildende. Sie wird durch Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes begleitet, die im Rahmen von 90minütigen Führungen die Fragen der Teilnehmenden beantworten. Bereits seit dem Jahr 2005 stellt der Niedersächsische Verfassungs schutz die Wanderausstellung zur Informationsvermittlung über den Rechtsextremismus zur Verfügung. Im Jahr 2013 wurde sie grund legend überarbeitet und neu konzipiert. Das Konzept ermöglicht es, die Ausstellung laufend mit aktuellen Inhalten zu bestücken. Seitdem fanden rund 1.000 Führungen statt, bei denen ungefähr 289 Prävention 23.000 Teilnehmende erreicht wurden. Insgesamt war die Wander ausstellung seit 2005 in 91 Orten Niedersachsens und angrenzen den Bundesländern zu sehen. Im Jahr 2020 konnte die Ausstellung lediglich in Osterode am Harz Station machen. Die Referentinnen und Referenten des Niedersäch sischen Verfassungsschutzes informierten in 24 Führungen rund 457 Personen über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus. Die Ausstellung ist für das Jahr 2021 bereits für vier Ausstellungsor te vorläufig gebucht. Die Realisierung hängt jedoch maßgeblich von der weiteren Entwicklung der PandemieLage ab. 6.4 Informationsmaterialien Der Niedersächsische Verfassungsschutz erstellt Informationsma terialien (Faltblätter & Broschüren) zu aktuellen Entwicklungen im Extremismus und veröffentlicht den jährlichen Verfassungsschutz bericht, der einen detaillierten Überblick über die extremistischen Entwicklungen in Niedersachsen gibt. Die Materialien können kos tenfrei beim Niedersächsischen Verfassungsschutz bestellt werden und stehen auch auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfas sungsschutzes zum kostenlosen Download zur Verfügung. Bislang sind folgende Titel erhältlich: f "Rechtsextremismus" (Flyer), f "Identitäre Bewegung Deutschland (IBD): Ideologie und Aktionsfelder" (Broschüre), f "Reichsbürger und Selbstverwalter" (Flyer), f "Islamismus" (Flyer), f "Salafismus: Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen" (Broschüre), f "Jihadistischer Salafismus" (Flyer), f "Frauen im Salafismus: Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen" (Broschüre), f "Jugend und Familie im Salafismus" (Broschüre), 290 Prävention f "Linksextremismus" (Flyer), f "Autonome Gewalt" (Flyer), f "Vom Autonomen zum Postautonomen: Autonome in Bewegung" (Broschüre), f "Antisemitismus im Extremismus" (Broschüre) f "Verfassungsschutz durch Aufklärung" (Flyer), "Spionage - (k)ein Thema?! (Flyer). 291 Prävention 6.5 Symposien Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz öffentliche Symposien veranstaltet, in deren Rahmen anerkannte Ex pertinnen und Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen des Extremismus diskutieren. Am 10.06.2020 sollte das 14. Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes mit dem Titel "WÜRDE - Was tun gegen Hass und Hetze?" stattfinden. Das aufgrund der CoronaPandemie abgesagte Symposium wird nachgeholt, sobald es möglich ist. Der neue Termin wird auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes bekannt gegeben. 6.6 Podiumsdiskussionen 2014 initiierte der Niedersächsische Verfassungsschutz mit "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" eine weitere Veranstaltungsreihe. Bei diesem Format stehen nicht die eigenen Positionen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Vordergrund; vielmehr bietet es ein Forum, um Akteure der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Politik über aktuelle Themen miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Veranstaltungsreihe "Aktuell und Kontrovers" konnte in diesem Jahr nicht fortgeführt werden. Die Veranstaltung wird voraussicht lich 2021, sofern es die Lage zulässt, wieder im jährlichen Turnus stattfinden. Über Termine informiert die Internetseite des Nieder sächsischen Verfassungsschutzes. 292 Prävention 6.7 Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompe tenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) 6.7.1 Struktur Die islamistische und hierbei vor allem die salafistische Radikalisierung junger Menschen stellt Staat und Gesellschaft vor große Herausfor derungen. Wichtig ist, Radikalisierungsprozessen vorzubeugen oder diese aufzuhalten. Das Land Niedersachsen begegnet dieser Heraus forderung, indem es auf eine lebendige und vielfältige Präventions landschaft setzt. Diese Vielfalt sowie die sicherheitspolitische Lage (z. B. Rückkehrende aus den ehemaligen Jihadgebieten in Syrien und im Irak) machen eine strukturierte und abgestimmte Vorgehensweise notwendig. Im Juli 2016 hat die Niedersächsische Landes regierung deshalb die Einrichtung der "Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) beschlossen. Im Mai 2020 wurde KIP NI per Kabinettsbeschluss zum Landesprogramm für Islamismusprävention ausgebaut. Das Landesprogramm trägt den Titel: "Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI). Das KIP NI hat zur Aufgabe, die vorhandenen Netzwerke der unter schiedlichen Akteure im Bereich der Islamismusprävention zu bündeln, zu institutionalisieren und zu intensivieren. Es ist damit die zentrale Stelle in Niedersachsen, an der die vielfältigen Ansätze der Islamis musprävention zusammenlaufen, abgestimmt und strukturiert werden. Das Kompetenzforum ist eine ressortübergreifende Einrichtung, in welcher der Sachverstand f des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (MI), f des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI), f des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) mit der zivilgesellschaftlichen Beratungsstelle zur Prävention neosalafistischer Radikalisierung - beRATen e. V., 293 Prävention f des Niedersächsischen Justizministeriums (MJ) mit dem Landes präventionsrat Niedersachsen (LPR NI) sowie f des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK) zusammengeführt wird. Die Koordinierungsstelle des Kompetenzforums wird gemeinsam und gleichberechtigt durch den Niedersächsischen Verfassungs schutz (Fachbereich Extremismusprävention) und das LKA NI (Prä ventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität) wahrgenommen. Die am KIP NI beteiligten Ressorts sind auf mehreren Ebenen mit einander vernetzt: f Eine Steuerungsgruppe, bestehend aus den jeweils zuständigen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern der an dem KIP NI beteiligten Ministerien, setzt die wesentlichen Weichenstellun gen für die Islamismusprävention in Niedersachsen. f Zur interministeriellen Vernetzung auf Arbeitsebene finden re gelmäßig Vernetzungstreffen mit den für die Islamismuspräven 294 Prävention tion zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt. Hier werden die Details der ressortübergreifenden Islamismuspräven tion gemeinschaftlich erarbeitet, neue Trends im Themenfeld Islamismus diskutiert, Präventionsansätze entwickelt und bei Bedarf Projektgruppen eingerichtet. f Die Arbeit des KIP NI wird durch einen Fachbeirat, bestehend aus Mitgliedern aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, beratend begleitet. 6.7.2 Arbeitsschwerpunkte f Strategische Koordinierung In den verschiedenen Gremien des KIP NI werden nachhaltige Strategien für die Islamismus/Salafismusprävention in Nieder sachsen entwickelt. Der Niedersächsische Verfassungsschutz koordiniert diesen Entwicklungsprozess. f Einzelfallbezogene Koordinierung Zur Koordinierung und Bearbeitung von Einzelfällen beruft das LKA NI Fallkonferenzen mit den jeweils erforderlichen Akteuren ein. Gemeinsam werden einzelfallbezogene Präventionsmaßnah men der Intervention und Deradikalisierung erarbeitet. f Aufbau von kommunalen Netzwerken für Extremismusprävention Der Niedersächsische Verfassungsschutz, das LKA NI, der Lan despräventionsrat im Niedersächsischen Justizministerium und beRATen e. V. begleiten den Prozess der lokalen Netzwerkbil dung, um sicherzustellen, dass vor Ort u. a. für die Islamismus/ Salafismusprävention Informationen problemlos für die Öffent lichkeit zugänglich sind, Meldewege etabliert werden und die Fallbearbeitung effizient erfolgen kann. f Sensibilisierung Alle am KIP NI beteiligten Akteure bieten Maßnahmen zur Sensibilisierung der mit dem Phänomen Islamismus/Salafismus konfrontierten Einrichtungen und der Öffentlichkeit an. Detail lierte Informationen zu den Sensibilisierungs und Informations angeboten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind den Kapiteln "6.2 Vortrags und Informationsveranstaltungen" sowie 295 Prävention "6.4 Informationsmaterialien" zu entnehmen. Zudem koordiniert der Niedersächsische Verfassungsschutz die Öffentlichkeitsarbeit des KIP NI mittels einer eigenen Internetseite, Flyern und Broschü ren. Er organisiert die öffentliche Jahresveranstaltung des KIP NI. f Intervention und Deradikalisierung Das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungs schutzes Aktion Neustart147 hilft Ausstiegswilligen dabei, sich von extremistischer Szene und Ideologie zu lösen und ein Leben ohne Extremismus zu führen. Die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle zur Prävention neosalafistischer Radikalisierung beRATen e. V. bietet Beratung bei Radikalisierungsverdachtsfällen und steht Angehörigen bzw. dem Umfeld von Radikalisierten als Ansprech partner zur Verfügung. Beide Angebote sind kostenlos, vertrau lich und auf freiwilliger Basis. 6.7.3 Ausbau der KIP NI zum Landesprogramm Die Niedersächsische Landesregierung hat im Mai 2020 die Weiter entwicklung der Landesprogramme für Extremismusprävention be schlossen. Das "Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte" geht aus dem "Landesprogramm gegen Rechtsextremismus - für Demo kratie und Menschenrechte" hervor und ist beim Landespräven tionsrat im Niedersächsischen Justizministerium angesiedelt. Das Landesprogramm für Islamismusprävention "Kompetenzforum Isla mismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) ist die Fortführung der "Kom petenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen". Die Zielstruktur für das Landesprogramm für Islamismusprävention wurde unter Beteiligung aller Ressorts erarbeitet und führt die bisherigen Organisationsstruktu ren und Arbeitsfelder zusammen. Somit umfasst das Landesprogramm für Islamismusprävention folgende inhaltliche Schwerpunkte: f Fortentwicklung und Umsetzung von Präventionsstrategien, f Intensivierung und Ausbau der Netzwerkarbeit, f Stärkung von Präventionsangeboten vor Ort, f Gewährleistung der Informationsvermittlung, f Bereitstellung von Interventions und Deradikalisierungsangeboten sowie f Qualitätssicherung. 296 147 Siehe Kapitel 6.8. Prävention Die Überarbeitung beider Landesprogramme fand in enger inhaltli cher Abstimmung statt. Zudem wurde ein fortlaufender Austausch zwischen beiden Landesprogrammen institutionalisiert. 6.7.4 Arbeitsgruppen Eine interministerielle Arbeitsgruppe (AG) innerhalb des KIP NI hat 2020 zu einem Themenfeld mit besonderer Bedeutung gearbeitet. f AG "Kommunale Strukturen der Islamismusprävention": In dieser Arbeitsgruppe (AG KoStI) geht es um die zielgerich tete Stärkung der Islamismusprävention auf lokaler Ebene. Für eine ganzheitliche Islamismusprävention im Flächenland Nie dersachsen ist es notwendig, dass Präventionsstrukturen auf Landesebene durch Strukturen auf kommunaler Ebene ergänzt werden. Da extremistische Szenen sich teilweise ähnlicher Formen und Formate der Ansprache und Propaganda bedienen und die extremistischen Phänomenbereiche in einer dynamischen Wechselwirkung zueinanderstehen, stellen sich die Netzwerke phänomenübergreifend auf. Ziel der AG KoStI ist es, ressortüber greifend Standards der Extremismusprävention auf lokaler Ebene zu erarbeiten. Hierfür stimmen sich LKA NI, der Niedersächsische Verfassungsschutz, der Landespräventionsrat Niedersachsen und beRATen e. V. in regelmäßigen Sitzungen über die Bedarfe vor Ort und Standards für kommunale Netzwerke der Extremis musprävention ab. Außerdem initiieren und begleiten sie die Netzwerkbildung vor Ort und unterstützen z. B. durch Mode ration, administrative Tätigkeiten, Vernetzung mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und Angeboten sowie Vermittlung und Durchführung von Fachvorträgen. Die AG KoStI steht dem jeweiligen kommunalen Netzwerk auch langfristig beratend zur Seite. In mehreren Kommunen wurden mittlerweile Netzwerkstrukturen erarbeitet und Meldewege institutionali siert. Als Mitglied der AG KoStI begleitet der Niedersächsische Verfassungsschutz aktuell Prozesse bzw. Netzwerke in Celle, Osnabrück, Salzgitter und Wolfsburg. Weitere Prozesse und Netz werke befinden sich im Aufbau. 297 Prävention 6.7.5 Rückkehrkoordination Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförder te Projektstelle der Rückkehrkoordination hat zur Aufgabe, die kon kreten Maßnahmen, die in ressortübergreifenden Fallkonferenzen zu Rückkehrsachverhalten beschlossen wurden, zu koordinieren. Darüber hinaus bereitet sie für das Themenfeld "ISRückkehrende" relevante Informationen auf, um z. B. in Präventionsnetzwerken be ratend tätig zu werden. Die enge Vernetzung mit dem BAMF und der regelmäßige Austausch mit den Rückkehrkoordinationen ande rer Bundesländer ist hierfür ein strategisch wertvoller Baustein. Informationen über den Themenkomplex "Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Jihadgebieten" lassen sich der 2020 veröffentlichten Broschüre des KIP NI "Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Syrien und dem Irak" entnehmen. Sie ist auf den Internetseiten des KIP NI und des Niedersächsischen Verfassungsschutzes abrufbar und kann auch bei den bekannten Adressen bestellt werden. 6.7.6 Jahresveranstaltung Seit 2017 bringt die jährliche KIP NITagung die in der Islamis musprävention tätigen Akteurinnen und Akteure in Niedersachsen zusammen und bietet Raum für Vernetzung und Diskussionen. In verschiedenen Formaten, von Podiumsdiskussionen, Workshops, Fachvorträgen bis hin zu Theaterstücken, findet ein Austausch zu aktuellen Themen und Fragestellungen statt. Über einen neuen Termin für die ausgefallene KIP NIJahrestagung 2020 wird rechtzeitig auf der Internetseite des Landesprogrammes für Islamismusprävention KIP NI informiert. 6.7.7 KIP NIInternetseite Die Internetseite des KIP NI steht Nutzerinnen und Nutzern, die sich über das Phänomen des Islamismus/Salafismus und die Islamis musprävention in Niedersachsen informieren wollen, zur Verfügung. Dort erhalten Sie Informationen zum Phänomenbereich, zur Arbeit des Landesprogrammes für Islamismusprävention, zu Veranstaltun 298 Prävention gen und zu Hilfsangeboten. Zudem können über die Internetseite Informationsmaterialien abgerufen und kostenlos bestellt werden. Weitere Informationen zum KIP NI erhalten Sie wie folgt: Kontakt: Internet: www.KIPNI.niedersachsen.de EMail: info@KIPNI.niedersachsen.de 6.8 Aktion Neustart Das Aussteigerprogramm Aktion Neustart unterstützt ausstiegswillige Extremisten, die sich von ihrer jeweiligen extremistischen Szene und Ideologie distanzieren wollen. Aktion Neustart steht als Ansprechpart ner für Ausstiegswillige zur Verfügung, spricht aber auch proaktiv Extre misten an, die noch keinen Ausstiegswillen entwickelt haben. Auf diese Weise sollen bei ihnen Ausstiegsimpulse gesetzt werden. Wichtiger Teil der Ausstiegsarbeit ist zudem die Beratung des sozialen Umfeldes von Extremisten, z. B. der Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und Freunde. Das Aussteigerprogramm unterstützt alle Aus stiegswilligen, vom jungen Szeneeinsteiger über Mit läufer und Aktivisten bis hin zu langjährigen Führungs kadern der extremistischen Szenen. Die Unterstützung durch Aktion Neustart ist stets kostenlos, freiwillig und streng vertraulich. Das Angebot des Aussteigerprogramms umfasst: f vertrauliche Beratung am Telefon, f vorurteilsfreie Gespräche über Probleme, Ängste und Wünsche, f persönliche Beratung und Begleitung im Ausstiegsprozess, f Erstellung eines individuellen Ausstiegsplans, f Unterstützung bei der Arbeits, Ausbildungs oder Wohnungs suche und im Umgang mit Behörden, f Hilfe in Bedrohungssituationen, f Unterstützung bei der Bearbeitung von Alkohol, Drogen und finanziellen Problemen, f Hilfe bei der Entfernung von extremistischen Tätowierungen und f Unterstützung bei Gesprächen mit Eltern, Lehrern und Arbeitgebern. 299 Prävention Aktion Neustart wurde Ende 2010 als Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten aufgebaut. Das Zuständigkeitsgebiet wurde im Jahr 2016 um den Phänomenbereich Islamismus erweitert. Seit Ende 2019 bietet das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Unterstützung für den Ausstieg aus allen ex tremistischen Szenen an und steht somit auch für die Phänomen bereiche Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug sowie Scientology Organisation zur Verfügung. 300 Prävention Das Aussteigerprogramm hat seit seiner Gründung zahlreiche Fälle bearbeitet. Die Fälle umfassen Beratungstätigkeiten für soziale Um felder (Familie, Arbeitgeber, Freunde etc.) extremistischer Personen sowie konkrete Ausstiegsbetreuungen. Von den Fällen, die zu einer konkreten Ausstiegsberatung führten, sind im Phänomenbereich Rechtsextremismus mit Hilfe von Aktion Neustart seit 2010 insgesamt 49 Personen erfolgreich ausgestiegen. 29 Personen werden aktuell betreut. Im Phänomenbereich Islamismus sind mit Hilfe von Aktion Neu start seit 2016 insgesamt zehn Personen erfolgreich ausgestiegen. 17 Personen werden aktuell betreut. Im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug sind derzeit 3 Personen in der Ausstiegsbetreuung. In den anderen Phänomenbereichen werden derzeit Konzepte für Ansprachen ausgearbeitet. Das Team von Aktion Neustart ist interdisziplinär und geschlechterparitätisch zusammengesetzt. Die Mitarbei terinnen und Mitarbeiter verfügen über langjährige Er fahrung im Umgang mit extremistischen Ideologien und arbeiten auf Grundlage pädagogischer und psychologi scher Fachkenntnisse und Methoden. Die umfangreichen Verfassungsschutzerkenntnisse über extremistische Ideo logien und Szenen ermöglichen es Aktion Neustart, mög liche Bedrohungslagen für einen Aussteiger frühzeitig zu erkennen und fundierte Gefahrenprognosen zu erstellen. Im Ausstiegsprozess sollen die persönlichen Einstiegsmo tive und die extremistischen Einstellungsmuster erkannt, besprochen und aufgelöst werden. Ziel der Ausstiegsar beit ist die Hinwendung des Aussteigers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den Grund und Menschenrechten. Das Zusammenspiel sicherheitsbehördlicher und pädagogischer Fähig keiten kombiniert mit langjähriger Erfahrung in der Ausstiegsarbeit er möglicht es, im Ausstiegsprozess nicht nur eine nachhaltige Loslösung von extremistischer Ideologie und Szene zu erreichen, sondern gleich zeitig auch Schutz und Sicherheit für den Aussteiger zu gewährleis ten. Darüber hinaus sind auch die Reintegration des Aussteigers in die 301 Prävention Gesellschaft sowie der Aufbau einer neuen sozialen und beruflichen Existenz elementar für die Ausstiegsarbeit von Aktion Neustart. In der Ausstiegsarbeit bestätigt sich regelmäßig, dass extremistische Szenen gerade für junge Menschen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen bereithalten. Der Wunsch nach Anerkennung und eine Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für die Hin wendung zur extremistischen Szene. Allerdings können durch die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Szene Orientierungslosig keit, Identitätsprobleme, Frustrationen und Ängste nur für eine be grenzte Zeit kompensiert werden. Extremisten, die erkannt haben, dass ihnen die extremistische Szene nicht das Erhoffte gibt, erhalten von Aktion Neustart Unterstützung. Gemeinsam mit der Aussteige rin oder dem Aussteiger entwickelt Aktion Neustart eine sinnvolle Perspektive für ein Leben frei von Extremismus. Seit Jahren spielen das Internet, insbesondere soziale Netzwerke, eine herausragende Rolle beim Einstieg junger Menschen in extremisti sche Ideologien und Szenen. Soziale Netzwerke bieten Menschen die Möglichkeit, erste Kontakte zu Extremisten herzustellen, extremisti sches Gedankengut unreflektiert zu übernehmen und sich so zu ra dikalisieren. Neben dem Austausch extremistischer Meinungen kön nen problemlos extremistische Schriften, Filme und Musik konsumiert werden. Um dem entgegenzutreten, nutzt auch Aktion Neustart so ziale Netzwerke für seine Ausstiegsarbeit. Hier können Extremisten gezielt proaktiv angesprochen und Ausstiegsimpulse gesetzt werden. Mittels Memes und alternativer Narrative dringt Aktion Neustart in die extremistischen Filterblasen der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke ein, bietet nichtextremistische Perspektiven an und macht auf sein Unterstützungsangebot für den Ausstieg aufmerksam. Außer Memes entwickelt Aktion Neustart seit 2019 auch Videoclips, die für einen Ausstieg aus dem Extremismus werben. Der erste Vi deoclip mit dem Titel "Denk selbst!" richtet sich an junge Menschen, die Gefahr laufen, sich über Soziale Medien islamistisch zu radikali sieren. Der zweiminütige Clip skizziert den Radikalisierungsprozess, der durch Islamisten bzw. durch ihre extremistischen VideoBot schaften in Sozialen Medien bei jungen Menschen in Gang gebracht werden kann. Ein weiterer VideoClip zeigt schlaglichtartig, welchen 302 Prävention Weg eine rechtsextremistische Radikalisierung neh men kann. Das Thema der ISRückkehrerinnen wird in einem dritten VideoClip behandelt. Hier wech seln sich kurze Äußerungen von Rückkehrerinnen mit emotionalen Bildern ab, in denen sich die Problematik um die Kinder von ISRückkehrerinnen andeutet. Die Videoclips sind auf den Seiten der Aktion Neustart in den Sozialen Medien sowie auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zu finden. Um potenzielle Aussteigerinnen und Aussteiger möglichst niedrig schwellig erreichen zu können, bietet Aktion Neustart die Möglich keit der anonymen OnlineBeratung an. Sie richtet sich an alle, die sich über Extremismus und den Ausstieg aus dem Extremismus be raten lassen wollen. Kontakt: Mobil: 0172 4444300 EMail: aktion.neustart@mi.niedersachsen.de In den Sozialen Medien: Facebook, YouTube, Instagram OnlineBeratung für alle Extremismusbereiche: www.aktionneustart.de 6.9 Kontaktdaten Prävention Für Wünsche zu Vortrags und Informationsveranstaltungen steht der Fachbereich der Prävention beim Niedersächsischen Verfas sungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709215 EMail: praevention@mi.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechts extremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führun gen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie eben falls unter der o. a. Telefonnummer oder EMailAdresse. Siehe hierzu auch Kapitel 1.15. 303 07 ScientologyOrganisation (SO) ScientologyOrganisation (SO) 7 ScientologyOrganisation (SO) Die "ScientologyOrganisation" ist zum einen auf finanzielles Ge winnstreben ausgerichtet und beabsichtigt zum anderen eine welt weite Einflussnahme auf staatliche Institutionen, Wirtschaftsunter nehmen und gesellschaftliche Strukturen.148 Sie strebt als Fernziel eine von ihr beherrschte Gesellschaftsordnung an, in der wesent liche Grund und Menschenrechte außer Kraft gesetzt oder einge schränkt werden sollen. Die Organisation hat einen Standort in Hannover, der unter der Be zeichnung "Scientology Hannover e. V." firmiert. In Niedersachsen entfaltet die "ScientologyOrganisation" (SO) kei ne nennenswerten Aktivitäten und ist im Gesamtgefüge der Orga nisation als bedeutungslos einzustufen. Die Mitgliederzahl von circa 250 Personen sowie die Aktivitäten von SO sind in Niedersachsen seit Jahren stagnierend bzw. rückläufig. Zu den wenigen Aktivitäten der niedersächsischen Scientologen ge hört in erster Linie die Verteilung von Werbebroschüren. Auf eine umfangreichere Darstellung im Verfassungsschutzbericht wird daher bei gleichbleibender Bewertung verzichtet. Aufgrund der verfassungsfeindlichen Ziele der Gesamtorganisation bleibt die SO aber auch in Niedersachsen Beobachtungsobjekt. 148 Bayr. Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, "Das System Scientology", April 2020, Seite 9. 306 ScientologyOrganisation (SO) 307 08 Spionageabwehr/ Proliferation/ Elektronische Angriffe Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen Der Fachbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfas sungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten zu sam meln und Spionage sowie Proliferation149 zu verhindern. Da Nieder sachsen als erfolgreicher Wirtschaftsstandort potenzielles Ziel von Spionageaktivitäten fremder Geheim oder Nachrichtendienste150 ist, gilt es ihn vor derartigen Aktivitäten zu bewahren. Zudem geht es darum, den Schutz der in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Auch wenn die im Folgenden aufge führten Beispiele von Aktivitäten fremder Geheim und Nachrich tendienste nicht immer einen Niedersachsenbezug aufweisen, muss davon ausgegangen werden, dass es derartige Aktivitäten auch in Niedersachsen gibt. Die Beispiele sollen daher zu einer Sensibilisie rung der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der niedersächsischen Wirtschaft beitragen. Hauptträger der klassischen Spionageaktivitäten in der Bundesre publik Deutschland sind nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China, aber auch der Iran. Die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten orientieren sich an den politischen Vorgaben und wirt schaftlichen Prioritäten. Aufgrund desolater Sicherheitslagen in ihren Heimatländern und da mit verbundener existenzieller Bedrohung sucht eine große Zahl von Menschen Zuflucht und Schutz in Europa. Insbesondere Deutschland ist Ziel von Flüchtlingsbewegungen, die ihren Ursprung vor allem in Afghanistan, im Irak sowie in Syrien, aber auch in den Ländern Zent ral und Westafrikas haben. Mit der sich vergrößernden Exilgemeinde ist die Ausforschung oppositioneller Aktivitäten zur wichtigen Zielvor gabe für fremde Dienste in Deutschland geworden. Fremde Geheim oder Nachrichtendienste sind in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. 149 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABCWaffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 8.2. 150 Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen Nachrichtendienste einer rechtsstaatlichen Kontrolle und haben keine polizeilichen Befugnisse. Die deutschen Verfassungsschutzbe hörden sind danach Nachrichtendienste. Siehe dazu auch Kapitel 1.7. 310 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Botschaften, Generalkonsulate = Legalresidenturen) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheim und Nachrichten dienstmitarbeitende können dort, als Diplomatinnen und Diplomaten getarnt, tätig werden und Informationen beschaffen oder sie leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Eine Vielzahl von Informationen, die für fremde Geheim oder Nach richtendienste interessant erscheinen und früher nur mit klassischen Spionagetätigkeiten zu erheben waren, sind heutzutage mit relativ geringem technischen Aufwand und fast ohne Risiko auf virtuel lem Wege zu erlangen. Zum Teil ist aufgrund bestimmter Parameter (z. B. welcher Angriffsweg und welche Infrastruktur werden ge nutzt) auch von einer geheim oder nachrichtendienstlichen oder staatlichen Beteiligung auszugehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass die klassischen Spionageaktivitäten ausgedient haben. Im Jahr 2020 traten im Fach bereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz entsprechende Verdachtsfälle auf. Nachfolgend werden exemplarisch einige Fälle dargestellt, die nicht unbedingt einen Niedersachsenbezug aufweisen müssen, aber ge nau so auch in Niedersachsen passiert sein können. Im Vordergrund steht daher der Präventivcharakter, um die Unternehmen und die Bevölkerung durch die Schilderung dieser Fälle zu sensibilisieren. 311 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Türkei Die türkische Regierung machte die nach dem Prediger Fetullah Gülen benannte "GülenBewegung" für den Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs am 15. und 16.07.2016 verantwortlich. Anläss lich der Einweihung des neuen Dienstgebäudes des türkischen Ge heimdienstes "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) am 06.01.2020 stell te der türkische Staatspräsident Erdogan in Ankara lobend heraus, dass der MIT die Strukturen der als "Fetullahistische Terrororgani sation" (FETÖ) bezeichneten "GülenBewegung" aufgedeckt habe. Erdogans Rede bot auch einen Ausblick auf das, was der MIT mittel und langfristig plane. Zukünftig hätten ComputerNetzwerkOpera tionen zur Identifikation Oppositioneller und seitens der Türkei als Terrorverdächtige bewerteter Personen Priorität. Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes führten im Jahr 2020 mehr als 160 Sensibilisierungsgespräche mit möglicher weise betroffenen Personen. Konkrete Spionagetätigkeiten wurden bislang allerdings nicht festgestellt. Russland Die Bundesanwaltschaft hat am 18.06.2020 vor dem Staatsschutz senat des Kammergerichts in Berlin Anklage gegen den russischen Staatsangehörigen Vadim K. erhoben.151 Der Angeschuldigte ist des Mordes (SS 211 StGB) zum Nachteil des am 23.08.2019 in Berlin ge töteten russischgeorgischen Staatsangehörigen Tornike K. hinrei chend verdächtig. Vadim K. soll am 23.08.2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin Moabit den 40jährigen georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung Tornike K. mit Schüssen aus einer Kurzwaffe gezielt getötet haben. In der Anklage schrift wird dargelegt, dass staatliche russische Stellen verdächtigt werden, dem Angeschuldigten den Auftrag erteilt zu haben, Tornike K. zu liquidieren, da er sich gegen den russischen Staat gewendet habe. Die gegen die russischen Staatsstrukturen vorgebrachten Anschul digungen werden vom Kreml als unbegründet zurückgewiesen. Der Prozess begann am 07.10.2020 vor dem Kammergericht Berlin. Insbesondere baltische Staaten beklagen seit langem eine gegen sie gerichtete mediale Agitation Russlands. Es soll z. B. suggeriert 151 Pressemitteilungen des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 04.12.2019 und 18.06.2020 sowie des Kammergerichts Berlin vom 02.09.2020. 312 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe werden, dass dort schlechtere Zustände als in Russland herrschen. Damit wird versucht, den russischsprachigen Teil der Bevölkerung im Sinne der russischen Regierung zu beeinflussen und die politischen Verhältnisse zu destabilisieren. Nach Aussagen des Generalstabs chefs der russischen Streitkräfte152 muss sich Krieg nicht auf rein militärische Mittel beschränken. Die sogenannte "Gerassimow Doktrin" versteht z. B. das Mittel der Desinformation als Teil hybrider Kriegsführung zur Destabilisierung von anderen anderer Staaten. Diese Aktivitäten werden als sicherheitsgefährdend i. S. des SS 3 Abs. 1 Nr. 2 NVerfSchG eingeordnet. Alekxej Nawalny, russischer Oppositionspolitiker und bekannter Kri tiker des russischen Präsidenten, ist am 20.08.2020 auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammengebrochen. In Omsk wurde er daraufhin zunächst in einer Klinik behandelt, bevor er am 22.08.2020 nach Berlin in die Charite ausgeflogen wurde. Befunde deutscher Stellen weisen auf eine Vergiftung und auf Parallelen zu früheren Vergiftungsfällen mit russischen Bezügen hin. Der Kreml zweifelt die Aussagefähigkeit der Ergebnisse an und inszenierte sich im Gegenzug als Opfer einer westlichen Diffamierungskampagne. Auch hier soll mit Desinformationen eine alternative Realität konstruiert werden. Iran Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat am 23.03.2020 einen 51 Jahre alten Zivilangestellten der Bundes wehr wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall (SS 94 Abs. 1, 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen seine mitangeklagte Ehefrau hat der Senat wegen Beihilfe zum Landesverrat (SSSS 94 Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Gericht hat es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte in einer Kaserne in Daun (RheinlandPfalz) als Übersetzer Staatsge heimnisse militärischer Art an Mitarbeiter eines iranischen Nachrich tendienstes weitergab. Seine Ehefrau hat ihn bei dieser Verratstätig keit unterstützt. 152 Waleri Gerassimow ist der Chef des russischen Generalstabs, der die These vertritt, dass Kriege gegen andere Staaten nicht nur auf dem Schlachtfeld stattfinden, sondern dass militärische Mittel gleichberechtigt neben nichtmilitärischen Mitteln z. B. auf dem Gebiet der Politik, Wirtschaft oder Informationstechnik stehen. 313 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Konkret habe sich der Angeklagte spätestens ab dem 28.01.2013 in mindestens acht Fällen mit Verbindungsleuten eines iranischen Nachrichtendienstes in verschiedenen europäischen Städten getrof fen, um Informationen, die er auf Datenträgern gespeichert hatte (z. B. Lagepläne der Bundeswehr über militärische Situationen und Analysen des Bundesministeriums der Verteidigung zu bestimmten Ländern und Themengebieten), weiterzugeben.153 Als Staatsterrorismus wird der von Staaten ausgeübte oder gesteu erte Terrorismus bei der Verfolgung ihrer außen oder innenpoliti schen Ziele verstanden. Konkret handelt es sich um Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Frei heit nach den SSSS 211, 212, 234, 234a, 239 und / oder 239b StGB, wenn anzunehmen ist, dass die Tat durch eine oder im Auftrag einer fremden Macht begangen worden ist. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass der iranische Geheim dienst "Ministry of Intelligence and Security" (MOIS) und die ope rativ tätige Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden (Quds Force) in diesem Zusammenhang auch mögliche Zielpersonen in Eu ropa und auch Deutschland ausforschen. Bestätigt wurden die Aktivitäten der Quds Force in Deutschland bereits am 27.03.2017 durch ein Urteil des Kammergerichts Berlin gegen einen pakistanischen Staatsangehörigen. Dieser hatte nach Feststellung des Gerichts im Auftrag der "Quds Force" unter ande rem den damaligen Vorsitzenden der DeutschIsraelischen Gesell schaft ausgespäht und war deswegen zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Daneben hat auch ein aktuelles Urteil eines Gerichts in Dänemark gegen einen norwegischen Staatsangehörigen iranischer Abstam mung Bedeutung, welches einer Agenturmeldung zufolge am 26.06.2020 ergangen ist. Das Gericht stellte in dem Urteil fest, dass der Angeklagte, der zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, im Auftrag eines iranischen Nachrichtendienstes einen in Dänemark le benden Aktivisten der separatistischen Unabhängigkeitsbewegung "Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz" (ASMLA) ausgespäht habe, wodurch dessen Tötung durch einen iranischen Geheimdienst ermöglicht werden sollte. 153 Pressemeldung des Oberlandesgerichtes Koblenz zum Az. 2 StE 7/19 Geh. und Az. 2 StE 11/19 (2) Geh. vom 23.03.2020. 314 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Trotz der Enttarnung mutmaßlicher iranischer Anschlagsplanungen ist davon auszugehen, dass iranische Geheimdienste auch zukünftig nicht auf staatsterroristische Aktionen im Europa verzichten werden. China Soziale Netzwerke wie Facebook, LinkedIn und Xing bieten viel fältige Möglichkeiten, sich mit bekannten Personen stärker zu ver netzen, neue Kontakte zu knüpfen oder sich in beruflicher Hinsicht weiterzuentwickeln. Mit nur wenigen "Klicks" lassen sich hier Infor mationen zu Biografien, wirtschaftlichen Verhältnissen, politischen Interessen und zum sozialen Umfeld von Nutzern abrufen. Aufgrund dieser zumeist für jedermann einsehbaren persönlichen Daten sind soziale Netzwerke längst auch in den Fokus ausländi scher Nachrichtendienste gerückt. Insbesondere chinesische Nach richtendienste nutzen Netzwerke wie LinkedIn, um Personen mit für sie interessantem Profil zu identifizieren und im Anschluss als nach richtendienstliche Quellen zu werben. Über die Methodik chinesischer Nachrichtendienste, mittels Fake Profilen insbesondere Mitarbeiter von deutschen und europäischen Behörden für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, hat der Verfas sungsschutz bereits 2017 informiert. Die seinerzeit benannten FakeProfile wurden kurz darauf von der Firma LinkedIn gesperrt und gelöscht. Nichtsdestotrotz stellt der Verfassungsschutzverbund auch weiterhin Anwerbungsversuche chinesischer Nachrichtendiens te mittels FakeProfilen insbesondere im Netzwerk LinkedIn fest. Der Niedersächsische Verfassungsschutz rät bei solchen Fallmustern, derartige Kontaktanfragen zu ignorieren und vielmehr der Verfas sungsschutzbehörde mitzuteilen. In jedem Fall kann ein Kontakt versuch als Indikator gesehen werden, in den Fokus eines fremden Nachrichtendienstes geraten zu sein. Im Zusammenhang mit der Demokratiebewegung in der chinesi schen Sonderverwaltungszone Hongkong gab es auch in Deutsch land Demonstrationen, welche die dortige Situation thematisieren, allerdings nicht in Niedersachsen. Die chinesische Administration re agiert auf gegen sie gerichtete Protestaktionen besonders sensibel. Entsprechend bleibt auch die Beobachtung und Kontrolle der Op positionsbewegung im Ausland ein Schwerpunkt chinesischer Nach richtendienste. Es ist davon auszugehen, dass die chinesischen Be 315 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe hörden in Niedersachsen durchgeführte Aktionen beobachten und an der Identifizierung von Demonstrationsanmeldenden oder teilneh menden interessiert sind. Ebenfalls kann nicht ausgeschlossen wer den, dass erkannte Protagonisten vom chinesischen Staat in Deutsch land unter Druck gesetzt, bedroht oder eingeschüchtert werden. 8.2 Proliferation Wesentliches Merkmal der Proliferation - also der Wei terverbreitung von atomaren, biologischen und chemi schen Waffensystemen (ABCWaffen) und Trägersyste men - ist, dass sie nicht von Einzelpersonen, sondern von sogenannten proliferationsrelevanten Staaten wie dem Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien unter Einbeziehung ihrer Geheimdienste betrieben wird. Da einsatzfähige ABCWaffen und Trägersysteme nicht in Gänze auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich das Interesse dieser Staaten grundsätzlich auf den Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Wei terentwicklung der bereits vorhandenen Waffenbestän de gewährleisten. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als sogenannte DualuseGüter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich An wendung finden können. Ziel ist, bei dem Erwerb solcher Güter, eine militärische Nutzung durch die Beschaffung für einen vermeintlich zivilen Einsatzzweck zu verschleiern. Durch den Einsatz von Tarnfir men bzw. organisationen sowie durch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächlichen Bestimmungsort und zweck ist es oftmals sehr aufwändig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungs aktivitäten zu erkennen. Der Export dieser DualuseGüter unterliegt strengen Ausfuhrbeschränkungen, um eine Nutzung für militärische Zwecke zu unterbinden. Grundsätzlich gilt, dass die Umgehung von Exportbestimmungen eine Ordnungswidrigkeit bzw. einen Straftat bestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschafts verordnung und ggf. dem Kriegswaffenkontrollgesetz darstellt. Die Bundesrepublik Deutschland versucht, der Proliferation durch eine restriktive Exportkontrolle entgegen zu wirken. 316 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Großes Interesse besteht an der Beschaffung von Gütern und Infor mationen aus niedersächsischen Hochtechnologieunternehmen. Die proliferationsrelevanten Staaten bemühen sich zudem um den Erwerb von Wissen, um dieses für den Betrieb von Programmen zur Herstel lung von eigenen Massenvernichtungswaffen nutzen zu können. Der Niedersächsische Verfassungsschutz unterhält Kontakte zu zahlreichen niedersächsischen Unternehmen und wissenschaftli chen Forschungseinrichtungen, die proliferationsrelevante Güter entwickeln, herstellen und vertreiben. Es hat sich eine vertrauens volle Zusammenarbeit mit dem Ziel entwickelt, das Proliferations risiko einzudämmen. Durch den gegenseitigen Informationsaus tausch können Proliferationshandlungen erkannt und die Lieferung proliferationsrelevanter Güter bzw. der illegale KnowhowTransfer unterbunden werden. Durch konsequente Aufklärung und Sensibi lisierungsgespräche wird ein wesentlicher Beitrag zur Proliferations bekämpfung geleistet. 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienst lichen Hintergrund Die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von Informations und Kom munikationstechnologien steigt. Die dadurch verursachte Verwund barkeit moderner Gesellschaften stellt eine der größten sicherheits politischen Herausforderungen dar, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsinfrastrukturen ist immens. Staat, Kritische Infrastrukturen154, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölke rung sind auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des Internets, angewiesen. 154 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen von hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dra matische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 317 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller. Meist kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlos sen werden; kriminelle, terroristische, militärische und/ oder nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die für solche Angriffe häufig genutzten hoch entwi ckelten Schadprogramme abzuwehren und zurückzuver folgen, erfordert eine enge Kooperation der beteiligten Sicherheitsbehörden. Fremde Staaten bedienen sich ge zielter elektronischer Angriffe, um Informationen zu erlan gen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Zuletzt hat es in Niedersachsen und bundesweit elektro nische Angriffe mit Verschlüsselungstrojanern gegeben. Neben den im Jahr 2019 fortgesetzten Angriffen auf Großunterneh men sind in Niedersachsen diverse kleinere und mittelständische Un ternehmen betroffen. Das verdeutlicht, welch hohen Stellenwert die ITSicherheit hat. Die höchste Gefahr für Unternehmen und Behörden stellen aktuell "Advanced Persistant Threats"155 dar. Diese zielgerichteten elektro nischen Angriffe durch fortgeschrittene, gut organisierte und profes sionell ausgestattete Angreifer, die ihre Anweisungen und Unterstüt zungen von Regierungen erhalten könnten, verlaufen typischerweise in mehreren Phasen und sind sehr komplex in der Vorbereitung und Durchführung. Ziel eines solchen Angriffes ist es, sich möglichst lange unentdeckt in fremden ITSystemen zu bewegen, um sensible Daten auszuleiten oder anderweitig Schäden anzurichten. Im Gegensatz zu vielen anderen Cyberkriminellen verfolgen diese Angreifer ihre Ziele jedoch langfristig, meist über mehrere Monate oder Jahre hinweg. Sie stimmen ihre Aktivitäten auf die Sicherheits maßnahmen ihrer anvisierten Opfer ab und greifen ein und dasselbe Opfer oft mehrfach an. 155 Bei "Advanced Persistant Threats" handelt es sich um zielgerichtete CyberAngriffe auf spezifisch ausgewählte Institutionen und Einrichtungen, bei denen sich ein Angreifer per sistent (=andauernd) Zugriff auf ein Opfersystem verschafft und in der Folge auf weitere Systeme ausweitet. Die Angriffe zeichnen sich durch einen sehr hohen Ressourceneinsatz und erhebliche technische Fähigkeiten aufseiten der Angreifer aus und sind in der Regel schwierig festzustellen (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informa tionstechnik, www.bsi.bund.de). 318 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe Die Bearbeitung solcher elektronischen Angriffe ist aufgrund der Anonymität des Angriffs und der nicht erkennbaren Motivation der Angreifer für die Sicherheitsbehörden die große Herausforderung der kommenden Jahre. Der Niedersächsische Verfassungsschutz steht niedersächsischen Wirtschaftsunter nehmen als Ansprechpartner zur Verfügung. Bei elektronischen Angriffen mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund wird Beratung angeboten. Fälle von "Cybercrime", bei denen ein solcher Verdacht ausgeschlos sen werden konnte, werden in Absprache und nur mit dem Einverständnis der oder des Betroffenen an die Strafverfolgungsbehör den abgegeben. Auch im Jahr 2020 hat der Niedersächsische Verfassungsschutz Hinweise zu möglichen elektronischen Angriffe zum Nachteil von Personen, Institutionen und Einrichtungen bearbeitet. Mehrere An griffe zielten auf Bildungseinrichtungen. Auch die Sensibilisierung von Forschungseinrichtungen, die mit der Entwicklung von Impf stoffen befasst sind, stellte ein Tätigkeitsfeld dar. Der Verfassungsschutz arbeitet im Rahmen der CyberSicherheits strategie für Niedersachsen mit dem Computer Emergency Respon se Team der niedersächsischen Landesverwaltung (NCERT) zusam men und ist darüber hinaus auf Bundesebene mit dem Nationalen CyberAbwehrzentrum (NCAZ) und anderen Behörden vernetzt so wie Multiplikator der Allianz für Cybersicherheit156. 156 Die Allianz für Cybersicherheit wurde 2012 vom Bundesamt für Sicherheit in der Informati onstechnik (BSI) gegründet und verfolgt das Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Standortes Deutschland gegenüber CyberAngriffen zu stärken. Aktuell gehören ihr 4.088 Unterneh men, 122 Partner und 97 Multiplikatoren an. 319 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe 8.4 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheim dienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nach richtendienstlichen Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzabteilung Postfach 44 20 30044 Hannover Telefon 0511 67090 zu wenden. Weitere Informationen können Sie auch dem Flyer "Spionage - (k)ein Thema?!" entnehmen, den Sie sowohl auf unserer Internet seite herunterladen, als auch über die vorstehenden Kontaktdaten bestellen können. 320 Spionageabwehr/Proliferation/Elektronische Angriffe 321 09 Geheimschutz Geheimschutz 9.1 Geheimschutz Zunehmende und komplexer werdende elektronische Angriffe (sie he Kapitel 8.3) gefährden geheimhaltungsbedürftige Informationen in Behördennetzen immer stärker. Aus diesem Grund ist ein hohes Niveau an Datensicherheit durch technische, organisatorische und personelle Maßnahmen unerlässlich. Dazu gehören insbesondere eine Zugangsbegrenzung und eine Überprüfung der Berechtigten. Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines seiner Länder gefährden können, müssen geheim ge halten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kennt nisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Ge heimhaltungsgrade (VSNUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VSVERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende Maßnahmen des personel len und materiellen Geheimschutzes erzielt wird. VS ab dem Geheimhaltungsgrad VSVERTRAULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheim schutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprü fungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschrie benen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tä tigkeit ausüben. Dazu gehören auch bestimmte Tätigkeiten innerhalb von lebens oder verteidigungswichtigen Einrichtungen. Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt nur mit schriftlicher Einwilligung der zu überprüfenden Personen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist hierbei unzulässig. Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die je weilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Der Niedersäch sische Verfassungsschutz führt sowohl für die eigenen Geheimnis träger als auch für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren befindlichen Personen des personellen vor beugenden Geheim und Sabotageschutzes die Sicherheitsüberprü fungen durch. Bei Letzteren beiden handelt es sich um eine weitere Mitwirkungsaufgabe i. S. d. SS 3 Abs. 4 Nr. 1 NVerfSchG. 324 Geheimschutz Darüber hinaus schreiben Spezialgesetze, z. B. das Atomgesetz oder das Luftsicherheitsgesetz, Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, mit denen Personen, deren Zuverlässigkeit aufgrund festgestellter Si cherheitsrisiken zweifelhaft ist, von einer Tätigkeit in sicherheitsemp findlichen Stellen, wie etwa Atomkraftwerken, ferngehalten werden sollen. Auch bei derartigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen kommt der Verfassungsschutzbehörde eine Mitwirkungspflicht zu.157 9.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen Die Anzahl der Sicherheitsüberprüfungen im Bereich des Sabotage schutzes ist weiterhin leicht gestiegen. Aufgrund der fortschreitenden Technisierung in der Landesverwaltung werden vor allem die Zugänge zu Servern und sensiblen ITBereichen besonders gesichert. Sowohl interne als auch externe Mitarbeiter, die Zugang zu solchen sensiblen Bereichen erhalten sollen, müssen sich daher einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung (Ü1Sabotageschutz) unterziehen. Insgesamt bewegte sich die Gesamtzahl der Sicherheitsüberprüfun gen im Jahr 2020 auf einem hohen Niveau. Entwicklung der Sicherheitsüberprüfungen 1.400 1.278 1.200 1.092 1.047 1.013 1.000 540 440 800 535 397 124 SÜSabotage158 600 138 152 400 126 Einfache SÜ (Ü1)159 396 524 346 417 Erweiterte SÜ (Ü2)160 200 0 40 61 104 90 Erweiterte SÜ (Ü3)161 2017 2018 2019 2020 157 Zu den Mitwirkungsaufgaben siehe Kapitel 1.10. 158 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SÜG für Tätigkeiten an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebens oder verteidigungswichtigen Einrichtung. 159 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SÜG (Zugang zu VSVER TRAULICH). 160 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 2 Nds. SÜG (Zugang zu GEHEIM). 161 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 3 Nds. SÜG (Zugang zu STRENG GEHEIM). 325 Geheimschutz Bei den durchgeführten Sicherheitsüberprüfungsverfahren wurden von der mitwirkenden Behörde deutlich mehr sicherheitserhebliche Erkenntnisse als in früheren Jahren festgestellt, die die Sicherheits überprüfungsverfahren insgesamt aufwändiger gestalteten. Zur Bewertung, ob wegen der sicherheitserheblichen Erkenntnisse ein Sicherheitsrisiko vorliegt, wurden zahlreiche Anhörungen der be troffenen Personen gemäß SS 10 Absatz 1 Nds. SÜG durchgeführt. Diese Anhörungen gaben den betroffenen Personen die Möglich keit, im persönlichen Gespräch mit der mitwirkenden Behörde zur Sachverhaltsaufklärung und dessen Bewertung beizutragen. Es ist eine Erkenntnis, dass bei Sicherheitsüberprüfungen immer deutlicher zu Tage tritt, dass die zu überprüfenden oder in die Si cherheitsüberprüfung einbezogenen Personen, wie (Ehe)partner und partnerinnen, weniger als fünf (bei Ü1) bzw. zehn (bei Ü2 oder Ü3) Jahre in Deutschland gelebt haben. Damit liegt grundsätzlich ein Verfahrenshindernis vor, mit der Folge, dass eine Sicherheitsüber prüfung nicht durchführbar ist. Das kann erhebliche Auswirkungen auf die Besetzung von Stellen haben, da eine sicherheitsempfind liche Tätigkeit erst übertragen werden kann, wenn die Mitteilung über das abschließende Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung vor liegt und dieses Ergebnis die Wahrnehmung der sicherheitsemp findlichen Tätigkeit zulässt. Fehlt ein solches Ergebnis - z. B. weil Sicherheitsermittlungen im Ausland nicht möglich sind - verfügt eine Bewerberin oder ein Bewerber nicht über die sicherheitsrecht liche und somit dienstliche Eignung, um auf einem Dienstposten mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet zu werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.2011 - 1 WB 12.11 -). Die Nichtüberprüfbarkeit der betroffenen oder der einbezogenen Person kann nur zur Ablehnung des Sicherheitsbescheides führen. Dabei ist nicht die Herkunft oder die Partnerwahl entscheidend, sondern die Überprüfbarkeit der entsprechenden Person. Auf die Überprüfung der einbezogenen Person kann aus Sicherheitsgrün den nicht verzichtet werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes schöpfen alle Möglich keiten aus, die Überprüfung durchzuführen, z. B. durch die Befra gung von Auskunftspersonen über die zu überprüfende Person. Dies ist jedoch kein vollwertiger Ersatz zu den Informationen der Sicherheitsbehörden. Das Ergebnis der Befragung kann daher nur 326 Geheimschutz akzeptiert werden, wenn die Zuverlässigkeit der entsprechenden Person damit ohne Zweifel festgestellt werden kann. Auch wenn dem Niedersächsischen Verfassungsschutz das Problem und die Konsequenzen bewusst sind und die entsprechende Person keine "Schuld" an der Nichtüberprüfbarkeit trägt, gilt - wie in allen an deren Sicherheitsüberprüfungsgesetzen auch - der Grundsatz "im Zweifel für die Sicherheit". Das Verwaltungsgericht Köln (Az. 15 L 1564/15) hat in diesem Zu sammenhang enge Grenzen für die Sicherheitsüberprüfung im Ausland anerkannt. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurde eine von einer zu überprüfenden Person angestrengte einstweilige Anordnung gegen die sicherheitsüberprüfende Be hörde verweigert. Der Sicherheitsbeauftragte der Behörde konnte den einbezogenen Ehepartner dieser Person nicht überprüfen, weil dieser dauerhaft in Frankreich lebte. Das Gericht machte deutlich, dass es aus zentralen Erwägungen heraus regelmäßig nicht mög lich sei, im Ausland Sicherheitsermittlungen durchzuführen. Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich aus dem Gesetz jedenfalls nicht. Maßgeblich bei diesen zentralen Erwägungen war, dass eine Anfrage eines deutschen Nachrichtendienstes ausländische Nach richtendienste erst auf bestimmte Personen aufmerksam machen würde, die dann ihrerseits in den Fokus der Aufklärungsarbeit dieser Dienste rücken würden, selbst, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein befreundetes Land handele. 9.3 Neues Sicherheitsüberprüfungs gesetz Am 21.06.2017 ist das überarbeitete Sicherheitsüberprüfungsge setz des Bundes in Kraft getreten. Das Gesetz enthält zahlreiche Änderungen, wie etwa die erstmalige Aufnahme von Regelungen zum materiellen Geheimschutz, sowie die einheitliche Verpflichtung zur Wiederholungsüberprüfung im Abstand von zehn Jahren für alle Stufen der Sicherheitsüberprüfung. Erstmalig ist im Gesetz die Be fugnis geregelt, Erkenntnisse aus Internetseiten und sozialen Netz werken bei der Sicherheitsüberprüfung zu berücksichtigen, indem 327 Geheimschutz offen zugängliche Inhalte eingesehen werden dürfen. Niedersach sen hat über eine Bundesratsinitiative erreicht, dass die Befugnis zur Internetrecherche - in gestufter Form - für alle von einer Sicher heitsüberprüfung Betroffenen nun zulässig ist. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung hatte die Befugnis lediglich für Personal von Nachrichtendiensten und solchem mit einer ver gleichbaren sicherheitsempfindlichen Tätigkeit vorgesehen. Inzwischen liegt ein Referentenentwurf für ein Änderungsgesetz zum Nds. SÜG vor, der das Gesetz, das bereits seit dem 30.03.2004 in Kraft ist, den aktuellen Erfordernissen anpassen soll. Bei der Über arbeitung stellen die Regelungen des Bundes einen Maßstab dar, an dem es sich zu orientieren gilt. Außerdem wurde im engen Aus tausch mit den anderen Bundesländern ein gemeinsamer Rahmen zur Anpassung der Sicherheitsüberprüfungsgesetze entwickelt, der dazu beiträgt, dass die Sicherheitsüberprüfungen weiterhin gegen seitig anerkennungsfähig sind. Es ist geplant, den Entwurf des Änderungsgesetzes zum Nds. SÜG nach Abschluss der Beteiligungsverfahren und der Zustimmung des Kabinetts im Sommer/Herbst 2021 in den Landtag einzubringen. 328 Geheimschutz 9.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes Der personelle Geheimschutz stellt in Zusammenhang mit durchzu führenden Sicherheitsüberprüfungen einen Beratungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörde, z. B. in Form von individuellen Be ratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VSVerwal tern anderer Behörden, dar. Der materielle Geheimschutz umfasst alle technischen und organisa torischen Maßnahmen, die zum Schutz gegen die unbefugte Kennt nisnahme von VS in schriftlicher, elektronischer oder mündlicher Form erforderlich sind. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes Niedersachsen sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestufte Informationen sicher bearbeitet, verwahrt, verwaltet und erörtert werden. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Ak tensicherungsräumen oder Stahlschränken (VSVerwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Außerdem bezog sich ein Teil der Beratungsfunktion auf den Um gang mit Verschlusssachen in informationstechnischen Systemen und die ordnungsgemäße Vernichtung von Verschlusssachen ver schiedener Geheimhaltungsgrade in Papierform oder als elektroni scher Datenträger nach Standards des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Geheimschutz findet aber nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Ge heimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unterneh men sind z. B. Firmen der Rüstungsindustrie. 329 10 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung Deutschland ist als technologie und exportorientierte Nation ab hängig von auf Forschung und Erfahrung beruhendem Wissen (Knowhow) und Innovation als wertvollste Ressourcen der Volks wirtschaft. Dieses Wissen und diese Informationen sind sowohl für fremde Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) als auch konkur rierende Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die gezielt und professionell Ausspähung betreiben, von höchstem Interesse. Um effektiv Forschung und Entwicklung zu betreiben, bedarf es hervor ragend ausgebildeten Personals, zudem sind sie zeitaufwändig und teuer. Mangelt es einem Staat oder einem Unternehmen an einer der genannten Ressourcen, kann versucht werden, sich die fehlen den Erkenntnisse über eine gezielte Ausspähung anzueignen. Von diesen Aktivitäten betroffen sind innovative und technologie orientierte Branchen, besonders Bereiche der Informations und Kommunikationstechnik, der Luft und Raumfahrt, der Automobilin dustrie, der Werkstoff und Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energie und Umwelttechnik. Von Interesse sind Produktinnovationen und Marktstrategien. Im Zusammenhang mit der Entwicklung eines COVID19Impfstoffes ist die Pharmaindustrie besonderen Risiken ausgesetzt. Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechno logien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobil und Schifffahrts branche, der Laser und Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und können damit Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2000 beim Niedersächsischen Verfassungsschutz aus der Spionageabwehr heraus der Fachbereich Wirtschaftsschutz geschaffen. Dieser Fachbereich des Niedersächsi schen Verfassungsschutzes ist ein Partner für die Wirtschaft. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern haben sich auf folgendes gemeinsame Aufgabenverständnis der Fachbereiche Wirtschaftsschutz geeinigt: 332 Wirtschaftsschutz "Die Verfassungsschutzbehörden informieren im Rahmen des präventiven Wirtschaftsschutzes über eigene Erkenntnisse und Analysen, die dazu beitragen, dass Wirtschaft und Wissenschaft sich eigenverantwortlich effektiv gegen Ausforschung (insbes. Wirtschaftsspionage), Sabotage und Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können." Das Beratungsangebot des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zu den Themen Wirtschafts und Industriespionage, Cybersicher heit162, KnowhowSchutz, Sicherheit in der Informations und Kom munikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, Innentäterpro blematik und Social Engineering163 wird stark nachgefragt, wie aus den folgenden Abschnitten deutlich wird. So wur den u. a. bereits zahlreiche Unternehmen bei Vortragsveran staltungen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht. 10.2 Aufgaben und Arbeitsweise Mittlerweile werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz in den Fachbereichen Geheim und Wirtschaftsschutz 1.238 Unterneh men betreut. Beratungen Zum Kerngeschäft des Fachbereiches Wirtschaftsschutz zählen in dividuelle Sensibilisierungs und Informationsgespräche bei den Unternehmen vor Ort, die im Jahr 2020 aufgrund der CoronaPan demie allerdings stark zurückgefahren werden mussten. Insgesamt wurden 45 Beratungen aufgrund spezieller Anfragen durchgeführt (2019 waren es 98). Für die Unternehmen ist hilfreich, dass der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt, also Sachverhalte mit strafrecht 162 Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen ITSicherheit auf den gesam ten CyberRaum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwen dungen, Prozesse und verarbeitete Information mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informations und Kommunikationstechnik zu einem Teil des CyberRaumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 163 Social Engineering bezeichnet eine Methodik zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 333 Wirtschaftsschutz lich relevantem Hintergrund nicht zwingend der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei gemeldet werden müssen. Denn im Falle eines Strafprozesses könnte ein Sicherheitsvorfall öffentlich werden und die betroffenen Firmen müssten Image schäden befürchten. Häufig war die Informationstechnologie von Unter nehmen betroffen. In mehreren Fällen waren Firmen netzwerke durch Schadsoftware manipuliert. Eine nachrichtendienstliche Steuerung dieser Angriffe war nicht auszuschließen. In starkem Maße werden Unternehmen Opfer von Ver schlüsselungstrojanern, wie verschiedene Meldungen an den Verfas sungsschutz zeigen. In den überwiegenden Fällen geschieht dies per EMail. Entweder befindet sich in der EMail eine Verlinkung, die auf eine auf einer Webseite hinterlegte Schadsoftware verweist, oder es wird eine Schadsoftware in einem manipulierten Anhang mitgeschickt. Als besondere Schadsoftware ist EMOTET herauszustellen. Einerseits sind von dieser Schadsoftware etliche sich ständig weiter entwi ckelnde Varianten im Umlauf, andererseits ist EMOTET in der Lage, eine bestehende EMailKommunikation auszulesen und somit eine schadhafte EMail zu generieren, die sich von der vorherigen Kom munikation kaum unterscheidet. Die Gefahr, auf den Anhang einer so generierten EMail zu klicken, ist damit sehr hoch. Nach wie vor tritt bei Unternehmen häufig der sogenannte Fa keBossAngriff oder auch CEOFraud auf. Angreifer nehmen in der Regel per EMail mit einem zeichnungsbefugten Firmenangehörigen Kontakt auf und täuschen vor, die EMail sei vom Vorstand des Un ternehmens. Unter der Vorgabe, es handele sich zum Beispiel um einen geheim zu haltenden Firmenaufkauf oder eine dringend zu tätigende Investition, wird die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter aufgefordert, eine Überweisung - häufig in bis zu sechsstelliger Höhe - in Euro vorzunehmen. In vielen Fällen sind Unternehmen er hebliche Schäden entstanden, weil mangelnde Sensibilität und feh lendes Vieraugenprinzip zu einer Überweisung geführt haben. Nicht unüblich ist auch, dass zusätzlich telefonisch Kontakt zu der ange schriebenen Person aufgenommen wird, um den vermeintlichen Wahrheitsgehalt zu erhöhen. Anrufer ist dann z. B. eine Person, die sich als Rechtsanwalt des Unternehmens ausgibt. 334 Wirtschaftsschutz In den Fällen, die dem Fachbereich Wirtschaftsschutz zu den beiden vorgenannten Varianten mitgeteilt wurden, konnte nach eingehen der Prüfung kein Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit begründet werden. Es handelte sich dann eher um Fälle von Wirt schaftskriminalität. Über den Newsletter des Fachbereiches Wirtschaftsschutz an seine betreuten Unternehmen in Niedersachsen wurden zahlreiche War nungen vor elektronischen Angriffen herausgegeben, die im Infor mationsverbund der Verfassungsschutzbehörden im Verlauf des Jahres 2020 bekannt geworden sind. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass vermehrt soziale Netzwerke (Xing, Facebook, LinkedIn o. a.) genutzt werden, um Informationen für elektronische Angriffe im Rahmen von Social Engineering zu be schaffen. Vortragstätigkeit Im Jahr 2020 hielten Mitarbeitende des Fachbereiches Wirtschafts schutz 41 Vorträge bei unterschiedlichen Veranstaltungen. Neben Industrie und Handelskammern, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen werden die Vorträge des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stark von Unternehmen für ihre Mitarbeiterin nen und Mitarbeiter und Führungskräfte nachgefragt, um für eine Sensibilisierung zu sorgen. Netzwerkarbeit Ein bedeutsamer Aspekt der Arbeit des Niedersächsischen Verfas sungsschutzes im Bereich des Wirtschaftsschutzes ist die Netzwerk arbeit. Ein wichtiger Partner, auch für den Informationsaustausch, ist die niedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche Wirtschaftsspionagefälle ist. Häufig arbeitet der Verfassungsschutz mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen und dort mit der Zentra len Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) zusammen. Durch die zunehmende Bedeutung von Industrie 4.0, der Verzah nung von Produktion mit modernster Informations und Kommu nikationstechnik und damit verbunden der Cybersicherheit haben sich Netzwerke gebildet, die für Unternehmen Hilfestellungen und Lösungen bieten. Die seit vielen Jahren vom Niedersächsischen Ver fassungsschutz begleitete Fokusgruppe Cybersicherheit von Hanno 335 Wirtschaftsschutz ver IT e.V. wurde in diesem Jahr mit dem Arbeitskreis Cybersicher heit der Digitalagentur Niedersachsen zusammengelegt und über die Region Hannover hinaus auf ganz Niedersachsen ausgeweitet. Eine Umfirmierung zum neuen "niedersachsen.digital" e.V. hat in diesem Jahr ebenfalls stattgefunden. Darüber hinaus wirkt der Fach bereich Wirtschaftsschutz im ITGesprächskreis der Industrie und Handelskammer Hannover und bei der interdisziplinären Experten gruppe "Indy4" mit. Außerdem ist er Multiplikator in der Allianz für Cybersicherheit164 beim "Bundesamt für Sicherheit in der Informa tionstechnik". Die Anzahl eigener Veranstaltungen musste im Jahr 2020 aufgrund der CoronaPandemie ebenfalls stark reduziert werden. Ein für das Frühjahr 2020 geplantes BusinessFrühstück des Veranstaltungsfor mates "Best practice meeting - security2share" konnte nicht durch geführt werden. Auch die jährlich stattfindende Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen musste abgesagt werden. 10.3 19. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungs schutzes Die alljährliche Wirtschaftsschutztagung fand am 02.11.2020 virtuell statt. Insgesamt verfolgten 500 Vertreterinnen und Vertreter größtenteils niedersächsischer Unternehmen den Livestream. Im Vergleich zur Vorjahresveranstaltung haben somit mehr als doppelt so viele Interessierte an dieser Wirt schaftsschutztagung teilgenommen. Inhaltlich orientierte sich die Veranstaltung sehr stark an den veränderten Ar beitsbedingungen vor dem Hintergrund der CoronaPande mie und den daraus resultierenden Herausforderungen. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, betonte in seiner Keynote, wie wichtig es ist, die Gefahren durch 164 Siehe Fußnote 156, Kapitel 8.3. 336 Wirtschaftsschutz Cyberkriminalität und die große Bedeutung von ITSicherheit und Di gitaler Souveränität immer wieder öffentlich zu thematisieren. Denn Cyberkriminelle versuchten mit unzähligen Angriffen und Strategi en, die Pandemie und die damit einhergehende Verunsicherung für ihre Zwecke zu nutzen. Bei allen Möglichkeiten, die die Digitalisie rung bietet, müsse sie vor allem sicher sein, um bestmöglich vor jeder Art von Angriffen und Spionage zu schützen. Dr. JanOliver Wagner, CEO Greenbone Networks GmbH, stellte in seinem Vortrag "Digitale Souveränität - Die zunehmende Be deutung nachhaltiger Widerstandsfähigkeit" heraus, dass die An greifbarkeit digitaler Netzwerke stetig zunehme, die digitale Wi derstandsfähigkeit dabei aber sinke. Dies werde durch vermehrtes Arbeiten im Homeoffice noch verstärkt, wenn vielfach aus Zeitgrün den SecurityAspekte bei der Einrichtung dieser Arbeitsplätze außer Acht gelassen werden. Ansprüche an die Sicherheit dürften auch künftig nicht in den Hintergrund geraten. Johannes Wiggen, Referent für Cybersicherheit, Analyse und Bera tung der KonradAdenauerStiftung e. V., referierte anschließend über "Die Auswirkungen von COVID19 auf Cyberkriminalität und staatliche Cyberaktivitäten". Die CoronaPandemie illustriere durch die gestiegene Nutzung digitaler Angebote und den Einsatz weniger geschützter, privater ITGeräte im Homeoffice digitale Sicherheitsri siken und verdeutliche die Notwendigkeit adäquater Maßnahmen zum Schutz von ITSystemen im unternehmerischen Umfeld, beson ders aber auch in Kritischen Infrastrukturen165. Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema "Videokonferen zen - Menschen sicher miteinander vernetzen?!" bildete den inhalt lichen Schwerpunkt der diesjährigen Tagung. Neben Dr. JanOliver Wagner beteiligten sich Christian Rommert (Digitalunternehmer LeitungsKunst), Klaus Marwede (Datenschutzbeauftragter und CEO niedersachsen.digital Service GmbH) und Andreas Ebert (Leiter Knowhow und Prototypenschutz Volkswagen AG) an dem Panel. Um unter den aktuell geltenden Einschränkungen weiterhin effek 165 Siehe Fußnote 154, Kapitel 8.3. 337 Wirtschaftsschutz tiv arbeiten zu können, sind Unternehmen darauf angewiesen, dass sich Mitarbeiter untereinander austauschen können. Videokonfe renzen sind dafür seit Monaten das Mittel der Wahl, allerdings ber gen sie einige Gefahren. Sowohl datenschutzrechtliche Aspekte als auch Aspekte des KnowhowSchutzes wurden thematisiert. Während der gesamten Veranstaltung bestand für die Teilnehmen den die Möglichkeit, online Fragen zu stellen, auf die besonders in der Podiumsdiskussion eingegangen werden konnte. Der rege Zuspruch zu diesem digitalen Veranstaltungsformat zeigt, wie etabliert die Wirt schaftsschutztagung als Informationsforum für Unternehmen ist, aller dings ließ die OnlineVeranstaltung die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch und besonders den vertraulichen Austausch vermissen. 10.4 Kontaktdaten Für Fragen steht der Fachbereich Wirtschaftsschutz des Nieder sächsischen Verfassungsschutzes unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511 6709284 oder 248 Telefax: 0511 6709393 EMail: wirtschaftsschutz@mi.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 338 Wirtschaftsschutz 339 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität 166 11.1 (PMK) - Vorbemerkung Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei auf Grundlage des durch einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und senatoren der Länder eingeführ ten "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMDPMK)" erfasst, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) ge mäß den Richtlinien des KPMDPMK. Dazu zählen "echte Staats schutzdelikte" (SSSS 80a83, 8486a, 8791, 94100a, 102, 104a, 105108e, 109109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB sowie des VStGB) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Defi nitionssystem der PMK zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzde likte"). Den Letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Wür digung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrach tung politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außer kraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Darüber hinaus werden zudem die Tatbestände der "echten Staats schutzdelikte" erfasst, selbst wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Ver fassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Eben falls hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen aus wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. 166 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokrati schen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokrati sche Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbe reitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 342 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität 167 11.2 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich PMK rechts sank 2020 mit insgesamt 1.632 Delikten im Vergleich zum Vorjahr (1.824 Fälle) um 10,53 Prozent. Bei den Zahlen rechtsmotivierter Ge waltdelikte mit insgesamt 68 Delikten war im Vergleich zum Vorjahr (60 Fälle) ein Anstieg (13,33 Prozent) zu verzeichnen. Von den 1.632 Delikten im Bereich rechts in 2020 waren 1.501 extremistisch motiviert (2019: 1.745). Die Anzahl der extremistischen Gewaltdelikte stieg mit 57 Fällen im Vergleich zum Vorjahr um drei Fälle (2019: 54). Von den 57 Gewalt delikten entfielen 38 Taten auf Körperverletzungsdelikte. Die Gewaltdelikte waren partiell Folge von "Rechts/LinksKonfrontati onen", die überwiegend von Teilnehmenden der Gegenveranstaltun gen ausgingen. Sie waren somit eine Reaktion auf und eine Wechsel wirkung mit dem Phänomenbereich PMK links. Den größten Anteil der Gewaltdelikte machten im Berichtsjahr jedoch Übergriffe auf Men schen mit (teilweise vermeintlichem) Migrationshintergrund aus. Im Bereich der sonstigen extremistischen Straftaten dieses Phänomen bereichs war ein Rückgang von 1.691 Taten (2019) auf 1.444 Taten (2020) festzustellen. Dies entspricht einem Minus von 14,61 Prozent. Die extremistischen Propagandadelikte dieses Phänomenbereichs sanken im Vergleich zum Vorjahr von 1.140 auf 916 Taten, bildeten aber weiterhin den Schwerpunkt. Wie schon im Vorjahr wurden alle Propagandadelikte als extremistisch eingestuft. Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirk samer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kundgebungen oder De monstrationsteilnahmen bemüht sind, während sich ihre Anhänger zahlen im einstelligen Bereich bewegen. Anderseits existieren auch Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnen wirkung entfalten. Zur Optimierung und Stärkung personeller und 167 Siehe Fußnote 166. 343 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) organisatorischer Möglichkeiten dienen überregionale Netzwerke. In der Vergangenheit konnten Personenüberschneidungen zwischen verschiedenen regionalen rechtsextremistischen Gruppierungen festge stellt werden. So bestanden offenbar personenbezogene Überschnei dungen der Gruppierung "Calenberger Bande" und der Gruppierung "Nordadler"; gegen letztere ist im Sommer 2020 ein Vereinsverbot durch das BMI erlassen worden. Eine gewisse Gemengelage hinsicht lich Überschneidungen von Personen und rechtsextremistischen Grup pierungen ist somit anzunehmen. Subkulturelle Szenen gehen ineinan der auf und überschneiden sich hinsichtlich ihrer Mitglieder. Die Anzahl der extremistischen Volksverhetzungen sank von 333 Fällen auf 317. In Niedersachsen konnten im Jahr 2020 insgesamt sechs Straftaten gegen Asylunterkünfte festgestellt werden (2019: sieben); von ei nem politisch rechtsmotivierten Hintergrund ist auszugehen. Diese umfassten zwei Volksverhetzungen, zwei Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, einen Fall Störung des öffentlichen Friedens und eine Beleidigung. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hatten im Jahr 2015 bundesweit deutlich zugenommen. Dieser Anstieg der Straftaten stand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Anstieg der Einrichtung von entsprechenden Flüchtlingsunterkünften und der starken, emotio nalen Wahrnehmung dieses Themas in Gesellschaft, Medien und Politik. Seit dem Zenit der verübten Taten Ende 2015 war ein Rück gang festzustellen, der sich 2020 erneut fortsetzte. Nach bisherigem Erkenntnisstand handelt es sich bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte meist um lokal organisierte Agitationen, die keinen Rückschluss auf landesweit gesteuerte Strategien zulas sen. Die Intensität und Quantität entsprechender Aktionen stehen in starker Abhängigkeit von den organisatorischen Möglichkeiten der jeweiligen lokal handelnden Personen. Bei der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion mittels Pyrotechnik gem. SS 308 StGB auf den Briefkasten (Haustüreinwurf) einer Aktivis tin gegen die rechte Szene in Einbeck wurde eine tatverdächtige Per son erheblich an der Hand verletzt. Zwei Mitglieder der ehemaligen Kameradschaft Einbeck konnten als Beschuldigte ermittelt werden. Im Bereich der PMK rechts kam es im vergangenen Jahr zu fünf als extremistisch eingestufte Brandstiftungen. 344 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Bei einer schweren Brandstiftung auf ein Restaurant in Syke wurden ein Hakenkreuz und ein ausländerfeindlicher Schriftzug am Brand objekt aufgebracht. In Gnarrenburg wurde ein Mehrparteienwohn haus, in dem sich auch ein syrisches Restaurant befand, in Brand ge setzt. Auch hier wurden Hakenkreuzschmierereien am Brandobjekt aufgebracht. Bei einer Brandstiftung auf einen Neubau in Göttingen wurden an der Hauswand aufgesprühte Hakenkreuze festgestellt. In Ganderkesee wurde ein als Bar und Restaurant genutztes ehemali ges Bahnhofsgebäude in Brand gesetzt. Es wurden Zahlencodes (88) und ein Hakenkreuz am Brandobjekt festgestellt. In Neu Wulmstorf wurde der PKW eines libanesischen Staatsangehörigen in Brand ge setzt und mit Hakenkreuzen besprüht. Für das Jahr 2020 wurden zwei terroristische Straftaten registriert. Beide wurden als rechtsextremistisch eingestuft. Dabei handelt es sich in beiden Fällen um die Vorbereitung einer schweren staats gefährdenden Gewalttat gem. SS 89a StGB. In einem Fall kündigte ein später identifizierter Tatverdächtiger unter Bezugnahme auf das Anschlagsgeschehen in Christchurch/Neuseeland in einem Inter netChat einen Anschlag mit mehreren Toten auf eine nicht näher bezeichnete Moschee in Deutschland an. In dem anderen Fall wurde im Rahmen der Auswertung von Datenträgern ein Beschuldigter mit rechter Gesinnung festgestellt, der sich gezielt Sprengstoff besorgt hatte und den Umgang damit lernte. Konkrete Hinweise auf organisationsgesteuerte Gewaltstraftaten in Form von angeordneter oder gezielt gelenkter Delinquenz durch rechtsextremistische Parteien oder entsprechende Strukturen gegen Asylbewerber, Unterkünfte oder gemäß szeneinterner Wahrneh mung "Verantwortlicher" liegen bislang nicht vor. Die Motive dürften hierbei im persönlichen bzw. individuellen Be reich und nicht in der Umsetzung von konstituierten Organisations zielen oder organisationsinternen Auftragslagen liegen. Es bestehen bisher keine Anzeichen für rechtsterroristische Struktu ren in Niedersachsen. 345 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremisti schem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in Niedersachsen168 Gewalttaten: 2019 2020 Terrorismusdelikte (SS 89a StGB, SS 91 StGB, SS 129a StGB) 4 2 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 42 38 Brandstiftungen 1 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbrüche 0 1 Gefährl. Eingriffe in Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 1 1 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 0 Erpressung 0 3 Widerstandsdelikte 6 6 Insgesamt 54 57 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 58 46 Nötigungen/Bedrohungen 33 43 Propagandadelikte 1.140 916 Störung der Totenruhe 1 1 Andere Straftaten (davon Volksverhetzung) 459(333) 438(317) Insgesamt 1.691 1.444 Straftaten insgesamt 1.745 1.501 168 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abwei chen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 346 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität 169 11.3 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Im Phänomenbereich PMK links wurden für das Jahr 2020 in Nie dersachsen insgesamt 962 Straftaten registriert (2019: 995). Die Zahl der erfassten Straftaten in der PMK links ging somit um 3,32 Prozent zurück. Straftatenschwerpunkte bildeten die Regionen Göt tingen mit 99 und Hannover mit 124 linksmotivierten Straftaten. Mit Blick auf die 424 extremistisch motivierten Taten im Phänomen bereich links in 2020 ist hingegen ein deutlicher Rückgang der Fallzahlen gegenüber dem Vorjahr feststellbar (2019: 513); das ent spricht einem Rückgang von 17,35 Prozent. Diese unterschiedlich rückläufigen Straftatenaufkommen dürften damit zu erklären sein, dass ein Großteil der in 2020 begangenen politisch motivierten Straftaten im CoronaKontext nicht extremis tisch motiviert war. Von insgesamt 105 Straftaten in diesem Kontext wurden nur elf Straftaten als extremistisch bewertet. Die Anzahl der extremistischen Gewaltdelikte fiel von 62 Fällen im Vorjahr um 21 Fälle auf 41 Fälle für das Jahr 2020. Das entspricht ei nem Rückgang von 33,88 Prozent. Von den 62 Gewaltdelikten ent fielen 24 Taten auf Körperverletzungsdelikte, die damit den weitaus größten Anteil der Gewaltdelikte in diesem Bereich ausmachen. Im Jahr 2020 wurden 46 Personen Opfer von linksextremistisch mo tivierten Gewaltdelikten, wobei Angaben zur Art und Schwere von Verletzungen statistisch nicht erhoben werden. Die größte Opfer gruppe sind Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen mit 32 Opfern. Gegen sie kam es vor allem bei versammlungsrechtlichen Aktionen der linken Szene zur Gewaltanwendung durch tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Körperverletzungen, Widerstandshandlun gen und Landfriedensbrüche. Bei neun Opfern handelt es sich um Personen, die sich dem rechten Spektrum oder der Partei AfD zurechnen lassen. Die Übergriffe auf die Opfer ereigneten sich vielfach bei zufälligen Begegnungen im öffentlichen Raum und ebenso im Zusammenhang mit Versamm lungen oder Veranstaltungen. Bei einem Opfer handelt es sich um 169 Siehe Fußnote 166. 347 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) eine Person aus den Reihen von CoronaMaßnahmenKritikern, die bei einer entsprechenden Versammlung von Gegendemonstranten angegriffen wurde. Vier Opfer ließen sich keiner Kategorie zuord nen. Dem Themenfeld "Antifaschismus" wurden im Jahr 2020 ins gesamt 263 linksextremistische Taten zugeordnet. Gegenüber dem Jahr 2019 mit 348 antifaschistisch motivierten Straftaten war ein Rückgang von 24,43 Prozent zu verzeichnen. Die Abnahme ist größ tenteils auf Straftaten im Zusammenhang mit den Europawahlen im Jahr 2019 zurückzuführen. 2020 kam es in diesem Themenfeld zu 26 antifaschistisch motivier ten Gewaltdelikten (2019: 34), darunter 20 Fälle von Körperverlet zungen. Dem Themenfeld "Politische Einstellung - Konfrontation gegen Rechts" wurden im Jahr 2020 insgesamt 213 linksextremistische Taten zugeordnet. Gegenüber dem Jahr 2019 mit 260 Konfronta tionsdelikten entsprach dies einem Rückgang von 18,08 Prozent. Ebenso wie bei antifaschistischen Straftaten beruht dieser Rückgang auf einem erhöhten Straftatenaufkommen im Jahr 2019 im Zusam menhang mit den Europawahlen. 2020 kam es in dem Themenfeld zu 23 extremistischen Gewaltde likten, was gegenüber 27 Gewaltdelikten im Jahr 2019 einen ge ringfügigen Rückgang darstellt. Es handelte sich in 19 Fällen um Körperverletzungen. Linksextremistisch eingestufte Straftaten zum Themenfeld "Anti militarismus" sanken 2020 mit acht Taten gegenüber dem Vorjahr 2019 (38 Taten) deutlich. Der Rückgang ist darauf zurückzuführen, dass ein geplantes antimilitaristisches Camp gegen ein Rüstungsun ternehmen in Unterlüß (Landkreis Celle) aufgrund der CoronaPan demie nicht stattfand. Die Veranstaltung im Jahr 2019 hatte zu einem erhöhten Straftatenaufkommen geführt. Im Jahr 2020 wurden im Bereich der PMK links drei Brandstiftun gen (2019: zwei), darunter zwei schwere Brandstiftungen, began gen, ohne dass in den jeweiligen Fällen Tatverdächtige ermittelt werden konnten. Ein Sachverhalt wurde als extremistisch eingestuft. Es handelt es sich um eine schwere Brandstiftung auf der Baustelle eines Logistikzentrums eines weltweit agierenden Versandhandels. Dabei entstand ein Totalschaden in Höhe von ca. 500.000 Euro. Laut einem im Internet veröffentlichten Selbstbezichtigungsschrei 348 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) ben einer Gruppierung "Einige Saboteur*innen" richtete sich die Tat gegen das Unternehmen wegen der "Herrschaft, Überwachung und Ausbeutung von Menschen". Linksterroristische Bestrebungen sind in Niedersachsen nicht er kennbar. Die Serie von Raubüberfällen (2015 und 2016) unter Tat beteiligung von drei früheren und nach wie vor flüchtigen RAFMit gliedern wird durch die Polizei und zuständige Staatsanwaltschaft nicht als politisch motiviert bewertet. Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremisti schem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen170 Gewalttaten: 2019 2020 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 29 24 Brandstiftungen 2 1 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 2 4 Gefährl. Eingriffe in Bahn, Luft, Schiffs oder Straßenverkehr 5 5 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 2 0 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 22 7 Sonstige Delikte 0 0 Insgesamt 62 41 170 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abwei chen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 349 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 286 298 Nötigungen/Bedrohungen 11 8 Diebstahl 33 2 Andere Straftaten 121 75 Insgesamt 451 383 Straftaten insgesamt 513 424 Politisch motivierte Kriminalität 171 11.4 (PMK) mit extremistischem Hin tergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten in den Phänomenbereichen "Religiöse Ideologie" und "Ausländische Ideologie" betrug 121 Fälle für das Jahr 2020 gegenüber 345 Fällen im Jahr 2019 (Rückgang um 64,93 Prozent). Als extremistisch motivierte Taten wurden bis zum Stichtag 31.01.2021 insgesamt 102 Straftaten für das Jahr 2020 (2019: 325) erfasst. Dies bedeutet einen Rückgang um 223 Fälle (68,62 Prozent). Von der Gesamtzahl entfallen 75 Fälle auf den Phänomenbereich "Ausländische Ideologie" (2019: 285) und 27 Fälle auf den Bereich "Religiöse Ideologie" (2019: 40). Im Zusammenhang mit der COVID19Pandemie kam das Demons t rationsgeschehen nahezu zum Erliegen. Damit geht auch eine signi fikante Abnahme der demonstrationstypischen Straftaten einher. In diesem Zusammenhang treten insbesondere die Rückgänge bei den Verstößen gem. SS 20 VereinsG - Zuwiderhandlung gegen Verbote sowie gem. SS 303 StGB - Sachbeschädigung heraus. 171 Siehe Fußnote 166. 350 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Für das Jahr 2020 wurden insgesamt 15 Terrorismusdelikte festge stellt, davon entfielen zwölf Verfahren auf den Phänomenbereich "Religiöse Ideologie" und drei Verfahren auf den Bereich "Auslän dische Ideologie". In Niedersachsen wurden alle 15 Verfahren gemäß SSSS 89a, 89b oder 89c, 129a und b, 91 bzw. 30 StGB als extremistisch eingestuft. Diese verteilten sich wie folgt: Alle drei Verfahren aus dem Phäno menbereich "Ausländische Ideologie" wurden gemäß SS 129b StGB geführt. Aus dem Phänomenbereich "Religiöse Ideologie" wurden acht Verfahren gemäß der SSSS 89a, 89b, 89c StGB, drei Verfahren gemäß SS 91 StGB und ein Verfahren gemäß SS 30 StGB geführt. Im Berichtszeitraum ereigneten sich 27 Gewaltdelikte mit extremis tischem Hintergrund (2019: 35). Diese gliedern sich wie folgt auf: a) "Ausländische Ideologie" 13: drei Terrorismusdelikte, drei Körper verletzungen, vier Landfriedensbrüche, eine Erpressung und zwei Widerstandsdelikte. b) "Religiöse Ideologie" 14: zwölf Terrorismusdelikte und zwei Körperverletzungen. Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremis tischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Aus länderkriminalität" in Niedersachsen172 Gewalttaten: 2019 2020 ausländische religiöse ausländische religiöse Ideologie Ideologie Ideologie Ideologie Terrorismusdelikte (SSSS 89a, 89b, 89c, 91, 129a, b 4 19 3 12 StGB sowie Katalogtaten) Tötungsdelikte 0 1 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 0 0 172 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abwei chen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 351 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Körperverletzungen 7 1 3 2 Brandstiftungen 0 1 0 0 Herbeiführen einer Spreng 0 0 0 0 stoffexplosion Landfriedensbrüche 2 0 4 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn, Luft, 0 0 0 0 Schiffs oder Straßenverkehr Freiheitsberaubung 0 0 0 0 Raub 0 0 0 0 Erpressung 0 0 1 0 Widerstandsdelikte 0 0 2 0 Insgesamt 13 22 13 14 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 19 0 4 0 Nötigungen/Bedrohungen 3 3 3 2 Andere Straftaten 250(245) 15(4) 55(39) 11(3) (davon SS 20 VereinsG173) Insgesamt 272 18 62 13 Straftaten insgesamt 285 40 75 27 173 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins) Verbote. 352 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 353 12 Anhang Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe Antisemitismus Der Antisemitismus beschreibt ein Weltbild, welches auf Unterstel lungen und Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden basiert. Er tritt häufig in Form von Verschwörungstheorien in Erscheinung. An tisemitische Verschwörungstheorien haben eine lange Geschichte und lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Studien belegen eindrücklich, dass antisemitische Einstellungsmuster in der Bevölke rung nach wie vor verbreitet sind. Angefangen bei antisemitischen Vorurteilen, die in allen Gesellschaftsschichten zu finden sind, bis hin zu antisemitischer Hetze und Verschwörungstheorien in den verschiedenen extremistischen Szenen: Im Rechtsextremismus, Is lamismus und Linksextremismus. Antisemitische Straftaten sind in Deutschland noch immer überwiegend politisch rechtsextremistisch motiviert. Entsprechende Einstellungsmuster und Handlungen stel len ein zentrales Element der rechtsextremistischen Ideologie dar. Der israelbezogene Antisemitismus erfüllt eine Brückenfunktion zwischen den extremistischen Phänomenbereichen. Er gehört zum Kernbestand politischer Propaganda in vielen Staaten im Nahen und Mittleren Osten und ist ein Wesenszug aller islamistischen und sa lafistischen Organisationen. Er hat aber auch innerhalb linker Bewe gungen eine lange Tradition. Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extre mismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich um eine über spitzte, zum Extremen neigende Denk und Handlungsweise, die ge sellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung besei tigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts und Gesellschaftsord nung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch 356 Anhang wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht be fürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten be zeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen De mokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug umfassen das Agie ren einer Vielzahl von Gruppierungen mit linksextremistischen, se paratistischen oder nationalistischen Vorstellungen. Ihr Aktionismus zielt regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhält nisse in der Heimatregion. Aktuelle Ereignisse und politische Ent wicklungen im Herkunftsland sind dabei richtungsweisend für die Intensität des Auftretens und auch für das Militanzniveau. Türkische und kurdische Gruppierungen, die ihre jeweilige Ideologie zudem noch in gegeneinander gerichtete gewalttätige Auseinanderset zungen kanalisieren, bilden dabei einen Beobachtungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes. Als mitgliederstärkste Organisation ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zu nennen. Alle ausländerextre mistischen Organisationen sehen Deutschland als Raum für Rück zug, Rekrutierung, Propaganda und Finanzierung. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: f sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versu chen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deut schem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Be ziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden oder f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständi gung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten. 357 Anhang Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staats und Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestre bungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbeson dere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamis ten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch NichtMuslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistischterroristi scher Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: f Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Um gestaltung der bestehenden Staats und Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandis tischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. f Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staats und Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswe sens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein Scharia konformes Leben zu schaffen. Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungs feindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistischleninistischen, revolutionärmarxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutsch land gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tra genden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeich nend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. 358 Anhang Nationalismus Im Gegensatz zum Patriotismus, der sogenannten Vaterlandsliebe, wird mit dem Nationalismus die Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker bezeichnet. Neben dem deutschen Rechtsextremismus findet sich dieses Merk mal auch bei den nationalistisch geprägten Bestrebungen der türki schen "ÜlkücüBewegung", die sich ideologisch über andere Grup pen und Ethnien stellen. Der türkische Nationalismus vertritt eine antieuropäische Haltung und richtet sich auch gegen eine Demo kratisierung. Rassismus Rassismus ist ein wesentliches Ideologieelement des Rechts extremismus. Er zielt auf eine konstruierte Unterscheidung zwischen Menschengruppen ab, indem ihnen ein Set von Eigenschaften zuge schrieben wird. Diese Eigenschaften werden zum Wesen der Grup penangehörigen erklärt. Es lassen sich beispielsweise spezifische Rassismen gegen schwarze Menschen, gegen jüdische Menschen, gegen Sinti und Roma und gegen muslimische Menschen erfassen. Im Nationalsozialismus erreichte der Rassismus und daraus abgeleitete Gewaltpraktiken ihren Höhepunkt. Die in Deutschland gebräuchli che Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt häufig Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Der Begriff Rassismus findet allerdings nicht nur im Rechtsextremis mus, sondern auch in anderen Extremismusphänomenen Verwen dung. Ausgehend von der Definition für den Rechtsextremismus sollen die anderen Phänomene hier ergänzt werden. Für den Bereich des Linksextremismus findet der Begriff eher im Zu sammenhang mit dem Themenfeld Antirassismus Verwendung. Die grundsätzliche Bedeutung ist aber identisch. Einen eigenen Rassis mus im Linksextremismus gibt es nicht. Rassistische Ausprägungen im Islamismus sind religiös motiviert. Im Fokus stehen dabei Andersgläubige, bzw. die westliche Welt im All gemeinen, aber auch Muslime, die der vermeintlich falschen Glau bensrichtung anhängen. Diese werden als Ungläubige bezeichnet. Im Extremismus mit Auslandsbezug gibt es Rassismus bei den nati onalistisch geprägten Bestrebungen der türkischen "ÜlkücüBewe 359 Anhang gung". Eine rassistische Sichtweise bestärkt das nationale Bewusst sein und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie, die sich gegen ethnische Minderheiten in der Türkei richtet. Ihr Rassismus gestaltet sich nach einem totalitären Normverständnis, nach dem insbesondere Kurden, Angehörigen des jüdischen Glaubens oder anderen Minderheiten in der Türkei, keine Akzeptanz bzw. kein Re spekt gewährt wird. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehör den alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalisti schen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deut schen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung mensch licher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechts bzw. Linksradikalismus Bis 1974 wurden die Begriffe "Extremismus" sowie "Radikalismus" bzw. "Rechts oder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutz behörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfas sungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politi schen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechts sinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechts sinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungs schutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, Seite 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Termi nus "rechts bzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgren zung zu dem verfassungsfeindlichen Rechts bzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) 360 Anhang nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiyya) bezeichnet jene islamis tischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen isla mistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradi tion überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Ver heiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont mili tant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der sogenann ten westlichen Welt ausgeht. Diese sogenannten jihadistischen Sa lafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines je den Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Durchführung von Terroranschlägen ein. Separatismus Politischer oder ethnisch begründeter Separatismus steht für Bestre bungen von Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise die "Arbei terpartei Kurdistans" (PKK), sich von dem Staat, in dem sie leben, loszulösen, um einen neuen eigenen Staat zu errichten bzw. sich in einem anderen Staat einzugliedern. Religiös begründeter Sepa ratismus ist das Bestreben eines Teils der Gläubigen, sich von der Glaubensgemeinschaft abzuspalten. 361 Anhang Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissen schaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Straftatbestände des StGB mit Verfassungsschutzbezug (Auszug) SS 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen SS 88 Verfassungsfeindliche Spionage SS 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat SS 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat SS 89c Terrorismusfinanzierung SS 93 Begriff des Staatsgeheimnisses SS 94 Landesverrat SS 129a Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung SS 130 Volksverhetzung Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durch gesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straf taten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche/extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf ab zielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungs widrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht 362 Anhang (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfas sungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ih rer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktivkämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das BVerfG unterscheidet zwischen den Tatbestandsmerkmalen "beseitigen" und "beeinträchtigen". "Beseitigen" bezeichnet die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitli chen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes nicht demokra tisches Regierungssystem (BVerfGE 144, 20 (211 Rn. 550)). Demge genüber sei von einem "beeinträchtigen" auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grund ordnung bewirkt. Ausreichend sei, dass sich die Partei gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundord nung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet. Entschei dend sei, dass die Partei sich gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zu sammenleben unverzichtbar sind (BVerfGE 144, 20 (213f. Rn. 556)). Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Ver botsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landes bzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitli che demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu besei tigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefähr 363 Anhang den, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wur den bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspar tei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Im Jahr 2003 wurde ein von Bundesregierung, Bundestag und Bun desrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens aufgrund der Beobachtung durch VPersonen der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landes und Bundesvorständen der NPD fungierten, unmittelbar vor und wäh rend des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPDFührung ausgegangen werden. Am 22.03.2012 wurde bei einer Sondersitzung der Innenminister konferenz (IMK) Einigung dahingehend erzielt, eine Arbeitsgruppe der Innenministerien zur Materialsammlung in Vorbereitung eines möglichen neuen NPDVerbotsverfahrens einzurichten. Gleichzeitig erging ein Beschluss, der die Verfassungsschutzbehörden verpflich tete, ggf. bei der NPD vorhandene Quellen auf Vorstandsebene bis zum 02.04.2012 abzuschalten. Auf der Grundlage der durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien entschieden sich die Innenminister der Länder am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag. Am 14.12.2012 fasste daraufhin der Bundesrat den Beschluss, das Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Der von den Innenministern und senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). Grundlage für den Verbotsantrag waren die durch die Ver fassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über die NPD, die fortlaufend ergänzt wurden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahr 2003 wurden dafür alle VPersonen in den Führungsebenen der Partei zurückgezogen. Mit dem einstimmig gefassten Urteil wird der NPD jedoch höch strichterlich bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Ihr Ziel sei es, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so der damalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. 364 Anhang Allerdings reiche eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein für ein Verbot der NPD nicht aus. Die Partei müsse auch das Potenzial ha ben, ihre Ziele erfolgreich umzusetzen, wie es in der Urteilsbegrün dung weiter heißt. Zu den Zielen heißt es in der Urteilsbegründung: "Die NPD missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf. Die Programmatik der NPD ist auf die Beseitigung der fdGO gerichtet." (BVerfG NJW 2017, 611, 634 ff.) Bewertung: Das Bundesverfassungsgericht setzt mit dem Urteil einen neuen Maßstab, der von der bisherigen Rechtsprechung zum Parteiver bot abweicht, vor allem zum KPDVerbot im Jahr 1956. "Anders als im KPDUrteil kommt nach Auffassung des Senats ein Parteiverbot nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmög lichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfas sungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht", so Voßkuhle. Dies sei bei der NPD aber nicht der Fall174. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle gelten den Gesetze frei betätigen. Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzu grenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkur renzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und vorfälle zur Verfügung zu stehen. 174 Weitere Ausführungen zum NPDVerbot siehe Kapitel 2.8, "Die NPD ist verfassungsfeindlich". 365 Anhang 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) vom 15. September 2016 verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuausrichtung des Ver fassungsschutzes im Land Niedersachsen vom 15. September 2016 (Nds. GVBl. S. 194) zuletzt geändert durch Art. 3 SS 1 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ord nung und anderer Gesetze vom 20. Mai 2019 (Nds. GVBl. S. 88) Inhaltsübersicht Erster Teil Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS4 Begriffsbestimmungen SS5 Trennungsgebot Zweiter Teil Bestimmung zum Beobachtungsobjekt SS6 Beobachtungsobjekt SS7 Verdachtsobjekt SS8 Verdachtsgewinnung Dritter Teil Befugnisse zur Datenverarbeitung 366 Anhang Erstes Kapitel Allgemeine Vorschriften SS9 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 10 Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung SS 11 Überwachung des Brief, Post und Fernmeldeverkehrs Zweites Kapitel Erhebung und sonstige Kenntnisnahme SS 12 Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 14 Nachrichtendienstliche Mittel SS 15 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel SS 16 Besondere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Personen SS 17 Besondere Voraussetzungen für Observationen sowie Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen SS 18 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler SS 19 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz bestimmter technischer Mittel SS 20 Besondere Auskunftsverlangen SS 21 Verfahrensvorschriften SS 22 Mitteilung an Betroffene SS 23 Ersuchen und automatisierte Abrufverfahren SS 24 Registereinsicht SS 25 Verpflichtung zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde Drittes Kapitel Speicherung, Veränderung, Nutzung, Löschung SS 26 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten, Zweckbindung SS 27 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu anderen Zwecken SS 28 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten SS 29 Verfahrensbeschreibungen 367 Anhang Viertes Kapitel Auskunft SS 30 Auskunft an Betroffene Fünftes Kapitel Übermittlung SS 31 Übermittlung personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden SS 32 Übermittlung an sonstige Behörden und Stellen SS 33 Aufklärung der Öffentlichkeit, Verfassungsschutzbericht Vierter Teil Parlamentarische Kontrolle SS 34 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 35 Zusammensetzung und Verfahrensweise des Ausschusses SS 36 Unterrichtungspflichten des Fachministeriums SS 37 Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht SS 38 Beauftragung einer oder eines Sachverständigen SS 39 Beteiligung der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 40 Berichterstattung des Ausschusses gegenüber dem Landtag Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten SS 42 Übergangsvorschrift 368 Anhang Erster Teil SS3 Allgemeine Vorschriften Aufgaben SS1 (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde Zweck des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von In formationen, insbesondere von sach und Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der personenbezogenen Auskünften, Nachrich freiheitlichen demokratischen Grundord ten und Unterlagen, über nung, des Bestandes und der Sicherheit des 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitli Bundes und der Länder. che demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes SS2 oder eines Landes gerichtet sind oder Zuständigkeit eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für des Bundes oder eines Landes oder Inneres zuständige Ministerium (Fachminis ihrer Mitglieder zum Ziel haben, terium). 2Das Fachministerium unterhält eine 2. sicherheitsgefährdende oder geheim Abteilung, die gesondert von der für die dienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepu Polizei zuständigen Abteilung ausschließlich blik Deutschland für eine fremde Macht, die der Verfassungsschutzbehörde nach die 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik sem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften Deutschland, die durch Anwendung von obliegenden Aufgaben wahrnimmt (Verfas Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei sungsschutzabteilung). tungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, (2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 Einvernehmen mit der Verfassungsschutzbe des Grundgesetzes) oder gegen das hörde tätig werden. Ihre Befugnisse bestim 2 friedliche Zusammenleben der Völker men sich dabei nach den Vorschriften dieses (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) Gesetzes. gerichtet sind. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf an (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterrich dere Verfassungsschutzbehörden nicht um tet den Landtag und die Landesregierung Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst über Art und Ausmaß von Bestrebungen und nicht befugt ist. Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrich tung soll diese Organe in die Lage versetzen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 369 Anhang (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeig Auswertungsergebnisse durch zusammen net sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes er fassende Berichte und andere Maßnahmen heblich zu beschädigen. über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 auf. 2Sie tritt solchen Bestrebungen (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind und Tätigkeiten auch durch Angebote zur 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Information und zum Ausstieg entgegen. Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des (4) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit Bundes oder eines Landes von fremder 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Per Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche sonen nach Maßgabe des Niedersächsi Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen schen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des zum Schutz von im öffentlichen Interesse Bundes oder eines Landes: solche, die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, darauf gerichtet sind, den Bund, Länder Gegenständen oder Erkenntnissen gegen oder deren Einrichtungen in ihrer Funkti die Kenntnisnahme durch Unbefugte, onsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. bei der Überprüfung von Personen in 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche sonstigen gesetzlich vorgesehenen Fällen, demokratische Grundordnung: solche, 4. bei einer im öffentlichen Interesse lie die darauf gerichtet sind, einen der in genden Überprüfung von Personen mit Absatz 3 genannten Verfassungsgrund deren Einverständnis. sätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. SS4 Begriffsbestimmungen (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grund ordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 zählen: (1) Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 1 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch bestimmte, Wahlen und Abstimmungen und durch ziel und zweckgerichtete Verhaltenswei besondere Organe der Gesetzgebung, der sen in einem oder für einen Personenzu vollziehenden Gewalt und der Rechtspre sammenschluss. 2 Für einen Personenzu chung auszuüben und die Volksvertre sammenschluss handelt, wer ihn in seinen tung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 3 Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die 2. die Bindung der Gesetzgebung an die nicht in einem oder für einen Personenzu verfassungsmäßige Ordnung und die sammenschluss handeln, sind Bestrebungen Bindung der vollziehenden Gewalt und im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4, wenn der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 370 Anhang 3. das Recht auf Bildung und Ausübung Zweiter Teil einer parlamentarischen Opposition, Bestimmung zum Beobachtungsobjekt 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der SS6 Volksvertretung, Beobachtungsobjekt 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewalt und (1) 1Beobachtungsobjekt ist ein Personenzu Willkürherrschaft und sammenschluss oder eine Einzelperson nach 7. die im Grundgesetz konkretisierten SS 4 Abs. 1, der oder die zur Erfüllung der Menschenrechte. Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig beobachtet und aufgeklärt wird. (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange im 2 Voraussetzung für die Bestimmung zum Be Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 3 liegt nur dann obachtungsobjekt sind Tatsachen, die, ins vor, wenn die Gewalt innerhalb der Bun gesamt betrachtet und unter Einbeziehung desrepublik Deutschland angewendet oder nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus vorbereitet wird und sie sich gegen die poli vergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer tische Ordnung oder Einrichtungen anderer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 Staaten richtet oder richten soll. belegen. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die (2) 1Das Beobachtungsobjekt wird von der erhebliche, aggressive und unmittelbar ge Fachministerin oder dem Fachminister be gen Personen oder fremde Sachen gerichte stimmt, im Vertretungsfall von der Staatsse te Anwendung physischer Kraft. kretärin oder dem Staatssekretär oder deren oder dessen Vertreterin oder Vertreter. 2Die SS5 Gründe sind zu dokumentieren. 3Die Bestim Trennungsgebot mung ist auf höchstens vier Jahre zu be fristen. 4 Die Verlängerung der Bestimmung 1 Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbe um jeweils höchstens vier Jahre ist zulässig, fugnisse stehen der Verfassungsschutzbe wenn die Voraussetzung des Absatzes 1 hörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu. Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die Sätze 1 und 2 2 Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen gelten entsprechend. 5Wird die Bestimmung ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt nicht verlängert, so ist die Beobachtung und ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. Aufklärung unverzüglich zu beenden; die zu dem Beobachtungsobjekt gespeicherten personenbezogenen Daten sind nach Maß gabe des SS 28 zu löschen. 371 Anhang (3) 1Spätestens zwei Jahre nach der Bestim sind tatsächliche Anhaltspunkte, die, ins mung zum Beobachtungsobjekt oder einer gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Verlängerung ist von der Verfassungsschutz nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus behörde zu prüfen, ob die Voraussetzung vergleichbaren Fällen, den Verdacht einer des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist. Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 2 Ist das der Fall, so sind die Gründe zu doku rechtfertigen. mentieren. 3Andernfalls ist die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt von der Fachmi (2) 1Die Gründe für die Bestimmung zum nisterin oder dem Fachminister aufzuheben, Verdachtsobjekt und der Zeitpunkt des im Vertretungsfall von der Staatssekretärin Beginns der Verdachtsphase sind zu doku oder dem Staatssekretär oder deren oder mentieren. 2Die Verdachtsphase ist auf zwei dessen Vertreterin oder Vertreter; Absatz 2 Jahre begrenzt. 3 Die Verdachtsphase kann Satz 5 gilt entsprechend. einmalig um höchstens zwei Jahre verlän gert werden, wenn die Voraussetzung des (4) Endet die Bestimmung zum Beobach Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die tungsobjekt, so soll die Verfassungsschutz Gründe sind zu dokumentieren. 4 Endet die behörde den ihr bekannten in dem Perso Verdachtsphase, ohne dass das Verdachts nenzusammenschluss verantwortlich tätigen objekt zum Beobachtungsobjekt bestimmt Personen oder der Einzelperson die Beendi wird, so ist die Beobachtung und Aufklä gung der Beobachtung mitteilen. rung unverzüglich zu beenden; die zu dem Verdachtsobjekt gespeicherten personenbe (5) Zur planmäßigen Beobachtung und Auf zogenen Daten sind nach Maßgabe des SS 28 klärung nach Absatz 1 Satz 1 gehört auch zu löschen. 5SS 6 Abs. 5 gilt entsprechend. die Berücksichtigung derjenigen Informati onen einschließlich personenbezogener Da SS8 ten, die gegen die Bestimmung zum Beob Verdachtsgewinnung achtungsobjekt sprechen. (1) 1 In einer Verdachtsgewinnungsphase SS7 wird geprüft, ob die Voraussetzung des SS 7 Verdachtsobjekt Abs. 1 Satz 2 erfüllt ist. 2Voraussetzung für den Beginn der Verdachtsgewinnungsphase (1) In einer Verdachtsphase wird durch plan 1 sind tatsächliche Anhaltspunkte, die, ins mäßige Beobachtung und Aufklärung eines gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Personenzusammenschlusses oder einer nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus Einzelperson (Verdachtsobjekt) geprüft, ob vergleichbaren Fällen, den Anfangsverdacht das Verdachtsobjekt die Voraussetzung des einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 SS 6 Abs. 1 Satz 2 erfüllt. 2Voraussetzung oder 4 begründen. für die Bestimmung zum Verdachtsobjekt 372 Anhang (2) 1Die Gründe für den Beginn der Ver SS 10 dachtsgewinnungsphase und der Zeitpunkt Schutz des Kernbereichs ihres Beginns sind zu dokumentieren. 2Die privater Lebensgestaltung Verdachtsgewinnungsphase ist auf ein Jahr begrenzt. 3Endet die Verdachtsgewinnungs (1) Eine Datenerhebung darf nicht angeordnet phase, ohne dass ein Verdachtsobjekt oder werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte da ein Beobachtungsobjekt bestimmt wird, für vorliegen, dass dadurch nicht nur zufällig so ist die Prüfung unverzüglich zu been Daten erhoben werden, die dem Kernbereich den; die in der Verdachtsgewinnungsphase privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. gespeicherten personenbezogenen Daten sind nach Maßgabe des SS 28 zu löschen. (2) 1Wenn sich während einer bereits lau 4 SS 6 Abs. 5 gilt entsprechend. fenden Datenerhebung tatsächliche An haltspunkte dafür ergeben, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung Dritter Teil erhoben werden, ist die Datenerhebung un Befugnisse zur Datenverarbeitung verzüglich und so lange wie erforderlich zu unterbrechen, soweit dies informationstech Erstes Kapitel nisch möglich ist und dadurch die Datener Allgemeine Vorschriften hebung den Betroffenen nicht bekannt wird. 2 Bereits erhobene Daten aus dem Kern SS9 bereich privater Lebensgestaltung dürfen Grundsatz der nicht gespeichert, verändert, genutzt oder Verhältnismäßigkeit übermittelt werden; sie sind unverzüglich unter Aufsicht einer oder eines besonders 1 Die Verfassungsschutzbehörde ist an die bestellten, mit der Auswertung nicht befass allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. ten Beschäftigten, die oder der die Befähi 2 Bei der Verarbeitung von personenbezoge gung zum Richteramt hat, zu löschen. 3 Die nen Daten hat sie von mehreren geeigneten Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich Maßnahmen diejenige zu wählen, die Be privater Lebensgestaltung erhoben wurden, troffene voraussichtlich am wenigsten be und deren Löschung sind zu dokumentieren. einträchtigt. 3 Eine Maßnahme darf keinen 4 Die in der Dokumentation enthaltenen Da Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer ten dürfen ausschließlich zur Datenschutz Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg kontrolle verwendet werden. 5Sie sind zu steht. löschen, wenn seit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein Jahr vergangen ist oder es ei ner Mitteilung gemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens jedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. 373 Anhang (3) Ergeben sich erst bei der Speicherung, Zweites Kapitel Veränderung oder Nutzung von Daten tat Erhebung und sonstige Kenntnisnahme sächliche Anhaltspunkte dafür, dass Daten dem Kernbereich privater Lebensgestaltung SS 12 zuzurechnen sind, so gilt Absatz 2 Sätze 2 Allgemeine Befugnis zur bis 5 entsprechend. Datenerhebung (4) Daten aus dem durch das Berufsgeheim (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die nis geschützten Vertrauensverhältnis nach zu einer planmäßigen Beobachtung und den SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder (StPO) sind dem Kernbereich privater Le SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zu einer Prüfung nach bensgestaltung zuzurechnen. SS 8 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen personen bezogenen Daten erheben, soweit in den (5) Bestehen Zweifel, ob Daten dem Kernbe Vorschriften dieses Kapitels nicht anderes reich privater Lebensgestaltung zuzurechnen geregelt ist. 2In der Verdachtsgewinnungs sind, so sind diese der Leiterin oder dem Lei phase darf die Verfassungsschutzbehörde ter der Verfassungsschutzabteilung zur Ent personenbezogene Daten nur aus allgemein scheidung über die Zurechnung vorzulegen. zugänglichen Quellen erheben. 3Vorausset zung für die Erhebung von personenbezo SS 11 genen Daten zur Erfüllung der Aufgabe nach Überwachung des Brief, SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ist das Vorliegen tatsächli Post und Fernmeldeverkehrs cher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrach tet und unter Einbeziehung nachrichten Für die Überwachung des Brief, Post und dienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren Fernmeldeverkehrs einschließlich der Verar Fällen, den Verdacht einer Tätigkeit nach beitung der durch eine solche Maßnahme SS 3 Abs. 1 Nr. 2 rechtfertigen. erlangten personenbezogenen Daten gelten die Vorschriften des Artikel 10Gesetzes. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei Be troffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. 2Werden per sonenbezogene Daten bei Dritten außerhalb des öffentlichen Bereichs erhoben, so ist der Erhebungszweck auf deren Verlangen anzuge ben. 3Die Betroffenen und die Dritten sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (3) Ist zum Zweck der Erhebung die Über mittlung personenbezogener Daten uner 374 Anhang lässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen 2. in herausgehobener Funktion in einem der Betroffenen nur im unvermeidbaren Um Beobachtungs oder Verdachtsobjekt fang beeinträchtigt werden. tätig ist oder 3. eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 SS 13 ausübt. Erhebung personenbezogener Daten von Minderjährigen (4) 1Die Datenerhebung darf kein Verhalten einer Person aus der Zeit vor Vollendung (1) Die Erhebung von personenbezogenen ihres 14. Lebensjahres erfassen. 2Das Ver Daten über eine minderjährige Person, die halten einer Person aus der Zeit zwischen das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Vollendung ihres 14. und 16. Lebensjahres ist unzulässig. darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn zum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Voraus (2) Die Erhebung von Daten über eine min setzungen des Absatzes 2 vorlagen. 3 Das derjährige Person, die das 14. Lebensjahr, Verhalten einer Person aus der Zeit zwischen aber noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet Vollendung ihres 16. und 18. Lebensjahres hat, ist nur zulässig, wenn darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver zum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Voraus dacht bestehen, dass sie eine Straftat setzungen des Absatzes 3 vorlagen. nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes plant, begeht oder begangen hat, (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht, soweit min 2. nach den Umständen des Einzelfalls derjährige Personen von der Datenerhebung nicht ausgeschlossen werden kann, dass unvermeidbar als Dritte betroffen werden. die Erhebung zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, oder SS 14 3. tatsächliche Anhaltspunkte dafür be Nachrichtendienstliche Mittel stehen, dass sie eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausübt. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erhebung personenbezogener Daten nur fol (3) Die Erhebung von Daten über eine min gende nachrichtendienstliche Mittel einsetzen: derjährige Person, die das 16. Lebensjahr 1. verdeckte Ermittlungen bei Betroffenen vollendet hat, ist nur zulässig, wenn tatsäch und Dritten unter den Voraussetzungen liche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie des SS 15; 1. in einem oder für ein Beobachtungs 2. verdecktes Mithören ohne Inanspruch oder Verdachtsobjekt tätig ist, das auf nahme technischer Mittel unter den die Anwendung oder Vorbereitung Voraussetzungen des SS 15; von Gewalt gerichtet ist, und sie diese 3. Teilnahme an einer Kommunikations Ausrichtung fördert, beziehung im Internet unter einer 375 Anhang Legende (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) und sonstige Hilfe leisten, ohne Ver unter Ausnutzung eines schutzwürdi trauenspersonen, sonstige geheime gen Vertrauens der oder des Betroffe Informantinnen oder Informanten nen oder Dritten, um ansonsten nicht oder überworbene Agentinnen oder zugängliche Daten zu erhalten, unter Agenten zu sein (Gewährsperso den Voraussetzungen des SS 15; nen), unter den Voraussetzungen 4. planmäßig angelegte verdeckte Perso der SSSS 15 und 16; nenbeobachtung (Observation), auch 7. Observation, die innerhalb einer Woche unter Einsatz besonderer für Observa insgesamt länger als 24 Stunden oder tionszwecke bestimmter technischer über einen Zeitraum von einer Woche Mittel, soweit dieser Einsatz allein der hinaus durchgeführt wird (längerfristige Bestimmung des jeweiligen Aufenthalts Observation) oder bei der besondere für ortes der beobachteten Person dient, Observationszwecke bestimmte techni unter den Voraussetzungen des SS 15; sche Mittel zu einem anderen als dem in 5. einzelne verdeckt angefertigte fotogra Nummer 4 genannten Zweck eingesetzt fische Bildaufzeichnungen außerhalb werden, unter den Voraussetzungen der von Wohnungen unter den Vorausset SSSS 15 und 17; zungen des SS 15; 8. verdeckt angefertigte Bildübertragun 6. Inanspruchnahme von gen und Bildaufzeichnungen außerhalb a) Personen, deren planmäßig ange von Wohnungen, die nicht unter Num legte Zusammenarbeit mit der Ver mer 5 fallen, unter den Voraussetzun fassungsschutzbehörde Dritten nicht gen der SSSS 15 und 17; bekannt ist (Vertrauenspersonen), 9. Einsatz von hauptamtlichen Beschäftig b) Personen, die in Einzelfällen Hin ten der Verfassungsschutzbehörde, die weise geben und deren Zusammen planmäßig angelegt und langfristig unter arbeit mit der Verfassungsschutz einer Legende (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) per behörde Dritten nicht bekannt ist sonenbezogene Daten erheben (verdeck (sonstige geheime Informantinnen te Ermittlerinnen und Ermittler), unter den und Informanten), Voraussetzungen der SSSS 15 und 18; c) Personen mit einer bereits beste 10. verdecktes Mithören und Aufzeichnen henden Verbindung zu einem Nach des nicht öffentlich gesprochenen richtendienst einer fremden Macht, Wortes unter Einsatz technischer Mittel die zum Zweck der Spionageabwehr außerhalb von Wohnungen unter den überworben worden sind (überwor Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; bene Agentinnen und Agenten), 11. technische Mittel, mit denen zur Ermitt sowie lung der Geräte und der Kartennum d) Personen, die der Verfassungs mern aktiv geschaltete Mobilfunkend schutzbehörde logistische oder einrichtungen zur Datenabsendung an 376 Anhang eine Stelle außerhalb des Telekommuni in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 genannten Perso kationsnetzes veranlasst werden, unter nen beschafft, hergestellt und verwendet den Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; werden. 3Die Behörden des Landes und der 12. Beobachtung des Funkverkehrs auf Kommunen sind verpflichtet, der Verfas nicht für den allgemeinen Empfang sungsschutzbehörde technische Hilfe bei der bestimmten Kanälen unter den Voraus Beschaffung und Herstellung von Tarnpapie setzungen der SSSS 15 und 19; ren und Tarnkennzeichen zu leisten. 13. Überwachung des Brief, Post und Fern meldeverkehrs nach Maßgabe des SS 11. SS 15 2 Die durch den Einsatz besonderer für Ob Allgemeine Voraussetzungen servationszwecke bestimmter technischer für den Einsatz nachrichten Mittel nach Satz 1 Nr. 4 erhobenen Daten dienstlicher Mittel dürfen nicht zu einem Bewegungsbild ver bunden werden. 3Die in Satz 1 Nrn. 5 und 8 (1) 1Der Einsatz eines nachrichtendienstli genannten Mittel dürfen nicht gegen Ver chen Mittels ist unzulässig, wenn die Er sammlungen im Sinne des Niedersächsi forschung des Sachverhalts auf andere, die schen Versammlungsgesetzes (NVersG) ein Betroffenen weniger beeinträchtigende gesetzt werden. 4 Der Einsatz unbemannter Weise möglich ist; dies ist in der Regel an Fluggeräte ist unzulässig. zunehmen, wenn die Information aus allge mein zugänglichen Quellen erhoben oder (2) 1Soweit es für den Einsatz eines nach durch ein Ersuchen nach SS 23 beschafft richtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 werden kann. 2Der Einsatz eines nachrich erforderlich ist, darf die Verfassungsschutz tendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar behörde außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzu 1. fingierte biografische, berufliche oder klärenden Sachverhalts stehen, insbeson gewerbliche Angaben (Legende) mit dere nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, Ausnahme solcher beruflichen Angaben die von dem jeweiligen Beobachtungs oder verwenden, die sich auf Berufsgeheim Verdachtsobjekt oder der Tätigkeit nach nisträgerinnen oder Berufsgeheimnisträ SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausgeht oder ausgehen ger nach SS 53 StPO oder Berufshelferin kann. 3 Der Einsatz eines nachrichtendienst nen oder Berufshelfer nach SS 53a StPO lichen Mittels ist unverzüglich zu beenden, beziehen, und wenn sein Zweck erreicht ist oder sich An 2. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen be haltspunkte dafür ergeben, dass er nicht schaffen, herstellen und verwenden. oder nicht auf diese Weise erreicht werden 2 Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen kann. auch zum Schutz der Beschäftigten, Ein richtungen und Gegenstände der Verfas sungsschutzbehörde sowie zum Schutz der 377 Anhang (2) 1Ein nachrichtendienstliches Mittel darf gen geheimen Informantinnen und In nur eingesetzt werden, wenn formanten, überworbenen Agentinnen 1. sich der Einsatz gegen ein Beobach und Agenten sowie Gewährspersonen tungs oder Verdachtsobjekt oder gegen erforderlich ist. eine Person richtet, bei der tatsächliche 2 Ein nachrichtendienstliches Mittel darf auch Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie eingesetzt werden, wenn Dritte unvermeid in diesem oder für dieses tätig ist, bar betroffen werden. 2. sich der Einsatz gegen eine Person rich tet, bei der tatsächliche Anhaltspunkte (3) Bei dem Einsatz eines nachrichtendienst für die Ausübung einer Tätigkeit nach lichen Mittels dürfen die Beschäftigten der SS 3 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen, Verfassungsschutzbehörde keine Straftaten 3. sich der Einsatz gegen eine Person begehen. richtet, von der aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit (4) Die Zielsetzung und die Aktivitäten von einer der in den Nummern 1 und 2 ge Beobachtungs und Verdachtsobjekten dür nannten Personen in Verbindung steht fen von der Verfassungsschutzbehörde we und dass deshalb der Einsatz des Mittels der unmittelbar noch mittelbar steuernd be unumgänglich ist, um Erkenntnisse über einflusst werden. ein Beobachtungs oder Verdachts objekt, das auf die Anwendung oder SS 16 Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist Besondere Voraussetzungen oder aus anderen Gründen erhebliche für die Inanspruchnahme von Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit Personen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen, 4. dadurch die zur planmäßigen Beobach (1) 1Vertrauenspersonen, sonstige geheime tung und Aufklärung eines Beobach Informantinnen und Informanten, über tungs oder Verdachtsobjekts oder zur worbene Agentinnen und Agenten sowie Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Gewährspersonen dürfen nur in Anspruch Nr. 2 erforderlichen Vertrauensperso genommen werden, wenn nen, sonstigen geheimen Informan 1. sie volljährig sind, tinnen und Informanten, überworbe 2. keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür nen Agentinnen und Agenten sowie vorliegen, dass sie rechtswidrig einen Gewährspersonen gewonnen oder Straftatbestand von besonderer Bedeu überprüft werden können oder tung (Absatz 6) verwirklicht haben, 5. dies zum Schutz der Beschäftigten, 3. die Geld oder Sachzuwendungen für Einrichtungen und Gegenstände der die Inanspruchnahme einer Vertrauens Verfassungsschutzbehörde sowie zum person nicht auf Dauer deren wesent Schutz der Vertrauenspersonen, sonsti liche Lebensgrundlage sind, 378 Anhang 4. sie nicht ein Angebot zum Ausstieg (3) 1Bei Vertrauenspersonen sowie über annehmen und nicht die Absicht dazu worbenen Agentinnen und Agenten soll der haben und Zeitraum zwischen dem ersten Herantreten 5. sie nicht an die Person und dem Beginn der planmä a) Mandatsträgerin oder Mandats ßig angelegten Zusammenarbeit (Werbung) träger des Europäischen Parlaments, ein Jahr nicht überschreiten. 2Die Werbung des Bundestages oder eines Landes einer Vertrauensperson darf erst beginnen, parlaments oder wenn die G 10Kommission die Zustim b) Mitarbeiterin oder Mitarbeiter einer mung nach SS 21 Abs. 5 Satz 5 erteilt hat. solchen Mandatsträgerin oder eines 3 Vertrauenspersonen sowie überworbene solchen Mandatsträgers oder einer Agentinnen und Agenten sollen höchstens Fraktion oder Gruppe eines solchen fünf Jahre von derselben oder demselben Parlaments sind. Beschäftigten der Verfassungsschutzbe 2 Die Verfassungsschutzbehörde darf Berufs hörde geführt werden. 4 Ihre Werbung und geheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnis Inanspruchnahme sind fortlaufend zu doku träger (SS 53 StPO) sowie Berufshelferinnen mentieren. 5Die Sätze 3 und 4 gelten für die und Berufshelfer (SS 53a StPO) nicht von sich Betreuung sonstiger geheimer Informantin aus in Anspruch nehmen. nen und Informanten entsprechend. (2) 1Eine Vertrauensperson darf dauerhaft (4) 1Eine in Absatz 1 genannte Person darf nur in einem Beobachtungs oder Verdachts nur folgende Straftatbestände verwirklichen: objekt in Anspruch genommen werden, 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, das auf die Anwendung oder Vorbereitung SSSS 86a, 98, 99, 129, 129a sowie von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen 129b Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetz Gründen erhebliche Bedeutung hat. 2Wenn buchs (StGB), soweit er auf SS 129a StGB die erhebliche Bedeutung eines Verdachts verweist, objekts noch nicht festgestellt werden kann 2. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2, 4 und 5 und zu dessen Beobachtung und Aufklärung NVersG und andere nachrichtendienstliche Mittel nicht 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. denselben Erfolg versprechen, darf abwei 2 Dabei darf weder auf die Gründung einer chend von Satz 1 eine Vertrauensperson strafbaren Vereinigung hingewirkt noch eine vorübergehend in diesem Verdachtsobjekt steuernde Einflussnahme auf sie ausgeübt in Anspruch genommen werden. 3Die vorü werden. 3Erlaubt sind nur solche Handlun bergehende Inanspruchnahme ist spätestens gen, die unter Berücksichtigung der Verhält mit dem Ende der Verdachtsphase (SS 7 Abs. 2 nismäßigkeit im Einzelfall unumgänglich sind. Sätze 2 bis 4) zu beenden. 379 Anhang (5) 1Liegen die Voraussetzungen für die In SS 17 anspruchnahme einer in Absatz 1 genann Besondere Voraussetzungen ten Person nicht mehr vor, so ist die Inan für Observationen sowie spruchnahme unverzüglich zu beenden. Bildübertragungen und 2 Wird die Inanspruchnahme beendet, weil Bildaufzeichnungen sich tatsächliche Anhaltspunkte ergeben haben, dass die Person rechtswidrig einen Die Verfassungsschutzbehörde darf die Straftatbestand von besonderer Bedeutung nachrichtendienstlichen Mittel der Observa (Absatz 6) verwirklicht hat, so sind die Straf tion nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 sowie der verfolgungsbehörden zu unterrichten, wenn Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen nicht der Schutz von Leib und Leben der in nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 nur einsetzen, Anspruch genommenen Person ein Unter um Erkenntnisse über ein Beobachtungs lassen erfordert. oder Verdachtsobjekt, das auf die Anwen dung oder Vorbereitung von Gewalt gerich (6) Straftaten von besonderer Bedeutung im tet ist oder aus anderen Gründen erhebliche Sinne dieser Vorschrift sind Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit 1. Verbrechen, nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. 2. die in SS 138 StGB genannten Vergehen, 3. Vergehen nach SS 129 StGB sowie SS 18 4. gewerbs oder bandenmäßig begangene Besondere Voraussetzungen Vergehen nach für den Einsatz verdeckter a) den SSSS 243, 244, 260, 261, 263 bis Ermittlerinnen und Ermittler 264a, 265b, 266, 283, 283a, 291 und 324 bis 330 StGB, (1) Eine verdeckte Ermittlerin oder ein ver b) SS 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c deckter Ermittler darf nur unter den Vor und d des Waffengesetzes, aussetzungen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des c) SS 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und SS 29a SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes einge Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittel setzt werden. gesetzes sowie d) den SSSS 96 und 97 des Aufenthalts (2) 1Der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin gesetzes. oder eines verdeckten Ermittlers ist fortlau fend zu dokumentieren. 2SS 16 Abs. 4 gilt für verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler ent sprechend. 380 Anhang SS 19 1. zu Bestandsdaten (SS 14 TMG) oder Besondere Voraussetzungen 2. zu Nutzungsdaten (SS 15 Abs. 1 TMG). für den Einsatz bestimmter 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 darf technischer Mittel nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung angeordnet werden, dass sie zu einer planmä (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf ein ßigen Beobachtung und Aufklärung nach SS 6 technisches Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur Nrn. 10 bis 12 nur unter den Voraussetzun Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 gen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 erforderlich ist und dass tatsächliche Anhalts des Artikel 10Gesetzes einsetzen. punkte für eine schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 genanntes Schutzgut vor (2) Der Einsatz eines technischen Mittels liegen. 3Zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 darf sich nur Abs. 1 Nr. 1 darf die Erteilung einer Auskunft gegen eine Person richten, bei der zu Nutzungsdaten nur angeordnet werden, 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver wenn das Beobachtungs oder Verdachtsob dacht bestehen, dass sie eine Straftat jekt auf die Anwendung oder Vorbereitung nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen plant, begeht oder begangen hat, oder Gründen erhebliche Bedeutung hat. 4Die Er 2. aufgrund bestimmter Tatsachen teilung einer Auskunft zu Nutzungsdaten darf anzunehmen ist, dass sie über ihren nur zu einer Person angeordnet werden, Teilnehmeranschluss für eine Person 1. bei der tatsächliche Anhaltspunkte dafür nach Nummer 1 bestimmte oder von vorliegen, dass sie die schwerwiegende ihr herrührende Mitteilungen entgegen Gefahr nachdrücklich fördert, oder nimmt oder weitergibt oder dass eine 2. bei der aufgrund bestimmter Tatsachen Person nach Nummer 1 ihren Teilnehme anzunehmen ist, dass sie Telemedien ranschluss nutzt, und dass deshalb der für eine Person nach Nummer 1 nutzt Einsatz unumgänglich ist, um Erkennt und dass deshalb die Anordnung un nisse über ein Beobachtungs oder umgänglich ist, um Erkenntnisse über Verdachtsobjekt oder über eine Tätigkeit ein Beobachtungs oder Verdachtsob nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. jekt oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. SS 20 Besondere Auskunftsverlangen (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann anordnen, dass ein Diensteanbieter nach (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann SS 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes anordnen, dass ein Diensteanbieter nach (TKG) ihr Auskunft erteilt SS 2 Satz 1 Nr. 1 des Telemediengesetzes 1. zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG (TMG) ihr Auskunft erteilt erhobenen Bestandsdaten (einfache Bestandsdaten), 381 Anhang 2. zu Bestandsdaten nach Nummer 1, ist, um Erkenntnisse über ein Beobach mittels derer der Zugriff auf Endgeräte tungs oder Verdachtsobjekt oder über oder auf Speichereinrichtungen, die in eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu diesen Endgeräten oder hiervon räumlich gewinnen. getrennt eingesetzt werden, geschützt wird oder die anhand einer zu einem (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann an bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen ordnen, dass InternetprotokollAdresse bestimmt 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreiber werden (besondere Bestandsdaten), oder von Computerreservierungssystemen 3. zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. 1 und Globalen Distributionssystemen für bis 4 TKG und sonstigen zum Aufbau Flüge Auskunft zu Namen und Anschrif und zur Aufrechterhaltung der Telekom ten von Kundinnen und Kunden sowie munikation notwendigen Verkehrsdaten. zur Inanspruchnahme und den Umstän 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 den von Transportleistungen, insbeson darf nur angeordnet werden, wenn sie im dere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Einzelfall zu einer planmäßigen Beobach Abflug und zum Buchungsweg, sowie tung und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 2. Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsins oder SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der titute und Finanzunternehmen Auskunft Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich zu Konten und Geldanlagen, insbe ist. Die Erteilung einer Auskunft zu beson 3 sondere zu Kontoständen, Zahlungs deren Bestandsdaten und zu Verkehrsdaten ein und ausgängen und sonstigen darf nur unter den Voraussetzungen des Geldbewegungen, sowie zu Kontoin SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 des haberinnen, Kontoinhabern, sonstigen Artikel 10Gesetzes und nur zu einer Person Berechtigten und weiteren am Zah angeordnet werden, bei der lungsverkehr Beteiligten, erteilen. 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 dacht bestehen, dass sie eine Straftat darf nur im Einzelfall und unter der Vor nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes aussetzung angeordnet werden, dass sie zu plant, begeht oder begangen hat, einer planmäßigen Beobachtung und Aufklä 2. aufgrund bestimmter Tatsachen rung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 Abs. 1 anzunehmen ist, dass sie über ihren Satz 1 oder zur Erfüllung der Aufgabe Teilnehmeranschluss für eine Person nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und nach Nummer 1 bestimmte oder von dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine ihr herrührende Mitteilungen entge schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 gennimmt oder weitergibt oder dass genanntes Schutzgut vorliegen; Absatz 1 eine Person nach Nummer 1 ihren Satz 3 gilt entsprechend. 3Die Erteilung einer Teilnehmeranschluss nutzt und dass Auskunft nach Satz 1 darf nur zu einer Per deshalb die Anordnung unumgänglich son angeordnet werden, bei der 382 Anhang 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür beinhaltet, dass sich die betroffene Person vorliegen, dass sie die schwerwiegende rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf Gefahr nachdrücklich fördert, oder gerichteter Verdacht besteht. 2. aufgrund bestimmter Tatsachen an zunehmen ist, dass sie eine in Satz 1 SS 21 genannte Dienstleistung für eine Person Verfahrensvorschriften nach Nummer 1 in Anspruch nimmt und dass deshalb die Anordnung unum (1) 1Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mit gänglich ist, um Erkenntnisse über ein tel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 Beobachtungs oder Verdachtsobjekt wird von der Fachministerin oder dem Fach oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 minister angeordnet, im Vertretungsfall von Nr. 2 zu gewinnen. der Staatssekretärin oder dem Staatssekre tär oder deren oder dessen Vertreterin oder (4) 1Auskünfte nach den Absätzen 1 und 3 sind Vertreter. 2Dasselbe gilt für die Erteilung von unentgeltlich zu erteilen. 2Die Verfassungs Auskünften zu Nutzungsdaten nach SS 20 schutzbehörde hat für die Erteilung von Aus Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonderen Bestands künften nach Absatz 2 eine Entschädigung daten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Ver entsprechend SS 23 des Justizvergütungs und kehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 entschädigungsgesetzes zu gewähren. und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1. 3Der Ein satz nachrichtendienstlicher Mittel nach SS 14 (5) Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 bis 6 wird von der Lei und die übermittelten Daten dürfen den Be terin oder dem Leiter der Verfassungsschutz troffenen oder Dritten von den Verpflichte abteilung oder der Vertreterin oder dem ten nicht mitgeteilt werden. Vertreter angeordnet. 4 Dasselbe gilt für die Erteilung von Auskünften zu Bestandsdaten (6) 1Den Verpflichteten ist es verboten, al nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und zu einfa lein aufgrund einer Anordnung nach den chen Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Absätzen 1 bis 3 einseitige Handlungen vor Nr. 1. 5Die Gründe für die Anordnungen nach zunehmen, die für die Betroffene oder den den Sätzen 1 bis 4 sind zu dokumentieren. Betroffenen nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, (2) Anordnungen nach Absatz 1 sind zu be insbesondere bestehende Verträge oder fristen auf höchstens Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren 1. drei Jahre in den Fällen des SS 14 Abs. 1 Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu Satz 1 Nr. 6, ein Jahr in den Fällen der vo erheben oder zu erhöhen. 2Die Anordnung rübergehenden Inanspruchnahme einer ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Vertrauensperson (SS 16 Abs. 2 Satz 2), ses Verbot und darauf zu verbinden, dass 2. drei Monate in den Fällen des SS 14 Abs. 1 das Auskunftsersuchen nicht die Aussage Satz 1 Nrn. 7 bis 12, 383 Anhang 3. drei Monate bei der Erteilung von Fachminister, im Vertretungsfall die Staats Auskünften zu künftig anfallenden Nut sekretärin oder der Staatssekretär oder de zungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, ren oder dessen Vertreterin oder Vertreter, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 anordnen, dass der Einsatz des nachrich Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1. tendienstlichen Mittels vor der Zustimmung 2 Verlängerungen um jeweils höchstens den der G 10Kommission begonnen oder die in Satz 1 genannten Zeitraum sind zulässig, Auskunft vor der Zustimmung erteilt wird. wenn die Voraussetzungen der Anordnung 2 In diesem Fall ist die Zustimmung unver weiterhin erfüllt sind; Absatz 1 gilt entspre züglich nachträglich einzuholen. 3Stimmt die chend. 3Satz 2 gilt nicht für die vorüberge G 10Kommission nicht nachträglich zu, so hende Inanspruchnahme einer Vertrauens gilt Absatz 3 Satz 4 entsprechend; der Ein person (SS 16 Abs. 2 Satz 2). satz des nachrichtendienstlichen Mittels ist unverzüglich zu beenden. 4 Bereits erhobene (3) Anordnungen und Verlängerungen des 1 Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel genutzt oder übermittelt werden; sie sind nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 bedür unverzüglich zu löschen. fen der Zustimmung der G 10Kommission. 2 Dasselbe gilt für Anordnungen und Ver (5) 1Die Beobachtungs und Verdachtsob längerungen der Erteilung von Auskünften jekte, in denen die Inanspruchnahme von zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Vertrauenspersonen nach Absatz 1 Satz 3 Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 angeordnet werden darf, werden zuvor von Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 der Fachministerin oder dem Fachminister Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sowie Daten nach SS 20 bestimmt, im Vertretungsfall von der Staats Abs. 3 Satz 1. Die G 10Kommission prüft 3 sekretärin oder dem Staatssekretär oder de im Rahmen der Erteilung der Zustimmung ren oder dessen Vertreterin oder Vertreter. die Zulässigkeit und Notwendigkeit des Ein 2 Die Gründe sind zu dokumentieren. 3 Die satzes des nachrichtendienstlichen Mittels Bestimmung ist auf höchstens vier Jahre zu oder des besonderen Auskunftsverlangens. befristen. 4 Die Verlängerung der Bestim 4 Stimmt die G 10Kommission einer Anord mung um jeweils höchstens vier Jahre ist nung oder Verlängerung nicht zu, so hat zulässig, wenn die Voraussetzung des SS 16 die Fachministerin oder der Fachminister, im Abs. 2 weiterhin erfüllt ist. 5Die Bestimmung Vertretungsfall die Staatssekretärin oder der und die Verlängerung bedürfen der Zustim Staatssekretär oder deren oder dessen Ver mung der G 10Kommission. 6Absatz 3 Satz 3 treterin oder Vertreter, die Anordnung oder gilt entsprechend. 7Stimmt die G 10Kom Verlängerung unverzüglich aufzuheben. mission einer Verlängerung nicht zu, so ist die Inanspruchnahme von Vertrauensperso (4) 1Bei Gefahr im Verzug kann in den Fällen nen in dem betroffenen Beobachtungsob des Absatzes 3 die Fachministerin oder der jekt unverzüglich zu beenden. 384 Anhang (6) 1Die Wahrnehmung der Aufgaben der (2) 1Die Mitteilung wird zurückgestellt, so G 10Kommission nach den Absätzen 3 bis 5 lange obliegt der G 10Kommission nach SS 3 des 1. eine Gefährdung des Zwecks des Einsat Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung zes des nachrichtendienstlichen Mittels des Artikel 10Gesetzes (Nds. AG G 10). oder des besonderen Auskunftsverlan 2 SS 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 und Abs. 2 bis 4 gens nicht ausgeschlossen werden kann, Nds. AG G 10 gilt entsprechend. 2. durch das Bekanntwerden des Einsat zes des nachrichtendienstlichen Mittels (7) Die weiteren Einzelheiten des Einsat oder des besonderen Auskunftsverlan zes nachrichtendienstlicher Mittel sind in gens Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich Dienstvorschriften umfassend zu regeln. schutzwürdige Belange einer Person gefährdet werden, SS 22 3. ihr überwiegende schutzwürdige Be Mitteilung an Betroffene lange einer anderen betroffenen Person entgegenstehen oder (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat den 1 4. durch das Bekanntwerden des Einsatzes Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach des nachrichtendienstlichen Mittels der SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 bis 12 nach sei weitere Einsatz der in SS 14 Abs. 1 Satz 1 ner Beendigung den Betroffenen mitzutei Nrn. 6 und 9 genannten Personen gefähr len. Dasselbe gilt für Observationen nach 2 det wird und deshalb die Interessen der SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, soweit besondere für betroffenen Person zurücktreten müssen. Observationszwecke bestimmte technische 2 Wird die Mitteilung nicht innerhalb eines Mittel eingesetzt wurden. 3Die Verfassungs Jahres nach der Beendigung des Einsatzes schutzbehörde hat auch die besonderen des nachrichtendienstlichen Mittels oder Auskunftsverlangen nach Erteilung der Aus der Erteilung der Auskunft vorgenommen, kunft den Betroffenen mitzuteilen; dies gilt so bedarf die Zurückstellung der Zustim nicht für Auskunftsverlangen zu einfachen mung der G 10Kommission. 3Stimmt die Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. G 10Kommission der Zurückstellung zu, so 4 In der Mitteilung ist auf die Rechtsgrundlage hat sie diese zu befristen. 4Auch jede weitere für den Einsatz des nachrichtendienstlichen Zurückstellung bedarf der Zustimmung der Mittels oder für das besondere Auskunftsver G 10Kommission; Satz 3 gilt entsprechend. langen und auf das Auskunftsrecht nach SS 30 5 Stimmt die G 10Kommission der Zurück hinzuweisen. 5Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, stellung oder der weiteren Zurückstellung wenn für die Mitteilung in unverhältnismä nicht zu oder entfällt zwischenzeitlich der ßiger Weise weitere Daten der betroffenen Grund für die Zurückstellung, so ist die Mit Person erhoben werden müssten. teilung unverzüglich von der Verfassungs schutzbehörde vorzunehmen. 6 Die Sätze 2 bis 5 gelten nicht für die Mitteilung des Ein 385 Anhang satzes nachrichtendienstlicher Mittel nach SS 23 SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und für die Mittei Ersuchen und automatisierte lung von besonderen Auskunftsverlangen zu Abrufverfahren Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. 7 Wird in diesen Fällen die Mitteilung nicht (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur innerhalb von zwei Jahren nach der Ertei planmäßigen Beobachtung und Aufklärung lung der Auskunft vorgenommen, so ist die eines Beobachtungs oder Verdachtsobjekts Zurückstellung unter Angabe des Grundes sowie zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 der oder dem Landesbeauftragten für den Abs. 1 Nr. 2 die Behörden des Landes, ins Datenschutz mitzuteilen. besondere die Staatsanwaltschaften und die Polizeibehörden, sowie die der ausschließ (3) Einer Mitteilung bedarf es endgültig 1 lichen Aufsicht des Landes unterstehenden nicht, wenn Körperschaften, Anstalten und Stiftungen 1. die Voraussetzung der Zurückstellung des öffentlichen Rechts um Übermittlung auch fünf Jahre nach Beendigung des personenbezogener Daten ersuchen, wenn Einsatzes des nachrichtendienstlichen diese nicht aus allgemein zugänglichen Mittels oder nach Erteilung der Aus Quellen oder nur mit übermäßigem Auf kunft noch nicht entfallen ist, wand oder nur durch eine die betroffene 2. die Voraussetzungen der Zurückstellung Person stärker belastende Maßnahme er mit an Sicherheit grenzender Wahr hoben werden können. 2Die Gründe für das scheinlichkeit auch in Zukunft nicht Ersuchen sind zu dokumentieren. entfallen werden, 3. die Voraussetzungen für eine Löschung (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf an der Daten vorliegen und stelle eines Ersuchens nach Absatz 1 oder 4. die G 10Kommission zustimmt. SS 18 Abs. 3 Satz 2 des Bundesverfassungs 2 Bei nachrichtendienstlichen Mitteln nach schutzgesetzes (BVerfSchG) automatisierte SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und bei besonderen Abrufverfahren nutzen, soweit die Nutzung Auskunftsverlangen zu Bestandsdaten nach eines automatisierten Abrufverfahrens durch SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bedarf es abwei die Verfassungsschutzbehörden ausdrücklich chend von Satz 1 Nr. 4 der Zustimmung der gesetzlich geregelt ist. 2Die Einrichtung eines oder des Landesbeauftragten für den Daten automatisierten Abrufverfahrens wird von schutz. der Leiterin oder dem Leiter der Verfassungs schutzabteilung oder der Vertreterin oder dem Vertreter angeordnet. 3Soweit die gesetzlichen Regelungen nach Satz 1 die abrufende Stelle nicht zur Dokumentation der Abrufe verpflich ten, sind die Gründe für den Abruf im auto matisierten Abrufverfahren zu dokumentieren. 386 Anhang (3) 1Die ersuchte Behörde, Körperschaft, An tungs oder Verdachtsobjekts, das auf die stalt oder Stiftung ist verpflichtet, die Daten Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt zu übermitteln. 2Sie darf nur solche Daten gerichtet ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe übermitteln, die bei ihr bereits bekannt sind nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 2Satz 1 oder von ihr aus allgemein zugänglichen gilt nicht für Ersuchen um Übermittlung von Quellen entnommen werden können. 3Erwei personenbezogenen Daten, die aufgrund ei sen sich personenbezogene Daten nach ihrer ner Identitätsfeststellung nach SS 163b StPO, Übermittlung als unvollständig oder unrich auch in Verbindung mit SS 111 Abs. 3 StPO, tig, so sind sie gegenüber der empfangenden oder nach SS 13 NPOG erhoben worden sind. Verfassungsschutzbehörde unverzüglich zu 3 Ein Ersuchen um die Übermittlung perso ergänzen oder zu berichtigen, es sei denn, nenbezogener Daten, die aufgrund einer dass der Mangel für die Beurteilung des Wohnraumüberwachung nach SS 100c StPO Sachverhalts offensichtlich ohne Bedeutung oder nach SS 35a NPOG erlangt worden sind, ist. ist unzulässig. (4) Um Übermittlung personenbezogener (6) Die aufgrund eines Ersuchens nach den Daten, die von einer Staatsanwaltschaft oder Absätzen 4 und 5 übermittelten Daten sind einer Polizeibehörde aufgrund einer strafpro von der übermittelnden Staatsanwaltschaft zessualen Zwangsmaßnahme oder nach SS 32 oder Polizeibehörde unter Angabe des zur Abs. 2 oder den SSSS 33a bis 37a des Nieder Erhebung eingesetzten Mittels zu kenn sächsischen Polizei und Ordnungsbehörden zeichnen. gesetzes (NPOG) erhoben worden sind, darf nur ersucht werden, wenn die Daten auch SS 24 von der Verfassungsschutzbehörde mit ei Registereinsicht nem vergleichbaren nachrichtendienstlichen Mittel oder besonderen Auskunftsverlangen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur hätten erhoben werden dürfen. planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungs oder Verdachtsobjekts, (5) 1Um die Übermittlung personenbezoge das auf die Anwendung oder Vorbereitung ner Daten, die aufgrund einer strafprozes von Gewalt gerichtet ist, sowie zur Erfüllung sualen Zwangsmaßnahme oder einer dieser der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 die von vergleichbaren Maßnahme nach dem Nie öffentlichen Stellen geführten Register, ins dersächsischen Polizei und Ordnungsbe besondere Grundbücher, Personenstands hördengesetz erhoben worden sind, zu der bücher, Melderegister, Personalausweis die Verfassungsschutzbehörde nach diesem register, Passregister, Führerscheinkartei, Gesetz nicht befugt ist, darf nur ersucht Waffenscheinkartei, einsehen. werden, wenn dies zur planmäßigen Be obachtung und Aufklärung eines Beobach 387 Anhang (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn obachtung und Aufklärung eines Beobach 1. ein Ersuchen nach SS 23 Abs. 1 oder ein tungs oder Verdachtsobjekts, das auf die Abruf im automatisierten Abrufverfah Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt ren nach SS 23 Abs. 2 den Zweck der gerichtet ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe Maßnahme gefährden würde und nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 2. die betroffene Person durch eine ander weitige Datenerhebung unverhältnismä (2) 1Die Staatsanwaltschaften und Polizeibe ßig beeinträchtigt würde. hörden des Landes übermitteln von sich aus 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr der Verfassungsschutzbehörde die ihnen eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift bekannt gewordenen Informationen ein oder eine Pflicht zur Wahrung von Berufsge schließlich personenbezogener Daten, wenn heimnissen entgegensteht. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung (3) Die Einsichtnahme wird von der Leiterin und Aufklärung eines Beobachtungs oder oder dem Leiter der Verfassungsschutzabtei Verdachtsobjekts oder zur Erfüllung der lung oder der Vertreterin oder dem Vertreter Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich angeordnet. ist. 2Personenbezogene Daten, die aufgrund einer strafprozessualen Zwangsmaßnah (4) 1Jede Einsichtnahme ist zu dokumentie me oder einer vergleichbaren Maßnahme ren. Die in der Dokumentation enthaltenen 2 nach dem Niedersächsischen Polizei und Daten dürfen ausschließlich zur Datenschutz Ordnungsbehördengesetz erhoben worden kontrolle verwendet werden. 3Sie sind zwei sind, dürfen nur übermittelt werden, wenn Jahre nach der Dokumentation zu löschen. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung und SS 25 Aufklärung eines Beobachtungs oder Ver Verpflichtung zur Datenüber dachtsobjekts, das auf die Anwendung oder mittlung an die Verfassungs Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist, oder schutzbehörde zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 3Die Übermittlung per (1) Die Behörden des Landes sowie die der sonenbezogener Daten, die aufgrund einer ausschließlichen Aufsicht des Landes unter Wohnraumüberwachung nach SS 100c StPO stehenden Körperschaften, Anstalten und oder nach SS 35a NPOG erlangt worden sind, Stiftungen des öffentlichen Rechts übermit ist unzulässig. 4Satz 2 gilt nicht für die Über teln von sich aus der Verfassungsschutzbe mittlung von personenbezogenen Daten, die hörde die ihnen bekannt gewordenen Infor aufgrund einer Identitätsfeststellung nach mationen einschließlich personenbezogener SS 163b StPO, auch in Verbindung mit SS 111 Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte da Abs. 3 StPO, oder nach SS 13 NPOG erhoben für bestehen, dass dies zur planmäßigen Be worden sind. 5Die nach Satz 2 übermittelten 388 Anhang Daten sind unter Angabe des zur Erhebung Veränderung oder Nutzung zur plan eingesetzten Mittels zu kennzeichnen. mäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungs oder Verdachts (3) Die Übermittlung von personenbezo objekts, das auf die Anwendung oder genen Daten über eine Person, die das Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist, 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist oder zur Erfüllung der Aufgabe nach unzulässig. SS 3 Abs. 1 Nr. 2 unumgänglich ist, oder 4. dies zur Gewinnung oder Überprüfung (4) SS 23 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. von Vertrauenspersonen, sonstigen geheimen Informantinnen oder Infor manten, überworbenen Agentinnen Drittes Kapitel oder Agenten oder Gewährspersonen Speicherung, Veränderung, erforderlich ist. Nutzung, Löschung 2 Die in Satz 1 Nrn. 1 bis 4 genannten Vor aussetzungen gelten nicht in der Verdachts SS 26 gewinnungsphase. 3Sind mit personenbezo Speicherung, Veränderung und genen Daten, die nach Satz 1 gespeichert, Nutzung personenbezogener verändert und genutzt werden dürfen, wei Daten, Zweckbindung tere Daten von betroffenen Personen oder von Dritten so verbunden, dass sie nicht (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig getrennt werden können, so dürfen sie ge erhobenen personenbezogenen Daten spei meinsam mit den Daten nach Satz 1 gespei chern, verändern und nutzen, wenn dies zu chert werden; sie sind zu sperren. dem Zweck erforderlich ist, zu dem sie erho ben worden sind, und (2) 1Die mit nachrichtendienstlichen Mitteln 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür oder durch ein besonderes Auskunftsverlan vorliegen, dass die betroffene Person in gen erhobenen personenbezogenen Daten dem oder für das Beobachtungs oder sind unter Angabe des eingesetzten Mittels Verdachtsobjekt tätig ist, zu kennzeichnen. 2Bei den nach SS 23 Abs. 6 2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor gekennzeichneten Daten ist die Kennzeich liegen, dass die betroffene Person eine nung beizubehalten. Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausübt, 3. aufgrund bestimmter Tatsachen anzu (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die nehmen ist, dass die betroffene Person personenbezogenen Daten, von denen sie mit einer der in den Nummern 1 und 2 durch Übermittlung nach SS 25 rechtmäßig genannten Personen in Verbindung Kenntnis erlangt hat, nur speichern, verän steht und dass deshalb die Speicherung, dern und nutzen, wenn dies zu einem Zweck 389 Anhang erforderlich ist, zu dem sie die übermittelnde SS 28 Behörde gemäß SS 23 um Übermittlung dieser Berichtigung, Löschung und Daten hätte ersuchen dürfen, und wenn die in Sperrung von personen Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 genannten Vor bezogenen Daten aussetzungen erfüllt sind. 2Die Zweckbestim mung ist bei der Speicherung festzulegen. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat per 3 Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. 4Bei den sonenbezogene Daten zu berichtigen, wenn nach SS 25 Abs. 2 Satz 5 gekennzeichneten sie unrichtig sind. 2Sie hat sie zu ergänzen, Daten ist die Kennzeichnung beizubehalten. wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen (4) Die Speicherung von personenbezoge Person beeinträchtigt sein können. 3Wird die nen Daten über eine minderjährige Person Richtigkeit von Daten von der betroffenen ist nur unter den Voraussetzungen des Person bestritten und lässt sich weder die SS 13 Abs. 4 zulässig. Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststel len, so ist dies zu vermerken; die betroffene SS 27 Person kann sich an die Landesbeauftragte Speicherung, Veränderung und oder den Landesbeauftragten für den Da Nutzung personenbezogener tenschutz wenden. Daten zu anderen Zwecken (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat per 1 Eine Speicherung, Veränderung oder Nut sonenbezogene Daten zu löschen, wenn zung der nach SS 26 gespeicherten Daten 1. ihre Speicherung unzulässig ist oder für einen anderen in SS 12 Abs. 1 genann 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung ten Zweck ist zulässig, wenn die Daten zur nicht mehr erforderlich ist. Erfüllung dieses Zwecks erforderlich sind 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund und im Fall eines zur Erhebung eingesetzten zu der Annahme besteht, dass durch sie nachrichtendienstlichen Mittels oder beson schutzwürdige Interessen der betroffenen deren Auskunftsverlangens dieses auch für Person beeinträchtigt würden; die ent den anderen Zweck hätte eingesetzt werden sprechenden Daten sind zu sperren. 3Ein dürfen. Die nach SS 26 Abs. 3 gespeicherten 2 schutzwürdiges Interesse liegt insbesondere Daten dürfen nur unter den dort genannten dann vor, wenn die betroffene Person einen Voraussetzungen für einen anderen Zweck Antrag auf Auskunft nach SS 30 gestellt hat gespeichert, verändert und genutzt werden. oder aufgrund einer Mitteilung nach SS 6 Abs. 4 oder SS 22 Abs. 1 die Stellung eines solchen Antrags zu erwarten ist. 4Gesperrte Daten sind mit einem Vermerk über die Sperrung zu versehen; in Verfahren zur automatisierten Verarbeitung ist die Sperrung durch zusätzli 390 Anhang che technische Maßnahmen zu gewährleis seit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein ten. 5Gesperrte Daten dürfen nur noch mit Jahr vergangen ist oder es einer Mitteilung Einwilligung der betroffenen Person verän gemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, dert, genutzt und übermittelt werden. SS 17 6 frühestens jedoch zwei Jahre nach der Do Abs. 2 Sätze 2 bis 4 des Niedersächsischen Da kumentation. tenschutzgesetzes (NDSG) bleibt unberührt. (6) Die Löschung personenbezogener Daten, (3) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei 1 die mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder mit be jeweils drei Jahren, ob personenbezogene sonderen Auskunftsverlangen zu Nutzungsda Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu ten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonderen löschen oder zu sperren sind. Bei personen 2 Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, bezogenen Daten, die mit nachrichtendienstli Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 chen Mitteln nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 erhoben bis 12 oder mit besonderen Auskunftsver wurden, ist unter Aufsicht einer oder eines be langen zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 sonders bestellten, mit der Auswertung nicht Satz 1 Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach befassten Beschäftigten, die oder der die Be SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach fähigung zum Richteramt hat, vorzunehmen. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, beträgt SS 29 die Prüfungsfrist nach Satz 1 sechs Monate. Verfahrensbeschreibungen (4) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei Vor dem Erlass und vor der Änderung einer der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach Verfahrensbeschreibung nach SS 8 NDSG ist jeweils sechs Monaten, ob personenbezo die oder der Landesbeauftragte für den Da gene Daten über eine minderjährige Person tenschutz anzuhören. zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. Viertes Kapitel (5) 1Die Löschung von personenbezogenen Auskunft Daten ist zu dokumentieren, wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln oder be SS 30 sonderen Auskunftsverlangen erhoben wur Auskunft an Betroffene den, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 2Die in der (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Dokumentation enthaltenen Daten dürfen Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Aus ausschließlich zur Datenschutzkontrolle ver kunft über die zu ihrer Person gespeicherten wendet werden. 3Sie sind zu löschen, wenn Daten, den Zweck und die Rechtsgrundlage 391 Anhang der Speicherung sowie die Herkunft der Da auftragen, ebenfalls Entscheidungen nach ten und die Empfänger von Übermittlungen. Satz 1 zu treffen. 2 Über Daten aus Akten, die nicht zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Aus (3) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf kunft nur erteilt, soweit die Daten, nament keiner Begründung, soweit durch die Begrün lich aufgrund von Angaben der Betroffenen, dung der Zweck der Ablehnung gefährdet mit angemessenem Aufwand auffindbar würde. 2Die Gründe der Ablehnung sind zu sind. Die Verfassungsschutzbehörde be 3 dokumentieren. 3Wird der antragstellenden stimmt Verfahren und Form der Auskunfts Person keine Begründung für die Ablehnung erteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. der Auskunft gegeben, so ist ihr die Rechts grundlage dafür zu nennen. 4 Ferner ist sie (2) Die Auskunftserteilung ist abzulehnen, 1 darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Lan soweit desbeauftragte oder den Landesbeauftragten 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit für den Datenschutz wenden kann. 5Der oder gefährden oder sonst dem Wohl des dem Landesbeauftragten ist auf Verlangen Bundes oder eines Landes Nachteile die von der antragstellenden Person begehrte bereiten würde, Auskunft zu erteilen. 6Mitteilungen der oder 2. die Daten oder die Tatsache ihrer des Landesbeauftragten an die antragstellen Speicherung nach einer Rechtsvorschrift de Person dürfen keine Rückschlüsse auf den geheim gehalten werden müssen, Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehör 3. die Interessen eines Dritten an der Ge de zulassen, sofern diese nicht einer weiterge heimhaltung die Interessen der antrag henden Mitteilung zustimmt. stellenden Person überwiegen oder 4. durch die Auskunftserteilung Informati onsquellen gefährdet würden oder die Fünftes Kapitel Ausforschung des Erkenntnisstandes oder Übermittlung der Arbeitsweise der Verfassungsschutz behörde zu befürchten ist und deshalb SS 31 die Interessen der antragstellenden Per Übermittlung personen son ausnahmsweise zurücktreten müssen. bezogener Daten an Staats 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder anwaltschaften und Polizei der Leiter der Verfassungsschutzabteilung. behörden 3 Die Leiterin oder der Leiter der Verfas sungsschutzabteilung kann eine besonders (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde übermit bestellte Beschäftigte oder einen besonders telt von sich aus personenbezogene Daten an bestellten Beschäftigten, die oder der mit die Staatsanwaltschaften und Polizeibehör der Auswertung nicht befasst war und die den des Landes, wenn tatsächliche Anhalts Befähigung zum Richteramt hat, damit be punkte dafür vorliegen, dass dies zur Verfol 392 Anhang gung besonders schwerer Straftaten gemäß f) von Straftaten gegen die persönliche SS 100c Abs. 2 StPO oder von Straftaten Freiheit gemäß SS 232, SS 232a Abs. 3, 4 gemäß den SSSS 87, 88 und 89 StGB un und 5 Satzteil 2, SS 232b Abs. 3 und 4 umgänglich ist. Den Polizeibehörden des 2 in Verbindung mit SS 232a Abs. 4 oder 5 Landes übermittelt die Verfassungsschutz Satzteil 2, SS 233 Abs. 2, SS 233a Abs. 3 behörde von sich aus personenbezogene und 4 Satzteil 2, SS 234 und SS 234a StGB, Daten auch g) von gemeingefährlichen Straftaten ge 1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehen mäß SS 310 Abs. 1 und SS 316a StGB, den Gefahr für den Bestand oder die h) von Straftaten der gewerbs und ban Sicherheit des Bundes oder des Landes, denmäßigen Verleitung zur missbräuch für Leib, Leben oder Freiheit einer Per lichen Asylantragstellung nach SS 84a son, für lebens oder verteidigungswich Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes oder tige Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 des des gewerbs und bandenmäßigen Ein Niedersächsischen Sicherheitsüberprü schleusens von Ausländern nach SS 97 fungsgesetzes - Nds. SÜG -) oder für Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes oder Kulturdenkmale (SS 1 des Niedersächsi i) von Straftaten gemäß SS 30a Abs. 1 und 2 schen Denkmalschutzgesetzes), deren des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), Erhaltung im herausragenden öffentli auch in Verbindung mit SS 30b BtMG und chen Interesse liegt, oder mit SS 129 Abs. 5 StGB, 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür unumgänglich ist. vorliegen, dass dies zur Verhütung 3 Die Übermittlung nach den Sätzen 1 und 2 ist a) terroristischen Straftaten nach nur zulässig, wenn das zur Datenerhebung SS 2 Nr. 14 NPOG, verwendete Mittel auch für den anderen b) von Straftaten der Gefährdung Zweck hätte angewendet werden dürfen. des demokratischen Rechtsstaates 4 Personenbezogene Daten, die nicht durch gemäß den SSSS 87, 88, 89 und den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel 89a StGB, oder durch besondere Auskunftsverlangen c) der Bildung einer kriminellen erhoben worden sind, darf die Verfassungs Vereinigung in den Fällen des schutzbehörde auch zu sonstigen Zwecken SS 129 Abs. 5 StGB, der Strafverfolgung oder der Gefahrenab d) von Straftaten gegen die sexuelle wehr an die Staatsanwaltschaften und Po Selbstbestimmung gemäß SS 176 lizeibehörden des Landes übermitteln. 5Sind Abs. 1 bis 3, SS 176a Abs. 3, SS 177 mit personenbezogenen Daten, die nach Abs. 6 bis 8 und SS 184b Abs. 2 StGB, den Sätzen 1 bis 4 übermittelt werden dür e) von Straftaten gegen das Leben fen, weitere Daten der betroffenen Person nach den SSSS 211 und 212 StGB so oder von Dritten so verbunden, dass eine wie der schweren Körperverletzung Trennung nicht oder nur mit unverhältnismä nach SS 226 Abs. 2 StGB, ßigem Aufwand möglich ist, so dürfen auch 393 Anhang diese Daten übermittelt werden; sie sind zu Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 sperren. 6 Die Übermittlung ist unzulässig, Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 er wenn dadurch Informationsquellen oder die hoben wurden, entscheidet eine besonders Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde bestellte Beschäftigte oder ein besonders gefährdet würden und diese Sicherheitsinte bestellter Beschäftigter, die oder der mit der ressen das Interesse an der Strafverfolgung Auswertung nicht befasst war und die Befä oder an der Gefahrenabwehr überwiegen. higung zum Richteramt hat. (2) 1Sind die zu übermittelnden Daten ge (3) 1Erweisen sich personenbezogene Daten kennzeichnet (SS 26 Abs. 2 und 3 Satz 4), nach ihrer Übermittlung als unvollständig so ist die Kennzeichnung bei der Übermitt oder unrichtig, so sind sie gegenüber der lung aufrechtzuerhalten. Die Fachministerin 2 empfangenden Staatsanwaltschaft oder Po oder der Fachminister, im Vertretungsfall die lizeibehörde unverzüglich zu ergänzen oder Staatssekretärin oder der Staatssekretär oder zu berichtigen, es sei denn, dass der Mangel deren oder dessen Vertreterin oder Vertre für die Beurteilung des Sachverhalts offen ter, kann anordnen, dass bei der Übermitt sichtlich ohne Bedeutung ist. 2 Absatz 2 gilt lung auf die nach Satz 1 erforderliche Kenn entsprechend. zeichnung der Daten verzichtet wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung (4) 1Die empfangende Staatsanwaltschaft der Datenerhebung nicht zu gefährden, und oder Polizeibehörde darf die übermittelten die G 10Kommission zugestimmt hat. 3 Bei Daten, soweit gesetzlich nichts anderes be Gefahr im Verzug kann die Anordnung be stimmt ist, nur zu dem Zweck verarbeiten, reits vor der Zustimmung getroffen werden. zu dem sie ihr übermittelt wurden. 2Sind die 4 In diesem Fall ist die Zustimmung unver übermittelten Daten nach Absatz 2 Satz 1 züglich nachträglich einzuholen. 5Stimmt gekennzeichnet, so hat sie die Kennzeich die G 10Kommission nicht nachträglich nung aufrechtzuerhalten. 3 Wurden perso zu, so ist die Kennzeichnung unverzüglich nenbezogene Daten übermittelt, die unter durch die empfangende Staatsanwaltschaft Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach oder Polizeibehörde nachzuholen; darauf SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder mit ist sie von der Verfassungsschutzbehörde besonderen Auskunftsverlangen zu Nut hinzuweisen. 6 Die Übermittlung ist zu do zungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, kumentieren. Über die Übermittlung von 7 besonderen Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 personenbezogen Daten, die unter Einsatz Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 nachrichtendienstlicher Mittel nach SS 14 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder mit beson Satz 1 erhoben worden sind, so prüft die deren Auskunftsverlangen zu Nutzungsda empfangende Staatsanwaltschaft oder Poli ten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonde zeibehörde unverzüglich und danach in Ab ren Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 ständen von höchstens sechs Monaten, ob 394 Anhang die übermittelten Daten für den Zweck er SS 32 forderlich sind, zu dem sie übermittelt wur Übermittlung an sonstige den. 4Soweit die in Satz 3 genannten Daten Behörden und Stellen für diesen Zweck oder für eine rechtmäßige zweckändernde Nutzung oder Übermittlung (1) 1An sonstige inländische Behörden darf nicht erforderlich sind, sind sie unverzüglich die Verfassungsschutzbehörde personenbe unter Aufsicht einer oder eines besonders zogene Daten übermitteln, wenn dies bestellten Beschäftigten, die oder der die 1. zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. SS 3 Abs. 2 bis 4 erforderlich ist oder 5 Die Löschung ist zu dokumentieren. 6 Die 2. die empfangende Behörde die Daten zu Verfassungsschutzbehörde ist unverzüglich Zwecken der Gefahrenabwehr benötigt. über die Löschung zu unterrichten. 2 An Finanzämter darf die Verfassungs schutzbehörde personenbezogene Daten (5) 1Die Polizeibehörden des Landes dürfen auch übermitteln, wenn dies zu den in SS 51 die Verfassungsschutzbehörde um Über Abs. 3 der Abgabenordnung genannten mittlung personenbezogener Daten ersu Zwecken erforderlich ist. 3Personenbezoge chen, wenn diese zur Abwehr einer Gefahr ne Daten, die durch den Einsatz nachrichten für die öffentliche Sicherheit erforderlich dienstlicher Mittel oder durch besondere Aus sind. 2Um Übermittlung personenbezoge kunftsverlangen erhoben worden sind, darf ner Daten, die von der Verfassungsschutz die Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 behörde durch den Einsatz nachrichten Nr. 2 nur übermitteln, wenn die empfangende dienstlicher Mittel oder durch besondere Behörde die Daten zur Abwehr einer im Einzel Auskunftsverlangen erhoben worden sind, fall bestehenden Gefahr für den Bestand oder darf nur ersucht werden, wenn die Voraus die Sicherheit des Bundes oder des Landes, setzungen des Absatzes 1 Satz 2 vorliegen. für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für 3 Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflich lebens oder verteidigungswichtige Einrich tet, die Daten zu übermitteln; Absatz 1 Sätze tungen (SS 1 Abs. 4 und 5 Nds. SÜG) oder für 5 und 6 sowie die Absätze 2 bis 4 gelten ent Kulturdenkmale (SS 1 des Niedersächsischen sprechend. 4Sie darf nur solche Daten über Denkmalschutzgesetzes), deren Erhaltung im mitteln, die bei ihr bereits bekannt sind oder herausragenden öffentlichen Interesse liegt, von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen benötigt. 4SS 31 Abs. 1 Sätze 5 und 6 sowie entnommen werden können. Abs. 2, 3 und 6 gilt entsprechend. 5Für die Übermittlung an Behörden des Landes gilt (6) In der Verdachtsgewinnungsphase (SS 8) auch SS 31 Abs. 4 entsprechend. 6An Behör ist die Übermittlung personenbezogener den des Bundes und anderer Länder darf nur Daten nicht zulässig. übermittelt werden, wenn für die empfangen de Behörde den Vorschriften dieses Gesetzes vergleichbare Datenschutzregelungen gelten. 395 Anhang (2) 1 Die Verfassungsschutzbehörde darf 5 Übermittlungen nach den Sätzen 1 und 2 personenbezogene Daten an Dienststellen sind zu dokumentieren und der oder dem der alliierten Streitkräfte übermitteln, so Landesbeauftragten für den Datenschutz weit dies im Rahmen der Zusammenarbeit mitzuteilen. nach Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des (4) 1Personenbezogene Daten dürfen an Per Nordatlantikvertrages über die Rechtsstel sonen oder Stellen außerhalb des öffentli lung ihrer Truppen hinsichtlich der in der chen Bereichs nicht übermittelt werden, es Bundesrepublik Deutschland stationierten sei denn, dass dies zum Schutz vor Bestre ausländischen Truppen vom 3. August 1959 bungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. oder zur Gewährleistung der Sicherheit von 2 Die Übermittlung ist zu dokumentieren und lebens oder verteidigungswichtigen Ein der oder dem Landesbeauftragten für den richtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 Nds. SÜG) er Datenschutz mitzuteilen. forderlich ist und die Fachministerin oder der Fachminister, im Vertretungsfall die Staatsse (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf per 1 kretärin oder der Staatssekretär oder deren sonenbezogene Daten im Einvernehmen mit oder dessen Vertreterin oder Vertreter, der dem Bundesamt für Verfassungsschutz an Übermittlung zugestimmt hat. 2 Jede Über ausländische öffentliche Stellen sowie an mittlung ist zu dokumentieren. 3 Die in der über und zwischenstaatliche Stellen über Dokumentation enthaltenen Daten dürfen mitteln, soweit die Übermittlung in einem ausschließlich zur Datenschutzkontrolle ver Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen wendet werden. 4Sie sind zu löschen, wenn Gemeinschaften oder einer internationa seit der Mitteilung gemäß Satz 7 ein Jahr len Vereinbarung geregelt ist. Eine Über 2 vergangen ist, frühestens jedoch zwei Jahre mittlung darf auch erfolgen, wenn sie zum nach der Dokumentation. 5Der Empfänger Schutz von Leib oder Leben einer Person darf die übermittelten Daten, soweit gesetz erforderlich ist und für die empfangende lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Stelle gleichwertige Datenschutzregelun Zweck verarbeiten, zu dem sie ihm übermit gen gelten. 3 Die Übermittlung unterbleibt, telt wurden. 6Er ist auf die Verarbeitungsbe wenn ihr auswärtige Belange der Bundes schränkung und darauf hinzuweisen, dass republik Deutschland oder überwiegende sich die Verfassungsschutzbehörde vorbe schutzwürdige Interessen der Betroffe hält, Auskunft über die Verarbeitung der nen, insbesondere deren Schutz vor einer Daten zu verlangen. 7Die Übermittlung der rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entge personenbezogenen Daten ist der betroffe genstehen. 4 Die Übermittlung der von einer nen Person durch die Verfassungsschutzbe Ausländerbehörde empfangenen personen hörde mitzuteilen, sobald eine Gefährdung bezogenen Daten unterbleibt, es sei denn, der Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung die Übermittlung ist völkerrechtlich geboten. nicht mehr zu besorgen ist. 396 Anhang SS 33 Vierter Teil Aufklärung der Öffentlichkeit, Parlamentarische Kontrolle Verfassungsschutzbericht SS 34 (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann die Ausschuss für Angelegenheiten Öffentlichkeit über Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes und über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 aufklären. 2Sie kann auch über Verdachts Die parlamentarische Kontrolle auf dem Ge objekte aufklären, wenn die den Verdacht biet des Verfassungsschutzes übt unbescha rechtfertigenden tatsächlichen Anhaltspunk det der Rechte des Landtages und seiner te unter Berücksichtigung der Interessen der sonstigen Ausschüsse ein besonderer, vom Betroffenen hinreichend gewichtig sind. Landtag unverzüglich nach Beginn der Wahl periode einzusetzender Ausschuss für Ange (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist ver legenheiten des Verfassungsschutzes aus. pflichtet, zur Aufklärung der Öffentlichkeit einen jährlichen Verfassungsschutzbericht SS 35 vorzulegen, in dem auch die Summe der Zusammensetzung und Ver Haushaltsmittel sowie die Gesamtzahl der in fahrensweise des Ausschusses der Verfassungsschutzabteilung Beschäftig ten nach Stellen und Beschäftigungsvolumen (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des darzustellen sind. Ferner sind in dem Bericht 2 Verfassungsschutzes soll aus mindestens allgemein die Anwendung nachrichtendienst sieben Abgeordneten des Landtages beste licher Mittel nach SS 14, die besonderen Aus hen. 2Mitglieder der Landesregierung kön kunftsverlangen nach SS 20, die Auskunftser nen dem Ausschuss nicht angehören. 3Jede suchen nach SS 30 und die Strukturdaten der Fraktion erhält mindestens einen Sitz. 4 Das von der Verfassungsschutzbehörde in Datei Nähere regelt die Geschäftsordnung des en im Sinne des SS 6 Satz 1 BVerfSchG gespei Niedersächsischen Landtages. cherten Personendatensätze darzustellen. (2) Für die Verhandlungen des Ausschusses (3) Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit gelten die Vorschriften der Geschäftsord dürfen personenbezogene Daten nur be nung des Niedersächsischen Landtages, so kannt gegeben werden, wenn die Bekannt weit in diesem Gesetz nichts Abweichendes gabe für das Verständnis der Darstellung, bestimmt ist. insbesondere von Organisationen oder un organisierten Gruppierungen, erforderlich ist und das Interesse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. 397 Anhang SS 36 (3) 1Das Fachministerium unterrichtet im Unterrichtungspflichten des Abstand von höchstens sechs Monaten den Fachministeriums Ausschuss für Angelegenheiten des Verfas sungsschutzes über die besonderen Aus (1) 1Das Fachministerium ist verpflichtet, kunftsverlangen nach SS 20; dabei ist insbe den Ausschuss für Angelegenheiten des sondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Verfassungsschutzes umfassend über sei Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichts ne Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zeitraum durchgeführten Maßnahmen zu im Allgemeinen sowie über Vorgänge von geben. 2Satz 1 gilt nicht für Auskunftsver besonderer Bedeutung zu unterrichten. Es 2 langen zu einfachen Bestandsdaten nach unterrichtet insbesondere über SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. 1. die Bestimmung eines Beobachtungsob jekts und die Verlängerung der Bestim (4) Das Fachministerium unterrichtet das Par mung (SS 6 Abs. 2), lamentarische Kontrollgremium des Bundes 2. die Beendigung der Beobachtung und jährlich über besondere Auskunftsverlangen Aufklärung eines Beobachtungsobjekts zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 (SS 6 Abs. 2 und 3), Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 3. die beabsichtigte Bestimmung eines Be Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1; obachtungs oder Verdachtsobjekts, in dabei ist ein Überblick über Anlass, Umfang, dem die Inanspruchnahme von Vertrau Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichts enspersonen angeordnet werden darf, zeitraum durchgeführten Maßnahmen zu sowie die beabsichtigte Verlängerung geben. der Bestimmung (SS 21 Abs. 5), 4. den beabsichtigten Erlass oder die SS 37 beabsichtigte Änderung einer Dienst Aufhebung der Verschwiegen vorschrift für den Einsatz nachrichten heitspflicht dienstlicher Mittel (SS 21 Abs. 7) und 5. den beabsichtigten Erlass oder die be (1) 1 Die Beschäftigten der Verfassungs absichtigte Änderung einer Verfahrens schutzbehörde dürfen sich in dienstlichen beschreibung nach SS 8 NDSG (SS 29). Angelegenheiten ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Ausschuss (2) Das Fachministerium unterrichtet den für Angelegenheiten des Verfassungsschut Ausschuss für Angelegenheiten des Verfas zes oder an einzelne Mitglieder des Aus sungsschutzes in Abständen von längstens schusses wenden. 2Einzelne Mitglieder des sechs Monaten über den Einsatz nachrich Ausschusses dürfen die nach Satz 1 erhalte tendienstlicher Mittel, die der Mitteilungs nen Mitteilungen sowie die ihnen dazu vor pflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 un gelegten Unterlagen ausschließlich an den terliegen. Ausschuss weitergeben. 3Sie dürfen dabei 398 Anhang von der Bekanntgabe des Namens der oder SS 39 des Beschäftigten absehen. Beteiligung der oder des Landesbeauftragten für den (2) 1Die Verhandlungen des Ausschusses Datenschutz über Mitteilungen nach Absatz 1 und die dazu vorgelegten Unterlagen sind vertrau (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des lich im Sinne der Geschäftsordnung des Nie Verfassungsschutzes hat auf Antrag von dersächsischen Landtages. Der Ausschuss 2 mindestens einem Fünftel seiner Mitglieder kann die Vertraulichkeit nach Maßgabe der die Landesbeauftragte oder den Landesbe Geschäftsordnung des Niedersächsischen auftragten für den Datenschutz zu beauf Landtages einschränken oder aufheben. tragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maß nahmen der Verfassungsschutzbehörde zu SS 38 überprüfen. 2Die Befugnisse der oder des Beauftragung einer oder eines Landesbeauftragten richten sich nach den Sachverständigen Bestimmungen des Niedersächsischen Da tenschutzgesetzes. 3Die oder der Landesbe 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des auftragte hat dem Ausschuss über das Er Verfassungsschutzes kann mit der Mehr gebnis der Prüfung zu berichten. heit von zwei Dritteln seiner Mitglieder eine Sachverständige oder einen Sachverstän (2) Die oder der Landesbeauftragte für den digen beauftragen, zur Wahrnehmung der Datenschutz kontrolliert im Abstand von Kontrollaufgaben des Ausschusses im Ein höchstens zwei Jahren die Einhaltung der zelfall Untersuchungen durchzuführen. 2Die gesetzlichen Vorschriften über die Verarbei Landesregierung ist vor der Beauftragung tung von personenbezogenen Daten, die mit der oder des Sachverständigen anzuhören. nachrichtendienstlichen Mitteln oder beson 3 Die oder der Sachverständige kann nach deren Auskunftsverlangen erhoben wurden, Maßgabe ihres oder seines Auftrages die die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 dem Ausschuss nach Artikel 24 Abs. 2 der Sätze 1 bis 3 unterliegen. Niedersächsischen Verfassung vorgelegten Akten einsehen. 4 Die Einsicht in vertrauliche (3) Stellt die oder der Landesbeauftragte Unterlagen setzt voraus, dass sie oder er für den Datenschutz einen Verstoß der Ver zuvor von der Landtagsverwaltung förmlich fassungsschutzbehörde gegen eine Daten zur Geheimhaltung verpflichtet worden ist. schutzbestimmung fest, so kann sie oder 5 Die oder der Sachverständige hat dem Aus er den Ausschuss für Angelegenheiten des schuss über das Ergebnis der Untersuchun Verfassungsschutzes darüber unterrichten; gen zu berichten. SS 23 NDSG bleibt unberührt. 399 Anhang SS 40 Fünfter Teil Berichterstattung des Aus Schlussvorschriften schusses gegenüber dem Landtag SS 41 Einschränkung von (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Grundrechten Verfassungsschutzes legt dem Landtag ein mal jährlich einen Bericht über seine Tätig Aufgrund dieses Gesetzes können das keit vor. 2 Ausschussmitglieder, die den Be Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Ar richt für unzutreffend halten, können ihre tikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes) und das Auffassung in einem Zusatz zu diesem Be Grundrecht auf Wahrung des Brief, Post richt darstellen. und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. (2) Der Ausschuss legt dem Landtag einmal jährlich einen Bericht über die Durchführung SS 42 der nachrichtendienstlichen Mittel und be Übergangsvorschrift sonderen Auskunftsverlangen vor, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 Auf Vertrauenspersonen, die am 31. Okto bis 3 unterliegen. ber 2016 bereits in Anspruch genommen werden, finden SS 16 Abs. 2 und SS 21 Abs. 5 erst am 1. Mai 2017 Anwendung. 400 Anhang 12.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 08.12.1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 18.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund Niedersächsisches (DKB) Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 07.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 08.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Landes Deutschlands (HVD) BadenWürttemberg 25.08.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Landes Deutschland (FFD) NordrheinWestfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e. V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsi schen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Bundesministerium des Innern Arbeiterpartei (FAP) (auf Initiative des Niedersächsi schen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg 05.05.1995 Direkte Aktion/Mittel Innenministerium des deutschland (JF) Landes Brandenburg 22.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 09.02.1998 HeideHeim e. V. und Niedersächsisches Heideheim e. V. Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 401 Anhang 12.09.2000 Blood & HonourDivision Bundesministerium des Innern Deutschland mit Jugend organisation White Youth 02.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz Sächsisches Staatsministerium (SSS) mit Skinheads Sächsische des Innern Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des Landes für Lübeck SchleswigHolstein 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Bayerisches Staatsministerium des Innern 07.03.2005 Kameradschaft Tor Innensenator des Landes Berlin "Mädelgruppe" der Kameradschaft Tor 07.03.2005 Berliner Alternative SüdOst Innensenator des Landes Berlin (BASO) 06.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Untergruppierung "Sturm 27" Landes Brandenburg 04.07.2005 Alternative Nationale Strausber Innenministerium des ger DArt Piercing und Tattoo Landes Brandenburg Offensive (ANSDAPO) 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Innenministerium des Landes Brandenburg 23.04.2007 Kameradschaft Sturm 34 Sächsisches Staatsministerium des Innern 01.04.2008 Blue White Street Elite (BWSE) Innenministerium des rechtsextremistisch beeinflusste Landes Brandenburg HooliganVereinigung 07.05.2008 Collegium Humanum (CH) Bundesministerium des Innern 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der Bundesministerium des Innern wegen Bestreitens des Ho locaust Verfolgten (VRBHV) 402 Anhang 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Bundesministerium des Innern Jugend e. V. (HDJ) 28.05.2009 Mecklenburgische Aktionsfront Innenministerium des Landes MecklenburgVorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin 11.04.2011 Freie Kräfte TeltowFläming Innenministerium des (FKTF) Landes Brandenburg 30.08.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 19.06.2012 Widerstandsbewegung in Innenministerium des Südbrandenburg Landes Brandenburg 10.05.2012 Kameradschaft Walter Innenministerium des Landes Spangenberg NordrheinWestfalen 23.08.2012 Kameradschaft Aachener Land Innenministerium des Landes NordrheinWestfalen 23.08.2012 Kameradschaft Hamm Innenministerium des Landes NordrheinWestfalen 23.08.2012 Nationaler Widerstand Innenministerium des Landes Dortmund NordrheinWestfalen 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 12.02.2013 Nationale Sozialisten Döbeln mit Sächsisches Staatsministerium Division Döbeln, Initiative für des Innern Döbeln und Freies Döbeln sowie der Band INKUBATION 28.03.2014 Nationale Sozialisten Chemnitz Sächsisches Staatsministerium (NSC) mit Interessengemein des Innern schaft Chemnitzer Stadtge schichten und Aktionsgemein schaft "Raus in die Zukunft" 403 Anhang 02.07.2014 Freies Netz Süd Bayerisches Staatsministerium des Innern 10.12.2014 Autonome Nationalisten Innenministerium Göppingen BadenWürttemberg 27.10.2015 Sturm 18 e. V. Hessisches Ministerium des Innern 27.01.2016 Altermedia Deutschland Bundesministerium des Innern 16.03.2016 Weisse Wölfe Terrorcrew Bundesministerium des Innern 20.11.2019 Phalanx 18 Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen 23.01.2020 Combat 18 Deutschland Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 23.06.2020 Nordadler (auch handelnd und Bundesministerium des Innern, auftretend unter den Bezeich für Bau und Heimat nungen "Völkische Revolution", "Völkische Jugend", "Völkische Gemeinschaft" und "Völkische Renaissance") 01.12.2020 Sturm/Wolfsbrigade 44 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 12.4 Verbote von Reichsbürgervereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 19.03.2020 "Geeinte deutsche Völker und Bundesministerium des Innern, Stämme" (GdVuSt), einschl. für Bau und Heimat Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" 404 Anhang 12.5 Verbote linksextremistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 25.08.2017 linksunten.indymedia Bundesministerium des Innern 12.6 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2020 Organisation Verbotsverfügung Phänomenbereich Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Nationale 22.11.1993 AE Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Tei lorganisationen, Föderation der patriotischen Arbeiter und Kulturvereinigungen aus Kurdis tan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKAKurdistan), KurdistanKomitee e. V. Kurdistan Informationsbüro (KIB) alias Kurdis 20.02.1995 AE tan Informationsbüro in Deutschland Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront 06.08.1998 AE (DHKPC) Türkische Volksbefreiungspartei/Front 06.08.1998 AE (THKP/C) Kalifatstaat und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 ISiT 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002 alAqsa e. V. 31.07.2002 ISiT Hizb utTahrir (HuT) 10.01.2003 ISiT 405 Anhang Yeni Akit GmbH, Verlegerin der EuropaAus 22.02.2005 ISiT gabe der türkischsprachigen Tageszeitung Anadoluda Vakit Bremer Hilfswerk e. V. 18.01.2005 ISiT Selbstauflösung mit Wirkung vom 18.01.2005; 29.06.2005 Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 YATIMKinderhilfe e. V. 175 30.08.2005 ISiT Mesopotamia Broadcast A/S, Roj TV A/S 13.06.2008 AE VIKO Fernseh Produktion GmbH 13.06.2008 alManar TV 29.10.2008 ISiT Internationale Humanitäre Hilfsorgani 23.06.2010 ISiT sation e. V. (IHH) Millatu Ibrahim 29.05.2012 ISiT Dawa FM einschließlich der Teilorganisation In 25.02.2013 ISiT ternationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V. anNussrah 25.02.2013 ISiT DawaTeam Islamische Audios 25.02.2013 ISiT Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 02.04.2014 ISiT Islamischer Staat 12.09.2014 ISiT Tauhid Germany 26.03.2015 ISiT Zeitschrift "Yürüyüs" 06.05.2015 AE Die Wahre Religion (DWR) alias "LIES! 25.10.2016 ISiT Stiftung" / "Stiftung LIES" Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH 12.02.2019 AE MIR Multimedia GmbH 12.02.2019 AE Hizb Allah (Betätigungsverbot) 26.03.2020 ISiT AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 175 Das BMI hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 406 Anhang 12.7 Abkürzungsverzeichnis A ADÜTDF Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine (Almanya Demokratic Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) AfD Partei Alternative für Deutschland AKL Antikapitalistische Linke A.L.I. Antifaschistische Linke International AQAH AlQaida auf der Arabischen Halbinsel AQM AlQaida im islamischen Maghreb ASJ Anarchosyndikalistische Jugendorganisation ATF Türkische Konföderation in Europa (Avrupa Türk Konfederasyon) ATIB Union der TürkischIslamischen Kulturvereine in Europa (Avrupa Türk Islam Birligi) B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BL Basisdemokratische Linke BLM Black Lives Matter BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BVerfGE Entscheidungssammlung des BVerfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CDK Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CFF Change for Future CIK Islamische Gemeinde Kurdistans 407 Anhang D DIK Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover und Hildesheim DKP Deutsche Kommunistische Partei DHKPC Revolutionäre VolksparteiFront (Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi) DMG Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (vormals IGD) DMG Braunschweig Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V. in Braunschweig DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EA Europäische Aktion ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans F FAU/IAA Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion / Internationale ArbeiterInnen Assoziation fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FEDDEM regionale Föderation der KONMED für Norddeutschland FFF Fridays for FutureBewegung FfW Farben für Waisenkinder e.V. FHwO Freundschafts und Hilfswerk Ost e. V. G GAM Gruppe "ArbeiterInnenmacht" GBA Generalbundesanwalt GdVuSt Geeinte deutsche Völker und Stämme GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GI Generation Identitaire GIAZ Gemeinsames Informations und Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen G 10 Artikel 10Gesetz 408 Anhang H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung (Harakat alMuqawama alIslamiya) HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige HPG Volksverteidigungskräfte der PKK HTS Hai'at Tahrir alSham (Organisation zur Befreiung der Levante) I IAA Internationale ArbeiterInnen Assoziation IB Identitäre Bewegung IBD Identitäre Bewegung Deutschland IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat J JA Junge Alternative JaN Jabhat alNusra (Unterstützungsfront für das syrische Volk) JFS Jabhat Fatah alSham (Front für die Eroberung der Levante) JLO Junge Landsmannschaft Ostdeutschland JN Junge Nationalisten JXK Studierende Frauen aus Kurdistan (Jinen Xwendekar en Kurdistan) K KADEK Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans KC Komalen Ciwan KCDKE Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans 409 Anhang KIP NI Kompetenzforum Extremismusprävention Niedersachsen KKK Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KONMED Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KPMDPMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität L LfD Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen LKA NI Landeskriminalamt Niedersachsen LPR NI Landespräventionsrat Niedersachsen M MB Muslimbruderschaft MHP Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi) MIT Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer ziviler Nachrichtendienst MLKP (türkische) MarxistischLeninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi) MLPD MarxistischLeninistische Partei Deutschlands N NCERT Niedersächsisches Computer Emergency Response Team NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) NAVDEM Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland (Navenda Civaka Demokratik a Kurden li Elmanyaye bzw. Almanya Demokratik Kürt Toplum Merkesi) NCAZ Nationales CyberAbwehrzentrum NIKA Nationalismus ist keine Alternative NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands 410 Anhang NPOG Niedersächsisches Polizei und Ordnungsbehördengesetz NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz O OLG Oberlandesgericht P PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität R RAC Rock Against Communism RH Rote Hilfe e. V. S SO ScientologyOrganisation SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch T TCS Bewegung der revolutionären Jugend, ("Tevgera Ciwanen Soresger") TEKOJIN Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (Jinen Ciwan en Tekoser) TJ Tablighi Jama'at TKP/ML Kommunistische Partei der Türkei/MarxistenLeninisten (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) 411 Anhang U uG Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis V VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung Y YHK Union der Juristen Kurdistans YJKE Verband der Frauen aus Kurdistan in Deutschland YMK Union der kurdischen Lehrer YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. 412 Anhang 12.8 Personen und Stichwortverzeichnis A AntifaKollektiv*37 Hildesheim | 162 Antifaschismus | 143, 146f., 157, 176, 348 abbshop (Versand) | 63 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) Abdulaziz Abdullah, Ahmad | s. Abu Walaa | 150, 152, 160f. Abou Nagie, Ibrahim | 194, 211 Antifaschistisches Cafe Braunschweig | 159 Abu Walaa | 209, 219, 240 Antigentrifizierung | 143f., 147, 171, 176 Aktionsbündnis gelber Schein | 134 Antiimperialisten | 151f. AlBaghdadi, Abu Bakr | 222f., 231 Antikapitalistische Linke (AKL) | 145 alBanna, Hasan | 245 Antimilitarismus | 147, 169f., 348 alHayat Media Center | 229, 231 Antirassismus | 143, 170, 176, 359 alNusraFront | s. Jabhat Fatah alSham Antirepression | 143, 147, 163, 165f. alQaida | 187, 221ff., 225228, 235ff., 241 Antisemitismus | 39ff., 71, 76, 103, 131, alQaida auf der Arabischen Halbinsel 189, 291, 356 (AQAH) | 221f., 227 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) | 260271, alQaida im Irak | 222 273278, 281, 283, 357, 361, 405 alQaida im islamischen Maghreb (AQM) Artgemeinschaft - Germanische Glaubens | 221 Gemeinschaft wesensgemäßer Lebens alSahab Media | 228 gestaltung e.V. | 50 alShabab | 221 Armih, Ahmad | 212 alSuri, Abu Mus'ab | 235 Artikel 10Gesetz | 18, 21f., 374f., 380ff., 385 Alhambra (Publikation) | 146, 283 Ausländerextremismus | s. Extremismus mit Almanya Demokratik Ülcücü Türk Dernekleri Auslandsbezug Federasyonu (ADÜTDF) | 280ff. Autonome | 140, 142, 144148, 152ff., 157, alNaba (Publikation) | 229 159f., 165, 169, 174, 291 Altermedia | 404 alZawahiri, Ayman | 221, 228 Alternative für Deutschland (AfD) | 38f., 49, 8999, 110, 144, 157162, 176f., 347 Amt für Menschenrecht | 134 B Anarchismus | 141, 177f. Anarchisten | 140ff., 177f. Baraa, Ahmad Abul | s. Ahmad Armih Anarchosyndikalismus | 178f., 181 Basisdemokratische Linke (BL) | 150, 152, 160f. Anarchosyndikalistische Jugendorgani Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) sation (ASJ) | 180f. | 268f., 271276 Ansaar International | 206 Bewegung der jungen kämpferischen Antideutsche | 118, 151f., 171 Frauen (TEKOJIN) | 268f., 271, 273f., 276 Antifa L Hannover | 160f. Bin Ladin, Usama | 221, 225 413 Anhang Black Lives Matter (BLM) | 80, 105, 228 zentrum - Osnabrück e. V. | 277 Blood Brother Nation | 46, 72, 75 Der Flügel | 38f., 49, 9399 Blood & Honour | 61, 76, 402 Der III. Weg | 38f., 54, 66, 75, 110 Brigade 8 | 46, 72, 75 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Bund für Gotterkenntnis (Ludendorffer) e. V. | 141, 145, 167 | 50, 128 Deutsche Stimme (Publikation) | 100, 105 Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Deutschsprachige Muslimische Gemein Bündnis (uG) | 147, 151f., 155f., 159 schaft e. V. in Braunschweig (DMG Braun Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schweig) | 194, 200, 205, 211f. | 18, 27, 90, 94f., 140, 396 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. Bundesministerium des Innern (BMI) | 71, (DMG, vormals IGD) | 244, 246 76, 135, 205f., 255, 265, 344, 401406 Deutsche Volksunion (DVU) | 111 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Deutschsprachiger Islamkreis e.V. Hannover Medien (BPjM) | 55f., 58, 60 (DIK Hannover) | 211, 217f. Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V. (DIK Hildesheim) | 194, 218f., 240 C Deutschsprachiger Muslimkreis Braun schweig e.V. | 246f. Calenberger Bande | 67, 344 Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi Change for Future (CFF) | 168f. (DHKPC) | 262, 405 Ciftci, Muhamed Seyfudin | 199, 211f. Die ExilRegierung Deutsches Reich | 133 Ciwanen Azad (CA) | 264, 268 DIE LINKE. | 141, 145, 159, 169 Collegium Humanum (CH) | 402 Die Lunikoff Verschwörung (Musikband) | 58 Combat 18 / Combat 18 Deutschland | 76, 404 Die Rechte | 38f., 45, 54, 65f., 70, 72, 74f., 106, 109117, 119123, 161f., 213 Die Wahre Religion (DWR) | 205, 211, 406 D Direkte Aktion (Publikation) | 177, 401 DreiSäulenStrategie | 103 Dabbagh, Hassan | 212 Dschihad/Dschihadismus | siehe Jihad Dabiq (Publikation) | 229 DualuseGüter | 316 Dammann, Manfred | 100 Dawa | 194f., 198, 201f., 205, 211 Demokratisches Gesellschaftszentrum der E Kurdinnen und Kurden in Norddeutsch land e.V. (FEDDEM) | 267f. Eichenlaub mit Schwertern | 60, 63 Demokratisches Kurdisches Gesellschafts Einladung zum Paradies | 211 zentrum Deutschland (NAVDEM) | 267 EMOTET | 334 Demokratisches Kurdisches Gesellschafts EnNahda | 184, 247 414 Anhang Ethnopluralismus | 40, 79, 86 Fremdenfeindlichkeit (Begriff) | 39f., 113, 131 Europäische Aktion (EA) | 124, 128 Freundschafts und Hilfswerk Ost e. V. EUTerrorliste | 247, 261, 265 (FhwO) | 128 Ezidisches KulturZentrum in Hameln e. V. Front Records (Versand) | 63f. | 277 Fridays for FutureBewegung (FFF) | 145, 166, Exilregierung Deutsches Reich | 133f. 168 Extremismus mit Auslandsbezug | 26, 30, 260283, 300f., 357, 359, 406 G F G 10 | siehe Artikel 10Gesetz Gai Dao (Publikation) | 177 Farben für Waisenkinder e.V. (FfW) | 255 Gassenraudi (Musikband) | 58, 60f., 63 Fast Forward Hannover | 152 Geeinte deutsche Völker und Stämme FLAK (Musikband) | 56f., 59, 61 (GdVuSt) | 134, 404 Flatlander (Musikband) | 61, 63 Gefangenenhilfe | 208f. Föderation der demokratischen Gesell Geheimschutz | 324, 327, 329, 333 schaften Kurdistans e. V. im Saarland und Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan Hessen (FCDKKAWA) | 267 (KKK) | siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Generation identitaire (GI) | 78 Mesopotamiens in NRW e.V. (FEDMED Geschichtsrevisionismus (Begriff) | 40, 42, NRW) | 267 45, 87, 94f., 103, 115, 124f., 127f. Föderation der Gesellschaften Kurdistans Giese, Daniel | 58f., 64 BadenWürttemberg und Bayern (FCK) | 267 Gigi / Stahlgewitter / Die Braunen Stadt Föderation der TürkischDemokratischen musikanten (Musikband) | 58, 63 Idealistenvereine in Deutschland e.V. Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) | 168 (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Demek Gruppe S. | 47, 68 leri Federasyonu, ADÜTDF) | 280ff. Franz, Frank | 100, 105f., 110 Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion H (FAU) | 177180 Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland Hai'at Tahrir alSham (HTS) | 222 (FEDKURD | 267 HAMAS | siehe Islamische Widerstands Freiheits und Demokratiekongress bewegung Kurdistans (KADEK) | siehe Arbeiterpartei Hannes (Musikband) | siehe Ostendorf, Kurdistans (PKK) Hannes Freikorps Heimatschutz | 47, 68 Hatecore Lüneburg (Versand) | 63 Freistaat Preußen | 134 Haupt, Tobias | 118121 415 Anhang HaverbeckWetzel, Ursula | 116, 124f. Islamistische Radikalisierung | 192 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) | 50, 403 Islamistischer Terrorismus | 84, 220, 236f., 406 Heise, Thorsten | 58, 72f., 104, 106 Islamschule Braunschweig | 211 Heldengedenken | 74, 109 Hennig, Rigolf Dr. | 124 Hilfsorganisation f. nationale politische J Gefangene und deren Angehörige (HNG) | 41, 403 Jabhat alNusra (JaN) | s. Jabhat Fatah alSham Hizb Allah | 184, 187, 254257, 406 Jabhat Fatah alSham (JFS) | 222 Höcke, Björn | 9599 Jihad/Jihadismus (Begriff) | 186f., 192f., Holocaust (Leugnung/Relativierung) | 116, 214, 222, 227f., 231, 235ff., 247, 361 124f., 127, 189, 402 Jihadistischer Salafismus | 290 Jinen Ciwan en Tekoser (TEKOJIN) | 268f., 271, 273f., 276 I Junge Alternative (JA) | 38f., 8793, 96f. Junge Landsmannschaft Ostdeutschland Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) (JLO) | 128 | 38f., 48, 7781, 83, 85, 290 Junge Nationaldemokraten (JN) | s. Junge Inspire (Publikation) | 227, 235 Nationalisten Institut für Staatspolitik | 97 Junge Nationalisten (JN) | 44f., 66, 72, 74f., Internationale ArbeiterInnen Assoziation 100, 107110, 162 (IAA) | 180 JustizOpferHilfe | 134 Interventionistische Linke (IL) | 142, 147, 149152, 156f., 161f., 167f. ISD Records (Versand) | 63 K Islamfeindlichkeit | 79, 188 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | 269 Kahlkopf (Musikband) | 58 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Kalbitz, Andreas | 9598 (IGD) | s. Deutsche Muslimische Gemein Kameradschaft Einbeck | 45f., 70, 118, 121, schaft e.V. 344 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Kameradschaft Northeim | 72 | 184, 187, 207, 247 Kampf um den organisierten Willen | 103, Islamischer Staat (IS) | 84, 187, 203, 205, 107 209, 211, 218f., 222226, 229234, 236f., Kampf um die Köpfe | 103 238244, 254, 261, 275f., 298, 303, 406 Kampf um die Parlamente | 103, 107 Islamismus (Begriff) | 17, 26, 30f., 48, Kampf um die die Straße | 103, 105f. 184ff., 188ff., 193, 195, 244, 260, 288, Kategorie C (Musikband) | 59f., 63 290, 295, 300f., 356, 358f., 406 Komalen Ciwan (KC) | 268 416 Anhang Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Milli GörüsBewegung | 184 | 16, 364f. MIT (Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten ziviler Nachrichtendienst) | 312 Leninisten (TKP/ML) | 263 Musikkonzerte | 52, 57, 60, 62, 73 Kommunistische Plattform (KPF) | 145 Muslimbruderschaft (MB) | 184, 188, Konföderation der Gesellschaften Meso 244248 potamiens in Deutschland (KONMED) | 267f., 270, 272, 274ff. Kongress der kurdischdemokratischen N Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDKE) | 266f., 270, 272, 275 Nahkampf (Musikband) | s. Kategorie C Konvertiten, Konvertierte | 199, 235 Nationaldemokratische Partei Deutschlands Koordination der kurdischdemokratischen (NPD) | 38f., 41, 44, 54, 58, 66, 7275, Gesellschaft in Europa (CDK) | 266 100111, 112, 119f., 128, 162, 364f. Kubitschek, Götz | 97 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) | 405 Nationales CyberAbwehrzentrum (NCAZ) L | 319 Nationalismus | 39, 79, 94, 99, 279f., 282, 359 Landser (Musikband) | 63 Nationalismus ist keine Alternative Braun LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich schweig (NIKA Braunschweig) | 159, 162 erschaffen hat | 194, 205, 211 NAVDEM - Demokratisches Gesellschafts Linksextremismus (Begriff) | 17, 26, 30f., zentrum der Kurdinnen und Kurden in 141f., 360f. Hannover e.V. | 267, 276 Lobocki, Ingeborg | 111 Neonazismus (Begriff) | 41 Ludendorffer | s. Bund für Gotterkenntnis Neonazistische Kameradschaften | 41, 46, (Ludendorffer) e. V. | 50, 128 112f., 116 Neonaziszene | 38f., 41, 44ff., 54, 6576, 92, 109f., 112, 120f., 128, 343 M Neonaziszene Emsland | 65, 73 Neonaziszene Hannover | 67, 70f. Marxismus | 141, 147, 263 Neonaziszene Harz | 70f. MarxistischLeninistische Partei Deutsch Neonaziszene Südniedersachsen | 69ff. lands (MLPD) | 141, 145, 147, 168 Neue Rechte | 77ff., 87, 92, 97, 107 MarxistischLeninistische Kommunistische Nexus Braunschweig | 162 Partei der Türkei - Marksist Leninist Komü Niedersächsisches Computer Emergency nist Partisi (MLKP) | 263 Response Team (NCERT) | 319 Med Nuce TV | 264 Niedersächsisches Polizei und Ordnungs behördengesetz (NPOG) | 22 417 Anhang Niemann, Holger | 111, 117, 119, 121 Q Nordadler | 47, 70f., 344, 404 Nordic 12 | 46, 75 Querdenken | 42f., 83 NSM 88 (Versand) | 63 R O Race War (Musikband) | 63 Öcalan, Abdullah | 263ff., 268, 271275, Radikalisierung | 31, 43f., 47ff., 64, 75, 79, 278, 283 146, 177, 191194, 201f., 208, 211, 218, Özgür Politika | siehe Yeni Özgür Politika 226f., 323, 249, 286, 293, 296, 302f. Offener antifaschistische Treff Oldenburg Rassismus (Begriff) | 39f., 359f. | 174 Rebel Records (Versand) | 62 Oidoxie (Musikband) | 58 Rebell (Jugendorganisation der MLPD) | 168 OPOS Records (Versand) | 62 Rechtsextremismus (Begriff) | 26, 30f., Osnabrücker Landmark e. V. | 134, 404 3942, 360 Ostendorf, Hannes | 58ff., 63 Redical [M] | 151f., 160 Reichsbürger | 38f., 44, 127, 129137, 404 Religionsgemeinschaft heilsamer Weg e. V. P i. G. | 134 Revisionismus | s. Geschichtsrevisionismus Pakistanzentrum Hannover | 250 Revolution, Jugendorganisation (REVO) Partei der Nationalistischen Bewegung | 168 (Milliyetci Hareket Partisi - MHP) | 270, 281, Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront 282f. (DHKPC) - Devrimci Halk Kurtulus Partisi Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung Cephesi | 162, 405 (Adalet ve Kalkinma Partisi - AKP) | 270, Rock against Communism (RAC) | 53 281, 283 Rote Hilfe e. V. (RH) | 165f. PC Records (Versand) | 62 Rumiyah (Publikation) | 229, 234 Phalanx 18 | 404 PKK | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Politischer Salafismus | 188f., 198, 218 S Politisch motivierte Kriminalität | 294, 342352 Salafismus | 188f., 193, 196210, 210220, Postautonome | 142, 146149, 151155, 253, 288, 290, 295, 298, 361 159, 167, 176, 181 Scharia | 185f., 197, 228, 244, 249, Prävention | 286303 251255, 358 Proliferation | 310, 316f. Schiedewitz, Wolfram | 123f., 127, 129 418 Anhang Schild & SchwertFestival | 5760, 73 U Schittke, Norbert Rudolf | 133 Schlesische Jugend e. V. (SJ) | 128 ÜlkücüBewegung | 262, 279283, 359 ScientologyOrganisation | 300, 306 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) | 269 Selbstverwalter | 38f., 129137 Union der Juristen Kurdistans (YHK) | 269 Shabab alKhilafa | 229 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 269 Skinheadkonzerte | s. Musikkonzerte Union der TürkischIslamischen Kultur Skinheads | 52, 76, 128, 401f. vereine in Europa (ATIB) | 281 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) | s. DIE LINKE. Sozialistische Reichspartei (SRP) | 16, 364 V Stahlgewitter (Musikband) | s. Gigi Sterka Ciwan | 264 Verband der Frauen aus Kurdistan in Studierende Frauen aus Kurdistan (JXK) Deutschland (YJKE) | 276 | 269, 274, 276 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) Sturmbrigade 44 | 76 | 269, 271, 274, 276 Sturmvogel | 50 Verbote neonazistischer Vereinigungen | 401404 Verbote islamistischer Vereinigungen | 405f. T Verbote linksextremistischer Vereinigungen | 405 Tablighi Jama'at (TJ) | 184, 248ff. Verbote von Reichsbürgervereinigungen Tag der deutschen Zukunft (TddZ) | 46, 72, | 404 120 Verein Gedächtnisstätte e. V. | 123129 Terrorismus | 26, 28, 69, 84, 208, 218, Verein zur Rehabilitierung der wegen Be 220236, 236244, 314, 333, 346, 351, 362 streitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) Tevgera Ciwanen Soresger (TCS) | 268f., | 402 271276 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) ThuleSeminar | 127f. | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Tillschneider, HansThomas | 97 Verfassungsgebende Versammlung | 134 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist Völkische Gemeinschaft | siehe Nordadler (TKP/ML) | 263 Völkische Jugend | siehe Nordadler Türkische Konföderation in Europa (ATF) Völkische Renaissance | siehe Nordadler | s. Föderation der TürkischDemokratischen Völkische Revolution | siehe Nordadler Idealistenvereine in Deutschland e.V. völkischer Nationalismus | 79, 94 Vogel, Pierre | 194, 204, 207, 211ff., 216, 218 Voice of Hinds (Publikation) | 229 Volksgemeinschaft | 40, 50, 58, 66, 75, 86, 101, 113 419 Anhang Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der PKK (HPG) | 264, 270 W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. | siehe Farben für Waisenkinder e.V. Weigler, Sebastian | 100, 109 Weisse Wölfe Terrorcrew | 404 Welge, Johannes | 117, 119, 121ff. Wewelsburg Records (Versand) | 63 WikingJugend | 50, 401 Wirtschaftsschutz | 332338, 365 Wirtschaftsspionage | 332f., 335, 365 Wolfsbrigade 44 | siehe Sturmbrigade 44 Worch, Christian | 111f., 119 WorldWide ResistanceHelp e. V. | 206 Y Yeni Özgür Politika | 264 Z Zillertaler Virenjäger (Musikband) | 54 420 Anhang 12.9 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) Algermissen | 117 Lüchow | 50, 171 Amt Neuhaus | 111 Lüneburg | 50, 63, 69, 77, 87, 109, 111, Aurich | 268, 272 127, 146, 162, 167, 173ff., 239, 273, 277 Barsinghausen | 89 Meppen | 63 Bergen | 170 Moringen | 118 Braunschweig | 6, 44, 60, 63, 65, 72, 74, Munster | 150f., 170 77, 80, 82ff., 87, 94, 97, 109112, 115, 117, Norden | 272 119ff., 146, 158162, 165, 194, 199f., 205, Oldenburg | 65, 75, 100, 146, 165, 167, 211f., 214, 246f., 272, 281, 288 174, 241, 270, 272, 277, 283 Bremerhaven | 116, 120, 277 Osnabrück | 134, 146, 162, 165, 247, 253, Celle | 44, 69, 108, 122, 170, 194, 209, 257, 268, 270, 277, 281, 297 219, 239f., 272, 277, 297, 348 Osterode am Harz | 290 Dannenberg | 50 Ostfriesland | 65 Einbeck | 45f., 6972, 111, 115, 117123, Peine | 268 160f., 344 Rotenburg (Wümme) | 75 Emden | 144, 157 Salzgitter | 253, 268, 270, 272, 281, 297 Emsland | 65, 73 Seevetal | 163 Eschede | 44, 108, 111 Stade | 268, 272 Gifhorn | 205, 214 Südniedersachsen (Region) | 60, 63, 65, 72, Göttingen | 87, 122, 134, 146, 150, 160, 162, 257 165ff., 177, 180f., 247, 253, 270, 345, 347 Uelzen | 47, 50, 68 Hameln | 132, 277 Unterlüß | 348 Hannover | 65, 67, 71f., 75, 77, 80, 87, 89, Vechta | 75 96, 133, 144, 146, 150, 152, 159165, 167, Verden | 111f., 120, 164 171175, 177180, 197, 207, 211, 217f., 237, Wilhelmshaven | 272 247, 250, 257, 268, 270273, 275f., 281, Wolfsburg | 247, 297 306, 320, 336, 347 Wriedel | 68 Harz (Region) | 65, 71, 72, 74, 92, 257 Helmstedt | 82 Hildesheim | 63, 65, 68f., 72, 74, 77, 111f., 117, 119, 121, 158, 162, 194, 218f., 240, 268, 270, 272, 276 Leer | 61, 63, 162 Lilienthal | 58f. Lohne | 268 421 Anhang 12.10 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2020 In diesem Verzeichnisanhang sind die im vorliegenden Verfassungs schutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungs feindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Grup pierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl Aktionsbündnis gelber Schein 134 alHayat Media Center 229, 231 alQaida 187, 221ff., 225228, 235ff., 241 alQaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 221f., 227 alQaida im Irak 222 alQaida im islamischen Maghreb (AQM) 221 alShabab 221 Amt für Menschenrecht 134 Anarchosyndikalistische Jugendorganisation Göttingen 180f. (ASJ Göttingen) Ansaar International 206 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) 150, 152, 160f. Antikapitalistische Linke (AKL) der Partei DIE LINKE. 145 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 260271, 273278, 281, 283, 357, 361, 405 Artgemeinschaft - Germanische GlaubensGemeinschaft 50 wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. Basisdemokratische Linke Göttingen (BL) 150, 152, 160f. 422 Anhang Bewegung der revolutionären Jugend (TCS) 268f., 271276 Blood & Honour 61, 76, 402 Blood Brother Nation 46, 72, 75 Brigade 8 46, 72, 75 Bund für Gotterkenntnis (Ludendorffer) e. V. 50, 128 Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) 147, 151f., 155f., 159 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) 266 Ciwanen Azad (CA) 264, 268 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und 402 Lebensschutz e. V. (CH) Combat 18 / Combat 18 Deutschland 76, 404 Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen 267f. und Kurden in Norddeutschland e.V. (FEDDEM) Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 141, 145, 167 Deutsche Stimme (Publikation) 100, 105 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) 244, 246 Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V. 194, 200, 205, 211f. in Braunschweig (DMG Braunschweig) Deutschsprachiger Islamkreis e.V. Hannover 211, 217f. (DIK Hannover) Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V. 194, 218f., 240 (DIK Hildesheim) Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. 246f. Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi (DHKPC) 262, 405 Die Rechte 38f., 45, 54, 65f., 70, 72, 74f., 106, 109117, 119123, 161f., 213 Die Wahre Religion (DWR) 205, 211, 406 423 Anhang Eichenlaub mit Schwertern 60, 63 EnNahda 184, 247 Europäische Aktion (EA) 124, 128 Exilregierung Deutsches Reich 133f. Fast Forward Hannover 152 Föderation der demokratischen Gesellschaften 267 Kurdistans e. V. im Saarland und Hessen (FCDKKAWA) Föderation der Freiheitlichen Gesellschaft Mesopotamiens 267 in NRW e.V. (FEDMED NRW) Föderation der Gesellschaften Kurdistans Baden 267 Württemberg und Bayern (FCK) Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine 280ff. in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Demekleri Federasyonu, ADÜTDF) Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion (FAU) 177180 Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland (FEDKURD) 267 Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Freistaat Preußen 134 Freundschafts und Hilfswerk Ost e. V. 128 Front Records (Versand) 63f. Gassenraudi (Musikband) 58, 60f., 63 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) s. Arbeiterpartei Kurdistans "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" 58, 63 Hai'at Tahrir alSham (HTS, Organisation zur Befreiung 222 der Levante) HAMAS s. Islamische Widerstands bewegung Hatecore Lüneburg (Versand) 63 424 Anhang Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 50, 403 Hilfsorganisation f. nationale politische Gefangene und 41, 403 deren Angehörige (HNG) Hizb Allah 184, 187, 254257, 406 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 38f., 48, 7781, 83, 85, 290 Interventionistische Linke (IL) 142, 147, 149152, 156f., 161f., 167f. Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 269 Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) s. Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 184, 187, 207, 247 Islamischer Staat (IS) 84, 187, 203, 205, 209, 211, 218f., 222226, 229234, 236f., 238244, 254, 261, 275f., 298, 303, 406 Jabhat alNusra (auch alNusraFront) (JaN) s. Hai'at Tahrir alSham (HTS) Jabhat Fatah alSham (JFS) s. Hai'at Tahrir alSham (HTS) Junge Alternative (JA) 38f., 8793, 96f. Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) 128 Junge Nationaldemokraten (JN) s. Junge Nationalisten Junge Nationalisten (JN) 44f., 66, 72, 74f., 100, 107110, 162 Kameradschaft Northeim 72 Komalen Ciwan (KC) 268 Kommunistische Partei der Türkei/MarxistenLeninisten 263 (TKP/ML) Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. 145 Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens 267f., 270, 272, 274ff. in Deutschland (KONMED) 425 Anhang Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft 266f., 270, 272, 275 Kurdistans in Europa (KCDKE) Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft 266 in Europa (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) Landser (Musikband) 63 LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat 194, 205, 211 MarxistischLeninistische Partei Deutschlands (MLPD) 141, 145, 147, 168 MarxistischLeninistische Kommunistische Partei 141, 145, 147, 168 der Türkei (MLKP) Milli GörüsBewegung 184 Muslimbruderschaft (MB) 184, 188, 244248 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 38f., 41, 44, 54, 58, 66, 72 75, 100111, 112, 119f., 128, 162, 364f. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), 105, 108f. Landesverband Niedersachsen Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 405 Pakistanzentrum Hannover 250 PC Records (Versand) 62 PKK s. Arbeiterpartei Kurdistans Race War (Musikband) 63 Redical [M] 151f., 160 Reichsbürger 38f., 44, 127, 129137, 404 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKPC) 162, 405 Rote Hilfe e. V. (RH) 165f. Schlesische Jugend e. V. (SJ) 128 ScientologyOrganisation 300, 306 Selbstverwalter 38f., 129137 426 Anhang Stahlgewitter (Musikband) s. "Gigi" Studierende Frauen aus Kurdistan (JXK) 269, 274, 276 Tablighi Jama'at 184, 248ff. ThuleSeminar 127f. Türkische Konföderation in Europa s. Föderation der Türkisch (Avrupa Türk Konfederasyon, ATF) Demokratischen Idealisten vereine in Deutschland e.V. Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) 263 ÜlkücüBewegung 262, 279283, 359 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 269 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 269 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 269 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 269, 271, 274, 276 Verein Gedächtnisstätte e. V. 123129 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens 402 des Holocaust Verfolgten (VRBHV) Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungskräfte der Arbeiterpartei 264, 270 Kurdistans (HPG) Wewelsburg Records (Versand) 63 427 Anhang 12.11 Bilderverzeichnis 16 pusteflower9024 - stock.adobe.com 18 MQIllustrations - stock.adobe.com 20 domoskanonos - stock.adobe.com 31 Niedersächsischer Verfassungsschutz 32 Niedersächsischer Verfassungsschutz 33 Niedersächsischer Verfassungsschutz 34 Niedersächsischer Verfassungsschutz 40 Pusteflower9024/shutterstock.com 46 Internetseite der Kampagne "Tag der deutschen Zukunft" 55 CDCover 58 CDCover 59 CDCover 60 CDCover 61 CDCover CDCover 73 www.facebook.com 74 Internetseite Die Rechte 76 Logo der verbotenen Organisation Combat 18 78 www.facebook.com 80 Internetseite der IBD 84 Internetseite der IBD 94 Logo Der Flügel 101 NPDMaterialdienst 104 NPDPublikation "Stimme Deutschlands" 105 NPDPublikation "Deutsche Stimme" 108 www.facebook.com 112 Internetseite der Partei Die Rechte 116 Internetseite der Partei Die Rechte 137 Niedersächsischer Verfassungsschutz 145 Nachrichtenportal der DKP Internetseite der MLPD 150 Internetseite der Antifaschistischen Linken International 151 www.facebook.com 158 Iven O. Schloesser/shutterstock.com Alexander Oganezov/shutterstock.com 160 www.facebook.com 428 Anhang 161 www.twitter.com 162 www.twitter.com 165 Internetseite der Roten Hilfe e. V. 166 www.facebook.com 175 www.facebook.com 203 www.facebook.com 205 Werbeflyer der verbotenen "LIES!"Kampagne 209 www.twitter.com 212 Internetseite der DMG Braunschweig 215 www.youtube.com 217 Logo des DIK Hannover 219 Logo des DIK Hildesheim 221 Prazis Images/shutterstock.com 223 jihadology.net 226 OnlineMagazin "Shabab alKhilafa" 228 AlQaidaZeitschrift "One Ummah" AlQaida OnlineZeitschrift "Ibnat ulIslam" 229 ISWochenzeitung "alNaba" ISOnlineZeitschrift "Voice of Hind" 232 The World in HDR /shutterstock.com 234 ISMagazin "Rumiyah" ISMagazin "Rumiyah" 244 Logo der Muslimbruderschaft 249 Logo der Tablighi Jama'at 256 Logo der Hizb Allah 257 www.youtube.com 266 Logo der PKK Logo des KCDKE 267 Logos der KONMEDFöderationen 268 Logo der TCS und TEKOJIN 269 Logo der JXK 271 Logo der Nuce Ciwan 279 Internetseite von militanbozkurt 280 Logo des ADÜTDF 289 Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz 291 Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz 429 Anhang 293 Niedersächsischer Verfassungsschutz 294 Niedersächsischer Verfassungsschutz 299 Niedersächsischer Verfassungsschutz 300 Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz 301 Niedersächsischer Verfassungsschutz 303 Niedersächsischer Verfassungsschutz Niedersächsischer Verfassungsschutz 306 Logo der ScientologyOrganisation 311 Niedersächsischer Verfassungsschutz 316 Bundesamt für Verfassungsschutz 318 Bundesamt für Verfassungsschutz 319 Alexander - stock.adobe.com 320 Niedersächsischer Verfassungsschutz 324 Zerbor - stock.adobe.com 328 Niedersächsischer Verfassungsschutz 333 tashatuvango - stock.adobe.com 334 xiaoliangge - stock.adobe.com 335 Niedersächsischer Verfassungsschutz 336 Niedersächsischer Verfassungsschutz 338 Niedersächsischer Verfassungsschutz Umschlaginnenseite hinten Niedersächsischer Verfassungsschutz 430 Anhang 431 Anhang Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffent lichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahl werbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstal tungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druck schrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Ver triebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. 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